Tenor

I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 11. April 2017 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.

Die Antragstellerinnen begehren im einstweiligen Rechtsschutz die vorläufige Gewährung von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII.

Die 1978 geborene Antragstellerin zu 1) (die Bezeichnung der Beteiligten der ersten Instanz wird beibehalten) besitzt die rumänische Staatsbürgerschaft und reiste am 02.11.2015 aus Rumänien in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die Tochter der Antragstellerin zu 1), die Antragstellerin zu 2) wurde am 20.07.2016 geboren. Der Vater der Antragstellerin zu 2) und Ehemann der Antragstellerin zu 1), der ebenfalls rumänischer Staatsangehöriger ist, lebt von den Antragstellerinnen getrennt. Im Zeitraum 15.11.2015 bis 08.02.2016 ging die Antragstellerin zu 1) einer geringfügigen Beschäftigung nach. Das Beschäftigungsverhältnis wurde am 08.02.2016 durch den Arbeitgeber gekündigt. Die Antragstellerinnen wohnen in einer Wohnung mit 73 m² zu einer Gesamtmiete von 310.-Euro. Die Antragstellerin zu 1) hat Einkünfte in Form von Kindergeld für die Antragstellerin zu 2) in Höhe von 190.-Euro sowie Elterngeld in Höhe von 300.-Euro. Weitere Einkünfte oder Vermögen sind nicht vorhanden.

Im Zeitraum 01.02.2016 bis 31.10.2016 erhielt die Antragstellerin zu 1) Leistungen nach dem SGB II vom Jobcenter A-Stadt-Stadt aufgrund eines Beschlusses des Sozialgerichts Landshut (SG) in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (S 11 AS 259/16 ER).

Am 12.12.2016 beantragten die Antragstellerinnen bei der Antragsgegnerin schriftlich die Gewährung von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII. Dabei wurde angegeben, dass die Antragstellerin zu 1) aufgrund einer Arbeitsaufnahme nach Deutschland gezogen sei. Zuvor hatten sie bereits am 09.11.2016 bei der Antragsgegnerin vorgesprochen und mündlich Leistungen nach dem SGB XII beantragt. Nach Aussage der Antragstellerin zu 1) sei sie dort jedoch weggeschickt und aufgefordert worden, ihre Freizügigkeitsberechtigung von der Ausländerbehörde prüfen zu lassen. Im Folgenden hatten die Antragstellerinnen die Antragsgegnerin am 23.11.2016 schriftlich aufgefordert, über ihren Anspruch zu entscheiden.

Mit Bescheid vom 25.01.2017 bewilligte die Antragsgegnerin den Antragstellerinnen Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt im Zeitraum 23.11.2016 bis 31.12.2016. Mit weiterem Bescheid vom 01.02.2017 wurden für den gleichen Zeitraum höhere Leistungen aufgrund einer Korrektur des anzurechnenden Kindergeldes bewilligt.

Gegen den Bescheid vom 25.01.2017 legten die Antragstellerinnen am 05.02.2017 Widerspruch ein. Die Antragstellerinnen hätten Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII über den 28.12.2016 hinaus. Das Ermessen des Sozialhilfeträgers sei im Rahmen des § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII dem Grunde und der Höhe nach hinsichtlich der Hilfe zum Lebensunterhalt auf Null reduziert, da sich der Aufenthalt der Antragstellerinnen aufgrund eines mehr als sechsmonatigen Aufenthalts in Deutschland verfestigt habe. Dem stehe auch § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XII neue Fassung nicht entgegen, denn die am 29.12.2016 in Kraft getretene Vorschrift sei evident verfassungswidrig. Nach dem Bundesverfassungsgericht stünde das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als Menschenrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhielten, gleichermaßen zu (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012, 1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11). Eine pauschale Differenzierung nach dem Aufenthaltsstatus habe das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung der existenzsichernden Leistungen ausdrücklich abgelehnt. Für eine abweichende Bedarfsbestimmung komme es darauf an, ob etwa wegen eines nur kurzfristigen Aufenthalts konkrete Minderbedarfe gegenüber Hilfeempfängern mit Daueraufenthaltsrecht nachvollziehbar festgestellt und bemessen werden könnten. Dies lasse sich bei einem Aufenthaltsrecht alleine zum Zwecke der Arbeitssuche über die Ermessensleistung des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII regulieren, nicht jedoch bei einem verfestigten Aufenthalt. Sei die Zeitspanne eines Kurzaufenthaltes deutlich überschritten, sei ein zeitnaher Übergang zu den existenzsichernden Leistungen vorzusehen.

Über den Widerspruch wurde bis dato nicht entschieden.

Am 06.02.2017 haben die Antragstellerinnen das SG angerufen und beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellerinnen ab 05.02.2017 vorläufig Leistungen nach dem SGB XII in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Begründet wurde der Antrag wie zuvor der Widerspruch. Soweit das Gericht der Auffassung sei, dass die Rechtslage offen sei, seien den Antragstellerinnen Leistungen im Rahmen einer Folgenabwägung vorläufig zu gewähren, da den Antragstellerinnen bei einer Ablehnung ihres Antrags existenzielle Nachteile drohen würden, die sie aus eigener Kraft nicht abwenden könnten. Die Antragsgegnerin hat beantragt, den Antrag abzulehnen. Die Antragstellerinnen seien gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII von den Leistungen des SGB XII ausgeschlossen. Ein Aufenthaltsrecht ergebe sich, wenn überhaupt, alleine aus dem Zwecke der Arbeitssuche. Ein Verstoß gegen das Grundgesetz sei nicht ersichtlich. Vielmehr habe der Gesetzgeber mit dem Leistungsausschluss den Nachrang des deutschen Sozialleistungssystems gegenüber dem des Herkunftslandes normiert. Mit Beschluss vom 11.04.2017 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei unbegründet. Die Antragstellerinnen hätten einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Die Antragstellerin zu 1) sei als unstreitig Erwerbsfähige bereits gemäß § 21 Abs. 1 SGB XII vom Bezug von Leistungen nach dem SGB XII ausgeschlossen, da der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung, insbesondere zu § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II und § 21 Abs. 1 SGB XII offensichtlich davon ausgegangen sei, dass maßgebliches Abgrenzungskriterium in § 21 Satz 1 SGB XII die Erwerbsfähigkeit sei und damit eine eindeutig allgemeine Abgrenzung der Anwendungsbereiche geschaffen worden sei. Diesen Argumenten stünde die aktuelle Rechtsprechung des Bundessozialgerichts jedoch entgegen. Danach hätten EU-Ausländer im Falle eines Ausschlusses von Leistungen nach dem SGB II Anspruch auf Leistungen zur Hilfe zum Lebensunterhalt gegen die Träger der Sozialhilfe (Urteile des BSG vom 03.12.2015, B4 AS 44/15 R, vom 16.12.2015, B 14 AS 15/14 R sowie vom 20.01.2016, B 14 AS 18/14 R). Nach dem BSG seien im Falle eines verfestigten Aufenthalts ab einen Zeitraum von über 6 Monaten Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII zu erbringen. Das BSG sehe daher eine Anspruchsberechtigung dem Grunde nach auf Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII für Personen, bei denen die allgemeinen Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II vorlägen, jedoch auch der Ausschlusstatbestand nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II greifen würde. Selbst wenn man der Rechtsprechung des BSG folgen würde, seien die Antragstellerinnen jedoch gemäß § 23 Abs. 3 SGB XII in der seit 29.12.2016 geltenden Fassung von Leistungen nach § 23 Abs. 1 SGB XII ausgeschlossen. Es bestehe kein Aufenthaltsrecht neben einem möglichen Aufenthaltsrecht zum Zwecke der Arbeitssuche. Das SG zweifele auch nicht an, dass die neu eingeführte Vorschrift des § 23 Abs. 3 SGB XII grundrechtskonform sei. Insbesondere bestehe keine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums gemäß Art. 1 Abs. 1 SGG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 SGG. Ebenso stünden der Anwendbarkeit der Vorschriften über den Leistungsausschluss auch keine europarechtlichen Bestimmungen entgegen. Auch das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) sei nicht auf die Antragstellerinnen mit rumänischer Staatsbürgerschaft anzuwenden.

Gegen den am 18.04.2014 zugestellten Beschluss des SG haben die Antragstellerinnen am 18.05.2017 Beschwerde zum SG erhoben, das diese am 22.05.2017 an das Bayerische Landessozialgericht (LSG) weitergeleitet hat.

Mit Beschluss vom 28.07.2017 ist das Jobcenter A-Stadt Stadt beigeladen worden.

Die Antragstellerinnen beantragen,

1. die Antragsgegnerin unter Abänderung des Beschlusses des Sozialgerichts Landshut vom 11.04.2017 im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellerinnen ab 05.02.2017 vorläufig Leistungen nach dem SGB XII in gesetzlicher Höhe zu gewähren und

2. der Antragsgegnerin die Kosten des Antrags- und des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen.

Eine weitere Beschwerdebegründung erfolgte trotz Aufforderung und Fristsetzung bis dato nicht.

Die Antragsgegnerin beantragt, 1. die Beschwerde gegen den Beschluss des SG vom 11.04.2017 zurückzuweisen und 2. gemäß § 193 SGG zu entscheiden, dass außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten sind Zur Begründung wurde auf die Gründe im Beschluss vom 11.04.2016 verwiesen.

Der Beigeladene sieht aufgrund des Leistungsausschlusses des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II keinen Anspruch der Antragstellerinnen auf Leistungen nach dem SGB II. Es bestünden keine Zweifel daran, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II europarechtskonform sei.

II.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

A.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere wurde sie am 18.05.2017 form- und fristgerecht gemäß § 173 SGG gegen den am 18.04.2017 zugestellten Beschluss des SG erhoben. Sie ist auch nicht gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG in Verbindung mit § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG ausgeschlossen, da die Antragstellerinnen die vorläufige Gewährung laufender Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII begehren und diese Leistung ausweislich der Bedarfsberechnung im Bescheid der Antragsgegnerin vom 01.02.2017 bereits für einen Monat rund 650.- beträgt. Bereits bei 2 Monaten ist damit der Beschwerdewert nach § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG von 750.-Euro erreicht. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Antragstellerinnen für einen längeren Zeitraum Leistungen begehren.

B.

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Rechtsgrundlage für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis stellt im vorliegenden Rechtsstreit, da die Antragstellerinnen eine Ausweitung ihrer Rechtsposition begehren, § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG dar. Hiernach ist eine Regelungsanordnung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem Antragsteller ohne eine solche Anordnung schwere oder unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so Bundesverfassungsgericht - BVerfG - vom 25. Oktober 1988, BVerfGE 79, 69, 74; vom 19. Oktober 1977 BVerfGE 46, 166 /179 und vom 22. November 2002, 1 BvR 1586/02).

Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der Antragsteller sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hat der Antragsteller hierzu glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 2 und 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl, § 86b RdNr. 41).

An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist bzw. wäre. Wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Falle ist ggfs. anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers zu entscheiden (BVerfG vom 12.05.2005 a. a. O.), insbes. wenn eine Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht möglich ist, etwa da in der gebotenen Zeitspanne eines Eilverfahrens nicht aufklärbare Tatsachen vorliegen (BVerfG,Beschluss vom 14.09.2016, 1 BvR 1335/13).

Da vorliegend existenzsichernde Leistungen der Antragstellerinnen im Streit stehen, war eine abschließende rechtliche Prüfung durchzuführen. Eine Folgenabwägung war entgegen der Auffassung der Antragstellerinnen nicht angezeigt, da eine rechtliche Prüfung möglich war.

I. Bereits ein Anordnungsanspruch ist nicht gegeben. Die Antragstellerinnen haben keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII gegen die Antragsgegnerin.

1. Ein Anspruch auf Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII ist nicht gegeben, da der Anspruchsausschluss des § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII in der Fassung vom 22.12.2016 greift. Ein Ausschluss des Anspruchs nach § 21 S. 1 SGB XII ist hingegen nicht gegeben (s. unten a.).

a. Der Leistungsausschluss gemäß § 21 Satz 1 SGB XII findet vorliegend keine Anwendung. Nach dieser Regelung erhalten Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII. Die Antragstellerinnen sind nicht dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II.

Die im Jahr 1978 geborene Antragstellerin zu 1) erfüllt zwar die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II, da sie die Altersvoraussetzungen erfüllt, erwerbsfähig und hilfebedürftig ist und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat. Sie ist jedoch gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II in der Fassung vom 22.12.2016 vom Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ausgenommen, da sich ihr Aufenthaltsrecht - falls dieses überhaupt besteht - alleine aus dem Zwecke der Arbeitssuche nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 a FreizG/EU ergibt. Die Antragstellerin zu 1) ist rumänischer Nationalität und damit eine Bürgerin der Europäischen Union. Damit unterfällt sie dem Anwendungsbereich des FreizG/EU (§ 1 FreizG/EU). Gemäß § 2 Abs. 1 FreizG/EU haben freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger das Recht auf Einreise und Aufenthalt. § 2 Abs. 2 FreizG/EU zählt enumerativ auf, in welchen Fällen Unionsbürger freizügigkeitsberechtigt sind. Für die Antragstellerin zu 1), die insbesondere weder erwerbstätig ist, noch eine Berufsausbildung durchläuft, kommt nach Aktenlage auch keine Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizG/EU in Betracht. Danach ist freizügigkeitsberechtigt, wer sich zur Arbeitsuche aufhält, für bis zu sechs Monate und darüber hinaus nur, solange er nachweisen kann, dass er weiterhin Arbeit sucht und begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden. Diesbezüglich bestehen bei der Antragstellerin zu 1), die sich bereits über sechs Monate im Bundesgebiet aufhält, erhebliche Zweifel, da sie lediglich im Zeitraum November 2015 bis Februar 2016 einer geringfügigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist und keine Angaben gemacht hat, die auf eine Einstellungsaussicht hindeuten würden.

Da die Antragstellerin zu 1) nach eigenen Angaben nicht mehr als ein Jahr erwerbstätig war, kommt auch ein nachgehendes Freizügigkeitsrecht gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 2 FreizG/EU nicht in Betracht.

Ein Freizügigkeitsrecht gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 FreizG/EU abgeleitet vom Ehemann besteht nicht, da nach Aktenlage dieser nicht freizügigkeitsberechtigt nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 oder 7 FreizG/EU ist.

Ebenso besteht erkennbar keine Freizügigkeitsberechtigung gemäß § 4 FreizG/EU, da die Antragstellerin zu 1) nicht über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügt. Auch besteht kein Daueraufenthaltsrecht nach § 4 a FreizG/EU, da sich die Antragstellerin zu 1) nicht seit 5 Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Denn sie ist erst im November 2015 in das Bundesgebiet eingereist.

Auch ein Aufenthaltstitel nach dem Aufenthaltsgesetz ist vorliegend nicht gegeben.

Die Antragstellerin zu 2) hat ebenso kein eigenes Aufenthaltsrecht und mangels Aufenthaltsrecht der Antragstellerin zu 1) auch kein abgeleitetes Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizG/EU.

Der Leistungsausschluss ist auch nicht gem. § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II aufgehoben, da die Antragstellerinnen ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht seit mindestens 5 Jahren im Bundesgebiet haben. Denn sie leben erst seit November 2015 bzw. Juli 2016 in Deutschland.

Eine Leistungsberechtigung nach dem SGB II dem Grunde nach im Sinne von § 21 S. 1 SGB XII besteht auch nicht gem. § 41 a Abs. 7 Nr. 1 SGB II. Danach kann über die Erbringung von Geld- und Sachleistungen vorläufig entschieden werden, wenn die Vereinbarkeit einer Vorschrift dieses Buches, von der die Entscheidung über den Antrag abhängt, mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) oder dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) ist oder eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung Gegenstand eines Verfahrens beim Bundessozialgericht (BSG) ist.

Zur hier einschlägigen Gesetzeslage seit 29.12.2016 ist nach Kenntnisstand des Senats kein Verfahren beim BverfG, dem EuGH oder dem BSG anhängig.

Vorliegend wird zwar in der Rechtsprechung z. T. die Auffassung vertreten, dass § 41 a Abs. 7 Nr. 1 SGB II jedenfalls entsprechend anwendbar sei, da das SG Mainz mit Vorlagebeschlussvom 18.04.2016 (S 3 AS 149/16) dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt habe, ob § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.5.2011 mit dem Grundgesetz vereinbar ist (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 16.02.2017, L 8 SO 344/16 B ER, LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 26.04.2017. L 1 AS 854/17 ER-B, a. A. SG München, Beschluss vom 26.05.2017, S 46 AS 843/17 ER). Jedenfalls handelt es sich jedoch bei § 41 Abs. 7 Nr. 1 SGB II um eine Ermessensvorschrift, so dass selbst bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen ein Anspruch auf Leistungen nicht gegeben ist, sondern lediglich auf fehlerfreie Ermessensausübung. Dass grundsätzlich einem Ermessensreduzierung auf Null gegeben sein solle, ist nicht erkennbar (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24.03.2017, L 5 AS 449/17 B ER, LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 18.04.2017, L 13 AS 113/17 B ER, LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 19.05.2017, L 11 AS 247/17 B ER, LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26.05.2017, L 15 AS 62/17 B ER). Hierbei sind neben der Zielrichtung der begehrten Leistungen - Existenzsicherung - weitere Kriterien heranzuziehen wie die Wahrscheinlichkeit des Grundrechtsverstoßes sowie eine mögliche Bedarfsdeckung durch andere Leistungen. Vorliegend ist das Bestehen eines Grundrechtsverstoßes mangels höchstrichterlicher Vorlage zum Bundesverfassungsgericht sowie aufgrund des Fehlens eines Konsenses bzw. einer überwiegenden Meinung der Verfassungswidrigkeit des § 7 Abs. 2 SGB II n. F. eher weniger wahrscheinlich. Auch hat der Gesetzgeber durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 S. 3 bis 6 SGB XII eine anderweitige Bedarfsdeckung vorgesehen. (vgl. hierzu die Begründung im Beschluss des LSG Niedersachsen-Bremen vom 18.04.2017, L 13 AS 113/17 B ER).

Ein Anspruch auf Leistungen des SGB II dem Grunde nach ist daher auch nach § 41 a Abs. 7 Nr. 1 SGB II für die Antragstellerin zu 1) nicht gegeben, deshalb besteht ebenso kein Anspruch der Antragstellerin zu 2) auf Sozialgeld als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 19 Abs. 1 S. 2 SGB II - so dass die Ausschlussnorm des § 21 S. 1 SGB XII nicht greift.

Diese stellt nicht ausschließlich auf das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit ab, sondern berücksichtigt einen Leistungsanspruch nach dem SGB II dem Grunde nach. Für die Systemzuweisung SGB II einerseits und SGB XII andererseits gilt aufgrund der Erwerbszentriertheit des SGB II, dass derjenige, der von dem auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ausgerichteten Leistungssystem des SGB II ausgeschlossen wird, dann dem System des SGB XII zugewiesenen ist (BSG, Urteil vom 03.12.2015, B 4 AS 44/15 R).

b. Der Antragstellerinnen sind jedoch gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII vom Leistungsbezug nach dem SGB XII grundsätzlich ausgeschlossen. § 23 SGB XII regelt den Anspruch auf Sozialhilfe für Ausländerinnen und Ausländer.

Gemäß § 23 Abs. 1 SGB XII ist Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels des SGB XII bleiben unberührt. Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Die Einschränkungen nach Satz 1 dieser Vorschrift gelten nicht für Ausländer, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind und sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten. Letzteres ist bei den Antragstellerinnen nicht gegeben.

Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen keine Leistungen nach Abs. 1 oder nach dem 4. Kapitel, wenn sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Unabhängig davon, ob das Aufenthaltsrecht gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizG/EU für die Antragstellerin zu 1) besteht, sind die Antragstellerinnen jedoch gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII vom Anspruch auf Leistungen des SGB XII ausgeschlossen, da sie jedenfalls über kein weiteres Aufenthaltsrecht verfügen (s. o.).

Dieser Leistungsausschluss ist auch nicht nach § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII aufgehoben. Danach erhalten Ausländer abweichend von § 23 Satz 1 Nr. 2 und 3 SGB XII Leistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB XII, wenn sie sich seit mindestens 5 Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten. Dies ist jedoch nicht gegeben (s.o.).

Aufgrund der neuen Gesetzeslage zum 29.12.2016 ist die von den Antragstellerinnen angeführte Rechtsprechung des BSG zum verfestigten Aufenthalt und daraus folgend einer Ermessensreduzierung auf Null im Rahmen der Ermessensausübung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII (Urteilevom 03.12.2015, B 4 AS 44/15 R und 20.01.2016, B 14 AS 35/15 R) nicht mehr einschlägig. Denn § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII formuliert klar einen Leistungsausschluss für alle Leistungen nach § 23 Abs. 1 SGB XII, somit auch für Ermessensleistungen nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII (vgl. auch die Ausführungen in der Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/10211, S. 16). Im Übrigen würde die gesetzgeberische Wertung, dass ein Anspruch auf (gebundene) Leistungen gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB XII erst ab einer ununterbrochenen Aufenthaltsdauer von 5 Jahren gegeben ist, untergraben, wenn über eine Ermessensreduzierung auf Null im Rahmen der Ermessensausübung nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII, aufgrund der Annahme einer Verfestigung des Aufenthalts bereits nach 6 Monaten, ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII gegeben wäre.

§ 23 Abs. 3 SGB XII in der Fassung vom 22.12.2016 stellt auch keinen Verstoß gegen europarechtliche Bestimmungen dar. Nach der Rechtsprechung des EuGH sind Regelungen eines Mitgliedstaates, nach denen Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vom Zugang zu beitragsunabhängigen Sozialleistungen ausgeschlossen werden, wenn ihnen gar kein Aufenthaltsrecht zusteht oder wenn ihr Aufenthaltsrecht sich nur aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, mit Unionsrecht vereinbar (EuGH, Urteil vom 11.11.2014, C-333/13 und Urteil vom 15.09.2015, C-67/14). Zweifel an der Europarechtskonformität von § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII stellen sich aufgrund dieser Entscheidungen nicht (ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13.02.2017, L 23 SO 30/17 B ER).

Ebenso bestehen, wie vom Senat bereits mit Beschluss vom 24.04.2017 (L 8 SO 77/17 B ER) festgestellt, keine durchgreifenden Zweifel an der Verfassungsgemäßheit des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII in der Fassung vom 22.12.2016, so dass eine Leistungsgewährung im einstweiligen Rechtsschutz ohne Anwendung der Regelungen des § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII nicht in Betracht kommt. Eine solche Leistungsgewährung wäre dann aufgrund des Gebots der Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG unter Nichtbeachtung des Verwerfungsmonopols des Bundesverfassungsgerichts zu prüfen, wenn gewichtige Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des entscheidungserheblichen Gesetzes vorlägen, die sich so weit verdichtet hätten, dass die für eine Vorlage im Hauptsacheverfahren erforderliche Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit voraussichtlich bejaht würde (LSG NRW, Beschluss vom 16.03.2017, L 19 AS 190/17 B ER m. w. N.). Dies ist hier jedoch nicht gegeben.

Insbesondere eine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, das aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG hergeleitet wird, ist nicht ersichtlich. Dieses Grundrecht ist als Gewährleistungsrecht auf die Ausgestaltung durch den Gesetzgeber angelegt. Zwar ist dieses Grundrecht unverfügbar und muss durch einen gesetzlichen Leistungsanspruch eingelöst werden, dieser bedarf jedoch der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bedingt nicht, dass existenzsichernde Leistungen voraussetzungslos zur Verfügung gestellt werden müssten. Dem Gesetzgeber steht bei der Ausgestaltung vielmehr ein Gestaltungsspielraum zu, innerhalb dessen er die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat (BSG, Urteil vom 09. März 2016 - B 14 AS 20/15 R, Rn. 36 f.).

Hier hat der Gesetzgeber Unionsbürgern ohne materielles Aufenthaltsrecht bzw. nur mit einem Recht zur Arbeitssuche einen Anspruch auf Erhalt von existenzsichernden Leistungen gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 bis 6 SGB XII, sog. Überbrückungsleistungen, zugewiesenen, die primär der Existenzsicherung bis zur Ausreise dienen. Dabei wird durch eine Härtefallregelung nach § 23 Abs. 3 S. 6 SGB XII sichergestellt, dass im Einzelfall zur Überwindung besonderer Härten andere Leistungen, sowie dass Leistungen auch über einen Zeitraum von einem Monat hinaus erbracht werden können. Diese unbestimmten Rechtsbegriffe lassen sich in Zweifelsfällen im Lichte des gebotenen Schutzes der Menschenwürde weit auslegen, so dass zuverlässig eine Verletzung des nach Art. 1 GG begründeten Rechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum im Einzelfall auszuschließen ist (LSG Hessen, Beschluss vom 20.06.2017, L 4 SO 70/17 B ER). Im Übrigen werden diese Ausländer darauf verwiesen, existenzsichernde Leistungen ihres Heimatlandes in Anspruch zu nehmen. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber die Nachrangigkeit des deutschen Sozialleistungssystems gegenüber dem des Herkunftslandes normiert (vgl. Senatsbeschluss vom 24.04.2017, L 8 SO 77/17 m. w. N.). Nur Unionsbürger mit einem materiellen Aufenthaltsrecht erhalten Leistungen nach § 23 Abs. 1 SGB XII. Diese Differenzierung in der Ausgestaltung der Leistungsgewährung in Bezug auf ein auf Dauer angelegtes Aufenthaltsrecht, bzw. kein oder ein zeitlich befristetes Aufenthaltsrecht ist sachlich gerechtfertigt aufgrund des unterschiedlichen Aufenthaltsstatus (LSG NRW, a. a. O., Rn. 45).

Auch eine unterschiedliche Behandlung bzgl. des Personenkreises der Ausländer, die unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallen, und auch bei bestehender Ausreisepflicht noch Anspruch auf existenzsichernde Leistungen gemäß § 1 a AsylbLG haben, ist gerechtfertigt, da es Personen aus Mitgliedstaaten der europäischen Union in der Regel möglich ist, kurzfristig in ihre Heimat zurückzureisen um dort anderweitige Hilfsmöglichkeiten zu erhalten. Dies ist bei dem Personenkreis, auf den das AsylbLG Anwendung findet, nicht ohne weiteres gegeben, so dass die Gewährleistungsverpflichtung aus Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 1 GG umfangreichere und länger andauernde Leistungen zur Existenzsicherung erfordert (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13.02.2017, L 23 SO 30/17 B ER, Rn. 42 f.).

Diese Rechtsauffassung widerspricht nicht den Ausführungen des BSG im Urteil vom 20.01.2016 (B 14 AS 35/15 R). Dort führt das BSG unter Rn. 42 aus, dass eine Leistungsgewährung nach Ermessensausübung nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII nicht aufgrund der Möglichkeit einer Heimkehr des Ausländers in sein Herkunftsland ausgeschlossen sei. Denn diese Möglichkeit sei so lange unbeachtlich, wie der tatsächliche Aufenthalt in Deutschland von der zuständigen Behörde faktisch geduldet werde. Der Nachranggrundsatz des § 2 Abs. 1 SGB XII sei keine eigenständige Ausschlussnorm. Diese Ausführungen betreffen jedoch die Frage der Möglichkeit einer Ermessensausübung nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII bzgl. der alten Rechtslage vor dem 22.12.2016 und nicht die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII in der Fassung vom 22.12.2016. Das BSG führt vielmehr weiter aus, dass ein Verweis auf eine Selbsthilfe durch Ausreise in das Herkunftsland nach dem derzeit geltenden Recht keine rechtliche Grundlage habe. Zu verfassungsrechtlichen Fragestellungen der erst nach der Entscheidung geänderten Rechtslage in § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII konnte das BSG naturgemäß nicht Stellung nehmen.

c. Auch ein Anspruch auf Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII unter Anwendung des europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) ist nicht gegeben. Nach diesem Abkommen werden die Bürger bestimmter Länder Inländern gleichgestellt und erhalten entsprechende Leistungen der Sozialhilfe. Dieses Abkommen ist unmittelbar geltendes Bundesrecht (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2010, B 14 AS 23/10). Die Antragstellerinnen als rumänische Staatsangehörige unterfallen jedoch nicht dem Anwendungsbereich des europäischen Fürsorgeabkommens, da Rumänien dieses nicht abgeschlossen hat und ihm nicht beigetreten ist. Im Ergebnis besteht daher ein Anspruch auf Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII gegen die Antragsgegnerin nicht.

d. Da die Antragstellerinnen ausdrücklich keine sog. Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 3 bis 6 SGB XII begehren (sie beantragen Leistungen ab 05.02.2017), war nicht darüber zu befinden, ob den Antragstellerinnen ein solcher Anspruch zusteht. Denn diese Leistungen stellen kein „minus“ zu einer originären Leistungsbeantragung auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts dar, sondern ein „aliud“, denn Leistungen nach dem 3. und 4. Kapitel des SGB XII dienen regelmäßig der existenziellen Absicherung eines rechtmäßigen Aufenthalts, die Überbrückungsleistungen zielen jedoch nur auf eine kurze überbrückende Absicherung des Aufenthalts bis zur Ausreise ab. Auch folgt aus § 23 Abs. 3 S. 6 SGB XII, dass im Einzelfall zu prüfen ist, wie lange konkret Überbrückungsleistungen bis zu einer Ausreise zu gewähren sind und ob ggf. weitere Leistungen zu gewähren sind. Diese gesonderte Prüfung obliegt zunächst dem Sozialhilfeträger (ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13.02.2017, L 23 SO 30/17 B ER, Rn. 46; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 18. April 2017 - L 13 AS 113/17 B ER -, Rn. 30; a. A. Hess. LSG, Beschluss vom 20.06.2017, L 4 SO 70/17, wonach Überbrückungsleistungen, die auf die Sicherung des Lebensunterhaltes gerichtet sind, ein minus gegenüber Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII darstellen).

Da bereits ein Anordnungsanspruch nicht gegeben ist, kommt es auf das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nicht an.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 20


(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der

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(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen G

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(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 1. bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hier

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(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die1.das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,2.erwerbsfähig sind,3.hilfebedürftig sind und4.ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschla

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(1) Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag 1. in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen,2. in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungskla

Zivilprozessordnung - ZPO | § 294 Glaubhaftmachung


(1) Wer eine tatsächliche Behauptung glaubhaft zu machen hat, kann sich aller Beweismittel bedienen, auch zur Versicherung an Eides statt zugelassen werden. (2) Eine Beweisaufnahme, die nicht sofort erfolgen kann, ist unstatthaft.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 172


(1) Gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte findet die Beschwerde an das Landessozialgericht statt, soweit nicht in diesem Gesetz anderes bestimmt ist. (2) Pro

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(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten Bürgergeld. Nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Bürgergeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach

Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022) - SGB 12 | § 2 Nachrang der Sozialhilfe


(1) Sozialhilfe erhält nicht, wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozia

Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022) - SGB 12 | § 23 Sozialhilfe für Ausländerinnen und Ausländer


(1) Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben

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(1) Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts besteht für jeden Kalendertag. Der Monat wird mit 30 Tagen berechnet. Stehen die Leistungen nicht für einen vollen Monat zu, wird die Leistung anteilig erbracht. (2) Berechnungen werd

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 173


Die Beschwerde ist binnen eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung beim Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen; § 181 des Gerichtsverfassungsgesetzes bleibt unberührt. Die Beschwerdefrist i

Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022) - SGB 12 | § 21 Sonderregelung für Leistungsberechtigte nach dem Zweiten Buch


Personen, die nach dem Zweiten Buch als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, erhalten keine Leistungen für den Lebensunterhalt. Abweichend von Satz 1 können Personen, die nicht hilfebedürftig nach § 9 des Zweite

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Tenor I. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wird abgelehnt. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Der Klägerin wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Nürnberg ab Antragstellung Prozesskosten

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(1) Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben unberührt. Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Die Einschränkungen nach Satz 1 gelten nicht für Ausländer, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind und sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten. Rechtsvorschriften, nach denen außer den in Satz 1 genannten Leistungen auch sonstige Sozialhilfe zu leisten ist oder geleistet werden soll, bleiben unberührt.

(2) Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes erhalten keine Leistungen der Sozialhilfe.

(3) Ausländer und ihre Familienangehörigen erhalten keine Leistungen nach Absatz 1 oder nach dem Vierten Kapitel, wenn

1.
sie weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt oder
3.
sie eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen.
Satz 1 Nummer 1 und 3 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Hilfebedürftigen Ausländern, die Satz 1 unterfallen, werden bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen); die Zweijahresfrist beginnt mit dem Erhalt der Überbrückungsleistungen nach Satz 3. Hierüber und über die Möglichkeit der Leistungen nach Absatz 3a sind die Leistungsberechtigten zu unterrichten. Die Überbrückungsleistungen umfassen:
1.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege,
2.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe nach § 35 und § 35a, einschließlich der Bedarfe nach § 30 Absatz 7,
3.
die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen und
4.
Leistungen nach § 50 Nummer 1 bis 3.
Soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, werden Leistungsberechtigten nach Satz 3 zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von Absatz 1 gewährt; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist. Abweichend von Satz 1 Nummer 2 erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach Absatz 1 Satz 1 und 2, wenn sie sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 7 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des tatsächlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Ausländerrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(3a) Neben den Überbrückungsleistungen werden auf Antrag auch die angemessenen Kosten der Rückreise übernommen. Satz 1 gilt entsprechend, soweit die Personen allein durch die angemessenen Kosten der Rückreise die in Absatz 3 Satz 5 Nummer 1 und 2 genannten Bedarfe nicht aus eigenen Mitteln oder mit Hilfe Dritter decken können. Die Leistung ist als Darlehen zu erbringen.

(4) Ausländer, denen Sozialhilfe geleistet wird, sind auf für sie zutreffende Rückführungs- und Weiterwanderungsprogramme hinzuweisen; in geeigneten Fällen ist auf eine Inanspruchnahme solcher Programme hinzuwirken.

(5) Hält sich ein Ausländer entgegen einer räumlichen Beschränkung im Bundesgebiet auf oder wählt er seinen Wohnsitz entgegen einer Wohnsitzauflage oder einer Wohnsitzregelung nach § 12a des Aufenthaltsgesetzes im Bundesgebiet, darf der für den Aufenthaltsort örtlich zuständige Träger nur die nach den Umständen des Einzelfalls gebotene Leistung erbringen. Unabweisbar geboten ist regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des Bedarfs für die Reise zu dem Wohnort, an dem ein Ausländer seinen Wohnsitz zu nehmen hat. In den Fällen des § 12a Absatz 1 und 4 des Aufenthaltsgesetzes ist regelmäßig eine Reisebeihilfe zu dem Ort im Bundesgebiet zu gewähren, an dem der Ausländer die Wohnsitznahme begehrt und an dem seine Wohnsitznahme zulässig ist. Der örtlich zuständige Träger am Aufenthaltsort informiert den bislang örtlich zuständigen Träger darüber, ob Leistungen nach Satz 1 bewilligt worden sind. Die Sätze 1 und 2 gelten auch für Ausländer, die eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 23a, 24 Absatz 1 oder § 25 Absatz 4 oder 5 des Aufenthaltsgesetzes besitzen, wenn sie sich außerhalb des Landes aufhalten, in dem der Aufenthaltstitel erstmals erteilt worden ist. Satz 5 findet keine Anwendung, wenn der Wechsel in ein anderes Land zur Wahrnehmung der Rechte zum Schutz der Ehe und Familie nach Artikel 6 des Grundgesetzes oder aus vergleichbar wichtigen Gründen gerechtfertigt ist.

Personen, die nach dem Zweiten Buch als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, erhalten keine Leistungen für den Lebensunterhalt. Abweichend von Satz 1 können Personen, die nicht hilfebedürftig nach § 9 des Zweiten Buches sind, Leistungen nach § 36 erhalten. Bestehen über die Zuständigkeit zwischen den beteiligten Leistungsträgern unterschiedliche Auffassungen, so ist der zuständige Träger der Sozialhilfe für die Leistungsberechtigung nach dem Dritten oder Vierten Kapitel an die Feststellung einer vollen Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Absatz 2 Satz 2 des Sechsten Buches und nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens an die Entscheidung der Agentur für Arbeit zur Erwerbsfähigkeit nach § 44a Absatz 1 des Zweiten Buches gebunden.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

Personen, die nach dem Zweiten Buch als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, erhalten keine Leistungen für den Lebensunterhalt. Abweichend von Satz 1 können Personen, die nicht hilfebedürftig nach § 9 des Zweiten Buches sind, Leistungen nach § 36 erhalten. Bestehen über die Zuständigkeit zwischen den beteiligten Leistungsträgern unterschiedliche Auffassungen, so ist der zuständige Träger der Sozialhilfe für die Leistungsberechtigung nach dem Dritten oder Vierten Kapitel an die Feststellung einer vollen Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Absatz 2 Satz 2 des Sechsten Buches und nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens an die Entscheidung der Agentur für Arbeit zur Erwerbsfähigkeit nach § 44a Absatz 1 des Zweiten Buches gebunden.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. November 2013 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Umstritten sind Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) vom 1.8. bis zum 11.10.2011.

2

Die 1989 geborene Klägerin ist bulgarische Staatsangehörige. Sie reiste - nach ihren vom Landessozialgericht (LSG) festgestellten Angaben - Anfang Oktober 2010 nach Deutschland und mietete mit ihrer Mutter sowie ihrem damaligen Lebensgefährten Y. eine Wohnung in W., aus der Y., von dem sie seit dem 6.7.2011 getrennt lebe, zwischenzeitlich ausgezogen sei. Am 1.6.2011 meldete die Klägerin ein Gewerbe "Gebäudereinigung; Lagerarbeiten" an und zum 1.8.2011 wieder ab, da sie die deutsche Sprache nicht beherrsche, schwanger gewesen sei und ihren Lebensunterhalt nicht eigenständig habe sicherstellen können. Im Juni 2011 habe sie für die T. GmbH gearbeitet, wofür sie bar 1200 bis 1300 Euro erhalten habe und eine Rechnung über "Fahrertätigkeit" in Höhe von 1517,25 Euro inklusive Mehrwertsteuer zu den Akten reichte.

3

Den am 3.8.2011 von der Klägerin beim beklagten Jobcenter - einem zugelassenen kommunalen Träger - gestellten Antrag auf Leistungen nach dem SGB II lehnte dieses unter Hinweis auf § 8 Abs 2 und § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II ab(Bescheid vom 23.8.2011; Widerspruchsbescheid vom 19.10.2011). Nach einem Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bewilligte der Beklagte der Klägerin vorbehaltslos vom 12.10.2011 bis zum 29.2.2012 Leistungen nach dem SGB II in Höhe des Regelbedarfs und eines Mehrbedarfs für Schwangere (Bescheid vom 31.1.2012). Über den hiergegen erhobenen Widerspruch ist noch nicht entschieden.

4

Das Sozialgericht (SG) Wiesbaden hat die Klage gegen den Bescheid vom 23.8.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.10.2011 abgewiesen (Urteil vom 1.6.2012). Das LSG hat unter Aufhebung des Urteils des SG und der Bescheide den Beklagten verurteilt, der Klägerin vom 1.8. bis zum 11.10.2011 "Leistungen nach dem SGB II zu gewähren" (Urteil vom 27.11.2013). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin erfülle die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II, insbesondere sei sie hilfebedürftig gewesen, weil sie kein Vermögen und in der strittigen Zeit kein zu berücksichtigendes Einkommen gehabt habe; auch ihre Mutter habe kein Einkommen und nur ca 200 Euro Vermögen gehabt. Die Miete habe der frühere Lebensgefährte gezahlt. Die Klägerin habe aufgrund der erforderlichen Zukunftsoffenheit auch einen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt. Die Klägerin sei nicht gemäß § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Sie könne sich nicht auf ein Aufenthaltsrecht nach § 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU), insbesondere nicht auf das nachwirkende Aufenthaltsrecht als niedergelassene selbstständige Erwerbstätige(§ 2 Abs 2 Nr 2 iVm Abs 3 FreizügG/EU) nach dem Gesamtbild ihrer Tätigkeit berufen, da sie nur für die T. GmbH tätig gewesen sei und keinen Willen zu einer dauerhaften selbstständigen Tätigkeit gehabt habe. Selbst wenn diese Tätigkeit für die T. GmbH als abhängige Beschäftigung angesehen würde, fehle es an einem nachwirkenden Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmerin nach § 2 Abs 2 Nr 1 iVm Abs 3 FreizügG/EU, zumal schon Zweifel an der Unfreiwilligkeit ihrer Arbeitslosigkeit beständen. Die Klägerin habe sich auch nicht auf ein Aufenthaltsrecht aufgrund schwangerschaftsbedingter Vorwirkungen des Art 6 Grundgesetz (GG) berufen können. Denn es sei nicht erkennbar, dass es sich um eine Risikoschwangerschaft gehandelt habe, noch trage die Klägerin vor, die elterliche Sorge für das Kind sicher übernehmen zu wollen. Am 28.10.2011 sei die Klägerin in der 24. Schwangerschaftswoche gewesen und habe angegeben, arbeiten zu können. Art 6 GG vermittele nur einen Abschiebeschutz, kein Aufenthaltsrecht; Gründe für eine aufenthaltsrechtliche Ermessensreduzierung auf null im Rahmen des § 7 Abs 1 Satz 3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG), wie im Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30.1.2013 (B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34), seien nicht ersichtlich. Die familiäre Situation, Phase und Verlauf der Schwangerschaft sprächen dagegen. Die Klägerin habe keine Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche nach § 2 Abs 2 Nr 1 Alt 2 FreizügG/EU gehabt, denn sie habe nicht mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit gesucht, zumal sie keine dahin gehenden "Ambitionen" entfaltet habe. Zudem habe sie ihre Gewerbeabmeldung mit mangelnden Sprachkenntnissen und ihrer Schwangerschaft begründet. § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II könne nicht als Auffangausschlusstatbestand im Wege eines "Erst-Recht"-Schlusses erweiternd dahin gehend ausgelegt werden, dass er auch einen "nur" (formal-)legalen Aufenthalt umfasse, selbst wenn die Ausländerbehörde noch keine Feststellungen über den Wegfall der materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Aufenthaltsrechts getroffen habe.

5

Mit seiner Revision rügt der Beklagte die Verletzung des § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II. Nach Auffassung des LSG würden Personen, die Arbeit suchen und damit vom Leistungsausschluss umfasst seien, schlechter stehen als Personen, die keine Arbeit suchen und für die nach Auffassung des LSG der Leistungsausschluss nicht gelte. Dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 19.9.2013 (C-140/12 - Brey) sei zu entnehmen, dass Personen, die sich für mehr als drei Monate in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten wollten, über die entsprechenden Existenzmittel verfügen müssten, um keine Sozialhilfeleistungen dort in Anspruch nehmen zu müssen.

6

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. November 2013 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 1. Juni 2012 zurückzuweisen.

7

Die Klägerin beantragt,
die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

8

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und rügt hilfsweise die nicht erfolgte Beiladung des Sozialhilfeträgers.

Entscheidungsgründe

9

Auf die zulässige Revision des Beklagten ist das Urteil des LSG vom 27.11.2013 aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz).

10

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist die Aufhebung des genannten Urteils des LSG, das den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des SG und seiner angefochtenen Bescheide verurteilt hat, der Klägerin vom 1.8. bis zum 11.10.2011 Leistungen nach dem SGB II zu gewähren, und letztlich das Begehren des beklagten Jobcenters, die Klage abzuweisen.

11

2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen, weil von Amts wegen zu beachtende Verfahrensmängel nicht zu erkennen sind und von Seiten der Beteiligten keine Verfahrensrügen - mit Ausnahme der von der Klägerin hilfsweise gerügten, nicht erfolgten Beiladung des Sozialhilfeträgers - erhoben wurden.

12

3. Rechtsgrundlage der von der Klägerin begehrten und vom LSG zugesprochenen "Leistungen nach dem SGB II" für die strittige Zeit ist neben den Voraussetzungen für die einzelnen Leistungen nach §§ 19 ff SGB II insbesondere § 7 SGB II über die Leistungsberechtigung dem Grunde nach.

13

Die Klägerin erfüllt zwar die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II(dazu 4.), unterliegt jedoch dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II, der EU-Ausländer umfasst, die weder über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung noch ein Aufenthaltsrecht verfügen(dazu 5.), was bei der Klägerin der Fall ist (dazu 6.). Diesem Leistungsausschluss stehen nicht das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) (dazu 7.), das Recht der Europäischen Union (EU) (dazu 8.) oder das GG (dazu 9.) entgegen. Für die Klägerin kommen aber Leistungen der Sozialhilfe in Betracht, weswegen der Rechtsstreit mangels ausreichender Feststellungen des LSG zurückzuverweisen und der zuständige Sozialhilfeträger auf die von der Klägerin hilfsweise erhobene Rüge beizuladen ist (dazu 10.).

14

4. Die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II erfüllte die 1989 geborene Klägerin in der strittigen Zeit vom 1.8. bis zum 11.10.2011 nach den Feststellungen des LSG.

15

Sie war erwerbsfähig nach § 8 Abs 1 SGB II und die fehlende deutsche Staatsangehörigkeit stand ihrer Erwerbsfähigkeit nach § 8 Abs 2 SGB II nicht entgegen, weil für sie als bulgarische Staatsangehörige die Möglichkeit, dass eine Beschäftigung erlaubt werden könnte, bestand und ausreicht(BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 13 ff), worauf auch § 8 Abs 2 Satz 2 SGB II hinweist. Auf einen Antrag oder das Vorliegen einer "Arbeitserlaubnis EU" nach § 284 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - kommt es in solchen Fällen nicht an.

16

Die Klägerin war hilfebedürftig nach §§ 9, 11 ff SGB II, weil sie selbst in der strittigen Zeit über kein zu berücksichtigendes Einkommen oder Vermögen verfügte und für ihre Mutter nach den Feststellungen des LSG das Gleiche galt; die Voraussetzungen für das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft mit dem zumindest früheren Lebenspartner Y. hat das LSG nicht festgestellt.

17

Die Klägerin hatte einen gewöhnlichen Aufenthalt in W. (zu dessen Erfordernissen: § 30 Abs 3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil -), weil sie dort nicht nur vorübergehend, sondern zukunftsoffen verweilte (vgl nur BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 18 ff mwN).

18

5. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II ist auf die Klägerin anzuwenden, weil diese sich weder auf eine Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, noch auf ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG berufen kann, das eine Ausnahme von dem Leistungsausschluss zu rechtfertigen vermag.

19

Nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II sind "ausgenommen" - also keine leistungsberechtigten Personen iS des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II und ohne Leistungsberechtigung nach dem SGB II - nach Nr 1 Ausländerinnen und Ausländer, die in Deutschland keine Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder nicht nach § 2 Abs 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts, nach Nr 2 Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen sowie nach Nr 3 Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, wobei diese letzte Variante bei der Klägerin von vornherein ausscheidet.

20

Über diese wortwörtlich geregelten Fälle hinaus umfasst der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II erst recht die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der EU, die keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen (EU-Ausländer) und nicht über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU oder ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG verfügen. Der erkennende 14. Senat schließt sich dem 4. Senat an, der dies unter Bezugnahme auf die Entstehungsgeschichte des Leistungsausschlusses, seine systematischen Zusammenhänge sowie den Sinn und Zweck der Vorschrift begründet hat (BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 19 ff). Es kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass einerseits EU-Ausländer, die zB über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche verfügen, von Leistungen nach dem SGB II, die auch der Integration in den Arbeitsmarkt dienen sollen, ausgeschlossen sind, andererseits aber EU-Ausländern, die ohne Bereitschaft zu arbeiten oder ohne Aussicht auf Arbeit, also ohne materielle Freizügigkeitsberechtigung, und ohne ausreichende eigene finanzielle Mittel sich in Deutschland aufhalten, Leistungen nach dem SGB II zu erbringen sind.

21

Da die materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU oder das materielle Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG entscheidend sind, kommt es auf den Besitz einer Freizügigkeitsbescheinigung nach dem FreizügG/EU nicht an, weil diese nur deklaratorische Bedeutung hat und keine materielle Freizügigkeitsberechtigung begründet (vgl nur Begründung des Gesetzentwurfs zum FreizügG/EU in BT-Drucks 15/420 S 101 f). Im Übrigen wurde die Freizügigkeitsbescheinigung durch Änderung des § 5 FreizügG/EU mittlerweile abgeschafft. Von den materiellen Freizügigkeitsberechtigungen nach dem FreizügG/EU zu unterscheiden ist die generelle Freizügigkeitsvermutung für EU-Ausländer, für deren rechtmäßige Einreise nach Deutschland ein gültiger Pass genügt (§ 2 Abs 5 FreizügG/EU). Aufgrund dieser generellen Freizügigkeitsvermutung muss der Aufenthalt eines EU-Ausländers zumindest solange als rechtmäßig angesehen werden, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts in entsprechender Anwendung des § 5 Abs 5 FreizügG/EU in der bis Januar 2013 geltenden Fassung oder nunmehr aufgrund von § 5 Abs 4 FreizügG/EU bzw der Missbrauchstatbestände in § 2 Abs 7 FreizügG/EU festgestellt hat(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 34 mwN).

22

6. Auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, oder ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG kann sich die Klägerin für die strittige Zeit nicht berufen.

23

a) Eine Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmer nach § 2 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU setzt die Ausübung einer tatsächlichen und echten Tätigkeit als Arbeitnehmer voraus, die nicht nur von geringem Umfang oder völlig untergeordneter oder unwesentlicher Bedeutung ist, wobei das erzielte Arbeitsentgelt aber nicht das Existenzminimum der betreffenden Person und ihrer Familienangehörigen vollständig abdecken muss(BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 18; BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 26).

24

Diese Voraussetzung erfüllt die Klägerin nicht, weil sie nur im Juni 2011 vorübergehend für die T. GmbH tätig war.

25

b) Eine Freizügigkeitsberechtigung als Selbstständiger nach § 2 Abs 2 Nr 2 FreizügG/EU setzt voraus, dass eine erwerbsorientierte Tätigkeit als Selbstständiger mittels einer bestimmten Einrichtung oder Organisation auf unbestimmte Zeit tatsächlich ausgeübt wird, ohne dass der erzielte Gewinn das Existenzminimum abdecken muss; die bloße Anmeldung eines Gewerbes genügt nicht (BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 19; BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 28).

26

Diese Voraussetzung erfüllt die Klägerin nicht, weil sie ihr Gewerbe "Gebäudereinigung; Lagerarbeiten" zwar vorübergehend angemeldet, in diesem - nach ihren vom LSG nur festgestellten Angaben - aber nicht tätig war. Auch die vorübergehende Tätigkeit für die T. GmbH im Juni 2011, wenn diese als selbstständige anzusehen sein sollte, erfüllte nicht diese Voraussetzung.

27

c) Eine nachwirkende Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmerin oder selbstständige Erwerbstätige nach § 2 Abs 3 FreizügG/EU scheidet aufgrund der zuvor getroffenen Feststellungen aus.

28

d) Für eine Freizügigkeitsberechtigung als Familienangehörige nach § 2 Abs 2 Nr 6, § 3 FreizügG/EU - die 1989 geborene Klägerin war zu dem vom LSG nicht festgestellten, sondern nur ihre Angaben wiedergebenden Einreisezeitpunkt "Anfang Oktober 2010" fast 21 Jahre alt - spricht mangels Feststellungen des LSG hinsichtlich der Begleitung oder des Nachzugs zu einem freizügigkeitsberechtigten Ehegatten, Lebenspartner iS des FreizügG/EU oder Verwandten nichts.

29

e) Dasselbe gilt für eine Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs 2 FreizügG/EU nach dessen Nr 3 oder 4 (Erbringer oder Empfänger von Dienstleistungen) sowie Nr 7 (Inhaber eines Daueraufenthaltsrechts).

30

f) Ein Aufenthaltsrecht der Klägerin nach dem AufenthG, insbesondere vermittels der Günstigkeitsregelung in § 11 Abs 1 FreizügG/EU, ist nicht ersichtlich.

31

Ein solches ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung zu den Vorwirkungen einer bevorstehenden Familiengründung aufgrund einer Schwangerschaft. Diese Rechtsprechung führt zu einem auf § 7 Abs 1 Satz 3 AufenthG gestützten Aufenthaltsrecht aus familiären Gründen, das aus dem Zusammenleben der Partner mit einem gemeinsamen Kind oder dem Kind eines Partners folgt, weil diese Personen sich ua auf Art 6 GG, §§ 27 ff AufenthG berufen können(BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34). Die Voraussetzungen dieses Aufenthaltsrechts wurden in jenem Verfahren bejaht, weil es der Schwangeren vier Monate vor dem errechneten Geburtstermin nicht zumutbar gewesen sei, sich von dem Vater des Kindes, einem griechischen Staatsangehörigen, der sich seit acht Jahren rechtmäßig in Deutschland aufhielt, unter zumindest vorübergehender Aufgabe des familiären Rückhalts zu trennen.

32

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, wie das LSG zu Recht und ausführlich begründet dargelegt hat, zumal es sich bei § 7 Abs 1 Satz 3 AufenthG um eine Ermessensregelung handelt. Die Klägerin des vorliegenden Verfahrens war in der strittigen Zeit nicht in der Spätphase ihrer Schwangerschaft und eine Familiengründung mit dem Kindsvater, von dem die Klägerin nach ihren Angaben getrennt lebte, war nicht geplant, zudem war nicht klar, ob die Klägerin die elterliche Sorge für das Kind übernehmen wollte.

33

7. Das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 EFA steht dem Leistungsausschluss der Klägerin nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II nicht entgegen(vgl zum EFA das Ausführungsgesetz vom 15.5.1956, BGBl II 563; zu dessen früherer Anwendbarkeit im Rahmen des SGB II bei einem französischen Staatsangehörigen: BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21; zu dessen Nichtanwendbarkeit nach dem 1.2.2012: BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 43/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR, RdNr 18 ff). Denn die Klägerin ist bulgarische Staatsangehörige und Bulgarien ist kein Unterzeichnerstaat dieses Abkommens.

34

Durchgreifende Gründe, dieses völkerrechtliche Abkommen zwischen bestimmten Staaten, die zwar (mittlerweile) größtenteils zur EU gehören, auf die Staatsangehörigen auch anderer Mitgliedstaaten der EU auszudehnen (so wohl Eichenhofer in seiner Anmerkung zu dem Urteil des BSG vom 19.10.2010, aaO, SGb 2011, 458 ff), sind nicht zu erkennen. Im Übrigen ist die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit, auf die die dahin gehenden Überlegungen gestützt werden, ein typisches Merkmal völkerrechtlicher Verträge und in der Konsequenz müssten alle völkerrechtlichen Verträge, die Deutschland geschlossen hat, automatisch auch für alle in Deutschland lebenden EU-Ausländer gelten, was zB für die sozialrechtskoordinierenden Vorschriften innerhalb der EU erhebliche Probleme nach sich ziehen dürfte.

35

8. Mit EU-Recht ist dieser Leistungsausschluss der Klägerin nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II vereinbar, wie sich aus den Entscheidungen des EuGH vom 11.11.2014 (C-333/13 - Dano, NJW 2015, 145 ff) und vom 15.9.2015 (C-67/14 - Alimanovic, SGb 2015, 638 ff) ergibt. Auch wenn Arbeitslosengeld II und Sozialgeld nach dem SGB II als besondere beitragsunabhängige Geldleistungen iS des Art 70 VO Nr 883/2004/EG und als "Sozialhilfe" iS des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG eingeordnet werden, stehen Art 24 Abs 1 iVm Art 7 Abs 1 Buchst b RL 2004/38/EG und Art 4 VO Nr 883/2004/EG der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vom Bezug dieser Leistungen ausgeschlossen werden, sofern diesen Staatsangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG zusteht (EuGH Urteil vom 11.11.2014, aaO, RdNr 84). Gleiches gilt für Unionsbürger anderer EU-Staaten (einschließlich ihrer Familienangehörigen), die nach Deutschland eingereist sind, um Arbeit zu suchen, wenn sie nicht Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder ihnen dieser Status erhalten geblieben ist (EuGH Urteil vom 15.9.2015, aaO, RdNr 63).

36

9. Verfassungsrechtliche Bedenken stehen diesem Leistungsausschluss der Klägerin nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II nicht entgegen. Der Leistungsausschluss ist insbesondere schon deshalb mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG vereinbar, weil für die Klägerin Leistungen der Sozialhilfe seitens des zuständigen, vom LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren beizuladenden Sozialhilfeträgers nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII) in Betracht kommen.

37

Die Leistungsvoraussetzungen nach § 19 Abs 1, § 27 Abs 1 SGB XII erfüllte die Klägerin nach den Feststellungen des LSG zu den Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II. Hinsichtlich der nach § 18 Abs 1 SGB XII erforderlichen Kenntnis des Sozialhilfeträgers ist auf die Kenntnis des beklagten Jobcenters zu verweisen(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 39 mwN).

38

Die Klägerin war nicht nach § 21 SGB XII von Leistungen zum Lebensunterhalt ausgeschlossen, weil die "Systemabgrenzung" zwischen SGB II und SGB XII nicht auf das schlichte Kriterium Erwerbsfähigkeit reduziert werden kann, sondern differenzierter ist(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 40 ff mwN; vgl aus der Literatur mit stationär Untergebrachten und Strafgefangenen als Beispielen nur: Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl 2014, § 21 RdNr 5, der in RdNr 1 ff die Probleme der Abgrenzung und wiederholten Änderungen der einschlägigen Vorschriften darstellt, aber andererseits in RdNr 8 fordert, die Systeme "scharf voneinander abzugrenzen"; Hohm in Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, 19. Aufl 2015, § 21 RdNr 9: Erwerbsfähigkeit ist nicht das alleinige, ausschließliche Abgrenzungsmerkmal; Fasselt in Fichtner/Wenzel, SGB XII, 4. Aufl 2009, § 21 RdNr 2, die zudem Ausländer anführt, deren Erwerbsfähigkeit nach § 8 Abs 2 SGB II ausgeschlossen ist).

39

Ob einem Anspruch der Klägerin auf Sozialhilfe der Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB XII - eingereist, um Sozialhilfe zu erlangen - entgegensteht, kann mangels Feststellungen des LSG nicht beurteilt werden. Im Weiteren ist zu beachten, dass ebenso wie nach dem SGB II aufgrund von § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB XII Ausländer, die weder materiell freizügigkeitsberechtigt nach dem FreizügG/EU noch aufenthaltsberechtigt nach dem AufenthG sind, keinen Anspruch auf Sozialhilfe haben(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 48 ff). § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII beinhaltet, wie schon dem Wortlaut entnommen werden kann, jedoch nur einen Ausschluss von einem Anspruch auf Sozialhilfe, nicht aber von im Wege des Ermessens zu gewährenden Leistungen auf Sozialhilfe, wie sie § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII vorsieht(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 51 mwN, auch auf die Rspr des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorläufervorschrift in § 120 Bundessozialhilfegesetz).

40

Hinsichtlich der Leistungen im Einzelnen, insbesondere ob vorliegend die Voraussetzungen für eine Ermessensreduzierung auf null vorliegen (vgl dazu BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 53 ff), sind weitere Feststellungen notwendig, die das LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren zu treffen hat.

41

10. Aufgrund dieses möglichen Anspruchs der Klägerin gegen den Sozialhilfeträger und dessen nicht erfolgter Beiladung, die die Klägerin hilfsweise gerügt hat, ist das Urteil des LSG aufzuheben und der Rechtsstreit an dieses zurückzuverweisen.

42

Nach § 75 Abs 2 Alt 2 SGG ist, wenn sich in einem Verfahren ergibt, dass bei der Ablehnung des Anspruchs ein Träger der Sozialhilfe als leistungspflichtig in Betracht kommt, dieser Träger beizuladen(zur Verurteilung des Beigeladenen siehe § 75 Abs 5 SGG). Die im Revisionsverfahren grundsätzlich unzulässige Beiladung ist vorliegend auch nicht mit Zustimmung des Beigeladenen nachzuholen (vgl § 169 SGG), weil der Rechtsstreit mangels Feststellungen des LSG ohnehin nicht entscheidungsreif, sondern zurückzuverweisen ist.

43

Der Beiladung der Stadt W. als Sozialhilfeträger steht nicht entgegen, dass sie als zugelassener kommunaler Träger zugleich Rechtsträger des beklagten Jobcenters ist. In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass ein solcher "In-sich-Prozess", der auch das Verhältnis eines Hauptbeteiligten zu einem notwendig Beizuladenden betreffen kann, zulässig und insbesondere ein Rechtsschutzbedürfnis gegeben ist sowie die entsprechenden Folgen für die Beteiligtenstellung zu ziehen sind, wenn die betroffenen Behörden oder Einrichtungen desselben Rechtsträgers eine gewisse Verselbstständigung erfahren haben und Inhaber eigener Rechte und Pflichten im Verhältnis zueinander sind, über die im Streitfall von der gemeinsamen Spitze nicht verbindlich entschieden werden kann (BSG Urteil vom 23.4.1975 - 9 RV 136/74 - BSGE 39, 260 = SozR 3100 § 52 Nr 1; BSG Urteil vom 28.1.2004 - B 6 KA 4/03 R - SozR 4-1500 § 70 Nr 1 RdNr 18 ff; letztens etwa BSG Urteil vom 11.2.2015 - B 6 KA 4/14 R - SozR 4-2500 § 80 Nr 1 RdNr 18 f; vgl nur Böttiger in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 54 RdNr 56a; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 54 RdNr 15; Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl 2015, § 63 RdNr 7; Redeker/von Oertzen, VwGO, 16. Aufl 2014, § 63 RdNr 8 f).

44

Diese Voraussetzungen sind im Verhältnis zwischen dem Jobcenter eines zugelassenen kommunalen Trägers und dessen Stellung als Sozialhilfeträger erfüllt. Denn ein zugelassener kommunaler Träger muss sich verpflichten, das Jobcenter als besondere Einrichtung zu errichten und zu unterhalten (§ 6a Abs 2 Satz 1 Nr 2, Abs 5 SGB II), der Bund trägt bestimmte Aufwendungen dieses zugelassenen kommunalen Trägers einschließlich der Verwaltungskosten (§ 6b Abs 2 Satz 1 SGB II), kann für die Bewirtschaftung der Mittel bestimmte Vorgaben machen (§ 6b Abs 2, § 46 Abs 1 Satz 4, Abs 2 SGB II) und hat seitens des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sowie des Bundesrechnungshofs bestimmte Aufsichts- und Kontrollrechte (§ 6b Abs 3, 4 SGB II). Letztlich muss der zugelassene kommunale Träger gegenüber dem Bund die Verwendung der erhaltenen Mittel im Rahmen des SGB II belegen (§ 6b Abs 5 SGB II; vgl letztens BSG Urteil vom 12.11.2015 - B 14 AS 50/14 R).

45

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben unberührt. Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Die Einschränkungen nach Satz 1 gelten nicht für Ausländer, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind und sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten. Rechtsvorschriften, nach denen außer den in Satz 1 genannten Leistungen auch sonstige Sozialhilfe zu leisten ist oder geleistet werden soll, bleiben unberührt.

(2) Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes erhalten keine Leistungen der Sozialhilfe.

(3) Ausländer und ihre Familienangehörigen erhalten keine Leistungen nach Absatz 1 oder nach dem Vierten Kapitel, wenn

1.
sie weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt oder
3.
sie eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen.
Satz 1 Nummer 1 und 3 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Hilfebedürftigen Ausländern, die Satz 1 unterfallen, werden bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen); die Zweijahresfrist beginnt mit dem Erhalt der Überbrückungsleistungen nach Satz 3. Hierüber und über die Möglichkeit der Leistungen nach Absatz 3a sind die Leistungsberechtigten zu unterrichten. Die Überbrückungsleistungen umfassen:
1.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege,
2.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe nach § 35 und § 35a, einschließlich der Bedarfe nach § 30 Absatz 7,
3.
die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen und
4.
Leistungen nach § 50 Nummer 1 bis 3.
Soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, werden Leistungsberechtigten nach Satz 3 zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von Absatz 1 gewährt; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist. Abweichend von Satz 1 Nummer 2 erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach Absatz 1 Satz 1 und 2, wenn sie sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 7 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des tatsächlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Ausländerrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(3a) Neben den Überbrückungsleistungen werden auf Antrag auch die angemessenen Kosten der Rückreise übernommen. Satz 1 gilt entsprechend, soweit die Personen allein durch die angemessenen Kosten der Rückreise die in Absatz 3 Satz 5 Nummer 1 und 2 genannten Bedarfe nicht aus eigenen Mitteln oder mit Hilfe Dritter decken können. Die Leistung ist als Darlehen zu erbringen.

(4) Ausländer, denen Sozialhilfe geleistet wird, sind auf für sie zutreffende Rückführungs- und Weiterwanderungsprogramme hinzuweisen; in geeigneten Fällen ist auf eine Inanspruchnahme solcher Programme hinzuwirken.

(5) Hält sich ein Ausländer entgegen einer räumlichen Beschränkung im Bundesgebiet auf oder wählt er seinen Wohnsitz entgegen einer Wohnsitzauflage oder einer Wohnsitzregelung nach § 12a des Aufenthaltsgesetzes im Bundesgebiet, darf der für den Aufenthaltsort örtlich zuständige Träger nur die nach den Umständen des Einzelfalls gebotene Leistung erbringen. Unabweisbar geboten ist regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des Bedarfs für die Reise zu dem Wohnort, an dem ein Ausländer seinen Wohnsitz zu nehmen hat. In den Fällen des § 12a Absatz 1 und 4 des Aufenthaltsgesetzes ist regelmäßig eine Reisebeihilfe zu dem Ort im Bundesgebiet zu gewähren, an dem der Ausländer die Wohnsitznahme begehrt und an dem seine Wohnsitznahme zulässig ist. Der örtlich zuständige Träger am Aufenthaltsort informiert den bislang örtlich zuständigen Träger darüber, ob Leistungen nach Satz 1 bewilligt worden sind. Die Sätze 1 und 2 gelten auch für Ausländer, die eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 23a, 24 Absatz 1 oder § 25 Absatz 4 oder 5 des Aufenthaltsgesetzes besitzen, wenn sie sich außerhalb des Landes aufhalten, in dem der Aufenthaltstitel erstmals erteilt worden ist. Satz 5 findet keine Anwendung, wenn der Wechsel in ein anderes Land zur Wahrnehmung der Rechte zum Schutz der Ehe und Familie nach Artikel 6 des Grundgesetzes oder aus vergleichbar wichtigen Gründen gerechtfertigt ist.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

(1) Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben unberührt. Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Die Einschränkungen nach Satz 1 gelten nicht für Ausländer, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind und sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten. Rechtsvorschriften, nach denen außer den in Satz 1 genannten Leistungen auch sonstige Sozialhilfe zu leisten ist oder geleistet werden soll, bleiben unberührt.

(2) Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes erhalten keine Leistungen der Sozialhilfe.

(3) Ausländer und ihre Familienangehörigen erhalten keine Leistungen nach Absatz 1 oder nach dem Vierten Kapitel, wenn

1.
sie weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt oder
3.
sie eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen.
Satz 1 Nummer 1 und 3 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Hilfebedürftigen Ausländern, die Satz 1 unterfallen, werden bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen); die Zweijahresfrist beginnt mit dem Erhalt der Überbrückungsleistungen nach Satz 3. Hierüber und über die Möglichkeit der Leistungen nach Absatz 3a sind die Leistungsberechtigten zu unterrichten. Die Überbrückungsleistungen umfassen:
1.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege,
2.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe nach § 35 und § 35a, einschließlich der Bedarfe nach § 30 Absatz 7,
3.
die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen und
4.
Leistungen nach § 50 Nummer 1 bis 3.
Soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, werden Leistungsberechtigten nach Satz 3 zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von Absatz 1 gewährt; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist. Abweichend von Satz 1 Nummer 2 erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach Absatz 1 Satz 1 und 2, wenn sie sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 7 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des tatsächlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Ausländerrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(3a) Neben den Überbrückungsleistungen werden auf Antrag auch die angemessenen Kosten der Rückreise übernommen. Satz 1 gilt entsprechend, soweit die Personen allein durch die angemessenen Kosten der Rückreise die in Absatz 3 Satz 5 Nummer 1 und 2 genannten Bedarfe nicht aus eigenen Mitteln oder mit Hilfe Dritter decken können. Die Leistung ist als Darlehen zu erbringen.

(4) Ausländer, denen Sozialhilfe geleistet wird, sind auf für sie zutreffende Rückführungs- und Weiterwanderungsprogramme hinzuweisen; in geeigneten Fällen ist auf eine Inanspruchnahme solcher Programme hinzuwirken.

(5) Hält sich ein Ausländer entgegen einer räumlichen Beschränkung im Bundesgebiet auf oder wählt er seinen Wohnsitz entgegen einer Wohnsitzauflage oder einer Wohnsitzregelung nach § 12a des Aufenthaltsgesetzes im Bundesgebiet, darf der für den Aufenthaltsort örtlich zuständige Träger nur die nach den Umständen des Einzelfalls gebotene Leistung erbringen. Unabweisbar geboten ist regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des Bedarfs für die Reise zu dem Wohnort, an dem ein Ausländer seinen Wohnsitz zu nehmen hat. In den Fällen des § 12a Absatz 1 und 4 des Aufenthaltsgesetzes ist regelmäßig eine Reisebeihilfe zu dem Ort im Bundesgebiet zu gewähren, an dem der Ausländer die Wohnsitznahme begehrt und an dem seine Wohnsitznahme zulässig ist. Der örtlich zuständige Träger am Aufenthaltsort informiert den bislang örtlich zuständigen Träger darüber, ob Leistungen nach Satz 1 bewilligt worden sind. Die Sätze 1 und 2 gelten auch für Ausländer, die eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 23a, 24 Absatz 1 oder § 25 Absatz 4 oder 5 des Aufenthaltsgesetzes besitzen, wenn sie sich außerhalb des Landes aufhalten, in dem der Aufenthaltstitel erstmals erteilt worden ist. Satz 5 findet keine Anwendung, wenn der Wechsel in ein anderes Land zur Wahrnehmung der Rechte zum Schutz der Ehe und Familie nach Artikel 6 des Grundgesetzes oder aus vergleichbar wichtigen Gründen gerechtfertigt ist.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

Die Beschwerde ist binnen eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung beim Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen; § 181 des Gerichtsverfassungsgesetzes bleibt unberührt. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Landessozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. Die Belehrung über das Beschwerderecht ist auch mündlich möglich; sie ist dann aktenkundig zu machen.

(1) Gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte findet die Beschwerde an das Landessozialgericht statt, soweit nicht in diesem Gesetz anderes bestimmt ist.

(2) Prozeßleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Vertagungsbeschlüsse, Fristbestimmungen, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse über Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen und Sachverständigen können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

(3) Die Beschwerde ist ausgeschlossen

1.
in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, wenn in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte,
2.
gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe, wenn
a)
das Gericht die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint,
b)
in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte oder
c)
das Gericht in der Sache durch Beschluss entscheidet, gegen den die Beschwerde ausgeschlossen ist,
3.
gegen Kostengrundentscheidungen nach § 193,
4.
gegen Entscheidungen nach § 192 Abs. 4, wenn in der Hauptsache kein Rechtsmittel gegeben ist und der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro nicht übersteigt.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

(1) Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag

1.
in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen,
2.
in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen,
3.
in den Fällen des § 86a Abs. 3 die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise wiederherstellen.
Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen oder befolgt worden, kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung oder die Anordnung der sofortigen Vollziehung kann mit Auflagen versehen oder befristet werden. Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag die Maßnahmen jederzeit ändern oder aufheben.

(2) Soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. Die §§ 920, 921, 923, 926, 928, 929 Absatz 1 und 3, die §§ 930 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

(3) Die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 sind schon vor Klageerhebung zulässig.

(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluss.

(1) Das Gesuch soll die Bezeichnung des Anspruchs unter Angabe des Geldbetrages oder des Geldwertes sowie die Bezeichnung des Arrestgrundes enthalten.

(2) Der Anspruch und der Arrestgrund sind glaubhaft zu machen.

(3) Das Gesuch kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden.

(1) Wer eine tatsächliche Behauptung glaubhaft zu machen hat, kann sich aller Beweismittel bedienen, auch zur Versicherung an Eides statt zugelassen werden.

(2) Eine Beweisaufnahme, die nicht sofort erfolgen kann, ist unstatthaft.

(1) Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben unberührt. Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Die Einschränkungen nach Satz 1 gelten nicht für Ausländer, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind und sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten. Rechtsvorschriften, nach denen außer den in Satz 1 genannten Leistungen auch sonstige Sozialhilfe zu leisten ist oder geleistet werden soll, bleiben unberührt.

(2) Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes erhalten keine Leistungen der Sozialhilfe.

(3) Ausländer und ihre Familienangehörigen erhalten keine Leistungen nach Absatz 1 oder nach dem Vierten Kapitel, wenn

1.
sie weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt oder
3.
sie eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen.
Satz 1 Nummer 1 und 3 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Hilfebedürftigen Ausländern, die Satz 1 unterfallen, werden bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen); die Zweijahresfrist beginnt mit dem Erhalt der Überbrückungsleistungen nach Satz 3. Hierüber und über die Möglichkeit der Leistungen nach Absatz 3a sind die Leistungsberechtigten zu unterrichten. Die Überbrückungsleistungen umfassen:
1.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege,
2.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe nach § 35 und § 35a, einschließlich der Bedarfe nach § 30 Absatz 7,
3.
die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen und
4.
Leistungen nach § 50 Nummer 1 bis 3.
Soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, werden Leistungsberechtigten nach Satz 3 zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von Absatz 1 gewährt; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist. Abweichend von Satz 1 Nummer 2 erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach Absatz 1 Satz 1 und 2, wenn sie sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 7 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des tatsächlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Ausländerrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(3a) Neben den Überbrückungsleistungen werden auf Antrag auch die angemessenen Kosten der Rückreise übernommen. Satz 1 gilt entsprechend, soweit die Personen allein durch die angemessenen Kosten der Rückreise die in Absatz 3 Satz 5 Nummer 1 und 2 genannten Bedarfe nicht aus eigenen Mitteln oder mit Hilfe Dritter decken können. Die Leistung ist als Darlehen zu erbringen.

(4) Ausländer, denen Sozialhilfe geleistet wird, sind auf für sie zutreffende Rückführungs- und Weiterwanderungsprogramme hinzuweisen; in geeigneten Fällen ist auf eine Inanspruchnahme solcher Programme hinzuwirken.

(5) Hält sich ein Ausländer entgegen einer räumlichen Beschränkung im Bundesgebiet auf oder wählt er seinen Wohnsitz entgegen einer Wohnsitzauflage oder einer Wohnsitzregelung nach § 12a des Aufenthaltsgesetzes im Bundesgebiet, darf der für den Aufenthaltsort örtlich zuständige Träger nur die nach den Umständen des Einzelfalls gebotene Leistung erbringen. Unabweisbar geboten ist regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des Bedarfs für die Reise zu dem Wohnort, an dem ein Ausländer seinen Wohnsitz zu nehmen hat. In den Fällen des § 12a Absatz 1 und 4 des Aufenthaltsgesetzes ist regelmäßig eine Reisebeihilfe zu dem Ort im Bundesgebiet zu gewähren, an dem der Ausländer die Wohnsitznahme begehrt und an dem seine Wohnsitznahme zulässig ist. Der örtlich zuständige Träger am Aufenthaltsort informiert den bislang örtlich zuständigen Träger darüber, ob Leistungen nach Satz 1 bewilligt worden sind. Die Sätze 1 und 2 gelten auch für Ausländer, die eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 23a, 24 Absatz 1 oder § 25 Absatz 4 oder 5 des Aufenthaltsgesetzes besitzen, wenn sie sich außerhalb des Landes aufhalten, in dem der Aufenthaltstitel erstmals erteilt worden ist. Satz 5 findet keine Anwendung, wenn der Wechsel in ein anderes Land zur Wahrnehmung der Rechte zum Schutz der Ehe und Familie nach Artikel 6 des Grundgesetzes oder aus vergleichbar wichtigen Gründen gerechtfertigt ist.

Personen, die nach dem Zweiten Buch als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, erhalten keine Leistungen für den Lebensunterhalt. Abweichend von Satz 1 können Personen, die nicht hilfebedürftig nach § 9 des Zweiten Buches sind, Leistungen nach § 36 erhalten. Bestehen über die Zuständigkeit zwischen den beteiligten Leistungsträgern unterschiedliche Auffassungen, so ist der zuständige Träger der Sozialhilfe für die Leistungsberechtigung nach dem Dritten oder Vierten Kapitel an die Feststellung einer vollen Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Absatz 2 Satz 2 des Sechsten Buches und nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens an die Entscheidung der Agentur für Arbeit zur Erwerbsfähigkeit nach § 44a Absatz 1 des Zweiten Buches gebunden.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

Personen, die nach dem Zweiten Buch als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, erhalten keine Leistungen für den Lebensunterhalt. Abweichend von Satz 1 können Personen, die nicht hilfebedürftig nach § 9 des Zweiten Buches sind, Leistungen nach § 36 erhalten. Bestehen über die Zuständigkeit zwischen den beteiligten Leistungsträgern unterschiedliche Auffassungen, so ist der zuständige Träger der Sozialhilfe für die Leistungsberechtigung nach dem Dritten oder Vierten Kapitel an die Feststellung einer vollen Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Absatz 2 Satz 2 des Sechsten Buches und nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens an die Entscheidung der Agentur für Arbeit zur Erwerbsfähigkeit nach § 44a Absatz 1 des Zweiten Buches gebunden.

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Tenor

1. Das Verfahren wird ausgesetzt.

2. Dem Bundesverfassungsgericht werden folgende Fragen zur Entscheidung vorgelegt:

a) Ist § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.05.2011 (BGBI. Teil I Nr. 23, S. 857) mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG – Sozialstaatlichkeit – und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar?

b) Ist § 7 Abs. 5 SGB II in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.05.2011 (BGBI. Teil I Nr. 23, S. 857), zuletzt geändert mit Wirkung zum 01.04.2012 durch Gesetz vom 20.12.2011 (BGBl. Teil I Nr. 69, S. 2917), mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG – Sozialstaatlichkeit – und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar?

Tatbestand

1

Die Kläger begehren Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit ab dem 01.11.2015.

2

Der am …..geborene Kläger zu 1 ist usbekischer Staatsangehöriger und lebt seit mehreren Jahren in Deutschland. Er ist mit der am ……. geborenen Klägerin zu 2 verheiratet und beide sind Eltern der am …… in Deutschland geborenen Klägerin zu 3. Auch die Klägerinnen zu 2 und 3 sind usbekische Staatsangehörige. Der Kläger zu 1 lebt seit dem Jahr 2006 in Deutschland, die Klägerin zu 2 seit 2011, die Klägerin zu 3 seit ihrer Geburt.

3

Der Kläger zu 1 hat von Oktober 2007 bis November 2015 ein Studium der Humanmedizin an der Universität ….. absolviert und das Studium am 18.11.2015 mit dem mündlich-praktischen Teil der Ärztlichen Prüfung (§ 30 der Approbationsordnung für Ärzte) abgeschlossen. Die Exmatrikulation erfolgte am 14.12.2015. Er verfügte während des Studiums über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 16 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) und übte neben dem Studium verschiedene Erwerbstätigkeiten aus.

4

Unter dem 06.10.2011 hatte Frau …….. sich in einer Verpflichtungserklärung gemäß § 68 Abs. 1 AufenthG gegenüber der beigeladenen Stadt …. dazu verpflichtet, die Kosten für den Lebensunterhalt des Klägers zu 1 für die Dauer seines tatsächlichen Aufenthaltes zu tragen.

5

Der Kläger zu 1 ist bereits seit mehreren Jahren mit wechselnden Arbeitsverträgen beim ….Klinikum in …… im dortigen Schlaflabor in Teilzeit beschäftigt. Die Auszahlung des Nettolohnes erfolgt hierbei jeweils im Folgemonat. Der Kläger zu 1 erzielt hierbei schwankendes Einkommen auf Grundlage eines Stundenlohnes von derzeit 11,68 Euro im Umfang von derzeit regelmäßig 3,90 Wochenstunden. Der zuletzt gültige Arbeitsvertrag vom 27.11.2013 war auf den 31.12.2015 befristet. Durch Änderung des Vertrags zum 15.12.2015 wurde der Vertrag entfristet, so dass der Kläger zu 1 nunmehr in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis steht.

6

Seit dem 24.11.2015 verfügt der Kläger zu 1 über eine von der mit Beschluss vom 04.03.2016 gemäß §§ 75 Abs. 2, 106 Abs. 3 Nr. 6 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beigeladenen Stadt ….. erteilte Aufenthaltserlaubnis zur Arbeitsplatzsuche nach dem Studium nach § 16 Abs. 4 AufenthG. Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit ist ihm gestattet. Der Aufenthaltstitel ist bis zum 22.05.2017 befristet. Die Klägerin zu 2 verfügt seit dem 24.11.2015, ebenfalls befristet bis zum 22.05.2017, über eine Aufenthaltserlaubnis wegen Ehegattennachzugs nach § 30 AufenthG. Auch ihr ist eine Erwerbstätigkeit erlaubt. Die Klägerin zu 3 besitzt eine Aufenthaltserlaubnis nach § 33 AufenthG wegen ihrer Geburt im Bundesgebiet.

7

Die Kläger wohnen seit dem 01.06.2015 gemeinsam in einer 41 m² großen Wohnung zur Miete. Mietvertragspartner sind auf Mieterseite sowohl der Kläger zu 1 als auch die Klägerin zu 2. Für die Überlassung der Wohnung haben die Kläger zu 1 und 2 eine monatliche Bruttowarmmiete in Höhe von 450 Euro zu entrichten.

8

Mit Bescheid vom 22.09.2015 hatte die Familienkasse ……. der Klägerin zu 2 Kindergeld für die Klägerin zu 3 in Höhe von 188 Euro monatlich ab April 2015, befristet bis August 2032 bewilligt.

9

Mit Bescheid ebenfalls vom 22.09.2015 hatte die Beigeladene der Klägerin zu 2 Elterngeld für die Betreuung und Erziehung der Klägerin zu 3 auf Grund eines Antrags vom 08.09.2015 für den Zeitraum vom 14.05.2015 bis zum 13.10.2015 in Höhe von insgesamt 1.500 Euro bewilligt. Als Zahltermin für den Gesamtbetrag wurde der 01.10.2015 festgesetzt.

10

Am 26.11.2015 beantragten die Kläger anlässlich einer persönlichen Vorsprache des Klägers zu 1 beim Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.

11

Im Antragsformular gab der Kläger zu 1 am 07.12.2015 an, über Bargeld in Höhe von ca. 1.500 Euro zu verfügen. Die Existenz von sämtlichen abgefragten weiteren Vermögenswerten verneinte er. Die Kläger gaben darüber hinaus an, dass die Klägerin zu 2 über Einkommen in Form des Kindergelds für die Klägerin zu 3 in Höhe von 188 Euro monatlich verfüge. Weitere Einnahmen wurden nicht angegeben.

12

Der Kläger zu 1 verfügt über ein Girokonto bei der ….. Bank (Kontonummer ……). Das Konto wies am 30.10.2015 einen positiven Saldo von 3.510,83 Euro auf, der bis zur nächsten Abbuchung am 02.11.2015 Bestand hatte. Am 28.10.2015 hatte der Kläger zu 1 eine Überweisung in Höhe von 3.257 Euro von Herrn ……. erhalten. Am 29.10.2015 war dem Kläger eine Vergütung von 1.050,71 Euro aus seiner Erwerbstätigkeit ausgezahlt worden. Am gleichen Tag erfolgte eine weitere Zahlung des Arbeitgebers in Höhe von 144,52 Euro. Am 30.10.2015 hatte der Kläger zu 1 einen Betrag von 1.000 Euro auf das Girokonto der Klägerin zu 2 überwiesen.

13

Die Klägerin zu 2 verfügt ebenfalls über ein Girokonto bei der Deutschen Bank (Kontonummer ………). Das Konto wies am 31.10.2015 einen positiven Saldo von 1.183,32 Euro auf, der bis zur nächsten Abbuchung am 02.11.2015 Bestand hatte. Am 28.09.2015 hatte die Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit der Klägerin zu 2 einen Betrag von 1.128 Euro überwiesen. Am 01.10.2015 hatte die Klägerin zu 2 eine Zahlung von Elterngeld in Höhe von 1.500 Euro erhalten. Am 07.10.2015 hatte die Klägerin zu 2 einen Betrag von 2.500 Euro abgehoben. Am 20.10.2015 hatte sie Kindergeld in Höhe von 188 Euro erhalten. Nachdem der Kontostand am 29.10.2015 bei 183,32 Euro lag, erfolgte am 30.10.2015 die Überweisung von 1.000 Euro durch den Kläger zu 1.

14

Am 11.11.2015 erhielt der Kläger zu 1 eine Überweisung in Höhe von 175 Euro von Frau ……… mit dem Verwendungszweck „für Interneteinkauf Danke“. Am 24.11.2015 hob der Kläger zu 1 einen Betrag von 2.100 Euro ab. Am 27.11.2015 wurde dem Kläger eine Vergütung in Höhe von 807,20 Euro aus seiner Erwerbstätigkeit ausgezahlt. Am 30.11.2015 verfügte der Kläger zu 1 auf seinem Girokonto über ein Guthaben von 1.271,85 Euro.

15

Mit Bescheid vom 07.12.2015 bewilligte die Bundesagentur für Arbeit – Agentur für Arbeit Mainz – dem Kläger zu 1 Arbeitslosengeld nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) dem Grunde nach für den Zeitraum vom 24.11.2015 bis zum 23.09.2016 auf Basis eines kalendertäglichen Leistungssatzes von 17,46 Euro. In Folge der Verhängung einer Sperrzeit wegen verspäteter Arbeitslosmeldung wurde dem Kläger zu 1 jedoch für den Zeitraum vom 24.11.2015 bis zum 30.11.2015 kein Arbeitslosengeld gezahlt. Für den Zeitraum vom 01.12.2015 bis zum 31.08.2016 wurde Nebeneinkommen in Höhe des vollen kalendertäglichen Leistungssatzes von 17,46 Euro angerechnet, so dass auch für diesen Zeitraum zunächst effektiv kein Arbeitslosengeld bewilligt wurde. Lediglich für die Zeit vom 01.09.2016 bis zum 23.09.2016 wurde die Zahlung von Arbeitslosengeld in Höhe von kalendertäglich 1,30 Euro, insgesamt 39 Euro, verfügt. Hierbei wurde auf den Leistungssatz von 17,46 Euro Nebeneinkommen in Höhe von 16,16 Euro täglich angerechnet.

16

Mit Schreiben vom 08.12.2015 forderte der Beklagte den Kläger zur Mitwirkung auf und verlangte neben der Vorlage der Bescheide über die Bewilligung von Arbeitslosengeld und Elterngeld, von Kopien der Lohnabrechnungen und von Kontoauszügen eine Stellungnahme zur Überweisung von 3.257 Euro am 28.10.2015 auf das Konto des Klägers zu 1.

17

Der Kläger zu 1 nahm mit Schreiben vom 14.12.2015 dahingehend Stellung, dass er Herrn …….. am 07.10.2015 ca. 3.300 Euro Bargeld geliehen habe. Aus den Kontoauszügen sei ersichtlich, dass an diesem Tag vom Konto seiner Ehefrau (der Klägerin zu 2) 2.500 Euro und von seinem eigenen Konto 800 Euro abgehoben worden seien. Seine Ehefrau habe kurz zuvor Elterngeld und Kindergeld rückwirkend ausgezahlt bekommen. Das geliehene Geld habe Herr …. am 28.10.2015 in voller Höhe auf das Konto des Klägers zu 1 überwiesen, wovon er wiederum 1.000 Euro auf das Konto seiner Frau überwiesen habe. Dies könne anhand der Kontoauszüge nachvollzogen werden.

18

Mit Bescheid vom 15.12.2015 lehnte der Beklagte den Antrag vom 26.11.2015 ab. Hierbei führte der Beklagte wörtlich aus:

19

„Sehr geehrter Herr ……,

20

leider muss Ihr Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch SozialgesetzbuchSGB II vom 26.11.2015 abgelehnt werden.

21

Sie haben keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, weil Sie ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland allein zum Zwecke der Arbeitsuche haben.

22

Die Entscheidung beruht auf § 7 Absatz 1 Satz 2 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

23

Ihr Aufenthaltstitel begründet sich auf § 16 Abs. 4 AufenthG. Demnach sind Sie und Ihre Familienangehörigen von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.

24

Beachten Sie bitte, dass Sie einen Antrag auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII beim zuständigen Sozialamt stellen können.“

25

Am 18.12.2015 beantragten die Kläger Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) bei der Beigeladenen. Im Antragsformular (unterzeichnet am 04.01.2016) gaben sie unter anderem an, über Bargeld in Höhe von ca. 1.000 Euro zu verfügen.

26

Am 29.12.2015 erhielt der Kläger zu 1 zwei Gehaltszahlungen in Höhe von zusammen 203,42 Euro.

27

Am 31.12.2015 verfügte der Kläger zu 1 auf seinem Girokonto über ein Guthaben in Höhe von 513,38 Euro, am 04.01.2016 über ein Guthaben in Höhe von 53,38 Euro. Die Klägerin zu 2 verfügte am 31.12.2015 über ein Guthaben von 416,59 Euro.

28

Mit Bescheid vom 06.01.2016 lehnte die Beigeladene den Antrag der Kläger auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII ab. Zur Begründung führte sie aus, dass aus den vorgelegten Unterlagen hervorgehe, dass der Kläger zu 1 einen Aufenthaltstitel nach § 16 Abs. 4 AufenthG habe, der der Arbeitsplatzsuche nach dem Studium diene. Die Ablehnung ergebe sich aus § 23 Abs. 3 SGB XII. Demnach hätten Ausländer, die eingereist seien, um Sozialhilfe zu erlangen oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe, sowie deren Angehörige keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Das Aufenthaltsrecht des Klägers zu 1 begründe sich aus § 16 Abs. 4 AufenthG und diene dem Zweck der Arbeitsplatzsuche, sodass der Kläger zu 1 und seine Angehörigen keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII hätten.

29

Gegen den Bescheid des Beklagten vom 15.12.2015 erhoben alle drei Kläger mit Schreiben vom 07.01.2016 Widerspruch. Zur Begründung führten sie aus, dass der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht greife, da das Aufenthaltsrecht nach § 16 Abs. 4 AufenthG ein Annex des Aufenthaltsrechts zum Zwecke der Ausbildung darstelle. Da dieses Aufenthaltsrecht auch eine Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit umfasse, könne spätestens ab dem Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme diese nicht mehr als Aufenthaltserlaubnis allein zum Zwecke der Arbeitsplatzsuche angesehen werden. Da der Kläger zu 1 einer Erwerbstätigkeit nachgehe, sei auch dieser Gesichtspunkt vorliegend gegeben. Dies sei auch nachvollziehbar, denn Sinn und Zweck von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sei es, zu verhindern, dass Personen zur Arbeitsuche einreisen und dann Sozialleistungen in Anspruch nehmen. Sinn und Zweck der Norm sei gerade nicht, Menschen, die bereits seit längerer Zeit aus anderen Gründen ein Aufenthaltsrecht haben, von den Leistungen auszuschließen. Die gesetzgeberische Intention des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II habe ferner eindeutig darauf gezielt zu verhindern, dass EU-Bürger im Wege der Freizügigkeit einreisen und sofort Sozialleistungen kassieren. Für Fälle von Drittstaatsangehörigen sei die Regelung nicht erdacht worden. Es sei auch nicht erkennbar, weshalb es notwendig sein sollte, erwerbsfähige Drittstaatsangehörige, die ansonsten unzweifelhaft einen Anspruch nach dem SGB XII hätten, anders zu behandeln, als erwerbsfähige Deutsche, denn Leistungseinsparungen könnten hierdurch nicht erzielt werden. Die Drittstaatsangehörigen könnten allenfalls weniger Pflichten bei der Integration in den Arbeitsmarkt haben.

30

Am 07.01.2016 stellten die Kläger auch einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht (SG) Mainz (Az. S 11 AS 7/16 ER).

31

Am 19.01.2016 erhoben die Kläger Widerspruch gegen den Bescheid der Beigeladenen vom 06.01.2016. Zur Begründung führten sie aus, dass das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG (Verweis auf BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a.) nach der neuesten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Verweis auf den Terminsbericht Nr. 61/15 des BSG vom 16.12.2015) bei tatsächlichem Aufenthalt in Deutschland, insbesondere wenn dieser rechtmäßig sei, die Bejahung eines Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB XII gebiete. Diese Rechtsprechung sei auf die Kläger anwendbar und vorliegend zu berücksichtigen. Die Kläger hätten somit einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII gegen die Beigeladene.

32

Über den Widerspruch der Kläger gegen den Bescheid der Beigeladenen vom 06.01.2016 wurde bislang noch nicht entschieden.

33

Am 21.01.2016 zahlte die Familienkasse 566 Euro Kindergeld für die Monate November und Dezember 2015 sowie Januar 2016 an die Klägerin zu 2.

34

Mit Beschluss vom 27.01.2016 (S 11 AS 7/16 ER) verpflichtete die 11. Kammer des SG Mainz die auch im dortigen Verfahren beigeladene Stadt …. zur vorläufigen Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII für den Regelbedarf in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum vom 07.01.2016 bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 30.06.2016.

35

Am 28.01.2016 erhielt der Kläger zu 1 Arbeitsentgelt in Höhe von 291,31 Euro für den Monat Januar 2016 ausgezahlt. Am 29.01.2016 verfügte der Kläger zu 1 auf seinem Girokonto über ein Guthaben von 282,09 Euro. Die Klägerin zu 2 verfügte am gleichen Tag über ein Guthaben von 704,76 Euro auf ihrem Girokonto.

36

Die Beigeladene führte den Beschluss vom 27.01.2016 (S 11 AS 7/16 ER) mit einem Bescheid vom 05.02.2016 aus und bewilligte den Klägern vorläufig Hilfe zum Lebensunterhalt ab dem 07.01.2016 für den Monat Januar 2016 in Höhe von insgesamt 531,50 Euro und für den Monat Februar 2016 in Höhe von 571,08 Euro.

37

Mit Widerspruchsbescheid vom 26.01.2016 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 15.12.2015 zurück. Anhaltspunkte für eine falsche Entscheidung seien weder genannt noch aus den Unterlagen ersichtlich. Der Bescheid entspreche den gesetzlichen Bestimmungen.

38

Am 11.02.2016 überwies die Beigeladene dem Kläger zu 1 in Ausführung des Bescheids vom 05.02.2016 und des Beschlusses des SG Mainz vom 27.01.2016 (S 11 AS 7/16 ER) einen Betrag von 1.102,58 Euro.

39

Mit Änderungsbescheid vom 11.02.2016 bewilligte die Bundesagentur für Arbeit – Agentur für Arbeit Mainz – dem Kläger zu 1 Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 01.12.2015 bis zum 23.09.2016 in Höhe von monatlich 523,80 Euro bei einem täglichen Zahlbetrag von 17,46 Euro. Für die Zeit vom 01.12.2015 bis zum 31.01.2016 erfolgte eine Nachzahlung in Höhe von 1.047,60 Euro, die dem Kläger zu 1 am 16.02.2016 überwiesen wurde. Am 29.02.2016 erfolgte die Auszahlung von Arbeitslosengeld in Höhe von 523,80 Euro für den Zeitraum vom 01.02.2016 bis zum 29.02.2016.

40

Die Beigeladene hat am 24.02.2016 Beschwerde gegen den Beschluss vom 27.01.2016 zum Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz eingelegt (Az. L 3 AS 98/16 B ER). Das Beschwerdeverfahren ist noch anhängig.

41

Am 26.02.2016 erhielt der Kläger zu 1 eine Entgeltzahlung in Höhe von 166,35 Euro.

42

Die Kläger haben am 26.02.2016 die vorliegende Klage erhoben. Die Klageerhebung erfolgte zunächst fristwahrend. Die Kläger regten zunächst an, die Klage ruhend zu stellen, bis geklärt sei, ob das Sozialamt Leistungen nach dem SGB XII zu erbringen habe. Hintergrund sei, dass der Beklagte als Verpflichteter in Betracht komme, das Gericht aber in dem Verfahren S 11 AS 7/16 ER die vorläufige Auffassung vertreten habe, der Anspruch der Kläger richte sich nach dem SGB XII und nicht nach dem SGB II.

43

Die Kläger beantragen,

44

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 15.12.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.01.2016 zu verurteilen, den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab dem 01.11.2015 in gesetzlicher Höhe zu zahlen,

45

hilfsweise die Beigeladene unter Aufhebung des Bescheids vom 06.01.2016 zu verurteilen, den Klägern Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII ab dem 01.11.2015 in gesetzlicher Höhe zu zahlen.

46

Der Beklagte beantragt,

47

die Klage abzuweisen.

48

Zur Begründung trägt er vor, dass die Klage ausweislich des Beschlusses des SG Mainz vom 27.01.2016 (S 11 AS 7/16 ER) keine Aussicht auf Erfolg habe. Auf den Beschluss des LSG Rheinland-Pfalz vom 11.02.2016 (L 3 AS 668/15 B ER) werde verwiesen.

49

Die Beigeladene nimmt unter Verweis auf einen Hinweis des 3. Senats des LSG Rheinland-Pfalz im Verfahren L 3 AS 98/16 B ER dahingehend Stellung, dass hilfebedürftige Personen, die nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen seien, schon nach § 21 Satz 1 SGB XII keine Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII erhalten könnten. Für diese Auslegung spreche der Wortlaut des Gesetzes und die den Gesetzgebungsmaterialien zu entnehmende gesetzgeberische Absicht. Der 3. Senat des LSG Rheinland-Pfalz nehme auch Bezug auf die Rechtsfrage, ob eine verfassungskonforme Auslegung des SGB II einen Anspruch der Kläger auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Hilfegewährung nach § 42a SGB II begründe. Der Senat sehe diese Rechtsfrage als im Hauptsacheverfahren klärungsbedürftig an. Weiter führe der Senat aus, dass er auf Grund des bisherigen Vortrags der Kläger (im dortigen Beschwerdeverfahren) nicht feststellen könne, dass im vorliegenden Fall die gesetzlichen Voraussetzungen einer Leistung von Sozialhilfe nach Ermessen gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII vorlägen. Vor diesem Hintergrund spreche Vieles dafür, dass das LSG Rheinland-Pfalz die rechtliche Einschätzung der Beigeladenen teile und diese im vorliegenden Fall daher nicht zu Leistungen von Sozialhilfe nach Ermessen verpflichtet werden könne.

50

Am 30.03.2016 erhielt der Kläger zu 1 eine Entgeltzahlung in Höhe von 166,35 Euro. An diesem Tag verfügte er auf seinem Girokonto über ein Guthaben in Höhe von 647,49 Euro. Die Klägerin zu 2 verfügte am 30.03.2016 über ein Guthaben auf ihrem Girokonto in Höhe von 314,89 Euro. Am 31.03.2016 überwies die Bundesagentur für Arbeit – Agentur für Arbeit Mainz – dem Kläger zu 1 Arbeitslosengeld in Höhe von 523,80 Euro für den Zeitraum vom 01.03.2016 bis zum 31.03.2016.

51

Mit einem Schreiben vom 04.04.2016 teilte die Beigeladene den Klägern zu 1 und 2 mit, dass in Folge der Mitteilung weiterer Einkünfte nunmehr eine Anpassung der vorläufigen Leistungen erfolge. Demnach hätten die Kläger im Februar Arbeitslosengeld I in Höhe von 1.571,40 Euro erhalten. Das Arbeitseinkommen in Höhe von 237 Euro für den Monat Februar 2016 sei abzüglich der Freibeträge genauso wie das Kindergeld bei der Ermittlung des Anspruchs in Höhe von 571,08 Euro für den Monat Februar bereits berücksichtigt worden. Das Einkommen in Höhe von 1.571,40 Euro aus dem Arbeitslosengeld I reiche daher aus, um den monatlichen Regelbedarf in gesetzlicher Höhe zu decken. Da die Leistungen für den Monat Februar 2016 zum Zeitpunkt der Mitteilung bereits an die Kläger ausgezahlt worden seien, sei eine Überzahlung in Höhe von 571,08 Euro entstanden. Der monatliche Regelbedarf für den Monat März 2016 betrage 965 Euro. Davon seien das Erwerbseinkommen abzüglich der Freibeträge nach § 82 Abs. 3 SGB XII in Höhe von 116,44 Euro, das Kindergeld in Höhe von 190 Euro sowie Arbeitslosengeld I in Höhe von monatlich 523,80 Euro in Abzug zu bringen. Damit verbleibe ein nicht durch Einkommen gedeckter Bedarf in Höhe von 134,76 Euro. Dieser Betrag werde jedoch nicht an die Kläger ausgezahlt, sondern mit der entstandenen Überzahlung im Monat Februar 2016 in Höhe von 571,08 Euro verrechnet.

52

Auf Anfrage des Gerichts teilten die Kläger mit, dass sie keinerlei rechtliche Beziehungen zu anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU), zu Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) oder zur Schweiz haben. Im letzten Jahr der Studienzeit des Klägers zu 1 hätten die Kläger ihren Lebensunterhalt durch Nebenjobs des Klägers zu 1 als Mitarbeiter im Schlaflabor des …. Klinikums ….. und durch die monatliche Aufwandsentschädigung in Höhe von 300 Euro für das Praktische Jahr, durch Kindergeld und zeitweise durch Elterngeld bestritten. Von Frau …… habe es keine Zahlungen gegeben.

53

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 18.04.2016 teilte der Kläger zu 1 mit, dass er für die Erteilung eines Aufenthaltstitels eine Verpflichtungserklärung benötigt habe. Diese sei durch seine Kollegin Frau ………. unterzeichnet worden. Er habe aber nie die Absicht gehabt, Geld von ihr in Anspruch zu nehmen und von ihr auch nie Geld erhalten. Er habe seinen Lebensunterhalt bislang selbst finanziert.

54

Das Gericht hat die Prozessakten zum Verfahren S 11 AS 7/16 ER bzw. L 3 AS 98/16 B ER einschließlich der dort beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der Beigeladenen beigezogen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Beratung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

A.

55

Der Rechtsstreit ist gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. §§ 13 Nr. 11, 80 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) auszusetzen und es sind Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) darüber einzuholen, ob § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.05.2011 (BGBI. Nr. 23, S. 857) mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG – Sozialstaatlichkeit – und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar ist, soweit Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen vom Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ausgenommen sind, und ob § 7 Abs. 5 SGB II in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.05.2011 (BGBI. Teil I Nr. 23, S. 857), zuletzt geändert mit Wirkung zum 01.04.2012 durch Gesetz vom 20.12.2011 (BGBl. Teil I Nr. 69, S. 2917) mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG – Sozialstaatlichkeit – und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar ist, soweit Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) oder der §§ 51, 57 und 58 SGB Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) dem Grunde nach förderungsfähig ist, über § 27 SGB II hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II haben.

56

Nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 GG (konkrete Normenkontrolle) hat ein Gericht das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG einzuholen, wenn es ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ist zu begründen, inwiefern von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift die Entscheidung des Gerichts abhängig und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm die Vorschrift unvereinbar ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.11.2014 – 2 BvL 2/11 – Rn. 5 – alle Gerichtsentscheidungen zitiert nach juris, wenn nicht anders angegeben). Die Voraussetzungen für die Durchführung eines konkreten Normenkontrollverfahrens sind vorliegend erfüllt.

57

Die Überzeugung der Kammer von der Verfassungswidrigkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II beruht darauf, dass es dem Gesetzgeber nach Maßgabe des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verwehrt ist, Personen, die sich in Deutschland tatsächlich aufhalten, bei Vorliegen von Hilfebedürftigkeit von sämtlichen existenzsichernden Sozialleistungssystemen auszuschließen.

58

Die Überzeugung der Kammer von der Verfassungswidrigkeit des § 7 Abs. 5 SGB II beruht darauf, dass es dem Gesetzgeber nach Maßgabe des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verwehrt ist, die Gewährung jeder Art von existenzsichernden Leistungen von Handlungen oder Unterlassungen der betroffenen Personen abhängig zu machen, die weder zur Feststellung der Leistungsvoraussetzungen erforderlich noch unmittelbar dazu führen, die Hilfebedürftigkeit der Betroffenen zu beseitigen.

I.

59

Die Zuständigkeit des BVerfG ist gegeben, da das vorlegende Gericht Vorschriften eines Bundesgesetzes für mit dem Grundgesetz nicht vereinbar hält (Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 GG).

II.

60

Die vorlegende Kammer ist als Spruchkörper des Sozialgerichts Mainz ein vorlageberechtigtes Gericht im Sinne des Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG.

III.

61

Bei den als verfassungswidrig gerügten Vorschriften des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II und des § 7 Abs. 5 SGB II handelt es sich um Vorschiften eines formellen, nachkonstitutionellen Bundesgesetzes. Sie sind daher vorlagefähig.

IV.

62

Die Vorlagefragen sind für das dem Beschluss zu Grunde liegende Klageverfahren entscheidungserheblich.

63

Nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ist ein Vorlageverfahren nur dann zulässig, wenn es für die Entscheidung auf die Gültigkeit des für verfassungswidrig gehaltenen Gesetzes ankommt.

64

Dies setzt – wenn nicht die Zulässigkeitsvoraussetzungen selbst Gegenstand der Vorlage sind – zunächst voraus, dass die dem Vorlagebeschluss zu Grunde liegende Klage zulässig ist (1) und dass im Falle der – hier vorliegenden – Leistungsklage die Anspruchsvoraussetzungen im Übrigen vorliegen (2). Ferner muss es für die Entscheidung des Gerichts auf die Gültigkeit der zur Prüfung vorgelegten Normen ankommen. Dies setzt voraus, dass bei Gültigkeit der Regelungen ein anderes Entscheidungsspektrum eröffnet wird, als bei deren Nichtigkeit (3). Der Klage dürfte auch nicht aus einem anderen Rechtsgrund stattzugeben sein (4).

65

1. Die Klage ist zulässig. Das Gericht ist zur Sachentscheidung berufen.

66

1.1 Die Kläger haben ihre Klage frist- und formgerecht erhoben. Das Widerspruchsverfahren gegen den in erster Linie streitgegenständlichen Bescheid des Beklagten vom 15.12.2015 ist durchgeführt und abgeschlossen worden.

67

1.2 Obwohl dem Gericht bislang keine schriftliche Vollmacht vorliegt, ist gemäß § 73 Abs. 6 Satz 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einstweilen von einer wirksamen Bevollmächtigung des die Kläger vertretenden Rechtsanwalts auszugehen. Das Gericht hat einen Mangel der Vollmacht nur dann von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn als Bevollmächtigter kein Rechtsanwalt auftritt.

