Bundesgerichtshof Beschluss, 29. März 2017 - XII ZB 567/16
vorgehend
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. März 2017 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Dr. Klinkhammer, Schilling, Dr. Nedden-Boeger und Guhling
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Die Rechtsbeschwerde betrifft die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist.
- 2
- Die Kläger sind die Vermieter, die Beklagte ist die Mieterin von Gewerberäumen. Die Kläger haben beantragt, die Beklagte zur Zahlung rückständiger Miete und von Reparaturkosten in Höhe von insgesamt 8.555,88 € nebst Zinsen sowie zur Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten zu verurteilen. Mit den Prozessbevollmächtigten der Kläger am 24. Juni 2016 zugestelltem Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Hiergegen haben die Kläger fristge- recht Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung ist am 25. August 2016, einem Donnerstag, beim Oberlandesgericht eingegangen.
- 3
- Dieses hat darauf hingewiesen, dass die Begründung verspätet eingelegt sei. Hierauf baten die Kläger, die Berufung deshalb nicht zu verwerfen, und teilten mit, eine Kanzleiangestellte ihrer Prozessbevollmächtigten habe den Schriftsatz am 22. August 2016 kurz vor 8.00 Uhr in das beim Amtsgericht Mülheim an der Ruhr für das Oberlandesgericht eingerichtete Postaustauschfach gelegt. Nach Kenntnis der Prozessbevollmächtigten werde dieses täglich geleert und der Inhalt zum Oberlandesgericht transportiert. Das Oberlandesgericht hat darin einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gesehen, diesen zurückgewiesen und die Berufung verworfen. Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
- 4
- Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
- 5
- 1. Sie ist gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen gemäß § 574 Abs. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Januar 2013 - XII ZB 167/11 - FamRZ 2013, 1117 Rn. 4 mwN).
- 6
- 2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
- 7
- a) Dieses hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
- 8
- Die Berufung sei zu verwerfen, weil sie nicht fristgemäß begründet worden sei. Den Klägern sei auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Eine telefonische Nachfrage der Berichterstatterin beim Amtsgericht Mülheim an der Ruhr habe ergeben, dass das dortige Gerichtsfach für das Oberlandesgericht zwar täglich vormittags geleert und der Inhalt an das Oberlandesgericht transportiert werde. Den Rechtsanwälten werde aber immer gesagt , dass sie keine Fristsachen einlegen sollten. Ein entsprechender Hinweis befinde sich nach dieser Auskunft auch über den Gerichtspostfächern. Selbst wenn dieser schriftliche Hinweis sich - wie die Kläger geltend machten - lediglich über dem Gerichtspostfach für ein Landgericht und nicht über dem für das Oberlandesgericht befunden haben sollte, schaffe dies nicht den notwendigen Vertrauenstatbestand. Ein Rechtsanwalt dürfe von der Möglichkeit, eine Berufungsschrift bei der Annahmestelle im Gebäude des Landgerichts zur Weiterleitung an das Oberlandesgericht abzugeben, nur so lange Gebrauch machen, als er mit Sicherheit noch einen fristgerechten Zugang erwarten könne. Dies sei etwa anzunehmen, wenn der Beamte der Postannahmestelle ihm die Weiterleitung an das Oberlandesgericht noch am selben Tage versichert habe. Entsprechende Umstände, aufgrund derer die Prozessbevollmächtigten hier auf eine rechtzeitige Weiterleitung hätten vertrauen dürfen, seien weder ersichtlich noch vorgetragen. Dies gelte umso mehr im Hinblick auf den schriftlichen Hinweis, der sich zumindest über dem Fach für das Landgericht befunden habe.
- 9
- b) Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der Begründung des Oberlandesgerichts kann den Klägern die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht versagt werden. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Oberlandesgericht die Anforderungen an die anwaltliche Sorgfaltspflicht überspannt hat.
