Verwaltungsgericht Düsseldorf Beschluss, 28. Sept. 2016 - 13 L 1014/16.A
Tenor
Der Antrag – inklusive des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe – wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2Der am 5. April 2016 gestellte Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den im Folgenden dargestellten Gründen nicht die nach § 166 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
3Der am 29. März 2016 gestellte Antrag,
4die aufschiebende Wirkung der Klage 13 K 3936/16.A gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 2. des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 21. März 2016 anzuordnen,
5ist zulässig, aber unbegründet.
6Die im summarischen Eilverfahren gebotene Abwägung des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung mit dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers fällt zu Lasten des Antragstellers aus, weil die Abschiebungsanordnung in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet. Sie ist weder in formeller noch in materieller Hinsicht zu beanstanden.
7Die Abschiebungsanordnung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG in der Fassung des am 6. August 2016 in Kraft getretenen Integrationsgesetzes vom 31. Juli 2016 (BGBl. I S. 1939) - im Folgenden: AsylG ‑, die mangels einer einschlägigen Übergangsvorschrift gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG auch auf den vorliegenden Fall anwendbar ist. Die genannte Vorschrift sieht vor, dass das Bundesamt, wenn der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat anordnet, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
8Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist der angegriffene Bescheid in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden.
9Zunächst liegt kein Verfahrensfehler im Sinne einer Verletzung des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG dahingehend vor, dass die Entscheidung des Bundesamtes auf eine dem Antragsteller unbekannte Tatsachengrundlage gestützt und ihm somit eine effektive Wahrnehmung seiner Rechte verwehrt worden wäre. Der Antragsteller trägt insoweit vor, dass lediglich eine Mitteilung über den EURODAC-Treffer und nicht der Treffer selbst in der Akte vorliege, sodass nicht überprüft werden könne, ob und wann und wo der Antragsteller einen Asylantrag gestellt habe bzw. erkennungsdienstlich behandelt worden sei. Das im Wiederaufnahmegesuch genannte Datum der Asylantragstellung in Belgien ergebe sich nicht aus der Akte, sodass das rechtliche Gehör verletzt sei. Der Antragsteller hat jedoch in seiner Befragung vom 18. Januar 2016 selbst angegeben, am 9. Dezember 2013 in Belgien Fingerabdrücke abgenommen bekommen und dort einen Asylantrag gestellt zu haben. Die entscheidungserhebliche Tatsachengrundlage war ihm daher offensichtlich bekannt.
10In diesem Zusammenhang weist das Gericht darauf hin, dass es die vom Verwaltungsgericht Wiesbaden in der vom Antragsteller zitierten Entscheidung geäußerten Bedenken gegen die Vollständigkeit der elektronischen Akte des Bundesamtes,
11vgl. Verwaltungsgericht Wiesbaden, Urteil vom 28. Februar 2014 – 6 K 152/14.WI.A –, juris, Rn. 22 ff.,
12in dem vorliegenden Verfahren nicht teilt. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, inwieweit eine etwaige Unvollständigkeit der elektronischen Akte des Bundesamtes sich auf die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides auswirken kann, zumal zumindest die Möglichkeit bestünde, die Dokumentenmappe beizuziehen.
13Soweit der Antragsteller darauf hinweist, er sei entgegen Artikel 4 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (im Folgenden: Dublin III-VO) nicht über die Anwendung der Dublin-Verordnung informiert worden, vermag er damit nicht durchzudringen. Zwar entspricht das von der Antragsgegnerin verwendete Merkblatt über das Dublin-Verfahren nicht dem ausführlicheren Merkblatt, das die EU-Kommission in Anlage X ihrer „Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 vom 30. Januar 2014 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist“ (im Folgenden: Durchführungsverordnung) vorgesehen hat. Der wesentliche Inhalt des Dublin-Verfahrens wird dem Antragsteller aber durch das vom Bundesamt verwendete Merkblatt und die weiteren dem Antragsteller gegebenen Informationen ausreichend näher gebracht. Insofern liegt nach Auffassung des Gerichts bereits kein Verfahrensfehler vor. Aus Artikel 4 Absatz 3 Dublin III-VO folgt insbesondere nicht, dass das Merkblatt der EU-Kommission zur Unterrichtung im Dublin-Verfahren für die Durchführung des Verfahrens von wesentlicher Bedeutung ist. Deshalb spricht auch einiges dafür, dass nach den allgemeinen, in § 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) zum Ausdruck kommenden Rechtsgrundsätzen ein diesbezüglicher Verfahrensfehler jedenfalls unbeachtlich wäre. Nach § 46 VwVfG darf ein Verwaltungsakt nicht allein deshalb aufgehoben werden, weil er unter Verletzung von Verfahrens-, Form oder Zuständigkeitsbestimmungen zustande gekommen ist, wenn offensichtlich eine gleichlautende Entscheidung zu treffen wäre.
14VG Schwerin, Beschluss vom 17. März 2015 – 3 B 687/15 As –, juris, Rn. 9; VG Düsseldorf, Beschluss vom 05.06.2015 – 13 L 1253/15.A –, juris; VG Minden, Beschluss vom 24. August 2016 – 1 L 1299/16.A –, juris.
15Anderes folgt im vorliegenden Fall auch nicht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zum harmless error principle. Danach führen wesentliche Verfahrensfehler (vgl. Artikel 263 Absatz 2 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union [AEUV]) zur Aufhebung der entsprechenden Verwaltungsentscheidung, wenn sie geeignet sind, sich auf die inhaltliche Entscheidung auszuwirken und deshalb ein Kausalzusammenhang zwischen dem Fehler und der Verwaltungsentscheidung besteht.
16Vgl. ausführlich zum Verhältnis von §§ 45, 46 VwVfG zu den vom EuGH entwickelten Verfahrensprinzipien, Kahl, VerwArch 95 (2004), 1 (22 ff.) m. umfassenden Nachweisen; ferner Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 46 Rn. 85a m. § 45 Rn. 158 ff.; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 16. Aufl. 2015, § 46 Rn. 5a je m.w.N.
17Dass dem Antragsteller keinerlei Informationen bezüglich der Dublin III-VO ausgehändigt worden sind, trägt er nicht vor. Er beruft sich allein darauf, dass dies nicht in der elektronischen Akte des Bundesamtes dokumentiert sei. Jedoch kann aus einer fehlenden oder unzureichenden Information zum Verfahren nach der Dublin III-VO nicht zwingend geschlossen werden, dass der Fehler für die spätere Entscheidung kausal geworden ist. Das Informationsrecht nach Artikel 4 Dublin III-VO zielt darauf ab, die Antragsteller über ihre Rechte zu informieren, damit sie diese wahren können. Der für die Bestimmung des zuständigen Staates maßgebende Sachverhalt wird aber erst in der persönlichen Anhörung nach Art. 5 Dublin III-VO bzw. § 25 AsylG geklärt, worauf auch Artikel 4 Absatz 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO verweist.
18VG Schwerin, Beschluss vom 17. März 2015 – 3 B 687/15 As –, juris, Rn. 11.
19Dies gilt auch für die vom Antragsteller insbesondere gerügten fehlenden Informationen bezüglich des Art. 19 Abs. 2 Dublin III-VO. Es ist nicht ersichtlich, wie sich – selbst bei unterstelltem Fehlen der Information – dies auf die Rechtmäßigkeit des Bescheides ausgewirkt hat. Der Antragsteller ist in seiner Befragung vom 18. Januar 2016 dazu angehört worden, ob er das Gebiet der Mitgliedstaaten verlassen hat, was er verneint hat. Dass er diese oder andere Fragen anders beantwortet hätte, wenn er zuvor über die Rechtsfolge der Ausreise oder andere Kriterien belehrt worden wäre, ist nicht ersichtlich. Inwieweit es sich auf die Rechtmäßigkeit des Bescheides hätte auswirken können, wenn der Antragsteller detailliert dargelegt hätte, wie er über Belgien nach Deutschland eingereist ist, bleibt offen. Soweit mit diesem Vortrag auf systemische Mängel hingedeutet wird, ist darauf hinzuweisen, dass das Bestehen systemischer Mängel nicht von dem individuellen Schicksal des jeweiligen Asylbewerbers, sondern dem objektiven Vorliegen von über den Einzelfall hinausgehenden – eben systemischen – Mängeln abhängt.
20Weiterhin kann auch kein relevanter Verfahrensmangel aufgrund eines Verstoßes gegen Art. 5 Dublin III-Verordnung festgestellt werden. Zweck dieser Regelung ist ausweislich des Erwägungsgrundes 18 der Dublin III-Verordnung, die Bestimmung des für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats zu erleichtern. Der Antragsteller soll über die Anwendung der Dublin III-Verordnung und über die Möglichkeit informiert werden, bei dem Gespräch Angaben über die Anwesenheit von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung in den Mitgliedstaaten zu machen, um das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zu erleichtern. Das Bundesamt hat mit dem Antragsteller am 18. Januar 2016 ein persönliches Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens geführt. Es wurden von ihm alle Fragen beantwortet. Das Ziel der Bestimmung des für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats wurde erreicht. Es ist nicht ersichtlich, dass die gerügte Gesprächsdauer dazu geführt hat, dass der Antragsteller wesentliche Angaben nicht machen konnte. Vielmehr diente das erste Gespräch nur der Abklärung, ob überhaupt ein Dublin-Verfahren eingeleitet wird. Dem Antragsteller wurde dann nach der Feststellung der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates die Möglichkeit gegeben, in einem zweiten Gespräch hierzu – auch zu der Frage, ob es Gründe gibt, in einen bestimmten Mitgliedstaat nicht überstellt zu werden – Stellung zu nehmen. Der Antragsteller ist zu dieser Zweitbefragung jedoch nicht erschienen. Wie im Weiteren darzulegen sein wird, hat der Antragsteller auch im gerichtlichen Verfahren keine Umstände vorgetragen, die er mangels entsprechender Information im Rahmen der ersten Befragung nicht angebracht hat, bzw. die zu einer anderen Sachentscheidung des Bundesamtes hätten führen müssen oder können.
21Entgegen der Ansicht des Antragstellers hat das Bundesamt für das Wiederaufnahmegesuch das in Art. 23 Abs. 4 Dublin III-VO vorgeschriebene Standardblatt aus dem Anhang III der Durchführungsverordnung verwendet. Dass die Beantwortung der unter dem Punkt 11. im Standardformular angegebenen Frage vom Bundesamt in der Sektion Bemerkungen vorgenommen wird, steht dem nicht entgegen. Insbesondere wurde Belgien die relevante Information des Datums des Eingangs des Eurodac-Treffers ausdrücklich mitgeteilt.
22Der Antragsteller dringt auch nicht durch mit der Rüge, dass Belgien im Wiederaufnahmegesuch nicht mitgeteilt wurde, dass das vom Bundesamt angegebene Geburtsdatum ein fiktiv festgelegtes Datum ist. Unter Umständen kann der ersuchte Staat, um die Überprüfung der eigenen Zuständigkeit durchzuführen, darauf angewiesen sein, dass der ersuchende Staat ihm entsprechende Informationen, die dieser etwa im persönlichen Gespräch mit dem Asylbewerber (Art. 5 Dublin III-VO) gewonnen hat, zur Verfügung stellt. Derartige Informationspflichten sieht Art. 23 Abs. 4 Dublin III-VO für das Wiederaufnahmegesuch ausdrücklich vor. Ergänzend bestimmt Art. 34 Dublin III-VO als allgemeine Vorschrift über den Informationsaustausch, dass jeder Mitgliedstaat jedem anderen Mitgliedstaat, der dies beantragt, personenbezogene Daten über den Antragsteller, die sachdienlich und relevant sind und nicht über das erforderliche Maß hinausgehen, für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats, siehe Abs. 1 Buchst. a), übermittelt. Eine etwaige Fehlinformation oder unterlassene Information kann jedoch nur dann einen relevanten Verstoß gegen die Vorschriften der Dublin III-VO darstellen, wenn der ersuchende Staat dem ersuchten Staat die Möglichkeit nimmt, sich auf seine fehlende Zuständigkeit, beispielsweise aufgrund der Minderjährigkeit eines Antragstellers, zu berufen. Vorliegend kann schon nicht von einer derartigen Fehlinformation ausgegangen werden, da das Bundesamt tatsächlich der Ansicht war, dass der Antragsteller spätestens zu diesem Datum geboren wurde. Der Antragsteller hat dieses Datum im Rahmen seiner formellen Antragstellung am 22. Januar 2016 auch selbst angegeben bzw. durch seine Unterschrift bestätigt. Darüber hinaus lagen den belgischen Behörden eigene Erkenntnisse bezüglich des Geburtsdatums des Antragstellers vor, sodass auch bei der entsprechenden Information des Bundesamtes, dass der Antragsteller in Deutschland zunächst ein anderes Geburtsdatum angegeben hat, nicht von einer anderen Reaktion Belgiens ausgegangen werden kann. Zudem wäre es Belgien, auch wenn man das fiktive Geburtsdatum zugrunde legt, nicht benommen gewesen, sich auf seine fehlende Zuständigkeit zu berufen. Bei der vom Antragsteller vertretenen Ansicht der Versteinerung der Zuständigkeitskriterien nach Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO wäre der Antragsteller auch bei Zugrundelegung des fiktiven Geburtsdatum bei seiner Antragstellung in Belgien minderjährig gewesen und Deutschland nunmehr zuständig. Darüber hinaus folgt auch aus dem vom Antragsteller bei seiner Einreise in Deutschland angegebenen Geburtsdatum nicht der Übergang der Zuständigkeit auf Deutschland (s. unten). Im Ergebnis wurde Belgien somit nicht die Möglichkeit genommen, sich auf die eigene fehlende Zuständigkeit zu berufen. Darüber hinaus dient die Übermittlung der personenbezogenen Daten im Rahmen des Dublin-Verfahrens der Identifikation des Asylantragstellers. Diesem Zweck wäre auch die Übermittlung des vom Antragsteller in Deutschland angegebenen Geburtsdatums nicht gerecht geworden, da die belgischen Behörden ein anderes Geburtsdatum gespeichert haben.
23Ebenso wenig ergibt sich aus der Verwendung eines fiktiven Geburtsdatums ein rechtswidriger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG des Antragstellers, das den streitgegenständlichen Bescheid rechtswidrig erscheinen ließe. Zunächst ist schon nicht ersichtlich, welche – über einen Änderungsanspruch und die zuvor genannten Informationspflichten – hinausgehende Rechtsfolge die Speicherung eines falschen Geburtsdatums im Rahmen des Dublin-Verfahrens haben sollte. Darüber hinaus wurde das Geburtsdatum des 00.00.1996 vom Bundesamt zu Recht gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AsylG erhoben und der streitgegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt. Wie bereits dargelegt, hat der Antragsteller bei seiner formellen Asylantragstellung am 22. Januar 2016 selbst das Geburtsdatum 00.00.1996 angegeben bzw. dies durch seine Unterschrift bestätigt. Dass dieses Datum ursprünglich auf der Altersuntersuchung durch das Jugendamt der Stadt Bochum und der Festlegung des Alters durch die Zentrale Ausländerbehörde in Dortmund beruhte, ist für die formelle Rechtmäßigkeit des Bescheides unerheblich. Gemäß § 42f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII hat das Jugendamt im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme einer ausländischen Person gemäß § 42a SGB VIII deren Minderjährigkeit durch Einsichtnahme in deren Ausweispapiere festzustellen oder hilfsweise mittels einer qualifizierten Inaugenscheinnahme einzuschätzen und festzustellen. Aufgrund der Anzeichen, die gegen eine Minderjährigkeit des Antragstellers sprachen, hat das Jugendamt der Stadt Bochum von einer Inobhutnahme abgesehen. Das aus dieser Inaugenscheinnahme resultierende Geburtsdatum war dem Antragsteller spätestens mit Aushändigung der Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender bekannt, sodass es sich nicht um eine dem Antragsteller verheimlichte Speicherung eines abweichenden Geburtsdatums handelt. Der Umstand, dass die vom Jugendamt vorgenommene Altersfeststellung möglicherweise nicht den von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien entsprach, ist in Bezug auf die formelle Rechtmäßigkeit des vorliegenden Bescheides nicht relevant. Dass der Antragsteller gemäß § 42f Abs. 2 SGB VIII einen Antrag auf eine ärztliche Untersuchung gestellt hätte oder diese aufgrund von Zweifeln von Amts wegen zu veranlassen gewesen wäre, ist nicht ersichtlich. Überdies ist in der Akte des Bundesamtes weiterhin nachvollziehbar, dass der Antragsteller bei seiner Einreise den 00.00.1997 als Geburtsdatum angegeben hat und dass das Datum des 00.00.1996 ein fiktives Datum darstellt.