68

1.3 Die Kläger sind klagebefugt im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 SGG, da sie geltend machen, durch den angefochtenen Verwaltungsakt in ihren Rechten verletzt zu sein.

69

1.4 Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage, mit der die Kläger die Aufhebung des Bescheids vom 15.12.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.01.2016 und die Zahlung von Geldleistungen nach dem SGB II verlangen, ist nach §§ 54 Abs. 4, 56 SGG statthaft. Der Streitgegenstand wurde im Sinne des § 92 Abs. 1 Satz 1 SGG hinreichend bestimmt. Eine exakte Bezifferung des geltend gemachten Anspruchs ist nicht erforderlich. § 92 Abs. 1 Satz 3 SGG enthält hinsichtlich der Bestimmtheit des Antrags lediglich eine Sollvorschrift. Aus dem systematischen Zusammenhang mit der Regelung zum Grundurteil in § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG ergibt sich zudem, dass bei Geldleistungen keine Bezifferung des Antrags erfolgen muss. Nach § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG kann zur Leistung nur dem Grunde nach verurteilt werden, wenn gemäß § 54 Abs. 4 SGG oder § 54 Abs. 5 SGG eine Leistung in Geld begehrt wird, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Aus der Befugnis des Gerichts, ein Grundurteil zu erlassen, folgt die Statthaftigkeit einer entsprechenden unbezifferten Antragstellung. Im Übrigen lässt sich das klägerische Begehren in hinreichender Bestimmtheit dem Vorbringen in der Klageschrift, in dem vorangegangenen Widerspruchsverfahren und im vorangegangenen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes entnehmen.

70

1.5 Der für die Zulässigkeit der gegenüber der reinen Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG vorrangigen Anfechtungs- und Leistungsklage erforderliche Ausgangsverwaltungsakt (vgl. BSG, Urteil vom 21.03.2006 – B 2 U 24/04 R – Rn. 24) liegt auch bezüglich der Klägerinnen zu 2 und 3 vor. Der angefochtene Verwaltungsakt vom 15.12.2015 ist bei verständiger Würdigung an alle drei Kläger gerichtet. Zwar wird sowohl in der Anrede als auch im weiteren Text nur der Kläger zu 1 direkt angesprochen, auch soweit auf seinen Antrag Bezug genommen wird. Allerdings lässt sich dem Satz „Demnach sind Sie und Ihre Familienangehörigen von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen“ mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, dass der Leistungsantrag für alle drei Kläger abgelehnt wurde. Der nur abstrakt umschriebene, abgesehen vom Kläger zu 1 nicht namentlich genannte Adressatenkreis erschließt sich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs. 1 Zehntes Buch SozialgesetzbuchSGB X) aus der vorangegangenen Antragstellung aller drei Kläger und aus deren Lebensumständen.

71

Der Bescheid ist auch gegenüber allen Klägern wirksam bekanntgegeben worden (§ 37 Abs. 1 SGB X). Auch diesbezüglich ist es unschädlich, dass der Bescheid in der Anrede nur an den Kläger zu 1 gerichtet war, da der Bescheid an die gemeinsame Wohnadresse übersandt wurde, der Verwaltungsakt aus dem Bescheidtext hinreichend deutlich erkennbar auch an die Klägerin zu 2 gerichtet war und zudem in Folge der Umstände der Antragstellung und der nachfolgenden Widerspruchs- und Klageerhebung auch durch die Klägerin zu 2 von einer Bevollmächtigung des Klägers zu 1 durch die Klägerin zu 2 ausgegangen werden kann (vgl.Aubel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Auflage 2015, § 38 Rn. 40, Stand 10.03.2015). Auf eine gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 SGB II nur für die Antragstellung und die Entgegennahme von Leistungen geltende Vertretungsvermutung kommt es daher nicht an (für die Erstreckung der Vermutungswirkung u.a. auch auf die Entgegennahme von ablehnenden Bescheiden z.B. Schoch in: LPK-SGB II, § 38 Rn. 19, 5. Auflage 2013).

72

Selbst wenn jedoch angenommen würde, dass gegenüber den Klägerinnen zu 2 und 3 noch keine Entscheidung über den Leistungsantrag durch den Beklagten vorliegt und die kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklagen der Klägerinnen in Folge dessen als unzulässig angesehen würden, führte dies nicht zu einem Wegfall der Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen, weil beide jedenfalls auch für die vom Kläger zu 1 gestellten Klageanträge von entscheidungserheblicher Bedeutung sind.

73

1.6 Zulässiger Streitgegenstand ist zunächst der Bescheid vom 15.12.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.01.2016 (§ 95 SGG). In zeitlicher Hinsicht ist der Streitgegenstand vorerst und vorbehaltlich einer zukünftigen Begrenzung des Antrags auf den letzten mündlichen Verhandlungstag der Tatsacheninstanzen begrenzt (BSG, Urteil vom 22.03.2012 – B 4 AS 99/11 R – Rn. 11). Zum Zeitpunkt des Vorlagebeschlusses der Kammer ist dies der 18.04.2016. Dass für den zukunftsoffenen streitgegenständlichen Zeitraum der Sachverhalt naturgemäß noch nicht abschließend aufgeklärt ist, stellt kein Zulässigkeitshindernis für das Vorlageverfahren nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG dar, weil sich die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der entscheidungserheblichen Normen jedenfalls für den bereits zurückliegenden Zeitraum stellt (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 129).

74

1.7 Gemäß § 75 Abs. 5 SGG kommt auch eine Verurteilung des beigeladenen Sozialhilfeträgers zur Zahlung von Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII in Betracht (vgl. BSG Urteil vom 20.01.2016 – B 14 AS 35/15 R; BSG, Urteil vom 17.03.2016 – B 4 AS 32/15 R). Insoweit wäre auch der Ablehnungsbescheid der Beigeladenen vom 06.01.2016 Gegenstand des Verfahrens. Auf Grund der fristgerechten Erhebung des Widerspruchs durch die Kläger am 19.01.2016 ist bislang keine Bestandskraft eingetreten. Der Abschluss des Vorverfahrens ist insoweit keine Sachurteilsvoraussetzung (vgl. Groß in Lüdtke, SGG, § 75 Rn. 16, 4. Auflage 2012).

75

2. Die Kläger erfüllen abgesehen von den den Gegenstand der Vorlagefragen bildenden Ausschlussregelungen des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II (für die Zeit ab dem 24.11.2015) und § 7 Abs. 5 SGB II (bei dem Kläger zu 1 für den Zeitraum vom 01.11.2015 bis zum 18.11.2015) alle Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II.

76

2.1 Der Kläger zu 1 und die Klägerin zu 2 sind – vorbehaltlich der hier verfahrensgegenständlichen Ausschlussregelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II – erwerbsfähige Leistungsberechtigte im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Beide sind älter als 15 Jahre und haben die für beide Kläger nach § 7a Satz 2 SGB II maßgebliche Altersgrenze von 67 Jahren noch nicht erreicht. Die Klägerin zu 3 hat das 15. Lebensjahr noch nicht vollendet und kann deshalb nur in Abhängigkeit einer grundsätzlichen Leistungsberechtigung ihrer Eltern einen Anspruch auf Sozialgeld nach Maßgabe des § 7 Abs. 2 SGB II haben.

77

2.2 Der Kläger zu 1 und die Klägerin zu 2 haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II). Gemäß § 30 Abs. 3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Die Kläger leben in Mainz. Anhaltspunkte dafür, dass sich die Kläger nur vorübergehend in Deutschland aufhalten könnten, sind nicht erkennbar. Die aktuellen Aufenthaltstitel sind bis zum 22.05.2017 befristet. Für die Frage des gewöhnlichen Aufenthalts kommt es auf aufenthaltsrechtliche Aspekte im Übrigen nicht an (BSG, Urteil vom 30.01.2013 – B 4 AS 54/12 R – Rn. 18 f.).

78

2.3 Der Kläger zu 1 hat den nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB II erforderlichen Antrag gestellt. Der Antrag vom 26.11.2015 wirkt gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2, Satz 3 SGB II im Hinblick auf die begehrten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auf den 01.11.2015 zurück. Die Antragstellung wirkt gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 SGB II auch zu Gunsten der Klägerinnen zu 2 und 3.

79

2.4 Der Kläger zu 1 und die Klägerin zu 2 sind erwerbsfähig im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II, insbesondere ist beiden die Aufnahme einer Beschäftigung als Nebenbestimmung zur Aufenthaltserlaubnis nach § 16 Abs. 4 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) bzw. § 30 AufenthG erlaubt (§ 8 Abs. 2 Satz 1 SGB II).

80

2.5 Die Kläger sind für den größeren Teil des bisherigen streitgegenständlichen Zeitraums hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II. Hilfebedürftigkeit liegt gemäß § 9 Abs. 1 SGB II vor, wenn jemand seinen eigenen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen, sichern kann und die nötige Hilfe nicht von anderen erhält. In Folge der Einkommens- und Vermögenszurechnungsregelung des § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II, nach der jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig gilt, sofern der gesamte Bedarf nicht aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt ist („horizontale Berechnungsmethode“), kommt es für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen nur darauf an, dass der Gesamtbedarf der Kläger durch Einkommen oder Vermögen der Kläger zu irgendeinem Zeitpunkt in den streiterheblichen Zeiträumen nicht vollständig gedeckt war.

81

Im Hinblick auf die erste Vorlagefrage ist diesbezüglich der Zeitraum vom 24.11.2015 bis zum 18.04.2016 relevant, weil der Kläger zu 1 seit dem 24.11.2015 über ein Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitsuche nach § 16 Abs. 4 AufenthG verfügt. Für die zweite Vorlagefrage ist der Zeitraum vom 01.11.2015 bis zum 18.11.2015 von Bedeutung, weil der Kläger zu 1 am 18.11.2015 sein Studium abgeschlossen hat.

82

Die Voraussetzung des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II ist im vorliegenden Fall zeitweise erfüllt, weil dem Gesamtbedarf der Kläger zum Lebensunterhalt jedenfalls in der Zeit vom 01.11.2015 bis zum 31.01.2016 und vom 01.03.2016 bis zum 31.03.2016 kein Einkommen oder Vermögen gegenüberstand, das den Bedarf vollständig hätte decken können.

83

2.5.1 Bei dem Kläger zu 1 und bei der Klägerin zu 2 ist jeweils für die Zeit vom 01.11.2015 bis zum 31.12.2015 von einem Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 360 Euro monatlich (§ 20 Abs. 4 SGB II i.V.m. der Bekanntmachung über die Höhe der Regelbedarfe nach § 20 Absatz 5 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für die Zeit ab 1. Januar 2015 vom 15.10.2014 (BGBl. Teil I S. 1620) auszugehen, für die Zeit ab dem 01.01.2016 von einem Regelbedarf in Höhe von 364 Euro monatlich (§ 20 Abs. 4 SGB II i.V.m. der Bekanntmachung über die Höhe der Regelbedarfe nach § 20 Absatz 5 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für die Zeit ab 1. Januar 2016 vom 22.10.2015 (BGBl. Teil I S. 1792)), da sie als Partner miteinander in einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 a) SGB II leben und das 18. Lebensjahr vollendet haben.

84

Bei der Klägerin zu 3 ist für die Zeit vom 01.11.2015 bis zum 31.12.2015 von einem Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 234 Euro monatlich (§ 23 Nr. 1 SGB II i.V.m. der Bekanntmachung über die Höhe der Regelbedarfe nach § 20 Absatz 5 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für die Zeit ab 1. Januar 2015 vom 15.10.2014 (BGBl. Teil I S. 1620)) auszugehen, für die Zeit ab dem 01.01.2016 von einem Regelbedarf in Höhe von 237 Euro monatlich (§ 23 Nr. 1 SGB II i.V.m. der Bekanntmachung über die Höhe der Regelbedarfe nach § 20 Absatz 5 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für die Zeit ab 1. Januar 2016 vom 22.10.2015 (BGBl. Teil I S. 1792)), da sie das 6. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.

85

Darüber hinaus ist von einem Gesamtbedarf für Unterkunft und Heizung nach §§ 19 Abs. 1 Satz 3, 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Höhe von 450 Euro – nachgewiesen durch Mietvertrag, Mietbescheinigung und Abbuchungen auf Kontoauszügen – monatlich auszugehen. Ob der Unterkunfts- und Heizungsbedarf richtigerweise nach Maßgabe der mietvertraglichen gesamtschuldnerischen Verpflichtung hälftig (je 225 Euro) zwischen dem Kläger zu 1 und der Klägerin zu 2 (so SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 12.12.2014 – S 3 AS 130/14 – Rn. 289 ff.) oder nach dem Kopfteilprinzip zu je einem Drittel (je 150 Euro) zwischen allen Bedarfsgemeinschaftsmitgliedern aufzuteilen ist (so z.B. BSG, Urteil vom 23.11.2006 – B 11b AS 1/06 R – Rn. 28 f.; BSG, Urteil vom 31.10.2007 – B 14/11b AS 7/07AS 7/07 R – Rn. 19; BSG, Urteil vom 23.05.2013 – B 4 AS 67/12 R – Rn. 19), spielt für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen keine Rolle, weil sich der Gesamtbedarf hierdurch nicht ändert. Die Frage, ob die Aufwendungen der Kläger für Unterkunft und Heizung angemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB II sind, kann vorliegend offenbleiben, da die Kläger mangels Kostensenkungsaufforderung jedenfalls keine Kostensenkungsobliegenheit trifft und daher die Kosten nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II bis auf Weiteres unabhängig von ihrer Angemessenheit in tatsächlicher Höhe zu berücksichtigen sind. Die Frage, ob § 22 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB II verfassungswidrig ist (vgl. SG Mainz, Vorlagebeschlüsse vom 12.12.2014 – S 3 AS 130/14 und S 3 AS 370/14), ist daher im vorliegenden Verfahren nicht entscheidungserheblich.

86

Bei dem Kläger zu 1 ist somit für den Zeitraum vom 01.11.2015 bis zum 31.12.2015 ein monatlicher Gesamtbedarf in Höhe von 585 Euro und für die Zeit ab dem 01.01.2016 in Höhe von 589 Euro auszugehen. Bei einer Berücksichtigung der Unterkunftsbedarfe nach Kopfteilen läge der Gesamtbedarf bei 510 Euro für den Zeitraum vom 01.11.2015 bis zum 31.12.2015 und bei 514 Euro ab dem 01.01.2016. Entsprechendes gilt für die Klägerin zu 2.

87

Bei der Klägerin zu 3 ist der individuelle Gesamtbedarf mit dem Regelbedarf identisch, so dass für die Zeit vom 01.11.2015 bis zum 31.12.2015 von einem Bedarf von 234 Euro monatlich und für die Zeit ab dem 01.01.2016 von einem Bedarf von 237 Euro auszugehen ist. Bei Zugrundelegung der „Kopfteilmethode“ ergäbe sich allerdings ein weiterer Bedarf nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Höhe von 150 Euro monatlich, somit ein monatlicher individueller Gesamtbedarf von 384 Euro bzw. 387 Euro.

88

Für die aus dem Kläger zu 1 und der Klägerin zu 2 (§ 7 Abs. 3 Nr. 1 SGB II und § 7 Abs. 3 Nr. 3 a) SGB II) sowie der Klägerin zu 3 (§ 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II) bestehende Bedarfsgemeinschaft ist somit für den Zeitraum vom 01.11.2015 bis zum 31.12.2015 ein Gesamtbedarf in Höhe von 1.404 Euro monatlich, für die Zeit ab dem 01.01.2016 in Höhe von 1.415 Euro zu Grunde zu legen.

89

2.5.2 Vermögen haben die Kläger zur Bedarfsdeckung nicht einzusetzen.

90

Nach § 12 Abs. 1 SGB II sind als Vermögen alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen. Gemäß § 12 Abs. 2 SGB II sind vom verwertbaren Vermögen jedoch Freibeträge abzusetzen.

91

Zu Beginn des streitgegenständlichen Zeitraums am 01.11.2015 verfügte der Kläger zu 1 über einen positiven Saldo von 3.510,83 Euro auf seinem Girokonto. Die Klägerin zu 2 verfügte auf ihrem Girokonto über einen positiven Saldo von 1.183,32 Euro. Hinzu kommt nach den Angaben des Klägers zu 1 zum Zeitpunkt der Antragstellung ein Bargeldbetrag von ca. 1.500 Euro, so dass für den maßgeblichen Zeitpunkt des Beginns des potenziellen Bewilligungszeitraums (vgl. Radüge in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Auflage 2015, § 12 Rn. 41, Stand 08.09.2015) am 01.11.2015 von einem Gesamtvermögen der Kläger in Höhe von ca. 4.700 Euro auszugehen ist.

92

Die kurz vor Beginn des streitgegenständlichen Zeitraums erfolgten größeren Vermögensverschiebungen sind anhand der Erklärungen des Klägers zu 1 nachvollziehbar. Durch die Nachzahlung von Kindergeld in Höhe von 1.128 Euro am 28.09.2015 und von Elterngeld in Höhe von 1.500 Euro am 01.10.2015 war der Kläger zu 1 im Oktober 2015 dazu in der Lage, Herrn …kurzfristig einen Geldbetrag in Höhe von ca. 3.250 Euro zu leihen, den er noch im gleichen Monat zurückerhielt. Der Vorgang lässt sich anhand der Kontoauszüge des Klägers zu 1 und der Klägerin zu 2 und der Erläuterungen des Klägers zu 1 nachvollziehen.

93

Als Vermögensfreibetrag ist gemeinsam für den Kläger zu 1 und die Klägerin zu 2 ein Betrag von 9.900 Euro, ab Februar 2016 von 10.050 Euro zu berücksichtigen. Dieser errechnet sich aus dem Grundfreibetrag für den Kläger zu 1 von 4.650 Euro bzw. 4.800 Euro gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II (31 bzw. 32 Lebensjahre x 150 Euro), aus dem Grundfreibetrag für die Klägerin zu 2 in Höhe von 3.750 Euro (25 Lebensjahre x 150 Euro) und dem jeweiligen Anschaffungsfreibetrag von 750 Euro gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGB II, zusammen 1.500 Euro.

94

Das Vermögen des Klägers zu 1 und der Klägerin zu 2 lag demnach zu Beginn des Bewilligungszeitraums am 01.11.2015 deutlich unter der maßgeblichen Vermögensfreigrenze. Daher kann vorliegend offenbleiben, ob der Anschaffungsfreibetrag für die Klägerin zu 3 in Höhe von weiteren 750 Euro ebenfalls bei dem Vermögen des Klägers zu 1 und der Klägerin zu 2 zu berücksichtigen ist (so Geiger in LPK-SGB II, § 12 Rn. 35, 5. Auflage 2013), da das Gesamtvermögen der Kläger am 01.11.2015 und in der Folgezeit stets unter dem jedenfalls anzusetzenden Freibetrag von 9.900 Euro bzw. 10.050 Euro lag. Der Grundfreibetrag der Klägerin zu 3 nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a SGB II in Höhe von weiteren 3.100 Euro spielt mangels eigenem Vermögen der Klägerin zu 3 keine Rolle.

95

In Folge der Rückwirkung des Antrags auf den 01.11.2015 sind nach diesem Zeitpunkt durch die Kläger erzielte Vermögenszuwächse im jeweiligen Zuflussmonat als Einkommen im Sinne des § 11 SGB II zu behandeln. Der kumulierte Vermögensfreibetrag des Klägers zu 1 und der Klägerin zu 2 wurde durchgehend seit dem 01.11.2015 bis mindestens zum 31.03.2016 deutlich unterschritten.

96

2.5.3 Die Kläger verfügen jedoch über anzurechnendes Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II, das den Bedarf mindert und zeitweilig vollständig deckt.

97

Als Einkommen zu berücksichtigen ist für den Monat November 2015 das Arbeitsentgelt aus der Beschäftigung des Klägers zu 1 in Höhe von 807,20 Euro. Hiervon ist ein Freibetrag nach § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II in Höhe von 100 Euro abzusetzen und nach § 11b Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB II ein weiterer Freibetrag in Höhe von 141,44 Euro, mithin ein Gesamtfreibetrag von 241,44 Euro. Hieraus ergibt sich ein anzurechnendes Einkommen aus Erwerbstätigkeit in Höhe von 665,76 Euro. Hinzu kommt – vorbehaltlich einer abweichenden abschließenden rechtlichen Würdigung – die Zahlung von 175 Euro durch Frau …. am 11.11.2015, so dass sich für den Zeitraum vom 01.11.2015 bis zum 30.11.2015 ein anzurechnendes Gesamteinkommen des Klägers zu 1 von 840,76 Euro errechnet. Das Einkommen der Klägerin zu 2 aus Kindergeld ist nach § 11 Abs. 1 Satz 4 SGB II in Höhe von 188 Euro vollständig bei der Klägerin zu 3 anzurechnen, da es zur Sicherung des Lebensunterhalts der Klägerin zu 3 benötigt wird. Das insgesamt somit maximal zu berücksichtigende Einkommen von 1.028,76 Euro reicht zur Deckung des Gesamtbedarfs von 1.404 Euro nicht aus.

98

Im Monat Dezember 2015 ist als Einkommen die an den Kläger zu 1 gezahlte Vergütung in Höhe von 203,42 Euro zu berücksichtigen. Nach Abzug des Freibetrags nach § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II in Höhe von 100 Euro und des Freibetrags nach § 11b Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB II in Höhe von 20,68 Euro verbleibt ein anzurechnendes Einkommen von 82,74 Euro. Weitere Einnahmen hatten die Kläger in diesem Monat nicht, insbesondere wurde in diesem Monat kein Kindergeld ausgezahlt. Das Einkommen reicht zur Deckung des Gesamtbedarfs von 1.404 Euro nicht aus.

99

Als Einkommen des Klägers zu 1 für den Monat Januar 2016 ist zunächst die Vergütung in Höhe von 291,31 Euro zu berücksichtigen. Nach Abzug des Freibetrags nach § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II in Höhe von 100 Euro und des Freibetrags nach § 11b Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB II in Höhe von 38,26 Euro verbleibt ein anzurechnendes Einkommen von 153,05 Euro. Im Monat Januar 2016 ist darüber hinaus die Zahlung von Kindergeld in Höhe von 566 Euro als Einkommen zu berücksichtigen. Der Bedarf der Klägerin zu 3 (237 Euro bzw. 387 Euro) wird hierdurch gemäß der Zuordnungsregel des § 11 Abs. 1 Satz 4 SGB II vollständig gedeckt, so dass die Klägerin zu 3 für den Zeitraum vom 01.01.2016 bis zum 31.01.2016 keinen Anspruch auf Sozialgeld hat. Der Differenzbetrag von 329 Euro (179 Euro) ist als Einkommen der Klägerin zu 2 nach Abzug der Versicherungspauschale von 30 Euro nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) in Höhe von 299 Euro (149 Euro) zu berücksichtigen. Das zur Anrechnung bei dem Kläger zu 1 und der Klägerin zu 2 insgesamt zu berücksichtigende Einkommen in Höhe von 452,05 (302,05 Euro) reicht zur Deckung des Bedarfs des Klägers zu 1 und der Klägerin zu 2 in Höhe von zusammen 1.178 Euro (1.028 Euro) nicht aus.

100

Im Monat Februar 2016 ist als Einkommen des Klägers zu 1 Arbeitslosengeld I in Höhe von 1.571,40 Euro als laufende Einnahme im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 1 SGB II zu berücksichtigen. Für die Qualifizierung einer Einnahme als laufende Einnahme reicht es aus, wenn sie in einem Gesamtbetrag erbracht wird, aber nach dem zu Grunde liegenden Rechtsgrund regelmäßig zu erbringen gewesen wäre (BSG, Urteil vom 24.04.2015 – B 4 AS 32/14 R – Rn. 16). Dies ist vorliegend der Fall, weil dem Kläger zu 1 im Februar 2016 Arbeitslosengeld für insgesamt drei Monate ausgezahlt wurde. Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 SGB II ist das im Februar 2016 ausgezahlte Arbeitslosengeld daher vollständig und ausschließlich im Februar 2016 als Einkommen auf den Bedarf der Kläger anzurechnen. Eine Versicherungspauschale nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-V ist nicht abzusetzen, weil bei dem Kläger zu 1 im Februar 2016 auch Einnahmen aus Erwerbstätigkeit in Höhe von 166,35 Euro zu berücksichtigen sind. Hiervon ist ein Freibetrag nach § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II in Höhe von 100 Euro abzusetzen und nach § 11b Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB II ein weiterer Freibetrag in Höhe von 13,27 Euro, folglich ein Gesamtfreibetrag von 113,27 Euro. Hieraus ergibt sich ein anzurechnendes Einkommen aus Erwerbstätigkeit in Höhe von 53,08 Euro. Der Erwerbstätigenfreibetrag nach § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II enthält bereits den Absetzbetrag für Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II, so dass für eine zusätzliche Heranziehung der Versicherungspauschale nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-V bei den Einnahmen aus Arbeitslosengeld kein Raum bleibt. Des Weiteren ist im Februar 2016 bei der Klägerin zu 3 Einkommen aus Kindergeld in Höhe von 190 Euro zu berücksichtigen. Die Auszahlung von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt durch die Beigeladene in Höhe von 1.102,58 Euro im Februar 2016 ist bei der Einkommensanrechnung nicht zu berücksichtigen, da diese in Ausführung der Verpflichtung zur vorläufigen Leistung durch den Beschluss des SG Mainz vom 27.01.2016 (S 11 AS 7/16 ER) erfolgte. Das anzurechnende Gesamteinkommen beträgt somit 1.814,48 Euro. Der Gesamtbedarf der Kläger in Höhe von 1.415 Euro ist durch das Einkommen der Kläger im Februar 2016 daher gedeckt. Da es sich bei sämtlichen im Monat Februar 2016 zufließenden Einnahmen (Arbeitslosengeld, Arbeitsentgelt, Kindergeld) um laufende Einnahmen im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 1 SGB II handelt, ist das Einkommen trotz Bedarfsdeckung nicht nach § 11 Abs. 3 Satz 3 SGB II über einen Zeitraum von sechs Monaten gleichmäßig zu verteilen (vgl. Söhngen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Auflage 2015, § 11, Rn. 70.2, Stand 28.12.2015). Die rechnerische Bedarfsdeckung führt vielmehr dazu, dass die Kläger für den Zeitraum vom 01.02.2016 bis zum 29.02.2016 mangels Hilfebedürftigkeit unabhängig von der ersten Vorlagefrage keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II haben.

101

Im Monat März 2016 ist als Einkommen des Klägers zu 1 Arbeitslosengeld I in Höhe von 523,80 Euro zu berücksichtigen. Weiter erhielt der Kläger eine Vergütung in Höhe von 166,35 Euro. Hiervon ist ein Freibetrag nach § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II in Höhe von 100 Euro abzusetzen und nach § 11b Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB II ein weiterer Freibetrag in Höhe von 13,27 Euro, folglich ein Gesamtfreibetrag von 113,27 Euro. Hieraus ergibt sich ein anzurechnendes Einkommen aus Erwerbstätigkeit in Höhe von 53,08 Euro. Die Klägerin zu 2 erhielt eine Kindergeldzahlung in Höhe von 190 Euro. Das anzurechnende Gesamteinkommen von 766,88 Euro reicht zur Deckung des Gesamtbedarfs von 1.415 Euro nicht aus.

102

2.5.4 Das Gericht hat keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger entgegen ihrer Erklärung seit dem 01.11.2015 weitere Einnahmen aus anderen Quellen gehabt haben könnten.

103

Der Kläger zu 1 hat insbesondere glaubhaft versichert, dass er zu keinem Zeitpunkt Zahlungen von Frau ….. erhalten hat. Darauf, ob die Verpflichtungserklärung vom 06.10.2011 – die sich ohnehin nur auf den Kläger zu 1 bezieht – weiterhin Bestand hat oder beispielsweise auf Grund des Wechsels des Aufenthaltszwecks mit dem Ende des Studiums zwischenzeitlich entfallen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.11.1998 – 1 C 33/97 – Rn. 34), kommt es daher vorliegend nicht an. Im Übrigen verschafft eine Verpflichtungserklärung nach § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG lediglich eine Regressmöglichkeit für die öffentliche Hand, nicht jedoch einen unmittelbaren Unterhaltsanspruch des Aufenthaltsberechtigten gegen den Erklärenden (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 09.10.2015 – L 5 AS 643/15 B ER – Rn. 30), so dass auch kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich ist, dass der Kläger zu 1 einen zivilrechtlichen Anspruch auf Unterhaltsleistungen gegen Frau …..haben könnte.

104

Die Kläger haben neben den bei der Einkommensanrechnung berücksichtigten keine weiteren Sozialleistungen erhalten. Einen Anspruch auf Kinderzuschlag nach § 6a Bundeskindergeldgesetz (BKGG) hatten die Kläger jedenfalls bis zum 31.03.2016 nicht, da selbst bei Gewährung des Höchstbetrags nach § 6a Abs. 2 Satz 1 BKGG von 140 Euro die Hilfebedürftigkeit in den Monaten, in denen sie vorlag, nicht nach dem Maßstab des § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BKGG vermieden worden wäre.

105

2.6 Abgesehen von den als verfassungswidrig gerügten Vorschriften des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II und des § 7 Abs. 5 SGB II sind die Kläger nicht aus anderen Gründen von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.

106

2.6.1 Der Kläger zu 1 und die Klägerin zu 2 sind nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II von der Leistungsberechtigung ausgenommen, da sie sich bereits länger als drei Monate in Deutschland aufhalten.

107

Sie sind auch nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II ausgeschlossen, da sie nicht Leistungsberechtigte nach § 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) sind. Insbesondere sind sie nicht vollziehbar ausreisepflichtig im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG und waren dies zu keinem Zeitpunkt seit dem 01.11.2015, da sie stets über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 16 Abs. 1 AufenthG, nach § 16 Abs. 4 AufenthG (Kläger zu 1) oder nach § 30 AufenthG (Klägerin zu 2) verfügten.

108

Ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II ergibt sich auch nicht daraus, dass die Kläger einen Anspruch auf Leistungen nach dem AsylbLG in analoger Anwendung haben könnten. Selbst wenn man eine analoge Heranziehung entgegen der im Folgenden noch zu begründenden Überzeugung der erkennenden Kammer zur der Leistungsansprüche des AsylbLG zur Vermeidung eines Verstoßes gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums für möglich hielte (so z.B. Pattar in Klinger/Kunkel/Pattar/Peters, Existenzsicherungsrecht, S. 117 f., 3. Auflage 2012), würde hieraus nicht folgen, dass der auf diese Weise berechtigte Personenkreis im regelungstechnischen Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II leistungsberechtigt nach § 1 AsylbLG wäre. Denn die Voraussetzungen für eine Leistungsberechtigung nach § 1 AsylbLG lägen gerade nicht vor. Um einen Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II auch für diesen Personenkreis anzunehmen, bedürfte es daher einer weiteren analogen Anwendung dieser Vorschrift für Personen, die nach dem AsylbLG analog leistungsberechtigt wären. Für eine solche doppelte Analogie ist kein Sachgrund erkennbar, weil der betroffene Personenkreis gerade wegen eines ohnehin schon vorhandenen Leistungsausschlussgrundes auf Leistungen nach dem AsylbLG analog verwiesen würde.

109

2.6.2 Die Kläger sind auch nicht nach § 7 Abs. 4 SGB II oder § 77 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 7 Abs. 4a SGB II a.F. von den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen.

110

2.6.3 Seit dem 19.11.2015 ist der Kläger zu 1 auch nicht mehr gemäß § 7 Abs. 5 SGB II von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Bis zum 23.11.2015 waren die Kläger wiederum nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, weil der Kläger zu 1 über ein Aufenthaltsrecht zum Zweck des Studiums nach § 16 Abs. 1 AufenthG und die Klägerinnen zu 2 und 3 über hieraus abgeleitete Aufenthaltsrechte verfügten.

111

3. Die Gültigkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist für die durch das Gericht zu treffende Sachentscheidung über die Ansprüche der Kläger entscheidungserheblich. Das Gleiche gilt für die Gültigkeit des § 7 Abs. 5 SGB II.

112

3.1 Entscheidungserheblichkeit im Sinne des Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG liegt vor, wenn bei Gültigkeit der Vorschrift ein Entscheidungsspektrum eröffnet wird, das eine Abweichung von der Entscheidung bei Nichtigkeit der Vorschrift (3.2) ermöglicht (SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 12.12.2014 – S 3 AS 130/14 – Rn. 127).

113

3.1.1 Im Falle der Gültigkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II wäre die Klage für die Zeit ab dem 24.11.2015 hinsichtlich des Hauptantrags (Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von Leistungen nach dem SGB II an die Kläger) abzuweisen.

114

Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sind Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen.

115

a) Der Kläger zu 1 wäre seit dem 24.11.2015 nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von den Leistungen nach dem SGB II ausgenommen.

116

Die Ausschlussregelung erfasst auch Ausländer, die – wie der Kläger zu 1 – über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 16 Abs. 4 AufenthG verfügen (so auchWolff-Dellen in Löns/Herold-Tews, SGB II, § 7 Rn. 11, 3. Auflage 2011; Thie in LPK-SGB II, § 7 Rn. 27, 5. Auflage 2013¸ Hänlein in: Gagel, SGB II, § 7 Rn. 71, beck-online; Leopold in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Auflage 2015, § 7 Rn. 93, Stand 14.03.2016; SG Mainz, Beschluss vom 27.01.2016 – S 11 AS 7/16 ER – nicht veröffentlicht; in diesem Sinne auch die Beschlussempfehlung des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales: BT-Drucks. 16/688, S. 13).

117

Nach § 16 Abs. 1 Satz 1 AufenthG in der Fassung vom 29.08.2013 kann einem Ausländer zum Zweck des Studiums an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule oder vergleichbaren Ausbildungseinrichtung eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Nach § 16 Abs. 1 Satz 2 AufenthG umfasst der Aufenthaltszweck des Studiums auch studienvorbereitende Maßnahmen. Nach § 16 Abs. 4 Satz 1 AufenthG kann die Aufenthaltserlaubnis nach erfolgreichem Abschluss des Studiums für bis zu 18 Monate zur Suche eines diesem Abschluss angemessenen Arbeitsplatzes, sofern er nach den Bestimmungen der §§ 18, 19, 19a und 21 AufenthG von Ausländern besetzt werden darf, verlängert werden. Gemäß § 16 Abs. 4 Satz 2 AufenthG berechtigt die Aufenthaltserlaubnis während dieses Zeitraums zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Aus dem Wortlaut des § 16 Abs. 4 Satz 1 AufenthG geht mithin hervor, dass der nach dieser Vorschrift verliehene Aufenthaltstitel zum Zwecke der Suche eines Arbeitsplatzes erteilt wird.

118

Die Auffassung von Brühl/Schoch (in: LPK-SGB II, 3. Auflage 2009, § 7 Rn. 34; implizit aufgegeben in der Folgeauflage durch Thie/Schoch in: LPK-SGB II, 4. Auflage 2011, § 7 Rn. 27), dass es bei den genannten Drittstaatsangehörigen kein Aufenthaltsrecht allein zum Zweck der Arbeitsuche gebe (Verweis auf §§ 4-6, 16-38a AufenthG) und dies auch für die Aufenthaltserlaubnis nach erfolgreichem Studienabschluss nach § 16 Abs. 4 AufenthG, die einen Annex des Aufenthaltsrechts zum Zweck der Ausbildung darstelle, gelten dürfte, trifft nicht zu. Dass das vorherige Vorliegen einer Aufenthaltserlaubnis nach § 16 Abs. 1 AufenthG Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 16 Abs. 4 AufenthG ist, führt nicht dazu, dass Letztere weiterhin zum Zwecke des Studiums erteilt wird. Die Verlängerung des Aufenthaltsrechts nach erfolgreichem Studium gemäß § 16 Abs. 4 AufenthG dient gerade nicht mehr der Ausbildung, sondern der Arbeitsplatzsuche. Für andere bzw. weitere Zwecksetzungen gibt der Wortlaut des § 16 Abs. 4 AufenthG keine Anhaltspunkte. Dass hierbei eine Erwerbstätigkeit gestattet wird, führt nicht dazu, dass die Ausübung einer Erwerbstätigkeit selbst zum Zweck dieses Aufenthaltsrechts wird. Auch wirkt der Aufenthaltszweck der Durchführung eines Studiums nach § 16 Abs. 1 AufenthG nicht im Aufenthaltsrecht nach § 16 Abs. 4 AufenthG fort. Dieser Zweck wurde in diesen Fällen bereits erreicht und hat sich erledigt, weshalb zur anschließenden Arbeitsplatzsuche ein anderer Aufenthaltstitel erforderlich wird. Mit der Möglichkeit, die Aufenthaltserlaubnis nach § 16 Abs. 1 AufenthG zur Arbeitsplatzsuche um bis zu 18 Monate zu verlängern ist mithin ein Wechsel des Aufenthaltszwecks verbunden (Christ in Kluth/Heusch, BeckOK-AuslR, § 16 AufenthG Rn. 51, beck-online, Stand 01.11.2015).

119

Auch der Wortlaut des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Ausschluss nicht greifen soll, wenn zu einem früheren Zeitpunkt oder auch unmittelbar vor Erlangung des Aufenthaltsrechts zur Arbeitsuche ein Aufenthaltsrecht zu anderen Zwecken bestand. Hieran ändert auch die Tatsache nichts, dass es sich bei dem betroffenen Personenkreis weder um EU-Bürger handelt, auf die die Ausschlussmöglichkeit der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (RL 2004/38/EG), abzielt, noch eine Einreise zum Zwecke der Arbeitssuche vorgelegen haben muss (vgl. Brandmayer in: BeckOK-SGB II, § 7 Rn. 9, beck-online, Stand: 01.12.2015).

120

Ob der Kläger zu 1 die materiellen Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht erfüllt, das nicht dem Zweck der Arbeitsuche dient – wofür es keine tatsächlichen Anhaltspunkte gibt –, ist vorliegend unerheblich. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bedürfen Ausländer für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, sofern nicht durch Recht der EU oder durch Rechtsverordnung etwas Anderes bestimmt ist oder auf Grund des Assoziationsabkommens EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht besteht. Dementsprechend besteht ein Aufenthaltsrecht außer in den zuletzt genannten Fällen erst dann, wenn ein Aufenthaltstitel erteilt wurde und nicht bereits ab dem Zeitpunkt, an dem die tatsächlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen.

121

Anders als potenziell bei Unionsbürgern, deren Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer sich bei unfreiwilliger, durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) verlängern kann (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27.10.2015 – L 20 AS 2197/15 B ER – Rn. 8 ff.), ändert die Arbeitslosigkeit und der Arbeitslosengeldbezug des Klägers zu 1 nichts an dem Zweck des ihm erteilten Aufenthaltstitels.

122

Die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sind im Falle des Klägers zu 1 ab dem 24.11.2015 mithin erfüllt.

123

b) Die Klägerin zu 2 wäre als Familienangehörige des Klägers zu 1 ebenfalls gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II seit dem 24.11.2015 von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.

124

Familienangehörige im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sind Personen, die zu der Person, die über ein Aufenthaltsrecht allein zum Zweck der Arbeitsuche verfügt, in einem Verwandtschaftsverhältnis stehen und über ein Aufenthaltsrecht allein auf Grund des Verwandtschaftsverhältnisses zu der Person mit Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitsuche verfügen. Sofern die erste Person ein Aufenthaltsrecht aus § 2 Abs. 2 Nr. 2a FreizügG/EU verfügt, ergibt sich der vom Leistungsausschluss mitbetroffene Kreis der Familienangehörigen aus einzelnen Tatbeständen des § 3 FreizügG/EU. Sofern die erste Person über eine Aufenthaltserlaubnis aus § 16 Abs. 4 AufenthG oder § 18c AufenthG verfügt, ergibt sich der Kreis der mitbetroffenen Familienangehörigen aus den Regelungen zum Familiennachzug gemäß §§ 27, 30, 32, 33 AufenthG. Ausgenommen sind wiederum diejenigen Familienangehörigen, die über ein eigenständiges, d.h. nicht dem Aufenthaltsrecht der ersten Person gemäß § 27 Abs. 4 Satz 1 AufenthG akzessorisches Aufenthaltsrecht beispielsweise nach den §§ 31, 34 Abs. 2 oder 35 AufenthG verfügen.

125

Die Klägerin zu 2 verfügt als Ehefrau des Klägers zu 1 über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 30 AufenthG in Abhängigkeit vom Aufenthaltstitel des Klägers zu 1. Ob die Klägerin zu 2 die materiellen Voraussetzungen für ein vom Aufenthaltstitel des Klägers zu 1 unabhängiges Aufenthaltsrecht erfüllt, das seinerseits nicht dem Zweck der Arbeitsuche dient – wofür es keine tatsächlichen Anhaltspunkte gibt –, ist vorliegend wiederum unerheblich (s.o. unter a).

126

Die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sind im Falle der Klägerin zu 2 ab dem 24.11.2015 mithin ebenfalls erfüllt.

127

c) Die Klägerin zu 3 wäre im Falle der Gültigkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, da sie in diesem Fall nicht als Angehörige mindestens eines erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II leben würde.

128

d) Den Klägern kommt der Umstand nicht zu Gute, dass der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auf Grund des Verstoßes gegen zwingendes und unmittelbar geltendes Recht der Europäischen Union bei Unionsbürgern nicht anzuwenden ist. Die Regelung verstößt zwar gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO (EG) 883/2004). Der Gleichheitsverstoß kann nicht durch die Möglichkeiten, den Zugang zu nationalen System der Sozialhilfe auch für Unionsbürger zu beschränken (vgl. Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG) gerechtfertigt werden (SG Mainz, Beschluss vom 12.11.2015 – S 12 AS 946/15 ER – Rn. 41 ff.; a.A. ohne nähere Begründung: EuGH, Urteil vom 15.09.2015 – C-67/14 – Rn. 63, dem die meisten Spruchkörper der Sozialgerichtsbarkeit ohne weitere sachliche Auseinandersetzung folgen). Die Kläger unterfallen, da sie nicht Staatsangehörige eines (anderen) EU-Mitgliedstaates (bzw. eines der übrigen EWR-Staaten oder der Schweiz, vgl.Hauschild in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 2. Auflage 2011, Art. 2 VO (EG) 883/2004, Rn. 27.1, Stand 26.01.2015) sind, gemäß Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 jedoch nicht dem persönlichen Geltungsbereich der Verordnung.

129

e) Die VO (EG) 883/2004 findet bei den Klägern auch nicht auf Grund von Art. 1 VO (EG) 1231/2010 Anwendung. Nach dieser Vorschrift gilt u.a. die VO (EG) 883/2004 auch für Drittstaatsangehörige, die ausschließlich auf Grund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter die genannte Verordnung fallen, sowie für ihre Familienangehörigen und ihre Hinterbliebenen, wenn sie ihren rechtmäßigen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben und sich „in einer Lage befinden, die nicht ausschließlich einen einzigen Mitgliedstaat betrifft“. Unbeschadet der Unbestimmtheit der Regelung im Hinblick auf die nicht ausschließlich einen einzigen Mitgliedstaat betreffenden Lage (vgl. Bokeloh, ZESAR 2016, S. 71), sind die Voraussetzungen des Art. 1 VO (EG) 1231/2010 im Fall der Kläger nicht gegeben, da diese über keinerlei rechtliche Beziehungen zu anderen EU-Mitgliedstaaten (bzw. zu den anderen EWR-Staaten oder der Schweiz) verfügen.

130

3.1.2 Im Falle der Gültigkeit des § 7 Abs. 5 SGB II wäre die Klage des Klägers zu 1 für den Zeitraum vom 01.11.2015 bis zum 18.11.2015 abzuweisen.

131

a) Nach § 7 Abs. 5 SGB II in der seit dem 01.04.2012 geltenden Fassung haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) oder der §§ 51, 57 und 58 des SGB III dem Grunde nach förderungsfähig ist, über die Leistungen nach § 27 SGB II hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.

132

Auf Grund dessen, dass das Bezugswort zum Terminus „dem Grunde nach förderungsfähig“ in § 7 Abs. 5 SGB II „Ausbildung“ und nicht etwa „Auszubildende“ ist, kommt es für das Eingreifen des Ausschlusstatbestands nicht darauf an, ob im Einzelfall tatsächlich eine Förderung nach dem BAföG oder dem SGB III erfolgt (so im Ergebnis auch BSG, Urteil vom 06.08.2014 – B 4 AS 55/13 R – Rn. 17 m.w.N.). Das Fehlen individueller Voraussetzungen für eine Förderung ist unerheblich und ändert nichts an der Förderungsfähigkeit dem Grunde nach, auch wenn Auszubildende keine Leistungen nach dem BAföG erhalten, z.B. wegen mangelnder Eignung (§ 9 BAföG), wegen Überschreitens der Altersgrenze (§ 10 BAföG), bei Überschreiten der Förderungshöchstdauer (§ 15a BAföG) oder wegen des Fehlens der Voraussetzungen für die Förderung einer weiteren Ausbildung bei einem nach Maßgabe des Gesetzes unbegründeten Ausbildungs- und Fachrichtungswechsel (§ 7 Abs. 2, 3 BAföG). Die Ausbildung eines ausländischen Studenten ist dem Grunde nach förderungsfähig, auch wenn er tatsächlich keine Ausbildungsförderung erhält, weil er – wie der Kläger zu 1 – die in § 8 BAföG aufgeführten aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt (Leopold in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Auflage 2015, § 7 Rn. 297, Stand 14.03.2016).

133

b) Bei dem Kläger zu 1 liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für diesen Leistungsausschluss für den Zeitraum vom 01.11.2015 bis zum 18.11.2015 vor.

134

Das Studium der Humanmedizin an der Universität …., einer staatlichen Hochschule im Inland, gehört nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BAföG zu den nach dem BAföG förderungsfähigen Ausbildungen.

135

Nach § 15b Abs. 3 Satz 1 BAföG endet die Ausbildung mit dem Bestehen der Abschlussprüfung des Ausbildungsabschnitts oder, wenn eine solche nicht vorgesehen ist, mit der tatsächlichen planmäßigen Beendigung des Ausbildungsabschnitts. Hiervon abweichend ist nach § 15b Abs. 3 Satz 2 BAföG, sofern ein Prüfungs- oder Abgangszeugnis erteilt wird, das Datum dieses Zeugnisses maßgebend; für den Abschluss einer Hochschulausbildung ist stets der Zeitpunkt des letzten Prüfungsteils maßgebend. Auf den Zeitpunkt der Exmatrikulation (vorliegend der 14.12.2015) kommt es demnach nicht an.

136

Die dem Grunde nach durch Leistungen des BAföG förderungsfähige Ausbildung des Klägers zu 1 ist demnach seit dem 18.11.2015 beendet und der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II bis zu diesem Zeitpunkt begrenzt.

137

c) Eine Rückausnahme nach § 7 Abs. 6 SGB II liegt im Falle des Klägers zu 1 nicht vor. Der Kläger hat insbesondere nicht im Sinne des § 7 Abs. 6 Nr. 1 SGB II auf Grund des § 2 Abs. 1a BAföG keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung, weil er keine Ausbildungsstätte nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 BAföG (weiterführende allgemeinbildenden Schulen und Berufsfachschulen) besucht hat. Der Bedarf des Klägers würde sich nicht entsprechend § 7 Abs. 6 Nr. 2 SGB II nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 BAföG bemessen, weil der Kläger keine Berufsfachschule oder Fachschulklasse besucht hat. Auch § 7 Abs. 6 Nr. 3 SGB II greift nicht, weil der Kläger zu 1 keine der dort genannten Abendschultypen besucht hat. Die an nach dem SGB III förderungsfähige Ausbildungen anknüpfenden Rückausnahmen in § 7 Abs. 6 SGB II sind für das Hochschulstudium des Klägers zu 1 ebenfalls nicht einschlägig.

138

d) Der Kläger zu 1 hat weder einen Anspruch auf Leistungen in Höhe der Mehrbedarfe nach § 27 Abs. 2 SGB II i.V.m. § 21 Abs. 2, Abs. 3, Abs. 5 oder Abs. 6 SGB II noch gegenwärtig auf Erstausstattungsleistungen nach § 27 Abs. 2 SGB II i.V.m. § 24 Abs. 3 Nr. 2 SGB II.

139

Ergänzende Leistungen gemäß § 27 Abs. 3 SGB II kommen ebenfalls nicht in Betracht, weil der Kläger zu 1 in der Zeit vom 01.11.2015 bis zum 18.11.2015 weder Berufsausbildungsbeihilfe oder Ausbildungsgeld nach dem SGB III oder Leistungen nach dem BAföG erhalten hat, noch diese Leistungen nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten hat.

140

e) Der Kläger zu 1 begehrt im vorliegenden Verfahren die zuschussweise Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II, so dass auch die theoretische Möglichkeit, Darlehensleistungen nach § 27 Abs. 4 Satz 1 SGB II für Regelbedarfe, Bedarfe für Unterkunft und Heizung und notwendige Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung auf Grund einer Ermessensentscheidung zu erhalten, sofern der Leistungsausschluss nach § 7 Absatz 5 SGB II eine besondere Härte bedeuten würde, an der (teilweisen) Klageabweisung für den Fall der Gültigkeit des § 7 Abs. 5 SGB II nichts ändern würde. Im Übrigen wäre hier wohl das Vorliegen einer besonderen Härte zu verneinen, weil der Kläger zu 1 zum Zeitpunkt der Wirkung der Antragstellung am 01.11.2015 noch über ausreichendes Vermögen verfügte, um sein Studium erfolgreich abschließen zu können (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13.08.2008 – L 34 B 1550/08 AS ER – Rn. 8; BSG, Urteil vom 02.04.2014 – B 4 AS 26/13 R – Rn. 46). Die begehrte Verurteilung zur Leistung könnte selbst bei Annahme eines besonderen Härtefalls nur unter der Voraussetzung einer Ermessensreduzierung auf Null erfolgen, die bereits auf Grund des noch vorhandenen Schonvermögens nicht in Betracht kommt.

141

3.2 Der Kläger zu 1 hätte für den Fall, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II für nichtig erklärt würde einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.11.2015 bis zum 18.11.2015. Für die Zeit vom 19.11.2015 bis zum 23.11.2015 hat er unabhängig von den Vorlagefragen einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II. Für die Zeit vom 24.11.2015 bis zum 31.01.2016 und für den Zeitraum vom 01.03.2016 bis mindestens zum 31.03.2016 hätte er für den Fall, dass § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II für nichtig erklärt würde, ebenfalls einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II.

142

Die Klägerin zu 2 hat für den Zeitraum vom 01.11.2015 bis zum 23.11.2015 einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II. Für den Fall, dass § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II für nichtig erklärt würde, hätte sie für die Zeit vom 24.11.2015 bis zum 31.01.2016 und für den Zeitraum vom 01.03.2016 bis mindestens zum 31.03.2016 ebenfalls einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II.

143

Die Klägerin zu 3 hat für den Zeitraum vom 01.11.2015 bis zum 23.11.2015 einen Anspruch auf Sozialgeld gemäß §§ 7 Abs. 2, 19 Abs. 1 Satz 2 SGB II. Für den Fall, dass § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II für nichtig erklärt würde, hätte sie für die Zeit vom 24.11.2015 bis zum 31.12.2015 und für die Zeit vom 01.03.2016 bis mindestens zum 31.03.2016 ebenfalls einen Anspruch auf Sozialgeld.

144

4. Die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen wird ferner nicht dadurch beseitigt, dass der streitgegenständliche Bescheid aus einem anderen Rechtsgrund aufzuheben wäre und/oder den Klägern aus anderen Rechtsgründen Leistungen nach dem SGB II seit dem 01.11.2015 zustehen könnten. Insbesondere liegen weder wirksame Bewilligungsbescheide noch Zusicherungen im Sinne des § 34 SGB X vor, die den Beklagten unabhängig von der materiellen Rechtslage zur Gewährung von Leistungen nach dem SGB II an die Kläger verpflichten könnten.

145

5. Die im Rahmen der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit relevante Frage, ob nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II oder nach § 7 Abs. 5 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossene Personen – insbesondere auch die Kläger – Ansprüche auf Leistungen nach dem SGB XII oder nach dem AsylbLG haben können, berührt die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen nicht. Denn in einem solchen Fall hätte die durch das Gericht zu treffende Entscheidung einen anderen Inhalt. An Stelle des Beklagten wäre die Beigeladene zu einer anderen als der im Hauptantrag begehrten Leistung zu verurteilen. Insbesondere im Hinblick auf unterschiedliche Einkommens- und Vermögensanrechnungsvorschriften wären Leistungen in insgesamt niedrigerer Höhe und unter abweichender Verteilung zwischen den Klägern zu gewähren.

146

6. Im Falle der Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II wäre der Beklagte daher unter (Teil-)Aufhebung des Bescheids vom 15.12.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.01.2016 dem Grunde nach (§ 130 Abs. 1 Satz 1 SGG) zur Zahlung von Arbeitslosengeld II an den Kläger zu 1 und die Klägerin zu 2 für den Zeitraum vom 24.11.2015 bis zum 31.01.2016 und vom 01.03.2016 bis mindestens zum 31.03.2016 sowie zur Zahlung von Sozialgeld an die Klägerin zu 3 für den Zeitraum vom 24.11.2015 bis zum 31.12.2015 und vom 01.03.2016 bis mindestens zum 31.03.2016 zu verurteilen, da die Anspruchsvoraussetzungen im Übrigen gegeben sind.

147

Im Falle der Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit auch des § 7 Abs. 5 SGB II wäre der Beklagte unter (Teil-)Aufhebung des Bescheids vom 15.12.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.01.2016 dem Grunde nach zur Zahlung von Arbeitslosengeld II an den Kläger zu 1 für den Zeitraum vom 01.11.2015 bis zum 18.11.2015 zu verurteilen.

148

Unabhängig vom Ausgang des Vorlageverfahrens wird der Beklagte unter (Teil-) Aufhebung des Bescheids vom 15.12.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.01.2015 dem Grunde nach zur Zahlung von Arbeitslosengeld II an die Klägerin zu 2 und zur Zahlung von Sozialgeld an die Klägerin zu 3 für den Zeitraum vom 01.11.2015 bis zum 23.11.2015 zu verurteilen sein. Denn in diesem Zeitraum verfügte der Kläger zu 1 noch über ein Aufenthaltsrecht zum Zwecke des Studiums nach § 16 Abs. 1 AufenthG, so dass die Klägerin zu 2 nicht als dessen Familienangehörige nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von den Leistungen nach dem SGB II ausgenommen war. Der Leistungsausschluss des Klägers zu 1 nach § 7 Abs. 5 SGB II gilt anders als der Ausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht auch für Familienangehörige. Die Klägerin zu 3 hat für diese Zeit einen Anspruch auf Sozialgeld jedenfalls auf Grund ihrer Zugehörigkeit zur Bedarfsgemeinschaft der Klägerin zu 2 nach § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II.

149

Unabhängig vom Ausgang des Vorlageverfahrens wird die Klage abzuweisen sein, soweit die Klägerin zu 3 die Zahlung von Sozialgeld für den Zeitraum vom 01.01.2016 bis zum 31.01.2016 begehrt und soweit alle Kläger Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.02.2016 bis zum 29.02.2016 begehren.

150

7. Die erste Vorlagefrage ist somit entscheidungserheblich im Sinne des Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG, da die Klage im Falle der Gültigkeit des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II für den Zeitraum ab dem 24.11.2015 für alle Kläger abzuweisen wäre, bei Nichtigkeit der Vorschrift der Klage für den Kläger zu 1 und die Klägerin zu 2 jedenfalls für den Zeitraum vom 24.11.2015 bis zum 31.03.2016 und für die Klägerin zu 3 für den Zeitraum vom 24.11.2015 bis zum 31.12.2015 und für den Zeitraum vom 01.02.2016 bis zum 31.03.2016 hingegen stattzugeben wäre.

151

Die zweite Vorlagefrage ist entscheidungserheblich im Sinne des Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG, da die Klage im Falle der Gültigkeit des § 7 Abs. 5 SGB II für den Zeitraum vom 01.11.2015 bis zum 18.11.2015 abzuweisen wäre, bei Nichtigkeit der Vorschrift der Klage jedoch auch für diesen Zeitraum stattzugeben wäre.

V.

152

Die Kammer ist von der Verfassungswidrigkeit der genannten Vorschriften überzeugt.

153

Die Kammer hat sich mit der Frage der Verfassungswidrigkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II (1.) und des § 7 Abs. 5 SGB II (2.) einschließlich der Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung und der zu dieser Thematik veröffentlichten Rechtsprechung und Literatur auseinandergesetzt.

154

1. Nachdem der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II zunächst vor allem im Hinblick auf dessen mögliche Europarechtswidrigkeit Gegenstand zahlreicher Gerichtsentscheidungen und rechtswissenschaftlicher Diskussionen war, steht seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 15.09.2015 (C-67/14) die Frage der Verfassungswidrigkeit der Regelung stärker im Fokus. Hierbei wurden bislang – soweit ersichtlich – ausschließlich Entscheidungen veröffentlicht, die ausländische Staatsangehörige aus Staaten der EU oder deren Familienangehörige betreffen. In der Rechtsprechung wird die Auffassung vertreten, dass § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verfassungswidrig oder zumindest verfassungsrechtlich bedenklich sei (1.1). Des Weiteren wird in verschiedenen Varianten die Auffassung vertreten, dass ein vollständiger Leistungsausschluss von ausländischen Staatsangehörigen wohl gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstieße, ein derartiger Verstoß aber durch „verfassungskonforme Auslegung“ und/oder Heranziehung anderer Normen vermieden werden könne (1.2). Eine dritte Auffassung hält mit unterschiedlichen Begründungen den Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II unabhängig von anderen existenzsichernden Ansprüchen gegen inländische Leistungsträger für verfassungsgemäß (1.3). In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird die Verfassungsmäßigkeit eines vollständigen Leistungsausschlusses von ausländischen Staatsangehörigen wie in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II überwiegend bezweifelt, jedenfalls aber für klärungsbedürftig gehalten (1.4).

155

1.1 Die Auffassung, dass § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verfassungswidrig ist, wird in dieser Klarheit – soweit anhand veröffentlichter Entscheidungen ersichtlich – bislang nur von der erkennenden Kammer und der 22. Kammer des SG Hamburg vertreten. Bereits zuvor wurden in der Rechtsprechung allerdings deutliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelung geäußert.

156

1.1.1 Der 2. Senat des LSG Sachsen-Anhalt hat im Rahmen einer Folgenabwägung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bei nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU (bis zur Feststellung der Ausländerbehörde, dass das Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht bestehe) nicht ausreisepflichtigen Antragstellern rumänischer Staatsangehörigkeit festgestellt, dass das Grundrecht auf Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums greife, solange sie sich auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (BRD) und damit im Geltungsbereich des GG aufhielten. Als Menschenrecht stehe dieses Grundrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der BRD aufhielten, gleichermaßen zu. Der objektiven Verpflichtung aus Art. 1 Abs. 1 GG korrespondiere ein individueller Leistungsanspruch, da das Grundrecht die Würde jedes einzelnen Menschen schütze und sie in solchen Notlagen nur durch materielle Unterstützung gesichert werden könne (Hinweis auf BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 – Rn. 63). Die Antragsteller (des dortigen Verfahrens) könnten zur Deckung ihres menschenwürdigen Existenzminimums nicht auf Leistungen nach § 23 SGB XII oder Leistungen nach dem AsylbLG zurückgreifen. Denn nach § 23 Abs. 3 Satz 1 XII hätten Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe, und ihre Familienangehörigen, keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Das AsylbLG gelte für die Antragsteller nicht, weil sie nicht zu dem in § 1 Abs. 1 AsylbLG genannten Personenkreis gehörten. Ob die Antragsteller möglicherweise Ansprüche auf Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII hätten, weil § 21 Satz 1 SGB XII gemeinschaftsrechtskonform dahingehend auszulegen sein könnte, dass für betroffene Unionsbürger ein Leistungsanspruch nach dem SGB II "dem Grunde nach" gerade nicht bestehe und damit der Leistungsausschluss des § 21 Satz 1 SGB XII nicht greife (Bezugnahme auf LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 02.10.2012 – 19 AS 1393/12 B ER u.a. – Rn. 71) sei zweifelhaft, wenn sich der Gesetzgeber mit der Einfügung des § 23 Abs. 3 Satz 1 XII dafür entschieden habe, Versuche, den Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II durch Rückgriff auf § 23 SGB XII zu umgehen, zu unterbinden (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 01.11.2013 – L 2 AS 841/13 B ER – Rn. 36 f.; ausdrücklich aufgegeben allerdings mit Beschluss vom 04.02.2015 – L 2 AS 14/15 B ER – Rn. 40).

157

1.1.2 Im Urteil vom 27.11.2013 weist der 6. Senat des Hessischen LSG (L 6 AS 378/12 – Rn. 63) ergänzend darauf hin, dass ein Totalausschluss von Leistungen zur Sicherung der Menschenwürde allein auf Grund einer Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit am Maßstab der Entscheidungen des BVerfG vom 07.02.2012 (1 BvL 14/07) und vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) verfassungswidrig sein dürfte.

158

In einem Beschluss vom 07.04.2015 (L 6 AS 62/15 B ER – Rn. 54) hat der 6. Senat des Hessischen LSG das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums der Ausdehnung des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II im Wege einer Analogie auf Personen, deren Aufenthalt allein auf Grund der Freizügigkeitsvermutung legal ist, entgegengehalten. Die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums müsse durch einen gesetzlichen Anspruch gesichert sein. Dies verlange bereits unmittelbar der Schutzgehalt des Art. 1 Abs. 1 GG. Ein Hilfebedürftiger dürfe nicht auf freiwillige Leistungen des Staates oder Dritter verwiesen werden, deren Erbringung nicht durch ein subjektives Recht des Hilfebedürftigen gewährleistet sei. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums müsse durch ein Parlamentsgesetz erfolgen, das einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte (Verweis auf BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09, 1 BvL 31 BvL 3/09, 1 BvL 41 BvL 4/09 – Rn. 136).

159

1.1.3 Auch der 19. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen hält in einem im Wesentlichen zusprechenden Beschluss im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes unter Bezugnahme auf das Urteil des BVerfG vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) fest, dass der Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG in die Erwägungen einzubeziehen sei, wonach das Existenzminimum eines Ausländers auch bei kurzer Aufenthaltsdauer oder kurzer Aufenthaltsperspektive in Deutschland in jedem Fall und zu jeder Zeit sichergestellt sein müsse. Dieser Anspruch könne weder auf Grund migrationspolitischer Erwägungen – zur Minimierung von Anreizen sozialleistungsmotivierter Wanderbewegungen – verringert, noch könne pauschal nach Aufenthaltstiteln differenziert werden (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.03.2015 – L 19 AS 116/15 B ER – Rn. 27).

160

1.1.4 Die vorlegende 3. Kammer des SG Mainz vertritt im Beschluss vom 02.09.2015 die Auffassung, dass § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II gegen das Grundrecht auf Gewährleistungen eines menschenwürdigen Existenzminimums verstößt (SG Mainz, Beschluss vom 02.09.2015 – S 3 AS 599/15 ER – Rn. 38 ff. mit Anmerkung Blischke, jurisPR-SozR 4/2016 Anm. 2). Die Begründung fußt im Wesentlichen darauf, dass Leistungsausschlüsse dem Grunde nach, die trotz bestehender Hilfebedürftigkeit eintreten und durch kein anderes existenzsicherndes Leistungssystem (z.B. durch Leistungen nach dem SGB XII oder nach dem AsylbLG) aufgefangen werden, per se verfassungswidrig seien, da sie evident die Gewähr dafür entzögen, ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen sei (Verweis auf SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 12.12.2014 – S 3 AS 130/14 – Rn. 219). Das Grundrecht sei – unbeschadet der Beschlüsse des BVerfG vom 03.09.2014 (1 BvR 1768/11) und vom 08.10.2014 (1 BvR 886/11) – dem Grunde nach unverfügbar und insoweit – wie es der überkommenen Dogmatik der Menschenwürdegarantie entspreche – abwägungsfest (Bezugnahme auf Baer, NZS 2014, S. 3). Als Menschenrecht stehe das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der BRD aufhielten, gleichermaßen zu. Ein völliger Ausschluss von Leistungen lasse sich nicht mit Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 GG vereinbaren. Ein Rückgriff auf die Auffangregelung des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII sei auf Grund deren systematischer Stellung ausgeschlossen. Eine verfassungskonforme Auslegung sei nur unter Beachtung der Grenzfunktion des Gesetzeswortlautes und unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik zulässig. Andernfalls würde die Verfassungskonformität der "ausgelegten" Vorschrift durch einen Verstoß gegen das Gesetzesbindungsgebot aus Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG und zugleich gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz erkauft. Der Verstoß gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums könne nicht durch einen Verweis auf die Möglichkeit der Rückkehr in den Herkunftsstaat vermieden oder gerechtfertigt werden.

161

1.1.5 Dieser Auffassung hat sich die (seinerzeit mit der 3. Kammer personalidentische) 12. Kammer des SG Mainz mit Beschluss vom 12.11.2015 (S 12 AS 946/15 ER – Rn. 61 ff.; vgl. auch Krämer, SozSich plus 2016, S. 12) unter Auseinandersetzung mit dem zwischenzeitlich ergangenen Urteil des EuGH vom 15.09.2015 (C-67/14) und der hierzu wiederum ergangenen sozialgerichtlichen Rechtsprechung angeschlossen.

162

1.1.6 Auch die 22. Kammer des SG Hamburg vertritt die Auffassung, dass der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II mit dem Grundrecht auf Sicherung des Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren ist (SG Hamburg, Beschluss vom 22.09.2015 – S 22 AS 3298/15 ER –Rn. 20 f.). Nach der maßgeblichen Rechtsprechung des BVerfG hänge der individuelle Leistungsanspruch gegen den Staat auf Sicherung des Existenzminimums nicht vom Aufenthaltsstatus, sondern lediglich vom tatsächlichen Aufenthalt im Staatsgebiet ab. Insofern könne der Antragsteller (des dortigen Verfahrens) auch nicht auf die Inanspruchnahme von existenzsichernden Sozialleistungen in dessen Herkunftsstaat Bulgarien verwiesen werden, etwa weil in allen EU-Staaten ein hinreichendes Mindestsicherungsniveau garantiert sein sollte. Denn auch eine prognostiziert kurze Aufenthaltsdauer rechtfertige keine Einschränkung des Grundrechts. Ein gegenüber dem Existenzsicherungsniveau deutscher Staatsbürger abgesenktes Leistungsniveau könne nicht durch migrationspolitische Erwägungen gerechtfertigt werden. Umso weniger könne ein einfachgesetzlicher vollständiger Entzug notwendiger Leistungen gerechtfertigt werden. Sofern den durch § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossenen Personen keine den verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechende andere Leistung zustehe, liege ein Verstoß gegen das Grundrecht auf Sicherung des Existenzminimums vor. Schließlich sei hervorzuheben, dass dem Einzelnen aus verfassungsrechtlichen Gründen einfachgesetzlich ein Leistungsanspruch einzuräumen sei. Die Einräumung einer bloßen Leistungsmöglichkeit ohne Normierung der Leistungsinhalte, beispielsweise im Rahmen einer nicht näher konkretisierten Ermessensvorschrift, sei unzureichend und damit verfassungswidrig. Dem könne nicht durchgreifend entgegengehalten werden, dass das BVerfG in einem Nichtannahmebeschluss vom 09.02.2001 (1 BvR 781/98 – Rn. 25) es unter bestimmten Bedingungen für in der Regel ausreichend gehalten habe, unabweisbare Hilfe in Form von Reise- und Verpflegungskosten zu leisten. Zum einen habe den dort betroffenen Ausländern jedenfalls andernorts im Inland ein Leistungsanspruch zugestanden. Zum anderen könne nicht davon ausgegangen werden, dass die genannte Entscheidung nach den Entscheidungen des BVerfG zur Regelleistung und zum AsylbLG noch den Stand der verfassungsrechtlichen Dogmatik wiedergebe. Vor der Entscheidung zur Regelleistung im Jahr 2010 sei noch nicht einmal geklärt gewesen, ob die Sicherung des Existenzminimums als subjektive Grundrechtsposition des Einzelnen anzusehen sei.

163

1.1.7 Der 6. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen betont im Beschluss vom 30.11.2015 (L 6 AS 1480/15 B ER, L 6 AS L 6 AS 1481/15 B – Rn. 16 ff.), dass auch nach der Entscheidung des EuGH vom 15.09.2015 (C-67/14) die mitgliedsstaatlichen Grundrechte trotz der Einschlägigkeit des Unionsrechts ihre eigenständige Funktion behielten (Hinweis auf Kingreen, NVwZ 2015, S. 1506). Auf der Grundlage gerade auch der Rechtsprechung des BVerfG bestünden berechtigte Bedenken, ob die Vorschrift des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II in der geltenden Form verfassungsgemäß sei. Denn das BVerfG habe in seiner Entscheidung zum AsylbLG (Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10,1 BvL 2/11) ausgeführt, Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG begründe einen Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als Menschenrecht, das deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhielten, gleichermaßen zustehe. Insofern müsse ein Leistungsanspruch eingeräumt werden. Soweit diesem Anspruch entgegengehalten werde, es stehe dem Antragsteller frei, in sein Heimatland zurückzukehren, habe dieser Einwand seine sozialpolitische Bedeutung, aber keinen inhaltlich-argumentativen Bezug zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Denn der Gewährleistungspflicht aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG entspreche deshalb ein Leistungsanspruch des Grundrechts-/Menschenrechtsträgers, da das Grundrecht die Würde des Einzelnen schütze und diese Würde in solchen Notlagen nur oder doch zumindest in erster Linie durch materielle Unterstützung gesichert werden könne. Der Einwand beantworte schlicht die Frage nicht, auf welche Weise und in welchem Sicherungssystem das menschenwürdige Existenzminimum bis zur Ausreise sichergestellt werde, wenn der Betroffene nicht zur Ausreise verpflichtet sei – erst die (vollziehbare) Verpflichtung zur Ausreise würde diese Ausländer dem AsylbLG als Sicherungssystem zuweisen (Hinweis auf § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG).

164

1.2 Die für das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG und andere Sozialgerichte halten die Gewährung von existenzsichernden Leistungen trotz der Ausschlussregelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II an die betroffenen Personen für möglich und gehen aus diesem Grund implizit oder ausdrücklich von der Verfassungsmäßigkeit des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II aus.

165

1.2.1 Der 16. Senat des Bayerischen LSG hält den zeitlich unbeschränkten völligen Ausschluss von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, der durch den gleich formulierten Ausschluss von Sozialhilfe in § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII flankiert werde, im Hinblick auf das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, das vom BVerfG aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG abgeleitet werde, für bedenklich (Beschluss vom 22.12.2010 – L 16 AS 767/10 B ER – Rn. 59 f.). Da es sich bei Art. 1 Abs. 1 GG um kein Grundrecht nur für Deutsche, sondern um ein Menschenrecht handele, gelte es auch für Ausländer, die sich in Deutschland aufhielten, vor allem wenn dieser Aufenthalt rechtmäßig sei. Zwar gestehe das BVerfG dem Gesetzgeber bei der Bestimmung der zur Gewährleistung dieses Existenzminimums zu erbringenden Leistungen einen Gestaltungsspielraum zu. Es frage sich aber, ob nicht der zeitlich unbegrenzte Ausschluss jeglicher Leistungen für Ausländer, die sich rechtmäßig zur Arbeitssuche in Deutschland aufhalten, in den von Art. 19 Abs. 2 GG für unantastbar erklärten Wesensgehalt dieses Grundrechts eingreife. Ob der zeitlich unbefristete Ausschluss von Leistungen an arbeitsuchende Unionsbürger mit der Begründung gerechtfertigt werden könne, dass diese auf die Inanspruchnahme entsprechender Leistungen in ihrem Heimatland verwiesen werden könnten (Hinweis auf LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26.02.2010 – L 15 AS 30/10 B ER – Rn. 30), dürfe zumindest zweifelhaft sein. Ferner sei im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) zweifelhaft, ob eine durch sachliche Gründe zu rechtfertigende Ungleichbehandlung darin liege, dass Ausländer, die vollziehbar ausreisepflichtig seien, wenigstens gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG das "reduzierte" Existenzminimum nach dem AsylbLG erhielten, dagegen Ausländer, die die Unionsbürgerschaft besäßen und sich legal in Deutschland aufhielten, gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II und § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII ohne zeitliche Begrenzung von jeglichen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen seien. Ohne sich endgültig auf eine Rechtsgrundlage festzulegen, verpflichtete der Senat den dortigen Antragsgegner zur Gewährung vorläufiger Leistungen in der nach dem AsylbLG vorgesehenen Höhe (Bayerisches LSG, Beschluss vom 22.12.2010 – L 16 AS 767/10 B ER – Rn. 69).

166

1.2.2 Der 19. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 30.05.2011 – L 19 AS 431/11 B ER – Rn. 14) weist darauf hin, dass in der Literatur mit überzeugenden Argumenten die Auffassung vertreten werde, dass selbst hilfebedürftigen Ausländern, bei denen ein Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 SGB XII bzw. eine Erwerbsunfähigkeit im Sinne von § 8 Abs. 2 SGB II vorliege, zumindest Leistungen analog § 1a AsylbLG vom Leistungsträger nach dem SGB XII zur Verfügung gestellt werden müssten, wenn sie nicht Mittel zur Ausreise erhielten. Darüber hinaus gehende Leistungen stünden im Ermessen der Sozialhilfeträger.

167

In einer späteren Entscheidung hält der 19. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Leistungsausschlusses des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II für klärungsbedürftig, jedoch im Falle des Eingreifens dieses Leistungsausschlusses in Übereinstimmung mit seiner früheren Entscheidung einen Anspruch auf Sozialhilfe im Ermessenswege für möglich, wenn dies im Einzelfall gerechtfertigt sei (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09.09.2015 – L 19 AS 1260/15 B ER – Rn. 27 und 29; ähnlich derselbe Senat mit Beschluss vom 30.09.2015 – L 19 AS 1491/15 B ER – Rn. 27 unter Hinweis auf den Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG. i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, wonach das Existenzminimum eines Ausländers auch bei kurzer Aufenthaltsdauer oder kurzer Aufenthaltsperspektive in Deutschland in jedem Fall und zu jeder Zeit sichergestellt sein müsse).

168

1.2.3 Der 7. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 06.09.2012 – L 7 AS 758/12 B ER – Rn. 14) hält es im einstweiligen Rechtsschutzverfahren für möglich, den beigeladenden Sozialhilfeträger im Rahmen der Folgenabwägung zu verpflichten, gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossenen Personen Regelbedarfe nach § 27a SGB XII zu gewähren. Zwar hätten Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe, sowie ihre Familienangehörigen keinen Anspruch auf Sozialhilfe (§ 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII). Es begegne jedoch rechtlichen Bedenken, Neu-EU-Bürger bei einem rechtmäßigen Aufenthalt in der BRD von jeglicher staatlicher Unterstützung selbst bei untragbaren Verhältnissen auszuschließen. Solange die Ausländerbehörde nicht von ihrer Möglichkeit Gebrauch gemacht habe, den Verlust oder das Nichtbestehen des Aufenthaltsrechts nach § 5 Abs. 5 FreizügG/EU festzustellen, entspreche es der gesetzlichen Konzeption des Freizügigkeitsrechts von der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts auszugehen (Verweis auf BSG, Urteil vom 19.10.2010 – B 14 AS 23/10 R – Rn. 4). Erst mit der Verlustfeststellung sei die Ausreisepflicht nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU begründet. Auch würde sich eine Schlechterstellung der Unionsbürger aus den Beitrittsgebieten gegenüber aus entfernteren Ländern stammenden Antragstellern nach dem AsylbLG ergeben. Zur Überzeugung des Senats komme bei untragbaren Verhältnissen unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Wertungen nach Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 GG eine Mindestsicherung nach dem SGB XII bzw. AsylbLG im Wege einer Rechtsfolgenanwendung in Betracht.

169

1.2.4 Der 15. Senat des LSG Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 15.11.2013 – L 15 AS 365/13 B ER – Rn. 66 f.; vgl. auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 24.07.2014 – L 15 AS 202/14 B ER – Rn. 21 ff.) erklärt, dass er die in Rechtsprechung und Literatur verschiedentlich geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den Ausschluss von arbeitsuchenden Unionsbürgern von laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sowohl nach dem SGB II als auch nach dem SGB XII nicht teile. Dabei übersehe er nicht, dass das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG nach der Rechtsprechung des BVerfG dem Grunde nach unverfügbar sei und durch einen Leistungsanspruch eingelöst werden müsse. Wenn Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlten, weil sie weder aus einer Erwerbstätigkeit noch aus eigenem Vermögen noch durch Zuwendungen Dritter zu erlangen seien, sei der Staat im Rahmen seines Auftrags zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrags verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen dafür Hilfebedürftigen zur Verfügung stehen. Als Menschenrecht stehe dieses Grundrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der BRD aufhielten, gleichermaßen zu. Dieser objektiven Verpflichtung aus Art. 1 Abs. 1 GG korrespondiere ein individueller Leistungsanspruch. Diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben könne aber dadurch Rechnung getragen werden, dass arbeitsuchenden Unionsbürgern ein Anspruch auf Mindestsicherung nach dem SGB XII eingeräumt werde. Es sei – soweit ersichtlich – in der sozialhilferechtlichen Literatur unumstritten, dass auch bei Vorliegen von Leistungsausschlussgründen Ausländern, die sich in der Bundesrepublik aufhalten, ein Anspruch auf die nach den Umständen des Einzelfalls unabweisbar gebotenen Leistungen erhalten bleibe (Hinweis auf LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30.05.2011 – L 19 AS 431/11 B ER – Rn. 4). Welche Leistungen unabweisbar seien, hänge von den Umständen des Einzelfalls ab. Bei möglicher und zumutbarer Rückkehr in das Heimatland komme in der Regel lediglich die Übernahme der Kosten der Rückreise und des bis dahin erforderlichen Aufenthalts in Betracht (Überbrückungsleistungen). Sei die Rückkehr im Einzelfall vorerst nicht möglich, seien längerfristige Leistungen zu erbringen, die das verfassungsrechtlich gebotene Existenzminimum sicherten. Diese könnten sich an den Leistungen nach dem AsylbLG orientieren. Einem solchen Anspruch auf die unabweisbar gebotene Hilfe stehe nicht § 21 Satz 1 SGB XII entgegen, wonach Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt seien, keine Leistungen für den Lebensunterhalt erhalten. Der verfassungsrechtlich gebotene Anspruch auf Gewährleistung des Existenzminimums lasse sich bei Unionsbürgern, die dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II unterlägen, im Rahmen des Regelungsgefüges des SGB II nicht verwirklichen. Im Rahmen des SGB XII werde dieser Anspruch aus einer entsprechenden Anwendung des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII, des § 1 a AsylbLG oder unmittelbar aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG hergeleitet. Nach Auffassung des Senats bestehe bei arbeitsuchenden Unionsbürgern, die ohne ausreichende Existenzmittel in die Bundesrepublik eingereist seien und auf dem Arbeitsmarkt bislang weder als Arbeitnehmer noch als Selbstständige Fuß gefasst hätten, eine atypische Bedarfslage, die den Einsatz öffentlicher Mittel im Sinne des § 73 SGB XII (Hilfe in sonstigen Lebenslagen) rechtfertige. § 21 Satz 1 SGB II stehe der Anwendung dieser Norm, die sich nicht im 3. Kapitel des SGB XII über die Hilfe zum Lebensunterhalt finde, nicht entgegen.

170

1.2.5 Auch der 7. Senat des Hessischen LSG hält grundsätzlich einen Anspruch auf Gewährung von Hilfen in sonstigen Lebenslagen nach § 73 SGB XII gegen den Sozialhilfeträger für möglich, weil das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums dem Grunde nach unverfügbar sei und durch einen Leistungsanspruch eingelöst werden müsse (Hessisches LSG, Beschluss vom 18.09.2015 – L 7 AS 431/15 B ER – Rn. 21).

171

1.2.6 Der 4. Senat des LSG Hamburg vertritt unter Anschluss an den 7. Senat des Bayerischen LSG (Beschluss vom 01.10.2015 – L 7 AS 627/15 B ER) die Auffassung, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II mit dem nationalen Verfassungsrecht vereinbar sei. Den verfassungsrechtlichen Vorgaben könne aus Sicht des Senats dadurch hinreichend Rechnung getragen werden, dass arbeitsuchenden Unionsbürgern ein Anspruch auf eine Mindestsicherung in Form der unabweisbar gebotenen Leistungen eingeräumt werde (Bezugnahme auf LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 06.09.2012 – L 7 AS 758/12 B ER). Welche Leistungen unabweisbar seien, hänge dabei von den Umständen des Einzelfalls ab. Bei möglicher und zumutbarer Rückkehr in das Heimatland komme in der Regel lediglich die Übernahme der Kosten der Rückreise und des bis dahin erforderlichen Aufenthalts in Betracht. Es könne dahingestellt bleiben, ob ein solcher Anspruch auf die unabweisbar gebotene Hilfe aus einer entsprechenden Anwendung des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII, des § 1a AsylbLG oder unmittelbar aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG herzuleiten sei oder ob in entsprechenden Fällen von einer atypischen Bedarfslage auszugehen sei, die den Einsatz öffentlicher Mittel im Sinne des § 73 SGB XII rechtfertige. Aus der Entscheidung des BVerfG zum AsylblG (Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 2/11) folge nichts Anderes. In jener Entscheidung sei es um die Bemessung des existenznotwendigen Bedarfs nach § 3 AsylbLG gegangen. Nur in diesem Zusammenhang habe das BVerfG ausgeführt, dass Leistungen in einem transparenten und sachgerechten Verfahren begründet werden müssten und die Höhe der Leistungsansprüche nicht pauschal nach dem Aufenthaltsstatus differenziert werden dürfe. Hier jedoch gehe es um einen Leistungsausschluss, der seine Rechtfertigung in dem europäischen Konzept einer Freizügigkeit finde, ohne dass zugleich (schon) eine so genannte Sozialunion hergestellt sei. Dieses Konzept sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wobei der Senat davon ausgehe, dass in sämtlichen Mitgliedsstaaten der EU deren grundlegende, in Art. 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) festgelegten Werte, wozu Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und die Wahrung der Menschenrechte gehörten, gewährleistet seien. Weiter habe das BVerfG in jener Entscheidung ausgesprochen, dass die Hilfebedürftigen nicht auf freiwillige Leistungen verwiesen werden dürften, sondern der Gesetzgeber ihnen ein entsprechendes subjektives Recht einräumen müsse. Dem genüge der oben beschriebene Anspruch auf eine Mindestsicherung in Form der unabweisbar gebotenen Leistungen, der – wie etwa auch der Anspruch nach § 1a oder § 11 Abs. 2 AsylbLG bzw. nach § 23 SGB XII – ein gesetzlicher Anspruch sei, selbst wenn seine konkrete Ausgestaltung im Einzelfall nicht direkt aus dem Gesetz ablesbar sei. Anders als bei der Bemessung der Leistungen nach § 3 AsylbLG stoße der Gesetzgeber wegen der Individualität und Situationsbezogenheit dieses Anspruchs an sachbezogene Grenzen. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verstoße auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG. Vielmehr beruhe er auf sachgerechten Gründen, nämlich dem bereits erwähnten europäischen Konzept der Freizügigkeit einerseits und dem grundsicherungsrechtlichen Grundsatz der Selbsthilfe andererseits. EU-Bürger seien nämlich typischerweise ohne weiteres im Stande, in ihren Herkunftsstaat zurückzukehren und dort unter adäquaten, menschenwürdigen Umständen zu leben. Insoweit sei ihre Situation mit der in § 11 Abs. 2 AsylbLG geregelten Lage derjenigen Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG vergleichbar, denen bei Verstoß gegen eine räumliche Beschränkung im Bundesgebiet nur die unabweisbar gebotene Hilfe zu leisten sei. Zwar möge es im Hinblick auf § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG Fälle geben, in denen ausländische Nicht-EU-Bürger Leistungen nach dem AsylbLG beziehen, obwohl sie ebenfalls ohne weiteres in ihren Herkunftsstaat zurückkehren könnten. Darin liege aber – abgesehen von der politischen Diskussion über Rechtsänderungen in diesem Bereich – kein relevanter Gleichheitsverstoß, weil der Gesetzgeber bei der ihm nur möglichen typisierenden Betrachtung nicht von der gleichmäßigen Gewähr adäquater, menschenwürdiger Umstände außerhalb der EU ausgehen müsse (LSG Hamburg, Beschluss vom 15.10.2015 – L 4 AS 403/15 B ER – Rn. 9 ff.).

172

1.2.7 Der 4. Senat des BSG vertritt in zwei Urteilen vom 03.12.2015 (B 4 AS 59/13 R und B 4 AS 44/15 R) die Auffassung, dass Personen, die vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II betroffen sind, ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem 3. Kapitel des SGB XII zustehen kann. Hierbei hat er zu Grunde gelegt, dass der Ausschluss arbeitsuchender Unionsbürger von SGB II-Leistungen auch für diejenigen Unionsbürger greife („erst-recht“), die über kein Aufenthaltsrecht nach dem FreizügigG/EU oder dem AufenthG verfügen. Auch bei fehlender Freizügigkeitsberechtigung seien aber zumindest Sozialhilfeleistungen im Ermessenswege zu erbringen. Im Falle eines verfestigten Aufenthalts, den das BSG bei einem Aufenthaltszeitraum von mehr als sechs Monaten annimmt, sei dieses Ermessen aus Gründen der Systematik des Sozialhilferechts und der verfassungsrechtlichen Vorgaben des BVerfG in der Weise reduziert, dass regelmäßig zumindest Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe zu erbringen sei (BSG, Urteile vom 03.12.2015 – B 4 AS 59/13 R – Rn. 51 ff. – und B 4 AS 44/15 R – Rn. 36 ff.). Die Frage, ob § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verfassungswidrig ist, hat der 4. Senat des BSG in diesen Entscheidungen nicht ausdrücklich erörtert.

173

Der 4. Senat des BSG hat seine Rechtsprechung mit Urteilen vom 17.02.2016 (B 4 AS 24/14 R – Entscheidungsgründe noch nicht veröffentlicht) und vom 17.03.2016 (B 4 AS 32/15 R – Entscheidungsgründe noch nicht veröffentlicht), in der letzten Entscheidung allerdings von einer Nichtanwendung der Ausschlussregelung des § 23 Abs. 3 SGB XII bei einem Angehörigen eines EFA-Signatarstaates ausgehend, aufrechterhalten.

174

1.2.8 Der 14. Senat des BSG hat sich dem 4. Senat mit Urteilen vom 16.12.2015 (B 14 AS 15/14 R, B 14 AS 18/14 R und B 14 AS 33/14 R) und vom 20.01.2016 (B 14 AS 15/15 R – Entscheidungsgründe noch nicht veröffentlicht – und B 14 AS 35/15 R) angeschlossen und hierbei auch die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II angesprochen, allerdings keine verfassungsrechtlichen Bedenken gesehen. Der Leistungsausschluss zu Lasten der Klägerinnen und Kläger der dortigen Verfahren sei insbesondere schon deshalb mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG vereinbar, weil den jeweiligen Klägerinnen und Klägern existenzsichernde Leistungen durch den beigeladenen bzw. beizuladenden Sozialhilfeträger nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII zu gewähren seien (BSG, Urteil vom 16.12.2015 – B 14 AS 15/14 R – Rn. 36; BSG, Urteil vom 16.12.2015 – B 14 AS 18/14 R – Rn. 34; BSG, Urteil vom 16.12.2015 – B 14 AS 33/14 R – Rn. 33; BSG, Urteil vom 20.01.2016 – B 14 AS 35/15 R – Rn. 32). Der 14. Senat des BSG führt zur Begründung des sozialhilferechtlichen Anspruchs an, dass es auf die Möglichkeit einer Heimkehr des Ausländers in sein Herkunftsland in diesem Zusammenhang nicht ankomme. Diese Möglichkeit sei im Hinblick auf die Ausgestaltung des genannten Grundrechts als Menschenrecht schon verfassungsrechtlich jedenfalls solange unbeachtlich, wie der tatsächliche Aufenthalt in Deutschland von den zuständigen Behörden faktisch geduldet werde. Ungeachtet dessen finde der Verweis auf eine so verstandene Selbsthilfe in dieser Lage nach dem derzeit geltenden Recht auch sozialhilferechtlich keine Grundlage. Zwar erhalte Sozialhilfe nach dem Nachranggrundsatz des § 2 Abs. 1 SGB XII nicht, wer sich – vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens – selbst helfen könne oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhalte. Diese Vorschrift sei jedoch nach der Rechtsprechung des Sozialhilfesenats des BSG keine eigenständige Ausschlussnorm, sondern ihr komme regelmäßig nur im Zusammenhang mit ergänzenden bzw. konkretisierenden sonstigen Vorschriften des SGB XII Bedeutung zu; ein Leistungsausschluss ohne Rückgriff auf andere Normen des SGB XII sei mithin allenfalls in extremen Ausnahmefällen denkbar, etwa wenn sich der Bedürftige generell eigenen Bemühungen verschließe und Ansprüche ohne Weiteres realisierbar seien (Hinweis auf BSG, Urteil vom 22.03.2012 – B 8 SO 30/10 R – Rn. 25). Für die Annahme einer solchen Ausnahmelage fehle indes – nachdem eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für einen Verweis auf die Rückkehr in das Heimatland nach geltendem Recht im SGB XII nicht bestehe – ohne Begründung einer Ausreisepflicht des Ausländers als Ergebnis eines ausländerbehördlichen Verfahrens schon im Ansatz jeder Anhaltspunkt (BSG, Urteil vom 20.01.2016 – B 14 AS 35/15 R – Rn. 42).

175

1.2.9 Dem BSG haben sich inzwischen – jeweils im Rahmen von Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und vorbehaltlich einer Prüfung im Hauptsacheverfahren – die 17. Kammer des SG Darmstadt (Beschluss vom 04.12.2015 – S 17 SO 211/15 ER – Rn. 28 ff.), der 7. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen (Beschlüsse vom 16.12.2015 – L 7 AS 1466/15 B ER – Rn. 14, vom 17.12.2015 – L 7 AS 1711/15 B ER – Rn. 12, vom 04.03.2016 – L 7 AS 2143/15 B ER – Rn. 14, vom 22.03.2016 – L 7 AS 354/16 B ER, L 7 AS L 7 AS 355/16 B – Rn. 10und vom 07.04.2016 – L 7 AS 288/16 B ER – Rn. 20 f.), der 25. Senat des LSG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 21.12.2015 – L 25 AS 3035/15 B ER – Rn. 8), die 128. Kammer des SG Berlin (Beschluss vom 04.01.2016 – S 128 AS 25271/15 – Rn. 32 ff.), der 28. Senat des LSG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 15.01.2016 – L 28 AS 3053/15 B ER – Rn. 8), die 3. Kammer des SG Kassel (Beschluss vom 21.01.2016 – S 3 AS 217/15 ER – Rn. 46), die 11. Kammer des SG Mainz (Beschluss vom 27.01.2016 – S 11 AS 7/16 ER – nicht veröffentlicht), die 62. Kammer des SG Dortmund (Beschluss vom 11.02.2016 – S 62 SO 43/16 ER – Rn. 23 ff.), der 19. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen (Beschlüsse vom 24.02.2016 – L 19 AS 1834/15 B ER, L 19 ASL 19 AS 1835/15 B – Rn. 18,vom 24.03.2016 – L 19 AS 289/16 B ER – Rn. 28 und vom 14.04.2016 – L 19 AS 576/16 B ER – Rn. 2), die 26. Kammer des SG Neuruppin (Beschluss vom 22.03.2016 – S 26 AS 378/16 ER – Rn. 20 ff.) und der 6. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.04.2016 – L 6 AS 2249/15 B ER, L 6 AS L 6 AS 21/16 B – Rn. 20) angeschlossen (grundsätzlich dem BSG folgend, eine Ermessensreduzierung auf Null jedoch ablehnend: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13.04.2016 – L 23 SO 46/16 B ER, L 23 SOL 23 SO 47/16 B ER PKH –, Rn. 21 ff.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13.04.2016 – L 15 SO 53/16 B ER – Rn. 23 ff. und LSG Hamburg, Beschluss vom 14.04.2016 – L 4 AS 76/16 B ER – Rn. 8 ff.).

176

1.2.10 Der 15. Senat des LSG Niedersachsen-Bremen geht zwar im Beschluss vom 07.03.2016 (L 15 AS 185/15 B ER – Rn. 16 f.) mit dem BSG davon aus, dass Hilfe zum Lebensunterhalt als Ermessensleistung nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII erbracht werden kann, hält die vom BSG vorgesehene Differenzierung zwischen einem Aufenthalt von bis zu sechs Monaten und einem darüberhinausgehenden Aufenthalt nicht für zulässig. Das BVerfG habe im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) festgestellt, dass der Anspruch auf Gewährleistung des soziokulturellen Existenzminimums als Menschenrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen gleichermaßen zustehe, er seinem Umfang nach zwischen unterschiedlichen Gruppen Hilfebedürftiger nur dann differenzierend zu bemessen sei, wenn und soweit sich eine verschiedene Bedürfnislage feststellen lasse und er im Übrigen der Konkretisierung durch vom Gesetzgeber auszugestaltende Normen bedürfe. Soweit sich hieraus Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des grundsätzlichen Anspruchsausschlusses nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII und seiner Ergänzung durch die auf Einzelfälle beschränkte Ermächtigung zu einer Leistungsgewährung nach Ermessen in § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII ergeben würden, wären diese nicht auf EU-Bürger mit einem Aufenthalt von mehr als sechs Monaten beschränkt. Denn nach der Rechtsprechung des BVerfG seien die Anforderungen der Art. 1 Abs. 1 und 20 Abs. 1 GG an die Gewährleistung des soziokulturellen Existenzminimums vom Beginn eines Aufenthalts im Bundesgebiet an durchgängig zu verwirklichen. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit eines dem Wortlaut von § 23 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 1 Satz 3 SGB XII folgenden Normverständnisses, das von der Geltung eines allgemeinen Anspruchsausschlusses für arbeitssuchende und ihnen gleichzustellende Ausländer sowie einer nur im Einzelfall eröffneten Möglichkeit zu einer Leistungsbewilligung im Ermessenswege ausgehe, wären damit ganz genereller Art und angesichts des nach seinem eindeutigen Wortlaut klaren Ausnahmecharakters von § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII nur durch eine Richtervorlage nach Art. 100 GG zu klären. Der Senat halte allerdings den Anspruchsausschluss in § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII und die auf Einzelfälle begrenzte Ermächtigung zu Ermessensleistungen in § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII für verfassungsrechtlich unbedenklich. Gerade die Ausübung von Ermessen erlaube es nämlich dem zuständigen Sozialhilfeträger, der individuellen Lebenssituation hilfebedürftiger Ausländer Rechnung zu tragen. An ihr habe sich auch nach der Rechtsprechung des BVerfG die Hilfegewährung auszurichten (Hinweis auf BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 – Rn. 66, 69). Daran, dass das soziokulturelle Existenzminimum gewährleistet werden müsse, bleibe der Sozialhilfeträger auch im Rahmen einer ihm eröffneten Ermessensentscheidung gebunden.

177

1.2.11 Die 32. Kammer des SG Halle (Saale) (Beschluss vom 14.04.2016 – S 32 AS 1109/16 ER – Rn. 37 ff.) folgt zwar dem BSG dahingehend, dass Ermessensleistungen nach § 21 Abs. 1 Satz 3 SGB XII für den vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II betroffenen Personenkreis grundsätzlich möglich seien, sieht aber das Ermessen erst eröffnet, wenn die Möglichkeit der Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht besteht.

178

1.3 Insbesondere seit Bekanntgabe des Urteils des EuGH vom 15.09.2015 (C-67/14) und verstärkt seit Bekanntwerden der Urteile des BSG vom 03.12.2015 (B 4 AS 59/13 R, B 4 AS 43/15 R und B 4 AS 44/15 R) wird von zahlreichen Spruchkörpern der Sozialgerichtsbarkeit vertreten, der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sei verfassungsgemäß und es sei entgegen der Auffassung der beiden für das SGB II zuständigen Senate des BSG weder nach geltendem Recht möglich noch verfassungsrechtlich geboten, hiervon betroffenen Personen Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII oder sonstige existenzsichernde Leistungen zu gewähren.

179

1.3.1 Der 15. Senat des LSG Niedersachsen-Bremen vertrat bereits mit Beschluss vom 26.02.2010 (L 15 AS 30/10 B ER – Rn. 30) die Auffassung, dass Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechts- und Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 und 3 GG durch den Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht verletzt werde. Der Staat sei zwar verpflichtet, dem mittellosen Bürger die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein erforderlichenfalls durch Sozialleistungen zu sichern. Dabei sei dem Gesetzgeber allerdings im Rahmen der Entscheidung, in welchem Umfang Fürsorgeleistungen unter Berücksichtigung vorhandener Mittel gewährt werden könnten, ein weiter Gestaltungsspielraum eröffnet (Hinweis auf Beschluss des BVerfG vom 29.05.1990 – 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86). Danach sei nicht zu beanstanden, wenn Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für arbeitsuchende Unionsbürger europarechtskonform nicht gewährt und diese damit auf die Inanspruchnahme entsprechender Leistungen in ihrem Heimatland verwiesen würden.

180

1.3.2 Der 2. Senat des LSG Sachsen-Anhalt kam in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren unter Aufgabe der im Beschluss vom 01.11.2013 (L 2 AS 841/13 B ER – Rn. 36 f., s.o. unter 1.1.1) geäußerten Auffassung zu dem Ergebnis, dass die gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossene Antragstellerin des dortigen Verfahrens einen Leistungsanspruch, solange sie noch in der BRD lebe, auch nicht aus dem Grundrecht zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art. 1 GG herleiten könne. Als Menschenrecht stehe dieses Grundrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhielten, gleichermaßen zu. Der objektiven Verpflichtung aus Art. 1 Abs. 1 GG korrespondiere ein individueller Leistungsanspruch, da das Grundrecht die Würde jedes einzelnen Menschen schütze und diese in solchen Notlagen nur durch materielle Unterstützung gesichert werden könne (Bezugnahme auf BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 – Rn. 63). Allerdings bestehe hier die Besonderheit, dass die Unionsbürgerin ihren Existenzsicherungsanspruch auch in ihrem Herkunftsland geltend machen könne, da in der EU gewisse soziale Mindeststandards bestünden, auf die sich die Mitgliedstaaten geeinigt hätten. Nach Art. 13 der Europäischen Sozialcharta vom 18.10.1961 (ESCh) verpflichteten sich die Vertragsparteien sicherzustellen, dass jedem der nicht über ausreichende Mittel verfüge und sich diese auch nicht selbst oder von anderen verschaffen könne, ausreichende Unterstützung gewährt werde. Die Tschechische Republik (Herkunftsstaat der Antragstellerin des dortigen Verfahrens) habe dieses Abkommen und diesen Artikel am 03.11.1999 ratifiziert. Die Antragstellerin habe damit einen Anspruch auf existenzsichernde Leistungen innerhalb der EU. Ein Anspruch darauf, ihre existenzsichernden Leistungen in einem bestimmten EU-Mitgliedstaat erhalten zu müssen, bestehe nicht. Gegebenenfalls müsse der Antragstellerin ermöglicht werden nach Tschechien zurückkehren zu können, um ihre Rechte dort wahrnehmen zu können. Anders als bei einem Asylsuchenden, der sich auf das Grundrecht aus Art. 16 GG stütze, gebe es auch keinen rechtlich beachtlichen Hinderungsgrund für eine Rückkehr in dieses Heimatland (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 04.02.2015 – L 2 AS 14/15 B ER – Rn. 40).

181

1.3.3 Der 1. Senat des LSG Baden-Württemberg vertritt in einem Beschluss vom 29.06.2015 (L 1 AS 2338/15 ER-B, L 1 AS L 1 AS 2358/15 B – Rn. 39) die Auffassung, dass der dortige Antragsteller slowakischer Staatsangehörigkeit einen Leistungsanspruch nicht unmittelbar aus dem Grundrecht zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art. 1 GG herleiten könne. Dieses Grundrecht stehe als Menschenrecht deutschen und ausländischen Staatsbürgern, die sich in der BRD aufhalten, gleichermaßen zu. Ein von der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung daraus abgeleiteter individueller Leistungsanspruch bedürfe der Ausgestaltung durch ein Gesetz; sein Umfang könne nicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden; vielmehr stehe dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu (Hinweis auf Urteil des BVerfG vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 – Rn. 62-66). Darüber hinaus gelte auch das Grundrecht zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht schrankenlos: Anders als ein vollziehbar ausreisepflichtiger ehemaliger Asylbewerber, dessen Rückkehr in das (eventuell von Seiten der Behörden gar nicht sicher zu ermittelnde) Herkunftsland sowohl erhebliche tatsächliche als auch rechtliche Probleme (Abschiebungshindernisse) entgegen stehen könnten, sei der Antragsteller (des dortigen Verfahrens) als Unionsbürger nicht gehindert, sich innerhalb des so genannten Schengen-Raumes frei zu bewegen, weshalb einer sofortigen Rückkehr in sein Heimatland nichts entgegen stehe.

182

1.3.4 Der 3. Senat des LSG Rheinland-Pfalz lehnte mit Beschluss vom 31.08.2015 (L 3 AS 430/15 B – nicht veröffentlicht) bezogen auf nach seiner Auffassung vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II betroffene Unionsbürger ohne materielles Aufenthaltsrecht die Gewährung von Prozesskostenhilfe mit der Begründung ab, dass die von den dortigen Klägern angeführte Rechtsprechung des BVerfG zur Höhe der Leistungen nach dem AsylbLG auf den dem Gericht vorliegenden Fall nicht übertragbar sei, da die betroffenen Personengruppen, einerseits Asylbewerber, andererseits freizügigkeitsberechtigte EU-Bürger, sich nicht in vergleichbaren Notlagen befänden. Eine Verpflichtung des Gesetzgebers, unterschieds- und voraussetzungslos Sozialleistungen auch an Ausländer ohne Recht zum Aufenthalt zu erbringen, bestehe auch nach dieser Rechtsprechung nicht.

183

Mit einem Beschluss vom 05.11.2015 (L 3 AS 479/15 B ER – Rn. 21 ff.) hat der 3. Senat des LSG Rheinland-Pfalz unter Aufhebung des Beschlusses der vorlegenden Kammer vom 02.09.2015 (S 3 AS 599/15 ER) seine Auffassung bekräftigt, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht verfassungswidrig sei. Das Grundgesetz gebiete nicht die Gewährung bedarfsunabhängiger, voraussetzungsloser Sozialleistungen (Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 07.07.2010 – 1 BvR 2556/09 – Rn. 13). Vielmehr liege es in der politischen Verantwortung des parlamentarischen Gesetzgebers im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums zu bestimmen, welche Leistungen in welcher Höhe zur Existenzsicherung gewährt werden und die hierbei erforderlichen Wertungen vorzunehmen. In Ausübung seines Gestaltungsspielraums habe der parlamentarische Gesetzgeber – nach Auffassung des Senats ausreichende – Regelungen bezüglich der Gewährung von Leistungen zur Existenzsicherung getroffen. Nach der Willensbildung des parlamentarischen Gesetzgebers könnten solche heute nach dem SGB II, dem SGB XII und dem AsylbLG beansprucht werden. Der gemeinsame verfassungsrechtliche Kern aller drei heutigen Existenzsicherungssysteme sei das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG. Die erfolgten Differenzierungen hinsichtlich der Leistungshöhe in Abhängigkeit von den Besonderheiten bestimmter Personengruppen seien zulässig (Hinweis auf BVerfG, Urteil vom 18.07.2012, 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 – Rn. 73) und schlössen die strukturelle Gleichwertigkeit der drei Leistungssysteme nicht aus. Unter Berücksichtigung der bestehenden Regelungen zur Gewährung von Leistungen zur Existenzsicherung sei das Grundrecht des (kolumbianischen) Antragstellers des dortigen Verfahrens auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht verletzt. Er könne darauf verwiesen werden, Leistungen seines Heimatlandes zur Sicherung seines Lebensunterhaltes in Anspruch zu nehmen oder von seinem Freizügigkeitsrecht innerhalb des Hoheitsgebiets der EU Gebrauch zu machen. Mit dem Leistungsausschluss für EU-Ausländer, die ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ableiten, habe der Gesetzgeber den Nachrang des deutschen Sozialleistungssystems gegenüber dem des Herkunftslandes normiert. Dies sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch der aus dem gesetzlichen Leistungsausschluss resultierende faktische Zwang ins Herkunftsland zurückkehren oder in einen anderen Mitgliedstaat reisen zu müssen, weil es dem Antragsteller nicht möglich sei, seinen Lebensunterhalt in der BRD sicherzustellen, stelle keine Verletzung seines Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums dar. Er sei vergleichbar mit der Situation von Auszubildenden und Studenten, die ihre Arbeitskraft für ihren Lebensunterhalt einsetzen müssten (Hinweis auf BVerfG, Beschlüsse vom 03.09.2014 – 1 BvR 1768/11 und vom 08.10.2014 – 1 BvR 886/11). Der dem GG verpflichtete Gesetzgeber habe auch keine aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art 20 Abs. 1 GG resultierende verfassungsrechtliche Pflicht über die bereits getroffenen Regelungen hinaus jedem Menschen, der sich – aus welchen Gründen auch immer, also legal oder illegal – in der BRD aufhalte, voraussetzungslose Sozialleistungen (Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 07.07.2010 – 1 BvR 2556/09 – Rn. 13) zu gewähren und die drei heutigen Existenzsicherungssysteme um eine weitere Regelung zu ergänzen. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus den Grundsätzen, die der 1. Senat in seiner Entscheidung vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) für die nach dem AsylbLG zu gewährenden Leistungen aufgestellt habe. Insbesondere sei hieraus nicht der Schluss zu ziehen, das BVerfG habe hier grundlegend entschieden, dass jeder Mensch, der – aus welchen Gründen auch immer – in die BRD einreise und sich hier aufhalte, generell und voraussetzungslos über die bereits bestehenden Existenzsicherungssysteme Anspruch auf (dauerhafte) staatliche Leistungen zur Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums unmittelbar aus der Verfassung habe. Abgesehen davon, dass ausdrücklich nur über § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und § 3 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 4 AsylbLG sowie § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3 und § 3 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG (jeweils in der Fassung der Bekanntmachung vom 05.08.1997, BGBl. Teil I S. 2022) zu entscheiden gewesen sei, ergebe sich insbesondere aus der Begründung, dass diese Erwägungen nicht allgemein in dem vom SG (SG Mainz, Beschluss vom 02.09.2015 – S 3 AS 599/15 ER) angenommenen Sinne zu verstehen seien, sondern mit Blick auf die konkrete Fragestellung, nämlich ob die nach dem AsylblG für diesen Personenkreis zu gewährenden Leistungen unter Berücksichtigung von Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art 20 Abs. 1 GG ausreichten, die entsprechenden Regeln also verfassungsgemäß seien.