- 10
- aa) Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Oberlandesgerichts, dass ein Rechtsanwalt von der Möglichkeit, einen fristgebundenen Schriftsatz bei der Annahmestelle eines Gerichts zur Weiterleitung an das zuständige Gericht abzugeben, so lange Gebrauch machen kann, als er mit Sicherheit noch einen fristgerechten Eingang erwarten darf. Gibt er den Schriftsatz am letzten Tag der Frist ab, so liegt ein Sorgfaltsverstoß vor, wenn er sich nicht durch ausdrückliches Befragen vergewissert, dass der Eingang beim zuständigen Gericht noch am gleichen Tag erfolgen wird (BGH Beschlüsse vom 23. März 2006 - IX ZB 56/05 - AnwBl 2006, 491, 492 mwN und vom 12. Juli 1961 - I ZB 2/61 - VersR 1961, 923, 924). Ein Anwalt, der eine Rechtsmittelbegründungsfrist bis zum letzten Tag ausschöpft, hat nämlich wegen des damit erfahrungsgemäß verbundenen Risikos eine erhöhte Sorgfalt aufzuwenden, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen (BGH Beschluss vom 16. November 2016 - VII ZB 35/14 - ZfBR 2017, 144 Rn. 12). Wird der Schriftsatz allerdings - wie hier - mehrere Tage vor Ablauf der Frist abgegeben, bestehen diese erhöhten Anforderungen nicht. Eröffnet ein Gericht die Möglichkeit der Weiterleitung von Schriftstücken an das zuständige Gericht, so genügt der Anwalt daher seinen Sorgfaltspflichten bereits dann, wenn er einen fristgebundenen Schriftsatz so rechtzeitig abgibt , dass er einen fristgemäßen Eingang beim zuständigen Gericht mit Sicherheit erwarten darf (vgl. BGH Beschlüsse vom 23. März 2006 - IX ZB 56/05 - AnwBl 2006, 491, 492 mwN und vom 12. Juli 1961 - I ZB 2/61 - VersR 1961, 923, 924).
- 11
- Insoweit kann sich der Anwalt zwar - anders als bei einem Versand mit der Deutschen Post AG oder anderen Briefbeförderungsunternehmen (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 23. Januar 2008 - XII ZB 155/07 - VersR 2009, 1096 Rn. 8 f. mwN) - nicht darauf verlassen, dass eine für den Normalfall festgelegte Beförderungszeit eingehalten wird. Denn bei der Weiterleitung durch die Justiz besteht keine auf die Einhaltung der Beförderungszeit für den Nor- malfall ausgerichtete Organisationsstruktur, auf die der Anwalt vertrauen darf. Vielmehr muss er berücksichtigen, dass die mit der Postübermittlung beauftragten Wachtmeister durch vorrangige dienstliche Tätigkeiten oder andere Umstände vorübergehend verhindert sein können, so dass eine gewisse Verzögerung mit höherer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist als bei einem auf die Briefbeförderung spezialisierten Unternehmen (vgl. Senatsbeschluss vom 19. September 2012 - XII ZB 221/12 - juris Rn. 11). Andererseits muss der Anwalt aber auch nicht mit einer außergewöhnlich langen Verzögerung der Versendung rechnen (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Mai 2012 - XII ZB 375/11 - FamRZ 2012, 1205 Rn. 26 f.).
- 12
- bb) Gemessen hieran hätte das Oberlandesgericht nicht von einem den Klägern nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten ausgehen dürfen. Mangels abweichender tatrichterlicher Feststellungen ist das klägerische Vorbringen rechtsbeschwerderechtlich als wahr zu unterstellen. Danach lag eine außergewöhnliche Verzögerung des Postaustauschs vor. Dabei ist - anders als die Rechtsbeschwerdeerwiderung meint - auch der bis zum 10. Oktober 2016 mehrfach ergänzte Vortrag der Kläger vollständig zu berücksichtigen. Da die Kläger am 13. September 2016 Kenntnis von der Fristversäumung erhielten, endete die Monatsfrist für den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist nach § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO erst am 13. Oktober 2016.
- 13
- Bei Zugrundelegung dieses Vortrags - Einlegung des Schriftsatzes am Morgen des 22. August 2016 bei Kenntnis davon, dass das Fach täglich am Vormittag geleert und der Inhalt an das Oberlandesgericht transportiert wird - durften die Prozessbevollmächtigten der Kläger darauf vertrauen, dass der Schriftsatz noch vor dem Ende der am 24. August 2016 ablaufenden Begründungsfrist beim Oberlandesgericht eingehen würde. Denn so standen insge- samt drei Arbeitstage zur Verfügung, an denen die Post vom Amtsgericht zum Oberlandesgericht transportiert wird und an denen noch ein fristgemäßer Eingang des Schriftsatzes möglich gewesen wäre. Unter Berücksichtigung des in diesem Fall vorliegenden regelmäßig täglichen Postaustauschs ist der Eingang beim Oberlandesgericht am 25. August 2016 so außergewöhnlich verzögert erfolgt, dass die Prozessbevollmächtigten der Kläger damit nicht rechnen mussten.
- 14
- Dem steht auch nicht der schriftliche Hinweis entgegen, dass in das Gerichtsfach keine Fristsachen eingelegt werden sollen. Selbst wenn er sich auch auf das für das Oberlandesgericht bestimmte Austauschfach bezogen haben sollte, so wäre er nicht dahingehend zu verstehen, dass die Zustellung dieser Post verzögert erfolgt. Vielmehr wäre das als Hinweis darauf zu verstehen, dass mit der Einlegung in das Fach die Frist noch nicht gewahrt ist, weil es sich um keine gemeinsame Postannahmestelle handelt (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Januar 2008 - XII ZB 155/07 - VersR 2009, 1096 Rn. 12).