24Inwieweit es sich auf die Rechtmäßigkeit des Bescheides auswirkt, dass das Bundesamt – wie vom Antragsteller gerügt – im Wiederaufnahmegesuch keine Kopie der Anhörung vom 18. Januar 2016 übersandt hat, ist nicht ersichtlich. Ebenso wenig ist ein Verstoß gegen Art. 41 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) ersichtlich.
25Es liegt auch kein Fall vor, in dem es zum Schutz der Grundrechte des Antragstellers aufgrund einer unangemessen langen Verfahrensdauer der Antragsgegnerin verwehrt ist, sich auf die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats zu berufen. Nach der Rechtsprechung des EuGH hat der an sich nach der Dublin III-VO unzuständige Mitgliedstaat darauf zu achten, dass eine Situation, in der die Grundrechte des Asylbewerbers verletzt werden, nicht durch ein unangemessen langes Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats verschlimmert wird. Erforderlichenfalls muss er den Antrag nach den Modalitäten des Art. 17 Abs. 1 Unterabsatz 1 Dublin III-VO selbst prüfen,
26EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris Rn. 108.
27Zunächst erscheint bereits fraglich, ob diese Vorgaben des EuGH auch auf den zwischen der Meldung als Asylsuchender und der förmlichen Asylantragstellung liegenden Zeitraum anzuwenden sind. Denn die Entscheidung des EuGH bezog sich im konkreten Verfahren allein auf ein Aufnahmeersuchen nach Erstantragstellung im unzuständigen Mitgliedstaat und damit den Zeitraum ab dem förmlichen Verfahrensbeginn. Jedenfalls ist eine überlange Verfahrensdauer nicht ersichtlich. Dies liegt für den Zeitraum zwischen der förmlichen Asylantragstellung am 22. Januar 2016 und der Bescheidung knappe drei Monate später am 21. März 2016 auf der Hand. Auch für den Zeitraum, der zwischen der Meldung als Asylsuchender und der förmlichen Antragstellung vergangen ist, liegt im Ergebnis keine unangemessen lange Dauer des Verfahrens vor. Es ist zutreffend, dass zwischen der Meldung des Antragstellers als Asylsuchendem vom 6. November 2014 und seiner förmlichen Asylantragstellung am 22. Januar 2016 ein erheblicher Zeitraum von über einem Jahr liegt. Darüber hinaus lässt sich – wie der Antragsteller vorträgt – dem Verwaltungsvorgang des Bundesamtes nicht entnehmen, warum es zu dieser Verzögerung kam. Gleichzeitig ist damit jedoch auch nicht ersichtlich, ob der Antragsteller versucht hat, zu einem früheren Zeitpunkt persönlich beim Bundesamt vorzusprechen. Dies behauptet der Antragsteller nicht.
28Anhaltspunkte, ab wann von einer unangemessen langen Verfahrensdauer auszugehen ist, hat der EuGH nicht gegeben. Nach Auffassung des Gerichts ist insoweit zu berücksichtigen, dass die Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (im Folgenden: Richtlinie 2013/32/EU) und die Dublin III-VO nur für bestimmte Verfahrensschritte konkrete Fristen vorsehen, auch wenn sich unter anderem aus den Regelungen von Art. 20 Dublin III-VO und Art. 6 Richtlinie 2013/32/EU sowie Art. 41 Abs. 1 GR-Charta der Grundsatz der Beschleunigung für das Asylverfahren insgesamt ergibt. Es ist jedoch keine ausdrückliche Frist für die Zeit zwischen der Meldung als Asylsuchender und der Stellung eines förmlichen Asylantrags vorgesehen. Aus der vom Antragsteller zu seinen Gunsten angeführten Vorschrift des Art. 6 Abs. 1 Richtlinie 2013/32/EU ergibt sich keine Pflicht des Bundesamtes – und korrespondierend damit ein Anspruch des Antragstellers –, den förmlichen Asylantrag unverzüglich bzw. innerhalb einer bestimmten Frist nach Äußerung des Schutzersuchens anzunehmen. Die Bestimmungen des Art. 6 Abs. 1 Unterabsatz 1 und 2 sowie Abs. 5 Richtlinie 2013/32/EU regeln nach ihrem eindeutigen Wortlaut ausschließlich die Registrierung eines Antragstellers nach Äußerung eines materiellen Schutzersuchens. Die Registrierung eines Antragstellers ist jedoch, wie sich aus dem systematischen Zusammenhang der Vorschrift ergibt, zu unterscheiden von der förmlichen Antragstellung. Denn die förmliche Antragstellung ist in den Bestimmungen des Art. 6 Abs. 2 bis 4 Richtlinie 2013/32/EU gesondert geregelt. Dies belegt, dass nach der Konzeption der Verfahrensrichtlinie die Registrierung einerseits und die förmliche Antragstellung andererseits zwei unterschiedliche Verfahrensschritte sind. Aus den Fristen, die in den vorgenannten Bestimmungen für die Registrierung eines Antragstellers vorgesehen sind, ergibt sich daher nichts für die in Rede stehende förmliche Antragstellung.
29VG Düsseldorf, Beschluss vom 26. Juli 2016 – 6 L 2019/16.A –, juris.
30Der Antragsteller kann einen Anspruch, unverzüglich oder zumindest innerhalb einer bestimmten Frist einen förmlichen Schutzantrag beim Bundesamt als zuständiger Asylbehörde (vgl. Art. 2 Buchst. f) und Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU) stellen zu können, insbesondere auch nicht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 der Richtlinie 2013/32/EU ableiten. Nach dieser Bestimmung stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass eine Person, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, tatsächlich die Möglichkeit hat, diesen sobald wie möglich förmlich zu stellen.
31Vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 26. Juli 2016 – 6 L 2019/16.A –, juris.
32Unabhängig davon, ob der Antragsteller sich auf diese Richtlinie unmittelbar berufen kann, ist jedenfalls aber ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 Richtlinie 2013/32/EU nicht ersichtlich. Denn die Vorschrift bestimmt – wie dargelegt – lediglich, dass ein Antragsteller tatsächlich die Möglichkeit hat, den Antrag "sobald wie möglich" förmlich zu stellen. Mit dieser Wendung wird gerade die Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse in der Praxis ermöglicht, die der Einhaltung bestimmter Fristen zur förmlichen Antragstellung ggf. entgegenstehen können, wie z.B. eine starke Zunahme von Schutzersuchen und die damit einhergehenden Kapazitätsauslastungen der zuständigen Asylbehörde. Angesichts der allgemein bekannten Entwicklung der Asylantragstellerzahlen seit dem Jahr 2015 und der damit einhergehenden erheblichen Arbeitsüberlastung des Bundesamtes ist es diesem bei objektiver Betrachtung derzeit rein faktisch nicht möglich, eine zeitnahe Terminvergabe zur förmlichen Asylantragstellung zu gewährleisten.
33Vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 26. Juli 2016 – 6 L 2019/16.A –, juris.
34Der Antragsteller, der – laut der Übernahmeerklärung Belgiens nach Art. 18 Abs. 1 lit. d) Dublin III-VO und seinen eigenen Angaben – in Belgien bereits ein abgeschlossenes Asylverfahren durchlaufen hat, ist auch nicht durch den bloßen Zeitablauf zwischen der Meldung als Asylsuchendem und der förmlichen Asylantragstellung derart erheblich in seinen Verfahrensrechten verletzt, dass ihm eine Überstellung nach Belgien allein aus diesem Grunde unzumutbar wäre.
35Darüber hinaus ist anzumerken, dass auch wenn Verfahrensfehler grundsätzlich von der gerichtlichen Überprüfung erfasst sind und nach der Rechtsprechung des EuGH,
36Urteile vom 7. Juni 2016 – C-63/15 – und – C-155/15 –, juris,
37zumindest die fehlerhafte Anwendung eines in Kapitel III der Dublin III-VO festgelegten Zuständigkeitskriteriums subjektive Rechte begründet, dies nur für den Fall der Ergebnisrelevanz des jeweiligen Verfahrensfehlers gelten kann. Diese ist jedoch – wie zuvor dargelegt – jeweils nicht ersichtlich.
38Entgegen der Ansicht des Antragstellers war in Bezug auf mögliche Verfahrensfehler auch nicht das Verfahren auszusetzen und eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen. Dies gilt vorliegend bereits, da in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich keine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV besteht.
39Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschlüsse vom 19. Oktober 2006 – 2 BvR 2023/06 – und vom 29. November 1991 – 2 BvR 1642/91 –,juris.
40Art. 267 Abs. 3 AEUV (früher Art. 177 Abs. 3 EWGV) ist nach der Rechtsprechung des EuGH dahin auszulegen, dass ein einzelstaatliches Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, nicht verpflichtet ist, dem Gerichtshof eine Auslegungsfrage im Sinne von Absatz 1 dieses Artikels vorzulegen, wenn sich die Frage in einem Verfahren der einstweiligen Anordnung stellt und die zu erlassende Entscheidung das Gericht, dem der Rechtsstreit danach in einem Hauptsacheverfahren vorgelegt wird, nicht bindet, sofern es jeder Partei unbenommen bleibt, - auch vor den Gerichten eines anderen Gerichtszweigs – ein Hauptverfahren, in dem jede in summarischen Verfahren vorläufig entschiedene Frage des Gemeinschaftsrechts erneut geprüft werden und den Gegenstand einer Vorlage nach Art. 267 AEUV bilden kann, entweder selbst einzuleiten oder dessen Einleitung zu verlangen.
41EuGH, Urteile vom 24. Mai 1977, Rs. 107/76, Hoffmann-La Roche/Centrafarm, Slg. 1977 und vom 27. Oktober 1982, verbundene Rs. 35 und 36/82, Morson und Jhanjan/Niederländischer Staat, Slg. 1982, juris.
42Die Abschiebungsanordnung ist überdies materiell rechtmäßig. § 34a AsylG sieht vor, dass das Bundesamt, wenn der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat anordnet, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. In einem solchen Fall prüft die Antragsgegnerin den Asylantrag nicht, sondern ordnet die Abschiebung in den zuständigen Staat an (§ 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG).
43Nach den Zuständigkeitsvorschriften der Dublin III-VO ist Belgien der zuständige Staat für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers.
44Der Antragsteller hat sich nach seinen eigenen Angaben in der Befragung durch das Bundesamt vor der Einreise nach Deutschland am 30. Oktober 2014 und Asylantragstellung am 22. Januar 2016 ca. ein Jahr in Belgien aufgehalten und dort auch einen Asylantrag gestellt. Dies wird durch den am 27. Januar 2016 beim Bundesamt eingegangenen Eurodac-Treffer (BE1870103074291) bestätigt. Die Antragsgegnerin hat am 1. Februar 2016, und damit innerhalb der von Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO vorgesehenen Frist, Belgien um Wiederaufnahme des Antragstellers ersucht. Belgien hat auf dieses Ersuchen gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d) Dublin III-VO ausdrücklich am 2. Februar 2016 seine Zuständigkeit erklärt.
45Belgien ist daher gemäß Art. 29 Abs. 1 Unterabsatz 1 Dublin III-VO grundsätzlich verpflichtet, den Antragsteller innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Entscheidung über den vorliegenden Eilantrag wieder aufzunehmen.
46BVerwG, EuGH-Vorlage vom 27. April 2016 – 1 C 22/15 –, juris.
47Entgegen der Ansicht des Antragstellers ergibt sich die Zuständigkeit Deutschlands auch nicht aus der Regelung von Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO. Im Fall eines unbegleiteten Minderjährigen ist danach der Mitgliedstaat zuständiger Mitgliedstaat, in dem der unbegleitete Minderjährige seinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, sofern es dem Wohl des Minderjährigen dient. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist diese Vorschrift so zu verstehen, dass der Mitgliedstaat zuständig ist, in dem sich der Minderjährige gerade aufhält, auch wenn er bereits in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten einen Asylantrag gestellt hat.
48Vgl. EuGH, Urteil vom 6. Juni 2013 – C-648/11 –, juris.
49Der Antragsteller war jedoch im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der formalen Asylantragstellung in Deutschland kein Minderjähriger im Sinne der Art. 8 Abs. 4 und 2 lit. i) Dublin III-VO. Minderjähriger im Sinne der Legaldefinition von Art. 2 lit. i) Dublin III-VO ist ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser unter 18 Jahren.
50Zunächst ist festzuhalten, dass der Antragsteller schon nicht plausibel dargelegt hat, dass er im Zeitpunkt der Antragstellung in Belgien bzw. der Einreise nach Deutschland minderjährig war. Aus der Übernahmeerklärung Belgiens vom 2. Februar 2016 ergibt sich, dass er dort als Geburtsdatum den 00.00.1993 angegeben hat und somit im Zeitpunkt der dortigen Antragstellung am 9. Dezember 2013 bereits volljährig war. Bei der Einreise nach Deutschland am 30. Oktober 2014 gab der Antragsteller nunmehr als Geburtsdatum den 00.00.1997 an. Danach wäre er im Zeitpunkt der Einreise nach Deutschland und der Antragstellung in Belgien noch minderjährig gewesen. Die in Belgien gespeicherten Angaben des Monats und des Tages entsprechen den Angaben des Antragstellers bei der Einreise in Deutschland. Nur das Jahr wurde dort vom Antragsteller abweichend angegeben. Dies spricht dafür, dass es sich bei dem in Belgien gespeicherten Datum um ein tatsächlich vom Antragsteller angegebenes Geburtsdatum und nicht um eine Schätzung – wie beispielsweise beim 1. Januar eines Jahres – handelt. Die unterschiedlichen Angaben in Bezug auf das Geburtsjahr hat der Antragsteller im vorliegenden Verfahren nicht plausibilisiert. Dem Gericht liegen überdies keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller in Belgien veranlasst gewesen wäre, sich älter erscheinen zu lassen, als er tatsächlich war. Bei seiner Einreise nach Deutschland spricht jedoch vieles dafür, dass er, um die Vorteile einer Antragstellung als Minderjähriger im Dublin-Verfahren in Anspruch nehmen zu können, sein Alter nunmehr jünger angegeben hat. Darüber hinaus spricht für die Richtigkeit seines in Belgien angegebenen Geburtsdatums die Stellungnahme durch das Jugendamt der Stadt C. vom 3. November 2014. Auch wenn diese nicht den Untersuchungsanforderungen an eine konkrete Altersfeststellung genügt, lässt sie sich dennoch als weiteres Indiz hinzuziehen. Danach sprachen die Bewertung der Stimmlage, der Gesichtszüge, des Körperbaus sowie der Gesamteindruck, den der Antragsteller auf den Mitarbeiter des Jugendamtes machte, für seine Volljährigkeit im Zeitpunkt der Einreise nach Deutschland. Gegen diese Einschätzung spricht im Ergebnis auch nicht die erst im Gerichtsverfahren und ausschließlich in französischer Sprache vorgelegte Kopie der Geburtsurkunde des Antragstellers, die als Geburtsdatum den 00.00.1997 ausweist. Unabhängig davon, ob dieses französisch-sprachige Dokument zu Beweiszwecken im vorliegenden Verfahren geeignet ist, kann ihm keine erhebliche Bedeutung beigemessen werden. Denn nach den Angaben des Auswärtigen Amtes ist das amtliche Urkundswesen Guineas chronisch unzuverlässig. Es gebe eine Vielzahl gefälschter Urkunden und es existiere ein reger Dokumentenschwarzmarkt für Stempel und Urkundsmuster,
51Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Guinea vom 21. November 2015, Seite 13.