184

Diese Rechtsauffassung hat der 3. Senat des LSG Rheinland-Pfalz mit Beschlüssen vom 11.02.2016 (L 3 AS 668/15 B ER – Rn. 18 ff. unter Aufhebung von SG Mainz, Beschluss vom 12.11.2015 – S 12 AS 946/15 ER) und vom 18.02.2016 (L 3 AS 19/16 B ER – nicht veröffentlicht) aufrechterhalten.

185

1.3.5 Auch nach Auffassung des 20. Senat des LSG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 28.09.2015 – L 20 AS 2161/15 B ER – Rn. 22 f.) begegnet der Leistungsausschluss keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Insbesondere könne der Antragsteller (des dortigen Verfahrens) einen Leistungsanspruch nicht aus dem Grundrecht auf Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art. 1, 20 GG herleiten. Die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums müsse durch einen gesetzlichen Anspruch gesichert sein, wobei dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum eingeräumt sei. Dies schließe es jedenfalls nicht aus, die Leistungen nur insoweit vorzuhalten, wie es erforderlich sei, um einen Betroffenen in die Lage zu versetzen, dass er existenzsichernde Leistungen seines Herkunftslandes in Anspruch nehmen könne. Sei ein Unionsbürger in der Lage, ohne weiteres in sein Herkunftsland zu reisen, um dort existenzsichernde Leistungen in Anspruch zu nehmen, sei der Staat im Rahmen seiner Gewährleistungsverpflichtung allenfalls gehalten, Reise- und Verpflegungskosten zur Existenzsicherung (Hinweis auf BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 09.02.2001 – 1 BvR 781/98 – zu § 120 Abs. 5 BSHG), vorzuhalten. Soweit angenommen werde, dass der vollständige Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II „ohne anderweitige Kompensationsmöglichkeit eine Sicherung des Existenzminimums dem Grunde nach“ ausschließe (Hinweis auf SG Mainz, Beschluss vom 02.09.2015 – S 3 AS 599/15 ER), werde verkannt, dass bei einem Unionsbürger, der sich ohne Aufenthaltsrecht im Sinne des Art. 7 RL 2004/38/EG im Inland aufhalte und der nicht aus anerkennenswerten, schwerwiegenden Gründen an der Rückreise gehindert sei, gerade eine „Kompensationsmöglichkeit“ durch Inanspruchnahme existenzsichernder Leistungen im Herkunftsland bestehe. Im der Entscheidung zu Grunde liegenden Fall bestehe dabei in Polen ein System der Fürsorgeleistungen, welches einen Anspruch für Personen vermittle, deren Nettoeinkommen 542 PLN monatlich nicht erreiche. Diese Personen erhielten Sozialhilfe in Form von Geld- und Sachleistungen. Anders als der Personenkreis, für den das AsylbLG einen Anspruch auf existenzsichernde Leistungen vermittle, seien Personen aus Mitgliedstaaten der EU in der Regel in der Lage, kurzfristig in ihren Herkunftsstaat zu reisen. Daher könne die Gewährleistungsverpflichtung aus Art. 1, 20 GG für den Personenkreis der Anspruchsberechtigten nach dem AsylbLG, die gerade nicht in jedem Fall kurzfristig in ein anderes Land ausreisen könnten, um dort ihre Existenz zu sichern, auch höhere und länger andauernde Leistungen zur Existenzsicherung umfassen, als für ausländische Staatsbürger, die ihrer Notlage kurzfristig selbst begegnen könnten. Bei diesem Personenkreis könne sich die Gewährleistungsverpflichtung darin erschöpfen, sie bei den Bemühungen der Selbsthilfe durch reine Nothilfemaßnahmen zu unterstützen. Über solche Leistungen (Reise- und Verpflegungskosten) sei hier nicht zu entscheiden gewesen, da der Antragsteller diese nicht geltend gemacht habe (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.09.2015 – L 20 AS 2161/15 B ER – Rn. 22).

186

1.3.6 Der 2. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen unternimmt in seinem Beschluss vom 29.09.2015 (L 2 AS 1582/15 B ER – Rn. 5; ähnlich derselbe Senat mit Beschluss vom 09.11.2015 – L 2 AS 1714/15 B ER – Rn. 4 und der 6. Senat des LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 13.10.2015 – L 6 AS 454/15 B ER – nicht veröffentlicht) keine verfassungsrechtliche Prüfung, sondern stellt lediglich fest, dass mit dem Urteil des EuGH vom 15.09.2015 (C-67/14) nunmehr abschließend geklärt sei, dass der in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II enthaltene Leistungsausschluss für Ausländer nicht europarechtswidrig und damit als geltendes Bundesrecht anwendbar sei.

187

1.3.7 Der 7. Senat des Bayerischen LSG (Beschluss vom 01.10.2015 – L 7 AS 627/15 B ER – Rn. 31 ff.) ist der Auffassung, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Das BVerfG habe in den Beschlüssen vom 03.09.2014 (1 BvR 1768/11) und vom 08.10.2014 (1 BvR 886/11) den Ausschluss von Leistungen nach SGB II für Auszubildende gemäß § 7 Abs. 5 SGB II gebilligt. Der Leistungsausschluss sei – nach Auffassung des BVerfG – schon deswegen nicht zu beanstanden, weil während eines Studiums die Arbeitskraft nicht, wie von § 2 Abs. 2 Satz 2 SGB II verlangt, zur Beschaffung des Lebensunterhalts eingesetzt werde. Im Übrigen verweise das BVerfG auf eine vorrangige Förderung durch das BAföG, das in den betreffenden Fällen aber nicht zum Tragen gekommen sei. Dem entnehme der Senat, dass ein Ausschluss von existenzsichernden Leistungen in bestimmten Lebenssituationen grundsätzlich möglich sei. Soweit das BVerfG in diesen Beschlüssen annehme, dass Betroffene gezwungen sein könnten, ihre Lebensumstände gravierend zu ändern ("Der faktische Zwang, eine Ausbildung abbrechen zu müssen ..."), sei das vergleichbar mit dem faktischen Zwang, dass vom SGB II-Bezug ausgeschlossene Ausländer in ihr Heimatland zurückkehren und wie alle anderen dortigen Bewohner mit den Sozialleistungen bzw. Erwerbsmöglichkeiten im Heimatland zurechtkommen müssten bis sie ein neues Aufenthaltsrecht in einem anderen Mitgliedstaat begründen könnten. Hierin unterscheide sich auch die Situation der hier Betroffenen grundlegend von der Situation der Asylsuchenden, die nicht auf diese Möglichkeit verwiesen werden könnten (Hinweis auf BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11).

188

1.3.8 Der 16. Senat des Bayerischen LSG (Beschluss vom 13.10.2015 – L 16 AS 612/15 ER – Rn. 31 ff.) hat ebenfalls keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums stehe als Menschenrecht deutschen und ausländischen Staatsbürgern, die sich in der BRD aufhielten, grundsätzlich gleichermaßen zu (Hinweis auf BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11). Der Staat sei im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, die materiellen Voraussetzungen für Hilfebedürftige zur Verfügung zu stellen. Migrationspolitische Erwägungen seien nicht geeignet, die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde zu relativieren. Ein daraus abgeleiteter individueller Leistungsanspruch bedürfe allerdings der Ausgestaltung durch ein Gesetz. Hinsichtlich dessen Umfang stehe dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu. Auch inländischen Staatsangehörigen gewährleiste die Verfassung nicht die Gewährung bedarfsunabhängiger, voraussetzungsloser Sozialleistungen (Verweis auf BVerfG, Urteil vom 07.07.2010 – 1 BvR 2556/09). Der Umfang des Leistungsanspruches ergebe sich weder aus Artikel 1 Abs. 1 GG noch aus der Verfassung. Er hänge von den gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche, der konkreten Lebenssituation sowie den wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten ab. Dieses Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums sei nicht verletzt. Die Antragstellerin (des dem Senat vorliegenden Verfahrens) könne darauf verwiesen werden, Leistungen ihres Heimatlandes zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes in Anspruch zu nehmen. Mit dem Leistungsausschluss für EU-Ausländer, die ihr Aufenthaltsrecht allein aus der Arbeitsuche ableiteten, habe der Gesetzgeber den Nachrang des deutschen Sozialleistungssystems gegenüber dem des Herkunftslandes normiert. Dies sei nicht zu beanstanden. Der faktische Zwang ins Herkunftsland zurückkehren zu müssen, weil es der Antragstellerin nicht möglich sei, ihren Lebensunterhalt in der BRD sicherzustellen, stelle keine Verletzung der Art. 1 Abs. 2, 20 Abs. 1 GG dar. Er sei vergleichbar mit der Situation von Auszubildenden und Studenten, die ihre Arbeitskraft für ihren Lebensunterhalt einsetzen müssten. Das BVerfG habe die Leistungsausschlüsse für Studenten und Auszubildende gemäß § 7 Abs. 5 SGB II gebilligt (Hinweis auf Beschlüsse des BVerfG vom 03.09.2014 – 1 BvR 1768/11 und vom 08.10.2014 – 1 BvR 886/11), mit der Folge, dass die Betroffenen letztlich gezwungen seien, ihre Ausbildung abzubrechen und ihre Arbeitskraft zur Beschaffung Ihres Lebensunterhaltes einzusetzen. Hierin unterscheide sich auch die Situation der Antragstellerin (des dortigen Verfahrens) grundlegend von der Situation der in den Anwendungsbereich des AsylbLG fallenden Asylsuchenden. Die Antragstellerin sei als Unionsbürgerin anders als Asylsuchende nicht daran gehindert, sich innerhalb des so genannten "Schengen-Raumes" frei zu bewegen oder in ihr Herkunftsland Portugal zurückzukehren. Soweit sie vortrage, auf Grund einer Erkrankung derzeit nicht arbeitsfähig zu sein, sei festzustellen, dass auch ihr Heimatstaat Portugal die ESCh unterzeichnet und ratifiziert habe. Portugal habe sich damit verpflichtet sicherzustellen, dass jedem, der nicht über ausreichende Mittel verfüge und sich diese auch nicht selbst oder von anderen, insbesondere durch Leistungen aus einem System der sozialen Sicherheit verschaffen könne, ausreichende Unterstützung und Krankenbehandlung gewährt werden (Verweis auf Artikel 13 ESCh – „Das Recht auf Fürsorge“). Auch tatsächlich verfüge Portugal über steuerfinanzierte und beitragsunabhängige Systeme für alle Einwohner, die sich in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage befinden (Verweis auf die Quelle: www.sozialkompass.eu). Unberührt vom Leistungsausschluss blieben Ansprüche auf Hilfen zur Behebung eines akut lebensbedrohlichen Zustandes oder für eine unaufschiebbare und unabweisbar gebotene Behandlung einer schweren oder ansteckenden Erkrankung gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB XII. Solche seien aber nicht Gegenstand des Eilverfahrens. Die Antragstellerin müsse also in Konsequenz der Entscheidung des Senats damit rechnen, ihren Aufenthalt in der Bundesrepublik (vorübergehend) aufgeben und sich an das Fürsorgesystem ihres Herkunftsstaates Portugal wenden zu müssen, wenn sie ihren Lebensunterhalt nicht auf andere Weise sichern könne. Dass die Verweisung der Antragstellerin auf die Inanspruchnahme dieser Leistungen in ihrem Heimatstaat gegen Art. 1 GG oder Art. 20 GG verstoßen würde, vermöge der Senat nicht zu erkennen.

189

1.3.9 Auch der 6. Senat des LSG Rheinland-Pfalz sieht in einem Beschluss vom 02.11.2015 (L 6 AS 503/15 B ER – nicht veröffentlicht) im Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II keinen Verstoß gegen das Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Dieses Grundrecht, das der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber bedürfe, gelte nicht schrankenlos. Der Gesetzgeber habe daher bei der Ausgestaltung des Arbeitslosengeldes II berücksichtigen dürfen, dass Unionsbürger regelmäßig in der Lage seien, in ihr Herkunftsland zurückzukehren und die dortigen Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen. Da der Senat keine Hinweise darauf habe, dass die (bulgarische) Beschwerdeführerin des dortigen Verfahrens aus gesundheitlichen oder anderen schwerwiegenden Gründen gehindert wäre, nach Bulgarien zurückzukehren, müsse nicht entschieden werden, ob in diesem Falle ausnahmeweise ein konkreter Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG abgeleitet werden könne.

190

1.3.10 Seither hat eine große Anzahl von Spruchkörpern der Sozialgerichtsbarkeit Entscheidungen veröffentlicht, in denen die Verfassungswidrigkeit ebenso wie die Europarechtswidrigkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verneint wird und – insbesondere nach den Urteilen des 4. Senats des BSG vom 03.12.2015 (B 4 AS 59/13 R, B 4 AS 43/15 R und B 4 AS 44/15 R) und in kritischer Auseinandersetzung mit diesen – die Möglichkeit der Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem 3. Kapitel des SGB XII abgelehnt wird (SG Dortmund, Beschluss vom 23.11.2015 – S 30 AS 3827/15 ER – Rn. 30 ff.; SG Berlin, Urteil vom 11.12.2015 – S 149 AS 7191/13 – Rn. 26 ff.; SG Berlin, Urteil vom 14.01.2016 – S 26 AS 12515/13 –Rn. 89 ff.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.01.2016 – L 29 AS 20/16 B ER, L 29 ASL 29 AS 21/16 B ER PKH – Rn. 22 ff.; SG Halle (Saale), Beschluss vom 22.01.2016 – S 5 AS 4299/15 ER – Rn. 20 ff.; SG Dortmund, Beschluss vom 11.02.2016 – S 35 AS 5396/15 ER – Rn. 22 ff.; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22.02.2016 – L 9 AS 1335/15 B ER – Rn. 56 ff.; SG Berlin, Beschluss vom 22.02.2016 – S 95 SO 3345/15 ER – Rn. 42 ff.; SG Berlin, Beschluss vom 02.03.2016 – S 205 AS 1365/16 ER – Rn. 22 ff.; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.03.2016 – L 12 SO 79/16 B ER – Rn. 17 ff.; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 17.03.2016 – L 9 AS 1580/15 B ER – Rn. 50 ff.; SG Reutlingen, Urteil vom 23.03.2016 – S 4 AS 114/14 – Rn. 28 ff.; SG Speyer, Urteil vom 29.03.2016 – S 5 AS 493/14 – Rn. 49 ff.; SG Berlin, Beschluss vom 07.04.2016 – S 92 AS 359/16 ER – Rn. 15 ff.; SG Freiburg (Breisgau), Beschluss vom 14.04.2016 – S 7 SO 773/16 ER –, Rn. 33 ff.; SG Dortmund, Beschluss vom 18.04.2016 – S 32 AS 380/16 ER – Rn. 76 ff.; SG Berlin, Urteil vom 18.04.2016 – S 135 AS 3966/12 – Rn. 42 ff.; SG Berlin, Urteil vom 18.04.2016 – S 135 AS 22330/13 – Rn. 46 ff.; differenzierter: SG Berlin, Urteil vom 14.01.2016 – S 26 AS 12515/13 – Rn. 82 ff.).

191

Das Urteil des EuGH vom 15.09.2015 (C-67/14) wird hierbei regelmäßig unkritisch quasi als „geltende Rechtslage“ hingenommen, während dem 4. und dem 14. Senat des BSG nahezu durchgängig unter Verweis auf einen behaupteten Verstoß gegen das Gesetzesbindungsgebot und/oder des Gewaltenteilungsprinzips auch rhetorisch massiv entgegengetreten wird – bei ebenso durchgängiger Erweiterung des Leistungsausschlusses des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II und des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII auf Personen ohne materielles Aufenthaltsrechts über den Gesetzeswortlaut hinaus (in diesem Punkt in Übereinstimmung mit dem BSG). In verfassungsrechtlicher Hinsicht werden hierbei die aus den vorstehend wiedergegebenen Entscheidungen bekannten Begründungsansätze variiert. Die Rechtsprechung des BVerfG zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums wird hierbei ausdrücklich nicht in Frage gestellt.

192

Dass hierbei selbst Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz und gelegentlich auch auf Prozesskostenhilfe entgegen der mehrfach bekräftigten Rechtsauffassung des für entsprechende Hauptsacheverfahren zuständigen Revisionsgerichts abgelehnt werden, wird mitunter deutlich kritisiert, weil hierdurch effektiver Rechtsschutz im Bereich existenzieller Bedürfnisse vereitelt wird (vgl. Wenner, SozSich 2016, S. 44; Coseriu in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Auflage 2014, § 23 SGB XII, Stand 08.04.2016; vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.04.2016 – L 6 AS 2249/15 B ER, L 6 AS L 6 AS 21/16 B – Rn. 23 ff., SG Mainz, Beschluss vom 12.11.2015 – S 12 AS 946/15 ER – Rn. 94 ff.).

193

1.4 In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird die Verfassungsmäßigkeit eines vollständigen Leistungsausschlusses von ausländischen Staatsangehörigen wie in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II überwiegend bezweifelt, jedenfalls aber für klärungsbedürftig gehalten.

194

1.4.1 Pattar stellt nach Erörterung europarechtlicher und völkerrechtlicher Zusammenhänge fest, dass sich ein weiterer Einwand gegen den Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II aus dem in der Menschenwürdegarantie des Art. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG wurzelnden Menschenrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums herleiten lasse. Wer von den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen sei, erhalte auf dem ersten Blick keinerlei Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Daneben liege im vollständigen Ausschluss von Leistungen eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG, die sich in das Inland begeben hätten, um Leistungen nach dem AsylbLG zu erhalten. Diese Personen erhielten trotz ihres rechtswidrigen Aufenthalts nach § 1a AsylbLG immerhin unabweisbar gebotene Leistungen. Zur Vermeidung dieses Ergebnisses müssten deshalb auch die nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ausgeschlossenen Personen mindestens analog § 1a AsylbLG Leistungen erhalten. Zuständig hierfür seien aber nicht die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende, sondern die Träger der Sozialhilfe als Träger des letzten Auffangsystems (Pattar in Klinger/Kunkel/Pattar/Peters, Existenzsicherungsrecht, S. 117 f., 3. Auflage 2012).

195

1.4.2 Palsherm vertritt Bezug nehmend auf die Ausschlussregelung des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII die Auffassung, dass, falls ein nach dieser Vorschrift ausgeschlossener Ausländer auch nicht unter das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) falle, ihm wegen des Teilhabemoments von Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG jedenfalls dasjenige gewährt werden müsse, was den Kern eines menschenwürdigen Existenzminimums ausmache (Palsherm in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 2. Auflage 2011, § 28 SGB I, Rn. 20, Stand 20.02.2012).

196

1.4.3 Kingreen stellt fest, dass der generelle Leistungsausschluss in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II bereits gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG verstoße, dass aber auch Differenzierungen hinsichtlich des Leistungszeitraums und -umfangs bei einem nicht nur kurzfristigen Aufenthalt nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar wären Statt oder vor einer Vorlage an den EuGH sei daher in einem geeigneten Fall auch die Vorlage an das BVerfG in Betracht zu ziehen (Kingreen, SGb 2013, S. 139).

197

Im Nachgang zum Urteil des EuGH vom 15.09.2015 (C-67/14) führt Kingreen aus, dass das BVerfG in einer Reihe von Entscheidungen klargestellt habe, dass Ungleichbehandlungen wegen der Staatsangehörigkeit beim Sozialleistungsbezug an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen und die Rechtfertigungsanforderungen insoweit besonders hoch seien, weil die Staatsangehörigkeit von Umständen abhänge, die der Einzelne nicht beeinflussen könne. Daher dürfe der Gesetzgeber bei der konkreten Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen nicht pauschal nach dem Aufenthaltsstatus differenzieren. Eine Differenzierung sei nur möglich, sofern deren Bedarf an existenznotwendigen Leistungen von dem anderer Bedürftiger signifikant abweiche und dies folgerichtig in einem inhaltlich transparenten Verfahren anhand des tatsächlichen Bedarfs gerade dieser Gruppe belegt werden könne (Hinweis auf BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11). Dies werde sich insbesondere bei Personen, die sich nicht nur vorübergehend in Deutschland aufhielten, kaum begründen lassen (Kingreen, NVwZ 2015, S. 1506).

198

1.4.4 Frerichs vertritt unter Berufung auf das Urteil des BVerfG vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 – Rn. 95) die Auffassung, dass der Gesetzgeber nach Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verpflichtet sei, für alle Personen, die sich im Bundesgebiet aufhalten, vom ersten Tage an gesetzliche Regelungen vorzusehen, die nach einem inhaltlich transparenten und folgerichtigen Verfahren ein menschenwürdiges Existenzminimum sicherstellen und gegen den Staat einen Rechtsanspruch auf die entsprechenden materiellen Leistungen einräumen. Dabei dürfe er – abweichend vom allgemeinen Grundsicherungsrecht – für bestimmte Personengruppen eigenständige Regelungen treffen, die sich allerdings an den prozeduralen Vorgaben zur Ermittlung des Leistungsumfangs messen lassen müssten, die im Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 aufgestellt worden seien (Frerichs, ZESAR 2014, S. 283). Hinsichtlich des nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB II und § 23 Ab. 3 Satz 1 SGB XII ausgeschlossenen Personenkreises dränge sich die Frage auf, ob der Gesetzgeber seiner verfassungsrechtlichen Pflicht aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums hinreichend nachkomme. Er habe für diese Personen keinen gesetzlichen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums normiert. Dies sei aber verfassungsrechtlich geboten. Dieser verfassungsrechtlichen Fragestellung durch richterliche Rechtsfortbildung zu begegnen, sei sehr problematisch. Die bisherigen Lösungsansätze, den Betroffenen einen Anspruch gegen den Sozialhilfeträger auf eine „Mindestsicherung“ nach Maßgabe des § 23 Abs. 5 SGB XII, § 73 SGB XII oder § 1a AsylbLG zuzuerkennen (Verweis auf LSG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 06.09.2012 – L 7 AS 758/12 B ER – Rn. 14 und vom 28.11.2012 – L 7 AS 2109/11 B ER – Rn. 14; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15.11.2013 – L 15 AS 365/13 B ER – Rn. 66 f.; SG Darmstadt, Beschluss vom 29. 10. 2013 – S 16 AS 534/13 ER – Rn. 83; Mangold/Pattar, VSSR 2008, S. 243, 267), seien nicht überzeugend. Eine Anlehnung an das Leistungsniveau eines für diese Personengruppe an sich nicht vorgesehenen Existenzsicherungssystems (SGB XII, AsylbLG) sei methodisch im Wege der Analogie nicht möglich. Es fehle schon an einer sich aus Systematik und Sinn und des Gesetzes ergebenden Lücke, weil der Gesetzgeber mit den Leistungsausschlüssen bewusst die nach Unionsrecht nur in engen Grenzen zulässigen Möglichkeiten habe nutzen wollen, um die Zahlung von Sozialleistungen an Unionsbürger zu beschränken (Hinweis auf BT-Drucks. 16/5065, S. 234 und BT-Drucks. 17/13322, S. 30). Auch sei der Rückgriff auf § 73 SGB XII, nach dem Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden könnten, rechtlich heikel. Eine „sonstige“ Lebenslage setze nämlich eine atypische Bedarfslage voraus, die nicht bejaht werden könne, wenn der Gesetzgeber sie gesehen und im Sinne eines Leistungsausschlusses geregelt habe (Frerichs, ZESAR 2014, S. 285).

199

1.4.5 Löbich konstatiert, dass es äußerst fraglich erscheine, ob ein absoluter Leistungsausschluss von Sozialleistungen für wirtschaftlich inaktive Unionsbürger noch im Einklang mit den vom BVerfG gemachten Ausführungen zum Anspruch auf ein menschenwürdesicherndes Existenzminimum stehe. Verfassungsrechtlich gelte jedenfalls, dass solange nicht festgestellt sei, dass eine Person ausreisen könne, ihr ein menschenwürdiges Existenzminimum zu gewährleisten sei und sie gerade nicht darauf verwiesen werden dürfe, dieses im Ausland zu suchen. Ein vollständiger Leistungsausschluss komme auch bei Unionsbürgern mit Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitsuche verfassungsrechtlich nicht in Betracht (Löbich, ZESAR 2015, S. 426 f.).

200

1.4.6 Thym hält in Auseinandersetzung mit dem Urteil des EuGH vom 11.11.2014 (C-333/13) fest, dass früher oder später das BVerfG darüber zu befinden haben werde, ob der Klägerin des dortigen Verfahrens ein Grundsicherungsanspruch nach dem GG zustehe, obgleich sie im europäischen Freiheitsraum jederzeit in den Heimatstaat reisen könne und mithin strukturell nicht im gleichen Maße von deutscher Unterstützung abhänge wie etwa Asylbewerber (Thym, NJW 2015, S. 134).

201

1.4.7 Wilksch (JuWissBlog, https://www.juwiss.de/90-2015/) bezeichnet in Auseinandersetzung mit den Urteilen des BSG vom 03.12.2015 die von diesem unter Verweis auf § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII eingeräumte Ermessensentscheidung als unzulässige migrationspolitische Relativierung des Existenzminimums und vertritt die Auffassung, dass das BSG zur Verfassungswidrigkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II und des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII hätte kommen müssen.

202

1.4.8 Wunder hält einen Leistungsausschluss für EU-Bürger bis zu Ausreise zwar für europarechtskonform aber nicht für mit dem GG vereinbar. Sie hält es allerdings wohl für möglich, einen Leistungsanspruch unmittelbar aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG abzuleiten und bis zur Verabschiedung einer einfachgesetzlichen Regelung den Leistungsumfang an vergleichbare existenzsichernde Leistungen anzulehnen (Wunder, SGb 2015, S. 622).

203

1.4.9 Farahat weist in einer Besprechung des Urteils des EuGH vom 15.09.2015 (C-67/14) darauf hin, dass die Mitgliedstaaten Arbeitsuchende wegen Art. 14 Abs. 4 b) RL 2004/38/EG weiterhin auch dann nicht ausweisen dürften, wenn sie im Aufenthaltsstaat noch nicht gearbeitet hätten oder länger als sechs Monate arbeitslos seien, ein Aufenthaltsrecht ihnen also zustehe. Allerdings dürften ihnen in diesem Fall nach dem Urteil des EuGH jegliche Sozialleistungen im Aufenthaltsstaat verweigert werden. Es liege auf der Hand, dass diese Lösung die Gefahr einer dauerhaften sozialen Exklusion im Aufenthalts-Mitgliedsstaat produziere. Unionsrechtlich sei es nun nämlich möglich, dass Unionsbürger in ihrem Aufenthalts-Mitgliedstaat zwar nicht ausgewiesen werden dürften, allerdings keinen Anspruch auf soziale Inklusion hätten. Diese Lücke werde in Deutschland künftig verfassungsrechtlich zu schließen sein. Das BVerfG habe in seiner Entscheidung zum AsylbLG bereits klargestellt, dass „migrationspolitische Erwägungen (…) von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das (…) Existenzminimum rechtfertigen“ könnten. Vor diesem Hintergrund erscheine es unwahrscheinlich, dass sich der automatische Leistungsausschluss arbeitssuchender Unionsbürger mit dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum vereinbaren lasse. Zu denken sei etwa an einen Anspruch auf Leistungen analog AsylbLG oder aber die Finanzierung einer „Rückreise“ in den Anwendungsbereich eines Leistungsanspruchs (Farahat, Verfassungsblog 2015/9/16, www.verfassungsblog.de).

204

1.4.10 Sokołowski stellt im Rahmen einer europarechtlichen Abhandlung fest, dass die Auslegung (des § 7 Abs. 2 Satz 2 SGB II), die den Anspruch der Unionsbürger auf das Arbeitslosengeld II anerkenne, sich auch auf Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG stütze. Das Sozialstaatsprinzip und der Schutz der Menschenwürde verpflichteten den Staat, die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein auch den Unionsbürgern zu sichern. Diese Grundrechte und Staatsprinzipien gälten nach herrschender Meinung nicht nur für Deutsche. Das BVerfG habe bereits entschieden, dass eine grundlose Ungleichbehandlung von Ausländern und Deutschen gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße (Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 07.02.2012 – 1 BvL 14/07). Wenn der Ausschluss von Ausländern, die Nichtunionsbürger sind, vom Kindergeld und Landeserziehungsgeld für verfassungswidrig erklärt worden sei, verstoße der Ausschluss der Unionsbürger auf Arbeitsuche aus dem Arbeitslosengeld-II-System gegen Art. 3. Abs. 3 GG. Durch § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II würden Letztere schlechter gestellt als illegal eingereiste Asylbewerber in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts, die Leistungen nach § 1a AyslbLG erhielten. Daraus ergebe sich unabhängig vom Anwendungsvorrang des Europarechts das Gebot, das SGB II und das FreizügG/EU so auszulegen, dass die notwendige Konformität mit dem GG erreicht werde (verfassungskonforme Auslegung), d.h. hilfebedürftigen Unionsbürgern das Arbeitslosengeld II unter denselben Voraussetzungen wie den Deutschen zu gewähren. Hervorzuheben sei auch, dass es verfassungsrechtlich zweifelhaft erscheine, potenzielle „Sozialtouristen“ von der Einreise nach Deutschland abzuschrecken, indem denjenigen, die bereits eingereist seien, Leistungen verwehrt würden (Sokołowski, ZESAR 2015, S. 483; ähnlich bereits ders., ZESAR 2011, S. 377).

205

1.4.11 Leopold konstatiert, dass auf Grund der Rechtsprechung des BVerfG bestehende verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Leistungsausschluss von Ausländerinnen und Ausländern durch die Klärung unionsrechtlicher sowie staatsvertragsrechtlicher Aspekte noch nicht beseitigt würden. Ungeachtet unionsrechtlicher Gleichbehandlungsansprüche stelle sich die Frage, ob der in § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II vorgesehene Leistungsausschluss mit dem Grundrecht auf Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 GG zu vereinbaren sei (Leopold in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Auflage 2015, § 7, Rn. 102, Stand: 14.03.2016).

206

1.4.12 Kanalan hält der u.a. von der 149. Kammer des SG Berlin vertretenen Auffassung, dass die Ausschlussregelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei, da es Unionsbürgern anders als Asylbewerbern regelmäßig möglich sei, ohne drohende Gefahren für hochrangige Rechtsgüter in ihr Heimatland zurückzukehren und dort staatliche Unterstützungshandlungen zu erlangen (SG Berlin, Urteil vom 11.12.2015 – S 149 AS 7191/13 – Rn. 36) entgegen, dass sie mit der dargestellten Begründung ein grundsätzlich defizitäres Verständnis des Menschenrechts auf das Existenzminimum enthalte. Das BVerfG habe unmissverständlich in seinem Urteil zum AsylbLG zum Ausdruck gebracht, dass das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als Menschenrecht aus Art. 1 Abs. 1 (i.V.m. Art. 20 Abs. 1) GG auch ausländischen Staatsangehörigen, die sich in Deutschland aufhalten, unabhängig von einem materiellen Aufenthaltsrecht zustehe. Es sei insbesondere ohne Relevanz, dass das Sozialrechtssystem eine Differenzierung nach dem Aufenthaltsstatus vornehme und mit dem AsylbLG ein Sonderregime für bestimmte Personengruppen geschaffen habe. Das verfassungsrechtlich garantierte Menschenrecht auf Existenzminimum ergebe sich dem Grunde nach aus der Verfassung und sei insoweit unabhängig vom Recht auf Aufenthalt oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten Personengruppe. Es gelte für alle Menschen und habe somit einen universellen Charakter. Wenn der Gesetzgeber diesen Anspruch nicht gesetzlich sichere, was unmittelbar der Schutzgehalt des Art. 1 Abs. 1 GG voraussetze, liege ein Verfassungsverstoß vor. In diesem Fall ergebe sich der Anspruch (dem Grunde nach) aus der Verfassung (Bezugnahme auf BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 – Rn. 66). Indem aber das SG Berlin anführe, dass die Unionsbürger, die nicht einmal über ein materielles Aufenthaltsrecht verfügten, keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II haben könnten, verdeutliche dies, dass es das Menschenrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht durchdrungen habe. Ein weiterer entscheidender Punkt, der demonstriere, dass weder das SG Berlin noch andere ähnlich argumentierende Gerichte den Kern des Menschenrechts auf das Existenzminimum erfasst hätten, sei der Verweis auf die Möglichkeit der Rückkehr in den Herkunftsstaat und die Inanspruchnahme der Sozialleistungen des Herkunftsstaates. Dieser Argumentationsansatz sei die Folge eines grundlegend defizitären Verständnisses. Denn der Leistungsanspruch auf das Existenzminimum ergebe sich aus Art. 1 Abs. 1 GG, welcher dem Grunde nach unverfügbar sei (Bezugnahme auf BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 – Rn. 62). Hieraus folge, dass der Anspruch unabhängig von einem bestimmten Verhalten der Betroffenen bestehe und somit jegliche Versagung der Leistungen mit Berufung auf ein Verhalten des Betroffenen die Menschenwürde tangiere, also einen Verfassungsverstoß darstelle. Die Gewährleistung dieses Anspruchs könne weder unter eine Bedingung gestellt noch vom Verhalten der Betroffenen abhängig gemacht werden (Hinweis auf SG Mainz, Beschluss vom 12.11.2015 – S 12 AS 946/15 ER). Diese Feststellung, die bei mehreren Sozialgerichten auf Ablehnung stoße, werde insbesondere durch einen Vergleich mit dem Folterverbot deutlich. Weil Folter stets einen Verstoß gegen die Menschenwürde darstelle, sei das Folterverbot absolut. Die Anwendung von Folter mit dem Argument, dass der Betroffene einer Verletzung seiner Menschenwürde entgehen könne, in dem er ein bestimmtes Verhalten vornehme, dürfte kaum überzeugen. So habe auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Zusammenhang mit Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ausgeführt, dass der Schutz des Art. 3 EMRK absolut sei und unabhängig vom Verhalten – sogar unabhängig von der Verwerflichkeit des Verhaltens – der betreffenden Person Geltung beanspruche. Wenn dies aber so sei, könne der Hinweis auf die Ausreisemöglichkeit und Verweis auf die Sozialleistungen des Herkunftsstaates nicht überzeugen. Vielmehr bestehe der Anspruch vom ersten Moment der Bedürftigkeit an (Hinweis auf BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 – Rn. 99), ohne dass es dabei auf ein Verhalten der Betroffenen ankäme. Dies sei, was der Menschenwürdeschutz verlange (Kanalan, Verfassungsblog 2016/3/01, www.verfassungsblog.de).

207

Kanalan hält jedoch eine Lösung des Problems durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II für möglich. Die Regelung sei verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass Unionsbürger auch im Falle des Aufenthaltsrechts zum Zwecke der Arbeitsuche in Deutschland einen Anspruch auf die Leistungen der Grundsicherung haben, und zwar in verfassungskonformer Auslegung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II vom ersten Tag des Aufenthalts im Inland soweit Bedürftigkeit vorliege. Ein Verweis auf die Leistungen des SGB XII überzeuge aus den zutreffenden Gründen, die das SG Berlin (Urteil vom 11.12.2015 – S 149 AS 7191/13) ausgeführt habe nur für Personen, die nicht unter den Anwendungsbereich des SGB II fielen, also insbesondere Erwerbsunfähige. Es ergebe sich auch ein weiterer Lösungsweg – in Anlehnung an die Rechtsprechung des BVerfG – unmittelbar aus der Verfassung. Danach hätten Unionsbürger einen Anspruch auf die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums unmittelbar aus Art. 1 Abs. 1 GG. Der konkrete Inhalt und Umfang richte sich nach den einschlägigen Bestimmungen des SGB II und SGB XII – u.a. für Erwerbsunfähige. Dass dieser Anspruch praktisch der Ausnahmefall sein dürfte, aber theoretisch dennoch möglich sei, habe das BVerfG selbst in seiner Entscheidung zum AsylbLG demonstriert. Das BVerfG habe für die Leistungen nach dem AsylbLG das Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz (RBEG) für die Bestimmung der Höhe der Leistungen zu Grunde gelegt und die neuen Bedarfe ermittelt (Hinweis auf BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 – Rn. 100 f.) (Kanalan, Verfassungsblog 2016/3/01, www.verfassungsblog.de).

208

1.4.13 Steffen stellt unter Bezugnahme auf das Urteil des BSG vom 03.12.2015 (B 4 AS 44/15 R) fest, dass das BSG die Frage nach der Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses von existenzsichernden Leistungen nach einem „Voraufenthalt“ von sechs Monaten über eine Ermessensregel im SGB XII „löse“. Der Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum sei aber dem Grunde nach unverfügbar und müsse nach den ausdrücklichen Vorgaben des BVerfG gerade unabhängig von der Aufenthaltsdauer und von der Aufenthaltsperspektive durch einen gesetzlich verankerten Rechtsanspruch gewährleistet werden. Er dürfe gerade nicht in das Ermessen gestellt werden (Bezugnahme auf BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11). Das BSG entziehe sich mit dieser Entscheidung einer Vorlage an das BVerfG (Steffen, ANA-ZAR 2016, S. 3).

209

1.4.14 Kötter zieht aus dem Urteil des EuGH vom 15.09.2015 (C-67/14) die Schlussfolgerung, dass der Blick wieder frei werde für Fragen, die sich aus der deutschen Rechtsordnung mit Blick auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ergäben, insbesondere auf die Frage seiner Vereinbarkeit mit dem GG. Das BVerfG habe in seiner Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit der Leistungen nach dem AsylbLG explizit festgestellt, dass das sich aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG ergebende Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ein Menschenrecht sei, das „deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten,“ gleichermaßen zustehe. Nach dem Wortlaut der Entscheidung komme es dabei weder auf die Dauer noch auf die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts an, was auch die Beschränkung des Grundrechts im Rahmen von Regelungen des Aufenthaltsrechts ausschließen würde. Nach dem Urteil des BVerfG sei eine fortdauernde Anwendung der verfassungswidrigen Normen „angesichts der existenzsichernden Bedeutung der Grundleistungen“ nicht hinnehmbar. Der elementare Lebensbedarf der Leistungsberechtigten sei in dem Augenblick zu befriedigen, in den er entstehe. Ein bloßer Verweis auf die Möglichkeit der Rückkehr in den Heimatmitgliedstaat genüge daher den Begründungsanforderungen an die Einschränkung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins wohl nicht. § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II könne daher verfassungswidrig sein, wenn er Unionsbürger während ihres Aufenthalts in Deutschland abschließend vom Anspruch auf Leistungen zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums ausschließe. Etwas Anderes könne dann gelten, wenn Unionsbürger hilfsweise existenzsichernde Leistungen nach dem SGB XII beziehen könnten (Kötter, info also 2016, S. 6).

210

1.4.15 Auch Greiser stellt fest, dass der europarechtlich zulässige vollständige Ausschluss von Leistungen wenn noch keine Verbindung zur Gesellschaft bestehe bzw. eine unangemessene Belastung vorläge, gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstoßen würde. Zumindest eine Mindestsicherung sei auch in diesem Fall zu gewähren (Greiser in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Auflage 2014, Anhang zu § 23, Rn. 119, Stand 23.12.2015). Im Übrigen vertritt er die Auffassung, dass das Urteil des BSG vom 03.12.2015 (B 3 AS 44/15 R) einen dogmatisch gut begründeten und praktisch handhabbaren Ausgleich zwischen den verfassungsrechtlichen Vorgaben auf der einen und dem einfachen Recht auf der anderen Seite darstelle. Insbesondere sei positiv zu bewerten, dass das BSG dem „Ob“ einer Leistungsgewährung bei einem verfestigten Aufenthalt nicht die Rückkehrmöglichkeit ins Heimatland entgegengestellt habe. Das Gericht erstrecke damit für diesen Fall die Rechtsprechung des BVerfG zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf EU-Bürger. Auf der anderen Seite schaffe das BSG in den ersten sechs Monaten einen gewissen Spielraum, zumindest was die Höhe der Leistungen angehe. Hier wäre nach Auffassung von Greiser eine Differenzierung danach, ob ein Aufenthaltsrecht besteht, wünschenswert gewesen. Der Weg, dieses Ergebnis über einen Anspruch auf Sozialhilfe zu „konstruieren“, stelle sich – im Rahmen des geltenden Rechts – als sachgerecht dar. Gegen diese Lösung sei vorgebracht worden, in den Gesetzgebungsmaterialien habe der Gesetzgeber zu erkennen gegeben, dass erwerbsfähige Ausländer von Leistungen nach dem SGB XII ausgeschlossen sein sollen (§ 21 SGB XII). Der subjektive Wille des Gesetzgebers sei aber nur nach der so genannten subjektiv-historischen Auslegung (allein) entscheidend. In der Rechtsprechung des BSG sei aber wohl die objektiv-historische Auslegung vorherrschend, die nach dem im Gesetz objektivierten Willen des Gesetzgebers frage. Zudem handele es sich vorliegend um eine verfassungskonforme Auslegung. Diese habe grundsätzlich Vorrang vor der subjektiv-historischen. Sei eine verfassungskonforme Auslegung möglich, so sei nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht relevant, dass eine nicht mit der Verfassung vereinbare Auslegung eher dem subjektiven Willen des Gesetzgebers entspräche. Eine Auslegung, die dazu führe, dass EU-Bürger, die unter den Ausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II fallen, in keinem Fall Leistungen erhalten würden, sei mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht vereinbar (Greiser, jM 2016, S. 159).

211

1.4.16 Lenze hält dem BSG (bezugnehmend u.a. auf die Urteile vom 16.12.2015 – B 14 AS 15/14 R, B 14 AS 18/14 R, B 14 AS 33/14 R) anlässlich einer Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 15.09.2015 (C-67/14) hingegen vor, sich im Rahmen einer unzulässigen Rechtsfortbildung über den klaren Willen des Gesetzgebers in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II hinweggesetzt und durch den Rückgriff auf das SGB XII außerdem in die föderale Finanzierungsverantwortung für die Grundsicherung nach § 46 SGB II eingegriffen zu haben (Lenze, NJW 2016, S. 555).

212

1.4.17 Coseriu führt in seiner Kommentierung zu § 23 SGB XII aus, dass ein völliger Ausschluss von Leistungen sich nicht mit Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 GG vereinbaren lasse. Zwar stehe es im sozialpolitischen Ermessen des Gesetzgebers, für Ausländer besondere Regelungen zur Sicherung ihres Lebensbedarfs zu entwickeln, nicht aber, Leistungen, die zur Deckung des Lebensunterhaltes dienen, gänzlich zu versagen. Es bestehe nämlich die Verpflichtung des Staates, die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein zu garantieren und dem mittellosen Bürger diese Mindestvoraussetzungen erforderlichenfalls durch Sozialleistungen zu sichern. Nach der Rechtsprechung des BVerfG gewähre Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG einen Anspruch auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums als Menschenrecht, das deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der BRD aufhalten, gleichermaßen zustehe (Coseriu in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Auflage 2014, § 23 Rn. 73, Stand 08.04.2016). Ein genereller Leistungsausschluss würde auch dazu führen, dass Ausländer, die eingereist seien, um Sozialhilfe zu erlangen, schlechter gestellt würden als Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG, die sich in das Bundesgebiet begeben hätten, um Leistungen nach dem AsylbLG zu erlangen, weil dieser Personenkreis, zu denen sogar vollziehbar Ausreisepflichtige gehörten, nach § 1a AsylbLG (immerhin) die nach den Umständen unabweisbar gebotenen Leistungen erhielte (Coseriu, a.a.O., Rn. 74). Zur Lösung dieses Konflikts sei eine verfassungskonforme Auslegung des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII geboten, die gerade keinen absoluten, rechtsvernichtenden Charakter der zur Verhütung von Missbrauch dienenden Bestimmung gebiete. Der Ausländer, der sich mit dem dort genannten Ziel in den Geltungsbereich des SGB XII begebe, sei lediglich vom (Rechts-)Anspruch auf die in § 23 Abs. 1 SGB XII vorgesehenen Leistungen ausgeschlossen. Dieser Ausschluss lasse aber gleichwohl – gegebenenfalls modifiziert – eine Hilfegewährung im Ermessenswege nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII zu, weil es Lebenssachverhalte geben könne, bei denen nach dem auch bei der Anwendung des § 23 SGB XII zu berücksichtigenden Gesamtverständnis des Sozialhilferechts die Leistung von (unter Umständen eingeschränkter) Hilfe selbst dann möglich bleiben müsse, wenn der Ausländer Leistungen der Sozialhilfe missbräuchlich in Anspruch nehme (Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 10.12.1987 – 5 C 32/85) (Coseriu, a.a.O., Rn. 75). Der Einwand des SG Berlin (Urteil vom 11.12.2015 – S 149 AS 7191/13), ein Unionsbürger könne im Gegensatz zu einem Asylbewerber regelmäßig in sein Heimatland zurückkehren und dort gegebenenfalls Sozialleistungen erhalten, habe keinen inhaltlich-argumentativen Bezug zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 GG und lasse die Frage unbeantwortet, auf welche Weise und in welchem Sicherungssystem das menschenwürdige Existenzminimum bis zur Ausreise sichergestellt werde, wenn der Betroffene nicht zur Ausreise verpflichtet sei (Coseriu, a.a.O., Rn. 63.4). Zwar möge die Auffassung des BSG (Bezugnahme auf das Urteil vom 03.12.2015 – B 4 AS 44/15 R), nach Ablauf von sechs Monaten sei das Ermessen auf Null reduziert, angreifbar sein, einen gänzlichen Ausschluss zu bejahen, wie das LSG Rheinland-Pfalz meine (Bezugnahme auf den Beschluss vom 11.02.2016 – L 3 AS 668/15 B ER), würde aber nicht nur eine völlige Missachtung der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG, sondern auch des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG bedeuten. Der Ausweg, den das LSG Rheinland-Pfalz hierzu suche (Inanspruchnahme von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes des Heimatlandes), sei absurd und lasse sich mit dem GG nicht in Einklang bringen (Coseriu, a.a.O., Rn. 63.6).

213

1.5 Die vorlegende Kammer ist nach Auswertung der vertretenen Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur der im Folgenden noch zu begründenden Überzeugung, dass die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verfassungswidrig ist. Eine verfassungskonforme Auslegung ist – auch über den vom BSG eingeschlagenen Weg der Verpflichtung zur Gewährung von Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII – nicht möglich.

214

2. Die mögliche Verfassungswidrigkeit des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 5 SGB II, gemäß der Parallelregelung in § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB XII und nach den Vorgängerregelungen im ab dem 01.01.1976 geltenden § 31 Abs. 4 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) in der Fassung des Gesetzes vom 18.12.1975 (BGBl. Teil I, S. 3091) und seit dem 01.01.1982 in § 26 (Abs.1) Satz 1 BSHG zunächst in der Fassung des Gesetzes vom 22.12.1981 (BGBl. Teil I S. 1523) und seither in verschiedenen Fassungen bis zum 31.12.2004 wurde bisher in Rechtsprechung (2.1) und Literatur (2.2) vergleichsweise selten thematisiert.

215

2.1 Die Rechtsprechung geht bislang weit überwiegend von der Verfassungsmäßigkeit des Leistungsausschlusses in § 7 Abs. 5 SGB II aus.

216

2.1.1 Die 3. Kammer des 1. Senats des BVerfG hat sich in zwei veröffentlichten Nichtannahmebeschlüssen mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II in der bis zum 31.03.2011 geltenden Fassung befasst.

217

a) Im Beschluss vom 03.09.2014 (1 BvR 1768/11 – Rn. 21 ff.) kommt sie zu dem Schluss, dass eine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG im der Verfassungsbeschwerde zu Grunde liegenden Fall nicht vorliege. § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II a.F. konkretisiere den Nachrang gegenüber vorrangigen besonderen Sozialleistungssystemen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Hinweis auf § 3 Abs. 3 Halbsatz 1 SGB II). Der Gesetzgeber gehe im Rahmen seines Gestaltungsspielraums in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon aus, dass das menschenwürdige Existenzminimum, soweit eine durch die Ausbildung bedingte Bedarfslage entstanden sei, vorrangig durch Leistungen nach dem BAföG beziehungsweise dem SGB III zu decken sei. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II a.F. führe (im Falle der Beschwerdeführerin) dazu, dass ihr für die Dauer ihrer Ausbildung keine Grundsicherungsleistungen (über Leistungen für Mehrbedarf für Alleinerziehende hinaus) gewährt würden. Dies beruhe auf den Vorgaben des BAföG, insbesondere zur Altersgrenze der Förderung und sei keine im dem Beschluss zu Grunde liegenden Verfahren zu klärende Frage zum SGB II. Der faktische Zwang, eine Ausbildung abbrechen zu müssen, weil keine Sozialleistungen die Existenz sicherten, berühre die teilhaberechtliche Dimension des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 und dem Sozialstaatsgebot aus Art. 20 Abs. 1 GG (Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 8.05.2013 – 1 BvL 1/08 – Rn. 36 f.). Der Gesetzgeber habe mit den Vorschriften des BAföG jedoch hierfür ein besonderes Sozialleistungssystem geschaffen. Dabei habe der Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraums entschieden, dass eine möglichst frühzeitige Aufnahme der Ausbildung angestrebt wird (Hinweis auf BT-Drucks. 8/2467, S. 15 und BT-Drucks. 11/610, S. 16 f.). Ermöglicht werde im Allgemeinen, bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres eine der Begabung entsprechende Ausbildung zu beginnen (Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 15.09.1980 – 1 BvR 715/80). Ob sich der Ausschluss der Beschwerdeführerin von der Förderung einer Ausbildung vor der Verfassung rechtfertigen lasse, sei damit nicht gesagt, aber auch nicht zu entscheiden.

218

b) Im Beschluss vom 08.01.2014 (1 BvR 886/11 – Rn. 13 ff.) kommt die 3. Kammer des BVerfG ebenfalls zu dem Ergebnis, dass das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG im der Verfassungsbeschwerde zu Grunde liegenden Fall nicht verletzt sei. Nach § 2 Abs. 2 Satz 2 SGB II müssten erwerbsfähige Leistungsberechtigte ihre Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhalts einsetzen; dies tue der Beschwerdeführer (des dortigen Verfahrens) nicht, wenn er studiere. Daher schließe § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II a.F. im Fall des Beschwerdeführers die Gewährung dieser Grundsicherungsleistungen aus. Soweit durch die Ausbildung existenzielle Bedarfe entstünden, würden diese insofern vorrangig durch Leistungen nach dem BAföG beziehungsweise dem SGB III gedeckt. Über die dortige Altersgrenze der Förderung hätten die Gerichte im vorliegenden Verfahren nicht entschieden. Daher gehe auch die Rüge einer Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG in diesem Verfahren ins Leere. Der faktische Zwang, ein Studium abbrechen zu müssen, weil keine Sozialleistungen zur Verfügung stehen, berührt zwar die teilhaberechtliche Dimension des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsgebot aus Art. 20 Abs. 1 GG. Der Gesetzgeber habe mit den Vorschriften des BAföG jedoch ein besonderes Sozialleistungssystem zur individuellen Förderung der Hochschulausbildung durch den Staat geschaffen, das diese Teilhabe sichern solle. Seine Regelungen über Förderungsvoraussetzungen sowie Art, Höhe und Dauer der Leistungen seien auf die besondere Lebenssituation der Studierenden zugeschnitten, die auf öffentliche Hilfe bei der Finanzierung ihres Studiums angewiesen seien. Der Gesetzgeber habe die Förderung so ausgestaltet, dass eine möglichst frühzeitige Aufnahme der Ausbildung gefördert werde, denn im Allgemeinen müsse bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres eine der Begabung entsprechende Ausbildung begonnen werden. § 10 Abs. 3 Satz 2 BAföG lasse Ausnahmen bei einer Ausbildungsaufnahme in höherem Alter zu. Es sei so derzeit möglich, ein Erststudium gefördert zu absolvieren. Ob sich insofern der Ausschluss des Beschwerdeführers von der Förderung für ein Studium nach Ausbildung und Erwerbstätigkeit vor der Verfassung rechtfertigen lässt, sei damit nicht gesagt, aber auch nicht zu entscheiden.

219

2.1.2 Nach Auffassung des 5. Senats des BVerwG (Beschluss vom 18.07.1994 – 5 B 25/94 – Rn. 5 f.) war die dem jetzigen § 7 Abs. 5 SGB II in wesentlicher Hinsicht entsprechende Ausschlussregelung des § 26 Satz 1 BSHG a.F. mit dem verfassungsrechtlichen Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG) vereinbar. Angesichts der Weite und Unbestimmtheit dieses Grundsatzes lasse sich aus ihm regelmäßig kein Gebot entnehmen, soziale Leistungen in einem bestimmten Umfang zu gewähren. Zwingend sei lediglich, dass der Staat die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben seiner Bürger schaffe (Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 29.05.1990 – 1 BvL 20/84, 1 BvL 21 BvL 26/84, 1 BvL 41 BvL 4/86 – Rn. 83). Dass diese Mindestvoraussetzungen bei Personen, die nach dem BAföG gefördert würden und zufolge des § 26 Satz 1 BSHG a.F. daneben grundsätzlich keine Hilfe zum Lebensunterhalt nach Sozialhilferecht erhalten könnten, in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise unterschritten würden, könne nicht angenommen werden. Die gegenteilige Einschätzung des Klägers (des dortigen Verfahrens) beruhe zum einen darauf, dass dieser, was die Höhe der Ausbildungsförderung nach dem BAföG angehe, mit dem Erhöhungsbetrag nach § 13 Abs. 2a BAföG (a.F.) für die Krankenversicherung von Auszubildenden an Hochschulen Leistungen unberücksichtigt lasse, die nicht nur nach Sozialhilferecht, sondern auch im Rahmen der Ausbildungsförderung gewährt werden könnten. Zum anderen bleibe in der dem Beschluss zu Grunde liegenden Beschwerde auch unerwähnt, dass nach der Rechtsprechung des BVerwG durch § 26 Satz 1 BSHG a.F. der Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nur für einen ausschließlich ausbildungsgeprägten Bedarf ausgeschlossen werde. Nicht berührt werde deshalb der Anspruch auf solche Leistungen, die zwar nach ihrer Zuordnung im Gesetz Hilfe zum Lebensunterhalt seien, jedoch einen Bedarf beträfen, der durch besondere, von der Ausbildung unabhängige Umstände bedingt sei (Bezugnahme auf BVerwG, Urteil vom 17.01.1985 – 5 C 29/84 – Rn. 8 ff.; BVerwG, Beschluss vom 13.05.1993 – 5 B 47/93 – Rn. 4; BVerwG, Urteil vom 14.10.1993 – 5 C 16/91 – Rn. 6). Neben Ausbildungsförderung nach dem BAföG könnten daher z.B. sozialhilferechtliche Leistungen wegen besonderer, nicht ausbildungsbezogener Belastungen durch Krankheit, Behinderung, Schwangerschaft oder Kinderpflege und -erziehung in Betracht kommen. Abgesehen davon sei es, was in der Rechtsprechung des BVerwG seit langem geklärt sei, auch Auszubildenden an Hochschulen grundsätzlich zumutbar, durch gelegentliche – insbesondere in die vorlesungsfreie Zeit fallende – Nebentätigkeit, bei der es sich nicht um die Aufnahme einer mit der Ausbildung unvereinbaren Erwerbstätigkeit handeln würde, einen Verdienst zu erzielen, der ausreiche, mindestens den Unterschiedsbetrag abzudecken, der sich etwa ergebe, wenn dem Betrag der gewährten Ausbildungsförderung der Betrag gegenübergestellt werde, der als Hilfe zum Lebensunterhalt nach Maßgabe der Vorschriften des BSHG in Betracht kommen könnte (Bezugnahme u.a. auf BVerwG, Urteil vom 24.04.1975 – V C 9.74 – Rn. 16). Der Auszubildende habe es danach in der Hand, im Bedarfsfall die Sozialleistungen, die er aus Mitteln der Ausbildungsförderung und gegebenenfalls – beim Vorliegen eines nicht ausbildungsgeprägten Bedarfs – im Rahmen des Sozialhilferechts erhalte, im Wege der Selbsthilfe aufzustocken.

220

2.1.3 Der 8. Senat des OVG Nordrhein-Westfalen ist im Anschluss an die Rechtsprechung des BVerwG ebenfalls der Ansicht, dass es sowohl mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG als auch mit dem verfassungsrechtlichen Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG) vereinbar sei, dass § 26 Satz 1 BSHG a.F. Personen, die eine im Rahmen des BAföG dem Grunde förderungsfähige Ausbildung absolvieren, von der Hilfe zum Lebensunterhalt grundsätzlich ausschließe (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.02.1995 – 8 B 540/95 – Rn. 6).

221

2.1.4 Nach Auffassung des damaligen 14. Senats des BSG begegnet der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II in der Fassung des Gesetzes vom 24.12.2003 (BGBl. Teil I, S. 2954) keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Zwar führe der Ausschluss sowohl im SGB II als auch im SGB XII dazu, dass im Einzelfall für Ausbildungszeiten überhaupt keine staatliche Sozialleistung zur Verfügung gestellt werde. Der Gesetzgeber stelle aber grundsätzlich ein besonderes System der Ausbildungsförderung zur Verfügung, mit dem er den Lebensunterhalt während einer Ausbildung sichere. Er sei verfassungsrechtlich nicht gehalten, darüber hinaus Ausbildungszeiten auch außerhalb dieses Systems zu fördern. Soweit jemand eine Ausbildung betreiben wolle, obwohl er die Anspruchsvoraussetzungen des zur Förderung einer Ausbildung vorgesehenen Sozialleistungssystems nicht erfülle, handele es sich um eine vom Auszubildenden selbst zu verantwortende Entscheidung. Sie könne zumindest nicht die Konsequenz haben, den Gesetzgeber zu verpflichten, auch während dieser Ausbildung Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts nach einem System (SGB II) zu gewähren, das der Existenzsicherung von Personen diene, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Einkommen erzielen wollen würden und nur wegen des Fehlens einer Erwerbsmöglichkeit (vorübergehend) der Unterstützung bedürften. Wegen der Ausbildung wäre die Klägerin (des dortigen Verfahrens) nämlich kaum in der Lage, ihren Lebensunterhalt durch eine von der Bundesagentur für Arbeit vermittelte Erwerbstätigkeit selbst zu sichern. Etwaige Härten würden dabei durch § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II (a.F.) abgefedert. Angesichts der insgesamt pauschalierten Höhe der Leistungen nach dem BAföG würde die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II, jedenfalls in der Zeit vor dem Inkrafttreten des § 22 Abs. 7 SGB II zum 01.01.2007 auch zu einer nicht zu rechtfertigenden Privilegierung von Personen führen, die eine förderungsfähige Ausbildung absolvierten, aber die besonderen Voraussetzungen einer Ausbildungsförderung nach den spezialgesetzlichen Vorschriften nicht erfüllten (BSG, Urteil vom 06.09.2007 – B 14/7b AS 28/06 R – Rn. 29; ähnlich: BSG, Urteil vom 06.09.2007 – B 14/7b AS 36/06 R – Rn. 28).

222

2.1.5 Dieser Auffassung hat sich der 14. Senat des LSG Berlin-Brandenburg im Beschluss vom 18.07.2008 (L 14 B 774/08 AS PKH – Rn. 2) ohne weitere Begründung angeschlossen.

223

2.1.6 Im Urteil vom 30.09.2008 stellt auch der 4. Senat des BSG unter Bezugnahme auf die Urteile vom 06.09.2007 (B 14/7b AS 28/06 R und B 14/7b AS 36/06 R) ohne weitere Ausführungen fest, dass eine verfassungswidrige Benachteiligung durch den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II nicht ersichtlich sei (BSG, Urteil vom 30.09.2008 – B 4 AS 28/07 R – Rn. 30). Die Ausschlussregelung sei auf die Erwägung zurückzuführen, dass bereits die Ausbildungsförderung nach dem BAföG oder gemäß §§ 60 bis 62 SGB III (a.F.) auch die Kosten des Lebensunterhalts umfasse und deshalb im Grundsatz die Grundsicherung nicht dazu diene, durch Sicherstellung des allgemeinen Lebensunterhalts das Betreiben einer dem Grunde nach anderweitig förderungsfähigen Ausbildung zu ermöglichen. Die Ausschlussregelung solle die nachrangige Grundsicherung mithin davon befreien, eine (versteckte) Ausbildungsförderung auf zweiter Ebene zu ermöglichen (BSG, Urteil vom 30.09.2008 – B 4 AS 28/07 R – Rn. 14).

224

Im Urteil vom 27.09.2011 führt der 4. Senat des BSG aus, dass es der Sinn der Regelung des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II (a.F.) sei, Ausbildungsförderleistungen nur durch die dafür vorgesehenen Systeme (BAföG oder SGB III) zu gewährleisten. Ausbildungsförderung durch Leistungen aus den Fürsorgesystemen (SGB II und SGB XII) solle daher weitestgehend verhindert werden (BSG, Urteil vom 27.09.2011 – B 4 AS 160/10 R – Rn. 19).

225

In einem weiteren Urteil vom 27.09.2011 konstatiert der 4. Senat des BSG – ohne allerdings ausdrücklich eine verfassungsrechtliche Prüfung vorzunehmen –, dass es, da grundsätzlich die Sicherung des Lebensunterhalts bei förderungsfähigen Ausbildungen durch ein anderes Sozialleistungssystem erfolgen solle als die Grundsicherung für Arbeitsuchende, in der Ausbildungssituation keiner Leistungen der Grundsicherung bedürfe. Soweit ein Student ein Studium betreiben möge, obwohl er die Anspruchsvoraussetzungen des zur Förderung dessen vorgesehenen Sozialleistungssystems nicht erfülle, handele es sich um eine vom Auszubildenden selbst zu verantwortende Entscheidung. Sie könne zumindest nicht die Konsequenz haben, den Gesetzgeber zu verpflichten, auch während dieses Studiums Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren, ohne dass der Student dem Gesamtsystem des SGB II unterläge. Wegen der Ausbildung sei er nämlich kaum in der Lage, seinen Lebensunterhalt durch eine von der Bundesagentur für Arbeit vermittelte Erwerbstätigkeit selbst zu sichern (BSG, Urteil vom 27.09.2011 – B 4 AS 145/10 R – Rn. 23).

226

In einem Urteil vom 28.03.2013 hat der 4. Senat des BSG seine Auffassung bekräftigt, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegne und der Gesetzgeber nicht gehalten sei, außerhalb des besonderen Systems zur Ausbildungsförderung den Lebensunterhalt während der Ausbildung sicherzustellen (BSG, Urteil vom 28.03.2013 – B 4 AS 59/12 R – Rn. 20).

227

In einem Urteil vom 02.04.2014 (B 4 AS 26/13), indem der nach dem BAföG geförderte dortige Kläger einen Zuschuss zu den ungedeckten Unterkunftskosten nach § 22 Abs. 7 SGB II (a.F.) (heute weitgehend übernommen in § 27 Abs. 3 SGB II) begehrt hat, ohne dessen spezielle Anspruchsvoraussetzungen zu erfüllen, führt der 4. Senat des BSG aus, dass dem Ausschluss des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II a.F. die Erwägung zu Grunde liege, dass bereits die Ausbildungsförderung nach dem BAföG oder eine Förderung gemäß §§ 60 bis 62 SGB III (a.F.) auch die Kosten des Lebensunterhalts umfasse und die Grundsicherung nach dem SGB II nicht dazu dienen solle, durch Sicherstellung des allgemeinen Lebensunterhalts das Betreiben einer dem Grunde nach anderweitig förderungsfähigen Ausbildung zu ermöglichen. Die Ausschlussregelung im SGB II solle die nachrangige Grundsicherung (Bezugnahme auf § 3 Abs. 3 SGB II) mithin davon befreien, eine (versteckte) Ausbildungsförderung auf zweiter Ebene zu ermöglichen. Es sollten nicht mehrere Träger zur Deckung ein und desselben Bedarfs zuständig sein (BSG, Urteil vom 02.04.2014 – B 4 AS 26/13 – Rn. 18). Soweit der Kläger geltend mache, der Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art. 1 i.V.m. Art. 20 GG (Hinweis auf BVerfG, Urteil vom 9.2.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 134 und BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 07.07.2010 – 1 BvR 2556/09) erfordere seine Einbeziehung in den Kreis der nach § 22 Abs. 7 Satz 1 SGB II a.F. Leistungsberechtigten, vermöge der Senat dem nicht zu folgen. Der Kläger berufe sich darauf, aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG folge die staatliche Garantie der Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins erforderlich seien. Insoweit übersehe er jedoch, dass er zur Finanzierung seines Lebensunterhalts staatliche Mittel in Gestalt der Leistungen nach dem BAföG erhalten habe, insbesondere erhöhte Unterkunftsleistungen. Für Studierende, die in einer Unterkunft außerhalb des Elternhauses wohnten, habe § 13 Abs. 3 BAföG im streitigen Zeitraum im Fall der Unterdeckung bei den Unterkunftskosten eine pauschalierte Erhöhung der Leistungen hierfür um 72 Euro monatlich auf insgesamt 218 Euro vorgesehen. Inwieweit auch im BAföG – wie im SGB II – die Deckung der angemessenen tatsächlichen Aufwendungen gewährleistet werden müsse, habe hier keiner Prüfung bedurft. Der Kläger begehre ausschließlich Leistungen nach dem SGB II. Das SGB II habe jedoch wegen der Pauschalierung bei den Unterkunftskosten im BAföG nur in genau definierten Härtefällen eine Aufstockung der Ausbildungsförderungsleistungen durch § 22 Abs. 7 Satz 1 SGB II a.F. vorgesehen. Soweit der Kläger über die geregelten Ausnahmefälle des § 22 Abs. 7 Satz 1 SGB II a.F. hinaus einen weitergehenden gesetzlich nicht vorgesehenen Anspruch geltend mache, rüge er daher keine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung des Existenzminimums, sondern eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG (BSG, Urteil vom 02.04.2014 – B 4 AS 26/13 – Rn. 27). Eine Verletzung des Gleichheitsgrundrechts sieht der Senat nicht (BSG, Urteil vom 02.04.2014 – B 4 AS 26/13 – Rn. 28 ff.).

228

2.1.7 In späteren Entscheidungen des BSG (Urteile vom 06.08.2014 – B 4 AS 55/13 R und vom 17.02.2015 – B 14 AS 25/14 R) wurde die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelung nicht mehr aufgegriffen.

229

2.1.8 Auch der 28. Senat des LSG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 26.02.2016 – L 28 AS 2230/12 – Rn. 16) ist der Auffassung, dass die Ausschlussregelung des § 7 Abs. 5 SGB II nicht verfassungswidrig sei. Zur Begründung verweist er ohne weitere Erläuterungen auf den Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 08.10.2014 (1 BvR 886/11).

230

2.1.9 Die vorlegende 3. Kammer des SG Mainz hat hingegen im Vorlagebeschluss vom 12.12.2014 (S 3 AS 130/14 – Rn. 220) hervorgehoben, dass die in den Nichtannahmebeschlüssen des BVerfG vom 03.09.2014 (1 BvR 1768/11) und vom 08.10.2014 (1 BvR 886/11) geäußerte Auffassung, der Leistungsausschluss von Auszubildenden in § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II a.F. verletze das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht, da existenzielle Bedarfe, soweit sie durch die Ausbildung entstünden vorrangig durch Leistungen nach dem BAföG beziehungsweise nach dem SGB III gedeckt würden, obwohl diese Leistungssysteme bedarfsunabhängige Ausschlussgründe vorsähen, einen nicht ohne Weiteres nachvollziehbaren Bruch mit der im Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) entwickelten Dogmatik darstelle. Es sei unklar, weshalb die zur Voraussetzung der Gewährung existenzsichernder Leistungen gemachte Verhaltenserwartung des Abbruchs der Ausbildung oder des Studiums mit dem Axiom der Unverfügbarkeit des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar sein könnte.

231

Diese Auffassung wird auch im Beschluss der 12. Kammer des SG Mainz vom 12.11.2015 (S 12 AS 946/15 ER – Rn. 83) mit dem Hinweis aufgegriffen, dass das Existenzminimum auch bildungspolitisch nicht zu relativieren sein dürfte.

232

2.2 In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird der Leistungsausschluss in § 7 Abs. 5 SGB II bzw. in dessen sozialhilferechtlichen Parallel- und Vorgängerregelungen überwiegend unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung für verfassungsgemäß gehalten (vgl. bereits zum BSHG: Marschner, NVwZ 1995, S. 870, Fn. 3).

233

2.2.1 Felix hat allerdings bereits zu § 26 Satz 1 BSHG a.F. in kritischer Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BVerwG (Urteil vom 14.10.1993 – 5 C 16/91) hervorgehoben, dass diese Vorschrift bereits von der Systematik des BSHG her gesehen äußerst bedenklich sei, weil durch sie ganze Gruppen von Personen völlig vom Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt ausgeschlossen würden. Dies verstoße gegen den tragenden Grundsatz der individuellen Gestaltung und Bemessung der Hilfe (Bezugnahme auf § 31 BSHG a.F.), so dass § 26 BSHG a.F. bereits aus diesem Grunde auf Grund seiner Systemwidrigkeit als Ausnahmevorschrift eng ausgelegt werden müsse. Die rein formale Anknüpfung an den Status des Hilfebedürftigen – Auszubildender im Rahmen einer dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung –, die vom BVerwG praktiziert werde, werde diesem Erfordernis nicht gerecht. Entgegen der Auffassung des BVerwG sei stattdessen im konkreten Einzelfall danach zu fragen, ob die Durchführung der Ausbildung in kausalem Zusammenhang mit dem sozialhilferechtlichen Bedarf des Bedürftigen bestehe (Felix, NVwZ 1995, S. 246).

234

2.2.2 Voelzke stellt im Rahmen seiner Kommentierung der Parallelreglung in § 22 SGB XII fest, dass derjenige Auszubildende, der die Leistungsvoraussetzungen nach dem BAföG oder nach dem SGB III nicht erfülle, bei Hilfebedürftigkeit keine Fürsorgeleistungen erhalte, sondern darauf verwiesen werde, entweder seine Ausbildung aufzugeben oder seinen Lebensunterhalt durch eine Nebenerwerbstätigkeit zu sichern (Voelzke in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Auflage 2014, § 22 Rn. 7, Stand 20.05.2015). Der Anspruchsausschluss bedeute im Ergebnis wegen des nicht bedarfsdeckenden Charakters der Ausbildungsförderung, dass der Auszubildende die Ausbildung durch die Hilfe Dritter (insbesondere der Eltern), durch eine ausbildungsbegleitende Tätigkeit oder durch die Aufnahme eines Darlehens kofinanzieren müsse. Stünden dem Auszubildenden derartige Möglichkeiten nicht zur Verfügung, müsse die Ausbildung in der Konsequenz der Struktur der gesetzlichen Regelungsstruktur ggf. unterbrochen oder sogar aufgegeben werden (Voelzke, a.a.O. Rn. 18). Die Vorschrift solle die Sozialhilfe davon befreien, eine (versteckte) Ausbildungshilfe auf einer zweiten Ebene zu sein. Da die Ausbildungsförderung nach dem BAföG und die Berufsausbildungsbeihilfe nach dem SGB III auch die Kosten des Lebensunterhalts umfassten, werde verhindert, dass die Sozialhilfe durch die Sicherstellung des allgemeinen Lebensunterhalts das Betreiben einer dem Grunde nach anderweitig förderbaren Ausbildung ermögliche. Es solle kein Ersatzförderungssystem installiert werden, das die im BAföG oder SGB III geregelten speziellen Anspruchsvoraussetzungen aushebeln und die Lasten der Ausbildungsförderung der Sozialhilfe auferlegen würde. Insoweit sei es Sinn und Zweck des § 22 SGB XII, die Inanspruchnahme von ergänzender Sozialhilfe zu verhindern, wenn die Notlage durch eine abstrakt förderungsfähige Ausbildung verursacht werde. Ein Wahlrecht des Auszubildenden, Ausbildungsförderung oder Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen, sei diesem nicht eingeräumt. Die Sozialhilfe solle deshalb regelmäßig nicht dazu dienen, das Betreiben einer dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung durch Sicherstellung des allgemeinen Lebensunterhalts sicherzustellen. Der vorstehende Grundsatz werde jedoch dadurch relativiert, dass § 27 SGB II und das entsprechende Leistungsangebot im SGB XII Lücken im Leistungsangebot schließen würden (Voelzke, a.a.O., Rn. 20). Die Zielsetzung des § 22 SGB XII werde vielfach als systemwidrig und sozialpolitisch verfehlt kritisiert. Dieser Einschätzung könne jedenfalls in dieser Allgemeinheit nicht zugestimmt werden, denn dem Gesetzgeber sei es grundsätzlich unbenommen, für die Ausbildungsförderung ein gesondertes Leistungssystem zur Verfügung zu stellen, das er in der Folge gegen die Sozialhilfe (und die Grundsicherung für Arbeitsuchende) abgrenze. Die Abgrenzungsregelung fuße also auf der – vom Ansatz her hinzunehmenden – Auffassung des Gesetzgebers, dass die Leistungen des BAföG und des SGB III bedarfsgerecht ausgestaltet seien und neben dem speziellen Ausbildungsbedarf auch den Lebensunterhalt des Betroffenen abdeckten, so dass eine Aufstockung der Leistungen nicht erforderlich sei. Aus diesem Grunde dürfte sozialpolitisch eine Lösung der Problematik eher darin zu suchen sein, die vorrangige Ausbildungsförderung als bedarfsdeckendes Leistungssystem auszugestalten. Eine durch den Leistungsausschluss herbeigeführte verfassungswidrige Benachteiligung haben die Rechtsprechung und die überwiegende Literatur bislang verneint, weil der Gesetzgeber wegen der zwischen den in Frage kommenden Gruppen bestehenden Unterschiede berechtigt sei, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unterschiedlich zu regeln. Die unterschiedliche Behandlung rechtfertige sich dadurch, dass die Sicherung des Lebensunterhalts durch ein anderes Sozialleistungssystem erfolgen solle. Zwar könne diese Systementscheidung im Einzelfall dazu führen, dass während einer Ausbildung keine Sozialleistungen bezogen werden könnten. Soweit eine Ausbildung angetreten werde, ohne die Anforderungen des einschlägigen Leistungssystems zu erfüllen, handele es sich jedoch um eine vom Auszubildenden selbst zu verantwortende Entscheidung. Ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf eine individuelle staatliche Ausbildungsförderung bestehe nicht (Voelzke, a.a.O., Rn. 21).

235

2.2.3 Grote-Seifert ist der Auffassung, dass die Verpflichtung, seine Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhalts einzusetzen, auch den Ausschluss der Leistungen gemäß § 7 Abs. 5 SGB II bei Aufnahme eines Studiums rechtfertige, solange der Student der Hochschule organisationsrechtlich angehöre und sein Studium betreibe (Grote-Seifert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Auflage 2015, § 2 Rn. 47, Stand 10.03.2015).

236

2.2.4 Leopold hält den grundsätzlichen Ausschluss von Auszubildenden, die dem Grunde nach einen Anspruch auf Ausbildungsförderung BAföG oder auf Berufsausbildungsbeihilfe nach den §§ 51, 57, 58 SGB III haben, von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für verfassungsrechtlich unbedenklich. Dieser Leistungseinschränkung für Auszubildende liege die Annahme zu Grunde, dass die Leistungen des BAföG und des SGB III bedarfsgerecht ausgestaltet seien und neben dem speziellen Ausbildungsbedarf auch den Lebensunterhalt des Geförderten abdeckten, so dass keine Aufstockung der Leistungen durch solche des SGB II erforderlich sei. Dadurch solle eine versteckte Ausbildungsförderung auf zweiter Ebene verhindert werden. Zudem sollten die Fördervoraussetzungen nach den für Ausbildungsförderung vorgesehenen Gesetzen nicht umgangen werden können. Den vom Leistungsausschluss Betroffenen mute das Gesetz zu, auf die Aufnahme bzw. Fortführung einer dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung zu verzichten und sich stattdessen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen (Leopold in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Auflage 2015, § 7 Rn. 287, Stand 14.03.2016).

237

2.3 Die vorlegende Kammer ist nach Auswertung der vertretenen Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur der im Folgenden noch zu begründenden Überzeugung, dass auch die Regelung des § 7 Abs. 5 SGB II verfassungswidrig ist. Eine verfassungskonforme Auslegung ist nicht möglich.

VI.

238

1. Das BVerfG hat sich mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II – soweit ersichtlich – noch nicht befasst, so dass der Zulässigkeit der ersten Vorlagefrage nicht der Einwand der Rechtskraft nach § 31 Abs. 1 BVerfGG entgegensteht (vgl. zu dieser Voraussetzung BVerfG, Beschluss vom 30.05.1972 – 1 BvL 18/71 – Rn. 18).

239

2. Mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 7 Abs. 5 SGB II (in der bis zum 31.03.2011 geltenden Fassung) hat sich das BVerfG bereits in den Nichtannahmebeschlüssen vom 03.09.2014 (1 BvR 1768/11) und vom 08.10.2014 (1 BvR 886/11) auseinandergesetzt. Mit diesen Entscheidungen hat die 3. Kammer des 1. Senats des BVerfG zwei Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen. Eine Sachentscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des § 7 Abs. 5 SGB II war hiermit jedoch nicht verbunden (vgl. Baer, NZS 2014, S. 4 zum „Stiefkinderbeschluss“ der 3. Kammer des 1. Senats des BVerfG vom 29.05.2013 – 1 BvR 1083/09). Den Beschlüssen kommt gemäß § 31 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG i.V.m. § 13 Nr. 8a BVerfGG keine Gesetzeskraft zu, da mit den Entscheidungsformeln der Kammer weder ein Gesetz als mit dem GG vereinbar, noch als mit dem GG unvereinbar oder für nichtig erklärt wurde. Die gleichwohl in den Beschlüssen skizzierte Auffassung, der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II (a.F.) sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG, Beschluss vom 03.09.2014 – 1 BvR 1768/11 – Rn. 22; BVerfG, Beschluss vom 08.10.2014 – 1 BvR 886/11 – Rn. 12 ff.), bringt daher keine zusätzlichen Begründungslasten oder sonstigen Anforderungen für die Zulässigkeit des Verfahrens nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. §§ 13 Nr. 11, 80 BVerfGG mit sich.

VII.

240

Die durch das vorlegende Gericht aufgeworfenen Vorlagefragen sind einer Prüfung durch das BVerfG nicht in Folge der von diesem proklamierten Nichtausübung der Grundrechtskontrolle über in Deutschland angewandtes Unionsrecht entzogen (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 07.06.2000 – 2 BvL 1/97 – Rn. 55 ff. – „Bananenmarktverordnung“ –; BVerfG, Beschluss vom 22.10.1986 – 2 BvR 197/83 – Rn. 117 – „Solange II“ –; BVerfG, Urteil vom 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 22 BvR 2159/92 – Rn. 70 – „Maastricht“ –; zu Ursachen und Entwicklung dieser Rechtsprechung im Verhältnis zum EuGH: Buckel, Subjektivierung und Kohäsion, 2. Auflage 2015, S. 280 ff.).

241

1. Diese Frage stellt sich vor dem Hintergrund, dass als Befugnisnorm und/oder verfassungsrechtliche Rechtfertigung für den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II die unionsrechtliche Vorschrift des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG herangezogen wird. Anhand dieser Argumentationsfigur ließe sich die Frage anschließen, ob die eigentlich verfassungswidrige (weil Grundrechte verletzende) Vorschrift hier nicht § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, sondern Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG sein könnte, deren Grundrechtskonformität nach der Judikatur des BVerfG in Folge der „Solange II“-Entscheidung vom 22.10.1986 (2 BvR 197/83) vorläufig ausschließlich durch den EuGH zu prüfen wäre.

242

Die vorliegende Konstellation bietet jedoch keinen Anlass für den Verzicht auf die Grundrechtskontrolle durch das BVerfG. Dies beruht zunächst darauf, dass das BVerfG seine Prüfkompetenz uneingeschränkt in Anspruch nimmt, wenn der Gesetzgeber bei der Umsetzung von Unionsrecht Gestaltungsfreiheit hat, das heißt durch das Unionsrecht nicht determiniert ist (BVerfG, Urteil vom 02.03.2010 – 1 BvR 256/08 u.a. – Rn. 182). Der hier in Rede stehende Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG räumt dem nationalen Gesetzgeber lediglich die Befugnis ein, freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger unter bestimmten Umständen vom Anspruch auf Sozialhilfeleistungen auszunehmen, verpflichtet ihn aber nicht dazu. Dem Gesetzgeber verbleibt daher ein Gestaltungsspielraum, so dass die vom BVerfG entwickelte Doktrin der Nichtausübung der Grundrechtskontrolle nach dessen eigenem Verständnis in der vorliegenden Konstellation nicht einschlägig ist (vgl. auch Kingreen, SGb 2013, S. 137).

243

2. Für die zweite Vorlagefrage wird das Problem nicht aufgeworfen, da eine unionsrechtliche Grundlage für den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II ersichtlich nicht besteht.

VIII.

244

Einer Rüge der Nichtigkeit der Rechtsvorschrift durch die Beteiligten bedarf es nicht (§ 80 Abs. 3 BVerfGG).

B.

245

§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist verfassungswidrig (II). Die Regelung verstößt gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG (Schutz der Menschenwürde) in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip) (I.). Das Gleiche gilt für § 7 Abs. 5 SGB II (III).

I.

246

Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art 20 Abs. 1 GG (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 133). Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Grundrecht in mehreren Entscheidungen konkretisiert und Anforderungen für dessen Gewährleistung herausgearbeitet (1-4). Die vorlegende Kammer schließt sich diesen Entscheidungen grundsätzlich an (5, 6) und zieht hieraus Schlüsse für die Anspruchsvoraussetzungen (7), den Anspruchsgegner (8) und den Anspruchsinhalt (9), sowie für das Verhältnis mehrerer möglicherweise verfassungswidriger Normen zueinander (10).

247

1. Mit dem Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.), bestätigt und ergänzt durch das Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) und durch den Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13 ), hat das BVerfG die auf Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip) gestützte staatliche Pflicht zur Existenzsicherung subjektivrechtlich fundiert und ein Recht auf parlamentsgesetzliche Konkretisierung in strikten einfachgesetzlichen Anspruchspositionen konstituiert (soRixen, SGb 2010, S. 240). Bereits mit Beschluss vom 12.05.2005 hatte das BVerfG klargestellt, dass die Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates sei, die aus dem Gebot zum Schutze der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folge (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 – Rn. 28).

248

Im Urteil vom 09.02.2010 stellt das BVerfG nicht nur prozedurale Anforderungen an die Bestimmung des menschenwürdigen Existenzminimums an einen beliebigen (staatlichen) Akteur, sondern weist die Bestimmung des Anspruchsinhalts auch einem konkreten Adressaten, dem Bundesgesetzgeber, zu. Der Bundesgesetzgeber stehe, da er von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für das Recht der öffentlichen Fürsorge aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG umfassend Gebrauch gemacht habe (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 181), demnach in der Verantwortung, das Sozialstaatsprinzip selbst durch ein Gesetz hinreichend zu konkretisieren und zu gewährleisten, dass auf die zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlichen Leistungen auch ein entsprechender Rechtsanspruch besteht (Berlit in: LPK-SGB II, § 22a Rn. 6, 5. Auflage 2013). Hiermit hat das BVerfG das Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG als Gewährleistungsrecht im Sozialrecht aktiviert (Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 275).

249

2. Das BVerfG entwickelt das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG. Das Menschenwürdeprinzip aus Art. 1 Abs. 1 GG wird dabei als eigentliche Anspruchsgrundlage herangezogen, während das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG im Sinne eines Gestaltungsgebots mit erheblichem Wertungsspielraum verstanden wird (vgl. BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 – Rn. 62). Das auf dieser Grundlage bestimmte Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG habe in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG demnach neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG auf Achtung der Würde jedes Einzelnen eigenständige Bedeutung. Es sei dem Grunde nach unverfügbar und müsse eingelöst werden, bedürfe aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten habe. Dabei stehe dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 133).

250

Der Gesetzgeber sei im Übrigen durch weitere Vorgaben verpflichtet, die sich aus dem Recht der Europäischen Union und aus völkerrechtlichen Verpflichtungen ergäben.Zu den in Deutschland geltenden Regeln über das Existenzminimum gehöre auch der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19.12.1966 (IPwskR, in Kraft getreten am 03.01.1976, BGBl. Teil II 1976, S. 428), dem der Deutsche Bundestag mit Gesetz vom 23.11.1973 (BGBl. Teil II, S. 1569) zugestimmt habe. Der Pakt statuiere in Art. 9 ein Recht auf Soziale Sicherheit und in Art. 15 Abs. 1 a) das Menschenrecht auf Teilnahme am kulturellen Leben (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 – Rn. 68).

251

Der unmittelbare verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstrecke sich nur auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich seien. Er gewährleiste hierbei das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasse, da der Mensch als Person notwendig in sozialen Bezügen existiere (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 135).

252

Das BVerfG führt hierzu weiter aus, dass die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch ein Parlamentsgesetz erfolgen müsse, das einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte. Aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ergebe sich die Pflicht des Gesetzgebers, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen. Dies gelte in besonderem Maße, wenn und soweit es um die Sicherung der Menschenwürde und der menschlichen Existenz gehe. Zudem könne sich der von Verfassungs wegen bestehende Gestaltungsspielraum des Parlaments nur im Rahmen eines Gesetzes entfalten und konkretisieren. Schließlich sei die Begründung von Geldleistungsansprüchen auch mit erheblichen finanziellen Auswirkungen für die öffentlichen Haushalte verbunden. Derartige Entscheidungen seien dem Gesetzgeber vorbehalten (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 136). Wenn der Gesetzgeber seiner verfassungsmäßigen Pflicht zur Bestimmung des Existenzminimums nicht hinreichend nachkomme, sei das einfache Recht im Umfang seiner defizitären Gestaltung verfassungswidrig (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 137).

253

Der Umfang des Anspruchs könne im Hinblick auf die Arten des Bedarfs und die dafür erforderlichen Mittel nicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden. Er hänge von den gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche, der konkreten Lebenssituation des Hilfebedürftigen sowie den jeweiligen wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten ab und sei danach vom Gesetzgeber konkret zu bestimmen. Das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG halte den Gesetzgeber an, die soziale Wirklichkeit zeit- und realitätsgerecht im Hinblick auf die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums zu erfassen. Die hierbei erforderlichen Wertungen kämen dem parlamentarischen Gesetzgeber zu. Ihm obliege es, den Leistungsanspruch in Tatbestand und Rechtsfolge zu konkretisieren. Ihm komme Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums zu. Dieser umfasse die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs und sei zudem von unterschiedlicher Weite: Er sei enger, soweit der Gesetzgeber das zur Sicherung der physischen Existenz eines Menschen Notwendige konkretisiere, und weiter, wo es um Art und Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gehe (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 138).

254

Zur Konkretisierung des Anspruchs habe der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen folgerichtig in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf, also realitätsgerecht, zu bemessen. Hierzu habe er zunächst die Bedarfsarten sowie die dafür aufzuwendenden Kosten zu ermitteln und auf dieser Basis die Höhe des Gesamtbedarfs zu bestimmen. Das GG schreibe ihm dafür keine bestimmte Methode vor (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 139). Es komme dem Gesetzgeber zu, die Methode zur Ermittlung der Bedarfe und zur Berechnung der Leistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz im Rahmen der Tauglichkeit und Sachgerechtigkeit selbst auszuwählen. Die getroffene Entscheidung verändere allerdings nicht die grundrechtlichen Maßstäbe (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 – 1 BvL 10/12 u.a. – Rn. 78).

255

3. Als Menschenrecht stehe das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 – Rn. 63).

256

Falls der Gesetzgeber bei der Festlegung des menschenwürdigen Existenzminimums die Besonderheiten bestimmter Personengruppen berücksichtigen wolle, dürfe er bei der konkreten Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen nicht pauschal nach dem Aufenthaltsstatus differenzieren. Eine Differenzierung sei nur möglich, sofern deren Bedarf an existenznotwendigen Leistungen von dem anderer Bedürftiger signifikant abweiche und dies folgerichtig in einem inhaltlich transparenten Verfahren anhand des tatsächlichen Bedarfs gerade dieser Gruppe belegt werden könne (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 – Rn. 73).

257

Ob und in welchem Umfang der Bedarf an existenznotwendigen Leistungen für Menschen mit nur vorübergehendem Aufenthaltsrecht in Deutschland gesetzlich abweichend von dem gesetzlich bestimmten Bedarf anderer Hilfebedürftiger bestimmt werden könne, hänge allein davon ab, ob wegen eines nur kurzfristigen Aufenthalts konkrete Minderbedarfe gegenüber Hilfsempfängern mit Daueraufenthaltsrecht nachvollziehbar festgestellt und bemessen werden könnten. Hierbei sei zu berücksichtigen, ob durch die Kürze des Aufenthalts Minderbedarfe durch Mehrbedarfe kompensiert würden, die typischerweise gerade unter den Bedingungen eines nur vorübergehenden Aufenthalts anfielen. Auch hier komme dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu, der die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse dieser Personengruppe wie auch die wertende Einschätzung ihres notwendigen Bedarfs umfasse, aber nicht davon entbinde, das Existenzminimum hinsichtlich der konkreten Bedarfe zeit- und realitätsgerecht zu bestimmen (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 – Rn. 73).

258

4. Zum (verfassungs-)gerichtlichen Prüfungsmaßstab führt das BVerfG aus, dass dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Bemessung des Existenzminimums eine zurückhaltende Kontrolle durch das BVerfG entspreche.

259

Das GG selbst gebe keinen exakt bezifferten Anspruch vor. Deswegen könne auch der Umfang dieses Anspruchs im Hinblick auf die Arten des Bedarfs und der dafür erforderlichen Mittel nicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden. Dem BVerfG komme nicht die Aufgabe zu, zu entscheiden, wie hoch ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums sein müsse. Es sei zudem nicht seine Aufgabe, zu prüfen, ob der Gesetzgeber die gerechteste, zweckmäßigste und vernünftigste Lösung zur Erfüllung seiner Aufgaben gewählt habe. Aus verfassungsrechtlicher Sicht komme es vielmehr entscheidend darauf an, dass die Untergrenze eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht unterschritten werde und die Höhe der Leistungen zu dessen Sicherung insgesamt tragfähig begründbar sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 – 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 80).

260

Die materielle Kontrolle der Höhe von Sozialleistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz beschränke sich darauf, ob die Leistungen evident unzureichend seien. Diese Kontrolle beziehe sich auf die Höhe der Leistungen insgesamt und nicht auf einzelne Berechnungselemente, die dazu dienten, diese Höhe zu bestimmen. Evident unzureichend seien Sozialleistungen nur, wenn offensichtlich sei, dass sie in der Gesamtsumme keinesfalls sicherstellen könnten, Hilfebedürftigen in Deutschland ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 – 1 BvL 10/12 u.a. – Rn. 81).

261

Jenseits der Evidenzkontrolle überprüfe das BVerfG, ob Leistungen jeweils aktuell auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren im Ergebnis zu rechtfertigen seien. Das BVerfG setze sich dabei nicht mit eigener Sachkompetenz an die Stelle des Gesetzgebers, sondern überprüfe lediglich die gesetzgeberischen Festlegungen zur Berechnung von grundgesetzlich nicht exakt bezifferbaren, aber grundrechtlich garantierten Leistungen. Ließen sich diese nachvollziehbar und sachlich differenziert tragfähig begründen, stünden sie mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG im Einklang (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 – 1 BvL 10/12 u.a. – Rn. 82).

262

Entscheidend sei, dass der Gesetzgeber seine Entscheidung an den konkreten Bedarfen der Hilfebedürftigen ausrichte und die Leistungen zur Konkretisierung des grundrechtlich fundierten Anspruchs tragfähig begründet werden könnten (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 – 1 BvL 10/12 u.a. – Rn. 76). Die sich aus der Verfassung ergebenden Anforderungen an die methodisch sachgerechte Bestimmung grundrechtlich garantierter Leistungen bezögen sich nicht auf das Verfahren der Gesetzgebung, sondern auf dessen Ergebnisse. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG bringe für den Gesetzgeber keine spezifischen Pflichten im Verfahren mit sich. Entscheidend sei, ob sich die Höhe existenzsichernder Leistungen durch realitätsgerechte, schlüssige Berechnungen sachlich differenziert begründen lasse. Das GG enthalte in den Art. 76 ff. GG zwar Vorgaben für das Gesetzgebungsverfahren, die auch die Transparenz der Entscheidungen des Gesetzgebers sicherten. Das parlamentarische Verfahren mit der ihm eigenen Öffentlichkeitsfunktion sichere so, dass die erforderlichen gesetzgeberischen Entscheidungen öffentlich verhandelt würden und ermögliche, dass sie in der breiteren Öffentlichkeit diskutiert würden. Die Verfassung schreibe jedoch nicht vor, was, wie und wann genau im Gesetzgebungsverfahren zu begründen und zu berechnen sei, sondern lasse Raum für Verhandlungen und für den politischen Kompromiss. Das GG verpflichte den Gesetzgeber insofern auch nicht, durch Einbeziehung aller denkbaren Faktoren eine optimale Bestimmung des Existenzminimums vorzunehmen. Darum zu ringen sei vielmehr Sache der Politik (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 – 1 BvL 10/12 u.a. – Rn. 77).

263

Zur Ermöglichung der verfassungsgerichtlichen Kontrolle bestehe für den Gesetzgeber die Obliegenheit, die zur Bestimmung des Existenzminimums im Gesetzgebungsverfahren eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offenzulegen. Komme er dieser Obliegenheit nicht hinreichend nach, stehe die Ermittlung des Existenzminimums bereits wegen dieser Mängel nicht mehr mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG in Einklang (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 144).

264

5. Die Kammer schließt sich den Ausführungen des BVerfG im Wesentlichen an.

265

5.1 Die Entwicklung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist dem Umstand geschuldet, dass sowohl die Menschenwürdegarantie als auch das Sozialstaatsprinzip als echte, einklagbare, verfassungsrechtliche Garantien verstanden werden, nicht lediglich als Programmsätze. Ein menschenwürdiges Leben, zu dessen Achtung und Schutz alle staatliche Gewalt nach Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG verpflichtet ist, kann nur mit einem Mindestmaß an materiellen und sozialen Ressourcen geführt werden (vgl. Schulz, SGb 2010, S. 203 f.). Der Schutz der Menschenwürde liefe ohne Rücksicht auf ihre ökonomischen Bedingungen ins Leere (Drohsel, NZS 2014, S. 99). Vor diesem Hintergrund erscheint es sogar vertretbar, das Grund- und Menschenrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums allein auf Art. 1 Abs. 1 GG zu stützen (vgl. Tiedemann, NVwZ 2012, S. 1032 f.).

266

5.2 Das Bekenntnis zum Sozialstaat bedingt die (Selbst-)Verpflichtung des Staates und der ihn tragenden Gesellschaft, ein menschenwürdiges Leben auch denen zu ermöglichen, die dies nicht aus eigener Kraft (bzw. mit den Mitteln, die ihnen Staat und Gesellschaft anderweitig durch Bildung, Infrastruktur etc. zur Verfügung stellen) gewährleisten können. Die objektive staatliche Verpflichtung zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums enthält auch die Verpflichtung, Hilfebedürftigen einen Anspruch auf die Leistung zu verschaffen (so bereits BVerfG, Urteil vom 07.06.2005 – 1 BvR 1508/96 – Rn. 48; vgl. Baer, NZS 2014, S. 3). Diese subjektivrechtliche Seite der verfassungsrechtlichen Garantie folgt aus dem Umstand, dass Art. 1 Abs. 1 GG als echte Rechtsnorm zu verstehen ist (SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 12.12.2014 – S 3 AS 130/14 – Rn. 212); das Sozialstaatsprinzip allein würde diese der Verrechtlichung folgende Subjektivierung der verfassungsrechtlichen Verpflichtung noch nicht erzwingen (vgl. Schulz, SGb 2010, S. 202). Ohne die aus dem Achtungs- und Schutzanspruch des Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG folgende subjektivrechtliche Fundierung stünde die konkrete Ausgestaltung der sozialstaatlichen Versorgung von Hilfebedürftigen mit den zum Überleben notwendigen Mitteln weitgehend zur Disposition des Gesetzgebers. Sie wäre abhängig von der jeweiligen Staatsräson und vollständig Verhandlungsmasse im politischen Prozess (vgl. Spellbrink, NZS 2010, S. 653). Der Hilfebedürftige bliebe Almosenempfänger (Baer, NZS 2014, S. 3).

267

Die Menschenwürdegarantie führt dazu, dass der sozialstaatlichen Verpflichtung ein klagbarer verfassungsrechtlicher Anspruch entsprechen muss (skeptisch gegenüber der Notwendigkeit, das Existenzsicherungsgrundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG herzuleiten aberKingreen, NVwZ, 2010, S. 558 f.). Zugleich führt sie dazu, dass das Gewährleistungsrecht keiner Einschränkungsbefugnis unterliegt. Insofern ist es konsequent, die Garantie der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums terminologisch und dogmatisch in den Rang eines Grundrechts und Menschenrechts (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10 u.a. - Rn. 62) zu erheben und hiermit auch die Möglichkeit des Verfassungsbeschwerdeverfahrens nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG zu eröffnen (vgl. Berlit, KJ 2010, S. 147).

268

5.3 Dass das BVerfG dem Gesetzgeber einen weiten Spielraum bei der Gestaltung des einfachrechtlichen Anspruchs belässt, gründet darauf, dass die normative Einschätzung und Bestimmung dessen, was für ein menschenwürdiges Leben unter konkreten gesellschaftlichen Bedingungen erforderlich ist, nur im Wege eines politischen Prozesses erfolgen kann, dessen Durchführung unter den verfassungsrechtlichen Bedingungen einer parlamentarischen Demokratie den gewählten Legislativorganen obliegt (zur Kritik an der juristisch-dogmatischen Schließung des Demokratieprinzips durch das BVerfG vgl. aber Wallrabenstein in: Rixen (Hrsg.), Die Wiedergewinnung des Menschen als demokratisches Projekt: Band 1: Neue Demokratietheorie als Bedingung demokratischer Grundrechtskonkretisierung in der Biopolitik, Tübingen 2015, S. 21 ff.). Der materielle Gehalt des Grundrechts muss im Gesetzgebungsprozess konkretisiert werden (vgl. jedoch zur Kritik an der sozialpolitischen "Leere" des Urteils des BVerfG vom 09.02.2010: Schnath, NZS 2010, S. 298; zur Kritik an der eingeschränkten Überprüfbarkeit: Neskovic/Erdem, SGb 2012, S. 137 f.).

269

Die Auffassung, das BVerfG entziehe die gesellschaftlich streitbare Frage nach der Reichweite der staatlichen Verpflichtung zur Absicherung des Existenzminimums durch Verankerung des Grundrechts in Vorschriften, die der Ewigkeitsgarantie (Art. 79 Abs. 3 GG) unterliegen, für die Ewigkeit dem politischen Diskurs und schwäche hiermit das demokratische Prinzip (Groth, NZS 2011, S. 571; kritisch auch Rixen, NZS 2011, S. 333), vermag im Ergebnis nicht zu überzeugen. Bei formaler Betrachtungsweise schwächt jedes Grundrecht und jede verfassungsrechtliche Bindung der Legislative die Demokratie, wenn man diese auf den Gesetzgebungsakt reduziert und die Voraussetzungen für den demokratischen Prozess (z.B. Meinungsfreiheit, soziale Teilhabe, politische Autonomie) ausblendet (vgl. auch Luik, jurisPR-SozR 4/2010 Anm. 1). Die Konstituierung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch das BVerfG als "Gewährleistungsrecht" zwingt die Legislativorgane jedoch dazu, den demokratischen Prozess, der sich nicht im Gesetzgebungsakt erschöpft, praktisch zu realisieren, auch wenn von echten Verfahrensfehlern abgesehen nur dessen Ergebnis einer (verfassungs-)gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Daneben sind Grundrechte auf Gewährung sozial gesicherter Lebensbedingungen, wie dies für eine chancengleiche Nutzung bürgerlicher Rechte unter gegebenen Verhältnissen jeweils notwendig ist, Funktionsvoraussetzungen für Handlungsfreiheit und Aktivbürgerschaft in einem demokratischen Rechtsstaat und somit auch für den demokratischen Prozess selbst (vgl. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 155 f., 5. Auflage 2014).

270

Die scheinbar entgegengesetzte Kritik, das BVerfG überlasse das Grundrecht weitestgehend der Disposition des nur bedingt gebundenen Gesetzgebers (Neskovic/Erdem, SGb 2012, S. 138), verdeutlicht die Kompromisshaftigkeit der vom BVerfG entwickelten Dogmatik (vgl. auch Berlit, KJ 2010, S. 145 ff.). Bei der Konstruktion des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums werden Menschenwürdegarantie und Sozialstaatsprinzip mit dem Demokratieprinzip harmonisiert. Eine Lösung, die diese Verfassungsgrundsätze prinzipiell besser miteinander in Einklang bringt, ist der vorlegenden Kammer nicht ersichtlich. Dass das BVerfG „zur sozialstaatlich elementaren Verteilungsfrage geschwiegen (hat)“ (Borchert, SGb 2015, S. 661) ist vor diesem Hintergrund konsequent.

271

5.4 Die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums stellt an ein Staatswesen, welches den Schutz und die Achtung der Menschenwürde zum obersten Staatsziel erklärt und der Verfassung voranstellt (Art. 1 Abs. 1 GG) und sich als "sozial" bezeichnet (Art. 20 Abs. 1 GG), keine überzogenen Anforderungen, insbesondere nicht im Hinblick auf die Finanzierung (vgl. allgemein zu diesbezüglichen Vorbehalten gegenüber sozialen Menschenrechten: Wimalasena, KJ 2008, S. 4 f.). Letzteres wird dadurch gesichert, dass der Gesetzgeber unter Nutzung seines Gestaltungsspielraums bei der inhaltlichen Bestimmung des Grundrechts den gesamtgesellschaftlichen Entwicklungsstand berücksichtigen kann und muss. Das Grundrecht ist zwar dem Grunde nach unverfügbar und abwägungsfest, der Höhe nach aber nicht vom gesellschaftlichen Wohlstand und dessen ökonomischen Grundlagen entkoppelt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 – 1 BvL 10/12 u.a. – Rn. 74; Voßkuhle, SGb 2011, S. 186). Nicht die Menschenwürde ist hierbei historischen Wandlungen unterworfen, sondern das Urteil darüber, welche materiellen Voraussetzungen notwendig sind, um ein menschenwürdiges Leben führen zu können (Neumann, NVwZ 1995, S. 428).

272

6. Das Menschenrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verpflichtet den Gesetzgeber zur Schaffung eines Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen für alle Menschen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich aufhalten (Kirchhof, NZS 2015, S. 4). Dem Gesetzgeber ist es daher sowohl verwehrt, Personen, die sich in Deutschland tatsächlich aufhalten, trotz Hilfebedürftigkeit von sämtlichen existenzsichernden Sozialleistungssystemen auszuschließen, als auch die Gewährung jeglicher existenzsichernder Leistungen von Handlungen der betroffenen Personen abhängig zu machen, die weder zur Feststellung der Leistungsvoraussetzungen erforderlich noch unmittelbar dazu geeignet sind, die Hilfebedürftigkeit des Betroffenen zu beseitigen. Das Grundrecht ist dem Grunde nach unverfügbar und insoweit – wie es der überkommenen Dogmatik der Menschenwürdegarantie entspricht – abwägungsfest (Baer, NZS 2014, S. 3).

273

6.1 Die Unverfügbarkeit des Grundrechts (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 133; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 – 1 BvL 10/12 u.a. – Rn. 74) resultiert aus dessen Verankerung im Grundsatz der Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), soweit hierin der Schutz der Selbstbestimmung des Menschen auf Grund seines Eigenwerts angesprochen wird (vgl. Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 10, 4. Auflage 1999). Der Mensch kann seinen Achtungsanspruch nach Art. 1 Abs. 1 GG nicht verwirken, auch nicht durch selbst zu verantwortende Handlungen. Die Eigenschaft des Menschseins ist jeder weiteren Differenzierung nach Zugehörigkeit (Staatsangehörigkeit, Herkunft) oder Status (z.B. Aufenthaltsrecht) vorgelagert, so dass aus der Menschenwürdegarantie hergeleitete Rechte durch solche und ähnliche Kategorien nicht eingeschränkt werden können.

274

Die vom BVerfG hervorgehobene Unverfügbarkeit "dem Grunde nach" bringt lediglich zum Ausdruck, dass hinsichtlich der Art und Höhe der existenzsichernden Leistungen ein Gestaltungsspielraum besteht. Diese Formulierung ist zu unterscheiden von einem lediglich "grundsätzlich" bestehenden Recht, welches im Ausnahmefall auch nicht bestehen kann. Die in der Rechtsprechung gelegentlich vertretene Auffassung, das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, das der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber bedürfe, gelte „nicht schrankenlos“ (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.06.2015 – L 1 AS 2338/15 ER-B, L 1 AS L 1 AS 2358/15 B – Rn. 39; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 02.11.2015 – L 6 AS 503/15 B ER – nicht veröffentlicht) verfehlt deshalb den wesentlichen Punkt. Die Verpflichtung zur "Konkretisierung" und "Aktualisierung" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 133; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 – 1 BvL 10/12 u.a. – Rn. 74) bedeutet keine Einschränkungsbefugnis im Sinne des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG. Das Grundrecht unterliegt daher auch keinem Gesetzesvorbehalt, sondern der Gesetzgeber (d.h. die verfassungsmäßigen Organe der Legislative) einem Gestaltungsgebot (vgl. Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 279 f.).

