Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Jan. 2017 - 1 StR 570/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:250117B1STR570.16.0
bei uns veröffentlicht am25.01.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 570/16
vom
25. Januar 2017
in der Strafsache
gegen
wegen sexueller Nötigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:250117B1STR570.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 1b und 3 auf dessen Antrag - am 25. Januar 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgericht München I vom 23. Juni 2016 aufgehoben
a) im Strafausspruch in Bezug auf die Taten I und II der Urteilsgründe sowie im Gesamtstrafenausspruch,
b) im Maßregelausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses, wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses und vorsätzlicher Körperverletzung sowie wegen Verstoßes gegen das Berufsverbot zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt.
Weiter hat das Landgericht dem Angeklagten im Rahmen des Maßregelausspruchs die Ausübung eines Heilberufs und der damit verbundenen Hilfstätigkeiten für immer verboten.
2
Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 2. Dezember 2016 unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.


3
Die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts in Bezug auf die dem Angeklagten zur Last liegenden Taten I und II der Urteilsgründe (Schuldsprüche wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs -, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses) halten revisionsgerichtlicher Prüfung nicht stand.
4
Die Strafkammer hat bei diesen beiden Taten strafschärfend berücksich- tigt, dass „der Angeklagte durch seine Taten seinen gesamten pflegerisch tätigen Berufsstand sehr stark in Misskredit gebracht“ (UA S. 87) habe. Damit hat es gegen § 46 Abs. 3 StGB verstoßen. Zwar dient § 174c StGB in erster Linie dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung in Situationen, in denen dieses Rechtsgut aufgrund der besonderen Schutzbedürftigkeit der durch Krankheit oder Behinderung belasteten Rechtsgutsträger und der Eigenart von Beratungs -, Behandlungs- und Betreuungsverhältnissen typischer Weise besonders gefährdet ist (BGH, Beschluss vom 29. Juni 2016 - 1 StR 24/16, NJW 2016, 2965 mwN). Der Tatbestand schützt aber auch „das hohe Berufsethos der Heilberufe und das öffentliche Interesse an einem funktionierenden Gesund- heitswesen“ (BT-Drucks. 13/2203, S. 5), so dass dieses dem gesetzlichen Tat- bestand zu Grunde liegende Merkmal bei der Strafzumessung nicht nochmals zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt werden durfte.
5
Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei einer Nichtberücksichtigung dieses Umstands auf eine niedrigere Einzelstrafe bei den Taten I und II der Urteilsgründe erkannt hätte. Die Strafe für die Tat III (Verstoß gegen das Berufsverbot - § 145c StGB) ist davon aber nicht betroffen und kann deshalb bestehen bleiben.
6
Der aufgezeigte Rechtsfehler nötigt daher zur Aufhebung der betroffenen beiden Einzelstrafaussprüche und des Ausspruchs über die Gesamtstrafe. Die insoweit getroffenen Feststellungen können aufrecht erhalten bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO), da sie von dem aufgezeigten Wertungsfehler bei der Strafzumessung nicht betroffen sind.

II.


7
Auch die Anordnung eines lebenslangen Berufsverbots als Maßregel der Besserung und Sicherung gemäß § 70 StGB hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand, da sie im Rahmen der Gefahrenprognose tragend auf eine Verwertung im Bundeszentralregister bereits getilgter Vorahndungen gestützt wird.
8
1. Das Berufsverbot ist ein schwerwiegender Eingriff, mit dem die Allgemeinheit oder auch nur ein bestimmter Personenkreis vor weiterer Gefährdung geschützt werden sollen (BGH, Urteil vom 12. Mai 1975 - AnwSt (R) 8/74, NJW 1975, 1712). Es darf daher nur verhängt werden, wenn die Gefahr besteht, dass der Täter auch in Zukunft den Beruf, dessen Ausübung ihm verboten werden soll, zur Verübung erheblicher Straftaten missbrauchen wird (BGH, Urteil vom 25. April 2013 - 4 StR 296/12, StV 2013, 699 mwN). Voraussetzung hierfür ist, dass eine - auf den Zeitpunkt der Urteilsverkündung abgestellte - Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten den Richter zu der Überzeugung führt, dass die Gefahr, das heißt die Wahrscheinlichkeit künftiger ähnlicher erheblicher Rechtsverletzungen durch den Täter besteht (BGH, Urteil vom 25. April 2013 - 4 StR 296/12, StV 2013, 699; Beschluss vom 2. August 1978 - StB 171/78, BGHSt 28, 84, 85 f.; Urteil vom 22. Oktober 1981 - 4 StR 429/81, wistra 1982, 66, 67).
9
2. Diesen Maßstab hat das Landgericht im Ansatz zutreffend angewendet , jedoch bei der Gesamtwürdigung im Rahmen der Gefahrprognose rechtsfehlerhaft bereits getilgte Vorstrafen des Angeklagten aus den Jahren 1999 und 2001 wegen sexueller Übergriffe (UA S. 89) berücksichtigt.
10
a) Gemäß § 51 Abs. 1 BZRG darf dem Angeklagten eine Tat und die entsprechende Verurteilung im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden, wenn die Eintragung über die Verurteilung im Register bereits getilgt worden oder zu tilgen ist. Durch diese Regelung wird ein Verurteilter von dem mit seiner Verurteilung verbundenen Strafmakel befreit und durch die umfassende Wirkung der Tilgung die mit der Verurteilung einhergehende Stigmatisierung endgültig beseitigt. Das Vorhalte- und Verwertungsverbot der Eintragung im Register bedeutet einen Schutz des Angeklagten auch in den Fällen, in denen seine frühere Verurteilung auf andere Weise als durch eine Registerauskunft bekannt wird, etwa durch Mitteilungen von dritter Seite - wie hier durch die Zeugenaussage der Kriminalbeamtin (UA S. 89) - oder den Angeklagten selbst (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2015 - 3 StR 382/15, NStZ 2016, 468; Urteil vom 8. Dezember 2011 - 4 StR 428/11, NStZ-RR 2012, 143, 144 mwN).
11
Dieses Vorhalte- und Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes für die Strafzumessung; danach darf eine getilgte oder tilgungsreife Vorstrafe nicht zum Nachteil des Angeklagten , insbesondere nicht strafschärfend berücksichtigt werden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 29. Oktober 2015 - 3 StR 382/15, NStZ 2016, 468 mwN). Das Vorhalte- und Verwertungsverbot tilgungsreifer Bestrafungen und der zugrundeliegenden Taten gilt aber grundsätzlich auch für die Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung, sofern nicht eine der in § 52 BZRG aufgeführten Ausnahmen gegeben ist (BGH, Beschlüsse vom 29. Oktober 2015 - 3 StR 382/15, NStZ 2016, 468; vom 28. August 2012 - 3 StR 309/12, BGHSt 57, 300, 302 ff. und vom 21. August 2012 - 4 StR 247/12 - NStZ-RR 2013, 84), und damit auch für das hier maßgebliche Berufsverbot gemäß § 70 StGB.
12
b) Eine Ausnahme vom Verwertungsverbot ist hier nicht gegeben, da weder ein Fall des § 52 Abs. 1 Nr. 2 noch des § 52 Abs. 1 Nr. 4 BZRG vorliegt.
13
Nach der eng auszulegenden Ausnahmevorschrift des § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG ist die Verwertung getilgter Vorstrafen zu Lasten des Angeklagten bei Begutachtungen über den Geisteszustand des Betroffenen gestattet. Da ein Gutachten zum Bestehen eines Hanges im Sinne von § 66 StGB und einer darauf beruhenden Gefährlichkeit eines Angeklagten kein Gutachten über den Geisteszustand im Sinne des § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG ist (BGH, Beschlüsse vom 22. Dezember 2015 - 2 StR 207/15, NStZ-RR 2016, 120 und vom 28. August 2012 - 3 StR 309/12, BGHSt 57, 300, 302 ff.), kann für ein Berufs- verbot gemäß § 70 StGB nichts anderes gelten. Auch hier steht eine wertende Feststellung der persönlichen Eigenschaften des Angeklagten im Mittelpunkt.
14
§ 52 Abs. 1 Nr. 4 BZRG greift als ebenfalls eng auszulegende Ausnahmevorschrift nur dann ein, wenn der Betroffene den Zugang zu einer bestimmten Betätigung oder die Aufhebung einer die Ausübung eines Berufs oder Gewerbes untersagenden Entscheidung beantragt; die Regelung gilt damit aber gerade nicht für Maßnahmen, welche die betreffenden Betätigungen beenden (BVerwG, Beschluss vom 30. Oktober 2014 - 2 B 109/13) und damit auch nicht - wie hier - im Fall einer Anordnung eines Berufsverbots nach § 70 StGB.
15
3. Da das Landgericht sich zur Gefahrprognose im Rahmen des § 70 StGB mehrfach auf die strafrechtliche Delinquenz des Angeklagten über einen Zeitraum von zwanzig Jahren stützt, kann der Senat nicht ausschließen, dass die Maßregelanordnung auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruht. Die Anordnung der Maßregel der Besserung und Sicherung kann daher keinen Bestand haben. Die dazugehörigen Feststellungen werden mit aufgehoben, um dem neuen Tatrichter eine in sich widerspruchsfreie Entscheidung über das Berufsverbot zu ermöglichen. Raum Jäger Bellay Fischer Bär

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende,die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,das Maß der Pflichtwidrigkeit,die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowiesein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.

(1) Wer sexuelle Handlungen an einer Person, die ihm wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung einschließlich einer Suchtkrankheit oder wegen einer körperlichen Krankheit oder Behinderung zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut ist, unter Mißbrauch des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einer dritten Person bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer Person, die ihm zur psychotherapeutischen Behandlung anvertraut ist, unter Mißbrauch des Behandlungsverhältnisses vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einer dritten Person bestimmt.

(3) Der Versuch ist strafbar.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 24/16
vom
29. Juni 2016
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_____________________________
1. Zur Eigenständigkeit des Merkmals „Missbrauch“ bei § 174c Abs. 1 StGB.
2. Für die Beurteilung, ob ein Missbrauch im Sinne von § 174c Abs. 1 StGB
vorliegt, kommt es auf die konkrete Art und Intensität des Beratungs-, Behandlungs
- oder Betreuungsverhältnisses an.
BGH, Beschluss vom 29. Juni 2016 – 1 StR 24/16 - LG München II
in der Strafsache
gegen
ECLI:DE:BGH:2016:290616B1STR24.16.0


wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. Juni 2016 gemäß § 349 Abs. 4 und § 354 Abs. 1 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 15. Juli 2015 aufgehoben. Der Angeklagte wird freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last. Die Nebenklägerin trägt ihre notwendigen Auslagen selbst. Die Entscheidung über die Entschädigung des Angeklagten wegen erlittener Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt dem Landgericht vorbehalten.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „sexuellen Missbrauchs un- ter Ausnutzung eines Beratungs- oder Behandlungsverhältnisses in zwei Fäl- len“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt und deren Voll- streckung zur Bewährung ausgesetzt. Die mit der näher ausgeführten Sachrüge geführte Revision des Angeklagten führt zu dessen Freispruch.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
1. Der Angeklagte ist Facharzt für Psychiatrie und Neurologie und in dieser Funktion in verschiedenen Positionen tätig gewesen, u.a. als Landgerichtsarzt beim Landgericht München II, als Psychiater in den Justizvollzugsanstalten Straubing und München-Stadelheim und als stellvertretender Chefarzt einer forensischen Abteilung. Seit 2001 ist der Angeklagte als freier (forensischer) Gutachter tätig. In dieser Funktion lernte der Angeklagte die Nebenklägerin, die Zeugin S. , im Jahr 2007 kennen. Die Nebenklägerin war zu dieser Zeit Richterin in einer Strafvollstreckungskammer beim Landgericht München I und hatte mit einem (anderweitig verheirateten) Kollegen der Strafvollstreckungskammer ein Verhältnis begonnen. Dieser Kollege, der Zeuge W. , war damals mit dem Angeklagten eng befreundet und machte ihn mit der Nebenklägerin bekannt. Sie erteilte in der Folgezeit gelegentlich Gutachtenaufträge an den Angeklagten. W. sagte der Nebenklägerin, dass der Angeklagte Interesse an ihr habe. Als die Beziehung der Nebenklägerin mit W. Ende 2007 in eine Krise geriet, verabredete sie sich Anfang 2008 mit dem Angeklagten zum Abendessen in einem Münchener Lokal. Dort erzählte sie ihm von ihrer Alkoholabhängigkeit. Beim Abschied versuchte der Angeklagte, der Nebenklägerin einen Zungenkuss zu geben, was diese abwehrte. In der Folgezeit gab es nur noch zufällige Begegnungen der beiden.
4
2. Die Nebenklägerin war seit Ende 2004 alkoholabhängig und wurde deshalb mehrfach stationär behandelt. Bei einem viermonatigen Aufenthalt in der Oberbergklinik im Jahr 2006 wurden neben der Alkoholabhängigkeit eine bipolare affektive Störung und eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert , bei einem zweiwöchigen Aufenthalt im Jahr 2009 ein Rückfall bei Alkoholabhängigkeit, eine Benzodiazepin-Abhängigkeit und eine bipolare affektive Störung und bei einem weiteren zweiwöchigen Aufenthalt im Februar 2010 ein Rückfall bei Alkoholabhängigkeit, eine Angststörung und eine bipolare affektive Störung. Bei ihrem letzten Aufenthalt wurde sie u.a. mit dem Benzodiazepin Tavor behandelt, das in der Klinik langsam reduziert und bis Ende Februar 2010 abgesetzt wurde. Anschließend war die Nebenklägerin weiterhin in ambulanter Behandlung.
5
3. Nach dem letzten Klinikaufenthalt gingen die dienstlichen Leistungen der Nebenklägerin, die nunmehr in der Funktion „Staatsanwältin als Gruppen- leiterin“ in der politischen Abteilung der Staatsanwaltschaft München I tätig war, merklich zurück. Anfang Juni 2010 hielt ihr Vorgesetzter ihr dies in einem Gespräch vor und mahnte eine Verbesserung der Arbeitsleistung oder den Wechsel in eine andere Abteilung bzw. zu einer anderen Behörde an. Hierdurch fühlte sich die Nebenklägerin unter Druck gesetzt und konnte sich nicht mehr vorstellen , ohne die Einnahme von Benzodiazepinen weiter zu arbeiten. Sie ging davon aus, dass ihr behandelnder Psychotherapeut ihr diese nicht verschreiben würde. In dieser Situation kam ihr der Gedanke, sich an den Angeklagten zu wenden und sein Interesse an ihr auszunutzen, um ihn zur Verschreibung von Benzodiazepinen zu bewegen.
6
a) Am 5. Juni 2010 rief die Nebenklägerin beim Angeklagten an, sagte, ihr gehe es sehr schlecht, und fragte ihn zum Schein, ob es in einer Notfallambulanz Psychiater gebe. Dabei hoffte sie, er würde ihr seine Hilfe anbieten. Der Angeklagte bot ihr (ihrem Plan entsprechend) an, sie solle doch zu ihm in die Praxis kommen, was die Nebenklägerin tat. Dort diagnostizierte er bei ihr eine massive Angstattacke und verschrieb ihr – medizinisch vertretbar – auf ihre Bitte hin 10 Tabletten mit dem Wirkstoff Tavor, einem Benzodiazepin. Beide be- sprachen die von der Nebenklägerin auf Verschreibung ihres Psychotherapeuten eingenommene Medikation, der Angeklagte schlug aufgrund erheblicher Nebenwirkungen (Gewichtszunahme) eine Änderung vor. Die Nebenklägerin stellte dem Angeklagten in diesem Zusammenhang ein privates Treffen in Aussicht , was dieser annahm. Sie hoffte dabei, den Angeklagten durch eine sexuelle Beziehung als Tablettengeber zu gewinnen. Zugleich kam ihr entgegen, dass sie damit ihren früheren Geliebten W. ärgern konnte.
7
b) Der Angeklagte ließ sich von der Nebenklägerin eine Schweigepflichtentbindung unterschreiben und forderte von der Oberbergklinik die Arztberichte an, die er noch im Juni 2010 erhielt und las. Daraus ergab sich für den Angeklagten, dass bei der Nebenklägerin das Risiko einer BenzodiazepinAbhängigkeit bestand. Im Juni sandte der Angeklagte der Nebenklägerin auf ihre Bitte hin mindestens einmal ein weiteres Benzodiazepinrezept zu, das die Nebenklägerin mittels Fertigung einer Kopie zweimal einlöste. In der Folgezeit kam es zu mehrfachem Kontakt zwischen der Nebenklägerin und dem Angeklagten. Ende Juni 2010 sandte die Nebenklägerin dem Angeklagten eine SMS mit einem eindeutigen sexuellen Angebot, die folgenden SMS waren dann von beiden Seiten in einem sexuellen Bereich angesiedelt.
8
c) Anfang Juli 2010 verabredeten sich beide in der Wohnung der Nebenklägerin , um dort sexuell miteinander zu verkehren. Man einigte sich auf Initiati- ve des Angeklagten auf „soften SM“, der Angeklagte brachte entsprechende Utensilien wie Schlagwerkzeuge mit, die anschließend zum Einsatz kamen. Es kam auch zum ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr. In der Folgezeit kam es ungefähr zu zwei weiteren, in gleicher Weise verlaufenden Intimkontakten (nicht verfahrensgegenständlich).
9
Dem Angeklagten war dabei bekannt, dass die Nebenklägerin ihn in seiner Eigenschaft als Arzt aufgesucht, er sie über ihre Medikation beraten und ihr Rezepte ausgestellt hatte. Er machte sich bei der Aufnahme der intimen Beziehungen zunutze, dass sie sich in einem psychisch angeschlagenen Zustand befand und dass sie für die von ihr begehrten Benzodiazepine von ihm als ärztlichem Rezeptgeber abhängig war. Der Angeklagte hätte zwar gerne eine Lebenspartnerschaft mit der Nebenklägerin begonnen, wollte ein Kind von ihr, überlegte, eine gemeinsame Wohnung zu nehmen, und sprach ihr gegenüber halb im Scherz und halb im Ernst an, sie zu heiraten. Die Nebenklägerin lehnte dies aber alles ab, so dass es nicht zu einer beidseitigen „echten Liebesbeziehung“ oder Lebenspartnerschaft kam. In dieser Zeit war der Angeklagte viel- mehr weiterhin mit P. liiert.
10
d) In den folgenden Wochen fuhren der Angeklagte und die Nebenklägerin an zwei Wochenenden jeweils in das Ferienhaus des Angeklagten am Gardasee , wo sie Sexualverkehr in der beschriebenen Weise hatten (insoweit hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellt). Sie gingen auch in Verona einkaufen und besuchten die Oper.
11
e) Im August 2010 wollte der Angeklagte Urlaub in seinem Ferienhaus in Kreta machen und bat die Nebenklägerin um Begleitung. Als diese ablehnte, erklärte er, dann nehme er seine bisherige Lebensgefährtin P. mit. Dies empfand die Nebenklägerin als Unverschämtheit, weil der Angeklagte ihr noch kurz zuvor erklärt habe, er liebe sie und wolle sie heiraten. Sie forderte vom Angeklagten, er müsse ihr weiter die Medikamente geben. Der Angeklagte, der die Nebenklägerin als Sexualpartnerin nicht verlieren wollte, ging darauf ein und überließ ihr zwei Blankorezepte, die sie anschließend zur Medikamentenbeschaffung (Tavor, Zyprexa) verwendete.
12
f) Ende Oktober 2010 trafen sich die Nebenklägerin und der Angeklagte zum Frühstück in einem Lokal. Er meinte zu ihr, sie beide „könnten doch mal wieder Sex haben“. Zunächst begaben sich beide in die Praxisräume des An- geklagten, wo er ihr einen alten Rezeptblock mit fünf blanko unterzeichneten Rezepten überließ. Dann begaben sie sich in die Wohnung der Nebenklägerin und hatten dort Geschlechtsverkehr.
13
g) Aufgrund einer Bitte des Angeklagten, ihm einen Rezeptblock im Internet zu bestellen, bestellte sich die Nebenklägerin mit den Daten des Angeklagten selbst einen Rezeptblock sowie einen passenden Praxisstempel, fälschte anschließend die Unterschrift des Angeklagten und versorgte sich mit hohen Mengen von Tavor. Der steigende Konsum führte im Dezember 2010 zum Zusammenbruch der Nebenklägerin mit einer schweren Diazepamintoxikation. Es gelang ihr noch, den Angeklagten anzurufen, der ihr in ihrer Wohnung Hilfe leistete und ihre Einweisung in eine Klinik veranlasste. In der Klinik trat er teils als einweisender Arzt, teils als Lebensgefährte auf.
14
4. Im Rahmen der Hauptverhandlung verpflichtete sich der Angeklagte, der Nebenklägerin als „symbolischen Ausgleich für sein Verhalten“ insgesamt 20.000 Euro zu zahlen, wovon 2.100 Euro sofort beglichen wurden.

II.


15
Der Angeklagte ist freizusprechen (§ 354 Abs. 1 StPO). Ein Freispruch durch das Revisionsgericht erfolgt, wenn die zu einem bestimmten Anklagepunkt fehlerfrei und erkennbar vollständig getroffenen Feststellungen ergeben, dass sich der Angeklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt strafbar gemacht hat, und weitere Feststellungen, die zu einer Verurteilung führen könnten , auch unter Berücksichtigung des Gebots umfassender Sachaufklärung und erschöpfender Beweiswürdigung nicht zu erwarten sind (vgl. BGH, Urteile vom 7. März 1995 – 1 StR 523/94, StV 1996, 81; vom 19. Januar 1999 – 1 StR 171/98, NJW 1999, 1562, 1564 und vom 22. April 2004 – 5 StR 534/02, NStZRR 2004, 270, 271; Gericke in KK-StPO, 7. Aufl., § 354 Rn. 3 mwN). Dies ist vorliegend der Fall.
16
1. Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts hat sich der Angeklagte nicht strafbar gemacht.
17
a) Insbesondere belegen die Feststellungen keine Strafbarkeit des Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs der Nebenklägerin unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses (§ 174c Abs. 1 StGB). Die Voraussetzungen dieser Strafnorm liegen nicht vor. Zwar hat der Angeklagte mehrfach sexuelle Handlungen an der Nebenklägerin vorgenommen und von ihr an sich vornehmen lassen. Dies geschah aber nicht unter Missbrauch eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses.
18
aa) Zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin bestand ein Beratungs - und Behandlungsverhältnis. Die Nebenklägerin hatte sich mit der Bitte um ärztlichen Rat an den Angeklagten gewandt. Der Angeklagte hatte ihr als Arzt Medikamente verschrieben, ärztliche Berichte über Vorbehandlungen angefordert und sie ärztlich, auch in seiner Praxis, beraten.
19
Die Nebenklägerin hatte sich dem Angeklagten auch wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit einschließlich einer Suchtkrankheit anvertraut. Sie hatte sich vor dem Hintergrund der bei ihr zuletzt diagnostizierten Störungen (Alkoholabhängigkeit, Angststörung und bipolare affektive Störung) aufgrund einer als besonders belastend empfundenen beruflichen Situation an den Angeklagten gewandt. Das für die Tatbestandserfüllung notwendige „Anver- trautsein“ setzt weder das Vorliegen einer rechtsgeschäftlichen Beziehung zwi- schen Täter und Opfer voraus noch kommt es darauf an, auf wessen Initiative das Verhältnis begründet wird. Das Verhältnis muss auch nicht von einer so besonderen Intensität und Dauer sein, dass eine Abhängigkeit des Behandelten vom Arzt entstehen kann; es ist ausreichend, wenn das Opfer die fürsorgerische Tätigkeit des Täters entgegennimmt (vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 – 3 StR 318/11, NStZ 2012, 440; vgl. zu den Anforderungen an dieses Verhältnis auch BGH, Beschluss vom 2. Mai 2016 – 4 StR 133/16). Entgeltlichkeit ist nicht entscheidend, sondern das durch eine besondere Vertrauensstellung des Täters gekennzeichnete fürsorgerische Verhältnis zum Opfer (vgl. KG, Beschluss vom 27. Januar 2014 – [4] 161 Ss 2/14 [11/14], NStZ-RR 2014,

178).


20
bb) Der Angeklagte hat dieses Verhältnis aber nicht zur Vornahme sexu- eller Handlungen an der Nebenklägerin „missbraucht“.
21
(1) Der Tatbestand des § 174c Abs. 1 StGB fordert den Missbrauch eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses. Dabei handelt es sich um ein einschränkendes Tatbestandsmerkmal, dem eine eigenständige Bedeutung zukommt (vgl. BT-Drucks. 13/8267 S. 7; OLG Karlsruhe, Urteil vom 4. Juni 2009 – 3 Ss 113/08, BeckRS 2009, 20082). Die Auslegung der Begriffe, mit denen der Gesetzgeber das unter Strafe gestellte Verhalten bezeichnet hat, darf nicht dazu führen, dass die dadurch bewirkte Eingrenzung der Strafbarkeit im Ergebnis wieder aufgehoben wird. Einzelne Tatbestandsmerkmale dürfen deshalb nicht so ausgelegt werden, dass sie vollständig in anderen Tatbestandsmerkmalen aufgehen, also zwangsläufig mit diesen mitverwirklicht werden (Verschleifung oder Entgrenzung von Tatbestandsmerkmalen; st. Rspr.; vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 28. Juli 2015 – 2 BvR 2558/14 u.a., NJW 2015, 2949, 2954 mwN). Deshalb kann nicht schon jeder sexuelle Kontakt im Rahmen eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses per se missbräuchlich im Sinne von § 174c StGB sein, ansonsten würde das Tatbe- standsmerkmal „unter Missbrauch“ jede Bedeutung verlieren (vgl. BGH, Be- schluss vom 25. Februar 1999 – 4 StR 23/99, NStZ 1999, 349 [zu § 174a Abs. 1 StGB], OLG Karlsruhe aaO).
22
§ 174c StGB dient dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung in Situationen , in denen dieses Rechtsgut aufgrund der besonderen Schutzbedürftigkeit der durch Krankheit oder Behinderung belasteten Rechtsgutsträger und der Eigenart von Beratungs-, Behandlungs- und Betreuungsverhältnissen typischer Weise besonders gefährdet ist (vgl. BGH, Urteil vom 14. April 2011 – 4 StR 669/10, BGHSt 56, 226, 230). Vor dem Hintergrund der innerhalb von Beratungs -, Behandlungs- und Betreuungsverhältnissen üblicherweise bestehenden Vertrauens- und Abhängigkeitsbeziehung soll ein Missbrauch derselben durch sexuelle Handlungen verhindert werden (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Mai 2016 – 4StR 133/16 mwN). Kommt es in Zusammenhang mit einem solchen Verhältnis zu sexuellen Handlungen zwischen dem behandelnden Arzt und einem Patienten, kann ein Missbrauch auch vorliegen, wenn das Opfer – wie hier – mit dem Sexualkontakt einverstanden ist (vgl. BGH, Urteil vom 14. April 2011 – 4 StR 669/10, BGHSt 56, 226, 230; Beschluss vom 2. Mai 2016 – 4 StR 133/16). In den meisten Fällen wird sich von selbst verstehen, dass ein Arzt, der sexuelle Handlungen an einer Patientin oder einem Patienten im Rahmen eines Beratungs-, Behandlungs- und Betreuungsverhältnisses vornimmt, dieses besondere Verhältnis missbraucht, etwa wenn er vorgibt, die sexuelle Handlung sei medizinisch notwendig, wenn er behandlungsbezogene Nachteile beim Zurückweisen seines Ansinnens in den Raum stellt oder wenn er die schutzlose Lage einer (entkleideten) Patientin zur Vornahme sexueller Handlungen aus- nutzt (BGH, Urteil vom 14. April 2011 – 4 StR 669/10, BGHSt 56, 226, 234 mwN).
23
An einem Missbrauch in dem vom Gesetz vorausgesetzten Sinne fehlt es aber, wenn der Täter im konkreten Fall nicht eine aufgrund des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses bestehende Autoritäts- oder Vertrauensstellung gegenüber dem Opfer zur Vornahme der sexuellen Handlung ausgenutzt hat (vgl. BGH aaO S. 232 mwN). Der Missbrauch setzt die illegitime Wahrnehmung einer Chance voraus, die das Vertrauensverhältnis im Sinne dieser Vorschrift mit sich bringt (BGH, Urteil vom 4. April 1979 – 3 StR 98/79, BGHSt 28, 365, 367 [zu § 174 StGB]). Ein Missbrauch liegt deshalb etwa bei einvernehmlichen sexuellen Handlungen des Ehepartners oder Lebensgefährten während eines Betreuungsverhältnisses oder bei einer von dem Beratungs -, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis unabhängigen „Liebesbezie- hung“ und in deren Folge nur gelegentlich der Behandlung oder nach deren Abschluss vorgenommenen sexuellen Handlung nicht vor (vgl. BGH, Urteil vom 14. April 2011 – 4 StR 669/10, BGHSt 56, 226, 234 mwN).
24
Entscheidend kommt es für die Beurteilung, ob ein Missbrauch vorliegt, zudem auf die konkrete Art und Intensität des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses an. Je intensiver die Kontakte zwischen Täter und Opfer im Rahmen dieses Verhältnisses sind, desto geringere Anforderungen sind an das Vorliegen eines Missbrauchs zu stellen. Je weniger der Täter hingegen im Rahmen dieses Verhältnisses mit dem Opfer befasst ist, desto höher sind die Anforderungen (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 4. Juni 2009 – 3 Ss 113/08, BeckRS 2009, 20082; vgl. auch BGH, Beschluss vom 29. September 1998 – 4 StR 324/98, NStZ 1999, 29 [zu § 174a StGB]).
25
(2) An einem Missbrauch fehlt es deshalb, wenn – wie hier – eine bereits in ärztlicher Behandlung befindliche Patientin von sich aus das schon vorhandene Interesse eines mit ihr privat bekannten Arztes an ihrer Person ausnutzt, um sich im Rahmen einer lockeren freundschaftlichen Beziehung lediglich auf diesem Weg sonst nicht erhältliche Medikamente verschreiben zu lassen, dabei dem Arzt aufgrund ihrer beruflichen Stellung und Persönlichkeit „auf Augenhö- he“ begegnet und der Entschluss, mit dem Arzt sexuell zu verkehren, nicht auf wesentliche (krankheitsbedingte) Willensmängel zurückzuführen ist.
26
Die Nebenklägerin wurde im anklagegegenständlichen Zeitraum vorrangig von F. behandelt. Diesen betrachtete sie selbst als ihren „Haupt- arzt“, während sie den Angeklagten weniger als behandelnden Arzt ansah (UA S. 13). Mit dem Angeklagten ging die Nebenklägerin eine Beziehung ein, bei der nicht die regelmäßige intensive ärztliche Beratung oder Betreuung im Vordergrund stand, sondern unentgeltlicher ärztlicher Rat auf freundschaftlicher Basis.
27
Die Nebenklägerin hat sich bereits vor Beginn des Behandlungsverhältnisses von sich aus dazu entschlossen, den vorher nicht als Arzt mit ihr befassten Angeklagten zu instrumentalisieren, um sich durch sein sexuelles Interesse an ihr Zugang zu Medikamenten zu verschaffen, die sie auf anderem Wege nur schwer besorgen konnte. Nach ihren, von der Kammer als glaubhaft gewerteten Angaben, hat sie den Plan gefasst, durch Aufnahme einer sexuellen Beziehung mit dem Angeklagten nichtnur ihren früheren Kollegen und Liebhaber W. zu ärgern, sondern sich aufgrund des starken Interesses des Angeklagten an ihr Rezepte zu verschaffen, die sie von ihrem behandelnden Arzt nicht ausgestellt bekommen hätte (UA S. 13). Diesen Plan hat die Nebenklägerin in der Folge zielgerichtet umgesetzt und die Aufnahme des Behandlungsverhältnisses durch eine List erreicht. Ihr Angebot „Sex für Tabletten“ (UA S. 11) hat der Angeklagte aus Sicht der Nebenklägerin aufgrund seines vorhandenen Interesses an ihr angenommen. Damit stellt sich das Vorgehen der Nebenklägerin im Ergebnis als Ausdruck ihrer sexuellen Selbstbestimmung dar, nicht als deren Missbrauch durch den Angeklagten.
28
Diese Entscheidung der Nebenklägerin war auch frei von wesentlichen Willensmängeln. Die Nebenklägerin war nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts im anklagegegenständlichen Zeitraum nicht abhängig von Benzodiazepinen. Der Angeklagte ging nach Einholung der ärztlichen Berichte der Oberbergklinik von einer bloßen – falsch behandelten – Alkoholabhängigkeit der Nebenklägerin aus (UA S. 11). Die Nebenklägerin befand sich bereits in ärztlicher Behandlung und konnte sich dort die von ihr benötigte Hilfe holen. Zwar gab es ein auch krankheitsbedingt besonders gesteigertes Interesse an der Verschreibung angstunterdrückender Medikamente. Dieses Interesse war aber nicht derart übermächtig, dass es die freie Willensentschließung der Nebenklägerin normativ relevant beeinträchtigt hätte. Die Nebenklägerin blieb im anklagegegenständlichen Zeitraum nach den Feststellungen des Landgerichts vielmehr Herrin ihrer Entscheidungen, was sich auch daran zeigt, dass sie auf die weitergehenden Avancen des Angeklagten durchweg ablehnend reagierte.
29
Die Nebenklägerin begegnete dem Angeklagten zudem auf „Augenhöhe“. Eine für andere Konstellationen des Beratungs-, Behandlungs- oder Be- treuungsverhältnisses typische Abhängigkeitsbeziehung bzw. ein Autoritätsvorsprung des Arztes ist nach den Feststellungen des Landgerichts ausgeschlossen. Die promovierte Nebenklägerin war in einer verantwortungsvollen Stelle als „Staatsanwältin als Gruppenleiterin“ bei der politischen Abteilung der Staatsanwaltschaft München I tätig und hatte früher dem Angeklagten als Richterin am Landgericht Gutachtenaufträge erteilt. Aufgrund dieser Position hatte sie eher einen Autoritätsvorsprung im Verhältnis zum Angeklagten als umgekehrt. Dies zeigt sich auch im Verhalten der Nebenklägerin, die keineswegs blind den Wünschen des Angeklagten folgte, sondern etwa seinen Wunsch, mit ihr nach Kreta in Urlaub zu fahren, einfach ausschlug.
30
b) Die rechtsfehlerfreien Feststellungen belegen auch nicht, dass sich der Angeklagte im Rahmen des anklagegegenständlichen Tatvorwurfs wegen einer anderen noch verfolgbaren Straftat strafbar gemacht hätte. Über naheliegende Verstöße gegen das berufliche Standesrecht hat der Senat nicht zu entscheiden.
31
2. Es ist auszuschließen, dass ein neues Tatgericht Feststellungen treffen wird, die einen Schuldspruch gegen den Angeklagten tragen würden.
32
Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist umfassend. Die umfangreichen Angaben des Angeklagten und der Nebenklägerin zur Sache, die lediglich in wenigen Punkten voneinander abweichen, sind in den Urteilsgründen ausführlich wiedergegeben. Weitere erhebliche Beweismittel in Bezug auf den übersichtlichen Sachverhalt sind schon nach dem Urteilsinhalt nicht ersichtlich. Angesichts dieser Umstände hat der Senat im konkreten Fall keinen Anlass gesehen, zur Prüfung dieser Frage den gesamten Akteninhalt ergänzend heranzuziehen (vgl. hierzu näher BGH, Urteil vom 7. März 1995 – 1 StR 523/94, StV 1996, 81; KG, Beschlüsse vom 3. April 2006 – [5] 1 Ss 329/05 [12/06], NStZ-RR 2006, 276 und vom 17. Januar 2007 – [2/5] 1 Ss 448/06 [73/06], StraFo 2007, 245; Meyer-Goßner in Meyer-Goßner/Schmitt, 59. Aufl., § 354 Rn. 3).

