Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Juni 2016 - 1 StR 24/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:290616B1STR24.16.0
bei uns veröffentlicht am29.06.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 24/16
vom
29. Juni 2016
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_____________________________
1. Zur Eigenständigkeit des Merkmals „Missbrauch“ bei § 174c Abs. 1 StGB.
2. Für die Beurteilung, ob ein Missbrauch im Sinne von § 174c Abs. 1 StGB
vorliegt, kommt es auf die konkrete Art und Intensität des Beratungs-, Behandlungs
- oder Betreuungsverhältnisses an.
BGH, Beschluss vom 29. Juni 2016 – 1 StR 24/16 - LG München II
in der Strafsache
gegen
ECLI:DE:BGH:2016:290616B1STR24.16.0


wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. Juni 2016 gemäß § 349 Abs. 4 und § 354 Abs. 1 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 15. Juli 2015 aufgehoben. Der Angeklagte wird freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last. Die Nebenklägerin trägt ihre notwendigen Auslagen selbst. Die Entscheidung über die Entschädigung des Angeklagten wegen erlittener Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt dem Landgericht vorbehalten.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „sexuellen Missbrauchs un- ter Ausnutzung eines Beratungs- oder Behandlungsverhältnisses in zwei Fäl- len“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt und deren Voll- streckung zur Bewährung ausgesetzt. Die mit der näher ausgeführten Sachrüge geführte Revision des Angeklagten führt zu dessen Freispruch.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
1. Der Angeklagte ist Facharzt für Psychiatrie und Neurologie und in dieser Funktion in verschiedenen Positionen tätig gewesen, u.a. als Landgerichtsarzt beim Landgericht München II, als Psychiater in den Justizvollzugsanstalten Straubing und München-Stadelheim und als stellvertretender Chefarzt einer forensischen Abteilung. Seit 2001 ist der Angeklagte als freier (forensischer) Gutachter tätig. In dieser Funktion lernte der Angeklagte die Nebenklägerin, die Zeugin S. , im Jahr 2007 kennen. Die Nebenklägerin war zu dieser Zeit Richterin in einer Strafvollstreckungskammer beim Landgericht München I und hatte mit einem (anderweitig verheirateten) Kollegen der Strafvollstreckungskammer ein Verhältnis begonnen. Dieser Kollege, der Zeuge W. , war damals mit dem Angeklagten eng befreundet und machte ihn mit der Nebenklägerin bekannt. Sie erteilte in der Folgezeit gelegentlich Gutachtenaufträge an den Angeklagten. W. sagte der Nebenklägerin, dass der Angeklagte Interesse an ihr habe. Als die Beziehung der Nebenklägerin mit W. Ende 2007 in eine Krise geriet, verabredete sie sich Anfang 2008 mit dem Angeklagten zum Abendessen in einem Münchener Lokal. Dort erzählte sie ihm von ihrer Alkoholabhängigkeit. Beim Abschied versuchte der Angeklagte, der Nebenklägerin einen Zungenkuss zu geben, was diese abwehrte. In der Folgezeit gab es nur noch zufällige Begegnungen der beiden.
4
2. Die Nebenklägerin war seit Ende 2004 alkoholabhängig und wurde deshalb mehrfach stationär behandelt. Bei einem viermonatigen Aufenthalt in der Oberbergklinik im Jahr 2006 wurden neben der Alkoholabhängigkeit eine bipolare affektive Störung und eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert , bei einem zweiwöchigen Aufenthalt im Jahr 2009 ein Rückfall bei Alkoholabhängigkeit, eine Benzodiazepin-Abhängigkeit und eine bipolare affektive Störung und bei einem weiteren zweiwöchigen Aufenthalt im Februar 2010 ein Rückfall bei Alkoholabhängigkeit, eine Angststörung und eine bipolare affektive Störung. Bei ihrem letzten Aufenthalt wurde sie u.a. mit dem Benzodiazepin Tavor behandelt, das in der Klinik langsam reduziert und bis Ende Februar 2010 abgesetzt wurde. Anschließend war die Nebenklägerin weiterhin in ambulanter Behandlung.
5
3. Nach dem letzten Klinikaufenthalt gingen die dienstlichen Leistungen der Nebenklägerin, die nunmehr in der Funktion „Staatsanwältin als Gruppen- leiterin“ in der politischen Abteilung der Staatsanwaltschaft München I tätig war, merklich zurück. Anfang Juni 2010 hielt ihr Vorgesetzter ihr dies in einem Gespräch vor und mahnte eine Verbesserung der Arbeitsleistung oder den Wechsel in eine andere Abteilung bzw. zu einer anderen Behörde an. Hierdurch fühlte sich die Nebenklägerin unter Druck gesetzt und konnte sich nicht mehr vorstellen , ohne die Einnahme von Benzodiazepinen weiter zu arbeiten. Sie ging davon aus, dass ihr behandelnder Psychotherapeut ihr diese nicht verschreiben würde. In dieser Situation kam ihr der Gedanke, sich an den Angeklagten zu wenden und sein Interesse an ihr auszunutzen, um ihn zur Verschreibung von Benzodiazepinen zu bewegen.
6
a) Am 5. Juni 2010 rief die Nebenklägerin beim Angeklagten an, sagte, ihr gehe es sehr schlecht, und fragte ihn zum Schein, ob es in einer Notfallambulanz Psychiater gebe. Dabei hoffte sie, er würde ihr seine Hilfe anbieten. Der Angeklagte bot ihr (ihrem Plan entsprechend) an, sie solle doch zu ihm in die Praxis kommen, was die Nebenklägerin tat. Dort diagnostizierte er bei ihr eine massive Angstattacke und verschrieb ihr – medizinisch vertretbar – auf ihre Bitte hin 10 Tabletten mit dem Wirkstoff Tavor, einem Benzodiazepin. Beide be- sprachen die von der Nebenklägerin auf Verschreibung ihres Psychotherapeuten eingenommene Medikation, der Angeklagte schlug aufgrund erheblicher Nebenwirkungen (Gewichtszunahme) eine Änderung vor. Die Nebenklägerin stellte dem Angeklagten in diesem Zusammenhang ein privates Treffen in Aussicht , was dieser annahm. Sie hoffte dabei, den Angeklagten durch eine sexuelle Beziehung als Tablettengeber zu gewinnen. Zugleich kam ihr entgegen, dass sie damit ihren früheren Geliebten W. ärgern konnte.
7
b) Der Angeklagte ließ sich von der Nebenklägerin eine Schweigepflichtentbindung unterschreiben und forderte von der Oberbergklinik die Arztberichte an, die er noch im Juni 2010 erhielt und las. Daraus ergab sich für den Angeklagten, dass bei der Nebenklägerin das Risiko einer BenzodiazepinAbhängigkeit bestand. Im Juni sandte der Angeklagte der Nebenklägerin auf ihre Bitte hin mindestens einmal ein weiteres Benzodiazepinrezept zu, das die Nebenklägerin mittels Fertigung einer Kopie zweimal einlöste. In der Folgezeit kam es zu mehrfachem Kontakt zwischen der Nebenklägerin und dem Angeklagten. Ende Juni 2010 sandte die Nebenklägerin dem Angeklagten eine SMS mit einem eindeutigen sexuellen Angebot, die folgenden SMS waren dann von beiden Seiten in einem sexuellen Bereich angesiedelt.
8
c) Anfang Juli 2010 verabredeten sich beide in der Wohnung der Nebenklägerin , um dort sexuell miteinander zu verkehren. Man einigte sich auf Initiati- ve des Angeklagten auf „soften SM“, der Angeklagte brachte entsprechende Utensilien wie Schlagwerkzeuge mit, die anschließend zum Einsatz kamen. Es kam auch zum ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr. In der Folgezeit kam es ungefähr zu zwei weiteren, in gleicher Weise verlaufenden Intimkontakten (nicht verfahrensgegenständlich).
9
Dem Angeklagten war dabei bekannt, dass die Nebenklägerin ihn in seiner Eigenschaft als Arzt aufgesucht, er sie über ihre Medikation beraten und ihr Rezepte ausgestellt hatte. Er machte sich bei der Aufnahme der intimen Beziehungen zunutze, dass sie sich in einem psychisch angeschlagenen Zustand befand und dass sie für die von ihr begehrten Benzodiazepine von ihm als ärztlichem Rezeptgeber abhängig war. Der Angeklagte hätte zwar gerne eine Lebenspartnerschaft mit der Nebenklägerin begonnen, wollte ein Kind von ihr, überlegte, eine gemeinsame Wohnung zu nehmen, und sprach ihr gegenüber halb im Scherz und halb im Ernst an, sie zu heiraten. Die Nebenklägerin lehnte dies aber alles ab, so dass es nicht zu einer beidseitigen „echten Liebesbeziehung“ oder Lebenspartnerschaft kam. In dieser Zeit war der Angeklagte viel- mehr weiterhin mit P. liiert.
10
d) In den folgenden Wochen fuhren der Angeklagte und die Nebenklägerin an zwei Wochenenden jeweils in das Ferienhaus des Angeklagten am Gardasee , wo sie Sexualverkehr in der beschriebenen Weise hatten (insoweit hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellt). Sie gingen auch in Verona einkaufen und besuchten die Oper.
11
e) Im August 2010 wollte der Angeklagte Urlaub in seinem Ferienhaus in Kreta machen und bat die Nebenklägerin um Begleitung. Als diese ablehnte, erklärte er, dann nehme er seine bisherige Lebensgefährtin P. mit. Dies empfand die Nebenklägerin als Unverschämtheit, weil der Angeklagte ihr noch kurz zuvor erklärt habe, er liebe sie und wolle sie heiraten. Sie forderte vom Angeklagten, er müsse ihr weiter die Medikamente geben. Der Angeklagte, der die Nebenklägerin als Sexualpartnerin nicht verlieren wollte, ging darauf ein und überließ ihr zwei Blankorezepte, die sie anschließend zur Medikamentenbeschaffung (Tavor, Zyprexa) verwendete.
12
f) Ende Oktober 2010 trafen sich die Nebenklägerin und der Angeklagte zum Frühstück in einem Lokal. Er meinte zu ihr, sie beide „könnten doch mal wieder Sex haben“. Zunächst begaben sich beide in die Praxisräume des An- geklagten, wo er ihr einen alten Rezeptblock mit fünf blanko unterzeichneten Rezepten überließ. Dann begaben sie sich in die Wohnung der Nebenklägerin und hatten dort Geschlechtsverkehr.
13
g) Aufgrund einer Bitte des Angeklagten, ihm einen Rezeptblock im Internet zu bestellen, bestellte sich die Nebenklägerin mit den Daten des Angeklagten selbst einen Rezeptblock sowie einen passenden Praxisstempel, fälschte anschließend die Unterschrift des Angeklagten und versorgte sich mit hohen Mengen von Tavor. Der steigende Konsum führte im Dezember 2010 zum Zusammenbruch der Nebenklägerin mit einer schweren Diazepamintoxikation. Es gelang ihr noch, den Angeklagten anzurufen, der ihr in ihrer Wohnung Hilfe leistete und ihre Einweisung in eine Klinik veranlasste. In der Klinik trat er teils als einweisender Arzt, teils als Lebensgefährte auf.
14
4. Im Rahmen der Hauptverhandlung verpflichtete sich der Angeklagte, der Nebenklägerin als „symbolischen Ausgleich für sein Verhalten“ insgesamt 20.000 Euro zu zahlen, wovon 2.100 Euro sofort beglichen wurden.

II.


15
Der Angeklagte ist freizusprechen (§ 354 Abs. 1 StPO). Ein Freispruch durch das Revisionsgericht erfolgt, wenn die zu einem bestimmten Anklagepunkt fehlerfrei und erkennbar vollständig getroffenen Feststellungen ergeben, dass sich der Angeklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt strafbar gemacht hat, und weitere Feststellungen, die zu einer Verurteilung führen könnten , auch unter Berücksichtigung des Gebots umfassender Sachaufklärung und erschöpfender Beweiswürdigung nicht zu erwarten sind (vgl. BGH, Urteile vom 7. März 1995 – 1 StR 523/94, StV 1996, 81; vom 19. Januar 1999 – 1 StR 171/98, NJW 1999, 1562, 1564 und vom 22. April 2004 – 5 StR 534/02, NStZRR 2004, 270, 271; Gericke in KK-StPO, 7. Aufl., § 354 Rn. 3 mwN). Dies ist vorliegend der Fall.
16
1. Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts hat sich der Angeklagte nicht strafbar gemacht.
17
a) Insbesondere belegen die Feststellungen keine Strafbarkeit des Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs der Nebenklägerin unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses (§ 174c Abs. 1 StGB). Die Voraussetzungen dieser Strafnorm liegen nicht vor. Zwar hat der Angeklagte mehrfach sexuelle Handlungen an der Nebenklägerin vorgenommen und von ihr an sich vornehmen lassen. Dies geschah aber nicht unter Missbrauch eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses.
18
aa) Zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin bestand ein Beratungs - und Behandlungsverhältnis. Die Nebenklägerin hatte sich mit der Bitte um ärztlichen Rat an den Angeklagten gewandt. Der Angeklagte hatte ihr als Arzt Medikamente verschrieben, ärztliche Berichte über Vorbehandlungen angefordert und sie ärztlich, auch in seiner Praxis, beraten.
19
Die Nebenklägerin hatte sich dem Angeklagten auch wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit einschließlich einer Suchtkrankheit anvertraut. Sie hatte sich vor dem Hintergrund der bei ihr zuletzt diagnostizierten Störungen (Alkoholabhängigkeit, Angststörung und bipolare affektive Störung) aufgrund einer als besonders belastend empfundenen beruflichen Situation an den Angeklagten gewandt. Das für die Tatbestandserfüllung notwendige „Anver- trautsein“ setzt weder das Vorliegen einer rechtsgeschäftlichen Beziehung zwi- schen Täter und Opfer voraus noch kommt es darauf an, auf wessen Initiative das Verhältnis begründet wird. Das Verhältnis muss auch nicht von einer so besonderen Intensität und Dauer sein, dass eine Abhängigkeit des Behandelten vom Arzt entstehen kann; es ist ausreichend, wenn das Opfer die fürsorgerische Tätigkeit des Täters entgegennimmt (vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 – 3 StR 318/11, NStZ 2012, 440; vgl. zu den Anforderungen an dieses Verhältnis auch BGH, Beschluss vom 2. Mai 2016 – 4 StR 133/16). Entgeltlichkeit ist nicht entscheidend, sondern das durch eine besondere Vertrauensstellung des Täters gekennzeichnete fürsorgerische Verhältnis zum Opfer (vgl. KG, Beschluss vom 27. Januar 2014 – [4] 161 Ss 2/14 [11/14], NStZ-RR 2014,

178).


20
bb) Der Angeklagte hat dieses Verhältnis aber nicht zur Vornahme sexu- eller Handlungen an der Nebenklägerin „missbraucht“.
21
(1) Der Tatbestand des § 174c Abs. 1 StGB fordert den Missbrauch eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses. Dabei handelt es sich um ein einschränkendes Tatbestandsmerkmal, dem eine eigenständige Bedeutung zukommt (vgl. BT-Drucks. 13/8267 S. 7; OLG Karlsruhe, Urteil vom 4. Juni 2009 – 3 Ss 113/08, BeckRS 2009, 20082). Die Auslegung der Begriffe, mit denen der Gesetzgeber das unter Strafe gestellte Verhalten bezeichnet hat, darf nicht dazu führen, dass die dadurch bewirkte Eingrenzung der Strafbarkeit im Ergebnis wieder aufgehoben wird. Einzelne Tatbestandsmerkmale dürfen deshalb nicht so ausgelegt werden, dass sie vollständig in anderen Tatbestandsmerkmalen aufgehen, also zwangsläufig mit diesen mitverwirklicht werden (Verschleifung oder Entgrenzung von Tatbestandsmerkmalen; st. Rspr.; vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 28. Juli 2015 – 2 BvR 2558/14 u.a., NJW 2015, 2949, 2954 mwN). Deshalb kann nicht schon jeder sexuelle Kontakt im Rahmen eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses per se missbräuchlich im Sinne von § 174c StGB sein, ansonsten würde das Tatbe- standsmerkmal „unter Missbrauch“ jede Bedeutung verlieren (vgl. BGH, Be- schluss vom 25. Februar 1999 – 4 StR 23/99, NStZ 1999, 349 [zu § 174a Abs. 1 StGB], OLG Karlsruhe aaO).
22
§ 174c StGB dient dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung in Situationen , in denen dieses Rechtsgut aufgrund der besonderen Schutzbedürftigkeit der durch Krankheit oder Behinderung belasteten Rechtsgutsträger und der Eigenart von Beratungs-, Behandlungs- und Betreuungsverhältnissen typischer Weise besonders gefährdet ist (vgl. BGH, Urteil vom 14. April 2011 – 4 StR 669/10, BGHSt 56, 226, 230). Vor dem Hintergrund der innerhalb von Beratungs -, Behandlungs- und Betreuungsverhältnissen üblicherweise bestehenden Vertrauens- und Abhängigkeitsbeziehung soll ein Missbrauch derselben durch sexuelle Handlungen verhindert werden (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Mai 2016 – 4StR 133/16 mwN). Kommt es in Zusammenhang mit einem solchen Verhältnis zu sexuellen Handlungen zwischen dem behandelnden Arzt und einem Patienten, kann ein Missbrauch auch vorliegen, wenn das Opfer – wie hier – mit dem Sexualkontakt einverstanden ist (vgl. BGH, Urteil vom 14. April 2011 – 4 StR 669/10, BGHSt 56, 226, 230; Beschluss vom 2. Mai 2016 – 4 StR 133/16). In den meisten Fällen wird sich von selbst verstehen, dass ein Arzt, der sexuelle Handlungen an einer Patientin oder einem Patienten im Rahmen eines Beratungs-, Behandlungs- und Betreuungsverhältnisses vornimmt, dieses besondere Verhältnis missbraucht, etwa wenn er vorgibt, die sexuelle Handlung sei medizinisch notwendig, wenn er behandlungsbezogene Nachteile beim Zurückweisen seines Ansinnens in den Raum stellt oder wenn er die schutzlose Lage einer (entkleideten) Patientin zur Vornahme sexueller Handlungen aus- nutzt (BGH, Urteil vom 14. April 2011 – 4 StR 669/10, BGHSt 56, 226, 234 mwN).
23
An einem Missbrauch in dem vom Gesetz vorausgesetzten Sinne fehlt es aber, wenn der Täter im konkreten Fall nicht eine aufgrund des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses bestehende Autoritäts- oder Vertrauensstellung gegenüber dem Opfer zur Vornahme der sexuellen Handlung ausgenutzt hat (vgl. BGH aaO S. 232 mwN). Der Missbrauch setzt die illegitime Wahrnehmung einer Chance voraus, die das Vertrauensverhältnis im Sinne dieser Vorschrift mit sich bringt (BGH, Urteil vom 4. April 1979 – 3 StR 98/79, BGHSt 28, 365, 367 [zu § 174 StGB]). Ein Missbrauch liegt deshalb etwa bei einvernehmlichen sexuellen Handlungen des Ehepartners oder Lebensgefährten während eines Betreuungsverhältnisses oder bei einer von dem Beratungs -, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis unabhängigen „Liebesbezie- hung“ und in deren Folge nur gelegentlich der Behandlung oder nach deren Abschluss vorgenommenen sexuellen Handlung nicht vor (vgl. BGH, Urteil vom 14. April 2011 – 4 StR 669/10, BGHSt 56, 226, 234 mwN).
24
Entscheidend kommt es für die Beurteilung, ob ein Missbrauch vorliegt, zudem auf die konkrete Art und Intensität des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses an. Je intensiver die Kontakte zwischen Täter und Opfer im Rahmen dieses Verhältnisses sind, desto geringere Anforderungen sind an das Vorliegen eines Missbrauchs zu stellen. Je weniger der Täter hingegen im Rahmen dieses Verhältnisses mit dem Opfer befasst ist, desto höher sind die Anforderungen (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 4. Juni 2009 – 3 Ss 113/08, BeckRS 2009, 20082; vgl. auch BGH, Beschluss vom 29. September 1998 – 4 StR 324/98, NStZ 1999, 29 [zu § 174a StGB]).
25
(2) An einem Missbrauch fehlt es deshalb, wenn – wie hier – eine bereits in ärztlicher Behandlung befindliche Patientin von sich aus das schon vorhandene Interesse eines mit ihr privat bekannten Arztes an ihrer Person ausnutzt, um sich im Rahmen einer lockeren freundschaftlichen Beziehung lediglich auf diesem Weg sonst nicht erhältliche Medikamente verschreiben zu lassen, dabei dem Arzt aufgrund ihrer beruflichen Stellung und Persönlichkeit „auf Augenhö- he“ begegnet und der Entschluss, mit dem Arzt sexuell zu verkehren, nicht auf wesentliche (krankheitsbedingte) Willensmängel zurückzuführen ist.
26
Die Nebenklägerin wurde im anklagegegenständlichen Zeitraum vorrangig von F. behandelt. Diesen betrachtete sie selbst als ihren „Haupt- arzt“, während sie den Angeklagten weniger als behandelnden Arzt ansah (UA S. 13). Mit dem Angeklagten ging die Nebenklägerin eine Beziehung ein, bei der nicht die regelmäßige intensive ärztliche Beratung oder Betreuung im Vordergrund stand, sondern unentgeltlicher ärztlicher Rat auf freundschaftlicher Basis.
27
Die Nebenklägerin hat sich bereits vor Beginn des Behandlungsverhältnisses von sich aus dazu entschlossen, den vorher nicht als Arzt mit ihr befassten Angeklagten zu instrumentalisieren, um sich durch sein sexuelles Interesse an ihr Zugang zu Medikamenten zu verschaffen, die sie auf anderem Wege nur schwer besorgen konnte. Nach ihren, von der Kammer als glaubhaft gewerteten Angaben, hat sie den Plan gefasst, durch Aufnahme einer sexuellen Beziehung mit dem Angeklagten nichtnur ihren früheren Kollegen und Liebhaber W. zu ärgern, sondern sich aufgrund des starken Interesses des Angeklagten an ihr Rezepte zu verschaffen, die sie von ihrem behandelnden Arzt nicht ausgestellt bekommen hätte (UA S. 13). Diesen Plan hat die Nebenklägerin in der Folge zielgerichtet umgesetzt und die Aufnahme des Behandlungsverhältnisses durch eine List erreicht. Ihr Angebot „Sex für Tabletten“ (UA S. 11) hat der Angeklagte aus Sicht der Nebenklägerin aufgrund seines vorhandenen Interesses an ihr angenommen. Damit stellt sich das Vorgehen der Nebenklägerin im Ergebnis als Ausdruck ihrer sexuellen Selbstbestimmung dar, nicht als deren Missbrauch durch den Angeklagten.
28
Diese Entscheidung der Nebenklägerin war auch frei von wesentlichen Willensmängeln. Die Nebenklägerin war nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts im anklagegegenständlichen Zeitraum nicht abhängig von Benzodiazepinen. Der Angeklagte ging nach Einholung der ärztlichen Berichte der Oberbergklinik von einer bloßen – falsch behandelten – Alkoholabhängigkeit der Nebenklägerin aus (UA S. 11). Die Nebenklägerin befand sich bereits in ärztlicher Behandlung und konnte sich dort die von ihr benötigte Hilfe holen. Zwar gab es ein auch krankheitsbedingt besonders gesteigertes Interesse an der Verschreibung angstunterdrückender Medikamente. Dieses Interesse war aber nicht derart übermächtig, dass es die freie Willensentschließung der Nebenklägerin normativ relevant beeinträchtigt hätte. Die Nebenklägerin blieb im anklagegegenständlichen Zeitraum nach den Feststellungen des Landgerichts vielmehr Herrin ihrer Entscheidungen, was sich auch daran zeigt, dass sie auf die weitergehenden Avancen des Angeklagten durchweg ablehnend reagierte.
29
Die Nebenklägerin begegnete dem Angeklagten zudem auf „Augenhöhe“. Eine für andere Konstellationen des Beratungs-, Behandlungs- oder Be- treuungsverhältnisses typische Abhängigkeitsbeziehung bzw. ein Autoritätsvorsprung des Arztes ist nach den Feststellungen des Landgerichts ausgeschlossen. Die promovierte Nebenklägerin war in einer verantwortungsvollen Stelle als „Staatsanwältin als Gruppenleiterin“ bei der politischen Abteilung der Staatsanwaltschaft München I tätig und hatte früher dem Angeklagten als Richterin am Landgericht Gutachtenaufträge erteilt. Aufgrund dieser Position hatte sie eher einen Autoritätsvorsprung im Verhältnis zum Angeklagten als umgekehrt. Dies zeigt sich auch im Verhalten der Nebenklägerin, die keineswegs blind den Wünschen des Angeklagten folgte, sondern etwa seinen Wunsch, mit ihr nach Kreta in Urlaub zu fahren, einfach ausschlug.
30
b) Die rechtsfehlerfreien Feststellungen belegen auch nicht, dass sich der Angeklagte im Rahmen des anklagegegenständlichen Tatvorwurfs wegen einer anderen noch verfolgbaren Straftat strafbar gemacht hätte. Über naheliegende Verstöße gegen das berufliche Standesrecht hat der Senat nicht zu entscheiden.
31
2. Es ist auszuschließen, dass ein neues Tatgericht Feststellungen treffen wird, die einen Schuldspruch gegen den Angeklagten tragen würden.
32
Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist umfassend. Die umfangreichen Angaben des Angeklagten und der Nebenklägerin zur Sache, die lediglich in wenigen Punkten voneinander abweichen, sind in den Urteilsgründen ausführlich wiedergegeben. Weitere erhebliche Beweismittel in Bezug auf den übersichtlichen Sachverhalt sind schon nach dem Urteilsinhalt nicht ersichtlich. Angesichts dieser Umstände hat der Senat im konkreten Fall keinen Anlass gesehen, zur Prüfung dieser Frage den gesamten Akteninhalt ergänzend heranzuziehen (vgl. hierzu näher BGH, Urteil vom 7. März 1995 – 1 StR 523/94, StV 1996, 81; KG, Beschlüsse vom 3. April 2006 – [5] 1 Ss 329/05 [12/06], NStZ-RR 2006, 276 und vom 17. Januar 2007 – [2/5] 1 Ss 448/06 [73/06], StraFo 2007, 245; Meyer-Goßner in Meyer-Goßner/Schmitt, 59. Aufl., § 354 Rn. 3).

