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Die vom Senat zugelassene und auch sonst zulässige Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass die als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässige (I.) Klage des Klägers begründet ist (II.).
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I. Die Klage des Klägers ist als Fortsetzungsfeststellungsklage in analoger Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Sie bezieht sich auf die Verfügung des Bundesgrenzschutzamtes Weil am Rhein vom 21.7.2001, mit der dem Kläger befristet bis zum 22.7.2001, 22.00 Uhr, die Ausreise aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zum Weltwirtschaftsgipfel G 8 nach Italien untersagt wurde und die sich durch den Fristablauf schon vor Klageerhebung erledigt hat. Der Senat geht in den Fällen der vorprozessualen Erledigung eines Verwaltungsakts von einer analogen Anwendung der Regelung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO aus (vgl. nur die Senatsurteile vom 18.12.2003 - 1 S 2211/02 -, VBlBW 2004, 214 und vom 26.1.1998 - 1 S 3280/96 -, NVwZ 1998, 761, 762, sowie die bisherige ständige Rechtsprechung des BVerwG, BVerwGE 12, 87, 90; 26, 161, 165; 49, 36, 39; 81, 226, 227; ausdrücklich offen gelassen unter Hinweis auf die Möglichkeit der allgemeinen Feststellungsklage im Urteil vom 14.7.1999 - 6 C 7.98 -, BVerwGE 109, 203, 208 f.). Im Übrigen würden sich unter den gegebenen Umständen die Sachurteilsvoraussetzungen nach § 43 VwGO und § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO in analoger Anwendung nicht unterscheiden.
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Die Klage ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere kann dem Kläger ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung nicht abgesprochen werden. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des erkennenden Senats ist anerkannt, dass insbesondere bei polizeilichen Maßnahmen auch die Art des Eingriffs, namentlich im grundrechtlich geschützten Bereich, verbunden mit dem verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz, es erfordern kann, das Feststellungsinteresse anzuerkennen (vgl. Senatsurteil vom 18.12.2003, a.a.O., sowie BVerwG, Urteil vom 29.4.1997, Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 127). Mit der streitgegenständlichen Verfügung ist in schwerwiegender Weise jedenfalls in das durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Recht des Klägers auf Ausreisefreiheit eingegriffen worden (zur zusätzlichen Anwendbarkeit der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 und Art. 8 GG vgl. VG Berlin, Urteil vom 17.12.2003 - 1 A 309.01 -, Juris, sowie VG Göttingen, Urteil vom 27.1.2004 - 1 A 1014/02, Juris). Vor diesem Hintergrund wäre es mit den Grundsätzen des Rechtsstaats unvereinbar, dem Kläger den Zugang zum Gericht zu versagen. Unabhängig davon ist auch aus Gründen der Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse des Klägers an der Klärung der Rechtmäßigkeit der Ausreiseuntersagung anzunehmen (zu dieser Voraussetzung vgl. BVerfG, Beschluss vom 3.3.2004 - 1 BvR 461/03 -, DVBl. 2004, 822; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 19.3.1992, Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 244). Denn in der Begründung der Verfügung heißt es, es bestünden Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger beabsichtige, sich in Genua an gewaltsamen Ausschreitungen zu beteiligen. Da hiermit ein kriminelles Verhalten des Klägers prognostiziert wird, ist das Ausreiseverbot geeignet, diskriminierend zu wirken.
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II. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass die Klage begründet ist. Die mit Verfügung vom 21.7.2001 ausgesprochene Ausreiseuntersagung war rechtswidrig (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO).
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Als Rechtsgrundlage der streitgegenständlichen Maßnahme kommt allein § 10 Abs. 1 Satz 2 des Passgesetzes i.d.F. des Gesetzes vom 1.5.2000 (BGBl. I S. 626) - PassG - in Betracht. Nach dieser Bestimmung können die für die polizeiliche Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs zuständigen Behörden einem Deutschen die Ausreise in das Ausland untersagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass bei ihm die Voraussetzungen nach § 7 Abs. 1 vorliegen. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG ist der Pass zu versagen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme begründen, dass der Passbewerber die innere oder äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Vorschrift bestehen nicht. Sie schränkt die Ausreisefreiheit, die als Ausfluss der allgemeinen Handlungsfreiheit durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt ist, in zulässiger Weise als Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung ein (vgl. BVerfG, Urteil vom 16.1.1957, BVerfGE 6, 32 ff.; Senatsbeschluss vom 7.6.1995, VBlBW 1996, 71).
