Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Juni 2004 - VI ZB 14/04

published on 22/06/2004 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Juni 2004 - VI ZB 14/04
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZB 14/04
vom
22. Juni 2004
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Wird die Telefaxnummer aus dem konkreten Aktenvorgang handschriftlich auf den zu
versendenden Schriftsatz übertragen, ist eine Verwechslungsgefahr gering. In einem
solchen Fall reicht es aus, mögliche Eingabefehler zu korrigieren, indem die gewählte
Empfängernummer mit der übertragenen Nummer abgeglichen wird.
BGH, Beschluß vom 22. Juni 2004 - VI ZB 14/04 - LG Hanau
AG Hanau
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Juni 2004 durch die Vorsitzende
Richterin Dr. Müller, den Richter Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen
und die Richter Pauge und Zoll

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluß der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hanau vom 9. Februar 2004 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde: 3.175,73 €

Gründe:

I.

Der Kläger hat die fristgerechte Einlegung der Berufung gegen das teilweise klagabweisende Urteil des Amtsgerichts versäumt, weil die Berufungsschrift seiner Prozeßbevollmächtigten per Telefax am letzten Tage vor Fristablauf versehentlich an das Amtsgericht und nicht an das zuständige Landgericht gesendet worden ist. Nach der eidesstattlich versicherten Darstellung des instanzgerichtlichen Prozeßbevollmächtigten des Klägers in seinem Wiederein-
setzungsgesuch wurde die fehlerhafte Versendung des Schriftsatzes verursacht , weil die von ihm mit dem Absenden der Berufungsschrift beauftragte und bisher stets zuverlässig arbeitende Fachkraft gegen die in der Kanzlei bestehenden klaren Anweisungen zur Versendung fristgebundener Schriftsätze per Telefax verstoßen habe. Nach den Anweisungen sei die Faxnummer, an die der Schriftsatz zu versenden sei, aus einer ständig aktualisierten "Aktenvita" zu ermitteln und per Hand in den Schriftsatz einzufügen. Die Fachkraft habe hingegen weisungswidrig die Telefaxnummer des im Computer und der Akte enthaltenen erstinstanzlichen Gerichts eingefügt. Bei der nach Absendung der Berufungsschrift durchgeführten Sendeberichtskontrolle sei das Versehen nicht bemerkt worden, weil der Sendebericht den Vermerk "ok" ausgewiesen habe. Das Berufungsgericht hat den Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung zurückgewiesen, daß den Prozeßbevollmächtigten des Klägers jedenfalls ein Organisationsverschulden treffe, das für die Versäumung der Berufungsfrist ursächlich geworden sei, weil die behauptete Kontrolle des Sendeberichts als Maßnahme zur Vermeidung der eingetretenen Fristversäumung unzulänglich sei. Bei der Eingabe einer TelefaxEmpfängernummer bestehe eine hohe Verwechslungsgefahr, sei es, daß die Nummer im Telefaxverzeichnis aus der falschen Zeile entnommen werde oder daß - wie hier - die Nummer versehentlich fehlerhaft aus der Akte oder dem Computer entnommen werde. Es müsse deshalb durch eine entsprechende Büroorganisation sichergestellt sein, daß sich die Überprüfung der per Telefax übermittelten Schriftsätze auch auf die Verwendung der zutreffenden Empfängernummer erstrecke. Hierzu reiche es nicht aus, den Sendebericht auf die "OK-Meldung" hin zu überprüfen und die im Sendebericht aufgeführte mit der zuvor eingefügten Empfängernummer zu vergleichen. Denn unterliefen bei der Ermittlung der Faxnummer Fehler, dann setzten sich diese zwangsläufig bei der anschließenden Kontrolle des Sendeberichts fort, wenn die gewählte
Empfängernummer nur mit der zuvor eingefügten Nummer abgeglichen werde. Eine zuverlässige Abschlußkontrolle setze daher voraus, daß die verwendete und im Sendebericht aufgeführte Nummer anhand eines amtlichen Telefaxverzeichnisses oder einer vergleichbar zuverlässigen Aufzeichnung oder Liste überprüft werde. Eine diesen Erfordernissen entsprechende Organisation gebe es in der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten des Klägers offensichtlich nicht. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers, womit er seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist weiterverfolgt.