III.


33
Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 und § 472 Abs. 1 Satz 1 StPO.

IV.


34
Die Entscheidung über eine Entschädigung des Angeklagten wegen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt dem Landgericht überlassen (vgl. BGH, Urteile vom 19. Januar 1999 – 1 StR 171/98, NJW 1999, 1562, 1564 und vom 22. April 2004 – 5 StR 534/02).
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Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Jan. 2017 - 1 StR 570/16

bei uns veröffentlicht am 25.01.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 570/16 vom 25. Januar 2017 in der Strafsache gegen wegen sexueller Nötigung u.a. ECLI:DE:BGH:2017:250117B1STR570.16.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Gen

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(1) Wer sexuelle Handlungen an einer Person, die ihm wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung einschließlich einer Suchtkrankheit oder wegen einer körperlichen Krankheit oder Behinderung zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut ist, unter Mißbrauch des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einer dritten Person bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer Person, die ihm zur psychotherapeutischen Behandlung anvertraut ist, unter Mißbrauch des Behandlungsverhältnisses vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einer dritten Person bestimmt.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

5 StR 534/02
(alt: 5 StR 469/97
und 5 StR 456/99)

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 22. April 2004
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung
vom 20. und 22. April 2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Häger,
Richter Basdorf,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt B ,
Rechtsanwalt G
als Verteidiger,
Rechtsanwalt D
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
am 22. April 2004 für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 30. Januar 2002 aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen Mordes und versuchten Mordes verurteilt worden ist. Damit entfällt die lebenslange Gesamtfreiheitsstrafe.
Der Angeklagte wird vom Vorwurf des Mordes und des versuchten Mordes freigesprochen.
Im Umfang des Freispruchs fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last.
Die Entscheidung über die Entschädigung des Angeklagten wegen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt dem Landgericht vorbehalten.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten zunächst wegen Mordes und versuchten Mordes zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Dieses Erkenntnis hat der Senat durch Urteil vom 21. Januar 1998 (BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 30) aufgehoben. Daraufhin hat das Landgericht den Angeklagten am 8. Februar 1999 freigesprochen (und ihn wegen – anderweitiger – vorsätzlicher Körperverletzung und gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt). Den Freispruch hat der Senat durch Urteil vom 5. Juli 2000 (NStZ-RR 2000, 334) aufgehoben. Nunmehr hat das Landgericht den Angeklagten wegen Mordes, versuchten Mordes (und einer inzwischen begangenen vorsätzlichen Körperverletzung, deretwegen eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten verhängt worden ist) zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Die allein gegen die Verurteilung wegen Mordes und versuchten Mordes gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg, so daß es auf die Verfahrensrügen nicht ankommt.

I.


Das Landgericht hat zum Vorwurf des Mordes und des versuchten Mordes im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte und die Nebenklägerin waren einander intim verbunden und seit dem Sommer 1993 verlobt. Im Sommer 1995 war das Verhältnis jedoch weitgehend zerrüttet, zumal da der Angeklagte jedes sexuelle Interesse an der Nebenklägerin verloren hatte und Beziehungen zu anderen Frauen unterhielt. Der Angeklagte zeigte sich andererseits übertrieben eifersüchtig und wurde mehrfach handgreiflich. Die Nebenklägerin trug sich deshalb im Sommer 1995 intensiv mit dem Gedanken einer Trennung von dem Angeklagten. Am Nachmittag des 24. August 1995 beobachtete die Nebenklägerin den Angeklagten dabei, wie er sich von einer unbekannt gebliebenen Frau mit einem Kuß verabschiedete. Diese Beobachtung veranlaßte die Nebenklägerin endgültig, den Angeklagten aus der gemeinsamen Wohnung zu weisen und die Verlobung zu lösen. Sie packte seine Habseligkeiten in Plastiksäcke und stellte sie an die Tür. Als der Angeklagte sich abends, nachts oder in den ersten Morgenstunden des 25. August 1995 einfand, eröffnete die Nebenklägerin ihm, daß sie sich unwiderruflich von ihm trenne, und verwies ihn der Wohnung. Der Angeklagte wollte eine Trennung zwar
nicht akzeptieren, verließ aber nach einem lauten Streit unter Mitnahme seiner Kleidung die Wohnung.
Die Nebenklägerin war Schülerin einer Krankengymnastik-Schule und arbeitete abends und am Wochenende für den später Getöteten M . Dieser 69jährige, wohlhabende und an mehreren Krankheiten leidende Mann ließ sich in seiner zweietagigen Wohnung „rund um die Uhr“ durch eine organisierte Gruppe von Pflegekräften betreuen, zu der die Nebenklägerin gehörte. Am 26. August 1995 trat die Nebenklägerin ihren Tagesdienst in der Wohnung M s frühmorgens an. Alsbald danach erschien dort der Angeklagte. „Überrumpelt“ durch das unerwartete Auftauchen des Angeklagten, ließ die Nebenklägerin ihn ein. Der Angeklagte, der die Erklärung der Nebenklägerin, sich von ihm zu trennen, nicht akzeptieren wollte, verlangte zunächst Geld von ihr und sprach ihr das Recht ab, die Beziehung einseitig zu beenden. Die Nebenklägerin erwiderte dem erregt brüllenden Angeklagten, es sei „Schluß“, er solle zu seinen anderen Frauen gehen. Der im Erdgeschoß geführte Disput war so laut, daß der im Obergeschoß im Bett liegende M ihn vernahm und nach der Nebenklägerin rief. Diese versuchte, den Angeklagten zum Verlassen der Wohnung zu bewegen , und wandte sich kurz ab, um M nach oben zuzurufen, sie werde sogleich kommen. In dieser Situation schlug der Angeklagte mit einem „länglich-runden und festen Tatwerkzeug“ vier- bis fünfmal heftig auf den Kopf der Nebenklägerin ein. Dabei nahm der Angeklagte ihren Tod billigend in Kauf. Er handelte in verletztem Selbstwertgefühl aus Rache für die Entscheidung der Nebenklägerin, die Beziehung zu ihm zu lösen. Von seinem Opfer ließ er erst ab, als sie blutüberströmt regungslos liegenblieb. Er ging nun davon aus, daß sie an den zugefügten Verletzungen entweder bereits gestorben war oder binnen kurzem sterben werde. Angesichts dessen, daß M auf den Streit und somit die Anwesenheit einer fremden Person, die noch dazu offensichtlich mit der Nebenklägerin bekannt war, aufmerksam geworden war, entschloß sich der Angeklagte, ihn als unliebsamen Zeugen auszuschalten. Er begab sich in das obere Geschoß und schlug mit dem ge-
nannten Gegenstand mehrfach so kräftig auf den Kopf M s ein, daß dieser zu keiner Abwehr mehr fähig war und mehrfache Schädelfrakturen erlitt, an denen er, ohne das Bewußtsein wiedererlangt zu haben, einige Wochen später verstarb.

II.


Die Beweiswürdigung hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.
Der Angeklagte hat zum Tatvorwurf in der Hauptverhandlung geschwiegen und in einem früheren Verfahrensstadium seine Täterschaft bestritten. Zentrales Beweismittel zur Überführung des Angeklagten, das nur durch weniger gewichtige andere Beweismittel ergänzt wird, ist die Aussage der Nebenklägerin, die den Angeklagten als den Täter bezeichnet hat. Das Landgericht hat zur Entwicklung der Angaben der Nebenklägerin folgendes festgestellt: Die Nebenklägerin erlitt eine schwere Schädelfraktur und infolge von Kontusions- und hinzutretenden diffusen Hirndruckschäden eine noch heute vorliegende schwere Hirnschädigung. Sie lag lange im künstlichen Koma und konnte auch nach dessen Beendigung wegen eines künstlichen Luftröhrenausgangs zunächst nicht sprechen. In der ersten Dezemberwoche 1995 sagte die Nebenklägerin zu einer Zimmergenossin im Krankenhaus , ihr Vater meine, „T “ sei es gewesen, sie selbst könne sich aber nicht daran erinnern. Etwa zu dieser Zeit, in der sich ihr Zustand deutlich verbesserte, berichtete die Nebenklägerin gegenüber dem sie behandelnden Arzt Dr. R , sie erinnere sich allmählich an den Vorfall. Sie erzählte davon, es sei bei M gewesen. „Er“ sei gekommen. „Er“ habe oben mit M gestritten, sie sei dazwischengegangen und sei dann selbst von „ihm“ mit einer Art Schlagstock geschlagen worden. Sie beschrieb den Täter als kräftigen jungen Mann. Diese Darstellung wiederholte sie mehrfach, bis sie schließlich kurz vor dem 13. Dezember 1995 zu Dr. R sagte, der, der sie geliebt habe, sei der Täter gewesen. Er habe Geld von M gewollt. Diese Angaben wiederholte sie sinngemäß in Gegenwart des Krimi-
nalbeamten L . Erst nach der Verhaftung des Angeklagten am 13. Dezember 1995 sprach sie auch ihren Eltern gegenüber davon, daß dieser sie ü- berfallen habe. In der Hauptverhandlung hat die Nebenklägerin die gegen sie begangene Tat so geschildert, wie das Schwurgericht diese festgestellt hat.
Das Landgericht hat sich zunächst – was fern jeder Beanstandung ist – von der „Aufrichtigkeit“ der Nebenklägerin überzeugt. Es hat sodann geprüft, ob die Nebenklägerin etwa – bedingt durch ihre schwere Hirnverletzung – lediglich subjektiv davon überzeugt ist, daß ihre (letzte) Tatschilderung auf selbst Erlebtem beruht, objektiv aber irrt. Es hat hierzu vier Sachverständige aus den Bereichen Psychiatrie, Neurologie, Neurobiologie und Neuropsychologie gehört, darunter Spezialisten für Gedächtnisforschung und Hirnschäden. Es ist in der Würdigung der Gesamtheit der Angaben dieser Sachverständigen zu dem Ergebnis gelangt, daß die Nebenklägerin aufgrund realer Erinnerung den Angeklagten als Täter bezeichnet habe. Dabei hat das Landgericht auch umfangreich erwogen, daß sich die Angaben , die die Nebenklägerin in der Hauptverhandlung gemacht hat, erheblich von der ersten Version ihrer Tatschilderung unterscheiden. Nach der ersten Version hat der Täter „oben“, also im Obergeschoß, wo M im Bett lag, mit diesem gestritten; die Nebenklägerin sei „dazwischengegangen“ – das kann nur heißen: im Obergeschoß – und dann selbst von dem Täter mit einer Art Schlagstock geschlagen worden. Indes ergibt das Bild der massiven Blutspuren , daß der Angriff auf die Nebenklägerin im Erdgeschoß erfolgte. Daraus ergeben sich zwei Probleme, die vom Landgericht – trotz aller Umsicht im übrigen – nicht hinreichend erörtert werden:
Das Phänomen, daß die Nebenklägerin zunächst wesentlich andere Angaben zum Tatgeschehen gemacht hat als die spätere Tatschilderung, auf der die Feststellungen fußen, hat das Landgericht zwar erörtert. Es hat zur Erklärung dieser „Diskontinuität im Aussageinhalt zur Tat“ auf äußere Umstände abgestellt, die beiden von der Nebenklägerin geschilderten Versionen eigen sind, jedoch schwerlich ergeben, daß die Aussagen im „Kern doch
konstant“ seien. An dieser Stelle ist vielmehr die Erörterung zu vermissen, ob und mit welchem Ergebnis die Sachverständigen sich zu der – nach alledem zentralen – Frage geäußert haben, ob es wenigstens möglich, etwa plausibel erklärbar oder gar naheliegend ist, daß die Nebenklägerin im Zuge der Entwicklung ihrer Aussagen zunächst eine objektiv unwahre und später eine wahre Schilderung des Tatgeschehens abgegeben hat.
Es kommt hinzu, daß es ausgeschlossen erscheint, die Nebenklägerin hätte, als sie nach den erlittenen Schlägen blutüberströmt regungslos liegenblieb , den anschließenden Angriff des Täters auf M im Obergeschoß wahrgenommen. Deshalb kann – auf der Basis der Feststellungen – die erste von der Nebenklägerin gegebene Schilderung nicht zutreffen. Es bestehen hierfür nur die Erklärungsmöglichkeiten, daß diese erste Tatschilderung der Nebenklägerin auf einer Suggestion durch Dritte, auf einer von der Nebenklägerin – etwa aufgrund von Andeutungen Dritter – selbst vorgenommenen Schlußfolgerung oder sonst auf einer „Konfabulation“ beruht. Danach bleibt die – im angefochtenen Urteil unerörterte – Frage offen, ob etwa – oder warum nicht auch – die letzte von der Nebenklägerin abgegebene Tatschilderung gleichermaßen auf Suggestion, Schlußfolgerung oder Konfabulation beruhen kann. Auch in diesem Punkt ist die Mitteilung zu vermissen, ob und gegebenenfalls wie die Sachverständigen sich hierzu geäußert haben. Dies gilt namentlich angesichts dessen, daß die Bekundungen der Zeugin W , einer Mitpatientin der Nebenklägerin, eine Diskussion der Frage nahelegten, ob etwa eine Suggestion – auch durch insoweit ungezielt handelnde Dritte – stattgefunden hat.

III.


Der Senat sieht sich daher genötigt, auch das dritte in dieser Sache ergangene Urteil des Landgerichts aufzuheben. Eine Zurückverweisung der Sache zu erneuter tatgerichtlicher Prüfung ist nicht erforderlich. Vielmehr kann der Senat durch Freispruch in der Sache selbst entscheiden (§ 354
Abs. 1 StPO; vgl. BGHSt 36, 316, 319; BGH NJW 1999, 1562, 1564). Der Senat schließt aus, daß im Falle einer Zurückverweisung der Sache in einer erneuten (vierten) Hauptverhandlung die Schuld des Angeklagten festgestellt werden könnte. Dies ergibt sich aus der bestehenden Beweislage.
Das zentrale Beweismittel zur etwaigen Überführung des Angeklagten ist die Aussage der Nebenklägerin. Dieses Beweismittel ist mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. Namentlich zur Bedeutung dessen im Rahmen der vom Senat an dieser Stelle zu treffenden Entscheidung hat der Senat den Sachverständigen Professor Dr. von C angehört. Danach ist insbesondere von folgendem auszugehen: Zwar können nach dem Abklingen einer posttraumatischen Amnesie und der mit ihr verbundenen Konfabulationsneigung (nebst „Fehlvorstellungen“) und nach Schrumpfung der prätraumatischen Amnesie auf die letztlich verlorene („vergessene“) Zeitspanne vor der Hirnschädigung sichere Erinnerungen grundsätzlich wiedergewonnen werden. Über deren Qualität lassen sich aber angesichts der sehr eingeschränkten Möglichkeiten, sie objektiv zu überprüfen, nur Vermutungen anstellen. Allerdings werden in der spezialmedizinischen Literatur auch Einzelfälle einer „Erinnerung an alles“ bis zum Zeitpunkt der dauerhaften Amnesie berichtet. Dennoch muß berücksichtigt werden, daß – im Vergleich zu Hirngesunden – bei Personen mit einer anterograden Amnesie wie der Nebenklägerin eine höhere Wahrscheinlichkeit für Gedächtnisfehler, -entstellungen und -illusionen besteht. Eine Schrumpfung der prätraumatischen Amnesie auf weniger als eine Minute ist nach den Ausführungen des Sachverständigen prinzipiell wohl möglich, jedoch sehr unwahrscheinlich. Hier lagen die von der Nebenklägerin bekundeten Tatrahmengeschehnisse im Bereich weniger Minuten, die gegen sie gerichtete Gewalthandlung im Bereich von Sekunden vor ihrer Gehirnverletzung. Hinzu kommt folgendes: Diejenige Tatversion der Nebenklägerin, welche – im Einklang mit dem Spurenbild am Tatort – der Verurteilung entspricht, wurde erstmals in einer Phase näher ausgeführt, in der nach den überzeugenden Bekundungen des vom Senat gehörten Sachverständigen noch eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für
eine verletzungsbedingte Konfabulationsneigung der Zeugin bestand. Nach den Gegebenheiten des Falles sind zudem Möglichkeiten für die Entstehung eines stabilisierten Scheinerinnerungsbildes nicht von der Hand zu weisen.
Eine tragfähige Stützung der Angaben des Opfers existiert nicht. Die zweifellos teils in hohem Grade parallelen Gewalttaten des Angeklagten gegen andere Partnerinnen in der Trennungssituation und gar das Verhalten des Angeklagten am Abend des Tattages im Krankenhaus stellen nur relativ schwache Indizien dar. Eine Verbesserung der Beweislage ist nicht in Aussicht. Eine weitere Vernehmung oder sachverständige Begutachtung der Nebenklägerin über die zahlreichen erfolgten Bemühungen dieser Art hinaus verspricht, wie der Sachverständige Professor Dr. von C ausgeführt hat, einen weiteren Aufklärungsgewinn nicht. Bisher ungenutzte Beweismittel stehen ersichtlich nicht zur Verfügung.

IV.


Die Entscheidung über eine Entschädigung des Angeklagten wegen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen muß dem Landgericht überlassen bleiben. Die Prüfung, in welchem Umfang eine Entschädigung zu gewähren
ist, hat sich auf den gesamten Sachverhalt zu erstrecken, der die Strafverfol- gungsmaßnahmen ausgelöst hat. Dazu gehören auch diejenigen Verfahrensabschnitte , die nicht Gegenstand des erneuten Revisionsverfahrens waren (vgl. BGH NJW 1999, 1562, 1564).
Harms Häger Basdorf Gerhardt Raum

(1) Wer sexuelle Handlungen an einer Person, die ihm wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung einschließlich einer Suchtkrankheit oder wegen einer körperlichen Krankheit oder Behinderung zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut ist, unter Mißbrauch des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einer dritten Person bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer Person, die ihm zur psychotherapeutischen Behandlung anvertraut ist, unter Mißbrauch des Behandlungsverhältnisses vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einer dritten Person bestimmt.