- 15
- 3. Die angefochtene Entscheidung ist mithin aufzuheben und die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 577 Abs. 4 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 ZPO).
- 16
- Dem Senat ist eine eigene Entscheidung auch über das Wiedereinsetzungsgesuch verwehrt. Denn das Oberlandesgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent - offen gelassen, inwieweit es den Vortrag der Kläger für glaubhaft erachtet. Die hier noch nachzuholende Beweiswürdigung obliegt aber grundsätzlich dem Tatrichter (BGH Beschluss vom 27. September 2016 - XI ZB 12/14 - WM 2016, 2170 Rn. 12). Zwar entscheidet der Bundesgerichtshof in der Rechtsbeschwerde über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus Gründen der Prozessökonomie selbst, soweit ihre Voraussetzungen nach Aktenlage ohne weiteres vorliegen (Senatsurteil vom 4. November 1981 - IVb ZR 625/80 - FamRZ 1982, 255, 256). Das ist hier aber nicht der Fall, weil derzeit zumindest das Vorbringen zur Einlegung der Berufungsbegründung in das Gerichtspostfach nicht durch eidesstattliche Versicherung oder auf andere Weise glaubhaft gemacht ist. Die von den Klägern insoweit angebotene Zeugenaussage ist kein präsentes Beweismittel und daher nach § 294 Abs. 2 ZPO nicht zur Glaubhaftmachung geeignet. Die Nachholung der Glaubhaftmachung kann aber gemäß § 236 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO noch während des laufenden Verfahrens über den Wiedereinsetzungsantrag erfolgen (BGH Beschlüsse vom 26. April 2016 - VI ZB 4/16 - MDR 2016, 1223 Rn. 14 und vom 22. Juni 2004 - VI ZB 14/04 - NJW 2004, 3491, 3492).
- 17
- Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung , zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO).
Vorinstanzen:
LG Duisburg, Entscheidung vom 24.06.2016 - 10 O 188/15 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 25.10.2016 - I-24 U 126/16 -
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War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt.
Die Sache wird zur Verhandlung und Entscheidung über die Berufung des Klägers an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gründe:
I.
- 1
- Das die Klage abweisende und der Widerklage stattgebende Urteil des Landgerichts Stralsund vom 3. September 2004 ist dem Kläger am 7. September 2004 zugestellt worden. Hiergegen hat der Kläger fristgerecht Berufung eingelegt. Die Frist zur Begründung des Rechtsmittels ist auf seinen Antrag bis zum 7. Dezember 2004 verlängert worden. Die Berufungsbegründung ist am 8. Dezember 2004 beim Oberlandesgericht Rostock, das seinen Sitz in der Wallstraße 3 hat, eingegangen. Am 22. Dezember 2004 hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung hat er vorgetragen:
- 2
- Ein in seiner Kanzlei beschäftigter Praktikant habe den Berufungsbegründungsschriftsatz am 7. Dezember 2004 gegen 15.00 Uhr im Haus der Justiz in der August-Bebel-Straße einem Justizwachtmeister übergeben. Der Praktikant habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich um einen fristgebundenen Schriftsatz für das Oberlandesgericht handele, und um sofortige Weiterleitung an den im Hause ansässigen 8. Zivilsenat gebeten. Der Justizwachtmeister habe den Schriftsatz ohne Einwendungen entgegengenommen. Diese - entgegen der üblichen Praxis gewählte - Form der Übermittlung habe der den Berufungsschriftsatz unterzeichnende Rechtsanwalt persönlich angeordnet.
- 3
- Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen, weil dieser nicht ohne sein Verschulden verhindert gewesen sei, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Die Fristüberschreitung beruhe auf einer fehlerhaften Einzelweisung. Durch die Übergabe des Schriftsatzes an einen Mitarbeiter der Poststelle im Haus der Justiz sei der - zutreffend adressierte - Begründungsschriftsatz noch nicht beim zuständigen Oberlandesgericht eingegangen. Denn es handele sich nicht um eine gemeinsame Postannahmestelle auch des Oberlandesgerichts. Der Umstand, dass einige Senate des Oberlandesgerichts aus räumlichen Gründen im Haus der Justiz untergebracht seien, ändere daran nichts. Bei dem in der Postannahmestelle befindlichen Fach für an das Oberlandesgericht adressierte Schriftsätze handele es sich um eine interne Ablage. Der Irrtum des Prozessbevollmächtigten über die Existenz einer gemeinsamen Postannahmestelle beruhe auf Fahrlässigkeit , die sich der Kläger zurechnen lassen müsse. Ein mitwirkendes Verschulden der Justiz an der Fristversäumung sei nicht ersichtlich.
II.