275

Bei der verfassungsrechtlichen Pflicht zur Sicherung des Existenzminimums geht es nicht darum, bestimmte selbstgewählte Lebensentwürfe zu fördern oder zu ermöglichen, sondern das physische Überleben und ein Mindestmaß an sozialer Teilhabe des Menschen im Falle der Hilfebedürftigkeit unabhängig von dessen Lebensentwurf zu garantieren. Der Staat kann Art und Höhe der Gewährung von aus allgemeinen Haushaltsmitteln finanzierten Sozialleistungen generell zwar von der Erfüllung von Verhaltenserwartungen abhängig machen, nicht jedoch die Gewährleistung des Existenzminimums. Gerade hierin liegt – neben der subjektivrechtlichen Fundierung – der normative Gewinn der Herleitung des Grundrechts auf Gewährleistung eines Existenzminimums auch aus dem Gebot zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG. Würde der Anspruch auf Existenzsicherung isoliert als Ausfluss des Sozialstaatsprinzips betrachtet, spräche jedenfalls bei rein semantischer Auslegung des Sozialstaatsbegriffs noch nichts dagegen, den Anspruch auf Gewährleistung eines Existenzminimums von Gegenleistungen wie beispielsweise einer Arbeitspflicht bei Arbeitsfähigkeit abhängig zu machen. Hiermit könnte die Gewährleistung existenzsichernder Leistungen für den Einzelnen Staats- bzw. Gemeinschaftszwecken untergeordnet werden.

276

Der mit dem Urteil des BVerwG vom 24.06.1954 (V C 78.54 – Rn. 22 ff.) eingeleitete Bruch mit der armenpolizeilichen Tradition des Fürsorgerechts folgt dementsprechend nicht bereits aus dem Sozialstaatsprinzip (Neumann, NVwZ 1995, S. 430; zur Relativierung der Bedeutung der Entscheidung vgl. Hinrichs, KJ 2006, S. 196 f.). Dass der Staat zugleich zur Achtung und zum Schutz der Würde des Menschen verpflichtet ist (Art. 1 Abs. 1 GG), fügt der sozialstaatlichen Schutzdimension des Art. 20 Abs. 1 GG eine liberal-grundrechtliche Dimension hinzu. Art. 1 Abs. 1 GG schützt durch die staatliche Gewährleistung des materiellen Existenzminimums (auch) die notwendigen Bedingungen der Freiheit des Einzelnen, sich seiner Autonomie zu bedienen und von seiner Befähigung zur Personalität tatsächlich Gebrauch zu machen (vgl. Nettesheim, AöR 2005, S. 103 f.).

277

Auf die konkrete Fähigkeit des Menschen zur Ausübung von Autonomie kommt es hierbei keineswegs an (vgl. zu verschiedenen Begründungsansätzen für die Expansion des Würdebegriffs: Gutmann, Würde und Autonomie. Überlegungen zur Kantischen Tradition, Preprints of the Centre for Advanced Study of Bioethics, Münster 2010/2). Menschenwürde in diesem Sinne ist nicht nur die individuelle Würde der jeweiligen Person, sondern die Würde des Menschen als Gattungswesen, ohne Rücksicht auf seine Eigenschaften, seine Leistungen und seinen sozialen Status. Sie ist auch dem eigen, der aufgrund seines körperlichen oder geistigen Zustands nicht sinnhaft handeln kann. Selbst durch "unwürdiges" Verhalten geht sie nicht verloren (BVerfG, Beschluss vom 20.10.1992 – 1 BvR 698/89 – Rn. 107).

278

6.2 Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 137). Die Gewährung existenzsichernder Leistungen darf deshalb in letzter Konsequenz nicht von der Erfüllung von bestimmten Gegenleistungen, Handlungen oder Eigenschaften des Hilfebedürftigen oder von einem bestimmten Status des Hilfebedürftigen abhängig gemacht werden. Denn keine dieser Kategorien ist dazu geeignet, den aus dem Schutz der Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 GG resultierenden Achtungsanspruch des Einzelnen in Frage zu stellen.

279

Die Unverfügbarkeit des Grundrechts ist insbesondere nicht durch den Verweis auf ein gleichfalls aus der Menschenwürde abgeleitetes Prinzip der Selbstverantwortlichkeit zu relativieren (in diese Richtung Görisch, NZS 2011, S. 648; Berlit, info also 2013, S. 200; vgl. auch Louven, SGb 2008, S. 582; SG Reutlingen, Urteil vom 23.03.2016 – S 4 AS 114/14 – Rn. 44; weitere Nachweise bei Kempny/Krüger, SGb 2013, S. 390). Auch wenn nach bestimmten, eher vom Zeitgeist geprägten Interpretationen des Begriffs der Menschenwürde Erwerbsarbeit zur Würdeverwirklichung gehören soll, folgt hieraus nicht, dass der ebenfalls der Menschenwürdegarantie unterfallende Schutz des physischen und soziokulturellen Existenzminimums bei Verstoß gegen Erwerbsobliegenheiten wegfallen dürfte. Aus der Einbeziehung der Selbstverwirklichung durch Erwerbsarbeit in den Schutz der Menschenwürdegarantie könnte allenfalls gefolgert werden, dass der Staat derartige Selbstverwirklichung nicht verhindern darf und möglichst fördern sollte. Einer hilfebedürftigen Person existenzsichernde Leistungen vorzuenthalten, weil sie beispielsweise einer Erwerbsarbeit nicht nachgehen will, mag eine sozialpolitische Wunschvorstellung sein; die Annahme, dass dies als ein Ausdruck der Anerkennung der Menschenwürde des Betroffenen erscheinen könne (vgl. Kempny/Krüger, SGb 2013, S. 390; Berlit, info also 2013, S. 200), liegt jedoch fern. Schließlich ist mit dem Anspruch auf existenzsichernde Leistungen kein Verbot der Selbstverwirklichung durch Erwerbsarbeit verbunden. Die Einräumung eines Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen kann für sich genommen die Menschenwürde nicht verletzen.

280

Die Beschränkung der Reichweite des Schutzes durch Art. 1 Abs. 1 GG durch Anreicherung des Menschenwürdebegriffs mit bestimmten Vorstellungen vom „guten“, "eigenverantwortlichen" oder „gemeinschaftsdienlichen“ Leben hätte letztendlich zur Folge, dass die Verwirklichung der Würde des Menschen Staats- oder Gemeinschaftszwecken untergeordnet werden dürfte. Dies zu verhindern, ist gerade der Sinn des Art. 1 Abs. 1 GG, der die Menschenwürde für unantastbar erklärt. Die Verankerung des Existenzsicherungsgrundrechts in der Menschenwürdegarantie schließt es somit aus, die Frage, wem existenzsichernde Leistungen zu gewähren sind, vom durch demokratischen Mehrheitsbeschluss zugeschriebenen Wert eines Menschen oder seiner Handlungen für die Gesellschaft abhängig zu machen (vgl. Spellbrink, NZS 2010, S. 653).

281

6.3 Soweit für die Beschränkung des Anspruchs auf Gewährleistung des Existenzminimums unter Bezugnahme auf den Beschluss des BVerfG vom 07.07.2010 (1 BvR 2556/09) angeführt wird, die Verfassung gewährleiste nicht die Gewährung bedarfsunabhängiger, voraussetzungsloser Sozialleistungen (so z.B. Bayerisches LSG, Beschluss vom 13.10.2015 – L 16 AS 612/15 ER – Rn. 34), wird übersehen, dass das BVerfG in diesem Kontext ausschließlich auf die Bedarfsabhängigkeit abstellt und dem Gesetzgeber bei der Anrechnung von Einkommen konsequenterweise einen weiten Gestaltungsspielraum zubilligt. Das Verfassungsrecht gebietet demnach nicht die Schaffung eines Anspruchs auf ein bedingungsloses Grundeinkommen, sondern die Schaffung eines Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen bei Hilfebedürftigkeit.

282

Dies lässt die Zulässigkeit der Schaffung von Mitwirkungsobliegenheiten unberührt, die dazu dienen, festzustellen, ob Hilfebedürftigkeit überhaupt besteht (vgl. §§ 60 ff. SGB I; vgl. auch Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 290) oder den Leistungsträger von der Hilfebedürftigkeit erst in Kenntnis zu setzen.

283

6.4 Leistungsausschlüsse dem Grunde nach, die trotz bestehender Hilfebedürftigkeit eintreten und nicht durch ein anderes existenzsicherndes Leistungssystem (z.B. durch Leistungen nach dem SGB XII oder nach dem AsylbLG) aufgefangen werden, sind per se verfassungswidrig, da sie die staatliche Pflicht zur Gewährleistung von Lebensbedingungen, die physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen sind, unterlaufen (vgl. SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 12.12.2014 – S 3 AS 130/14 – Rn. 219; so auch Frerichs, ZESAR 2014, S. 285).

284

7. Die staatliche Pflicht zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums hat dementsprechend lediglich drei Anspruchsvoraussetzungen:

285

7.1 Der Grundrechtsträger muss erstens ein Mensch sein, also eine natürliche Person. Abgrenzungsfragen bezüglich Beginn und Ende des menschlichen Lebens sind für das Existenzsicherungsgrundrecht bislang nicht von praktischer Bedeutung. Der Begriff des Menschen im Sinne des GG stimmt im Übrigen mit dem Gattungsbegriff (beim heutigen Menschen gleichbedeutend mit dem Artbegriff) der biologischen Klassifikation überein. Jede weitere Unterscheidung zwischen verschiedenen Menschengruppen lässt der Rekurs auf den Menschenwürdebegriff bezüglich des Existenzsicherungsgrundrechts nicht zu. Es sind ausnahmslos alle Menschen gleich welcher Herkunft oder Staatsangehörigkeit erfasst (vgl. Kirchhof, NZS 2015, S. 4).

286

7.2 Anspruchsberechtigte sind zweitens alle Menschen, die sich in Deutschland tatsächlich aufhalten (vgl. BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 – Rn. 63; Kirchhof, NZS 2015, S. 4; Kempny/Krüger, SGb 2013, S. 386; vgl. zum Territorialitätsprinzip auch Neumann, NVwZ 1995, S. 428). Hintergrund für die territoriale Beschränkung auf das Bundesgebiet ist letztendlich die Abhängigkeit der Realisierung und Durchsetzung der dem Anspruch nach universalen Menschenrechte von partikularen Staatsgewalten (Thym, Stellungnahme für die Öffentliche Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestags am 1210.2015, S. 17). Da die deutsche Staatsgewalt auf das Bundesgebiet beschränkt ist, kann ein Verfassungsverstoß durch unterlassene Gewährleistung des Hoheitsträgers nur angenommen werden, wenn er sich innerhalb des Hoheitsgebiets realisiert. Das Unterlassen der Erfüllung eines grundrechtlichen Gewährleistungsanspruchs kann als Äquivalent zu einem Eingriff in ein Abwehrrecht aufgefasst werden (vgl. Kempny/Krüger, SGb 2013, S. 386). Die Gewährleistung von existenzsichernden Leistungen außerhalb Deutschlands steht in letzter Konsequenz nicht in der Macht und somit nicht in der verfassungsrechtlichen Verantwortung des deutschen Gesetzgebers, auch wenn ihm die Einräumung derartiger Ansprüche selbstverständlich gestattet ist (vgl. § 24 SGB XII).

287

7.3 Drittens muss die betroffene Person tatsächlich hilfebedürftig sein. Die Grundrechtsträger haben den Gewährleistungsanspruch nur für den Fall ihrer Hilfebedürftigkeit. Der verfassungsrechtliche Begriff der Hilfebedürftigkeit ist nicht mit dem einfachrechtlichen Begriff der Hilfebedürftigkeit (z.B. in § 9 SGB II) gleichzusetzen, der über die verfassungsrechtlichen Anforderungen hinausgehen, aber nicht hinter diesen zurückbleiben darf. Im verfassungsrechtlichen Sinne hilfebedürftig ist eine Person, wenn ihr die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlen, weil sie weder aus einer Erwerbstätigkeit noch aus eigenem Vermögen noch durch Zuwendungen Dritter zu erlangen sind (vgl. BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 – Rn. 63). Die Abstraktheit des verfassungsrechtlichen Hilfebedürftigkeitsbegriffs korreliert mit dem Umstand, dass die normative Einschätzung und Bestimmung dessen, was für ein menschenwürdiges Leben unter konkreten gesellschaftlichen Bedingungen erforderlich ist, in weiten Teilen dem politischen Prozess obliegt (s.o. unter 5.3).

288

Ob die Hilfebedürftigkeit des Grundrechtsträgers eine weitere Anspruchsvoraussetzung für das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums darstellt oder dieser Aspekt stattdessen dem Anspruchsinhalt in Form des zu gebenden einfachen Rechts zugeordnet wird (Kempny/Krüger, SGb 2013, S. 386), hat für das praktische Ergebnis jedenfalls in der vorliegenden Konstellation keine Auswirkungen. Der Unterschied bestünde allein darin, dass auch nicht akut Hilfebedürftige einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Schaffung eines Sozialleistungsanspruchs für den Fall ihrer Hilfebedürftigkeit hätten; diesen könnten sie jedoch mangels aktueller eigener Betroffenheit in Ermangelung eines individuellen Rechtsschutzbedürfnisses wohl nicht selbst durchsetzen.

289

8. Adressaten des Gewährleistungsanspruchs, also Anspruchsgegner, sind in Folge der konkurrierenden Gesetzgebung im Bereich der „öffentliche(n) Fürsorge“ (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG) grundsätzlich sowohl der Bund als auch die Länder. Da der Bundesgesetzgeber von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für das Recht der öffentlichen Fürsorge umfassend Gebrauch gemacht hat, ist dieser in Folge des Ausschlusses der Länder gemäß Art. 72 Abs. 1 GG allein verpflichtet (Kempny/Krüger, SGb 2013, S. 387 f.; im Ergebnis ebenso BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 181).

290

9. Zur Erfüllung der staatlichen Pflicht zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Anspruchsinhalt) müssen nach den oben entwickelten Prinzipien folgende Anforderungen erfüllt werden:

291

Erstens muss der Gesetzgeber durch formelles Gesetz eine Inhaltsbestimmung der Mindestanforderungen für die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vornehmen (Inhaltsbestimmung, 9.1).

292

Zweitens muss der Anspruch des hilfebedürftigen Grundrechtsträgers (d.h. jedes hilfebedürftigen Menschen, der sich in Deutschland tatsächlich aufhält, s.o. unter 7) in einem formellen Gesetz auf Grund eines verfassungsgemäß durchgeführten Gesetzgebungsverfahrens konstituiert werden (formell-gesetzlicher Anspruch, 9.2).

293

Drittens muss der Leistungsanspruch im Gesetzestext selbst so hinreichend bestimmt sein, dass die Verwaltung eine Entscheidung über die Höhe des Anspruchs treffen kann, die die im Gesetzestext zum Ausdruck kommenden Wertentscheidungen des Gesetzgebers nachvollziehbar berücksichtigt (hinreichende Bestimmtheit; konkreter Anspruch, 9.3).

294

Viertens müssen die konkreten Leistungsansprüche objektiv am Maßstab der Inhaltsbestimmung (9.1) im Ergebnis zu rechtfertigen sein (Folgerichtigkeitsprüfung, 9.4).

295

9.1 Der Gesetzgeber hat durch formelles Gesetz eine Inhaltsbestimmung der Mindestanforderungen für die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (d.h. des Existenznotwendigen) zu leisten. Denn die aus dem Demokratieprinzip folgende Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers führt dazu, dass der Gesetzgeber sowohl auf einer ersten Ebene für die grundlegenden Wertentscheidungen hinsichtlich der für die Existenzsicherung erforderlichen Bedarfe zuständig ist, als auch für die Realisierung eines konkreten, auf existenzsichernde Leistungen gerichteten Anspruchs für jeden hilfebedürftigen Grundrechtsträger auf einer zweiten Ebene (9.2). Da nur der Gesetzgeber diese Gestaltungsaufgabe umsetzen kann, ist er hierzu auch verpflichtet – anders könnte das Grundrecht nicht realisiert werden.

296

Der Gesetzgeber hat somit sowohl den Maßstab für die Verfassungsmäßigkeit der Leistungen zu konkretisieren als auch den Leistungsanspruch entweder in konkreter Höhe festzusetzen oder aber ein Regelungssystem zu etablieren, das eine Festsetzung der Leistungshöhe auf Grund gesetzgeberischer Wertentscheidungen ermöglicht. Die Ausgestaltung der Leistung hinsichtlich der Art und Höhe ist daher an den durch den Gesetzgeber selbst getroffenen Wertentscheidungen zu messen, die selbst allerdings auch einer (verfassungs-)gerichtlichen Prüfung unterliegen. Der Zusammenhang zwischen Inhaltsbestimmung und Leistungsanspruch muss folgerichtig sein (9.4).

297

a) Der bisherigen Judikatur des BVerfG lässt sich nicht widerspruchsfrei entnehmen, in welcher Form der Gesetzgeber die für die Ausgestaltung des Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen grundlegenden Wertentscheidungen zu treffen hat, ob diese Wertentscheidungen selbst Bestandteil eines formellen Gesetzes sein müssen, oder ob sie sich zumindest aus der Gesetzesbegründung oder sonstigen Gesetzesmaterialien ergeben müssen (zur Kritik an „mäandernden Maßstäben“ vgl. Borchert, SGb 2015, S. 655 ff.).

298

Das BVerfG stellt im Urteil vom 09.02.2010 fest, dass sich der Grundrechtsschutz (auch) deshalb auf das Verfahren zur Ermittlung des Existenzminimums erstrecke, weil eine Ergebniskontrolle am Maßstab dieses Grundrechts nur begrenzt möglich sei (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 142). Das BVerfG prüfe deshalb, ob der Gesetzgeber das Ziel, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, in einer Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise erfasst und umschrieben habe, ob er im Rahmen seines Gestaltungsspielraums ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt habe, ob er die erforderlichen Tatsachen im Wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt und sich in allen Berechnungsschritten mit einem nachvollziehbaren Zahlenwerk innerhalb dieses gewählten Verfahrens und dessen Strukturprinzipien im Rahmen des Vertretbaren bewegt habe (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 143). Zur Ermöglichung dieser verfassungsgerichtlichen Kontrolle bestehe für den Gesetzgeber die Obliegenheit, die zur Bestimmung des Existenzminimums im Gesetzgebungsverfahren eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offenzulegen. Komme der Gesetzgeber dieser Obliegenheit nicht hinreichend nach, stehe die Ermittlung des Existenzminimums bereits wegen dieser Mängel nicht mehr mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG in Einklang (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn.143).

299

Im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 – Rn. 79) führt das BVerfG diesbezüglich aus, dass sich die Art und die Höhe der Leistungen "mit einer Methode erklären lassen (müssen), nach der die erforderlichen Tatsachen im Wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt werden und nach der sich alle Berechnungsschritte mit einem nachvollziehbaren Zahlenwerk innerhalb dieses Verfahrens und dessen Strukturprinzipien im Rahmen des Vertretbaren bewegen".

300

Im Beschluss vom 23.07.2014 hebt das BVerfG dann hervor, dass die Entscheidung anhand des vom BVerfG entwickelten Folgerichtigkeitsmaßstabs "tragfähig begründbar" sein müsse (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 – 1 BvL 10/12 u.a. – Rn. 80). Die Verfassung schreibe nicht vor, was, wie und wann genau im Gesetzgebungsverfahren zu begründen und zu berechnen sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 – 1 BvL 10/12 u.a. – Rn. 77).

301

Jedenfalls nach der zuletzt vertretenen Auffassung des BVerfG stellen demnach bestimmte Qualitätsmerkmale der Gesetzesbegründung keine formelle Voraussetzung für die Verfassungsmäßigkeit des Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen dar (kritisch diesbezüglich Borchert, SGb 2015, S. 661).

302

Auf Grund des Beschlusses des BVerfG vom Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.) liegt es nahe die „tragfähige Begründbarkeit“ als rein objektiven Maßstab zu verstehen, so dass Wertentscheidungen über die Auswahl der Methoden zur Bestimmung des Existenzminimums weder anhand des Gesetzes noch anhand der Gesetzgebungsmaterialien belegbar sein müssten und es auch nicht darauf ankommen würde, wer für die Begründung oder Begründbarkeit verantwortlich zeichnet. Hierfür spricht auch, dass für die praktische Grundrechtsverwirklichung nur Art und Höhe der Leistung wesentlich sind, nicht aber die der Anspruchsausgestaltung zu Grunde liegenden Wertentscheidungen. Andererseits birgt die Reduzierung des Prüfungsmaßstabs auf eine objektivierte "tragfähige Begründbarkeit" die Gefahr, dass einer durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes festgelegten Leistungshöhe eine derartige Methode nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens beliebig untergeschoben werden könnte, beispielsweise durch das Gericht selbst oder durch interessierte Teilnehmer am öffentlichen Diskurs (Beispiele für Stellungnahmen zur „richtigen“ Höhe der Regelleistungen z.B. bei Spindler, info also 2010, S. 53). Hierdurch würde die Folgerichtigkeitsprüfung tendenziell auf das Niveau einer methodisch verfeinerten Evidenzkontrolle reduziert, da jedes in die Diskussion eingebrachte Berechnungsmodell, das in sich schlüssig den gesetzlich geregelten Anspruch zu begründen oder zu unterbieten im Stande wäre, zu dessen Rechtfertigung taugen würde. Bei einer derartigen Sichtweise wäre nicht sichergestellt, dass die grundlegenden Wertentscheidungen hinsichtlich der inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums tatsächlich, wie es das Demokratieprinzip gebietet, durch den parlamentarisch-demokratischen Gesetzgeber getroffen werden. Bei der Prüfung, ob sich aus den parlamentarischen Wertentscheidungen das gefundene Ergebnis in Form des gesetzlichen Anspruchs folgerichtig ableiten lässt, fiele die erste Komponente weg.

303

Das BVerfG hat sich bei der Folgerichtigkeitsprüfung trotz der Reduzierung des Prüfungsmaßstabs auf die "tragfähige Begründbarkeit" jedoch fast ausschließlich an den zur Verfügung stehenden Gesetzgebungsmaterialien bzw. im Falle des Beschlusses vom 23.07.2014 am gesetzlich fixierten Verfahren zur Bestimmung der Regelbedarfe im RBEG orientiert (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn.160 ff.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 – Rn. 91 f.; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 – 1 BvL 10/12 u.a. – Rn. 91 ff.). Insbesondere im Urteil vom 09.02.2010 hat das BVerfG soweit ersichtlich keine ergänzenden Expertisen zu der Frage eingeholt, ob die seinerzeit zur Überprüfung stehende Leistungshöhe nicht unabhängig von der Gesetzesbegründung „tragfähig begründbar“ gewesen sein könnte.

304

Es bleibt nach der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG mithin unklar, in welchem Zusammenhang die der Folgerichtigkeitsprüfung zu Grunde zu legenden Wertentscheidungen mit dem Gesetzgebungsprozess stehen müssen.

305

b) Eine Lösung auf Grundlage der Dogmatik des BVerfG besteht in der Annahme, dass die grundlegenden Wertentscheidungen im Sinne einer inhaltlichen Bestimmung des Existenznotwendigen ebenso wie der hieraus abzuleitende Leistungsanspruch im Wege eines formellen Gesetzes getroffen werden müssen.

306

Hierfür spricht, dass dem Gesetzgeber als solchem keine andere Handlungsform als das formelle Gesetz zur Verfügung steht. In Folge der pluralistischen Zusammensetzung der Gesetzgebungskörperschaften (die auf Bundesebene darüber hinaus aus zwei verschiedenen Gremien, Bundestag und Bundesrat, bestehen) gibt es keinen authentischen Interpreten der Entscheidungen des Gesetzgebers, der verbindlich gesetzgeberische Konzeptionen und Intentionen im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Prüfung darstellen oder auch "nachbessern" könnte. Daher ist auch nicht klar, wer zur Erfüllung von „Obliegenheiten“ des Gesetzgebers (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn.143) berufen sein sollte. Unter dem Aspekt der Gewaltenteilung ist es insbesondere problematisch die Bundesregierung oder ein Fachministerium hierzu heranzuziehen. Verbindliche Wertentscheidungen des Gesetzgebers können zudem nur in Gesetzesform ergehen oder gegebenenfalls mit sonstigen parlamentarischen Beschlüssen getroffen werden. Gesetzesbegründungen gehören nicht dazu. Aus dem GG lassen sich weder Begründungspflichten noch sonstige Dokumentationspflichten über den Gesetzgebungsprozess als formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für ein Bundesgesetz herleiten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 – 1 BvL 10/12 u.a. – Rn. 77; Groth, NZS 2011, S. 571 m.w.N.). Die Gestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers kann sich in formeller Hinsicht daher nicht auf dessen Begründung beziehen. Die grundlegenden Wertentscheidungen, die der Ausgestaltung des Anspruchs auf ein menschenwürdiges Existenzminimum müssen demnach in Gesetzesform getroffen werden, um als Entscheidungen des Gesetzgebers identifizierbar zu sein.

307

Der (vom BVerfG zuletzt herangezogene) objektive Prüfungsmaßstab der "tragfähigen Begründbarkeit" kann sich demnach nur auf den folgerichtigen Zusammenhang zwischen der gesetzlich zu regelnden inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums einerseits und dem gesetzlichen Leistungsanspruch andererseits beziehen (9.4). Sofern der Gesetzgeber also seinem Auftrag zur Ausgestaltung des Grundrechts nachgekommen wäre, könnte der hieraus abgeleitete Leistungsanspruch aus objektiver Perspektive auf seine tragfähige Begründbarkeit überprüft werden.

308

In diesem Sinne objektiv zu prüfen sind allerdings auch die Wertentscheidungen, die in der abstrakten inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums zum Ausdruck kommen. Dies unternimmt das BVerfG auch, in dem es postuliert, welche Kategorien von Bedürfnissen jedenfalls zum menschenwürdigen Existenzminimum hinzugehören (Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene, Gesundheit, Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben – BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 135) und einen Verfassungsverstoß in der mangelnden Berücksichtigung von Bildungs- und Teilhabebedarfen (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 192) sieht, die Berücksichtigung dieser Bedürfnisse dem Grunde nach also gerade nicht einer Wertentscheidung des Gesetzgebers überlasst.

309

c) Die sich aus diesem Lösungsansatz ergebende Differenz zwischen der abstrakten Bestimmung der materiellen und sozialen Bedürfnisse, die zur Führung eines menschenwürdigen Lebens unter gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen befriedigt werden können müssen, und der Schaffung konkreter Leistungsansprüche, die die Erfüllung dieser Bedürfnisse gewährleisten müssen, liefert auch eine Begründung dafür, dass für verschiedene Personengruppen unterschiedliche Leistungssysteme geschaffen werden können, obwohl das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums für alle Menschen gleichermaßen und in gleicher Weise Geltung beansprucht (vgl. auch Janda/Wilksch, SGb 2010, S. 570). Der dem Grundrecht inhärente Gleichbehandlungsanspruch betrifft die abstrakte Bestimmung dessen, welche materiellen Bedürfnisse zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erfüllt werden müssen. Hierbei sind Ungleichbehandlungen nur auf Grund unterschiedlicher Bedürfnisse gestattet, beispielsweise bei Abweichungen von Bedarfslagen in Folge eines absehbar nur kurzfristigen Aufenthalts im Inland (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 – Rn. 73) oder zwischen Erwachsenen und Kindern.

310

Weitere Differenzierungen auf Grund prinzipiell beliebiger politischer Kriterien (d.h. nicht bedarfsdeckungsbezogene Ziele, vgl. Kempny/Krüger, SGb 2013, S. 389) beispielsweise bei der Setzung von Anreizen und Sanktionen für bestimmte Verhaltensweisen können nur auf der zweiten Ebene der Ausgestaltung des Leistungsanspruchs zum Zuge kommen und hierfür auch nur den Spielraum nutzen, der sich aus einer – objektiv tragfähig begründbaren – Übererfüllung der durch den Gesetzgeber selbst gesetzten Mindestanforderungen für die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im Sinne einer Inhaltsbestimmung ergeben kann (ähnlich Görisch, NZS 2011, S. 650). Dies erfordert wiederum eine hinreichend bestimmbare Unterscheidbarkeit zwischen den gesetzgeberisch ausgestalteten Mindestanforderungen einerseits und den konkreten Leistungsansprüchen andererseits. Würden sich die Mindestanforderungen allein in den konkreten Leistungsansprüchen ausdrücken, wäre jede auch nur geringfügige bedürftigkeitsunabhängige Kürzung der Leistung verfassungswidrig.

311

Ungleichbehandlungen auf dieser zweiten Ebene haben sich jedoch an den allgemeinen und speziellen Gleichheitsgrundrechten (Art. 3 GG) messen zu lassen. Dies steht der Auffassung des BVerfG, dass Art. 3 Abs. 1 GG oder Art. 6 Abs. 1 GG für die Bemessung des Existenzminimums im Sozialrecht keine weiteren Maßstäbe zu setzen vermögen (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 145; vgl. auch Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 284) nicht entgegen, sofern die „Bemessung des Existenzminimums“ nicht mit der gesetzlichen Konkretisierung des Leistungsanspruchs gleichgesetzt wird. Ungleichbehandlungen auf Grund der Staatsangehörigkeit sind aber auch auf dieser zweiten Ebene sehr enge Grenzen gesetzt, weil sie eine große sachliche Nähe zu einigen speziellen Diskriminierungsverboten des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG aufweisen (vgl. Kingreen, SGb 2013, S. 137 ff.; BVerfG, Beschluss vom 07.02.2012 – 1 BvL 14/07 – Rn. 46).

312

9.2 Der konkrete Leistungsanspruch des hilfebedürftigen Grundrechtsträgers muss seinerseits in einem formellen Gesetz auf Grund eines verfassungsgemäß durchgeführten Gesetzgebungsverfahrens konstituiert werden (formell-gesetzlicher Anspruch).

313

Wenn das Sozialleistungssystem derart lückenhaft ist, dass bestimmte Personengruppen die positiven Anspruchsvoraussetzungen für keines der bestehenden Existenzsicherungssysteme erfüllen, liegt eine verfassungswidrige Unterlassung des Gesetzgebers vor. Sofern bestimmte Personenkreise durch besondere Regelungen von allen Existenzsicherungssystemen ausgeschlossen werden, sind diese Ausschlussregelungen – und zwar jede für sich – verfassungswidrig. Auch die Einräumung von Ermessen gegenüber der zuständigen staatlichen Stelle hinsichtlich der Frage, ob bei Hilfebedürftigkeit Leistungen erbracht werden, ist verfassungswidrig.

314

Aus dem Gestaltungsgebot für den Gesetzgeber folgt im Übrigen auch, dass das Fehlen eines gesetzlichen Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums nicht richterrechtlich kompensiert werden kann (vgl. auch Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 287).

315

9.3 Der konkrete Leistungsanspruch muss durch den Gesetzestext selbst so hinreichend bestimmt sein, dass die Verwaltung eine Entscheidung über die Höhe des Anspruchs treffen kann, die die im Gesetzestext zum Ausdruck kommenden Wertentscheidungen des Gesetzgebers nachvollziehbar berücksichtigt (hinreichende Bestimmtheit; konkreter Anspruch). Dies schließt sowohl die Verwendung zu unbestimmter Rechtsbegriffe (vgl. SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 12.12.2014 – S 3 AS 130/14 – Rn. 252 ff.) als auch die Einräumung von Ermessen gegenüber der zuständigen Stelle über den Inhalt (bei Geldleistungen: die Höhe) der Leistungsgewährung im Kernbereich der Existenzsicherung aus. In den Worten des BVerfG betrifft dieser Aspekt die Pflicht des Gesetzgebers, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 136).

316

Die das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums konturierenden Entscheidungen des BVerfG (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 – 1 BvL 10/12 u.a.) enthalten selbst keine näheren Ausführungen über den Grad der Bestimmtheit, den gesetzliche Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums haben müssen. Dies ist wohl dem Umstand geschuldet, dass die dort zu überprüfenden Fragen ausschließlich die Verfassungsmäßigkeit der Regelleistungen bzw. des Regelbedarfes betrafen, bei denen die Leistungshöhe im Gesetz oder in den hierzu erlassenen, durch gesetzliche Regelungen weitgehend determinierten Anpassungsverordnungen numerisch exakt bestimmt war bzw. ist. Die durch das BVerfG geprüften Vorschriften wiesen – jedenfalls auf der Rechtsfolgenseite – kein Bestimmtheitsproblem auf.

317

Aus der Grundrechtsrelevanz der existenzsichernden Leistungen erwachsen jedoch qualitative Anforderungen hinsichtlich der Merkmalsdichte (oder „Intensionstiefe“, vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 196) der textlich verfassten gesetzlichen Bestimmungen (SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 12.12.2014 – S 3 AS 130/14 – Rn. 253 ff.). Diese müssen so viele Merkmale aufweisen, dass die argumentative Rückbindung der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) und der Fachgerichte (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 97 Abs. 1 GG) an die im Gesetzgebungsverfahren erzeugten Gesetzestexte ermöglicht wird. Der Gesetzestext muss so hinreichend bestimmt sein, dass eine Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung auch und gerade vom Adressaten der Entscheidung noch als Konkretisierung eines bestimmten Gesetzgebungsakts nachvollzogen werden kann. Aus diesem Grund genügt der Gesetzgeber seiner verfassungsrechtlichen Gewährleistungsverpflichtung auch dann nicht, wenn er die Gewährung existenzsichernder Leistungen dem Grunde oder der Höhe nach in das Ermessen der Verwaltung stellt. Die aus dem Demokratieprinzip resultierende Anforderung an den Gesetzgeber, die wesentlichen Entscheidungen zur Grundrechtsverwirklichung selbst zu treffen, liefe andernfalls ins Leere.

318

Das Bestimmtheitsgebot ist sowohl Ausdruck des Demokratie- als auch des Rechtsstaatsprinzips. Das BVerfG formuliert die rechtsstaatlichen Bestimmbarkeitsanforderungen beispielhaft folgendermaßen (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 – 1 BvR 2307/94, 1 BvR 1120/95, 1 BvR 1408/95, 1 BvR 21 BvR 2460/95, 1 BvR 21 BvR 2471/95 – Rn. 325):

319

"Das rechtsstaatliche Gebot der Gesetzesbestimmtheit zwingt den Gesetzgeber nicht, Regelungstatbestände stets mit genau erfassbaren Maßstäben zu umschreiben. Der Gesetzgeber ist aber gehalten, seine Regelungen so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (...). Bei der Frage, welche Bestimmtheitsanforderungen im Einzelnen erfüllt sein müssen, ist auch die Intensität der Einwirkungen auf die Regelungsadressaten zu berücksichtigen (...). Die Rechtsunterworfenen müssen in zumutbarer Weise erkennen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen (...). Dabei reicht es aus, wenn sich dies im Wege der Auslegung der einschlägigen Bestimmung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lässt (...)."

320

An anderer Stelle führt das BVerfG aus, dass die grundsätzliche Zulässigkeit unbestimmter Gesetzesbegriffe den Gesetzgeber nicht davon entbinde, die Vorschrift so zu fassen, dass sie den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Normklarheit und Justitiabilität entspreche (BVerfG, Beschluss vom 12.01.1967 – 1 BvR 169/63 – Rn. 17).

321

Die Aussage des BVerfG, die Rechtsunterworfenen müssten in zumutbarer Weise erkennen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen, und hierfür reiche es aus, wenn sich dies im Wege der Auslegung der einschlägigen Bestimmung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lasse (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 – 1 BvR 2307/94 u.a. – Rn. 325), darf nicht so verstanden werden, dass ein verfassungswidriger Bestimmtheitsmangel des Gesetzes durch Auslegung der Gerichte mit anerkannten Mitteln der juristischen Methodenlehre ausgeglichen werden könnte (in diese Richtung aber Luik, jurisPRSozR 22/2013 Anm. 1).

322

Bei der Prüfung, ob ein verfassungsrechtlich relevanter Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot vorliegt, geht es darum festzustellen, ob eine Rechtsvorschrift nach verfassungsrechtlichen Maßstäben hinreichend bestimmt ist. Hierzu muss beurteilt werden, ob die sich aus der Eigenart des Lebenssachverhalts und des Normzwecks ergebenden Anforderungen an die Merkmalsdichte des Normtextes mit der konkret gewählten Regelungstechnik erfüllt werden. Diese Frage ist mit Hilfe der zur Verfügung stehenden Auslegungsmethoden zu beantworten. Dies kann insbesondere mit den Methoden der semantischen und der systematischen Auslegung geschehen, da diese die einschlägigen Normtexte selbst in den Blick nehmen.

323

Bei dieser Prüfung geht es hingegen nicht darum nachzuweisen, dass ein unbestimmter Rechtsbegriff mit Hilfe anerkannter Mittel der juristischen Methodenlehre für eine gerichtliche Sachentscheidung fruchtbar gemacht werden kann; denn dies ist ausnahmslos der Fall. Gerichte können unbestimmte Rechtsbegriffe argumentativ u.a. mit Zweckerwägungen, historischen und genetischen Aspekten, Erwägungen zur „materiellen Gerechtigkeit“ und Praktikabilitätserfordernissen anreichern, um den Fall zur Entscheidungsreife zu bringen. Die Rechtsprechung ist zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes verpflichtet (Art. 19 Abs. 4 GG), d.h. sie muss auch dann, wenn unbestimmte Rechtsbegriffe im Gesetz Verwendung finden, zu einer bestimmten Sachentscheidung kommen, denn in einem funktionierenden Rechtsstaat muss es auf jede Rechtsfrage eine Antwort geben (Forgó/Somek, Nachpositivistisches Rechtsdenken, in: Buckel/Christensen/Fischer-Lescano (Hrsg.): Neue Theorien des Rechts, 2. Auflage 2009, S. 257). Dies wirkt sich dahingehend aus, dass die Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe der uneingeschränkten richterlichen Kontrolle unterliegen (vgl. zum Begriff der „Angemessenheit in § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II: BSG, Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 27/09 – Rn. 21 ff.; Knickrehm, jM 2014, S. 340; zum Ganzen: SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 12.12.2014 – S 3 AS 130/14 – Rn. 255 ff.). Hierfür stellt die juristische Methodenlehre Werkzeuge zu Verfügung, deren Aufgabe es ist, jeden Fall anhand rationaler Kriterien lösbar zu machen. Die normtextbezogenen Methoden der "grammatischen" und "systematischen" Auslegung verlieren durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe jedoch an Bedeutung, wodurch die Begrenzungen richterlichen und behördlichen Entscheidens durch Gesetzesbindung geschwächt werden. Durch Heranziehung vom Normtext unabhängiger, gleichwohl "anerkannter" Konkretisierungselemente wie historischer, genetischer und (insbesondere) teleologischer Auslegung lassen sich unbestimmte Rechtsbegriffe besonders leicht einer auf den Fall bezogenen Konkretisierung zuführen, da in diesen Fällen der Vorwurf des Verstoßes gegen das Gesetzesbindungsgebot kaum jemals erhoben werden kann. Entsprechendes gilt für die Einräumung von behördlichem Ermessen, bei dem, gesetzgeberisch legitimiert, die Beantwortung einer aufgeworfenen Rechtsfrage in Grenzen der Verwaltung überlassen bleibt und nur die Bestimmung dieser Grenzen im Wege der Konkretisierung durch die Rechtsprechung erfolgt.

324

Hiermit wird aber noch nichts über die Abgrenzung der Rechtserzeugungsbefugnisse zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung gesagt. Bei der Frage, ob der Gesetzgeber hinreichend bestimmte Regelungen getroffen hat, handelt es sich mithin nicht um ein methodologisches Problem im engeren Sinne, sondern um ein Problem der Legitimation. Die demokratische Willensbildung kann im Rechtsstaat nur in dem Umfang Wirkung entfalten, in dem sie durch Gesetze Verwaltung und Rechtsprechung zu binden vermag (Art. 20 Abs. 3 GG). Je weniger bedeutsame Merkmale eine Regelung aufweist, also je unbestimmter sie ist, desto geringer ist die Bindungswirkung des Gesetzes. Bei Regelungsmaterien, die aus verfassungsrechtlichen Gründen im Wesentlichen der Gestaltung durch den parlamentarischen Gesetzgeber unterliegen, erwächst hieraus ein Bestimmtheitsgebot. Das Bestimmtheitsgebot verlangt eine Regelungstechnik, die dazu geeignet ist, Gesetzesbindung zu erzeugen. Hierzu muss die gesetzliche Vorschrift so viele bestimmende Merkmale aufweisen, dass der durch Verwaltung und Rechtsprechung zu vollziehende Konkretisierungsprozess wirksam im Sinne des Ergebnisses der demokratischen Willensbildung gesteuert werden kann. Die Verwendung (zu) unbestimmter Rechtsbegriffe und die Einräumung von behördlichem Ermessen geraten mit dieser Anforderung gleichermaßen in Konflikt.

325

Das verfassungsrechtliche Prinzip, dass die für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Bestimmungen durch den parlamentarischen Gesetzgeber getroffen werden müssen ("Wesentlichkeitstheorie"), wird im Zusammenhang mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf zweierlei Weise aufgerufen. Einerseits bewirkt bereits die dogmatische Qualifikation des Rechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als Grundrecht, dass das Wesentlichkeitsprinzip berücksichtigt werden muss (vgl. Konzak, NVwZ 1997, S. 873). Andererseits bedingt die Besonderheit der Qualifikation als "Gewährleistungsrecht", dass das Grundrecht erst durch Erfüllung des gesetzgeberischen Gestaltungsauftrags zur Entfaltung kommen kann. Sowohl die Grundrechtsqualität als auch die Konstituierung des Anspruchs auf Existenzsicherung als Gewährleistungsrecht prägen mithin die "Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck" und bestimmen die "Intensität der Einwirkungen auf die Regelungsadressaten" (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 – 1 BvR 2307/94 u.a. – Rn. 325) in dem Sinne, dass der Gesetzgeber die Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums möglichst präzise ausgestalten und hierdurch eine möglichst effektive Bindung der Verwaltung an die gesetzgeberischen Grundentscheidungen ermöglichen muss.

326

Umgekehrt folgt hieraus, dass eine Verwaltungs- oder Fachgerichtsentscheidung, mit der über die Gewährung existenzsichernder Leistungen entschieden wird, in qualifizierter Weise auf eine gesetzgeberische Entscheidung zurückführbar sein muss. Die hierfür wesentlichen Bestimmungen müssen im für die Sachentscheidung auf Verwaltungsebene einschlägigen Gesetzestext (Normtext bzw. amtlicher Wortlaut) enthalten sein, da nur dieser durch das formalisierte Gesetzgebungsverfahren in Geltung gesetzte Text dem parlamentarischen Willensbildungsprozess eindeutig zuzurechnen ist. Nicht einschlägige Normtexte (z.B. Parallelvorschriften) oder im Sachzusammenhang mit dem Gesetzgebungsakt stehende Nicht-Normtexte (z.B. Gesetzgebungsmaterialien) können legitimerweise Konkretisierungselemente für die Auslegung einfachen Gesetzesrechts und Richtschnur für die Ermessensausübung sein, vermögen aber nicht, die gemessen am Wesentlichkeitsvorbehalt festgestellte Unterbestimmtheit einer gesetzlichen Regelung zu kompensieren. Denn weder nicht einschlägige Normtexte noch Gesetzesmaterialien sind – bezogen auf die konkrete Regelungsmaterie – Ergebnisse des parlamentarisch-demokratischen Entscheidungsprozesses. In Bezug auf den Regelungsgegenstand unterliegen sie auch nicht den durch den parlamentarischen Prozess garantierten Sicherungen im Hinblick auf die Öffentlichkeit der Debatte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 – 1 BvL 10/12 u.a. – Rn. 77).

327

Für Grundrechtsträger muss darüber hinaus erkennbar sein, welche staatlichen Akteure für die Ausgestaltung ihrer Rechte verantwortlich sind. Dies betrifft den Grundrechtsträger nicht nur in seiner Eigenschaft als Leistungsberechtigten, sondern auch als Teilnehmer am demokratischen Prozess durch Wahlen oder andere Beteiligungsformen. Mit den Worten des BVerfG (Urteil vom 07.10.2014 – 2 BvR 1641/11 – Rn. 81):

328

"Demokratie und Volkssouveränität erschöpfen sich im repräsentativ- parlamentarischen System des Grundgesetzes nicht in Zurechnungsfiktionen und stellen auch nicht nur formale Mindestanforderungen an den Legitimationszusammenhang zwischen dem Volk und den handelnden Staatsorganen. (...) Der wahlberechtigte Bürger muss wissen können, wen er wofür - nicht zuletzt durch Vergabe oder Entzug seiner Stimme - verantwortlich machen kann. Daran fehlt es, wenn die Aufgaben durch Organe oder Amtswalter unter Bedingungen wahrgenommen werden, die eine solche Verantwortungszuordnung nicht ermöglichen (...)."

329

Dieser Verantwortungszusammenhang kann praktisch nur realisiert und sichtbar gemacht werden, indem die aus Gründen der Grundrechtsverwirklichung vom parlamentarischen Gesetzgeber selbst zu treffenden Regelungen so gestaltet sind, dass sie zur maßgeblichen Beeinflussung der konkreten Entscheidungsprozesse der Verwaltung und der Fachgerichte geeignet sind.

330

Wann die Voraussetzung der hinreichenden Bestimmtheit (bzw. Bestimmbarkeit) erfüllt ist, lässt sich nicht abstrakt festlegen, da Gesetzestext, Interpretationskultur und rechtsstaatliches Verfahren – abgesehen von Fällen numerischer Exaktheit – niemals eine vollständige Determination der Fallentscheidung ermöglichen (Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 195). Gesetzesbegriffe sind in diesem Sinne also immer unbestimmt. Hieraus folgt, dass die Anforderungen an die Bestimmtheit eines Gesetzes nicht losgelöst von dessen Funktion betrachtet werden können und Maßstab für die Einhaltung des Bestimmtheitsgebots nur ein der Regelungsmaterie angemessener Grad von Bestimmbarkeit sein kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – Rn. 101). Dass dieser Grad der Bestimmbarkeit bei der gesetzlichen Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums besonders hoch sein muss, ergibt sich zum einen aus der Grundrechte verwirklichenden Funktion des Gesetzes (Stölting, SGb 2013, S. 545), zum anderen und wesentlich aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber die politische Transformation der "gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 138) überhaupt erst vollziehen muss, um seiner Gestaltungsverpflichtung nachzukommen. Regelungstechniken, die nicht dazu geeignet sind, Verwaltung und Rechtsprechung wirkungsvoll zu steuern, erhalten zwar den legitimatorischen Schein der Gesetzesbindung aufrecht (vgl. Maus, Verrechtlichung, Entrechtlichung und der Funktionswandel von Institutionen, in: dies.: Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, München 1986, S. 278), überlassen die Interpretation dessen, was die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen "gesellschaftlichen Anschauungen" sein mögen, jedoch demokratisch allenfalls mittelbar legitimierten Funktionsträgern. Durch die Einräumung von Ermessen in wesentlichen Fragen der Grundrechtsverwirklichung wird die Gesetzesbindung – immerhin auf transparente Weise – weiter reduziert.

331

Aus diesen Anforderungen aus Demokratieprinzip und Bestimmtheitsgebot folgt zum einen, dass die Verwendung (besonders) unbestimmter Rechtsbegriffe im Existenzsicherungsrecht verfassungswidrig sein kann (vgl. SG Mainz, Vorlagebeschlüsse vom 12.12.2014 – S 3 AS 130/14 und S 3 AS 370/14; vgl. auch Frerichs in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Auflage 2014, § 3 AsylbLG i.d.F. v. 23.12.2014, Rn. 57, Stand 01.04.2016), zum anderen, dass die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums dem Grunde und der Höhe nach nicht von einer Ermessensentscheidung der zuständigen Behörde abhängig gemacht werden darf. Die Einräumung von Ermessen widerspräche der Anforderung, dass die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch ein Parlamentsgesetz erfolgen muss, das einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthält (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 136; vgl. auch BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 – Rn. 96: „Eine Regelung zur Existenzsicherung hat vor der Verfassung nur Bestand, wenn Bedarfe durch Anspruchsnormen gesichert werden“).

332

Auch die Annahme einer so genannten „Ermessensreduzierung auf Null“ durch die fachgerichtliche Rechtsprechung und deren faktische Durchsetzung würde einen derartigen Mangel nicht heilen, da die Voraussetzungen, die an eine solche Ermessensreduzierung gestellt werden, von der Rechtsprechung entwickelt werden müssten und gerade nicht auf gesetzgeberische Entscheidungen zurückzuführen wären. Die Argumentationsfigur der „Ermessensreduzierung auf Null“ stellt auch nur ein im Einzelfall legitimes Mittel zur Erhöhung der richterlichen Kontrolldichte behördlicher Entscheidungen dar. Würde sie hingegen als Umdeutung einer Ermessensvorschrift in eine die Verwaltung bindende Anspruchsnorm verstanden, läge hierin ein Verstoß gegen das Gesetzesbindungsgebot, weil der gesetzlich eingeräumte Ermessensspielraum nicht nur im Einzelfall reduziert, sondern generell ausgeschaltet würde.

333

Zugleich muss das Leistungsrecht allerdings hinreichend flexibel ausgestaltet sein, um individuell abweichenden Bedarfslagen gerecht werden zu können. Dies resultiert aus dem Umstand, dass gleiche Rechte der Menschen auf ungleiche Lebenswirklichkeiten stoßen, wodurch abschließenden Pauschalierungen existenzsichernder Leistungen Grenzen gesetzt sind (vgl. Hebeler, SGb 2008, S. 10 ff.). Bei der Berücksichtigung individueller Bedarfslagen lässt sich die Verwendung in relativ hohem Maße unbestimmter Rechtsbegriffe daher nicht vermeiden.

334

9.4 Die konkreten (9.2) und hinreichend bestimmten (9.3) Leistungsansprüche müssen am Maßstab der gesetzlichen Inhaltsbestimmung des Existenznotwendigen (9.1) im Ergebnis zu rechtfertigen sein.

335

Die konkreten Leistungsansprüche müssen mindestens dazu geeignet sein, die Lebensbedingungen zu gewährleisten, die der Gesetzgeber im Wege einer (verfassungskonformen) Inhaltsbestimmung als für eine menschenwürdige Existenz unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen für unerlässlich erklärt hat. Reicht der konkrete Leistungsanspruch der Höhe nach nicht zur Deckung der vom Gesetzgeber als existenznotwendig bestimmten Bedarfe aus, ist er insoweit verfassungswidrig. Ob dies der Fall ist, ist mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln objektiv zu prüfen. In diesem Sinne kann hier der (vom BVerfG zuletzt herangezogene) objektive Prüfungsmaßstab der "tragfähigen Begründbarkeit" hinsichtlich des folgerichtigen Zusammenhangs zwischen der gesetzlich zu regelnden inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums einerseits und dem gesetzlichen Leistungsanspruch andererseits herangezogen werden. Dass die Höhe des Anspruchs nicht evident unzureichend zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz sein darf, stellt demgegenüber keinen eigenständigen Prüfungsmaßstab dar. Hiermit wird bloß zum Ausdruck gebracht, dass die fehlende Folgerichtigkeit unter Umständen einfach festzustellen sein kann.

336

Dementsprechend sind auch Leistungseinschränkungen gegenüber einem dem Grunde nach gewährten Leistungsanspruch verfassungswidrig, wenn sie dazu führen, dass die Höhe der verbliebenen Sozialleistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz unzureichend ist. Prüfungsmaßstab ist hierbei die gesetzliche Inhaltsbestimmung des Existenznotwendigen. An diesem verfassungsrechtlichen Maßstab sind die im SGB II vorgesehenen Leistungseinschränkungen zu prüfen (z.B. § 22 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB II, § 22 Abs. 5 Satz 1 SGB II, § 22 Abs. 5 Satz 4 SGB II, § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II, § 32 Abs. 1 Satz 1 SGB II, § 42a Abs. 1 Satz 1 SGB II, § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB II). Dies betrifft beispielsweise Leistungskürzungen durch Sanktionen (§ 31a SGB II, § 32 SGB II), die nur dann nicht verfassungswidrig wären, wenn trotz der Leistungskürzung noch das gesamte Existenzminimum einschließlich eines zumindest geringfügigen Maßes an sozialer Teilhabe gedeckt wäre (Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 297 f.). Da es dem Gesetzgeber freisteht, den Leistungsanspruch über das durch ihn verfassungsgemäß bestimmte Existenznotwendige hinaus zu erweitern, verstoßen Abstufungen in der Leistungshöhe, die verhaltenssteuernde Wirkung entfalten sollen, jedoch nicht automatisch gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 07.07.2010 – 1 BvR 2556/09 – Rn. 9).

337

10. Sofern einer bestimmten Gruppe von Grundrechtsträgern durch den Gesetzgeber kein die soeben geschilderten Mindestanforderungen erfüllender Anspruch auf existenzsichernde Leistungen eingeräumt wird, besteht ein verfassungswidriger Zustand. Konkret verfassungswidrig sind dann alle Rechtsnormen, die für die betroffenen Grundrechtsträger zum Ausschluss aus dem jeweiligen Leistungssystem führen. Dies kann sowohl echte Ausschlussnormen betreffen, wie die den Gegenstand der Vorlagefragen bildenden § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II und § 7 Abs. 5 SGB II, als auch Normen, die positive Voraussetzungen für den Leistungsanspruch regeln, die die betroffenen Grundrechtsträger jedoch nicht erfüllen (z.B. der hypothetische Fall, dass bei Nichtdeutschen das Bestehen eines materiellen Aufenthaltsrechts zur gesetzlichen Anspruchsvoraussetzung gemacht werden würde). Beide Kategorien von Rechtsnormen haben im Hinblick auf die Grundrechtsverletzung den gleichen Effekt; sie bestimmen gleichermaßen den Umfang der defizitären Gestaltung des einfachen Rechts (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 137).

338

Wenn verschiedene Leistungssysteme für die Existenzsicherung Hilfebedürftiger bestehen (z.B. SGB II, SGB XII, AsylbLG, BAföG) und der betroffene Personenkreis in allen Systemen ausgeschlossen ist (z. B. § 7 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB II und § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII), sind die jeweiligen Ausschlussregelungen in den einzelnen Leistungssystemen allesamt verfassungswidrig. Der Leistungsausschluss in einem System kann verfassungsrechtlich nicht dadurch aufgefangen werden, dass der betroffene Personenkreis auf ein anderes Leistungssystem verwiesen wird, dass seinerseits einen (verfassungswidrigen) Leistungsausschluss für den gleichen Personenkreis vorsieht, mit dem Argument, dass dann Letzteres für nichtig erklärt werden muss und hierdurch ein verfassungsgemäßer Zustand herzustellen wäre. Dies wäre nur dann der Fall, wenn zwischen den Leistungssystemen bezogen auf den betroffenen Personenkreis unabhängig von den für verfassungswidrig gehaltenen Vorschriften ein Nachrangverhältnis bestünde, der Betroffene also unabhängig von dem Leistungsausschluss im vorrangigen System hilfsweise auf das nachrangige System zurückgreifen könnte, wo er dann mit dem gleichartigen Leistungsausschluss konfrontiert wäre. Nur in diesem Fall bestünde ein logischer Vorrang der Verfassungswidrigkeit des nachrangigen Gesetzes.

339

Die Identifizierung der potenziell verfassungswidrigen Ausschlussnormen beschränkt nicht die gesetzgeberischen Möglichkeiten, den verfassungswidrigen Zustand zu beheben. Der Gesetzgeber kann einen Leistungsausschluss in einem Gesetz dadurch kompensieren, dass er die Ausschlussvorschrift aufhebt oder die Tatbestandsvoraussetzungen reduziert, was der Möglichkeit der Nichtigerklärung einzelner Ausschlussnormen durch das BVerfG entspricht. Er kann aber auch ein weiteres Leistungssystem für den ausgeschlossenen Personenkreis schaffen oder diesbezügliche Anspruchshürden ausschließlich in einem anderen schon bestehenden Leistungssystem beseitigen. Hieraus folgt allerdings nicht, dass eine verfassungswidrige Ausschlussnorm wegen des gesetzlichen Gestaltungsspielraums durch das BVerfG nicht für nichtig (§ 78 Satz 1 BVerfGG), sondern lediglich für mit der Verfassung unvereinbar erklärt werden könnte. Denn der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum besteht hier nur hinsichtlich denkbarerer regelungstechnischer Korrekturen des Verfassungsverstoßes, nicht jedoch hinsichtlich des materiellen Ergebnisses. Eine verfassungsgemäße Alternative zum Wegfall des Ausschlusstatbestands besteht – anders als regelmäßig bei der Verletzung von Gleichheitsgrundrechten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.02.2012 – 1 BvL 14/07 – Rn. 58 m.w.N.) – nicht.

340

Ein durchsetzbarer Anspruch auf Schaffung eines existenzsichernden Leistungssystems, der nur im Wege einer Normerlassklage verfolgt werden könnte, wäre hingegen allenfalls denkbar, wenn überhaupt kein gesetzliches Leistungssystem bestünde, welches dem Grunde nach Ansprüche auf Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums einräumt und dessen Ausschluss- oder Voraussetzungsnormen einer effektiven (verfassungs-)gerichtlichen Kontrolle unterliegen könnte. Dies ist auf Grund der bestehenden Leistungssysteme der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II), der Sozialhilfe (SGB XII), des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) und der Ausbildungsförderung (BAföG und §§ 56 ff. SGB III) jedoch nicht der Fall.

II.

341

Das Vorstehende zu Grunde gelegt, verstößt § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG (so bereits SG Mainz, Beschluss vom 02.09.2015 – S 3 AS 599/15 ER; SG Hamburg, Beschluss vom 22.09.2015 – S 22 AS 3298/15 ER – Rn. 7 ff.; SG Mainz, Beschluss vom 12.11.2015 – S 12 AS 946/15 ER; vgl. auch Kingreen, SGb 2013, S. 139; Frerichs, ZESAR 2014, S. 285 f.; Löbich, ZESAR 2015, S. 426 f.; Wilksch, JuWissBlog, https://www.juwiss.de/90-2015/).

342

Der vom Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II (1) effektiv betroffene Personenkreis (2) erfüllt grundsätzlich die Anspruchsvoraussetzungen für das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (3). Für diesen Personenkreis fehlt es an einem hinreichend bestimmten, formell-gesetzlichen Anspruch auf Leistungen zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (4). Die sich hieraus ergebende unterlassene Grundrechtsgewährleistung kann nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden (5).

343

1. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II lautet:

344

„Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

345

1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,

346

2. erwerbsfähig sind,

347

3. hilfebedürftig sind und

348

4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).“

349

§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II lautet:

350

„Ausgenommen sind

351

1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,

352

2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen,

353

3. Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.“

354

2. In § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II wird der Kreis der Leistungsberechtigten nach dem SGB II geregelt. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II werden bestimmte Personengruppen, die die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfüllen, von den Leistungen nach dem SGB II ausgenommen.

355

Der von der Ausschlussvorschrift des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II erfasste und somit im Hinblick auf die Wahrung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums in die verfassungsrechtliche Prüfung einzubeziehende Personenkreis ist allerdings deutlich kleiner, als von den zuständigen Senaten des BSG und in der Mehrzahl der publizierten Entscheidungen der Sozialgerichte gemeinhin angenommen wird.

356

Der Ausschlusstatbestand knüpft hierbei nicht an die persönliche Motivation des Aufenthaltsberechtigten an, sondern auf den objektiven Zweck des Aufenthaltsrechts (Schreiber, SRa 2015, S. 41), so dass sich der betroffene Personenkreis abstrakt anhand der aufenthaltsrechtlichen Vorschriften bestimmen lässt. Der von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II erfasste Personenkreis der „Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen“ besteht daher nach Maßgabe des Bundesrechts aus den folgenden Fallgruppen:

357

-Unionsbürger und Staatsangehörige der EWR-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen, die über ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU verfügen (2.1)

358

-Personen, die über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 16 Abs. 4 Satz 1 AufenthG verfügen (2.2)

359

-Personen, die über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 18c Abs. 1 Satz 1 AufenthG verfügen (2.3) und

360

-deren jeweiligen Familienangehörigen mit abgeleitetem Aufenthaltsrecht (2.4).

361

Nicht vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II erfasst sind hingegen Unionsbürger (und Staatsangehörige der anderen EWR-Staaten), die über kein materielles Aufenthaltsrecht verfügen, aber in Folge einer unterbliebenen Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU nicht vollziehbar ausreisepflichtig sind (2.5). Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II kommt des Weiteren bei Unionsbürgern, die über ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU verfügen und dem persönlichen Geltungsbereich der VO (EG) 883/2004 unterfallen, nicht zur Anwendung (2.6). Entsprechendes gilt für Drittstaatsangehörige, wenn sie die Voraussetzungen von Art. 1 VO (EG) 1231/2010 erfüllen, sowie für Staatsangehörige der übrigen EWR-Staaten und – sofern Aufenthaltstitel nach § 16 Abs. 4 AufenthG oder § 18c AufenthG vorliegen – der Schweiz (2.7).

362

2.1 Von der Ausschlussregelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sind tatbestandlich zunächst Unionsbürger mit Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitsuche nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU erfasst. Nach dieser Vorschrift sind Unionsbürger, die sich zur Arbeitsuche in Deutschland aufhalten, für bis zu sechs Monate freizügigkeitsberechtigt, darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Der Ausschluss greift nur, wenn die betroffene Person nicht zusätzlich über ein anderes Aufenthaltsrecht verfügt. Über § 12 FreizügG/EU werden hiervon auch Staatsangehörige der EWR-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen erfasst.

363

2.2 Die Ausschlussregelung erfasst darüber hinaus auch Ausländer, die – wie der Kläger zu 1 – über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 16 Abs. 4 AufenthG verfügen (so auchWolff-Dellen in: Löns/Herold-Tews, SGB II, § 7 Rn. 11, 3. Auflage 2011; Thie in: LPK-SGB II, § 7 Rn. 27, 5. Auflage 2013¸ Hänlein in: Gagel, SGB II/SGB III, § 7 SGB II Rn. 71, beck-online; Leopold in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Auflage 2015, § 7 Rn. 93, Stand 14.03.2016; SG Mainz, Beschluss vom 27.01.2016 – S 11 AS 7/16 ER – nicht veröffentlicht; in diesem Sinne auch die Beschlussempfehlung des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales: BT-Drucks. 16/688, S. 13; s.o. unter A.IV.3.1.1 a).

364

Nach § 16 Abs. 1 Satz 1 AufenthG in der Fassung vom 29.08.2013 kann einem Ausländer zum Zweck des Studiums an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule oder vergleichbaren Ausbildungseinrichtung eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Nach § 16 Abs. 1 Satz 2 AufenthG umfasst der Aufenthaltszweck des Studiums auch studienvorbereitende Maßnahmen. Nach § 16 Abs. 4 Satz 1 AufenthG kann die Aufenthaltserlaubnis nach erfolgreichem Abschluss des Studiums für bis zu 18 Monate zur Suche eines diesem Abschluss angemessenen Arbeitsplatzes, sofern er nach den Bestimmungen der §§ 18, 19, 19a und 21 AufenthG von Ausländern besetzt werden darf, verlängert werden. Gemäß § 16 Abs. 4 Satz 2 AufenthG berechtigt die Aufenthaltserlaubnis während dieses Zeitraums zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Aus dem Wortlaut des § 16 Abs. 4 Satz 1 AufenthG geht mithin hervor, dass der nach dieser Vorschrift verliehene Aufenthaltstitel zum Zwecke der Suche eines Arbeitsplatzes erteilt wird. Dass das vorherige Vorliegen einer Aufenthaltserlaubnis nach § 16 Abs. 1 AufenthG Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 16 Abs. 4 AufenthG ist, führt nicht dazu, dass Letztere weiterhin zum Zwecke des Studiums erteilt wird. Die Verlängerung des Aufenthaltsrechts nach erfolgreichem Studium gemäß § 16 Abs. 4 AufenthG dient gerade nicht mehr der Ausbildung, sondern der Arbeitsplatzsuche. Für andere bzw. weitere Zwecksetzungen gibt der Wortlaut des § 16 Abs. 4 AufenthG keine Anhaltspunkte. Auch wenn hierbei eine (nicht notwendig der Ausbildung entsprechende) Erwerbstätigkeit gestattet und ausgeübt wird, führt dies nicht dazu, dass die Ausübung einer Erwerbstätigkeit selbst zum Zweck dieses Aufenthaltsrechts wird. Der Aufenthaltszweck der Durchführung eines Studiums nach § 16 Abs. 1 AufenthG wirkt auch nicht im Aufenthaltsrecht nach § 16 Abs. 4 AufenthG fort. Dieser Zweck wurde in diesen Fällen bereits erreicht und hat sich erledigt, weshalb zur anschließenden Arbeitsplatzsuche ein anderer Aufenthaltstitel erforderlich wird. Mit der Möglichkeit, die Aufenthaltserlaubnis nach § 16 Abs. 1 AufenthG zur Arbeitsplatzsuche um bis zu 18 Monate zu verlängern ist mithin ein Wechsel des Aufenthaltszwecks verbunden (Christ in: Kluth/Heusch, BeckOK-AuslR, § 16 AufenthG Rn. 51, beck-online, Stand 01.11.2015).

365

Auch der Wortlaut des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Ausschluss nicht greifen soll, wenn zu einem früheren Zeitpunkt oder auch unmittelbar vor Erlangung des Aufenthaltsrechts zur Arbeitsuche ein Aufenthaltsrecht zu anderen Zwecken bestand. Hieran ändert auch die Tatsache nichts, dass es sich bei dem betroffenen Personenkreis weder um EU-Bürger handelt, auf die die Ausschlussmöglichkeit der RL 2004/38/EG in erster Linie abzielt, noch eine Einreise zum Zwecke der Arbeitssuche vorgelegen haben muss (vgl. Brandmayer in: BeckOK-SGB II, § 7 Rn. 9, beck-online, Stand: 01.12.2015).

366

2.3 Ebenfalls vom Leistungsausschluss betroffen sind Ausländer, die über ein Aufenthaltsrecht nach § 18c AufenthG verfügen. Nach § 18c Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der über einen deutschen oder anerkannten oder einem deutschen Hochschulabschluss vergleichbaren ausländischen Hochschulabschluss verfügt und dessen Lebensunterhalt gesichert ist, eine Aufenthaltserlaubnis zur Suche nach einem der Qualifikation angemessenen Arbeitsplatz für bis zu sechs Monate erteilt werden. Auch in dieser Vorschrift ist der mit der Ausschlussregelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verknüpfende aufenthaltsrechtliche Zweck der Arbeitsuche deutlich zum Ausdruck gebracht worden.

367

2.4 Weiterhin werden vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB II die Familienangehörigen der Person erfasst, die über ein Aufenthaltsrecht allein zum Zweck der Arbeitsuche verfügt. Familienangehörige im diesem Sinne sind Personen, die zu der Person, die über ein Aufenthaltsrecht allein zum Zweck der Arbeitsuche verfügt, in einem Verwandtschaftsverhältnis stehen und über ein Aufenthaltsrecht allein auf Grund des Verwandtschaftsverhältnisses zu der Person mit Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitsuche verfügen. Sofern die erste Person ein Aufenthaltsrecht aus § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU verfügt, ergibt sich der vom Leistungsausschluss mitbetroffene Kreis der Familienangehörigen aus einzelnen Tatbeständen des § 3 FreizügG/EU (vgl. BSG, Urteil vom 20.01.2016 – B 14 AS 35/15 R – Rn. 50). Sofern die erste Person über eine Aufenthaltserlaubnis aus § 16 Abs. 4 AufenthG oder § 18c AufenthG verfügt, ergibt sich der Kreis der mitbetroffenen Familienangehörigen aus den Regelungen zum Familiennachzug gemäß §§ 27, 30, 32, 33 AufenthG. Ausgenommen sind wiederum diejenigen Familienangehörigen, die über ein eigenständiges, d.h. nicht dem Aufenthaltsrecht der ersten Person gemäß § 27 Abs. 4 Satz 1 AufenthG akzessorisches Aufenthaltsrecht beispielsweise aus den §§ 31, 34 Abs. 2 oder 35 AufenthG verfügen.

368

2.5 Nicht vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II erfasst sind hingegen Unionsbürger und Angehörige der drei übrigen EWR-Staaten, die über kein materielles Aufenthaltsrecht verfügen, aber in Folge einer unterbliebenen Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU nicht vollziehbar ausreisepflichtig sind (so auch Hessisches LSG, Urteil vom 27.11.2013 - L 6 AS 378/12 – Rn. 54 ff.; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28.11.2013 – L 19 AS 129/13; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 06.03.2014 - L 31 AS 1348/13; Thüringer LSG, Beschluss vom 25.04.2014 – L 4 AS 306/14 B ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 05.05.2014 – L 19 AS 430/13 – Rn. 42 ff.; SG Mainz, Beschluss vom 12.11.2015 – S 12 AS 946/15 ER – Rn. 31 ff.; Kingreen, SGb 2013, S. 134; Schreiber, SRa 2015, S. 43 f.).

369

a) Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU sind Unionsbürger, die sich zur Arbeitsuche in Deutschland aufhalten, für bis zu sechs Monate freizügigkeitsberechtigt, darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Sofern ein Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitsuche nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU nicht (mehr) besteht, ergibt sich für den Betroffenen nur noch ein (formelles) Aufenthaltsrecht aus der Freizügigkeitsvermutung. Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen sind nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU erst dann ausreisepflichtig, wenn die Ausländerbehörde festgestellt hat, dass das Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht (Hessisches LSG, Beschluss vom 07.04.2015 – L 6 AS 62/15 B ER – Rn. 48 m.w.N.; Lehmann, SRa 2015, S. 35).

370

Das Nichtbestehen oder der Wegfall des Aufenthaltsrechts aus § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU hat zur Folge, dass der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht zum Zuge kommt. Dies ergibt sich aus dem insoweit klaren Wortlaut der Regelung, in der von Personen die Rede ist „deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt“ (vgl. LSG Hessen, Beschluss vom 07.04.2015 – L 6 AS 62/15 B ER – Rn. 49 bis 54 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.03.2015 – L 19 AS 116/15 B ER – Rn. 27 ff.; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.09.2015 – L 7 SF 535/15 ER – Rn. 8). Die Wendung „Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht (…)“ lässt semantisch keinen anderen Schluss zu, als dass nur Ausländer betroffen sind, die über das im Folgenden näher spezifizierte Aufenthaltsrecht verfügen.

371

Dieses Textverständnis wird in der Rechtsprechung auch nicht ernsthaft bestritten. Soweit vereinzelt behauptet wird, dass die Auffassung, Personen ohne materielles Aufenthaltsrecht würden nicht vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II erfasst, mit dem Wortlaut der Regelung nicht vereinbar sei (LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 05.11.2015 – L 3 AS 479/15 B ER – Rn. 19), erfolgt dies lediglich im Rahmen eines schematisch wiedergegebenen Begründungsmusters, ohne dass der offene Widerspruch zum Gesetzestext thematisiert wird.

372

b) Die gegenteilige Auffassung, nach der der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auch bei ausländischen Staatsangehörigen (und ihren Familienangehörigen) greifen soll, die über kein (materielles) Aufenthaltsrecht verfügen, ist rechtswissenschaftlich nicht vertretbar (vgl. bereits LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 06.03.2014 – L 31 AS 1348/13 – Rn. 26), unabhängig davon, ob dies mit der Konstruktion einer „ungeschriebene(n) Anspruchsvoraussetzung des Bestehens eines Aufenthaltsrechts“ (so Hessisches LSG, Beschluss vom 11.12.2014 – L 7 AS 528/14 B ER – Rn. 55) oder mit Erörterungen von vermeintlichen Wertungswidersprüchen sowie Sinn- und Zweckerwägungen (so LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.06.2015 – L 1 AS 2338/15 ER-B, L 1 AS L 1 AS 2358/15 B – Rn. 34 oder LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15.09.2015 – L 34 AS 1868/15 B ER – Rn. 16 ff.; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 05.11.2015 – L 3 AS 479/15 B ER – Rn. 16 ff.) oder mit einem „Erst-recht-Schluss“ (so BSG, Urteil vom 03.12.2015 – B 4 AS 44/15 R – Rn. 19 ff.; dem folgend: BSG, Urteil vom 20.01.2016 – B 14 AS 35/15 R – Rn. 24) begründet wird.

373

Der Wortlaut eines Gesetzes steckt die äußersten Grenzen funktionell vertretbarer und verfassungsrechtlich zulässiger Sinnvarianten ab. Entscheidungen, die den Wortlaut einer Norm offensichtlich überspielen, sind unzulässig (Müller/Christensen, Juristische Methodik, S. 300 ff., zum Ganzen S. 294 ff. und S. 538 ff.). Die Bindung der Gerichte an das Gesetz folgt aus Art. 20 Abs. 3 und Art. 97 Abs. 1 GG. Dass die Gerichte dabei an den Gesetzestext (im Sinne des amtlichen Wortlauts bzw. Normtextes) gebunden sind, folgt aus dem Umstand, dass nur dieser Gesetzestext Ergebnis des von der Verfassung vorgegebenen parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens ist. Eine Überschreitung der Wortlautgrenze verstößt daher sowohl gegen das Gesetzesbindungsgebot als auch gegen das Gewaltenteilungsprinzip. Es ist den Gerichten daher verfassungsrechtlich strikt verboten, „ungeschriebene Anspruchsvoraussetzungen“ oder Ausschlussgründe für Leistungsansprüche zu erschaffen oder sich anderweitig über die Grenzen des Gesetzeswortlautes hinwegzusetzen, beispielsweise mit der Behauptung, aus einer „allein am Wortlaut“ orientierten Auslegung ergäben sich Wertungswidersprüche.

374

Zur Normsetzung im Sinne einer Rechtsfortbildung durch Analogieschluss sind Gerichte auf Grund des Gewaltenteilungsprinzips allenfalls ausnahmsweise bei echten Regelungslücken befugt. Dies trägt dem Dilemma Rechnung, das aus dem Umstand entsteht, dass die Gerichte einerseits an das Gesetz gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 97 Abs. 1 GG), andererseits zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes verpflichtet (Art. 19 Abs. 4 GG) sind. Denn Gerichte müssen auch dann, wenn eine gesetzliche Regelung fehlt, zu einer bestimmten Sachentscheidung kommen, weil es im Rechtsstaat auf jede Rechtsfrage eine Antwort geben muss (Forgó/Somek, Nachpositivistisches Rechtsdenken, in: Buckel/Christensen/Fischer-Lescano (Hrsg.): Neue Theorien des Rechts, 2. Auflage 2009, S. 257). In Folge des Grundsatzes der Gesetzesbindung darf allerdings von einer ausfüllungsbedürftigen Regelungslücke nur dann ausgegangen werden, wenn der zu entscheidende Fall andernfalls nicht zu lösen wäre. Wenn ein Fall auf Grundlage und in Übereinstimmung mit den einschlägigen Normtexten zu lösen ist, verstößt die Annahme einer ausfüllungsbedürftigen Regelungslücke und in Folge dessen die (analoge) Heranziehung einer anderen Rechtsfolge gegen das Gesetzesbindungsgebot (SG Mainz, Gerichtsbescheid vom 21.09.2015 – S 3 KR 558/14 – Rn. 29). Dies gilt in besonderem Maße für weitgehend kodifizierte Rechtsgebiete, wie dem in den Sozialgesetzbüchern geregelten Sozialrecht. Für das Sozialgesetzbuch gilt in Folge Vorschriften des § 2 Abs. 2 SGB I (Auslegungsgrundsatz der möglichst weitgehenden Verwirklichung sozialer Rechte) und § 31 SGB I (Vorbehalt des Gesetzes) zudem auch einfachrechtlich praktisch ein umfassendes Analogieverbot sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten der potenziell Sozialleistungsberechtigten (zu geringe Anforderungen an den Analogieschluss stellt daherBecker, SGb 2009, S. 341 f.).

375

Von diesem Maßstab ausgehend, liegt eine Regelungslücke hier nicht vor. Selbst wenn die Behauptung zuträfe, dass der Gesetzgeber bzw. der Gesetzesautor das Bestehen eines Aufenthaltsrechts als Voraussetzung für den Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II stillschweigend vorausgesetzt hat, würde dies eine ausdrückliche gesetzliche Regelung einer solchen Voraussetzung schon auf Grund des rechtsstaatlichen Gebotes der Normenklarheit nicht entbehrlich machen. Eine solche Regelung ist bislang nicht Gesetz geworden, auch wenn sie beabsichtigt gewesen oder vorausgesetzt worden sein mag. Personen ohne Aufenthaltsrecht werden von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht erfasst. Häufig, aber eben nicht in allen Fällen sind sie über die Leistungsberechtigung nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II von den Leistungen des SGB II ausgeschlossen.

376

Selbst wenn außerdem die These zuträfe, dass die unterschiedliche Behandlung von Personen mit Aufenthaltsrecht zum Zwecke der Arbeitsuche einerseits und Personen ohne materielles Aufenthaltsrecht andererseits zu „unauflösbaren Wertungswidersprüchen“ führte (so LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 27.05.2015 – L 2 AS 256/15 B ER – Rn. 23; vgl. auch Hessisches LSG, Beschluss vom 11.12.2014 – L 7 AS 528/14 B ER – Rn. 56), würde dies keine Ausweitung des Leistungsausschlusses auf die letztere Personengruppe rechtfertigen, sondern das zuständige Gericht allenfalls zur Vorlage zum BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG zur Prüfung eines Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG zu Lasten der ersten Personengruppe berechtigen und verpflichten. Die vom BVerfG in Fällen von Gleichheitsverstößen zur Wahrung des Gewaltenteilungsprinzips in Anspruch genommene Möglichkeit, eine gleichheitsverstoßende Norm für mit der Verfassung unvereinbar zu erklären und dem Gesetzgeber hiermit die Gelegenheit zu geben, den Gleichheitsverstoß in der einen oder anderen Richtung zu beseitigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.02.2012 – 1 BvL 14/07 – Rn. 58 m.w.N,) wird mit der Selbstermächtigung zur Analogiebildung durch die fachgerichtliche Rechtsprechung unterlaufen.

377

Hiervon abgesehen sind die behaupteten Wertungswidersprüche keineswegs so eindeutig, dass ein Gleichheitsverstoß auf der Hand läge. Dass der Ausschluss von Unionsbürgern mit Aufenthaltsrecht zum Zwecke der Arbeitsuche bei gleichzeitigem Einschluss von Unionsbürgern mit nur formellem Aufenthaltsrecht vor europarechtlichem Hintergrund durchaus als kohärent und wertungskonsistent betrachtet werden kann, wurde in mehreren Publikationen und Gerichtsentscheidungen ausführlich dargelegt (vgl. Kingreen, SGb 2013, S. 134; Schreiber, SRa 2015, S. 44; vgl. auch Hessisches LSG, Urteil vom 27.11.2013 – L 6 AS 378/12 – Rn. 54 ff.; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28.11.2013 – L 19 AS 129/13; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 06.03.2014 – L 31 AS 1348/13; Thüringer LSG, Beschluss vom 25.04.2014 – L 4 AS 306/14 B ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 05.05.2014 – L 19 AS 430/13 – Rn. 42 ff). Wesentliches Argument für eine Rechtfertigung der beschriebenen Ungleichbehandlung ist die Möglichkeit der Verlustfeststellung und die hiermit verbundene Möglichkeit, den Leistungsbezug bei der zweiten Personengruppe aufenthaltsrechtlich zu steuern, die bei der ersten Personengruppe nicht gegeben ist (Schreiber, SRa 2015, S. 44).

378

Der vom 4. Senat des BSG behauptete Zirkelschluss, dass Personen ohne materielles Aufenthaltsrecht, die einen Anspruch auf Eingliederungsleistungen nach den §§ 16 ff. SGB II hätten, wiederum nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sein würden (BSG, Urteil vom 03.12.2015 – B 4 AS 44/15 R – Rn. 23), beruht auf einer fehlgehenden Gleichsetzung zwischen der Zielsetzung der §§ 16 ff. SGB II, eine erfolgreiche Arbeitsuche zu ermöglichen, und dem für das Fortbestehen des Aufenthaltsrechts zum Zweck der Arbeitsuche nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU erforderlichen Nachweis der weiteren Arbeitsuche sowie der begründeten Einstellungsaussicht.

379

Nicht bedarfsbezogene Ausschlusstatbestände unter Missachtung der Grenzfunktion des Gesetzeswortlauts im Wege einer "teleologischen Gesetzeskorrektur" (so Hessisches LSG, Beschluss vom 11.12.2014 – L 7 AS 528/14 B ER – Rn. 57), mit Analogiebildungen zu Lasten der Hilfebedürftigen oder mit „Erst-recht-Schlüssen“ (BSG, Urteil vom 03.12.2015 – B 4 AS 44/15 R – Rn. 19 ff.) noch auszuweiten verstößt im Übrigen nicht nur gegen das Gebot der Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 97 Abs. 1 GG) und gegen den Auslegungsgrundsatz der möglichst weitgehenden Verwirklichung sozialer Rechte (§ 2 Abs. 2 SGB I), sondern – in Fällen, in denen kein anderes Existenzsicherungssystem greift – auch gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

380

2.6 Der Leistungsausschluss kommt bei Unionsbürgern, die über ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU verfügen und gemäß Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 dem persönlichen Geltungsbereich der Verordnung unterfallen und bei deren Familienangehörigen nicht zur Anwendung. Vom persönlichen Geltungsbereich erfasst sind Staatsangehörige eines Mitgliedstaates, die ihren Wohnort in einem anderen Mitgliedstaat haben, für den die Rechtsvorschriften dieses aufnehmenden Staates gelten und die in ein Sozialversicherungs- und/oder Familienleistungssystem im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Verordnung (EG) 883/2004 eingebunden sind (vgl. zur weiteren Differenzierung Schreiber, NZS 2012, S. 649).

381

a) § 7 Abs.1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verstößt gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO (EG) 883/2004) (so bereits SG Berlin, Urteil vom 15.08.2012 – S 55 AS 13349/12 – Rn. 28 ff.). Der Gleichheitsverstoß kann nicht durch die Möglichkeiten, den Zugang zu nationalen System der Sozialhilfe auch für Unionsbürger zu beschränken (vgl. Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG) gerechtfertigt werden (a.A. EuGH, Urteil vom 15.09.2015 – C-67/14 – Rn. 63).

382

b) Die VO (EG) 883/2004 ist gemäß Art. 288 AEUV allgemein verbindlich und gilt in jedem Mitgliedstaat unmittelbar, ohne dass es eines innerstaatlichen Umsetzungsaktes bedürfte. Nach Art. 288 Abs. 2 AEUV können die Regelungen in diesen Wirkungen auch nicht durch nationale Gesetze oder Maßnahmen eingeschränkt werden.

383

c) Das Arbeitslosengeld II nach dem SGB II unterfällt gemäß Art. 3 Abs. 3 VO (EG) 883/2004 dem Anwendungsbereich der Verordnung. Nach dieser Regelung gilt die Verordnung auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen gemäß Art. 70 VO (EG) 883/2004. Das Arbeitslosengeld II nach dem SGB II gehört zu den "besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen" nach Art. 70 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 (so auch EuGH, Urteil vom 15.09.2015 – C-67/14 – Rn. 43). Diese Zuordnung setzt voraus, dass die Leistung einem besonderen Schutzzweck im Sinne eines zusätzlichen, ersatzweisen oder ergänzenden Schutzes zu einem System der sozialen Sicherheit oder im Sinne eines besonderen Schutzes behinderter Menschen dient, beitragsunabhängig finanziert wird und dass sie im Anhang X der VO (EG) 883/2004 aufgeführt ist. Diese Voraussetzungen sind beim Arbeitslosengeld II erfüllt. Dessen besonderer Schutzzweck liegt darin, dass es sich um eine ergänzende Leistung im Rahmen des Leistungssystems zur Überwindung von Arbeitslosigkeit handelt. Diese besondere ergänzende Leistung ist nicht beitrags-, sondern steuerfinanziert und in Anhang X zur Verordnung (EG) 883/2004 aufgeführt. Dementsprechend sind Leistungen nach dem SGB II auch nicht als Fürsorgeleistungen gemäß Art. 3 Abs. 5 VO (EG) 883/2004 vom Anwendungsbereich der Vorschrift ausgeschlossen, unabhängig davon, dass Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zugleich als Sozialhilfeleistungen im Sinne des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG qualifiziert werden können.

384

d) Art. 70 VO (EG) 883/2004 nimmt besondere beitragsunabhängige Geldleistungen vom Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 VO (EG) 883/2004 auch nicht aus. Art. 70 Abs. 3 VO (EG) 883/2004 enthält nur die Aufhebung des so genannten Exportgebots, indem die Geltung des Art. 7 VO (EG) 883/2004 für die in Art. 70 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 genannten Leistungen ausgeschlossen wird. Darüber hinaus wird die Geltung der weiteren Vorschriften „dieses“, das heißt des dritten Titels (Art. 17 bis Art. 69) der Verordnung ausgeschlossen. Daneben regelt Art. 70 Abs. 4 VO (EG) 883/2004 quasi als Gegenstück zum Ausschluss des Art. 7 VO (EG) 883/2004, dass die besonderen beitragsunabhängigen Leistungen ausschließlich in dem Mitgliedstaat, in dem die betreffenden Personen wohnen, nach dessen Rechtsvorschriften vom Träger des Wohnorts zu dessen Lasten gewährt werden.

385

e) Unter Rechtsvorschriften im Sinne des Art. 4 VO (EG) 883/2004 sind auch Rechtsvorschriften zu verstehen, die sich auf besondere beitragsunabhängige Leistungen im Sinne des Art. 70 VO (EG) 883/2004) beziehen. Zwar wird der Begriff der Rechtsvorschriften – soweit hier von Interesse – in Art. 1 Abs. 1 VO (EG) 883/2014 wie folgt definiert:

386

„(Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck) "Rechtsvorschriften" für jeden Mitgliedstaat die Gesetze, Verordnungen, Satzungen und alle anderen Durchführungsvorschriften in Bezug auf die in Artikel 3 Absatz 1 genannten Zweige der sozialen Sicherheit.“

387

Leistungen nach dem SGB II unterfallen als besondere beitragsunabhängige Leistungen jedoch nicht unmittelbar dem Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 883/2004, sondern werden über Art. 3 Abs. 3 VO (EG) 883/2004 in den Geltungsbereich der Verordnung einbezogen. Hieraus könnte der Schluss gezogen werden, dass sich das Diskriminierungsverbot des Art. 4 VO (EG) 883/2004 nur auf Rechtsvorschriften der in Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 genannten sozialen Sicherungssysteme bezieht (so etwa mit ausführlicher Begründung: LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 21.08.2012 – L 3 AS 250/12 B ER – Rn. 23 ff.). Hiergegen spricht aber, dass der Begriff „Rechtsvorschriften“ in der Verordnung offensichtlich nicht immer im Sinne der vorangestellten Legaldefinition verwendet wird (vgl. Groth, jurisPR-SozR 2/2015 Anm. 1, der ein Redaktionsversehen vermutet). Denn beispielsweise in Art. 70 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 und Art. 70 Abs. 4 VO (EG) 883/2004 ist ausdrücklich von „Rechtsvorschriften“ die Rede, die sich auf besondere beitragsunabhängige Leistungen beziehen. Deshalb liegt es näher, die in Art. 3 Abs. 3 VO (EG) 883/2004 bestimmte Geltung der Verordnung auch für besondere beitragsunabhängige Leistungen so zu verstehen, dass hiermit die Definition des Begriffs der „Rechtsvorschriften“ auf solche Rechtsvorschriften erweitert wird, die sich auf besondere beitragsunabhängige Leistungen beziehen. Wenn das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 VO (EG) 883/2004 für die besonderen beitragsunabhängigen Leistungen hingegen hätte ausgeschlossen werden sollen, wäre dies dem Ausschluss der Geltung des Art. 7 VO (EG) 883/2004 in Art. 70 Abs. 3 VO (EG) 883/2004 entsprechend geschehen. Eine derart gravierende Einschränkung der Geltung der Verordnung für besondere beitragsunabhängige Leistungen hätte im Verordnungstext entsprechend deutlich zum Ausdruck kommen können und müssen. Auch der EuGH geht ausdrücklich von einer Anwendbarkeit des Art. 4 VO (EG) 883/2004 auf besondere beitragsunabhängige Leistungen aus (EuGH, Urteil vom 11.11.2014 – C-333/13 – Rn. 55).

388

f) Bei dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II handelt es sich um eine offene, unmittelbare Diskriminierung (Farahat, NZS 2014, S. 491; Schreiber, info also 2015, S. 5; zum Begriff vgl. Bokeloh, ZESAR 2013, S. 402), denn das maßgebliche Unterscheidungskriterium ist die Staatsangehörigkeit. Von der Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II können ausschließlich Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit betroffen sein. In der VO (EG) 883/2004 selbst findet sich keine Bestimmung im Sinne des Art. 4 EG (VO) 883/2004, die eine solche unterschiedliche Behandlung allgemein oder bei besonderen beitragsunabhängigen Leistungen unter bestimmten Umständen zuließe.

389

g) Eine den Leistungsausschluss rechtfertigende Einschränkung des Diskriminierungsverbots ergibt sich auch nicht aus Art. 24 Abs. 2 2. Alt. in Verbindung mit Art. 14 Abs. 4 b) der RL 2004/38/EG (so auch SG Berlin, Urteil vom 19.12.2012 – S 55 AS 18011/12 – Rn. 26 ff.; Schreiber, NZS 2012, S. 651; Hofmann/Kummer, ZESAR 2013, S. 206; Kingreen, SGb 2013, S. 136 f.).

390

Die hierin enthaltene Möglichkeit der Mitgliedstaaten, Unionsbürger unter bestimmten Voraussetzungen von Sozialhilfeleistungen auszuschließen, ist bereits deshalb nicht zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung geeignet, weil sich Beschränkungen nach dem Wortlaut des Art. 4 VO (EG) 882/2004 ausschließlich aus dieser Verordnung selbst ergeben dürfen (vgl. auch Schreiber, NZS 2012, S. 650). Die Verordnung enthält keine Vorschrift, nach der Normen aus anderen sekundären Rechtsakten der EU das Diskriminierungsverbot einschränken dürften. Dafür, dass Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot dennoch nach allgemeinen Grundsätzen rechtfertigungsfähig sein könnten, wenn sie „auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen“ beruhen (so Thym, NZS 2014, S. 84, mit Hinweis u.a. auf den EuGH, Urteil 09.11.2006 – C-346/05), fehlt – abgesehen davon, dass es gerade um Diskriminierungen auf Grund der Staatsangehörigkeit geht – ein rechtliches Argument.

391

Hieran vermag auch die Qualifikation der streitigen Leistungen nach dem SGB II als Sozialhilfeleistungen im Sinne der RL 2004/38/EG nichts zu ändern. Nach der Rechtsprechung des EuGH sind Sozialhilfeleistungen sämtliche von öffentlichen Stellen eingerichtete Hilfssysteme, die auf nationaler, regionaler oder örtlicher Ebene bestehen und die ein Einzelner in Anspruch nimmt, der nicht über ausreichende Existenzmittel zur Bestreitung seiner Grundbedürfnisse und derjenigen seiner Familie verfügt und deshalb während seines Aufenthalts möglicherweise die öffentlichen Finanzen des Aufnahmemitgliedstaats belasten muss, was Auswirkungen auf das gesamte Niveau der Beihilfe haben kann, die dieser Staat gewähren kann (EuGH, Urteil vom 19.09.2013 – C-140/12 – Rn. 61). Aus dem sich hieraus ergebenden Umstand, dass die RL 2004/38/EG neben der VO (EG) 883/2004 grundsätzlich anwendbar ist, folgt jedoch nicht, dass das Diskriminierungsverbot des Art. 4 VO (EG) 883/2004 durch Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG eingeschränkt ist.

392

Art. 24 Abs. 2 2. Alt. i.V.m. Art. 14 Abs. 4 b) der RL 2004/38/EG stellt zwar eine inhaltliche Einschränkung des Diskriminierungsverbots aus Art. 24 Abs. 1 RL 2004/38/EG dar. Nach letzterer Vorschrift genießt jeder Unionsbürger, der sich aufgrund der Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates aufhält, im Anwendungsbereich des Vertrags die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaates. Abweichend hiervon ist der Aufnahmemitgliedstaat jedoch nach Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Art. 14 Abs. 4 Buchstabe b) RL 2004/38/EG einen Anspruch auf Sozialhilfe oder vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt Studienbeihilfen, einschließlich Beihilfen zur Berufsausbildung, in Form eines Stipendiums oder Studiendarlehens, zu gewähren. Dem (Aufnahme-)Mitgliedstaat ist es danach grundsätzlich erlaubt, Unionsbürgern, die die Arbeitnehmereigenschaft nicht oder nicht mehr besitzen, Beschränkungen in Bezug auf die Gewährung von Sozialleistungen aufzuerlegen, damit diese die Sozialhilfeleistungen dieses Staates nicht unangemessen in Anspruch nehmen.

393

Aus dem systematischen Zusammenhang ergibt sich demnach, dass Mitgliedstaaten den Zugang zu Sozialhilfeleistungen nach Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG einschränken dürfen, die Teilmenge der Sozialhilfeleistungen, die zugleich als besondere beitragsunabhängige Leistungen im Sinne von Art. 70 VO (EG) 883/2004 zu qualifizieren sind, von einer solchen Vorgehensweise nach Art. 4 VO (EG) 883/2004 jedoch ausgenommen sind. Die gegenteilige Auffassung erscheint rechtswissenschaftlich nicht vertretbar.

394

Zunächst stehen Verordnung und Richtlinie auf einer Ebene der Normenhierarchie, das heißt keines der beiden Regelwerke vermag das jeweils andere auf Grund eines Rangverhältnisses zu verdrängen. Die Regelwerke stehen im hier interessierenden Zusammenhang auch nicht in einem auf irgendeine Weise aufzulösenden Widerspruch zueinander. Die Ausnahmeregelung des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG wird durch die Anwendung des Gleichbehandlungsgebots auf besondere beitragsunabhängige Leistungen nicht funktionslos, da es weiterhin Leistungen der Sozialhilfe in den Mitgliedstaaten gibt bzw. geben kann, die nicht von Art. 70 VO (EG) 883/2004 erfasst sind. Als nur ermächtigende, nicht verpflichtende Norm ist zudem die Möglichkeit, dass von ihr nicht Gebrauch gemacht wird, von vornherein gegeben (tatsächlich haben wohl lediglich Deutschland und Frankreich, mit Modifikationen Schweden, Tschechien und das Vereinigte Königreich diese Option genutzt, vgl. Janda, SRa 2015, S. 25). Sozialhilfeleistungen im engeren Sinne sind als Leistungen der sozialen und medizinischen Fürsorge nach Art. 3 Abs. 5 VO (EG) 883/2004 vom Anwendungsbereich der Verordnung sogar ausdrücklich ausgeschlossen. Hierunter fallen für Deutschland beispielsweise die Leistungen nach dem SGB XII mit Ausnahme des 4. Kapitels. Die Aufnahme so genannter Hybridleistungen, die Elemente der sonstigen sozialen Sicherungssysteme und der Sozialhilfe miteinander vereinen, in die Koordinierungsverordnung führt somit zu der Konsequenz, dass diese nicht wie (sonstige) Sozialhilfeleistungen eingeschränkt werden dürfen, sondern einem strikten Diskriminierungsverbot unterliegen. Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG ist gegenüber Art. 4 VO (EG) 883/2004 daher auch nicht die speziellere Norm. Die Anwendungsbereiche überschneiden sich vielmehr (vgl. zum Ganzen auch SG Berlin, Urteil vom 19.12.2012 – S 55 AS 18011/12 – Rn. 43 ff.). Dem Bundesgesetzgeber stünde es aus europarechtlicher Perspektive demgegenüber ohne weiteres frei, die Verknüpfung arbeitsförderungsrechtlicher und sozialhilferechtlicher Aspekte im SGB II wieder zu lösen und auch für Erwerbsfähige und deren Angehörige ein nur sozialhilferechtlich ausgestaltetes Existenzsicherungssystem vorzusehen, welches nicht dem Diskriminierungsverbot des Art. 4 VO (EG) 883/2004 unterläge.

395

Im Übrigen können aus rechtssystematischen Gründen weder eine Richtlinie im Sinne des Art. 288 Abs. 3 AEUV noch eine auf Grund der Richtlinie erlassene nationale Rechtsvorschrift gegenüber einer Verordnung im Sinne des Art. 288 Abs. 2 AEUVleges speciales sein (a.A. Kötter, info also 2013, S. 251). Dies ergibt sich aus dem Vorrang des Unionsrechts, wie er in Art. 288 Abs. 2 AEUV zum Ausdruck kommt. Richtlinien im Sinne des Art. 288 Abs. 3 AEUV geben den Mitgliedstaaten auf, Rechtsvorschriften mit bestimmten Mindestanforderungen zu erlassen. Diese Rechtsvorschriften sind aber kein Unionsrecht, sondern nationales Recht. Sie stehen deshalb normhierarchisch unterhalb des sekundären Unionsrechts und werden daher bei Verstoß gegen Verordnungsrecht nach Art. 288 Abs. 2 AEUV von diesem verdrängt. Ob das nationale Recht in irgendeinem Sinne „spezieller“ als das entgegenstehende Verordnungsrecht ist, spielt hierfür keine Rolle. Die Richtlinie selbst steht zwar als Sekundärrecht der Europäischen Union auf einer Ebene der Normhierarchie mit der Verordnung, enthält aber kein unmittelbar geltendes Recht. Den Mitgliedstaaten wird beispielsweise in Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG lediglich ermöglicht, unter bestimmten Umständen Ansprüche auf Sozialhilfeleistungen auszuschließen. Ob hiervon Gebrauch gemacht wird, bleibt den Mitgliedsstaaten überlassen. Nicht unmittelbar geltendes Recht kann aber in Ermangelung eines selbstständigen Anwendungsbefehls unmittelbar geltendes Recht nicht verdrängen.

396

h) Die entgegenstehende Rechtsprechung des EuGH aus dem Urteil vom 15.09.2015 (C-67/14) kann demgegenüber nicht überzeugen (kritisch auch Kingreen, NVwZ 2015, S. 1505; Schreiber, info also 2015, S. 3 ff.; Farahat, Verfassungsblog 2015/9/16, www.verfassungsblog.de; Devetzi/Schreiber, ZESAR 2016, S. 20; im Hinblick auf die fehlende Begründung: Kador in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 2. Auflage 2011, Art. 70 VO (EG) 883/2004, Rn. 5.4, Stand 11.04.2016). Der EuGH geht hierbei davon aus, „dass Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 in Verbindung mit ihrem Art. 7 Abs. 1 Buchst. b und Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 dahin auszulegen (sind), dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vom Bezug bestimmter „besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen“ im Sinne des Art. 70 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 ausgeschlossen werden, während Staatsangehörige des Aufnahmemitgliedstaats, die sich in der gleichen Situation befinden, diese Leistungen erhalten“ (EuGH, Urteil vom 15.09.2015 – C-67/14 – Rn. 63). Der EuGH thematisiert in seiner Entscheidung nicht, aus welchem rechtssystematischen Grund die Ausnahmevorschrift des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 VO (EG) 883/2004 relativieren können sollte. Vielmehr hat er dieser Regelung ohne Begründung offenbar keinerlei eigene Bedeutung beigemessen (vgl. Greiser in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Auflage 2014, Anhang zu § 23, Rn. 68.3, Stand 23.12.2015). Auch das Urteil des EuGH vom 25.02.2016 (C-299/14) zur Frage der Europarechtskonformität des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II enthält keine eigentliche Begründung, sondern nur den im Hinblick auf Art. 4 VO (EG) 883/2004, der die Geltung der gleichen Rechte und Pflichten auf Grund der jeweiligen Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates vorschreibt, zirkulären Verweis darauf, dass „besondere beitragsunabhängige Geldleistungen“ im Sinne des Art. 70 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 nach Art. 70 Abs. 4 VO (EG) 883/2004 ausschließlich in dem Mitgliedstaat, in dem die betreffenden Personen wohnen, und nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats gewährt werden (EuGH, Urteil vom 25.02.2016 – C-299/14 – Rn. 52).

397

Es fehlt letztlich an einem rechtlichen Argument, mit dem die in Art. 4 VO (EG) 883/2004 ausdrücklich geregelte Beschränkung der Abweichungsmöglichkeiten vom Gleichbehandlungsgebot auf in der Verordnung selbst enthaltene Ausnahmen überwunden werden könnte. Eichenhofer bringt – vielleicht unbeabsichtigt – den mit der Außerachtlassung des Wortlauts des Art. 4 VO (EG) 883/2004 vollzogenen Verstoß gegen das auch für das Gemeinschaftsrecht konstitutive Gewaltenteilungsprinzip (vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II: Europarecht, 3. Auflage 2012, S. 233) durch den EuGH auf den Punkt, indem er anregt, den mit der Durchbrechung des Art. 4 VO (EG) 883/2004 „geschaffenen Rechtszustand“ in der Verordnung zu positivieren (Eichenhofer, ZESAR 2016, S. 39).

398

i) Die Ausschlussregelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist auch nicht bereits deshalb als mit Art. 4 VO (EG) 883/2004 vereinbar anzusehen, weil der EuGH dies im Urteil vom 15.09.2015 (C-67/14) ausgesprochen hat.

399

Urteile des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV entfalten Bindungswirkung nur gegenüber den Gerichten im jeweiligen der Entscheidung des EuGH zu Grunde liegenden Ausgangsverfahrens (EuGH, Urteil vom 24.06.1969 – 29/68; BVerfG, Beschluss vom 08.06.1977 – 2 BvR 499/74, 2 BvR 12 BvR 1042/75 – Rn. 54; BVerfG, Beschluss vom 25.07.1979 – 2 BvL 6/77 – Rn. 37 ff.; BVerfG, Beschluss vom 22.10.1986 – 2 BvR 197/83 – Rn. 78; BVerfG, Beschluss vom 08.04.1987 – 2 BvR 687/85 – Rn. 58 f. jeweils zum in dieser Hinsicht wortgleichen Art. 177 EWGV; unzutreffend deshalb SG Dortmund, Beschluss vom 18.04.2016 – S 32 AS 380/16 ER – Rn. 71 und LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09.11.2015 – L 2 AS 1714/15 B ER – Rn. 4). Präjudizien des EuGH fungieren nicht als legitimierender Zurechnungspunkt neuer Entscheidungen, sondern sind lediglich Argumente, sofern sie methodisch haltbar sind (Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II: Europarecht, 3. Auflage 2012, S. 319 ff.). Wenn ein Gericht Unionsrecht anders auslegen will als der EuGH, folgt – wie sich aus Art. 267 Abs. 3 AEUV ergibt – hieraus auch keine Vorlagepflicht, solange innerstaatliche Rechtsmittel gegen die Entscheidung bestehen. Es steht vielmehr im Ermessen des Gerichts, die Rechtssache gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV dem EuGH vorzulegen, um gegebenenfalls eine Korrektur der Rechtsprechung zu ermöglichen (EuGH, Urteil vom 27.03.1963 – C-28/62; vgl. Wißmann in: Erfurter Kommentar, AEUV, Art. 267, Rn. 22, 16. Auflage 2016).

400

Daher gibt es für mitgliedstaatliche Fachgerichte weder einen rechtswissenschaftlichen noch einen rechtlichen Grund, nach dem Urteil des EuGH vom 15.09.2015 (C-67/14) ohne eigene Auseinandersetzung und ohne rechtswissenschaftliche Begründung von der Europarechtskonformität des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auszugehen (so aber nahezu die gesamte sozialgerichtliche Praxis, z. B.: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29.09.2015 – L 2 AS 1582/15 B ER – Rn. 5; LSG Hamburg, Beschluss vom 15.10.2015 – L 4 AS 403/15 B ER – Rn. 8; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.10.2015 – L 29 AS 2344/15 B ER – Rn. 81; BSG, Urteil vom 16.12.2015 – B 14 AS 33/14 R – Rn. 32).

401

j) Der Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 4 VO (EG) 883/2004 führt wegen des Anwendungsvorrangs (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 09.06.1971 – 2 BvR 225/69 – Rn. 92 ff.) zur Nichtanwendbarkeit des diskriminierenden Merkmals des nationalen Rechts bei Anwendung der übrigen Tatbestandsvoraussetzungen des Leistungsanspruchs.

402

2.7 Die VO (EG) 883/2004 gilt nach Maßgabe von Art. 1 VO (EG) 1231/2010 auch für Drittstaatsangehörige, die ausschließlich auf Grund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter die VO (EG) 883/2004 fallen, sowie für ihre Familienangehörigen und ihre Hinterbliebenen, wenn sie ihren rechtmäßigen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben und sich in einer Lage befinden, die nicht ausschließlich einen einzigen Mitgliedstaat betrifft. Auch dieser Personenkreis wird daher durch den Anwendungsvorrang des Unionsrechts begünstigt.

403

Entsprechendes gilt für Staatsangehörige der nicht der EU angehörigen EWR-Staaten (Island, Liechtenstein und Norwegen seit dem 01.06.2012) und der Schweiz (seit dem 01.04.2012) auf Grund der jeweiligen Abkommen über die Geltung der VO (EG) 883/2004 im Verhältnis zu diesen Staaten (Hauschild in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 2. Auflage 2011, Art. 2 VO (EG) 883/2004, Rn. 27.1, Stand 26.01.2015).

404

Während für die Staatsangehörigen der EWR-Staaten und ihre Familienangehörigen gemäß § 12 FreizügG/EU ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1a FreizügG/EU den Anknüpfungspunkt für den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II bildet, kommt bei sonstigen Drittstaatsangehörigen und Staatsangehörigen der Schweiz ein Leistungsausschluss nur in Folge der Aufenthaltstitel aus § 16 Abs. 4 AufenthG und § 18c AufenthG in Betracht.

405

2.8 Dass die Kollision von unmittelbar geltendem Unionsrecht mit nationalem Recht lediglich zu einem Anwendungsvorrang führt, nicht zu einem Geltungsvorrang, hat zur Folge, dass die europarechtswidrige Rechtsnorm nicht nichtig ist bzw. nicht auf Grund ihrer Europarechtswidrigkeit für nichtig erklärt werden kann, sondern in Kraft bleibt und somit für nicht durch die vorrangige unionsrechtliche Norm determinierten Sachverhalte weiterhin gilt (vgl. Jarass/Beljin, NVwZ 2004, S. 4). Daher profitieren nur diejenigen Personen vom Anwendungsvorrang des Diskriminierungsverbots des Art. 4 VO (EG) 883/2004, die dessen Voraussetzungen in eigener Person erfüllen. Unmittelbar findet die Verordnung auf (aus unionsrechtlicher Perspektive) rein nationale Sachverhalte mangels Regelungskompetenz ohnehin keine Anwendung (Hauschild in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 2. Auflage 2011, Art. 2 VO (EG) 883/2004, Rn. 25, Stand 26.01.2015). Die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II bleibt demnach für alle anderen tatbestandlich vom Leistungsausschluss erfassten Personen klärungsbedürftig.