III.


33
Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 und § 472 Abs. 1 Satz 1 StPO.

IV.


34
Die Entscheidung über eine Entschädigung des Angeklagten wegen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt dem Landgericht überlassen (vgl. BGH, Urteile vom 19. Januar 1999 – 1 StR 171/98, NJW 1999, 1562, 1564 und vom 22. April 2004 – 5 StR 534/02).
Raum Radtke Mosbacher Fischer Bär

Wer einen Beruf, einen Berufszweig, ein Gewerbe oder einen Gewerbezweig für sich oder einen anderen ausübt oder durch einen anderen für sich ausüben läßt, obwohl dies ihm oder dem anderen strafgerichtlich untersagt ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.

(1) Wird jemand wegen einer rechtswidrigen Tat, die er unter Mißbrauch seines Berufs oder Gewerbes oder unter grober Verletzung der mit ihnen verbundenen Pflichten begangen hat, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil seine Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so kann ihm das Gericht die Ausübung des Berufs, Berufszweiges, Gewerbes oder Gewerbezweiges für die Dauer von einem Jahr bis zu fünf Jahren verbieten, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und der Tat die Gefahr erkennen läßt, daß er bei weiterer Ausübung des Berufs, Berufszweiges, Gewerbes oder Gewerbezweiges erhebliche rechtswidrige Taten der bezeichneten Art begehen wird. Das Berufsverbot kann für immer angeordnet werden, wenn zu erwarten ist, daß die gesetzliche Höchstfrist zur Abwehr der von dem Täter drohenden Gefahr nicht ausreicht.

(2) War dem Täter die Ausübung des Berufs, Berufszweiges, Gewerbes oder Gewerbezweiges vorläufig verboten (§ 132a der Strafprozeßordnung), so verkürzt sich das Mindestmaß der Verbotsfrist um die Zeit, in der das vorläufige Berufsverbot wirksam war. Es darf jedoch drei Monate nicht unterschreiten.

(3) Solange das Verbot wirksam ist, darf der Täter den Beruf, den Berufszweig, das Gewerbe oder den Gewerbezweig auch nicht für einen anderen ausüben oder durch eine von seinen Weisungen abhängige Person für sich ausüben lassen.

(4) Das Berufsverbot wird mit der Rechtskraft des Urteils wirksam. In die Verbotsfrist wird die Zeit eines wegen der Tat angeordneten vorläufigen Berufsverbots eingerechnet, soweit sie nach Verkündung des Urteils verstrichen ist, in dem die der Maßregel zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten. Die Zeit, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist, wird nicht eingerechnet.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 296/12
vom
25. April 2013
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. April
2013, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Bender,
Reiter
als beisitzende Richter,
Richterin am Landgericht
als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin ,
Rechtsanwältin ,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwältin
als Vertreter der Nebenkläger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Kaiserslautern vom 14. November 2011 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen, sexuellen Missbrauchs von Kindern in zehn Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen, und sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und acht Monaten verurteilt; ferner hat es Adhäsionsentscheidungen getroffen. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat der Senat mit Beschluss vom 28. Februar 2013 gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten und „auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt(en)“ Revision dagegen, dass die Strafkammer kein – vornehmlich lebenslanges – Berufsverbotverhängt hat. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.


2
Nach den Feststellungen missbrauchte der Angeklagte als verantwortlicher Gruppenleiter des Kinderheims "S. " in R. im Zeitraum von Februar 1994 bis in den Sommer 2005 in insgesamt 15 Fällen fünf minderjährige , ihm anvertraute Mädchen, indem er unterschiedliche sexuelle Handlungen an ihnen vornahm und in zwei Fällen je ein männliches Kind hierbei einbezog. Das Landgericht hat die von der Staatsanwaltschaft beantragte „Verhängung eines (lebenslangen) Berufsverbots“ abgelehnt,weil die in § 70 Abs. 1 Satz 1 StGB vorausgesetzte Wiederholungsgefahr nicht gegeben sei. Der Angeklagte sei „mit den verfahrensgegenständlichen Taten“ erstmals straffällig geworden. Nach deren Begehung sei er am 22. August 2008 wegen (zweier) einschlägiger Straftaten zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. In der dreijährigen Bewährungszeit seien keine weiteren Verfehlungen bekannt geworden, der Angeklagte habe sich nach Auskunft seines Bewährungshelfers vorbildlich geführt und auch den Beruf gewechselt. Zwar sei in dem früheren Verfahren auch ein dreijähriges Berufsverbot verhängt worden; auch habe die psychiatrische Sachverständige ausgeführt, dass sich an der sexuellen Devianz des Angeklagten bezogen auf junge Mädchen nichts mehr ändern werde „und somit z.B. bei einer Tätigkeit in einem Kinderheim immer die Gefahr eines Rückfalls bestehe“. Die Sachverständige habe aber eingeräumt, dass der Angeklagte seine Devianz offenbar kontrollieren könne; bei ihm seien keine Störungen der Impulskontrolle , keine Dissozialität, kein Hang zur sofortigen Bedürfnisbefriedigung und keine Psychopathie feststellbar. Auch verfüge er über „genug Intelligenz“, um die Folgen weiterer Straftaten für sich abschätzen zu können. Das habe er in den Jahren seit der letzten Verurteilung bewiesen und dies werde ihm durch die nunmehr verhängte mehrjährige Haftstrafe noch einmal deutlich vor Augen ge- führt. In einer Hilfserwägung hat die Strafkammer zudem die Verhältnismäßigkeit der Anordnung eines Berufsverbots verneint.

II.


3
Die Revision ist unbegründet.
4
1. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist wirksam (vgl. BGH, Urteil vom 5. August 1975 – 1 StR 356/75, NJW 1975, 2249) auf die Nichtverhängung des Berufsverbots beschränkt. Die Beschwerdeführerin hat zwar ihre Revision „auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt“ und einen dementsprechenden Revisionsantrag gestellt. Mit ihren materiell-rechtlichen Einzelausführungen greift sie jedoch das angefochtene Urteil nur insoweit an, als das Landgericht entgegen ihrem Antrag kein (lebenslanges) Berufsverbot verhängt hat. Unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV versteht der Senat das gesamte Revisionsvorbringen dahin, dass die Staatsanwaltschaft mit ihrem Rechtsmittel weder die Schuld- noch die Strafaussprüche angreifen will (vgl. BGH, Urteile vom 7. August 1997 – 1 StR 319/97, NStZ 1998, 210, und vom 23. September 2008 – 1 StR 420/08).
5
2. Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei von der Anordnung eines Berufsverbots abgesehen.
6
Ein Berufsverbot ist ein schwerwiegender (BGH, Urteil vom 12. Juni 1958 – 4 StR 147/58, VRS 15, 112, 115) Eingriff, mit dem die Allgemeinheit, sei es auch nur ein bestimmter Personenkreis (BGH, Urteil vom 23. Juni 1959 – 5 StR 221/59, GA 1960, 183), vor weiterer Gefährdung geschützt werden soll (BGH, Urteil vom 12. Mai 1975 – AnwSt (R) 8/74, NJW 1975, 1712). Deshalb darf der Strafrichter es nur verhängen, wenn die Gefahr besteht, dass der Täter auch in Zukunft den Beruf, dessen Ausübung ihm verboten werden soll, zur Verübung erheblicher Straftaten missbrauchen wird (RGSt 68, 397, 398 f.; BGH, Beschluss vom 17. Mai 1968 – 2 StR 220/68, BGHSt 22, 144, 145 f.; BGH, Urteil vom 1. November 1955 – 5 StR 442/55, MDR 1956, 143 bei Dallinger). Voraussetzung ist, dass eine – auf den Zeitpunkt der Urteilsverkündung abgestellte (BGH, Urteil vom 5. August 1975 – 1 StR 356/75, NJW 1975, 2249 f.) – Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten den Richter zu der Überzeugung führt, dass die Gefahr, das heißt die Wahrscheinlichkeit künftiger ähnlicher erheblicher Rechtsverletzungen durch den Täter besteht (BGH, Beschluss vom 2. August 1978 – StB 171/78, BGHSt 28, 84, 85 f.; Urteil vom 22. Oktober 1981 – 4 StR 429/81, wistra 1982, 66, 67).
7
Diesen Rechtsgrundsätzen entspricht das angefochtene Urteil; das Landgericht ist bei der Ablehnung eines Berufsverbots von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen: Der Angeklagte war zur Zeit der Begehung der hier abgeurteilten Taten strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten. Wird ein Täter erstmalig wegen einer Anlasstat straffällig, sind an die Annahme seiner weiteren Gefährlichkeit im Sinne des § 70 Abs. 1 Satz 1 StGB ganz besonders strenge Anforderungen zu stellen; insbesondere ist zu prüfen, ob bereits die Verurteilung zur Strafe den Täter von weiteren Taten abhalten wird (BGH, Beschlüsse vom 30. Oktober 1987 – 3 StR 414/87, BGHR StGB § 70 Abs. 1 Wiederholungsgefahr 1, und vom 12. September 1994 – 5 StR 487/94, NStZ 1995, 124). In diesem Zusammenhang hat das Landgericht nicht übersehen , dass der Angeklagte die Missbrauchstaten über nahezu den gesamten Zeitraum seiner Tätigkeit als verantwortlicher Gruppenleiter des „S. “ und damit seiner ersten dauerhaften Festanstellung nach Abschluss der Berufsausbildung begangen hat (vgl. dazu auch BGH, Urteil vom 4. Dezember 2001 – 1 StR 428/01, NStZ 2002, 198). Denn es nimmt zu Beginn seiner Gesamtwürdigung die verfahrensgegenständlichen Taten (UA 145) und damit den gesamten Tatzeitraum in den Blick. Die Strafkammer durfte ferner berücksichtigen , dass nach der Verhängung einer Bewährungsstrafe im Urteil des Landgerichts Kaiserslautern vom 22. August 2008 (und schon zuvor nach Aufdeckung der zugrunde liegenden beiden Übergriffe im Jahr 2007) keine weiteren Straftaten bekannt geworden sind (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 1981 – 4 StR 429/81, wistra 1982, 66, 67; Beschlüsse vom 12. September 1994 – 5 StR 487/94, NStZ 1995, 124, vom 5. August 2009 – 5 StR 248/09, NStZ 2010, 170, 171, und vom 25. Januar 2012 – 1 StR 45/11, NJW 2012, 1377, 1386). Im Rahmen der von ihr vorzunehmenden Gesamtwürdigung konnte die Strafkammer der Gefahr eines Rückfalls rechtsfehlerfrei entgegensetzen, dass die Sachverständige zu dem Ergebnis gekommen war, der Angeklagte habe seine Devianz „offenbar“ psychisch und intellektuell unter Kontrolle.Mit ihren Einwendungen begibt sich die Staatsanwaltschaft weitgehend auf das der revisionsgerichtlichen Kontrolle verschlossene Gebiet tatrichterlicher Wertung. Soweit die Generalstaatsanwaltschaft Zweibrücken, die der Revision der Staatsanwaltschaft beigetreten ist, auf die „erhebliche(n) präventive(n) Aspekte“ der Eintragung eines Berufsverbots im Bundeszentralregister hinweist, übersieht sie, dass bereits die Regelung in § 34 Abs. 1 Nr. 2 BZRG eine hinreichende Information potentieller Arbeitgeber gewährleistet.
Mutzbauer Roggenbuck Cierniak
Bender Reiter

(1) Ist die Eintragung über eine Verurteilung im Register getilgt worden oder ist sie zu tilgen, so dürfen die Tat und die Verurteilung der betroffenen Person im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu ihrem Nachteil verwertet werden.