- 4
- Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und zulässig (§ 574 Abs. 2, § 575 ZPO). Das Rechtsmittel ist auch begründet.
- 5
- 1. Der angefochtene Beschluss unterliegt nicht bereits deswegen der Aufhebung, weil das Berufungsgericht seiner rechtlichen Begründung keinen Sachverhalt vorangestellt hat (BGH, Beschl. v. 20. Juni 2002 - IX ZB 56/01, NJW 2002, 2648, 2649). Die tatsächlichen Grundlagen seiner Entscheidung lassen sich den Rechtsausführungen in einer für die rechtliche Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht noch ausreichenden Weise entnehmen.
- 6
- 2. Dahinstehen kann, ob einzelne Wendungen der Rechtsbeschwerdebegründung dahin zu verstehen sind, im Haus der Justiz in Rostock befinde sich eine gemeinsame Postannahmestelle, an die auch das Oberlandesgericht angeschlossen sei. Träfe eine solche Behauptung zu, hätte der Kläger die Berufungsbegründungsfrist nicht versäumt. Die Rechtsbeschwerde macht jedoch nicht geltend, die Begründungsfrist sei gewahrt; erst recht legt sie insoweit keine durchgreifenden Zulässigkeitsgründe dar. Nach den Anträgen und den einleitenden Ausführungen der Begründungsschrift verfolgt der Kläger vielmehr seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand weiter.
- 7
- 3. Mit Recht wendet sich der Kläger gegen die Annahme des Berufungsgerichts , seinen Prozessbevollmächtigten treffe ein ihm gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden an der Fristversäumung.
- 8
- Nach den besonderen Umständen des hier gegebenen Falles hat der Prozessbevollmächtigte die Berufungsbegründungsfrist nicht schuldhaft versäumt. Durch die eidesstattliche Versicherung des Praktikanten ist glaubhaft gemacht, dass dieser das Verhalten des Justizwachtmeisters dahin deuten durfte, die Berufungsbegründung werde noch am selben Tag beim zuständigen 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts, der im Hause der Justiz untergebracht war, eingehen. Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, ein Rechtsanwalt dürfe von der Möglichkeit, eine Berufungsschrift bei der Annahmestelle im Gebäude des Landgerichts zur Weiterleitung an das Oberlandesgericht abzugeben , so lange Gebrauch machen, als er mit Sicherheit noch einen fristgerechten Zugang erwarten könne (BGH, Beschl. v. 12. Juli 1961 - I ZB 2/61, VersR 1961, 923, 924). Die Versicherung eines Beamten der Postannahmestelle , der Schriftsatz werde noch am selben Tag der zuständigen Stelle zugeleitet, schließt ein Verschulden des darauf vertrauenden Rechtsanwalts aus (BGH, aaO S. 923 f; Beschl. v. 10. Juni 1976 - VII ZB 5/76, VersR 1976, 1063, 1064). Hier muss wegen der örtlichen Gegebenheiten das Gleiche gelten. Der 8. Zivilsenat war im Haus der Justiz untergebracht. Dieser Spruchkörper war für das Berufungsverfahren zuständig und infolge der Berufungseinlegung bereits mit der Sache befasst. Dementsprechend wies die Berufungsbegründung das richtige Aktenzeichen dieses Senats aus, so dass der Schriftsatz ihm sofort zugeordnet werden konnte. Die offene Abgabe der Berufungsbegründung unterstrich zusätzlich, dass der Schriftsatz nicht im gewöhnlichen Postgang behandelt werden sollte. Bei einer Abgabe gegen 15:00 Uhr war es auch ohne weiteres möglich, dass die Begründungsschrift noch vor Dienstschluss der Ge- schäftsstelle vorgelegt wurde. Unter diesen Umständen konnte der Praktikant das Verhalten des Wachtmeisters nur so verstehen, dass der ihm übergebene Schriftsatz - aufgrund der allgemeinen Organisation des Postlaufs oder aufgrund einer besonderen Zuleitung - noch am Tage der Übergabe und damit rechtzeitig beim zuständigen 8. Zivilsenat eingehen werde.
- 9
- 4. Die Sache ist zur Verhandlung und Entscheidung über die Berufung an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen, das auch über die Kosten dieses Verfahrens zusammen mit der Hauptsache (vgl. BGH, Beschl. v. 24. Juli 2000 - II ZB 20/99, NJW 2000, 3284, 3286) zu befinden hat.
Kayser Cierniak
Vorinstanzen:
LG Stralsund, Entscheidung vom 03.09.2004 - 4 O 96/04 -
OLG Rostock, Entscheidung vom 28.01.2005 - 8 U 152/04 -
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt.
Die Sache wird zur Verhandlung und Entscheidung über die Berufung des Klägers an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gründe:
I.