52Darüber hinaus ist auch das vom Antragsteller im Rahmen des förmlichen Asylantrags vom 22. Januar 2016 angegebene Geburtsdatum des 00.00.1996 ein Indiz dafür, dass er nicht zwingend an seiner vorherigen Angabe des 00.00.1997 festhalten wolle. Dies spricht ebenfalls für die Fehlerhaftigkeit dieses Datums.
53Überdies kann es dahinstehen, ob der Antragsteller bereits im Zeitpunkt seiner Antragstellung in Belgien volljährig war. Denn für die Zuständigkeitsbestimmung ist im Rahmen des Kriteriums der Minderjährigkeit auf den aktuellen förmlichen Asylantrag im jeweiligen Mitgliedstaat abzustellen. Selbst wenn man das vom Antragsteller bei seiner Einreise angegebene – und damit das für ihn im Zweifelsfall günstigste – Alter unterstellt, war er demnach im entscheidungserheblichen Zeitpunkt bereits volljährig.
54Das Kriterium der Minderjährigkeit unterfällt zunächst nicht der „Versteinerungsregel“ in Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO. Vielmehr ist das jeweils aktuelle Alter des Asylbewerbers bei Antragstellung für seine Einordnung und die Anwendung von Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO relevant. Nach Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO wird bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Zwar spricht der Wortlaut dieser Regelung dafür, dass alle im Kapitel III der Dublin III-VO genannten Kriterien der „Versteinerung“ unterfallen.
55Für die Anwendung der „Versteinerung“ VG Aachen, Beschluss vom 22. April 2015 – 5 L 15/15.A, juris und VG Düsseldorf, Beschluss vom 24. August 2016 – 12 L 2387/16.A n.V.; aA VG Minden, Beschluss vom 27. Januar 2015 – 10 L 820/14.A, juris; offen gelassen durch BVerwG, Urteil vom 16. November 2015 – 1 C 4/15 – und VG Würzburg, Beschluss vom 7. Januar 2016 – W 3 S 15.50392 –, juris.
56Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind jedoch bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden.
57EuGH, Urteile vom 6. Juni 2013 – C-648/11 –, vom 29. Januar 2009 – C-19/08 – und vom 23. Dezember 2009 – C-403/09 –, jeweils juris.
58Der Zusammenhang bzw. die Gesetzessystematik und die Ziele bzw. der Sinn und Zweck der verschiedenen Zuständigkeitskriterien sprechen vorliegend dafür, dass das Kriterium der Minderjährigkeit nicht unter die in Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO genannten Kriterien zu subsumieren ist. Das Kapitel III der Dublin III-VO enthält verschiedene Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats, wie die Minderjährigkeit (Art. 8 Dublin III-VO), das Vorhandensein von Familienangehörigen (Art. 9 bis 11 Dublin III-VO), die Ausstellung von Aufenthaltstiteln oder Visa (Art. 12 Dublin III-VO) und die Modalitäten der Einreise (Art. 12 bis 15 Dublin III-VO). Diese Kriterien lassen sich systematisch in Kriterien einteilen, die an den jeweiligen Mitgliedstaat oder die Person des Antragstellers anknüpfen. Erstere Kriterien dienen der Entscheidung über die Zuständigkeit zur Durchführung des Asylverfahrens aufgrund der Sachnähe des jeweiligen Mitgliedstaates. Die an die Person des Antragstellers anknüpfenden Merkmale – wie die Minderjährigkeit – dienen hingegen dem Schutz des Antragstellers. Bei der weiteren Auslegung ist in systematischer Hinsicht auf die in Kapitel II „Allgemeine Grundsätze und Schutzgarantien“, insbesondere in Art. 6 Dublin III-VO enthaltenen Garantien für Minderjährige abzustellen. Aus der Position dieses Artikels unter den allgemeinen Grundsätzen erschließt sich dessen Bedeutung auch für die Auslegung der folgenden Artikel. Art. 6 Dublin III-VO lassen sich verschiedene Verfahrensgarantien insbesondere für unbegleitete Minderjährige entnehmen, wie die Bestellung eines Vertreters (Abs. 2) und die Beschäftigung von geeignet geschultem Personal für die besonderen Bedürfnisse Minderjähriger (Abs. 4 Unterabsatz 3). Auch aus Art. 12 Abs. 3 der Durchführungsverordnung ergeben sich besondere Verfahrensgarantien für Minderjährige, wie der Umstand, dass das persönliche Gespräch nach Art. 5 Dublin III-VO im Beisein des in Art. 6 Abs. 2 Dublin III-VO genannten Vertreters zu führen ist. Sämtliche zuvor genannte Vorschriften implizieren, dass die Bearbeitung des Antrages eines unbegleiteten Minderjährigen besonderer Schutzvorkehrungen und Hilfestellungen bedarf, die jedoch auch mit Rücksicht auf die nicht gewünschte Bevormundung eines erwachsenen Antragstellers nur dann Anwendung finden können, wenn dem Mitarbeiter des jeweiligen Mitgliedstaates auch tatsächlich ein minderjähriger Antragsteller gegenüber sitzt. Die sich in systematischer Hinsicht ergebende Orientierung an der tatsächlichen Notwendigkeit des Schutzes eines Minderjährigen lässt sich auch auf die Kriterien der Zuständigkeitsbestimmung übertragen. So verweist Art. 6 Abs. 4 Unterabsatz 1 Dublin III-VO ausdrücklich im Rahmen der Ermittlung von Familienangehörigen auf den Zweck der Durchführung des Art. 8 Dublin III-VO und verdeutlicht damit eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Schutz des tatsächlich Minderjährigen und dem Verfahren der Zuständigkeitsbestimmung.
59Ebenso ist nach dem Sinn und Zweck der Zuständigkeitskriterien davon auszugehen, dass nur solche Kriterien von der Versteinerungsklausel erfasst sind, die an die Mitgliedstaaten anknüpfen, wie beispielsweise die Erteilung eines Aufenthaltstitels oder eines Visums bzw. die Grenzüberschreitung, da hiervon unmittelbar die Sachnähe zur Durchführung des Asylverfahrens abgeleitet werden kann. Das Kriterium der Minderjährigkeit hingegen dient allein dem Schutz des Minderjährigen und kann deswegen auch nur so lange von Relevanz sein, wie es tatsächlich erfüllt ist. So ergibt sich aus Art. 6 Abs. 1 Dublin III-VO, dass das Wohl des Kindes in allen Verfahren, die in dieser Verordnung vorgesehen sind, eine vorrangige Erwägung der Mitgliedstaaten ist. Darüber hinaus lässt sich dem Erwägungsgrund 13 der Dublin III-VO entnehmen, dass für unbegleitete Minderjährige gerade aufgrund ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit spezielle Verfahrensgarantien festgelegt werden. Zu diesen Verfahrensgarantien gehört auch der Umstand, dass der Mitgliedstaat für das Asylverfahren des Minderjährigen zuständig ist, in dem er sich gerade aufhält, unabhängig von der Zahl bzw. dem Status der bereits gestellten Anträge in anderen Mitgliedstaaten. Denn das Wohl des Minderjährigen steht insoweit über dem Gesichtspunkt, dass die einmal festgelegte Zuständigkeit grundsätzlich nicht mehr geändert werden soll. So hat der EuGH in seiner Entscheidung zur Auslegung des Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO in seinem Urteil
60vom 6. Juni 2013 – C-648/11 –, juris,
61maßgeblich auf das Ziel des Schutzes der unbegleiteten Minderjährigen abgestellt, die zu einer Kategorie besonders gefährdeter Personen gehörten und deswegen von der Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat auszunehmen seien. Vorliegend greifen diese am Schutzziel orientierten Auslegungsgründe jedoch nicht mehr. Denn ab dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller nicht mehr in diese schutzbedürftige Gruppe hineinfällt, besteht kein Grund mehr dafür, ihn gesondert zu behandeln und von dem Überstellungsverfahren auszunehmen. Vor dem Hintergrund, dass die Dublin III-VO grundsätzlich dem Zweck dient, den Asylantrag nur in einem einzigen Staat zu prüfen, Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO,
62vgl. EuGH, Urteil vom 6. Juni 2013 – C-648/11 –, juris,
63kann die Möglichkeit, Folgeanträge oder sonstige weitere Anträge in allen Mitgliedstaaten zu stellen und den Mitgliedstaat auf die inhaltliche Prüfung der Voraussetzungen des Wiederaufgreifens eines Verfahrens zu verweisen, nur für den Fall der tatsächlich noch bestehenden Minderjährigkeit von Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO erfasst sein.
64Auch unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten im Sinne von Art. 21 GR-Charta erscheint die Versteinerung des Kriteriums der Minderjährigkeit und damit einer Ungleichbehandlung von zwei volljährigen Asylbewerbern, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten in das Gebiet der Mitgliedstaaten eingereist sind, nicht sachgerecht. Es liegt jedenfalls nicht auf der Hand, dass ein 18-jähriger Asylantragsteller als weniger schutzwürdig zu behandeln ist als ein 25-jähriger, der mit 17 Jahren seinen ersten Antrag in einem Mitgliedstaat gestellt hat.
65Allein die Tatsache, dass ein Asylbewerber als Minderjähriger eingereist ist, spricht nicht maßgeblich für seine besondere Schutzbedürftigkeit auch im Erwachsenenalter, zumal gerade die Schutzvorkehrungen für unbegleitete Minderjährige, wie die Inobhutnahme durch das Jugendamt, einen Ausgleich dieser erhöhten Verletzlichkeit darstellen sollen.
66Für die Feststellung der Minderjährigkeit kommt es auf den Zeitpunkt der förmlichen Asylantragstellung in Deutschland an. Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist demgegenüber nicht auf den Zeitpunkt seiner Einreise nach Deutschland bzw. seine Meldung als Asylsuchender abzustellen.
67Vgl. VG Würzburg, Beschluss vom 7. Januar 2016 – W 3 S 15.50392 –, juris.
68Gemäß dem Wortlaut von Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO ist der Mitgliedstaat zuständiger Mitgliedstaat, in dem der unbegleitete Minderjährige seinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat. Gemäß der Legaldefinition in Art. 2 lit. b) bezeichnet der Ausdruck „Antrag auf internationalen Schutz“ einen Antrag im Sinne des Art. 2 lit. h) der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011. Danach ist ein Antrag auf internationalen Schutz das Ersuchen eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen um Schutz durch einen Mitgliedstaat, wenn davon ausgegangen werden kann, dass der Antragsteller die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder die Gewährung des subsidiären Schutzstatus anstrebt, und wenn er nicht ausdrücklich um eine andere, gesondert zu beantragende Form des Schutzes außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Richtlinie ersucht. Der Wortlaut ist nicht eindeutig dahin gehend, ob mit dem dort genannten Antrag der materielle Asylantrag bei gleich welcher Behörde oder der formelle Asylantrag bei der für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Behörde gemeint ist. Wie bereits dargelegt, sind für die Auslegung der europäischen Normen neben dem Wortlaut auch deren Systematik und Ziele heranzuziehen.
69Grundsätzlich ist der Regelung des Art. 6 Abs. 2 Richtlinie 2013/32/EU zu entnehmen, dass auch die Richtlinien zwischen dem materiellen Antrag auf internationalen Schutz und dem förmlichen Antrag auf internationalen Schutz unterscheiden (s. oben). Aus Art. 6 Abs. 3 Richtlinie 2013/32/EU ergibt sich jedoch ebenfalls, dass unbeschadet des Absatzes 2 die Mitgliedstaaten verlangen können, dass Anträge auf internationalen Schutz persönlich und an einem bestimmten Ort gestellt werden. Von dieser Möglichkeit hat die Antragsgegnerin in §§ 14 Abs. 1 Satz 1, 23 Abs. 1 AsylG Gebrauch gemacht. Von einer Antragstellung im Sinne einer verfahrenseinleitenden Maßnahme im Sinne des Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO ist damit erst im Zeitpunkt der persönlichen Antragstellung beim Bundesamt auszugehen.
70Darüber hinaus zeigt die Legaldefinition des Begriffs „Antrag auf internationalen Schutz“, dass bei der Beurteilung, ob ein „Antrag auf internationalen Schutz“ in diesem Sinne vorliegt, das inhaltliche Begehren des Antragstellers zu berücksichtigen ist; dies wird jedoch nicht schon dann im Einzelnen benannt und seitens der Antragsgegnerin in rechtlicher Hinsicht zur Kenntnis genommen und entsprechend eingeordnet, wenn sich ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser erstmals – gleich bei welcher Behörde oder Institution – als Asylsuchender meldet. Vielmehr wird dieses Begehren erst bei der Antragstellung i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 1 AsylG bei der Außenstelle des Bundesamtes aufgenommen und konkretisiert, die der für die Aufnahme des Ausländers zuständigen Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist (vgl. hierzu auch § 23 Abs. 1 und § 24 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
71Vgl. VG Würzburg, Beschluss vom 7. Januar 2016 – W 3 S 15.50392 –, juris.
72Auch dem Sinn und Zweck der Verfahrensgarantien zum Schutz des Minderjährigen lässt sich entnehmen, dass sie ab dem Zeitpunkt eingreifen, in dem das förmliche Verfahren von der zuständigen Behörde, dem Bundesamt, aufgenommen wird. Sonstige, dem Schutz des Minderjährigen dienende Vorkehrungen, wie die Inobhutnahme durch das Jugendamt, sind von diesem Zeitpunkt unabhängig, sodass der Schutz des Minderjährigen hinreichend gewahrt ist. Etwas anderes kann nur gelten, wenn der Mitgliedstaat den Asylbewerber rechtsmissbräuchlich in die Volljährigkeit hat herein wachsen lassen. Davon ist jedoch vorliegend nicht auszugehen, da die Altersuntersuchung des Antragstellers bereits im Zeitpunkt seiner Einreise nach Deutschland durchgeführt wurde und das Jugendamt der Stadt C. und die Zentrale Ausländerbehörde der Stadt E. davon ausgingen, dass der Antragsteller bereits zu diesem Zeitpunkt volljährig war. Eine gesonderte Behandlung des Antragstellers dahingehend, dass seine formelle Asylantragstellung beim Bundesamt bevorzugt vorzunehmen war, musste daher nicht erfolgen.
73Von der Vorlage der vorgenannten Auslegungsfragen an den EuGH wurde im Rahmen des Eilverfahrens aus den bereits im Rahmen der formellen Rechtmäßigkeit ausgeführten Erwägungen und zur Beschleunigung des Eilverfahrens verzichtet.
74Die Antragsgegnerin ist auch nicht deswegen an der Überstellung des Antragstellers nach Belgien gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO gehindert, weil das belgische Asylsystem systemische Mängel im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofs aufweist,
75EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris Rn. 83 ff., 99; Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413.
76Die Voraussetzungen, unter denen das nach der zitierten Rechtsprechung,
77EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris Rn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413,
78und der Regelung des Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO der Fall wäre, liegen nicht vor. Danach ist die im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem grundsätzlich bestehende Vermutung, dass jeder Mitgliedstaat ein sicherer Drittstaat ist und die Grundrechte von Asylbewerbern einschließlich des Refoulement-Verbots hinreichend achtet, nicht unwiderleglich. Vielmehr hat eine Überstellung in einen Mitgliedstaat zu unterbleiben, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder entwürdigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der GR-Charta implizieren,
79EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris Rn. 86.
80Systemische Mängel in diesem Sinne können erst angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Art. 4 Gr-Charta bzw. Art. 3 der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) entsprechenden Gravität nicht nur in Einzelfällen, sondern strukturell bedingt, eben systemisch vorliegen. Diese müssen dabei aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein. In der Diktion des Europäischen Gerichtshofs dürfen diese systemischen Mängel dem überstellenden Mitgliedstaat nicht unbekannt sein können,
81EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris Rn. 94.
