Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Feb. 2018 - IX ZB 10/18
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die Richterin Lohmann, die Richter Prof. Dr. Pape, Grupp und die Richterin Möhring
am 8. Februar 2018
beschlossen:
Der Antrag auf Aussetzung des Verfahrens der Klauselerteilung hinsichtlich des vorbezeichneten Urteils des Appellationsgerichts Krakau vom 22. Dezember 2016 wird abgelehnt.
Gründe:
I.
- 1
- Durch Urteil des Appellationsgerichts Krakau (Polen) vom 22. Dezember 2016 ist die Antragsgegnerin zur Abgabe einer auf ihrer Internetseite zu veröffentlichenden Entschuldigung verurteilt worden. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Nach Darstellung der Antragsgegnerin hat das Polnische Oberste Gericht die von ihr, der Antragsgegnerin, eingelegte Kassationsbeschwerde zugelassen und zur Untersuchung in einer mündlichen Verhandlung überwiesen.
- 2
- Der Antragsteller hat beantragt, das genannte Urteil des Appellationsgerichts Krakau im Inland für vollstreckbar zu erklären. Das Landgericht hat antragsgemäß entschieden. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin ist erfolglos geblieben. Das Beschwerdegericht hat die Zwangsvollstreckung bis zum Ablauf der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde auf Sicherungsmaßregeln beschränkt. Eine Aussetzung des Verfahrens wegen der Kassationsbeschwerde hat das Beschwerdegericht abgelehnt. Mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Rechtsbeschwerde will die Antragsgegnerin die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und die Abweisung des Antrags auf Vollstreckbarkeitserklärung erreichen. Sie beantragt vorab, das Verfahren der Klauselerteilung auszusetzen sowie anzuordnen, dass bis zur Entscheidung über die Rechtsbeschwerde die Zwangsvollstreckung aus diesem Urteil nicht über Maßregeln zur Sicherung hinausgehen darf.
II.
- 3
- Der Antrag auf Aussetzung des Verfahrens der Vollstreckbarkeitserklärung bleibt ohne Erfolg.
- 4
- 1. Grundlage der Entscheidung über den Aussetzungsantrag ist Art. 46 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000 (EuGVVO aF). Die Klage des Antragstellers ist im Jahr 2014 eingereicht worden. Gemäß Art. 66 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) gilt deshalb noch die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000. Daneben sind die Vorschriften des Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetzes vom 19. Februar 2001 in der Fassung vom 30. November 2015 (BGBl. I S. 2146, AVAG) anzuwenden. Zwar verweist § 1 AVAG nicht mehr auf die EuGVVO aF. Die dadurch entstandene unbeabsichtigte Regelungslücke - es gibt keine Ausführungsvorschriften mehr für Verfahren alten Rechts - ist nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs durch eine analoge Anwendung der Vorschriften des AVAG zu schließen (BGH, Beschluss vom 17. Mai 2017 - VII ZB 64/15, WM 2017, 1261 Rn. 13; vom 31. Mai 2017 - VII ZB 2/17, WM 2017, 1422 Rn. 5; jeweils mwN).
- 5
- 2. Nach Art. 46 EuGVVO aF kann auf Antrag des Schuldners das Verfahren der Vollstreckbarkeitserklärung ausgesetzt werden, wenn gegen die Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat ein ordentlicher Rechtsbehelf eingelegt worden ist. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Die Antragsgegnerin hat gegen das Urteil des Appellationsgerichts Krakau eine Kassationsbeschwerde erhoben. Der Senat hat nunmehr nach pflichtgemäßem Ermessen über den Aussetzungsantrag zu entscheiden. Der Umstand, dass ein Rechtsbehelf eingelegt worden ist, rechtfertigt für sich genommen noch nicht die Aussetzung des Verfahrens über die Vollstreckbarkeitserklärung; denn Art. 38 Abs. 1 EuGVVO aF lässt ebenso wie Art. 39 EuGVVO und wie früher Art. 31 des Brüsseler Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ) eine Vollstreckbarkeitserklärung nicht rechtskräftiger Entscheidungen grundsätzlich zu (EuGH, Urteil vom 4. Oktober 1991 - C - 183/90, juris, Rn. 28 f zu Art. 38 EuGVÜ; vgl. auch MünchKomm-ZPO/Gottwald, 5. Aufl., Art. 51 VO (EU) 1215/2012 Rn. 1). Eine Aussetzung kommt deshalb nur in Ausnahmefällen in Betracht, insbesondere dann, wenn der Rechtsbehelf im Ursprungsmitgliedstaat Aussicht auf Erfolg verspricht. Da die Entscheidung, die vollstreckt werden soll, vom Gericht des Vollstreckungsstaates aber keinesfalls in der Sache nachgeprüft werden darf (Art. 36 EuGVVO aF, Art. 52 EuGVVO, Art. 34 Abs. 3 EuGVÜ), kann die Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs nicht mit Umständen begründet werden, die schon Gegenstand der Verhandlung vor dem Gericht des Ausgangsstaates waren (EuGH, Urteil vom 4. Oktober 1991 - C - 183/90, juris, Rn. 32 zu Art. 38 EuGVÜ; BGH, Beschluss vom 21. April 1994 - IX ZB 8/94, NJW 1994, 2156, 2157 zu Art. 38 Abs. 1 EuGVÜ; Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., Art. 46 EuGVO Rn. 5; Saenger/Dörner, ZPO, 7. Aufl., Art. 51 EuGVVO Rn. 5; krit. Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht , 3. Aufl., Art. 46 EuGVVO Rn. 18 ff; Stein/Jonas/Oberhammer, ZPO, 22. Aufl., Art. 46 EuGVVO Rn. 9). Neue, im bisherigen Rechtsstreit vor den polnischen Gerichten noch nicht vorgetragene Umstände, die nach polnischem Recht eine Aufhebung des Urteils des Appellationsgerichts Krakau erwarten lassen, weist die Begründung der Rechtsbeschwerde und des Aussetzungsantrags nicht nach.