- 1
- Das die Klage abweisende und der Widerklage stattgebende Urteil des Landgerichts Stralsund vom 3. September 2004 ist dem Kläger am 7. September 2004 zugestellt worden. Hiergegen hat der Kläger fristgerecht Berufung eingelegt. Die Frist zur Begründung des Rechtsmittels ist auf seinen Antrag bis zum 7. Dezember 2004 verlängert worden. Die Berufungsbegründung ist am 8. Dezember 2004 beim Oberlandesgericht Rostock, das seinen Sitz in der Wallstraße 3 hat, eingegangen. Am 22. Dezember 2004 hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung hat er vorgetragen:
- 2
- Ein in seiner Kanzlei beschäftigter Praktikant habe den Berufungsbegründungsschriftsatz am 7. Dezember 2004 gegen 15.00 Uhr im Haus der Justiz in der August-Bebel-Straße einem Justizwachtmeister übergeben. Der Praktikant habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich um einen fristgebundenen Schriftsatz für das Oberlandesgericht handele, und um sofortige Weiterleitung an den im Hause ansässigen 8. Zivilsenat gebeten. Der Justizwachtmeister habe den Schriftsatz ohne Einwendungen entgegengenommen. Diese - entgegen der üblichen Praxis gewählte - Form der Übermittlung habe der den Berufungsschriftsatz unterzeichnende Rechtsanwalt persönlich angeordnet.
- 3
- Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen, weil dieser nicht ohne sein Verschulden verhindert gewesen sei, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Die Fristüberschreitung beruhe auf einer fehlerhaften Einzelweisung. Durch die Übergabe des Schriftsatzes an einen Mitarbeiter der Poststelle im Haus der Justiz sei der - zutreffend adressierte - Begründungsschriftsatz noch nicht beim zuständigen Oberlandesgericht eingegangen. Denn es handele sich nicht um eine gemeinsame Postannahmestelle auch des Oberlandesgerichts. Der Umstand, dass einige Senate des Oberlandesgerichts aus räumlichen Gründen im Haus der Justiz untergebracht seien, ändere daran nichts. Bei dem in der Postannahmestelle befindlichen Fach für an das Oberlandesgericht adressierte Schriftsätze handele es sich um eine interne Ablage. Der Irrtum des Prozessbevollmächtigten über die Existenz einer gemeinsamen Postannahmestelle beruhe auf Fahrlässigkeit , die sich der Kläger zurechnen lassen müsse. Ein mitwirkendes Verschulden der Justiz an der Fristversäumung sei nicht ersichtlich.
II.
- 4
- Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und zulässig (§ 574 Abs. 2, § 575 ZPO). Das Rechtsmittel ist auch begründet.
- 5
- 1. Der angefochtene Beschluss unterliegt nicht bereits deswegen der Aufhebung, weil das Berufungsgericht seiner rechtlichen Begründung keinen Sachverhalt vorangestellt hat (BGH, Beschl. v. 20. Juni 2002 - IX ZB 56/01, NJW 2002, 2648, 2649). Die tatsächlichen Grundlagen seiner Entscheidung lassen sich den Rechtsausführungen in einer für die rechtliche Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht noch ausreichenden Weise entnehmen.
- 6
- 2. Dahinstehen kann, ob einzelne Wendungen der Rechtsbeschwerdebegründung dahin zu verstehen sind, im Haus der Justiz in Rostock befinde sich eine gemeinsame Postannahmestelle, an die auch das Oberlandesgericht angeschlossen sei. Träfe eine solche Behauptung zu, hätte der Kläger die Berufungsbegründungsfrist nicht versäumt. Die Rechtsbeschwerde macht jedoch nicht geltend, die Begründungsfrist sei gewahrt; erst recht legt sie insoweit keine durchgreifenden Zulässigkeitsgründe dar. Nach den Anträgen und den einleitenden Ausführungen der Begründungsschrift verfolgt der Kläger vielmehr seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand weiter.
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- 3. Mit Recht wendet sich der Kläger gegen die Annahme des Berufungsgerichts , seinen Prozessbevollmächtigten treffe ein ihm gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden an der Fristversäumung.