82Diese Voraussetzungen sind für Belgien nicht erfüllt. Auch nach Auswertung der vom Antragsteller angeführten Erkenntnismittel liegen keine Umstände vor, aus denen sich systemische Mängel im Asylverfahren oder den Aufnahmebedingungen Belgiens ergeben. Für den Antragsteller ist dabei – wie sich sowohl aus der Übernahmeerklärung Belgiens als auch seinen eigenen Ausführungen ergibt – auf die Situation eines in Belgien bereits abgelehnten Asylbewerbers im Dublin-Verfahren abzustellen.
83Grundsätzlich kann der Umstand, dass ein Antragsteller ohne Schutzstatus vollständig auf sich gestellt ist und überhaupt keine Unterkunft, medizinische Versorgung, Zugang zu Nahrungsmitteln etc. erhält, eine unmenschliche Behandlung darstellen,
84vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 -, juris; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 1. März 2012 - 1 B 234/12.A -, juris.
85Im Fall des Antragstellers als abgelehntem Asylbewerber handelt es sich hierbei aber nicht um systemische Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen im oben geschilderten Sinne. Denn anders als vom hauptsächlichen Anwendungsbereich der Dublin-Verordnungen erfasst, ist das Asylverfahren des Antragstellers in Belgien bereits abgeschlossen, wenn auch erkennbar mit einem vom Antragsteller nicht erwünschten Ergebnis. Ist der Asylantrag des Antragstellers aber abgelehnt worden, folgt daraus für den Antragsteller die Ausreisepflicht,
86vgl. Generalkommissariat für Flüchtlinge und Staatenlose, Asyl in Belgien, 2010, S. 11.; Asylum Information Database (aida) Country Report: Belgium, Stand Dezember 2015, S. 58 ff.
87Die "Einstellung der Versorgung" stellt sich in einem solchen Fall nicht als eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung dar,
88vgl. VG Düsseldorf, Beschlüsse vom 23. Juli 2013 - 25 L 1342/13.A -, n.v. und vom 26. Februar 2014 – 13 L 254/14.A –, juris.
89Dies gilt mit Blick auf Belgien umso mehr, als abgelehnten Asylbewerbern in der Regel nach der Ablehnung des Asylantrags eine Rückkehrbegleitung angeboten wird und im Rahmen des Konzepts des sogenannten „return tracks“ die freiwillige Ausreise vor der Zwangsabschiebung gefördert wird,
90vgl. auch aida, a.a.O. S. 59.
91Den Antragstellern steht auch die Möglichkeit zu, binnen 30 Tagen „Berufung“ gegen die ablehnende Bescheidung ihres Asylantrags einzulegen, der aufschiebende Wirkung zukommt.
92aida, a.a.O. S. 23; Generalkommissariat für Flüchtlinge und Staatenlose a.a.O. S. 11.
93Aus dem vorzitierten aida Bericht ergibt sich zudem, dass zwar grundsätzlich abgelehnten Asylbewerbern keine Unterstützungsleistungen mehr gewährt werden. Dieser Grundsatz erfährt jedoch zahlreiche Ausnahmen. Das Recht auf Unterstützungsleistungen besteht zunächst bis zum Ablauf der Ausreisefrist, unabhängig davon, ob der abgelehnte Asylbewerber sich an der Möglichkeit der freiwilligen Ausreise beteiligt oder nicht. Für den Fall des eingelegten Rechtsmittels verlängert sich die Leistungsgewährung, wenn die Berufung vom Rat für Ausländersachen als zulässig erklärt wird. Darüber hinaus wird aus humanitären und anderen Gründen, beispielsweise, wenn es einem abgelehnten Asylbewerber krankheitsbeding oder aus sonstigen, nicht auf bloßem Unwillen beruhenden Gründen unmöglich ist, in sein Heimatland zurück zu reisen, die Leistungsgewährung verlängert. Warum dem Antragsteller eine Rückkehr nach Guinea – als Folge des abgelehnten Asylantrags – nicht möglich ist, trägt der Antragsteller nicht vor und ist auch sonst nicht ersichtlich. Dies kann jedoch auch dahinstehen, da sich aus dem zuvor Gesagten ergibt, dass im Falle der begründeten Unmöglichkeit der Rückreise auch in Belgien weiterhin Leistungen gewährt werden.
94Zwar ist es zutreffend, dass im Fall eines Folgeantrags zunächst kein Anspruch auf Leistungen besteht. Jedoch gilt dies nur solange, bis die zuständige belgische Verwaltungsbehörde den Antrag wieder in Betracht zieht oder ohnehin ein Antrag auf Verlängerung der Aufnahme des Antragstellers anhängig ist. Dies nimmt nach der vorliegenden Auskunft nur eine sehr kurze Zeit in Anspruch,
95vgl. aida, a.a.O. S. 60,
96und kann für sich genommen noch keinen systemischen Mangel des belgischen Asylsystems begründen.
97Entgegen der Ansicht des Antragstellers besteht für den Umfang der aus Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK abgeleiteten Verantwortung eines aufnehmenden Staates gegenüber einem Asylbewerber auch durchaus ein Unterschied, ob sich dieser berechtigt während des Asylverfahrens im Land aufhält, oder ob dieser ausreisepflichtig und ihm die Ausreise auch möglich ist.
98Der Antragsteller gehört darüber hinaus als in Belgien bereits registrierter und abgelehnter Asylbewerber nicht mehr zu der Gruppe von Asylbewerbern, die aufgrund der erhöhten Ankunftszahlen von Flüchtlingen in Belgien auf eine Registrierung warten und zeitweise obdachlos sind. Die diesbezüglichen Berichte,
99vgl. Pro Asyl, Fachpolitischer Newsletter Nr. 221 „Belgien: Eingeschränkter Zugang zu Schutz und Obdachlosigkeit von Asylsuchenden vom 31. Januar 2016 und Ecre’s Weekly Bulletin zu den Entwicklungen in Belgien vom 4. Dezember 2015,
100dass Asylbewerbern der Zugang zur Registrierung und damit zum Asylverfahren aufgrund von Kapazitätsengpässen zeitweise verwehrt werde und diese – unter anderem unbegleitete Minderjährige und Familien – einige Tage auf der Straße leben mussten, betreffen den Antragsteller in seiner Situation nicht mehr. Unabhängig von der Tatsache, dass der Antragsteller von dieser Situation nicht mehr betroffen ist, kann auch nicht aus dem in den zuvor zitierten Berichten gerügten Verstoß gegen die zeitlichen Vorgaben der Registrierung aus Art. 6 Richtlinie 2013/32/EU auf das Vorliegen systemischer Mängel geschlossen werden. Denn nicht jeder Rechtsverstoß gegen europäische Rechtsvorschriften stellt eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung dar.
101Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. Januar 2015 - 14 A 134/15.A -, juris, Rz. 15.
102Der Antragsteller ist grundsätzlich gehalten, seine bestehenden Rechte selbstständig wahrzunehmen und – ggf. mit anwaltlicher Hilfe oder der Unterstützung durch in Belgien tätige Flüchtlingsorganisationen – durchzusetzen. Dass der Antragsteller über entsprechende Handlungskompetenzen verfügt, hat er während seines bisherigen Aufenthalts in Deutschland bewiesen.
103Ebenso wenig liegt ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK vor. Hiernach ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist. Sie ist dann aus rechtlichen Gründen unmöglich, wenn sie unzumutbar in eine durch Art. 8 EMRK geschützte Beziehung eingreift. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens. Soweit sich der Antragsteller auf seine Integration in Deutschland beruft, kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine Abschiebung des Antragstellers nach Belgien im Rahmen des Dublin Verfahrens einen Verstoß gegen Art. 8 EMRK darstellt.
104Das Recht auf Achtung des Privatlebens im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK ist weit zu verstehen und umfasst seinem Schutzbereich nach unter anderem das Recht auf Entwicklung der Person und das Recht darauf, Beziehungen zu anderen Personen und der Außenwelt anzuknüpfen und zu entwickeln,
105vgl. EGMR (Große Kammer), Urteil vom 13. Februar 2003 – 42326/98 –, NJW 2003, 2145; OVG NRW, Beschluss vom 21. Juli 2005 – 19 B 939/05 –, juris,
106und damit auch die Gesamtheit der im Land des Aufenthalts gewachsenen Bindungen.
107Ein Eingriff in das von Art. 8 EMRK geschützte Privat- und Familienleben durch Versagung des Aufenthalts für einen Ausländer setzt jedoch zunächst voraus, dass sein Privat- oder Familienleben in dem betreffenden Land fest verankert ist und sich nicht auf eine lose Verbindung beschränkt.
108BVerwG, Urteil vom 03. Juni 1997 – 1 C 18/96 –, juris.
109Dass dies bei dem Antragsteller, der sich seit Ende Oktober 2014 – also noch keine zwei Jahre – in Deutschland aufhält, aufgrund des Beginns einer Bäckerausbildung im März diesen Jahres der Fall ist, ist nicht hinreichend ersichtlich. Überdies hatte sich der Antragsteller auch in Belgien bereits fast ein Jahr aufgehalten.
110Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Absatz 1 VwGO, § 83b AsylG.
111Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Absatz 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).
112Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Düsseldorf Beschluss, 28. Sept. 2016 - 13 L 1014/16.A
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(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozesskostenhilfe sowie § 569 Abs. 3 Nr. 2 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer oder vereidigter Buchprüfer beigeordnet werden. Die Vergütung richtet sich nach den für den beigeordneten Rechtsanwalt geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.
(2) Die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach den §§ 114 bis 116 der Zivilprozessordnung einschließlich der in § 118 Absatz 2 der Zivilprozessordnung bezeichneten Maßnahmen, der Beurkundung von Vergleichen nach § 118 Absatz 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung und der Entscheidungen nach § 118 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des jeweiligen Rechtszugs, wenn der Vorsitzende ihm das Verfahren insoweit überträgt. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hiernach nicht vor, erlässt der Urkundsbeamte die den Antrag ablehnende Entscheidung; anderenfalls vermerkt der Urkundsbeamte in den Prozessakten, dass dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt werden kann und in welcher Höhe gegebenenfalls Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen zu zahlen sind.
(3) Dem Urkundsbeamten obliegen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ferner die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung und eine Wiederaufnahme der Zahlungen nach § 120 Absatz 3 der Zivilprozessordnung sowie die Änderung und die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach den §§ 120a und 124 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 der Zivilprozessordnung.
(4) Der Vorsitzende kann Aufgaben nach den Absätzen 2 und 3 zu jedem Zeitpunkt an sich ziehen. § 5 Absatz 1 Nummer 1, die §§ 6, 7, 8 Absatz 1 bis 4 und § 9 des Rechtspflegergesetzes gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Rechtspflegers der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tritt.
(5) § 87a Absatz 3 gilt entsprechend.
(6) Gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten nach den Absätzen 2 und 3 kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe die Entscheidung des Gerichts beantragt werden.
(7) Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, dass die Absätze 2 bis 6 für die Gerichte des jeweiligen Landes nicht anzuwenden sind.
(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.
(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.
(1) Soll der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Absatz 1 Nummer 1) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies gilt auch, wenn der Ausländer den Asylantrag in einem anderen auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt oder vor der Entscheidung des Bundesamtes zurückgenommen hat. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht. Kann eine Abschiebungsanordnung nach Satz 1 oder 2 nicht ergehen, droht das Bundesamt die Abschiebung in den jeweiligen Staat an.
(2) Anträge nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung gegen die Abschiebungsanordnung sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Abschiebung ist bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots durch das Bundesamt nach § 11 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung bleibt hiervon unberührt.
(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.
(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.
(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.
(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.
Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2Der am 2. April 2015 bei Gericht gestellte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 13 K 2511/15.A gegen die Abschiebungsanordnung unter Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19. März 2015 anzuordnen,
4zu dessen Entscheidung die Einzelrichterin gemäß § 76 Absatz 4 Satz 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) berufen ist, hat keinen Erfolg. Er ist unbegründet.
5Die im summarischen Eilverfahren gebotene Abwägung des öffentlichen Interesses der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung mit dem privaten Aussetzungsinteresse der Antragsteller fällt zu Lasten der Antragsteller aus, weil der angefochtene Bescheid des Bundesamtes keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet. Er ist weder in formeller (I.) noch in materieller Hinsicht (II.) zu beanstanden.
6I. Entgegen der Ansicht der Antragsteller, ist der angegriffene Bescheid in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden.
71. Das Bundesamt war für den Erlass des Bescheides zuständig. Dies folgt aus § 5 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG, wonach über Asylanträge das Bundesamt entscheidet. Aus § 31 Absatz 1 Satz 4 AsylVfG ergibt sich unmittelbar, dass auch die Ablehnung eines Asylantrags als unzulässig nach § 27a AsylVfG, wie sie hier in Rede steht, eine solche Entscheidung über den Asylantrag darstellt. Ferner bestimmt § 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG, dass das Bundesamt in seinem solchen Fall die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat anordnet. Die sich hieraus ergebende Zuständigkeit des Bundesamtes wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass in der auf § 88 Absatz 1 AsylVfG beruhenden Verordnung zur Neufassung der Asylzuständigkeitsverordnung vom 2. April 2008 (AsylZBV) die Zuständigkeit des Bundesamtes für die Ausführung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO), keine Erwähnung findet. Die Vorschriften der AsylZBV lassen die bereits kraft Gesetzes bestehende Zuständigkeit des Bundesamtes für Entscheidungen nach § 27a AsylVfG unberührt. Sie regeln lediglich nähere Einzelheiten im Zusammenhang mit der Übermittlung von Auf- und Wiederaufnahmeersuchen an die anderen Mitgliedstaaten sowie die Festlegung der Modalitäten der Überstellung (§ 2 Absatz 1 Nr. 1 AsylZBV), der Entscheidung über Auf- und Wiederaufnahmeersuchen der anderen Staaten sowie die Festlegung der Modalitäten der Überstellung (Nr. 2 der Vorschrift) und den Informationsaustausch sowie die notwendigen Mitteilungen an die betroffenen Drittstaatsangehörigen (Nr. 3) und erklären hierfür ebenfalls die Zuständigkeit des Bundesamtes. Inwiefern sich an dieser Rechtslage durch das Inkrafttreten der Dublin III-VO etwas geändert haben sollte, ist nicht ersichtlich.
8VG Düsseldorf, Beschluss vom 9. Dezember 2014 – 13 L 2565/14.A –, juris, Rn. 5.
92. Soweit die Antragsteller darauf hinweisen, sie seien entgegen Artikel 4 Dublin III-VO nicht über die Anwendung der Dublin-Verordnung informiert worden, vermögen sie damit nicht durchzudringen. Zwar entspricht das von der Antragsgegnerin verwendete Merkblatt über das Dublin-Verfahren nicht dem ausführlicheren Merkblatt, das die EU-Kommission in Anlage X ihrer „Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 vom 30. Januar 2014 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist“ vorgesehen hat. Der wesentliche Inhalt des Dublin-Verfahrens wird den Antragstellern aber durch das vom Bundesamt verwendete Merkblatt und die weiteren den Antragstellern gegebenen Informationen ausreichend näher gebracht. Insofern liegt nach Auffassung des Gerichts bereits kein Verfahrensfehler vor. Aus Artikel 4 Absatz 3 Dublin III-VO folgt insbesondere nicht, dass das Merkblatt der EU-Kommission zur Unterrichtung im Dublin-Verfahren für die Durchführung des Verfahrens von wesentlicher Bedeutung ist. Deshalb spricht auch einiges dafür, dass nach den allgemeinen, in § 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) zum Ausdruck kommenden Rechtsgrundsätzen ein diesbezüglicher Verfahrensfehler jedenfalls unbeachtlich wäre. Nach § 46 VwVfG darf ein Verwaltungsakt nicht allein deshalb aufgehoben werden, weil sie unter Verletzung von Verfahrens-, Form oder Zuständigkeitsbestimmungen zustande gekommen ist, wenn offensichtlich eine gleichlautende Entscheidung zu treffen wäre.