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Die Beklagte hat die Ausreiseuntersagung auf eine Gefährdung sonstiger erheblicher Belange der Bundesrepublik Deutschland gestützt (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 3. Alt. PassG). Die Frage, ob und mit welchem Gewicht durch die Anwesenheit eines deutschen Staatsangehörigen in einem anderen Land Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet werden, unterliegt uneingeschränkt der richterlichen Überprüfung. Nach dem Wortlaut des Gesetzes müssen für die Feststellung einer solchen Gefährdung „bestimmte Tatsachen“ sprechen, die den beiden anderen Tatbestandsmerkmalen des § 7 Abs. 1 Nr. 1 (innere oder äußere Sicherheit) in ihrer Gewichtigkeit zwar nicht gleichstehen, aber jedenfalls nahe kommen (vgl. BVerfGE 6, 32 ff.; BVerwG, Urteil vom 29.8.1968, DÖV 1969, 74 ff.; Beschlüsse des Senats vom 14.6.2000 - 1 S 1271/00 -, vom 7.6.1995, VBlBW 1996, 71 und vom 18.5.1994, DVBl. 1995, 360 sowie zuletzt Urteil des Senats vom 26.11.1997 - 1 S 1095/96 -, best. durch BVerwG, Beschluss vom 17.9.1998, Buchholz 402.00 § 7 PassG Nr. 1). Als eine Gefährdung erheblicher Belange der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG können unter besonderen Umständen auch Handlungen gewertet werden, die geeignet sind, dem internationalen Ansehen Deutschlands zu schaden (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 29.8.1968, a.a.O.). Sprechen bestimmte Tatsachen dafür, dass von einem Deutschen bei seinem Aufenthalt im Ausland derartige Handlungen zu befürchten sind, so kann dies ein Ausreiseverbot als Vorsorgemaßnahme rechtfertigen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 14.6.2000, a.a.O., sowie vom 7.6.1995, a.a.O.).
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An diesem Maßstab gemessen dürfte die Beklagte zwar zu Recht davon ausgegangen sein, dass im Zusammenhang mit der Durchführung des G 8-Gipfels in Genua mit gewalttätigen Ausschreitungen zu rechnen und dass eine Beteiligung gewaltbereiter deutscher Demonstranten geeignet war, das internationale Ansehen der Bundesrepublik Deutschland zu schädigen (vgl. bereits den Senatsbeschluss vom 4.8.2003 - 1 S 720/03 -). Nicht gerechtfertigt war jedoch die weitere Feststellung des Bundesgrenzschutzamtes, in der Person des Klägers lägen bestimmte Tatsachen vor, die die Annahme begründeten, auch von ihm würde eine solche Gefahr ausgehen.
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Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, die vom Bundesgrenzschutzamt vorgenommene Prognose sei bereits deshalb zu beanstanden, weil dabei von einer fehlerhaften Tatsachengrundlage ausgegangen worden sei. Die Grundsätze der Anscheinsgefahr fänden keine Anwendung, weil die Beklagte den Anschein einer Gefahr durch die in ihren Verantwortungsbereich fallende fehlerhafte Speicherung (bzw. noch nicht durchgeführte Löschung) der Daten des Klägers in der INPOL-Datei des Bundeskriminalamtes selbst maßgeblich verursacht habe. Nach Auffassung des Senats spricht indes einiges dafür, dass auch im vorliegenden Fall bei der Prüfung, ob eine Gefährdung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG vorlag, die Grundsätze der Anscheinsgefahr Geltung beanspruchten (unter 1. ). Diese Frage bedarf jedoch keiner abschließenden Entscheidung. Denn die streitgegenständliche Verfügung war selbst bei Anwendung der Grundsätze der Anscheinsgefahr nicht rechtmäßig (unter 2.).