- 8
- Nach den besonderen Umständen des hier gegebenen Falles hat der Prozessbevollmächtigte die Berufungsbegründungsfrist nicht schuldhaft versäumt. Durch die eidesstattliche Versicherung des Praktikanten ist glaubhaft gemacht, dass dieser das Verhalten des Justizwachtmeisters dahin deuten durfte, die Berufungsbegründung werde noch am selben Tag beim zuständigen 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts, der im Hause der Justiz untergebracht war, eingehen. Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, ein Rechtsanwalt dürfe von der Möglichkeit, eine Berufungsschrift bei der Annahmestelle im Gebäude des Landgerichts zur Weiterleitung an das Oberlandesgericht abzugeben , so lange Gebrauch machen, als er mit Sicherheit noch einen fristgerechten Zugang erwarten könne (BGH, Beschl. v. 12. Juli 1961 - I ZB 2/61, VersR 1961, 923, 924). Die Versicherung eines Beamten der Postannahmestelle , der Schriftsatz werde noch am selben Tag der zuständigen Stelle zugeleitet, schließt ein Verschulden des darauf vertrauenden Rechtsanwalts aus (BGH, aaO S. 923 f; Beschl. v. 10. Juni 1976 - VII ZB 5/76, VersR 1976, 1063, 1064). Hier muss wegen der örtlichen Gegebenheiten das Gleiche gelten. Der 8. Zivilsenat war im Haus der Justiz untergebracht. Dieser Spruchkörper war für das Berufungsverfahren zuständig und infolge der Berufungseinlegung bereits mit der Sache befasst. Dementsprechend wies die Berufungsbegründung das richtige Aktenzeichen dieses Senats aus, so dass der Schriftsatz ihm sofort zugeordnet werden konnte. Die offene Abgabe der Berufungsbegründung unterstrich zusätzlich, dass der Schriftsatz nicht im gewöhnlichen Postgang behandelt werden sollte. Bei einer Abgabe gegen 15:00 Uhr war es auch ohne weiteres möglich, dass die Begründungsschrift noch vor Dienstschluss der Ge- schäftsstelle vorgelegt wurde. Unter diesen Umständen konnte der Praktikant das Verhalten des Wachtmeisters nur so verstehen, dass der ihm übergebene Schriftsatz - aufgrund der allgemeinen Organisation des Postlaufs oder aufgrund einer besonderen Zuleitung - noch am Tage der Übergabe und damit rechtzeitig beim zuständigen 8. Zivilsenat eingehen werde.
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- 4. Die Sache ist zur Verhandlung und Entscheidung über die Berufung an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen, das auch über die Kosten dieses Verfahrens zusammen mit der Hauptsache (vgl. BGH, Beschl. v. 24. Juli 2000 - II ZB 20/99, NJW 2000, 3284, 3286) zu befinden hat.
Kayser Cierniak
Vorinstanzen:
LG Stralsund, Entscheidung vom 03.09.2004 - 4 O 96/04 -
OLG Rostock, Entscheidung vom 28.01.2005 - 8 U 152/04 -
(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.
(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.
(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.
(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.
(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(2) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Parteien gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 575 Abs. 3 und § 574 Abs. 4 Satz 2 gerügt worden sind. § 559 gilt entsprechend.
(3) Ergibt die Begründung der angefochtenen Entscheidung zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
(4) Wird die Rechtsbeschwerde für begründet erachtet, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. § 562 Abs. 2 gilt entsprechend. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(5) Das Rechtsbeschwerdegericht hat in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist. § 563 Abs. 4 gilt entsprechend.
(6) Die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ergeht durch Beschluss. § 564 gilt entsprechend. Im Übrigen kann von einer Begründung abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