(3) Der Versuch ist strafbar.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 318/11
vom
1. Dezember 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von widerstandsunfähigen Personen u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 1. Dezember
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Hubert,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Menges
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt (GL)
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin W. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 22. März 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.
2. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin B. wird das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte im Fall 6 der Anklage freigesprochen worden ist.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel des Angeklagten, der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin B. und die dem Angeklagten und den Nebenklägerinnen B. und K. dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die Revision der Nebenklägerin W. gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person in zwei Fällen (Taten zum Nachteil der Nebenklägerin K. ) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Vom Vorwurf weiterer vier gleichartiger Straftaten zum Nachteil der Nebenklägerinnen W. und B. hat es den Angeklagten freigesprochen. Die Revision des Angeklagten richtet sich mit Verfahrensbeschwerden und der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gegen die Verurteilung. Die Freisprüche sind Gegenstand der Revisionen der jeweils betroffenen Nebenklägerinnen und - insoweit auf den Vorwurf einer Tat zum Nachteil der Nebenklägerin B. beschränkt - der Staatsanwaltschaft.
2
Während die Revisionen des Angeklagten sowie der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin B. jeweils im beantragten Umfang zur Aufhebung des Urteils führen, hat die Revision der Nebenklägerin W. keinen Erfolg.
I. Revision des Angeklagten
3
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts vollzog der Angeklagte mit der Nebenklägerin K. im Jahr 2004 anlässlich von zwei OsteopathieBehandlungen jeweils den Geschlechtsverkehr. Er machte sich dabei zunutze, dass die Frau wegen langjährigen, äußerst nachhaltigen sexuellen Missbrauchs durch ihren Vater an einer posttraumatischen Belastungsstörung litt. Sie geriet deshalb - was der Angeklagte zumindest billigend in Kauf nahm - in dem Augenblick , in dem sich der Angeklagte völlig entkleidete, in den Zustand einer dissoziativen Reaktion, war dadurch wie erstarrt und nicht mehr in der Lage, sich gegen die sexuellen Übergriffe des Angeklagten durch Worte oder Handlungen zu wehren.
4
2. Die Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Ihr liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Das Landgericht hat für die Dauer der Vernehmung der Nebenklägerin den Angeklagten nach § 247 Satz 2 StPO aus der Hauptverhandlung ausgeschlossen. Nach Abschluss der Vernehmung hat es ihn vom wesentlichen Inhalt der Zeugenaussage unterrichtet. Sodann hat es in erneuter Abwesenheit des Angeklagten über die (Nicht-)Vereidigung der Zeugin entschieden und diese "im allseitigen Einverständnis entlassen".
5
Da das Landgericht in Abwesenheit des Angeklagten über die Entlassung der Zeugin entschieden hat, ist der absolute Revisionsgrund gemäß § 338 Nr. 5, § 230 Abs. 1 StPO gegeben.
6
Nach der durch den Großen Senat für Strafsachen (BGH, Beschluss vom 21. April 2010 - GSSt 1/09, BGHSt 55, 87) bestätigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur BGH, Beschluss vom 26. September 2006 - 4 StR 353/06, NStZ 2007, 352, 353) gehört die Verhandlung über die Entlassung eines in Abwesenheit des Angeklagten vernommenen Zeugen nicht mehr zu seiner Vernehmung im Sinne des § 247 StPO, sondern bildet einen selbständigen Verfahrensabschnitt und regelmäßig einen "wesentlichen Teil" der Hauptverhandlung. Der Angeklagte, dessen Entfernung aus dem Sitzungssaal für die Dauer der Vernehmung der Zeugin K. angeordnet war, musste daher zur Verhandlung über die Entlassung der Zeugin wieder zugelassen werden. Dies ist hier ausweislich der Sitzungsniederschrift nicht geschehen. Zwar wurde der Angeklagte zuvor in Abwesenheit der Zeugin über den wesentlichen Inhalt von deren Aussage unterrichtet. Dass er im Rahmen der Unterrichtung auf Fragen an die Zeugin verzichtet und sich mit ihrer Entlassung einverstanden erklärt hat, ist indes nicht ersichtlich. Der Angeklagte wurde nach dem unwidersprochenen Sachvortrag der Revision vielmehr weder gefragt, ob er noch Fragen an die Zeugin stellen wolle, noch hat er von sich aus erklärt, keine Fragen mehr stellen zu wollen (dazu BGH, Großer Senat, aaO.; Urteil vom 8. April 1998 - 3 StR 463/97 - und Beschluss vom 19. August 1998 - 3 StR 290/98, BGHR StPO § 247 Abwesenheit 18, 19; Beschluss vom 30. März 2000 - 4 StR 80/00, NStZ 2000, 440). Im Anschluss daran wurde der Angeklagte wieder aus dem Sitzungssaal entfernt. Der im Protokoll enthaltene Vermerk, die Entlassung der Zeugin sei "im allseitigen Einverständnis" geschehen, kann deshalb das Einverständnis des (abwesenden) Angeklagten nicht belegen. Das Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensmangel wird gemäß § 338 Nr. 5 StPO gesetzlich vermutet. Dass sich der Verfahrensverstoß vorliegend ausnahmsweise denkgesetzlich im Urteil nicht ausgewirkt haben könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2006 - 4 StR 131/06, NStZ 2006, 713), ist nicht zu erkennen.
II. Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin B.
7
1. Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person zum Nachteil der Nebenklägerin B. freigesprochen. Nach seinen Feststellungen kam es bei einer osteopathischen Behandlung im Mai 2009 zu sexuellen Handlungen des Angeklagten an der Frau. Diese litt aufgrund jahrelanger Misshandlungen und Vergewaltigungen durch den Ehemann an einer posttraumatischen Belastungsstörung und an einer abhängigen Persönlichkeitsstörung. Dem sexuellen Ansinnen des Angeklagten konnte sie sich in der Tatsituation zuerst noch durch Handbewegungen und durch entsprechende verbale Äußerungen entziehen. Erst als der Angeklagte sein Glied entblößt hatte, geriet sie - wie das Landge- richt sachverständig beraten ausgeführt hat - in einen Zustand, in dem sie dem Angeklagten aufgrund ihrer seelischen Behinderung keinen Widerstand mehr zu leisten vermochte. Das Landgericht konnte sich aber nicht davon überzeugen , dass der Angeklagte angesichts des dynamischen Geschehens den Eintritt der Widerstandsunfähigkeit erkannte.
8
Eine Verurteilung des Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses (§ 174c Abs. 1 StGB) hat das Landgericht abgelehnt, weil die Nebenklägerin dem Angeklagten mangels eines intensiven, eine Abhängigkeitsbeziehung schaffenden Behandlungsverhältnisses nicht im Sinne der Vorschrift "anvertraut" gewesen sei. Zudem sei dem Angeklagten ein entsprechender Missbrauchsvorsatz nicht nachzuweisen.
9
2. Während die Beweiswürdigung zum fehlenden Vorsatz des Angeklagten bezüglich des Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person der Überprüfung auf die allgemeine Sachrüge der Beschwerdeführer standhält, muss der Freispruch aufgehoben werden, weil das Landgericht eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 174c Abs. 1 StGB mit rechtsfehlerhafter Begründung verneint hat.
10
Eine Verurteilung nach dieser Strafnorm erfordert, dass das Opfer dem Täter wegen einer Krankheit oder Behinderung zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut ist und der Täter unter Missbrauch dieses Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses sexuelle Handlungen am Opfer vornimmt oder vom Opfer an sich vornehmen lässt. Diese tatbestandlichen Voraussetzungen können nach den bisher getroffenen Feststellungen nicht verneint werden.
11
a) Dies gilt - entgegen der Auffassung des Landgerichts - insbesondere für das Merkmal des "Anvertrautseins". Dieses setzt weder das Vorliegen einer rechtsgeschäftlichen Beziehung zwischen Täter und Opfer voraus noch kommt es darauf an, ob das Verhältnis auf Initiative des Patienten, Täters oder eines Dritten begründet wurde. Ebenso ist unerheblich, ob die entsprechenden Tätigkeiten innerhalb von geschlossenen Einrichtungen, in der ambulanten Versorgung oder im Rahmen häuslicher Betreuung wahrgenommen werden. Ohne Belang ist zudem, ob tatsächlich eine behandlungsbedürftige Krankheit oder eine Behinderung vorliegt, sofern nur die betroffene Person subjektiv eine Behandlungs - oder Beratungsbedürftigkeit empfindet. Das Beratungs-, Behandlungs - oder Betreuungsverhältnis muss auch nicht von einer solchen - zumindest beabsichtigten - Intensität und Dauer sein, dass eine Abhängigkeit entstehen kann, die es dem Opfer zusätzlich, d.h. über die mit einem derartigen Verhältnis allgemein verbundene Unterordnung unter die Autorität des Täters und die damit einhergehende psychische Hemmung, erschwert, einen Abwehrwillen gegenüber dem Täter zu entwickeln und zu betätigen (BGH, Urteil vom 14. April 2011 - 4 StR 669/10, NJW 2011, 1891, 1893; aA MünchKommStGB/ Renzikowski, 1. Aufl., § 174c Rn. 23; S/S-Perron-Eisele, StGB, 28. Aufl., § 174c Rn. 5). Es ist ausreichend, wenn das Opfer eine fürsorgerische Tätigkeit des Täters entgegennimmt (LK/Hörnle, StGB, 12. Aufl., § 174c Rn. 12). Hiervon ist auch der Gesetzgeber ausgegangen, der die Opfer bereits aufgrund ihrer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung in gewisser Weise als "der Autoritätsperson von vornherein 'ausgeliefert'" angesehen und auf den Nachweis einer Abhängigkeit des Opfers vom Täter im konkreten Tatzeitpunkt gerade verzichtet hat (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs BT-Drucks. 13/8267 S. 7).
12
b) Nach diesen Maßstäben legen die getroffenen Feststellungen nahe, dass der Angeklagte die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 174c Abs. 1 StGB erfüllt hat. Dies gilt unabhängig davon, dass das Landgericht keine Einzelheiten dazu mitteilt, was zunächst Gegenstand der "Routineuntersuchung" war, zu der die Nebenklägerin den Angeklagten aufsuchte, und was hierbei besprochen wurde. Denn jedenfalls das nachfolgende Geschehen - die Nebenklägerin entkleidete sich, legte sich nackt auf die Liege und ließ den Zugriff des Angeklagten auf ihren Körper zu einer osteopathischen Behandlung zu - zeigt hinreichend, dass sich die Nebenklägerin dem Angeklagten im oben dargestellten Sinne zu Behandlungszwecken anvertraut hatte. Nach alledem wird der Teilfreispruch auch nicht von der weiteren Begründung des Landgerichts getragen , dem Angeklagten sei jedenfalls kein Vorsatz dahin nachzuweisen, dass sich die Nebenklägerin in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihm befunden habe.
III. Revision der Nebenklägerin W.
13
1. Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person in drei Fällen zum Nachteil der Nebenklägerin W. freigesprochen. Nach seinen Feststellungen kam es bei mehreren osteopathischen Behandlungsterminen Anfang 2004 zu sexuellen Handlungen. Bei einem Termin erklärte der Angeklagte der Frau, es gebe im Rahmen der Therapie bestimmte osteopathische Griffe im Vaginalbereich, um Blockaden im Beziehungsleben zu beheben. Er führte sodann seinen Finger in die Scheide der Frau ein, was diese als überraschend und unangenehm empfand, aber darauf vertraute, der Angeklagte werde als Arzt schon wissen, was er tue. Bei drei weiteren Osteopathieterminen kam es jeweils zu sexuellen Handlungen zwischen dem Angeklagten und der Patientin, davon in zwei Fällen - von denen nur einer Gegenstand der Anklage ist - zum Geschlechtsverkehr.
14
Der Angeklagte hat das objektive Geschehen im Wesentlichen eingeräumt , sich aber dahin eingelassen, die Handlungen seien im Einvernehmen mit der Patientin erfolgt. Das Landgericht hat im ersten Fall bereits den objektiven Tatbestand des § 179 Abs. 1, 5 StGB als nicht gegeben angesehen, weil es keine Widerstandsunfähigkeit der Nebenklägerin festzustellen vermochte. Diese habe zwar den Griff in die Scheide als unangenehm empfunden, indes von Widerstand abgesehen, weil sie dem Angeklagten als Arzt vertraut habe. Damit läge eine Widerstandsunfähigkeit nicht vor. Hinsichtlich der beiden anderen Taten hat die Strafkammer die Einlassung des Angeklagten nicht widerlegen können. Sie hat dabei darauf abgestellt, dass die Nebenklägerin teilweise unwahre Angaben gemacht hatte. Entgegen ihren Bekundungen habe sie, nachdem sie sich ihrem Mann anvertraut hatte, doch noch mehrfach die Praxis des Angeklagten betreten und sich von ihm behandeln und Medikamente verordnen lassen. Zudem habe sie zeitnah zu den Behandlungsterminen einer Bekannten gegenüber zugegeben, "etwas mit dem Angeklagten zu haben".
15
2. Die von der Nebenklägerin erhobenen Verfahrensrügen bleiben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg. Der Freispruch hält auch der sachlichrechtlichen Nachprüfung stand. Die Beweiswürdigung ist nach den Maßstäben der revisionsgerichtlichen Überprüfung (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2324) ohne Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten. Soweit die Revision beanstandet, das Landgericht habe sich nicht "mit eventuellen Nebenwirkungen des Medikaments" Cipralex auseinandergesetzt, "welche die Erinnerungsfähigkeit beeinträchtigt haben könnten", verkennt sie, dass solche - auch von der Revision nur als möglich angesehene - Nebenwirkungen im Urteil nicht festgestellt sind. Die Urteilsurkunde ist aber die alleinige Grundlage für die sachlichrechtliche Überprüfung des Urteils im Revisionsverfahren. Die Revision zeigt auch, soweit sie eine Gesamtwürdigung der belastenden Umstände vermisst, keinen Rechtsfehler auf. Insbesondere war das Gericht nicht verpflichtet zu erörtern, dass sich der Angeklagte auch anderen Frauen im Rahmen seiner Osteopathiebehandlungen sexuell genähert hatte. Dass es mit der Nebenklägerin zu sexuellen Handlungen gekommen ist, steht aufgrund deren Angaben, die mit denen des Angeklagten übereinstimmen, fest. Für die Frage, ob die Handlungen einvernehmlich oder gegen den Willen der Nebenklägerin erfolgten, war der genannte Umstand nicht von Bedeutung.
16
Soweit trotz des Einverständnisses der Nebenklägerin mit den sexuellen Handlungen eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 174c Abs. 1 StGB in Betracht kommen könnte (vgl. BGH, Urteil vom 14. April 2011 - 4 StR 669/10, NJW 2011, 1891), ist - wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat - Strafverfolgungsverjährung eingetreten.
Becker Pfister Hubert Mayer Menges

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 133/16
vom
2. Mai 2016
in der Strafsache
gegen
wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines
Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses
ECLI:DE:BGH:2016:020516B4STR133.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführerin und des Generalbundesanwalts am 2. Mai 2016 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Bochum vom 1. September 2015 wird als unbegründet verworfen. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses freigesprochen; wegen der Verletzung eines Privatgeheimnisses hat es ihn verwarnt und die Verurteilung zu einer Geldstrafe vorbehalten. Gegen den Freispruch wendet sich die Revision der Nebenklägerin mit der Sachrüge. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
2
1. Die Strafkammer hat insoweit im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
3
Der Angeklagte ist Diplom-Psychologe und war in Bochum in einer auf Autismuserkrankungen spezialisierten Praxis tätig. Ab September 2013 nahm die damals zwölfjährige Tochter der Nebenklägerin, die an einer autistischen Störung leidet, wöchentlich zwei Förderstunden bei dem Angeklagten und des- sen Kollegen wahr. Parallel hierzu fanden einmal monatlich „Bezugspersonengespräche“ statt, in deren Rahmen der Angeklagte der Nebenklägerin und ihrem anfangs ebenfalls anwesenden Ehemann über den Verlauf der Therapiegespräche berichtete. Auch diese Gespräche rechnete der Angeklagte mit der Krankenkasse ab.
4
Bei dem Erstgespräch hatte die Nebenklägerin dem Angeklagten mitgeteilt , dass sie auch selbst an einer leichten Form des Asperger-Syndroms leide, und sich nach Therapieangeboten für Erwachsene erkundigt. Die Aufnahme einer Therapie seitens der Nebenklägerin hat das Landgericht indes nicht festgestellt. Bei einem Bezugspersonengespräch berichtete die Nebenklägerin dem Angeklagten, dass sie beabsichtige, ein Informationsblatt für Jugendliche mit der Diagnose Asperger-Syndrom zu erstellen. Hierbei unterstützte der Angeklagte die Nebenklägerin und es kam in diesem Zusammenhang zu nahezu wöchentlichen Treffen, um gemeinsam an dem Text für die Broschüre zu arbeiten. Bei einem dieser Treffen berichtete die Nebenklägerin dem Angeklagten, dass sie häufig Schwierigkeiten habe, Augenkontakt zu halten. Der Angeklagte riet ihr, zu versuchen, ihren Blick stattdessen auf die Stirn ihres Gegenübers zu richten.
5
Der Kontakt zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin wurde immer enger und es entwickelte sich schließlich aus beider Sicht ein Liebesverhältnis. Ab März 2014 kam es einvernehmlich zu Zungenküssen und intimen Berührungen zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin. Nachdem der Ehemann der Nebenklägerin im Juni 2014 von dem Verhältnis erfahren hatte, beendete der Angeklagte den Kontakt.
6
2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen ist das Landgericht rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des § 174c Abs. 1 StGB nicht vorliegen. Die Nebenklägerin war dem Angeklagten, als es zu den sexuellen Handlungen kam, nicht wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut.
7
Zwar setzt ein Anvertrautsein im Sinne des § 174c Abs. 1 StGB das Zustandekommen einer rechtsgeschäftlichen Beziehung zwischen Täter und Opfer nicht voraus. Es kommt auch nicht darauf an, ob das Verhältnis auf Initiative des Patienten, Täters oder eines Dritten begründet wurde. Ohne Belang ist zudem , ob tatsächlich eine behandlungsbedürftige Krankheit oder eine Behinderung vorliegt, sofern nur die betroffene Person subjektiv eine Behandlungsoder Beratungsbedürftigkeit empfindet. Das Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis muss auch nicht von einer solchen – zumindest beabsichtigten – Intensität und Dauer sein, dass eine Abhängigkeit entstehen kann, die es dem Opfer zusätzlich, d.h. über die mit einem derartigen Verhältnis allgemein verbundene Unterordnung unter die Autorität des Täters und die damit einhergehende psychische Hemmung hinaus, erschwert, einen Abwehrwillen gegenüber dem Täter zu entwickeln und zu betätigen. Es ist ausreichend, wenn das Opfer eine fürsorgerische Tätigkeit des Täters entgegennimmt (BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 – 3 StR 318/11, NStZ 2012, 440 f.).
8
a) Eine solche fürsorgerische Tätigkeit hat der Angeklagte in Bezug auf eine objektiv vorliegende oder von der Nebenklägerin zumindest so empfundene Behandlungsbedürftigkeit ihres eigenen Asperger-Syndroms nicht entfaltet. Nach den Feststellungen ging die Nebenklägerin bei den Begegnungen mit dem Angeklagten hiervon auch nicht aus. Weder die bloße Erkundigung nach Therapieangeboten noch der freundschaftliche Ratschlag betreffend die Schwierigkeiten beim Augenkontakt reichen aus, ein Anvertrautsein in diesem Sinne zu begründen. Erst recht gilt dies für die Unterstützung der Nebenklägerin bei ihrem ehrenamtlichen Engagement.
9
b) Die Nebenklägerin war dem Angeklagten aber auch nicht deshalb wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung zur Beratung anvertraut im Sinne des § 174c Abs. 1 StGB, weil ihr der Angeklagte im Rahmen sog. Bezugspersonengespräche regelmäßig über den Verlauf der Therapie ihrer Tochter berichtete. Diese Gespräche dienten lediglich der Information der Eltern der Patientin und werden von § 174c StGB tatbestandlich nicht erfasst.
10
aa) Schon seinemWortlaut nach erstreckt sich der Schutz des § 174c StGB nicht auf bloße Informationsgespräche mit einem Dritten über den Behandlungsverlauf eines Patienten. Denn die Vorschrift setzt voraus, dass das Opfer dem Täter wegen einer Krankheit oder Behinderung zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut ist. Somit ist tatbestandlich nicht erfasst, wer sich aus einem anderen Grund als einer eigenen Krankheit oder Behinderung beraten oder betreuen lässt (vgl. Senat, Urteil vom 14. April 2011 – 4 StR 669/10, StV 2012, 663, 664 f.). So liegt der Fall hier, da die Nebenklägerin lediglich Informationen über die Behandlung ihrer Tochter entgegennahm. Offen bleiben kann, ob Familienangehörige eines Erkrankten oder Behinderten einem Psychologen oder Arzt dann selbst zur Behandlung bzw. Beratung im Sinne des § 174c Abs. 1 StGB anvertraut sind, wenn sie an einer Gruppen- oder Familientherapie teilnehmen. Nach den Feststellungen hatten die Bezugspersonengespräche jedenfalls keinen therapeutischen Hintergrund, sondern dienten allein der Information.
11
bb) Der Schutzzweck des § 174c Abs. 1 StGB gebietet es auch nicht, den Anwendungsbereich der Vorschrift auf Fälle zu erstrecken, in denen ein Arzt oder Psychologe, der einen minderjährigen Patienten behandelt und die Erziehungsberechtigten über den Therapiefortgang informiert, mit einem Elternteil ein einverständliches sexuelles Verhältnis eingeht.
12
Die Vorschrift dient dem strafrechtlichen Schutz solcher Menschen vor sexuellen Übergriffen, die aufgrund ihrer generellen geistigen oder seelischen Verfassung unter Umständen nur in beschränktem Maße zur Entwicklung oder Betätigung eines Abwehrwillens imstande sind (BT-Drucks. 13/8267, S. 4). Psychisch Kranke oder geistig oder seelisch Behinderte sollen wegen ihrer gesteigerten Schutzbedürftigkeit vor sexuellen Übergriffen im Rahmen von Beratungs -, Behandlungs- und Betreuungsverhältnissen geschützt werden (BTDrucks. 13/8267, S. 6 f.). Die Vorschrift zielt danach auf den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung des aufgrund seiner Erkrankung oder Behinderung nur eingeschränkt abwehrfähigen Patienten ab. Vor dem Hintergrund der innerhalb von Beratungs-, Behandlungs- und Betreuungsverhältnissen typischerweise bestehenden Vertrauens- und Abhängigkeitsbeziehung (vgl. Senat, Urteil vom 14. April 2011 – 4 StR 669/10, StV 2012, 663, 665) soll ein Missbrauch derselben auch durch einvernehmliche sexuelle Handlungen verhindert werden (BT-Drucks. 13/8267, S. 6 f.; BT-Drucks. 15/350, S. 16). Eine solche gesteigerte Schutzbedürftigkeit liegt bei Eltern minderjähriger, geistig oder seelisch kran- ker oder behinderter Patienten, sofern sie – wie hier – nur informiert werden und nicht selbst in den Therapieverlauf eingebunden sind, nicht vor.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Bender

(1) Wer sexuelle Handlungen an einer Person, die ihm wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung einschließlich einer Suchtkrankheit oder wegen einer körperlichen Krankheit oder Behinderung zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut ist, unter Mißbrauch des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einer dritten Person bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer Person, die ihm zur psychotherapeutischen Behandlung anvertraut ist, unter Mißbrauch des Behandlungsverhältnisses vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einer dritten Person bestimmt.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wer sexuelle Handlungen an einer gefangenen oder auf behördliche Anordnung verwahrten Person, die ihm zur Erziehung, Ausbildung, Beaufsichtigung oder Betreuung anvertraut ist, unter Mißbrauch seiner Stellung vornimmt oder an sich von der gefangenen oder verwahrten Person vornehmen läßt oder die gefangene oder verwahrte Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einer dritten Person bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Person, die in einer Einrichtung für kranke oder hilfsbedürftige Menschen aufgenommen und ihm zur Beaufsichtigung oder Betreuung anvertraut ist, dadurch mißbraucht, daß er unter Ausnutzung der Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit dieser Person sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einer dritten Person bestimmt.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wer sexuelle Handlungen an einer Person, die ihm wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung einschließlich einer Suchtkrankheit oder wegen einer körperlichen Krankheit oder Behinderung zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut ist, unter Mißbrauch des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einer dritten Person bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer Person, die ihm zur psychotherapeutischen Behandlung anvertraut ist, unter Mißbrauch des Behandlungsverhältnisses vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einer dritten Person bestimmt.

(3) Der Versuch ist strafbar.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 669/10
vom
14. April 2011
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
1. Einer Strafbarkeit wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs
-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses nach § 174c Abs. 1
StGB steht allein das Einvernehmen des Opfers mit der vom Täter vorgenommenen
sexuellen Handlung nicht entgegen.
2. An einem Missbrauch im Sinne dieser Vorschrift fehlt es ausnahmsweise
dann, wenn der Täter im konkreten Fall nicht eine aufgrund des Beratungs-,
Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses bestehende Autoritäts- oder Ver-
trauensstellung gegenüber dem Opfer zur Vornahme der sexuellen Handlung
ausnutzt.
BGH, Urteil vom 14. April 2011 – 4 StR 669/10 – LG Münster
wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses
u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. April
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
die Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Mutzbauer,
Bender,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin Rosa Geppert aus Münster
als Nebenkläger-Vertreterin für Doris N. aus Nottuln,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 29. April 2010 mit den Feststellungen aufgehoben ,
a) soweit der Angeklagte in den Fällen II.5.c und II.5.d der Urteilsgründe jeweils wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses verurteilt wurde ,
b) im Ausspruch über die im Fall II.2. der Urteilsgründe verhängte Einzel- sowie die Gesamtstrafe. 2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen. 3. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte in den Fällen 9 bis 14 der Anklage (Fälle II.4.c, II.4.d und II.4.e der Urteilsgründe) freigesprochen wurde,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe und
c) soweit gegen den Angeklagten kein Berufsverbot verhängt wurde. 4. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen einen "Ausspruch über die Zuerkennung einer Entschädigung gemäß § 8 Abs. 3 StrEG" wird als unzulässig verworfen. Insofern trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten.
5. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die weiteren Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses in drei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und bestimmt, dass drei Monate der Freiheitsstrafe als vollstreckt gelten. Ferner hat es das Verfahren hinsichtlich zweier Tatvorwürfe eingestellt und den Angeklagten im Übrigen freigesprochen. Gegen seine Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit zwei Verfahrensrügen, zudem beanstandet er die Anwendung des sachlichen Rechts. Die Staatsanwaltschaft hat ihre zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte, auf die Sachrüge gestützte Revision auf den Freispruch des Angeklagten in den Fällen 9 bis 14 der Anklage sowie die Nicht-Anordnung eines Berufsverbots beschränkt. Zudem hat sie gegen die Kostenentscheidung und eine Entscheidung nach dem Strafrechtsentschädigungsgesetz sofortige Beschwerde einlegt. Die Revisionen haben in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Die sofortigen Beschwerden der Staatsanwaltschaft sind gegenstandslos bzw. unzulässig.

I.


2
Soweit der Angeklagte verurteilt wurde und hinsichtlich der Freisprüche in den Fällen 9 bis 14 der Anklage hat das Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
Der 57jährige Angeklagte schloss 1996 eine Ausbildung zum Heilpraktiker ab und erhielt im selben Jahr die Erlaubnis, "die Heilkunde auszuüben, ohne über eine ärztliche Approbation zu verfügen". Den Beruf übte er in der Folgezeit aus. Bis zum Jahr 2002 absolvierte er ferner eine Ausbildung zum Osteopathen. Heute bezeichnet sich der Angeklagte zudem als Schamane.
4
1. Am 29. Januar 2004 begab sich die Zeugin F. erstmals zum Angeklagten. Grund hierfür war ihr - auch nach Aufsuchen von "Schulmedizinern" und eines Heilpraktikers - unerfüllt gebliebener Kinderwunsch; sie sah eine Behandlung durch den Angeklagten als den "letzten Versuch" an, ihren Wunsch zu erfüllen. Der Angeklagte "behandelte" die Zeugin bis zum 8. Juli 2004 an insgesamt neun Tagen, wobei er bis zum Juni 2004 mit ihrer Zustimmung unter anderem mindestens drei Mal ein "Vaginaltouché" durchführte. Hierbei handelt es sich um eine - wie bei der Osteopathie im Allgemeinen - in Deutschland nicht anerkannte "Behandlung" durch eine "Mobilisierung" des "Vaginalraumes" unter anderem durch das Einführen eines oder mehrerer Finger in die Scheide der Patientin. Bei einer Gelegenheit versuchte der Angeklagte zudem, mit seiner Zunge in den Mund der Zeugin einzudringen. Am 7. Juni sowie am 8. Juli 2004 wollte der Angeklagte ferner den Oralverkehr von der Zeugin an sich vornehmen lassen. Hierzu führte er sein Glied an den Mund der unbekleideten, auf Anweisung des Angeklagten mit geschlossenen Augen auf der Liege des Behandlungsraums liegenden Zeugi n heran, wobei er jeweils ihre Lippen berührte. Zu einem Eindringen kam es jedoch nicht, weil die Zeugin, die mit einem Oralverkehr nicht einverstanden war, ihren Kopf zur Seite drehte.
5
Beide Fälle des versuchten Oralverkehrs (Fälle II.5.c und II.5.d der Urteilsgründe ) bewertete die Kammer als sexuellen Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses und verhängte hierfür jeweils Freiheitsstrafen von zehn Monaten. Von den weiteren Anklagevorwürfen zum Nachteil dieser Zeugin sprach die Strafkammer - insofern unbeanstandet durch die Staatsanwaltschaft - den Angeklagten frei, weil es sich nicht um sexuelle Handlungen gehandelt habe.
6
2. Am 26. Oktober 2004 begab sich die Zeugin M. auf Empfehlung ihrer Hausärztin in die Praxis des Angeklagten, um ihre Migräne behandeln zu lassen. Auf Geheiß des Angeklagten entkleidete sich die Zeugin vollständig und wurde vom Angeklagten etwa 40 Minuten lang "behandelt", unter anderem blies er ihr in Nase, Ohren und Mund, schnippte mit den Fingern und schlug ihr mit der Faust auf den Brustkorb. Zudem biss der Angeklagte der Zeugin "völlig unerwartet und für sie sehr schmerzhaft in deren unbekleidete linke Brust, so dass die Zeugin vor Schmerzen aufschrie".
7
Die Strafkammer bewertete den Biss in die Brust der Zeugin (Fall II.2. der Urteilsgründe) als sexuellen Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses in Tateinheit mit Körperverletzung und verhängte hierfür eine Einzelfreiheitsstrafe von vier Monaten.
8
3. In den angeklagten Fällen 9 bis 14 (Fälle II.4.c, II.4.d und II.4.e der Urteilsgründe ) "behandelte" der Angeklagte ab dem 4. Januar 2004 die Zeugin N. , die wegen starker Rückenschmerzen zum Angeklagten gekommen war.
Während der "Behandlung" der jeweils vollständig entkleideten Zeugin nahm der Angeklagte unter anderem "Vaginaltouchés" vor und veranlasste die Zeugin - ebenfalls mit ihrer Zustimmung - mehrmals dazu, an ihm den Oralverkehr durchzuführen (insofern wurde der Angeklagte - soweit die Taten von der zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage erfasst waren - freigesprochen und das Urteil von der Staatsanwaltschaft nicht angegriffen).
9
Am 22. Juli 2004 (Fall 9 der Anklage = Fall II.4.c der Urteilsgründe) entkleidete sich auch der Angeklagte vollständig und vollzog - ohne Kondom - mit der Zeugin den Geschlechtsverkehr. Die Zeugin war hiermit einverstanden und fühlte sich "geborgen und ganz entspannt".
10
Nach der zugelassenen Anklage kam es zwischen September 2004 und Januar 2005 in mindestens vier weiteren Fällen zum Geschlechtsverkehr zwischen dem Angeklagten und der Zeugin (Fälle 10 bis 13); nach den Feststellungen der Strafkammer führten der Angeklagte und die Zeugin den einvernehmlichen Geschlechtsverkehr in diesem Zeitraum zwei Mal durch (bei zwei der Behandlungen am 16. September, 28. Oktober und/oder 9. Dezember 2004 = Fälle II. 4.d der Urteilsgründe).
11
Ferner kam es am 3. Februar 2005 erneut zum Geschlechtsverkehr zwischen dem Angeklagten und der Zeugin (Fall 14 der Anklage = Fall II.4.e der Urteilsgründe). Auch mit diesem war die Zeugin einverstanden; sie empfand indes hierbei "nicht mehr die schönen und positiven Gefühle" wie zuvor.
12
Wegen dieser Taten sprach die Strafkammer den Angeklagten aufgrund des Einverständnisses der Zeugin vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses frei.