406

2.9 Offen bleiben kann aus dem entsprechenden Gründen, ob die Ausschlussregelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II bei Angehörigen der Signatarstaaten des Europäischen Fürsorgeabkommens vom 11.12.1953 (EFA – neben Deutschland sind dies Belgien, Dänemark, Estland, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Italien, Luxemburg, Malta, die Niederlande, Norwegen, Portugal, Schweden, Spanien, die Türkei und das Vereinigte Königreich) auf Grund des Gleichbehandlungsgebots des Art. 1 EFA trotz der zwischenzeitlichen Vorbehaltserklärung der Bundesregierung nicht zur Anwendung kommt (so überzeugend mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer bundesgesetzlichen Regelung eines Vorbehalts: SG Berlin, Vorlagebeschluss vom 25.04.2012 – S 55 AS 9238/12 – Rn. 52 ff.).Diese Rechtsfolge würde die Verfassungswidrigkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II im Hinblick auf alle anderen von dieser Regelung betroffenen Personenkreise nicht verhindern.

407

3. Die demnach vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II betroffenen Personen sind Grundrechtsträger und können hilfebedürftig im verfassungsrechtlichen Sinne sein.

408

Es handelt sich um Menschen (s.o. unter I.7.1), die sich, um von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II überhaupt betroffen sein zu können, in Deutschland tatsächlich aufhalten (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II) und im einfachrechtlichen Sinne hilfebedürftig sein (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II) müssen. Der „gewöhnliche Aufenthalt“ schließt den zumindest zeitweilig tatsächlichen Aufenthalt in Deutschland (s.o. unter I.7.2) logisch mit ein.

409

Die Grundrechtsrelevanz der Regelung wird nicht dadurch beseitigt, dass in Folge von Freibetrags- und Ausnahmeregelungen bei der Berücksichtigung von Einkommen und Schonvermögensregelungen auch Personen die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfüllen und vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II betroffen sein können, deren Existenzsicherung nicht akut gefährdet ist, bei denen der Leistungsausschluss also nicht mit einer individuellen Grundrechtsverletzung einhergehen muss. Denn der Leistungsausschluss betrifft regelungstechnisch und tatsächlich auch Personen, die ihr materielles Existenzminimum nicht aus eigener Kraft sichern können und deshalb im grundrechtlichen Sinne hilfebedürftig sind (s.o. unter I.7.3). Dies beruht erstens darauf, dass dem Leistungsausschluss zwar die Annahme zu Grunde liegen könnte, dass hiervon betroffene Personen ihre Hilfebedürftigkeit durch Rückkehr in ihren Herkunftsstaat beseitigen können, die Regelung selbst einen solchen Umstand aber in keiner Weise zur Voraussetzung für ihr Eingreifen macht. Zweitens würde auch im Falle der Bestätigung dieser Annahme nicht die aktuelle Hilfebedürftigkeit beseitigt, sondern allenfalls zukünftig Hilfebedürftigkeit vermieden, und auch dies nur im Falle der tatsächlichen Ausreise des Betroffenen.

410

4. Für den vom Leistungsausschluss betroffenen Personenkreis fehlt es bereits an einem formell-gesetzlichen Anspruch auf Leistungen zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (s.o. unter I.9.2).

411

4.1 Nach der die erste Vorlagefrage betreffenden Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II besteht kein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Für diese Ausschlussregelung ist im SGB II keine Ausnahme vorgesehen.

412

4.1.1 Auch wenn der Auffassung gefolgt würde, dass nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ausgeschlossene Personen vermittelt über § 7 Abs. 2 SGB II einen Anspruch auf Sozialgeld gemäß § 19 Abs. 1 Satz 2 SGB II haben können (vgl. SG Berlin, Urteil vom 15.08.2012 – S 55 AS 7242/11 – Rn. 29 ff.), würde dies nur denjenigen Betroffenen einen Anspruch einräumen, die mit einer nicht vom Leistungsausschluss betroffenen erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II zusammenleben. Zudem setzt § 19 Abs. 1 Satz 2 SGB II selbst fehlende Erwerbfähigkeit voraus, so dass allenfalls vom Leistungsausschluss mitbetroffene nicht erwerbsfähige Familienangehörige einen von einer dritten Person abgeleiteten Sozialgeldanspruch haben könnten.

413

4.1.2 Soweit vom 3. Senat des LSG Rheinland-Pfalz im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens der Kläger erwogen wird, über eine Auslegung des § 42a SGB II zu einem Leistungsanspruch zu kommen, ist nicht erkennbar, worauf dies gestützt werden könnte. § 42a SGB II regelt nur den erweiterten Vermögenseinsatz bei der Gewährung von Darlehensleistungen (§ 42a Abs. 1 Satz 1 SGB II) und weitere Modalitäten der Darlehensgewährung und -rückzahlung, nicht jedoch die Voraussetzungen unter denen ein Darlehen zu gewähren ist. Die Voraussetzungen für die darlehensweise Erbringung von Leistungen sind in den §§ 16c Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2, 16g Abs. 1, 22 Abs. 2 Satz 2, Abs. 6 und Abs. 8 Sätze 3 und 4, 24 Abs. 1, Abs. 4 und 5 SGB II geregelt und für die Fälle des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sämtlich nicht einschlägig.

414

Gemäß § 31 SGB I dürfen Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen des Sozialgesetzbuchs nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zulässt. Demnach kann auch ein Anspruch auf Sozialleistungen nicht ohne gesetzliche Grundlage geschaffen werden.

415

4.2 Der betroffene Personenkreis hat auch keinen den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem 3. Kapitel des SGB XII. Vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II betroffene Personen sind nicht generell von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen (4.2.1), die Gewährung der Leistungen steht jedoch im Ermessen der Behörde (4.2.2), was den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht genügt (4.2.3).

416

4.2.1 Die Anwendung des SGB XII ist für den vom Leistungsausschluss des § 7 Abs.1 Satz 2 Nr. 2 SGB II betroffenen Personenkreis nicht bereits nach § 21 Satz 1 SGB XII ausgeschlossen, da die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II zu einem Leistungsausschluss dem Grunde nach führt (so auch BSG, Urteil vom 03.12.2015 – B 4 AS 44/15 R – Rn. 40 ff.; BSG, Urteil vom 16.12.2015 – B 14 AS 33/14 R – Rn. 35; SG Berlin, Beschluss vom 04.01.2016 – S 128 AS 25271/15 ER – Rn. 25 ff.; vgl. auch Eicher in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Auflage 2014, § 21 Rn. 35, Stand 08.04.2016; Coseriu in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Auflage 2014, § 23 Rn. 56.1, Stand 08.04.2016). Die auch nach der diesbezüglichen Positionierung beider für Rechtsstreitigkeiten nach dem SGB II zuständigen Senate des BSG weiterhin mit Nachdruck vertretene Behauptung, die Abgrenzung der Systeme der Grundsicherung nach dem SGB II und dem SGB XII geschehe allein durch den Begriff der Erwerbsfähigkeit (SG Dortmund, Beschluss vom 11.02.2016 – S 35 AS 5396/15 ER – Rn. 23 ff.; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22.02.2016 – L 9 AS 1335/15 B ER – Rn. 57 ff.; SG Reutlingen, Urteil vom 23.03.2016, S 4 AS 114/14 – Rn. 30 ff.; so bereits LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.09.2015 – L 20 AS 2161/15 B ER – Rn. 20 m.w.N.), ist rechtswissenschaftlich nicht vertretbar.

417

a) Gemäß § 21 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt. Nicht ausgeschlossen werden hiermit zunächst Personen, die nicht erwerbsfähig sind, aber auch Personen, die trotz Erwerbsfähigkeit dem Grunde nach von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sind. Es spielt hierbei keine Rolle, das Fehlen welcher Voraussetzung bzw. das Vorliegen welches Ausschlusstatbestands den Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ausschließt (vgl. hierzu ausführlich LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23.05.2014 – L 8 SO 129/14 B ER – Rn. 13 ff.).

418

b) Die Apposition „als Erwerbsfähige oder als Angehörige“ fügt dem sachlich nichts hinzu. Hiermit wird lediglich der Personenkreis, der dem Grunde nach Leistungen nach dem SGB II beanspruchen kann, näher umschrieben. Diese Beifügung erweist sich deshalb als tautologisch, weil nur Erwerbsfähige und deren Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II sein können, die bei isolierter Betrachtung des § 21 Satz 1 SGB XII erfolgte sprachliche Einschränkung daher funktionslos ist.

419

Soweit die fehlende Bedeutsamkeit dieser Beifügung als Argument für die Maßgeblichkeit der Erwerbsfähigkeit als Ausschlussmerkmal herangezogen wird, weil „die Nennung der Voraussetzung der Erwerbsfähigkeit (…) überflüssig (wäre), wenn diese nicht zum Leistungsausschluss nach dem SGB XII führen sollte“ (SG Berlin, Urteil vom 18.04.2016 – S 135 AS 22330/13 – Rn. 48 m.w.N; ähnlich SG Dortmund, Beschluss vom 11.02.2016 – S 35 AS 5396/15 ER – Rn. 23; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.03.2016 – L 12 SO 79/16 B ER – Rn. 19), überschätzt dies die Leistungsfähigkeit von Texten im Allgemeinen und Gesetzestexten im Besonderen. Es werden sich im wirklichen Leben keine Gesetzestexte finden lassen, in denen jedes verwendete Wort und jede Formulierung über eigenständige Bedeutsamkeit verfügt. Sprachterme haben auch in Gesetzestexten nicht immer nur anordnende, sondern auch verdeutlichende, symbolische, erklärende oder rhetorische Funktionen, oder sie bleiben bei der Ausarbeitung und Überarbeitung von Gesetzen schlicht übrig, weil sie auf Grund ihrer Redundanz die Funktionsweise des Normprogramms nicht beeinträchtigen. Eine Gesetzessprache zu entwickeln, die keinerlei Redundanzen hat, ist weder realistisch noch zum Verständnis oder zur Konkretisierung von Rechtsnormen erforderlich. Unter Umständen ist es aber von Bedeutung, die Redundanzen zu erkennen und zu begründen, warum eine solche im Einzelfall vorliegt.

420

Für die Beifügung „als Erwerbsfähige oder als Angehörige“ in § 21 Satz 1 SGB XII ergibt sich diese Redundanz aus dessen satzsemantischer Beziehung zum Term „dem Grunde nach leistungsberechtigt“ und aus dem sachlichen Zusammenhang mit den im SGB II geregelten Leistungsvoraussetzungen der Erwerbsfähigkeit (§§ 7 Abs.1 Satz 1 Nr. 2, 8 SGB II) und der durch § 7 Abs. 3 SGB II näher spezifizierten Angehörigeneigenschaft. Dass der Terminus „dem Grunde nach leistungsberechtigt“ die notwendige Bedingung für den Leistungsausschluss enthält, ergibt sich wiederum aus dessen satzsemantischer Beziehung als – wesentliche – einschränkende Beifügung zu dem Begriff „Personen“ auf der Tatbestandsseite der Vorschrift. Der Gesetzestext lautet eben nicht „Personen, die erwerbsfähig sind und deren Angehörige, erhalten keine Leistungen für den Lebensunterhalt“, sondern „Personen, die als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind erhalten keine Leistungen für den Lebensunterhalt“.

421

Mit den Mitteln semantischer Auslegung auf Grundlage der Grammatik und Syntax der deutschen Sprache lässt sich allein aus § 21 Satz 1 SGB XII daher kein Rechtssatz ableiten, der das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit (im Sinne des § 8 SGB II) als hinreichende Bedingung für den Ausschluss von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII genügen lassen könnte. Es muss zusätzlich zur ohnehin vorausgesetzten Erwerbsfähigkeit oder Angehörigeneigenschaft demnach eine Leistungsberechtigung nach dem SGB II dem Grunde nach bestehen, um die Rechtsfolge des § 21 Satz 1 SGB XII („erhalten keine Leistungen für den Lebensunterhalt“) auszulösen. Die gegenteilige Auffassung, die sich teilweise auch auf den Gesetzeswortlaut stützt, lässt es faktisch genügen, dass der Begriff „erwerbsfähig“ irgendwo im § 21 Satz 1 SGB XII vorkommt und unterlässt es, diesen Terminus zu den anderen Satzteilen so in Beziehung zu setzen, wie es auch einem intuitiven Sprachverständnis entspricht.

422

c) Um die Auffassung zu stützen, dass bereits für den nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II betroffenen Personenkreis die Erwerbsfähigeneigenschaft im Sinne des § 8 SGB II zur Leistungsbeschränkung nach § 21 Satz 1 SGB XII führt, müsste vielmehr begründet werden können, dass der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II die Leistungsberechtigung dem Grunde nach unberührt lässt.

423

Unabhängig davon, ob § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II die von den Leistungsausschlüssen betroffenen Personen aus der in § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II enthaltenen Legaldefinition „erwerbsfähige Leistungsberechtigte“ herausdefiniert oder bei Einschluss in die definierte Personengruppe lediglich die Rechtsfolge („Leistungen (…) erhalten“) ausschließt, ergibt für den nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossenen Personenkreis die Aussage, sie seien „dem Grunde nach leistungsberechtigt“ jedoch keinen Sinn. Denn § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II nimmt die betroffenen Personen vollständig von allen Leistungen nach dem SGB II aus. In Folge dessen fehlt ein Bezugspunkt dafür, welchen Inhalt eine Leistungsberechtigung „dem Grunde nach“ (im Sinne von grundsätzlich bestehend, aber aktuell möglicherweise nicht bzw. nicht in vollem Umfang zu realisieren) haben könnte. Hier hilft – abgesehen von Fragen der objektiven Beweislast – der Ansatz nicht weiter, § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht als „negative Tatbestandsvoraussetzung“, sondern als „anspruchsvernichtende Einwendung“ zu interpretieren, „die die Leistungsberechtigung für den Erwerbsfähigen dem Grunde nach unberührt“ lasse (so der 12. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.03.2016 – L 12 SO 79/16 B ER – Rn. 19 m.w.N.), weil für diese Fallgruppe in Folge der „Anspruchsvernichtung“ nichts „Unberührtes“ übrigbleibt, nicht einmal eine Art Stammrecht. Die einzige rechtliche Konsequenz einer solchen „Leistungsberechtigung dem Grunde nach“ wäre paradoxerweise der Leistungsausschluss nach § 21 Satz 1 SGB XII. Eine „Leistungsberechtigung“ die zu nichts berechtigt, sondern nur von etwas ausschließt, ist ein Widerspruch in sich.

424

Dies unterscheidet den von den Leistungsausschlüssen des § 7 Abs. 2 Satz 2 SGB II betroffenen Personenkreis von Personen, die beispielsweise auf Grund von Einkommensanrechnungen, Sanktionen, ungenehmigter Ortsabwesenheit oder wegen des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 5 SGB II nur der Höhe nach, nur vorübergehend oder nur für bestimmte Leistungs- oder Bedarfsarten von den Ansprüchen nach dem SGB II ausgeschlossen sind, oder deren Anspruch sich auf bestimmte Leistungsformen (z.B. Darlehen oder Sachleistung) beschränkt.

425

Die in der Instanzrechtsprechung gelegentlich vorgetragene Behauptung, die Rechtsauffassung des BSG, § 21 Satz 1 SGB II gelte nicht bei einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II, widerspreche dem (eindeutigen) Wortlaut des Gesetzes (SG Berlin, Beschluss vom 02.03.2016 – S 205 AS 1365/16 ER – Rn. 27; SG Freiburg, Beschluss vom 14.04.2016 – S 7 SO 773/16 ER – Rn. 33) ist daher schlicht falsch. Allein die Gegenauffassung kann nur unter Überschreitung des Gesetzeswortlauts oder mit einer paradoxen systematischen Auslegung begründet werden.

426

d) An diesem Ergebnis vermögen auch weitergehende systematische Erwägungen (z.B. SG Berlin, Urteil vom 14.01.2016 – S 26 AS 12515/13 – Rn. 89 ff.) nichts zu ändern.

427

Die Frage der Erwerbsfähigkeit stellt in der Mehrzahl der Fälle natürlich weiterhin das entscheidende Abgrenzungskriterium dar, weshalb allein die Tatsache, dass für die Klärung dieses Umstands ein besonderes Verfahren (§ 21 Satz 3 SGB XII und 44a SGB II) vorgesehen ist, mit der semantischen Auslegung des § 21 Satz 1 SGB XII nicht in Widerspruch steht. Der Verweis auf dieses Verfahren in Form eines systematischen Arguments (vgl. SG Berlin, Urteil vom 18.04.2016 – S 135 AS 22330/13 – Rn. 50 m.w.N.) kann die Überschreitung der Wortlautgrenze des § 21 Satz 1 SGB II schon aus diesem Grund nicht rechtfertigen und gibt auch für eine Änderung der Interpretation der Wendung „dem Grunde nach leistungsberechtigt“ nichts her. Auch in anderen Fällen, namentlich bei nicht erwerbsfähigen Personen, deren Zugehörigkeit zu einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II fraglich ist, kann sich ein Zuständigkeitskonflikt zwischen den Leistungsträgern anhand anderer Fragen als der Erwerbsfähigkeit entzünden, sodass das Verfahren nach § 21 Satz 3 SGB XII nicht immer zielführend ist.

428

Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit § 5 Abs. 2 Satz 1 SGB II, nach dem derAnspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII ausschließt und nicht etwa nur die Erfüllung bestimmter Anspruchsvoraussetzungen.

429

e) Der in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung insbesondere gegen die Rechtsauffassung des BSG häufig erhobene Einwand, die Einbeziehung von nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossenen Personen in das Sozialhilferecht entspreche nicht dem „Willen des Gesetzgebers“ oder dem Normzweck (so z.B. SG Berlin, Urteil vom 11.12.2015 – S 149 AS 7191/13 – Rn. 33; SG Reutlingen, Urteil vom 23.03.2016 – S 4 AS 114/14 – Rn. 34 f.), müsste, selbst wenn er zuträfe, hinter den vorstehenden semantischen und systematischen Argumenten zurücktreten.

430

Das Gesetzesbindungsgebot verpflichtet die Gerichte zur Realisierung von Gesetzesbindung nach Maßgabe des publizierten Gesetzestextes. Anknüpfungspunkt für eine semantische Auslegung und entscheidendes Kriterium für die Begrenzungsfunktion ist daher der Wortlaut der Vorschrift selbst, nicht der hierzu eventuell abgefasste Begründungstext. Die Vorstellung, den „Willen des Gesetzgebers“ anhand von Begründungstexten ermitteln und an Stelle des Normtextes für „eigentlich“ maßgeblich zu halten, ist verfassungsrechtlich unhaltbar und in tatsächlicher Hinsicht illusionär.

431

Die Vorstellung eines für die Auslegung des Gesetzes maßgeblichen „Willens des Gesetzgebers“ („Subjektive Theorie“) oder auch eines „Willens des Gesetzes“ („Objektive Theorie“) wird dem komplexen Vorgang von Rechtserzeugung im demokratischen Rechtsstaat nicht gerecht. Konkretisierung ist nicht Nachvollzug eines vorformulierten Willens (vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 267 ff.; S. 490 ff. und dies.: Juristische Methodik, Band 2: Europarecht, 3. Auflage 2012, S. 521 ff.). Dies beruht zunächst darauf, dass es in der parlamentarischen Demokratie des Grundgesetzes einen „Gesetzgeber“ nicht gibt, dessen monolithischer Wille unmittelbare Geltung beanspruchen könnte. Von einem „gesetzgeberischen Willen“ lässt sich nur metaphorisch sprechen und auch das nur bezogen auf das Ergebnis eines konkreten Gesetzgebungsvorgangs (SG Mainz, Urteil vom 11.01.2016 – S 3 KR 349/15 – Rn. 65). Aufgabe der Rechtsprechung ist es daher nicht, politischen Willen zu exekutieren, sondern gesetztes Recht in die Praxis umzusetzen, d.h. als verbindliche Eingangsdaten für die Konkretisierung von Rechtsnormen heranzuziehen und somit Gesetzesbindung herzustellen. Hier verläuft auch die Grenze zwischen Normbegründungs- und Normanwendungsdiskursen.

432

Die in den Gesetzgebungsmaterialien auffindbaren Aussagen können hierbei wichtige und ausschlaggebende Argumente für die Auslegung des Gesetzestextes liefern, sie sind aber nicht verbindlich; sie gelten nicht. Vor allem geben die darin enthaltenen Aussagen den Gerichten keine Legitimation für eine Entscheidungsbegründung gegen den Gesetzestext, über den Gesetzestext hinaus oder unter Außerachtlassung des Gesetzestextes. Es ist nicht der Verfasser der Gesetzesbegründung, der dem Gesetz seinen Geltungsanspruch verschafft, sondern der parlamentarische Beschluss, der nur den amtlichen Gesetzeswortlaut, nicht jedoch die Gesetzesbegründung legitimiert.

433

Die Bedeutung der Wortlautgrenze als verfassungsrechtlichen Bezugspunkt für das Gesetzesbindungsgebot im Hinblick auf die Auslegungsbedürftigkeit von Texten jeglicher Art für obsolet zu erklären und stattdessen den „normativen Willen der Gesetzgebung“ zur Richtschnur der Auslegung zu machen (so Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie mit Juristischer Methodenlehre, 6. Auflage 2011, S. 431 ff.), unterschätzt die Möglichkeiten semantischer Argumentation und überschätzt die Möglichkeiten der Ermittlung eines „gesetzgeberischen Willens“.

434

Auch eine Wortlautgrenze muss argumentativ erarbeitet und kann kontrovers diskutiert werden. Diese Tatsache macht die Annahme einer Wortlautgrenze aber nicht überflüssig, widerlegt nicht die Idee der Wortlautbindung (Hochhuth, Rechtstheorie 2011, S. 229). Im Gegenteil: sie fordert Gerichte dazu auf, ihre Entscheidungen anhand des Gesetzestextes zu rechtfertigen, Grenzziehungen zwischen Gesetzesbindung und Rechtsfortbildung sichtbar zu machen und die entsprechenden Konsequenzen für die Entscheidungsmöglichkeiten zu ziehen. Im Normalfall ist die Wortlautgrenze mit den Mitteln sprachlicher Kommunikation bei hinreichend präziser Arbeitsweise auch nicht allzu schwierig zu ziehen (vgl. wiederum Hochhuth, Rechtstheorie 2011, S. 227 ff.). Verstöße gegen das Gesetzesbindungsgebot resultieren dementsprechend zumeist auch nicht aus Schwierigkeiten bei der Bestimmung der Wortlautgrenze, sondern werden regelmäßig offensiv damit begründet, dass sich das Gericht zur Überschreitung des Gesetzeswortlauts berechtigt sieht, sei es durch „erweiternde Auslegung“, „analoge Anwendung“, „Erst-Recht-Schluss“ oder mittels einer falsch verstandenen „verfassungskonformen Auslegung“ (s.o. unter 2.5 b).

435

Tatsächlich werden keine Gerichtsentscheidungen zu finden sein, die sich auf den „Willen des Gesetzgebers“ berufen und für dessen Inhalt wesentlich mehr Evidenz aufbieten können als ihre eigene Interpretation der jeweiligen Begründungstexte, die die Unsicherheiten jeder Form von sprachlicher Kommunikation ebenso in sich tragen, wie die Gesetzestexte selbst; wobei die Unsicherheit bezüglich konkreter Urheberschaft und Manipulationsanfälligkeit von Begründungstexten noch hinzutritt. Es gibt kein methodisches oder verfassungsrechtliches Argument, welches das Ergebnis der Auslegung eines Begründungstextes als vorrangig gegenüber der semantischen Auslegung eines Gesetzestextes behaupten könnte.

436

Durch das von einer subjektiv-teleologischen Theorie postulierte Primat der gesetzgeberischen Zwecksetzung wird letztendlich nicht das Ergebnis des Normbegründungsdiskurses in Form des Gesetzeswortlauts als Fixpunkt für die Interpretation genommen, sondern durch unmittelbaren Rückgriff auf Argumente aus dem Normbegründungsdiskurs der Gesetzeswortlaut als verbindliches Eingangsdatum des Konkretisierungsprozesses der Manipulation ausgesetzt. Ausgangspunkt der Entscheidung des Einzelfalls ist dann nicht mehr die tatsächliche, prozedural legitimierte Regelung, sondern eine hypothetische Regelung, wie sie „der Gesetzgeber“ zur möglichst reibungslosen Umsetzung seiner (vermeintlichen) Ziele nach der Vorstellung des Interpreten hätte treffen müssen. Jedenfalls im Bereich des öffentlichen Rechts, insbesondere, wenn derartige Manipulationen zu Lasten der Bürger ausfallen, ist eine solche Vorgehensweise aus rechtsstaatlicher Perspektive fatal. Denn der Rechtsuchende bleibt hierdurch gegenüber der Staatsmacht sogar dann machtlos, wenn er sich auf gesetztes Recht berufen kann (exemplarisch neben dem bereits behandelten Leistungsausschluss von Unionsbürgern durch „Erst-recht-Schluss“ – s.o. unter 2.5 – z. B. BSG, Urteil vom 26.06.2013 – B 7 AY 6/12 R – Rn. 10 ff.). Das von Verfechtern des subjektiv-teleologischen Ansatzes verfolgte richtige Ziel, die Rechtsprechung demokratisch zu disziplinieren (vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie mit Juristischer Methodenlehre, 6. Auflage 2011, S. 418 f.), wird hiermit nicht erreicht.

437

Die Vorstellung, einen „eindeutigen Willen des Gesetzgebers“ anhand des Begründungstextes eines Gesetzentwurfs ermitteln zu können, diesen dann für im Verhältnis zum Gesetzestext eigentlich maßgeblich zu erklären und eine von diesem „eindeutigen Willen“ abweichende Auslegung als Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip und/oder als unzulässige richterliche Rechtsfortbildung zu klassifizieren (statt vieler: SG Berlin, Urteil vom 11.12.2015 – S 149 AS 7191/13 – Rn. 28; vgl. auch Bernsdorff, NVwZ 2016, S. 634, m.w.N. unter Fn. 15), ist daher methodisch und verfassungsrechtlich verfehlt.

438

Im Konfliktfall gegenüber dem auf die Gesetzgebungsmaterialien gestützten genetischen Argument vorrangige Auslegungsargumente sind neben der semantischen beispielsweise die verfassungskonforme Auslegung, die europarechtskonforme Auslegung und der Auslegungsgrundsatz der möglichst weitgehenden Verwirklichung sozialer Rechte (§ 2 Abs. 2 SGB I) sowie der Grundsatz der völkerrechtsfreundlichen Auslegung, weil diese sich auf Normtexte verschiedener Hierarchieebenen zurückführen lassen, die im Unterschied zu Nicht-Normtexten (wie Gesetzesmaterialien oder rechtswissenschaftliche Literatur) einen durch legitime Rechtsetzung legitimierten Geltungsanspruch haben.

439

f) Das Argument der verfassungskonformen Auslegung würde die hier vertretene Auffassung im Hinblick auf das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums daneben (nur) dann stützen, wenn hierdurch ein verfassungsgemäßes Ergebnis erzielt werden könnte; das Argument setzt sich nur bei vollständigem Erfolg durch. Der Grundsatz der möglichst weitgehenden Verwirklichung sozialer Rechte (§ 2 Abs. 2 SGB I) würde als Optimierungsgebot hingegen unabhängig von der Erreichbarkeit eines bestimmten Ziels das Ergebnis der semantischen und systematischen Auslegung stützen.

440

Selbst wenn der Gegenauffassung, die den von § 7 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB II betroffenen Personen auch den Leistungsausschluss nach § 21 Satz 1 SGB XII entgegenhält, zugestanden würde, sich noch innerhalb der Wortlautgrenze der Vorschrift des § 21 Satz 1 SGB XII zu bewegen (was hiermit ausdrücklichnicht getan wird), würden die Argumente der verfassungskonformen Auslegung (in diesem Sinne Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 27.11.2015 – L 6 AS 205/15 B ER, L 6 AS L 6 AS 205/15 B ER - PKH – Rn. 18; im Ergebnis ebenso: Greiser, jM 2016, S. 159) – sofern zielführend – und des Grundsatzes der möglichst weitgehenden Verwirklichung sozialer Rechte die aus den Gesetzesmaterialien gewonnenen Argumente überwiegen. Die Gegenauffassung ist daher aus verschiedenen Gründen rechtswissenschaftlich nicht vertretbar.

441

4.2.2 Auf der Grundlage der Anwendbarkeit des SGB XII auch im Hinblick auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossenen Personenkreis folgen die näheren ausländerspezifischen Anspruchsvoraussetzungen aus § 23 SGB XII.

442

Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ist Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII zu leisten. Nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII haben Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, sowie ihre Familienangehörigen jedoch keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB XII soll Hilfe bei Krankheit nur zur Behebung eines akut lebensbedrohlichen Zustandes oder für eine unaufschiebbare und unabweisbar gebotene Behandlung einer schweren oder ansteckenden Erkrankung geleistet werden, wenn sie (die von § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII erfassten Ausländer) zum Zwecke einer Behandlung oder Linderung einer Krankheit eingereist sind.

443

In § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII ist demnach ein dem § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auf dem ersten Blick entsprechender bzw. im Hinblick auf den betroffenen Personenkreis noch weitergehender Leistungsausschluss normiert.

444

a) Der Leistungsausschluss gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII verstößt – anders als § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II – nicht generell gegen Art. 4 VO (EG) 883/2004, weil von den Leistungen der Sozialhilfe nach dem SGB XII lediglich die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des SGB XII als besondere beitragsunabhängige Leistung im Sinne des Art. 70 VO (EG) 883/2004 zu qualifizieren ist, deren Anwendung nach § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB XII jedoch ohnehin unberührt bleibt, wobei anhand der systematischen Stellung diskussionswürdig ist, ob § 23 Abs. 3 SGB XII für diesen Personenkreis tatbestandlich trotzdem greift.

445

b) Vorliegend kann offenbleiben, ob die Ausschlussregelung des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII bei erwerbsfähigen Angehörigen der EFA-Signatarstaaten auf Grund des Gleichbehandlungsgebots des Art. 1 EFA nicht zur Anwendung kommt (bejahend: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23.05.2014 – L 8 SO 129/14 B ER – Rn. 22 ff.). Dies würde zwar dazu führen, dass ein Teil der vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II Betroffenen einen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII hätten und hierdurch ihr Existenzminimum gesichert sein könnte. Diese Rechtsfolge würde die Verfassungswidrigkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II jedoch nicht verhindern, da dieser Ausschlusstatbestand einen erheblich größeren Personenkreis erfasst(SG Mainz, Beschluss vom 12.11.2015 – S 12 AS 946/15 ER – Rn. 79).

446

c) Ein gebundener Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem 3. Kapitel des SGB XII ist für einen Teil des vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II betroffenen Personenkreis daher ausgeschlossen (so ausdrücklich auch BSG, Urteil vom 03.12.2015 – B 4 AS 44/15 R – Rn. 51).

447

d) Den vom Leistungsausschluss des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII betroffenen Personen können jedoch Leistungen u.a. zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII im Ermessenswege erbracht werden (so über den Umweg des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII im Ergebnis auch BSG, Urteile vom 03.12.2015 – B 4 AS 59/13 R – Rn. 51 ff. – und B 4 AS 44/15 R – Rn. 36 ff.; Urteile vom 16.12.2015 – B 14 AS 15/14 R, B 14 AS 18/14 R und B 14 AS 33/14 R; Urteile vom 20.01.2016 – B 14 AS 15/15 R und B 14 AS 35/15 R).

448

Entgegen der früheren Auffassung der Kammer (SG Mainz, Beschluss vom 02.09.2015 – S 3 AS 599/15 ER – Rn. 51 ff.; so auch: SG Mainz, Beschluss vom 12.11.2015 – S 12 AS 946/15 ER – Rn. 76 bezogen auf einen Rückgriff auf § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII) ist die Erbringung von Ermessensleistungen durch § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII nicht ausgeschlossen. § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII stellt vielmehr eine Spezialregelung zu § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII dar, die den dort geregelten gebundenen Anspruch bezüglich bestimmter Leistungsarten des SGB XII für den in § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII umschriebenen Personenkreis auf einen Anspruch auf eine Ermessensentscheidung des Sozialhilfeträgers herabstuft. Dies ergibt sich aus der näheren Gesetzessystematik.

449

aa) Die in Gesetzgebungstechnik und Rechtspraxis etablierten Standards der Gesetzessystematik stellen lediglich Abkürzungen für bestimmte sprachliche Operationen dar, die die Lesbarkeit von Gesetzestexten erhöhen und deren Umfang reduzieren sollen. Die Verwendung solcher Gesetzgebungstechniken bindet die Gerichte in gleichem Maße wie der Wortlaut des Gesetzestextes in seiner Begrenzungsfunktion. Durch die Verwendung bestimmter Regelungstechniken entsteht eine Textsemantik, die sich nicht isoliert auf bestimmte Wörter oder Formulierungen, sondern auf die Gesetzesstruktur bezieht, beispielsweise durch eine bestimmte Reihenfolge der Einzelvorschriften im Gesetzestext. Dies gilt auch für den Grundsatz, dass die speziellere Regelung die allgemeinere verdrängt, denn auch etablierte Regelungstechniken, deren Rezeption im Rechtsanwendungsdiskurs erwartet werden kann, gehören zum verbindlichen Normprogramm einer gesetzlichen Regelung. Diskutierbar ist dann zwar die Frage, ob eine solche Reglungstechnik im Einzelfall tatsächlich vorliegt, nicht jedoch die Frage, ob sie im Falle ihres Vorliegens zur Geltung kommen muss.

450

bb) § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII ist in diesem Sinne eine Spezialregelung gegenüber § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, da für die Anwendbarkeit des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII („Ausländer“) vorliegen und weitere Voraussetzungen (Einreise zur Erlangung von Sozialhilfe oder Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitsuche) hinzutreten müssen. § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII schließt als Rechtsfolge somit jedenfalls einen gebundenen Anspruch auf Sozialhilfe nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII aus. Die ergänzende Regelung des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII bezieht sich wiederum ausschließlich auf § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, der selbst nur einen Anspruch für bestimmte Leistungsarten des SGB XII (Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft, Hilfe zur Pflege) konstituiert. § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII ermöglicht daneben beispielsweise die Gewährung von Eingliederungshilfeleistungen und Hilfe in besonderen Lebenslagen für den in § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII genannten Personenkreis. Wenn der Ausschluss in § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII jegliche Gewährung von Leistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ausschließen würde, unterlägen auch die im Ermessen des Sozialhilfeträgers stehenden Leistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII der nachfolgenden Ausschlussregelung des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII.

451

cc) Die unter isolierter Betrachtung des Wortlauts des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII streitbare Frage, ob die Formulierung „haben keinen Anspruch auf Sozialhilfe“ bedeutet, dass jegliche Sozialhilfeleistungen ausgeschlossen sind oder lediglich, dass der Sozialhilfeträger zur Erbringung von Sozialhilfeleistungen nicht verpflichtet ist, sondern sie nur auf Grund einer Ermessensentscheidung erbringen kann (so das BSG, Urteil vom 03.12.2015 – B 4 AS 44/15 R – Rn. 51), lässt sich anhand der näheren Gesetzessystematik zu Gunsten der letzteren Auffassung klar beantworten, die letztlich auf einer Gegenüberstellung des Anspruchsbegriffs des § 38 SGB I zur Ermessensleistung (§ 39 SGB I) beruht. Denn die Regelung des § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB II setzt implizit zwingend voraus, dass den von § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII erfassten Personen Leistungen der Sozialhilfe erbracht werden können, obwohl sie nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII ausdrücklich keinenAnspruch auf diese Leistungen haben. Ein Normverständnis dahingehend, dass § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB XII nur regeln würde, dass allein Ansprüche auf Hilfen zur Behebung eines akut lebensbedrohlichen Zustandes oder für eine unaufschiebbare und unabweisbar gebotene Behandlung einer schweren oder ansteckenden Erkrankung vom Leistungsausschluss des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII ausgenommen sein sollen (so Bayerisches LSG, Beschluss vom 13.10.2015 – L 16 AS 612/15 ER – Rn. 39), lässt sich mit dem Wortlaut und mit dem engeren systematischen Zusammenhang der Vorschrift nicht vereinbaren.

452

§ 23 Abs. 3 Satz 2 SGB XII stellt zunächst hinsichtlich des Personenkreises eine Spezialregelung gegenüber § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII dar, weil zur Auslösung der entsprechenden Rechtsfolgen die betroffenen Personen nicht nur Ausländer sein müssen (§ 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII), die entweder zu Erlangung von Sozialhilfe eingereist sind oder über ein Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche verfügen (einschließlich Familienangehörige), sondern sie zusätzlich zum Zweck der Behandlung oder Linderung einer Krankheit eingereist sein müssen. Die Rechtsfolge des § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB XII besteht in einer durch eine Soll-Regelung gesteuerten Einschränkung einer in dieser Spezialregelung vorausgesetzten Möglichkeit der Erbringung weitergehender Leistungen. Dies ergibt sich aus der Verwendung des eine Einschränkung anzeigenden Wortes „nur“ im Zusammenhang mit dem voranstehenden „insoweit“, das auf den gegenüber der Regelung in § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII weiter eingeschränkten Personenkreis nach dem ersten Halbsatz des § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB XII verweist. Die nach der Logik des § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB XII als (mindestens) möglich vorausgesetzte Erbringung von Leistungen der Hilfe bei Krankheit (§ 48 SGB XII) wird im zweiten Halbsatz des § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB XII für den Regelfall („intendiertes Ermessen“) auf die Behebung akut lebensbedrohlicher Zustände und auf unaufschiebbare und unabweisbar gebotene Behandlungen schwerer oder ansteckender Erkrankungen beschränkt.

453

Hieraus folgt zwingend, dass die Erbringung von Hilfen bei Krankheit nach § 48 SGB XII in nicht von § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB XII erfassten Fällen erlaubt ist. Dies ist die logische Voraussetzung für die speziellen Rechtsfolgen des § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB XII. Da der Anspruch auf Sozialhilfe in den von § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII erfassten Fällen ausgeschlossen ist, verbleibt nur die im Rahmen der Grenzen des Wortlauts mögliche Auslegungsalternative, dass die Gewährung von Leistungen auf Grund einer Ermessensentscheidung hiervon nicht erfasst ist. Als positive Rechtsgrundlage für die Erbringung von Hilfe bei Krankheit kommt wiederum nur § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in Betracht, da § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII in Folge seiner systematischen Beziehung zu § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII Leistungen betrifft, die – anders als die Hilfe bei Krankheit – nicht von § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII erfasst sind. § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII wird in den Fällen des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII daher lediglich auf eine Ermessensleistung herabgestuft, aus dem „ist (…) zu leisten“ wird ein „kann geleistet werden“.

454

Im derart erschlossenen Zusammenspiel zwischen § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII und § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII zeigt sich zugleich, dass nicht nur Hilfe bei Krankheit, sondern auch die übrigen in § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII genannten Leistungsarten einschließlich der Hilfe zum Lebensunterhalt für den von § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII erfassten Personenkreis erbracht werden können. Denn § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII nimmt ohne Differenzierung von Leistungsarten auf die gesamte Sozialhilfe Bezug. Auf Grund dieses hinsichtlich der Leistungsarten allgemeinen (die gesamte „Sozialhilfe“), aber auf die Veränderung des Entscheidungsmodus (Ermessen statt gebundene Entscheidung) beschränkten Ausschlusstatbestand des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII ist die Möglichkeit der Gewährung von Leistungen im Ermessenswege nicht auf diejenigen Leistungsarten beschränkt, die generell (z.B. § 73 SGB XII) oder nur bei Ausländern auf Grund von § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII als Ermessensleistungen ausgestaltet sind.

455

dd) Ein weiterer Hinweis auf die Schlüssigkeit dieser Auslegung ergibt sich aus § 23 Abs. 2 SGB XII, der vorschreibt, dass Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG keine Leistungen der Sozialhilfe erhalten. Diese Regelung schließt durch die Bezugnahme auf den Erhalt von Sozialhilfeleistungen erkennbar auch Ermessensleistungen aus, nicht nur das subjektive Recht auf Leistungen der Sozialhilfe und liefert somit ein Indiz dafür, dass der abweichenden Formulierung im unmittelbar benachbarten § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII eine weniger weitgehende Funktion zukommt.

456

ee) Der vor dem Hintergrund des Gesetzesbindungsgebots im Allgemeinen und des § 31 SGB I im Speziellen fragwürdige Rückgriff auf einen (ungeschriebenen) „der Sozialhilfe systemimmanenten grundsätzlichen Anspruch auf Hilfe bei bedrohter Existenzsicherung“ (BSG, Urteil vom 03.12.2015 – B 4 AS 44/15 R – Rn. 51) ist daher nicht erforderlich, um Ermessensleistungen nach dem SGB XII zu ermöglichen. Ein Rückgriff auf die Ermessensregelung des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII ist entgegen der Auffassung des 4. und des 14. Senats des BSG (Urteile vom 03.12.2015 – B 4 AS 59/13 R – Rn. 51 ff. – und B 4 AS 44/15 R – Rn. 36 ff.; Urteile vom 16.12.2015 – B 14 AS 15/14 R, B 14 AS 18/14 R und B 14 AS 33/14 R; Urteile vom 20.01.2016 – B 14 AS 15/15 R und B 14 AS 35/15 R) ebenfalls nicht notwendig und im Hinblick auf das Verhältnis dieser Regelung zum § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII und der dort genannten Leistungsarten auch wenig plausibel.

457

ff) Die vielfach geäußerte heftige Kritik an den genannten Entscheidungen des BSG ist nicht nur deshalb ungerechtfertigt, weil dessen Rechtsauffassung – bis auf die mit der Frage der Ermessensreduzierung verbundene Annahme der Verfassungskonformität – im Ergebnis zutrifft, sondern auch auf Grund der Tatsache, dass nur auf diese Weise überhaupt eine Rechtsgrundlage gefunden werden kann, die die auch von fast allen Gegnern dieser Rechtsprechung zumindest rhetorisch für notwendig gehaltenen Leistungen bis zur Ausreise immerhin ermöglicht.

458

4.2.3 Durch die somit eröffnete Möglichkeit der Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem 3. Kapitel des SGB XII und weiterer Leistungsarten der Sozialhilfe für den vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II erfassten Personenkreis kann ein verfassungsgemäßes Ergebnis jedoch nicht erreicht werden. Eine Ermessensvorschrift ist im Rahmen der gesetzgeberischen Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht dazu geeignet, das Erfordernis einer gesetzlichen „Anspruchsnorm“ (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 – Rn. 96) zu erfüllen (so bereits SG Hamburg, Beschluss vom 22.09.2015 – S 22 AS 3298/15 ER – Rn. 30).

459

a) Die Möglichkeit gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II Betroffenen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auf Grund einer Ermessensentscheidung zu erbringen, genügt bereits nicht den Anforderungen an die Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch einen formell-gesetzlichen Anspruch, denn die Einräumung von Ermessen gegenüber der zuständigen staatlichen Stelle hinsichtlich der Frage,ob bei Hilfebedürftigkeit Leistungen erbracht werden, ist verfassungswidrig (s.o. unter I.9.2 und unter I.9.3). Mit der Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt und anderer elementarer Bedarfe nur auf Grund einer Ermessensentscheidung der Verwaltung hat der Gesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen über die Gewährung existenzsichernder Leistungen nicht selbst getroffen, sondern die Entscheidungsmacht in erster Linie der Verwaltung und in zweiter Linie der Gerichte überlassen, Letzteres mit reduzierter Kontrolldichte. Aus dem Gesetz lassen sich auch keine weiteren Bestimmungen darüber entnehmen, ob der Sozialhilfeträger in bestimmten Fällen des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII der Sozialhilfeträger tatsächlich existenzsichernde Leistungen erbringen muss oder welche Gesichtspunkte er bei seiner Ermessensentscheidung zu berücksichtigen hat, sodass nicht einmal mittelbar eine Bindung der Verwaltung hergestellt wird. Die verfassungsrechtliche Anforderung der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums mittels eines konkreten gesetzlichen Leistungsanspruchs ist daher nicht erfüllt (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 136).

460

b) Hierüber kann auch eine „verfassungskonforme Auslegung“ nicht hinweghelfen. Eine verfassungskonforme Auslegung ist nur unter Beachtung der Grenzfunktion des Gesetzeswortlauts und unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik zulässig. Andernfalls würde die Verfassungskonformität der "ausgelegten" Vorschrift durch einen Verstoß gegen das Gesetzesbindungsgebot aus Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG und zugleich gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz erkauft. Das Argument der verfassungskonformen Auslegung kann nur entweder vollständig zum Erfolg führen oder gar nicht. Die verfassungskonforme Auslegung verlangt als Ergebnis eine vollständige Übereinstimmung mit dem Verfassungsrecht, nicht (nur) eine möglichst weitgehende Annäherung.

461

Vor diesem Hintergrund muss berücksichtigt werden, dass das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums die Gewährleistung mittels konkreter, gebundener Leistungsansprüche verlangt, die Regelung des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII demgegenüber gebundene Ansprüche auf Sozialhilfeleistungen gerade ausschließt.

462

Die Argumentationsfigur der „Ermessensreduzierung auf Null“ stellt nur ein im Einzelfall legitimes Mittel zur Erhöhung der richterlichen Kontrolldichte behördlicher Entscheidungen dar. Wird sie hingegen – wie es das BSG für die von ihm umschriebene Fallgruppe letztlich vorsieht – als Umdeutung einer Ermessensvorschrift in eine die Verwaltung bindende Anspruchsnorm verstanden, liegt hierin ein Verstoß gegen das Gesetzesbindungsgebot, weil der gesetzlich eingeräumte Ermessensspielraum nicht nur im Einzelfall reduziert, sondern generell ausgeschaltet wird. Der zentrale Regelungsgehalt des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII, einenAnspruch auf Sozialhilfe für den betroffenen Personenkreis auszuschließen, wird hierdurch in sein Gegenteil verkehrt; er muss sogar in sein Gegenteil verkehrt werden, um im Hinblick auf das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums zu einem verfassungskonformen Ergebnis zu kommen.

463

Selbst unter der Voraussetzung, dass es auch Fälle geben kann, bei denen eine Hilfebedürftigkeit im verfassungsrechtlichen Sinne (noch) nicht vorliegt und die Leistungsvoraussetzungen für die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII gleichwohl (bereits) vorliegen (beispielsweise bei noch vorhandenem Schonvermögen) und hiermit verfassungsrechtlich ein Spielraum für Ermessensentscheidungen verbleiben könnte, würde hierdurch der Verstoß gegen das Gesetzesbindungsgebot nicht verhindert, weil dennoch der Modus der Entscheidungsfindung entgegen der gesetzlichen Regelungsentscheidung von einer Ermessensentscheidung hin zu einem für bestimmte Fallkonstellationen gebundenen Anspruch grundlegend verändert würde.

464

Die Interpretation einer Rechtsvorschrift (hier: der Ausschluss des Anspruchs auf Sozialhilfe) in einer Weise, dass sie keine Auswirkungen hat, kommt im Ergebnis der Nichtanwendung dieser Norm gleich. Der Rechtsprechung steht es auf Grund der Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG) nicht zu, eine gesetzgeberische Regelungsentscheidung im Wege der Auslegung vollständig zu neutralisieren (SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 12.12.2014 – S 3 AS 130/14 – Rn. 433). Diese Situation ist wiederum von der Frage zu unterscheiden, ob eine sprachliche Wendung im Gesetzestext überhaupt eine anordnende Funktion im Sinne einer Regelungsentscheidung hat (s.o. unter 4.2.1 b).

465

c) Gerade auch mit der vom BSG vertretenen Linie eines Anspruchs auf Ermessensentscheidung für einen Aufenthalt von bis zu sechs Monaten Länge und einer „Ermessensreduzierung auf Null“ bei einem „verfestigten“ Aufenthalt von mehr als sechs Monaten, wird ein verfassungskonformes Ergebnis für die ersten sechs Monate offensichtlich noch nicht erreicht. Hierfür müsste schon von Beginn an eine Ermessensreduzierung auf Null in den Fällen angenommen werden, in denen Hilfebedürftigkeit im verfassungsrechtlichen Sinne besteht. Denn die „einheitlich zu verstehende menschenwürdige Existenz muss (…) ab Beginn des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland realisiert werden“ (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 – Rn. 94).

466

d) Die durch das BSG angenommene „Ermessensreduzierung auf Null“ für den Fall einer Verfestigung des Aufenthalts der betroffenen Personen vermag die defizitäre Gestaltung durch Ermessenseinräumung auch deshalb nicht zu beseitigen, weil die Voraussetzungen, die für diese Ermessensreduzierung gestellt werden, von den zuständigen Senaten des BSG entwickelt wurden und gerade nicht auf gesetzgeberische Entscheidungen zurückzuführen sind. Sie eignet sich daher von vornherein nicht dafür, die sich aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ergebende Pflicht, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 136), zu erfüllen (s.o. unter I.9.3).

467

Die vielfältigen Auffassungen, die selbst auf dem Boden der Rechtsprechung des BSG im Hinblick auf die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen im Ermessenswege an den vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II betroffenen Personenkreis vertreten werden (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 07.03.2016 – L 15 AS 185/15 B ER – Rn. 16 f.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13.04.2016 – L 23 SO 46/16 B ER, L 23 SOL 23 SO 47/16 B ER PKH – Rn. 21 ff.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13.04.2016 – L 15 SO 53/16 B ER – Rn. 23 ff.; LSG Hamburg, Beschluss vom 14.04.2016 – L 4 AS 76/16 B ER – Rn. 8 ff, SG Halle (Saale), Beschluss vom 14.04.2016 – S 32 AS 1109/16 ER – Rn. 37 ff.; Coseriu in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Auflage 2014, § 23 Rn. 63.6, Stand 08.04.2016) bieten ein anschauliches praktisches Beispiel für die mangelnde Eignung von Ermessensvorschriften zur Herstellung von Gesetzesbindung und zur praktischen Gewährleistung von Rechten. Auch höchstrichterliche Rechtsprechung kann Bindungen letztlich nur im Einzelfall herstellen und sichern. Zur Durchsetzung darüberhinausgehender Geltungsansprüche ist sie weder befugt noch tatsächlich in der Lage (vgl. im Hinblick auf die Gewährung von Vertrauensschutz in höchstrichterliche Rechtsprechung: SG Mainz, Urteil vom 11.01.2016 – S 3 KR 349/15 – Rn. 74 ff.).

468

Aus diesem Grund ist die Kopplung der Gewährung von existenzsichernden Leistungen dem Grunde nach an die Ermessensausübung einer Behörde nicht nur in legitimatorischer, sondern auch in funktioneller Hinsicht nicht dazu geeignet, die Bestimmtheitsanforderungen an die gesetzgeberische Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums zu erfüllen.

469

4.3 Auch andere Möglichkeiten, Leistungen nach dem SGB XII zu erhalten, können den Verfassungsverstoß nicht vermeiden. Insbesondere lässt sich ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums nicht auf § 73 SGB XII stützen (so aber LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15.11.2013 – L 15 AS 365/13 B ER – Rn. 66 f; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 24.07.2014 – L 15 AS 202/14 B ER – Rn. 21 ff.; Hessisches LSG, Beschluss vom 18.09.2015 – L 7 AS 431/15 B ER – Rn. 21; wie hier: Frerichs, ZESAR 2014, S. 285).

470

Nach § 73 Satz 1 SGB XII können Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Für den sowohl vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II als auch vom Leistungsausschluss des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII betroffenen Personenkreis kommt die Gewährung von Hilfe in besonderen Lebenslagen gemäß § 73 SGB XII zwar durchaus in Betracht, weil § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII nur gebundene Ansprüche auf Sozialhilfeleistungen ausschließt (s.o. unter 4.2.2). Bei den Leistungen nach § 73 SGB XII handelt es sich um Ermessensleistungen.

471

Die vorherrschende, aus der Systematik der verschiedenen Leistungsarten des Sozialhilferechts und aus dem Begriff der „sonstigen Lebenslagen“ abgeleitete Interpretation des § 73 SGB XII, die eine Auffangfunktion für Bedarfslagen zu deren Befriedigung Leistungen des 3. bis 8. Kapitels des SGB XII vorgesehen sind, ausschließt (vgl. nur Böttiger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Auflage 2014, § 73 Rn. 21 ff. m.w.N., Stand 29.07.2015) ließe sich unter Verweis auf den unbestimmten Rechtsbegriff der „sonstigen Lebenslagen“ mit Hilfe einer verfassungskonformen Auslegung notfalls überwinden. Die weitgehende Unbestimmtheit der Regelung führt aber zugleich dazu, dass sie den Bestimmtheitsanforderungen der gesetzlichen Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (s.o. unter I.9.3) nicht genügen würde. Hiervon abgesehen sind Ermessensvorschriften zur Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch Einräumung eines konkreten gesetzlichen Leistungsanspruchs nicht geeignet (s.o. unter I.9.3 und unter 4.2.3).

472

4.4 Die betroffenen Personen haben auch keinen Anspruch auf Leistungen nach dem AsylbLG. Ansprüche auf Leistungen nach dem AsylbLG könnten bei Unionsbürgern (und Staatsangehörigen der anderen EWR-Staaten) und deren Familienangehörigen allenfalls gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG bei vollziehbarer Ausreisepflicht bestehen, die erst in Folge einer Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU eintreten kann (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 05.02.2015 – L 6 AS 883/14 B ER – Rn. 12). Auch für Nicht-Unionsbürger, die über eine Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 16 Abs. 4, 18c, 30, 32 oder 33 AufenthG verfügen, käme ein solcher Anspruch aus § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG erst in Folge des Verlustes ihres Aufenthaltstitels in Betracht.

473

4.5 Die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung von Anspruchsgrundlagen aus dem SGB II, dem SGB XII oder dem AsylbLG liegen nicht vor (zum AsylbLG so auch Oppermann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Auflage 2014, § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015, Rn. 22, Stand 08.04.2016; a.A. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30.05.2011 – L 19 AS 431/11 B ER – Rn. 14).

474

a) Vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Gesetzesbindungsgebots aus Art. 20 Abs. 3 und Art. 97 Abs. 1 GG ist eine analoge Anwendung von Rechtsnormen auf nach dem Wortlaut nicht erfasste Sachverhalte allenfalls dann zulässig, wenn eine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke besteht. Hiermit wird einem Dilemma Rechnung getragen, das aus dem Umstand entsteht, dass die Gerichte einerseits an das Gesetz gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 97 Abs. 1 GG), andererseits zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes verpflichtet (Art. 19 Abs. 4 GG) sind, d.h. sie müssen auch dann, wenn eine gesetzliche Regelung fehlt, zu einer bestimmten Sachentscheidung kommen. In Folge des Grundsatzes der Gesetzesbindung darf von einer ausfüllungsbedürftigen Regelungslücke nur dann ausgegangen werden, wenn der zu entscheidende Fall andernfalls nicht zu lösen wäre. Wenn ein Fall auf Grundlage und in Übereinstimmung mit den einschlägigen Normtexten zu lösen ist, verstößt die Annahme einer ausfüllungsbedürftigen Regelungslücke und in Folge dessen die analoge Heranziehung einer anderen Rechtsfolge gegen das Gesetzesbindungsgebot (SG Mainz, Gerichtsbescheid vom 21.09.2015 – S 3 KR 558/14 – Rn. 29; SG Mainz, Urteil vom 11.01.2016 – S 3 KR 349/15 – Rn. 37; s.o. unter 2.5 b).

475

b) Eine analoge Anwendung von Leistungsansprüchen aus dem SGB II, dem SGB XII oder dem AsylbLG scheitert demnach bereits daran, dass eine Regelungslücke in diesem Sinne nicht besteht. Anhand des einfachen Rechts lässt sich die Frage nach der Anspruchsberechtigung auf Leistungen zur Gewährleistung des Existenzminimums von Personen, die nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen sind, klar verneinen. Es verbleibt lediglich die Möglichkeit, im Ermessenswege Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII zu erbringen. Daher liegen bereits die formalen, aus dem Gesetzesbindungsgebot und dem Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes abgeleiteten Voraussetzungen für eine analoge Anwendung anderer Regelungen nicht vor.

476

c) Hiervon abgesehen, ist auch materiell-verfassungsrechtlich in Folge der sich aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ergebenden Pflicht des Gesetzgebers, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a.- Rn. 136), eine analoge Anwendung nicht einschlägiger Rechtsvorschriften betreffend die Gewährleistung existenzsichernder Leistungen ausgeschlossen.

477

d) Zuletzt steht die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch, wozu die Leistungen nach dem SGB II und dem SGB XII und nach dem BAföG (nicht jedoch nach dem AsylbLG) gehören, unter dem Gesetzesvorbehalt des § 31 SGB I, was einem einfachrechtlichen Analogieverbot gleichkommt.

478

e) Demzufolge muss auch der Auffassung des 4. Senats des LSG Hamburg (Beschluss vom 15.10.2015 – L 4 AS 403/15 B ER – Rn. 9), den verfassungsrechtlichen Vorgaben könne dadurch hinreichend Rechnung getragen werden, dass arbeitsuchenden Unionsbürgern ein Anspruch auf eine Mindestsicherung in Form der unabweisbar gebotenen Leistungen eingeräumt werde, widersprochen werden. Das LSG Hamburg führt hierzu aus:

479

„Welche Leistungen unabweisbar sind, hängt dabei von den Umständen des Einzelfalls ab. Bei möglicher und zumutbarer Rückkehr in das Heimatland kommt in der Regel lediglich die Übernahme der Kosten der Rückreise und des bis dahin erforderlichen Aufenthalts in Betracht (Überbrückungsleistungen). Es kann dahingestellt bleiben, ob ein solcher Anspruch auf die unabweisbar gebotene Hilfe aus einer entsprechenden Anwendung des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII (…) oder unmittelbar aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG (…) herzuleiten ist oder ob in entsprechenden Fällen von einer atypischen Bedarfslage auszugehen ist, die den Einsatz öffentlicher Mittel im Sinne des § 73 SGB XII (Hilfe in sonstigen Lebenslagen) rechtfertigt.“

480

Das Fehlen bzw. der Ausschluss eines verfassungsrechtlich gebotenen gesetzlichen Anspruchs auf eine Leistung kann nicht zur Vermeidung des verfassungswidrigen Zustands dadurch ausgeglichen werden, dass nicht einschlägige Anspruchsgrundlagen „entsprechend“ herangezogen oder Ansprüche direkt aus der Verfassung abgeleitet werden (vgl. hierzu auch Frerichs, ZESAR 2014, S. 285). Konkret ist die Anwendung des § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in Form einer gebundenen Entscheidung durch § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII ausgeschlossen. Diese Regelung oder andere dennoch „entsprechend“ anzuwenden, würde gegen das Gesetzesbindungsgebot verstoßen. Die weiter geäußerte Behauptung, der durch das Gericht beschriebene Anspruch auf eine Mindestsicherung in Form unabweisbar gebotener Leistungen sei ein (nach dem BVerfG verfassungsrechtlich gebotener) „gesetzlicher Anspruch“, selbst wenn seine „konkrete Ausgestaltung im Einzelfall“ nicht direkt aus dem Gesetz ablesbar sei (LSG Hamburg, Beschluss vom 15.10.2015 – L 4 AS 403/15 B ER – Rn. 10), ist in sich widersprüchlich.

481

f) Soweit der 7. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen die Anwendung von Vorschriften des SGB XII oder des AsylbLG im Rahmen einer „Rechtsfolgenanwendung“ vorschlägt (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 06.09.2012 – L 7 AS 758/12 B ER – Rn. 14), ohne allerdings nähere Ausführungen zur methodischen Grundlage zu machen, handelt es sich der Sache nach ebenfalls um eine Variante des hier unzulässigen Analogieschlusses.

482

4.6 Andere Ansprüche auf Sozialleistungen, die das Existenzminimum bei Vorliegen des Ausschlusstatbestands des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II für alle hiervon Betroffenen vollständig sichern könnten, bestehen nicht. Sozialleistungen wie Kindergeld. Kinderzuschlag, Elterngeld und Wohngeld werden nur in bestimmten Lebenssituationen erbracht und sind unabhängig von ihren aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen zur vollständigen Bedarfsdeckung weder konzipiert noch geeignet.

483

4.7 Ein konkreter Anspruch auf Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums lässt sich auch nicht unmittelbar aus der Verfassung ableiten (so aber Kanalan, Verfassungsblog 2016/3/01, www.verfassungsblog.de; offenlassend: LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 02.11.2015 – L 6 AS 503/15 B ER – nicht veröffentlicht). Die Schaffung konkreter Leistungsansprüche im Rahmen einer Übergangsregelung durch das BVerfG (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 – Rn. 100 ff.) stellt nicht die unmittelbare Ableitung eines konkreten Anspruchs aus der Verfassung dar – in einem solchen Fall, wäre die dem Normenkontrollverfahren zu Grunde liegende Regelung nicht für verfassungswidrig erklärt worden, weil sie die Grundrechtsverwirklichung nicht verhindert hätte – sondern ein verfassungsprozessrechtliches Hilfsinstrument, um bis zur Behebung des verfassungswidrigen Zustands durch den Gesetzgeber die Grundrechte vorläufig zu wahren. Die vorläufige Regelung entbindet den Gesetzgeber nicht aus der sich aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ergebenden Pflicht, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 136). Das Fehlen eines gesetzlichen Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums kann daher nicht richterrechtlich kompensiert werden (vgl. Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 287).

484

Soweit im Übrigen in den Entscheidungen des BVerfG von einem unmittelbaren verfassungsrechtlichen Leistungsanspruch die Rede ist, soll hiermit wohl lediglich zum Ausdruck gebracht werden, dass (nur) die Gewährung derjenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind, nicht zur Disposition des Gesetzgebers steht (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 135).

485

4.8 Die Ausschlussregelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist demnach verfassungswidrig, weil sie ohne Kompensationsmöglichkeit in einem anderen Leistungssystem durch einen konkreten gesetzlichen Leistungsanspruch bestimmte Gruppen von im verfassungsrechtlichen Sinne hilfebedürftigen Grundrechtsträgern mit tatsächlichem Aufenthalt im Inland von Leistungen zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ausschließt (s.o. unter I.9.2).

486

5. Die durch den Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II unterbliebene Grundrechtsverwirklichung und die somit verfassungsrechtlich defizitäre Gestaltung einfachen Rechts, kann nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden.

487

5.1 Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums darf nicht eingeschränkt werden, denn es gewährleistet gerade das Mindestmaß dessen, was jeder Mensch beanspruchen kann. Das Grundrecht ist dem Grunde nach unverfügbar (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 133). Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 137). Die Unverfügbarkeit resultiert aus der Fundierung des Grundrechts in der Menschenwürdegarantie (zum Ganzen s.o. unter I.6). Der Mensch kann seinen Achtungsanspruch nach Art. 1 Abs. 1 GG nicht verwirken, auch nicht durch selbst zu verantwortende Handlungen oder Unterlassungen, sodass jeder mögliche sachliche Anknüpfungspunkt für eine gesetzliche Einschränkung hieraus resultierender Ansprüche entfällt.

488

Gesetzliche Leistungsausschlüsse dem Grunde nach – wie in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II geregelt – bei Personen, die die Anspruchsvoraussetzungen für das Grundrecht erfüllen, sind deshalb per se verfassungswidrig und einer Rechtfertigung von vornherein nicht zugänglich. Dementsprechend kann eine derartige Einschränkung auch nicht auf Zumutbarkeitserwägungen oder Verhältnismäßigkeitsprüfungen gleich welcher Art gestützt werden. Für dieses Ergebnis bedarf es nicht erst des Rückgriffes auf die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG (in diese Richtung: Bayerisches LSG, Beschluss vom 22.12.2010 – L 16 AS 767/10 B ER – Rn. 59), da eine Einschränkungsbefugnis im Sinne des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG bereits nicht besteht.

489

a) Hieran vermag auch der wohl zuerst von verschiedenen Senaten des Bayerischen Landessozialgerichts (Beschluss vom 01.10.2015 – L 7 AS 627/15 B ER – Rn. 32; Beschluss vom 13.10.2015 – L 16 AS 612/15 ER – Rn. 37; so auch LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 05.11.2015 – L 3 AS 479/15 B ER – Rn. 26) herangezogene Hinweis auf die Nichtannahmebeschlüsse des BVerfG vom 03.09.2014 (1 BvR 1768/11) und 08.10.2014 (1 BvR 886/11), mit denen die 3. Kammer des 1. Senats des BVerfG den grundsätzlichen Leistungsausschluss für Auszubildende und Studierende nach § 7 Abs. 5 SGB II unbeanstandet gelassen hat, nichts zu ändern. Die dort geäußerte Auffassung, der Leistungsausschluss von Auszubildenden in § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II a.F. verletze das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht, da existenzielle Bedarfe, soweit sie durch die Ausbildung entstünden, vorrangig durch Leistungen nach dem BAföG beziehungsweise nach dem SGB III gedeckt würden (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 08.10.2014 – 1 BvR 886/11 – Rn. 13), obwohl diese Leistungssysteme bedarfsunabhängige Ausschlussgründe vorsehen, stellt einen nicht ohne Weiteres nachvollziehbaren Bruch mit der im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) entwickelten Dogmatik dar und dürfte deshalb nicht aufrechtzuerhalten sein (so bereits SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 12.12.2014 – S 3 AS 130/14 – Rn. 220). Keinesfalls rechtfertigen die Ausführungen in diesen Beschlüssen die Annahme, das BVerfG sei generell der Auffassung, das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums könne eingeschränkt werden (so aber wohl Bayerisches LSG, Beschluss vom 01.10.2015 – L 7 AS 627/15 B ER – Rn. 32: „Dem entnimmt das Beschwerdegericht, dass ein Ausschluss von existenzsichernden Leistungen in bestimmten Lebenssituationen grundsätzlich möglich ist.“).

490

Hiervon abgesehen ist die Situation von Auszubildenden oder Studierenden mit derjenigen der vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II Betroffenen in zentralen Punkten nicht vergleichbar (so auch Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 27.11.2015 – L 6 AS 205/15 B ER, L 6 AS L 6 AS 205/15 B ER - PKH – Rn. 20). Während Auszubildenden und Studierenden im Allgemeinen rechtlich und tatsächlich die Möglichkeit offensteht, Studium oder Ausbildung abzubrechen und hierdurch die Voraussetzungen für den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II zu beseitigen, kann die Ausreise eines vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II Betroffenen in den Herkunftsstaat durch tatsächliche (z.B. wirtschaftliche) Hindernisse erschwert oder unmöglich sein. Darüber hinaus führt eine Ausreise zwar zum Wegfall des Ausschlussgrundes, zugleich aber wegen der hiermit notwendig verbundenen Aufgabe des gewöhnlichen Aufenthalts im Inland zum Wegfall einer Anspruchsvoraussetzung (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II) und damit des Leistungsanspruchs. Anders als im Falle des Auszubildenden oder Studierenden durch Studien- bzw. Ausbildungsabbruch kann der vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II Betroffene durch Ausreise den Anspruch auf Leistungen durch vermeintlich zumutbare Handlungen gerade nicht herbeiführen.

491

b) Aus der Uneinschränkbarkeit des Grundrechts folgt, dass das einfache Recht Leistungsausschlüsse nur in Fällen vorsehen darf, in denen eine der (neben dem Menschsein) zwei Anspruchsvoraussetzungen für das Grundrecht nicht vorliegt, also entweder kein Aufenthalt im Inland gegeben ist (s.o. unter I.7.2) oder keine Hilfebedürftigkeit im verfassungsrechtlichen Sinne vorliegt (s.o. unter I.7.3). Leistungseinschränkungen sind bei Vorliegen dieser Anspruchsvoraussetzungen nur zulässig, soweit auf der zweiten Ebene der Grundrechtskonkretisierung (der Ausgestaltung des Leistungsanspruchs) im Vergleich zu den gesetzlich ausformulierten Mindestanforderungen für die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Inhaltsbestimmung) ein quantitativer oder qualitativer Spielraum besteht, der eine tragfähig begründbare Differenzierung erlaubt (s.o. unter I.9.1 und I.9.4).

492

Auf der ersten Ebene der Grundrechtskonkretisierung kommt eine Differenzierung nur auf Grund abweichender Bedarfslagen in Betracht (s.o. unter I.9.4). Das hiernach bestimmte Existenzminimum muss jedoch auch dann durch staatliche Sozialleistungen gewährleistet werden, wenn bestehende Selbsthilfemöglichkeiten (z.B. Aufnahme einer Erwerbstätigkeit) tatsächlich nicht genutzt werden, gleich aus welchem Grund. Dies gilt entgegen einer weit verbreiteten Auffassung in der Rechtsprechung (vgl. nur LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26.02.2010 – L 15 AS 30/10 B ER – Rn. 30; LSG Sachsen-Anhalt, Beschlüsse vom 04.02.2015 – L 2 AS 14/15 B ER – Rn. 40 und vom 27.05.2015 – L 2 AS 256/15 B ER – Rn. 31; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.08.2015 – L 12 AS 1180/15 B ER – Rn. 27; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.06.2015 – L 1 AS 2238/15 ER-B, L 1 AS L 1 AS 2358/15 B – Rn. 39; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.09.2015 – L 20 AS 2161/15 B ER – Rn. 22 f.; Bayerisches LSG, Beschluss vom 01.10.2015 – L 7 AS 627/15 B ER – Rn. 33; Bayerisches LSG, Beschluss vom 13.10.2015 – L 16 AS 612/15 B ER – Rn. 36 ff.; LSG Hamburg, Beschluss vom 15.10.2015 – L 4 AS 403/15 B ER – Rn. 9 f.; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 02.11.2015 – L 6 AS 503/15 B ER – nicht veröffentlicht; s.o. unter A.V.1.3) auch dann, wenn eine Selbsthilfemöglichkeit darin bestehen könnte, in den Herkunftsstaat auszureisen und dort Fürsorgeleistungen in Anspruch zu nehmen (so auch BSG, Urteil vom 20.01.2016 – B 14 AS 35/15 R – Rn. 42 mit Erörterungen zur Reichweite des Nachranggrundsatzes).

493

Bei dem vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II betroffenen Personenkreis können alle Anspruchsvoraussetzungen für das Grundrecht gegeben sein. Die Betroffenen halten sich – definitionsgemäß, § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II – im Inland auf und sind im Sinne der §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 SGB II hilfebedürftig, was Fälle der Hilfebedürftigkeit im verfassungsrechtlichen Sinne (s.o. unter I.7.3) einschließt. Die Regelung ist daher – unabhängig davon, dass in Einzelfällen eine individuelle Grundrechtsverletzung auch fehlen kann – verfassungswidrig. Vor diesem Hintergrund ist es für die verfassungsrechtliche Prüfung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II unerheblich, ob im von der Behörde oder dem Gericht zu prüfenden Einzelfall eine Rückkehrmöglichkeit in einen Staat mit existenzsicherndem Sozialhilfesystem besteht, selbst wenn – entgegen der hier vertretenen Auffassung – davon ausgegangen würde, dass bereits eine solcheMöglichkeit die Hilfebedürftigkeit im verfassungsrechtlichen Sinne entfallen lassen würde. Denn es lässt sich angesichts der prinzipiellen Reichweite des Ausschlusstatbestands (s.o. unter 2), der Personen jedweder Staatsangehörigkeit (außer der deutschen) treffen kann, nicht ernsthaft behaupten, diese Möglichkeit stünde allen potenziell betroffenen Personen zur Verfügung.

494

5.2 Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II kann verfassungsrechtlich auch nicht durch Rückgriff auf Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG gerechtfertigt werden.

495

a) Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG stellt keine Regelung dar, die angesichts dessen, dass auch sekundäres Unionsrecht gegenüber mitgliedstaatlichem Verfassungsrecht vorrangig sein soll, von der verfassungsrechtlichen Verpflichtung des deutschen Staates auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums dispensieren könnte. Durch die Ausnahmeregelung des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG wird den Mitgliedstaaten lediglich die Möglichkeit gelassen, in bestimmten Konstellationen Unionsbürger von den nationalen Sozialhilferegelungen auszunehmen. Dass die Mitgliedstaaten hierbei die Grenzen ihres jeweiligen Verfassungsrechts einhalten müssen, wird hierdurch nicht in Frage gestellt (so auch Kingreen, SGb 2013, S. 137; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30.11.2015 – L 6 AS 1480/15 B ER, L 6 AS L 6 AS 1481/15 B – Rn. 16). Solange es diesbezüglich bei der bloßen Ermächtigung bleibt und der Ausschluss von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern in bestimmten Fällen nicht zur mitgliedstaatlichen Pflicht erhoben oder unmittelbar durch Unionsrecht festgelegt wird, besteht auch kein Konflikt zwischen den verschiedenen Regelungsebenen. Käme es hingegen tatsächlich zu einer unionsrechtlichen Regelung, die dem deutschen Staat die Gewährung existenzsichernder Leistungen an bestimmte Personengruppen verböte, würde dies eine Überprüfung der auf Eingriffe in Freiheitsrechte gemünzten Rechtsprechung des BVerfG zur zurückgenommenen verfassungsrechtlichen Kontrolldichte bei Rechtsakten der EU (BVerfG, Beschluss vom 22.10.1986 – 2 BvR 197/83 – Rn. 117 – „Solange II“ –; BVerfG, Urteil vom 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 22 BvR 2159/92 – Rn. 70 – „Maastricht“ –; BVerfG, Beschluss vom 07.06.2000 – 2 BvL 1/97 – Rn. 55 ff. – „Bananenmarktverordnung“ –) erzwingen, weil die Verankerung eines durchsetzbaren Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf europarechtlicher Ebene nicht ersichtlich ist und mit den Konstruktionsprinzipien der EU wohl auch nicht ohne Weiteres vereinbar wäre, solange die EU sich nicht selbst als unmittelbar leistungsverpflichtet konstituiert.

496

b) Hiervon abgesehen wird durch Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG den Mitgliedstaaten lediglich die Möglichkeit eingeräumt, bestimmte freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger von der Gewährung von Sozialhilfeleistungen auszunehmen. Eine Rechtfertigung zum Leistungsausschluss für Angehörige anderer Staaten oder Staatenloser, die über § 16 Abs. 4 AufenthG oder § 18c AufenthG vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II erfasst sind, kann daher von vornherein nicht auf diese Regelung gestützt werden.

497

5.3 Sowohl aus der Uneinschränkbarkeit des Grundrechts als auch auf Grund des (über Unionsbürger hinausgehenden) vom Leistungsausschluss betroffenen Personenkreis ergibt sich, dass auch eine Rechtfertigung für den Leistungsausschluss aus „dem europäischen Konzept einer Freizügigkeit“ ohne Herstellung einer Sozialunion von vornherein nicht in Betracht kommt (so aber LSG Hamburg, Beschluss vom 15.10.2015 – L 4 AS 403/15 B ER – Rn. 10;ähnlich SG Reutlingen, Urteil vom 23.03.2016 – S 4 AS 114/14 – Rn. 40). Die Freizügigkeit ist lediglich eine tatsächliche Ursache dafür, dass es vielen Menschen möglich ist, sich in Deutschland legal aufzuhalten. Menschen, die von dieser Freizügigkeit Gebrauch machen, begeben sich weder durch den Übertritt über die Staatsgrenze ihrer Menschenrechte, noch können sie ihnen mit dem Argument vorenthalten werden, sie könnten sich auch wieder außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes begeben (anschaulich Kanalan, Verfassungsblog 2016/3/01, www.verfassungsblog.de, am Beispiel des Folterverbots).

498

Das Menschenrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums steht mangels Einschränkungsbefugnis in keinem Fall zur Disposition des Gesetzgebers. Demnach kann auch die einfachrechtliche Zuerkennung oder Aberkennung von Aufenthaltsrechten, wie im FreizügG/EU und im AufenthG geregelt, keinen Ausschluss und keine Einschränkung des Grundrechts rechtfertigen, unabhängig davon, ob das einfache Recht europarechtlich geprägt oder determiniert ist.

499

6. Die von zahlreichen Spruchkörpern der Sozialgerichtsbarkeit vertretene Auffassung, der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verstoße unabhängig von einer Kompensationsmöglichkeit durch ein anderes innerstaatliches Existenzsicherungsleistungssystem nicht gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (s.o. unter A.V.1.3), ist somit nicht haltbar.

500

6.1 In fast allen diesbezüglich ergangenen Gerichtsentscheidungen wird bereits der verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstab des Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG verkannt, indem eine mögliche Verfassungswidrigkeit nur anhand des zu entscheidenden Einzelfalls(so offenbar auch der 14. Senat des BSG in den Urteilen vom 16.12.2015 – B 14 AS 15/14 R – Rn. 36, B 14 AS 18/14 R – Rn. 34, B 14 AS 33/14 R – Rn. 33 und vom 20.01.2016 – B 14 AS 35/15 R – Rn. 32), allenfalls allein mit Blick auf die vom Leistungsausschluss betroffenen Unionsbürger geprüft wird (vgl. bereits LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26.02.2010 – L 15 AS 30/10 B ER – Rn. 30). Tatsächlich haben die Gerichte bei der Anwendung von Gesetzen deren Verfassungsmäßigkeit abstrakt zu prüfen, wenn sie die entsprechende Vorschrift für entscheidungserheblich im Sinne des Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG halten. Dass es durch die Anwendung der für verfassungswidrig gehaltenen Vorschrift zu einer individuellen Grundrechtsverletzung des Verfahrensbeteiligten kommt, ist hierfür – anders für die Frage der Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf die Beschwerdebefugnis – nicht maßgeblich. Die Einbeziehung von Personen mit Aufenthaltstiteln nach § 16 Abs. 4 AufenthG und § 18c AufenthG wurde (außerhalb von Mainz) soweit ersichtlich in keiner veröffentlichten Entscheidung angesprochen, obwohl dieser Umstand bereits in der Beschlussempfehlung des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales benannt wurde (BT-Drucks. 16/688, S. 13). Vereinzelt wird sogar ausdrücklich behauptet, der Leistungsausschluss betreffe nur Unionsbürger (so SG Reutlingen, Urteil vom 23.03.2016 – S 4 AS 114/14 – Rn. 41). Auch inhaltlich wird dieser Umstand regelmäßig vollkommen ausgeblendet, was sich vor allem darin zeigt, dass alle Rechtfertigungsvarianten für den Leistungsausschluss ihre Argumente letztendlich aus dem europäischen Freizügigkeitsrecht und aus behaupteten europäischen Menschenrechtsstandards beziehen (vgl. nur LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 04.02.2015 – L 2 AS 14/15 B ER – Rn. 40 – und Bayerisches LSG – Beschluss vom 13.10.2015 – L 16 AS 612/15 ER – Rn. 31 ff.).

501

6.2 Weiter wird zumeist in eine Art Abwägungsprozess oder Verhältnismäßigkeitsprüfung (vgl. SG Reutlingen, Urteil vom 23.03.2016 – S 4 AS 114/14 – Rn. 40 f.) eingestiegen, ohne die Frage zu thematisieren, ob das Grundrecht überhaupt in dem Sinne einschränkbar ist, dass bestimmte Personengruppen – gleich aus welchen Gründen – von allen existenzsichernden Leistungen ausgeschlossen werden dürften. Gelegentlich wird die Befugnis zum Leistungsausschluss auch schlicht mit dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers begründet (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26.02.2010 – L 15 AS 30/10 B ER – Rn. 30). Wenn tatsächlich eine Einschränkungsbefugnis angenommen wird, erfolgt dies zumeist apodiktisch mit der Behauptung, das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums gelte nicht schrankenlos (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.06.2015 – L 1 AS 2338/15 ER-B – Rn. 39). Herangezogen wird auch die aus dem Beschluss des BVerfG vom 07.07.2010 (1 BvR 2556/09 – Rn. 13) entlehnte Formulierung, das Grundgesetz gebiete nicht die Gewährung bedarfsunabhängiger, voraussetzungsloser Sozialleistungen (LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 05.11.2015 – L 3 AS 479/15 B ER – Rn. 24, Rn. 27), wobei keine Erwähnung findet, dass es bei der Entscheidung des BVerfG, bei der es um die Frage der Anrechnung bestimmter Einkommensarten ging, gerade auf die Bedarfsabhängigkeit ankam. Die Passage im Beschluss des BVerfG lautet vollständig folgendermaßen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 07.07.2010 – 1 BvR 2556/09 – Rn. 13):

502

„Die Verfassung gebietet nicht die Gewährung von bedarfsunabhängigen, voraussetzungslosen Sozialleistungen. Der Gesetzgeber hat vielmehr einen weiten Spielraum, wenn er Regelungen darüber trifft, ob und in welchem Umfang bei der Gewährung von Sozialleistungen, die an die Bedürftigkeit des Empfängers anknüpfen, sonstiges Einkommen des Empfängers auf den individuellen Bedarf angerechnet wird (…).“

503

Bei dem vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II betroffenen Personenkreis geht es weder um bedarfsunabhängige noch um anderweitig voraussetzungslose Gewährung von Sozialleistungen, so dass der Verweis auf diesen Beschluss des BVerfG offensichtlich fehlgeht.

504

Die vorgetragenen Argumente zur Rechtfertigung des Leistungsausschlusses stehen daher regelmäßig ohne Einbindung in eine strukturierte verfassungsrechtliche Prüfung unvermittelt im Raum (vgl. die These des SG Freiburg, „dass es nicht Aufgabe des Sozialleistungssystems sein kann, aufenthaltsrechtliche Vollzugsdefizite durch die Gewährung so im Gesetz nicht vorgesehener existenzsichernder Leistungen zeitlich unbegrenzt „aufzufangen““, SG Freiburg (Breisgau), Beschluss vom 14.04.2016 – S 7 SO 773/16 ER – Rn. 55).

505

Der Frage nach der Einschränkbarkeit könnte jedenfalls auf dem Boden der Rechtsprechung des BVerfG nur mit der Behauptung ausgewichen werden, die betroffenen Personen erfüllten bereits die Voraussetzungen für den verfassungsrechtlichen Gewährleistungsanspruch nicht, d.h. sie seien keine Menschen (s.o. unter I.7.1), sie hielten sich tatsächlich nicht in Deutschland auf (s.o. unter I.7.2) oder sie seien nicht hilfebedürftig im verfassungsrechtlichen Sinne (s.o. unter I.7.3). Da die ersten beiden Behauptungen im Falle des vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II betroffenen Personenkreises offensichtlich nicht zutreffen, könnte ein Gewährleistungsanspruch grundsätzlich nur an der fehlenden Bedürftigkeit scheitern (in diese Richtung z. B. SG Berlin, Urteil vom 14.01.2016 – S 26 AS 12515/13 – Rn. 113 – mit der These, dass laufende existenzsichernde Leistungen der Bundesrepublik Deutschland im Falle von Unionsbürgern bereits nicht „unbedingt erforderlich“ im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG im Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 – Rn. 62 ff. – seien).

506

Hieran knüpft der in der Rechtsprechung weit verbreitete Versuch an, die Vorenthaltung der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch einen Verweis auf die Möglichkeit der Rückkehr in den Herkunftsstaat und der dortigen Inanspruchnahme von Fürsorgeleistungen zu rechtfertigen (s.o. unter 5.1 und unter A.V.1.3). Selbst wenn man aber den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II für verfassungsmäßig halten würde, wenn die Betroffenen im Herkunftsland existenzsichernde Leistungen erhalten könnten, müsste diese Voraussetzung zur Vermeidung der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift nicht nur in sämtlichen 31 Staaten des EWR erfüllt sein, sondern auch in allen anderen Staaten der Welt, weil der Leistungsausschluss sich zugleich auch auf das Aufenthaltsrecht aus § 16 Abs. 4 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) und auf das Aufenthaltsrecht aus §18c AufenthG bezieht. Diese Aufenthaltstitel sind nicht auf Angehörige bestimmter Staaten, insbesondere nicht auf Unionsbürger beschränkt.

507

Aber schon die Annahme, dass ein vergleichbares Existenzminimum in den anderen EU-Mitgliedstaaten gesichert sei, etwa weil diese sämtlich die Europäische Sozialcharta unterzeichnet hätten (so etwa SG Dortmund, Beschluss vom 23.11.2015 – S 30 AS 3827/15 ER – Rn. 38; vgl. auch SG Halle (Saale), Beschluss vom 22.01.2016 – S 5 AS 4299/15 ER – Rn. 22 und LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 04.02.2015 – L 2 AS 14/15 B ER – Rn. 40), ist aus der Luft gegriffen. Aus der völkerrechtlichen Verpflichtung zur Gewährung von Menschenrechten umstandslos auf deren vollständige Umsetzung in den jeweiligen Signatarstaaten zu schließen, ist, zurückhaltend formuliert, unrealistisch.

508

Dies zeigt aber letztlich nur, dass ein Verweis auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Sozialleistungen in anderen Staaten kein sinnvolles Kriterium zur Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit eines Leistungsausschlusses von existenzsichernden Leistungen bei transnationalen Sachverhalten ist. Die Gewährleistungspflicht des deutschen Staates für ein Existenzminimum gilt innerhalb der Staatsgrenzen für deutsche Staatsangehörige, ausländische Staatsangehörige und Staatenlose gleichermaßen und uneingeschränkt und unabhängig davon, ob vergleichbare Ansprüche in einem anderen Staat geltend gemacht werden könnten. Sie endet aber auch an den Staatsgrenzen, sodass ein Verstoß gegen das Existenzsicherungsrundrecht wohl nicht schon dann angenommen werden kann, wenn eine Person rechtmäßig in einen Staat abgeschoben wird, der über kein vergleichbares Existenzsicherungssystem verfügt (vgl. Thym, Stellungnahme für die Öffentliche Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestags am 1210.2015, S. 18).

509

Vor diesem Hintergrund ist es auch verfassungsrechtlich unerheblich, ob im von der Behörde oder dem Gericht zu prüfenden Einzelfall eine Rückkehrmöglichkeit in einen Staat mit existenzsicherndem Sozialhilfesystem besteht. Sofern § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II wegen Verstoßes gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums für nichtig erklärt wird, fällt der Ausschlusstatbestand für alle hiervon betroffenen Personen weg, unabhängig davon, ob sie selbst zu der Fallgruppe gehören, die die Verfassungswidrigkeit der Norm begründet. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelung ist daher in jedem Fall entscheidungserheblich, in dem der Ausschlusstatbestand greift. Deshalb sind die von verschiedenen Gerichten zumeist in Eilverfahren oberflächlich vorgenommenen Prüfungen der in den jeweiligen Herkunftsländern der Betroffenen bestehenden Sozialhilfesysteme (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 04.02.2015 – L 2 AS 14/15 B ER – Rn. 40: Tschechien; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 27.05.2015 – L 2 AS 256/15 B ER – Rn. 31: Rumänien; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.06.2015 – L 1 AS 2338/15 ER-B, L 1 AS 2358/15 B: Slowakei; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.08.2015 – L 12 AS 1180/15 B ER – Rn. 27: Italien; Bayerisches LSG, Beschluss vom 13.10.2015 – L 16 AS 612/15 ER – Rn. 38: Portugal) rechtlich ebenso bedeutungslos wie die Frage, ob bei dem Betroffenen im konkreten Einzelfall ein Hinderungsgrund für die Rückkehr in den Herkunftsstaat vorliegt.

510

6.3 Auch die zur Rechtfertigung des Leistungsausschlusses herangezogene These, der Gesetzgeber habe mit dem Leistungsausschluss für EU-Ausländer, die ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ableiteten, den Nachrang des deutschen Sozialleistungssystems gegenüber dem des Herkunftslandes normiert, was verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei (LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 05.11.2015 – L 3 AS 479/15 B ER – Rn. 26; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.03.2016 – L 12 SO 79/16 B ER – Rn. 34; SG Dortmund, Beschluss vom 23.11.2015 - S 30 AS 3827/15 ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.08.2015 – L 12 AS 1188/15 B ER), ist falsch. Der Nachrang gegenüber anderen Sozialleistungen wird im SGB II über die Einkommensanrechnungsvorschriften oder speziell im Verhältnis zu anderen deutschen Sozialleistungssystemen (§ 5 Abs. 2 SGB II), im SGB XII allgemeiner in § 2 Abs. 1 SGB XII sowie in den dortigen Einkommensanrechnungsvorschriften geregelt. Nachrangigkeit bedeutet in diesem Zusammenhang lediglich, dass Leistungen nach dem SGB II und SGB XII nur erbracht werden, soweit die Leistungsberechtigten ihren Bedarf nicht durch andere Einkünfte, beispielsweise aus vorrangigen Sozialleistungen decken können. Die Leistungsausschlüsse des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II und des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII knüpfen aber tatsächlich nicht an den Umstand an, dass die betroffenen Personen über vorrangige Leistungsansprüche verfügen, sondern ordnen den Leistungsausschluss völlig unabhängig von der Frage an, ob derartige Ansprüche bestehen. Für den Fall, dass tatsächlich Sozialleistungen von ausländischen Trägern bezogen werden, würde der Nachrang ohnehin über die Einkommensanrechnung nach § 11 SGB II oder § 82 SGB XII hergestellt.

511

6.4 Das gelegentlich herangezogene Argument, dass das Urteil des BVerfG vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 2/11) keine Aussage darüber enthalte, inwiefern es dem Gesetzgeber möglich sei, Personen ohne Aufenthaltsrecht Sozialleistungen zu verwehren oder Personen mit einem bestimmten, näher definierten Aufenthaltsrecht (beispielsweise dem Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche) vom Bezug von Sozialleistungen auszuschließen (LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 05.11.2015 – L 3 AS 479/15 B ER – Rn. 28; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.03.2016 – L 12 SO 79/16 B ER – Rn. 34), führt nicht weiter. Dass sich die Entscheidung des BVerfG nur über die Vereinbarkeit von Vorschriften des AsylbLG mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bezog, war dem dortigen Streitgegenstand geschuldet und ist für sich genommen selbstverständlich kein Argument für die Verfassungsmäßigkeit irgendeiner anderen Regelung.

512

Aus dem genannten Urteil den Schluss zu ziehen, das BVerfG würde die verfassungsrechtliche Situation im Hinblick auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II anders bewerten, würde eine vertiefte Auseinandersetzung mit den der Entscheidung des BVerfG vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 2/11) zu Grunde liegenden Prämissen des BVerfG erfordern. Dass einzige erkennbare Argument, was speziell in Bezug auf das genannte Urteil hierfür regelmäßig vorgebracht wird, ist die mangelnde Vergleichbarkeit der Situationen von Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG einerseits und Unionsbürgern andererseits, die darauf beruhen soll, dass Asylbewerber, die sich auf politische Verfolgung in ihren Heimatländern berufen, regelmäßig nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren könnten, dies bei der vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB II betroffenen Personengruppe in der Regel aber ohne weiteres möglich sei (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.03.2016 – L 12 SO 79/16 B ER – Rn. 35; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 31.08.2015 – L 3 AS 430/15 B – nicht veröffentlicht).

513

Bei Lektüre des Urteils des BVerfG vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 2/11) fällt jedoch auf, dass der Aspekt einer unmöglichen oder unzumutbaren oder auch nur erschwerten Rückkehr in den Herkunftsstaat bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der gerügten Vorschriften des AsylbLG keine Rolle gespielt hat.Ausführlich behandelt wurde hingegen vor allem die Frage, inwiefern ein kurzfristiger Aufenthalt Abweichungen bei der Bedarfsbemessung zulässt (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 – Rn. 74). Es ist auch nicht erkennbar, dass das BVerfG in seinen Leitentscheidungen zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums Ansätze für ein Differenzierungskriterium hinsichtlich der Möglichkeit der Rückkehr in den Herkunftsstaat formuliert hätte. Gerade das Urteil vom 18.07.2012 spricht eine deutlich andere Sprache (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 – Rn. 94):

514

„Auch eine kurze Aufenthaltsdauer oder Aufenthaltsperspektive in Deutschland rechtfertigte es im Übrigen nicht, den Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf die Sicherung der physischen Existenz zu beschränken. Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG verlangt, dass das Existenzminimum in jedem Fall und zu jeder Zeit sichergestellt sein muss (…). Art. 1 Abs. 1 GG garantiert ein menschenwürdiges Existenzminimum, das durch im Sozialstaat des Art. 20 Abs. 1 GG auszugestaltende Leistungen zu sichern ist, als einheitliches, das physische und soziokulturelle Minimum umfassendes Grundrecht. Ausländische Staatsangehörige verlieren den Geltungsanspruch als soziale Individuen nicht dadurch, dass sie ihre Heimat verlassen und sich in der Bundesrepublik Deutschland nicht auf Dauer aufhalten (…). Die einheitlich zu verstehende menschenwürdige Existenz muss daher ab Beginn des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland realisiert werden.“

515

Unabhängig davon, dass sich den Entscheidungen des BVerfG selbst bislang kein Argument für die Auffassung entnehmen lässt, dass die dem Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) zu Grunde liegenden Prämissen für den vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II betroffenen Personenkreis nicht gelten könnten, hält die vorgenommene Unterscheidung anhand des Kriteriums der Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Rückkehr in den Herkunftsstaat einer näheren Überprüfung nicht stand. Weder setzt ein Anspruch nach § 1 AsylbLG stets voraus, dass die berechtigte Person nicht in den Herkunftsstaat zurückreisen kann oder ihr dies nicht zuzumuten ist, noch kann bei dem von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II erfassten Personenkreis eine solche Situation ausgeschlossen werden. Leistungen nach dem AsylbLG erhalten insbesondere auch vollziehbar ausreisepflichtige Personen (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG). Hiervon können insbesondere Ausländer erfasst sein, die keinen Asylantrag gestellt, ihren Asylantrag zurückgenommen haben oder die nach Ablehnung ihres Asylantrags noch nicht ausgereist oder abgeschoben worden sind (Frerichs in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Auflage 2014, § 1 AsylbLG, Rn. 13, Stand 01.04.2016). Dies kann aber auch grundsätzlich freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger nach einer Verlustfeststellung betreffen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30.11.2015 – L 6 AS 1480/15 B ER, L 6 AS L 6 AS 1481/15 B – Rn. 17). Sowohl von der Leistungsberechtigung nach § 1 AsylbLG (insbesondere nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG) als auch vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II können Personen jeder Staatsangehörigkeit außer der deutschen erfasst sein. Das Differenzierungskriterium der sozialen oder politischen Lage in den jeweiligen Herkunftsstaaten ist für eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung zwischen nach § 1 AsylbLG leistungsberechtigten und nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossenen Personen daher von vornherein nicht geeignet.

516

6.5 Unzutreffend ist auch die Auffassung, dass das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht ausschließe, Leistungen nur insoweit vorzuhalten, wie es erforderlich sei, um einen Betroffenen in die Lage zu versetzen, dass er existenzsichernde Leistungen seines Herkunftslandes in Anspruch nehmen könne und der Staat hierbei allenfalls gehalten sei, Reise- und Verpflegungskosten zur Existenzsicherung vorzuhalten (so aber LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.09.2015 – L 20 AS 2161/15 B ER – Rn. 22).

517

Hiergegen ist – abgesehen vom grundsätzlichen Einwand, dass der Anspruch auf Gewährleistung des Existenzminimums weder von der Staatsangehörigkeit, noch vom rechtmäßigen Aufenthalt, noch von bestimmten Verhaltensweisen abhängen kann – einzuwenden, dass auf Grund der einander ergänzenden Ausschlussregelungen im SGB II und im SGB XII selbst der als notwendig angesehene Anspruch auf Reise- und Verpflegungskosten nicht besteht; allenfalls könnte auf Ermessensleistungen nach dem SGB XII zurückgegriffen werden. Selbst wenn man einen derartigen Anspruch für ausreichend zur Gewährleistung des Existenzminimums halten würde, wäre die Verfassungswidrigkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II somit nicht behoben. Darüber hinaus löst dieser Ansatz das Problem der Existenzsicherung für den Fall nicht, dass betroffene Personen tatsächlich nicht ausreisen, wozu sie auf Grund ihres Aufenthaltsrechts, welches eine Voraussetzung für den Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II darstellt, schließlich nicht unmittelbar gezwungen werden können. Der elementare Lebensbedarf eines Menschen muss aber in dem Augenblick befriedigt werden, in dem er entsteht (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 – Rn. 72), so dass es mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums fundamental unvereinbar wäre, Menschen durch Vorenthaltung von existenzsichernden Leistungen faktisch zur Ausreise zu zwingen. Eine Pflicht zur Ausreise kann nur aufenthaltsrechtlich erzeugt und durchgesetzt werden.

518

6.6 Auch der Verweis auf den Nichtannahmebeschluss der 1. Kammer des 1. Senats des BVerfG vom 09.02.2001 (1 BvR 781/98) zu § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG in der Fassung vom 23.03.1994 (so z.B. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.09.2015 – L 20 AS 2161/15 B ER – Rn. 22) verfängt nicht (so bereits SG Hamburg, Beschluss vom 22.09.2015 – S 22 AS 3298/15 ER – Rn. 20 f.). Zunächst handelte es sich bei dieser Entscheidung lediglich um einen Kammerbeschluss, der keine Bindungswirkung über den Einzelfall hinaus nach sich zieht. Im Unterschied zu § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II sah die zur Überprüfung stehende Regelung auch keinen vollständigen Leistungsausschluss vor, sondern lediglich eine Beschränkung auf die “nach den Umständen unabweisbar gebotene Hilfe”. Zudem stand den dort betroffenen Ausländern jedenfalls andernorts im Inland ein Leistungsanspruch zu, so dass sich der Staat seiner Gewährleistungspflicht auch hinsichtlich regulärer Leistungen nicht vollständig entzogen hatte. Aus heutiger Sicht wäre eine solche Regelung dennoch wohl unter dem Aspekt der mangelnden Bestimmtheit (s.o. unter I.9.3) als verfassungswidrig anzusehen. Es gibt letztlich keinen Grund für die Annahme, dass die genannte Entscheidung nach den Urteilen des BVerfG vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) und vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) noch den Stand der verfassungsrechtlichen Dogmatik wiedergibt (SG Hamburg, Beschluss vom 22.09.2015 – S 22 AS 3298/15 ER – Rn. 21).

519

6.7 Die Auffassung, dass der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstoße, erweist sich nach alldem als unzutreffend. Praktisch wird von den diese Auffassung vertretenden Senaten der Landessozialgerichte sowie den Kammern der Sozialgerichte für ausreichend gehalten, dass die betroffenen Personen aus einem EU-Staat stammen, in den sie zurückkehren können (vgl. nur LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 04.02.2015 – L 2 AS 14/15 B ER – Rn. 40 und Beschluss vom 27.05.2015 – L 2 AS 256/15 B ER – Rn. 31; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.06.2015 – L 1 AS 2338/15 ER-B, L 1 AS 2358/15 B; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.08.2015 – L 12 AS 1180/15 B ER – Rn. 27; Bayerisches LSG, Beschluss vom 13.10.2015 – L 16 AS 612/15 ER – Rn. 38), wobei dies durch die den Leistungsausschluss konstituierende Regelung weder im Hinblick auf den betroffenen Personenkreis noch im Hinblick auf die Rückkehrmöglichkeit vorausgesetzt wird.

520

Die Möglichkeit der dortigen Inanspruchnahme von Sozialleistungen und deren Niveau wird, wenn überhaupt, nur sehr oberflächlich geprüft und dann stets bejaht. Würde dieses Kriterium ernst genommen, wäre die Rechtslage im jeweiligen Herkunftsstaat deutlich genauer zu prüfen. Bei verbleibenden Zweifeln müssten im einstweiligen Rechtsschutzverfahren Leistungen zugesprochen werden.

521

Die genannte Auffassung läuft daher praktisch darauf hinaus, dass es dem Gesetzgeber jedenfalls nach deutschem Verfassungsrecht freistünde, alle ausländischen Staatsangehörigen von existenzsichernden Leistungen auszuschließen, die zumutbar in ihren Herkunftsstaat zurückreisen könnten. Es gäbe schließlich keinen Grund, weshalb der Gesetzgeber Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums nicht auch oder sogar erst recht bei anderen Aufenthaltszwecken als dem der Arbeitsuche ausschließen dürfte. Das Menschenrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums würde auf diese Weise auf ein Grundrecht für Deutsche, unter Umständen auch für Flüchtlinge und Asylberechtigte, reduziert.

522

Dem sind die klaren Ausführungen Kirchhofs führt zum (selbst mitverantworteten) Urteil des BVerfG vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) entgegenzuhalten (NZS 2015, S. 4):

523

„In der Entscheidung zum Asylbewerberleistungsgesetz wurde nochmals klargestellt, dass die Menschenwürde nicht etwa nur Deutschen zukommt, sondern jeder Person, die sich im Geltungsbereich des Grundgesetzes aufhält. Das Menschenrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums gilt also nicht nur für „Hartz-IV-Bezieher“; es bleibt nicht bloßes Deutschen- oder Bürgerrecht. Ob Deutscher, Angehöriger eines Mitgliedstaates der EU oder Staatsangehöriger eines Drittstaates — Mensch ist man immer.

524

Es mag sein, dass soziale Leistungen dieser Art auf Personen aus ärmeren Ländern anziehende Wirkungen entfalten. Solange der deutsche Staat sie indessen auf seinem Territorium aufnimmt, beherbergt oder auch nur duldet, sind sie in diesem bescheidenen Umfang auch leistungsberechtigt. Vorwürfe, mit dieser Rechtsprechung würde der Zuzug nach Deutschland angeregt, übersehen, dass das Grundrecht auf eine Gewährleistung menschenwürdiger Existenz eine Folge zwingenden Verfassungsrechts ist, die einen Aufenthalt in Deutschland voraussetzt. Wer hier Anreizeffekte vermeiden will, müsste das eigentlich ursächliche Aufenthaltsrecht ändern. Dessen Konsequenz einer finanziellen Versorgung von Menschen, die nicht selbst ihren Lebensunterhalt bestreiten können, hängt völlig vom Aufenthalt in Deutschland ab; erst dann entfaltet das Menschenrecht seine Wirkung.“

525

Die oben zitierten Entscheidungen vieler Sozialgerichte und Landessozialgerichte stehen mithin in einem leicht zu erkennenden Widerspruch zum aktuellen Stand der durch das BVerfG entwickelten Grundrechtsdogmatik. Dieser Widerspruch wird jedoch nicht reflektiert und sodann offensiv unter Begründungsaufwand vertreten – was im Sinne einer diskursiven Zukunftsoffenheit der Verfassungsrechtsdogmatik legitim wäre –, sondern mit Hilfe einer selektiven und bisweilen sinnentstellenden Heranziehung von Versatzstücken der Judikatur des BVerfG und unter Behauptung einer Übereinstimmung mit dieser negiert. Dass auf diese Weise in großem Umfang und entgegen der Rechtsprechung des zuständigen Revisionsgerichts sogar im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die vorläufige Verpflichtung zur Erbringung existenzsichernder Leistungen abgelehnt wird, ist nicht zu rechtfertigen.

526

7. Die Verfassungswidrigkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II wird nicht dadurch kompensiert, dass hiervon Betroffene wegen der Verfassungswidrigkeit des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII einen Anspruch auf Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII haben könnten (s.o. unter I.10). Zwischen beiden Leistungssystemen besteht kein Zusammenhang in dem Sinne, dass unabhängig von den für verfassungswidrig gehaltenen Vorschriften des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II und des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB II ein Nachrangverhältnis bestünde, Betroffene also unabhängig von dem Leistungsausschluss im vorrangigen System hilfsweise auf das nachrangige System zurückgreifen könnten. Denn allein der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II führt wegen § 21 Satz 1 SGB XII zu einer Öffnung des Leistungssystems des SGB XII für den betroffenen Personenkreis. Es besteht daher kein logischer Vorrang der Verfassungswidrigkeit des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII gegenüber derjenigen des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II.

527

Würde dies anders gesehen, müsste allerdings geprüft werden, ob der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auch auf Grund eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG oder Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG auf der zweiten Ebene der Grundrechtskonkretisierung verfassungswidrig ist, soweit der betroffene Personenkreis bei Nichtigkeit des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII dem SGB XII und nicht dem SGB II zugeordnet würde. Anhaltspunkte hierfür ergeben sich anhand der Heterogenität des vom Leistungsausschluss betroffenen Personenkreises einerseits und des nicht erfassten Personenkreises anderseits reichlich (s.o. unter 2.).

III.

528

Auch § 7 Abs. 5 SGB II verstößt gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG.

529

Der vom Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 5 SGB II (1) effektiv betroffene Personenkreis (2) erfüllt grundsätzlich die Anspruchsvoraussetzungen für das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (3). Für diesen Personenkreis fehlt es an einem formell-gesetzlichen, hinreichend bestimmten Anspruch auf Leistungen zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (4). Die sich hieraus ergebende unterlassene Grundrechtsgewährleistung kann nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden (5).

530

1. § 7 Abs. 5 SGB II lautet:

531

„Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes oder der §§ 51, 57 und 58 des Dritten Buches dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.“

532

§ 7 Abs. 6 SGB II lautet:

533

„Absatz 5 findet keine Anwendung auf Auszubildende,

534

1. die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung oder aufgrund von § 60 des Dritten Buches keinen Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe haben,

535

2. deren Bedarf sich nach § 12 Absatz 1 Nummer 1 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, nach § 62 Absatz 1 oder § 124 Absatz 1 Nummer 1 des Dritten Buches bemisst oder

536

3. die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund von § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.“

537

2. Vom Leistungsausschluss erfasst sind demnach Auszubildende, die eine nach dem BAföG oder nach den §§ 51, 57 und 58 SGB III dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung absolvieren und keinen der in § 7 Abs. 6 SGB II geregelten Ausnahmetatbeständen erfüllen. § 7 Abs. 6 SGB II greift bestimmte Fallkonstellationen auf, in denen Auszubildende dem Grunde nach keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung bzw. Berufsausbildungsförderung haben (Nr. 1), nur eine geringe Ausbildungsförderung erhalten (Nr. 2) oder wegen Erreichen der Altersgrenze keine Ausbildungsförderung gewährt bekommen (Nr. 3) (vgl. Leopold in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Auflage 2015, § 7 Rn. 308, Stand 14.03.2016), wobei jeweils weitere Voraussetzungen hinzukommen müssen. Umstritten, aber vorliegend nicht klärungsbedürftig ist die Frage, ob auch Personen vom Ausschluss erfasst sind, die gemäß § 122 SGB III Ausbildungsgeld unter entsprechender Anwendung der Vorschriften über die Berufsausbildungsbeihilfe erhalten (verneinendKador in: Mutschler/Schmidt-De Caluwe/Coseriu, SGB III, § 122 Rn. 15, 5. Auflage 2013; bejahend BSG, Urteil vom 16.06.2015 – B 4 AS 37/14 R – Rn. 18 m.w.N.; Treichel, NZS 2013, S. 805 ff.).