10VG Schwerin, Beschluss vom 17. März 2015 – 3 B 687/15 As –, juris, Rn. 9.
11Anderes folgt im vorliegenden Fall auch nicht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EUGH) zum harmless error principle. Danach führen wesentliche Verfahrensfehler (vgl. Artikel 263 Absatz 2 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union [AEUV]) zur Aufhebung der entsprechenden Verwaltungsentscheidung, wenn sie geeignet sind, sich auf die inhaltliche Entscheidung auszuwirken und deshalb ein Kausalzusammenhang zwischen dem Fehler und der Verwaltungsentscheidung besteht.
12Vgl. ausführlich zum Verhältnis von §§ 45, 46 VwVfG zu den vom EuGH entwickelten Verfahrensprinzipien, Kahl, VerwArch 95 (2004), 1 (22 ff.) m. umfassenden Nachweisen; ferner Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 46 Rn. 85a m. § 45 Rn. 158 ff.; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 13. Aufl. 2012, § 46 Rn. 5a je m.w.N.
13Aus einer fehlenden oder unzureichenden Information zum Verfahren nach der Dublin III-VO kann nicht zwingend geschlossen werden, dass der Fehler für die spätere Entscheidung kausal gewesen ist. Das Informationsrecht nach Artikel 4 Dublin III-VO zielt darauf ab, die Antragsteller über ihre Rechte zu informieren, damit sie diese wahren können. Der maßgebende Sachverhalt wird aber erst in der persönlichen Anhörung nach Artikel 5 Dublin III-VO bzw. § 25 AsylVfG geklärt, worauf auch Artikel 4 Absatz 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO verweist.
14VG Schwerin, Beschluss vom 17. März 2015 – 3 B 687/15 As –, juris, Rn. 11.
153. Schließlich ist der streitgegenständliche Bescheid auch nicht aufgrund einer unzureichenden Begründung rechtswidrig. Gemäß § 31 Absatz 1 Satz 2 AsylVfG sind Entscheidungen des Bundesamtes über Asylanträge schriftlich zu begründen. In der Begründung sind gemäß § 39 Absatz 1 Satz 2 VwVfG die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Diesen Anforderungen genügt die Begründung des angegriffenen Bescheides. Die Antragsgegnerin ist auf alle für ihre Entscheidung maßgeblichen Gründe eingegangen. In dem letzten Absatz von Ziffer 1 des Bescheides gibt die Antragsgegnerin die in Artikel 29 Dublin III-VO enthaltene Regelung zur Überstellungsfrist wieder. Der Beginn und das voraussichtliche Ende der Überstellungsfrist lassen sich daher ohne Weiteres aus der Mitteilung des Zeitpunkts, in dem die ungarischen Behörden das Übernahmeersuchen angenommen haben, bestimmen. Ob die Überstellungsfrist regulär nach sechs Monaten endet, oder ob sich die Überstellungsfrist nach Artikel 29 Absatz 2 Satz 2 Dublin III-VO auf ein Jahr bzw. achtzehn Monate verlängert, steht im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung ohnehin noch nicht fest.
16II. Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Das Bundesamt hat den Asylantrag der Antragsteller zu Recht als unzulässig abgelehnt, weil Ungarn für dessen Prüfung zuständig ist. Gemäß § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. In einem solchen Fall prüft die Antragsgegnerin den Asylantrag nicht, sondern ordnet die Abschiebung in den zuständigen Staat an (§ 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG).
17Die Antragsgegnerin ist zutreffend davon ausgegangen, dass Ungarn grundsätzlich der für die Durchführung des Asylverfahrens der Antragsteller zuständige Mitgliedstaat ist (1.). Auch steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Überstellung der Antragsteller nach Ungarn durchgeführt werden kann; das ungarische Asylverfahren insbesondere nicht an systemischen Mängeln leidet und auch keine Abschiebungshindernisse vorliegen (2.).
181. Nach den Vorschriften der Dublin III-VO ist Ungarn der zuständige Staat für die Prüfung dieser Asylanträge.
19Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat gemäß Artikel 13 Absatz 1 Dublin III-VO für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Antragsteller haben sich ausweislich der Abfrage des Bundesamtes in der Eurodac-Datenbank vom 6. Februar 2015 vor ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland in Ungarn aufgehalten. Auf das Übernahmeersuchen der Bundesrepublik Deutschland vom 12. Februar 2015 erklärten die ungarischen Behörden unter dem 18. März 2015, und damit innerhalb der nach Artikel 25 Absatz 1 Satz 2 Dublin III-VO im Falle eines Eurodac-Treffers maßgeblichen Frist von 2 Wochen nach Stellung des Wiederaufnahmeersuchens, die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens der Antragsteller und sich zu ihrer Wiederaufnahme bereit. Ungarn ist daher gemäß Artikel 29 Absatz 1 Unterabsatz 1 Dublin III-VO grundsätzlich verpflichtet, die Antragsteller innerhalb einer Frist von sechs Monaten, nachdem es die Wiederaufnahme akzeptiert hat, bzw. innerhalb von sechs Monaten nach der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, wieder aufzunehmen. Diese Frist ist noch nicht abgelaufen.
20Lediglich vorsorglich weist das Gericht darauf hin, dass sich die Antragsteller auf einen etwaigen Verstoß gegen diese Fristenregelung auch nicht berufen könnten, da die Vorschrift ihnen kein subjektives Recht einräumt.
21Vgl. hierzu ausführlich Verwaltungsgericht Düsseldorf, Kammerurteil vom 12. September 2014– 13 K 8286/13.A –, juris.
22Den Antragsteller bleibt es unbenommen, sich freiwillig bei den zuständigen Behörden in Italien zu melden und hierdurch selbst das Verfahren zu beschleunigen. Dies betreffend regelt Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, die ausweislich der der Dublin III-VO vorangestellten Erwägungen (Nr. 24) entsprechend anwendbar ist, dass die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat auch auf Initiative des Asylbewerbers erfolgen kann.
23Vgl. hierzu Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand: 98. Ergänzungslieferung, November 2013, § 27a, Rn. 231 m.w.N.
24Hat es der Asylbewerber folglich selbst in der Hand, wann die Überstellung erfolgt und dass sie überhaupt erfolgt, kann er mithin selbst zu der von ihm gewünschten Beschleunigung beitragen, verbietet schon der allgemeine – aus dem Gebot von Treu und Glauben nach § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) abgeleitete – Grundsatz des Verbots widersprüchlichen Verhaltens („venire contra factum proprium“), sich auf eine verspätete Überstellung seitens der Bundesrepublik Deutschland zu berufen.
252. Es liegen auch keine Gründe vor, die trotz der genannten Zuständigkeit Ungarns eine Verpflichtung der Antragsgegnerin begründen könnten, vom Selbsteintrittsrecht nach Artikel 17 Absatz 1 Dublin III-VO Gebrauch zu machen oder es ausschließen würden, die Antragsteller nach Ungarn abzuschieben.
26Ein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Artikel 17 Absatz 1 Dublin III-VO durch die Bundesrepublik Deutschland besteht ohnehin nicht. Die Dublin‑Verordnungen sehen ein nach objektiven Kriterien ausgerichtetes Verfahren der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten vor. Sie sind im Grundsatz nicht darauf ausgerichtet, Ansprüche von Asylbewerbern gegen einen Mitgliedstaat auf Durchführung eines Asylverfahrens durch ihn zu begründen. Ausnahmen bestehen allenfalls bei einzelnen, eindeutig subjektiv-rechtlich ausgestalteten Zuständigkeitstatbeständen (vgl. etwa Artikel 9 Dublin III-VO zugunsten von Familienangehörigen). Die Zuständigkeitsvorschriften der Dublin III-VO begründen zum Zwecke der sachgerechten Verteilung der Asylbewerber vor allem subjektive Rechte der Mitgliedstaaten untereinander. Die Unmöglichkeit der Überstellung eines Asylbewerbers an einen bestimmten Staat hindert daher nur die Überstellung dorthin; sie begründet kein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts gegenüber der Antragsgegnerin,
27vgl. Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 –, juris, Rn. 60, 62 und Urteil vom 14. November 2013 – C 4/11 –, juris, Rn. 37; Schlussanträge des GA Jääskinnen vom 18. April 2013 – C 4/11 –, juris, Rn. 57 f.; Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, juris, Rn. 7.
28Die Antragsgegnerin ist aber auch nicht – unabhängig von der Frage der Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Artikel 17 Absatz 1 Dublin III-VO zugunsten der Antragsteller – gehindert, diese nach Ungarn zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta) mit sich bringen (vgl. Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO). Die Voraussetzungen, unter denen das nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs,
29EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, S. 413,
30der Fall wäre, liegen nicht vor.
31Vgl. Verwaltungsgericht Düsseldorf, Kammerurteil vom 20. März 2015 – 13 K 501/14.A und 13 K 445/14.A –, zur Veröffentlichung bei juris und www.nrwe.de vorgesehen.
32Systemische Mängel in diesem Sinne können erst angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. Artikel 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) entsprechenden Gravität nicht nur in Einzelfällen, sondern strukturell bedingt, eben systemisch vorliegen. Diese müssen dabei aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein. In der Diktion des Europäischen Gerichtshofs dürfen diese systemischen Mängel dem überstellenden Mitgliedstaat nicht unbekannt sein können,
33EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 94.
34Die im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem grundsätzlich bestehende Vermutung, dass jeder Mitgliedstaat ein sicherer Drittstaat ist und die Grundrechte von Asylbewerbern einschließlich des Refoulement-Verbots hinreichend achtet, ist nicht unwiderleglich. Vielmehr hat eine Überstellung in einen Mitgliedstaat zu unterbleiben, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta implizieren,
35EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 86.
36Eine Widerlegung der Vermutung ist aber wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Das Gericht muss sich vielmehr die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Absatz 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird.
37Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, juris, Rn. 6 m.w.N.
38Bei der Bewertung der in Ungarn anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind dabei vorliegend diejenigen Umstände heranzuziehen, die auf die Situation der Antragsteller zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen oder tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Antragstellers auswirken (können),
39vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12 –, juris, Rn. 130.
40Damit ist vorliegend in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehren zu betrachten, die wie die Antragsteller vor der Ausreise aus Ungarn dort noch keinen ersten Asylantrag gestellt haben.
41Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in dem zuständigen Mitgliedstaat sind nach der Rechtsprechung des EuGH im Übrigen die regelmäßigen und übereinstimmenden Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen, Berichte der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems und Berichte des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort,
42vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C 411/10 et. al. –, juris, Rn. 90 ff.
43Letzteren Informationen kommt bei der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem nach der Dublin II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat besondere Relevanz zu. Dies entspricht der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, wobei letztere bei der Auslegung der unionsrechtlichen Asylvorschriften zu beachten ist,
44vgl. EuGH, Urteil vom 30. Mai 2013 – C 528/11 –, juris, Rn. 44.
45Für die Frage, ob in Ungarn „systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber“ im Sinne der zitierten Rechtsprechung vorliegen, kommen dabei allerdings vorliegend von vorne herein nur solche Auskünfte und Berichte der genannten Organisationen in Betracht, die sich mit der Sach- und Rechtslage in Ungarn seit dem 1. Juli 2013 befassen. Für den Zeitraum bis zum 30. Juni 2013, insbesondere ab dem 1. Januar 2013, ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte davon auszugehen, dass die in den Jahren bis 2012 festgestellten Mängel des ungarischen Asylsystems und der Aufnahmebedingungen durch zwischenzeitliche weitreichende tatsächliche und rechtliche Verbesserungen, insbesondere die vorübergehende Abschaffung der Inhaftierungsmöglichkeiten für Asylbewerber mit Wirkung zum 1. Januar 2013, entfallen sind,
46vgl. EGMR, Urteil vom 6. Juni 2013 – 2283/12 –, juris, Rn. 105, Mohammed gegen Österreich, in Auszügen veröffentlicht unter asyl.net.
47Zum 1. Juli 2013 wurde das Asylsystem Ungarns allerdings erneut verändert. Insbesondere wurden erneut umfassende Gründe für die Inhaftierung von Asylbewerbern, sog. asylum detention – eine durch die für das Asylverfahren zuständige Behörde angeordnete Verwaltungshaft – in das Asylrecht aufgenommen.
48Der EGMR, dessen Rechtsprechung auf der Ebene des (nationalen) Verfassungsrechts als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes dienen kann,
49vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 14. Oktober 2004 – 2 BvR 1481/04 –, juris, Rn. 32,
50und dessen Rechtsprechung maßgeblich für die Auslegung der Menschenrechte der EMRK ist, hat mit Urteil vom 3. Juli 2014 das Vorliegen systemischer Mängel in Ungarn unter Berücksichtigung der veränderten Rechtslage verneint. Zur Begründung führte er aus:
51„The country reports showed that there is still a practice of detaining asylum-seekers, and that so-called asylum detention is also applicable to Dublin returnees. The grounds for detention are vaguely formulated, and there is no legal remedy against asylum detention. However, the reports also showed that there is no systematic detention of asylum-seekers anymore, and that alternatives to detention are now provided for by law. The maximum period of detention has been limited to six months. Turning to the conditions of detention, it is noted that while there are still reports of shortcomings in the detention system, from an overall view there seem to have been improvements.
52Moreover, the Court notes that the UNHCR never issued a position paper requesting EU member States to refrain from transferring asylum‑seekers to Hungary under the Dublin II or Dublin III Regulation (compare the situation relating to Greece discussed in M.S.S. v. Belgium and Greece, cited above, § 195, and the UNHCR recommendation of 2 January 2013 to halt transfers to Bulgaria).
53Under those circumstances and as regards the possible detention of the applicant and the related complaints, the Court concludes that in view of the recent reports cited above, the applicant would currently not be at a real and individual risk of being subjected to treatment in violation of Article 3 of the Convention upon a transfer to Hungary under the Dublin Regulation.”
54EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014 – 71932/12 –, Mohammadi gegen Österreich, Rn. 68 bis 70.
55Soweit der EGMR mit Urteil vom 10. März 2015 (14097/12, 45135/12, 73712/12, 34001/13, 44055/13, 64586/13) Ungarn wegen der Überfüllung seiner Gefängnisse zu einer Zahlung von Schadenersatz in Höhe von 3.400 bis 26.000 Euro verurteilt hat, weicht er nicht von seiner vorstehend genannten Entscheidung ab. Denn der EGMR hat sich in dieser Entscheidung mit den Haftbedingungen in Strafhaftanstalten beschäftigt. Hingegen erfolgt die Inhaftierung von Asylbewerbern – wie noch weiter ausgeführt werden wird – in getrennten Haftanstalten, in denen keine vergleichbaren Verhältnisse herrschen.
56Auch das erkennende Gericht vermag nach Auswertung der im vorliegenden Verfahren eingeholten aktuellen Auskünfte des UNHCR, des Auswärtigen Amtes und von Pro Asyl ‑ welche dem EGMR bei seiner Entscheidung nicht vorlagen – nicht festzustellen, dass die Antragsteller Gefahr liefen, nach ihrer Rücküberstellung nach Ungarn einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. im Sinne von Artikel 3 EMRK zu unterfallen. Dies ergibt sich aus folgenden rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen:
57Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. Artikel 3 EMRK normieren das Verbot der Folter und unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung. Eine Behandlung ist „unmenschlich”, wenn sie vorsätzlich und ohne Unterbrechung über Stunden zugefügt wurde und entweder körperliche Verletzungen oder intensives physisches oder psychisches Leid verursacht hat. „Erniedrigend” ist eine Behandlung, wenn sie eine Person demütigt oder erniedrigt, es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt oder sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt, geeignet, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen. Es kann ausreichen, dass ein Opfer in seinen Augen erniedrigt ist, auch wenn andere das nicht so sehen. Ob Zweck der Behandlung war, das Opfer zu erniedrigen oder zu demütigen, ist zu berücksichtigen, aber auch wenn das nicht gewollt war, schließt das die Feststellung einer Verletzung von Artikel 3 EMRK nicht zwingend aus.
58EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413, Rn. 220 m.w.N.
59Eine Behandlung in diesem Sinne kann nach den Ergebnissen der Beweisaufnahme zumindest nicht positiv festgestellt werden.
60Zwar hat sich nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen bestätigt, dass Dublin-Rückkehrer flächendeckend – so der UNHCR – bzw. regelmäßig – so Pro Asyl – inhaftiert werden.
61Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 3, Seite 2; Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 3 b), Seite.
62Indes begründet die Tatsache, dass das ungarische Asylrecht seit der erneuten Rechtsänderung zum 1. Juli 2013 – wieder – Inhaftierungsgründe für Asylbewerber enthält und Ungarn auf dieser Grundlage praktisch alle Dublin-Rückkehr – so der UNHCR – bzw. regelmäßig, allerdings nicht sämtliche Dublin-Rückkehrer – so Pro Asyl – inhaftiert, für sich genommen noch keinen begründeten Anhaltspunkt für das Vorliegen systemischer Mängel des Asylsystems. Vielmehr verpflichtet Artikel 3 EMRK die Mitgliedstaaten, sich zu vergewissern, dass die Bedingungen der Haft mit der Achtung der Menschenwürde vereinbar sind und dass Art und Methode des Vollzugs der Maßnahme den Gefangenen nicht Leid oder Härten unterwirft, die das mit einer Haft unvermeidbar verbundene Maß an Leiden übersteigt, und dass seine Gesundheit und sein Wohlbefinden unter Berücksichtigung der praktischen Bedürfnisse der Haft angemessen sichergestellt sind.
63Vgl. EGMR, Urteile vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, juris, Rn. 221, und 15. Juli 2002 – 47095/99 –, Rn. 95.
64Die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (AufnahmeRL), enthält für die Inhaftierung von Asylbewerbern Mindeststandards, zu denen auch die Benennung von Haftgründen gehört. Anhaltspunkte dafür, dass diese Mindeststandards ihrerseits nicht genügen, um die Asylbewerber vor einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung zu schützen, liegen dem Gericht nicht vor. Danach darf Haft nicht allein deswegen angeordnet werden, weil der Betroffene einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes gestellt hat, sondern nur in Ausnahmefällen, insbesondere zur Überprüfung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit, im Falle notwendiger Beweissicherung, insbesondere bei Fluchtgefahr, zur Prüfung des Einreiserechts, zur Durch- oder Fortführung eines Abschiebeverfahrens, wenn die Gefahr der Verzögerung oder der Vereitelung durch den Betroffenen besteht und bei Gefahr für die nationale Sicherheit und Ordnung (Artikel 8 Absatz 1 und 3 AufnahmeRL). Die Inhaftierung darf nur für den kürzest möglichen Zeitraum und nur so lange, wie die Gründe gemäß Artikel 8 Absatz 3 bestehen, angeordnet werden (Artikel 9 Absatz 1 Satz 1 AufnahmeRL). Die Haftanordnung ist zu begründen (Artikel 9 Absatz 2 AufnahmeRL); bei einer Anordnung durch eine Verwaltungsbehörde ist eine zügige Überprüfung durch ein Gericht herbeizuführen (Artikel 9 Absatz 3 AufnahmeRL). In diesem Fall soll dem Betroffenen unentgeltlicher Rechtsbeistand zur Verfügung stehen (Artikel 9 Absatz 6 AufnahmeRL). Auch im Übrigen ist eine turnusmäßige Haftüberprüfung von Amts wegen vorzusehen (Artikel 9 Absatz 5 AufnahmeRL). Die Schutzsuchenden sind in speziellen Hafteinrichtungen unterzubringen, auf jeden Fall aber getrennt von gewöhnlichen Strafgefangenen (Artikel 10 Absatz 1 AufnahmeRL). Die Inhaftierung von besonders schutzbedürftigen Personen ist nur im Ausnahmefall und unter weiteren sehr eingeschränkten Bedingungen zulässig (Artikel 11 AufnahmeRL).
65Dahingestellt bleiben kann, wann ein Verstoß gegen diese Mindeststandards die Annahme systemischer Mängel indiziert, da die gesetzlichen Regelungen Ungarns zur Inhaftierung von Asylbewerbern (Act LXXX of 2007 on Asylum, im Folgenden: Asylum Act Hungary) den vorstehend genannten Vorgaben im Wesentlichen gerecht werden:
66Gemäß § 31/B Absatz 1 Asylum Act Hungary darf eine Inhaftierung nicht alleine deswegen erfolgen, weil die Antragsteller einen Asylantrag gestellt haben. Die in § 31/A Absatz 1 Asylum Act Hungary genannten Haftgründe entsprechen ganz überwiegend denen des Artikel 8 Absatz 3 der AufnahmeRL; insbesondere wird auch die Fluchtgefahr als ein Haftgrund genannt (Buchstabe c). Dabei darf entsprechend den Vorgaben der AufnahmeRL nach § 31/A Absatz 3 des ungarischen Gesetzes eine Inhaftierung nur aufgrund einer individuellen Ermessensentscheidung erfolgen und nur, wenn nicht durch andere Maßnahmen sichergestellt werden kann, dass der Asylbewerber sich dem Asylverfahren nicht entzieht. Unbegleitete Minderjährige dürfen gemäß § 31/B Absatz 2 Asylum Act Hungary nicht inhaftiert werden; Familien mit Minderjährigen dürfen nur ultima ratio inhaftiert werden, wobei das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen ist. Gemäß § 31/A Absatz 10 Asylum Act Hungary soll Asylhaft nur in speziellen Einrichtungen vollzogen werden. Dabei soll die Inhaftierung von Männern und Frauen sowie Familien mit Minderjährigen jeweils getrennt erfolgen (§ 31/F Absatz 1 Asylum Act Hungary). Die zulässige Höchstdauer von Asylhaft regelt § 31/A Absatz 7 Asylum Act Hungary. Danach soll die Haft maximal sechs Monate dauern; bei Familien mit Kindern nicht länger als 30 Tage. Gemäß § 31/A Absatz 6 Asylum Act Hungary kann die Flüchtlingsbehörde innerhalb von 24 Stunden seit der Haftanordnung die Verlängerung der Inhaftierung auf mehr als 72 Stunden bei dem örtlich zuständigen Amtsgericht beantragen. Das Gericht kann die Haftdauer sodann auf höchstens 60 Tage verlängern. Eine Verlängerung auf weitere 60 Tage ist nach einem erneuten Antrag der Flüchtlingsbehörde durch das zuständige Amtsgericht möglich. Hieraus folgt, dass eine Überprüfung der Inhaftierung von Amts wegen nach 72 Stunden und anschließend nach 60 Tagen erfolgt. Darüber hinaus besteht gemäß § 31/C Absatz 3 Asylum Act Hungary die Möglichkeit gegen die Inhaftierung Einspruch einzulegen. Gemäß § 31/E Absatz 1 Asylum Act Hungary sollen inhaftierte Asylbewerber über ihre Rechte und Pflichten in ihrer Muttersprache oder einer anderen Sprache, die sie verstehen können, informiert werden. Gemäß § 31/D Absatz 4 Asylum Act Hungary soll das Gericht einen Vormund bestellen, wenn der Asylbewerber kein ungarisch spricht und nicht in der Lage ist seine Vertretung durch einen Bevollmächtigten sicherzustellen. § 31/A Absatz 8 Asylum Act Hungary zählt schließlich auf, in welchen Fällen die Inhaftierung unverzüglich zu beenden ist. Danach endet die Haft unter anderem, wenn der Haftgrund entfallen ist.
67Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass die ungarischen Behörden diese Vorgaben bei ihrer Entscheidung über die Inhaftierung von Asylbewerbern – speziell Dublin-Rückkehrern – nicht nur in Einzelfällen, sondern systemisch nicht beachten und sich hieraus eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im oben genannten Sinne ergibt, liegen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht vor.
68Das Gericht hat im Rahmen der Beweisaufnahme unter anderem danach gefragt, auf welche konkreten Haftgründe die Inhaftierungen seit dem 1. Juli 2013 gestützt werden (Frage 4).
69Pro Asyl gab an, dass laut dem Hungarian Helsinki Committee (HHC) in der Praxis vor allem der Haftgrund „risk of absconding“ (c) bzw. der Haftgrund „risk of absconding“ in Verbindung mit „establishment of identiy“ (a) Anwendung finde. Weiterhin würden Inhaftierungen auf dem Haftgrund „previous absconding“ (b) basieren.
70Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 4, Seite 3.
71Bei diesen Haftgründen, welche dazu dienen, einer bestehende Fluchtgefahr zu begegnen oder die Identität des Asylbewerbers festzustellen, handelt es sich um Haftgründe, die den in Artikel 8 Absatz 3 AufnahmeRL genannten entsprechen. Allerdings hat Pro Asyl im Rahmen der Beantwortung von Frage 9 unter Bezugnahme auf die Ausführungen des HHC angegeben, dass in der Mehrheit der Haftanordnungen weiterhin auf Gründe verwiesen werde, die nicht unter die im „Asylum Act“ definierten Haftgründe fallen würden. Das HHC führt diesbezüglich auf Seite 6 der „INFORMATION NOTE ON ASYLUM-SEEKERS IN DETENTION AND IN DUBLIN PROCEDURES IN HUNGARY“ von Mai 2014 aus, dass viele Entscheidungen verschiedene Umstände und Gründe benennen würden, die oftmals über die zulässigen Haftgründe nach dem Asylum Act Hungary hinausgingen. Beispielsweise genannt werden der unrechtmäßige Aufenthalt, die Einreise auf irreguläre Weise, das Fehlen ausreichender finanzieller Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts und das Fehlen von Verbindungen nach Ungarn. Dahingestellt bleiben kann, inwieweit die vorstehend genannten Beispiele unter einen der in Artikel 8 Absatz 3 AufnahmeRL bzw. § 31/A Absatz 1 Asylum Act Hungary genannten Haftgründe subsumiert werden können. Zunächst liegen dem Gericht keine Erkenntnisse vor, wonach diese Haftgründe auch bei Dublin-Rückkehrern angewandt werden. Sodann bestehen nach dem oben Ausgeführten tragfähige Anhaltspunkte, die die häufige Heranziehung des auch in der AufnahmeRL aufgeführten Haftgrundes der Fluchtgefahr belegen. Schließlich lässt sich jedenfalls nicht allein aus einer etwaigen europarechtswidrigen Annahme eines Haftgrundes ohne weiteres auf das Vorliegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 3 EMRK bzw. Artikel 4 EU-GR-Charta schließen. Entscheidend ist vielmehr, dass das ungarische Recht den Asylbewerbern in solchen Fällen ermöglicht, sich gegen eine unrechtmäßige Inhaftierung zu wehren.
72Zwar gibt es gemäß § 31/C Absatz 2 Asylum Act Hungary keine individuellen Rechtsmittel, sondern gemäß Absatz 3 nur die Möglichkeit eines Einspruchs („objection“), gegen die Haftanordnung.
73Vgl auch Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 11, Seite 9 und Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 11, Seite 7.
74Dahingestellt bleiben kann, inwieweit dieser Rechtsbehelf hinreichenden Rechtschutz zu gewähren vermag. Denn die Asylbewerber haben jedenfalls die Möglichkeit, die Rechtswidrigkeit ihrer Inhaftierung im Rahmen der von Amts wegen erfolgenden Überprüfung nach 72 Stunden bzw. 60 Tagen vor dem Amtsgericht geltend zu machen. Anhaltspunkte dafür, dass diese Fristregelungen gegen Artikel 9 Absatz 3 AufnahmeRL ‑ der seinerseits keine konkreten Fristvorgaben enthält – verstoßen und/oder diese Vorgaben in der Praxis nicht umgesetzt werden, sind nicht ersichtlich. Ebenso wenig steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die vorgeschriebenen gerichtlichen Haftüberprüfungen nicht geeignet sind, den Asylbewerbern effektiven Rechtschutz zu gewähren. Zwar kritisieren Pro Asyl und der UNHCR, dass es in der Praxis so gut wie nie zu einer Entlassung komme.
75Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 11, Seite 10 und Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 11, Seite 7.
76Zum einen konnte keine der drei befragten Organisationen verlässliche Auskünfte zu der Frage, wie viele der nach dem 1. Juli 2013 erlassenen Anordnungen von Asylhaft aufgrund der bestehenden Rechtschutzmöglichkeiten tatsächlich aufgehoben worden sind, geben.
77Vgl. die Antworten des Auswärtigen Amtes, UNHCR und von Pro Asyl zu Frage 12 des Beweisbeschlusses.
78Zum anderen ließe sich allein aus einer geringen Erfolgsquote der Rechtsbehelfe auch nicht ohne weiteres darauf schließen, dass die ungarischen Gerichte keinen effektiven Rechtschutz gewährleisten. Dass derartige Haftprüfungsanträge durch die Gerichte angeblich mit schematisierten Entscheidungen abgelehnt werden und die Verhandlungen nur wenige Minuten dauern, muss nicht bedeuten, dass diese Rechtsbehelfe nicht individuell geprüft würden. Vielmehr kann in Haftsachen, die Massenverfahren darstellen, aus Gründen der Vereinfachung auch eine individuelle richterliche Überprüfung zu einer schematisierten Begründung führen, wenn das Gericht keine besonders begründungsbedürftigen Umstände des Einzelfalles angenommen hat, ohne dass grundlegende rechtsstaatliche Garantien verletzt wären; die Annahme von (fortbestehender) Fluchtgefahr bei Personen, die sich dem Asylverfahren bereits in der Vergangenheit entzogen haben, erscheint dem erkennenden Gericht zumindest nicht unvertretbar.
79Vgl. Verwaltungsgericht Würzburg, Urteil vom 23. September 2014 – W 1 K 14.50050 –, juris, Rn. 37.
80Gleichfalls steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Inhaftierung von Dublin-Rückkehrern in der Praxis entgegen den Vorgaben des Artikel 8 Absatz 2 AufnahmeRL und § 31/A Absatz 2 Asylum Act Hungary erfolgt. Danach dürfen die Mitgliedstaaten in Fällen, in denen es erforderlich ist, auf der Grundlage einer Einzelfallprüfung den Antragsteller in Haft nehmen, wenn sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen.
81Zwar spricht vieles dafür, dass die Haftanordnung regelmäßig schematisch erfolgt und eine auf den konkreten Einzelfall bezogene Argumentation unter Abwägung der Rechts- bzw. Verhältnismäßigkeit in der Regel nicht stattfindet.
82Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 9, Seite 8.
83Indes lässt sich daraus bereits nicht ableiten, dass eine Einzelfallprüfung auch tatsächlich nicht stattgefunden hat. Vielmehr erscheint es dem Gericht nachvollziehbar, dass die Haftanordnungen größtenteils inhaltlich identisch aussehen und von einer individuellen Begründung absehen, da die Haftanordnung bei Dublin Rückkehrern regelmäßig auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützt wird. Vor dem Hintergrund, dass die Dublin-Rückkehr bereits einmal aus Ungarn geflohen sind, erscheint diese Annahme auch nicht willkürlich (s.o.).
84Ungeachtet dessen widerlegt die Tatsache, dass es auch Fälle gibt, in denen die Haftanordnung auch individuelle Einzelheiten berücksichtigt,
85vgl. HHC “INFORMATION NOTE ON ASYLUM-SEEKERS IN DETENTION AND IN DUBLIN PROCEDURES IN HUNGARY“, Seite 6,
86die Annahme der fehlenden individuellen Einzelfallprüfung. Auch spricht für die Durchführung einer Einzelfallprüfung, dass Familien und besonders schutzbedürftige Personen in der Regel nicht inhaftiert werden, obwohl die Inhaftierung dieser Personengruppen ebenfalls rechtlich möglich wäre.