II.


13
Revision des Angeklagten
14
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg, soweit er seine Verurteilung in den Fällen II.5.c und II.5.d der Urteilsgründe angreift. Im Fall II.2. der Urteilsgründe hat der Strafausspruch keinen Bestand. Dies hat die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe zur Folge.
15
1. In den Fällen II.5.c und II.5.d der Urteilsgründe begegnet schon der Schuldspruch durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
16
a) Eine Verurteilung nach § 174c Abs. 1 StGB erfordert, dass sich das Opfer dem Täter wegen einer Krankheit oder Behinderung zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut hat. Dies hat das Landgericht nicht (hinreichend ) festgestellt.
17
Nach den Feststellungen suchte die Zeugin den Angeklagten "wegen eines seit langer Zeit bestehenden, aber unerfüllt gebliebenen Kinderwunsches" auf, nachdem "mehrfache schulmedizinische Versuche … und auch die Behandlung bei einem Heilpraktiker" erfolglos geblieben waren (UA 16). Ein unerfüllter Kinderwunsch ist für sich betrachtet indes keine Krankheit oder Behinderung (vgl. zum Sozialversicherungsrecht BVerfG, Urteil vom 28. Februar 2007 - 1 BvL 5/03, BVerfGE 117, 316, 325 f.; BSG, Urteil vom 17. Februar 2010 - B1 KR 10/09 R, NZS 2011, 20, 21; ferner BGH, Urteil vom 15. September 2010 - IV ZR 187/07, NJW-RR 2011, 111, 112 f.). Dabei bedarf keiner Entscheidung, ob der Begriff "Krankheit" über die Untersuchungen zur Erstellung einer (Erst-)Diagnose hinaus (vgl. BT-Drucks. 13/8267 Anlage 3) auch solche Fälle erfasst, in denen eine Person lediglich aufgrund eines eingebildeten Zustandes professionelle Hilfe aufsucht (so SSW-StGB/Wolters § 174c Rn. 3; Renzikowski , NStZ 2010, 694, 695; derselbe in MünchKomm StGB, § 174c Rn. 13 jeweils mwN; für nicht-körperliche Erkrankungen auch NK-StGB-Frommel, 3. Aufl., § 174c Rn. 9; aA Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 174c Rn. 2; ersichtlich auch Hörnle in LK, 12. Aufl., § 174c Rn. 5 ff.; vgl. auch BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2008 - 3 StR 88/08, NStZ 2009, 324, 325). Dass der unerfüllte Kinderwunsch seine Ursache zumindest in einer in diesem Sinne zu verstehenden , vom Angeklagten an der Zeugin behandelten geistigen, seelischen oder körperlichen Beeinträchtigung hatte, hat die Kammer nicht festgestellt und auch nicht erörtert.
18
Soweit die Strafkammer beiläufig mitteilt, dass die Zeugin dem Angeklagten während der "Anamnese" von einem Myom im Unterleib berichtet und der Angeklagte erklärt habe, "dass man das beheben könne" (UA 17), ergibt sich aus den Feststellungen - auch im Gesamtzusammenhang - nicht, dass die nachfolgende "Behandlung" auf eine Beseitigung dieses Myoms gerichtet war. Vielmehr legen die Urteilsausführungen (z.B. UA 19 oben) nahe, dass sich die Zeugin der "Behandlung" durch den Angeklagten allein deshalb anvertraut und unterzogen hat, weil sie dies als den "letzten Versuch, den Kinderwunsch zu erfüllen", angesehen hatte.
19
b) Eine psychotherapeutische Behandlung im Sinne des § 174c Abs. 2 StGB, der nach seinem Wortlaut keine Krankheit oder Behinderung voraussetzt (vgl. dazu auch BT-Drucks. 13/8267 S. 7; Zauner, Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses, § 174c StGB, Diss. Tübingen, 2004, S. 15 ff.), hat der Angeklagte nach den Feststellungen der Strafkammer bei der Zeugin nicht vorgenommen. Einer Ver- urteilung nach dieser Vorschrift stünde zudem die Rechtsprechung des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs entgegen, wonach Täter insofern nur sein kann, wer zum Führen der Bezeichnung "Psychotherapeut" berechtigt ist (Beschluss vom 29. September 2009 - 1 StR 426/09, BGHSt 54, 169, 171 mit ablehnender Anmerkung Renzikowski, NStZ 2010, 694, 695).
20
2. Im Fall II.2. der Urteilsgründe hat der Strafausspruch keinen Bestand.
21
Die Verhängung einer Freiheitsstrafe von unter sechs Monaten Dauer erfordert sowohl nach § 47 Abs. 1 StGB als auch nach dessen hier anzuwendendem Absatz 2, dass die Freiheitsstrafe unerlässlich ist, sie sich also aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist. Ob dies der Fall ist, hat die Strafkammer ersichtlich deshalb unerörtert gelassen, weil sie dem Angeklagten - was auch bei der ersten abgeurteilten Tat Berücksichtigung finden kann (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 2001 - 4 StR 104/01, DAR 2001, 513, 514) - eine eng zusammenhängende Serie von Straftaten anlastet, die schon ohne nähere Darlegung ein Bedürfnis nach Einwirkung auf den - wenn auch nicht vorbestraften - Täter deutlich zutage treten lässt (vgl. BGH, Urteil vom 8. April 2004 - 3 StR 465/03, NStZ 2004, 554 mwN). Dieser Wertung ist indes infolge der Aufhebung der Verurteilung in den Fällen II.5.c und II.5.d der Urteilsgründe die tatsächliche Grundlage entzogen.
22
3. Im Übrigen hat die Revision des Angeklagten dagegen keinen Erfolg.
23
Die von ihm erhobenen Verfahrensrügen sind aus den vom Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 22. Dezember 2010 dargelegten Gründen unbegründet bzw. unzulässig. Der Schuldspruch im Fall II.2. der Urteilsgründe begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die Bewertung des Bisses in die Brust der - für die Behandlung einer Migräne - auf Geheiß des Angeklagten vollständig entkleideten Zeugin als sexuelle Handlung lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2005 - 4 StR 9/05, in StV 2005, 439 unvollständig abgedruckt; Laubenthal, Sexualstraftaten, 2000, Rn. 71 mwN). Den Ausführungen des Urteils ist ferner jedenfalls im Gesamtzusammenhang zu entnehmen, dass sich der Vorsatz des Angeklagten auf die Vornahme einer sexuellen Handlung bezogen hat. Eine Einwilligung gemäß § 228 StGB in die vorsätzliche Körperverletzung oder auch die sexuelle Handlung wurde von der durch die "Behandlung" völlig überraschten Patientin nicht erteilt.

III.


24
Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft
25
1. Die Revision der Staatsanwalt hat in vollem Umfang Erfolg.
26
Das Landgericht ist bei den Freisprüchen in den Fällen 9 bis 14 der Anklage (Fälle II.4.c, II.4.d und II.4.e der Urteilsgründe) zu Unrecht davon ausgegangen , dass eine Verurteilung des Angeklagten nach § 174c Abs. 1 StGB schon deshalb ausscheidet, weil die Zeugin N. mit den vom Angeklagten vorgenommenen sexuellen Handlungen einverstanden war.
27
a) Einer Strafbarkeit wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses nach § 174c Abs. 1 StGB steht allein das Einvernehmen des Opfers mit der vom Täter vorgenommenen sexuellen Handlung nicht entgegen. Ein solches Einvernehmen schließt weder als Einverständnis den Tatbestand noch als Einwilligung die Rechtswidrigkeit der Tat aus.
28
aa) Dies belegt schon der Wille des Gesetzgebers.
29
Zur ursprünglichen Fassung von § 174c Abs. 1 StGB verweisen die Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 13/8267 S. 7) ausdrücklich darauf, dass eine Strafbarkeit des Täters nach dieser Vorschrift nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass das Opfer den sexuellen Handlungen zugestimmt hat; "denn wegen der Eigenart der tatbestandlich eingegrenzten Verhältnisse kann das Opfer regelmäßig nicht frei über sexuelle Kontakte zu der Autoritätsperson entscheiden". Zwar bezogen sich diese "tatbestandlich eingegrenzten Verhältnisse" nach der damals geltenden Gesetzesfassung auf Beratungs-, Behandlungsund Betreuungsverhältnisse mit Personen, die geistig oder seelisch erkrankt waren oder an entsprechenden Behinderungen litten. Der Gesetzgeber hatte aber schon damals die Einbeziehung körperlich erkrankter oder behinderter Opfer in den Straftatbestand erwogen, war aber zunächst - unter dem Vorbehalt einer Überprüfung aufgrund neuer Erkenntnisse - davon ausgegangen, dass bei körperlichen Leiden "eine tiefgreifende Einschränkung der freien Selbstbestimmung , wie sie bei geistig oder seelisch kranken oder behinderten Personen" vorliegt, in der Regel nicht gegeben ist (BT-Drucks. 13/8267 S. 6 und Anlagen 2 und 3; vgl. zu dem Vorschlag, auch körperliche Leiden einzubeziehen, insbesondere die Empfehlungen der Ausschüsse des Bundesrates, BRat-Drucks. 295/1/97 S. 3, und die Stellungnahme des Bundesrates, BRat-Drucks. 295/97 [Beschluss] S. 3; zur Gesetzesgeschichte auch Zauner aaO, S. 7 ff.; Bungart, Sexuelle Gewalt gegen behinderte Menschen, 2005, S. 41 ff., 65, 68).
30
Letztere Ansicht hat der Gesetzgeber bei der Einbeziehung körperlich kranker oder behinderter Menschen in den Anwendungsbereich des § 174c Abs. 1 StGB im Jahr 2003 aufgegeben, ohne hierbei seine Auffassung zur Unbeachtlichkeit einer Zustimmung des Opfers geändert zu haben. Denn "auch bei körperlichen Krankheiten oder Behinderungen [kann] zwischen Therapeuten und insbesondere mehrfach behinderten Patienten eine Abhängigkeit bestehen, die durch Überlegenheit des Therapeuten und besonderes Vertrauen des hilfesuchenden Patienten gekennzeichnet ist. Dieses Vertrauensverhältnis muss ebenso wie bei psychischen Krankheiten oder Behinderungen vor sexuellen Übergriffen geschützt werden" (BT-Drucks. 15/350 S. 16). Dem Gesetzgeber kam es mithin darauf an, sexuelle Kontakte in Beratungs-, Behandlungs- und Betreuungsverhältnissen generell und selbst bei einem Einverständnis des Patienten als missbräuchlich auszuschließen (Laubenthal aaO Rn. 276; Lackner/Kühl aaO § 174c Rn. 5; Wolters aaO § 174c Rn. 7).
31
bb) Auch nach dem Wortlaut von § 174c Abs. 1 StGB schließt ein bloßes Einverständnis des Opfers mit der sexuellen Handlung den Tatbestand dieser Strafvorschrift nicht aus.
32
§ 174c StGB erfordert - schon nach seinem Wortlaut - keine Nötigung des Opfers. Anknüpfungspunkt für einen tatbestandlichen Ausschluss der Strafbarkeit bei einvernehmlichen sexuellen Handlungen könnte daher allein der in § 174c Abs. 1 StGB geforderte "Missbrauch" sein (vgl. Renzikowski aaO § 174c Rn. 24 ff.; Hörnle aaO § 174c Rn. 22). Indes knüpft dieser "Missbrauch" an das Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis an; er ist auf den Täter bezogen und liegt vor, wenn dieser "die Gelegenheit, die seine durch das Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis begründete Vertrauensstellung bietet, unter Verletzung der damit verbundenen Pflichten bewusst zu sexuellen Kontakten mit den ihm anvertrauten Personen ausnutzt" (BT-Drucks. 13/8267 S. 7; ferner OLG Karlsruhe, Urteil vom 4. Juni 2009 - 3 Ss 113/08 mwN). Das erst während eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses erklärte Einvernehmen des Opfers mit der sexuellen Handlung ist aber für die Begründung des Vertrauensverhältnisses ohne Bedeutung, es setzt dieses - zumindest regelmäßig - vielmehr voraus (im Ergebnis ebenso OLG Karlsruhe aaO; Wolters aaO § 174c Rn. 7; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 174c Rn. 10; Zauner aaO S. 109 f., 111 f., 139 f.).
33
Auch bei § 174 Abs. 1 Nr. 2, § 174a Abs. 1, § 174b StGB, die ebenfalls sexuelle Handlungen in einem Obhutsverhältnis unter Strafe stellen und dabei an einen "Missbrauch" - aber nicht eine Nötigung - anknüpfen, wird allein dem Einverständnis des Opfers mit der sexuellen Handlung keine tatbestandsausschließende Wirkung beigemessen (vgl. BT-Drucks. VI/1552, S. 16; VI/3521 S. 20, 22 ff., 26, 28 f.; BGH, Urteile vom 8. Januar 1952 - 1 StR 561/51, BGHSt 2, 93, 94, und vom 4. April 1979 - 3 StR 98/79, BGHSt 28, 365, 367 f.; Fischer aaO § 174 Rn. 15, § 174a Rn. 10; Renzikowski aaO § 174a Rn. 17, § 174b Rn. 15 jeweils mwN).
34
Eine im Schrifttum teilweise vorgeschlagene Differenzierung zwischen geistigen (tatbestandsausschließendes Einverständnis nicht möglich) und körperlichen Krankheiten oder Behinderungen (bei denen ein tatbestandsausschließendes Einverständnis möglich sein soll; vgl. etwa Renzikowski aaO § 174c Rn. 27 f.; Sick/Renzikowski, Festschrift-Schroeder, 2006, S. 603, 610; Perron/Eisele in Schönke/Schröder, 28. Aufl., § 174c Rn.6) lässt sich auch unter dem Blickwinkel des Selbstbestimmungsrechts des Patienten in solch pauschaler Weise nicht rechtfertigen (vgl. auch Hörnle aaO § 174c Rn. 19 ff.) und würde schon deshalb weitere Probleme aufwerfen, weil die Einbeziehung kör- perlich erkrankter oder behinderter Personen in den Anwendungsbereich des § 174c Abs. 1 StGB gerade deshalb vorgenommen wurde, weil "körperliche und seelische Krankheiten insbesondere bei mehrfach behinderten Patienten oft so eng miteinander verzahnt sind, dass eine Erkennung, Heilung oder Linderung nur unter einem Gesichtspunkt nicht möglich ist" (BT-Drucks. 15/350 S. 16; Wolters aaO § 174c Rn. 7 f. nimmt deshalb trotz Einverständnisses des Opfers einen Missbrauch stets an, wenn zumindest auch ein psychischer Defekt beim Opfer vorliegt).
35
cc) Der Schutzzweck des § 174c Abs. 1 StGB gebietet es ebenfalls nicht, allein aufgrund des Einvernehmens des Opfers mit der sexuellen Handlung die Straflosigkeit des Täters anzunehmen.
36
Dabei kann dahinstehen, ob eine Zustimmung des Patienten schon deshalb unbeachtlich ist, weil § 174c StGB auch zur Einhaltung von Berufspflichten anhalten soll, also das Interesse der Allgemeinheit an einer sachgerechten Behandlung sowie das Vertrauen in die Lauterkeit einer Berufsgruppe schützt, und schon deshalb für den Einzelnen nicht disponibel ist (vgl. Frommel aaO § 174c Rn. 10; Zauner aaO S. 37, 112, 140; zu diesem Schutzzweck auch OLG Karlsruhe aaO; Perron/Eisele aaO § 174c Rn. 1; Laubenthal aaO Rn. 269; aA Renzikowski, NStZ 2010, 694, 695; Bungart aaO S. 216).
37
Auch der von § 174c StGB jedenfalls vorrangig bezweckte Schutz der Selbstbestimmung des Opfers steht bei dessen Einvernehmen mit der sexuellen Handlung der Strafbarkeit des Täters nicht von vorneherein entgegen. Denn der Gesetzgeber hat in den §§ 174 ff. StGB gerade nicht eine allein gegen den Willen oder ohne Einverständnis des Opfers an ihm vorgenommene sexuelle Handlung unter Strafe gestellt, sondern hat hierbei auf - im Wesentlichen äuße- re - Umstände abgestellt, bei deren Vorliegen er ersichtlich davon ausging, es liege selbst bei einer Zustimmung des Opfers keine selbstbestimmte und autonome Entscheidung, sondern ein strafwürdiges und strafbares Verhalten des Täters vor (vgl. BT-Drucks. VI/3521 S. 18 f.; Fischer, ZStW 112 [2000], S. 75, 90 f.). Auch bei § 174c StGB kam es dem Gesetzgeber - wie oben ausgeführt - dementsprechend darauf an, sexuelle Kontakte in Beratungs-, Behandlungsund Betreuungsverhältnissen als missbräuchlich auszuschließen, weil er die freie Selbstbestimmung in dem maßgeblich vom Täter beeinflussten Vertrauens - und Abhängigkeitsverhältnis des Kranken oder Behinderten und seiner sich daraus ergebenden Schutz- und Hilfsbedürftigkeit generell als beeinträchtigt ansah (vgl. dazu auch BT-Drucks. 13/8267 S. 4 sowie Fischer aaO S. 93).
38
b) Auf dieser Grundlage fehlt es an einem Missbrauch im Sinne des § 174c Abs. 1 StGB (lediglich) dann, wenn der Täter im konkreten Fall nicht eine aufgrund des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses bestehende Autoritäts- oder Vertrauensstellung gegenüber dem Opfer zur Vornahme der sexuellen Handlung ausgenutzt hat (vgl. auch BGH, Urteil vom 4. April 1979 - 3 StR 98/79, BGHSt 28, 365, 367 [zu § 174 StGB]; Beschlüsse vom 29. September 1998 - 4 StR 324/98, NStZ 1999, 29 f.; vom 25. Februar 1999 - 4 StR 23/99, NStZ 1999, 349 [beide zu § 174a StGB]). Der Tatrichter muss daher für eine Verurteilung nach dieser Vorschrift zwar nicht (positiv) feststellen, dass das Opfer im konkreten Tatzeitpunkt vom Angeklagten abhängig war oder dass der Täter eine Hilflosigkeit oder die Bedürftigkeit des Opfers ausgenutzt hat (so ausdrücklich BT-Drucks. 13/8267 S. 7; vgl. ferner OLG Karlsruhe aaO). Auch kann er im Regelfall davon ausgehen, dass bei sexuellen Handlungen in einem Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis dessen Missbrauch vorliegt (vgl. dazu etwa BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2008 - 2 StR 385/08, NStZ-RR 2009, 14, 15). Liegen aber Hinweise dafür vor, dass der Angeklagte ausnahmsweise nicht seine auf das Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis gegründete Vertrauensstellung zur Vornahme der sexuellen Handlung ausgenutzt hat, so muss er diesen Hinweisen nachgehen und im Falle einer Verurteilung darlegen, dass ein solches Ausnutzen in dem von ihm zu beurteilenden Fall gegeben war (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2008 - 3 StR 88/08, NStZ 2009, 324, 325).
39
Ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung der den jeweiligen Einzelfall kennzeichnenden Umstände festzustellen (vgl. hierzu auch OLG Karlsruhe aaO; Bungart aaO S. 221 f.; zu § 174a StGB ferner BGH, Beschlüsse vom 29. September 1998 - 4 StR 324/98, NStZ 1999, 29; vom 25. Februar 1999 - 4 StR 23/99, NStZ 1999, 349). Hierfür ist eine vom Opfer dem Täter gegenüber zum Ausdruck gebrachte Zustimmung zu der sexuellen Handlung eine gewichtige, regelmäßig sogar unerlässliche Voraussetzung , sofern sie nicht - wie etwa bei nahe an die Widerstandsunfähigkeit im Sinn des § 179 StGB heranreichenden krankheits- oder behandlungsbedingten Zuständen - von vorneherein als zu beachtende Willenserklärung ausscheidet (vgl. Hörnle aaO § 174c Rn. 2, 4, 23 mwN). Jedoch genügt ein Einverständnis allein - wie oben ausgeführt - nicht, um einen Missbrauch auszuschließen. Vielmehr müssen weitere Umstände hinzukommen, aufgrund derer davon auszugehen ist, dass eine aufgrund des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses regelmäßig gegebene Vertrauensbeziehung entweder tatsächlich nicht bestand oder für die Hinnahme der sexuellen Handlung ohne Bedeutung war (vgl. auch BT-Drucks. VI/3521 S. 26, 27 [zu § 174a StGB]; BGH, Beschluss vom 25. Februar 1999 - 4 StR 23/99, NStZ 1999, 349 [zu § 174a StGB]).
40
Solche besonderen Umstände können etwa vorliegen bei einvernehmlichen sexuellen Handlungen des Ehepartners oder Lebensgefährten während eines Betreuungsverhältnisses oder bei einer von dem Beratungs-, Behandlungs - oder Betreuungsverhältnis unabhängigen "Liebesbeziehung" und in deren Folge nur gelegentlich der Behandlung oder nach deren Abschluss vorgenommenen sexuellen Handlung (vgl. BT-Drucks. VI/3521 S. 22 [zu § 174 StGB]; BGH, Beschluss vom 25. Februar 1999 - 4 StR 23/99, NStZ 1999, 349 [zu § 174a StGB]; Renzikowski aaO § 174c Rn. 28; Perron/Eisele aaO § 174c Rn. 6; Lackner/Kühl aaO § 174c Rn. 5; Bungart aaO S. 222; dazu aber auch BT-Drucks. VI/3521 S. 26; OLG Karlsruhe aaO). Hat der Täter dagegen beispielsweise vorgegeben, die sexuelle Handlung sei medizinisch notwendig oder Teil der Therapie (OLG Karlsruhe aaO; Hörnle aaO § 174c Rn. 23; Fischer aaO § 174c Rn. 10a; Wolters aaO § 174c Rn. 8; Renzikowski aaO § 174c Rn. 25, 28) bzw. hat er gar behandlungsbezogene Nachteile beim Zurückweisen seines Ansinnens in den Raum gestellt (Wolters aaO § 174c Rn. 8; Hörnle aaO § 174c Rn. 23) oder hat er eine schutzlose Lage des Opfers - etwa die einer auf seine Aufforderung hin unnötig vollständig entkleideten Frau - zur Vornahme der sexuellen Handlung ausgenutzt (vgl. Hörnle aaO § 174c Rn. 23), so liegt ein Missbrauch im Sinne des § 174c Abs. 1 StGB auch dann vor, wenn das Opfer mit dem Sexualkontakt einverstanden war.
41
c) Auf dieser Grundlage können die allein auf das Einvernehmen der Zeugin N. mit den sexuellen Handlungen gestützten Freisprüche des Angeklagten in den Fällen 9 bis 14 der Anklage keinen Bestand haben. Vielmehr legen die von der Strafkammer getroffenen Feststellungen nahe, dass ein Missbrauch des Behandlungsverhältnisses schon deshalb vorliegt, weil der Angeklagte nicht nur das diesem regelmäßig innewohnende Vertrauen der Patientin ausgenutzt, sondern er ihr gegenüber - wie sich insbesondere aus der auf UA 26 wiedergegebenen Aussage der Zeugin ergibt - ersichtlich den Eindruck erweckt hat, die sexuellen Handlungen seien Teil der Therapie.
42
2. Infolge der Teilaufhebung des angefochtenen Urteils ist die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Kostenentscheidung in dem landgerichtlichen Urteil gegenstandslos. Ihre sofortige Beschwerde gegen eine Entscheidung nach dem Strafrechtsentschädigungsgesetz ist dagegen nicht statthaft und daher unzulässig, da eine solche Entscheidung von der Strafkammer nicht getroffen wurde, die Staatsanwaltschaft aber ersichtlich nicht dieses Unterlassen angreifen will.