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1. Nach den Grundsätzen der Anscheinsgefahr ist es entscheidend, ob der handelnde Beamte aus der Ex-ante-Sicht mit Blick auf die ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Informationen aufgrund hinreichender Anhaltspunkte vom Vorliegen einer Gefährdung ausgehen konnte und diese Prognose dem Urteil eines fähigen, besonnenen und sachkundigen Amtswalters entspricht (vgl. Senatsurteil vom 22.7.2004 - 1 S 410/03 -, Urteil vom 10.5.1990 - 5 S 1842/89 -, VBlBW 1990, 469, 470 f. und Beschluss vom 16.10.1990 - 8 S 2087/90 -, NVwZ 1991, 493; Wolf/Stephan, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 5. Aufl., § 1 RdNr. 34; Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht in Baden-Württemberg, 5. Aufl., RdNr. 424). Dabei beurteilt es sich auch nach den - ggf. eingeschränkten - Erkenntnismöglichkeiten zum Zeitpunkt des Einschreitens, ob dem Beamten ein Vorwurf gemacht werden kann, wenn er seiner Entscheidung Informationen zugrunde gelegt hat, die unvollständig oder falsch waren oder die aus Rechtsgründen nicht mehr hätten verwertet werden können.
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Die Anwendbarkeit dieser Grundsätze dürfte entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht dadurch in Frage gestellt werden, dass die Beklagte möglicherweise selbst den Anschein der Gefahr zurechenbar (mit-) verursacht hat. Dies wäre wohl der Fall gewesen, wenn die den Kläger betreffenden Einträge im Informationssystem der Polizei tatsächlich - wie vom Kläger behauptet - teilweise unrichtig gewesen wären und überdies zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesgrenzschutzamts bereits hätten gelöscht sein müssen und diese Mängel von einer anderen Behörde der Beklagten (etwa vom Bundeskriminalamt) zu verantworten gewesen wären. Indes können die zur Gefahrenabwehr berufenen Behörden die legitime Aufgabe präventiven Rechtsgüterschutzes nur effektiv erfüllen, wenn sie auch auf unsicherer Tatsachengrundlage einschreiten. Um zu vermeiden, dass ein im Rahmen dieser Aufgabe als Dienstpflicht auferlegtes Handeln in die Illegalität gedrängt wird, ist bei der Beurteilung der Gefahr allein auf die Erkenntnismöglichkeiten des konkret handelnden Beamten zum Zeitpunkt des Einschreitens abzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.2.1974, BVerwGE 45, 51, 58; Würtenberger/Heckmann/Riggert, a.a.O., RdNr. 425). Vor diesem Hintergrund spricht einiges dafür, die Grundsätze der Anscheinsgefahr auch anzuwenden, wenn das Vorhandensein fehlerhafter oder aus Rechtsgründen nicht mehr verwertbarer Informationen auf dem Handeln einer anderen Behörde beruht und dem handelnden Beamten - am obigen Maßstab gemessen - kein Vorwurf gemacht werden kann, dass er diese Informationen seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat (zur Möglichkeit der „Kompensation“ auf der sog. Sekundärebene in solchen Fällen vgl. Würtenberger/Heckmann/Riggert, a.a.O., RdNrn. 867, 868, 915 m.w.N.; Wolf/Stephan, a.a.O., § 55 RdNr. 11; Schoch, JuS 1990, 504, 507; VGH Bad.-Württ., Urteile vom 8.9.1989, VBlBW 1990, 232, 233, und vom 10.5.1990, VBlBW 1990, 469, 471).
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2. Diese Frage kann jedoch letztlich offen bleiben. Denn die streitgegenständliche Verfügung erweist sich selbst bei Anwendung der Grundsätze der Anscheinsgefahr nicht als rechtmäßig. Der Beamte des Bundesgrenzschutzamtes durfte auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Informationen bei pflichtgemäßem Handeln nicht davon ausgehen, dass im Falle des Klägers bestimmte Tatsachen die Annahme eine Gefährdung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 3. Alt. PassG begründen.