II.

Die nach §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im übrigen zulässig, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO vorliegen. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 ZPO) geboten. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. 1. Mit Recht macht die Rechtsbeschwerde geltend, daß das Berufungsgericht die Anforderungen an die Büroorganisation überspannt, indem es verlangt , daß nach Versendung eines fristgebundenen Schriftsatzes über Fax die Kontrolle der verwendeten Faxnummer auf ihre Richtigkeit anhand eines amtlichen Telefaxnummernverzeichnisses oder einer vergleichbar zuverlässigen Liste durchgeführt wird.
a) Ein Rechtsanwalt erfüllt seine Verpflichtung, für eine wirksame Ausgangskontrolle zu sorgen, bei Einsatz eines Telefaxgerätes zwar nur dann, wenn er seinen dafür zuständigen Mitarbeitern die Weisung erteilt, sich nach
der Übermittlung eines Schriftsatzes einen Einzelnachweis ausdrucken zu lassen , auf dieser Grundlage die Vollständigkeit der Übermittlung zu überprüfen und die Notfrist erst nach Kontrolle des Sendeberichts zu löschen (vgl. Senatsbeschluß vom 18. Mai 2004 - VI ZB 12/03 - Umdruck S. 3 m.w.N.). Diese Verpflichtung haben die Prozeßbevollmächtigten des Klägers jedoch nicht verletzt. Die nach der Darstellung im Wiedereinsetzungsgesuch bestehende allgemeine Anweisung, die Faxnummer aus der ständig aktualisierten "Aktenvita" zu entnehmen , per Hand in den Schriftsatz einzufügen und sodann nach der Übertragung des Schriftsatzes per Telefax den Einzelsendebericht ausdrucken zu lassen und diesen zu kontrollieren, genügt den Sorgfaltsanforderungen an eine wirksame Ausgangskontrolle.
b) Der Senat setzt sich mit dieser Auffassung nicht in Widerspruch zu den Anforderungen im Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 30. März 1995 - 2 AZR 1020/94 – BAGE 79, 379, 381 ff., wonach die Kontrollanweisung des Rechtsanwalts dahin gehen müsse, auch die Richtigkeit der Empfängernummer abschließend zu kontrollieren. Die Rechtsbeschwerde weist mit Recht darauf hin, daß in dem dem Bundesarbeitsgericht zur Entscheidung vorliegenden Fall der das Faxgerät bedienende Mitarbeiter aus einem amtlichen TelefaxVerzeichnis eine falsche Nummer ausgewählt hatte. Auch der Bundesgerichtshof hat es für erforderlich gehalten, daß bei der Ausgangskontrolle die im Sendebericht wiedergegebene Empfängernummer daraufhin überprüft wird, ob es sich hierbei um die richtige Empfängernummer handelt, wenn das Risiko eines Versehens bei der Ermittlung der Empfängernummer besonders hoch ist, weil z.B. die Empfängernummer von Fall zu Fall aus gedruckten Listen oder elektronischen Dateien herausgesucht werden muß und an einem und demselben Ort mehrere Empfänger in Betracht kommen (vgl. Senatsbeschluß vom 18. Mai 2004 - VI ZB 12/03 - z.V.b.; BGH, Beschluß vom 24. April 2002 - AnwZ 7/01 -
BRAK-Mitt. 2002, 171; offengelassen im Beschluß vom 12. März 2002 - IX ZR 220/01 - VersR 2002, 1577, 1578). Im vorliegenden Fall kann von einer hohen Verwechslungsgefahr bei der "Erstermittlung" der richtigen Telefaxnummer jedoch nicht ausgegangen werden. Wird die Empfängernummer nicht aus einem amtlichen Verzeichnis oder einer Liste, sondern aus dem konkreten Aktenvorgang entnommen, ist eine Verwechslungsgefahr denkbar gering. In einem solchen Fall reicht es deshalb aus, mögliche Eingabefehler zu korrigieren, indem die gewählte Empfängernummer mit der zuvor eingefügten Nummer abgeglichen wird. 2. Mit Recht weist die Rechtsbeschwerde darauf hin, daß im vorliegenden Fall ein etwaiger organisatorischer Fehler im Zusammenhang mit der Ausgangskontrolle