IV.


43
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
44
Die Strafkammer hat von der Anordnung eines Berufsverbots mit einer in der Revision nicht zu beanstandenden Begründung abgesehen. Denn der Gesetzgeber hat dem Tatrichter für diese Entscheidung bewusst einen weiten Ermessensspielraum eingeräumt (BGH, Urteile vom 20. Januar 2004 - 1 StR 319/03, und vom 7. November 2007 - 1 StR 164/07, wistra 2008, 58, 60), den das Landgericht nicht überschritten hat (vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 2009 - 5 StR 248/09, NStZ 2010, 170, 171).
45
Sollte sich indes im Rahmen der neuen Hauptverhandlung ergeben, dass der Angeklagte in größerem Umfang als bisher abgeurteilt seinen Beruf bewusst und planmäßig zu einer Vielzahl sexueller Übergriffe auf Patientinnen missbraucht hat, so kann dem auch für die Gefährlichkeitsprognose Bedeutung zukommen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 2004 - 1 StR 319/03 mwN). Zuläs- siges Verteidigungsverhalten, wie etwa fehlende Einsicht, dürfte dabei indes nicht berücksichtigt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Februar 2001 - 5 StR 544/00, wistra 2011, 220). Sollte die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer gegen den Angeklagten ein Berufsverbot verhängen, wird sie bei der Bestimmung dessen Umfangs zu berücksichtigen haben, ob der Gefährlichkeit des Angeklagten dadurch hinreichend vorgebeugt werden kann, dass ihm beispielsweise lediglich die Behandlung weiblicher Patienten untersagt wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Januar 2003 - 3 StR 454/02, StV 2004, 653 m.Anm. Kugler; vom 8. Mai 2008 - 3 StR 122/08).
Ernemann Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Bender

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 133/16
vom
2. Mai 2016
in der Strafsache
gegen
wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines
Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses
ECLI:DE:BGH:2016:020516B4STR133.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführerin und des Generalbundesanwalts am 2. Mai 2016 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Bochum vom 1. September 2015 wird als unbegründet verworfen. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses freigesprochen; wegen der Verletzung eines Privatgeheimnisses hat es ihn verwarnt und die Verurteilung zu einer Geldstrafe vorbehalten. Gegen den Freispruch wendet sich die Revision der Nebenklägerin mit der Sachrüge. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
2
1. Die Strafkammer hat insoweit im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
3
Der Angeklagte ist Diplom-Psychologe und war in Bochum in einer auf Autismuserkrankungen spezialisierten Praxis tätig. Ab September 2013 nahm die damals zwölfjährige Tochter der Nebenklägerin, die an einer autistischen Störung leidet, wöchentlich zwei Förderstunden bei dem Angeklagten und des- sen Kollegen wahr. Parallel hierzu fanden einmal monatlich „Bezugspersonengespräche“ statt, in deren Rahmen der Angeklagte der Nebenklägerin und ihrem anfangs ebenfalls anwesenden Ehemann über den Verlauf der Therapiegespräche berichtete. Auch diese Gespräche rechnete der Angeklagte mit der Krankenkasse ab.
4
Bei dem Erstgespräch hatte die Nebenklägerin dem Angeklagten mitgeteilt , dass sie auch selbst an einer leichten Form des Asperger-Syndroms leide, und sich nach Therapieangeboten für Erwachsene erkundigt. Die Aufnahme einer Therapie seitens der Nebenklägerin hat das Landgericht indes nicht festgestellt. Bei einem Bezugspersonengespräch berichtete die Nebenklägerin dem Angeklagten, dass sie beabsichtige, ein Informationsblatt für Jugendliche mit der Diagnose Asperger-Syndrom zu erstellen. Hierbei unterstützte der Angeklagte die Nebenklägerin und es kam in diesem Zusammenhang zu nahezu wöchentlichen Treffen, um gemeinsam an dem Text für die Broschüre zu arbeiten. Bei einem dieser Treffen berichtete die Nebenklägerin dem Angeklagten, dass sie häufig Schwierigkeiten habe, Augenkontakt zu halten. Der Angeklagte riet ihr, zu versuchen, ihren Blick stattdessen auf die Stirn ihres Gegenübers zu richten.
5
Der Kontakt zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin wurde immer enger und es entwickelte sich schließlich aus beider Sicht ein Liebesverhältnis. Ab März 2014 kam es einvernehmlich zu Zungenküssen und intimen Berührungen zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin. Nachdem der Ehemann der Nebenklägerin im Juni 2014 von dem Verhältnis erfahren hatte, beendete der Angeklagte den Kontakt.
6
2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen ist das Landgericht rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des § 174c Abs. 1 StGB nicht vorliegen. Die Nebenklägerin war dem Angeklagten, als es zu den sexuellen Handlungen kam, nicht wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut.
7
Zwar setzt ein Anvertrautsein im Sinne des § 174c Abs. 1 StGB das Zustandekommen einer rechtsgeschäftlichen Beziehung zwischen Täter und Opfer nicht voraus. Es kommt auch nicht darauf an, ob das Verhältnis auf Initiative des Patienten, Täters oder eines Dritten begründet wurde. Ohne Belang ist zudem , ob tatsächlich eine behandlungsbedürftige Krankheit oder eine Behinderung vorliegt, sofern nur die betroffene Person subjektiv eine Behandlungsoder Beratungsbedürftigkeit empfindet. Das Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis muss auch nicht von einer solchen – zumindest beabsichtigten – Intensität und Dauer sein, dass eine Abhängigkeit entstehen kann, die es dem Opfer zusätzlich, d.h. über die mit einem derartigen Verhältnis allgemein verbundene Unterordnung unter die Autorität des Täters und die damit einhergehende psychische Hemmung hinaus, erschwert, einen Abwehrwillen gegenüber dem Täter zu entwickeln und zu betätigen. Es ist ausreichend, wenn das Opfer eine fürsorgerische Tätigkeit des Täters entgegennimmt (BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 – 3 StR 318/11, NStZ 2012, 440 f.).
8
a) Eine solche fürsorgerische Tätigkeit hat der Angeklagte in Bezug auf eine objektiv vorliegende oder von der Nebenklägerin zumindest so empfundene Behandlungsbedürftigkeit ihres eigenen Asperger-Syndroms nicht entfaltet. Nach den Feststellungen ging die Nebenklägerin bei den Begegnungen mit dem Angeklagten hiervon auch nicht aus. Weder die bloße Erkundigung nach Therapieangeboten noch der freundschaftliche Ratschlag betreffend die Schwierigkeiten beim Augenkontakt reichen aus, ein Anvertrautsein in diesem Sinne zu begründen. Erst recht gilt dies für die Unterstützung der Nebenklägerin bei ihrem ehrenamtlichen Engagement.
9
b) Die Nebenklägerin war dem Angeklagten aber auch nicht deshalb wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung zur Beratung anvertraut im Sinne des § 174c Abs. 1 StGB, weil ihr der Angeklagte im Rahmen sog. Bezugspersonengespräche regelmäßig über den Verlauf der Therapie ihrer Tochter berichtete. Diese Gespräche dienten lediglich der Information der Eltern der Patientin und werden von § 174c StGB tatbestandlich nicht erfasst.
10
aa) Schon seinemWortlaut nach erstreckt sich der Schutz des § 174c StGB nicht auf bloße Informationsgespräche mit einem Dritten über den Behandlungsverlauf eines Patienten. Denn die Vorschrift setzt voraus, dass das Opfer dem Täter wegen einer Krankheit oder Behinderung zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut ist. Somit ist tatbestandlich nicht erfasst, wer sich aus einem anderen Grund als einer eigenen Krankheit oder Behinderung beraten oder betreuen lässt (vgl. Senat, Urteil vom 14. April 2011 – 4 StR 669/10, StV 2012, 663, 664 f.). So liegt der Fall hier, da die Nebenklägerin lediglich Informationen über die Behandlung ihrer Tochter entgegennahm. Offen bleiben kann, ob Familienangehörige eines Erkrankten oder Behinderten einem Psychologen oder Arzt dann selbst zur Behandlung bzw. Beratung im Sinne des § 174c Abs. 1 StGB anvertraut sind, wenn sie an einer Gruppen- oder Familientherapie teilnehmen. Nach den Feststellungen hatten die Bezugspersonengespräche jedenfalls keinen therapeutischen Hintergrund, sondern dienten allein der Information.
11
bb) Der Schutzzweck des § 174c Abs. 1 StGB gebietet es auch nicht, den Anwendungsbereich der Vorschrift auf Fälle zu erstrecken, in denen ein Arzt oder Psychologe, der einen minderjährigen Patienten behandelt und die Erziehungsberechtigten über den Therapiefortgang informiert, mit einem Elternteil ein einverständliches sexuelles Verhältnis eingeht.
12
Die Vorschrift dient dem strafrechtlichen Schutz solcher Menschen vor sexuellen Übergriffen, die aufgrund ihrer generellen geistigen oder seelischen Verfassung unter Umständen nur in beschränktem Maße zur Entwicklung oder Betätigung eines Abwehrwillens imstande sind (BT-Drucks. 13/8267, S. 4). Psychisch Kranke oder geistig oder seelisch Behinderte sollen wegen ihrer gesteigerten Schutzbedürftigkeit vor sexuellen Übergriffen im Rahmen von Beratungs -, Behandlungs- und Betreuungsverhältnissen geschützt werden (BTDrucks. 13/8267, S. 6 f.). Die Vorschrift zielt danach auf den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung des aufgrund seiner Erkrankung oder Behinderung nur eingeschränkt abwehrfähigen Patienten ab. Vor dem Hintergrund der innerhalb von Beratungs-, Behandlungs- und Betreuungsverhältnissen typischerweise bestehenden Vertrauens- und Abhängigkeitsbeziehung (vgl. Senat, Urteil vom 14. April 2011 – 4 StR 669/10, StV 2012, 663, 665) soll ein Missbrauch derselben auch durch einvernehmliche sexuelle Handlungen verhindert werden (BT-Drucks. 13/8267, S. 6 f.; BT-Drucks. 15/350, S. 16). Eine solche gesteigerte Schutzbedürftigkeit liegt bei Eltern minderjähriger, geistig oder seelisch kran- ker oder behinderter Patienten, sofern sie – wie hier – nur informiert werden und nicht selbst in den Therapieverlauf eingebunden sind, nicht vor.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Bender

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 669/10
vom
14. April 2011
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
1. Einer Strafbarkeit wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs
-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses nach § 174c Abs. 1
StGB steht allein das Einvernehmen des Opfers mit der vom Täter vorgenommenen
sexuellen Handlung nicht entgegen.
2. An einem Missbrauch im Sinne dieser Vorschrift fehlt es ausnahmsweise
dann, wenn der Täter im konkreten Fall nicht eine aufgrund des Beratungs-,
Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses bestehende Autoritäts- oder Ver-
trauensstellung gegenüber dem Opfer zur Vornahme der sexuellen Handlung
ausnutzt.
BGH, Urteil vom 14. April 2011 – 4 StR 669/10 – LG Münster
wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses
u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. April
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
die Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Mutzbauer,
Bender,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin Rosa Geppert aus Münster
als Nebenkläger-Vertreterin für Doris N. aus Nottuln,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 29. April 2010 mit den Feststellungen aufgehoben ,
a) soweit der Angeklagte in den Fällen II.5.c und II.5.d der Urteilsgründe jeweils wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses verurteilt wurde ,
b) im Ausspruch über die im Fall II.2. der Urteilsgründe verhängte Einzel- sowie die Gesamtstrafe. 2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen. 3. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte in den Fällen 9 bis 14 der Anklage (Fälle II.4.c, II.4.d und II.4.e der Urteilsgründe) freigesprochen wurde,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe und
c) soweit gegen den Angeklagten kein Berufsverbot verhängt wurde. 4. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen einen "Ausspruch über die Zuerkennung einer Entschädigung gemäß § 8 Abs. 3 StrEG" wird als unzulässig verworfen. Insofern trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten.
5. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die weiteren Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses in drei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und bestimmt, dass drei Monate der Freiheitsstrafe als vollstreckt gelten. Ferner hat es das Verfahren hinsichtlich zweier Tatvorwürfe eingestellt und den Angeklagten im Übrigen freigesprochen. Gegen seine Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit zwei Verfahrensrügen, zudem beanstandet er die Anwendung des sachlichen Rechts. Die Staatsanwaltschaft hat ihre zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte, auf die Sachrüge gestützte Revision auf den Freispruch des Angeklagten in den Fällen 9 bis 14 der Anklage sowie die Nicht-Anordnung eines Berufsverbots beschränkt. Zudem hat sie gegen die Kostenentscheidung und eine Entscheidung nach dem Strafrechtsentschädigungsgesetz sofortige Beschwerde einlegt. Die Revisionen haben in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Die sofortigen Beschwerden der Staatsanwaltschaft sind gegenstandslos bzw. unzulässig.

I.


2
Soweit der Angeklagte verurteilt wurde und hinsichtlich der Freisprüche in den Fällen 9 bis 14 der Anklage hat das Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
Der 57jährige Angeklagte schloss 1996 eine Ausbildung zum Heilpraktiker ab und erhielt im selben Jahr die Erlaubnis, "die Heilkunde auszuüben, ohne über eine ärztliche Approbation zu verfügen". Den Beruf übte er in der Folgezeit aus. Bis zum Jahr 2002 absolvierte er ferner eine Ausbildung zum Osteopathen. Heute bezeichnet sich der Angeklagte zudem als Schamane.
4
1. Am 29. Januar 2004 begab sich die Zeugin F. erstmals zum Angeklagten. Grund hierfür war ihr - auch nach Aufsuchen von "Schulmedizinern" und eines Heilpraktikers - unerfüllt gebliebener Kinderwunsch; sie sah eine Behandlung durch den Angeklagten als den "letzten Versuch" an, ihren Wunsch zu erfüllen. Der Angeklagte "behandelte" die Zeugin bis zum 8. Juli 2004 an insgesamt neun Tagen, wobei er bis zum Juni 2004 mit ihrer Zustimmung unter anderem mindestens drei Mal ein "Vaginaltouché" durchführte. Hierbei handelt es sich um eine - wie bei der Osteopathie im Allgemeinen - in Deutschland nicht anerkannte "Behandlung" durch eine "Mobilisierung" des "Vaginalraumes" unter anderem durch das Einführen eines oder mehrerer Finger in die Scheide der Patientin. Bei einer Gelegenheit versuchte der Angeklagte zudem, mit seiner Zunge in den Mund der Zeugin einzudringen. Am 7. Juni sowie am 8. Juli 2004 wollte der Angeklagte ferner den Oralverkehr von der Zeugin an sich vornehmen lassen. Hierzu führte er sein Glied an den Mund der unbekleideten, auf Anweisung des Angeklagten mit geschlossenen Augen auf der Liege des Behandlungsraums liegenden Zeugi n heran, wobei er jeweils ihre Lippen berührte. Zu einem Eindringen kam es jedoch nicht, weil die Zeugin, die mit einem Oralverkehr nicht einverstanden war, ihren Kopf zur Seite drehte.
5
Beide Fälle des versuchten Oralverkehrs (Fälle II.5.c und II.5.d der Urteilsgründe ) bewertete die Kammer als sexuellen Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses und verhängte hierfür jeweils Freiheitsstrafen von zehn Monaten. Von den weiteren Anklagevorwürfen zum Nachteil dieser Zeugin sprach die Strafkammer - insofern unbeanstandet durch die Staatsanwaltschaft - den Angeklagten frei, weil es sich nicht um sexuelle Handlungen gehandelt habe.
6
2. Am 26. Oktober 2004 begab sich die Zeugin M. auf Empfehlung ihrer Hausärztin in die Praxis des Angeklagten, um ihre Migräne behandeln zu lassen. Auf Geheiß des Angeklagten entkleidete sich die Zeugin vollständig und wurde vom Angeklagten etwa 40 Minuten lang "behandelt", unter anderem blies er ihr in Nase, Ohren und Mund, schnippte mit den Fingern und schlug ihr mit der Faust auf den Brustkorb. Zudem biss der Angeklagte der Zeugin "völlig unerwartet und für sie sehr schmerzhaft in deren unbekleidete linke Brust, so dass die Zeugin vor Schmerzen aufschrie".
7
Die Strafkammer bewertete den Biss in die Brust der Zeugin (Fall II.2. der Urteilsgründe) als sexuellen Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses in Tateinheit mit Körperverletzung und verhängte hierfür eine Einzelfreiheitsstrafe von vier Monaten.
8
3. In den angeklagten Fällen 9 bis 14 (Fälle II.4.c, II.4.d und II.4.e der Urteilsgründe ) "behandelte" der Angeklagte ab dem 4. Januar 2004 die Zeugin N. , die wegen starker Rückenschmerzen zum Angeklagten gekommen war.
Während der "Behandlung" der jeweils vollständig entkleideten Zeugin nahm der Angeklagte unter anderem "Vaginaltouchés" vor und veranlasste die Zeugin - ebenfalls mit ihrer Zustimmung - mehrmals dazu, an ihm den Oralverkehr durchzuführen (insofern wurde der Angeklagte - soweit die Taten von der zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage erfasst waren - freigesprochen und das Urteil von der Staatsanwaltschaft nicht angegriffen).
9
Am 22. Juli 2004 (Fall 9 der Anklage = Fall II.4.c der Urteilsgründe) entkleidete sich auch der Angeklagte vollständig und vollzog - ohne Kondom - mit der Zeugin den Geschlechtsverkehr. Die Zeugin war hiermit einverstanden und fühlte sich "geborgen und ganz entspannt".
10
Nach der zugelassenen Anklage kam es zwischen September 2004 und Januar 2005 in mindestens vier weiteren Fällen zum Geschlechtsverkehr zwischen dem Angeklagten und der Zeugin (Fälle 10 bis 13); nach den Feststellungen der Strafkammer führten der Angeklagte und die Zeugin den einvernehmlichen Geschlechtsverkehr in diesem Zeitraum zwei Mal durch (bei zwei der Behandlungen am 16. September, 28. Oktober und/oder 9. Dezember 2004 = Fälle II. 4.d der Urteilsgründe).
11
Ferner kam es am 3. Februar 2005 erneut zum Geschlechtsverkehr zwischen dem Angeklagten und der Zeugin (Fall 14 der Anklage = Fall II.4.e der Urteilsgründe). Auch mit diesem war die Zeugin einverstanden; sie empfand indes hierbei "nicht mehr die schönen und positiven Gefühle" wie zuvor.
12
Wegen dieser Taten sprach die Strafkammer den Angeklagten aufgrund des Einverständnisses der Zeugin vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses frei.

II.


13
Revision des Angeklagten
14
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg, soweit er seine Verurteilung in den Fällen II.5.c und II.5.d der Urteilsgründe angreift. Im Fall II.2. der Urteilsgründe hat der Strafausspruch keinen Bestand. Dies hat die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe zur Folge.
15
1. In den Fällen II.5.c und II.5.d der Urteilsgründe begegnet schon der Schuldspruch durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
16
a) Eine Verurteilung nach § 174c Abs. 1 StGB erfordert, dass sich das Opfer dem Täter wegen einer Krankheit oder Behinderung zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut hat. Dies hat das Landgericht nicht (hinreichend ) festgestellt.
17
Nach den Feststellungen suchte die Zeugin den Angeklagten "wegen eines seit langer Zeit bestehenden, aber unerfüllt gebliebenen Kinderwunsches" auf, nachdem "mehrfache schulmedizinische Versuche … und auch die Behandlung bei einem Heilpraktiker" erfolglos geblieben waren (UA 16). Ein unerfüllter Kinderwunsch ist für sich betrachtet indes keine Krankheit oder Behinderung (vgl. zum Sozialversicherungsrecht BVerfG, Urteil vom 28. Februar 2007 - 1 BvL 5/03, BVerfGE 117, 316, 325 f.; BSG, Urteil vom 17. Februar 2010 - B1 KR 10/09 R, NZS 2011, 20, 21; ferner BGH, Urteil vom 15. September 2010 - IV ZR 187/07, NJW-RR 2011, 111, 112 f.). Dabei bedarf keiner Entscheidung, ob der Begriff "Krankheit" über die Untersuchungen zur Erstellung einer (Erst-)Diagnose hinaus (vgl. BT-Drucks. 13/8267 Anlage 3) auch solche Fälle erfasst, in denen eine Person lediglich aufgrund eines eingebildeten Zustandes professionelle Hilfe aufsucht (so SSW-StGB/Wolters § 174c Rn. 3; Renzikowski , NStZ 2010, 694, 695; derselbe in MünchKomm StGB, § 174c Rn. 13 jeweils mwN; für nicht-körperliche Erkrankungen auch NK-StGB-Frommel, 3. Aufl., § 174c Rn. 9; aA Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 174c Rn. 2; ersichtlich auch Hörnle in LK, 12. Aufl., § 174c Rn. 5 ff.; vgl. auch BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2008 - 3 StR 88/08, NStZ 2009, 324, 325). Dass der unerfüllte Kinderwunsch seine Ursache zumindest in einer in diesem Sinne zu verstehenden , vom Angeklagten an der Zeugin behandelten geistigen, seelischen oder körperlichen Beeinträchtigung hatte, hat die Kammer nicht festgestellt und auch nicht erörtert.
18
Soweit die Strafkammer beiläufig mitteilt, dass die Zeugin dem Angeklagten während der "Anamnese" von einem Myom im Unterleib berichtet und der Angeklagte erklärt habe, "dass man das beheben könne" (UA 17), ergibt sich aus den Feststellungen - auch im Gesamtzusammenhang - nicht, dass die nachfolgende "Behandlung" auf eine Beseitigung dieses Myoms gerichtet war. Vielmehr legen die Urteilsausführungen (z.B. UA 19 oben) nahe, dass sich die Zeugin der "Behandlung" durch den Angeklagten allein deshalb anvertraut und unterzogen hat, weil sie dies als den "letzten Versuch, den Kinderwunsch zu erfüllen", angesehen hatte.
19
b) Eine psychotherapeutische Behandlung im Sinne des § 174c Abs. 2 StGB, der nach seinem Wortlaut keine Krankheit oder Behinderung voraussetzt (vgl. dazu auch BT-Drucks. 13/8267 S. 7; Zauner, Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses, § 174c StGB, Diss. Tübingen, 2004, S. 15 ff.), hat der Angeklagte nach den Feststellungen der Strafkammer bei der Zeugin nicht vorgenommen. Einer Ver- urteilung nach dieser Vorschrift stünde zudem die Rechtsprechung des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs entgegen, wonach Täter insofern nur sein kann, wer zum Führen der Bezeichnung "Psychotherapeut" berechtigt ist (Beschluss vom 29. September 2009 - 1 StR 426/09, BGHSt 54, 169, 171 mit ablehnender Anmerkung Renzikowski, NStZ 2010, 694, 695).
20
2. Im Fall II.2. der Urteilsgründe hat der Strafausspruch keinen Bestand.
21
Die Verhängung einer Freiheitsstrafe von unter sechs Monaten Dauer erfordert sowohl nach § 47 Abs. 1 StGB als auch nach dessen hier anzuwendendem Absatz 2, dass die Freiheitsstrafe unerlässlich ist, sie sich also aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist. Ob dies der Fall ist, hat die Strafkammer ersichtlich deshalb unerörtert gelassen, weil sie dem Angeklagten - was auch bei der ersten abgeurteilten Tat Berücksichtigung finden kann (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 2001 - 4 StR 104/01, DAR 2001, 513, 514) - eine eng zusammenhängende Serie von Straftaten anlastet, die schon ohne nähere Darlegung ein Bedürfnis nach Einwirkung auf den - wenn auch nicht vorbestraften - Täter deutlich zutage treten lässt (vgl. BGH, Urteil vom 8. April 2004 - 3 StR 465/03, NStZ 2004, 554 mwN). Dieser Wertung ist indes infolge der Aufhebung der Verurteilung in den Fällen II.5.c und II.5.d der Urteilsgründe die tatsächliche Grundlage entzogen.
22
3. Im Übrigen hat die Revision des Angeklagten dagegen keinen Erfolg.
23
Die von ihm erhobenen Verfahrensrügen sind aus den vom Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 22. Dezember 2010 dargelegten Gründen unbegründet bzw. unzulässig. Der Schuldspruch im Fall II.2. der Urteilsgründe begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die Bewertung des Bisses in die Brust der - für die Behandlung einer Migräne - auf Geheiß des Angeklagten vollständig entkleideten Zeugin als sexuelle Handlung lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2005 - 4 StR 9/05, in StV 2005, 439 unvollständig abgedruckt; Laubenthal, Sexualstraftaten, 2000, Rn. 71 mwN). Den Ausführungen des Urteils ist ferner jedenfalls im Gesamtzusammenhang zu entnehmen, dass sich der Vorsatz des Angeklagten auf die Vornahme einer sexuellen Handlung bezogen hat. Eine Einwilligung gemäß § 228 StGB in die vorsätzliche Körperverletzung oder auch die sexuelle Handlung wurde von der durch die "Behandlung" völlig überraschten Patientin nicht erteilt.