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Seinem Wortlaut nach zwingt § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG mit dem Merkmal der „bestimmten Tatsachen“ nicht zu der Schlussfolgerung, einer Passversagung bzw. Ausreiseuntersagung dürften nur Tatsachen innerhalb eines bestimmten Zeitraums zugrunde gelegt werden. In der Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Pass- und Personalausweisrechts vom 26.1.2000 heißt es, die Anordnung der Passbeschränkung setze „eine konkrete Gefährdungslage“ voraus. Es müssten „Tatsachen vorliegen, die auf eine Gefährlichkeit des Betroffenen schließen lassen und aufgrund derer damit zu rechnen ist, dass er bei dem bevorstehenden Anlass erneut gewalttätig wird“. Der Betroffene müsse „als gewaltbereiter Hooligan bekannt sein und in jüngerer Zeit, d.h. innerhalb der letzten zwölf Monate im Zusammenhang mit Gewalttaten oder als Teilnehmer an gewalttätigen Ausschreitungen aufgefallen sein“ (BTDrucks 14/2726, S. 6 zu Art. 1 Nr. 9). Der Senat entnimmt der Gesetzesbegründung zwar keine Auslegungsdirektive dahingehend, dass in die Gefährdungsprognose im Sinne einer starren zeitlichen Grenze nur Vorfälle innerhalb der letzten zwölf Monate einfließen dürften (so auch Breucker, Transnationale polizeiliche Gewaltprävention, 2003, S. 160 f., m.w.N.; ähnlich Medert/Süßmuth, Passrecht, § 7 RdNr. 12; a.A. Nolte, NVwZ 2001, 147, 151). Denn eine solche starre Grenze stünde einer sachgerechten einzelfallbezogenen Gefährdungsprognose entgegen. Individuellen Besonderheiten könnte nicht hinreichend Rechnung getragen werden, insbesondere wäre die für eine realitätsnahe Einschätzung der Gefährdungslage gebotene Beobachtung der persönlichen Entwicklung des Betroffenen über Jahre hinweg nicht möglich. Diesem Umstand kommt insbesondere auch deshalb nicht unerhebliche Bedeutung zu, weil Gewalttäter oftmals nur bestimmte Großveranstaltungen zum Anlass für Ausschreitungen nehmen, die in großen Zeitintervallen stattfinden (vgl. Breucker, a.a.O., S. 161).
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Jedoch ist mit Blick auf den aus den Gesetzgebungsmaterialien erkennbaren Willen des Normgebers sowie in Ansehung des mit einer Passversagung bzw. Ausreiseuntersagung verbundenen gravierenden Eingriffs in die grundrechtlich geschützte Ausreisefreiheit zur Wahrung des rechtsstaatlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu fordern, dass die in § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG vorausgesetzte Gefährdungslage hinreichende Aktualität aufweist. Jedenfalls im Regelfall bedarf es deshalb der Feststellung von Vorfällen (auch) aus jüngerer Zeit, um die Gefährdungsprognose zu begründen. Dies schließt es nicht aus, im Einzelfall auch auf zeitlich weiter zurückliegende Vorfälle zurückzugreifen. In einem solchen Fall muss jedoch unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls sorgfältig geprüft werden, ob die herangezogene Tatsache im Zeitpunkt der Entscheidung über die Ausreiseuntersagung noch so schwer wiegt, dass die Annahme einer hinreichend konkreten Gefährdungslage weiterhin gerechtfertigt ist.
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Nach diesen Grundsätzen war die am 21.7.2001 angestellte Prognose der Beklagten, der Kläger werde sich im Falle seiner Ausreise auf dem G 8-Gipfel in Genua an gewalttätigen Ausschreitungen beteiligen und dadurch das internationale Ansehen der Bundesrepublik Deutschland schädigen, auf der Grundlage der von dem zuständigen Beamten des Bundesgrenzschutzamtes über den Kläger eingeholten Informationen nicht gerechtfertigt.