538

2.1 Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II greift bereits ein, wenn die betroffene Person eine dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung absolviert, unabhängig davon, ob sie Leistungen nach §§ 51, 57 oder 58 SGB III oder nach dem BAföG tatsächlich bezieht oder die persönlichen Voraussetzungen für eine Förderung erfüllt. Dies legt bereits der Wortlaut des § 7 Abs. 5 SGB II nahe, da das Bezugswort zum Terminus „dem Grunde nach förderungsfähig“ in § 7 Abs. 5 SGB II „Ausbildung“ und nicht etwa „Auszubildende“ ist. Zwar ließe sich auch mit dieser Formulierung isoliert betrachtet noch vereinbaren, wegen der Verwendung des Relativpronomens „deren“ zwischen „Auszubildende“ und „Ausbildung“ auf die Förderungsfähigkeit der konkreten Ausbildung abzustellen, allerdings ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang mit den Rückausnahmeregelungen in § 7 Abs. 6 Nr. 1 und Nr. 3 SGB II, dass der Leistungsausschluss abgesehen von den dort genannten Ausnahmefällen auch dann greift, wenn kein Anspruch auf Leistungen nach dem BAföG oder nach dem SGB III besteht (so im Ergebnis auch BSG, Urteil vom 22.08.2012 – B 14 AS 197/11 R – Rn. 14; BSG, Urteil vom 06.08.2014 – B 4 AS 55/13 R – Rn. 17 m.w.N.; ausführlich mit Erläuterungen zur Systematik, Gesetzgebungsgeschichte und Sinn und Zweck: BSG, Urteil vom 17.02.2015 – B 14 AS 25/14 R – Rn. 20 ff.). Das Fehlen individueller Voraussetzungen für eine Förderung ist mithin unerheblich (vgl. auch Thie in: LPK-SGB II, 5. Auflage 2013, § 7 Rn. 113; Wolff-Dellen in: Löns/Herold-Tews, SGB II, § 7 Rn. 52, 3. Auflage 2011).

539

Es ändert sich somit nichts an der Förderungsfähigkeit der Ausbildung dem Grunde nach im Sinne des § 7 Abs. 5 SGB II, wenn Auszubildende (einschließlich Studierende) tatsächlich keinen Anspruch auf Leistungen nach dem BAföG haben, z.B. wegen mangelnder Eignung (§ 9 BAföG), wegen Überschreitens der Altersgrenze (§ 10 BAföG), bei Überschreiten der Förderungshöchstdauer (§ 15a BAföG) oder wegen des Fehlens der Voraussetzungen für die Förderung einer weiteren Ausbildung bei einem nach Maßgabe des Gesetzes unbegründeten Ausbildungs- und Fachrichtungswechsel (§ 7 Abs. 2, 3 BAföG). Die Ausbildung ausländischer Studierender ist im Sinne des § 7 Abs. 5 SGB II dem Grunde nach förderungsfähig, auch wenn sie tatsächlich keine Ausbildungsförderung erhalten, weil sie die in § 8 BAföG aufgeführten aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllen (Leopold in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Auflage 2015, § 7 Rn. 297, Stand 14.03.2016). Entsprechendes gilt für Auszubildende, die eine nach §§ 51, 57 oder 58 SGB III förderungsfähige Ausbildung absolvieren und als Ausländer auf Grund der in § 59 Abs. 1 SGB III angeordneten entsprechenden Anwendung der Absätze 1, 2, 4 und 5 des § 8 BAföG (ausgenommen wiederum Fälle des § 59 Abs. 2, Abs. 3 SGB III), wegen bereits abgeschlossener Erstausbildung nach § 57 Abs. 2 Satz 2 SGB III oder wegen der vorzeitigen Lösung eines vorangegangenen Ausbildungsverhältnisses nach § 57 Abs. 3 SGB III keinen Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe haben.

540

Der Leistungsausschluss betrifft demnach auch Personen, die keine Ausbildungsförderungsleistungen nach dem SGB III oder nach dem BAföG erhalten, unabhängig davon, ob und in welcher Höhe sie über Einkommen oder Vermögen verfügen.

541

2.2. Vom Leistungsausschluss ausgenommen sind gemäß § 27 Abs. 2 SGB II Mehrbedarfe bei Schwangerschaft (§ 21 Abs. 2 SGB II), für Alleinerziehende (§ 21 Abs. 3 SGB II), bei kostenaufwändiger Ernährung aus medizinischen Gründen (§ 21 Abs. 5 SGB II), bei unabweisbaren, laufenden, besonderen Bedarfen (§ 21 Abs. 6 SGB II) und der Sonderbedarf für Erstausstattungen für Bekleidung und bei Schwangerschaft und Geburt (§ 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB II), soweit diese nicht durch zu berücksichtigendes Einkommen oder Vermögen gedeckt sind.

542

2.3 Nach näherer Maßgabe des § 27 Abs. 3 SGB II erhalten vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 5 SGB II betroffene Auszubildende einen Zuschuss zu ihren ungedeckten, angemessenen Unterkunfts- und Heizungskosten, wenn sie Berufsausbildungsbeihilfe oder Ausbildungsgeld nach dem SGB III oder Leistungen nach dem BAföG beziehen oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht beziehen. Personen, die einem individuellen Leistungsausschlussgrund nach dem SGB III oder nach dem BAföG unterliegen, haben diesen Anspruch nicht.

543

2.4 Nach § 27 Abs. 4 SGB II können Personen, die vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 5 SGB II betroffen sind, bei Vorliegen einer besonderen Härte Leistungen als Darlehen für Regelbedarfe, Bedarfe für Unterkunft und Heizung und notwendige Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung erbracht werden. Die Gewährung der Leistungen steht im Ermessen der Behörde. Zu der Frage, unter welchen Umständen eine „besondere Härte“ vorliegt, hat das BSG bislang drei Fallgruppen entwickelt (BSG, Beschluss vom 23.08.2012 – B 4 AS 32/12 B – Rn. 20):

544

- Es ist wegen einer Ausbildungssituation Hilfebedarf entstanden, der nicht durch BAföG oder Berufsausbildungsbeihilfe gedeckt werden kann und es besteht deswegen begründeter Anlass für die Annahme, dass die vor dem Abschluss stehende Ausbildung nicht beendet werden kann und das Risiko zukünftiger Erwerbslosigkeit droht.

545

- Die bereits weit fortgeschrittene und bisher kontinuierlich betriebene Ausbildung ist aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls wegen einer Behinderung oder Krankheit gefährdet.

546

- Eine nach den Vorschriften des BAföG förderungsfähige Ausbildung stellt objektiv belegbar die einzige Zugangsmöglichkeit zum Arbeitsmarkt dar.

547

2.5 Gemäß § 27 Abs. 5 SGB II können unter den Voraussetzungen des § 22 Abs. 8 SGB II (Sicherung der Unterkunft oder Behebung einer vergleichbaren Notlage) nach Ermessen der Behörde Schulden übernommen werden.

548

3. Die vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 5 SGB II betroffenen Personen sind Grundrechtsträger und können hilfebedürftig im verfassungsrechtlichen Sinne sein.

549

Es handelt sich um Menschen (s.o. unter I.7.1), die sich, um von § 7 Abs. 5 SGB II überhaupt betroffen sein zu können, in Deutschland tatsächlich aufhalten (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II) und im einfachrechtlichen Sinne hilfebedürftig sein (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II) müssen. Der „gewöhnliche Aufenthalt“ schließt den regelmäßigen tatsächlichen Aufenthalt in Deutschland (s.o. unter I.7.2) logisch mit ein.

550

Die Grundrechtsrelevanz der Regelung wird nicht dadurch beseitigt, dass in Folge von Freibetrags- und Ausnahmeregelungen bei der Berücksichtigung von Einkommen und Schonvermögensregelungen auch Personen die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfüllen und vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II betroffen sein können, deren Existenzsicherung nicht akut gefährdet ist, bei denen der Leistungsausschluss also nicht mit einer individuellen Grundrechtsverletzung einhergeht. Denn der Leistungsausschluss betrifft jedenfalls auch Personen, die ihr materielles Existenzminimum nicht aus eigener Kraft sichern können und deshalb im verfassungsrechtlichen Sinne hilfebedürftig sind (s.o. unter II.3).

551

Irrelevant ist auch der Umstand, dass vom Leistungsausschluss durch Einbeziehung von nach § 58 SGB III förderungsfähigen Ausbildungen auch Personen erfasst sind, die sich zumindest zeitweise im Ausland aufhalten und in dieser Zeit die (verfassungsrechtliche) Anspruchsvoraussetzung des tatsächlichen Aufenthalts im Inland nicht erfüllen (s.o. unter I.7.2). In vielen Fällen dürften die betroffenen Personen bereits mangels gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II haben.

552

4. Für den vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 5 SGB II betroffenen Personenkreis fehlt es bereits an einem formell-gesetzlichen Anspruch auf Leistungen zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (s.o. unter I.9.2). In Folge dessen ist § 7 Abs. 5 SGB II verfassungswidrig.

553

4.1 Nach der die zweite Vorlagefrage betreffenden Regelung des § 7 Abs. 5 SGB II besteht kein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Die hierfür vorgesehenen Ausnahmeregelungen sind für einen erheblichen Teil des betroffenen Personenkreises nicht einschlägig.

554

4.1.1 Die obligatorischen Ausnahmereglungen des § 7 Abs. 6 SGB II gelten nur für die dort aufgeführten Lebenssituationen.

555

4.1.2 Die Leistungen nach § 27 Abs. 2 SGB II decken nur Mehrbedarfe, nicht jedoch den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und die Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Sie sind daher evident nicht dazu geeignet, das Existenzminimum zu gewährleisten. Leistungen nach § 27 Abs. 3 SGB II sind lediglich ergänzend zu Leistungen nach dem BAföG oder nach dem SGB III zu erbringen. Die Personen, die von den Leistungsausschlusstatbeständen des BAföG oder des SGB III betroffen sind, profitieren hiervon nicht.

556

4.1.3 Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist auch nicht deshalb gewahrt, weil das Gesetz in § 27 Abs. 4 SGB II die Möglichkeit vorsieht, dass bei Vorliegen einer besonderen Härte Leistungen als Darlehen für Regelbedarfe, Bedarfe für Unterkunft und Heizung und notwendige Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung erbracht werden können.

557

Die nach 27 Abs. 4 SGB II bestehende Möglichkeit, in besonderen Härtefällen Darlehen für Regelbedarfe, Bedarfe für Unterkunft und Heizung und notwendige Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zu erhalten, stattet den betroffenen Personenkreis nicht mit dem verfassungsrechtlich geforderten formell-gesetzlichen Anspruch aus, weil der zuständigen Behörde ein Ermessen nicht nur über Art und Höhe, sondern auch über das „Ob“ der Leistung eingeräumt wird (s.o. unter I.9.2 und unter I.9.3).

558

Auf Grund der Verwendung des (besonders) unbestimmten Rechtsbegriffs der „besondere(n) Härte“ (vgl. BSG, Urteil vom 30.09.2008 – B 4 AS 28/07 R – Rn. 20 ff.; BSG, Urteil vom 01.07.2009 – B 4 AS 67/08 R – Rn. 17 ff.; BSG, Beschluss vom 23.08.2012 – B 4 AS 32/12 B – Rn. 20) als Leistungsvoraussetzung und der Einräumung von Ermessen ist diese Vorschrift zudem wegen ihrer nicht ausreichenden Bestimmtheit zur verfassungskonformen Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ungeeignet (s.o. unter I.9.3). Auf Grund der Verwendung des Begriffspaares „besondere Härte“ lässt sich keine hinreichend sichere Verbindung zwischen einer gesetzgeberischen Entscheidung zur Einräumung eines Anspruchs auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums zur Umsetzung in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis ziehen. Es zeigt sich gerade in der Verwendung dieser Begriffe, dass eine flächendeckende Gewährleistung des Existenzminimums für den betroffenen Personenkreis nicht Ziel der Regelung ist.

559

4.2 Kompensationsmöglichkeiten in anderen Leistungssystemen bestehen nicht.

560

a) Auf Leistungen nach dem SGB XII kann bereits deshalb nicht zurückgegriffen werden, weil der betroffene Personenkreis – anders als im Falle des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II – nicht im Sinne des § 21 Satz 1 SGB XII dem Grunde nach von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II betrifft nur die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Sinne der §§ 19 ff. SGB II (exklusive Mehrbedarfe und ggf. Beiträge). Für Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach dem 1. Abschnitt des 3. Kapitels gilt der Leistungsausschluss nicht (so auch Wolff-Dellen in Löns/Herold-Tews, § 7 Rn. 54, 3. Auflage 2011). Die vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 5 SGB II betroffenen Personen sind demnach dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II und in Folge dessen gemäß § 21 Satz 1 SGB XII von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII ausgeschlossen.

561

Im Übrigen ist für die Leistungen nach dem 3. und 4. Kapitel des SGB XII in § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ein gleichgerichteter Ausschlusstatbestand enthalten. Ein wesentlicher Unterschied zum SGB II besteht hier nur insofern, als gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII in besonderen Härtefällen Leistungen auch als Beihilfe und nicht nur als Darlehen erbracht werden können.

562

b) Leistungen der Ausbildungsförderung nach dem BAföG und Leistungen der Berufsausbildungsbeihilfe dem SGB III erhalten nur diejenigen Personen, die eine förderungsfähige Ausbildung absolvieren und keinen individuellen Ausschlusstatbestand erfüllen (s.o. unter 2.1). In Fällen des Anspruchsausschlusses wegen bereits abgeschlossener Erstausbildung (§ 57 Abs. 2 SGB III) oder der vorzeitigen Lösung eines vorangegangenen Ausbildungsverhältnisses (§ 57 Abs. 3 SGB III) besteht nur unter weiteren Voraussetzungen die Möglichkeit, Leistungen der Berufsausbildungsbeihilfe im Ermessenswege zu erbringen.

563

5. Die durch den Leistungsausschluss des § 7 Abs. 5 SGB II unterbliebene Grundrechtsverwirklichung und die somit verfassungsrechtlich defizitäre Gestaltung einfachen Rechts, kann nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden.

564

5.1 Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums darf nicht eingeschränkt werden, denn es gewährleistet gerade das Mindestmaß dessen, was jeder Mensch beanspruchen kann. Das Grundrecht ist dem Grunde nach unverfügbar (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 133). Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 137). Die Unverfügbarkeit resultiert aus der Fundierung des Grundrechts in der Menschenwürdegarantie (zum Ganzen s.o. unter I.6). Der Mensch kann seinen Achtungsanspruch nach Art. 1 Abs. 1 GG nicht verwirken, auch nicht durch selbst zu verantwortende Handlungen oder Unterlassungen, so dass jeder mögliche sachliche Anknüpfungspunkt für eine gesetzliche Einschränkung hieraus resultierender Ansprüche entfällt.

565

a) Gesetzliche Leistungsausschlüsse dem Grunde nach – wie in § 7 Abs. 5 SGB II geregelt – bei Personen, die die Anspruchsvoraussetzungen für das Grundrecht erfüllen, sind deshalb per se verfassungswidrig und einer Rechtfertigung von vornherein nicht zugänglich. Dementsprechend kann eine derartige Einschränkung auch nicht auf Zumutbarkeitserwägungen oder Verhältnismäßigkeitsprüfungen gleich welcher Art gestützt werden. Eine Einschränkungsbefugnis im Sinne des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG besteht nicht.

566

Hieraus folgt, dass das einfache Recht Leistungsausschlüsse nur in Fällen vorsehen darf, in denen mindestens eine der (neben dem Menschsein) zwei Anspruchsvoraussetzungen für das Grundrecht nicht vorliegt, also kein Aufenthalt im Inland gegeben ist (s.o. unter I.7.2) und/oder keine Hilfebedürftigkeit im verfassungsrechtlichen Sinne vorliegt (s.o. unter I.7.3). Leistungseinschränkungen sind bei Vorliegen dieser Anspruchsvoraussetzungen nur zulässig, soweit auf der zweiten Ebene der Grundrechtskonkretisierung, der gesetzlichen Fixierung des konkreten Leistungsanspruchs, im Vergleich zu den gesetzlich ausformulierten Mindestanforderungen ein quantitativer oder qualitativer Spielraum besteht, der eine tragfähig begründbare Differenzierung erlaubt.

567

Auf der ersten Ebene der Grundrechtskonkretisierung kommt eine Differenzierung nur auf Grund abweichender Bedarfslagen in Betracht (vgl. BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 – Rn. 73; s.o. unter I.9.4). Das hiernach bestimmte Existenzminimum muss jedoch auch dann durch staatliche Sozialleistungen gewährleistet werden, wenn bestehende Selbsthilfemöglichkeiten (z.B. Aufnahme einer Erwerbstätigkeit) tatsächlich nicht genutzt werden, gleich aus welchem Grund.

568

b) Bei dem vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 5 SGB II betroffenen Personenkreis können alle Anspruchsvoraussetzungen für das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums gegeben sein. Sie halten sich – definitionsgemäß, § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II – im Inland auf und sind im Sinne der §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 SGB II hilfebedürftig, was Fälle der Hilfebedürftigkeit im verfassungsrechtlichen Sinne (s.o. unter I.7.3) notwendig einschließt. Die Regelung ist daher – unabhängig davon, dass in Einzelfällen eine individuelle Grundrechtsverletzung auch fehlen kann – verfassungswidrig.

569

5.2 Der zur Rechtfertigung des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 5 SGB II regelmäßig angeführte Zweck, eine (verdeckte) Ausbildungsförderung durch Leistungen nach dem SGB II zu verhindern, insbesondere unter Umgehung der dortigen Anspruchsvoraussetzungen und der unter Umständen niedrigeren Leistungshöhe (BSG, Urteil vom 19.08.2010 – B 14 AS 24/09 R – Rn. 15; BSG, Urteil vom 22.08.2012 – B 14 AS 197/11 R – Rn. 13; BSG, Urteil vom 17.02.2015 – B 14 AS 25/14 R – Rn. 21; BSG, Urteil vom 17.02.2016 – B 4 AS 2/15 R – Rn. 23; vgl. auch LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 12.02.2010 – L 1 SO 84/09 – Rn- 38; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 11.06.2013 – L 2 AS 1518/12 – Rn. 26) ist nicht geeignet, den Leistungsausschluss zu legitimieren. Die hierin zum Ausdruck kommenden bildungspolitischen Zielsetzungen mögen als solche legitim sein und zu hochschul- oder berufsbildungsrechtlichen Maßnahmen berechtigen, sie stehen aber nicht in einem inhaltlich-argumentativen Zusammenhang mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Die Ausbildungsförderungssysteme des SGB III und des BAföG sind nicht so ausgestaltet, dass sie allen hilfebedürftigen Auszubildenden einen Leistungsanspruch zur Verfügung stellten, der zur Deckung des existenznotwendigen Bedarfs geeignet wäre.

570

Es ist kein verfassungsrechtliches Argument ersichtlich, weshalb bestimmten Personen allein auf Grund dessen, dass sie eine Ausbildung oder ein Studium absolvieren, kein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums zustehen sollte, gilt dies doch im Übrigen für alle hilfebedürftigen Menschen, die sich tatsächlich im Inland aufhalten (s.o. unter I.7). Das immer weder vorgebrachte Argument, keine zweite Ebene der Ausbildungsförderung durch Fürsorgeleistungen schaffen zu wollen, lenkt den Blick auf die von den betroffenen Personen ausgeübten Aktivitäten und vernachlässigt deren sonstige Lebensumstände. Hierzu trägt die missverständliche Rede vom „ausbildungsgeprägten Bedarf“ (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18.07.1994 – 5 B 25/94 – Rn. 5 f. m.w.N.) bei, der auch den allgemeinen Lebensunterhalt umfassen soll, obwohl dieser tatsächlich im Wesentlichen nicht wegen der Ausbildung, sondern auf Grund fundamentaler menschlicher Bedürfnisse gedeckt werden muss. Die durch das Existenzsicherungsgrundrecht zu sichernden grundlegenden Bedürfnisse des Menschen bestehen unabhängig davon, welchen Aktivitäten die betroffene Person konkret nachgeht.

571

Hinter den Rechtfertigungsversuchen mag die Befürchtung stehen, dass ein Leben am materiellen Existenzminimum, aber mit vergleichsweise breitem Zugang zu Bildung und sozialer Teilhabe, wie es dem Hochschulstudium zugeschrieben wird, für so viele Menschen attraktiv sein könnte, dass sich hieraus entweder ein Ressourcenverteilungsproblem insbesondere an Hochschulen ergeben oder Anreize zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit an Stelle des Studiums oder an Stelle einer nicht bedarfsdeckenden Ausbildung zu gering werden könnten. Unabhängig von der Plausibilität solcher Erwägungen wären hierin zum Ausdruck kommende staatliche oder kollektive Interessen aber von vornherein nicht dazu geeignet, Einschränkungen des unverfügbaren individuellen Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums zu rechtfertigen.

572

5.3 Das Argument, dass es den vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 5 SGB II Betroffenen regelmäßig zumutbar sei, ihre Ausbildung oder ihr Studium abzubrechen, um den Leistungsausschlussgrund zu beseitigen, taugt zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bereits deshalb nicht, weil das Grundrecht nicht unter einer Einschränkungsbefugnis steht.

573

Der Ausbildungsabbruch stellt keine Selbsthilfemöglichkeit dar, so dass es auf dessen Zumutbarkeit nicht ankommt. Durch den Abbruch der Ausbildung oder des Studiums wird die Hilfebedürftigkeit weder beseitigt noch verringert. Gerade die in Folge des Abbruchs bei Wegfall des Ausschlusstatbestands zu erbringende existenzsichernde Sozialleistung belegt nicht den Wegfall der Hilfebedürftigkeit, sondern ist die leistungsrechtliche Konsequenz ihres Fortbestehens.

574

Der Ausbildungsabbruch kann im Einzelfall sogar zu einer Vergrößerung der Hilfebedürftigkeit führen, wenn beispielsweise eine nicht bedarfsdeckende, aber bedarfsmindernde Ausbildungsvergütung gezahlt wird oder eine nicht bedarfsdeckend vergütete Nebentätigkeit rechtlich oder tatsächlich mit dem Studierendenstatus verknüpft ist.

575

Durch den Ausbildungsabbruch selbst erschließen sich den betroffenen Personen auch nicht notwendigerweise andere Selbsthilfeoptionen, beispielsweise durch Arbeitsangebote. Derartige Selbsthilfeoptionen sind zudem nicht zwangsläufig mit einem Abbruch der Ausbildung oder des Studiums verbunden (z.B. Nebentätigkeiten). Ob die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit neben der Ausbildung oder an Stelle der Ausbildung möglich und zumutbar ist, um die Hilfebedürftigkeit zu beseitigen oder zu verringern, ist eine hiervon zu unterscheidende Frage, die nach der aktuellen Gesetzeslage im Zusammenhang mit der Verhängung von Sanktionen relevant werden könnte (vgl. § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II). Allein die für sich genommen plausible Annahme, dass die Durchführung einer Ausbildung oder eines Studiums im Einzelfall ein psychologisches Hindernis für die Aufnahme einer bedürftigkeitsverringernden Erwerbstätigkeit sein kann, ist nicht dazu geeignet, eine Rechtfertigung dafür zu bieten, allen abstrakt sich in einer solchen Situation befindlichen Personen keine existenzsichernden Leistungen zu gewähren.

576

Demzufolge ist auch der Hinweis des BVerfG auf die in § 2 Abs. 2 Satz 2 SGB II geregelte Obliegenheit für erwerbsfähige Leistungsberechtigte, ihre Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhalts einzusetzen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 08.10.2014 – 1 BvR 886/11 – Rn. 13), nicht zur Rechtfertigung des Leistungsausschlusses geeignet.

577

5.4 Die in den Nichtannahmebeschlüssen des BVerfG vom 03.09.2014 (1 BvR 1768/11) und vom 08.10.2014 (1 BvR 886/11) weiter geäußerte Auffassung, der Leistungsausschluss von Auszubildenden in § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II a.F. verletze das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht, da existenzielle Bedarfe, soweit sie durch die Ausbildung entstünden, vorrangig durch Leistungen nach dem BAföG beziehungsweise nach dem SGB III gedeckt würden (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 08.10.2014 - 1 BvR 886/11 - Rn. 13), obwohl diese Leistungssysteme bedarfsunabhängige Ausschlussgründe vorsehen, stellt daher einen nicht ohne Weiteres nachvollziehbaren Bruch mit der zuerst im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) entwickelten Dogmatik dar. Es lässt sich den Entscheidungsbegründungen nicht entnehmen, inwiefern die zur Voraussetzung der Gewährung existenzsichernder Leistungen gemachte Verhaltenserwartung des Abbruchs der Ausbildung oder des Studiums mit der behaupteten Unverfügbarkeit des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar sein könnte. Es ist auch auf Grund dieser Beschlüsse des BVerfG nicht ersichtlich, weshalb allein der Umstand, dass eine Person eine abstrakt förderungsfähige, aber konkret nicht geförderte Ausbildung durchführt, die Vorenthaltung von Leistungen zur Gewährung des Existenzminimums rechtfertigen können sollte.

578

Soweit das BVerfG darauf abstellt, § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II a.F. konkretisiere den Nachrang gegenüber vorrangigen besonderen Sozialleistungssystemen zur Sicherung des Lebensunterhalts und der Gesetzgeber gehe im Rahmen seines Gestaltungsspielraums in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon aus, dass das menschenwürdige Existenzminimum, soweit eine durch die Ausbildung bedingte Bedarfslage entstanden sei, vorrangig durch Leistungen nach dem BAföG beziehungsweise dem SGB III zu decken sei (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 03.09.2014 – 1 BvR 1768/11 – Rn. 22), vermag dies nicht zu überzeugen. Unter einer nachrangigen Leistung ist eine Leistung zu verstehen, die nur dann zum Zuge kommt, wenn eine vorrangige Leistung nicht greift (vgl. § 104 SGB X und § 2 Abs. 1 SGB XII; zum Begriff und zur Wiederherstellung des Nachrangs in SGB XII und SGB II vgl. Kunkel in Klinger/Kunkel/Pattar/Peters, Existenzsicherungsrecht, 3. Auflage 2012, S. 91 ff., und Pattar in Klinger/Kunkel/Pattar/Peters, Existenzsicherungsrecht, 3. Auflage 2012, S. 263 ff.). In § 7 Abs. 5 SGB II ist hingegen geregelt, dass eine Leistung unabhängig davon nicht erbracht wird, ob eine anderweitige Leistungspflicht tatsächlich besteht. Deshalb geht auch das Argument des 4. Senats des BSG fehl, es sollten nicht mehrere Träger zur Deckung ein und desselben Bedarfes zuständig sein (BSG, Urteil vom 02.04.2014 – B 4 AS 26/13 – Rn. 18).

579

In diesem Sinne nachrangig sind die Leistungen nach dem SGB II hingegen beispielsweise im Verhältnis zu Leistungen nach dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz (AFBG), nicht jedoch im Verhältnis zu Leistungen nach dem BAföG (vgl. Thie in: LPK-SGB II, 5. Auflage 2013, § 7 Rn. 112).

580

Warum es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei, dass der Gesetzgeber von der – für bestimmte Fallgruppen offensichtlich unzutreffenden – Annahme ausgehe, dass das menschenwürdige Existenzminimum vorrangig durch Leistungen nach dem BAföG bzw. nach dem SGB III zu decken sei, erörtert das BVerfG nicht näher.

581

Mit dem Verweis auf eine denkbare Verletzung der teilhaberechtlichen Dimension des Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 03.09.2014 – 1 BvR 1768/11 – Rn. 23 f.BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 08.10.2014 – 1 BvR 886/11 – Rn. 14) lässt sich weder die fehlende Existenzsicherung rechtfertigen, noch eine Beschränkung der verfassungsrechtlichen Prüfung auf die jeweiligen Ausschlussvorschriften im BAföG bzw. im SGB III begründen. Es ist kein rechtssystematischer Grund dafür ersichtlich, warum eine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bei Auszubildenden und Studierenden allein in Folge der Wirkung von Ausschlussvorschriften im BAföG oder im SGB III eintreten können sollte und nicht gleichfalls durch Ausschlussvorschriften im SGB II oder im SGB XII. Der Ausschluss von Leistungen wegen der Durchführung einer abstrakt förderungsfähigen Ausbildung im SGB II (oder im SGB XII) steht normhierarchisch auf einer Ebene mit dem Ausschluss von Leistungen beispielsweise wegen der Überschreitung der Altersgrenze im BAföG. Beide führen gleichermaßen dazu, dass zur Existenzsicherung grundsätzlich geeignete Leistungen nicht gewährt werden. Ein logisches Rangverhältnis zwischen beiden die Verfassung (möglicherweise) verletzenden Vorschriften besteht nicht, so dass kein Grund dafür erkennbar ist, nur eine von beiden Ausschlussvorschriften unter dem Blickwinkel des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums einer verfassungsrechtlichen Prüfung zu unterziehen. Dies gilt unabhängig davon, dass der Verfassungsverstoß durch verschiedene Maßnahmen beseitigt werden könnte (s.o. unter I.10).

582

5.5 Auch das Argument, dass, wenn jemand eine Ausbildung betreibt, obwohl er die Anspruchsvoraussetzungen des zur Förderung einer Ausbildung vorgesehenen Sozialleistungssystems nicht erfüllt, es sich um eine vom Auszubildenden selbst zu verantwortende Entscheidung handele, die nicht die Konsequenz haben könne, den Gesetzgeber zu verpflichten, auch während dieser Ausbildung Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts nach einem System (SGB II) zu gewähren (BSG, Urteil vom 06.09.2007 – B 14/7b AS 28/06 R – Rn. 29), ist zur Rechtfertigung des Leistungsausschlusses nicht geeignet.

583

In diesem Argument kommt der Sache nach nichts Anderes zum Ausdruck, als die unzutreffende Vorstellung, dass die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums einschränkbar sei. Denn erst hierdurch würde die Möglichkeit eröffnet, bestimmte Verhaltensweisen von Betroffenen, die nicht unmittelbar ihre Bedürftigkeit oder deren Überwindung betreffen, zum Gegenstand von Ausschlussregelungen zu machen. Eine derartige Einschränkung ist mit der aus der Menschenwürdegarantie abgeleiteten Annahme der Unverfügbarkeit des Grundrechts nicht vereinbar. Würde die zitierte Auffassung des BSG zutreffen, könnten Leistungsausschlüsse an jegliches unerwünschte Verhalten des Betroffenen anknüpfen, sofern hierin eine „selbst zu verantwortende Entscheidung“ erblickt werden kann und mit dem Ausschluss irgendwelche politischen Zwecke verfolgt werden. Dabei ist die Aufnahme oder Fortführung einer Ausbildung oder eines Studiums für sich genommen nicht einmal eine besonders verwerfliche oder vorwerfbare Handlung. Der hieraus resultierende Leistungsausschluss steht vielmehr sogar in einem gesetzlichen Zielkonflikt mit der sanktionsbewehrten Obliegenheit der Leistungsberechtigten, eine zumutbare Ausbildung aufzunehmen oder fortzuführen (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II).

584

Bei einer Verallgemeinerung der genannten Auffassung würden die Grundrechtsträger exakt zu jener Verhandlungsmasse der Staats- und Gemeinschaftszwecke, die die Fundierung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im Art. 1 Abs. 1 GG eigentlich verhindern soll (s.o. unter I.5.2).

585

6. Aus dem Umstand, dass der Leistungsausschluss an den Tatbestand nach anderen Leistungssystemen förderungsfähiger Ausbildungen anknüpft, folgt im Übrigen nicht, dass die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Ausschlussregelungen nur in den dortigen Systemen zu prüfen wäre. Die dortigen Ausschlussgründe stehen nicht in einem bestimmten Rangverhältnis zum Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 5 SGB II (s.o. unter I.10 und unter 5.4).

IV.

586

Die Regelungen des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II und des § 7 Abs. 5 SGB II sind zur Überzeugung der Kammer auf Grund des Verstoßes gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verfassungswidrig (s.o. unter II und III). Auf die Gültigkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II und des § 7 Abs. 5 SGB II kommt es im vorliegenden Verfahren an (s.o. unter A.IV). Das Gericht hat das Verfahren daher nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG über die Gültigkeit der Vorschriften einzuholen.

C.

587

Dieser Beschluss ist für die Beteiligten unanfechtbar.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

Tenor

Auf die Beschwerde der Beigeladenen wird der Beschluss des Sozialgerichts K. vom 27.02.2017 insoweit teilweise aufgehoben, als darin für den Zeitraum vom 05.02.2017 bis 21.02.2017 eine einstweilige Anordnung erlassen worden ist. Im Übrigen wird der Beschluss des Sozialgerichts K. vom 27.02.2017 abgeändert und anstelle der Beigeladenen der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit vom 22.02.2017 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 31.08.2017, vorläufig den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Der Antragsgegner hat die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Gründe

 
I.
Die Beteiligten streiten im Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes darum, ob und ggf. auf welcher Rechtsgrundlage (Sozialgesetzbuch Zweites Buch oder Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch ) der Antragsteller Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts hat und ob ein Anspruch sich gegen den Antragsgegner oder die Beigeladene richtet. Die Beschwerde der Beigeladenen richtet sich gegen ihre mit Beschluss des Sozialgerichts K. (SG) vom 27.02.2017 im Wege einer einstweiligen Anordnung ausgesprochene Verpflichtung, dem Antragsteller für die Zeit ab dem 05.02.2017 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 31.08.2017, vorläufig Hilfe zum Lebensunterhalt, nicht jedoch Leistungen für Unterkunft und Heizung, in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der am in M. (ehemaliges Jugoslawien, heutiges Bosnien-Herzegowina) geborene Antragsteller besitzt die kroatische Staatsangehörigkeit, hat nach seinen Angaben aber nie in Kroatien gelebt, sondern bis zu seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland im Juni 2015 nur in Bosnien-Herzegowina, wo heute noch seine Eltern und seine Schwester leben.
Er wohnt in einem angemieteten Zimmer in K. mit Gemeinschaftsküche und Gemeinschaftsbädern, für welches er insgesamt 400 EUR monatliche Miete zahlt, davon 300 EUR Kaltmiete und 100 EUR Nebenkostenpauschale (Mietvertrag vom 01.12.2015, Bl. 13 ff. Verwaltungsakte des Antragsgegners – VA).
Er war vom 01.08.2015 bis 31.01.2016 bei der Firma V. in W., einem Betrieb für Gartengestaltung, beschäftigt, wo er zum 31.01.2016 betriebsbedingt gekündigt wurde. Daran schlossen sich versicherungspflichtige Beschäftigungen bei der Zeitarbeitsfirma P. (vom 02.02.2016 bis 01.07.2016) als Produktionshelfer und zuletzt vom 25.07.2016 bis 04.08.2016 bei der P. Dienstleistung Agentur GmbH als Anlagenmechaniker (vgl. Arbeitsvertrag vom 22.07.2016, Bl. 97 ff. VA) an. Im Zuge einer Vorsprache am 01.08.2016 gab der Antragsteller laut Vermerk des zuständigen Sachbearbeiters des Antragsgegners (Bl. 81 VA) an, er rechne, da er erkrankt sei, mit einer Kündigung durch den Arbeitgeber. Auf der Kopie des Kündigungsschreibens vom 01.08.2016 (Bl. 111 VA) ist handschriftlich vermerkt, der Antragsteller sei krank und habe daher die Arbeit nicht weiter ausüben können.
Ausweislich des vom Antragsteller zur SG-Akte gereichten Entlassungsberichts des Städtischen Klinikums K. vom 02.05.2016 (Bl. 16 ff. SG-Akte) wurde bei ihm im Rahmen des stationären Krankenhausaufenthaltes vom 27.04.2016 bis 05.05.2016 eine Multiple Sklerose (im Folgenden: MS) a.e. vom schubförmigen Typ diagnostiziert. Er befand sich dort in Behandlung wegen einer seit einem halben Jahr bestehenden und in der Symptomatik zunehmenden Gangstörung und immer wieder auftretenden Kopfschmerzen. Bei der Aufnahmeuntersuchung bestand klinisch-neurologisch eine spastische Beinparese rechts. Nach Cortisontherapie wurde er in gebessertem Allgemeinzustand entlassen. Ausweislich des ebenfalls zur SG-Akte gereichten vorläufigen Abschlussberichts des Neurologischen Rehazentrums Q. in Bad W. vom 15.06.2016 konnten dort eine Verbesserung des Gehvermögens und des Allgemeinzustandes sowie eine psychische Stabilisierung erreicht werden. Der Antragsteller habe sich für eine immunmodulatorische Medikation mit Plegridy entschieden. Diese wolle er im Anschluss im ambulanten Rahmen beginnen. Wegen der erforderlichen medikamentösen Neueinstellung werde er zunächst arbeitsunfähig entlassen. Bei guter Verträglichkeit der Medikation bestehe danach volle Arbeitsfähigkeit für die bisherige Tätigkeit.
Einen ersten Antrag auf SGB II-Leistungen vom 21.01.2016 nahm der Antragsteller am 18.02.2016 zurück (Bl. 47 VA). Auf seinen erneuten Antrag vom 19.07.2016 bewilligte der Antragsgegner ihm mit Bescheid vom 12.08.2016 Bl. 121 VA) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von monatlich 682,29 EUR als vorläufige Leistungen für die Monate Juli und August 2016. Mit weiterem Bescheid vom 12.08.2016 bewilligte er dem Antragsteller für den Zeitraum vom 01.09.2016 bis zum 04.02.2017 SGB II-Leistungen in Höhe von monatlich insgesamt 813,29 EUR (404 EUR Regelbedarf, 400 EUR Kosten der Unterkunft und Heizung, 9,29 EUR Mehrbedarf bei dezentraler Warmwassererzeugung). Auf den Zeitraum vom 01.02.2017 bis 04.02.2017 entfielen anteilige Leistungen i.H.v. 108,44 EUR.
Im Weiterbewilligungsantrag vom 17.01.2017 gab der Antragsteller an, er erziele weiterhin kein Einkommen. Den Weiterbewilligungsantrag lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 18.01.2017 (Bl. 141 VA) ab. Er habe keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, weil sich sein Aufenthaltsrecht in Deutschland allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe. Hiergegen erhob er mit Schreiben vom 09.02.2017 (Eingang bei dem Antragsgegner am 15.02.2017) Widerspruch.
Zur Begründung des am 22.02.2017 beim SG erhobenen Eilrechtsschutzantrages hat der Antragsteller ausgeführt, dass während der Rehabilitationsmaßnahme festgelegt worden sei, dass die Behandlung seiner MS-Erkrankung mit einer Injektionstherapie fortgesetzt werde. Er müsse sich pegyliertes Interferon beta-1a selbst alle 14 Tage reihum rechts in den Bauchbereich, danach in das rechte und linke Bein spritzen. Die Spritzen nähmen ihn so mit, dass er danach drei Tage lang völlig inaktiv sei und sich ausschließlich in der Wohnung aufhalten müsse. Er wolle in Deutschland bleiben und hoffe, dass er wieder arbeitsfähig werde, zumindest, um einen Minijob ausüben zu können. In Bosnien-Herzegowina habe er ebenfalls gearbeitet und sei dort krankenversichert gewesen. Diese Versicherung bestehe nicht mehr, so dass die medizinische Versorgung bereits aus diesem Grunde in der Heimat nicht gewährleistet sei.
Der Antragsgegner ist dem Antrag mit der Begründung entgegen getreten, dass nach weniger als einem Jahr Beschäftigung nach § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügigG/EU das Recht auf Freizügigkeit nur während der Dauer von sechs Monaten unberührt bleibe. Zwar sei anzunehmen, dass der Antragsteller seine Arbeitsstellen bei den verschiedenen Firmen stets unfreiwillig verloren habe, er sei jedoch nicht länger als ein Jahr beschäftigt und sei ab dem 04.02.2017 länger als sechs Monate arbeitslos. Damit beruhe sein Aufenthaltsrecht lediglich auf der Arbeitssuche in Deutschland nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügigG/EU. Nach dem Vortrag des Antragstellers dränge sich sogar der Verdacht auf, dass er sich nicht einmal zum Zweck der Arbeitssuche, sondern nur noch zum Zweck einer weiterhin kostenfreien Krankenbehandlung in Deutschland aufhalte. Er zweifle selbst an, ob er jemals wieder eine Beschäftigung aufnehmen könne. Insofern dürfte schon seine Erwerbsfähigkeit infrage zu stellen sein. Ein Daueraufenthaltsrecht genieße der Antragsteller nicht, da es sich noch nicht mindestens seit fünf Jahren rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten habe. Auch durch das Europäische Fürsorgeabkommen werde er als kroatischer Staatsbürger nicht begünstigt.
10 
Das SG hat am 23.02.2017 die Beiladung der Stadt K. bewirkt. Sie hat ausgeführt, dass falls der Antragsteller seit Ablauf des 04.02.2017 keinen Arbeitnehmerstatus mehr habe und sich sein Aufenthaltsrecht seither allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe, ab diesem Zeitpunkt ein Leistungsausschluss gegenüber dem Antragsgegner nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. b SGB II bestehe. Der dann gegenüber der Beigeladenen bestehende Leistungsanspruch sei allerdings erheblichen Einschränkungen unterworfen und auf eingeschränkte Hilfen für die Dauer von einem Monat beschränkt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (§ 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII). In Betracht kämen dann nur Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Ernährung sowie Körper-und Gesundheitspflege i.H.v. 177,00 EUR sowie Leistungen für Unterkunft und Heizung entsprechend dem bisherigen diesbezüglichen Leistungsumfang. Soweit tatsächlich Überbrückungsleistungen zu erbringen sein sollten, sei die Beigeladene bereit, den für die freiwillige Versicherung in der gesetzlichen Krankenkasse anfallenden Beitrag als Bedarf zu berücksichtigen. Eine Überbrückungsleistung für ärztliche Behandlungen oder zur Versorgung mit Arzneimitteln nach § 23 Abs. 3 Satz 5 Nr. 3 SGB XII sei dann nicht erforderlich. Diese Überbrückungsleistungen seien auf einen Zeitraum von einem Monat beschränkt. Zwar sehe § 23 Abs. 3 Satz 6 HS 2 SGB XII vor, dass Überbrückungsleistungen auch darüber hinaus erbracht werden könnten, allerdings nur zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage. Das Krankheitsbild des Antragstellers lasse aber eine solche zeitliche Befristung der Bedarfslage nicht erkennen. Es müsse daher bei der Begrenzung auf einen Monat für die Überbrückungsleistungen verbleiben. Es sei Sache des Antragstellers, innerhalb dieses Monats seine Rückreise nach Kroatien oder Bosnien-Herzegowina zu organisieren. Neben Überbrückungsleistungen würden, wenn der Antragsteller dies wünsche, die angemessenen Kosten der Rückreise als Darlehen übernommen (§ 23 Abs. 3 Buchst. a SGB XII).
11 
Mit Beschluss vom 27.02.2017 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den Antragsgegner abgelehnt, zugleich aber die Beigeladene im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit vom 05.02.2017 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 31.08.2017, vorläufig Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe zu gewähren. In den Gründen hat es ausgeführt, der Antragsteller sei gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sowohl als Arbeitssuchender als auch, wenn er keine Arbeit suche, als wirtschaftlich Inaktiver von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Dies ergebe sich aus der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), die den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II für arbeitssuchende Unionsbürger erst recht auf diejenigen Unionsbürger anwende, die sich ohne materielles Aufenthaltsrecht als wirtschaftlich Inaktive in Deutschland aufhielten. Ein auf § 43 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) gestützter Leistungsanspruch gegen den Antragsgegner als zuerst angegangenen Leistungsträger scheide hier mangels negativem Kompetenzkonflikt ebenfalls aus. Allerdings bestehe ein Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt in Form des Regelbedarfs nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII gegen die Beigeladene. Ausgehend von der ständigen Rechtsprechung des BSG stehe ihm nach summarischer Prüfung ein Leistungsanspruch zu, insbesondere halte sich der Antragsteller mehr als sechs Monate in Deutschland auf. Der Rechtsprechung des BSG folgend sei der Antragsteller nicht nach § 21 Satz 1 SGB XII von der Hilfe zum Lebensunterhalt ausgeschlossen, denn der Antragsteller sei, weil er dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II unterfalle, nicht dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II, weshalb er dem System des SGB XII zuzuweisen sei. Seine Erwerbsfähigkeit stehe dem nicht entgegen. Zwar finde sich in § 23 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB XII ein Leistungsausschluss, welcher in den Voraussetzungen identisch sei mit § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, so dass er auch im Fall des Antragstellers eingreife. Dieser könne sich als kroatischer Staatsangehöriger auch nicht auf das Europäische Fürsorgeabkommen berufen könne, da Kroatien kein Unterzeichnerstaat des Abkommens sei. Allerdings schließe § 23 Abs. 3 SGB XII nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nur Leistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII aus, auf welche ein Rechtsanspruch bestehe, nicht aber Leistungen der Sozialhilfe nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII als Ermessensleistungen. Dies folge beim tatsächlichen Aufenthalt eines Ausländers in Deutschland, gegen den ausländerbehördliche Maßnahmen nicht ergriffen würden, sondern dessen Aufenthalt faktisch geduldet werde, auch aus dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG. Dabei sei das Ermessen der Beigeladenen im Hinblick auf die Dauer des Aufenthalts des Antragstellers in der Bundesrepublik von mehr als sechs Monaten auf Null reduziert. Ab einem sechsmonatigen Aufenthalt in Deutschland gehe das Bundessozialgericht angesichts eines ausländerrechtlichen Vollzugsdefizits typisierend von einem verfestigten Aufenthaltsrecht aus. Hinsichtlich der ebenfalls beantragten Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung fehle es an einem Anordnungsgrund. Weder sei eine Kündigung des Mietverhältnisses noch eine Kündigungsandrohung glaubhaft gemacht worden. Ein Rückstand von einer Monatsmiete reiche nicht aus.
12 
Gegen diesen ihr am 23.02.2017 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Beschluss hat die Beigeladene beim Landessozialgericht Baden-Württemberg Beschwerde eingelegt. Das SG habe dem Antragsteller rückwirkend ab dem 05.02.2017 einstweiligen Rechtsschutz gewährt, obwohl dessen Antrag beim SG vom 22.02.2017 datiere. Dies sei nicht statthaft. Außerdem entstehe der Eindruck, dass das SG von der bis zum 31.12.2016 geltenden Rechtslage ausgegangen sei. § 23 Abs. 3 SGB XII sei jedoch zum 01.01.2017 neu gefasst worden. Es handele sich um eine legislative Reaktion auf die im angefochtenen Beschluss zitierte Rechtsprechung des BSG. Auf Basis der seit dem 01.01.2017 geltenden Gesetzeslage komme eine Leistungspflicht der Beigeladenen nur für einen Übergangszeitraum von einem Monat in Betracht.
13 
Die Beigeladene beantragt,
14 
den Beschluss des Sozialgerichts K. vom 27.02.2017 aufzuheben.
15 
Der Antragsteller und der Antragsgegner haben im Beschwerdeverfahren keine Anträge gestellt. Der Antragsteller hat darauf verwiesen, dass es sich bei den beiden Beschwerdegründen der Beigeladenen ausschließlich um Rechtsfragen handele. Eine eigene Stellungnahme sei nicht erforderlich. Der Antragsgegner hält den angefochtenen Beschluss des SG für zutreffend, soweit er nicht zur Zahlung von Leistungen nach dem SGB II verpflichtet worden sei.
16 
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten des Antragsgegners und die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
II.
17 
Die gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Beigeladenen ist statthaft und auch im Übrigen zulässig.
18 
Die Beschwerde der Beigeladenen ist auch begründet. Ein Anspruch des Antragstellers, ihm im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren, besteht nicht vor dem 22.02.2017. Zwar steht die Ausgestaltung der einstweiligen Anordnung, worauf das SG zutreffend hingewiesen hat, grundsätzlich im Ermessen des Gerichts (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO). Nach dem hier eingreifenden Grundsatz „ne ultra petita“ (vgl. § 123 SGG bzw. § 308 ZPO) darf ein Gericht aber nicht mehr zusprechen als beantragt ist (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 123 Rn. 4). Hier hat der anwaltlich vertretene Antragsteller erst am 22.02.2017 beim SG Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und in seiner Antragsschrift vom 22.02.2017 ausdrücklich beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller „ab sofort bis zur Entscheidung in der Hauptsache“ den Regelbedarf und den Bedarf für Unterkunft und Heizung zu gewähren. Auch aus dem weiteren Vortrag des Antragstellers lässt sich nicht entnehmen, dass er die rückwirkende Gewährung von Leistungen ab dem 05.02.2017 begehrt hat, was nur ausnahmsweise zulässig ist und der Glaubhaftmachung eines Nachholbedarfs bedarf (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.03.2007 – L 7 AS 1214/07 ER-B –, Rn. 5, juris). Der Ausspruch einer einstweiligen Anordnung im Zeitraum vom 05.02.2017 bis zum 21.02.2017 war hiernach aufzuheben.
19 
Der vom SG für den Zeitraum vom 22.02.2017 bis 31.08.2017 im Ergebnis zutreffend angenommene Anspruch des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Inhalt, ihm vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren, richtet sich nicht, wie das SG gemeint hat, gegen die Beigeladene, sondern gegen den Antragsgegner. Auch insoweit ist die Beschwerde der Beigeladenen begründet.
20 
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Ein Anordnungsgrund ist dann gegeben, wenn der Erlass der einstweiligen Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Dies ist der Fall, wenn es dem Antragssteller nach einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Keller in Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Auflage 2014, § 86b RdNr. 28). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Dabei begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage aufgrund einer summarischen Prüfung an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (BVerfG, 02.05.2005, 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237, 242). Allerdings sind die an die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrundes zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. BVerfG NJW 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (vgl. etwa LSG Baden-Württemberg v. 13.10.2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und v. 06.09.2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - jeweils unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG).
21 
Das SG hat unter Berücksichtigung des dargelegten Maßstabes für den Erlass einer einstweiligen Anordnung zutreffend dargelegt und begründet, warum nach summarischer Prüfung der Antragsteller, der nach seiner Übersiedelung in die Bundesrepublik Deutschland im Juni 2015 hier vom 01.08.2015 bis 31.01.2016, vom 02.02.2016 bis 01.07.2016 und zuletzt vom 25.07.2016 bis 04.08.2016 und damit in Summe weniger als ein Jahr gearbeitet hat, dem in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 normierten Leistungsausschluss unterfällt. Der Senat schließt sich diesen Ausführungen an, nimmt darauf Bezug und sieht von einer erneuten Wiedergabe ab (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).
22 
Zutreffend hat es auch die Rechtsprechung des BSG, welches in ständiger Rechtsprechung zum bis zum 28.12.2016 gültigen § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II (Urteile vom 03.12.2015, B 4 AS 44/15 R, Rn. 36 ff., vom 16.12.2015, B 14 AS 15/14 R, Rn. 36 ff., B 14 AS 18/14 R, Rn. 34 ff. und B 14 AS 33/14 R, Rn. 33 ff. sowie Urteile vom 20.1.2016, B 14 AS 15/15 R, Rn. 25 ff., B 14 AS 35/15 R, Rn. 32 ff., Urteil vom 17.02.2016, B 4 AS 24/14 R, Rn. 17 ff. und Urteil vom 17.03.2016 B 4 AS 32/15 R, Rn. 19, juris) einen Anspruch auf Existenzsicherung durch Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII in gesetzlicher Höhe gemäß § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII gegen den zuständigen Sozialhilfeträger angenommen hat, wiedergegeben. Hiernach steht § 21 Satz 1 SGB XII a.F. („alte“ Fassung bis zum 28.12.2016) der Anwendbarkeit des SGB XII durch den Leistungsausschluss in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von der Anwendbarkeit des SGB II ausgeschlossene Hilfebedürftige nicht entgegen. Auch das Eingreifen des § 23 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB XII a.F., wonach Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, sowie ihre Familienangehörigen keinen Anspruch auf Sozialhilfe haben, führt nach dieser Rechtsprechung nicht zum Ausschluss auch von Ermessensleistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII (BSG, Urteil vom 20. Januar 2016 – B 14 AS 35/15 R –, SozR 4-4200 § 7 Nr. 47, Rn. 34 ff.). Vielmehr hat das BSG mit der Verfestigung eines tatsächlichen, von der Ausländerbehörde faktisch geduldeten, Aufenthalts nach Ablauf von sechs Monaten eine Ermessensreduzierung auf Null für grundsätzlich im Ermessen stehende Ansprüche auf Sozialhilfe im Einzelfall nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII angenommen.
23 
Das SG hat aber, indem es dieser Rechtsprechung folgend im vorliegenden Fall nach summarischer Prüfung einen Anspruch nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII gegen die Beigeladene angenommen hat, unberücksichtigt gelassen, dass der Gesetzgeber als Reaktion auf diese Rechtsprechung mit dem Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vom 22. Dezember 2016 (AuslPersGrSiuSHRegG, BGBl. I S. 3155) die Leistungsausschlüsse in § 23 Abs. 3 SGB XII in der ab dem 29.12.2016 geltenden Fassung (n.F.) an diejenigen des SGB II angeglichen und zugleich bei Eingreifen eines Leistungsausschlusses einen Rückgriff auf die in § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII geregelten Ermessensleistungen im Einzelfall, wie vom BSG unter der bis zum 28.12.2016 geltenden Rechtslage in ständiger Rechtsprechung bei Eingreifen von Ausschlusstatbeständen praktiziert(vgl. z.B. BSG, Urteil vom 03.12.2015 – B 4 AS 44/15 R –, BSGE 120, 149-170, SozR 4-4200 § 7 Nr. 43, Rn. 51 f.), durch eine Neufassung des Wortlauts des § 23 Abs. 3 Satz 1 ausgeschlossen und zugleich klargestellt hat, dass nach seiner Vorstellung eine Verfestigung des Aufenthalts nicht bereits nach sechs Monaten, sondern erst nach fünf Jahren anzunehmen ist (BT-Drs. 18/10211, S. 2 und 16, § 23 Abs. 3 S. 7 bis 10 SGB XII).
24 
Zu Lasten des Antragstellers, der sich im hier streitigen Zeitraum von Februar bis Ende August 2017 deutlich länger als 6 Monate, aber, nachdem er erst im Juni 2015 eingereist ist, noch keine fünf Jahre in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, greift somit der in § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII n.F. normierte Leistungsausschluss ein, wonach keine Leistungen nach § 23 Abs. 1 oder dem Vierten Kapitel des SGB XII Ausländer erhalten, die, wie der Antragsteller, kein Aufenthaltsrecht haben oder bei denen sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Der Antragsteller ist nach eigenem Bekunden derzeit, seit Beendigung seiner letzten bis 04.08.2016 ausgeübten beruflichen Tätigkeit, infolge einer im Mai 2016 erstmals diagnostizierten MS-Erkrankung arbeitsunfähig und hat infolge dessen nach Ablauf der in § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU normierten 6-Monats-Frist sein Aufenthaltsrecht aus § 2 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU verloren. Er hält sich mithin inzwischen ohne materielles Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland auf, nachdem weder vorgetragen noch ersichtlich ist, dass er aktuell Arbeit sucht. Nachdem die Neufassung des § 23 Abs. 3 SGB XII Leistungen nach § 23 Abs. 1 SGB XII generell ausschließt, mithin auch Einzelfallleistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII, ist der zur alten Rechtslage (bis 28.12.2016) ergangenen Rechtsprechung des BSG nunmehr die normative Grundlage entzogen.
25 
Ob, in welcher Höhe und für welchen Zeitraum § 23 Abs. 3 S. 3 ff. SGB XII dem Antragsteller möglicherweise einen Anspruch auf Überbrückungsleistungen vermittelt, bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung, nachdem es der Senat nach summarischer Prüfung im Eilverfahren als glaubhaft gemacht ansieht, dass ein Leistungsanspruch des Antragstellers aus § 41a Abs. 7 S. 1 Nr. 1 SGB II gegenüber dem Antragsgegner besteht (vgl., allerdings mit anderer Begründung, Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 16.02.2017 – L 8 SO 344/16 B ER – juris, Rn. 34 ff.). Die Wahrscheinlichkeit für den Antragsteller, unter Berufung auf die genannte Norm in einem Hauptsacheverfahren gegenüber dem Antragsgegner zu obsiegen, ist jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt und nach der hier allein möglichen summarischen Prüfung nicht geringer einzuschätzen als diejenige, zu unterliegen. Auch ein vorläufiger Anspruch gegenüber dem Antragsgegner bewirkt nach § 21 Satz 1 SGB XII einen Leistungsausschluss gegenüber der Beigeladenen. Nach § 41a Abs. 7 S. 1 SGB II kann über die Erbringung von Geld- und Sachleistungen vorläufig entschieden werden, wenn die Vereinbarkeit einer Vorschrift dieses Buches, von der die Entscheidung über den Antrag abhängt, mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens bei dem Bundesverfassungsgericht oder dem Gerichtshof der Europäischen Union ist (Nr. 1) oder eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung Gegenstand eines Verfahrens beim Bundessozialgericht (Nr. 2) ist. Das SG Mainz hat dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Vorlagebeschluss vom 18.04.2016 (S 3 AS 149/16) die Frage vorgelegt, ob § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.05.2011 (Bundesgesetzblatt Teil I Nr. 23, Seite 857), mithin in der bis zum 28.12.2016 geltenden Fassung, mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG – Sozialstaatlichkeit – und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar ist. Zwar ist die Vorlage zu der alten, nur bis zum 28.12.2016 gültigen, Gesetzesfassung erfolgt, jedoch wurde § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II durch die Neuregelung (AuslPersGrSiuSHRegG) nur geringfügig, durch Einfügung der Buchstaben a) und c), geändert, so dass die Entscheidung des BVerfG mit einiger Wahrscheinlichkeit Auswirkungen auf den Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits haben kann. Die zum 29.12.2016 in Kraft getretene Änderung des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II schließt, und insoweit schließt sich der Senat der bereits zitierten Entscheidung des LSG Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 16.02.2017 – L 8 SO 344/16 B ER – juris, Rn. 39) an, zumindest die entsprechende Anwendbarkeit des § 41 Buchst. a Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 SGB II nicht aus, zumal der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II die Auffassung des BSG bestätigt hat, dass der Leistungsausschluss auch bei Fehlen eines materiellen Aufenthaltsrechts eingreift.
26 
Allerdings vermittelt § 41a Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 SGB II keinen unmittelbaren Anspruch auf vorläufige Leistungen, sondern stellt deren Gewährung in das Ermessen des Antragsgegners. Obwohl es sich mit Blick auf die Formulierung in § 41a Abs. 1 SGB II auch bei der Regelung in Absatz 7 nicht um eine reine Ermächtigungsnorm des Leistungsträgers zur Verwaltungsvereinbarung handelt, bedarf es daher für die Annahme eines Anspruchs des Antragstellers auf vorläufige Leistungen einer Verdichtung des Ermessens zu einem Anspruch im Wege der Ermessensreduzierung auf Null (vgl. BSG, Urteil vom 10.05.2011 – B 4 AS 139/10 R –, SozR 4-4200 § 11 Nr. 38, Rn. 16, zu § 40 Abs. 1 Nr. 1a SGB II in der bis 31.12.2010 geltenden Fassung i.V.m. § 328 Abs. 1 SGB III). Der Senat lässt in diesem Zusammenhang ausdrücklich offen, ob sich die Rechtsprechung des BSG zur Ermessensreduzierung auf Null im Rahmen des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII a.F. auf § 41a Abs. 7 SGB II übertragen lässt (so LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 16.02.2017 – L 8 SO 344/16 B ER – juris, Rn. 40). Der Umstand, dass der Gesetzgeber diese Rechtsprechung zum Anlass genommen hat gesetzlich klarzustellen, dass von einem „längeren verfestigten Aufenthalt“ nicht bereits nach 6 Monaten, sondern erst nach fünf Jahren auszugehen ist (vgl. § 7 Abs. 1 Sätze 4 und 5 SGB II n.F., ebenfalls die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 18/10211, S. 14), begründet hieran zumindest nach summarischer Prüfung erhebliche Zweifel.
27 
Der Antragsteller hat vorliegend allerdings Umstände im Einzelfall glaubhaft gemacht, die zumindest nach summarischer Prüfung im Eilverfahren geeignet erscheinen, eine Ermessensreduzierung auf Null und somit einen Anspruch auf vorläufige Leistungen aus § 41a Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 SGB II zu begründen. So wurde während eines rechtmäßigen Aufenthalts zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Mai 2016 beim Antragsteller erstmals eine Multiple Sklerose a.e. vom schubförmigen Typ diagnostiziert. Diese wird, wie er glaubhaft angegeben hat, derzeit ambulant mit pegyliertem Interferon beta-1a behandelt, welches er sich alle zwei Wochen selbst spritzt. Der Senat vermag, da dies im Eilverfahren nicht abschließend zu klären ist, nicht auszuschließen, dass es bei einem medizinisch nicht indizierten Abbruch dieser Therapie aufgrund äußerer Umstände zu einer Verschlechterung des Krankheitsbildes der MS kommt, mithin zu einer Beeinträchtigung von Leib und Leben des Antragstellers (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Der Antragsteller hat in seiner Antragsschrift glaubhaft erklärt, bei einer Rückkehr nach Bosnien-Herzegowina, wo er bis zuletzt vor seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland gelebt hat und wo sich seine Familie (Eltern und Schwester) aufhält, nicht mehr krankenversichert zu sein. Außerdem hat er glaubhaft dargelegt, dass seine Eltern Rentner mit einem umgerechneten Gesamteinkommen von pro Person rund 250,00 EUR monatlich sind, weshalb sie nach summarischer Prüfung ebenso wie der mittellose Antragsteller selbst nicht in der Lage wären, eine Fortführung der Therapie ohne eine Absicherung durch eine Krankenversicherung finanziell sicherzustellen. Die abschließende Tatsachenfeststellung diesbezüglich muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Gleiches gilt für die Frage, ob ein kroatischer Staatsbürger, der nach seinem Bekunden nie in Kroatien gelebt hat, grundsicherungsrechtlich darauf verwiesen werden kann, nach Ausbruch einer chronischen Krankheit in das Land einzureisen, dessen Staatsbürgerschaft er hat, um dort existenzsichernde Leistungen einschließlich Krankenfürsorge in Anspruch zu nehmen. Nachdem in § 7 Abs. 2 SGB II eine Härtefallregelung gänzlich fehlt und die in § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII n.F. neu geschaffene Härtefallregelung nach summarischer Prüfung im vorliegenden Fall nicht eingreift, da diese nach dem Wortlaut der Regelung nur zur Deckung zeitlich befristeter Bedarfslagen geschaffen wurde, der Antragsteller aber an einer MS als einer chronischen Erkrankung leidet, deren weiterer Verlauf sich jedenfalls nach summarischer Prüfung schwer voraussagen lässt, greift der Senat im Eilverfahren auf § 41a Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 SGB II als Anspruchsgrundlage zurück und sieht durch die genannten Umstände eine Ermessenreduzierung auf Null und infolge dessen einen Anspruch auf vorläufige Leistungen als hinreichend glaubhaft gemacht an. Schon zu der bis zum 28.12.2016 bestehenden Rechtslage hatte das BVerfG in einer aktuellen Entscheidung (Beschluss vom 14.02.2017 – 1 BvR 2507/16 –, juris, Rn. 19) ausgeführt, dass die entscheidungserheblichen Rechtsfragen zu einem Anspruch auf existenzsichernde Leistungen für nicht erwerbstätige, nicht ausreisepflichtige ausländische Staatsangehörige nach Normen des Zweiten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB II und SGB XII) schwierig und ungeklärt sind und dass in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes schwierige und umstrittene Rechtsfragen der Hauptsache in aller Regel keiner grundsätzlichen Klärung zugeführt werden können. So liegt der Fall auch hier.
28 
Zweifel an der Erwerbsfähigkeit des Antragstellers hat der Senat, anders als der Antragsgegner, nach summarischer Prüfung nicht, denn sowohl aus der Leistungsbeurteilung des vorläufigen Abschlussberichts des Neurologischen Rehazentrums Q. vom 15.06.2016 als auch den Schilderungen des Antragstellers über Einschränkungen des Allgemeinbefindens in den drei Tagen nach der Gabe der Interferonspritze lassen sich aktuell zwar zeitlich begrenzte Phasen der Arbeitsunfähigkeit ableiten, nicht aber eine dauernde Erwerbsminderung. Auch die übrigen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 7 Abs. 1, §§ 8 und 9 SGB II erfüllt der 43jährige, nach seinen glaubhaften Angaben weitgehend mittellose, Antragsteller.
29 
Einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU), den das SG verneint hat, hatte der Senat aufgrund des Umstandes, dass streitgegenständlich hier nur die Beschwerde der Beigeladenen gegen ihre Verurteilung zur vorläufigen Leistungen, beschränkt auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne KdU, ist und der Antragsteller sich nicht seinerseits gegen die Entscheidung des SG im Beschluss vom 27.02.2017 gewandt hat, nicht zu prüfen.
30 
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
31 
Diese Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).

Tenor

I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt im Eilverfahren Arbeitslosengeld II vom Antragsgegner. Er ist bulgarischer Staatsangehöriger mit einer Rechtsanwaltszulassung in Deutschland.

Der 1964 geborene Antragsteller war als Rechtsanwalt in Bulgarien tätig. Nach seinem Vortrag im Klageverfahren S 45 AS 836/15 reiste er im Oktober 2013 nach Deutschland ein. Er verfügt seit 07.11.2013 über eine Zulassung als Rechtsanwalt in Deutschland kraft europäischem Recht. Von Juni bis Dezember 2015 arbeitete der Antragsteller im Rahmen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung als Lagerarbeiter.

Der Antragsteller wohnt in A-Stadt in einer Mietwohnung mit drei Zimmern für insgesamt monatlich 1.000,- Euro Bruttowarmmiete. Ein schriftlicher Mietvertrag existiert nicht. Die Wohnung und die Kosten der Wohnung teilt er sich mit einer Mitbewohnerin.

Am 25.02.2016 beantragte der Antragsteller erstmals Leistungen beim Antragsgegner. Er arbeite seit Januar 2016 als Rechtsanwalt. Er habe Kanzleiräume gemietet. Büromaterial, Telefon, Porto etc. rechne er quartalsweise mit seinem Anwaltskollegen ab; bis Mitte März 2016 seien - ohne Miete - 98,52 Euro angefallen. Vorgelegt wurde ein Nachweis zu Beitragsrückständen in der Versorgungskammer. Mit Schreiben vom 25.04.2016 teilte der Antragsteller der gesetzlichen Krankenkasse mit, dass er seine Tätigkeit als Rechtsanwalt nur unregelmäßig ausübe und keine Einkünfte erziele. Mit Schreiben vom 22.07.2016 teilte er dem Antragsgegner mit, dass er mit seiner Tätigkeit 50,- Euro am 18.02.2016, 170,- Euro am 01.03.2016, 100,- Euro am 06.06.2016 und 100,- Euro am 09.06.2016 eingenommen habe. Der Antragsteller besucht nach seinen Angaben Sprachkurse für die deutsche Sprache.

Von Februar 2016 bis einschließlich Januar 2017 gewährte der Antragsgegner ihm vorläufig Arbeitslosengeld II von monatlich 904,- Euro (Bescheid vom 07.04.2016, Bescheid vom²9.07.2016).

Auf den Weitergewährungsantrag hin wurde das Antragsteller im Januar 2017 aufgefordert, Unterlagen zu der selbständigen Tätigkeit zu übermitteln. Der Antragsteller übersandte eine Aufstellung für das vierte Quartal 2016. Demnach hatte er 50,- Euro am 06.10.2015, 50,- Euro am 16.10.2016, 100,- Euro am 26.10.2016 und 200,- Euro am 12.12.2016 eingenommen bei einer monatlichen Miete von 416,50 Euro. Ferner legte er eine EKS für Februar bis Juli 2017 mit prognostizierten monatlichen Einnahmen von 135,- bis 185,- Euro, einer monatlichen Miete von 350,- Euro und monatlichen Verlusten von rund 300,- Euro.

Mit weiterem Schreiben vom 08.02.2017 wurde der Antragsteller aufgefordert, Nachweise zu Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben, eine vorläufige Gewinnermittlung für 2016, Kontoauszüge für das PayPal-Konto und das Konto bei einer weiteren Bank, die Anlage Vermögen (VM), eine Erklärung zur Notwendigkeit eines Büroraums, den Mietvertrag zum Büroraum, Nachweise zur Herkunft bestimmter Bareinzahlungen auf das Girokonto und Steuerbescheide/Steuererklärungen für 2015 und 2016 vorzulegen. Dem Antragsteller wurde für die Mitwirkung eine Frist bis 27.02.2017 gesetzt und auf die Rechtsfolge einer Versagung nach § 66 SGB I bei Nichtmitwirkung hingewiesen. Der Antragsteller übermittelte daraufhin nur die Anlage VM und Kontoauszüge zum PayPal-Konto.

Mit Bescheid vom 03.03.2017 versagte der Antragsgegner Leistungen wegen mangelnder Mitwirkung gemäß § 66 SGB I für die Zeit von 01.01.2017 bis 30.06.2017 vollständig. Es könne wegen der fehlenden Unterlagen nicht zweifelsfrei beurteilt werden, ob ein Leistungsanspruch bestehe. Die Mitwirkung sei zumutbar. Auch eine teilweise Bewilligung sei nicht möglich.

Der am 09.03.2017 eingelegte Widerspruch des Antragstellers, er habe die Unterlagen doch vorgelegt, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 24.04.2017 zurückgewiesen. Klage wurde dagegen noch nicht erhoben.

Bereits am 13.04.2017 stellte der Antragsteller beim Sozialgericht München einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Ihm stünde nach der Richtlinie 98/5/EG eine Frist von mindestens drei Jahren zu, sich an Sprache und Rechtssystem anzupassen. Er habe sich Geld bei Freunden und Bekannten leihen müssen für seinen Lebensunterhalt. Er habe kein Geld für Lebensmittel und Miete.

Der Antragsgegner wies darauf hin, dass ein automatischer Datenabgleich mit der Rentenversicherung ergeben habe, dass der Antragsteller seit 01.07.2015 einer geringfügigen Beschäftigung bei einem Herrn K. S. nachgehe, die er nicht mitgeteilt habe.

Auf detaillierte Fragen des Gerichts hin teilte der Antragsteller mit, dass er gegenüber der Rechtsanwaltskammer gemäß § 27 BRAO verpflichtet sei, eine eigene Anwaltskanzlei zu unterhalten. Er habe keine Praxisgemeinschaft mit dem Rechtsanwalt nebenan. Er sei bei Herrn K. S. nur bis Dezember 2015 geringfügig beschäftigt gewesen. Seit März 2017 werde die Wohnung zu dritt bewohnt. Er nehme am Wirtschaftsleben als Rechtsanwalt teil und sei nicht vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Dazu verwies er auf zwei Anzeigen, die er in einer Broschüre für Bulgaren in Bayern geschaltet habe. Der Antragsteller legte auch einen Untermietvertrag vor zu einem Büro in einer Baufirma von 12 qm mit einer Monatsmiete von 416,50 Euro.

Der Antragsteller beantragt,

den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, dem Antragsteller Arbeitslosengeld II von monatlich 904,- Euro ab Februar 2017 zu gewähren und Beiträge an die Sozialversicherung abzuführen.

Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzuweisen.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf die beigezogenen Akten des Antragsgegners und die Gerichtsakten S 45 AS 836/15 und S 46 AS 843/17 ER verwiesen.

II.

Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist zulässig, aber unbegründet. Der Widerspruch gegen den Versagungsbescheid entfaltet gemäß § 86a Abs. 1 SGG bis zum Ablauf der Klagefrist oder bei rechtzeitiger Klageerhebung die Klage darüber hinaus aufschiebende Wirkung, weil die Versagung von § 39 SGB II nicht erfasst wird (zur zweistufigen Prüfung bei einem Versagungsbescheid vgl. Bay LSG, Beschluss vom 21.04.2016, L 7 AS 160/16 B ER). Es besteht aber nach abschließender Prüfung des Sach- und Rechtslage kein Anordnungsanspruch für eine einstweilige Anordnung. Der Antragsteller ist von laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt in Form von Arbeitslosengeld II nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II und in Form von Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 23 Abs. 3 SGB XII ausgeschlossen.

Streitig sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit ab 01.02.2017.

Ob der Antragsteller hilfebedürftig im Sinn von § 9 SGB II oder § 19 SGB XII ist, vermag das Gericht nicht zu beurteilen. Es ist nicht nachvollziehbar, wie der nach seinen Angaben vermögenslose Antragsteller die Kosten seiner behaupteten selbständigen Tätigkeit (Büromiete von monatlich 416,50 Euro oder 350,- Euro, laufende Nebenkosten, Versicherung) und der Sprachkurse ohne sonstige Einnahmen trägt. Dass er seit Januar 2016 von Bekannten oder Verwandten diese Kosten als Darlehen bekommt, ist weder nachgewiesen noch glaubhaft. Eine angesichts dieses ungeklärten Sachverhalts denkbare verfassungsrechtliche Folgenabwägung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.09.2016, 1 BvR 1335/13 und BVerfG, Beschluss vom 27.07.2016, 1 BvR 1241/16) findet nicht statt, weil die Sach- und Rechtslage hinsichtlich des Leistungsausschlusses abschließend prüfbar ist und es auf die Frage der Hilfebedürftigkeit nicht ankommt.

Der Antragsteller verfügt allenfalls über ein Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitsuche nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU oder über kein Aufenthaltsrecht. Er ist daher nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2b SGB II von Leistungen des SGB II und nach § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XII von laufenden Leistungen der Sozialhilfe, namentlich Hilfe zum Lebensunterhalt, ausgeschlossen, beide Vorschriften in der ab 29.12.2016 gültigen Fassung.

Der Ausschluss nach § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII bezieht sich nach seinem eindeutigen Wortlaut sowohl auf die gebunden Leistungsansprüche nach § 23 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB XII als auch auf Ermessenssozialhilfe nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII (ebenso LSG Bayern, Beschluss vom 24.04.2017, L 8 SO 77/17 B ER, und LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13.02.2017, L 23 SO 30/17 B ER).

Ein Aufenthaltsrecht als Unionsbürger, der zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit berechtigt ist nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU, besteht nicht. Entgegen dem Wortlaut „… zur Ausübung einer selbständigen Tätigkeit berechtigt“ genügt es nicht, dass der Antragsteller über eine Zulassung als Rechtsanwalt verfügt. Es ist tatsächlich eine selbständige Erwerbstätigkeit auszuüben, die sich als Teilnahme am Wirtschaftsleben darstellt. Es muss eine wirtschaftliche Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung auf unbestimmte Zeit ausgeübt werde (BSG, Urteil vom 03.12.2015, B 4 AS 44/15 R, Rn. 28). Daran fehlt es hier.

Der Antragsteller verfügt lediglich über die Fassade einer Rechtsanwaltstätigkeit. Er nimmt nicht als niedergelassener Rechtsanwalt am Wirtschaftsleben teil. Die Ausgaben für das Büro fallen nur an, weil der Antragsteller dazu nach § 27 BRAO verpflichtet ist. Ob das Büro vom Antragsteller tatsächlich benutzt wird, ist unklar, weil der Antragsteller auf das Büro nirgends, auch nicht auch im Internet hinweist. So ist er etwa unter „Das Örtliche“ zwar mit seinem Namen genannt, nicht jedoch mit der Büroanschrift. Auch sonst tritt der Antragsteller mit seiner Tätigkeit nicht werbend auf. Die beiden Nachweise für Werbung in der Informationsbroschüre für Bulgaren datieren vom 12.02.2016 (Kleinanzeige für 20,- Euro) und vom 06.05.2017. Der Hinweis des Gerichts, dass es keine Hinweise auf die Rechtsanwaltstätigkeit des Antragstellers gebe, datiert vom 26.04.2017, so dass die nachfolgende Werbung vom 06.05.2017 nur als weiteres Stück einer Fassade einer Rechtsanwaltstätigkeit aufgefasst werden kann.

Die geringen Einnahmen, die der Antragsteller mitteilt, erreichen in keinem Monat auch nur die Hälfte der Miete. Im Durchschnitt sind es um die 100,- Euro im Monat, wobei auch Monate ohne jegliche Einnahmen vorhanden sind. Der Antragsteller berät gelegentlich und in großen Zeitabständen Landsleute wohl in rechtlichen Angelegenheiten. Ob hinter den geringen Einzahlungen anwaltliche Leistungen stehen, lässt sich nicht feststellen, weil der Antragsteller trotz der Aufforderung im Eilverfahren keine Nachweise dazu vorgelegt hat. Für eine tatsächliche nachhaltige Ausübung einer anwaltlichen Tätigkeit und eine Teilnahme am Wirtschaftsleben ist das deutlich zu wenig.

Der Antragsteller verfügt auch nicht über ein nachwirkendenes Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer nach § 2 Abs. 2 FreizügG/EU. Er war von Juni 2015 bis Dezember 2015 als Lagerarbeiter und wie im Laufe des Eilverfahrens bekannt wurde zugleich geringfügig in einem Privathaushalt erwerbstätig. Dies erzeugt nur einen sechs Monate nachwirkenden Status als Arbeitnehmer nach § 2 Abs. 3 S. 2 FreizügG/EU. Dieses Aufenthaltsrecht endete Mitte 2016.

Es besteht auch kein Leistungsanspruch kraft einer gewöhnlichen Aufenthalts von mindestens fünf Jahren in Deutschland nach § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II bzw. § 23 Abs. 3 S. 5 SGB XII. Der Antragsteller ist nach seinen Angaben im Oktober 2013 nach Deutschland gekommen.

Über Überbrückungsleistungen nach § 23 Ab. 3 S. 3 SGB XII war nicht zu entscheiden. Diese sind ein anderer Streitgegenstand als laufende Leistungen zu Lebensunterhalt und sie setzen nach Wortlaut, Systematik und Begründung des Gesetzgebers einen Ausreisewillen voraus, der beim Antragsteller erkennbar nicht vorliegt. Dies gilt auch für Härtefallleistungen nach § 23 Abs. 3 S. 6 SGB XII (Bay LSG, a.a.O.).

Es besteht auch kein Anspruch auf eine vorläufige Leistung nach § 41a Abs. 7 SGB II (so aber LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 16.02.2017, L 8 SO 344/16 B ER). Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen nicht vor. Nach § 41a Abs. 7 SGB II kann über eine Geldleistung vorläufig entschieden werden, wenn die Vereinbarkeit einer Vorschrift des SGB II, von der die Entscheidung über den Antrag abhängt, mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens beim Bundesverfassungsgericht oder EuGH ist oder eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung Gegenstand eines Verfahrens beim Bundessozialgericht ist. Entscheidungserheblich sind die ab 29.12.2016 gültigen Fassungen von § 7 Abs. 1 SGB II und § 23 SGB XII. Diese Normen sind nicht Gegenstand eines Verfahrens beim BVerfG, EuGH oder BSG.

Die vom LSG Niedersachsen-Bremen genannten Vorlagen des SG Mainz vom 18.04.2016, S 3 AS 149/16 und S 3 AS 99/14, betreffen den Leistungsausschluss für Auszubildende nach § 7 Abs. 5 SGB II, der hier nicht relevant ist und den das BVerfG nicht beanstandet hat (BVerfG, Beschluss vom 08.10.2014, 1 BvR 886/11) sowie den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II alter Fassung für usbekische Staatsangehörige, für die allerdings das BSG aufgrund längeren Aufenthalts einen unbedingten Anspruch auf Sozialhilfe in Form zum Lebensunterhalt bejahen würde. Wie diese Vorlagen für die Neufassung der Regelungen zum Ausschluss von Ausländern Bedeutung erlangen könnten, erschließt sich dem erkennenden Gericht nicht.

Das andere vom LSG Niedersachsen-Bremen genannte Verfahren am BSG, B 4 AS 7/16 R, wurde am 23.02.2017 ohne mündliche Verhandlung entschieden. Die Entscheidung ist noch nicht veröffentlicht. Es betraf eine polnische Staatsangehörige und das zweite Halbjahr 2007. Wie diese Entscheidung für das neue Recht entscheidungserheblich sein könnte, erschließt sich dem erkennenden Gericht nicht.

Der Leistungsausschluss ist auch nicht verfassungswidrig. Der Gesetzgeber durfte den Nachrang der deutschen Sozialleistungssystem gegenüber dem des Herkunftslandes in dieser Weise normieren (Bay LSG, a.a.O.).

Dass der Leistungsausschluss dem europäischen Recht entspricht, hat der EuGH in mehreren Entscheidungen deutlich gemacht.

Auch aus dem Nichtvollzug einer eventuell bestehenden Ausreiseverpflichtung kann kein Leistungsanspruch abgeleitet werden. Arbeitslosengeld II ist grundsätzlich keine ins Ausland zu exportierende Leistung (BSG, 10.01.2011, B 4 AS 14/10 R), so dass der bestehende Leistungsausschluss nur für Ausländer, die sich in Deutschland aufhalten, Sinn ergibt. Im Übrigen gibt es keinen Rechtsgrundsatz, dass die Nichtbefolgung einer Rechtspflicht einen Sozialleistungsanspruch begründet. Außerdem betrifft der strittige Leistungsausschluss ausdrücklich auch Fälle, in denen ein Aufenthaltsrecht besteht, das für den Leistungsbezug aber nicht ausreicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

(1) Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts besteht für jeden Kalendertag. Der Monat wird mit 30 Tagen berechnet. Stehen die Leistungen nicht für einen vollen Monat zu, wird die Leistung anteilig erbracht.

(2) Berechnungen werden auf zwei Dezimalstellen durchgeführt, wenn nichts Abweichendes bestimmt ist. Bei einer auf Dezimalstellen durchgeführten Berechnung wird die letzte Dezimalstelle um eins erhöht, wenn sich in der folgenden Dezimalstelle eine der Ziffern 5 bis 9 ergeben würde.

(3) Über den Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist in der Regel für ein Jahr zu entscheiden (Bewilligungszeitraum). Der Bewilligungszeitraum soll insbesondere in den Fällen regelmäßig auf sechs Monate verkürzt werden, in denen

1.
über den Leistungsanspruch vorläufig entschieden wird (§ 41a) oder
2.
die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung unangemessen sind.
Die Festlegung des Bewilligungszeitraums erfolgt einheitlich für die Entscheidung über die Leistungsansprüche aller Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft. Wird mit dem Bescheid über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht auch über die Leistungen zur Deckung der Bedarfe nach § 28 Absatz 2, 4, 6 und 7 entschieden, ist die oder der Leistungsberechtigte in dem Bescheid über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung über Leistungen zur Deckung der Bedarfe nach § 28 Absatz 2, 4, 6 und 7 gesondert erfolgt.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

(1) Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben unberührt. Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Die Einschränkungen nach Satz 1 gelten nicht für Ausländer, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind und sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten. Rechtsvorschriften, nach denen außer den in Satz 1 genannten Leistungen auch sonstige Sozialhilfe zu leisten ist oder geleistet werden soll, bleiben unberührt.

(2) Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes erhalten keine Leistungen der Sozialhilfe.

(3) Ausländer und ihre Familienangehörigen erhalten keine Leistungen nach Absatz 1 oder nach dem Vierten Kapitel, wenn

1.
sie weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt oder
3.
sie eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen.
Satz 1 Nummer 1 und 3 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Hilfebedürftigen Ausländern, die Satz 1 unterfallen, werden bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen); die Zweijahresfrist beginnt mit dem Erhalt der Überbrückungsleistungen nach Satz 3. Hierüber und über die Möglichkeit der Leistungen nach Absatz 3a sind die Leistungsberechtigten zu unterrichten. Die Überbrückungsleistungen umfassen:
1.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege,
2.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe nach § 35 und § 35a, einschließlich der Bedarfe nach § 30 Absatz 7,
3.
die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen und
4.
Leistungen nach § 50 Nummer 1 bis 3.
Soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, werden Leistungsberechtigten nach Satz 3 zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von Absatz 1 gewährt; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist. Abweichend von Satz 1 Nummer 2 erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach Absatz 1 Satz 1 und 2, wenn sie sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 7 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des tatsächlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Ausländerrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(3a) Neben den Überbrückungsleistungen werden auf Antrag auch die angemessenen Kosten der Rückreise übernommen. Satz 1 gilt entsprechend, soweit die Personen allein durch die angemessenen Kosten der Rückreise die in Absatz 3 Satz 5 Nummer 1 und 2 genannten Bedarfe nicht aus eigenen Mitteln oder mit Hilfe Dritter decken können. Die Leistung ist als Darlehen zu erbringen.

(4) Ausländer, denen Sozialhilfe geleistet wird, sind auf für sie zutreffende Rückführungs- und Weiterwanderungsprogramme hinzuweisen; in geeigneten Fällen ist auf eine Inanspruchnahme solcher Programme hinzuwirken.

(5) Hält sich ein Ausländer entgegen einer räumlichen Beschränkung im Bundesgebiet auf oder wählt er seinen Wohnsitz entgegen einer Wohnsitzauflage oder einer Wohnsitzregelung nach § 12a des Aufenthaltsgesetzes im Bundesgebiet, darf der für den Aufenthaltsort örtlich zuständige Träger nur die nach den Umständen des Einzelfalls gebotene Leistung erbringen. Unabweisbar geboten ist regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des Bedarfs für die Reise zu dem Wohnort, an dem ein Ausländer seinen Wohnsitz zu nehmen hat. In den Fällen des § 12a Absatz 1 und 4 des Aufenthaltsgesetzes ist regelmäßig eine Reisebeihilfe zu dem Ort im Bundesgebiet zu gewähren, an dem der Ausländer die Wohnsitznahme begehrt und an dem seine Wohnsitznahme zulässig ist. Der örtlich zuständige Träger am Aufenthaltsort informiert den bislang örtlich zuständigen Träger darüber, ob Leistungen nach Satz 1 bewilligt worden sind. Die Sätze 1 und 2 gelten auch für Ausländer, die eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 23a, 24 Absatz 1 oder § 25 Absatz 4 oder 5 des Aufenthaltsgesetzes besitzen, wenn sie sich außerhalb des Landes aufhalten, in dem der Aufenthaltstitel erstmals erteilt worden ist. Satz 5 findet keine Anwendung, wenn der Wechsel in ein anderes Land zur Wahrnehmung der Rechte zum Schutz der Ehe und Familie nach Artikel 6 des Grundgesetzes oder aus vergleichbar wichtigen Gründen gerechtfertigt ist.

Personen, die nach dem Zweiten Buch als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, erhalten keine Leistungen für den Lebensunterhalt. Abweichend von Satz 1 können Personen, die nicht hilfebedürftig nach § 9 des Zweiten Buches sind, Leistungen nach § 36 erhalten. Bestehen über die Zuständigkeit zwischen den beteiligten Leistungsträgern unterschiedliche Auffassungen, so ist der zuständige Träger der Sozialhilfe für die Leistungsberechtigung nach dem Dritten oder Vierten Kapitel an die Feststellung einer vollen Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Absatz 2 Satz 2 des Sechsten Buches und nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens an die Entscheidung der Agentur für Arbeit zur Erwerbsfähigkeit nach § 44a Absatz 1 des Zweiten Buches gebunden.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Oktober 2013 insoweit aufgehoben, als er zur Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 11. Oktober 2010 bis 7. November 2011 verurteilt worden ist.

Insoweit wird die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 20. November 2012 zurückgewiesen.

Die Beigeladene wird verurteilt, den Klägern Hilfe zum Lebensunterhalt für den Zeitraum vom 11. Oktober 2010 bis 7. November 2011 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beigeladene hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Ansonsten haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit steht die Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Kläger im Zeitraum vom 11.10.2010 bis 7.11.2011.

2

Die Kläger sind rumänische Staatsangehörige. Die Kläger zu 1 und 2 zogen 2008 mit ihren beiden gemeinsamen Kindern - geboren 1992 und im Februar 1995 (Kläger zu 3) - von Rumänien bzw über Belgien nach Deutschland. Sie verfügen seit November 2008 über eine Freizügigkeitsbescheinigung/EU und die Kläger zu 1 und 2 seit Ende 2011 (nach dreijährigem Aufenthalt) über eine unbefristete Arbeitsberechtigung. Der Kläger zu 1 hatte in Rumänien eine Schlosserlehre absolviert, war dann zur Armee eingezogen worden und arbeitete 1993 bis 1995 als Taxifahrer sowie anschließend als Tagelöhner in der Landwirtschaft. Ein von ihm 1992/1993 in Deutschland gestellter Asylantrag wurde abschlägig beschieden. Seine Ehefrau ging in Rumänien keiner Erwerbstätigkeit nach. Sie übt seit dem 8.11.2012 eine mit 200 Euro netto monatlich geringfügig entlohnte Beschäftigung aus. Bis Ende 2010 verkauften die Kläger zu 1 und 2 die Obdachlosenzeitung "Fifty-Fifty" zu einem Abgabepreis von 1,80 Euro und einem "Einkaufspreis" von 0,90 Euro. Der Differenzbetrag von rund je 120 Euro im Monat verblieb bei ihnen. Der Kläger zu 1 hatte vom 13.10.2008 bis 29.10.2009 ein Gewerbe angemeldet ("Abbruch- und Entkernungsarbeiten, Hilfsarbeiten auf Baustellen"), das er jedoch nicht betrieb und mit dem er auch keine Einkünfte erzielte. Für die beiden Söhne erhielten die Eheleute Kindergeld in Höhe von je 184 Euro. Die Söhne besuchten in Deutschland die Schule.

3

Erstmals Ende 2009 lehnte der Beklagte die Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bindend ab. Ein erneuter Antrag der Kläger vom 11.10.2010, den sie mit der Einreise zur Arbeitsuche begründeten, wurde vom Beklagten ebenfalls abschlägig beschieden (Bescheid vom 19.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2010). Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes hiergegen verpflichtete das LSG den Beklagten, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom 17.5.2011 bis maximal zum 17.11.2011 zu erbringen. Dies führte der Beklagte durch Bescheide vom 14.6., 7.7., 26.7. und 1.8.2011 aus. Ebenso vollzog sich das Verfahren nach einem weiteren Antrag der Kläger vom 7.11.2011 (ablehnender Bescheid vom 15.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2011, Ausführungsbescheide des Beklagten vom 22.6.2012 nach dem Erlass einer einstweiligen Anordnung des LSG für den Zeitraum vom 23.11.2011 bis 30.6.2012). Am 14.1.2013, der Höhe nach geändert durch Bescheid vom 5.2.2013, bewilligte der Beklagte den Klägern die begehrten Leistungen ab dem 1.11.2012, also seit dem Monat der Aufnahme der Beschäftigung durch die Klägerin zu 2.

4

Die gegen den Bescheid vom 19.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2010 erhobene Klage hat das SG durch Urteil vom 20.11.2012 unter Hinweis darauf, dass die Kläger nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II von Leistungen der Grundsicherung ausgeschlossen seien, abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das LSG dieses Urteil geändert und den Beklagten unter Änderung der benannten Bescheide verurteilt, den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften für den Zeitraum vom 11.10.2010 bis 7.11.2011 zu bewilligen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II greife im Falle der Kläger nicht. Sie verfügten über kein materielles Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland. Der Sohn der Kläger zu 1 und 2 (Kläger zu 3) sei im streitigen Zeitraum Schüler gewesen. Die Kläger zu 1 und 2 seien keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen. Das vom Kläger zu 1 angemeldete Gewerbe sei nie betrieben und es seien keine Einkünfte daraus erzielt worden. Der Verkauf der Obdachlosenzeitung stelle keine Beschäftigung dar, die zu einem Status als Arbeitnehmer geführt haben könne. Es handele sich dabei um eine untergeordnete Tätigkeit, die nicht in einem Arbeitsverhältnis verrichtet worden sei. Die Kläger zu 1 und 2 seien auch nicht arbeitsuchend gewesen, denn sie hätten allein wegen der Sprachbarrieren keine Chance auf Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt gehabt. Daher komme es auch nicht darauf an, dass die Kläger vor dem 1.10.2011 über eine unbefristete Freizügigkeitsberechtigung/EU verfügt hätten. Auf einen EU-Bürger ohne materielles Aufenthaltsrecht finde der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II keine Anwendung. Dies erschließe sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, die auf den Aufenthaltszweck "allein zur Arbeitsuche" abstelle. Eine erweiternde Auslegung im Sinne des Erst-Recht-Schlusses komme wegen des Ausnahmecharakters des Ausschlusses nicht in Betracht. Die Vorschrift sei nicht analogiefähig. Es liege keine unbeabsichtigte Regelungslücke vor. Dass der aus dem mangelnden Aufenthaltsrecht folgende Ausweisungsgrund nicht vollzogen werde, sei kein Grund, EU-Bürger von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in erweiternder Auslegung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II auszuschließen(Urteil des LSG vom 10.10.2013).

5

Der Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und begründet sie damit, dass das Urteil des LSG § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II verletze. Die dortige Auslegung der Vorschrift führe dazu, dass ausgerechnet Personen, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht oder kaum integrierbar seien, vom Leistungsausschluss für arbeitsuchende Unionsbürger nicht betroffen würden.

6

Er beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Oktober 2013 aufzuheben und die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 20. November 2012 zurückzuweisen.

7

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Beigeladene zu verurteilen, ihnen Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII im Zeitraum vom 11. Oktober 2010 bis 7. November 2011 zu gewähren.

8

Sie halten die Ausführungen des LSG für zutreffend. Zwar sei nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Alimanovic nun klargestellt, dass der in § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II formulierte Leistungsausschluss europarechtskonform sei. Dies betreffe jedoch nicht die Kläger. Bei ihnen liege es näher, einen Vergleich zu der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Dano zu ziehen, wonach wirtschaftlich nicht aktiven Unionsbürgern anderer Mitgliedstaaten keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu erbringen seien. Insoweit mangele es jedoch an einer einfachgesetzlichen Regelung im deutschen Recht.

9

Die Beigeladene hat keinen eigenen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

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Die Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG, soweit es den Beklagten zur Leistungserbringung verurteilt hat, begründet. Die Beigeladene ist verpflichtet, die Existenzsicherung der Kläger nach den Vorschriften des SGB XII zu gewährleisten.

11

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (2.). Sie können jedoch Hilfe zum Lebensunterhalt von der Beigeladenen nach § 23 Abs 1 S 3 SGB XII beanspruchen (3.).

12

1. Streitgegenstand ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, die der Beklagte durch Bescheid vom 19.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2010 abgelehnt hat. Der streitige Zeitraum beginnt mit der Antragstellung am 11.10.2010, als dem "Türöffner" für das Verwaltungsverfahren (zuletzt BSG vom 24.4.2015 - B 4 AS 22/14 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 71 RdNr 17), und endet, da die Kläger ihr Begehren im zweitinstanzlichen Gerichtsverfahren bis zu diesem Zeitpunkt beschränkt haben, mit der erneuten Antragstellung am 7.11.2011. Die die Entscheidungen des LSG im vorläufigen Rechtsschutz ausführenden Bescheide des Beklagten sind, wie das LSG zutreffend befunden hat, nicht nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden(vgl BSG vom 27.6.2013 - B 10 EG 2/12 R - SozR 4-7837 § 2 Nr 21 RdNr 20 mwN; s auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 96 RdNr 4b unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des BSG).

13

Unschädlich ist auch, dass die Kläger im Berufungsverfahren, trotz der Beiladung der Stadt Gelsenkirchen, nicht zumindest hilfsweise deren Verurteilung oder Verpflichtung zur Leistungserbringung nach dem SGB XII beantragt haben. Im Falle der - hier vom LSG vorgenommenen notwendigen Beiladung nach § 75 Abs 2 2. Alt SGG (unechte notwendige Beiladung) - ist zumindest davon auszugehen, dass die Kläger hilfsweise die Verurteilung der Beigeladenen begehren (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 75 RdNr 18a; weitergehend BSG vom 28.5.2015 - B 7 AY 4/12 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen - RdNr 10). Denn nach § 75 Abs 5 SGG darf der beigeladene Träger verurteilt werden, obwohl er nicht verklagt ist. Mit der Vorschrift des § 75 Abs 2 2. Alt iVm Abs 5 SGG unterstellt der Gesetzgeber, dass der Kläger zwar in erster Linie die Verurteilung des beklagten Trägers, hilfsweise jedoch auch die jedes anderen in Frage kommenden Trägers begehrt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Kläger diese Verurteilung ausdrücklich ablehnt ( BSG vom 15.1.1959 - 4 RJ 111/57 - BSGE 9, 67, 70; BSG vom 2.11.2000 - B 11 AL 25/00 R - RdNr 25). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Bei dem im Revisionsverfahren gestellten Hilfsantrag auf Verurteilung der Beigeladenen handelt es sich aus diesen Gründen auch nicht um eine an sich im Revisionsverfahren nach § 168 S 1 SGG nicht mehr zulässige Klageänderung im Sinne der Klageerweiterung(vgl hierzu BSG vom 30.1.1985 - 2 RU 69/83 - SozR 1500 § 168 Nr 3; BSG vom 4.2.1965 - 11/1 RA 312/63 - SozR Nr 27 zu § 75 SGG; s auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 168 RdNr 2c und § 75 RdNr 12a).

14

Ebenso wenig wird die Zulässigkeit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage dadurch berührt, dass die Kläger bereits vorläufige Leistungen erhalten haben. Dies war zum einen nur für einen Teil des hier streitigen Zeitraums der Fall (BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 12 zur Unzulässigkeit bei dem Ausscheiden jeglichen Zahlungsanspruchs). Zum anderen hat sich der Rechtsstreit nach der ständigen Rechtsprechung des BSG auch nicht teilweise dadurch erledigt, dass für den Fall der nunmehr beantragten hilfsweisen Verurteilung der Beigeladenen die Leistungserbringung des Sozialhilfeträgers bereits (teilweise) als erfüllt iS des § 107 Abs 1 SGB X gilt(BSG vom 8.8.1990 - 11 RAr 79/88 - SozR 3-1300 § 104 Nr 3 S 4 f; BSG vom 9.9.1993 - 7/9b RAr 28/92 - BSGE 73, 83, 84 f = SozR 3-4100 § 58 Nr 5 S 11; BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 12).

15

2. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gegen den Beklagten. Sie sind unabhängig von der bestehenden Hilfebedürftigkeit iS des § 7 Abs 1 S 1 Nr 3 iVm § 9 SGB II, ihres gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland(§ 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II; vgl zum Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34 RdNr 17 ff)und der Erfüllung der Altersgrenzen des § 7 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB II im streitigen Zeitraum zumindest durch die Kläger zu 1 und 2 sowie deren Erwerbsfähigkeit(§ 7 Abs 1 S 1 Nr 2 iVm § 8 SGB II - auch nach § 8 Abs 2 SGB II, weil ihnen als Rumänen trotz seinerzeit nur eingeschränkter Arbeitnehmerfreizügigkeit als EU-Ausländern die Aufnahme einer Beschäftigung hätte erlaubt werden können, vgl BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 14 ff)von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aufgrund von § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II(idF vom 28.8.2007 durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007, BGBl I 1970, 2008) ausgeschlossen. Danach sind von den benannten Leistungen ausgenommen 1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige noch aufgrund des § 2 Abs 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts und 2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt und ihre Familienangehörigen.

16

a) Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II unterfallen die Kläger nicht einer Ausnahme von der Leistungsberechtigung nach § 7 Abs 1 S 1 SGB II. Sie haben sich im streitigen Zeitraum vom 11.10.2010 bis 7.11.2011 bereits mehr als drei Monate in Deutschland aufgehalten, denn sie sind im Herbst des Jahres 2008 eingereist. Ihr Aufenthaltsrecht ergibt sich auch nicht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche. So sind die Kläger zu 1 und 2 zwar zur Arbeitsuche in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Für den hier streitigen Zeitraum folgt hieraus jedoch kein materielles Aufenthaltsrecht mehr. Sie waren nicht mehr arbeitsuchend iS des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II.

17

Der Begriff der "Arbeitsuche" ist im vorliegenden Kontext freizügigkeitsrechtlich geprägt. Der Gesetzgeber hat in § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II - anders als in § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II - zwar nicht ausdrücklich Bezug auf die Regelungen des FreizügG/EU genommen. Aus der Verknüpfung mit dem "Aufenthaltsrecht" folgt jedoch bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift, dass die dortigen Regelungen sowie die der RL 2004/38/EG zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der "Arbeitsuche" heranzuziehen sind. Dies wird durch den Gesetzentwurf zur Änderung des S 2 des § 7 Abs 1 SGB II(BT-Drucks 16/5065 S 234; Änderung des SGB II zum 28.8.2007 durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007, BGBl I 1970, 2008) bestätigt. Danach sollten mit den Neuregelungen in § 7 Abs 1 S 2 SGB II die Unionsbürgerrichtlinie RL 2004/38/EG im Leistungsrecht umgesetzt und insbesondere von der Möglichkeit des Leistungsausschlusses nach Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG Gebrauch gemacht werden. Diese Norm regelt, dass vom Grundsatz der Gleichbehandlung aller Unionsbürger abgewichen werden kann, wenn die betreffende Person weder Arbeitnehmer, noch Selbstständiger oder deren Familienangehöriger ist und sie diesen Status nicht erhalten konnte (vgl hierzu Art 7 Abs 3 Buchst b und c RL 2004/38/EG). Sofern sie als Arbeitsuchende in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates eingereist ist, sieht die Richtlinie durch Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG solange eine Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts als Arbeitsuchende vor, solange sie nachweisen kann, dass sie weiterhin Arbeit sucht und sie eine begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden. Diese Regelung hat der Gesetzgeber zwischenzeitlich (mW ab dem 9.12.2014, BGBl I 1922) ins FreizügG/EU übernommen. In dessen § 2 Abs 2 S 1 Nr 1a FreizügG/EU ist nunmehr geregelt, dass freizügigkeitsberechtigt Unionsbürger sind, die sich zur Arbeitsuche aufhalten, für bis zu sechs Monate und darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Der dies tragende Grundgedanke der Aussicht auf Aufnahme einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist jedoch wegen der Gründung des Normtextes des § 7 Abs 1 S 2 SGB II auf der RL 2004/38/EG auch bereits im streitigen Zeitraum zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Arbeitsuche heranzuziehen.

18

Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs ist die Annahme des LSG revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass sich die Freizügigkeitsberechtigung der Kläger zu 1 und 2 im streitigen Zeitraum nicht mehr allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergab. Auf Grundlage der Anhörung der Kläger in der mündlichen Verhandlung sowie beigezogener Auskünfte und Beratungsvermerke der BA ist das LSG zu dem Ergebnis gelangt, dass sie im streitigen Zeitraum keine realistische Chance auf Erlangung eines Arbeitsplatzes hatten. Die Kläger zu 1 und 2 verfügten nicht über eine verwertbare berufliche Qualifikation oder Ausbildung, nennenswerte Berufserfahrung und deutsche Sprachkenntnisse. Diese fehlenden Kenntnisse stellten ein erhebliches Hindernis bei der Arbeitsuche dar. Zudem war zu berücksichtigen, dass ihre Berechtigung, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, im streitigen Zeitraum zusätzlich noch durch das Erfordernis einer Arbeitsgenehmigung-EU iS des § 284 SGB III(in den hier einschlägigen Fassungen vom 7.12.2006 BGBl I 2814 und vom 20.12.2011 mWv 1.5.2011 BGBl I 2854) iVm der Arbeitserlaubnis-EU nach § 39 Abs 2 S 1 Nr 1 Buchst b AufenthG(in den hier einschlägigen Fassungen vom 25.2.2008, BGBl I 162 und 20.12.2011, mWv 1.5.2011 BGBl I 2854, 2921) - für Unionsbürger aus Rumänien in der ersten Beitrittszeit - beschränkt war. Danach brauchte die BA der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung nur zuzustimmen, wenn für die Beschäftigung deutsche Arbeitnehmer sowie Ausländer, die diesen hinsichtlich der Arbeitsaufnahme rechtlich gleichgestellt waren, oder andere Ausländer, die nach dem Recht der Europäischen Union einen Anspruch auf vorrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt hatten, nicht zur Verfügung standen. Die begründete Aussicht, dass diese beim Fehlen jeglicher Qualifikation der Arbeitsuchenden, wie vorliegend, zur Verfügung stehen, hat das LSG ohne Rechtsfehler negiert. Da die Kläger sich zu Beginn des hier streitigen Zeitraums zudem bereits mehr als zwei Jahre in Deutschland aufgehalten hatten, ohne eine Erwerbstätigkeit ausgeübt zu haben, unterliegt der vom LSG weiter gezogene Schluss der objektiv nicht bestehenden Aussicht der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit keinen durchgreifenden Zweifeln (vgl zum zeitlichen Umfang der materiellen Freizügigkeitsberechtigung der Arbeitsuche: EuGH Rs Antonissen vom 26.2.1991 - C-292/89 RdNr 21; s auch Devetzi, EuR 2014, 638, 642; Lehmann, ZAR 2015, 212, 215; Thym, NJW 2015, 130, 133).

19

b) Die Kläger waren jedoch, auch wenn sie nicht den ausdrücklich normierten Ausnahmen des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II unterfallen, gleichwohl von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen. Denn sie verfügten über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung im Sinne des FreizügG/EU oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht. Damit unterfielen sie "erst-recht" dem Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II. Die Vorschrift ist insoweit planwidrig lückenhaft, als sie nicht ausdrücklich den Ausschluss auch derjenigen normiert, die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen, weil sie einen Leistungsausschluss schon für solche Ausländer anordnet, die sich auf eine solche materielle Freizügigkeitsberechtigung im Sinne des FreizügG/EU berufen können.