87Vgl. Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 6, Seite 6.
88Zudem wird zumindest auch in vereinzelten Fällen von den im ungarischen Recht vorgesehenen Haftalternativen Gebrauch gemacht. Laut dem HHC sei in 13 der 107 untersuchten Haftentscheidungen begründet worden, warum nicht auf Haftalternativen zurückgegriffen worden sei. Im Zeitraum vom 1. Juli 2013 bis zum 17. April 2014 sei in 32 Fällen eine Kaution angeordnet worden. Die Betroffenen seien vorab gefragt worden, ob sie Geld besäßen bzw. jemand Geld schicken könne.
89Vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 10, Seite 9; dem UNHCR liegen hierzu keine Informationen vor.
90Daraus geht hervor, dass die gesetzlich vorgesehenen Haftalternativen in der Praxis – wenn auch nur in Ausnahmefällen – tatsächlich angewendet werden. Dass die Anzahl von Fällen, in denen eine Kaution angeordnet wurde gering ausfällt überrascht das Gericht nicht, da Flüchtlinge in der Regel nicht über entsprechende finanzielle Mittel verfügen werden, um eine Kaution in Höhe von 962,00 und 2.000,00 Euro bezahlen zu können.
91Vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 10, Seite 9.
92Unter Berücksichtigung der Funktion einer Kaution als eine Sicherheitsleistung, welche nur bei einer gewissen – für den Betroffenen spürbaren – Höhe erfüllt werden kann, bestehen keine Bedenken gegen die geforderte Höhe. Auch spricht der Umstand, dass die Höhe der geforderten Kaution variiert, dafür, dass die Höhe der Kaution im jeweiligen Einzelfall entsprechend der wirtschaftlichen Verhältnisse des Inhaftierten festgesetzt wird.
93Aus den vorstehenden Ausführungen folgt überdies, dass die Haftanordnung in Übereinstimmung mit Artikel 9 Absatz 2 AufnahmeRL schriftlich unter Angabe der sachlichen und rechtlichen Gründe für die Haft, die letztlich eine Überprüfbarkeit gewährleisten, ergeht. Diese werden den Asylsuchenden auch verbal übersetzt.
94Vgl. Auskunft Pro Asyl an das Verwaltungsgericht München vom 30. Oktober 2014 zu Frage 1.
95Damit wird dem durch Artikel 5 Absatz 2 EMRK gewährleisteten Recht eines jeden Festgenommenen auf Unterrichtung hinreichend entsprochen. Eine mündliche Unterrichtung genügt insoweit.
96Vgl. Dörr, in: Grote/Marahun, EMRK/GG, S. 574, Rn. 36.
97Auch aus den Erkenntnissen des Gerichts zur Haftdauer lässt sich keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung von Dublin-Rückkehrern ableiten. Vielmehr steht die Rechtslage und tatsächlich gelebte Praxis in Ungarn auch insoweit in Einklang mit den europarechtlichen Vorgaben. Laut Auskunft von Pro Asyl beobachtete das HHC in der Vergangenheit, dass die maximale Haftdauer von sechs Monaten in vielen Fällen ausgeschöpft worden sei. Seit Kurzem würden inhaftierte Asylsuchende aus der Asylhaft entlassen, sobald das OIN im „in-merit procedure“ über das Asylgesuch entschieden hat und zwar auch dann, wenn diese Entscheidung negativ ausgefallen sei und der Betroffene Rechtmitte eingelegt habe. Demgegenüber ist nicht ersichtlich, dass die Höchstgrenze der zulässigen Haftdauer überschritten wird.
98vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 2 Buchstabe, Seite 2.
99Es erscheint zumindest nicht unvertretbar, bei Dublin-Rückkehrern anzunehmen, dass der Haftgrund der Fluchtgefahr – bis zu einer Entscheidung über das Asylbegehren bzw. unter Umständen auch nach einer ablehnenden Entscheidung – fortlaufend gegeben ist.
100Vgl. Verwaltungsgericht Stade, Beschluss vom 14. Juli 2014 – 1 B 862/14 –, juris, Rn. 15.
101Hinzu kommt, dass die Inhaftierung von Amts wegen alle 60 Tage überprüft wird (s.o.), die Asylbewerber mithin die Möglichkeit haben, ihre Inhaftierung auf die fortbestehende Rechtmäßigkeit hin überprüfen zu lassen.
102Schließlich kann das Gericht den aktuellen Auskünften nicht entnehmen, dass die konkreten Haftbedingungen in Ungarn systemisch eine unmenschliche, erniedrigende Behandlung der Dublin-Rückkehrer darstellen.
103Hinsichtlich der Haftbedingungen in den Asylhaftanstalten liegen dem Gericht im Wesentlichen die folgenden Erkenntnisse vor:
104Die Asylhafteinrichtungen seien nicht überbelegt. Die gesetzliche Mindestvorgabe von 5 m² pro Person werde in allen Einrichtungen gewahrt. Asylbewerber könnten sich innerhalb der Hafteinrichtungen zwischen 6 und 23 Uhr frei bewegen. Außerhalb der Einrichtungen, auf dem Weg zum Krankenhaus oder zum Gericht, würden die Asylbewerber hingegen an einer Leine geführt. Zur Freizeitgestaltung gebe es in den Hafteinrichtungen Computerräume mit Internetzugang, Fitnessräume und Gemeinschaftsräume, in denen ein Fernseher stehe. Bezüglich der hygienischen Verhältnisse in den Asylhafteinrichtungen lägen Mängel vor. In Békéscaba hätten einige der Toiletten keine Türen gehabt und einige Wasserhähne würden nicht funktionieren, weshalb der Zugang zu warmen Wasser nicht immer gewährleistet sei. In Nyírbátor habe eine unzureichende Versorgung mit Putzutensilien und Reinigungsmitteln zur Reinigung der Toiletten und Duschen stattgefunden. Der Waschraum im ersten Stock sei permanent dreckig gewesen und würde stinken. Auch sei das Wasser von mangelhafter Qualität gewesen, was zu Hautausschlägen geführt habe. In Debrecen seien Duschen im zweiten Stock häufig verstopft und daher unbenutzbar gewesen. Eine Versorgung mit Lebensmitteln erfolge entsprechend einer Verordnung des Innenministeriums. Religiöse und medizinische Besonderheiten würden in der Regel berücksichtigt. Kritisiert werde aber die schlechte Qualität des Essens. Eine medizinische Grundversorgung werde gewährleistet, auch wenn diese oft als unzureichend empfunden werde. Sanitäter bzw. Krankenschwestern seien permanent anwesend; Allgemeinmediziner würden die Einrichtungen zweitweise besuchen. In schwerwiegenden Fällen könne eine Zuweisung zu den Allgemein- oder Spezialeinrichtungen des Gesundheitssystems erfolgen. Die Kosten der Behandlung trage der ungarische Staat bzw. seine Gesundheitseinrichtung. In der Aufnahmeeinrichtung Békéscaba werde zudem psychologische Betreuung durch Spezialisten und Psychologen der D. Stiftung gewährt.
105Vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 5 b) bis f), Seite 3 ff.; Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 5 b) bis f), Seite 3 f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 19. November 2014 zu Frage 5 b) bis f), Seite 3 f.; HHC “INFORMATION NOTE ON ASYLUM-SEEKERS IN DETENTION AND IN DUBLIN PROCEDURES IN HUNGARY“, S. 15 ff.
106Obschon das Gericht nicht verkennt, dass Defizite in den Haftbedingungen bestehen, erreichen diese jedenfalls nicht das erforderliche Mindestmaß an Schwere, um von systemischen Mängeln in dem geschilderten Sinne ausgehen zu können. Die Beurteilung dieses Mindestmaßes ist relativ und hängt von allen Umständen des Einzelfalls ab, wie die Dauer der Behandlung und ihre physischen und psychischen Wirkungen und manchmal das Geschlecht, das Alter und der Gesundheitszustand des Opfers.
107Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – M.S. S./Belgien u. Griechenland, Rn. 219.
108Die vorstehend genannten hygienischen, medizinischen und sonstigen Mängel in den Asylhaftanstalten, insbesondere auch die Vorfälle, in denen Asylbewerber von „armed security guards“ misshandelt worden sind, sind zwar nicht zu vernachlässigen. Indes lässt sich daraus nicht ableiten, dass die inhaftierten Asylbewerber in Ungarn nicht nur vereinzelt sondern gerade systematisch einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterliegen. Vielmehr zeigt ein Vergleich mit der früheren Lage in Ungarn, dass zwischenzeitlich weitreichende tatsächliche und rechtliche Verbesserungen eingetreten sind.
109So auch EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014 – 71932/12 – Mohammadi gegen Österreich, Rn. 68.
110Soweit die Bedingungen in einzelnen Aufnahmeeinrichtungen noch verbesserungswürdig sind, ist darauf hinzuweisen, dass einzelne Missstände, die in bestimmten Aufnahmeeinrichtungen auftreten, das Asyl- und Aufnahmesystem nicht insgesamt tangieren. Auch der Umstand, dass sich die Situation in Ungarn deutlich schlechter darstellen mag als in der Bundesrepublik Deutschland, begründet für sich keinen systemischen Mangel.
111Vgl. EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014 – 71932/12 – Mohammadi gegen Österreich, Rn. 69; Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 30. Januar 2015 – 13 L 58/15.A –, juris, Rn. 43 m.w.N.
112Lediglich ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass der UNHCR – auch nach einer intensiven Auseinandersetzung mit der Inhaftierungspraxis Ungarns infolge der durch das Gericht veranlassten Beweisaufnahme – keine systemischen Mängel des Asylverfahrens oder Aufnahmebedingungen in Ungarn explizit festgestellt und keine generelle Empfehlung ausgesprochen hat, im Rahmen des Dublin-Verfahrens Asylbewerber nicht nach Ungarn zu überstellen. Dem Fehlen einer solchen generellen Empfehlung des UNHCR kommt insoweit besondere Bedeutung zu. Denn die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente sind im Rahmen der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in einem Mitgliedstaat angesichts der Rolle, die dem UNHCR durch die – bei der Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrensrechts zu beachtende – Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, besonders relevant.
113So auch Verwaltungsgericht Augsburg, Beschluss vom 26. Januar 2015 – Au 7 S 15.50015 –, juris, Rn. 31.
114Schließlich liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Dublin-Rückkehrer entgegen des Refoulement-Verbots ohne eine Entscheidung über ihren Asyl(folge)antrag in ihr Herkunftsland abgeschoben werden, wenn – wie vorliegend – noch kein Asylantrag in Ungarn gestellt worden ist. Diejenigen Antragsteller, die anlässlich ihres ersten Aufenthalts in Ungarn keinen Asylantrag gestellt haben werden im Rahmen der Einreisebefragung gefragt, ob sie das zuvor in einem Mitgliedstaat gestellte Asylbegehren in Ungarn fortführen wollen oder nicht. Sollte ersteres der Fall sein, wird entsprechend der nationalen Regelungen ein Asylverfahren initiiert und der Ausländer erhält ein Aufenthaltsrecht in Ungarn für die Dauer des Asylverfahrens. Andernfalls richtet sich die weitere Vorgehensweise nach sonstigen allgemeinen Regelungen.
115Vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht München vom 2. März 2015 zu Frage 2, Seite 3.
116Steht nach alldem nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass das ungarische Asylverfahren an systemischen Mängeln leidet, geht dieser Umstand – nach den Grundsätzen der materiellen Beweislast – zu Lasten der Antragsteller. Bereits aus dem eingangs dargestellten Erfordernis, dass sich das Gericht zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Absatz 1 Satz 1 VwGO) verschaffen muss, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird (S. 10),
117BVerwG, Beschluss vom 15. April 2014 – 10 B 16.14 –, juris, S. 5,
118folgt, dass es zu Lasten des Asylbewerbers geht, wenn das Gericht – wie vorliegend – nicht zu dieser Überzeugungsgewissheit gelangt. Gleiches ergibt sich auch aus der Diktion des EuGH, wonach ein Asylbewerber seiner Überstellung in den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht (Hervorhebung durch das Gericht), die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 der Charta ausgesetzt zu werden.
119Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 –, juris, Rn. 62.
120Gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nach § 34a Absatz 1 AsylVfG bestehen im Ergebnis daher keine Bedenken. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in den zuständigen Mitgliedsstaat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Das ist hier der Fall. Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Überprüfung liegen weder zielstaatsbezogene (a) noch in der Person der Antragsteller bestehende, also inlandsbezogene (b) Abschiebungshindernisse, vor.
121a) Ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis liegt bei den Antragstellern nicht vor.
122Ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis im Sinne des § 60a Absatz 2 Satz 1 AufenthG in Gestalt einer krankheitsbedingten Reiseunfähigkeit liegt vor, wenn krankheitsbedingt schon keine Transportfähigkeit besteht (Reiseunfähigkeit im engeren Sinne) oder wenn mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten ist, dass sich der Gesundheitszustand als unmittelbare Folge der Abschiebung erheblich verschlechtern wird (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne).
123Bei einer psychischen Erkrankung, wie sie hier bei den Antragstellern in Rede steht, kann vom Vorliegen eines inlandsbezogenen Vollstreckungshindernisses im genannten Sinn außer in Fällen einer Flugreise- bzw. Transportuntauglichkeit im engeren Sinne nur dann ausgegangen werden, wenn entweder im Rahmen einer Abschiebung die ernsthafte Gefahr einer Selbsttötung des Ausländers droht, der auch nicht durch ärztliche Hilfen oder in sonstiger Weise wirksam begegnet werden kann, oder wenn dem Ausländer unmittelbar durch die Abschiebung bzw. als unmittelbare Folge davon sonst konkret eine erhebliche und nachhaltige Verschlechterung des Gesundheitszustands droht, die allerdings – in Abgrenzung zu zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen – nicht wesentlich (erst) durch die Konfrontation des Betreffenden mit den Gegebenheiten im Zielstaat bewirkt werden darf. Ferner kann ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis aufgrund einer (auch psychischen) Erkrankung vorliegen, wenn dem Ausländer bei seiner Ankunft im Zielstaat eine Gefährdung im Sinne des oben aufgezeigten Maßstabs droht, weil es an einer erforderlichen, unmittelbar nach der Ankunft einsetzenden Versorgung und Betreuung fehlt.
124OVG NRW, Beschluss vom 29. November 2010 – 18 B 910/10 –, juris, Rn. 15 f. m.w.N.
125Einen diesen Anforderungen genügenden Nachweis einer Vorerkrankung, die zur Annahme der Reiseunfähigkeit führen könnte, haben die Antragsteller nicht erbracht.
126Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gehört zur Substantiierung eines Vorbringens einer Erkrankung an posttraumatischer Belastungsstörung (sowie eines entsprechenden Beweisantrages) angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes sowie seiner vielfältigen Symptomatik regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attestes. Aus diesem muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist. Diese Anforderungen an die Substantiierung ergeben sich aus der Pflicht des Beteiligten, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken (§ 86 Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO), die in besonderem Maße für Umstände gilt, die in die eigene Sphäre des Beteiligten fallen.
127VG Düsseldorf, Beschluss vom 17. März 2015 – 13 L 937/15.A –, juris, Rn. 14.
128(1) Die vom Antragsteller zu 1.) vorgelegten Atteste genügen den vorstehend genannten Anforderungen nicht.
129Zwar werden dem Antragsteller zu 1.) in dem vorgelegten ärztlichen Attest vom 31. März 2015 eine „leichte depressive Episode, Panikstörung, Balbuties, Unruhezustand, Insomnie und Meralgia paraesthetica rechts“ diagnostiziert und eine Reiseunfähigkeit prognostiziert. Auch handelt es sich bei dem den Antragsteller zu 1.) behandelnden Dr. med. Heimbrand um einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Indes genügt diese Bescheinigung schon nicht den vorstehend dargestellten Anforderungen, die an die Substantiierung eines Vorbringens einer solchen Erkrankung zu stellen sind. Es fehlt an jeglichen Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Antragsteller zu 1.) in der ärztlicher Behandlung des Herrn Dr. med. I. befunden hat, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Insbesondere gibt das Attest nicht Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf. Überdies fehlt es auch an einer nachvollziehbaren und substantiierten Begründung, warum der Antragsteller zu 1.) „aufgrund seiner Erkrankung auf absehbare Zeit nicht reisefähig“ sein soll.