III.


24
Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft
25
1. Die Revision der Staatsanwalt hat in vollem Umfang Erfolg.
26
Das Landgericht ist bei den Freisprüchen in den Fällen 9 bis 14 der Anklage (Fälle II.4.c, II.4.d und II.4.e der Urteilsgründe) zu Unrecht davon ausgegangen , dass eine Verurteilung des Angeklagten nach § 174c Abs. 1 StGB schon deshalb ausscheidet, weil die Zeugin N. mit den vom Angeklagten vorgenommenen sexuellen Handlungen einverstanden war.
27
a) Einer Strafbarkeit wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses nach § 174c Abs. 1 StGB steht allein das Einvernehmen des Opfers mit der vom Täter vorgenommenen sexuellen Handlung nicht entgegen. Ein solches Einvernehmen schließt weder als Einverständnis den Tatbestand noch als Einwilligung die Rechtswidrigkeit der Tat aus.
28
aa) Dies belegt schon der Wille des Gesetzgebers.
29
Zur ursprünglichen Fassung von § 174c Abs. 1 StGB verweisen die Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 13/8267 S. 7) ausdrücklich darauf, dass eine Strafbarkeit des Täters nach dieser Vorschrift nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass das Opfer den sexuellen Handlungen zugestimmt hat; "denn wegen der Eigenart der tatbestandlich eingegrenzten Verhältnisse kann das Opfer regelmäßig nicht frei über sexuelle Kontakte zu der Autoritätsperson entscheiden". Zwar bezogen sich diese "tatbestandlich eingegrenzten Verhältnisse" nach der damals geltenden Gesetzesfassung auf Beratungs-, Behandlungsund Betreuungsverhältnisse mit Personen, die geistig oder seelisch erkrankt waren oder an entsprechenden Behinderungen litten. Der Gesetzgeber hatte aber schon damals die Einbeziehung körperlich erkrankter oder behinderter Opfer in den Straftatbestand erwogen, war aber zunächst - unter dem Vorbehalt einer Überprüfung aufgrund neuer Erkenntnisse - davon ausgegangen, dass bei körperlichen Leiden "eine tiefgreifende Einschränkung der freien Selbstbestimmung , wie sie bei geistig oder seelisch kranken oder behinderten Personen" vorliegt, in der Regel nicht gegeben ist (BT-Drucks. 13/8267 S. 6 und Anlagen 2 und 3; vgl. zu dem Vorschlag, auch körperliche Leiden einzubeziehen, insbesondere die Empfehlungen der Ausschüsse des Bundesrates, BRat-Drucks. 295/1/97 S. 3, und die Stellungnahme des Bundesrates, BRat-Drucks. 295/97 [Beschluss] S. 3; zur Gesetzesgeschichte auch Zauner aaO, S. 7 ff.; Bungart, Sexuelle Gewalt gegen behinderte Menschen, 2005, S. 41 ff., 65, 68).
30
Letztere Ansicht hat der Gesetzgeber bei der Einbeziehung körperlich kranker oder behinderter Menschen in den Anwendungsbereich des § 174c Abs. 1 StGB im Jahr 2003 aufgegeben, ohne hierbei seine Auffassung zur Unbeachtlichkeit einer Zustimmung des Opfers geändert zu haben. Denn "auch bei körperlichen Krankheiten oder Behinderungen [kann] zwischen Therapeuten und insbesondere mehrfach behinderten Patienten eine Abhängigkeit bestehen, die durch Überlegenheit des Therapeuten und besonderes Vertrauen des hilfesuchenden Patienten gekennzeichnet ist. Dieses Vertrauensverhältnis muss ebenso wie bei psychischen Krankheiten oder Behinderungen vor sexuellen Übergriffen geschützt werden" (BT-Drucks. 15/350 S. 16). Dem Gesetzgeber kam es mithin darauf an, sexuelle Kontakte in Beratungs-, Behandlungs- und Betreuungsverhältnissen generell und selbst bei einem Einverständnis des Patienten als missbräuchlich auszuschließen (Laubenthal aaO Rn. 276; Lackner/Kühl aaO § 174c Rn. 5; Wolters aaO § 174c Rn. 7).
31
bb) Auch nach dem Wortlaut von § 174c Abs. 1 StGB schließt ein bloßes Einverständnis des Opfers mit der sexuellen Handlung den Tatbestand dieser Strafvorschrift nicht aus.
32
§ 174c StGB erfordert - schon nach seinem Wortlaut - keine Nötigung des Opfers. Anknüpfungspunkt für einen tatbestandlichen Ausschluss der Strafbarkeit bei einvernehmlichen sexuellen Handlungen könnte daher allein der in § 174c Abs. 1 StGB geforderte "Missbrauch" sein (vgl. Renzikowski aaO § 174c Rn. 24 ff.; Hörnle aaO § 174c Rn. 22). Indes knüpft dieser "Missbrauch" an das Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis an; er ist auf den Täter bezogen und liegt vor, wenn dieser "die Gelegenheit, die seine durch das Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis begründete Vertrauensstellung bietet, unter Verletzung der damit verbundenen Pflichten bewusst zu sexuellen Kontakten mit den ihm anvertrauten Personen ausnutzt" (BT-Drucks. 13/8267 S. 7; ferner OLG Karlsruhe, Urteil vom 4. Juni 2009 - 3 Ss 113/08 mwN). Das erst während eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses erklärte Einvernehmen des Opfers mit der sexuellen Handlung ist aber für die Begründung des Vertrauensverhältnisses ohne Bedeutung, es setzt dieses - zumindest regelmäßig - vielmehr voraus (im Ergebnis ebenso OLG Karlsruhe aaO; Wolters aaO § 174c Rn. 7; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 174c Rn. 10; Zauner aaO S. 109 f., 111 f., 139 f.).
33
Auch bei § 174 Abs. 1 Nr. 2, § 174a Abs. 1, § 174b StGB, die ebenfalls sexuelle Handlungen in einem Obhutsverhältnis unter Strafe stellen und dabei an einen "Missbrauch" - aber nicht eine Nötigung - anknüpfen, wird allein dem Einverständnis des Opfers mit der sexuellen Handlung keine tatbestandsausschließende Wirkung beigemessen (vgl. BT-Drucks. VI/1552, S. 16; VI/3521 S. 20, 22 ff., 26, 28 f.; BGH, Urteile vom 8. Januar 1952 - 1 StR 561/51, BGHSt 2, 93, 94, und vom 4. April 1979 - 3 StR 98/79, BGHSt 28, 365, 367 f.; Fischer aaO § 174 Rn. 15, § 174a Rn. 10; Renzikowski aaO § 174a Rn. 17, § 174b Rn. 15 jeweils mwN).
34
Eine im Schrifttum teilweise vorgeschlagene Differenzierung zwischen geistigen (tatbestandsausschließendes Einverständnis nicht möglich) und körperlichen Krankheiten oder Behinderungen (bei denen ein tatbestandsausschließendes Einverständnis möglich sein soll; vgl. etwa Renzikowski aaO § 174c Rn. 27 f.; Sick/Renzikowski, Festschrift-Schroeder, 2006, S. 603, 610; Perron/Eisele in Schönke/Schröder, 28. Aufl., § 174c Rn.6) lässt sich auch unter dem Blickwinkel des Selbstbestimmungsrechts des Patienten in solch pauschaler Weise nicht rechtfertigen (vgl. auch Hörnle aaO § 174c Rn. 19 ff.) und würde schon deshalb weitere Probleme aufwerfen, weil die Einbeziehung kör- perlich erkrankter oder behinderter Personen in den Anwendungsbereich des § 174c Abs. 1 StGB gerade deshalb vorgenommen wurde, weil "körperliche und seelische Krankheiten insbesondere bei mehrfach behinderten Patienten oft so eng miteinander verzahnt sind, dass eine Erkennung, Heilung oder Linderung nur unter einem Gesichtspunkt nicht möglich ist" (BT-Drucks. 15/350 S. 16; Wolters aaO § 174c Rn. 7 f. nimmt deshalb trotz Einverständnisses des Opfers einen Missbrauch stets an, wenn zumindest auch ein psychischer Defekt beim Opfer vorliegt).
35
cc) Der Schutzzweck des § 174c Abs. 1 StGB gebietet es ebenfalls nicht, allein aufgrund des Einvernehmens des Opfers mit der sexuellen Handlung die Straflosigkeit des Täters anzunehmen.
36
Dabei kann dahinstehen, ob eine Zustimmung des Patienten schon deshalb unbeachtlich ist, weil § 174c StGB auch zur Einhaltung von Berufspflichten anhalten soll, also das Interesse der Allgemeinheit an einer sachgerechten Behandlung sowie das Vertrauen in die Lauterkeit einer Berufsgruppe schützt, und schon deshalb für den Einzelnen nicht disponibel ist (vgl. Frommel aaO § 174c Rn. 10; Zauner aaO S. 37, 112, 140; zu diesem Schutzzweck auch OLG Karlsruhe aaO; Perron/Eisele aaO § 174c Rn. 1; Laubenthal aaO Rn. 269; aA Renzikowski, NStZ 2010, 694, 695; Bungart aaO S. 216).
37
Auch der von § 174c StGB jedenfalls vorrangig bezweckte Schutz der Selbstbestimmung des Opfers steht bei dessen Einvernehmen mit der sexuellen Handlung der Strafbarkeit des Täters nicht von vorneherein entgegen. Denn der Gesetzgeber hat in den §§ 174 ff. StGB gerade nicht eine allein gegen den Willen oder ohne Einverständnis des Opfers an ihm vorgenommene sexuelle Handlung unter Strafe gestellt, sondern hat hierbei auf - im Wesentlichen äuße- re - Umstände abgestellt, bei deren Vorliegen er ersichtlich davon ausging, es liege selbst bei einer Zustimmung des Opfers keine selbstbestimmte und autonome Entscheidung, sondern ein strafwürdiges und strafbares Verhalten des Täters vor (vgl. BT-Drucks. VI/3521 S. 18 f.; Fischer, ZStW 112 [2000], S. 75, 90 f.). Auch bei § 174c StGB kam es dem Gesetzgeber - wie oben ausgeführt - dementsprechend darauf an, sexuelle Kontakte in Beratungs-, Behandlungsund Betreuungsverhältnissen als missbräuchlich auszuschließen, weil er die freie Selbstbestimmung in dem maßgeblich vom Täter beeinflussten Vertrauens - und Abhängigkeitsverhältnis des Kranken oder Behinderten und seiner sich daraus ergebenden Schutz- und Hilfsbedürftigkeit generell als beeinträchtigt ansah (vgl. dazu auch BT-Drucks. 13/8267 S. 4 sowie Fischer aaO S. 93).
38
b) Auf dieser Grundlage fehlt es an einem Missbrauch im Sinne des § 174c Abs. 1 StGB (lediglich) dann, wenn der Täter im konkreten Fall nicht eine aufgrund des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses bestehende Autoritäts- oder Vertrauensstellung gegenüber dem Opfer zur Vornahme der sexuellen Handlung ausgenutzt hat (vgl. auch BGH, Urteil vom 4. April 1979 - 3 StR 98/79, BGHSt 28, 365, 367 [zu § 174 StGB]; Beschlüsse vom 29. September 1998 - 4 StR 324/98, NStZ 1999, 29 f.; vom 25. Februar 1999 - 4 StR 23/99, NStZ 1999, 349 [beide zu § 174a StGB]). Der Tatrichter muss daher für eine Verurteilung nach dieser Vorschrift zwar nicht (positiv) feststellen, dass das Opfer im konkreten Tatzeitpunkt vom Angeklagten abhängig war oder dass der Täter eine Hilflosigkeit oder die Bedürftigkeit des Opfers ausgenutzt hat (so ausdrücklich BT-Drucks. 13/8267 S. 7; vgl. ferner OLG Karlsruhe aaO). Auch kann er im Regelfall davon ausgehen, dass bei sexuellen Handlungen in einem Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis dessen Missbrauch vorliegt (vgl. dazu etwa BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2008 - 2 StR 385/08, NStZ-RR 2009, 14, 15). Liegen aber Hinweise dafür vor, dass der Angeklagte ausnahmsweise nicht seine auf das Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis gegründete Vertrauensstellung zur Vornahme der sexuellen Handlung ausgenutzt hat, so muss er diesen Hinweisen nachgehen und im Falle einer Verurteilung darlegen, dass ein solches Ausnutzen in dem von ihm zu beurteilenden Fall gegeben war (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2008 - 3 StR 88/08, NStZ 2009, 324, 325).
39
Ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung der den jeweiligen Einzelfall kennzeichnenden Umstände festzustellen (vgl. hierzu auch OLG Karlsruhe aaO; Bungart aaO S. 221 f.; zu § 174a StGB ferner BGH, Beschlüsse vom 29. September 1998 - 4 StR 324/98, NStZ 1999, 29; vom 25. Februar 1999 - 4 StR 23/99, NStZ 1999, 349). Hierfür ist eine vom Opfer dem Täter gegenüber zum Ausdruck gebrachte Zustimmung zu der sexuellen Handlung eine gewichtige, regelmäßig sogar unerlässliche Voraussetzung , sofern sie nicht - wie etwa bei nahe an die Widerstandsunfähigkeit im Sinn des § 179 StGB heranreichenden krankheits- oder behandlungsbedingten Zuständen - von vorneherein als zu beachtende Willenserklärung ausscheidet (vgl. Hörnle aaO § 174c Rn. 2, 4, 23 mwN). Jedoch genügt ein Einverständnis allein - wie oben ausgeführt - nicht, um einen Missbrauch auszuschließen. Vielmehr müssen weitere Umstände hinzukommen, aufgrund derer davon auszugehen ist, dass eine aufgrund des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses regelmäßig gegebene Vertrauensbeziehung entweder tatsächlich nicht bestand oder für die Hinnahme der sexuellen Handlung ohne Bedeutung war (vgl. auch BT-Drucks. VI/3521 S. 26, 27 [zu § 174a StGB]; BGH, Beschluss vom 25. Februar 1999 - 4 StR 23/99, NStZ 1999, 349 [zu § 174a StGB]).
40
Solche besonderen Umstände können etwa vorliegen bei einvernehmlichen sexuellen Handlungen des Ehepartners oder Lebensgefährten während eines Betreuungsverhältnisses oder bei einer von dem Beratungs-, Behandlungs - oder Betreuungsverhältnis unabhängigen "Liebesbeziehung" und in deren Folge nur gelegentlich der Behandlung oder nach deren Abschluss vorgenommenen sexuellen Handlung (vgl. BT-Drucks. VI/3521 S. 22 [zu § 174 StGB]; BGH, Beschluss vom 25. Februar 1999 - 4 StR 23/99, NStZ 1999, 349 [zu § 174a StGB]; Renzikowski aaO § 174c Rn. 28; Perron/Eisele aaO § 174c Rn. 6; Lackner/Kühl aaO § 174c Rn. 5; Bungart aaO S. 222; dazu aber auch BT-Drucks. VI/3521 S. 26; OLG Karlsruhe aaO). Hat der Täter dagegen beispielsweise vorgegeben, die sexuelle Handlung sei medizinisch notwendig oder Teil der Therapie (OLG Karlsruhe aaO; Hörnle aaO § 174c Rn. 23; Fischer aaO § 174c Rn. 10a; Wolters aaO § 174c Rn. 8; Renzikowski aaO § 174c Rn. 25, 28) bzw. hat er gar behandlungsbezogene Nachteile beim Zurückweisen seines Ansinnens in den Raum gestellt (Wolters aaO § 174c Rn. 8; Hörnle aaO § 174c Rn. 23) oder hat er eine schutzlose Lage des Opfers - etwa die einer auf seine Aufforderung hin unnötig vollständig entkleideten Frau - zur Vornahme der sexuellen Handlung ausgenutzt (vgl. Hörnle aaO § 174c Rn. 23), so liegt ein Missbrauch im Sinne des § 174c Abs. 1 StGB auch dann vor, wenn das Opfer mit dem Sexualkontakt einverstanden war.
41
c) Auf dieser Grundlage können die allein auf das Einvernehmen der Zeugin N. mit den sexuellen Handlungen gestützten Freisprüche des Angeklagten in den Fällen 9 bis 14 der Anklage keinen Bestand haben. Vielmehr legen die von der Strafkammer getroffenen Feststellungen nahe, dass ein Missbrauch des Behandlungsverhältnisses schon deshalb vorliegt, weil der Angeklagte nicht nur das diesem regelmäßig innewohnende Vertrauen der Patientin ausgenutzt, sondern er ihr gegenüber - wie sich insbesondere aus der auf UA 26 wiedergegebenen Aussage der Zeugin ergibt - ersichtlich den Eindruck erweckt hat, die sexuellen Handlungen seien Teil der Therapie.
42
2. Infolge der Teilaufhebung des angefochtenen Urteils ist die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Kostenentscheidung in dem landgerichtlichen Urteil gegenstandslos. Ihre sofortige Beschwerde gegen eine Entscheidung nach dem Strafrechtsentschädigungsgesetz ist dagegen nicht statthaft und daher unzulässig, da eine solche Entscheidung von der Strafkammer nicht getroffen wurde, die Staatsanwaltschaft aber ersichtlich nicht dieses Unterlassen angreifen will.

IV.


43
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
44
Die Strafkammer hat von der Anordnung eines Berufsverbots mit einer in der Revision nicht zu beanstandenden Begründung abgesehen. Denn der Gesetzgeber hat dem Tatrichter für diese Entscheidung bewusst einen weiten Ermessensspielraum eingeräumt (BGH, Urteile vom 20. Januar 2004 - 1 StR 319/03, und vom 7. November 2007 - 1 StR 164/07, wistra 2008, 58, 60), den das Landgericht nicht überschritten hat (vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 2009 - 5 StR 248/09, NStZ 2010, 170, 171).
45
Sollte sich indes im Rahmen der neuen Hauptverhandlung ergeben, dass der Angeklagte in größerem Umfang als bisher abgeurteilt seinen Beruf bewusst und planmäßig zu einer Vielzahl sexueller Übergriffe auf Patientinnen missbraucht hat, so kann dem auch für die Gefährlichkeitsprognose Bedeutung zukommen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 2004 - 1 StR 319/03 mwN). Zuläs- siges Verteidigungsverhalten, wie etwa fehlende Einsicht, dürfte dabei indes nicht berücksichtigt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Februar 2001 - 5 StR 544/00, wistra 2011, 220). Sollte die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer gegen den Angeklagten ein Berufsverbot verhängen, wird sie bei der Bestimmung dessen Umfangs zu berücksichtigen haben, ob der Gefährlichkeit des Angeklagten dadurch hinreichend vorgebeugt werden kann, dass ihm beispielsweise lediglich die Behandlung weiblicher Patienten untersagt wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Januar 2003 - 3 StR 454/02, StV 2004, 653 m.Anm. Kugler; vom 8. Mai 2008 - 3 StR 122/08).
Ernemann Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Bender

(1) Wer sexuelle Handlungen

1.
an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist,
2.
an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm im Rahmen eines Ausbildungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist, unter Missbrauch einer mit dem Ausbildungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundenen Abhängigkeit oder
3.
an einer Person unter achtzehn Jahren, die sein leiblicher oder rechtlicher Abkömmling ist oder der seines Ehegatten, seines Lebenspartners oder einer Person, mit der er in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft lebt,
vornimmt oder an sich von dem Schutzbefohlenen vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Ebenso wird bestraft, wer unter den Voraussetzungen des Satzes 1 den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, dass er sexuelle Handlungen an oder vor einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt.

(2) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird eine Person bestraft, der in einer dazu bestimmten Einrichtung die Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung von Personen unter achtzehn Jahren anvertraut ist, und die sexuelle Handlungen

1.
an einer Person unter sechzehn Jahren, die zu dieser Einrichtung in einem Rechtsverhältnis steht, das ihrer Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung dient, vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt oder
2.
unter Ausnutzung ihrer Stellung an einer Person unter achtzehn Jahren, die zu dieser Einrichtung in einem Rechtsverhältnis steht, das ihrer Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung dient, vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt.
Ebenso wird bestraft, wer unter den Voraussetzungen des Satzes 1 den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, dass er sexuelle Handlungen an oder vor einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt.

(3) Wer unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 oder 2

1.
sexuelle Handlungen vor dem Schutzbefohlenen vornimmt, um sich oder den Schutzbefohlenen hierdurch sexuell zu erregen, oder
2.
den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, daß er sexuelle Handlungen vor ihm vornimmt,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(4) Der Versuch ist strafbar.

(5) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1, des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 oder des Absatzes 3 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 oder mit Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn das Unrecht der Tat gering ist.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 669/10
vom
14. April 2011
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
1. Einer Strafbarkeit wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs
-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses nach § 174c Abs. 1
StGB steht allein das Einvernehmen des Opfers mit der vom Täter vorgenommenen
sexuellen Handlung nicht entgegen.
2. An einem Missbrauch im Sinne dieser Vorschrift fehlt es ausnahmsweise
dann, wenn der Täter im konkreten Fall nicht eine aufgrund des Beratungs-,
Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses bestehende Autoritäts- oder Ver-
trauensstellung gegenüber dem Opfer zur Vornahme der sexuellen Handlung
ausnutzt.
BGH, Urteil vom 14. April 2011 – 4 StR 669/10 – LG Münster
wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses
u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. April
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
die Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Mutzbauer,
Bender,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin Rosa Geppert aus Münster
als Nebenkläger-Vertreterin für Doris N. aus Nottuln,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 29. April 2010 mit den Feststellungen aufgehoben ,
a) soweit der Angeklagte in den Fällen II.5.c und II.5.d der Urteilsgründe jeweils wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses verurteilt wurde ,
b) im Ausspruch über die im Fall II.2. der Urteilsgründe verhängte Einzel- sowie die Gesamtstrafe. 2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen. 3. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte in den Fällen 9 bis 14 der Anklage (Fälle II.4.c, II.4.d und II.4.e der Urteilsgründe) freigesprochen wurde,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe und
c) soweit gegen den Angeklagten kein Berufsverbot verhängt wurde. 4. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen einen "Ausspruch über die Zuerkennung einer Entschädigung gemäß § 8 Abs. 3 StrEG" wird als unzulässig verworfen. Insofern trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten.
5. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die weiteren Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses in drei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und bestimmt, dass drei Monate der Freiheitsstrafe als vollstreckt gelten. Ferner hat es das Verfahren hinsichtlich zweier Tatvorwürfe eingestellt und den Angeklagten im Übrigen freigesprochen. Gegen seine Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit zwei Verfahrensrügen, zudem beanstandet er die Anwendung des sachlichen Rechts. Die Staatsanwaltschaft hat ihre zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte, auf die Sachrüge gestützte Revision auf den Freispruch des Angeklagten in den Fällen 9 bis 14 der Anklage sowie die Nicht-Anordnung eines Berufsverbots beschränkt. Zudem hat sie gegen die Kostenentscheidung und eine Entscheidung nach dem Strafrechtsentschädigungsgesetz sofortige Beschwerde einlegt. Die Revisionen haben in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Die sofortigen Beschwerden der Staatsanwaltschaft sind gegenstandslos bzw. unzulässig.

I.