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Erkenntnisse aus jüngerer Zeit, von denen auf eine Beteiligung des Klägers an Gewalttätigkeiten G 8-Gipfel in Genua hätte geschlossen werden können, lagen nicht vor. Insbesondere konnten bei der Überprüfung an der Grenze aktuelle Anhaltspunkte für eine Absicht des Klägers, in Genua an gewalttätigen Aktionen teilzunehmen, nicht festgestellt werden. Der Kläger befand sich in einer als friedlich angesehenen Reisegruppe, welcher mit Ausnahme des Klägers vollständig die Ausreise gestattet wurde. Dies ist von der Beklagten auch nicht in Zweifel gezogen worden (vgl. Schriftsatz vom 26.7.2001, S. 27 der VG-Akte 3 K 1170/01).
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Dem steht nicht entgegen, dass jedenfalls nach Auffassung des zuständigen Bundesgrenzschutzamts die Verfügung auch darauf gestützt worden war, dass eine „fahndungsmäßige Überprüfung“ des Klägers ergeben habe, dass dieser „ 4 x (LKA München, LKA Düsseldorf, LKA Baden-Württemberg und PD Kaiserslautern) wegen Landfriedensbruchs ausgeschrieben“ sei (vgl. den Tagebucheintrag des Bundesgrenzschutzamtes, S. 55 der VG-Akte 7 K 1232/01, den INPOL-Auszug Personenfahndung, S. 57 der VG-Akte 7 K 1232/01 sowie den Schriftsatz des Bundesgrenzschutzamtes Weil am Rhein vom 26.7.2001 im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, S. 25 f. der VG-Akte 3 K 1170/01). Denn die insoweit von dem zuständigen Beamten abgerufenen Daten hinsichtlich „aktueller Ausschreibungen“ ließen jedenfalls bei pflichtgemäßer Beurteilung einen Schluss auf das Vorliegen hinreichend aktueller und für die im Rahmen des § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG anzustellende Gefährdungsprognose relevanter Auffälligkeiten des Klägers nicht zu.
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Unstreitig ist gegen den Kläger wegen seiner Beteiligung an einem Aufzug von Anhängern der linken Szene am 8.11.1996 in Bonn von der dortigen Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen eines besonders schweren Falls des Landfriedensbruchs durchgeführt worden. Dieses Ermittlungsverfahren hat zur Aufnahme der diesbezüglichen Daten des Klägers in eine von den Staatsschutzdienststellen des Bundeskriminalamtes und der Landeskriminalämter abrufbaren Verbunddatei des Informationssystems der Polizei (INPOL) geführt (zum Inhalt dieser Datei vgl. das Schreiben des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen an die Klägervertreter vom 14.9.2001, S. 45 der VG-Akte 7 K 1232/01). Darüber hinaus wurde mit Blick auf dieses Ermittlungsverfahren eine Speicherung von Daten des Klägers im „geschützten Bereich Landfriedensbruch“ veranlasst, dessen Bestand nur anlassbezogen und zeitlich sowie in der Regel auch räumlich begrenzt zur Abfrage freigegeben wird (vgl. das Schreiben vom 14.9.2001, a.a.O., sowie die Stellungnahme des Datenschutzbeauftragten des Bundeskriminalamtes vom 5.9.2001, S. 74 f. der VG-Akte 3 K 1170/01). Der Datenbestand dieser Datei kann im Vorfeld von Demonstrationen oder sonstigen Ereignissen in die Personenfahndungsdatei eingegeben werden, so dass nun u.a. auch die Polizeidienststellen der Länder sowie die Dienststellen des Bundesgrenzschutzes auf die Daten Zugriff haben (vgl. § 11 Abs. 2 BKAG sowie Bäumler, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 3. Aufl., J RdNrn. 181, 155). Bei Kontrollen soll dann auf die Personen, deren Daten in der Datei gespeichert sind, ein besonderes Augenmerk gerichtet werden, wobei jedoch grundsätzlich nur Maßnahmen ergriffen werden dürfen, die nach allgemeinem Polizeirecht zulässig sind (vgl. Bäumler, a.a.O., RdNr. 181). Im Zeitpunkt der Überprüfung des Klägers am 21.7.2001 an der Grenze bei Weil am Rhein war von den Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg aus Anlass des G 8-Gipfels in Genua und von den Ländern Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen aufgrund anderer Anlässe die Freigabe des geschützten Fahndungsbestandes beantragt worden.