(2) Aus der Tat oder der Verurteilung entstandene Rechte Dritter, gesetzliche Rechtsfolgen der Tat oder der Verurteilung und Entscheidungen von Gerichten oder Verwaltungsbehörden, die im Zusammenhang mit der Tat oder der Verurteilung ergangen sind, bleiben unberührt.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 382/15
vom
29. Oktober 2015
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern
ECLI:DE:BGH:2015:291015B3STR382.15.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 29. Oktober 2015 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 analog StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stade vom 17. März 2015
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 22 Fällen schuldig ist, sowie
b) im gesamten Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 22 Fällen zur Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt sowie eine Kompensations- und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die hiergegen gerichtete, auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
Die Verurteilung des Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes gemäß § 176a Abs. 1 StGB hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat die Rückfallvoraussetzung dieses Qualifikationstatbestandes bejaht. Dieser rechtlichen Würdigung stand zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung indes das Verwertungsverbot gemäß § 51 Abs. 1 BZRG entgegen. Dies ist im Revisionsverfahren auf die Sachrüge zu beachten (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 1973 - 2 StR 451/72, BGHSt 25, 100; Beschluss vom 23. März 2006 - 4 StR 36/06, StraFo 2006, 296).
3
Im Einzelnen:
4
1. Gemäß § 51 Abs. 1 BZRG darf dem Betroffenen eine Tat und die entsprechende Verurteilung im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden, wenn die Eintragung über die Verurteilung im Register getilgt worden oder sie zu tilgen ist. Dieses bereits mit Eintritt der Tilgungsreife entstehende Vorhalte- und Verwertungsverbot der Eintragung im Register bedeutet einen Schutz des Betroffenen auch in den Fällen, in denen seine frühere Verurteilung auf andere Weise als durch eine Registerauskunft bekannt wird, etwa durch Mitteilungen von dritter Seite oder den Betroffenen selbst (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - 4 StR 428/11, NStZ-RR 2012, 143, 144 mwN). Durch die Regelung des § 51 Abs. 1 BZRG wird ein Verurteilter von dem mit seiner Verurteilung verbundenen Strafmakel befreit und durch die umfassende Wirkung der Tilgung die mit der Verurteilung einhergehende Stigmatisierung endgültig beseitigt. Unter das Verbot fallen Tat und Verurteilung sowie deren Vorhalten und Verwerten im Rechtsverkehr zum Nachteil des Betroffenen. Für die Frage der Tilgungsreife ist maßgeblicher Zeitpunkt in Strafsa- chen das Ende der Hauptverhandlung in der Tatsacheninstanz (vgl. Tolzmann, BZRG, 5. Aufl., § 51 Rn. 5, 12 ff., 24 mwN).
5
2. Die uneingeschränkte Geltung dieses Vorhalte- und Verwertungsverbotes ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes für die Strafzumessung unbestritten; danach darf eine getilgte oder tilgungsreife Vorstrafe nicht zum Nachteil des Angeklagten, insbesondere nicht strafschärfend berücksichtigt werden (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 11. November 2009 - 1 StR 549/09, StraFo 2010, 82, vom 24. August 2011 - 1 StR 317/11, StraFo 2011, 519 und vom 25. Januar 2011 - 4 StR 681/10, NStZ-RR 2011, 286). Gleiches gilt für gemäß § 63 Abs. 1 BZRG tilgungsreife Eintragungen im Erziehungsregister , wenn der Angeklagte vor der Hauptverhandlung das 24. Lebensjahr vollendet hat (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juni 2012 - 3 StR 141/12, StraFo 2012, 423; Tolzmann aaO, Rn. 26 ff.). Das Vorhalte- und Verwertungsvorbot tilgungsreifer Bestrafungen und der zugrundeliegenden Taten gilt grundsätzlich auch für die Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung, sofern nicht eine der in § 52 BZRG aufgeführten Ausnahmen gegeben ist (vgl. Tolzmann aaO, Rn. 37; BGH, Beschluss vom 28. August 2012 - 3 StR 309/12, BGHSt 57, 300, 302 ff.). Schließlich dürfen getilgte Vorstrafen auch nicht als Beweisanzeichen für eine nachteilige Würdigung der Persönlichkeit eines Angeklagten oder als Indiz für seine Täterschaft oder hinsichtlich der Glaubwürdigkeit von Prozessbeteiligten herangezogen werden (vgl. Tolzmann aaO, Rn. 33).
6
3. Strittig ist hingegen, ob § 51 Abs. 1 BZRG auch den Fall erfasst, dass die frühere Straftat oder Verurteilung Tatbestandsmerkmal einer späteren Straftat ist, die vor Eintritt der Tilgungsreife begangen wurde. Das Oberlandesgericht Celle hat dies - zu § 49 BZRG aF - verneint und entschieden, dass es gestattet sei, eine sonst unter das Verwertungsverbot fallende Vorstrafe zur Ausfüllung des gesetzlichen Tatbestandes einer neuen Straftat heranzuziehen, vorausgesetzt , dass dies zum Zeitpunkt der Begehung der neuen Straftat auch dann möglich gewesen wäre, wenn das "heutige Recht" hätte angewendet werden müssen (§ 2 Abs. 2 Satz 2 StGB aF = § 2 Abs. 3 StGB nF). Sonst würde etwa eine Falschaussage, die nach damaligem und "heutigem Recht" strafbar ist, straflos bleiben, weil ihre Tatbestandsmäßigkeit nicht mehr festgestellt werden könnte (vgl. OLG Celle, Urteil vom 7. Dezember 1972 - 1 Ss 312/72, NJW 1973, 1012, 1013; ebenso Tolzmann aaO, Rn. 36; aA Tremml, Die Rechtswirkungen der Straftilgung, Diss. 1975, S. 71; Creifelds, GA 1974, 129, 140).
7
4. Ob dies zutrifft, kann indes offen bleiben, da diese Rechtsauffassung jedenfalls auf die hier zu beurteilende Fallkonstellation nicht übertragbar ist. Zwar werden Taten nach § 176 Abs. 1 und 2 StGB gemäß § 176a Abs. 1 StGB zum schweren sexuellen Missbrauch von Kindern heraufgestuft; die frühere Verurteilung ist dabei Tatbestandsmerkmal der Qualifikationsvorschrift. Indes knüpft diese nicht an das Tatbild und damit an den unmittelbaren Unrechts- und Schuldgehalt der neuen Tat nach § 176 Abs. 1 oder 2 StGB an; vielmehr betrifft sie allein die Strafzumessungsschuld, da sie einen ansonsten bei der Straffindung nur allgemein zu berücksichtigenden Umstand (§ 46 Abs. 2 Satz 2 StGB: Das Vorleben des Täters) für eine bestimmte Konstellation des Rückfalls schon zur Festlegung des Strafrahmens heranzieht. Nach dem mit § 51 Abs. 1 BZRG verfolgten Zweck (s. oben 1.) und in der Konsequenz der daraus von der Rechtsprechung gezogenen Folgerungen (s. oben 2.) ist es daher nicht zulässig , zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung in der Tatsacheninstanz tilgungsreife einschlägige Vorstrafen zur Bejahung der Voraussetzungen des § 176a Abs. 1 StGB zu verwerten.
8
5. Danach hätte das Landgericht die rechtskräftige Vorverurteilung des Angeklagten durch das Urteil des Amtsgerichts Aurich vom 20. Juli 2004 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von zehn Monaten, in der die Strafkammer die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzung des Rückfalls gemäß § 176a Abs. 1 StGB erblickt hat, nicht berücksichtigen dürfen. Zwar war zum Zeitpunkt der in der vorliegenden Sache begangenen letzten Tat im Juni 2008 die Tilgungsreife für diese Vorstrafe noch nicht eingetreten, indes war dies zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung des angefochtenen Urteils am 17. März 2015 der Fall. Die Tilgungsfrist für die Vorverurteilung betrug gemäß § 46 Abs. 1 Ziff. 2 Buchst. b BZRG zehn Jahre und hatte gemäß § 47 Abs. 1 BZRG i.V.m. § 36 Abs. 1 Satz 1 BZRG am 20. Juli 2004, dem Tag des früheren Urteils, zu laufen begonnen und (bereits) mit Ablauf des 19. Juli 2014 geendet (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juli 2014 - 5 StR 270/14, NStZ-RR 2014, 356). Daher durfte diese Verurteilung gemäß § 51 Abs. 1 BZRG zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung am 17. März 2015 nicht mehr zum Nachteil des Angeklagten vorgehalten und verwertet werden.
9
6. Da die aufgrund der Sachrüge veranlasste umfassende Prüfung des Urteils im Übrigen keinen weiteren Rechtsfehler erbracht hat und andere Feststellungen als die bisherigen nicht möglich erscheinen, ändert der Senat in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO den Schuldspruch dahin, dass der Angeklagte des sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 22 Fällen schuldig ist.
10
Die Schuldspruchänderung zieht die Aufhebung des gesamten Strafausspruches nach sich; über die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe muss daher neu verhandelt und entschieden werden.
Becker Hubert Schäfer Mayer Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 428/11
vom
8. Dezember 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. Dezember
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
die Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Dr. Mutzbauer,
Dr. Quentin,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Halle vom 12. April 2011 wird verworfen.
2. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten durch dieses entstandenen notwenigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes und wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt und die Vollstreckung dieser Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Gegen das Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte, vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Revision der Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
2
1. Die Revision ist wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.
3
Die Beschwerdeführerin hat zwar einen unbeschränkten Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Urteils gestellt. Dieser steht aber im Widerspruch zu dem Angriffsziel des Rechtsmittels, wie es sich aus der Revisionsrechtfertigungsschrift ergibt. Den dort allein geführten Angriffen gegen den Rechtsfolgenausspruch ist - auch soweit die Unvollständigkeit der Feststellungen geltend gemacht wird - ein auf diesen bezogener Beschränkungswille der Beschwerde- führerin zu entnehmen (vgl. Nr. 156 Abs. 2 RiStBV; zur Auslegung in solchen Fällen BGH, Beschluss vom 14. Mai 2002 - 1 StR 48/02 mwN).
4
2. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg. Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts in der Antragsschrift vom 1. September 2011 bemerkt der Senat:
5
a) Die Strafkammer durfte strafmildernd berücksichtigen, dass die Taten für die Opfer keine psychischen oder physischen Auswirkungen hatten und haben (vgl. BGH, Urteil vom 15. Januar 1986 - 2 StR 608/85).
6
Die entsprechenden Feststellungen des Landgerichts beruhen auch auf einer tragfähigen Grundlage. Die Strafkammer stützt sie - anders als die Revisionsführerin vorträgt - nicht nur auf die Angaben der Heimerzieherin und der Heimpädagogin, sondern zudem unter anderem auf die Aussagen der Mütter der missbrauchten Kinder sowie die Angaben der Opfer selbst. Soweit die Staatsanwaltschaft meint, die Erzieherinnen könnten mangels fachlicher Qualifikation die seelischen Folgen der Taten für die Opfer nicht beurteilen, zeigt sie einen sachlich-rechtlichen Mangel des Urteils nicht auf; eine zulässige Aufklärungsrüge hat sie hierzu nicht erhoben.
7
b) Es begegnet auch keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht bei der Zumessung der Strafe im Fall 1 "positiv bewertet" hat, dass vom Angeklagten "keinerlei direkter körperlicher Zwang oder Gewalt … ausging" (UA S. 23).
8
Die fehlende Gewaltanwendung darf einem Angeklagten im Fall einer Verurteilung nach § 176 oder § 176a StGB als solche zwar nicht strafmildernd zugutegehalten werden (vgl. BGH, Urteil vom 5. März 1997 - 2 StR 641/96). Die den oben zitierten Ausführungen voranstehenden Darlegungen, wonach die Durchführung des Oralverkehrs an dem Jungen für diesen nicht mit "besonderen Schmerzen aufgrund der Länge und/oder Intensität oder des Einsatzes von Gewalt (in welcher Form auch immer) [verbunden war], die über das durchschnittliche Maß hinausgehen, das mit dem Strafrahmen abgedeckt werden soll", insbesondere aber die Darlegungen in unmittelbarem Zusammenhang mit der von der Staatsanwaltschaft beanstandeten Formulierung ("… konnte die Kammer im unteren Bereich des Strafrahmens bleiben, da sie auch hier positiv bewertet hat, dass … [vom Angeklagten] keinerlei direkter körperlicher Zwang oder Gewalt" ausging), belegen indes, dass es der Strafkammer an dieser Stelle darauf ankam, die von ihr abzuurteilende Tat in den hierfür zur Verfügung stehenden Strafrahmen einzuordnen. Hiergegen ist nichts zu erinnern (vgl. auch BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 5 StR 497/07, StraFo 2008, 172).
9
c) Soweit der der Revision der Staatsanwaltschaft beigetretene Generalstaatsanwalt meint, das Landgericht hätte die nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellten sowie die dem Angeklagten in der Nachtragsanklage (deren Einbeziehung der Angeklagte nicht zugestimmt hat) zur Last gelegten Taten strafschärfend berücksichtigen müssen, fehlt es an einer zulässigen Verfahrensrüge (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Mai 2000 - 1 StR 183/00, NStZ-RR 2001, 174, 175). Aus dem Urteil selbst ergibt sich weder, dass die Strafkammer diese Taten - wie erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Januar 2009 - 1 StR 470/08, StraFo 2009, 154 mwN) - festgestellt hat, noch dass sie den Angeklagten auf deren strafschärfende Berücksichtigung hingewiesen hat.
10
d) Die Verhängung von Einzelstrafen in den Fällen II.3. und 4. der Urteilsgründe (Griff an das Geschlechtsteil der Jungen über der Kleidung und - im Fall II.4. - ein Kuss auf die Nase) in Höhe der Mindeststrafe des § 176 Abs. 1 StGB von sechs Monaten gegen den nunmehr knapp 85jährigen Angeklagten ist angesichts von der Strafkammer hervorgehobenen Besonderheiten des Falles nicht unvertretbar. Sie weist - wie auch die weiteren Einzelstrafen, die Gesamtstrafe und auch die Bewilligung der Strafaussetzung zur Bewährung - keinen Rechtsfehler auf.
11
3. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat auch zugunsten des Angeklagten keinen Erfolg (§ 301 StPO).
12
Die mehrfache Erörterung der Verurteilung des Angeklagten wegen "Unzucht mit Kindern" im Jahr 1957 in dem Urteil, etwa im Rahmen der Strafzumessung (UA S. 23 f.), begegnet Bedenken und gibt Anlass zu dem Hinweis, dass das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG auch dann besteht, wenn der Angeklagte eine getilgte oder tilgungsreife Vorstrafe von sich aus mitgeteilt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Dezember 2000 - 1 StR 398/00, NStZ-RR 2001, 237; vom 20. August 2002- 5 StR 259/02, StV 2003, 444 jeweils mwN).
Der Senat schließt jedoch aus, dass die von der Strafkammer verhängten Strafen hiervon beeinflusst sind, zumal die Strafkammer im Fall 1 gleichwohl einen minder schweren Fall angenommen und bei der Bemessung der Gesamtstrafe darauf verwiesen hat, dass die Verurteilung wegen Unzucht mit Kindern nicht als strafschärfende Vorstrafe zu behandeln sei (UA S. 27).
Ernemann Cierniak Franke
Mutzbauer Quentin

(1) Ist die Eintragung über eine Verurteilung im Register getilgt worden oder ist sie zu tilgen, so dürfen die Tat und die Verurteilung der betroffenen Person im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu ihrem Nachteil verwertet werden.