2
Soweit der Angeklagte verurteilt wurde und hinsichtlich der Freisprüche in den Fällen 9 bis 14 der Anklage hat das Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
Der 57jährige Angeklagte schloss 1996 eine Ausbildung zum Heilpraktiker ab und erhielt im selben Jahr die Erlaubnis, "die Heilkunde auszuüben, ohne über eine ärztliche Approbation zu verfügen". Den Beruf übte er in der Folgezeit aus. Bis zum Jahr 2002 absolvierte er ferner eine Ausbildung zum Osteopathen. Heute bezeichnet sich der Angeklagte zudem als Schamane.
4
1. Am 29. Januar 2004 begab sich die Zeugin F. erstmals zum Angeklagten. Grund hierfür war ihr - auch nach Aufsuchen von "Schulmedizinern" und eines Heilpraktikers - unerfüllt gebliebener Kinderwunsch; sie sah eine Behandlung durch den Angeklagten als den "letzten Versuch" an, ihren Wunsch zu erfüllen. Der Angeklagte "behandelte" die Zeugin bis zum 8. Juli 2004 an insgesamt neun Tagen, wobei er bis zum Juni 2004 mit ihrer Zustimmung unter anderem mindestens drei Mal ein "Vaginaltouché" durchführte. Hierbei handelt es sich um eine - wie bei der Osteopathie im Allgemeinen - in Deutschland nicht anerkannte "Behandlung" durch eine "Mobilisierung" des "Vaginalraumes" unter anderem durch das Einführen eines oder mehrerer Finger in die Scheide der Patientin. Bei einer Gelegenheit versuchte der Angeklagte zudem, mit seiner Zunge in den Mund der Zeugin einzudringen. Am 7. Juni sowie am 8. Juli 2004 wollte der Angeklagte ferner den Oralverkehr von der Zeugin an sich vornehmen lassen. Hierzu führte er sein Glied an den Mund der unbekleideten, auf Anweisung des Angeklagten mit geschlossenen Augen auf der Liege des Behandlungsraums liegenden Zeugi n heran, wobei er jeweils ihre Lippen berührte. Zu einem Eindringen kam es jedoch nicht, weil die Zeugin, die mit einem Oralverkehr nicht einverstanden war, ihren Kopf zur Seite drehte.
5
Beide Fälle des versuchten Oralverkehrs (Fälle II.5.c und II.5.d der Urteilsgründe ) bewertete die Kammer als sexuellen Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses und verhängte hierfür jeweils Freiheitsstrafen von zehn Monaten. Von den weiteren Anklagevorwürfen zum Nachteil dieser Zeugin sprach die Strafkammer - insofern unbeanstandet durch die Staatsanwaltschaft - den Angeklagten frei, weil es sich nicht um sexuelle Handlungen gehandelt habe.
6
2. Am 26. Oktober 2004 begab sich die Zeugin M. auf Empfehlung ihrer Hausärztin in die Praxis des Angeklagten, um ihre Migräne behandeln zu lassen. Auf Geheiß des Angeklagten entkleidete sich die Zeugin vollständig und wurde vom Angeklagten etwa 40 Minuten lang "behandelt", unter anderem blies er ihr in Nase, Ohren und Mund, schnippte mit den Fingern und schlug ihr mit der Faust auf den Brustkorb. Zudem biss der Angeklagte der Zeugin "völlig unerwartet und für sie sehr schmerzhaft in deren unbekleidete linke Brust, so dass die Zeugin vor Schmerzen aufschrie".
7
Die Strafkammer bewertete den Biss in die Brust der Zeugin (Fall II.2. der Urteilsgründe) als sexuellen Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses in Tateinheit mit Körperverletzung und verhängte hierfür eine Einzelfreiheitsstrafe von vier Monaten.
8
3. In den angeklagten Fällen 9 bis 14 (Fälle II.4.c, II.4.d und II.4.e der Urteilsgründe ) "behandelte" der Angeklagte ab dem 4. Januar 2004 die Zeugin N. , die wegen starker Rückenschmerzen zum Angeklagten gekommen war.
Während der "Behandlung" der jeweils vollständig entkleideten Zeugin nahm der Angeklagte unter anderem "Vaginaltouchés" vor und veranlasste die Zeugin - ebenfalls mit ihrer Zustimmung - mehrmals dazu, an ihm den Oralverkehr durchzuführen (insofern wurde der Angeklagte - soweit die Taten von der zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage erfasst waren - freigesprochen und das Urteil von der Staatsanwaltschaft nicht angegriffen).
9
Am 22. Juli 2004 (Fall 9 der Anklage = Fall II.4.c der Urteilsgründe) entkleidete sich auch der Angeklagte vollständig und vollzog - ohne Kondom - mit der Zeugin den Geschlechtsverkehr. Die Zeugin war hiermit einverstanden und fühlte sich "geborgen und ganz entspannt".
10
Nach der zugelassenen Anklage kam es zwischen September 2004 und Januar 2005 in mindestens vier weiteren Fällen zum Geschlechtsverkehr zwischen dem Angeklagten und der Zeugin (Fälle 10 bis 13); nach den Feststellungen der Strafkammer führten der Angeklagte und die Zeugin den einvernehmlichen Geschlechtsverkehr in diesem Zeitraum zwei Mal durch (bei zwei der Behandlungen am 16. September, 28. Oktober und/oder 9. Dezember 2004 = Fälle II. 4.d der Urteilsgründe).
11
Ferner kam es am 3. Februar 2005 erneut zum Geschlechtsverkehr zwischen dem Angeklagten und der Zeugin (Fall 14 der Anklage = Fall II.4.e der Urteilsgründe). Auch mit diesem war die Zeugin einverstanden; sie empfand indes hierbei "nicht mehr die schönen und positiven Gefühle" wie zuvor.
12
Wegen dieser Taten sprach die Strafkammer den Angeklagten aufgrund des Einverständnisses der Zeugin vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses frei.

II.


13
Revision des Angeklagten
14
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg, soweit er seine Verurteilung in den Fällen II.5.c und II.5.d der Urteilsgründe angreift. Im Fall II.2. der Urteilsgründe hat der Strafausspruch keinen Bestand. Dies hat die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe zur Folge.
15
1. In den Fällen II.5.c und II.5.d der Urteilsgründe begegnet schon der Schuldspruch durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
16
a) Eine Verurteilung nach § 174c Abs. 1 StGB erfordert, dass sich das Opfer dem Täter wegen einer Krankheit oder Behinderung zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut hat. Dies hat das Landgericht nicht (hinreichend ) festgestellt.
17
Nach den Feststellungen suchte die Zeugin den Angeklagten "wegen eines seit langer Zeit bestehenden, aber unerfüllt gebliebenen Kinderwunsches" auf, nachdem "mehrfache schulmedizinische Versuche … und auch die Behandlung bei einem Heilpraktiker" erfolglos geblieben waren (UA 16). Ein unerfüllter Kinderwunsch ist für sich betrachtet indes keine Krankheit oder Behinderung (vgl. zum Sozialversicherungsrecht BVerfG, Urteil vom 28. Februar 2007 - 1 BvL 5/03, BVerfGE 117, 316, 325 f.; BSG, Urteil vom 17. Februar 2010 - B1 KR 10/09 R, NZS 2011, 20, 21; ferner BGH, Urteil vom 15. September 2010 - IV ZR 187/07, NJW-RR 2011, 111, 112 f.). Dabei bedarf keiner Entscheidung, ob der Begriff "Krankheit" über die Untersuchungen zur Erstellung einer (Erst-)Diagnose hinaus (vgl. BT-Drucks. 13/8267 Anlage 3) auch solche Fälle erfasst, in denen eine Person lediglich aufgrund eines eingebildeten Zustandes professionelle Hilfe aufsucht (so SSW-StGB/Wolters § 174c Rn. 3; Renzikowski , NStZ 2010, 694, 695; derselbe in MünchKomm StGB, § 174c Rn. 13 jeweils mwN; für nicht-körperliche Erkrankungen auch NK-StGB-Frommel, 3. Aufl., § 174c Rn. 9; aA Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 174c Rn. 2; ersichtlich auch Hörnle in LK, 12. Aufl., § 174c Rn. 5 ff.; vgl. auch BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2008 - 3 StR 88/08, NStZ 2009, 324, 325). Dass der unerfüllte Kinderwunsch seine Ursache zumindest in einer in diesem Sinne zu verstehenden , vom Angeklagten an der Zeugin behandelten geistigen, seelischen oder körperlichen Beeinträchtigung hatte, hat die Kammer nicht festgestellt und auch nicht erörtert.
18
Soweit die Strafkammer beiläufig mitteilt, dass die Zeugin dem Angeklagten während der "Anamnese" von einem Myom im Unterleib berichtet und der Angeklagte erklärt habe, "dass man das beheben könne" (UA 17), ergibt sich aus den Feststellungen - auch im Gesamtzusammenhang - nicht, dass die nachfolgende "Behandlung" auf eine Beseitigung dieses Myoms gerichtet war. Vielmehr legen die Urteilsausführungen (z.B. UA 19 oben) nahe, dass sich die Zeugin der "Behandlung" durch den Angeklagten allein deshalb anvertraut und unterzogen hat, weil sie dies als den "letzten Versuch, den Kinderwunsch zu erfüllen", angesehen hatte.
19
b) Eine psychotherapeutische Behandlung im Sinne des § 174c Abs. 2 StGB, der nach seinem Wortlaut keine Krankheit oder Behinderung voraussetzt (vgl. dazu auch BT-Drucks. 13/8267 S. 7; Zauner, Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses, § 174c StGB, Diss. Tübingen, 2004, S. 15 ff.), hat der Angeklagte nach den Feststellungen der Strafkammer bei der Zeugin nicht vorgenommen. Einer Ver- urteilung nach dieser Vorschrift stünde zudem die Rechtsprechung des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs entgegen, wonach Täter insofern nur sein kann, wer zum Führen der Bezeichnung "Psychotherapeut" berechtigt ist (Beschluss vom 29. September 2009 - 1 StR 426/09, BGHSt 54, 169, 171 mit ablehnender Anmerkung Renzikowski, NStZ 2010, 694, 695).
20
2. Im Fall II.2. der Urteilsgründe hat der Strafausspruch keinen Bestand.
21
Die Verhängung einer Freiheitsstrafe von unter sechs Monaten Dauer erfordert sowohl nach § 47 Abs. 1 StGB als auch nach dessen hier anzuwendendem Absatz 2, dass die Freiheitsstrafe unerlässlich ist, sie sich also aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist. Ob dies der Fall ist, hat die Strafkammer ersichtlich deshalb unerörtert gelassen, weil sie dem Angeklagten - was auch bei der ersten abgeurteilten Tat Berücksichtigung finden kann (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 2001 - 4 StR 104/01, DAR 2001, 513, 514) - eine eng zusammenhängende Serie von Straftaten anlastet, die schon ohne nähere Darlegung ein Bedürfnis nach Einwirkung auf den - wenn auch nicht vorbestraften - Täter deutlich zutage treten lässt (vgl. BGH, Urteil vom 8. April 2004 - 3 StR 465/03, NStZ 2004, 554 mwN). Dieser Wertung ist indes infolge der Aufhebung der Verurteilung in den Fällen II.5.c und II.5.d der Urteilsgründe die tatsächliche Grundlage entzogen.
22
3. Im Übrigen hat die Revision des Angeklagten dagegen keinen Erfolg.
23
Die von ihm erhobenen Verfahrensrügen sind aus den vom Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 22. Dezember 2010 dargelegten Gründen unbegründet bzw. unzulässig. Der Schuldspruch im Fall II.2. der Urteilsgründe begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die Bewertung des Bisses in die Brust der - für die Behandlung einer Migräne - auf Geheiß des Angeklagten vollständig entkleideten Zeugin als sexuelle Handlung lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2005 - 4 StR 9/05, in StV 2005, 439 unvollständig abgedruckt; Laubenthal, Sexualstraftaten, 2000, Rn. 71 mwN). Den Ausführungen des Urteils ist ferner jedenfalls im Gesamtzusammenhang zu entnehmen, dass sich der Vorsatz des Angeklagten auf die Vornahme einer sexuellen Handlung bezogen hat. Eine Einwilligung gemäß § 228 StGB in die vorsätzliche Körperverletzung oder auch die sexuelle Handlung wurde von der durch die "Behandlung" völlig überraschten Patientin nicht erteilt.

III.


24
Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft
25
1. Die Revision der Staatsanwalt hat in vollem Umfang Erfolg.
26
Das Landgericht ist bei den Freisprüchen in den Fällen 9 bis 14 der Anklage (Fälle II.4.c, II.4.d und II.4.e der Urteilsgründe) zu Unrecht davon ausgegangen , dass eine Verurteilung des Angeklagten nach § 174c Abs. 1 StGB schon deshalb ausscheidet, weil die Zeugin N. mit den vom Angeklagten vorgenommenen sexuellen Handlungen einverstanden war.
27
a) Einer Strafbarkeit wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses nach § 174c Abs. 1 StGB steht allein das Einvernehmen des Opfers mit der vom Täter vorgenommenen sexuellen Handlung nicht entgegen. Ein solches Einvernehmen schließt weder als Einverständnis den Tatbestand noch als Einwilligung die Rechtswidrigkeit der Tat aus.
28
aa) Dies belegt schon der Wille des Gesetzgebers.
29
Zur ursprünglichen Fassung von § 174c Abs. 1 StGB verweisen die Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 13/8267 S. 7) ausdrücklich darauf, dass eine Strafbarkeit des Täters nach dieser Vorschrift nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass das Opfer den sexuellen Handlungen zugestimmt hat; "denn wegen der Eigenart der tatbestandlich eingegrenzten Verhältnisse kann das Opfer regelmäßig nicht frei über sexuelle Kontakte zu der Autoritätsperson entscheiden". Zwar bezogen sich diese "tatbestandlich eingegrenzten Verhältnisse" nach der damals geltenden Gesetzesfassung auf Beratungs-, Behandlungsund Betreuungsverhältnisse mit Personen, die geistig oder seelisch erkrankt waren oder an entsprechenden Behinderungen litten. Der Gesetzgeber hatte aber schon damals die Einbeziehung körperlich erkrankter oder behinderter Opfer in den Straftatbestand erwogen, war aber zunächst - unter dem Vorbehalt einer Überprüfung aufgrund neuer Erkenntnisse - davon ausgegangen, dass bei körperlichen Leiden "eine tiefgreifende Einschränkung der freien Selbstbestimmung , wie sie bei geistig oder seelisch kranken oder behinderten Personen" vorliegt, in der Regel nicht gegeben ist (BT-Drucks. 13/8267 S. 6 und Anlagen 2 und 3; vgl. zu dem Vorschlag, auch körperliche Leiden einzubeziehen, insbesondere die Empfehlungen der Ausschüsse des Bundesrates, BRat-Drucks. 295/1/97 S. 3, und die Stellungnahme des Bundesrates, BRat-Drucks. 295/97 [Beschluss] S. 3; zur Gesetzesgeschichte auch Zauner aaO, S. 7 ff.; Bungart, Sexuelle Gewalt gegen behinderte Menschen, 2005, S. 41 ff., 65, 68).
30
Letztere Ansicht hat der Gesetzgeber bei der Einbeziehung körperlich kranker oder behinderter Menschen in den Anwendungsbereich des § 174c Abs. 1 StGB im Jahr 2003 aufgegeben, ohne hierbei seine Auffassung zur Unbeachtlichkeit einer Zustimmung des Opfers geändert zu haben. Denn "auch bei körperlichen Krankheiten oder Behinderungen [kann] zwischen Therapeuten und insbesondere mehrfach behinderten Patienten eine Abhängigkeit bestehen, die durch Überlegenheit des Therapeuten und besonderes Vertrauen des hilfesuchenden Patienten gekennzeichnet ist. Dieses Vertrauensverhältnis muss ebenso wie bei psychischen Krankheiten oder Behinderungen vor sexuellen Übergriffen geschützt werden" (BT-Drucks. 15/350 S. 16). Dem Gesetzgeber kam es mithin darauf an, sexuelle Kontakte in Beratungs-, Behandlungs- und Betreuungsverhältnissen generell und selbst bei einem Einverständnis des Patienten als missbräuchlich auszuschließen (Laubenthal aaO Rn. 276; Lackner/Kühl aaO § 174c Rn. 5; Wolters aaO § 174c Rn. 7).
31
bb) Auch nach dem Wortlaut von § 174c Abs. 1 StGB schließt ein bloßes Einverständnis des Opfers mit der sexuellen Handlung den Tatbestand dieser Strafvorschrift nicht aus.
32
§ 174c StGB erfordert - schon nach seinem Wortlaut - keine Nötigung des Opfers. Anknüpfungspunkt für einen tatbestandlichen Ausschluss der Strafbarkeit bei einvernehmlichen sexuellen Handlungen könnte daher allein der in § 174c Abs. 1 StGB geforderte "Missbrauch" sein (vgl. Renzikowski aaO § 174c Rn. 24 ff.; Hörnle aaO § 174c Rn. 22). Indes knüpft dieser "Missbrauch" an das Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis an; er ist auf den Täter bezogen und liegt vor, wenn dieser "die Gelegenheit, die seine durch das Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis begründete Vertrauensstellung bietet, unter Verletzung der damit verbundenen Pflichten bewusst zu sexuellen Kontakten mit den ihm anvertrauten Personen ausnutzt" (BT-Drucks. 13/8267 S. 7; ferner OLG Karlsruhe, Urteil vom 4. Juni 2009 - 3 Ss 113/08 mwN). Das erst während eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses erklärte Einvernehmen des Opfers mit der sexuellen Handlung ist aber für die Begründung des Vertrauensverhältnisses ohne Bedeutung, es setzt dieses - zumindest regelmäßig - vielmehr voraus (im Ergebnis ebenso OLG Karlsruhe aaO; Wolters aaO § 174c Rn. 7; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 174c Rn. 10; Zauner aaO S. 109 f., 111 f., 139 f.).
33
Auch bei § 174 Abs. 1 Nr. 2, § 174a Abs. 1, § 174b StGB, die ebenfalls sexuelle Handlungen in einem Obhutsverhältnis unter Strafe stellen und dabei an einen "Missbrauch" - aber nicht eine Nötigung - anknüpfen, wird allein dem Einverständnis des Opfers mit der sexuellen Handlung keine tatbestandsausschließende Wirkung beigemessen (vgl. BT-Drucks. VI/1552, S. 16; VI/3521 S. 20, 22 ff., 26, 28 f.; BGH, Urteile vom 8. Januar 1952 - 1 StR 561/51, BGHSt 2, 93, 94, und vom 4. April 1979 - 3 StR 98/79, BGHSt 28, 365, 367 f.; Fischer aaO § 174 Rn. 15, § 174a Rn. 10; Renzikowski aaO § 174a Rn. 17, § 174b Rn. 15 jeweils mwN).
34
Eine im Schrifttum teilweise vorgeschlagene Differenzierung zwischen geistigen (tatbestandsausschließendes Einverständnis nicht möglich) und körperlichen Krankheiten oder Behinderungen (bei denen ein tatbestandsausschließendes Einverständnis möglich sein soll; vgl. etwa Renzikowski aaO § 174c Rn. 27 f.; Sick/Renzikowski, Festschrift-Schroeder, 2006, S. 603, 610; Perron/Eisele in Schönke/Schröder, 28. Aufl., § 174c Rn.6) lässt sich auch unter dem Blickwinkel des Selbstbestimmungsrechts des Patienten in solch pauschaler Weise nicht rechtfertigen (vgl. auch Hörnle aaO § 174c Rn. 19 ff.) und würde schon deshalb weitere Probleme aufwerfen, weil die Einbeziehung kör- perlich erkrankter oder behinderter Personen in den Anwendungsbereich des § 174c Abs. 1 StGB gerade deshalb vorgenommen wurde, weil "körperliche und seelische Krankheiten insbesondere bei mehrfach behinderten Patienten oft so eng miteinander verzahnt sind, dass eine Erkennung, Heilung oder Linderung nur unter einem Gesichtspunkt nicht möglich ist" (BT-Drucks. 15/350 S. 16; Wolters aaO § 174c Rn. 7 f. nimmt deshalb trotz Einverständnisses des Opfers einen Missbrauch stets an, wenn zumindest auch ein psychischer Defekt beim Opfer vorliegt).
35
cc) Der Schutzzweck des § 174c Abs. 1 StGB gebietet es ebenfalls nicht, allein aufgrund des Einvernehmens des Opfers mit der sexuellen Handlung die Straflosigkeit des Täters anzunehmen.
36
Dabei kann dahinstehen, ob eine Zustimmung des Patienten schon deshalb unbeachtlich ist, weil § 174c StGB auch zur Einhaltung von Berufspflichten anhalten soll, also das Interesse der Allgemeinheit an einer sachgerechten Behandlung sowie das Vertrauen in die Lauterkeit einer Berufsgruppe schützt, und schon deshalb für den Einzelnen nicht disponibel ist (vgl. Frommel aaO § 174c Rn. 10; Zauner aaO S. 37, 112, 140; zu diesem Schutzzweck auch OLG Karlsruhe aaO; Perron/Eisele aaO § 174c Rn. 1; Laubenthal aaO Rn. 269; aA Renzikowski, NStZ 2010, 694, 695; Bungart aaO S. 216).
37
Auch der von § 174c StGB jedenfalls vorrangig bezweckte Schutz der Selbstbestimmung des Opfers steht bei dessen Einvernehmen mit der sexuellen Handlung der Strafbarkeit des Täters nicht von vorneherein entgegen. Denn der Gesetzgeber hat in den §§ 174 ff. StGB gerade nicht eine allein gegen den Willen oder ohne Einverständnis des Opfers an ihm vorgenommene sexuelle Handlung unter Strafe gestellt, sondern hat hierbei auf - im Wesentlichen äuße- re - Umstände abgestellt, bei deren Vorliegen er ersichtlich davon ausging, es liege selbst bei einer Zustimmung des Opfers keine selbstbestimmte und autonome Entscheidung, sondern ein strafwürdiges und strafbares Verhalten des Täters vor (vgl. BT-Drucks. VI/3521 S. 18 f.; Fischer, ZStW 112 [2000], S. 75, 90 f.). Auch bei § 174c StGB kam es dem Gesetzgeber - wie oben ausgeführt - dementsprechend darauf an, sexuelle Kontakte in Beratungs-, Behandlungsund Betreuungsverhältnissen als missbräuchlich auszuschließen, weil er die freie Selbstbestimmung in dem maßgeblich vom Täter beeinflussten Vertrauens - und Abhängigkeitsverhältnis des Kranken oder Behinderten und seiner sich daraus ergebenden Schutz- und Hilfsbedürftigkeit generell als beeinträchtigt ansah (vgl. dazu auch BT-Drucks. 13/8267 S. 4 sowie Fischer aaO S. 93).
38
b) Auf dieser Grundlage fehlt es an einem Missbrauch im Sinne des § 174c Abs. 1 StGB (lediglich) dann, wenn der Täter im konkreten Fall nicht eine aufgrund des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses bestehende Autoritäts- oder Vertrauensstellung gegenüber dem Opfer zur Vornahme der sexuellen Handlung ausgenutzt hat (vgl. auch BGH, Urteil vom 4. April 1979 - 3 StR 98/79, BGHSt 28, 365, 367 [zu § 174 StGB]; Beschlüsse vom 29. September 1998 - 4 StR 324/98, NStZ 1999, 29 f.; vom 25. Februar 1999 - 4 StR 23/99, NStZ 1999, 349 [beide zu § 174a StGB]). Der Tatrichter muss daher für eine Verurteilung nach dieser Vorschrift zwar nicht (positiv) feststellen, dass das Opfer im konkreten Tatzeitpunkt vom Angeklagten abhängig war oder dass der Täter eine Hilflosigkeit oder die Bedürftigkeit des Opfers ausgenutzt hat (so ausdrücklich BT-Drucks. 13/8267 S. 7; vgl. ferner OLG Karlsruhe aaO). Auch kann er im Regelfall davon ausgehen, dass bei sexuellen Handlungen in einem Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis dessen Missbrauch vorliegt (vgl. dazu etwa BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2008 - 2 StR 385/08, NStZ-RR 2009, 14, 15). Liegen aber Hinweise dafür vor, dass der Angeklagte ausnahmsweise nicht seine auf das Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis gegründete Vertrauensstellung zur Vornahme der sexuellen Handlung ausgenutzt hat, so muss er diesen Hinweisen nachgehen und im Falle einer Verurteilung darlegen, dass ein solches Ausnutzen in dem von ihm zu beurteilenden Fall gegeben war (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2008 - 3 StR 88/08, NStZ 2009, 324, 325).
39
Ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung der den jeweiligen Einzelfall kennzeichnenden Umstände festzustellen (vgl. hierzu auch OLG Karlsruhe aaO; Bungart aaO S. 221 f.; zu § 174a StGB ferner BGH, Beschlüsse vom 29. September 1998 - 4 StR 324/98, NStZ 1999, 29; vom 25. Februar 1999 - 4 StR 23/99, NStZ 1999, 349). Hierfür ist eine vom Opfer dem Täter gegenüber zum Ausdruck gebrachte Zustimmung zu der sexuellen Handlung eine gewichtige, regelmäßig sogar unerlässliche Voraussetzung , sofern sie nicht - wie etwa bei nahe an die Widerstandsunfähigkeit im Sinn des § 179 StGB heranreichenden krankheits- oder behandlungsbedingten Zuständen - von vorneherein als zu beachtende Willenserklärung ausscheidet (vgl. Hörnle aaO § 174c Rn. 2, 4, 23 mwN). Jedoch genügt ein Einverständnis allein - wie oben ausgeführt - nicht, um einen Missbrauch auszuschließen. Vielmehr müssen weitere Umstände hinzukommen, aufgrund derer davon auszugehen ist, dass eine aufgrund des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses regelmäßig gegebene Vertrauensbeziehung entweder tatsächlich nicht bestand oder für die Hinnahme der sexuellen Handlung ohne Bedeutung war (vgl. auch BT-Drucks. VI/3521 S. 26, 27 [zu § 174a StGB]; BGH, Beschluss vom 25. Februar 1999 - 4 StR 23/99, NStZ 1999, 349 [zu § 174a StGB]).
40
Solche besonderen Umstände können etwa vorliegen bei einvernehmlichen sexuellen Handlungen des Ehepartners oder Lebensgefährten während eines Betreuungsverhältnisses oder bei einer von dem Beratungs-, Behandlungs - oder Betreuungsverhältnis unabhängigen "Liebesbeziehung" und in deren Folge nur gelegentlich der Behandlung oder nach deren Abschluss vorgenommenen sexuellen Handlung (vgl. BT-Drucks. VI/3521 S. 22 [zu § 174 StGB]; BGH, Beschluss vom 25. Februar 1999 - 4 StR 23/99, NStZ 1999, 349 [zu § 174a StGB]; Renzikowski aaO § 174c Rn. 28; Perron/Eisele aaO § 174c Rn. 6; Lackner/Kühl aaO § 174c Rn. 5; Bungart aaO S. 222; dazu aber auch BT-Drucks. VI/3521 S. 26; OLG Karlsruhe aaO). Hat der Täter dagegen beispielsweise vorgegeben, die sexuelle Handlung sei medizinisch notwendig oder Teil der Therapie (OLG Karlsruhe aaO; Hörnle aaO § 174c Rn. 23; Fischer aaO § 174c Rn. 10a; Wolters aaO § 174c Rn. 8; Renzikowski aaO § 174c Rn. 25, 28) bzw. hat er gar behandlungsbezogene Nachteile beim Zurückweisen seines Ansinnens in den Raum gestellt (Wolters aaO § 174c Rn. 8; Hörnle aaO § 174c Rn. 23) oder hat er eine schutzlose Lage des Opfers - etwa die einer auf seine Aufforderung hin unnötig vollständig entkleideten Frau - zur Vornahme der sexuellen Handlung ausgenutzt (vgl. Hörnle aaO § 174c Rn. 23), so liegt ein Missbrauch im Sinne des § 174c Abs. 1 StGB auch dann vor, wenn das Opfer mit dem Sexualkontakt einverstanden war.
41
c) Auf dieser Grundlage können die allein auf das Einvernehmen der Zeugin N. mit den sexuellen Handlungen gestützten Freisprüche des Angeklagten in den Fällen 9 bis 14 der Anklage keinen Bestand haben. Vielmehr legen die von der Strafkammer getroffenen Feststellungen nahe, dass ein Missbrauch des Behandlungsverhältnisses schon deshalb vorliegt, weil der Angeklagte nicht nur das diesem regelmäßig innewohnende Vertrauen der Patientin ausgenutzt, sondern er ihr gegenüber - wie sich insbesondere aus der auf UA 26 wiedergegebenen Aussage der Zeugin ergibt - ersichtlich den Eindruck erweckt hat, die sexuellen Handlungen seien Teil der Therapie.
42
2. Infolge der Teilaufhebung des angefochtenen Urteils ist die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Kostenentscheidung in dem landgerichtlichen Urteil gegenstandslos. Ihre sofortige Beschwerde gegen eine Entscheidung nach dem Strafrechtsentschädigungsgesetz ist dagegen nicht statthaft und daher unzulässig, da eine solche Entscheidung von der Strafkammer nicht getroffen wurde, die Staatsanwaltschaft aber ersichtlich nicht dieses Unterlassen angreifen will.