III.
- 6
- Auf Antrag der Antragsgegnerin wird die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Appellationsgerichts Krakau vom 22. Dezember 2016 bis zur Entscheidung über die Rechtsbeschwerde gemäß § 22 Abs. 3 AVAG auf Maßre- geln zur Sicherung beschränkt. Die Antragsgegnerin hat dargelegt, dass eine weitergehende Vollstreckung für sie einen nicht zu ersetzenden Nachteil mit sich bringen würde. Die Verurteilung ist auf die Veröffentlichung einer vorformulierten Entschuldigung gerichtet. Eine Vollstreckung würde bedeuten, dass die Antragsgegnerin diese Erklärung veröffentlichen müsste, bevor der Senat über die Frage der Vollstreckbarkeit im Inland entschieden hat. Die nach § 15 Abs. 1 AVAG, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte sowie fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin ist nicht offensichtlich aussichtslos (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 17. Juni 2009 - XII ZB 82/09, FamRZ 2009, 1402 Rn. 8 mwN).
Grupp Möhring
Vorinstanzen:
LG Mainz, Entscheidung vom 27.01.2017 - 3 O 35/17 -
OLG Koblenz, Entscheidung vom 11.01.2018 - 2 U 138/17 AVAG -
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Annotations
(1) Diesem Gesetz unterliegen
- 1.
die Ausführung folgender zwischenstaatlicher Verträge (Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge): - a)
Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (BGBl. 1972 II S. 773); - b)
Übereinkommen vom 16. September 1988 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (BGBl. 1994 II S. 2658); - c)
Vertrag vom 17. Juni 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Norwegen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen und anderer Schuldtitel in Zivil- und Handelssachen (BGBl. 1981 II S. 341); - d)
Vertrag vom 20. Juli 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (BGBl. 1980 II S. 925); - e)
Vertrag vom 14. November 1983 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Spanien über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Vergleichen sowie vollstreckbaren öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen (BGBl. 1987 II S. 34);
- 2.
die Durchführung folgender Abkommen der Europäischen Union: - a)
Übereinkommen vom 30. Oktober 2007 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen; - b)
Haager Übereinkommen vom 30. Juni 2005 über Gerichtsstandsvereinbarungen; - c)
Haager Übereinkommen vom 2. Juli 2019 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen.
(2) Abkommen nach Absatz 1 Nummer 2 werden als unmittelbar geltendes Recht der Europäischen Union durch die Durchführungsbestimmungen dieses Gesetzes nicht berührt. Unberührt bleiben auch die Regelungen der Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge; dies gilt insbesondere für die Regelungen über
- 1.
den sachlichen Anwendungsbereich, - 2.
die Art der Entscheidungen und sonstigen Titel, die im Inland anerkannt oder zur Zwangsvollstreckung zugelassen werden können, - 3.
das Erfordernis der Rechtskraft der Entscheidungen, - 4.
die Art der Urkunden, die im Verfahren vorzulegen sind, und - 5.
die Gründe, die zur Versagung der Anerkennung oder Zulassung der Zwangsvollstreckung führen.
(3) Der Anwendungsbereich des Auslandsunterhaltsgesetzes vom 23. Mai 2011 (BGBl. I S. 898) bleibt unberührt.
(1) Weist das Beschwerdegericht die Beschwerde des Verpflichteten gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung zurück oder lässt es auf die Beschwerde des Berechtigten die Zwangsvollstreckung aus dem Titel zu, so kann die Zwangsvollstreckung über Maßregeln zur Sicherung hinaus fortgesetzt werden.
(2) Auf Antrag des Verpflichteten kann das Beschwerdegericht anordnen, dass bis zum Ablauf der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde (§ 15) oder bis zur Entscheidung über diese Beschwerde die Zwangsvollstreckung nicht oder nur gegen Sicherheitsleistung über Maßregeln zur Sicherung hinausgehen darf. Die Anordnung darf nur erlassen werden, wenn glaubhaft gemacht wird, dass die weitergehende Vollstreckung dem Verpflichteten einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde. § 713 der Zivilprozessordnung ist entsprechend anzuwenden.
(3) Wird Rechtsbeschwerde eingelegt, so kann der Bundesgerichtshof auf Antrag des Verpflichteten eine Anordnung nach Absatz 2 erlassen. Der Bundesgerichtshof kann auf Antrag des Berechtigten eine nach Absatz 2 erlassene Anordnung des Beschwerdegerichts abändern oder aufheben.
(1) Gegen den Beschluss des Beschwerdegerichts findet die Rechtsbeschwerde nach Maßgabe des § 574 Absatz 1 Nummer 1, Absatz 2 der Zivilprozessordnung statt.
(2) Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats einzulegen.
(3) Die Rechtsbeschwerdefrist ist eine Notfrist und beginnt mit der Zustellung des Beschlusses (§ 13 Absatz 3).
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.