(2) Aus der Tat oder der Verurteilung entstandene Rechte Dritter, gesetzliche Rechtsfolgen der Tat oder der Verurteilung und Entscheidungen von Gerichten oder Verwaltungsbehörden, die im Zusammenhang mit der Tat oder der Verurteilung ergangen sind, bleiben unberührt.

(1) Die frühere Tat darf abweichend von § 51 Abs. 1 nur berücksichtigt werden, wenn

1.
die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder eine Ausnahme zwingend gebietet,
2.
in einem erneuten Strafverfahren ein Gutachten über die Voraussetzungen der §§ 20, 21, 63, 64, 66, 66a oder 66b des Strafgesetzbuchs zu erstatten ist, falls die Umstände der früheren Tat für die Beurteilung der Schuldfähigkeit oder Gefährlichkeit der betroffenen Person von Bedeutung sind,
3.
die Wiederaufnahme des früheren Verfahrens beantragt wird,
4.
die betroffene Person die Zulassung zu einem Beruf oder einem Gewerbe, die Einstellung in den öffentlichen Dienst oder die Erteilung einer Waffenbesitzkarte, eines Munitionserwerbscheins, Waffenscheins, Jagdscheins oder einer Erlaubnis nach § 27 des Sprengstoffgesetzes beantragt, falls die Zulassung, Einstellung oder Erteilung der Erlaubnis sonst zu einer erheblichen Gefährdung der Allgemeinheit führen würde; das gleiche gilt, wenn die betroffene Person die Aufhebung einer die Ausübung eines Berufes oder Gewerbes untersagenden Entscheidung beantragt oder
5.
dies in gesetzlichen Bestimmungen unter Bezugnahme auf diese Vorschrift vorgesehen ist.

(2) Abweichend von § 51 Absatz 1 darf eine frühere Tat ferner

1.
in einem Verfahren, das die Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis zum Gegenstand hat,
2.
zur Ergreifung von Maßnahmen nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem nach § 4 Absatz 5 des Straßenverkehrsgesetzes
berücksichtigt werden, solange die Verurteilung nach den Vorschriften der §§ 28 bis 30b des Straßenverkehrsgesetzes verwertet werden darf. Außerdem dürfen für die Prüfung der Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen Entscheidungen der Gerichte nach den §§ 69 bis 69b des Strafgesetzbuches verwertet werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 382/15
vom
29. Oktober 2015
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern
ECLI:DE:BGH:2015:291015B3STR382.15.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 29. Oktober 2015 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 analog StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stade vom 17. März 2015
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 22 Fällen schuldig ist, sowie
b) im gesamten Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 22 Fällen zur Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt sowie eine Kompensations- und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die hiergegen gerichtete, auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
Die Verurteilung des Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes gemäß § 176a Abs. 1 StGB hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat die Rückfallvoraussetzung dieses Qualifikationstatbestandes bejaht. Dieser rechtlichen Würdigung stand zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung indes das Verwertungsverbot gemäß § 51 Abs. 1 BZRG entgegen. Dies ist im Revisionsverfahren auf die Sachrüge zu beachten (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 1973 - 2 StR 451/72, BGHSt 25, 100; Beschluss vom 23. März 2006 - 4 StR 36/06, StraFo 2006, 296).
3
Im Einzelnen:
4
1. Gemäß § 51 Abs. 1 BZRG darf dem Betroffenen eine Tat und die entsprechende Verurteilung im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden, wenn die Eintragung über die Verurteilung im Register getilgt worden oder sie zu tilgen ist. Dieses bereits mit Eintritt der Tilgungsreife entstehende Vorhalte- und Verwertungsverbot der Eintragung im Register bedeutet einen Schutz des Betroffenen auch in den Fällen, in denen seine frühere Verurteilung auf andere Weise als durch eine Registerauskunft bekannt wird, etwa durch Mitteilungen von dritter Seite oder den Betroffenen selbst (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - 4 StR 428/11, NStZ-RR 2012, 143, 144 mwN). Durch die Regelung des § 51 Abs. 1 BZRG wird ein Verurteilter von dem mit seiner Verurteilung verbundenen Strafmakel befreit und durch die umfassende Wirkung der Tilgung die mit der Verurteilung einhergehende Stigmatisierung endgültig beseitigt. Unter das Verbot fallen Tat und Verurteilung sowie deren Vorhalten und Verwerten im Rechtsverkehr zum Nachteil des Betroffenen. Für die Frage der Tilgungsreife ist maßgeblicher Zeitpunkt in Strafsa- chen das Ende der Hauptverhandlung in der Tatsacheninstanz (vgl. Tolzmann, BZRG, 5. Aufl., § 51 Rn. 5, 12 ff., 24 mwN).
5
2. Die uneingeschränkte Geltung dieses Vorhalte- und Verwertungsverbotes ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes für die Strafzumessung unbestritten; danach darf eine getilgte oder tilgungsreife Vorstrafe nicht zum Nachteil des Angeklagten, insbesondere nicht strafschärfend berücksichtigt werden (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 11. November 2009 - 1 StR 549/09, StraFo 2010, 82, vom 24. August 2011 - 1 StR 317/11, StraFo 2011, 519 und vom 25. Januar 2011 - 4 StR 681/10, NStZ-RR 2011, 286). Gleiches gilt für gemäß § 63 Abs. 1 BZRG tilgungsreife Eintragungen im Erziehungsregister , wenn der Angeklagte vor der Hauptverhandlung das 24. Lebensjahr vollendet hat (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juni 2012 - 3 StR 141/12, StraFo 2012, 423; Tolzmann aaO, Rn. 26 ff.). Das Vorhalte- und Verwertungsvorbot tilgungsreifer Bestrafungen und der zugrundeliegenden Taten gilt grundsätzlich auch für die Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung, sofern nicht eine der in § 52 BZRG aufgeführten Ausnahmen gegeben ist (vgl. Tolzmann aaO, Rn. 37; BGH, Beschluss vom 28. August 2012 - 3 StR 309/12, BGHSt 57, 300, 302 ff.). Schließlich dürfen getilgte Vorstrafen auch nicht als Beweisanzeichen für eine nachteilige Würdigung der Persönlichkeit eines Angeklagten oder als Indiz für seine Täterschaft oder hinsichtlich der Glaubwürdigkeit von Prozessbeteiligten herangezogen werden (vgl. Tolzmann aaO, Rn. 33).
6
3. Strittig ist hingegen, ob § 51 Abs. 1 BZRG auch den Fall erfasst, dass die frühere Straftat oder Verurteilung Tatbestandsmerkmal einer späteren Straftat ist, die vor Eintritt der Tilgungsreife begangen wurde. Das Oberlandesgericht Celle hat dies - zu § 49 BZRG aF - verneint und entschieden, dass es gestattet sei, eine sonst unter das Verwertungsverbot fallende Vorstrafe zur Ausfüllung des gesetzlichen Tatbestandes einer neuen Straftat heranzuziehen, vorausgesetzt , dass dies zum Zeitpunkt der Begehung der neuen Straftat auch dann möglich gewesen wäre, wenn das "heutige Recht" hätte angewendet werden müssen (§ 2 Abs. 2 Satz 2 StGB aF = § 2 Abs. 3 StGB nF). Sonst würde etwa eine Falschaussage, die nach damaligem und "heutigem Recht" strafbar ist, straflos bleiben, weil ihre Tatbestandsmäßigkeit nicht mehr festgestellt werden könnte (vgl. OLG Celle, Urteil vom 7. Dezember 1972 - 1 Ss 312/72, NJW 1973, 1012, 1013; ebenso Tolzmann aaO, Rn. 36; aA Tremml, Die Rechtswirkungen der Straftilgung, Diss. 1975, S. 71; Creifelds, GA 1974, 129, 140).
7
4. Ob dies zutrifft, kann indes offen bleiben, da diese Rechtsauffassung jedenfalls auf die hier zu beurteilende Fallkonstellation nicht übertragbar ist. Zwar werden Taten nach § 176 Abs. 1 und 2 StGB gemäß § 176a Abs. 1 StGB zum schweren sexuellen Missbrauch von Kindern heraufgestuft; die frühere Verurteilung ist dabei Tatbestandsmerkmal der Qualifikationsvorschrift. Indes knüpft diese nicht an das Tatbild und damit an den unmittelbaren Unrechts- und Schuldgehalt der neuen Tat nach § 176 Abs. 1 oder 2 StGB an; vielmehr betrifft sie allein die Strafzumessungsschuld, da sie einen ansonsten bei der Straffindung nur allgemein zu berücksichtigenden Umstand (§ 46 Abs. 2 Satz 2 StGB: Das Vorleben des Täters) für eine bestimmte Konstellation des Rückfalls schon zur Festlegung des Strafrahmens heranzieht. Nach dem mit § 51 Abs. 1 BZRG verfolgten Zweck (s. oben 1.) und in der Konsequenz der daraus von der Rechtsprechung gezogenen Folgerungen (s. oben 2.) ist es daher nicht zulässig , zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung in der Tatsacheninstanz tilgungsreife einschlägige Vorstrafen zur Bejahung der Voraussetzungen des § 176a Abs. 1 StGB zu verwerten.
8
5. Danach hätte das Landgericht die rechtskräftige Vorverurteilung des Angeklagten durch das Urteil des Amtsgerichts Aurich vom 20. Juli 2004 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von zehn Monaten, in der die Strafkammer die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzung des Rückfalls gemäß § 176a Abs. 1 StGB erblickt hat, nicht berücksichtigen dürfen. Zwar war zum Zeitpunkt der in der vorliegenden Sache begangenen letzten Tat im Juni 2008 die Tilgungsreife für diese Vorstrafe noch nicht eingetreten, indes war dies zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung des angefochtenen Urteils am 17. März 2015 der Fall. Die Tilgungsfrist für die Vorverurteilung betrug gemäß § 46 Abs. 1 Ziff. 2 Buchst. b BZRG zehn Jahre und hatte gemäß § 47 Abs. 1 BZRG i.V.m. § 36 Abs. 1 Satz 1 BZRG am 20. Juli 2004, dem Tag des früheren Urteils, zu laufen begonnen und (bereits) mit Ablauf des 19. Juli 2014 geendet (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juli 2014 - 5 StR 270/14, NStZ-RR 2014, 356). Daher durfte diese Verurteilung gemäß § 51 Abs. 1 BZRG zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung am 17. März 2015 nicht mehr zum Nachteil des Angeklagten vorgehalten und verwertet werden.
9
6. Da die aufgrund der Sachrüge veranlasste umfassende Prüfung des Urteils im Übrigen keinen weiteren Rechtsfehler erbracht hat und andere Feststellungen als die bisherigen nicht möglich erscheinen, ändert der Senat in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO den Schuldspruch dahin, dass der Angeklagte des sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 22 Fällen schuldig ist.
10
Die Schuldspruchänderung zieht die Aufhebung des gesamten Strafausspruches nach sich; über die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe muss daher neu verhandelt und entschieden werden.
Becker Hubert Schäfer Mayer Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 247/12
vom
21. August 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 21. August 2012 nach § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kaiserslautern vom 31. Januar 2012 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe und wegen schweren Raubes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Das Rechtsmittel hat hinsichtlich des Maßregelausspruchs Erfolg. Im Übrigen ist es aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts angeführten Gründen offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
Die auf § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB gestützte Anordnung der Sicherungsverwahrung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3
1. Das Landgericht hat seine Beurteilung der Gefährlichkeit des Angeklagten auf ein Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. R. gestützt, der bei dem Angeklagten ein "unerhörtes" Risiko für erneute Gewalttätigkeiten gesehen hat. Der Sachverständige hat zur Überprüfung seiner Risikoprognose das Testverfahren HCR-20 (Historical-Clinical-Risk) angewendet und dabei im Zusammenhang mit der Bestimmung der Ausprägung der Variablen H 1 (Frühe Gewaltanwendung) und H 2 (Geringes Alter bei der ersten Gewalttat) auf einen Raubüberfall aus einer inzwischen getilgten Verurteilung zurückgegriffen. Darin liegt ein Verstoß gegen das auch bei der Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung geltende Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG (BGH, Beschluss vom 27. Juni 2002 - 4 StR 162/02, NStZ-RR 2002, 332; Beschluss vom 4. Oktober 2000 - 2 StR 352/00, StV 2002, 479), weil die Berücksichtigung der früheren Tat zu einer für den Angeklagten ungünstigeren Bewertung der benannten Variablen geführt hat.
4
2. Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann die Verwertung des Raubüberfalls aus der getilgten Verurteilung nicht auf die Ausnahmeregelung des § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG gestützt werden.
5
Nach dieser Vorschrift darf eine frühere Tat abweichend von § 51 Abs. 1 BZRG berücksichtigt werden, wenn in einem erneuten Strafverfahren ein Gutachten über den Geisteszustand des Betroffenen zu erstatten ist und die Umstände der früheren Tat für die Beurteilung seines Geisteszustands von Bedeutung sind. Dadurch soll vermieden werden, dass ein Sachverständiger, der ein Gutachten über den Geisteszustand des Betroffenen zu erstellen hat, zu falschen oder nicht belastbaren Aussagen gelangt, weil er bei der Persönlichkeitsanamnese auf bedeutsame Erkenntnisse verzichten muss, die nur aus den früheren Taten des Betroffenen und dem anschließenden Strafverfahren ge- wonnen werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 1973 - 2 StR 609/72, NJW 1973, 815; BT-Drucks. VI/1550, S. 23; Götz/Tolzmann, BZRG, 4. Aufl. § 52 Rn. 8). § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG hebt das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 Nr. 1 BZRG daher nur für Erkenntnisse (einzelne Feststellungen, Gutachten, Befunde, etc.) aus der getilgten oder tilgungsreifen Verurteilung auf, deren Verwendung für eine tragfähige Beurteilung des Geisteszustandes des Betroffenen im konkreten Einzelfall erforderlich ist (Götz/Tolzmann, aaO; Hase, BZRG, § 52 Rn. 3). Auch die Reichweite der Verwertungserlaubnis ist an den Normzweck des § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG gebunden. Eine zulässig bei der Beurteilung des Geisteszustands berücksichtigte frühere Tat darf daher - obgleich sie mit der Anhörung des Sachverständigen gerichtsbekannt geworden ist - nicht auch an anderer Stelle zum Nachteil des Angeklagten verwertet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Januar 1990 - 5 StR 568/89, BGHR BZRG § 51 Verwertungsverbot 2; Beschluss vom 22. Februar 1973 - 2 StR 609/72, NJW 1973, 815).
6
Letzteres ist hier geschehen. Im Testverfahren HCR-20 bezeichnen die Variablen H1 und H2 eigenständig zu gewichtende Prädiktoren, die sich auf die Anamnese beziehen (vgl. Nedopil, Prognosen in der Forensischen Psychiatrie, S. 110). Die ermittelten Punktwerte fließen unmittelbar in das Gesamtergebnis ein, aus dem sich die Gefährlichkeitsprognose ableitet. Die Bewertung dieser Variablen dient daher nicht dem Zweck, den Geisteszustand des Betroffenen aufzuklären. Da das Testergebnis über die Vernehmung des Sachverständigen in die Risikobeurteilung des Landgerichts eingegangen ist, kann der Senat trotz den Ausführungen auf Seite 107 des Urteils nicht mit Sicherheit ausschließen, dass die Maßregelanordnung auf diesem Rechtsfehler beruht, zumal das Schwurgewicht dem Sachverständigen die Verfahrensakten und das Bewährungsheft zu der getilgten Vorstrafe "im Hinblick auf die Regelung des § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG" zur Verfügung gestellt (UA 107) und es im Urteil nicht zu erkennen gegeben hat, ob es selbst die Gefährlichkeitsprognose auch auf die getilgte Vorstrafe stützt.
7
Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG bei der Beurteilung der Gefährlichkeitsprognose nach § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB auch dann Anwendung findet, wenn der nach § 246a Satz 1 StPO zu vernehmende Sachverständige die getilgte Vorstrafe bei der Frage berücksichtigt hat, ob der Betroffene an einer prognoserelevanten psychischen Erkrankung leidet oder eine entsprechende Persönlichkeitsstörung aufweist. Für die Erörterung von Persönlichkeitsmerkmalen, die einen Hang begründen können, hat der Senat diese Möglichkeit in Erwägung gezogen (BGH, Beschluss vom 8. März 2005 - 4 StR 569/04, NStZ 2005, 397, 398; enger: Beschluss vom 24. Juni 2010 - 3 StR 69/10).
Mutzbauer Roggenbuck Franke Quentin Reiter