Der Kläger hat die fristgerechte Einlegung der Berufung gegen das teilweise klagabweisende Urteil des Amtsgerichts versäumt, weil die Berufungsschrift seiner Prozeßbevollmächtigten per Telefax am letzten Tage vor Fristablauf versehentlich an das Amtsgericht und nicht an das zuständige Landgericht gesendet worden ist. Nach der eidesstattlich versicherten Darstellung des instanzgerichtlichen Prozeßbevollmächtigten des Klägers in seinem Wiederein-setzungsgesuch wurde die fehlerhafte Versendung des Schriftsatzes verursacht , weil die von ihm mit dem Absenden der Berufungsschrift beauftragte und bisher stets zuverlässig arbeitende Fachkraft gegen die in der Kanzlei bestehenden klaren Anweisungen zur Versendung fristgebundener Schriftsätze per Telefax verstoßen habe. Nach den Anweisungen sei die Faxnummer, an die der Schriftsatz zu versenden sei, aus einer ständig aktualisierten "Aktenvita" zu ermitteln und per Hand in den Schriftsatz einzufügen. Die Fachkraft habe hingegen weisungswidrig die Telefaxnummer des im Computer und der Akte enthaltenen erstinstanzlichen Gerichts eingefügt. Bei der nach Absendung der Berufungsschrift durchgeführten Sendeberichtskontrolle sei das Versehen nicht bemerkt worden, weil der Sendebericht den Vermerk "ok" ausgewiesen habe. Das Berufungsgericht hat den Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung zurückgewiesen, daß den Prozeßbevollmächtigten des Klägers jedenfalls ein Organisationsverschulden treffe, das für die Versäumung der Berufungsfrist ursächlich geworden sei, weil die behauptete Kontrolle des Sendeberichts als Maßnahme zur Vermeidung der eingetretenen Fristversäumung unzulänglich sei. Bei der Eingabe einer TelefaxEmpfängernummer bestehe eine hohe Verwechslungsgefahr, sei es, daß die Nummer im Telefaxverzeichnis aus der falschen Zeile entnommen werde oder daß - wie hier - die Nummer versehentlich fehlerhaft aus der Akte oder dem Computer entnommen werde. Es müsse deshalb durch eine entsprechende Büroorganisation sichergestellt sein, daß sich die Überprüfung der per Telefax übermittelten Schriftsätze auch auf die Verwendung der zutreffenden Empfängernummer erstrecke. Hierzu reiche es nicht aus, den Sendebericht auf die "OK-Meldung" hin zu überprüfen und die im Sendebericht aufgeführte mit der zuvor eingefügten Empfängernummer zu vergleichen. Denn unterliefen bei der Ermittlung der Faxnummer Fehler, dann setzten sich diese zwangsläufig bei der anschließenden Kontrolle des Sendeberichts fort, wenn die gewählte
Empfängernummer nur mit der zuvor eingefügten Nummer abgeglichen werde. Eine zuverlässige Abschlußkontrolle setze daher voraus, daß die verwendete und im Sendebericht aufgeführte Nummer anhand eines amtlichen Telefaxverzeichnisses oder einer vergleichbar zuverlässigen Aufzeichnung oder Liste überprüft werde. Eine diesen Erfordernissen entsprechende Organisation gebe es in der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten des Klägers offensichtlich nicht. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers, womit er seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist weiterverfolgt.
II.
Die nach §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im übrigen zulässig, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO vorliegen. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 ZPO) geboten. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. 1. Mit Recht macht die Rechtsbeschwerde geltend, daß das Berufungsgericht die Anforderungen an die Büroorganisation überspannt, indem es verlangt , daß nach Versendung eines fristgebundenen Schriftsatzes über Fax die Kontrolle der verwendeten Faxnummer auf ihre Richtigkeit anhand eines amtlichen Telefaxnummernverzeichnisses oder einer vergleichbar zuverlässigen Liste durchgeführt wird.a) Ein Rechtsanwalt erfüllt seine Verpflichtung, für eine wirksame Ausgangskontrolle zu sorgen, bei Einsatz eines Telefaxgerätes zwar nur dann, wenn er seinen dafür zuständigen Mitarbeitern die Weisung erteilt, sich nach
der Übermittlung eines Schriftsatzes einen Einzelnachweis ausdrucken zu lassen , auf dieser Grundlage die Vollständigkeit der Übermittlung zu überprüfen und die Notfrist erst nach Kontrolle des Sendeberichts zu löschen (vgl. Senatsbeschluß vom 18. Mai 2004 - VI ZB 12/03 - Umdruck S. 3 m.w.N.). Diese Verpflichtung haben die Prozeßbevollmächtigten des Klägers jedoch nicht verletzt. Die nach der Darstellung im Wiedereinsetzungsgesuch bestehende allgemeine Anweisung, die Faxnummer aus der ständig aktualisierten "Aktenvita" zu entnehmen , per Hand in den Schriftsatz einzufügen und sodann nach der Übertragung des Schriftsatzes per Telefax den Einzelsendebericht ausdrucken zu lassen und diesen zu kontrollieren, genügt den Sorgfaltsanforderungen an eine wirksame Ausgangskontrolle.