20

Der "Erst-Recht-Schluss" ist eine Untergruppe oder ein Spezialfall des Analogieschlusses. Die analoge Anwendung einfachgesetzlicher Vorschriften ist eine anerkannte Methode der richterlichen Rechtsfortbildung und verfassungsrechtlich unter Beachtung der Schranken des Art 20 Abs 3 GG zulässig. Denn hat der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, darf der Richter diese nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern und durch eine judikative Lösung ersetzen, die so im Parlament nicht erreichbar war (BVerfG vom 3.4.1990 - 1 BvR 1186/89 - BVerfGE 82, 6, 11). Daher setzt der Analogieschluss voraus, dass das Gesetz - hier im Hinblick auf eine bestimmte Personengruppe - lückenhaft, also angesichts der erkennbaren Regelungsabsicht des Gesetzgebers "planwidrig" unvollständig ist (vgl dazu Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl 1991, S 373, 375; s nur BSG vom 25.6.2009 - B 10 EG 8/08 R - BSGE 103, 291 = SozR 4-7837 § 2 Nr 2 RdNr 31 mwN). Es muss an der nach dem Regelungsplan des Gesetzes zu erwartenden Regel mangeln (BVerwG vom 11.9.2008 - 2 B 43/08 - Buchholz 237.7 § 23 NWLBG Nr 1 mwN). Dem "Erst-Recht-Schluss" selbst liegt dabei die Erwägung zugrunde, die analoge Anwendung sei immer dann gerechtfertigt, wenn die rechtspolitischen Gründe (Normzwecke) einer Vorschrift bei einem nicht geregelten Lebenssachverhalt noch stärker gegeben sind als bei dem geregelten Normtatbestand (vgl nur Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 8. Aufl 2015, RdNr 898). Dies ist hier im Hinblick auf Unionsbürger oder Ausländer, die über keine Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen, der Fall, wie sich aus der Entstehungsgeschichte der Ausschlussregelung, ihrem systematischen Zusammenhang sowie dem Sinn und Zweck der benannten Vorschrift erschließt (vgl zur Feststellung des Regelungsplans des Gesetzgebers bei einer Unvollständigkeit des Gesetzes, Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl 1991, S 373).

21

(aa) Nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II in der ab dem 1.1.2005 geltenden Fassung des Gesetzes zur optionalen Trägerschaft von Kommunen nach dem SGB II (vom 30.7.2004, BGBl I 2014) waren Ausländer unter den Voraussetzungen des § 8 Abs 2 SGB II leistungsberechtigt. Ein Ausschluss oder eine Beschränkung der Leistungsberechtigung für Unionsbürger waren mithin nicht vorgesehen. Mit der Neufassung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II durch das Gesetz zur Änderung des 2. Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (vom 24.3.2006, BGBl I 558) ergänzt durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (vom 19.8.2007, BGBl I 2008) erfolgte dann ein grundlegender Paradigmenwechsel. Es sollte von der Option des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG Gebrauch gemacht werden (BT-Drucks 16/5065 S 234). Für Unionsbürger, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen, sollte eine weitere leistungsrechtliche Hürde geschaffen werden, sofern sie wegen des vorbehaltlosen Aufenthalts in den ersten drei Monaten oder allein zum Zweck der Arbeitsuche freizügigkeitsberechtigt sind (BT-Drucks 16/5065 S 234; BT-Drucks 16/688 S 13). Leistungsberechtigt sollten sie nur sein, wenn sie über eine von § 7 Abs 1 S 2 SGB II nicht erfasste Freizügigkeitsberechtigung oder ein sonstiges Aufenthaltsrecht verfügen. Hieraus folgt umgekehrt, dass nicht freizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigte Unionsbürger nach dem gesetzgeberischen Plan von vornherein nicht leistungsberechtigt sein sollten.

22

(bb) Dies entspricht auch der Binnensystematik und der Verknüpfung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II mit dem im Gesetzentwurf unter Bezug genommenen Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG. Danach ist der Aufnahmemitgliedstaat - unter Hintanstellung des Gleichbehandlungsgrundsatzes - nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG (Zeitraum der Arbeitsuche, s unter 2.a) einen Anspruch auf Sozialhilfe (…) zu gewähren. Das Gleichbehandlungsgebot, also auch die Verpflichtung zur Gleichbehandlung bei der Gewährung existenzsichernder Leistungen, gilt mithin umgekehrt grundsätzlich nur dann, wenn eine Freizügigkeitsberechtigung des Unionsbürgers im Sinne der Richtlinie gegeben ist. Zugleich wird im Hinblick auf den Aufenthalt in den ersten drei Monaten und zur Arbeitsuche durch den Hinweis auf Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG eine Ausnahme normiert. Mit der Einfügung der Nr 1 und 2 in den S 2 des § 7 Abs 1 SGB II sollte demnach von den unionsrechtlich eröffneten Ausschlussgründen auch bei Bestehen einer Freizügigkeitsberechtigung Gebrauch gemacht werden. Hierin fügt sich die Systematik der Rückausnahmen in § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II für freizügigkeitsberechtigte Arbeitnehmer und Selbstständige sowie ihre Familienangehörigen ein. Dementsprechend haben die beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG im Hinblick auf Nr 2 des § 7 Abs 1 S 2 SGB II bisher schon unter Bezug auf § 11 FreizügG/EU (Regelung der Anwendung des AufenthG) angenommen, dass in Fällen, in denen ein anderes Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG - auch neben dem zum Zwecke der Arbeitsuche - besteht, etwa aus anderen familiären Gründen, der Ausschluss ebenfalls nicht eingreift(BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 30 ff; BSG vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28, RdNr 20 ff).

23

Dass der Gesetzgeber es planwidrig unterlassen hat, auch die nicht freizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigten Ausländer ausdrücklich von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auszuschließen, belegt auch die nachfolgende Kontrollüberlegung zu dem System der Eingliederungsleistungen im SGB II. Nach der Grundkonzeption des SGB II ist es Ziel dieser Leistungen, dass leistungsberechtigte Personen ohne eine Erwerbstätigkeit bei der Aufnahme einer solchen unterstützt werden, also Arbeit zu finden und, wenn sie bisher erfolglos Arbeit gesucht haben, dies mit einer Unterstützung durch Eingliederungsleistungen erfolgreich zu tun. Wenn ein EU-Ausländer aber Leistungen nach §§ 16 ff SGB II für eine erfolgreiche Arbeitsuche erhält, liegen die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II (wieder) vor. Dass ein solcher Zirkelschluss vom Gesetzgeber gewollt war, kann nicht angenommen werden. Es ist daher vielmehr davon auszugehen, dass es seinem Plan entsprach, in den Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II auch die Ausländer einzubeziehen, die keine oder objektiv ohne Erfolgsaussichten Arbeit suchen.

24

(cc) Auch wäre es sinnwidrig und würde der sozialpolitischen Zweckrichtung der Regelung widersprechen, hätten gerade nicht materiell freizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigte Ausländer einen Rechtsanspruch auf diese Leistungen, weil sie nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift nicht von Leistungen ausgeschlossen sind. Sie sind vielmehr, weil ihre Leistungsberechtigung im eigentlichen Sinne nicht gewollt war, "erst-recht" von Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen. Mit der Ausschlussregelung sollte ein Zuzug von Ausländern in den SGB II-Leistungsbezug verhindert werden, soweit keine Verpflichtung zur Gleichbehandlung mit Inländern besteht (vgl BT-Drucks 16/5065 S 234). Nur wer als Unionsbürger freizügigkeitsberechtigt ist - über das Aufenthaltsrecht in den ersten drei Monaten und zur Arbeitsuche hinaus - sollte daher einen Anspruch auf existenzsichernde Leistungen aus dem SGB II erhalten, etwa aufstockend neben der Tätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbstständiger, während der nachgehenden Statuserhaltung oder als deren Familienangehörige. Nach Ablauf der ersten drei Monate des Aufenthalts sei, so die Begründung im Gesetzentwurf, das weitere Aufenthaltsrecht vom Aufenthaltszweck abhängig und damit auch die Leistungsberechtigung nach dem SGB II. So sollte sichergestellt werden, dass durch die Neuregelung im Freizügigkeitsgesetz/EU - die RL 2004/38/EG umsetzend - keine Regelungslücke entsteht (vgl BT-Drucks 16/5065 S 234). Die materielle Freizügigkeits- oder Aufenthaltsberechtigung kann damit nicht hinweggedacht werden, ohne dass die Ausschlussregelung ihren Sinn verlöre.

25

c) Die Kläger konnten sich nicht auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung berufen.

26

(aa) Die Kläger waren nicht als Arbeitnehmer freizügigkeitsberechtigt. Der Begriff des Arbeitnehmers in § 7 Abs 1 S 2 SGB II ist, wie die Wortverbindung in dessen Nr 1 zum FreizügG/EU bereits zeigt, ebenfalls europarechtlich geprägt; durch dieses Gesetz wird die, die Freizügigkeitsrechte der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen innerhalb der Union regelnde RL 2004/38/EG - auf Grundlage der Europäischen Verträge - in das nationale Recht umgesetzt (Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, Vorbemerkung 0.1.2 zum Freizügigkeitsgesetz/EU). Eine kodifizierte Definition des Arbeitnehmerbegriffs findet sich im Europarecht zwar nicht. Es ist daher auf die Ausprägung dessen zurückzugreifen, die er auf Grundlage der Rechtsprechung des EuGH erfahren hat. Die Arbeitnehmereigenschaft wird danach bei der Ausübung einer tatsächlichen und echten Tätigkeit als gegeben angesehen, was gestützt auf objektive Kriterien und in einer Gesamtbetrachtung aller Umstände, die die Art der in Rede stehenden Tätigkeiten und des fraglichen Arbeitsverhältnisses betreffen, festzustellen ist (EuGH Rs Ninni-Orasche vom 6.11.2003 - C-413/01 RdNr 24; EuGH vom 21.2.2013 - C-46/12 RdNr 39 ff; Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 2 FreizügG/EU RdNr 37; Tewocht in Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 9. Edition, Stand XI/2015, § 2 FreizügG/EU RdNr 18 ff). Um Arbeitnehmer zu sein, muss die betreffende Person während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringen, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Dabei sind nicht nur Gesichtspunkte wie die Arbeitszeit und die Höhe der Vergütung zu berücksichtigen, sondern auch solche wie der Anspruch auf bezahlten Urlaub, die Geltung von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Anwendung des Tarifvertrags in der jeweils gültigen Fassung auf den Arbeitsvertrag sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses (EuGH Rs Genc vom 4.2.2010 - C-14/09 RdNr 27). Dies bedeutet, dass eine Integration in den Betrieb des Arbeitgebers gegeben sein muss, bei der die betreffende Person unter der Weisung oder Aufsicht eines Dritten steht, der die zu erbringenden Leistungen und/oder die Arbeitszeiten vorschreibt und dessen Anordnungen durch den Arbeitnehmer zu befolgen sind (vgl Hoffmann in Hofmann/Hoffmann, HK-AuslR, 1. Aufl 2008, § 2 FreizügG/EU RdNr 8). Unter Anwendung dieses Maßstabs und auf Grundlage seiner Feststellungen hat das LSG vorliegend die Arbeitnehmereigenschaft der Kläger zu 1 und 2 zutreffend verneint.

27

Die Kläger zu 1 und 2 haben die Obdachlosenzeitung "Fifty-Fifty" verkauft. Das LSG hat festgestellt, dass damit ein wirtschaftlicher Güteraustausch nicht verbunden gewesen sei, jedenfalls sei dies nicht der prägende Hauptzweck der Tätigkeit gewesen. Vielmehr habe es sich um eine dem Betteln gleichgestellte Tätigkeit gehandelt, die - nach einem Hinweis in dieser Zeitung - unter genehmigungsfreiem Gemeingebrauch des öffentlichen Straßenraumes erfolgte. Die Kläger zu 1 und 2 unterlagen auch nicht den Weisungen der karitativen Organisationen, die diese Zeitung herausgeben. Sie "kauften" die Zeitschriften bei den Herausgebern zum Zwecke des Straßenverkaufs und konnten - ohne weitere Weisungen zu deren Vertrieb - den Differenzbetrag zum Verkaufspreis zur eigenen Verfügung behalten.

28

(bb) Eine selbstständige Erwerbstätigkeit ist - ebenfalls unter Berücksichtigung der europarechtlichen Implikationen - jede Art der wirtschaftlichen Tätigkeit, die in eigener Verantwortung und weisungsfrei erfolgt (Tewocht in Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 9. Edition, Stand XI/2015, § 2 FreizügG/EU RdNr 32). Eine Gewinnerzielungsabsicht muss nicht vorrangiges oder einziges Ziel sein, sie muss aber vorhanden sein. Rein karitative Tätigkeiten fallen nicht hierunter; die Tätigkeit muss daher erwerbsorientiert sein, wobei alle Tätigkeiten erfasst werden, sofern sie mit einer entgeltlichen Gegenleistung verbunden sind und eine Teilnahme am Wirtschaftsleben darstellen (EuGH Rs Sodemare vom 17.6.1997 - C-70/95 RdNr 25; vgl auch Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 2 FreizügG/EU RdNr 78; Müller-Graff in Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl 2012, Art 49 AEUV RdNr 13). Der Selbstständige, der sich auf das Freizügigkeitsrecht der Niederlassungsfreiheit im Sinne der Art 49 ff AEUV berufen kann, muss auch tatsächlich eine wirtschaftliche Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit ausüben (EuGH Rs Factortame vom 25.7.1991 - C-221/89 RdNr 34; Tewocht in Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 9. Edition, Stand XI/2015, § 2 FreizügG/EU RdNr 33)und damit wirtschaftlich in einen anderen Mitgliedstaat integriert sein (Brinkmann in Huber, AufenthG, 1. Aufl 2010, § 2 FreizügG/EU RdNr 29).

29

Diese Voraussetzungen sind nach den zuvor dargelegten Bedingungen, unter denen die Kläger zu 1 und 2 dem Verkauf der Obdachlosenzeitung nachgegangen sind, nicht gegeben. Aber auch mit dem von dem Kläger zu 1 angemeldeten Gewerbebetrieb: "Abbruch- und Entkernungsarbeiten, Hilfsarbeiten auf Baustellen" erfüllte er nicht die Voraussetzungen um den Status als niedergelassener selbstständiger Erwerbstätiger erlangt zu haben. Er hat ausweislich der Feststellungen des LSG erklärt, das Gewerbe nie betrieben und auch keinen Gewinn erzielt zu haben. Abgesehen davon, dass er allein mit der Anmeldung des Gewerbebetriebes nicht am wirtschaftlichen Leben teilgenommen hat, war diese offensichtlich unter Zugrundelegung der getroffenen Feststellungen nicht erwerbsorientiert.

30

(cc) Damit entfällt zugleich der nachgehende Schutz als Arbeitnehmer oder Selbstständiger iS des § 2 Abs 3 FreizügG/EU für die Kläger zu 1 und 2. Danach bleibt für Arbeitnehmer und selbstständig Erwerbstätige die Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs 1 FreizügG/EU unberührt ua bei(2.) unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit oder Einstellung einer selbstständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbstständige keinen Einfluss hatte, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit (S 1). Bei weniger als einem Jahr Beschäftigung gilt dies auch, jedoch nur während der Dauer von sechs Monaten nach der Beendigung der Tätigkeit (S 2). Ebenso wenig haben folglich die Familienangehörigen eine vom Status als Arbeitnehmer oder Selbstständiger abgeleitete Freizügigkeitsberechtigung iS des § 2 FreizügG/EU innegehabt.

31

(dd) Die Kläger waren auch nicht als nichterwerbstätige Unionsbürger iS des § 4 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Danach haben nicht erwerbstätige Unionsbürger, ihre Familienangehörigen und ihre Lebenspartner, die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, das Recht nach § 2 Abs 1 FreizügG/EU, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. Zwar hat das LSG keine Feststellungen zum Krankenversicherungsschutz der Kläger getroffen. Dass sie nicht über ausreichende Existenzmittel verfügten, zeigt sich jedoch bereits daran, dass sie hilfebedürftig iS des § 7 Abs 1 Nr 3 iVm § 9 SGB II waren(vgl zum Maßstab der "nicht ausreichenden Existenzmittel": Thym, NJW 2015, 130, 132).

32

(ee) Anhaltspunkte für ein anderes Aufenthaltsrecht im Sinne des AufenthG sind ebenfalls nicht ersichtlich oder vorgebracht (vgl zum Vorliegen eines anderen Aufenthaltsrechts nur: BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 30 ff; BSG vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28, RdNr 20 ff).

33

(ff) Der fehlenden materiellen Freizügigkeitsberechtigung steht auch nicht entgegen, dass die Kläger zu 1 und 2 nach den bindenden Feststellungen des LSG im Besitz einer Freizügigkeitsbescheinigung/EU nach § 5 Abs 1 FreizügG/EU idF des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union(vom 19.8.2007, BGBl I 1970) waren. Das Ausstellen einer solchen Bescheinigung, die mit Wirkung zum 29.1.2013 im Übrigen abgeschafft worden ist (Streichung des § 5 Abs 1 FreizügG/EU in der vorbenannten Fassung durch das Gesetz zur Änderung des FreizügG/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21.1.2013, BGBl I 86), lässt keine Rückschlüsse auf das Bestehen einer materiellen Freizügigkeitsberechtigung zu.

34

Ihre Ausstellung hatte allein deklaratorische Bedeutung (BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 20; Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 5 FreizügG/EU RdNr 4; noch offengelassen BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 13; s jedoch BSG vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28 RdNr 17). Auch solange § 5 Abs 1 FreizügG/EU idF vom 19.8.2007 noch in Kraft war, erfolgte die Prüfung der Freizügigkeitsberechtigung nach den Kriterien des § 2 FreizügG/EU. Das Freizügigkeitsrecht wurde und wird originär durch den EG-Vertrag/EUV/AEUV und seine Durchführungsbestimmungen begründet und nicht durch die Ausstellung der Aufenthaltskarte (EuGH Rs Dias vom 21.7.2011 - C-325/09 - RdNr 48; s auch VG Augsburg vom 5.6.2008 - Au 1 S 08.450 - juris-RdNr 35, 36). So war umgekehrt in der Vergangenheit die Ausstellung der Bescheinigung über das Freizügigkeitsrecht keine Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Unionsbürgers im Bundesgebiet. Aufgrund der generellen Freizügigkeitsvermutung muss der Aufenthalt desjenigen Unionsbürgers, der schon bei seiner Einreise ins Bundesgebiet keinen Freizügigkeitstatbestand erfüllt hat, solange als rechtmäßig angesehen werden, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts in entsprechender Anwendung des § 5 Abs 5 FreizügG/EU in der bis Januar 2013 geltenden Fassung oder nunmehr aufgrund von § 5 Abs 4 FreizügG/EU bzw der Missbrauchstatbestände in § 2 Abs 7 FreizügG/EU festgestellt hat. Erst die ausländerbehördliche Nichtbestehens- bzw Verlustfeststellung führt zur sofortigen Ausreisepflicht nach § 7 Abs 1 FreizügG/EU. Bis dahin darf sich ein Unionsbürger unabhängig vom Vorliegen einer materiellen Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 FreizügG/EU aufgrund der generellen Freizügigkeitsvermutung im Bundesgebiet aufhalten, ohne ausreisepflichtig zu sein(vgl BT-Drucks 16/5065 S 211 zu Art 2 Nr 8 Buchst a Doppelbuchst aa).

35

(d) Diese Auslegung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II ist auch europarechtskonform. Der EuGH hat sowohl in der Rechtssache Dano (vom 11.11.2014 - C-333/13) als auch in der Rechtssache Alimanovic (vom 15.9.2015 - C-67/14) in den hier gegebenen Fallkonstellationen die Zulässigkeit der Verknüpfung des Ausschlusses von Unionsbürgern anderer Mitgliedstaaten von existenzsichernden Leistungen mit dem Bestehen eines Aufenthaltsrechts im Sinne der RL 2004/38/EG ausdrücklich anerkannt. Nach seiner Rechtsprechung sind Art 24 Abs 1 der RL 2004/38/EG iVm ihrem Art 7 Abs 1 Buchst b und Art 4 VO 883/2004/EG dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vom Bezug bestimmter "besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen" im Sinne des Art 70 Abs 2 VO 883/2004/EG ausgeschlossen werden, während Staatsangehörige des Aufnahmemitgliedstaats, die sich in der gleichen Situation befinden, diese Leistungen erhalten, sofern den betreffenden Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten im Aufnahmemitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG zusteht (EuGH Rs Dano vom 11.11.2014 - C-333/13 RdNr 84). In der Rechtssache Alimanovic hat der EuGH insoweit betont, dass Unionsbürger anderer EU-Staaten, die nach Deutschland eingereist sind, um Arbeit zu suchen, vom deutschen Gesetzgeber vom Bezug von Alg II oder Sozialgeld ausgeschlossen werden können, selbst wenn diese Leistungen als besondere beitragsunabhängige Geldleistungen im Sinne des Art 70 VO 883/2004/EG eingeordnet werden (EuGH Rs Alimanovic vom 15.9.2015 - C-67/14 RdNr 63). Beim Alg II und Sozialgeld handele es sich um Leistungen der "Sozialhilfe" im Sinne des Art 24 Abs 2 der RL 2004/38/EG. Danach haben die Aufnahmestaaten jedoch keine Verpflichtung zur Gleichbehandlung ihrer Staatsangehörigen und solcher anderer EU-Mitgliedstaaten im Hinblick auf einen Anspruch auf Sozialhilfe, wenn Letztere nicht Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder ihnen dieser Status erhalten geblieben ist bzw Familienangehörige dieser sind (s hierzu auch Kingreen in NVwZ 2015, 1503, 1505 f; Padé in jM 2015, 414, 415).

36

3. Den Klägern steht jedoch ein Recht auf Existenzsicherung durch Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII gemäß § 23 Abs 1 S 3 SGB XII in gesetzlicher Höhe gegen die Beigeladene zu.

37

a) Die Kläger waren leistungsberechtigt im Sinne des Sozialhilferechts, weil sie im streitigen Zeitraum ihren Lebensunterhalt nicht iS des § 19 Abs 1 SGB XII iVm § 27 Abs 1 SGB XII aus eigenen Kräften und Mitteln decken konnten.

38

Nach § 19 Abs 1 SGB XII ist Personen Hilfe zum Lebensunterhalt zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten können. Dies war bei den Klägern, wie eingangs dargelegt, im streitigen Zeitraum der Fall. Ihr Bedarf im sozialhilferechtlichen Sinne ist dem Grunde nach zwar teilweise dadurch gedeckt worden, dass sie - durch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zugesprochene SGB II-Leistungen - den leistungslosen Zeitraum überstanden haben (vgl BSG vom 29.9.2009 - B 8 SO 16/08 R - BSGE 104, 213 = SozR 4-1300 § 44 Nr 20, RdNr 14 mwN). Insoweit greift für einen Teil des streitigen Zeitraums die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X ein.

39

b) Einem Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII stand auch eine mangelnde Kenntnis der Beigeladenen von der Bedürftigkeit der Kläger im streitigen Zeitraum nicht entgegen. Die Kläger haben zwar "nur" Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bei dem Beklagten beantragt. Die nach § 18 Abs 1 SGB XII erforderliche Kenntnis der Beigeladenen von dem Bedarf der Kläger liegt jedoch gleichwohl vor. Die Beigeladene muss sich insoweit die Kenntnis des Beklagten aufgrund des Antrags auf SGB II-Leistungen nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG zurechnen lassen (BSG vom 2.12.2014 - B 14 AS 66/13 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 42 RdNr 25; BSG vom 13.2.2014 - B 8 SO 58/13 B - SozR 4-3500 § 25 Nr 4 RdNr 8; BSG vom 26.8.2008 - B 8/9b SO 18/07 R - SozR 4-3500 § 18 Nr 1 RdNr 22 ff).

40

c) Ebenso wenig waren die Kläger nach § 21 S 1 SGB XII von der Hilfe zum Lebensunterhalt ausgeschlossen. § 21 S 1 SGB XII bestimmt, dass Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt erhalten. Die Kläger waren im streitigen Zeitraum nicht dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II, weil sie dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II unterfielen. Dies führt dazu, sie dem System des SGB XII zuzuweisen. Die Erwerbsfähigkeit zumindest der Kläger zu 1 und 2 steht dem nicht entgegen.

41

Schon der Wortlaut des § 21 S 1 SGB XII stellt nicht ausschließlich auf das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit ab, sondern berücksichtigt einen Leistungsanspruch nach dem SGB II dem Grunde nach. Ist mithin ein Erwerbsfähiger wegen des Vorliegens der Voraussetzungen eines Leistungsausschlusses nicht leistungsberechtigt nach dem SGB II, folgt hieraus nicht zwangsläufig ein Leistungsausschluss nach dem SGB XII (BSG vom 25.9.2014 - B 8 SO 6/13 R - BSGE = SozR 4-4200 § 44a Nr 1, RdNr 11). Die "Systemabgrenzung" erfordert vielmehr eine differenzierte Betrachtung der einzelnen Leistungsausschlüsse (Eicher in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 21 RdNr 26, 34; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB XII, § 21 RdNr 46, Stand I/2014; so im Ergebnis auch Coseriu in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 23 RdNr 64). Im Grundsatz gilt für die Systemzuweisung aufgrund der Erwerbszentriertheit des SGB II, dass derjenige, der von dem auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ausgerichteten Leistungssystem des SGB II ausgeschlossen werden soll, dem System des SGB XII zugewiesen wird.

42

Auf dieser Grundlage hat das BSG bereits für andere in § 7 SGB II geregelte Leistungsausschlüsse ausdrücklich entschieden, dass die "Anwendungssperre" des § 21 S 1 SGB XII nicht greift(vgl Eicher in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 21 RdNr 34 ff). Dies gilt nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate sowohl für den Leistungsausschluss wegen einer den Regelbedarf unterschreitenden ausländischen Rentenleistung als auch den Leistungsausschluss eines Erwerbsfähigen wegen der Unterbringung in einer stationären Einrichtung oder in einem Krankenhaus nach § 7 Abs 4 S 1 SGB II. Sie sind iS des § 21 SGB XII nach dem SGB II dem Grunde nach nicht mehr leistungsberechtigt und bei Bedürftigkeit auf "die auf gleicher Grundlage wie im SGB II bemessenen und daher vom Umfang im Wesentlichen identischen Leistungen der Sozialhilfe" verwiesen(BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 20; BSG vom 2.12.2014 - B 14 AS 66/13 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 42 RdNr 10, 24; vgl auch BSG vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen - RdNr 47: vorzeitige Altersrente nach Aufforderung durch den Grundsicherungsträger). In gleicher Weise hat der für das Sozialhilferecht zuständige 8. Senat des BSG für den Leistungsausschluss bei Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneten Freiheitsentziehung entschieden. Erwerbsfähige Hilfebedürftige, die einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 4 S 2 SGB II unterfallen, können grundsätzlich Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII beanspruchen(BSG vom 12.12.2013 - B 8 SO 24/12 R - SozR 4-3500 § 67 Nr 1 RdNr 20).

43

Bezogen auf den Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II gilt nichts anderes(Berlit in Berlit/Conradis/Sartorius, Existenzsicherungsrecht, 2. Aufl 2013, Kap 12 RdNr 54; Eicher in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 21 RdNr 35). Der Ausschluss von Personen, die nicht oder nicht mehr über eine Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche verfügen, vom erwerbszentrierten Leistungssystem des SGB II führt dazu, die Sperrwirkung des § 21 SGB XII entfallen zu lassen.

44

d) Allerdings steht dem Rechtsanspruch der Kläger auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII ein Ausschluss aufgrund der Regelung des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII entgegen.

45

(aa) Die Kläger sind zwar nicht iS des § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB XII eingereist, um Sozialhilfe zu erlangen. Es mangelt hier insoweit an dem finalen Zusammenhang zwischen Einreise und Sozialhilfebezug (vgl BSG vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R - BSGE = SozR 4-3500 § 25 Nr 5, RdNr 25). Dieser Zusammenhang liegt vor, wenn der Zweck, Sozialhilfe zu erlangen, den Einreiseentschluss geprägt hat. Wie das BVerwG dies bereits zu der wortgleichen Vorschrift des § 120 Abs 3 S 1 BSHG entschieden hat, bezeichnet schon die Konjunktion "um (…) zu (…)" ein ziel- und zweckgerichtetes Handeln und damit eine Zweck-Mittel-Relation, in der die Einreise das Mittel und die Inanspruchnahme von Sozialhilfe den mit ihr verfolgten Zweck bildet(vgl BVerwG vom 4.6.1992 - 5 C 22/87 - BVerwGE 90, 212, 214; im Anschluss daran etwa LSG Berlin-Brandenburg vom 10.9.2009 - L 23 SO 117/06 - juris-RdNr 27 f; LSG Nordrhein-Westfalen vom 12.1.2009 - L 20 B 58/08 AY - juris-RdNr 25 ff; LSG Niedersachsen-Bremen vom 27.11.2008 - L 8 SO 173/08 ER - juris-RdNr 20 f). Dabei wird diese Zweck-Mittel-Relation jedoch auch dann als gegeben angesehen, wenn die Einreise des Ausländers auf verschiedenen Motiven beruht, der Zweck der Inanspruchnahme für den Einreiseentschluss jedoch von prägender Bedeutung gewesen, also nicht nur neben vorrangigen anderen Zwecken billigend in Kauf genommen worden ist (Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 RdNr 46, Stand VI/2012).

46

So liegt der Fall nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG hier nicht. Es ist keine Zweck-Mittel-Relation im eben dargelegten Sinne gegeben, denn die Kläger zu 1 und 2 sind zur Arbeitsuche eingereist. Das LSG hat dies - wenn auch die Erfolgsaussichten der Arbeitsuche für den hier streitigen Zeitraum verneinend - ausdrücklich festgestellt. So haben die Kläger zu 1 und 2, wie das LSG unter Hinweis auf die Beratungsvermerke in den Akten ausgeführt hat, mehrfach Deutschkurse beantragt und sich auch sonst um Eingliederungsleistungen bemüht. Sie haben auch nicht schon bei der Einreise oder kurz danach, sondern erstmals nach rund einem Jahr ihres Aufenthalts in Deutschland und dann erneut rund noch einmal ein weiteres Jahr später existenzsichernde Leistungen beantragt. Der Kläger zu 3 folgt dem als Familienangehöriger.

47

(bb) Die Kläger unterfallen auch nicht dem Wortlaut der Alt 2 des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII. Sie verfügten - wie unter 2.a) dargelegt - im streitigen Zeitraum nicht mehr über ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche. Dies ist nach dem Wortlaut des § 23 Abs 3 SGB XII jedoch Voraussetzung für den Ausschluss von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII. Der Ausschluss tritt danach nur dann ein, wenn ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche im streitigen Zeitraum tatsächlich gegeben ist.

48

(cc) Ebenso wie oben zum Leistungsausschluss im SGB II dargelegt, sind jedoch auch nach § 23 Abs 3 S 1 SGB XII nichtfreizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigte Ausländer von den existenzsichernden Leistungen der Sozialhilfe ausgenommen(offengelassen BSG vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R - BSGE = SozR 4-3500 § 25 Nr 5, RdNr 25; aA Herbst in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und der Sozialhilfe, Band 1 Teil II, Stand VIII/2013, § 23 SGB XII RdNr 47b; Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 RdNr 54d, Stand VI/2012).

49

Im Entwurf des Gesetzes zur Änderung des SGB XII und anderer Gesetze vom 25.9.2006 (BT-Drucks 16/2711 S 10) wird darauf hingewiesen, dass die Einfügung der Alt 2 in § 23 Abs 3 S 1 SGB XII einen der Regelung im SGB II entsprechenden Leistungsausschluss für Ausländer normiere und damit zugleich sicherstelle, dass Ausländer, die nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende hätten, auch aus dem SGB XII keine Ansprüche herleiten könnten. § 7 Abs 1 S 2 SGB II in der damaligen Fassung lautete: Ausgenommen sind Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt [und] ihre Familienangehörigen (…)(idF des Gesetzes zur Änderung des SGB II und anderer Gesetze vom 24.3.2006, BGBl I 558 mWv 1.4.2006). Es sollte damit Art 24 Abs 2 iVm Art 14 Abs 4 Buchst b der RL 2004/38/EG umgesetzt werden (BT-Drucks 16/2711 S 10). Nach Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG ist der Aufnahmemitgliedstaat - unter Hintanstellung des Gleichbehandlungsgrundsatzes - nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG (Zeitraum der Arbeitsuche, s unter 2.a) einen Anspruch auf Sozialhilfe (…) zu gewähren. Die dort vorgenommene Abgrenzung zwischen den gleich zu behandelnden Personengruppen und denen, die aus europarechtlicher Sicht von den Aufnahmestaaten von der Sozialhilfe ausgeschlossen werden dürfen, erfolgt, indem der Personenkreis der Freizügigkeitsberechtigten, die der Gleichbehandlung unterfallen, positiv benannt wird. Im Umkehrschluss ergibt sich, dass neben denen, die freizügigkeitsberechtigt wegen der Arbeitsuche sind und denen der Aufnahmestaat gleichwohl keine Sozialhilfeleistungen zu erbringen braucht, dies auch für die Nichtfreizügigkeitsberechtigten gilt. Sie unterfallen nicht dem Gleichbehandlungsgebot.

50

Soweit spätere Versuche, eine weitergehende Anpassung der Rechtslage des SGB II an das SGB XII zu bewirken, nicht erfolgreich waren (s nur BT-Drucks 16/2711 S 16; BT-Drucks 16/2753 S 1, 2; BT-Drucks 16/5527 S 15, 23; BT-Drucks 16/239 S 13, 17), sprechen diese Versuche und die Reaktionen hierauf nicht für das Erfordernis einer anderen Wertung im Hinblick auf den "Erst-Recht-Schluss" im SGB XII als im SGB II. Die zuvor beschriebene Anpassung des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII war ausreichend, um die gewünschte Parallele zum SGB II für die hier zu beurteilenden Fälle zu ermöglichen. Insbesondere bedurfte es keiner Reaktion auf die Änderung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 (BGBl I, 1970 mWv 28.8.2007). Die Umstrukturierung des S 2 und die Einfügung der Nr 1 in § 7 Abs 1 S 2 SGB II ist für das SGB XII ohne Bedeutung.

51

e) Zwar ist Rechtsfolge des Ausschlusses nach § 23 Abs 3 S 1 SGB XII, dass trotz des tatsächlichen Aufenthalts im Inland kein Rechtsanspruch auf ua Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 23 Abs 1 S 1 SGB XII besteht. In einem solchen Fall des Ausschlusses können jedoch nach § 23 Abs 1 S 3 SGB XII Leistungen der Sozialhilfe gewährt werden, wenn dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Ausschlussregelung, denn sie nimmt lediglich Bezug auf den "Anspruch" auf Sozialhilfe. Dementsprechend hat bereits das BVerwG zu der Vorschrift des § 120 Abs 3 S 1 Alt 1 BSHG befunden, dass Ausländer, die dem Leistungsausschluss unterfielen, weil sie eingereist seien, um Sozialhilfe zu erlangen, lediglich von einem Rechtsanspruch ua auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 120 Abs 1 S 1 BSHG ausgeschlossen seien(BVerwG vom 10.12.1987 - 5 C 32/85 - BVerwGE 78, 314, 316 f; Schellhorn/Jirasek/Seipp, Kommentar zum BSHG, 16. Aufl 2002, § 25 RdNr 10, § 120 RdNr 16; so auch Krahmer in LPK-BSHG, 6. Aufl 2003, § 25 RdNr 7; Birk in ders, § 120 RdNr 47). Insoweit gilt für die Regelung des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII, die der Gesetzgeber in Kenntnis der Rechtsprechung des BVerwG im Wesentlichen inhaltsgleich ausgestaltet hat(BT-Drucks 15/1514 S 58), nichts anderes (vgl BSG vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R - BSGE = SozR 4-3500 § 25 Nr 5, RdNr 28; s auch Adolph in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, § 23 SGB XII RdNr 76, Stand XII/2008; Birk in LPK-SGB XII, 10. Aufl 2015, § 23 RdNr 20; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl 2014, § 23 RdNr 42; differenzierend Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 RdNr 50, Stand VI/2012, der einen Rechtsanspruch auf die im Einzelfall gebotenen Leistungen annimmt, um zu einem Gleichklang mit § 1a AsylbLG zu gelangen).

52

Der Ausschluss nur von dem Rechtsanspruch auf die in S 1 des § 23 Abs 1 SGB XII benannten Leistungen erschließt sich auch aus dem - im Übrigen gegenüber § 120 BSHG unveränderten - systematischen Verhältnis der Regelungen der Sätze 1 und 3 in Abs 1 des § 23 SGB XII zueinander. Durch § 23 Abs 1 S 1 SGB XII erhält der Ausländer ausschließlich unter der Voraussetzung, dass er sich tatsächlich im Inland aufhält, einen Rechtsanspruch auf Leistungen der Sozialhilfe nach einem reduzierten Leistungskatalog, aber der Höhe nach uneingeschränkt. Hiervon sollen diejenigen, die die Ausschlusstatbestände des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII erfüllen, ausgeschlossen werden, nicht jedoch von dem der Sozialhilfe systemimmanenten grundsätzlichen Anspruch auf Hilfe bei bedrohter Existenzsicherung(s hierzu BVerwG vom 14.3.1985 - 5 C 145/83 - BVerwGE 71, 139; BVerwG vom 10.12.1987 - 5 C 32/85 - BVerwGE 78, 314, 317 ff). Diesem Personenkreis sollen daher nur nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens Leistungen der Sozialhilfe erbracht werden können, aber eben auch solche Leistungen, die nach S 1 des § 23 Abs 1 SGB XII vom Rechtsanspruch ausgenommen worden sind, soweit im Einzelfall geboten.

53

f) Das Ermessen des Sozialhilfeträgers ist jedoch in einem Fall wie dem vorliegenden, dem Grunde und der Höhe nach hinsichtlich der Hilfe zum Lebensunterhalt auf Null reduziert. Dies ist immer dann der Fall, wenn sich das Aufenthaltsrecht des ausgeschlossenen Ausländers verfestigt hat - regelmäßig ab einem sechsmonatigen Aufenthalt in Deutschland. Dies folgt aus der Systematik des § 23 Abs 3 S 1 Alt 2 SGB XII im Verhältnis zu § 23 Abs 1 S 1 und 3 SGB XII sowie verfassungsrechtlichen Erwägungen.

54

So bezieht sich der ausdrückliche Ausschluss der Alt 2 des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII auf den im Freizügigkeitsgesetz/EU zeitlich begrenzten Vorgang der Arbeitsuche. Unter 2.a) ist bereits dargelegt worden, dass die Freizügigkeitsberechtigung zum Zwecke der Arbeitsuche nach dem Ablauf von sechs Monaten gemäß § 2 Abs 1a FreizügG/EU idF des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften vom 2.12.2014 (BGBl I 1922) endet, wenn nicht weiterhin eine begründete Aussicht auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit besteht. Diese Begrenzung der Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche dient nach den Gesetzesmaterialien der Umsetzung von Unionsrecht in seiner Auslegung durch den EuGH, der entschieden habe, dass die Mitgliedstaaten berechtigt seien, das Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche auf einen angemessenen Zeitraum zu begrenzen, wobei der EuGH von einem Zeitraum von sechs Monaten ausgegangen sei (BT-Drucks 18/2581 S 15 zu Art 1 Nr 1 Buchst b; vgl dazu bereits BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 29). Mit dem auf den konkreten Einzelfall abstellenden Zusatz - "darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden" - nimmt die Neuregelung lediglich die Formulierung in Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG auf, enthält jedoch mit der allgemein geltenden zeitlichen Begrenzung - "für bis zu sechs Monate" - eine Typisierung. Für diese typisierte Dauer einer Arbeitsuche von sechs Monaten nach der Einreise liegt eine Aufenthaltsverfestigung noch nicht vor, weil hinter der zeitlichen Begrenzung die Erwartung steht, es handele sich um einen angemessenen Zeitraum, die Erfolgsaussichten einer Arbeitsuche in einem anderen Mitgliedstaat ohne Aufenthaltsverfestigung zu prüfen.

55

Werden diese Erwartungen enttäuscht und bleibt der tatsächliche Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland nach Ablauf von sechs Monaten bestehen, tritt im Regelfall eine Aufenthaltsverfestigung ein, der nach geltendem Recht ausländerbehördlich entgegengetreten werden kann. Bestand nie eine Freizügigkeitsberechtigung wegen eines Aufenthalts zur Arbeitsuche oder besteht diese nach Ablauf von sechs Monaten mangels begründeter Aussichten, eingestellt zu werden, nicht mehr, kann durch die Ausländerbehörde der Verlust der Freizügigkeitsberechtigung durch Verwaltungsakt festgestellt werden (Verlustfeststellung nach § 5 Abs 4 S 1 FreizügG/EU). Erst die förmliche Verlustfeststellung begründet nach § 7 Abs 1 S 1 FreizügG/EU die sofortige Ausreisepflicht, wenn nicht Rechtsschutz in Anspruch genommen wird(vgl BT-Drucks 16/5065 S 211 zu Art 2 Nr 8 Buchst a Doppelbuchst aa). In tatsächlicher Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass von der rechtlichen Möglichkeit der Verlustfeststellung nur in geringem Umfang Gebrauch gemacht wird (Thym, NZS 2014, 81, 87; BT-Drucks 17/13322 S 19). Zur Prüfung der Voraussetzungen einer Verlustfeststellung kann die zuständige Ausländerbehörde im Übrigen nach § 5 Abs 2 S 1 FreizügG/EU bereits frühzeitig, nämlich drei Monate nach der Einreise, verlangen, dass die Voraussetzungen nach § 2 Abs 1 FreizüG/EU glaubhaft gemacht werden.

56

Ist hiernach typisierend von einer Aufenthaltsverfestigung auszugehen, ist die Ermessenausübung jedoch daran zu messen, dass der Rechtsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt im Sozialhilferecht ansonsten weder nach dem Grund der Einreise, noch nach Berechtigung oder Dauer des Aufenthalts fragt. Bei der Leistungsgewährung nach dem SGB XII kommt es in erster Linie auf die Tatsache einer gegenwärtigen Hilfebedürftigkeit an (BSG vom 10.11.2011 - B 8 SO 12/10 R - SozR 4-3500 § 30 Nr 4 RdNr 26; BVerwG vom 2.6.1965 - V C 63.64 - BVerwGE 21, 208, 211; vgl auch Berlit in Berlit/Conradis/Sartorius, Existenzsicherungsrecht, 2. Aufl 2013, Kap 7 RdNr 24). Es reicht nach dem Wortlaut des § 23 Abs 1 S 1 SGB XII allein der tatsächliche Aufenthalt in Deutschland aus. Dem Leistungsberechtigten, der über kein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche mehr verfügt und "erst-recht" von dem Rechtsanspruch auf "Sozialhilfeleistungen" iS des § 23 Abs 1 S 1 SGB XII ausgeschlossen ist, mangelt es wie jedem anderen Ausländer, der sich tatsächlich im Inland aufhält - zunächst einmal ohne Freizügigkeits- oder Aufenthaltsberechtigung - an einer Aufenthaltsperspektive. Um den Gleichklang mit Letzterem zu erreichen, ist es folgerichtig, zumindest im Hinblick auf die Hilfe zum Lebensunterhalt durch eine Ermessensreduktion, bei verfestigtem Aufenthalt zu denselben Leistungen zu gelangen. Dieses nach Ablauf von regelmäßig sechs Monaten durch ein Vollzugsdefizit des Ausländerrechts bewirkte Faktum eines verfestigten tatsächlichen Aufenthalts des Unionsbürgers im Inland ist unter Berücksichtigung auch der verfassungsrechtlichen Vorgaben kein zulässiges Kriterium, die Entscheidung über die Gewährung existenzsichernder Leistungen dem Grunde und der Höhe nach in das Ermessen des Sozialhilfeträgers zu stellen.

57

Das BVerfG hat in seiner Entscheidung zum AsylbLG (vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134) im Anschluss und in Weiterentwicklung der grundlegenden Entscheidung vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12)Grundlagen und Umfang des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums näher ausgeformt. Wenn Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlten, weil sie weder aus einer Erwerbstätigkeit noch aus eigenem Vermögen oder durch Zuwendungen Dritter zu erlangen seien, sei der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen dafür Hilfebedürftigen zur Verfügung stünden. Als Menschenrecht - und dies ist hier entscheidend - stehe dieses Grundrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhielten, gleichermaßen zu (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 159 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 89, unter Hinweis auf BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12). Eine pauschale Differenzierung nach dem Aufenthaltsstatus hat das BVerfG im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung der existenzsichernden Leistungen ausdrücklich abgelehnt (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 164 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 99). Insoweit komme es für eine abweichende Bedarfsbestimmung darauf an, ob etwa wegen eines nur kurzfristigen Aufenthalts konkrete Minderbedarfe gegenüber Hilfeempfängern mit Daueraufenthaltsrecht nachvollziehbar festgestellt und bemessen werden könnten. Hierbei sei etwa zu berücksichtigen, ob durch die Kürze des Aufenthalts Minderbedarfe durch Mehrbedarfe kompensiert werden könnten, die typischerweise gerade unter den Bedingungen eines nur vorübergehenden Aufenthalts anfielen. Dies lässt sich während des Bestehens eines Aufenthaltsrechts allein zum Zwecke der Arbeitsuche über die Ermessensleistung des § 23 Abs 1 S 3 SGB XII regulieren, nicht jedoch bei verfestigtem Aufenthalt. Denn ließen sich - so das BVerfG - tatsächlich spezifische Minderbedarfe bei einem nur kurzfristigen, nicht auf Dauer angelegten Aufenthalt feststellen, und wolle der Gesetzgeber die existenznotwendigen Leistungen für eine Personengruppe deshalb gesondert bestimmen, müsse er sicherstellen, dass die gesetzliche Umschreibung dieser Gruppe hinreichend zuverlässig tatsächlich nur diejenigen erfasse, die sich regelmäßig nur kurzfristig in Deutschland aufhielten. Eine Beschränkung auf etwaige Minderbedarfe für Kurzaufenthalte komme dann nicht mehr in Betracht, wenn der tatsächliche Aufenthalt die Spanne eines Kurzaufenthalts deutlich überschritten habe. Für diese Fälle sei ein zeitnaher Übergang zu den existenzsichernden Leistungen für Normalfälle vorzusehen (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 164 ff = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 99 ff). Dies begründet im Regelfall eine Ermessensreduktion auf Null und damit eine Anpassung der Hilfe zum Lebensunterhalt für diejenigen, die sich nicht nur kurzfristig im Inland aufhalten. Denn im Übrigen weist das BVerfG darauf hin, dass eine Regelung zur Existenzsicherung vor der Verfassung nur Bestand habe, wenn Bedarfe durch Anspruchsnormen gesichert würden (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 162 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 96).

58

Tatsächliche Hinweise darauf, dass von einer Ermessensreduzierung trotz des Zeitablaufs ausnahmsweise abzusehen ist, sind den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen. Derartige Umstände können insbesondere vorliegen, wenn die tatsächlichen Lebensumstände des Unionsbürgers darauf schließen lassen, dass er nicht auf Dauer im Inland verweilen wird. Gleiches gilt, wenn die Ausländerbehörde bereits konkrete Schritte zur Beendigung des Aufenthalts eingeleitet hat. Demgegenüber haben sich die Kläger im streitigen Zeitraum bereits mehr als zwei Jahre in Deutschland aufgehalten, ohne dass derartige Maßnahmen im Raum standen.

59

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben unberührt. Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Die Einschränkungen nach Satz 1 gelten nicht für Ausländer, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind und sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten. Rechtsvorschriften, nach denen außer den in Satz 1 genannten Leistungen auch sonstige Sozialhilfe zu leisten ist oder geleistet werden soll, bleiben unberührt.

(2) Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes erhalten keine Leistungen der Sozialhilfe.

(3) Ausländer und ihre Familienangehörigen erhalten keine Leistungen nach Absatz 1 oder nach dem Vierten Kapitel, wenn

1.
sie weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt oder
3.
sie eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen.
Satz 1 Nummer 1 und 3 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Hilfebedürftigen Ausländern, die Satz 1 unterfallen, werden bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen); die Zweijahresfrist beginnt mit dem Erhalt der Überbrückungsleistungen nach Satz 3. Hierüber und über die Möglichkeit der Leistungen nach Absatz 3a sind die Leistungsberechtigten zu unterrichten. Die Überbrückungsleistungen umfassen:
1.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege,
2.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe nach § 35 und § 35a, einschließlich der Bedarfe nach § 30 Absatz 7,
3.
die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen und
4.
Leistungen nach § 50 Nummer 1 bis 3.
Soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, werden Leistungsberechtigten nach Satz 3 zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von Absatz 1 gewährt; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist. Abweichend von Satz 1 Nummer 2 erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach Absatz 1 Satz 1 und 2, wenn sie sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 7 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des tatsächlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Ausländerrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(3a) Neben den Überbrückungsleistungen werden auf Antrag auch die angemessenen Kosten der Rückreise übernommen. Satz 1 gilt entsprechend, soweit die Personen allein durch die angemessenen Kosten der Rückreise die in Absatz 3 Satz 5 Nummer 1 und 2 genannten Bedarfe nicht aus eigenen Mitteln oder mit Hilfe Dritter decken können. Die Leistung ist als Darlehen zu erbringen.

(4) Ausländer, denen Sozialhilfe geleistet wird, sind auf für sie zutreffende Rückführungs- und Weiterwanderungsprogramme hinzuweisen; in geeigneten Fällen ist auf eine Inanspruchnahme solcher Programme hinzuwirken.

(5) Hält sich ein Ausländer entgegen einer räumlichen Beschränkung im Bundesgebiet auf oder wählt er seinen Wohnsitz entgegen einer Wohnsitzauflage oder einer Wohnsitzregelung nach § 12a des Aufenthaltsgesetzes im Bundesgebiet, darf der für den Aufenthaltsort örtlich zuständige Träger nur die nach den Umständen des Einzelfalls gebotene Leistung erbringen. Unabweisbar geboten ist regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des Bedarfs für die Reise zu dem Wohnort, an dem ein Ausländer seinen Wohnsitz zu nehmen hat. In den Fällen des § 12a Absatz 1 und 4 des Aufenthaltsgesetzes ist regelmäßig eine Reisebeihilfe zu dem Ort im Bundesgebiet zu gewähren, an dem der Ausländer die Wohnsitznahme begehrt und an dem seine Wohnsitznahme zulässig ist. Der örtlich zuständige Träger am Aufenthaltsort informiert den bislang örtlich zuständigen Träger darüber, ob Leistungen nach Satz 1 bewilligt worden sind. Die Sätze 1 und 2 gelten auch für Ausländer, die eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 23a, 24 Absatz 1 oder § 25 Absatz 4 oder 5 des Aufenthaltsgesetzes besitzen, wenn sie sich außerhalb des Landes aufhalten, in dem der Aufenthaltstitel erstmals erteilt worden ist. Satz 5 findet keine Anwendung, wenn der Wechsel in ein anderes Land zur Wahrnehmung der Rechte zum Schutz der Ehe und Familie nach Artikel 6 des Grundgesetzes oder aus vergleichbar wichtigen Gründen gerechtfertigt ist.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Oktober 2013 insoweit aufgehoben, als er zur Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 11. Oktober 2010 bis 7. November 2011 verurteilt worden ist.

Insoweit wird die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 20. November 2012 zurückgewiesen.

Die Beigeladene wird verurteilt, den Klägern Hilfe zum Lebensunterhalt für den Zeitraum vom 11. Oktober 2010 bis 7. November 2011 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beigeladene hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Ansonsten haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit steht die Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Kläger im Zeitraum vom 11.10.2010 bis 7.11.2011.

2

Die Kläger sind rumänische Staatsangehörige. Die Kläger zu 1 und 2 zogen 2008 mit ihren beiden gemeinsamen Kindern - geboren 1992 und im Februar 1995 (Kläger zu 3) - von Rumänien bzw über Belgien nach Deutschland. Sie verfügen seit November 2008 über eine Freizügigkeitsbescheinigung/EU und die Kläger zu 1 und 2 seit Ende 2011 (nach dreijährigem Aufenthalt) über eine unbefristete Arbeitsberechtigung. Der Kläger zu 1 hatte in Rumänien eine Schlosserlehre absolviert, war dann zur Armee eingezogen worden und arbeitete 1993 bis 1995 als Taxifahrer sowie anschließend als Tagelöhner in der Landwirtschaft. Ein von ihm 1992/1993 in Deutschland gestellter Asylantrag wurde abschlägig beschieden. Seine Ehefrau ging in Rumänien keiner Erwerbstätigkeit nach. Sie übt seit dem 8.11.2012 eine mit 200 Euro netto monatlich geringfügig entlohnte Beschäftigung aus. Bis Ende 2010 verkauften die Kläger zu 1 und 2 die Obdachlosenzeitung "Fifty-Fifty" zu einem Abgabepreis von 1,80 Euro und einem "Einkaufspreis" von 0,90 Euro. Der Differenzbetrag von rund je 120 Euro im Monat verblieb bei ihnen. Der Kläger zu 1 hatte vom 13.10.2008 bis 29.10.2009 ein Gewerbe angemeldet ("Abbruch- und Entkernungsarbeiten, Hilfsarbeiten auf Baustellen"), das er jedoch nicht betrieb und mit dem er auch keine Einkünfte erzielte. Für die beiden Söhne erhielten die Eheleute Kindergeld in Höhe von je 184 Euro. Die Söhne besuchten in Deutschland die Schule.

3

Erstmals Ende 2009 lehnte der Beklagte die Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bindend ab. Ein erneuter Antrag der Kläger vom 11.10.2010, den sie mit der Einreise zur Arbeitsuche begründeten, wurde vom Beklagten ebenfalls abschlägig beschieden (Bescheid vom 19.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2010). Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes hiergegen verpflichtete das LSG den Beklagten, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom 17.5.2011 bis maximal zum 17.11.2011 zu erbringen. Dies führte der Beklagte durch Bescheide vom 14.6., 7.7., 26.7. und 1.8.2011 aus. Ebenso vollzog sich das Verfahren nach einem weiteren Antrag der Kläger vom 7.11.2011 (ablehnender Bescheid vom 15.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2011, Ausführungsbescheide des Beklagten vom 22.6.2012 nach dem Erlass einer einstweiligen Anordnung des LSG für den Zeitraum vom 23.11.2011 bis 30.6.2012). Am 14.1.2013, der Höhe nach geändert durch Bescheid vom 5.2.2013, bewilligte der Beklagte den Klägern die begehrten Leistungen ab dem 1.11.2012, also seit dem Monat der Aufnahme der Beschäftigung durch die Klägerin zu 2.

4

Die gegen den Bescheid vom 19.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2010 erhobene Klage hat das SG durch Urteil vom 20.11.2012 unter Hinweis darauf, dass die Kläger nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II von Leistungen der Grundsicherung ausgeschlossen seien, abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das LSG dieses Urteil geändert und den Beklagten unter Änderung der benannten Bescheide verurteilt, den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften für den Zeitraum vom 11.10.2010 bis 7.11.2011 zu bewilligen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II greife im Falle der Kläger nicht. Sie verfügten über kein materielles Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland. Der Sohn der Kläger zu 1 und 2 (Kläger zu 3) sei im streitigen Zeitraum Schüler gewesen. Die Kläger zu 1 und 2 seien keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen. Das vom Kläger zu 1 angemeldete Gewerbe sei nie betrieben und es seien keine Einkünfte daraus erzielt worden. Der Verkauf der Obdachlosenzeitung stelle keine Beschäftigung dar, die zu einem Status als Arbeitnehmer geführt haben könne. Es handele sich dabei um eine untergeordnete Tätigkeit, die nicht in einem Arbeitsverhältnis verrichtet worden sei. Die Kläger zu 1 und 2 seien auch nicht arbeitsuchend gewesen, denn sie hätten allein wegen der Sprachbarrieren keine Chance auf Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt gehabt. Daher komme es auch nicht darauf an, dass die Kläger vor dem 1.10.2011 über eine unbefristete Freizügigkeitsberechtigung/EU verfügt hätten. Auf einen EU-Bürger ohne materielles Aufenthaltsrecht finde der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II keine Anwendung. Dies erschließe sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, die auf den Aufenthaltszweck "allein zur Arbeitsuche" abstelle. Eine erweiternde Auslegung im Sinne des Erst-Recht-Schlusses komme wegen des Ausnahmecharakters des Ausschlusses nicht in Betracht. Die Vorschrift sei nicht analogiefähig. Es liege keine unbeabsichtigte Regelungslücke vor. Dass der aus dem mangelnden Aufenthaltsrecht folgende Ausweisungsgrund nicht vollzogen werde, sei kein Grund, EU-Bürger von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in erweiternder Auslegung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II auszuschließen(Urteil des LSG vom 10.10.2013).

5

Der Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und begründet sie damit, dass das Urteil des LSG § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II verletze. Die dortige Auslegung der Vorschrift führe dazu, dass ausgerechnet Personen, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht oder kaum integrierbar seien, vom Leistungsausschluss für arbeitsuchende Unionsbürger nicht betroffen würden.

6

Er beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Oktober 2013 aufzuheben und die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 20. November 2012 zurückzuweisen.

7

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Beigeladene zu verurteilen, ihnen Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII im Zeitraum vom 11. Oktober 2010 bis 7. November 2011 zu gewähren.

8

Sie halten die Ausführungen des LSG für zutreffend. Zwar sei nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Alimanovic nun klargestellt, dass der in § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II formulierte Leistungsausschluss europarechtskonform sei. Dies betreffe jedoch nicht die Kläger. Bei ihnen liege es näher, einen Vergleich zu der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Dano zu ziehen, wonach wirtschaftlich nicht aktiven Unionsbürgern anderer Mitgliedstaaten keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu erbringen seien. Insoweit mangele es jedoch an einer einfachgesetzlichen Regelung im deutschen Recht.

9

Die Beigeladene hat keinen eigenen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG, soweit es den Beklagten zur Leistungserbringung verurteilt hat, begründet. Die Beigeladene ist verpflichtet, die Existenzsicherung der Kläger nach den Vorschriften des SGB XII zu gewährleisten.

11

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (2.). Sie können jedoch Hilfe zum Lebensunterhalt von der Beigeladenen nach § 23 Abs 1 S 3 SGB XII beanspruchen (3.).

12

1. Streitgegenstand ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, die der Beklagte durch Bescheid vom 19.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2010 abgelehnt hat. Der streitige Zeitraum beginnt mit der Antragstellung am 11.10.2010, als dem "Türöffner" für das Verwaltungsverfahren (zuletzt BSG vom 24.4.2015 - B 4 AS 22/14 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 71 RdNr 17), und endet, da die Kläger ihr Begehren im zweitinstanzlichen Gerichtsverfahren bis zu diesem Zeitpunkt beschränkt haben, mit der erneuten Antragstellung am 7.11.2011. Die die Entscheidungen des LSG im vorläufigen Rechtsschutz ausführenden Bescheide des Beklagten sind, wie das LSG zutreffend befunden hat, nicht nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden(vgl BSG vom 27.6.2013 - B 10 EG 2/12 R - SozR 4-7837 § 2 Nr 21 RdNr 20 mwN; s auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 96 RdNr 4b unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des BSG).

13

Unschädlich ist auch, dass die Kläger im Berufungsverfahren, trotz der Beiladung der Stadt Gelsenkirchen, nicht zumindest hilfsweise deren Verurteilung oder Verpflichtung zur Leistungserbringung nach dem SGB XII beantragt haben. Im Falle der - hier vom LSG vorgenommenen notwendigen Beiladung nach § 75 Abs 2 2. Alt SGG (unechte notwendige Beiladung) - ist zumindest davon auszugehen, dass die Kläger hilfsweise die Verurteilung der Beigeladenen begehren (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 75 RdNr 18a; weitergehend BSG vom 28.5.2015 - B 7 AY 4/12 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen - RdNr 10). Denn nach § 75 Abs 5 SGG darf der beigeladene Träger verurteilt werden, obwohl er nicht verklagt ist. Mit der Vorschrift des § 75 Abs 2 2. Alt iVm Abs 5 SGG unterstellt der Gesetzgeber, dass der Kläger zwar in erster Linie die Verurteilung des beklagten Trägers, hilfsweise jedoch auch die jedes anderen in Frage kommenden Trägers begehrt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Kläger diese Verurteilung ausdrücklich ablehnt ( BSG vom 15.1.1959 - 4 RJ 111/57 - BSGE 9, 67, 70; BSG vom 2.11.2000 - B 11 AL 25/00 R - RdNr 25). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Bei dem im Revisionsverfahren gestellten Hilfsantrag auf Verurteilung der Beigeladenen handelt es sich aus diesen Gründen auch nicht um eine an sich im Revisionsverfahren nach § 168 S 1 SGG nicht mehr zulässige Klageänderung im Sinne der Klageerweiterung(vgl hierzu BSG vom 30.1.1985 - 2 RU 69/83 - SozR 1500 § 168 Nr 3; BSG vom 4.2.1965 - 11/1 RA 312/63 - SozR Nr 27 zu § 75 SGG; s auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 168 RdNr 2c und § 75 RdNr 12a).

14

Ebenso wenig wird die Zulässigkeit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage dadurch berührt, dass die Kläger bereits vorläufige Leistungen erhalten haben. Dies war zum einen nur für einen Teil des hier streitigen Zeitraums der Fall (BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 12 zur Unzulässigkeit bei dem Ausscheiden jeglichen Zahlungsanspruchs). Zum anderen hat sich der Rechtsstreit nach der ständigen Rechtsprechung des BSG auch nicht teilweise dadurch erledigt, dass für den Fall der nunmehr beantragten hilfsweisen Verurteilung der Beigeladenen die Leistungserbringung des Sozialhilfeträgers bereits (teilweise) als erfüllt iS des § 107 Abs 1 SGB X gilt(BSG vom 8.8.1990 - 11 RAr 79/88 - SozR 3-1300 § 104 Nr 3 S 4 f; BSG vom 9.9.1993 - 7/9b RAr 28/92 - BSGE 73, 83, 84 f = SozR 3-4100 § 58 Nr 5 S 11; BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 12).

15

2. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gegen den Beklagten. Sie sind unabhängig von der bestehenden Hilfebedürftigkeit iS des § 7 Abs 1 S 1 Nr 3 iVm § 9 SGB II, ihres gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland(§ 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II; vgl zum Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34 RdNr 17 ff)und der Erfüllung der Altersgrenzen des § 7 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB II im streitigen Zeitraum zumindest durch die Kläger zu 1 und 2 sowie deren Erwerbsfähigkeit(§ 7 Abs 1 S 1 Nr 2 iVm § 8 SGB II - auch nach § 8 Abs 2 SGB II, weil ihnen als Rumänen trotz seinerzeit nur eingeschränkter Arbeitnehmerfreizügigkeit als EU-Ausländern die Aufnahme einer Beschäftigung hätte erlaubt werden können, vgl BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 14 ff)von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aufgrund von § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II(idF vom 28.8.2007 durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007, BGBl I 1970, 2008) ausgeschlossen. Danach sind von den benannten Leistungen ausgenommen 1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige noch aufgrund des § 2 Abs 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts und 2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt und ihre Familienangehörigen.

16

a) Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II unterfallen die Kläger nicht einer Ausnahme von der Leistungsberechtigung nach § 7 Abs 1 S 1 SGB II. Sie haben sich im streitigen Zeitraum vom 11.10.2010 bis 7.11.2011 bereits mehr als drei Monate in Deutschland aufgehalten, denn sie sind im Herbst des Jahres 2008 eingereist. Ihr Aufenthaltsrecht ergibt sich auch nicht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche. So sind die Kläger zu 1 und 2 zwar zur Arbeitsuche in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Für den hier streitigen Zeitraum folgt hieraus jedoch kein materielles Aufenthaltsrecht mehr. Sie waren nicht mehr arbeitsuchend iS des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II.

17

Der Begriff der "Arbeitsuche" ist im vorliegenden Kontext freizügigkeitsrechtlich geprägt. Der Gesetzgeber hat in § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II - anders als in § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II - zwar nicht ausdrücklich Bezug auf die Regelungen des FreizügG/EU genommen. Aus der Verknüpfung mit dem "Aufenthaltsrecht" folgt jedoch bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift, dass die dortigen Regelungen sowie die der RL 2004/38/EG zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der "Arbeitsuche" heranzuziehen sind. Dies wird durch den Gesetzentwurf zur Änderung des S 2 des § 7 Abs 1 SGB II(BT-Drucks 16/5065 S 234; Änderung des SGB II zum 28.8.2007 durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007, BGBl I 1970, 2008) bestätigt. Danach sollten mit den Neuregelungen in § 7 Abs 1 S 2 SGB II die Unionsbürgerrichtlinie RL 2004/38/EG im Leistungsrecht umgesetzt und insbesondere von der Möglichkeit des Leistungsausschlusses nach Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG Gebrauch gemacht werden. Diese Norm regelt, dass vom Grundsatz der Gleichbehandlung aller Unionsbürger abgewichen werden kann, wenn die betreffende Person weder Arbeitnehmer, noch Selbstständiger oder deren Familienangehöriger ist und sie diesen Status nicht erhalten konnte (vgl hierzu Art 7 Abs 3 Buchst b und c RL 2004/38/EG). Sofern sie als Arbeitsuchende in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates eingereist ist, sieht die Richtlinie durch Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG solange eine Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts als Arbeitsuchende vor, solange sie nachweisen kann, dass sie weiterhin Arbeit sucht und sie eine begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden. Diese Regelung hat der Gesetzgeber zwischenzeitlich (mW ab dem 9.12.2014, BGBl I 1922) ins FreizügG/EU übernommen. In dessen § 2 Abs 2 S 1 Nr 1a FreizügG/EU ist nunmehr geregelt, dass freizügigkeitsberechtigt Unionsbürger sind, die sich zur Arbeitsuche aufhalten, für bis zu sechs Monate und darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Der dies tragende Grundgedanke der Aussicht auf Aufnahme einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist jedoch wegen der Gründung des Normtextes des § 7 Abs 1 S 2 SGB II auf der RL 2004/38/EG auch bereits im streitigen Zeitraum zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Arbeitsuche heranzuziehen.

18

Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs ist die Annahme des LSG revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass sich die Freizügigkeitsberechtigung der Kläger zu 1 und 2 im streitigen Zeitraum nicht mehr allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergab. Auf Grundlage der Anhörung der Kläger in der mündlichen Verhandlung sowie beigezogener Auskünfte und Beratungsvermerke der BA ist das LSG zu dem Ergebnis gelangt, dass sie im streitigen Zeitraum keine realistische Chance auf Erlangung eines Arbeitsplatzes hatten. Die Kläger zu 1 und 2 verfügten nicht über eine verwertbare berufliche Qualifikation oder Ausbildung, nennenswerte Berufserfahrung und deutsche Sprachkenntnisse. Diese fehlenden Kenntnisse stellten ein erhebliches Hindernis bei der Arbeitsuche dar. Zudem war zu berücksichtigen, dass ihre Berechtigung, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, im streitigen Zeitraum zusätzlich noch durch das Erfordernis einer Arbeitsgenehmigung-EU iS des § 284 SGB III(in den hier einschlägigen Fassungen vom 7.12.2006 BGBl I 2814 und vom 20.12.2011 mWv 1.5.2011 BGBl I 2854) iVm der Arbeitserlaubnis-EU nach § 39 Abs 2 S 1 Nr 1 Buchst b AufenthG(in den hier einschlägigen Fassungen vom 25.2.2008, BGBl I 162 und 20.12.2011, mWv 1.5.2011 BGBl I 2854, 2921) - für Unionsbürger aus Rumänien in der ersten Beitrittszeit - beschränkt war. Danach brauchte die BA der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung nur zuzustimmen, wenn für die Beschäftigung deutsche Arbeitnehmer sowie Ausländer, die diesen hinsichtlich der Arbeitsaufnahme rechtlich gleichgestellt waren, oder andere Ausländer, die nach dem Recht der Europäischen Union einen Anspruch auf vorrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt hatten, nicht zur Verfügung standen. Die begründete Aussicht, dass diese beim Fehlen jeglicher Qualifikation der Arbeitsuchenden, wie vorliegend, zur Verfügung stehen, hat das LSG ohne Rechtsfehler negiert. Da die Kläger sich zu Beginn des hier streitigen Zeitraums zudem bereits mehr als zwei Jahre in Deutschland aufgehalten hatten, ohne eine Erwerbstätigkeit ausgeübt zu haben, unterliegt der vom LSG weiter gezogene Schluss der objektiv nicht bestehenden Aussicht der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit keinen durchgreifenden Zweifeln (vgl zum zeitlichen Umfang der materiellen Freizügigkeitsberechtigung der Arbeitsuche: EuGH Rs Antonissen vom 26.2.1991 - C-292/89 RdNr 21; s auch Devetzi, EuR 2014, 638, 642; Lehmann, ZAR 2015, 212, 215; Thym, NJW 2015, 130, 133).

19

b) Die Kläger waren jedoch, auch wenn sie nicht den ausdrücklich normierten Ausnahmen des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II unterfallen, gleichwohl von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen. Denn sie verfügten über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung im Sinne des FreizügG/EU oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht. Damit unterfielen sie "erst-recht" dem Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II. Die Vorschrift ist insoweit planwidrig lückenhaft, als sie nicht ausdrücklich den Ausschluss auch derjenigen normiert, die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen, weil sie einen Leistungsausschluss schon für solche Ausländer anordnet, die sich auf eine solche materielle Freizügigkeitsberechtigung im Sinne des FreizügG/EU berufen können.

20

Der "Erst-Recht-Schluss" ist eine Untergruppe oder ein Spezialfall des Analogieschlusses. Die analoge Anwendung einfachgesetzlicher Vorschriften ist eine anerkannte Methode der richterlichen Rechtsfortbildung und verfassungsrechtlich unter Beachtung der Schranken des Art 20 Abs 3 GG zulässig. Denn hat der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, darf der Richter diese nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern und durch eine judikative Lösung ersetzen, die so im Parlament nicht erreichbar war (BVerfG vom 3.4.1990 - 1 BvR 1186/89 - BVerfGE 82, 6, 11). Daher setzt der Analogieschluss voraus, dass das Gesetz - hier im Hinblick auf eine bestimmte Personengruppe - lückenhaft, also angesichts der erkennbaren Regelungsabsicht des Gesetzgebers "planwidrig" unvollständig ist (vgl dazu Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl 1991, S 373, 375; s nur BSG vom 25.6.2009 - B 10 EG 8/08 R - BSGE 103, 291 = SozR 4-7837 § 2 Nr 2 RdNr 31 mwN). Es muss an der nach dem Regelungsplan des Gesetzes zu erwartenden Regel mangeln (BVerwG vom 11.9.2008 - 2 B 43/08 - Buchholz 237.7 § 23 NWLBG Nr 1 mwN). Dem "Erst-Recht-Schluss" selbst liegt dabei die Erwägung zugrunde, die analoge Anwendung sei immer dann gerechtfertigt, wenn die rechtspolitischen Gründe (Normzwecke) einer Vorschrift bei einem nicht geregelten Lebenssachverhalt noch stärker gegeben sind als bei dem geregelten Normtatbestand (vgl nur Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 8. Aufl 2015, RdNr 898). Dies ist hier im Hinblick auf Unionsbürger oder Ausländer, die über keine Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen, der Fall, wie sich aus der Entstehungsgeschichte der Ausschlussregelung, ihrem systematischen Zusammenhang sowie dem Sinn und Zweck der benannten Vorschrift erschließt (vgl zur Feststellung des Regelungsplans des Gesetzgebers bei einer Unvollständigkeit des Gesetzes, Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl 1991, S 373).

21

(aa) Nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II in der ab dem 1.1.2005 geltenden Fassung des Gesetzes zur optionalen Trägerschaft von Kommunen nach dem SGB II (vom 30.7.2004, BGBl I 2014) waren Ausländer unter den Voraussetzungen des § 8 Abs 2 SGB II leistungsberechtigt. Ein Ausschluss oder eine Beschränkung der Leistungsberechtigung für Unionsbürger waren mithin nicht vorgesehen. Mit der Neufassung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II durch das Gesetz zur Änderung des 2. Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (vom 24.3.2006, BGBl I 558) ergänzt durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (vom 19.8.2007, BGBl I 2008) erfolgte dann ein grundlegender Paradigmenwechsel. Es sollte von der Option des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG Gebrauch gemacht werden (BT-Drucks 16/5065 S 234). Für Unionsbürger, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen, sollte eine weitere leistungsrechtliche Hürde geschaffen werden, sofern sie wegen des vorbehaltlosen Aufenthalts in den ersten drei Monaten oder allein zum Zweck der Arbeitsuche freizügigkeitsberechtigt sind (BT-Drucks 16/5065 S 234; BT-Drucks 16/688 S 13). Leistungsberechtigt sollten sie nur sein, wenn sie über eine von § 7 Abs 1 S 2 SGB II nicht erfasste Freizügigkeitsberechtigung oder ein sonstiges Aufenthaltsrecht verfügen. Hieraus folgt umgekehrt, dass nicht freizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigte Unionsbürger nach dem gesetzgeberischen Plan von vornherein nicht leistungsberechtigt sein sollten.

22

(bb) Dies entspricht auch der Binnensystematik und der Verknüpfung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II mit dem im Gesetzentwurf unter Bezug genommenen Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG. Danach ist der Aufnahmemitgliedstaat - unter Hintanstellung des Gleichbehandlungsgrundsatzes - nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG (Zeitraum der Arbeitsuche, s unter 2.a) einen Anspruch auf Sozialhilfe (…) zu gewähren. Das Gleichbehandlungsgebot, also auch die Verpflichtung zur Gleichbehandlung bei der Gewährung existenzsichernder Leistungen, gilt mithin umgekehrt grundsätzlich nur dann, wenn eine Freizügigkeitsberechtigung des Unionsbürgers im Sinne der Richtlinie gegeben ist. Zugleich wird im Hinblick auf den Aufenthalt in den ersten drei Monaten und zur Arbeitsuche durch den Hinweis auf Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG eine Ausnahme normiert. Mit der Einfügung der Nr 1 und 2 in den S 2 des § 7 Abs 1 SGB II sollte demnach von den unionsrechtlich eröffneten Ausschlussgründen auch bei Bestehen einer Freizügigkeitsberechtigung Gebrauch gemacht werden. Hierin fügt sich die Systematik der Rückausnahmen in § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II für freizügigkeitsberechtigte Arbeitnehmer und Selbstständige sowie ihre Familienangehörigen ein. Dementsprechend haben die beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG im Hinblick auf Nr 2 des § 7 Abs 1 S 2 SGB II bisher schon unter Bezug auf § 11 FreizügG/EU (Regelung der Anwendung des AufenthG) angenommen, dass in Fällen, in denen ein anderes Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG - auch neben dem zum Zwecke der Arbeitsuche - besteht, etwa aus anderen familiären Gründen, der Ausschluss ebenfalls nicht eingreift(BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 30 ff; BSG vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28, RdNr 20 ff).

23

Dass der Gesetzgeber es planwidrig unterlassen hat, auch die nicht freizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigten Ausländer ausdrücklich von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auszuschließen, belegt auch die nachfolgende Kontrollüberlegung zu dem System der Eingliederungsleistungen im SGB II. Nach der Grundkonzeption des SGB II ist es Ziel dieser Leistungen, dass leistungsberechtigte Personen ohne eine Erwerbstätigkeit bei der Aufnahme einer solchen unterstützt werden, also Arbeit zu finden und, wenn sie bisher erfolglos Arbeit gesucht haben, dies mit einer Unterstützung durch Eingliederungsleistungen erfolgreich zu tun. Wenn ein EU-Ausländer aber Leistungen nach §§ 16 ff SGB II für eine erfolgreiche Arbeitsuche erhält, liegen die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II (wieder) vor. Dass ein solcher Zirkelschluss vom Gesetzgeber gewollt war, kann nicht angenommen werden. Es ist daher vielmehr davon auszugehen, dass es seinem Plan entsprach, in den Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II auch die Ausländer einzubeziehen, die keine oder objektiv ohne Erfolgsaussichten Arbeit suchen.

24

(cc) Auch wäre es sinnwidrig und würde der sozialpolitischen Zweckrichtung der Regelung widersprechen, hätten gerade nicht materiell freizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigte Ausländer einen Rechtsanspruch auf diese Leistungen, weil sie nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift nicht von Leistungen ausgeschlossen sind. Sie sind vielmehr, weil ihre Leistungsberechtigung im eigentlichen Sinne nicht gewollt war, "erst-recht" von Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen. Mit der Ausschlussregelung sollte ein Zuzug von Ausländern in den SGB II-Leistungsbezug verhindert werden, soweit keine Verpflichtung zur Gleichbehandlung mit Inländern besteht (vgl BT-Drucks 16/5065 S 234). Nur wer als Unionsbürger freizügigkeitsberechtigt ist - über das Aufenthaltsrecht in den ersten drei Monaten und zur Arbeitsuche hinaus - sollte daher einen Anspruch auf existenzsichernde Leistungen aus dem SGB II erhalten, etwa aufstockend neben der Tätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbstständiger, während der nachgehenden Statuserhaltung oder als deren Familienangehörige. Nach Ablauf der ersten drei Monate des Aufenthalts sei, so die Begründung im Gesetzentwurf, das weitere Aufenthaltsrecht vom Aufenthaltszweck abhängig und damit auch die Leistungsberechtigung nach dem SGB II. So sollte sichergestellt werden, dass durch die Neuregelung im Freizügigkeitsgesetz/EU - die RL 2004/38/EG umsetzend - keine Regelungslücke entsteht (vgl BT-Drucks 16/5065 S 234). Die materielle Freizügigkeits- oder Aufenthaltsberechtigung kann damit nicht hinweggedacht werden, ohne dass die Ausschlussregelung ihren Sinn verlöre.

25

c) Die Kläger konnten sich nicht auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung berufen.

26

(aa) Die Kläger waren nicht als Arbeitnehmer freizügigkeitsberechtigt. Der Begriff des Arbeitnehmers in § 7 Abs 1 S 2 SGB II ist, wie die Wortverbindung in dessen Nr 1 zum FreizügG/EU bereits zeigt, ebenfalls europarechtlich geprägt; durch dieses Gesetz wird die, die Freizügigkeitsrechte der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen innerhalb der Union regelnde RL 2004/38/EG - auf Grundlage der Europäischen Verträge - in das nationale Recht umgesetzt (Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, Vorbemerkung 0.1.2 zum Freizügigkeitsgesetz/EU). Eine kodifizierte Definition des Arbeitnehmerbegriffs findet sich im Europarecht zwar nicht. Es ist daher auf die Ausprägung dessen zurückzugreifen, die er auf Grundlage der Rechtsprechung des EuGH erfahren hat. Die Arbeitnehmereigenschaft wird danach bei der Ausübung einer tatsächlichen und echten Tätigkeit als gegeben angesehen, was gestützt auf objektive Kriterien und in einer Gesamtbetrachtung aller Umstände, die die Art der in Rede stehenden Tätigkeiten und des fraglichen Arbeitsverhältnisses betreffen, festzustellen ist (EuGH Rs Ninni-Orasche vom 6.11.2003 - C-413/01 RdNr 24; EuGH vom 21.2.2013 - C-46/12 RdNr 39 ff; Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 2 FreizügG/EU RdNr 37; Tewocht in Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 9. Edition, Stand XI/2015, § 2 FreizügG/EU RdNr 18 ff). Um Arbeitnehmer zu sein, muss die betreffende Person während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringen, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Dabei sind nicht nur Gesichtspunkte wie die Arbeitszeit und die Höhe der Vergütung zu berücksichtigen, sondern auch solche wie der Anspruch auf bezahlten Urlaub, die Geltung von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Anwendung des Tarifvertrags in der jeweils gültigen Fassung auf den Arbeitsvertrag sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses (EuGH Rs Genc vom 4.2.2010 - C-14/09 RdNr 27). Dies bedeutet, dass eine Integration in den Betrieb des Arbeitgebers gegeben sein muss, bei der die betreffende Person unter der Weisung oder Aufsicht eines Dritten steht, der die zu erbringenden Leistungen und/oder die Arbeitszeiten vorschreibt und dessen Anordnungen durch den Arbeitnehmer zu befolgen sind (vgl Hoffmann in Hofmann/Hoffmann, HK-AuslR, 1. Aufl 2008, § 2 FreizügG/EU RdNr 8). Unter Anwendung dieses Maßstabs und auf Grundlage seiner Feststellungen hat das LSG vorliegend die Arbeitnehmereigenschaft der Kläger zu 1 und 2 zutreffend verneint.

27

Die Kläger zu 1 und 2 haben die Obdachlosenzeitung "Fifty-Fifty" verkauft. Das LSG hat festgestellt, dass damit ein wirtschaftlicher Güteraustausch nicht verbunden gewesen sei, jedenfalls sei dies nicht der prägende Hauptzweck der Tätigkeit gewesen. Vielmehr habe es sich um eine dem Betteln gleichgestellte Tätigkeit gehandelt, die - nach einem Hinweis in dieser Zeitung - unter genehmigungsfreiem Gemeingebrauch des öffentlichen Straßenraumes erfolgte. Die Kläger zu 1 und 2 unterlagen auch nicht den Weisungen der karitativen Organisationen, die diese Zeitung herausgeben. Sie "kauften" die Zeitschriften bei den Herausgebern zum Zwecke des Straßenverkaufs und konnten - ohne weitere Weisungen zu deren Vertrieb - den Differenzbetrag zum Verkaufspreis zur eigenen Verfügung behalten.

28

(bb) Eine selbstständige Erwerbstätigkeit ist - ebenfalls unter Berücksichtigung der europarechtlichen Implikationen - jede Art der wirtschaftlichen Tätigkeit, die in eigener Verantwortung und weisungsfrei erfolgt (Tewocht in Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 9. Edition, Stand XI/2015, § 2 FreizügG/EU RdNr 32). Eine Gewinnerzielungsabsicht muss nicht vorrangiges oder einziges Ziel sein, sie muss aber vorhanden sein. Rein karitative Tätigkeiten fallen nicht hierunter; die Tätigkeit muss daher erwerbsorientiert sein, wobei alle Tätigkeiten erfasst werden, sofern sie mit einer entgeltlichen Gegenleistung verbunden sind und eine Teilnahme am Wirtschaftsleben darstellen (EuGH Rs Sodemare vom 17.6.1997 - C-70/95 RdNr 25; vgl auch Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 2 FreizügG/EU RdNr 78; Müller-Graff in Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl 2012, Art 49 AEUV RdNr 13). Der Selbstständige, der sich auf das Freizügigkeitsrecht der Niederlassungsfreiheit im Sinne der Art 49 ff AEUV berufen kann, muss auch tatsächlich eine wirtschaftliche Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit ausüben (EuGH Rs Factortame vom 25.7.1991 - C-221/89 RdNr 34; Tewocht in Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 9. Edition, Stand XI/2015, § 2 FreizügG/EU RdNr 33)und damit wirtschaftlich in einen anderen Mitgliedstaat integriert sein (Brinkmann in Huber, AufenthG, 1. Aufl 2010, § 2 FreizügG/EU RdNr 29).

29

Diese Voraussetzungen sind nach den zuvor dargelegten Bedingungen, unter denen die Kläger zu 1 und 2 dem Verkauf der Obdachlosenzeitung nachgegangen sind, nicht gegeben. Aber auch mit dem von dem Kläger zu 1 angemeldeten Gewerbebetrieb: "Abbruch- und Entkernungsarbeiten, Hilfsarbeiten auf Baustellen" erfüllte er nicht die Voraussetzungen um den Status als niedergelassener selbstständiger Erwerbstätiger erlangt zu haben. Er hat ausweislich der Feststellungen des LSG erklärt, das Gewerbe nie betrieben und auch keinen Gewinn erzielt zu haben. Abgesehen davon, dass er allein mit der Anmeldung des Gewerbebetriebes nicht am wirtschaftlichen Leben teilgenommen hat, war diese offensichtlich unter Zugrundelegung der getroffenen Feststellungen nicht erwerbsorientiert.

30

(cc) Damit entfällt zugleich der nachgehende Schutz als Arbeitnehmer oder Selbstständiger iS des § 2 Abs 3 FreizügG/EU für die Kläger zu 1 und 2. Danach bleibt für Arbeitnehmer und selbstständig Erwerbstätige die Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs 1 FreizügG/EU unberührt ua bei(2.) unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit oder Einstellung einer selbstständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbstständige keinen Einfluss hatte, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit (S 1). Bei weniger als einem Jahr Beschäftigung gilt dies auch, jedoch nur während der Dauer von sechs Monaten nach der Beendigung der Tätigkeit (S 2). Ebenso wenig haben folglich die Familienangehörigen eine vom Status als Arbeitnehmer oder Selbstständiger abgeleitete Freizügigkeitsberechtigung iS des § 2 FreizügG/EU innegehabt.

31

(dd) Die Kläger waren auch nicht als nichterwerbstätige Unionsbürger iS des § 4 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Danach haben nicht erwerbstätige Unionsbürger, ihre Familienangehörigen und ihre Lebenspartner, die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, das Recht nach § 2 Abs 1 FreizügG/EU, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. Zwar hat das LSG keine Feststellungen zum Krankenversicherungsschutz der Kläger getroffen. Dass sie nicht über ausreichende Existenzmittel verfügten, zeigt sich jedoch bereits daran, dass sie hilfebedürftig iS des § 7 Abs 1 Nr 3 iVm § 9 SGB II waren(vgl zum Maßstab der "nicht ausreichenden Existenzmittel": Thym, NJW 2015, 130, 132).

32

(ee) Anhaltspunkte für ein anderes Aufenthaltsrecht im Sinne des AufenthG sind ebenfalls nicht ersichtlich oder vorgebracht (vgl zum Vorliegen eines anderen Aufenthaltsrechts nur: BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 30 ff; BSG vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28, RdNr 20 ff).

33

(ff) Der fehlenden materiellen Freizügigkeitsberechtigung steht auch nicht entgegen, dass die Kläger zu 1 und 2 nach den bindenden Feststellungen des LSG im Besitz einer Freizügigkeitsbescheinigung/EU nach § 5 Abs 1 FreizügG/EU idF des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union(vom 19.8.2007, BGBl I 1970) waren. Das Ausstellen einer solchen Bescheinigung, die mit Wirkung zum 29.1.2013 im Übrigen abgeschafft worden ist (Streichung des § 5 Abs 1 FreizügG/EU in der vorbenannten Fassung durch das Gesetz zur Änderung des FreizügG/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21.1.2013, BGBl I 86), lässt keine Rückschlüsse auf das Bestehen einer materiellen Freizügigkeitsberechtigung zu.

34

Ihre Ausstellung hatte allein deklaratorische Bedeutung (BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 20; Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 5 FreizügG/EU RdNr 4; noch offengelassen BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 13; s jedoch BSG vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28 RdNr 17). Auch solange § 5 Abs 1 FreizügG/EU idF vom 19.8.2007 noch in Kraft war, erfolgte die Prüfung der Freizügigkeitsberechtigung nach den Kriterien des § 2 FreizügG/EU. Das Freizügigkeitsrecht wurde und wird originär durch den EG-Vertrag/EUV/AEUV und seine Durchführungsbestimmungen begründet und nicht durch die Ausstellung der Aufenthaltskarte (EuGH Rs Dias vom 21.7.2011 - C-325/09 - RdNr 48; s auch VG Augsburg vom 5.6.2008 - Au 1 S 08.450 - juris-RdNr 35, 36). So war umgekehrt in der Vergangenheit die Ausstellung der Bescheinigung über das Freizügigkeitsrecht keine Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Unionsbürgers im Bundesgebiet. Aufgrund der generellen Freizügigkeitsvermutung muss der Aufenthalt desjenigen Unionsbürgers, der schon bei seiner Einreise ins Bundesgebiet keinen Freizügigkeitstatbestand erfüllt hat, solange als rechtmäßig angesehen werden, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts in entsprechender Anwendung des § 5 Abs 5 FreizügG/EU in der bis Januar 2013 geltenden Fassung oder nunmehr aufgrund von § 5 Abs 4 FreizügG/EU bzw der Missbrauchstatbestände in § 2 Abs 7 FreizügG/EU festgestellt hat. Erst die ausländerbehördliche Nichtbestehens- bzw Verlustfeststellung führt zur sofortigen Ausreisepflicht nach § 7 Abs 1 FreizügG/EU. Bis dahin darf sich ein Unionsbürger unabhängig vom Vorliegen einer materiellen Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 FreizügG/EU aufgrund der generellen Freizügigkeitsvermutung im Bundesgebiet aufhalten, ohne ausreisepflichtig zu sein(vgl BT-Drucks 16/5065 S 211 zu Art 2 Nr 8 Buchst a Doppelbuchst aa).

35

(d) Diese Auslegung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II ist auch europarechtskonform. Der EuGH hat sowohl in der Rechtssache Dano (vom 11.11.2014 - C-333/13) als auch in der Rechtssache Alimanovic (vom 15.9.2015 - C-67/14) in den hier gegebenen Fallkonstellationen die Zulässigkeit der Verknüpfung des Ausschlusses von Unionsbürgern anderer Mitgliedstaaten von existenzsichernden Leistungen mit dem Bestehen eines Aufenthaltsrechts im Sinne der RL 2004/38/EG ausdrücklich anerkannt. Nach seiner Rechtsprechung sind Art 24 Abs 1 der RL 2004/38/EG iVm ihrem Art 7 Abs 1 Buchst b und Art 4 VO 883/2004/EG dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vom Bezug bestimmter "besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen" im Sinne des Art 70 Abs 2 VO 883/2004/EG ausgeschlossen werden, während Staatsangehörige des Aufnahmemitgliedstaats, die sich in der gleichen Situation befinden, diese Leistungen erhalten, sofern den betreffenden Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten im Aufnahmemitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG zusteht (EuGH Rs Dano vom 11.11.2014 - C-333/13 RdNr 84). In der Rechtssache Alimanovic hat der EuGH insoweit betont, dass Unionsbürger anderer EU-Staaten, die nach Deutschland eingereist sind, um Arbeit zu suchen, vom deutschen Gesetzgeber vom Bezug von Alg II oder Sozialgeld ausgeschlossen werden können, selbst wenn diese Leistungen als besondere beitragsunabhängige Geldleistungen im Sinne des Art 70 VO 883/2004/EG eingeordnet werden (EuGH Rs Alimanovic vom 15.9.2015 - C-67/14 RdNr 63). Beim Alg II und Sozialgeld handele es sich um Leistungen der "Sozialhilfe" im Sinne des Art 24 Abs 2 der RL 2004/38/EG. Danach haben die Aufnahmestaaten jedoch keine Verpflichtung zur Gleichbehandlung ihrer Staatsangehörigen und solcher anderer EU-Mitgliedstaaten im Hinblick auf einen Anspruch auf Sozialhilfe, wenn Letztere nicht Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder ihnen dieser Status erhalten geblieben ist bzw Familienangehörige dieser sind (s hierzu auch Kingreen in NVwZ 2015, 1503, 1505 f; Padé in jM 2015, 414, 415).

36

3. Den Klägern steht jedoch ein Recht auf Existenzsicherung durch Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII gemäß § 23 Abs 1 S 3 SGB XII in gesetzlicher Höhe gegen die Beigeladene zu.

37

a) Die Kläger waren leistungsberechtigt im Sinne des Sozialhilferechts, weil sie im streitigen Zeitraum ihren Lebensunterhalt nicht iS des § 19 Abs 1 SGB XII iVm § 27 Abs 1 SGB XII aus eigenen Kräften und Mitteln decken konnten.

38

Nach § 19 Abs 1 SGB XII ist Personen Hilfe zum Lebensunterhalt zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten können. Dies war bei den Klägern, wie eingangs dargelegt, im streitigen Zeitraum der Fall. Ihr Bedarf im sozialhilferechtlichen Sinne ist dem Grunde nach zwar teilweise dadurch gedeckt worden, dass sie - durch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zugesprochene SGB II-Leistungen - den leistungslosen Zeitraum überstanden haben (vgl BSG vom 29.9.2009 - B 8 SO 16/08 R - BSGE 104, 213 = SozR 4-1300 § 44 Nr 20, RdNr 14 mwN). Insoweit greift für einen Teil des streitigen Zeitraums die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X ein.

39

b) Einem Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII stand auch eine mangelnde Kenntnis der Beigeladenen von der Bedürftigkeit der Kläger im streitigen Zeitraum nicht entgegen. Die Kläger haben zwar "nur" Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bei dem Beklagten beantragt. Die nach § 18 Abs 1 SGB XII erforderliche Kenntnis der Beigeladenen von dem Bedarf der Kläger liegt jedoch gleichwohl vor. Die Beigeladene muss sich insoweit die Kenntnis des Beklagten aufgrund des Antrags auf SGB II-Leistungen nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG zurechnen lassen (BSG vom 2.12.2014 - B 14 AS 66/13 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 42 RdNr 25; BSG vom 13.2.2014 - B 8 SO 58/13 B - SozR 4-3500 § 25 Nr 4 RdNr 8; BSG vom 26.8.2008 - B 8/9b SO 18/07 R - SozR 4-3500 § 18 Nr 1 RdNr 22 ff).

40

c) Ebenso wenig waren die Kläger nach § 21 S 1 SGB XII von der Hilfe zum Lebensunterhalt ausgeschlossen. § 21 S 1 SGB XII bestimmt, dass Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt erhalten. Die Kläger waren im streitigen Zeitraum nicht dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II, weil sie dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II unterfielen. Dies führt dazu, sie dem System des SGB XII zuzuweisen. Die Erwerbsfähigkeit zumindest der Kläger zu 1 und 2 steht dem nicht entgegen.

41

Schon der Wortlaut des § 21 S 1 SGB XII stellt nicht ausschließlich auf das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit ab, sondern berücksichtigt einen Leistungsanspruch nach dem SGB II dem Grunde nach. Ist mithin ein Erwerbsfähiger wegen des Vorliegens der Voraussetzungen eines Leistungsausschlusses nicht leistungsberechtigt nach dem SGB II, folgt hieraus nicht zwangsläufig ein Leistungsausschluss nach dem SGB XII (BSG vom 25.9.2014 - B 8 SO 6/13 R - BSGE = SozR 4-4200 § 44a Nr 1, RdNr 11). Die "Systemabgrenzung" erfordert vielmehr eine differenzierte Betrachtung der einzelnen Leistungsausschlüsse (Eicher in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 21 RdNr 26, 34; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB XII, § 21 RdNr 46, Stand I/2014; so im Ergebnis auch Coseriu in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 23 RdNr 64). Im Grundsatz gilt für die Systemzuweisung aufgrund der Erwerbszentriertheit des SGB II, dass derjenige, der von dem auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ausgerichteten Leistungssystem des SGB II ausgeschlossen werden soll, dem System des SGB XII zugewiesen wird.

42

Auf dieser Grundlage hat das BSG bereits für andere in § 7 SGB II geregelte Leistungsausschlüsse ausdrücklich entschieden, dass die "Anwendungssperre" des § 21 S 1 SGB XII nicht greift(vgl Eicher in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 21 RdNr 34 ff). Dies gilt nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate sowohl für den Leistungsausschluss wegen einer den Regelbedarf unterschreitenden ausländischen Rentenleistung als auch den Leistungsausschluss eines Erwerbsfähigen wegen der Unterbringung in einer stationären Einrichtung oder in einem Krankenhaus nach § 7 Abs 4 S 1 SGB II. Sie sind iS des § 21 SGB XII nach dem SGB II dem Grunde nach nicht mehr leistungsberechtigt und bei Bedürftigkeit auf "die auf gleicher Grundlage wie im SGB II bemessenen und daher vom Umfang im Wesentlichen identischen Leistungen der Sozialhilfe" verwiesen(BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 20; BSG vom 2.12.2014 - B 14 AS 66/13 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 42 RdNr 10, 24; vgl auch BSG vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen - RdNr 47: vorzeitige Altersrente nach Aufforderung durch den Grundsicherungsträger). In gleicher Weise hat der für das Sozialhilferecht zuständige 8. Senat des BSG für den Leistungsausschluss bei Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneten Freiheitsentziehung entschieden. Erwerbsfähige Hilfebedürftige, die einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 4 S 2 SGB II unterfallen, können grundsätzlich Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII beanspruchen(BSG vom 12.12.2013 - B 8 SO 24/12 R - SozR 4-3500 § 67 Nr 1 RdNr 20).

43

Bezogen auf den Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II gilt nichts anderes(Berlit in Berlit/Conradis/Sartorius, Existenzsicherungsrecht, 2. Aufl 2013, Kap 12 RdNr 54; Eicher in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 21 RdNr 35). Der Ausschluss von Personen, die nicht oder nicht mehr über eine Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche verfügen, vom erwerbszentrierten Leistungssystem des SGB II führt dazu, die Sperrwirkung des § 21 SGB XII entfallen zu lassen.

44

d) Allerdings steht dem Rechtsanspruch der Kläger auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII ein Ausschluss aufgrund der Regelung des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII entgegen.

45

(aa) Die Kläger sind zwar nicht iS des § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB XII eingereist, um Sozialhilfe zu erlangen. Es mangelt hier insoweit an dem finalen Zusammenhang zwischen Einreise und Sozialhilfebezug (vgl BSG vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R - BSGE = SozR 4-3500 § 25 Nr 5, RdNr 25). Dieser Zusammenhang liegt vor, wenn der Zweck, Sozialhilfe zu erlangen, den Einreiseentschluss geprägt hat. Wie das BVerwG dies bereits zu der wortgleichen Vorschrift des § 120 Abs 3 S 1 BSHG entschieden hat, bezeichnet schon die Konjunktion "um (…) zu (…)" ein ziel- und zweckgerichtetes Handeln und damit eine Zweck-Mittel-Relation, in der die Einreise das Mittel und die Inanspruchnahme von Sozialhilfe den mit ihr verfolgten Zweck bildet(vgl BVerwG vom 4.6.1992 - 5 C 22/87 - BVerwGE 90, 212, 214; im Anschluss daran etwa LSG Berlin-Brandenburg vom 10.9.2009 - L 23 SO 117/06 - juris-RdNr 27 f; LSG Nordrhein-Westfalen vom 12.1.2009 - L 20 B 58/08 AY - juris-RdNr 25 ff; LSG Niedersachsen-Bremen vom 27.11.2008 - L 8 SO 173/08 ER - juris-RdNr 20 f). Dabei wird diese Zweck-Mittel-Relation jedoch auch dann als gegeben angesehen, wenn die Einreise des Ausländers auf verschiedenen Motiven beruht, der Zweck der Inanspruchnahme für den Einreiseentschluss jedoch von prägender Bedeutung gewesen, also nicht nur neben vorrangigen anderen Zwecken billigend in Kauf genommen worden ist (Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 RdNr 46, Stand VI/2012).

46

So liegt der Fall nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG hier nicht. Es ist keine Zweck-Mittel-Relation im eben dargelegten Sinne gegeben, denn die Kläger zu 1 und 2 sind zur Arbeitsuche eingereist. Das LSG hat dies - wenn auch die Erfolgsaussichten der Arbeitsuche für den hier streitigen Zeitraum verneinend - ausdrücklich festgestellt. So haben die Kläger zu 1 und 2, wie das LSG unter Hinweis auf die Beratungsvermerke in den Akten ausgeführt hat, mehrfach Deutschkurse beantragt und sich auch sonst um Eingliederungsleistungen bemüht. Sie haben auch nicht schon bei der Einreise oder kurz danach, sondern erstmals nach rund einem Jahr ihres Aufenthalts in Deutschland und dann erneut rund noch einmal ein weiteres Jahr später existenzsichernde Leistungen beantragt. Der Kläger zu 3 folgt dem als Familienangehöriger.

47

(bb) Die Kläger unterfallen auch nicht dem Wortlaut der Alt 2 des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII. Sie verfügten - wie unter 2.a) dargelegt - im streitigen Zeitraum nicht mehr über ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche. Dies ist nach dem Wortlaut des § 23 Abs 3 SGB XII jedoch Voraussetzung für den Ausschluss von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII. Der Ausschluss tritt danach nur dann ein, wenn ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche im streitigen Zeitraum tatsächlich gegeben ist.

48

(cc) Ebenso wie oben zum Leistungsausschluss im SGB II dargelegt, sind jedoch auch nach § 23 Abs 3 S 1 SGB XII nichtfreizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigte Ausländer von den existenzsichernden Leistungen der Sozialhilfe ausgenommen(offengelassen BSG vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R - BSGE = SozR 4-3500 § 25 Nr 5, RdNr 25; aA Herbst in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und der Sozialhilfe, Band 1 Teil II, Stand VIII/2013, § 23 SGB XII RdNr 47b; Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 RdNr 54d, Stand VI/2012).

49

Im Entwurf des Gesetzes zur Änderung des SGB XII und anderer Gesetze vom 25.9.2006 (BT-Drucks 16/2711 S 10) wird darauf hingewiesen, dass die Einfügung der Alt 2 in § 23 Abs 3 S 1 SGB XII einen der Regelung im SGB II entsprechenden Leistungsausschluss für Ausländer normiere und damit zugleich sicherstelle, dass Ausländer, die nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende hätten, auch aus dem SGB XII keine Ansprüche herleiten könnten. § 7 Abs 1 S 2 SGB II in der damaligen Fassung lautete: Ausgenommen sind Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt [und] ihre Familienangehörigen (…)(idF des Gesetzes zur Änderung des SGB II und anderer Gesetze vom 24.3.2006, BGBl I 558 mWv 1.4.2006). Es sollte damit Art 24 Abs 2 iVm Art 14 Abs 4 Buchst b der RL 2004/38/EG umgesetzt werden (BT-Drucks 16/2711 S 10). Nach Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG ist der Aufnahmemitgliedstaat - unter Hintanstellung des Gleichbehandlungsgrundsatzes - nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG (Zeitraum der Arbeitsuche, s unter 2.a) einen Anspruch auf Sozialhilfe (…) zu gewähren. Die dort vorgenommene Abgrenzung zwischen den gleich zu behandelnden Personengruppen und denen, die aus europarechtlicher Sicht von den Aufnahmestaaten von der Sozialhilfe ausgeschlossen werden dürfen, erfolgt, indem der Personenkreis der Freizügigkeitsberechtigten, die der Gleichbehandlung unterfallen, positiv benannt wird. Im Umkehrschluss ergibt sich, dass neben denen, die freizügigkeitsberechtigt wegen der Arbeitsuche sind und denen der Aufnahmestaat gleichwohl keine Sozialhilfeleistungen zu erbringen braucht, dies auch für die Nichtfreizügigkeitsberechtigten gilt. Sie unterfallen nicht dem Gleichbehandlungsgebot.

50

Soweit spätere Versuche, eine weitergehende Anpassung der Rechtslage des SGB II an das SGB XII zu bewirken, nicht erfolgreich waren (s nur BT-Drucks 16/2711 S 16; BT-Drucks 16/2753 S 1, 2; BT-Drucks 16/5527 S 15, 23; BT-Drucks 16/239 S 13, 17), sprechen diese Versuche und die Reaktionen hierauf nicht für das Erfordernis einer anderen Wertung im Hinblick auf den "Erst-Recht-Schluss" im SGB XII als im SGB II. Die zuvor beschriebene Anpassung des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII war ausreichend, um die gewünschte Parallele zum SGB II für die hier zu beurteilenden Fälle zu ermöglichen. Insbesondere bedurfte es keiner Reaktion auf die Änderung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 (BGBl I, 1970 mWv 28.8.2007). Die Umstrukturierung des S 2 und die Einfügung der Nr 1 in § 7 Abs 1 S 2 SGB II ist für das SGB XII ohne Bedeutung.

51

e) Zwar ist Rechtsfolge des Ausschlusses nach § 23 Abs 3 S 1 SGB XII, dass trotz des tatsächlichen Aufenthalts im Inland kein Rechtsanspruch auf ua Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 23 Abs 1 S 1 SGB XII besteht. In einem solchen Fall des Ausschlusses können jedoch nach § 23 Abs 1 S 3 SGB XII Leistungen der Sozialhilfe gewährt werden, wenn dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Ausschlussregelung, denn sie nimmt lediglich Bezug auf den "Anspruch" auf Sozialhilfe. Dementsprechend hat bereits das BVerwG zu der Vorschrift des § 120 Abs 3 S 1 Alt 1 BSHG befunden, dass Ausländer, die dem Leistungsausschluss unterfielen, weil sie eingereist seien, um Sozialhilfe zu erlangen, lediglich von einem Rechtsanspruch ua auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 120 Abs 1 S 1 BSHG ausgeschlossen seien(BVerwG vom 10.12.1987 - 5 C 32/85 - BVerwGE 78, 314, 316 f; Schellhorn/Jirasek/Seipp, Kommentar zum BSHG, 16. Aufl 2002, § 25 RdNr 10, § 120 RdNr 16; so auch Krahmer in LPK-BSHG, 6. Aufl 2003, § 25 RdNr 7; Birk in ders, § 120 RdNr 47). Insoweit gilt für die Regelung des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII, die der Gesetzgeber in Kenntnis der Rechtsprechung des BVerwG im Wesentlichen inhaltsgleich ausgestaltet hat(BT-Drucks 15/1514 S 58), nichts anderes (vgl BSG vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R - BSGE = SozR 4-3500 § 25 Nr 5, RdNr 28; s auch Adolph in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, § 23 SGB XII RdNr 76, Stand XII/2008; Birk in LPK-SGB XII, 10. Aufl 2015, § 23 RdNr 20; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl 2014, § 23 RdNr 42; differenzierend Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 RdNr 50, Stand VI/2012, der einen Rechtsanspruch auf die im Einzelfall gebotenen Leistungen annimmt, um zu einem Gleichklang mit § 1a AsylbLG zu gelangen).

52

Der Ausschluss nur von dem Rechtsanspruch auf die in S 1 des § 23 Abs 1 SGB XII benannten Leistungen erschließt sich auch aus dem - im Übrigen gegenüber § 120 BSHG unveränderten - systematischen Verhältnis der Regelungen der Sätze 1 und 3 in Abs 1 des § 23 SGB XII zueinander. Durch § 23 Abs 1 S 1 SGB XII erhält der Ausländer ausschließlich unter der Voraussetzung, dass er sich tatsächlich im Inland aufhält, einen Rechtsanspruch auf Leistungen der Sozialhilfe nach einem reduzierten Leistungskatalog, aber der Höhe nach uneingeschränkt. Hiervon sollen diejenigen, die die Ausschlusstatbestände des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII erfüllen, ausgeschlossen werden, nicht jedoch von dem der Sozialhilfe systemimmanenten grundsätzlichen Anspruch auf Hilfe bei bedrohter Existenzsicherung(s hierzu BVerwG vom 14.3.1985 - 5 C 145/83 - BVerwGE 71, 139; BVerwG vom 10.12.1987 - 5 C 32/85 - BVerwGE 78, 314, 317 ff). Diesem Personenkreis sollen daher nur nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens Leistungen der Sozialhilfe erbracht werden können, aber eben auch solche Leistungen, die nach S 1 des § 23 Abs 1 SGB XII vom Rechtsanspruch ausgenommen worden sind, soweit im Einzelfall geboten.

53

f) Das Ermessen des Sozialhilfeträgers ist jedoch in einem Fall wie dem vorliegenden, dem Grunde und der Höhe nach hinsichtlich der Hilfe zum Lebensunterhalt auf Null reduziert. Dies ist immer dann der Fall, wenn sich das Aufenthaltsrecht des ausgeschlossenen Ausländers verfestigt hat - regelmäßig ab einem sechsmonatigen Aufenthalt in Deutschland. Dies folgt aus der Systematik des § 23 Abs 3 S 1 Alt 2 SGB XII im Verhältnis zu § 23 Abs 1 S 1 und 3 SGB XII sowie verfassungsrechtlichen Erwägungen.