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Bei dieser Sachlage konnte ein mit dem polizeilichen Informationssystem vertrauter Nutzungsberechtigter aus den von dem Grenzschutzbeamten abgerufenen Daten (vgl. S. 57 der VG-Akte) bei sorgfältiger Überprüfung nur folgern, dass der Kläger lediglich mit Blick auf das Ermittlungsverfahren wegen der Teilnahme an dem Aufzug am 8.11.1996 im „geschützten Bereich Landfriedensbruch“ geführt wurde und dass die Freigabe des geschützten Fahndungsbestandes zu Kontrollzwecken von vier Bundesländern beantragt worden war (vgl. auch die Stellungnahme des Datenschutzbeauftragten des Bundeskriminalamtes vom 5.9.2001, S. 74 f. der VG-Akte 3 K 1170/01). Sollte der zuständige Beamte demgegenüber aufgrund der Speicherung der Daten des Klägers in der Fahndungsdatei irrtümlich davon ausgegangen sein, gegen diesen lägen auch andere, insbesondere aktuellere Vorwürfe vor oder gar konkrete Fahndungsersuchen von Dienststellen verschiedener Bundesländer, würde es sich um eine pflichtwidrige Fehleinschätzung gehandelt haben, die nicht geeignet wäre, die Annahme einer Anscheinsgefahr zu rechtfertigen.
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Mithin stammten letztlich sämtliche Vorfälle, aus denen der zuständige Beamte nach den eingeholten Informationen bei pflichtgemäßer Beurteilung eine Gefährdung hat ableiten können, bereits aus dem Jahr 1996. Umstände, die trotz dieses langen Zeitraums die Annahme der Gefahr erneuter Gewalttätigkeiten und damit einer aktuellen Gefährdungslage hätten rechtfertigen können, vermag der Senat nicht festzustellen.
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Dies gilt zunächst für den von dem kontrollierenden Beamten des Bundesgrenzschutzamtes abgerufenen, objektiv möglicherweise teilweise unrichtigen Inhalt der INPOL-Verbunddatei hinsichtlich eines Ermittlungsverfahrens wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, schweren Landfriedensbruchs, gefährlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung und Mitführen von Schusswaffen (Signalmunition) im Zusammenhang mit der Teilnahme an einem Aufzug am 8.11.1996 in Bonn (vgl. das Schreiben des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen an die Klägervertreter vom 14.9.2001, S. 45 der VG-Akte 7 K 1232/01). Die Durchführung eines solchen Ermittlungsverfahrens stellt eine gravierende und im Hinblick auf die von der Beklagten prognostizierte Gefährdung (Teilnahme an Gewalttätigkeiten in Genua) auch einschlägige Vorbelastung dar. Insbesondere der Verdacht, der Kläger habe einen besonders schweren Fall des Landfriedenbruchs begangen, wiegt schwer angesichts der für dieses Delikt bestehenden Strafdrohung von 6 Monaten bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe (§ 125 a StGB). Andererseits darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass zum Zeitpunkt des behördlichen Handelns bereits ein Zeitraum von über 4 Jahren und 8 Monaten vergangen war, in dem der Kläger weder strafrechtlich in Erscheinung getreten noch sonst den Behörden im Zusammenhang mit der Teilnahme an gewalttätigen Demonstrationen aufgefallen ist. Dieser lange Zeitraum der Unauffälligkeit kann als Indiz dafür gewertet werden, dass sich seine Einstellung zur Anwendung von Gewalt geändert hat. Dies gilt um so mehr, als der Kläger im Zeitpunkt der Teilnahme an dem Aufzug erst 19 Jahre alt und somit noch Heranwachsender war und es nicht auszuschließen ist, dass es sich bei seinem Verhalten im Zusammenhang mit dem Aufzug am 8.11.1996 um eine jugendtypische Verfehlung gehandelt hat.