(1) Wird jemand wegen einer rechtswidrigen Tat, die er unter Mißbrauch seines Berufs oder Gewerbes oder unter grober Verletzung der mit ihnen verbundenen Pflichten begangen hat, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil seine Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so kann ihm das Gericht die Ausübung des Berufs, Berufszweiges, Gewerbes oder Gewerbezweiges für die Dauer von einem Jahr bis zu fünf Jahren verbieten, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und der Tat die Gefahr erkennen läßt, daß er bei weiterer Ausübung des Berufs, Berufszweiges, Gewerbes oder Gewerbezweiges erhebliche rechtswidrige Taten der bezeichneten Art begehen wird. Das Berufsverbot kann für immer angeordnet werden, wenn zu erwarten ist, daß die gesetzliche Höchstfrist zur Abwehr der von dem Täter drohenden Gefahr nicht ausreicht.

(2) War dem Täter die Ausübung des Berufs, Berufszweiges, Gewerbes oder Gewerbezweiges vorläufig verboten (§ 132a der Strafprozeßordnung), so verkürzt sich das Mindestmaß der Verbotsfrist um die Zeit, in der das vorläufige Berufsverbot wirksam war. Es darf jedoch drei Monate nicht unterschreiten.

(3) Solange das Verbot wirksam ist, darf der Täter den Beruf, den Berufszweig, das Gewerbe oder den Gewerbezweig auch nicht für einen anderen ausüben oder durch eine von seinen Weisungen abhängige Person für sich ausüben lassen.

(4) Das Berufsverbot wird mit der Rechtskraft des Urteils wirksam. In die Verbotsfrist wird die Zeit eines wegen der Tat angeordneten vorläufigen Berufsverbots eingerechnet, soweit sie nach Verkündung des Urteils verstrichen ist, in dem die der Maßregel zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten. Die Zeit, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist, wird nicht eingerechnet.

(1) Die frühere Tat darf abweichend von § 51 Abs. 1 nur berücksichtigt werden, wenn

1.
die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder eine Ausnahme zwingend gebietet,
2.
in einem erneuten Strafverfahren ein Gutachten über die Voraussetzungen der §§ 20, 21, 63, 64, 66, 66a oder 66b des Strafgesetzbuchs zu erstatten ist, falls die Umstände der früheren Tat für die Beurteilung der Schuldfähigkeit oder Gefährlichkeit der betroffenen Person von Bedeutung sind,
3.
die Wiederaufnahme des früheren Verfahrens beantragt wird,
4.
die betroffene Person die Zulassung zu einem Beruf oder einem Gewerbe, die Einstellung in den öffentlichen Dienst oder die Erteilung einer Waffenbesitzkarte, eines Munitionserwerbscheins, Waffenscheins, Jagdscheins oder einer Erlaubnis nach § 27 des Sprengstoffgesetzes beantragt, falls die Zulassung, Einstellung oder Erteilung der Erlaubnis sonst zu einer erheblichen Gefährdung der Allgemeinheit führen würde; das gleiche gilt, wenn die betroffene Person die Aufhebung einer die Ausübung eines Berufes oder Gewerbes untersagenden Entscheidung beantragt oder
5.
dies in gesetzlichen Bestimmungen unter Bezugnahme auf diese Vorschrift vorgesehen ist.

(2) Abweichend von § 51 Absatz 1 darf eine frühere Tat ferner

1.
in einem Verfahren, das die Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis zum Gegenstand hat,
2.
zur Ergreifung von Maßnahmen nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem nach § 4 Absatz 5 des Straßenverkehrsgesetzes
berücksichtigt werden, solange die Verurteilung nach den Vorschriften der §§ 28 bis 30b des Straßenverkehrsgesetzes verwertet werden darf. Außerdem dürfen für die Prüfung der Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen Entscheidungen der Gerichte nach den §§ 69 bis 69b des Strafgesetzbuches verwertet werden.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

(1) Die frühere Tat darf abweichend von § 51 Abs. 1 nur berücksichtigt werden, wenn

1.
die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder eine Ausnahme zwingend gebietet,
2.
in einem erneuten Strafverfahren ein Gutachten über die Voraussetzungen der §§ 20, 21, 63, 64, 66, 66a oder 66b des Strafgesetzbuchs zu erstatten ist, falls die Umstände der früheren Tat für die Beurteilung der Schuldfähigkeit oder Gefährlichkeit der betroffenen Person von Bedeutung sind,
3.
die Wiederaufnahme des früheren Verfahrens beantragt wird,
4.
die betroffene Person die Zulassung zu einem Beruf oder einem Gewerbe, die Einstellung in den öffentlichen Dienst oder die Erteilung einer Waffenbesitzkarte, eines Munitionserwerbscheins, Waffenscheins, Jagdscheins oder einer Erlaubnis nach § 27 des Sprengstoffgesetzes beantragt, falls die Zulassung, Einstellung oder Erteilung der Erlaubnis sonst zu einer erheblichen Gefährdung der Allgemeinheit führen würde; das gleiche gilt, wenn die betroffene Person die Aufhebung einer die Ausübung eines Berufes oder Gewerbes untersagenden Entscheidung beantragt oder
5.
dies in gesetzlichen Bestimmungen unter Bezugnahme auf diese Vorschrift vorgesehen ist.

(2) Abweichend von § 51 Absatz 1 darf eine frühere Tat ferner

1.
in einem Verfahren, das die Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis zum Gegenstand hat,
2.
zur Ergreifung von Maßnahmen nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem nach § 4 Absatz 5 des Straßenverkehrsgesetzes
berücksichtigt werden, solange die Verurteilung nach den Vorschriften der §§ 28 bis 30b des Straßenverkehrsgesetzes verwertet werden darf. Außerdem dürfen für die Prüfung der Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen Entscheidungen der Gerichte nach den §§ 69 bis 69b des Strafgesetzbuches verwertet werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 207/15
vom
22. Dezember 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Brandstiftung u.a.
ECLI:DE:BGH:2015:221215B2STR207.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 22. Dezember 2015 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Meiningen vom 16. Januar 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen unerlaubten Führens einer Schusswaffe in Tateinheit mit Sachbeschädigung und mit Brandstiftung "an Kraftfahrzeugen" in zwei in Tateinheit stehenden Fällen sowie wegen vorsätzlichen unerlaubten Besitzes zweier Schusswaffen in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz an Munition zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten , die er mit der Verletzung sachlichen Rechts begründet; sein Rechtsmittel hat Erfolg.

2
1. Nach den Feststellungen fand der - insoweit geständige - Angeklagte im Jahr 2007 auf dem Dachboden des von ihm gekauften Hauses eine funktionstüchtige Repetierbüchse nebst Munition, die er fortan in geladenem und entsichertem Zustand in seinem Schlafzimmer aufbewahrte. Zumindest am 26. Dezember 2013 war der Angeklagte zudem im Besitz einer Schrotflinte nebst Munition (was der Angeklagte bestreitet; Fall 1 der Urteilsgründe).
3
Am 26. Dezember 2013 gegen 5.45 Uhr verließ der Angeklagte sein Anwesen , wobei er eine Schrotflinte nebst Munition mit sich führte. Im Ortsbereich setzte er zunächst einen Pkw in Brand. An anderer Stelle schlug er auf ein weiteres Fahrzeug ein, schoss mit der Schrotflinte durch dessen Fensterscheibe und zündete es anschließend an, wobei er von Zeugen beobachtet und angesprochen wurde, die ihn aber später nicht wiedererkannten. Schließlich schoss er auf dem Marktplatz durch die gläserne Eingangstüre eines türkischen Imbisses , wobei - wie von ihm beabsichtigt - niemand zu Schaden kam (Fall 2 der Urteilsgründe).
4
2. Ein wesentliches Indiz für die Täterschaft des Angeklagten im Fall 2 der Urteilsgründe hat das Landgericht darin gesehen, dass dieser bereits am 27. April 1998 vom Landgericht Meiningen wegen eines ähnlichen Brandstiftungsdelikts zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt worden war.
5
Der Generalbundesanwalt hat dazu ausgeführt: "Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des angefochtenen Urteils hat einen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die Strafkammer hätte die mit Urteil des Landgerichts Meiningen vom 27. April 1998 erfolgte Verurteilung des Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten wegen schwerer Brandstiftung nicht verwerten dürfen, da insoweit bereits Tilgungsreife eingetreten war. Die Tilgungsfrist für diese Verurteilung beträgt nach § 46 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. Abs. 3 BZRG fünfzehn Jahre zuzüglich der Dauer der verhängten Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten, also sechzehn Jahre und acht Monate. Die Frist beginnt mit dem Tag des ersten Urteils, also dem 27. April 1998 (§ 47 Abs. 1 i.V.m. § 36 Satz 1 BZRG). Demzufolge ist mit Ablauf des 26. Dezember 2014 Tilgungsreife eingetreten. Das Verwertungsverbot greift auch dann ein, wenn die Tilgungsfrist zwar zum Zeitpunkt der neuen Tat noch nicht verstrichen, aber vor Ende der Hauptverhandlung in der Tatsacheninstanz bereits abgelaufen ist (BGH NStZ 1983, 30; StV 1999, 639). Die Strafkammer hat bei der Beweiswürdigung ausdrücklich verschiedene Parallelen zwischen der Tat, die dem früheren Urteil zugrunde lag, und den nunmehr abgeurteilten Brandstiftungstaten als Beweisindiz zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt (UA S. 16 f.). Zwar darf nach § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG eine frühere Tat abweichend von § 51 Abs. 1 BZRG berücksichtigt werden, wenn in einem erneuten Strafverfahren ein Gutachten über den Geisteszustand des Betroffenen zu erstatten ist und die Umstände der früheren Tat für die Beurteilung seines Geisteszustands von Bedeutung sind. Die Reichweite dieser Verwertungserlaubnis ist aber an den Normzweck des § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG gebunden; eine zulässig bei der Beurteilung des Geisteszustands berücksichtigte frühere Tat darf daher - obgleich sie mit der Anhörung des Sachverständigen gerichtsbekannt geworden ist - nicht an anderer Stelle zum Nachteil des Angeklagten verwertet werden (BGH NStZRR 2013, 84 m.w.N.). Dass das Interesse an der Aufklärung des wahren Sachverhalts insoweit hinter dem Resozialisierungsinteresse des Angeklagten zurücktritt, hat der Gesetzgeber dabei in Kauf genommen. Auch angesichts der Beweislage im Übrigen kann nicht sicher ausgeschlossen werden, dass der Schuldspruch im Fall 2 der Urteilsgründe auf der Verwertung der früheren Verurteilung beruht. Darüber hinaus hat die Strafkammer die Vorstrafe des Angeklagten allgemein strafschärfend berücksichtigt (UA S. 19)."
6
Dem schließt sich der Senat an. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt darüber hinaus auch zur Aufhebung im Fall 1 der Urteilsgründe.
7
Zwar sind die Feststellungen zum unerlaubten Besitz des Angeklagten an der bei ihm sichergestellten Repetierbüchse nebst Munition von dem Rechtsfehler unbeeinflusst und auch sonst rechtsfehlerfrei getroffen. Soweit die Strafkammer in diesem Fall darüber hinaus von einem tateinheitlich begangenen unerlaubten Besitz des Angeklagten an einer weiteren Schusswaffe - nämlich der im Fall 2 als Tatwaffe verwendeten Schrotflinte - ausgegangen ist, beruhen diese Feststellungen jedoch auf einem Rückschluss aus der vom Landgericht festgestellten Täterschaft des Angeklagten im Fall 2 und sind daher ebenfalls von dem aufgezeigten Rechtsfehler beeinflusst.
8
Was die Konkurrenzverhältnisse im Fall 2 der Urteilsgründe anbelangt, wird der neue Tatrichter die dazu erfolgten Rechtsausführungen des Generalbundesanwalts zu beachten haben. Fischer Appl Eschelbach Ott Zeng