54

So bezieht sich der ausdrückliche Ausschluss der Alt 2 des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII auf den im Freizügigkeitsgesetz/EU zeitlich begrenzten Vorgang der Arbeitsuche. Unter 2.a) ist bereits dargelegt worden, dass die Freizügigkeitsberechtigung zum Zwecke der Arbeitsuche nach dem Ablauf von sechs Monaten gemäß § 2 Abs 1a FreizügG/EU idF des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften vom 2.12.2014 (BGBl I 1922) endet, wenn nicht weiterhin eine begründete Aussicht auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit besteht. Diese Begrenzung der Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche dient nach den Gesetzesmaterialien der Umsetzung von Unionsrecht in seiner Auslegung durch den EuGH, der entschieden habe, dass die Mitgliedstaaten berechtigt seien, das Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche auf einen angemessenen Zeitraum zu begrenzen, wobei der EuGH von einem Zeitraum von sechs Monaten ausgegangen sei (BT-Drucks 18/2581 S 15 zu Art 1 Nr 1 Buchst b; vgl dazu bereits BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 29). Mit dem auf den konkreten Einzelfall abstellenden Zusatz - "darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden" - nimmt die Neuregelung lediglich die Formulierung in Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG auf, enthält jedoch mit der allgemein geltenden zeitlichen Begrenzung - "für bis zu sechs Monate" - eine Typisierung. Für diese typisierte Dauer einer Arbeitsuche von sechs Monaten nach der Einreise liegt eine Aufenthaltsverfestigung noch nicht vor, weil hinter der zeitlichen Begrenzung die Erwartung steht, es handele sich um einen angemessenen Zeitraum, die Erfolgsaussichten einer Arbeitsuche in einem anderen Mitgliedstaat ohne Aufenthaltsverfestigung zu prüfen.

55

Werden diese Erwartungen enttäuscht und bleibt der tatsächliche Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland nach Ablauf von sechs Monaten bestehen, tritt im Regelfall eine Aufenthaltsverfestigung ein, der nach geltendem Recht ausländerbehördlich entgegengetreten werden kann. Bestand nie eine Freizügigkeitsberechtigung wegen eines Aufenthalts zur Arbeitsuche oder besteht diese nach Ablauf von sechs Monaten mangels begründeter Aussichten, eingestellt zu werden, nicht mehr, kann durch die Ausländerbehörde der Verlust der Freizügigkeitsberechtigung durch Verwaltungsakt festgestellt werden (Verlustfeststellung nach § 5 Abs 4 S 1 FreizügG/EU). Erst die förmliche Verlustfeststellung begründet nach § 7 Abs 1 S 1 FreizügG/EU die sofortige Ausreisepflicht, wenn nicht Rechtsschutz in Anspruch genommen wird(vgl BT-Drucks 16/5065 S 211 zu Art 2 Nr 8 Buchst a Doppelbuchst aa). In tatsächlicher Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass von der rechtlichen Möglichkeit der Verlustfeststellung nur in geringem Umfang Gebrauch gemacht wird (Thym, NZS 2014, 81, 87; BT-Drucks 17/13322 S 19). Zur Prüfung der Voraussetzungen einer Verlustfeststellung kann die zuständige Ausländerbehörde im Übrigen nach § 5 Abs 2 S 1 FreizügG/EU bereits frühzeitig, nämlich drei Monate nach der Einreise, verlangen, dass die Voraussetzungen nach § 2 Abs 1 FreizüG/EU glaubhaft gemacht werden.

56

Ist hiernach typisierend von einer Aufenthaltsverfestigung auszugehen, ist die Ermessenausübung jedoch daran zu messen, dass der Rechtsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt im Sozialhilferecht ansonsten weder nach dem Grund der Einreise, noch nach Berechtigung oder Dauer des Aufenthalts fragt. Bei der Leistungsgewährung nach dem SGB XII kommt es in erster Linie auf die Tatsache einer gegenwärtigen Hilfebedürftigkeit an (BSG vom 10.11.2011 - B 8 SO 12/10 R - SozR 4-3500 § 30 Nr 4 RdNr 26; BVerwG vom 2.6.1965 - V C 63.64 - BVerwGE 21, 208, 211; vgl auch Berlit in Berlit/Conradis/Sartorius, Existenzsicherungsrecht, 2. Aufl 2013, Kap 7 RdNr 24). Es reicht nach dem Wortlaut des § 23 Abs 1 S 1 SGB XII allein der tatsächliche Aufenthalt in Deutschland aus. Dem Leistungsberechtigten, der über kein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche mehr verfügt und "erst-recht" von dem Rechtsanspruch auf "Sozialhilfeleistungen" iS des § 23 Abs 1 S 1 SGB XII ausgeschlossen ist, mangelt es wie jedem anderen Ausländer, der sich tatsächlich im Inland aufhält - zunächst einmal ohne Freizügigkeits- oder Aufenthaltsberechtigung - an einer Aufenthaltsperspektive. Um den Gleichklang mit Letzterem zu erreichen, ist es folgerichtig, zumindest im Hinblick auf die Hilfe zum Lebensunterhalt durch eine Ermessensreduktion, bei verfestigtem Aufenthalt zu denselben Leistungen zu gelangen. Dieses nach Ablauf von regelmäßig sechs Monaten durch ein Vollzugsdefizit des Ausländerrechts bewirkte Faktum eines verfestigten tatsächlichen Aufenthalts des Unionsbürgers im Inland ist unter Berücksichtigung auch der verfassungsrechtlichen Vorgaben kein zulässiges Kriterium, die Entscheidung über die Gewährung existenzsichernder Leistungen dem Grunde und der Höhe nach in das Ermessen des Sozialhilfeträgers zu stellen.

57

Das BVerfG hat in seiner Entscheidung zum AsylbLG (vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134) im Anschluss und in Weiterentwicklung der grundlegenden Entscheidung vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12)Grundlagen und Umfang des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums näher ausgeformt. Wenn Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlten, weil sie weder aus einer Erwerbstätigkeit noch aus eigenem Vermögen oder durch Zuwendungen Dritter zu erlangen seien, sei der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen dafür Hilfebedürftigen zur Verfügung stünden. Als Menschenrecht - und dies ist hier entscheidend - stehe dieses Grundrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhielten, gleichermaßen zu (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 159 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 89, unter Hinweis auf BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12). Eine pauschale Differenzierung nach dem Aufenthaltsstatus hat das BVerfG im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung der existenzsichernden Leistungen ausdrücklich abgelehnt (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 164 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 99). Insoweit komme es für eine abweichende Bedarfsbestimmung darauf an, ob etwa wegen eines nur kurzfristigen Aufenthalts konkrete Minderbedarfe gegenüber Hilfeempfängern mit Daueraufenthaltsrecht nachvollziehbar festgestellt und bemessen werden könnten. Hierbei sei etwa zu berücksichtigen, ob durch die Kürze des Aufenthalts Minderbedarfe durch Mehrbedarfe kompensiert werden könnten, die typischerweise gerade unter den Bedingungen eines nur vorübergehenden Aufenthalts anfielen. Dies lässt sich während des Bestehens eines Aufenthaltsrechts allein zum Zwecke der Arbeitsuche über die Ermessensleistung des § 23 Abs 1 S 3 SGB XII regulieren, nicht jedoch bei verfestigtem Aufenthalt. Denn ließen sich - so das BVerfG - tatsächlich spezifische Minderbedarfe bei einem nur kurzfristigen, nicht auf Dauer angelegten Aufenthalt feststellen, und wolle der Gesetzgeber die existenznotwendigen Leistungen für eine Personengruppe deshalb gesondert bestimmen, müsse er sicherstellen, dass die gesetzliche Umschreibung dieser Gruppe hinreichend zuverlässig tatsächlich nur diejenigen erfasse, die sich regelmäßig nur kurzfristig in Deutschland aufhielten. Eine Beschränkung auf etwaige Minderbedarfe für Kurzaufenthalte komme dann nicht mehr in Betracht, wenn der tatsächliche Aufenthalt die Spanne eines Kurzaufenthalts deutlich überschritten habe. Für diese Fälle sei ein zeitnaher Übergang zu den existenzsichernden Leistungen für Normalfälle vorzusehen (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 164 ff = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 99 ff). Dies begründet im Regelfall eine Ermessensreduktion auf Null und damit eine Anpassung der Hilfe zum Lebensunterhalt für diejenigen, die sich nicht nur kurzfristig im Inland aufhalten. Denn im Übrigen weist das BVerfG darauf hin, dass eine Regelung zur Existenzsicherung vor der Verfassung nur Bestand habe, wenn Bedarfe durch Anspruchsnormen gesichert würden (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 162 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 96).

58

Tatsächliche Hinweise darauf, dass von einer Ermessensreduzierung trotz des Zeitablaufs ausnahmsweise abzusehen ist, sind den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen. Derartige Umstände können insbesondere vorliegen, wenn die tatsächlichen Lebensumstände des Unionsbürgers darauf schließen lassen, dass er nicht auf Dauer im Inland verweilen wird. Gleiches gilt, wenn die Ausländerbehörde bereits konkrete Schritte zur Beendigung des Aufenthalts eingeleitet hat. Demgegenüber haben sich die Kläger im streitigen Zeitraum bereits mehr als zwei Jahre in Deutschland aufgehalten, ohne dass derartige Maßnahmen im Raum standen.

59

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben unberührt. Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Die Einschränkungen nach Satz 1 gelten nicht für Ausländer, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind und sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten. Rechtsvorschriften, nach denen außer den in Satz 1 genannten Leistungen auch sonstige Sozialhilfe zu leisten ist oder geleistet werden soll, bleiben unberührt.

(2) Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes erhalten keine Leistungen der Sozialhilfe.

(3) Ausländer und ihre Familienangehörigen erhalten keine Leistungen nach Absatz 1 oder nach dem Vierten Kapitel, wenn

1.
sie weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt oder
3.
sie eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen.
Satz 1 Nummer 1 und 3 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Hilfebedürftigen Ausländern, die Satz 1 unterfallen, werden bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen); die Zweijahresfrist beginnt mit dem Erhalt der Überbrückungsleistungen nach Satz 3. Hierüber und über die Möglichkeit der Leistungen nach Absatz 3a sind die Leistungsberechtigten zu unterrichten. Die Überbrückungsleistungen umfassen:
1.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege,
2.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe nach § 35 und § 35a, einschließlich der Bedarfe nach § 30 Absatz 7,
3.
die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen und
4.
Leistungen nach § 50 Nummer 1 bis 3.
Soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, werden Leistungsberechtigten nach Satz 3 zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von Absatz 1 gewährt; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist. Abweichend von Satz 1 Nummer 2 erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach Absatz 1 Satz 1 und 2, wenn sie sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 7 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des tatsächlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Ausländerrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(3a) Neben den Überbrückungsleistungen werden auf Antrag auch die angemessenen Kosten der Rückreise übernommen. Satz 1 gilt entsprechend, soweit die Personen allein durch die angemessenen Kosten der Rückreise die in Absatz 3 Satz 5 Nummer 1 und 2 genannten Bedarfe nicht aus eigenen Mitteln oder mit Hilfe Dritter decken können. Die Leistung ist als Darlehen zu erbringen.

(4) Ausländer, denen Sozialhilfe geleistet wird, sind auf für sie zutreffende Rückführungs- und Weiterwanderungsprogramme hinzuweisen; in geeigneten Fällen ist auf eine Inanspruchnahme solcher Programme hinzuwirken.

(5) Hält sich ein Ausländer entgegen einer räumlichen Beschränkung im Bundesgebiet auf oder wählt er seinen Wohnsitz entgegen einer Wohnsitzauflage oder einer Wohnsitzregelung nach § 12a des Aufenthaltsgesetzes im Bundesgebiet, darf der für den Aufenthaltsort örtlich zuständige Träger nur die nach den Umständen des Einzelfalls gebotene Leistung erbringen. Unabweisbar geboten ist regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des Bedarfs für die Reise zu dem Wohnort, an dem ein Ausländer seinen Wohnsitz zu nehmen hat. In den Fällen des § 12a Absatz 1 und 4 des Aufenthaltsgesetzes ist regelmäßig eine Reisebeihilfe zu dem Ort im Bundesgebiet zu gewähren, an dem der Ausländer die Wohnsitznahme begehrt und an dem seine Wohnsitznahme zulässig ist. Der örtlich zuständige Träger am Aufenthaltsort informiert den bislang örtlich zuständigen Träger darüber, ob Leistungen nach Satz 1 bewilligt worden sind. Die Sätze 1 und 2 gelten auch für Ausländer, die eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 23a, 24 Absatz 1 oder § 25 Absatz 4 oder 5 des Aufenthaltsgesetzes besitzen, wenn sie sich außerhalb des Landes aufhalten, in dem der Aufenthaltstitel erstmals erteilt worden ist. Satz 5 findet keine Anwendung, wenn der Wechsel in ein anderes Land zur Wahrnehmung der Rechte zum Schutz der Ehe und Familie nach Artikel 6 des Grundgesetzes oder aus vergleichbar wichtigen Gründen gerechtfertigt ist.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 3. Juli 2014 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander für das Revisionsverfahren außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit ist eine Aufrechnung nach § 43 SGB II in Höhe von 30 % des Regelbedarfs.

2

Der 1961 geborene, alleinstehende Kläger bezog seit 2005 vom beklagten Jobcenter Alg II. Aufgrund von zwei Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden ist er dem Beklagten zur Erstattung von Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 8352,03 Euro verpflichtet, die ihm zwischen Januar 2005 und September 2007 zu Unrecht erbracht worden waren (Bescheide vom 21.8.2007 und 10.12.2007). Anlass hierfür war der Bezug von Einkommen, den der Kläger dem Beklagten vorsätzlich nicht mitgeteilt hatte, weshalb er vom Amtsgericht (AG) Osnabrück rechtskräftig wegen Betruges verurteilt worden ist. Nach erfolglosem Klageverfahren gegen die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide sind diese bestandskräftig geworden (Entscheidungen des SG Osnabrück vom 10.4.2012).

3

Im Juli 2012 hörte der Beklagte den Kläger zu einer beabsichtigten Aufrechnung mit seinem Erstattungsanspruch gegen dessen Anspruch auf Alg II an. Nachdem der Kläger sich hierauf nicht geäußert hatte, erklärte der Beklagte die Aufrechnung gegenüber dem dem Kläger zustehenden Regelbedarf ab 1.12.2012 in monatlichen Raten in Höhe von 112,20 Euro zur Beitreibung der Erstattungsforderung (Bescheid vom 20.11.2012): Da keine Umstände ersichtlich seien, welche sich im Rahmen der Ermessensentscheidung günstig für den Kläger hätten auswirken können, sei von einer Aufrechnung auch nicht nur teilweise abzusehen. Mit seinem Widerspruch machte der Kläger ua geltend, es sei unberücksichtigt geblieben, dass er laufend Alg II beziehe. Der Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 21.12.2012): Im Rahmen des Entschließungsermessens sei allein der Leistungsbezug kein ausreichender Grund, auf eine Aufrechnung zu verzichten, da für diese Fälle die Möglichkeit der Aufrechnung geschaffen worden sei. In der Person des Klägers bestehende besondere Gründe seien von diesem nicht geltend gemacht worden. Sie seien auch vor dem Hintergrund der rechtskräftigen Verurteilung des Klägers durch das AG Osnabrück nicht ersichtlich. Hinsichtlich der Höhe der Aufrechnung werde in § 43 SGB II kein Ermessen eingeräumt. Aus dem hier auf § 45 Abs 2 SGB X beruhenden Erstattungsanspruch nach § 50 SGB X folge eine Aufrechnungshöhe von 30 % des maßgebenden Regelbedarfs, mithin von derzeit 112,20 Euro monatlich. Durch Änderungsbescheid vom 3.1.2013 passte der Beklagte ab 1.2.2013 die Aufrechnungshöhe an die geänderte Höhe des Regelbedarfs an; es ergebe sich eine Aufrechnung in Höhe von 114,60 Euro monatlich.

4

Klage und Berufung gegen die Aufrechnung blieben erfolglos (Gerichtsbescheid des SG vom 19.8.2013; Urteil des LSG vom 3.7.2014). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, dass ihre gesetzlichen Voraussetzungen nach § 43 SGB II vorlägen, die Aufrechnungserklärung des Beklagten Ermessensfehler nicht erkennen lasse und die gesetzliche Ermächtigung zur Aufrechnung mit dem Grundrecht des Klägers auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums(Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG) vereinbar sei.

5

Mit der vom Senat zugelassenen Revision macht der Kläger die Verfassungswidrigkeit von § 43 SGB II geltend.

6

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 3. Juli 2014 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Osnabrück vom 19. August 2013 sowie den Bescheid des Beklagten vom 20. November 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2012 und den Änderungsbescheid vom 3. Januar 2013 aufzuheben.

7

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Zutreffend hat das LSG entschieden, dass die Aufrechnung rechtmäßig ist.

9

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind der klageabweisende Gerichtsbescheid des SG und das die Berufung zurückweisende Urteil des LSG sowie der Bescheid des Beklagten vom 20.11.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2012 und der nach Erlass des Widerspruchsbescheides, aber vor Klageerhebung erlassene Änderungsbescheid vom 3.1.2013 (zur Anwendbarkeit von § 96 SGG in dieser Konstellation vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 96 RdNr 2), durch die der Beklagte gegenüber dem Kläger die Aufrechnung erklärt hat.

10

2. Zutreffende Klageart ist die Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG; vgl BSG Urteil vom 17.2.2015 - B 14 AS 1/14 R - juris RdNr 11). Der Kläger begehrt die Aufhebung der Aufrechnung, die vom Beklagten ihm gegenüber durch Verwaltungsakt erklärt worden ist (§ 43 Abs 4 Satz 1 SGB II).

11

Angefochten ist neben dem Ausgangsbescheid vom 20.11.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2012 auch der Änderungsbescheid vom 3.1.2013. Dieser ist ein weiterer anfechtbarer Verwaltungsakt, denn er ersetzt iS des § 96 Abs 1 SGG mit Wirkung vom 1.2.2013 einen der beiden Verfügungssätze des Ausgangsbescheides in der Gestalt des Widerspruchsbescheides, den dieser bei Auslegung der Bescheide enthält (zur Bescheidauslegung, die auch dem Revisionsgericht obliegt, vgl BSG Urteil vom 28.6.1990 - 4 RA 57/89 - BSGE 67, 104, 110 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11). Durch diese Bescheide ist zum einen im Sinne eines Grundlagenverwaltungsakts die monatliche Aufrechnung ab 1.12.2012 in Höhe von 30 % des für den Kläger jeweils maßgebenden Regelbedarfs unter Bezugnahme auf § 43 SGB II erklärt worden, zum anderen ist im Sinne eines Ausführungsverwaltungsakts die Aufrechnung ab 1.12.2012 in Höhe von 112,20 Euro monatlich (Berechnungsgrundlage: 30 % von 374 Euro Regelbedarf) erklärt worden. Nur diesen zweiten Verfügungssatz ersetzt der Bescheid vom 3.1.2013, denn durch diesen ist die Aufrechnung ab 1.2.2013 in Höhe von 114,60 Euro monatlich (Berechnungsgrundlage: 30 % von 382 Euro Regelbedarf) erklärt worden.

12

3. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen, weil von Amts wegen zu beachtende Verfahrensmängel nicht vorliegen und von Seiten der Beteiligten keine Verfahrensrügen erhoben wurden. Insbesondere liegt kein von Amts wegen zu beachtender Verfahrensmangel darin, dass das LSG in der Besetzung durch den sog kleinen Senat nach § 153 Abs 5 SGG (Berichterstatter, zwei ehrenamtliche Richter) über die Berufung entschieden, der erkennende Senat aber auf die Beschwerde des Klägers die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen hat. Denn selbst wenn das LSG durch den kleinen Senat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen hätte, würde hierin kein absoluter Revisionsgrund liegen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 153 RdNr 25b; Sommer in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 153 RdNr 45).

13

Aufgrund von § 153 Abs 5 SGG kann das LSG nach seinem Ermessen in den Fällen einer Entscheidung des SG durch Gerichtsbescheid durch Beschluss der berufsrichterlichen Mitglieder des Senats die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet. Nähere inhaltliche Anforderungen hierfür formuliert das Gesetz nicht. Vielmehr überantwortet es die Entscheidung über die Übertragung dem Senat als berufsrichterliches Kollegium, ohne die Möglichkeit einer Rückübertragung auf den Senat zu regeln (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 153 RdNr 25a; eine Rückübertragung dennoch erwägend Sommer in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 153 RdNr 47). Dies zeigt, dass die Verantwortung für die Übertragung vom Senat getragen wird und eine Übertragung zur Entscheidung durch den Berichterstatter unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter auch in Rechtssachen von grundsätzlicher Bedeutung nicht von vornherein ausgeschlossen ist (anders - regelmäßig ein absoluter Revisionsgrund - bei Entscheidungen "am Senat vorbei" durch den Einzelrichter nach § 155 Abs 3 und 4 SGG unter Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung BSG Urteil vom 8.11.2007 - B 9/9a SB 3/06 R - BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2, RdNr 11 ff). Entsprechend hält sich eine Entscheidung des kleinen Senats, durch die wie vorliegend die Revision nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen wird, im Rahmen des § 153 Abs 5 SGG und begründet keinen Verstoß gegen das grundrechtsgleiche Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art 101 Abs 1 Satz 2 GG.

14

4. Rechtsgrundlage der streitbefangenen Aufrechnung ist § 43 SGB II(in der Fassung der Neubekanntmachung vom 13.5.2011, BGBl I 850).

15

a) § 43 SGB II findet in der seit 1.4.2011 geltenden und nicht in der früheren, am 31.3.2011 außer Kraft getretenen Fassung Anwendung, obwohl der Erstattungsanspruch des Beklagten vor dem 1.4.2011 entstanden war. Denn für die erstmals durch Bescheid vom 20.11.2012 erklärte Aufrechnung ist auf das zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung geltende Recht abzustellen. Der Beklagte bedarf für seine Aufrechnungserklärung durch Verwaltungsakt einer Ermächtigung, die grundsätzlich nur im geltenden Recht bestehen kann. Eine Übergangsregelung, die für vor dem 1.4.2011 entstandene Erstattungsansprüche ausnahmsweise die weitere Anwendung des früheren Rechts anordnet, enthält der insoweit einschlägige § 77 SGB II nicht. Auch § 43 SGB II selbst in der seit 1.4.2011 geltenden Fassung ist nicht zu entnehmen, dass diese Regelung Geltung nur für nach dem 31.3.2011 neu entstandene Erstattungsansprüche beansprucht (vgl Boerner in Löns/Herold-Tews, SGB II, 3. Aufl 2011, § 43 RdNr 10; O. Loose in GK-SGB II, § 43 RdNr 24, Stand: Januar 2015). Dies unterscheidet die Aufrechnung nach § 43 SGB II von der nach § 42a Abs 2 Satz 1 SGB II für Darlehen, denn bei dieser stellt das seit dem 1.4.2011 geltende Gesetz auf eine Aufrechnung "ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt", ab und beansprucht damit Geltung nur für "neue" Darlehen (so BSG Urteil vom 25.6.2015 - B 14 AS 28/14 R - vorgesehen für SozR 4-4200 § 42a Nr 1 RdNr 17 ff). Einziger zeitlicher Bezugspunkt in § 43 SGB II ist demgegenüber nach Abs 4 Satz 2 der Eintritt der Bestandskraft der Entscheidung über den Erstattungsanspruch - hier aufgrund der Entscheidungen des SG vom 10.4.2012 -, der den Beginnzeitpunkt für die längstmögliche Dauer einer - nicht notwendig schon erklärten - Aufrechnung bezeichnet und damit das Ende einer Aufrechnung regelt.

16

b) Durch § 43 SGB II wird den Leistungsträgern nach dem SGB II die erleichterte Durchsetzung von Erstattungs- und Ersatzansprüchen ermöglicht. Leistungsberechtigte nach dem SGB II sind hierdurch vor der Durchsetzung dieser Ansprüche weniger geschützt, als dies nach §§ 51 und 54 SGB I sonst im Sozialrecht und nach § 394 BGB iVm §§ 850 ff ZPO im Zivilrecht der Fall ist. Aufgrund dieser Sonderregelung iS des § 37 Satz 1 Halbsatz 1 SGB I greift - ungeachtet zunächst der Frage nach ihrer Verfassungsmäßigkeit - der Einwand des Klägers nicht, als Bezieher von Alg II sei er zivilrechtlich vor einer Pfändung geschützt und es müsse dieser Schutz auch gegenüber der streitbefangenen Aufrechnung greifen(zur Pfändbarkeit von Alg II vgl BGH Beschluss vom 25.10.2012 - VII ZB 31/12 - juris; BGH Beschluss vom 25.11.2010 - VII ZB 111/09 - juris; vgl auch BSG Urteil vom 16.10.2012 - B 14 AS 188/11 R - BSGE 112, 85 = SozR 4-4200 § 11 Nr 55).

17

c) Nach § 43 Abs 1 SGB II können die Träger von Leistungen nach dem SGB II gegen Ansprüche von Leistungsberechtigten auf Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aufrechnen mit ihren Erstattungsansprüchen nach § 42 Abs 2 Satz 2, § 43 Abs 2 Satz 1 SGB I, § 328 Abs 3 Satz 2 SGB III oder § 50 SGB X(Nr 1) oder Ersatzansprüchen nach den §§ 34 oder 34a SGB II(Nr 2). Nach § 43 Abs 2 SGB II beträgt die Höhe der Aufrechnung bei Erstattungsansprüchen, die auf den §§ 42 und 43 SGB I, § 328 Abs 3 Satz 2 SGB III oder § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 iVm § 50 SGB X beruhen, 10 % des für den Leistungsberechtigten maßgebenden Regelbedarfs, in den übrigen Fällen 30 %(Satz 1). Die Höhe der monatlichen Aufrechnung ist auf insgesamt 30 % des maßgebenden Regelbedarfs begrenzt (Satz 2). Soweit die Erklärung einer späteren Aufrechnung zu einem höheren monatlichen Aufrechnungsbetrag als 30 % führen würde, erledigen sich die vorherigen Aufrechnungserklärungen (Satz 3).

18

§ 43 Abs 3 SGB II regelt das Verhältnis mehrerer Aufrechnungen nach dem SGB II zueinander. § 43 Abs 4 SGB II enthält Verfahrensregeln: Die Aufrechnung ist gegenüber der leistungsberechtigten Person schriftlich durch Verwaltungsakt zu erklären(Satz 1). Sie endet spätestens drei Jahre nach dem Monat, der auf die Bestandskraft der in § 43 Abs 1 SGB II genannten Entscheidungen folgt(Satz 2). Zeiten, in denen die Aufrechnung nicht vollziehbar ist, verlängern den Aufrechnungszeitraum entsprechend (Satz 3).

19

5. Die angefochtenen Bescheide erfüllen die formellen und materiellen gesetzlichen Voraussetzungen.

20

a) Der Kläger ist vor Erlass des Aufrechnungsbescheides vom 20.11.2012, der in dessen Recht auf Auszahlung der bewilligten Leistungen an ihn (§ 41 Abs 1 Satz 4, § 42 Satz 1 SGB II) eingreift, angehört worden (§ 24 Abs 1 SGB X). Die Aufrechnung ist ihm gegenüber als leistungsberechtigter Person schriftlich durch diesen Aufrechnungsverwaltungsakt in der Gestalt des Widerspruchsbescheides erklärt worden (§ 43 Abs 4 Satz 1 SGB II).

21

Einer erneuten Anhörung vor Erlass des Änderungsbescheides vom 3.1.2013 bedurfte es nicht, weil hierdurch weder erstmals in Rechte des Klägers eingegriffen noch ein weiterer eigenständiger Eingriff vorgenommen worden ist, der eine erneute Anhörungspflicht auslöste. Der Bescheid vom 3.1.2013 knüpft an die fortbestehende Aufrechnungserklärung an und passt lediglich die Höhe der monatlichen Aufrechnung von bislang 112,20 Euro auf 114,60 Euro ab 1.2.2013 an, ohne durch diese mit der geänderten Regelbedarfshöhe begründete Anpassung der bereits erklärten Aufrechnung einen neuen Eingriff iS des § 24 Abs 1 SGB X hinzuzufügen(eine erneute Anhörung vor Anpassungsbescheiden erwägend vgl aber Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 43 RdNr 150, Stand: Februar 2013).

22

b) Die Aufrechnungserklärung ist inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs 1 SGB X). Sie nimmt auf die Erstattungsbescheide vom 21.8.2007 und 10.12.2007 Bezug. Der die Aufrechnungserklärung enthaltende Verfügungssatz des Ausgangsbescheides vom 20.11.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2012 erklärt eine Aufrechnung ab 1.12.2012 in Höhe von 30 % des für den Kläger jeweils maßgebenden Regelbedarfs und bleibt insoweit durch den Änderungsbescheid vom 3.1.2013 unverändert. Der weitere Verfügungssatz des Ausgangsbescheides erklärt eine Aufrechnung ab 1.12.2012 in Höhe von 112,20 Euro monatlich und wird durch den Verfügungssatz des Änderungsbescheides ersetzt, der eine Aufrechnung ab 1.2.2013 in Höhe von 114,60 Euro monatlich erklärt. Jeweils ist hierdurch klar und unzweideutig zu erkennen, mit welcher Forderung aufgerechnet wird, ab wann und in welcher Höhe die Aufrechnung greift.

23

c) Die angefochtenen Bescheide halten die materiellen Vorgaben des § 43 SGB II ein.

24

aa) Der Beklagte konnte als SGB II-Leistungsträger gegen Ansprüche des Klägers auf Alg II aufrechnen und hat vorliegend gegen den Alg II-Anspruch des Klägers in Höhe von 30 % des jeweils maßgebenden Regelbedarfs aufgerechnet. Ihm standen nach den Feststellungen des LSG iS des § 43 Abs 1 Nr 1, Abs 4 Satz 2 SGB II bestandskräftige Erstattungsansprüche nach § 50 SGB X gegen den Kläger zu, weshalb die erforderliche Aufrechnungslage iS des § 43 SGB II gegeben war. Dieser steht weder entgegen, dass die Ansprüche des Beklagten vor Inkrafttreten der Neufassung des § 43 SGB II am 1.4.2011 entstanden waren (s dazu unter 4. a), noch, dass der Anspruch des Klägers auf Alg II für künftige Monate noch nicht fällig war, denn es genügt, dass diese Hauptforderung, gegen die aufgerechnet wird, lediglich erfüllbar ist (vgl Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 43 RdNr 72, Stand: Februar 2013).

25

bb) Die Erklärung einer Aufrechnung steht im Ermessen der Leistungsträger (vgl Greiser in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 43 RdNr 39). § 43 Abs 1 SGB II bringt mit der Formulierung "können … aufrechnen" nicht nur ein rechtliches Dürfen zum Ausdruck (sog Kompetenz-Kann), sondern stellt das Ob einer Aufrechnung in das Ermessen der Leistungsträger (sog Ermessens-Kann). Das dem Beklagten hierdurch eingeräumte Entschließungsermessen, ob er aufrechnet, hat er erkannt und ermessensfehlerfrei ausgeübt. Seine Ermessensentscheidung ist gerichtlich nur eingeschränkt darauf zu prüfen (§ 39 Abs 1 SGB I, § 54 Abs 2 Satz 2 SGG), ob er sein Ermessen überhaupt ausgeübt, ob er die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder ob er von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat ("Rechtmäßigkeits-, aber keine Zweckmäßigkeitskontrolle").

26

Dass der Beklagte sein Ermessen erkannt hat, ergibt sich aus den angefochtenen Bescheiden. Aus den entsprechenden Begründungen ergibt sich zudem, dass der Beklagte die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers berücksichtigt und mit dem Interesse der Gemeinschaft der Steuerzahler, bestehende Forderungen mit den zur Verfügung stehenden Mitteln beizutreiben, abgewogen hat. Im Ausgangsbescheid konnten diese Berücksichtigung und Abwägung auf die Aktenlage Bezug nehmen, nachdem der Kläger auf die Anhörung nicht reagiert hatte und sich dem Beklagten offensichtliche Umstände, die bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen waren, nicht aufdrängten. Im Widerspruchsbescheid hat sich der Beklagte mit den vom Kläger vorgetragenen Gründen gegen die Aufrechnung auseinandergesetzt. Dessen Vorbringen, er beziehe laufend Alg II, hat der Beklagte für keinen ausreichenden Grund gehalten, auf eine Aufrechnung zu verzichten, da für eben diese Situation die Aufrechnungsmöglichkeit geschaffen worden sei. Gründe, von einer Aufrechnung auch nur teilweise abzusehen, hat der Beklagte nicht erkennen können. Sie sind auch für den Senat nicht ersichtlich. Der Beklagte hat zudem ohne Ermessensfehler bei seiner Entscheidung berücksichtigt, dass der Kläger wegen seiner Veranlassung der zu Unrecht erbrachten Leistungen rechtskräftig wegen Betruges verurteilt worden ist.

27

cc) Die Höhe der vom Beklagten im Grundlagenverwaltungsakt erklärten monatlichen Aufrechnung in Höhe von 30 % des für den Kläger jeweils maßgebenden Regelbedarfs entspricht der ein Ermessen ausschließenden Vorgabe in § 43 Abs 2 Satz 1 SGB II. Danach beträgt die Höhe der Aufrechnung bei Erstattungsansprüchen, die nicht auf §§ 42 und 43 SGB I, § 328 Abs 3 Satz 2 SGB III oder § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 iVm § 50 SGB X beruhen, 30 % des für den Leistungsberechtigten maßgebenden Regelbedarfs. Aufgrund dieser Regelung ziehen alle anderen Erstattungsansprüche nach § 50 SGB X, die nicht einer Aufhebung nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X folgen, eine Aufrechnung in Höhe von 30 % nach sich(BT-Drucks 17/4095 S 35).

28

Vorliegend beruhten die Erstattungsansprüche des Beklagten gegen den Kläger auf keiner dieser abschließend benannten rechtlichen Grundlagen, sondern nach den Feststellungen des LSG auf Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden wegen vorsätzlich nicht mitgeteilten Einkommens und damit nicht auf § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3, sondern auf § 45 Abs 1, Abs 2 Satz 3 Nr 2 iVm § 50 SGB X. Die Höhe einer Aufrechnung ist danach mit 30 % des für den Kläger maßgebenden Regelbedarfs gesetzlich bindend vorgegeben und knüpft daran an, dass die der Aufrechnung zugrunde liegende Aufhebungsentscheidung auf einem dem Leistungsberechtigten vorwerfbaren Verhalten beruht (BT-Drucks 17/3404 S 116).

29

Bezug genommen ist für die Höhe der Aufrechnung auf den jeweils maßgebenden Regelbedarf (§ 20 SGB II). Zwar stimmt die Höhe der Aufrechnung in den Ausführungsverwaltungsakten des Beklagten weder durchgehend mit der gesetzlichen Vorgabe noch mit der Aufrechnungserklärung im Grundlagenverwaltungsakt überein. Denn obwohl sich die Höhe des für den Kläger jeweils maßgebenden Regelbedarfs während der streitbefangenen Aufrechnung zum 1.1. eines jeden neuen Jahres erhöhte, erklärte der Beklagte für Dezember 2012 und Januar 2013 eine Aufrechnung in Höhe von 112,20 Euro monatlich (was für Dezember 2012, nicht aber für Januar 2013 30 % des Regelbedarfs entsprach) und ab Februar 2013 in Höhe von 114,60 Euro monatlich (was in 2013, nicht aber ab 1.1.2014 30 % des Regelbedarfs entsprach). Doch führt dies auf die Anfechtungsklage des Klägers nicht zur teilweisen Aufhebung der Aufrechnungsentscheidungen. Denn der Kläger ist nicht dadurch beschwert, dass die Höhe der Aufrechnung in den Ausführungsverwaltungsakten zeitweise die im Grundlagenverwaltungsakt zutreffend umgesetzte gesetzliche Vorgabe unterschritt.

30

dd) Da vom LSG keine weiteren Aufrechnungen festgestellt worden sind, sind § 43 Abs 2 Satz 2 und 3 sowie Abs 3 SGB II vorliegend nicht als Maßstäbe für die Überprüfung der streitbefangenen Aufrechnung heranzuziehen.

31

ee) Dass die Aufrechnungsentscheidungen des Beklagten keinen Endzeitpunkt der erklärten Aufrechnung bestimmen, wahrt die Vorgaben des § 43 SGB II. Nach § 43 Abs 4 Satz 2 SGB II endet die Aufrechnung spätestens drei Jahre nach dem Monat, der auf die Bestandskraft der in Abs 1 genannten Entscheidungen folgt; Bezug genommen ist damit auf Entscheidungen der Leistungsträger über ihre Ansprüche iS des § 43 Abs 1 SGB II. Dieser Vorgabe ist nicht zu entnehmen, dass das Ende der Aufrechnung im Verwaltungsakt iS des § 43 Abs 4 Satz 1 SGB II zu regeln ist. Dagegen spricht vielmehr, dass nach § 43 Abs 4 Satz 3 SGB II Zeiten, in denen die Aufrechnung nicht vollziehbar ist, den Aufrechnungszeitraum entsprechend verlängern. Das Eintreten solcher Zeiten, etwa aufgrund von Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Aufrechnung, lässt sich indes im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung nicht bereits absehen (zu den Verlängerungstatbeständen vgl Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 43 RdNr 164, Stand: Februar 2013). Der Regelungssystematik des § 43 Abs 4 SGB II ist daher zu entnehmen, dass das Ende der Aufrechnung nicht zwingend im Verwaltungsakt zu regeln ist, durch den die Aufrechnung erklärt wird. Der Endzeitpunkt ergibt sich vielmehr aus dem Gesetz ("spätestens drei Jahre nach dem Monat, der auf die Bestandskraft" der Entscheidung über den Anspruch "folgt"; Zeiten fehlender Vollziehbarkeit "verlängern den Aufrechnungszeitraum"), es sei denn, im Rahmen des Auswahlermessens ("endet spätestens") wird vom Leistungsträger von vornherein eine vom Gesetz abweichende kürzere Dauer der Aufrechnung erklärt; § 43 Abs 4 Satz 2 SGB II zwingt nicht zu einer Ausschöpfung der längstmöglichen Aufrechnungsdauer(vgl BT-Drucks 17/3404 S 117: Aufrechnung kann "längstens bis zum Ablauf von drei Jahren erklärt und vollzogen werden"; vgl auch Burkiczak in jurisPK-SGB II, 4. Aufl 2015, § 43 RdNr 43, 45; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 43 RdNr 106, 111, 161, Stand: Februar 2013; Hölzer in Estelmann, SGB II, § 43 RdNr 60, Stand: Mai 2015; Kallert in Gagel, SGB II/SGB III, § 43 SGB II RdNr 17, Stand: Dezember 2012; O. Loose in GK-SGB II, § 43 RdNr 41, 66, Stand: Januar 2015).

32

Wird - wie hier - eine kürzere Dauer nicht erklärt, ist der gesetzliche Endzeitpunkt der laufenden Aufrechnung vom Leistungsträger unter Kontrolle zu halten. Dass der Beklagte sich vorliegend dieser zeitlichen Begrenzung bewusst war und er sich nicht für eine von vornherein verkürzte Aufrechnung entschieden hat, ergibt sich aus den Begründungen im Ausgangs- und Widerspruchsbescheid; in diesen wird auf die gesetzliche Regelung und "die maximal mögliche Aufrechnungsdauer von drei Jahren" Bezug genommen. Gründe, weshalb vorliegend die gesetzlich zulässige Aufrechnungsdauer von längstens drei Jahren ermessensfehlerhaft sein könnte, drängen sich dem Senat nicht auf.

33

6. Die gemessen an den gesetzlichen Voraussetzungen rechtmäßige streitbefangene Aufrechnung verletzt den Kläger auch nicht in seinen Grundrechten.

34

a) Die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für eine Aufrechnung in Höhe von 30 % des jeweils maßgebenden Regelbedarfs über bis zu drei Jahre bei einer auf vorwerfbarem Verhalten des Leistungsberechtigten beruhenden Erstattungsforderung wegen zu Unrecht erbrachter Leistungen steht mit Verfassungsrecht in Einklang.

35

aa) Sie ist mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art 1 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG) vereinbar, das durch das BVerfG näher konturiert worden ist (BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1, 3, 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12; BVerfG Urteil vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 2/11 - BVerfGE 132, 134 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2; BVerfG Beschluss vom 23.7.2014 - 1 BvL 10, 12/12, 1 BvR 1691/13 - BVerfGE 137, 34).

36

(1) Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist als Gewährleistungsrecht von vornherein auf die Ausgestaltung durch den Gesetzgeber angelegt (vgl näher Aubel, Das Gewährleistungsrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, in Emmenegger/Wiedmann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 2011, 273; Mayen, Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Gewährleistungsrecht als leistungsrechtliche Grundrechtsdimension, in Sachs/Siekmann, FS Klaus Stern, 2012, 1451). Es ist dem Grunde nach unverfügbar und muss durch einen gesetzlichen Leistungsanspruch eingelöst werden, der indes der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber bedarf. Das Gewährleistungsrecht bedingt nicht, dass existenzsichernde Leistungen voraussetzungslos zur Verfügung gestellt werden müssten, und es fordert nicht, die gesetzliche Ausgestaltung der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Richtung auf ein bedingungsloses Grundeinkommen zu entwickeln. Bei der Ausgestaltung des Grundrechts steht dem Gesetzgeber vielmehr ein Gestaltungsspielraum zu, innerhalb dessen er die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat (vgl bereits BSG Urteil vom 29.4.2015 - B 14 AS 19/14 R - vorgesehen für BSGE und SozR 4-4200 § 31a Nr 1, RdNr 51, 53 mwN).

37

Gegenstand der Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als Gewährleistungsrecht durch den Gesetzgeber sind nicht nur die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und das Verfahren ihrer Bemessung und Anpassung. Gegenstand können vielmehr auch Leistungsvoraussetzungen und -ausschlüsse (vgl § 7 SGB II), Leistungsminderungen (vgl §§ 31 ff SGB II) und Leistungsmodalitäten (vgl §§ 37, 41 und 42 SGB II) sein. Bei der Aufrechnung nach § 43 SGB II handelt es sich um eine Leistungsmodalität in diesem Sinne. Unmittelbarer Maßstab für ihre verfassungsrechtliche Prüfung ist nicht, ob die Leistungen evident unzureichend sind und ob sie, sind sie nicht evident unzureichend, durch den Gesetzgeber verfahrensgerecht bemessen worden sind (zur Beantwortung dieser Fragen vgl bereits BSG Urteil vom 12.7.2012 - B 14 AS 153/11 R - BSGE 111, 211 = SozR 4-4200 § 20 Nr 17; BSG Urteil vom 28.3.2013 - B 4 AS 12/12 R - SozR 4-4200 § 20 Nr 18; BVerfG Beschluss vom 23.7.2014 - 1 BvL 10, 12/12, 1 BvR 1691/13 - BVerfGE 137, 34). Vielmehr bedarf verfassungsrechtlicher Prüfung, ob gegen bewilligte existenzsichernde Leistungen in Höhe von 30 % des maßgebenden Regelbedarfs über bis zu drei Jahre aufgerechnet werden kann mit bestandskräftigen Erstattungsansprüchen wegen zu Unrecht erbrachter Leistungen, die auf einem dem Leistungsberechtigten vorwerfbaren Verhalten beruhen. Insoweit ist dem Grundrecht als Gewährleistungsrecht zu entnehmen, dass dem Gesetzgeber das Knüpfen negativer Konsequenzen an vorwerfbares Verhalten von Leistungsberechtigten jedenfalls solange nicht verwehrt ist, wie sichergestellt ist, dass den Betroffenen die auch in dieser Lage unerlässlichen Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung stehen (vgl bereits BSG Urteil vom 29.4.2015 - B 14 AS 19/14 R - vorgesehen für BSGE und SozR 4-4200 § 31a Nr 1, RdNr 54).

38

(2) Die Aufrechnung nach § 43 SGB II, die die Höhe der Leistungsbewilligung unberührt lässt, aber die bewilligten Leistungen nicht ungekürzt dem Leistungsberechtigten zur eigenverantwortlichen Verwendung zur Verfügung stellt, ist eine verfassungsrechtlich zulässige Ausgestaltung des Gewährleistungsrechts(anderer Auffassung: Conradis in LPK-SGB II, 5. Aufl 2013, § 43 RdNr 23). Sie ist vereinbar sowohl mit der aus diesem Recht folgenden Verpflichtung des Staates dafür Sorge zu tragen, dass den wegen Fehlens der notwendigen materiellen Mittel Hilfebedürftigen diejenigen Mittel zur Verfügung stehen, die für ihre physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind, als auch mit der durch dieses Recht geforderten Befriedigung des elementaren Lebensbedarfs eines Menschen in dem Augenblick, in dem er besteht (vgl BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1, 3, 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 RdNr 134, 140 sowie Leitsatz 1 dieses Urteils; BVerfG Urteil vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 2/11 - BVerfGE 132, 134 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 98).

39

Zunächst ist zu berücksichtigen, dass bei der Regelung einer Aufrechnung der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers größer ist, wenn - wie vorliegend - für die Aufrechnung an einen Erstattungsanspruch des Leistungsträgers nach § 45 Abs 2 iVm § 50 SGB X angeknüpft wird. Denn anders als bei einem Erstattungsanspruch nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 iVm § 50 SGB X wird insoweit nicht nur an einen bloßen Zahlungszufluss beim Leistungsberechtigten angeknüpft, sondern an einen Aufhebungssachverhalt, der von einem dem Leistungsberechtigten vorwerfbaren Verhalten mitgeprägt ist(BT-Drucks 17/3404 S 116; vgl auch Siebel-Huffmann in Groth/Luik/Siebel-Huffmann, Das neue Grundsicherungsrecht, 2011, RdNr 483: Unterscheidung bei der Höhe der Aufrechnung "zwischen sozialwidrigen Fällen und schlichten Überzahlungen"). Zwar dient die Aufrechnung weder der Ahndung dieses Verhaltens noch der Erziehung des Leistungsberechtigten, doch bezieht sie sich auf eine vorwerfbare Veranlassung der Erstattungsforderung durch den Leistungsberechtigten. § 43 SGB II knüpft damit an seine Eigenverantwortung als Mensch, der sein Handeln in Freiheit selbst bestimmt, an. Auch diese Eigenverantwortlichkeit ist Teil der Art 1 Abs 1 GG zugrunde liegenden Vorstellung vom Menschen (vgl dazu zuletzt BVerfG Beschluss vom 15.12.2015 - 2 BvR 2735/14 - juris RdNr 53 f mwN). Mit Blick hierauf steht das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auch einer Minderung des Alg II-Anspruchs um 30 % des maßgebenden Regelbedarfs für drei Monate bei Pflichtverletzungen nach § 31 SGB II oder Meldeversäumnissen nach § 32 SGB II nicht entgegen(BSG Urteil vom 29.4.2015 - B 14 AS 19/14 R - vorgesehen für BSGE und SozR 4-4200 § 31a Nr 1, RdNr 50 ff; die hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung angenommen worden: BVerfG 1. Senat 3. Kammer Beschluss vom 11.12.2015 - 1 BvR 2684/15).

40

Im Einzelnen hält sich die Aufrechnung in Höhe von 30 % des maßgebenden Regelbedarfs in dem durch das Gewährleistungsrecht vorgegebenen verfassungsrechtlichen Rahmen, weil ihre Ausgestaltung durch den Gesetzgeber in § 43 SGB II selbst als auch durch weitere anwendbare gesetzliche Vorschriften Regelungen aufweist, die die Berücksichtigung persönlicher Umstände des Leistungsberechtigten vor Erklärung und während einer Aufrechnung ermöglichen, und die hinreichend sicherstellen, dass den Betroffenen trotz Einbehaltung von bewilligten Leistungen zur Rückführung vorwerfbar veranlasster Erstattungsforderungen die auch in dieser Lage unerlässlichen Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung stehen:

41

Zum einen steht die Entschließung zur Aufrechnung im Ermessen der Jobcenter und es kann von diesen von einer Aufrechnung ua bei in der Person des Leistungsberechtigten liegenden Gründen abgesehen werden; diese Gründe können so gewichtig sein, dass die allein ermessensfehlerfreie Entscheidung das Absehen von einer Aufrechnung ist (Ermessensreduzierung auf null). Entsprechend hat der Leistungsberechtigte die Möglichkeit, vor der Ermessensentscheidung des Jobcenters Gründe geltend zu machen, die für ein Absehen von der Aufrechnung streiten können und die im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen sind. Neben einem Absehen von der Aufrechnung kommt als Ermessensbetätigung auch die Erklärung nur einer zeitlich verkürzten Aufrechnung in Betracht. Bei den Ermessenserwägungen zu berücksichtigende Umstände können zB sein das Ausmaß der Vorwerfbarkeit für die Veranlassung der Erstattungsforderung und die Höhe der Erstattungsforderung wegen zu Unrecht erbrachter Leistungen, die Bereitschaft zu freiwilligen Teilzahlungen oder Ratenzahlungen zur Rückführung der Erstattungsforderung sowie entsprechende Zahlungsbemühungen, die Durchführung von Aufrechnungen bereits in der Vergangenheit oder noch laufende Aufrechnungen, die sich durch eine neue Aufrechnung erledigen würden, das Zusammentreffen von Aufrechnung und Minderung nach §§ 31 ff SGB II und das Zusammenleben mit minderjährigen Kindern in einer Bedarfsgemeinschaft.

42

Zum anderen kann die erklärte Aufrechnung vor Ablauf ihrer längstmöglichen Dauer iS des § 43 Abs 4 Satz 2 und 3 SGB II vorzeitig beendet werden. Denn sie ist ein Dauerverwaltungsakt und unterliegt als solcher den Vorgaben des § 48 SGB X, insbesondere des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB X, § 40 Abs 2 Nr 3 SGB II iVm § 330 Abs 3 Satz 1 SGB III, weshalb bei einer wesentlichen Änderung in den Verhältnissen zugunsten des Betroffenen (hier: Eintritt von gegen die Fortdauer der Aufrechnung sprechenden Umständen) die Aufrechnung mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben ist.

43

Zudem sehen § 43 Abs 2 Satz 2 und 3 sowie Abs 3 SGB II Regelungen vor, die zu jedem Zeitpunkt ein Aufsummieren von Aufrechnungen auf über 30 % des maßgebenden Regelbedarfs vermeiden und so eine gesetzliche Höchstgrenze einziehen.

44

Schließlich enthält das SGB II Regelungen, auf deren Grundlage sonst nicht gedeckte, aber aus verfassungsrechtlichen Gründen tatsächlich zu deckende existenznotwendige Bedarfe während der Aufrechnung durch ergänzende Leistungen gedeckt werden können. Für einmalige Bedarfsspitzen vom Regelbedarf umfasster Bedarfe sieht insoweit § 24 Abs 1 SGB II zur Vermeidung von Deckungslücken eine darlehensweise Leistung vor; nach § 44 SGB II kann der Rückzahlungsanspruch des Jobcenters dem Leistungsberechtigten erlassen werden, wenn dessen Einziehung nach Lage des Falles unbillig wäre; eine Aufrechnung nach § 42a Abs 2 SGB II ist neben einer Aufrechnung in Höhe von 30 % des maßgebenden Regelbedarfs nach § 43 SGB II ohnehin ausgeschlossen(§ 43 Abs 3 Satz 2 SGB II). Für Härtefallmehrbedarfe sieht § 21 Abs 6 SGB II einen zusätzlichen Leistungsanspruch zum Regelbedarf vor, der als Zuschuss geleistet wird. Mit diesen gesetzlichen Kompensationsmöglichkeiten bei besonderen Bedarfslagen kann verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Härten im Einzelfall begegnet werden.

45

Berücksichtigung verdient letztlich auch, dass im Existenzsicherungsrecht mit § 43 SGB II als § 51 SGB I verdrängender Sonderregelung kein Neuland betreten worden ist(vgl Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 43 RdNr 4 f). Vielmehr steht diese Ausgestaltung des Gewährleistungsrechts in einer Regelungstradition. Mit § 43 SGB II sollte in Anlehnung an § 25a BSHG die gegenüber § 51 SGB I verschärfte Haftung "bis auf das Unerlässliche" geregelt werden(so zur ersten Entwurfsfassung BT-Drucks 15/1516 S 63), wenn es sich um Ansprüche des Leistungsträgers auf Erstattung oder auf Schadenersatz handelt, die der Hilfebedürftige durch vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben veranlasst hat. Mit § 25a war dem BSHG ab 27.6.1993 eine Aufrechnungsregelung hinzugefügt worden (FKPG vom 23.6.1993, BGBl I 944). Erfasst werden sollte der typische Fall des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 iVm § 50 SGB X(BT-Drucks 12/4401 S 82). An § 25a BSHG knüpft zudem nicht nur § 43 SGB II, sondern seit 1.1.2005 auch die Aufrechnung nach § 26 SGB XII an. Deren Anwendungsbereich ist gegenüber der Vorgängerregelung im BSHG noch erweitert worden (BT-Drucks 15/1514 S 58).

46

bb) Soweit in der Aufrechnung gegen den Willen des Leistungsberechtigten ein eigenständiger Eingriff in dessen Dispositionsfreiheit als Ausdruck seiner allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art 2 Abs 1 GG liegt, weil ihm die bewilligten Leistungen nicht in voller Höhe zur eigenverantwortlichen Verwendung zur Verfügung gestellt werden, ist dieser Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Denn er wahrt die Vorgaben des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Die Aufrechnung nach dem SGB II dient mit der Privilegierung der Leistungsträger als Gläubiger einer Erstattungsforderung gegen einen Leistungsberechtigten, der durch vorwerfbares Handeln zu Unrecht existenzsichernde Leistungen erhalten hat, zum einen einem verfassungsrechtlich legitimen Zweck. Zum anderen ist die Aufrechnung gegen einen Anspruch auf existenzsichernde Leistungen mit einem Erstattungsanspruch geeignet, diesen Zweck zu erreichen, ohne dass ein gleich geeignetes, aber den Betroffenen weniger belastendes Mittel zur Rückführung einer Erstattungsforderung gegen einen Leistungsberechtigten zur Verfügung steht. Seine Heranziehung zur Erstattung ihm zu Unrecht erbrachter Leistungen gegen seinen Willen wahrt zudem die Grenzen der Angemessenheit. Denn auch im Rahmen der hier vorzunehmenden verfassungsrechtlichen Abwägung der widerstreitenden Interessen einerseits des Leistungsträgers und derjenigen, die zu Unrecht erbrachte Leistungen mit ihren Steuern finanzieren, und andererseits der Leistungsberechtigten ist zu beachten, dass die gesetzlichen Regelungen für eine Aufrechnung eine Ermessensausübung und die Möglichkeit ergänzender Leistungen während einer Aufrechnung vorsehen. Den Interessen des Leistungsberechtigten kann durch diese Korrekturoptionen im Einzelfall hinreichend Rechnung getragen werden.

47

cc) Von vornherein scheidet ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG aus. Das Gleichheitsrecht vermag für die gesetzliche Ausgestaltung des Existenzminimums keine weiteren Maßstäbe zu setzen (BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1, 3, 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 RdNr 145).

48

Soweit mit der Revision die Privilegierung der Leistungsträger durch die Sonderregelung in § 43 SGB II als gleichheitswidrig im Vergleich zur Aufrechnung gegen andere Sozialleistungen sowie zur Zwangsvollstreckung zwischen Gläubigern und Schuldnern im Zivilrecht gerügt wird, ist darauf hinzuweisen, dass das Gleichheitsrecht nicht schlechterdings vor der unterschiedlichen Behandlung vergleichbarer Situationen in unterschiedlichen Rechtsregimen schützt. Die Aufrechnung im Sozialrecht und die zivilrechtliche Zwangsvollstreckung kennen Schutzregelungen für SGB II-Leistungsberechtigte, denen die Aufrechnung im SGB II zwischen Leistungsträgern und Leistungsberechtigten eben deshalb nicht entspricht, weil ohne diese Sonderregelung Erstattungsforderungen des Leistungsträgers wegen zu Unrecht erbrachter existenzsichernder Leistungen bei laufendem Bezug dieser Leistungen nie gegen den Leistungsberechtigten durchgesetzt werden könnten. Dieser Sachgrund rechtfertigt die unterschiedliche Behandlung im SGB II; ihre gesetzliche Ausgestaltung ist nicht an Art 3 Abs 1 GG zu messen, sondern - wie geschehen - am Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

49

dd) Alles in allem kann sich der Senat nicht die notwendige Überzeugung verschaffen, dass die gesetzliche Ermächtigung des § 43 SGB II zur Aufrechnung in Höhe von 30 % des jeweils maßgebenden Regelbedarfs über bis zu drei Jahre bei einer auf vorwerfbarem Verhalten des Leistungsberechtigten beruhenden Erstattungsforderung wegen zu Unrecht erbrachter Leistungen verfassungswidrig ist(wie hier: LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 13.9.2013 - L 19 AS 662/13 - juris RdNr 28 ff; Burkiczak in jurisPK-SGB II, 4. Aufl 2015, § 43 RdNr 37; Dauber in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, § 43 SGB II RdNr 6, Stand: April 2013; Greiser in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 43 RdNr 23; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 43 RdNr 122, Stand: Februar 2013; O. Loose in GK-SGB II, § 43 RdNr 64 ff, Stand: Januar 2015; Merten in BeckOK-SGB II, § 43 RdNr 21, Stand: September 2015; anderer Auffassung: Conradis in LPK-SGB II, 5. Aufl 2013, § 43 RdNr 23; zweifelnd: Kallert in Gagel, SGB II/SGB III, § 43 SGB II RdNr 3 ff, Stand: Dezember 2012; für eine restriktive Auslegung: Hölzer in Estelmann, SGB II, § 43 RdNr 63 ff, Stand: Mai 2015). Eine Vorlage nach Art 100 Abs 1 GG kommt deshalb nicht in Betracht.

50

b) Eine Grundrechtsverletzung des Klägers ergibt sich auch nicht aus dem und für den hier zu entscheidenden Fall.

51

Der Kläger hat sich im Anhörungsverfahren nicht geäußert und im Widerspruchsverfahren keine Gründe gegen die Aufrechnung geltend gemacht, die für ein Absehen von der Aufrechnung oder für eine nur zeitlich verkürzte Aufrechnung streiten könnten. Weder den Feststellungen des LSG noch dem Vorbringen des Klägers ist zu entnehmen, dass eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen des Klägers eingetreten ist, die für eine Aufhebung der laufenden Aufrechnung sprechen könnte. Auch ist weder erkennbar noch vom Kläger im Rahmen einer Rüge vorgetragen, dass während der Aufrechnung Bedarfslagen eingetreten und vom Kläger geltend gemacht worden sind, die Ansprüche nach § 24 Abs 1 oder § 21 Abs 6 SGB II auslösten und denen vom Beklagten nicht entsprochen worden ist. Es fehlen damit Anhaltspunkte dafür, dass die zur Überzeugung des Senats verfassungskonforme Ermächtigungsgrundlage des § 43 SGB II im konkreten Fall in einer Weise angewandt worden sein könnte, die mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht in Einklang steht.

52

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

(1) Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben unberührt. Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Die Einschränkungen nach Satz 1 gelten nicht für Ausländer, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind und sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten. Rechtsvorschriften, nach denen außer den in Satz 1 genannten Leistungen auch sonstige Sozialhilfe zu leisten ist oder geleistet werden soll, bleiben unberührt.

(2) Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes erhalten keine Leistungen der Sozialhilfe.

(3) Ausländer und ihre Familienangehörigen erhalten keine Leistungen nach Absatz 1 oder nach dem Vierten Kapitel, wenn

1.
sie weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt oder
3.
sie eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen.
Satz 1 Nummer 1 und 3 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Hilfebedürftigen Ausländern, die Satz 1 unterfallen, werden bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen); die Zweijahresfrist beginnt mit dem Erhalt der Überbrückungsleistungen nach Satz 3. Hierüber und über die Möglichkeit der Leistungen nach Absatz 3a sind die Leistungsberechtigten zu unterrichten. Die Überbrückungsleistungen umfassen:
1.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege,
2.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe nach § 35 und § 35a, einschließlich der Bedarfe nach § 30 Absatz 7,
3.
die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen und
4.
Leistungen nach § 50 Nummer 1 bis 3.
Soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, werden Leistungsberechtigten nach Satz 3 zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von Absatz 1 gewährt; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist. Abweichend von Satz 1 Nummer 2 erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach Absatz 1 Satz 1 und 2, wenn sie sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 7 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des tatsächlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Ausländerrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(3a) Neben den Überbrückungsleistungen werden auf Antrag auch die angemessenen Kosten der Rückreise übernommen. Satz 1 gilt entsprechend, soweit die Personen allein durch die angemessenen Kosten der Rückreise die in Absatz 3 Satz 5 Nummer 1 und 2 genannten Bedarfe nicht aus eigenen Mitteln oder mit Hilfe Dritter decken können. Die Leistung ist als Darlehen zu erbringen.

(4) Ausländer, denen Sozialhilfe geleistet wird, sind auf für sie zutreffende Rückführungs- und Weiterwanderungsprogramme hinzuweisen; in geeigneten Fällen ist auf eine Inanspruchnahme solcher Programme hinzuwirken.

(5) Hält sich ein Ausländer entgegen einer räumlichen Beschränkung im Bundesgebiet auf oder wählt er seinen Wohnsitz entgegen einer Wohnsitzauflage oder einer Wohnsitzregelung nach § 12a des Aufenthaltsgesetzes im Bundesgebiet, darf der für den Aufenthaltsort örtlich zuständige Träger nur die nach den Umständen des Einzelfalls gebotene Leistung erbringen. Unabweisbar geboten ist regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des Bedarfs für die Reise zu dem Wohnort, an dem ein Ausländer seinen Wohnsitz zu nehmen hat. In den Fällen des § 12a Absatz 1 und 4 des Aufenthaltsgesetzes ist regelmäßig eine Reisebeihilfe zu dem Ort im Bundesgebiet zu gewähren, an dem der Ausländer die Wohnsitznahme begehrt und an dem seine Wohnsitznahme zulässig ist. Der örtlich zuständige Träger am Aufenthaltsort informiert den bislang örtlich zuständigen Träger darüber, ob Leistungen nach Satz 1 bewilligt worden sind. Die Sätze 1 und 2 gelten auch für Ausländer, die eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 23a, 24 Absatz 1 oder § 25 Absatz 4 oder 5 des Aufenthaltsgesetzes besitzen, wenn sie sich außerhalb des Landes aufhalten, in dem der Aufenthaltstitel erstmals erteilt worden ist. Satz 5 findet keine Anwendung, wenn der Wechsel in ein anderes Land zur Wahrnehmung der Rechte zum Schutz der Ehe und Familie nach Artikel 6 des Grundgesetzes oder aus vergleichbar wichtigen Gründen gerechtfertigt ist.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben unberührt. Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Die Einschränkungen nach Satz 1 gelten nicht für Ausländer, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind und sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten. Rechtsvorschriften, nach denen außer den in Satz 1 genannten Leistungen auch sonstige Sozialhilfe zu leisten ist oder geleistet werden soll, bleiben unberührt.

(2) Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes erhalten keine Leistungen der Sozialhilfe.

(3) Ausländer und ihre Familienangehörigen erhalten keine Leistungen nach Absatz 1 oder nach dem Vierten Kapitel, wenn

1.
sie weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt oder
3.
sie eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen.
Satz 1 Nummer 1 und 3 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Hilfebedürftigen Ausländern, die Satz 1 unterfallen, werden bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen); die Zweijahresfrist beginnt mit dem Erhalt der Überbrückungsleistungen nach Satz 3. Hierüber und über die Möglichkeit der Leistungen nach Absatz 3a sind die Leistungsberechtigten zu unterrichten. Die Überbrückungsleistungen umfassen:
1.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege,
2.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe nach § 35 und § 35a, einschließlich der Bedarfe nach § 30 Absatz 7,
3.
die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen und
4.
Leistungen nach § 50 Nummer 1 bis 3.
Soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, werden Leistungsberechtigten nach Satz 3 zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von Absatz 1 gewährt; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist. Abweichend von Satz 1 Nummer 2 erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach Absatz 1 Satz 1 und 2, wenn sie sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 7 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des tatsächlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Ausländerrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(3a) Neben den Überbrückungsleistungen werden auf Antrag auch die angemessenen Kosten der Rückreise übernommen. Satz 1 gilt entsprechend, soweit die Personen allein durch die angemessenen Kosten der Rückreise die in Absatz 3 Satz 5 Nummer 1 und 2 genannten Bedarfe nicht aus eigenen Mitteln oder mit Hilfe Dritter decken können. Die Leistung ist als Darlehen zu erbringen.

(4) Ausländer, denen Sozialhilfe geleistet wird, sind auf für sie zutreffende Rückführungs- und Weiterwanderungsprogramme hinzuweisen; in geeigneten Fällen ist auf eine Inanspruchnahme solcher Programme hinzuwirken.

(5) Hält sich ein Ausländer entgegen einer räumlichen Beschränkung im Bundesgebiet auf oder wählt er seinen Wohnsitz entgegen einer Wohnsitzauflage oder einer Wohnsitzregelung nach § 12a des Aufenthaltsgesetzes im Bundesgebiet, darf der für den Aufenthaltsort örtlich zuständige Träger nur die nach den Umständen des Einzelfalls gebotene Leistung erbringen. Unabweisbar geboten ist regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des Bedarfs für die Reise zu dem Wohnort, an dem ein Ausländer seinen Wohnsitz zu nehmen hat. In den Fällen des § 12a Absatz 1 und 4 des Aufenthaltsgesetzes ist regelmäßig eine Reisebeihilfe zu dem Ort im Bundesgebiet zu gewähren, an dem der Ausländer die Wohnsitznahme begehrt und an dem seine Wohnsitznahme zulässig ist. Der örtlich zuständige Träger am Aufenthaltsort informiert den bislang örtlich zuständigen Träger darüber, ob Leistungen nach Satz 1 bewilligt worden sind. Die Sätze 1 und 2 gelten auch für Ausländer, die eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 23a, 24 Absatz 1 oder § 25 Absatz 4 oder 5 des Aufenthaltsgesetzes besitzen, wenn sie sich außerhalb des Landes aufhalten, in dem der Aufenthaltstitel erstmals erteilt worden ist. Satz 5 findet keine Anwendung, wenn der Wechsel in ein anderes Land zur Wahrnehmung der Rechte zum Schutz der Ehe und Familie nach Artikel 6 des Grundgesetzes oder aus vergleichbar wichtigen Gründen gerechtfertigt ist.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 1. Juni 2015 und des Sozialgerichts Köln vom 19. August 2014 aufgehoben sowie die Klagen gegen den Beklagten abgewiesen.

Die Beigeladene wird verurteilt, über die Ansprüche der Klägerin zu 1 vom 15. Februar 2013 bis zum 14. Mai 2013 und der Kläger zu 2 und 3 vom 9. März 2013 bis zum 14. Mai 2013 auf Leistungen nach dem SGB XII unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden sowie ihnen vom 15. Mai 2013 bis zum 30. September 2014 Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren.

Die Beigeladene hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits für alle Instanzen zu erstatten. Ansonsten haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit sind existenzsichernde Leistungen für Unionsbürger vom 15.2.2013 bis zum 30.9.2014.

2

Die Kläger sind bulgarische Staatsangehörige. Die 1989 geborene Klägerin zu 1 reiste am 15.11.2012 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie hatte in Bulgarien vier Jahre die Schule besucht und ein halbes Jahr als Putzfrau gearbeitet. Sie verfügte bei ihrer Einreise über keine deutschen Sprachkenntnisse. Zu diesem Zeitpunkt war sie mit den Klägern zu 2 und 3 schwanger. Bei einer Untersuchung am 4.12.2012 wurden eine Risikoschwangerschaft und ein Frühgeburtsrisiko festgestellt; errechneter Geburtstermin war der 29.3.2013. Die Klägerin zu 1 gebar am 9.3.2013 die Kläger zu 2 und 3.

3

Am 21.12.2012 stellte sie einen Leistungsantrag beim beklagten Jobcenter und gab an, sie sei wegen ihrer Schwangerschaft von ihrem Ex-Freund bedroht worden und deshalb nach Deutschland geflohen. Sie habe Schutz vor ihm suchen müssen und gehofft, Arbeit zu finden.

4

Ab 10.1.2013 war die Klägerin zu 1 und waren später auch die Kläger zu 2 und 3 ordnungsbehördlich untergebracht. Ein von der Ausländerbehörde der beigeladenen Stadt K. im April 2013 eingeleitetes Verfahren zur Feststellung des Verlusts des Aufenthalts- und Einreiserechts der Kläger wurde seit Mitte 2013 seitens der Behörde nicht weiter betrieben, nachdem die Klägerin zu 1 in diesem Verfahren ihr Schicksal geschildert hatte.

5

Den Leistungsantrag der Klägerin zu 1 vom 21.12.2012 lehnte der Beklagte unter Hinweis auf § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 1 und 2 SGB II ab(Bescheid vom 14.2.2013; Widerspruchsbescheid vom 13.3.2013). Am 6.8.2013 stellte die Klägerin zu 1 für sich und die Kläger zu 2 und 3 einen Weiterbewilligungsantrag, den der Beklagte unter Hinweis auf § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II ablehnte(Bescheid vom 15.8.2013; Widerspruchsbescheid vom 24.10.2013).

6

Aufgrund von stattgebenden Entscheidungen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem SG Köln zahlte der Beklagte der Klägerin zu 1 vom 21.2.2013 und später auch den Klägern zu 2 und 3 bis 21.8.2013 und ab 16.9.2013 ("längstens bis zum Abschluss des Rechtsstreits S 24 AS 1392/13") vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Die gegen die Ablehnungen erhobenen Klagen vor dem SG (S 24 AS 1392/13 und S 24 AS 4485/13) verband dieses zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung und verurteilte den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide, der Klägerin zu 1 "Leistungen" ab 21.1.2013 und den Klägern zu 2 und 3 ab 9.3.2013 "nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen" (Urteil vom 19.8.2014). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II nicht anzuwenden sei, da dieser gegen höherrangiges europäisches Recht verstoße.

7

Am 27.10.2014 stellten die Kläger einen Weiterbewilligungsantrag, den der Beklagte ablehnte (Bescheid vom 7.11.2014; Widerspruchsbescheid vom 3.2.2015). Hiergegen ist Klage vor dem SG erhoben (S 19 AS 597/15).

8

Gegen seine Verurteilung durch das SG legte der Beklagte Berufung beim LSG Nordrhein-Westfalen ein. Im Berufungsverfahren lud das LSG die Stadt K. nach § 75 Abs 2 Alt 2 SGG bei, weil sie bei Ablehnung des Anspruchs als Träger der Sozialhilfe nach dem SGB XII als leistungspflichtig in Betracht komme. Die Berufung des Beklagten wies das LSG zurück (Urteil vom 1.6.2015), nachdem die Klägerin zu 1 ihr Leistungsbegehren auf die Zeit ab 15.2.2013 und das Leistungsbegehren aller Kläger auf die Zeit bis 30.9.2014 beschränkt und die weitergehende Klage zurückgenommen hatte. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin zu 1 erfülle im streitigen Zeitraum die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II und sei nicht nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 1 oder 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II greife nicht ein, weil die Klägerin zu 1 am 15.11.2012 eingereist und der Dreimonatszeitraum des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II zu Beginn des streitigen Zeitraums am 15.2.2013 bereits abgelaufen gewesen sei. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II greife nicht ein, denn die Klägerin zu 1 habe im streitigen Zeitraum kein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche innegehabt, weil ihre Arbeitsuche objektiv ohne begründete Aussicht auf Erfolg gewesen sei. Ihr hätten auch keine anderen Aufenthaltsrechte zugestanden. Auch die Kläger zu 2 und 3 hätten nicht über ein Aufenthaltsrecht verfügt. Auf Unionsbürger ohne materielles Aufenthaltsrecht finde der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II keine Anwendung. Der Klägerin zu 1 stehe deshalb Alg II und den Klägern zu 2 und 3 Sozialgeld zu, denn sie hätten mit der Klägerin zu 1 als einer erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs 3 SGB II gelebt.

9

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Beklagte eine Verletzung von § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II, weil die Klägerin zu 1 ein Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche herleiten könne. Der Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II erfasse zudem europarechtskonform auch EU-Ausländer, die wirtschaftlich inaktiv seien, ohne über ausreichende Existenzmittel und einen Krankenversicherungsschutz zu verfügen.

10

Der Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 1. Juni 2015 und des Sozialgerichts Köln vom 19. August 2014 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

11

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Beigeladene zu verurteilen, der Klägerin zu 1 vom 15. Februar 2013 bis zum 30. September 2014 und den Klägern zu 2 und 3 vom 9. März 2013 bis zum 30. September 2014 Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren.

12

Sie tragen ua vor, der Aufenthalt der Klägerin zu 1 sei auch humanitär bedingt, sodass § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II keine Anwendung finde.

13

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Entscheidungsgründe

14

Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet. Die Urteile des LSG und des SG sind aufzuheben und die Klagen gegen den Beklagten abzuweisen, weil dieser zu Recht einen Anspruch der Kläger auf Leistungen nach dem SGB II abgelehnt hat. Jedoch sind die Klagen nicht insgesamt abzuweisen, sondern es ist als anderer leistungspflichtiger Träger nach § 75 Abs 2 Alt 2, Abs 5 SGG die Beigeladene als Sozialhilfeträger zu verurteilen, den Klägern im streitigen Zeitraum Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren.

15

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist die Aufhebung der Urteile des LSG und des SG, durch die der Beklagte zur Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II an die Kläger verurteilt worden ist, und damit letztlich das Begehren des Beklagten, die Klagen abzuweisen. Streitig ist nach den entsprechenden Erklärungen der Kläger vor dem LSG nur noch der Zeitraum für die Klägerin zu 1 vom 15.2.2013 und für die Kläger zu 2 und 3 ab Geburt vom 9.3.2013 bis jeweils zum 30.9.2014.

16

2. Zutreffende Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG). Als solche zulässig sind auch die Klagen der Kläger zu 2 und 3 gegen den Bescheid des Beklagten vom 14.2.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.3.2013 für den Zeitraum vom 9.3.2013 bis 31.7.2013. Dem steht nicht entgegen, dass beide in diesem Bescheid keine Erwähnung gefunden haben. Denn der Leistungsantrag der Klägerin zu 1 vom 21.12.2012 erfasste aufgrund von § 38 Abs 1 Satz 1 SGB II auch die Kläger zu 2 und 3 ab ihrer Geburt am 9.3.2013. Damit sind sie ebenfalls Adressaten der Leistungsablehnung durch den Bescheid vom 14.2.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.3.2013.

17

Zulässig ist auch der im Revisionsverfahren gestellte Hilfsantrag auf Verurteilung der Beigeladenen (vgl BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 13). Weder diesem Antrag noch dem mit dem Hauptantrag weiterverfolgten Leistungsantrag gegen den Beklagten steht entgegen, dass die Kläger für Teilzeiträume des streitigen Zeitraums bereits aufgrund stattgebender Entscheidungen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufige Leistungen erhalten haben (vgl BSG, aaO, RdNr 14).

18

3. Die Kläger haben im streitigen Zeitraum keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Die Klägerin zu 1 erfüllt zwar die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II(dazu 4.), unterliegt jedoch dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II, der die EU-Ausländer umfasst, die weder über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung noch ein Aufenthaltsrecht verfügen(dazu 5.), was bei der Klägerin zu 1 der Fall ist, trotz eines in Betracht kommenden Aufenthaltsrechts aus humanitären Gründen (dazu 6.). Diesem Leistungsausschluss stehen nicht das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) (dazu 7.), das Recht der Europäischen Union (EU) (dazu 8.) oder das GG (dazu 9.) entgegen.

19

Doch sind den Klägern von der Beigeladenen Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren. Der Anwendbarkeit des SGB XII auf die Klägerin zu 1 steht § 21 Satz 1 SGB XII nicht entgegen(dazu 10.). Die Beigeladene muss sich die Kenntnis des Beklagten vom Existenzsicherungsbedarf der Klägerin zu 1 zurechnen lassen (dazu 11.). Zwar unterliegt die Klägerin zu 1 dem Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII und ist dieser mit dem EFA und dem EU-Recht vereinbar(dazu 12.), doch schließt dies nicht Ermessensleistungen nach § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII aus(dazu 13.). Ab 15.5.2013 kann die Klägerin zu 1 aufgrund einer Ermessensreduzierung auf null Leistungen nach dem SGB XII beanspruchen (dazu 14.). Für die Kläger zu 2 und 3 gilt im Ergebnis nichts anderes (dazu 15. und 16.).

20

4. Die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II erfüllte die 1989 geborene Klägerin zu 1 in der streitigen Zeit vom 15.2.2013 bis zum 30.9.2014 nach den Feststellungen des LSG (§ 163 SGG).

21

Sie war trotz ihrer Schwanger- und Mutterschaft erwerbsfähig nach § 8 Abs 1 SGB II und die fehlende deutsche Staatsangehörigkeit stand ihrer Erwerbsfähigkeit nach § 8 Abs 2 SGB II nicht entgegen, weil für sie als bulgarische Staatsangehörige die Möglichkeit, dass eine Beschäftigung erlaubt werden könnte, bestand und ausreicht(vgl BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 13 ff). Die Klägerin zu 1 war auch hilfebedürftig nach §§ 9, 11 ff SGB II, weil sie selbst nicht über zur Bedarfsdeckung ausreichendes zu berücksichtigendes Einkommen oder Vermögen verfügte und mit niemandem außer ihren Kindern, den Klägern zu 2 und 3, eine Bedarfsgemeinschaft bildete. Die vom LSG festgestellten Einnahmen der Klägerin zu 1 einschließlich des Elterngeldes ließen, insbesondere wegen der Höhe der festgestellten Bedarfe für Unterkunft und Heizung, ihre Hilfebedürftigkeit nicht entfallen. Die am 15.11.2012 in Deutschland eingereiste Klägerin zu 1 hatte hier auf der Grundlage der Feststellungen des LSG im streitigen Zeitraum ihren gewöhnlichen Aufenthalt (§ 30 Abs 3 Satz 1 SGB I).

22

5. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II ist auf die Klägerin zu 1 anzuwenden, weil diese sich weder auf eine Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, noch auf ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG berufen kann, das eine Ausnahme von dem Leistungsausschluss zu rechtfertigen vermag.

23

Nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II sind "ausgenommen" - also keine leistungsberechtigten Personen iS des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II und ohne Leistungsberechtigung nach dem SGB II - nach Nr 1 Ausländerinnen und Ausländer, die in Deutschland keine Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder nicht nach § 2 Abs 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts, nach Nr 2 Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen sowie nach Nr 3 Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG, wobei diese letzte Variante bei der Klägerin zu 1 von vornherein ausscheidet.

24

Über diese wortwörtlich geregelten Fälle hinaus umfasst der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II erst recht die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der EU, die keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen (EU-Ausländer) und nicht über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU oder ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG verfügen. Der erkennende 14. Senat schließt sich dem 4. Senat an, der dies unter Bezugnahme auf die Entstehungsgeschichte des Leistungsausschlusses, seine systematischen Zusammenhänge sowie den Sinn und Zweck der Vorschrift begründet hat (BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 19 ff; so bereits Urteile des Senats vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR, B 14 AS 18/14 R und B 14 AS 33/14 R). Es kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass einerseits EU-Ausländer, die zB über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche verfügen, von Leistungen nach dem SGB II, die auch der Integration in den Arbeitsmarkt dienen sollen, ausgeschlossen sind, andererseits aber EU-Ausländern, die ohne Bereitschaft zu arbeiten oder ohne Aussicht auf Arbeit, also ohne materielle Freizügigkeitsberechtigung, und ohne ausreichende eigene finanzielle Mittel sich in Deutschland aufhalten, Leistungen nach dem SGB II zu erbringen sind.

25

Von den materiellen Freizügigkeitsberechtigungen nach dem FreizügG/EU zu unterscheiden ist die generelle Freizügigkeitsvermutung für EU-Ausländer, für deren rechtmäßige Einreise nach Deutschland ein gültiger Pass genügt (§ 2 Abs 5 FreizügG/EU). Aufgrund dieser generellen Freizügigkeitsvermutung muss der Aufenthalt eines EU-Ausländers zumindest solange als rechtmäßig angesehen werden, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts aufgrund von § 5 Abs 4 FreizügG/EU bzw der Missbrauchstatbestände in § 2 Abs 7 FreizügG/EU festgestellt und damit nach § 7 Abs 1 FreizügG/EU die sofortige Ausreisepflicht begründet hat(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 34 mwN).

26

6. Auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, oder ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG, das eine Ausnahme von dem Leistungsausschluss zu rechtfertigen vermag, kann sich die Klägerin zu 1 im streitigen Zeitraum nicht berufen.

27

a) Eine Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmerin oder als Selbstständige nach § 2 Abs 2 Nr 1 oder 2 FreizügG/EU scheidet mangels dahin gehender Aktivitäten der Klägerin zu 1 aus. Das Gleiche gilt für eine nachwirkende Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmerin oder selbstständige Erwerbstätige nach § 2 Abs 3 FreizügG/EU. Die Voraussetzungen für eine Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs 2 FreizügG/EU nach der Nr 3 oder 4 (Erbringer oder Empfänger von Dienstleistungen) sowie Nr 7 (Inhaber eines Daueraufenthaltsrechts) oder als Familienangehörige nach § 2 Abs 2 Nr 6, § 3 FreizügG/EU sind den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen. Aufgrund ihrer Hilfebedürftigkeit iS des § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II scheidet auch eine Freizügigkeitsberechtigung der Klägerin zu 1 als nicht Erwerbstätige nach § 2 Abs 2 Nr 5, § 4 FreizügG/EU aus.

28

b) Ein Aufenthaltsrecht der Klägerin zu 1 nach dem AufenthG, insbesondere vermittels der Günstigkeitsregelung in § 11 Abs 1 Satz 11 FreizügG/EU, das eine Ausnahme vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II zu rechtfertigen vermag, ist aufgrund der Feststellungen des LSG nicht ersichtlich.

29

Denn vorliegend kommt allenfalls ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht aufgrund einer Aufenthaltserlaubnis aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen nach § 25 Abs 4 AufenthG wegen der Risikoschwangerschaft der Klägerin zu 1 bei ihrer Einreise nach Deutschland und der Geburt ihrer Kinder hier in Betracht, nicht aber ein Aufenthaltsrecht mit längerfristiger Bleibeperspektive, wie es sich zB aus den aufenthaltsrechtlichen Vorwirkungen einer bevorstehenden Familiengründung ergeben kann(vgl BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34; vgl auch BSG Urteil vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR, RdNr 30 ff). Nur ein Aufenthaltsrecht, das eine längerfristige Bleibeperspektive vermittelt und das deshalb auch einer Eingliederung in den Arbeitsmarkt nicht entgegensteht, ist geeignet als Ausnahme zu § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II den Zugang zu Leistungen nach dem SGB II zu eröffnen. Ohne längerfristige Bleibeperspektive ist die Eröffnung des Zugangs zu diesen Leistungen einschließlich denen zur Eingliederung in Arbeit nicht sachgerecht. Die hier allenfalls in Betracht kommende Erteilung und ggf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 4 Satz 1 und 2 AufenthG mag mit einem erlaubten, aber nur vorübergehenden Aufenthalt zwar eine Antwort des Aufenthaltsrechts auf eine Krisensituation der Klägerin zu 1 bieten, lässt die Anwendung des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II auf sie nach dessen Sinn und Zweck indes unberührt.

30

7. Das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 EFA steht diesem Leistungsausschluss der Klägerin zu 1 nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II nicht entgegen. Denn das EFA ist weder nach seinem sachlichen (zur Nichtanwendbarkeit des EFA im Rahmen des SGB II aufgrund des von Deutschland erklärten Vorbehalts BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 43/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR, RdNr 18 ff) noch nach seinem persönlichen Anwendungsbereich einschlägig, weil die Klägerin zu 1 bulgarische Staatsangehörige und Bulgarien kein Unterzeichnerstaat dieses Abkommens ist.

31

8. Mit EU-Recht ist dieser Leistungsausschluss der Klägerin zu 1 nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II vereinbar, wie sich aus den Entscheidungen des EuGH vom 11.11.2014 (C-333/13 - Dano, NJW 2015, 145) und vom 15.9.2015 (C-67/14 - Alimanovic, SGb 2015, 638) ergibt. Auch wenn Alg II und Sozialgeld nach dem SGB II als besondere beitragsunabhängige Geldleistungen iS des Art 70 VO (EG) Nr 883/2004 und als "Sozialhilfe" iS des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG eingeordnet werden, stehen Art 24 Abs 1 iVm Art 7 Abs 1 Buchst b RL 2004/38/EG und Art 4 VO (EG) Nr 883/2004 der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten (einschließlich ihrer Familienangehörigen) vom Bezug dieser Leistungen ausgeschlossen werden, sofern diesen Staatsangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG zusteht (EuGH Urteil vom 11.11.2014, aaO, RdNr 84). Gleiches gilt für Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten (einschließlich ihrer Familienangehörigen), die nach Deutschland eingereist sind, um Arbeit zu suchen, wenn sie nicht Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder ihnen dieser Status erhalten geblieben ist (EuGH Urteil vom 15.9.2015, aaO, RdNr 63).

32

9. Verfassungsrechtliche Bedenken stehen diesem Leistungsausschluss der Klägerin zu 1 nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II nicht entgegen. Der Leistungsausschluss ist insbesondere schon deshalb mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG vereinbar, weil der Klägerin zu 1 existenzsichernde Leistungen durch die Beigeladene nach § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII zu gewähren sind.

33

10. Die Leistungsvoraussetzungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 19 Abs 1, § 27 Abs 1 SGB XII erfüllte die Klägerin zu 1 nach den Feststellungen des LSG zu den Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II. Hinsichtlich der nach § 18 Abs 1 SGB XII erforderlichen Kenntnis des beigeladenen Sozialhilfeträgers ist auf die Kenntnis des beklagten Jobcenters zu verweisen(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 39 mwN).

34

11. Der Anwendbarkeit des SGB XII auf die Klägerin zu 1 steht § 21 Satz 1 SGB XII nicht entgegen.

35

Die Klägerin zu 1 war danach nicht von Leistungen für den Lebensunterhalt ausgeschlossen, weil die "Systemabgrenzung" zwischen SGB II und SGB XII nicht auf das schlichte Kriterium der Erwerbsfähigkeit reduziert werden kann, sondern differenzierter ist (BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 40 ff; BSG Urteil vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR, RdNr 38; jeweils mwN). Im Sinne der mit § 5 Abs 2 Satz 1 SGB II korrespondierenden Abgrenzungsregelung des § 21 Satz 1 SGB XII sind nach dem SGB II "als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt" grundsätzlich die Personen nicht, die auch bei Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen des SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sind. Diese Personen können Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII erhalten, wenn sie nicht auch durch das SGB XII von Leistungen ausgeschlossen sind (wie zB durch § 22 SGB XII, der § 7 Abs 5 und 6 SGB II entspricht, oder durch § 23 Abs 2 SGB XII, der § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB II entspricht).

36

Dagegen spricht nicht, dass in den Gesetzesmaterialien abweichende Regelungsvorstellungen zum Ausdruck gelangt sind. Denn soweit § 21 SGB XII ausweislich der Materialien durch die Anknüpfung an die Eigenschaft als Erwerbsfähige oder deren Angehörige nach dem SGB II eine eindeutige Abgrenzung leisten sollte(Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 5.9.2003, BT-Drucks 15/1514 S 57), ist diese allein auf das Kriterium der Erwerbsfähigkeit abstellende Abgrenzung der existenzsichernden Leistungssysteme in den gesetzlichen Abgrenzungsregelungen des SGB II und des SGB XII so nicht verwirklicht worden. Zudem sind diese seit ihrem Inkrafttreten am 1.1.2005 bereits mehrfach geändert worden.

37

12. Die Klägerin zu 1 unterliegt indes dem Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII. Danach haben Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, sowie ihre Familienangehörigen keinen Anspruch auf Sozialhilfe.

38

a) Zwar ist die Klägerin zu 1 nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG nicht eingereist, um iS des § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB XII Sozialhilfe zu erlangen. Hierfür wäre Voraussetzung, dass der Zweck, Sozialhilfe zu erlangen, den Einreiseentschluss geprägt hat (BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 45 mwN). Ein solcher finaler Zusammenhang ist hier nicht gegeben, denn die Klägerin zu 1 ist eingereist zu ihrem und zum Schutz ihrer ungeborenen Kinder vor ihrem Ex-Freund. Doch sind ebenso wie nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II nach § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB XII EU-Ausländer, die weder über eine Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, noch ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG verfügen, vom Anspruch auf Sozialhilfe ausgeschlossen(BSG, aaO, RdNr 48 ff).

39

b) Das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 EFA steht diesem Leistungsausschluss der Klägerin zu 1 nicht entgegen (zur Anwendbarkeit des EFA im Rahmen des SGB XII BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 59/13 R - juris RdNr 20 ff), weil die Klägerin zu 1 bulgarische Staatsangehörige und Bulgarien kein Unterzeichnerstaat dieses Abkommens ist. Durchgreifende Gründe, dieses völkerrechtliche Abkommen zwischen bestimmten Staaten, die zwar (mittlerweile) größtenteils zur EU gehören, auf die Staatsangehörigen auch anderer Mitgliedstaaten der EU auszudehnen (so wohl Eichenhofer, SGb 2011, 458), sind nicht zu erkennen (BSG Urteil vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR, RdNr 34). Der Ausschluss vom Anspruch auf Sozialhilfe ist auch mit dem EU-Recht vereinbar; hier gilt nichts anderes wie zum Leistungsausschluss im SGB II.

40

13. Die Anwendung des Leistungsausschlusses nach § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII führt indes nicht zum Ausschluss auch von Ermessensleistungen nach § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII.

41

§ 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII beinhaltet, wie schon dem Wortlaut entnommen werden kann, nur einen Ausschluss von einem Anspruch auf Sozialhilfe iS des § 23 Abs 1 Satz 1 SGB XII, nicht aber von im Wege des Ermessens zu gewährenden Leistungen der Sozialhilfe, wie sie § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII vorsieht(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 51 f mwN, auch auf die Rspr des BVerwG zur Vorläufervorschrift in § 120 BSHG). Aufgrund dieser Ermessensregelung in § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII kommen für vom Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII erfasste Personen auch die Leistungen nach dem SGB XII in Betracht, auf die für nicht vom Leistungsausschluss erfasste Personen ein Anspruch nach § 23 Abs 1 Satz 1 SGB XII besteht. Dieses Verständnis des systematischen Verhältnisses von § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII zu § 23 Abs 1 Satz 1 und 3 SGB XII, das den Zugang zu den Leistungen nach dem SGB XII, insbesondere der Hilfe zum Lebensunterhalt, eröffnet, ist angezeigt in einer verfassungsrechtlichen Perspektive durch das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG(zu diesem grundlegend BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) bei einem tatsächlichen Aufenthalt eines Ausländers in Deutschland, gegen den ausländerbehördliche Maßnahmen nicht ergriffen werden, sondern dessen Aufenthalt faktisch geduldet wird (vgl zur Geltung des Grundrechts als Menschenrecht für ausländische Staatsangehörige, die sich in Deutschland aufhalten, BVerfG Urteil vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10 ua - BVerfGE 132, 134, insbesondere RdNr 63; dort auch RdNr 92 ff zur insoweit ohnehin nur begrenzten Relevanz der Aufenthaltsdauer).

42

Auf die Möglichkeit einer Heimkehr des Ausländers in sein Herkunftsland kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Diese Möglichkeit ist im Hinblick auf die Ausgestaltung des genannten Grundrechts als Menschenrecht schon verfassungsrechtlich jedenfalls solange unbeachtlich, wie der tatsächliche Aufenthalt in Deutschland von den zuständigen Behörden faktisch geduldet wird. Ungeachtet dessen findet der Verweis auf eine so verstandene Selbsthilfe in dieser Lage nach dem derzeit geltenden Recht auch sozialhilferechtlich keine Grundlage. Zwar erhält Sozialhilfe nach dem Nachranggrundsatz des § 2 Abs 1 SGB XII nicht, wer sich - vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens - selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Diese Vorschrift ist jedoch nach der Rechtsprechung des Sozialhilfesenats des BSG keine eigenständige Ausschlussnorm, sondern ihr kommt regelmäßig nur im Zusammenhang mit ergänzenden bzw konkretisierenden sonstigen Vorschriften des SGB XII Bedeutung zu; ein Leistungsausschluss ohne Rückgriff auf andere Normen des SGB XII ist mithin allenfalls in extremen Ausnahmefällen denkbar, etwa wenn sich der Bedürftige generell eigenen Bemühungen verschließt und Ansprüche ohne Weiteres realisierbar sind (stRspr; vgl zuletzt BSG Urteil vom 22.3.2012 - B 8 SO 30/10 R - BSGE 110, 301 = SozR 4-3500 § 54 Nr 8, RdNr 25 mwN). Für die Annahme einer solchen Ausnahmelage fehlt indes - nachdem eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für einen Verweis auf die Rückkehr in das Heimatland nach geltendem Recht im SGB XII nicht besteht - ohne Begründung einer Ausreisepflicht des Ausländers als Ergebnis eines ausländerbehördlichen Verfahrens schon im Ansatz jeder Anhaltspunkt.

43

Auf dieser Grundlage hat die Klägerin zu 1 zunächst einen Anspruch gegen die Beigeladene auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Diese wird über das Leistungsbegehren der Klägerin zu 1 für die Zeit vom 15.2.2013 bis 14.5.2013 eine Ermessensentscheidung dem Grunde und der Höhe nach zu treffen haben. Bei dieser ist zu berücksichtigen, dass zum einen Ermessensgesichtspunkte dafür, Leistungen ganz abzulehnen, nicht ersichtlich sind, und zum anderen, dass neben den unmittelbar existenzsichernden Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§ 27 ff SGB XII auch Leistungen im Rahmen der Hilfen zur Gesundheit nach §§ 47 ff SGB XII in Betracht kommen, zumal für die in dieser Zeit hochschwangere Klägerin zu 1, die am 9.3.2013 ihre beiden Kinder gebar.

44

14. Ab 15.5.2013 stehen der Klägerin zu 1 sodann nach § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII aufgrund einer Ermessensreduzierung auf null Leistungen nach dem SGB XII zu.

45

Das Ermessen der Beigeladenen ist ab diesem Zeitpunkt dem Grunde und der Höhe nach auf null reduziert, weil sich der Aufenthalt der Klägerin zu 1 nach Ablauf von sechs Monaten tatsächlichem Aufenthalt in Deutschland so verfestigt hat, dass die Erbringung existenzsichernder Leistungen nur im Einzelfall nach Ermessen den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht mehr genügt (vgl BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 53 ff). Aufgrund dieser Anforderungen können EU-Ausländern nach Ablauf von sechs Monaten keine oder nur verminderte existenzsichernde Leistungen im Ermessenswege allenfalls gewährt werden, wenn sich ihr Aufenthalt trotz dieses Zeitablaufs entgegen dem Regelfall nicht verfestigt hat oder sie sich nur noch absehbar kurzzeitig in Deutschland aufhalten (vgl BSG, aaO, RdNr 58). Dies ist bei der Klägerin zu 1 nicht der Fall, nachdem die Ausländerbehörde das innerhalb der ersten sechs Monate eingeleitete Verlustfeststellungsverfahren aufgrund des Schicksals der Klägerin zu 1 nicht weiter betrieben und ihren weiteren Aufenthalt in Deutschland faktisch geduldet hat. Doch steht die Einleitung dieses Verlustfeststellungsverfahrens zugleich der ausnahmsweisen Annahme einer Aufenthaltsverfestigung abweichend vom Regelfall bereits vor Ablauf von sechs Monaten entgegen; eine Ermessensreduzierung auf null vor dem 15.5.2013 scheidet aus.

46

Mit der Verfestigung ihres tatsächlichen, von der Ausländerbehörde faktisch geduldeten Aufenthalts stehen der Klägerin zu 1 ausgehend vom Tag ihrer Einreise am 15.11.2012 nach Ablauf von sechs Monaten ab 15.5.2013 dem Grunde und der Höhe nach die gesetzlichen existenzsichernden Leistungen nach dem SGB XII zu. Auch insoweit gilt, dass diese Leistungen neben der Hilfe zum Lebensunterhalt auch die Hilfen zur Gesundheit nach dem SGB XII umfassen.

47

15. Für die am 9.3.2013 in Deutschland geborenen Kläger zu 2 und 3 gilt im Ergebnis nichts anderes. Sie haben keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II.

48

Abgesehen von dem hier nicht einschlägigen § 7 Abs 2 Satz 3 SGB II könnten sie einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II nur über eine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs 3 SGB II mit einer leistungsberechtigten Person haben. Die dafür vorliegend allein infrage kommende Klägerin zu 1 ist jedoch keine leistungsberechtigte Person nach dem SGB II, sondern - wie oben gezeigt - von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.

49

16. Doch sind ebenso wie für die Klägerin zu 1 auch für die Kläger zu 2 und 3 im streitigen Zeitraum Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren. Die Leistungsvoraussetzungen der Hilfe zum Lebensunterhalt erfüllten sie nach den Feststellungen des LSG zu den Voraussetzungen des § 7 Abs 2 Satz 1, Abs 3 Nr 4 SGB II.

50

Als Familienangehörige iS des § 3 Abs 1, Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU eines sich in Deutschland aufhaltenden EU-Ausländers unterliegen wie die Klägerin zu 1 zwar auch sie dem Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB XII. Für die Zeit vom 9.3.2013 bis 14.5.2013 haben sie indes wie die Klägerin zu 1 als deren mit ihr in einem Haushalt lebende Kinder aufgrund von § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII gegen die Beigeladene einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über Leistungen nach dem SGB XII. Ab 15.5.2013 stehen sodann auch ihnen aufgrund einer Ermessensreduzierung auf null dem Grunde und der Höhe nach die Leistungen nach dem SGB XII zu. Zwar hielten sie sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht länger als sechs Monate tatsächlich in Deutschland auf, doch kommen keine Ermessensgesichtspunkte dafür in Betracht, der Klägerin zu 1, ihrer Mutter, ab diesem Zeitpunkt Leistungen nach dem SGB XII im Wege einer Ermessensreduzierung auf null zuzuerkennen, den Klägern zu 2 und 3 aber noch nicht.

51

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben unberührt. Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Die Einschränkungen nach Satz 1 gelten nicht für Ausländer, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind und sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten. Rechtsvorschriften, nach denen außer den in Satz 1 genannten Leistungen auch sonstige Sozialhilfe zu leisten ist oder geleistet werden soll, bleiben unberührt.

(2) Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes erhalten keine Leistungen der Sozialhilfe.

(3) Ausländer und ihre Familienangehörigen erhalten keine Leistungen nach Absatz 1 oder nach dem Vierten Kapitel, wenn

1.
sie weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt oder
3.
sie eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen.
Satz 1 Nummer 1 und 3 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Hilfebedürftigen Ausländern, die Satz 1 unterfallen, werden bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen); die Zweijahresfrist beginnt mit dem Erhalt der Überbrückungsleistungen nach Satz 3. Hierüber und über die Möglichkeit der Leistungen nach Absatz 3a sind die Leistungsberechtigten zu unterrichten. Die Überbrückungsleistungen umfassen:
1.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege,
2.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe nach § 35 und § 35a, einschließlich der Bedarfe nach § 30 Absatz 7,
3.
die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen und
4.
Leistungen nach § 50 Nummer 1 bis 3.
Soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, werden Leistungsberechtigten nach Satz 3 zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von Absatz 1 gewährt; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist. Abweichend von Satz 1 Nummer 2 erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach Absatz 1 Satz 1 und 2, wenn sie sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 7 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des tatsächlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Ausländerrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(3a) Neben den Überbrückungsleistungen werden auf Antrag auch die angemessenen Kosten der Rückreise übernommen. Satz 1 gilt entsprechend, soweit die Personen allein durch die angemessenen Kosten der Rückreise die in Absatz 3 Satz 5 Nummer 1 und 2 genannten Bedarfe nicht aus eigenen Mitteln oder mit Hilfe Dritter decken können. Die Leistung ist als Darlehen zu erbringen.

(4) Ausländer, denen Sozialhilfe geleistet wird, sind auf für sie zutreffende Rückführungs- und Weiterwanderungsprogramme hinzuweisen; in geeigneten Fällen ist auf eine Inanspruchnahme solcher Programme hinzuwirken.

(5) Hält sich ein Ausländer entgegen einer räumlichen Beschränkung im Bundesgebiet auf oder wählt er seinen Wohnsitz entgegen einer Wohnsitzauflage oder einer Wohnsitzregelung nach § 12a des Aufenthaltsgesetzes im Bundesgebiet, darf der für den Aufenthaltsort örtlich zuständige Träger nur die nach den Umständen des Einzelfalls gebotene Leistung erbringen. Unabweisbar geboten ist regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des Bedarfs für die Reise zu dem Wohnort, an dem ein Ausländer seinen Wohnsitz zu nehmen hat. In den Fällen des § 12a Absatz 1 und 4 des Aufenthaltsgesetzes ist regelmäßig eine Reisebeihilfe zu dem Ort im Bundesgebiet zu gewähren, an dem der Ausländer die Wohnsitznahme begehrt und an dem seine Wohnsitznahme zulässig ist. Der örtlich zuständige Träger am Aufenthaltsort informiert den bislang örtlich zuständigen Träger darüber, ob Leistungen nach Satz 1 bewilligt worden sind. Die Sätze 1 und 2 gelten auch für Ausländer, die eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 23a, 24 Absatz 1 oder § 25 Absatz 4 oder 5 des Aufenthaltsgesetzes besitzen, wenn sie sich außerhalb des Landes aufhalten, in dem der Aufenthaltstitel erstmals erteilt worden ist. Satz 5 findet keine Anwendung, wenn der Wechsel in ein anderes Land zur Wahrnehmung der Rechte zum Schutz der Ehe und Familie nach Artikel 6 des Grundgesetzes oder aus vergleichbar wichtigen Gründen gerechtfertigt ist.

(1) Sozialhilfe erhält nicht, wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.

(2) Verpflichtungen anderer, insbesondere Unterhaltspflichtiger oder der Träger anderer Sozialleistungen, bleiben unberührt. Auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen anderer dürfen nicht deshalb versagt werden, weil nach dem Recht der Sozialhilfe entsprechende Leistungen vorgesehen sind.

(1) Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben unberührt. Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Die Einschränkungen nach Satz 1 gelten nicht für Ausländer, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind und sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten. Rechtsvorschriften, nach denen außer den in Satz 1 genannten Leistungen auch sonstige Sozialhilfe zu leisten ist oder geleistet werden soll, bleiben unberührt.

(2) Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes erhalten keine Leistungen der Sozialhilfe.

(3) Ausländer und ihre Familienangehörigen erhalten keine Leistungen nach Absatz 1 oder nach dem Vierten Kapitel, wenn

1.
sie weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt oder
3.
sie eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen.
Satz 1 Nummer 1 und 3 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Hilfebedürftigen Ausländern, die Satz 1 unterfallen, werden bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen); die Zweijahresfrist beginnt mit dem Erhalt der Überbrückungsleistungen nach Satz 3. Hierüber und über die Möglichkeit der Leistungen nach Absatz 3a sind die Leistungsberechtigten zu unterrichten. Die Überbrückungsleistungen umfassen:
1.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege,
2.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe nach § 35 und § 35a, einschließlich der Bedarfe nach § 30 Absatz 7,
3.
die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen und
4.
Leistungen nach § 50 Nummer 1 bis 3.
Soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, werden Leistungsberechtigten nach Satz 3 zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von Absatz 1 gewährt; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist. Abweichend von Satz 1 Nummer 2 erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach Absatz 1 Satz 1 und 2, wenn sie sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 7 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des tatsächlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Ausländerrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(3a) Neben den Überbrückungsleistungen werden auf Antrag auch die angemessenen Kosten der Rückreise übernommen. Satz 1 gilt entsprechend, soweit die Personen allein durch die angemessenen Kosten der Rückreise die in Absatz 3 Satz 5 Nummer 1 und 2 genannten Bedarfe nicht aus eigenen Mitteln oder mit Hilfe Dritter decken können. Die Leistung ist als Darlehen zu erbringen.

(4) Ausländer, denen Sozialhilfe geleistet wird, sind auf für sie zutreffende Rückführungs- und Weiterwanderungsprogramme hinzuweisen; in geeigneten Fällen ist auf eine Inanspruchnahme solcher Programme hinzuwirken.

(5) Hält sich ein Ausländer entgegen einer räumlichen Beschränkung im Bundesgebiet auf oder wählt er seinen Wohnsitz entgegen einer Wohnsitzauflage oder einer Wohnsitzregelung nach § 12a des Aufenthaltsgesetzes im Bundesgebiet, darf der für den Aufenthaltsort örtlich zuständige Träger nur die nach den Umständen des Einzelfalls gebotene Leistung erbringen. Unabweisbar geboten ist regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des Bedarfs für die Reise zu dem Wohnort, an dem ein Ausländer seinen Wohnsitz zu nehmen hat. In den Fällen des § 12a Absatz 1 und 4 des Aufenthaltsgesetzes ist regelmäßig eine Reisebeihilfe zu dem Ort im Bundesgebiet zu gewähren, an dem der Ausländer die Wohnsitznahme begehrt und an dem seine Wohnsitznahme zulässig ist. Der örtlich zuständige Träger am Aufenthaltsort informiert den bislang örtlich zuständigen Träger darüber, ob Leistungen nach Satz 1 bewilligt worden sind. Die Sätze 1 und 2 gelten auch für Ausländer, die eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 23a, 24 Absatz 1 oder § 25 Absatz 4 oder 5 des Aufenthaltsgesetzes besitzen, wenn sie sich außerhalb des Landes aufhalten, in dem der Aufenthaltstitel erstmals erteilt worden ist. Satz 5 findet keine Anwendung, wenn der Wechsel in ein anderes Land zur Wahrnehmung der Rechte zum Schutz der Ehe und Familie nach Artikel 6 des Grundgesetzes oder aus vergleichbar wichtigen Gründen gerechtfertigt ist.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.