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Im Rahmen der Gefährdungsprognose war zugunsten des Klägers ferner zu berücksichtigen, dass damals keine strafrechtliche Verurteilung erfolgt, sondern das Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist. Ausweislich des handschriftlichen Vermerks auf dem von dem Beamten des Bundesgrenzschutzamtes zu dem Vorfall gefertigten Tagebucheintrag („StA Bonn 50 Js 666/96 (§ 170 II StPO)“, S. 55 der VG-Akte 7 K 1232/01) spricht vieles dafür, dass dem Grenzbeamten dieser Ausgang des Verfahrens bekannt war. Jedenfalls kann davon ausgegangen werden, dass ihm die Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO hätte bekannt sein müssen. Denn er kannte das Datum des zugrunde liegenden Vorfalls und hatte zudem telefonisch beim Bundeskriminalamt in Meckenheim recherchiert. Greifbare Anhaltspunkte, die aus seiner Sicht hätten nahe legen können, dass das bereits aus dem Jahr 1996 stammende Ermittlungsverfahren auf andere Weise als durch Einstellung gemäß § 170 Abs. 2 StPO geendet hatte, sind von der Beklagten nicht dargetan und auch sonst nicht erkennbar. Der Auffassung der Beklagten, der Umstand, dass es nicht zu einer strafrechtlichen Verurteilung gekommen sei, mindere nicht die Relevanz der Vorkommnisse für die Gefahrenprognose, kann so nicht gefolgt werden. Wie dargelegt, ist das gegen den Kläger eingeleitete Ermittlungsverfahren - für den zuständigen Grenzschutzbeamten erkennbar - gemäß § 170 Abs. 2 StPO, also wegen Fehlens eines hinreichenden Tatverdachts eingestellt worden. Zwar schließt diese Form der Verfahrenseinstellung einen gegen den Beschuldigten fortbestehenden Tatverdacht nicht notwendig aus (vgl. Senatsurteil vom 29.9.2003 - 1 S 2145/02 -). Einem solchen „Restverdacht“ kommt indes im Verhältnis zu einer strafrechtlichen Verurteilung im Rahmen der Gefahrenprognose geringeres Gewicht zu.
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Vor diesem Hintergrund ist nach Auffassung des Senats die dem Ermittlungsverfahren aus dem Jahre 1996 zukommende Indizwirkung durch den langen Zeitraum, in dem der Kläger - bezogen auf sein Verhalten im Zusammenhang mit Demonstrationen - unauffällig geblieben ist, maßgeblich entkräftet worden. Eine Ausreiseuntersagung war deshalb nicht mehr gerechtfertigt. Dies gilt auch, wenn berücksichtigt wird, dass dem Beamten ausweislich des Tagebucheintrags vom 21.7.2001 (a.a.O.) aufgrund einer telefonischen Recherche beim Bundeskriminalamt in Meckenheim bekannt war, dass der Kläger 1996 „mehrfach in Erscheinung getreten war“. Denn den beiden weiteren Ermittlungsverfahren aus dem Jahr 1996 (S. 47 der VG-Akte 7 K 1232/01) konnte unter dem hier allein erheblichen Gesichtspunkt einer Gefährdungsprognose im Hinblick auf Gewalttätigkeiten keine maßgebliche Bedeutung mehr zukommen. Dies gilt um so mehr, als sich diese auf über fünf Jahre zurückliegende Vorfälle vom Mai 1996 bezogen. Dem entspricht es, dass die Verfahren in der Begründung der Verfügung vom 21.7.2001 keine Erwähnung fanden und dass auch nur das Verfahren vom November 1996 Eingang in die INPOL-Verbunddatei gefunden hat.
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Da es nach alledem bereits am Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG fehlte, bedarf es keiner Prüfung, ob die Beklagte das ihr in dieser Bestimmung eingeräumte Ermessen („können“) auch rechtsfehlerfrei ausgeübt hat.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.
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