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 309/12
vom
28. August 2012
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________________
Ein Gutachten zum Bestehen eines Hanges im Sinne von § 66 StGB und einer
darauf beruhenden Gefährlichkeit eines Angeklagten ist kein "Gutachten über
den Geisteszustand", dessen Erstattung eine Verwertung von Taten aus im
Zentralregister getilgten oder tilgungsreifen Verurteilungen erlaubt.
BGH, Beschluss vom 28. August 2012 - 3 StR 309/12 - LG Mönchengladbach
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 28. August 2012 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 9. Februar 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hatte gegen den Angeklagten in einem ersten Urteil wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in sieben Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verhängt und die Sicherungsverwahrung angeordnet; von weiteren Tatvorwürfen hatte es ihn freigesprochen. Auf die Revision des Angeklagten hat der Senat das Urteil - unter Verwerfung des weitergehenden Rechtsmittels - im Maßregelausspruch aufgehoben (BGH, Beschluss vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10, StV 2010, 484). Auf die dem Senat erst später vorgelegte Revision der Staatsanwaltschaft ist das Urteil aufgehoben worden, soweit der Angeklagte vom Vorwurf des sexuellen Kindesmissbrauchs in acht weiteren Fällen freigesprochen worden war (BGH, Urteil vom 24. Juni 2010 - 3 StR 69/10, NStZ 2011, 47).
2
Im zweiten Verfahrensdurchgang hat das Landgericht das Verfahren hinsichtlich der verbliebenen Tatvorwürfe auf Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt und erneut die Sicherungsverwahrung angeordnet. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
3
Nach den aufgrund des rechtskräftigen Schuldspruchs bindenden Feststellungen missbrauchte der damals 57 oder 58 Jahre alte Angeklagte zwei Mädchen im Alter von zehn oder elf bzw. von zwölf Jahren, die er im unmittelbaren Wohnumfeld kennen gelernt und um die er sich im Einverständnis mit den Eltern als hilfsbereiter Nachbar gekümmert hatte. Er holte die Kinder von der Schule ab, machte Ausflüge mit ihnen und ließ sie in seiner Wohnung das Internet nutzen. In den Sommerferien 2008 waren die Kinder ständig von morgens bis abends bei ihm. Die Taten - darunter einmal Oralverkehr der beiden Mädchen am Angeklagten, wechselseitiges Anfassen an den Genitalien bei mehreren Gelegenheiten, Austausch von Zungenküssen sowie zwei Fälle des Vorzeigens pornographischer Filme - beging der Angeklagte "in dem Zeitraum von Anfang Juni bis Ende August 2008". Eine nähere Eingrenzung war der Kammer - von zwei Übergriffen abgesehen, die am 15. und 16. August 2008 stattfanden - nicht möglich.
4
Die Anordnung der Sicherungsverwahrung hält erneut rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
5
1. Die formellen Voraussetzungen der Maßregel gemäß § 66 Abs. 2 StGB aF sowie § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB aF hat das Landgericht unter Anwendung des zur Tatzeit geltenden Rechts (vgl. Art. 316e Abs. 2 EGStGB) allerdings ohne Rechtsfehler festgestellt. Der Angeklagte ist rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verurteilt worden, die aus verwirkten Einzelstrafen von drei Jahren und acht Monaten für das Verbrechen nach § 176a StGB aF sowie u.a. von zwei Jahren und drei Jahren für Vergehen nach § 176 StGB gebildet worden ist. Vorangegangener Verurteilungen zu Freiheitsstrafe und darauf beruhender Strafverbüßung bedurfte es in diesem Fall daher nicht.
6
2. Die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung hat das Landgericht indes rechtsfehlerhaft begründet; denn es hat, um den Hang des Angeklagten zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF), zu belegen, mehrere Verurteilungen des Angeklagten zu dessen Nachteil herangezogen, die im Bundeszentralregister bereits getilgt waren. Dieser Rechtsfehler ist auf die Sachrüge zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 10. Januar 1973 - 2 StR 451/72, BGHSt 25, 100, 101; Beschluss vom 23. März 2006 - 4 StR 36/06, BGHR BZRG § 51 Verwertungsverbot 9).
7
a) Die Strafkammer ist bei der Annahme, bei dem Angeklagten bestehe ein ausgeprägter Hang zur Begehung von Sexualstraftaten zum Nachteil von Kindern, den beiden gehörten Sachverständigen gefolgt. Diese haben ausgeführt , die Delinquenz des Angeklagten zeichne sich durch einen frühen Beginn und nahezu ausschließlich sexuellen Bezug aus. Insbesondere sei der Angeklagte zwischen seinem 21. und 28. Lebensjahr mehrfach wegen exhibitionistischer Handlungen verurteilt worden. Die Urteilsgründe geben in diesem Zu- sammenhang auszugsweise den Text dreier Urteile des Landgerichts Krefeld aus den Jahren 1972, 1978 und 1979 wieder. Danach hatte der Angeklagte Anfang 1971 im Alter von 20 Jahren dreimal nackt am Fenster der elterlichen Wohnung posiert und sein Glied auf der Straße spielenden Kindern vorgezeigt. Im September 1977 hatte er sich - inzwischen 27 Jahre alt - auf einem Weg vor zwei vierzehnjährigen Mädchen nackt präsentiert. Zuletzt hatte er Mitte Juli 1978 vor zwei dreizehn bzw. fünfzehn Jahre alten Schülerinnen sein Glied entblößt. Das Bundeszentralregister enthält lediglich die wegen der hier gegenständlichen Taten rechtskräftig verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten. Die Eintragungen über die Verurteilungen durch das Landgericht Krefeld sind getilgt worden.
8
b) Die Heranziehung der im Bundeszentralregister getilgten Vorstrafen zum Nachteil des Angeklagten verstößt gegen das gesetzliche Verwertungsverbot gemäß § 51 Abs. 1 BZRG. Nach dieser Vorschrift dürfen aus der Tat, die Gegenstand einer getilgten Verurteilung ist, keine nachteiligen Schlüsse auf die Persönlichkeit des Angeklagten gezogen werden (BGH, Beschluss vom 4. Februar 2010 - 3 StR 8/10, BGHR BZRG § 51 Verwertungsverbot 11). Dieses Verwertungsverbot gilt auch, soweit über die Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung zu entscheiden ist (BGH, Urteil vom 10. Januar 1973 - 2 StR 451/72, BGHSt 25, 100, 104; Beschluss vom 4. Oktober 2000 - 2 StR 352/00, BGHR BZRG § 51 Verwertungsverbot 7; Beschluss vom 27. Juni 2002 - 4 StR 162/02, NStZ-RR 2002, 332), und selbst dann, wenn der Angeklagte eine getilgte oder tilgungsreife Vorstrafe von sich aus mitgeteilt hat (BGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - 4 StR 428/11, NStZ-RR 2012, 143 mwN). Das Verwertungsverbot ist deshalb auch bei der nach § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF zu treffenden Entscheidung zu beachten, ob die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu schweren Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist.
9
Entgegen der Auffassung des Landgerichts rechtfertigt § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG die Verwertung getilgter Vorstrafen zu Lasten des Angeklagten bei Begutachtungen zur Unterbringung nach § 66 StGB nicht. Danach darf eine frühere Tat abweichend von § 51 Abs. 1 BZRG berücksichtigt werden, wenn in einem erneuten Strafverfahren ein Gutachten über den Geisteszustand des Betroffenen zu erstatten ist, falls die Umstände der früheren Tat für die Beurteilung seines Geisteszustands von Bedeutung sind. Ein Gutachten zum Bestehen eines Hanges im Sinne von § 66 StGB und einer darauf beruhenden Gefährlichkeit eines Angeklagten ist indes kein Gutachten über den Geisteszustand im Sinne des § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG. Hierzu im Einzelnen:
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aa) Schon der Wortlaut des § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG legt es nahe, dass mit Geisteszustand der psychische Zustand des Angeklagten zum Zeitpunkt der Tatbegehung gemeint ist, über den im Rahmen der Schuldfähigkeitsprüfung gegebenenfalls ein Sachverständiger sein Gutachten zu erstatten hat. Der Begriff zielt deshalb auf die vier Eingangsmerkmale des § 20 StGB, die krankhafte seelische Störung, die tiefgreifende Bewusstseinsstörung, den Schwachsinn oder die schwere andere seelische Abartigkeit, ab. Vom Gutachten über das Vorliegen eines dieser Merkmale ist die nach § 246a StPO vor der Anordnung der Sicherungsverwahrung durchzuführende sachverständige Begutachtung zu unterscheiden. Nach dieser Vorschrift ist der Sachverständige "über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen". Die Vorschrift verwendet somit den Ausdruck "Geisteszustand" im Gegensatz zu § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG nicht. Kommt die Unterbringung nach § 66 StGB in Betracht, soll dem Tatgericht eine Entscheidungshilfe für die Beurteilung gege- ben werden, ob der Angeklagte infolge seines Hanges zur Begehung erheblicher Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist. Hangtäter ist dabei derjenige , der dauernd zu Straftaten entschlossen ist oder der aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung, deren Ursache unerheblich ist, immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 27. Oktober 2004 - 5 StR 130/04, NStZ 2005, 265). Bei der Prüfung des Hanges im Sinne des § 66 StGB geht es somit im Ergebnis nicht in erster Linie um die Bewertung des Geisteszustands des Täters, sondern um die wertende Feststellung einer persönlichen Eigenschaft (vgl. LK-Rissing-van Saan/Peglau, 12. Aufl., § 66 Rn. 118). Hierfür bedarf es nicht notwendigerweise der Begutachtung durch einen psychiatrischen Sachverständigen. Zwar werden nach den Erfahrungen des Senats bei in Betracht kommender Sicherungsverwahrung überwiegend Ärzte als Gutachter herangezogen, doch findet dies seine Rechtfertigung vor allem darin, dass dabei regelmäßig zugleich untersucht werden muss, ob der Angeklagte bei der Tat in seiner Schuldfähigkeit beeinträchtigt oder schuldunfähig war und deshalb unter Umständen eine andere Maßregel, insbesondere eine Unterbringung nach § 63 StGB, in Betracht kommt.
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bb) Für diese Auslegung spricht auch die ratio legis. Sinn und Zweck des Verwertungsverbots nach § 51 Abs. 1 BZRG ist es, den Angeklagten davor zu schützen, dass ihm nach Ablauf einer im Verhältnis zur erkannten Rechtsfolge kürzer oder länger bemessenen Frist straffreien Lebens alte Taten nochmals vorgehalten und zu seinem Nachteil verwertet werden. Dieses Schutzes bedarf der Angeklagte jedenfalls nicht in demselben Maße, wenn es um die Beurteilung der Schuldfähigkeit geht, da deren Ausschluss oder erhebliche Verminderung regelmäßig entweder die Bestrafung hindern oder die Strafe mildern. Lediglich bei der Anordnung einer Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB, § 42b StGB aF) kann die Ausnahmeregelung des § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG zu einer den Angeklagten belastenden, indes auch dessen Heilung dienenden Sanktion führen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 1973 - 2 StR 451/72, BGHSt 25, 100, 104).
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cc) Den Gesetzesmaterialien ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen. Danach soll die Ausnahme vom Verwertungsverbot sicherstellen, "dass ein Gutachter in einem späteren Strafverfahren gegen den Betroffenen die frühere Tat nicht ausklammern muss, wenn es darum geht, den Geisteszustand des Betroffenen zu beurteilen" (Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BT-Drucks. VI/1550 S. 23), ohne dass der Begriff näher umschrieben wird.
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dd) Dafür, ein Gutachten über das Bestehen eines Hanges nach § 66 StGB nicht als Gutachten über den Geisteszustand im Sinne des § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG zu verstehen, spricht auch der Vergleich mit sonstigen kriminalprognostischen Entscheidungen und den ihnen vorangehenden Begutachtungen. So gilt etwa das gesetzliche Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG auch für die bei der Prüfung der Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 56 Abs. 1 StGB zu treffende Prognoseentscheidung, ob der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (BGH, Beschluss vom 4. Februar 2010 - 3 StR 8/10, BGHR BZRG § 51 Verwertungsverbot 11). Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 StGB sind für diese Entscheidung u.a. die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat sowie seine Lebensverhältnisse und damit im Wesentlichen die gleichen Kriterien von Belang , die bei der Begutachtung nach § 66 StGB Bedeutung haben.
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ee) Das aufgezeigte Verständnis des Regelungsgefüges der §§ 51, 52 BZRG steht auch im Übrigen in Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Danach gilt die Ausnahme vom Verwertungsverbot nur, "wenn es um den Geisteszustand des Betroffenen geht, dessen Beurteilung zu einer Unterbringung nach § 42b StGB (Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt nach altem Recht) führen kann" (BGH, Urteil vom 10. Januar 1973 - 2 StR 451/72, BGHSt 25, 100, 104). Die indizielle Verwertung im Register getilgter früherer Verurteilungen zur Feststellung eines Hanges im Sinne von § 66 StGB zum Nachteil des Angeklagten ist mehrfach beanstandet worden (BGH, Beschlüsse vom 4. Oktober 2000 - 2 StR 352/00, BGHR BZRG § 51 Verwertungsverbot 7, und vom 27. Juni 2002 - 4 StR 162/02, NStZ-RR 2002, 332; zuletzt Beschluss vom 12. September 2007 - 5 StR 347/07, StV 2007, 633 - nur obiter). Soweit der 4. Strafsenat in einer späteren, vom Landgericht für seine Rechtsauffassung in Anspruch genommenen Entscheidung (BGH, Beschluss vom 8. März 2005 - 4 StR 569/04, BGHR BZRG § 51 Verwertungsverbot
8) in einem nicht tragenden Hinweis ohne nähere Begründung Zweifel an dieser Rechtsprechung angemeldet hat, teilt der Senat diese Bedenken aus den vorstehenden Gründen nicht.
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c) Das Urteil beruht auf dem dargelegten Rechtsfehler. Die Erörterung der einem Verwertungsverbot unterliegenden Taten nimmt in den Urteilsgründen breiten Raum ein und ist Grundlage für die Einschätzung des Landgerichts, die Delinquenz des Angeklagten habe früh begonnen und weise nahezu ausschließlich sexuellen Bezug aus.
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3. Es ist abermals nicht völlig auszuschließen, dass eine neuerliche Verhandlung doch noch zur Feststellung von Umständen führt, welche die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung rechtfertigen könnten. Über den Maßregelausspruch muss deshalb nochmals tatrichterlich entschieden werden. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 StPO Gebrauch, die Sache an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen.
Schäfer Pfister RiBGH Hubert befindet sich im Urlaub und ist deshalb gehindert, seine Unterschrift beizufügen. Schäfer Mayer Gericke

(1) Wird jemand wegen einer rechtswidrigen Tat, die er unter Mißbrauch seines Berufs oder Gewerbes oder unter grober Verletzung der mit ihnen verbundenen Pflichten begangen hat, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil seine Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so kann ihm das Gericht die Ausübung des Berufs, Berufszweiges, Gewerbes oder Gewerbezweiges für die Dauer von einem Jahr bis zu fünf Jahren verbieten, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und der Tat die Gefahr erkennen läßt, daß er bei weiterer Ausübung des Berufs, Berufszweiges, Gewerbes oder Gewerbezweiges erhebliche rechtswidrige Taten der bezeichneten Art begehen wird. Das Berufsverbot kann für immer angeordnet werden, wenn zu erwarten ist, daß die gesetzliche Höchstfrist zur Abwehr der von dem Täter drohenden Gefahr nicht ausreicht.

(2) War dem Täter die Ausübung des Berufs, Berufszweiges, Gewerbes oder Gewerbezweiges vorläufig verboten (§ 132a der Strafprozeßordnung), so verkürzt sich das Mindestmaß der Verbotsfrist um die Zeit, in der das vorläufige Berufsverbot wirksam war. Es darf jedoch drei Monate nicht unterschreiten.

(3) Solange das Verbot wirksam ist, darf der Täter den Beruf, den Berufszweig, das Gewerbe oder den Gewerbezweig auch nicht für einen anderen ausüben oder durch eine von seinen Weisungen abhängige Person für sich ausüben lassen.

(4) Das Berufsverbot wird mit der Rechtskraft des Urteils wirksam. In die Verbotsfrist wird die Zeit eines wegen der Tat angeordneten vorläufigen Berufsverbots eingerechnet, soweit sie nach Verkündung des Urteils verstrichen ist, in dem die der Maßregel zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten. Die Zeit, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist, wird nicht eingerechnet.