IV.


43
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
44
Die Strafkammer hat von der Anordnung eines Berufsverbots mit einer in der Revision nicht zu beanstandenden Begründung abgesehen. Denn der Gesetzgeber hat dem Tatrichter für diese Entscheidung bewusst einen weiten Ermessensspielraum eingeräumt (BGH, Urteile vom 20. Januar 2004 - 1 StR 319/03, und vom 7. November 2007 - 1 StR 164/07, wistra 2008, 58, 60), den das Landgericht nicht überschritten hat (vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 2009 - 5 StR 248/09, NStZ 2010, 170, 171).
45
Sollte sich indes im Rahmen der neuen Hauptverhandlung ergeben, dass der Angeklagte in größerem Umfang als bisher abgeurteilt seinen Beruf bewusst und planmäßig zu einer Vielzahl sexueller Übergriffe auf Patientinnen missbraucht hat, so kann dem auch für die Gefährlichkeitsprognose Bedeutung zukommen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 2004 - 1 StR 319/03 mwN). Zuläs- siges Verteidigungsverhalten, wie etwa fehlende Einsicht, dürfte dabei indes nicht berücksichtigt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Februar 2001 - 5 StR 544/00, wistra 2011, 220). Sollte die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer gegen den Angeklagten ein Berufsverbot verhängen, wird sie bei der Bestimmung dessen Umfangs zu berücksichtigen haben, ob der Gefährlichkeit des Angeklagten dadurch hinreichend vorgebeugt werden kann, dass ihm beispielsweise lediglich die Behandlung weiblicher Patienten untersagt wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Januar 2003 - 3 StR 454/02, StV 2004, 653 m.Anm. Kugler; vom 8. Mai 2008 - 3 StR 122/08).
Ernemann Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Bender

(1) Wer sexuelle Handlungen an einer gefangenen oder auf behördliche Anordnung verwahrten Person, die ihm zur Erziehung, Ausbildung, Beaufsichtigung oder Betreuung anvertraut ist, unter Mißbrauch seiner Stellung vornimmt oder an sich von der gefangenen oder verwahrten Person vornehmen läßt oder die gefangene oder verwahrte Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einer dritten Person bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Person, die in einer Einrichtung für kranke oder hilfsbedürftige Menschen aufgenommen und ihm zur Beaufsichtigung oder Betreuung anvertraut ist, dadurch mißbraucht, daß er unter Ausnutzung der Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit dieser Person sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einer dritten Person bestimmt.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.

(2) Die Kosten des Verfahrens, die der Angeschuldigte durch eine schuldhafte Säumnis verursacht hat, werden ihm auferlegt. Die ihm insoweit entstandenen Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt.

(3) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn der Angeschuldigte die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er in einer Selbstanzeige vorgetäuscht hat, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zu haben. Das Gericht kann davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er

1.
die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat, oder
2.
wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.

(4) Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift ein, die dies nach seinem Ermessen zuläßt, so kann es davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen.

(5) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153a) endgültig eingestellt wird.

(1) Die dem Nebenkläger erwachsenen notwendigen Auslagen sind dem Angeklagten aufzuerlegen, wenn er wegen einer Tat verurteilt wird, die den Nebenkläger betrifft. Die notwendigen Auslagen für einen psychosozialen Prozessbegleiter des Nebenklägers können dem Angeklagten nur bis zu der Höhe auferlegt werden, in der sich im Falle der Beiordnung des psychosozialen Prozessbegleiters die Gerichtsgebühren erhöhen würden. Von der Auferlegung der notwendigen Auslagen kann ganz oder teilweise abgesehen werden, soweit es unbillig wäre, den Angeklagten damit zu belasten.

(2) Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift, die dies nach seinem Ermessen zuläßt, ein, so kann es die in Absatz 1 genannten notwendigen Auslagen ganz oder teilweise dem Angeschuldigten auferlegen, soweit dies aus besonderen Gründen der Billigkeit entspricht. Stellt das Gericht das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153a) endgültig ein, gilt Absatz 1 entsprechend.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten entsprechend für die notwendigen Auslagen, die einem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsen sind. Gleiches gilt für die notwendigen Auslagen eines Privatklägers, wenn die Staatsanwaltschaft nach § 377 Abs. 2 die Verfolgung übernommen hat.

(4) § 471 Abs. 4 Satz 2 gilt entsprechend.

5 StR 534/02
(alt: 5 StR 469/97
und 5 StR 456/99)

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 22. April 2004
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung
vom 20. und 22. April 2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Häger,
Richter Basdorf,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt B ,
Rechtsanwalt G
als Verteidiger,
Rechtsanwalt D
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
am 22. April 2004 für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 30. Januar 2002 aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen Mordes und versuchten Mordes verurteilt worden ist. Damit entfällt die lebenslange Gesamtfreiheitsstrafe.
Der Angeklagte wird vom Vorwurf des Mordes und des versuchten Mordes freigesprochen.
Im Umfang des Freispruchs fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last.
Die Entscheidung über die Entschädigung des Angeklagten wegen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt dem Landgericht vorbehalten.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten zunächst wegen Mordes und versuchten Mordes zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Dieses Erkenntnis hat der Senat durch Urteil vom 21. Januar 1998 (BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 30) aufgehoben. Daraufhin hat das Landgericht den Angeklagten am 8. Februar 1999 freigesprochen (und ihn wegen – anderweitiger – vorsätzlicher Körperverletzung und gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt). Den Freispruch hat der Senat durch Urteil vom 5. Juli 2000 (NStZ-RR 2000, 334) aufgehoben. Nunmehr hat das Landgericht den Angeklagten wegen Mordes, versuchten Mordes (und einer inzwischen begangenen vorsätzlichen Körperverletzung, deretwegen eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten verhängt worden ist) zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Die allein gegen die Verurteilung wegen Mordes und versuchten Mordes gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg, so daß es auf die Verfahrensrügen nicht ankommt.

I.


Das Landgericht hat zum Vorwurf des Mordes und des versuchten Mordes im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte und die Nebenklägerin waren einander intim verbunden und seit dem Sommer 1993 verlobt. Im Sommer 1995 war das Verhältnis jedoch weitgehend zerrüttet, zumal da der Angeklagte jedes sexuelle Interesse an der Nebenklägerin verloren hatte und Beziehungen zu anderen Frauen unterhielt. Der Angeklagte zeigte sich andererseits übertrieben eifersüchtig und wurde mehrfach handgreiflich. Die Nebenklägerin trug sich deshalb im Sommer 1995 intensiv mit dem Gedanken einer Trennung von dem Angeklagten. Am Nachmittag des 24. August 1995 beobachtete die Nebenklägerin den Angeklagten dabei, wie er sich von einer unbekannt gebliebenen Frau mit einem Kuß verabschiedete. Diese Beobachtung veranlaßte die Nebenklägerin endgültig, den Angeklagten aus der gemeinsamen Wohnung zu weisen und die Verlobung zu lösen. Sie packte seine Habseligkeiten in Plastiksäcke und stellte sie an die Tür. Als der Angeklagte sich abends, nachts oder in den ersten Morgenstunden des 25. August 1995 einfand, eröffnete die Nebenklägerin ihm, daß sie sich unwiderruflich von ihm trenne, und verwies ihn der Wohnung. Der Angeklagte wollte eine Trennung zwar
nicht akzeptieren, verließ aber nach einem lauten Streit unter Mitnahme seiner Kleidung die Wohnung.
Die Nebenklägerin war Schülerin einer Krankengymnastik-Schule und arbeitete abends und am Wochenende für den später Getöteten M . Dieser 69jährige, wohlhabende und an mehreren Krankheiten leidende Mann ließ sich in seiner zweietagigen Wohnung „rund um die Uhr“ durch eine organisierte Gruppe von Pflegekräften betreuen, zu der die Nebenklägerin gehörte. Am 26. August 1995 trat die Nebenklägerin ihren Tagesdienst in der Wohnung M s frühmorgens an. Alsbald danach erschien dort der Angeklagte. „Überrumpelt“ durch das unerwartete Auftauchen des Angeklagten, ließ die Nebenklägerin ihn ein. Der Angeklagte, der die Erklärung der Nebenklägerin, sich von ihm zu trennen, nicht akzeptieren wollte, verlangte zunächst Geld von ihr und sprach ihr das Recht ab, die Beziehung einseitig zu beenden. Die Nebenklägerin erwiderte dem erregt brüllenden Angeklagten, es sei „Schluß“, er solle zu seinen anderen Frauen gehen. Der im Erdgeschoß geführte Disput war so laut, daß der im Obergeschoß im Bett liegende M ihn vernahm und nach der Nebenklägerin rief. Diese versuchte, den Angeklagten zum Verlassen der Wohnung zu bewegen , und wandte sich kurz ab, um M nach oben zuzurufen, sie werde sogleich kommen. In dieser Situation schlug der Angeklagte mit einem „länglich-runden und festen Tatwerkzeug“ vier- bis fünfmal heftig auf den Kopf der Nebenklägerin ein. Dabei nahm der Angeklagte ihren Tod billigend in Kauf. Er handelte in verletztem Selbstwertgefühl aus Rache für die Entscheidung der Nebenklägerin, die Beziehung zu ihm zu lösen. Von seinem Opfer ließ er erst ab, als sie blutüberströmt regungslos liegenblieb. Er ging nun davon aus, daß sie an den zugefügten Verletzungen entweder bereits gestorben war oder binnen kurzem sterben werde. Angesichts dessen, daß M auf den Streit und somit die Anwesenheit einer fremden Person, die noch dazu offensichtlich mit der Nebenklägerin bekannt war, aufmerksam geworden war, entschloß sich der Angeklagte, ihn als unliebsamen Zeugen auszuschalten. Er begab sich in das obere Geschoß und schlug mit dem ge-
nannten Gegenstand mehrfach so kräftig auf den Kopf M s ein, daß dieser zu keiner Abwehr mehr fähig war und mehrfache Schädelfrakturen erlitt, an denen er, ohne das Bewußtsein wiedererlangt zu haben, einige Wochen später verstarb.

II.


Die Beweiswürdigung hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.
Der Angeklagte hat zum Tatvorwurf in der Hauptverhandlung geschwiegen und in einem früheren Verfahrensstadium seine Täterschaft bestritten. Zentrales Beweismittel zur Überführung des Angeklagten, das nur durch weniger gewichtige andere Beweismittel ergänzt wird, ist die Aussage der Nebenklägerin, die den Angeklagten als den Täter bezeichnet hat. Das Landgericht hat zur Entwicklung der Angaben der Nebenklägerin folgendes festgestellt: Die Nebenklägerin erlitt eine schwere Schädelfraktur und infolge von Kontusions- und hinzutretenden diffusen Hirndruckschäden eine noch heute vorliegende schwere Hirnschädigung. Sie lag lange im künstlichen Koma und konnte auch nach dessen Beendigung wegen eines künstlichen Luftröhrenausgangs zunächst nicht sprechen. In der ersten Dezemberwoche 1995 sagte die Nebenklägerin zu einer Zimmergenossin im Krankenhaus , ihr Vater meine, „T “ sei es gewesen, sie selbst könne sich aber nicht daran erinnern. Etwa zu dieser Zeit, in der sich ihr Zustand deutlich verbesserte, berichtete die Nebenklägerin gegenüber dem sie behandelnden Arzt Dr. R , sie erinnere sich allmählich an den Vorfall. Sie erzählte davon, es sei bei M gewesen. „Er“ sei gekommen. „Er“ habe oben mit M gestritten, sie sei dazwischengegangen und sei dann selbst von „ihm“ mit einer Art Schlagstock geschlagen worden. Sie beschrieb den Täter als kräftigen jungen Mann. Diese Darstellung wiederholte sie mehrfach, bis sie schließlich kurz vor dem 13. Dezember 1995 zu Dr. R sagte, der, der sie geliebt habe, sei der Täter gewesen. Er habe Geld von M gewollt. Diese Angaben wiederholte sie sinngemäß in Gegenwart des Krimi-
nalbeamten L . Erst nach der Verhaftung des Angeklagten am 13. Dezember 1995 sprach sie auch ihren Eltern gegenüber davon, daß dieser sie ü- berfallen habe. In der Hauptverhandlung hat die Nebenklägerin die gegen sie begangene Tat so geschildert, wie das Schwurgericht diese festgestellt hat.
Das Landgericht hat sich zunächst – was fern jeder Beanstandung ist – von der „Aufrichtigkeit“ der Nebenklägerin überzeugt. Es hat sodann geprüft, ob die Nebenklägerin etwa – bedingt durch ihre schwere Hirnverletzung – lediglich subjektiv davon überzeugt ist, daß ihre (letzte) Tatschilderung auf selbst Erlebtem beruht, objektiv aber irrt. Es hat hierzu vier Sachverständige aus den Bereichen Psychiatrie, Neurologie, Neurobiologie und Neuropsychologie gehört, darunter Spezialisten für Gedächtnisforschung und Hirnschäden. Es ist in der Würdigung der Gesamtheit der Angaben dieser Sachverständigen zu dem Ergebnis gelangt, daß die Nebenklägerin aufgrund realer Erinnerung den Angeklagten als Täter bezeichnet habe. Dabei hat das Landgericht auch umfangreich erwogen, daß sich die Angaben , die die Nebenklägerin in der Hauptverhandlung gemacht hat, erheblich von der ersten Version ihrer Tatschilderung unterscheiden. Nach der ersten Version hat der Täter „oben“, also im Obergeschoß, wo M im Bett lag, mit diesem gestritten; die Nebenklägerin sei „dazwischengegangen“ – das kann nur heißen: im Obergeschoß – und dann selbst von dem Täter mit einer Art Schlagstock geschlagen worden. Indes ergibt das Bild der massiven Blutspuren , daß der Angriff auf die Nebenklägerin im Erdgeschoß erfolgte. Daraus ergeben sich zwei Probleme, die vom Landgericht – trotz aller Umsicht im übrigen – nicht hinreichend erörtert werden:
Das Phänomen, daß die Nebenklägerin zunächst wesentlich andere Angaben zum Tatgeschehen gemacht hat als die spätere Tatschilderung, auf der die Feststellungen fußen, hat das Landgericht zwar erörtert. Es hat zur Erklärung dieser „Diskontinuität im Aussageinhalt zur Tat“ auf äußere Umstände abgestellt, die beiden von der Nebenklägerin geschilderten Versionen eigen sind, jedoch schwerlich ergeben, daß die Aussagen im „Kern doch
konstant“ seien. An dieser Stelle ist vielmehr die Erörterung zu vermissen, ob und mit welchem Ergebnis die Sachverständigen sich zu der – nach alledem zentralen – Frage geäußert haben, ob es wenigstens möglich, etwa plausibel erklärbar oder gar naheliegend ist, daß die Nebenklägerin im Zuge der Entwicklung ihrer Aussagen zunächst eine objektiv unwahre und später eine wahre Schilderung des Tatgeschehens abgegeben hat.
Es kommt hinzu, daß es ausgeschlossen erscheint, die Nebenklägerin hätte, als sie nach den erlittenen Schlägen blutüberströmt regungslos liegenblieb , den anschließenden Angriff des Täters auf M im Obergeschoß wahrgenommen. Deshalb kann – auf der Basis der Feststellungen – die erste von der Nebenklägerin gegebene Schilderung nicht zutreffen. Es bestehen hierfür nur die Erklärungsmöglichkeiten, daß diese erste Tatschilderung der Nebenklägerin auf einer Suggestion durch Dritte, auf einer von der Nebenklägerin – etwa aufgrund von Andeutungen Dritter – selbst vorgenommenen Schlußfolgerung oder sonst auf einer „Konfabulation“ beruht. Danach bleibt die – im angefochtenen Urteil unerörterte – Frage offen, ob etwa – oder warum nicht auch – die letzte von der Nebenklägerin abgegebene Tatschilderung gleichermaßen auf Suggestion, Schlußfolgerung oder Konfabulation beruhen kann. Auch in diesem Punkt ist die Mitteilung zu vermissen, ob und gegebenenfalls wie die Sachverständigen sich hierzu geäußert haben. Dies gilt namentlich angesichts dessen, daß die Bekundungen der Zeugin W , einer Mitpatientin der Nebenklägerin, eine Diskussion der Frage nahelegten, ob etwa eine Suggestion – auch durch insoweit ungezielt handelnde Dritte – stattgefunden hat.

III.


Der Senat sieht sich daher genötigt, auch das dritte in dieser Sache ergangene Urteil des Landgerichts aufzuheben. Eine Zurückverweisung der Sache zu erneuter tatgerichtlicher Prüfung ist nicht erforderlich. Vielmehr kann der Senat durch Freispruch in der Sache selbst entscheiden (§ 354
Abs. 1 StPO; vgl. BGHSt 36, 316, 319; BGH NJW 1999, 1562, 1564). Der Senat schließt aus, daß im Falle einer Zurückverweisung der Sache in einer erneuten (vierten) Hauptverhandlung die Schuld des Angeklagten festgestellt werden könnte. Dies ergibt sich aus der bestehenden Beweislage.
Das zentrale Beweismittel zur etwaigen Überführung des Angeklagten ist die Aussage der Nebenklägerin. Dieses Beweismittel ist mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. Namentlich zur Bedeutung dessen im Rahmen der vom Senat an dieser Stelle zu treffenden Entscheidung hat der Senat den Sachverständigen Professor Dr. von C angehört. Danach ist insbesondere von folgendem auszugehen: Zwar können nach dem Abklingen einer posttraumatischen Amnesie und der mit ihr verbundenen Konfabulationsneigung (nebst „Fehlvorstellungen“) und nach Schrumpfung der prätraumatischen Amnesie auf die letztlich verlorene („vergessene“) Zeitspanne vor der Hirnschädigung sichere Erinnerungen grundsätzlich wiedergewonnen werden. Über deren Qualität lassen sich aber angesichts der sehr eingeschränkten Möglichkeiten, sie objektiv zu überprüfen, nur Vermutungen anstellen. Allerdings werden in der spezialmedizinischen Literatur auch Einzelfälle einer „Erinnerung an alles“ bis zum Zeitpunkt der dauerhaften Amnesie berichtet. Dennoch muß berücksichtigt werden, daß – im Vergleich zu Hirngesunden – bei Personen mit einer anterograden Amnesie wie der Nebenklägerin eine höhere Wahrscheinlichkeit für Gedächtnisfehler, -entstellungen und -illusionen besteht. Eine Schrumpfung der prätraumatischen Amnesie auf weniger als eine Minute ist nach den Ausführungen des Sachverständigen prinzipiell wohl möglich, jedoch sehr unwahrscheinlich. Hier lagen die von der Nebenklägerin bekundeten Tatrahmengeschehnisse im Bereich weniger Minuten, die gegen sie gerichtete Gewalthandlung im Bereich von Sekunden vor ihrer Gehirnverletzung. Hinzu kommt folgendes: Diejenige Tatversion der Nebenklägerin, welche – im Einklang mit dem Spurenbild am Tatort – der Verurteilung entspricht, wurde erstmals in einer Phase näher ausgeführt, in der nach den überzeugenden Bekundungen des vom Senat gehörten Sachverständigen noch eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für
eine verletzungsbedingte Konfabulationsneigung der Zeugin bestand. Nach den Gegebenheiten des Falles sind zudem Möglichkeiten für die Entstehung eines stabilisierten Scheinerinnerungsbildes nicht von der Hand zu weisen.
Eine tragfähige Stützung der Angaben des Opfers existiert nicht. Die zweifellos teils in hohem Grade parallelen Gewalttaten des Angeklagten gegen andere Partnerinnen in der Trennungssituation und gar das Verhalten des Angeklagten am Abend des Tattages im Krankenhaus stellen nur relativ schwache Indizien dar. Eine Verbesserung der Beweislage ist nicht in Aussicht. Eine weitere Vernehmung oder sachverständige Begutachtung der Nebenklägerin über die zahlreichen erfolgten Bemühungen dieser Art hinaus verspricht, wie der Sachverständige Professor Dr. von C ausgeführt hat, einen weiteren Aufklärungsgewinn nicht. Bisher ungenutzte Beweismittel stehen ersichtlich nicht zur Verfügung.

IV.


Die Entscheidung über eine Entschädigung des Angeklagten wegen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen muß dem Landgericht überlassen bleiben. Die Prüfung, in welchem Umfang eine Entschädigung zu gewähren
ist, hat sich auf den gesamten Sachverhalt zu erstrecken, der die Strafverfol- gungsmaßnahmen ausgelöst hat. Dazu gehören auch diejenigen Verfahrensabschnitte , die nicht Gegenstand des erneuten Revisionsverfahrens waren (vgl. BGH NJW 1999, 1562, 1564).
Harms Häger Basdorf Gerhardt Raum