b) Der Senat setzt sich mit dieser Auffassung nicht in Widerspruch zu den Anforderungen im Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 30. März 1995 - 2 AZR 1020/94 – BAGE 79, 379, 381 ff., wonach die Kontrollanweisung des Rechtsanwalts dahin gehen müsse, auch die Richtigkeit der Empfängernummer abschließend zu kontrollieren. Die Rechtsbeschwerde weist mit Recht darauf hin, daß in dem dem Bundesarbeitsgericht zur Entscheidung vorliegenden Fall der das Faxgerät bedienende Mitarbeiter aus einem amtlichen TelefaxVerzeichnis eine falsche Nummer ausgewählt hatte. Auch der Bundesgerichtshof hat es für erforderlich gehalten, daß bei der Ausgangskontrolle die im Sendebericht wiedergegebene Empfängernummer daraufhin überprüft wird, ob es sich hierbei um die richtige Empfängernummer handelt, wenn das Risiko eines Versehens bei der Ermittlung der Empfängernummer besonders hoch ist, weil z.B. die Empfängernummer von Fall zu Fall aus gedruckten Listen oder elektronischen Dateien herausgesucht werden muß und an einem und demselben Ort mehrere Empfänger in Betracht kommen (vgl. Senatsbeschluß vom 18. Mai 2004 - VI ZB 12/03 - z.V.b.; BGH, Beschluß vom 24. April 2002 - AnwZ 7/01 -
BRAK-Mitt. 2002, 171; offengelassen im Beschluß vom 12. März 2002 - IX ZR 220/01 - VersR 2002, 1577, 1578). Im vorliegenden Fall kann von einer hohen Verwechslungsgefahr bei der "Erstermittlung" der richtigen Telefaxnummer jedoch nicht ausgegangen werden. Wird die Empfängernummer nicht aus einem amtlichen Verzeichnis oder einer Liste, sondern aus dem konkreten Aktenvorgang entnommen, ist eine Verwechslungsgefahr denkbar gering. In einem solchen Fall reicht es deshalb aus, mögliche Eingabefehler zu korrigieren, indem die gewählte Empfängernummer mit der zuvor eingefügten Nummer abgeglichen wird. 2. Mit Recht weist die Rechtsbeschwerde darauf hin, daß im vorliegenden Fall ein etwaiger organisatorischer Fehler im Zusammenhang mit der Ausgangskontrolle außerdem nicht ursächlich geworden wäre für die Versäumung der Berufungsfrist. Die Fristversäumnis ist vielmehr darauf zurückzuführen, daß die Fachangestellte nach der Darstellung des instanzgerichtlichen Prozeßbevollmächtigten des Klägers bereits die Weisung mißachtet hat, den Schriftsatz an die aus der "Aktenvita" zu entnehmenden Faxnummer zu senden. Der hiermit begangene Fehler setzte sich bei der anschließenden Überprüfung des Sendeberichts fort, ohne daß dies durch die von dem Prozeßbevollmächtigten angeordnete Ausgangskontrolle verhindert werden konnte. Die abschließende Kontrolle der eingegebenen Telefax-Nummer dient insbesondere der Beseitigung von Fehlern, die dadurch entstehen, daß der die Nummer im dafür vorhandenen Verzeichnis Ablesende in eine falsche Zeile gerät. Eine Verwechslung des Gerichts, wie sie hier unterlaufen ist, läßt sich aber, worauf die Rechtsbeschwerde zutreffend hinweist, durch einen weiteren Vergleich mit der von der Büroangestellten weisungswidrig benutzten Fundstelle der Nummer gerade nicht vermeiden. Denn wenn die Fachkraft die Weisung mißachtet hat, die Nummer aus der "Aktenvita“ zu entnehmen und handschriftlich einzufügen,
liegt ein klarer Verstoß gegen die Weisung vor, der für die Fristversäumnis ursächlich war. Anerkanntermaßen darf ein Rechtsanwalt darauf vertrauen, daß sein sonst zuverlässiges Personal seine Weisungen befolgt (vgl. BGH, Beschluß vom 5. Februar 1992 - XII ZB 92/91 - NJW 1992, 2488, 2489; vom 10. Februar 1982 - VIII ZR 76/81 - NJW 1982, 2670; vom 10. Juni 1998 - XII ZB 47/98 –VersR 1999, 643). Ein konkretes Einzelverschulden des Personals ist ihm und damit auch dem Kläger nicht anzulasten. 3. An einer Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag ist der Senat aber dadurch gehindert, daß eine hinreichende Glaubhaftmachung fehlt. Das mit dem Wiedereinsetzungsantrag zur Begründung der unverschuldeten Fristversäumnis behauptete weisungswidrige Verhalten der Büroangestellten stellt einen Vorgang dar, der sich der eigenen Wahrnehmung des Rechtsanwalts H. entzieht. Die zugleich eingereichte Versicherung an Eides statt stellt insoweit keine hinreichende Glaubhaftmachung dar (vgl. Zöller/Greger ZPO 24. Aufl. § 294 Rdn. 3 m.w.N.). Das Berufungsgericht hatte keine Veranlassung , dem nachzugehen, da es nach seiner Auffassung auf das weisungswidrige Verhalten der Büroangestellten nicht ankam. Ist ein Organisationsverschulden
jedoch zu verneinen, ist aufzuklären, ob die Fristversäumnis auf dem behaupteten Verhalten der Büroangestellten beruht. Da die Glaubhaftmachung im Verfahren über den Antrag noch erfolgen kann (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO), ist die Sache zur neuen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Müller Greiner Diederichsen Pauge Zoll
(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(2) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Parteien gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 575 Abs. 3 und § 574 Abs. 4 Satz 2 gerügt worden sind. § 559 gilt entsprechend.
(3) Ergibt die Begründung der angefochtenen Entscheidung zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
(4) Wird die Rechtsbeschwerde für begründet erachtet, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. § 562 Abs. 2 gilt entsprechend. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(5) Das Rechtsbeschwerdegericht hat in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist. § 563 Abs. 4 gilt entsprechend.
(6) Die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ergeht durch Beschluss. § 564 gilt entsprechend. Im Übrigen kann von einer Begründung abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.