(1) Die frühere Tat darf abweichend von § 51 Abs. 1 nur berücksichtigt werden, wenn

1.
die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder eine Ausnahme zwingend gebietet,
2.
in einem erneuten Strafverfahren ein Gutachten über die Voraussetzungen der §§ 20, 21, 63, 64, 66, 66a oder 66b des Strafgesetzbuchs zu erstatten ist, falls die Umstände der früheren Tat für die Beurteilung der Schuldfähigkeit oder Gefährlichkeit der betroffenen Person von Bedeutung sind,
3.
die Wiederaufnahme des früheren Verfahrens beantragt wird,
4.
die betroffene Person die Zulassung zu einem Beruf oder einem Gewerbe, die Einstellung in den öffentlichen Dienst oder die Erteilung einer Waffenbesitzkarte, eines Munitionserwerbscheins, Waffenscheins, Jagdscheins oder einer Erlaubnis nach § 27 des Sprengstoffgesetzes beantragt, falls die Zulassung, Einstellung oder Erteilung der Erlaubnis sonst zu einer erheblichen Gefährdung der Allgemeinheit führen würde; das gleiche gilt, wenn die betroffene Person die Aufhebung einer die Ausübung eines Berufes oder Gewerbes untersagenden Entscheidung beantragt oder
5.
dies in gesetzlichen Bestimmungen unter Bezugnahme auf diese Vorschrift vorgesehen ist.

(2) Abweichend von § 51 Absatz 1 darf eine frühere Tat ferner

1.
in einem Verfahren, das die Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis zum Gegenstand hat,
2.
zur Ergreifung von Maßnahmen nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem nach § 4 Absatz 5 des Straßenverkehrsgesetzes
berücksichtigt werden, solange die Verurteilung nach den Vorschriften der §§ 28 bis 30b des Straßenverkehrsgesetzes verwertet werden darf. Außerdem dürfen für die Prüfung der Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen Entscheidungen der Gerichte nach den §§ 69 bis 69b des Strafgesetzbuches verwertet werden.

Tenor

Der Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 12. September 2013 wird aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 42 800 € festgesetzt.

Gründe

1

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat mit der Maßgabe Erfolg, dass der Beschluss über die Verwerfung der Berufung des Klägers aufzuheben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen ist (§ 133 Abs. 6 VwGO). Die Berufungsentscheidung beruht auf einem Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Der Kläger macht zu Recht geltend, dass das Oberverwaltungsgericht seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt hat (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO).

2

Der 1960 geborene Kläger ist seit 1992 Polizeibeamter. Nachdem der Beklagte erfahren hatte, dass der Kläger 1980 wegen mehrerer Diebstähle zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden war, nahm er die Ernennung zum Beamten zurück. Die dagegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Die Verurteilung könne berücksichtigt werden, obwohl ihre Eintragung im Bundeszentralregister längst getilgt sei. Die weitere Tätigkeit des Klägers als Polizeibeamter führe zu einer erheblichen Gefährdung der Allgemeinheit, weil sie das Ansehen der Polizei beschädige. Das Verwaltungsgericht hat die Berufung nicht zugelassen.

3

Der Kläger hat gegen das erstinstanzliche Urteil mit Schriftsatz vom 5. Mai 2012 fristwahrend Rechtsmittel eingelegt. Der erste Satz dieses Schriftsatzes lautet auszugsweise: „...beantrage ich hiermit die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 29. März 2013 durch das Sächsische Oberverwaltungsgericht und lege Berufung gegen das vorgenannte Urteil ein mit dem Antrag....". Auf Seite 4 des Schriftsatzes unter „V." hat der Kläger ausgeführt, dass die Berufung aus den Gründen der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, der besonderen rechtlichen Schwierigkeiten und der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zuzulassen sei.

4

Den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungszulassungsverfahren hat das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss vom 23. Juli 2013 abgelehnt. In der Begründung heißt es, das eingelegte Rechtsmittel der Berufung sei offensichtlich unzulässig. Auf diese Rechtsauffassung hatte das Gericht den Kläger zuvor nicht hingewiesen.

5

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 3. September 2013 darauf hingewiesen, er habe in dem fristwahrenden Schriftsatz vom 5. Mai 2012 einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt. Diesen Vortrag hat er nach Akteneinsicht mit Schriftsatz vom 9. September 2013 wiederholt.

6

Durch Beschluss vom 12. September 2013 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. In den Gründen heißt es, zulässiges Rechtsmittel gegen das erstinstanzliche Urteil sei der Antrag auf Zulassung der Berufung gewesen. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe dagegen ausdrücklich Berufung gegen das Urteil eingelegt und bereits konkrete Berufungsanträge gestellt. Selbst wenn der Schriftsatz vom 5. Mai 2012 als Zulassungsantrag ausgelegt werden könnte, habe der Kläger jedenfalls keinen Zulassungsgrund dargelegt.

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1. Das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, verpflichtet das Gericht, das Vorbringen jedes Verfahrensbeteiligten bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Der Gehörsanspruch verlangt nicht, dass das Gericht das gesamte Vorbringen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen wiederzugeben und zu jedem einzelnen Gesichtspunkt Stellung zu nehmen hat. Vielmehr sind in der Entscheidung nur diejenigen Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Das Gericht kann sich auf die Darstellung und Würdigung derjenigen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte beschränken, auf die es nach seinem Rechtsstandpunkt entscheidungserheblich ankommt (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Daher kann aus dem Umstand, dass das Gericht einen Aspekt des Vorbringens eines Beteiligten in den Entscheidungsgründen nicht abgehandelt hat, dann geschlossen werden, es habe diesen Aspekt nicht in Erwägung gezogen, wenn er nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts eine Frage von zentraler Bedeutung betrifft (stRspr; vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <145 f.>; BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - BVerwG 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 <209 f.> = Buchholz 402.25 § 1 Nr. 174 S. 27 f.; Beschluss vom 21. Juni 2007 - BVerwG 2 B 28.07 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 3 Rn. 6).

8

Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts über die Verwerfung der Berufung beruht auf der Rechtsauffassung, der Kläger habe in dem Schriftsatz vom 5. Mai 2012 gegen das die Klage abweisende erstinstanzliche Urteil nur Berufung eingelegt, anstatt einen - nach § 124 Abs. 1, § 124a Abs. 4 VwGO allein zulässigen - Antrag auf Zulassung der Berufung zu stellen. Nach diesem Standpunkt folgerichtig hat das Oberverwaltungsgericht keine Entscheidung über die Zulassung der Berufung getroffen. Die Ausführungen zur fehlenden Darlegung eines Zulassungsgrundes tragen die Berufungsentscheidung nicht.

9

Von der tragenden Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts hat der Kläger erstmals durch die Gründe des - Prozesskostenhilfe ablehnenden - Beschlusses vom 23. Juli 2013 Kenntnis erhalten. Sein nachfolgender Vortrag in den Schriftsätzen vom 3. September und vom 9. September 2013 zum Inhalt des Schriftsatzes vom 5. Mai 2012 hätte dem Oberverwaltungsgericht bereits wegen des ersten Satzes dieses Schriftsatzes Anlass geben müssen, seine Rechtsauffassung über das eingelegte Rechtsmittel zu überdenken. Die Gründe des Beschlusses über die Verwerfung der Berufung lassen jedoch nicht erkennen, dass das Oberverwaltungsgericht dies getan hat. Dieser Schluss drängt sich schon deshalb auf, weil sich das Oberverwaltungsgericht - wie bereits in dem Beschluss vom 23. Juli 2013 - darauf beschränkt hat, seine Rechtsauffassung in einem Satz mitzuteilen. Erneut hat es lediglich ausgeführt, der Kläger habe in dem Schriftsatz vom 5. Mai 2012 ausdrücklich Berufung eingelegt. Auf dessen Erklärungen in den Schriftsätzen vom 3. September und vom 9. September 2013 ist es mit keinem Wort eingegangen. Dementsprechend hat es den Eingangssatz des Schriftsatzes vom 5. Mai 2013 nicht erwähnt, nach dessen eindeutigem Wortlaut der Kläger eben nicht nur Berufung eingelegt, sondern voranstehend einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt hat. Auch fehlt jede Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Schriftsatzes vom 5. Mai 2012, in dem der Kläger unter „V." Ausführungen zu Zulassungsgründen gemacht hat.

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Es liegt auf der Hand, dass dem Vortrag des Klägers zum Inhalt des Schriftsatzes vom 5. Mai 2012 zentrale Bedeutung für die Entscheidungsfindung über das eingelegte Rechtsmittel zukommt. Der Umstand, dass die Gründe des Verwerfungsbeschlusses keinen Hinweis auf diesen Vortrag enthalten und sich nicht mit dem Inhalt des Schriftsatzes vom 5. Mai 2012, insbesondere nicht mit dem Wortlaut des Eingangssatzes, befassen, lässt nur den Schluss zu, dass das Oberverwaltungsgericht den Vortrag des Klägers nicht in die Entscheidungsfindung einbezogen und die danach gebotene umfassende Auslegung des Schriftsatzes vom 5. Mai 2012 unterlassen hat.

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Durch die Aufhebung des Verwerfungsbeschlusses und die Zurückverweisung der Sache nach § 133 Abs. 6 VwGO wird das Oberverwaltungsgericht in die Lage versetzt, erneut darüber zu entscheiden, ob der Kläger Berufung eingelegt oder einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt hat. Einer erneuten Entscheidung über die Berufung bedarf es nicht, wenn das Oberverwaltungsgericht aufgrund einer - allen Umständen Rechnung tragenden - Auslegung des Schriftsatzes vom 5. Mai 2012 zu dem Ergebnis kommt, der Kläger habe einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt. Für diese Auslegung weist der Senat auf seine Rechtsprechung hin, wonach Erklärungen gegenüber einer Behörde auch aus Gründen der Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG im Rahmen des methodisch Vertretbaren so auszulegen sind, dass der Erklärende sein Rechtsschutzziel erreicht (Urteil vom 30. Oktober 2013 - BVerwG 2 C 23.12 - BVerwGE 148, 217 Rn. 15 f., 23). Für die Einlegung von Rechtsmitteln im Verwaltungsprozess gilt nichts anderes.

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2. Für den Fall, dass das Oberverwaltungsgericht annimmt, der Kläger habe einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt, weist der Senat für die dann zu treffende Entscheidung über die Zulassung der Berufung vorsorglich auf Folgendes hin:

13

Der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist bei verfassungskonformer Auslegung dieser Bestimmung dargelegt, wenn der Antragsteller einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage stellt. Ernstliche Zweifel sind nicht erst dann anzunehmen, wenn bei der im Zulassungsverfahren allein möglichen summarischen Prüfung der Erfolg der Berufung wahrscheinlicher ist als der Misserfolg (stRspr; vgl. nur BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 - NVwZ 2000, 1163 <1164> und vom 21. Januar 2009 - 1 BvR 2524/06 - NVwZ 2009, 515 <516>).

14

In dem Schriftsatz vom 5. Mai 2012 hat der Kläger ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO daraus hergeleitet, dass das Verwaltungsgericht nicht begründet habe, dass ein Verbleib des Klägers im Polizeidienst zu einer erheblichen Gefährdung der Allgemeinheit im Sinne des § 52 Abs. 1 Nr. 4 BZRG führen würde. Damit hat er zwar nicht die generelle Anwendbarkeit dieser gesetzlichen Ausnahme von dem Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG, wohl aber deren Anwendung im vorliegenden Fall in Frage gestellt.

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In der Tat hat das Verwaltungsgericht für die Annahme einer erheblichen Gefährdung ausschließlich auf eine Beeinträchtigung des Ansehens der Polizei abgestellt, ohne die erforderliche Gefährdungsprognose vorzunehmen. Bei dieser Prognose kommt dem Umstand maßgebendes Gewicht zu, dass der Kläger seit 1992 ungefähr 20 Jahre lang ohne Beanstandungen als Polizist tätig war. Darauf ist das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung der erheblichen Gefährdung nicht eingegangen. Hinzu kommt, dass die Taten des Klägers bei Eintritt in den Polizeidienst ungefähr zwölf Jahre zurück lagen und der Kläger im Tatzeitraum erst 19 Jahre alt war.

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Weiterhin hat der Kläger seinen Vortrag mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2012 durch einen Hinweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. März 1996 - BVerwG 1 C 12.95 - (BVerwGE 101, 24) ergänzt. Daraus hat er zutreffend hergeleitet, dass der Ausnahmetatbestand des § 52 Abs. 1 Nr. 4 BZRG die Verwertung einer im Bundeszentralregister getilgten oder tilgungsreifen strafrechtlichen Verurteilung ausschließlich für Entscheidungen vorsieht, die den Zugang zu einer bestimmten Betätigung, im vorliegenden Fall die Einstellung in den öffentlichen Dienst, regeln. Der Ausnahmetatbestand des § 52 Abs. 1 Nr. 4 BZRG schränkt das Verwertungsverbot nach § 51 Abs. 1 BZRG aber nicht für Maßnahmen ein, die die betreffenden Betätigungen beenden. Eine derartige Maßnahme stellt die Rücknahme der Ernennung, d.h. der Einstellung in den öffentlichen Dienst, dar.

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Demgegenüber hat das Verwaltungsgericht die Anwendbarkeit des Ausnahmetatbestandes des § 52 Abs. 1 Nr. 4 BZRG für die Rücknahme der Ernennung des Klägers zum Polizeibeamten angenommen, ohne die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu berücksichtigen. Im Übrigen ergibt sich die Fragwürdigkeit der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts bereits aus dem Gesetzeswortlaut des § 52 Abs. 1 Nr. 4 BZRG.

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Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.

(1) Wird jemand wegen einer rechtswidrigen Tat, die er unter Mißbrauch seines Berufs oder Gewerbes oder unter grober Verletzung der mit ihnen verbundenen Pflichten begangen hat, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil seine Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so kann ihm das Gericht die Ausübung des Berufs, Berufszweiges, Gewerbes oder Gewerbezweiges für die Dauer von einem Jahr bis zu fünf Jahren verbieten, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und der Tat die Gefahr erkennen läßt, daß er bei weiterer Ausübung des Berufs, Berufszweiges, Gewerbes oder Gewerbezweiges erhebliche rechtswidrige Taten der bezeichneten Art begehen wird. Das Berufsverbot kann für immer angeordnet werden, wenn zu erwarten ist, daß die gesetzliche Höchstfrist zur Abwehr der von dem Täter drohenden Gefahr nicht ausreicht.

(2) War dem Täter die Ausübung des Berufs, Berufszweiges, Gewerbes oder Gewerbezweiges vorläufig verboten (§ 132a der Strafprozeßordnung), so verkürzt sich das Mindestmaß der Verbotsfrist um die Zeit, in der das vorläufige Berufsverbot wirksam war. Es darf jedoch drei Monate nicht unterschreiten.

(3) Solange das Verbot wirksam ist, darf der Täter den Beruf, den Berufszweig, das Gewerbe oder den Gewerbezweig auch nicht für einen anderen ausüben oder durch eine von seinen Weisungen abhängige Person für sich ausüben lassen.

(4) Das Berufsverbot wird mit der Rechtskraft des Urteils wirksam. In die Verbotsfrist wird die Zeit eines wegen der Tat angeordneten vorläufigen Berufsverbots eingerechnet, soweit sie nach Verkündung des Urteils verstrichen ist, in dem die der Maßregel zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten. Die Zeit, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist, wird nicht eingerechnet.