außerdem nicht ursächlich geworden wäre für die Versäumung der Berufungsfrist. Die Fristversäumnis ist vielmehr darauf zurückzuführen, daß die Fachangestellte nach der Darstellung des instanzgerichtlichen Prozeßbevollmächtigten des Klägers bereits die Weisung mißachtet hat, den Schriftsatz an die aus der "Aktenvita" zu entnehmenden Faxnummer zu senden. Der hiermit begangene Fehler setzte sich bei der anschließenden Überprüfung des Sendeberichts fort, ohne daß dies durch die von dem Prozeßbevollmächtigten angeordnete Ausgangskontrolle verhindert werden konnte. Die abschließende Kontrolle der eingegebenen Telefax-Nummer dient insbesondere der Beseitigung von Fehlern, die dadurch entstehen, daß der die Nummer im dafür vorhandenen Verzeichnis Ablesende in eine falsche Zeile gerät. Eine Verwechslung des Gerichts, wie sie hier unterlaufen ist, läßt sich aber, worauf die Rechtsbeschwerde zutreffend hinweist, durch einen weiteren Vergleich mit der von der Büroangestellten weisungswidrig benutzten Fundstelle der Nummer gerade nicht vermeiden. Denn wenn die Fachkraft die Weisung mißachtet hat, die Nummer aus der "Aktenvita“ zu entnehmen und handschriftlich einzufügen,
liegt ein klarer Verstoß gegen die Weisung vor, der für die Fristversäumnis ursächlich war. Anerkanntermaßen darf ein Rechtsanwalt darauf vertrauen, daß sein sonst zuverlässiges Personal seine Weisungen befolgt (vgl. BGH, Beschluß vom 5. Februar 1992 - XII ZB 92/91 - NJW 1992, 2488, 2489; vom 10. Februar 1982 - VIII ZR 76/81 - NJW 1982, 2670; vom 10. Juni 1998 - XII ZB 47/98 –VersR 1999, 643). Ein konkretes Einzelverschulden des Personals ist ihm und damit auch dem Kläger nicht anzulasten. 3. An einer Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag ist der Senat aber dadurch gehindert, daß eine hinreichende Glaubhaftmachung fehlt. Das mit dem Wiedereinsetzungsantrag zur Begründung der unverschuldeten Fristversäumnis behauptete weisungswidrige Verhalten der Büroangestellten stellt einen Vorgang dar, der sich der eigenen Wahrnehmung des Rechtsanwalts H. entzieht. Die zugleich eingereichte Versicherung an Eides statt stellt insoweit keine hinreichende Glaubhaftmachung dar (vgl. Zöller/Greger ZPO 24. Aufl. § 294 Rdn. 3 m.w.N.). Das Berufungsgericht hatte keine Veranlassung , dem nachzugehen, da es nach seiner Auffassung auf das weisungswidrige Verhalten der Büroangestellten nicht ankam. Ist ein Organisationsverschulden
jedoch zu verneinen, ist aufzuklären, ob die Fristversäumnis auf dem behaupteten Verhalten der Büroangestellten beruht. Da die Glaubhaftmachung im Verfahren über den Antrag noch erfolgen kann (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO), ist die Sache zur neuen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Müller Greiner Diederichsen Pauge Zoll
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(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wieder

(1) Die Form des Antrags auf Wiedereinsetzung richtet sich nach den Vorschriften, die für die versäumte Prozesshandlung gelten. (2) Der Antrag muss die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten; diese sind bei der Antragste
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Annotations

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Die Form des Antrags auf Wiedereinsetzung richtet sich nach den Vorschriften, die für die versäumte Prozesshandlung gelten.

(2) Der Antrag muss die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten; diese sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Prozesshandlung nachzuholen; ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.