130In dem vorläufigen Arztbericht der Evangelischen Stiftung U. vom 20. Mai 2015 wird dem Antragsteller das Vorliegen einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome, einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer meralgia paraesthetica diagnostiziert. Indes enthält der Arztbericht ebenfalls keine hinreichenden Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Reiseunfähigkeit im engeren und/oder weiteren Sinne. Insoweit ist zudem nicht ersichtlich, dass der den Antragsteller zu 1.) untersuchende J. Pourfard über die erforderliche Ausbildung verfügt, um fundiert eine am ICD-10 orientierte Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung und/oder Depression bei dem Antragsteller zu 1.) stellen zu können. Über eine Facharztausbildung, die ihn zur Feststellung einer etwaigen Reiseunfähigkeit befähigen könnte, verfügt er offenbar nicht.
131VG Düsseldorf, Beschluss vom 17. März 2015 – 13 L 937/15.A –, juris, Rn. 16 m.w.N.
132Dem ärztlichen Attest der Evangelischen Stiftung U. vom 21. Mai 2015 lassen sich schließlich ebenfalls keine hinreichenden Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Reiseunfähigkeit entnehmen. Vielmehr heißt es darin, dass sich der psychische Zustand des Antragstellers zu 1.) besserte und er sich von akuter Suizidalität ausreichend und glaubhaft distanziert habe.
133(2) Hinsichtlich der Antragstellerin zu 2.) sowie den Antragstellern zu 3.) bis 5.) liegen schon keine ärztlichen Atteste vor, aus denen sich hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen einer krankheitsbedingten Reiseunfähigkeit ergeben könnten. Die vorgelegten Überweisungsscheine und das Schreiben des I1. Klinikums X. genügen den vorstehend dargestellten Mindestanforderungen an die Substantiierung eines Vorbringens einer Erkrankung an einer posttraumatischen Belastungsstörung bei weitem nicht. Soweit hinsichtlich der Antragstellerin zu 5.) in dem Überweisungsschein vom 21. Mai 2015 Zöliakie diagnostiziert wird, fehlt es ebenfalls an überprüfbaren Anhaltspunkten, dass sie aufgrund dessen nicht reisefähig ist.
134b) Ebenso wenig liegt ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis vor.
135Gemäß § 60 Absatz 7 Satz 1 AsylVfG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben oder Freiheit besteht. Leidet der Ausländer bereits vor der Abschiebung unter einer Erkrankung, ist von einer solchen Gefahr auszugehen, wenn sich die Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände nach der Abschiebung voraussichtlich in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht,
136BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 2006 – 1 C 18.05 –, BVerwGE 127,33 = juris Rn. 15.
137Dies ist der Fall, wenn die befürchtete Verschlimmerung der gesundheitlichen Beeinträchtigungen etwa als Folge fehlender Behandlungsmöglichkeiten im Zielland der Abschiebung zu einer erheblichen Gesundheitsgefahr führt, das heißt eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität erwarten lässt,
138vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. April 2007 – 13 A 4611/04.A –, juris Rn. 32 = NRWE.
139Die Gefahr einer solchen Gesundheitsbeeinträchtigung besonderer Intensität ist hier nicht ersichtlich. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen zur fehlenden Substantiierung der (psychischen) Erkrankungen Bezug genommen. Daher kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob in Ungarn eine hinreichende Behandlung der Antragsteller gewährleistet wäre.
140Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Absatz 1 VwGO, § 83b AsylVfG.
141Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Absatz 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).
142Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
Tenor
1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwältin H. aus Minden wird abgelehnt.
2. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
3. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
1
Gründe:
2Der Antrag des Antragstellers,
3ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwältin H1. aus N. beizuordnen,
4ist unbegründet. Es fehlt an den für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforder-lichen hinreichenden Erfolgsaussichten des vorläufigen Rechtsschutzbegehrens (vgl. § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
5Hinreichende Aussicht auf Erfolg bedeutet bei einer an Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 GG orientierten Auslegung des Begriffs einerseits, dass Prozesskostenhilfe nicht erst und nur dann bewilligt werden darf, wenn der Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfol-gung gewiss ist, andererseits aber auch, dass Prozesskostenhilfe dann versagt werden darf, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlos-sen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist.
6Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 08.08.2011 – 12 E 225/11 ‑, juris Rn. 3.
7Nach diesen Maßstäben hat der Antrag des Antragstellers,
8die aufschiebende Wirkung der Klage im Verfahren 1 K 3221/16.A gegen die in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 30.06.2016 unter Ziff. 2 enthaltene Abschiebungsanordnung nach Polen anzuordnen,
9keine Aussicht auf Erfolg. Der zulässige Antrag ist unbegründet.
10Für die vorzunehmende Interessenabwägung gelten die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO anwendbaren allgemeinen Grundsätze. Dementsprechend ist das Interesse des Antragstellers an einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die streitgegenständliche Abschiebungsanordnung gegen das öffentliche Interesse an deren alsbaldiger Vollziehung abzuwägen. Im Rahmen dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten der Klage maßgeblich zu berücksichtigen.
11Dagegen setzt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage – anders als in Fällen der Unbeachtlichkeit oder der offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrags (§ 36 Abs. 1 und 4 Satz 1 AsylG) – nicht voraus, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen. Im Gegensatz zu § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG enthält § 34a Abs. 2 AsylG keine entsprechende Einschränkung. Ein Antrag, § 34a Abs. 2 AsylVfG entsprechend zu fassen, fand im Gesetzgebungsverfahren keine Mehrheit.
12Vgl. VG Trier, Beschluss vom 18.09.2013 – 5 L 1234/13.TR –, juris Rn. 5 ff. mit ausführlicher Darstellung des Ablaufs des Gesetzgebungsverfahrens; VG N. , Beschlüsse vom 29.12.2014 – 10 L 607/14.A –, juris Rn. 5 und vom 14.10.2014 – 1 L 759/14.A –, juris Rn. 4.
13Die vorgenannte Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Der angefochtene Bescheid der Antragsgegnerin vom 30.06.2016 begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
14Die vom Antragsteller gerügten formellen Fehler greifen nicht durch.
15Soweit der Antragsteller vorbringt, ihm sei das in Art. 4 Abs. 3 der Dublin III-Verordnung aufgeführte Merkblatt nicht ausgehändigt worden, vermag er damit nicht durchzudringen. Zwar entspricht das dem Antragsteller ausgehändigte Merkblatt nicht der Fassung, welche die EU-Kommission in Anlage X ihrer Durchführungsverordnung (EU) Nr. 188/2014 vom 30.01.2014 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 vorgesehen hat. Der wesentliche Inhalt des Dublin-Verfahrens wird dem Antragsteller aber durch das vom Bundesamt verwendete Merkblatt näher gebracht. Insofern liegt nach Auffassung des Gerichts bereits kein Verfahrensfehler vor. Aus Art. 4 Abs. 3 Dublin III-Verordnung folgt insbesondere nicht, dass das Merkblatt der EU-Kommission zur Unterrichtung im Dublin-Verfahren für die Durchführung des Verfahrens von wesentlicher Bedeutung ist. Deshalb spricht auch Einiges dafür, dass nach den allgemeinen, in § 46 VwVfG zum Ausdruck kommenden Rechtsgrundsätzen ein diesbezüglicher Verfahrensfehler jedenfalls unbeachtlich wäre. Nach dieser Bestimmung darf ein Verwaltungsakt nicht allein deshalb aufgehoben werden, weil er unter Verletzung von Verfahrens-, Form- oder Zuständigkeitsbestimmungen zustande gekommen ist, wenn offensichtlich eine gleichlautende Entscheidung zu treffen wäre.
16Vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 05.06.2015 – 13 L 1253/15.A –, juris Rn. 8; VG Schwerin, Beschluss vom 17.03.2015 – 3 B 687/15 As –, juris Rn. 9 f.
17Dies ist hier der Fall. Der Bescheid des Bundesamtes ist alternativlos (vgl. dazu im Einzelnen die nachfolgenden Erwägungen.
18Weiterhin kann auch kein relevanter Verfahrensmangel aufgrund eines Verstoßes gegen Art. 5 Dublin III-Verordnung festgestellt werden. Zweck dieser Regelung ist ausweislich des Erwägungsgrundes 18 der Dublin III-Verordnung, die Bestimmung des für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats zu erleichtern. Der Antragsteller soll über die Anwendung der Dublin III-Verordnung und über die Möglichkeit informiert werden, bei dem Gespräch Angaben über die Anwesenheit von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung in den Mitgliedstaaten zu machen, um das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zu erleichtern. Das Bundesamt hat mit dem Antragsteller am 25.05.2016 und 30.06.2016 ordnungsgemäße persönliche Gespräche zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens geführt. Es wurden von ihm alle Fragen beantwortet. Das Ziel der Bestimmung des für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats wurde erreicht.
19Vgl. dazu VG Düsseldorf, Urteil vom 07.05.2015 – 8 K 364/15.A –, juris Rn. 30.
20Überdies ist nicht ersichtlich, dass – hätte der Antragsteller (weitere) Einwände gegen die Überstellung nach Polen gegenüber dem Bundesamt anbringen können – diese zu einer anderen Sachentscheidung hätten führen müssen.
21Der angefochtene Bescheid begegnet auch keinen materiellen Bedenken. Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung eines Ausländers in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Vorliegend ist die Zuständigkeit Polens für die Bearbeitung des Asylantrags des Antragstellers gegeben; diese Zuständigkeit ist auch nicht auf einen anderen Staat übergegangen.
22Gemäß Art. 23 Abs. 1 i.V.m. Art. 18 Abs. 1c Dublin III-Verordnung hat Polen den Antragsteller für die Bearbeitung des von ihm in der Bundesrepublik Deutschland gestellten Antrags auf internationalen Schutz wieder aufzunehmen, weil der Antragsteller nach den Ermittlungen des Bundesamtes bereits in Polen Schutzanträge gestellt hat, für deren Bearbeitung Polen gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO zuständig ist, und weil das Bundesamt die polnischen Behörden am 20.06.2016 um Wiederaufnahme ersucht hat (Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO). Demgemäß haben sich die polnischen Behörden am 28.06.2016 gemäß Art. 25 Abs. 1 Dublin III-VO ausdrücklich für zuständig erklärt. Die sechsmonatige Überstellungsfrist (Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO) ist noch (lange) nicht abgelaufen.
23Zur Fristberechnung vgl. BVerwG, Urteil vom 26.05.2016 – 1 C 15.15 ‑, bei juris; OVG NRW, Urteil vom 07.07.2016 – 13 A 2302/15.A – ebenfalls bei juris.
24Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist der Bescheid nicht deshalb aufzu-heben und die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig, weil die Bundesrepublik Deutschland das Wiederaufnahmegesucht ver-spätet gestellt hat.
25Nach Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO ist ein Wiederaufnahmegesuch sobald wie mög-lich, auf jeden Fall aber innerhalb von zwei Monaten nach der EURO-DAG-Treffermeldung zu stellen. Der Antragsteller hat seinen Asylantrag am 25.05.2016 gestellt. Das Übernahmeersuchen vom 20.06.2016 war daher nicht verspätet.
26Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist für die Fristberechnung der Zeitpunkt der formellen Asylantragstellung am 25.05.2016 zugrunde zu legen und nicht der Zeitpunkt, als er sich am 24.08.2015 als Asylsuchender erstmals gemeldet hat.
27Zwar normiert die in Art. 6 Abs. 1 der RL 2013/32/EU eine Pflicht zur Registrierung binnen drei bzw. sechs Arbeitstagen, nachdem eine Person einen Antrag auf inter-nationalen Schutz bei einer für die Registrierung dieses Antrags zuständigen nationalen Behörde gestellt hat. Insoweit ist bereits fraglich, ob sich der Antragsteller unmittelbar auf die Richtlinienbestimmung berufen kann. Jedenfalls ist ein Verstoß der Antragsgegnerin gegen Art. 6 Abs. 1 der RL 2013/32/EU nicht ersichtlich. Die Registrierung des Antragstellers ist am 24.08.2015 gegenüber der Zentralen Ausländerbehörde Dortmund erfolgt, als diese ihm gemäß § 63a AsylG die Bescheini-gung über die Meldung als Asylsuchender mit den in § 63a Abs. 1 Satz 2 AsylG genannten Angaben zu seiner Person ausgehändigt hat. Die Aufnahmeeinrichtung ist gemäß § 63a Abs. 3 AsylG für die Ausstellung dieser Bescheinigung auch zu-ständig.
28Eine weiterreichende Registrierungspflicht, insbesondere die persönliche Vorsprache und erkennungsdienstliche Behandlung des Antragstellers, die in der Praxis regel-mäßig mit der förmlichen Antragstellung bei einer Außenstelle des Bundesamtes stattfindet, ist dem Wortlaut der Richtlinie nicht zu entnehmen. Vielmehr unter-scheidet die Richtlinie ihrerseits zwischen der Registrierung gemäß Art. 6 Abs. 1 der RL 2013/32/EU und dem förmlichen Antrag gemäß Art. 6 Abs. 2 der RL 2013/32/EU, wonach die Mitgliedstaaten gewährleisten, „dass eine Person, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, tatsächlich die Möglichkeit hat, diesen sobald wie möglich zu stellen.“ Für die Entgegennahme des förmlichen Antrags enthält Art. 6 Abs. 2 der RL 2013/32/EU mithin eine eigenständige Frist.
29Vgl. hierzu VG Gießen, Beschluss vom 29.02.2016 – 3 L 208/16.Gi.A ‑; VG Hannover, Beschluss vom 30.12.2015 – 6 B 6186/15 ‑, beide bei juris.
30Ein Verstoß gegen diese Frist („sobald wie möglich“) ist vorliegend nicht ersichtlich. Sinn und Zweck der zügigen Registrierung liegen gemäß Erwägungsgrund Nr. 27 der RL 2013/32/EU darin, dass Drittstaatsangehörigen und Staatenlose, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, über den noch keine bestandskräftige Entscheidung ergangen ist, die Pflichten und Rechte erfüllen, die in dieser Richtlinie sowie in der RL 2013/33/EU festgelegt worden sind. Welcher Zeitrahmen den Anforderungen des Art. 6 Abs. 2 der RL 2013/32/EU noch entspricht, richtet sich dabei nach den Umständen des Einzelfalls.
31Vgl. VG Gießen, a.a.O.
32Nach summarischer Prüfung hat insoweit die Antragsgegnerin gegen das Gebot, „sobald wie möglich“ den Asylantrag entgegen zu nehmen, nicht verstoßen. Dass es insoweit zu teilweise erheblichen Wartezeiten kommt und gekommen ist, ist aus der Sicht des Gerichts nicht zu beanstanden. Das Bundesamt befindet sich – wie allge-mein und auch dem Antragsteller bekannt sein dürfte – derzeit in einer Situation extremer Arbeitsüberlastung. Hinsichtlich ausstehender Einzelschritte einer voll-ständigen „Registrierung“ des Antragstellers und der Entgegennahme seines Antrags im eigentlichen Sinne gilt derzeit der Grundsatz, dass Unmögliches nicht geleistet nicht werden muss (impossibilium nulla est obligatio).
33So auch VG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 25.11.2015 – 12 B 88/15 ‑, bei juris.
34Der Zeitraum von ca. neun Monaten, der vorliegend zwischen Registrierung und Asylantragstellung lag, ist jedenfalls angesichts der derzeitigen Situation des Bundesamtes auf alle Fälle noch hinzunehmen. Die Frist des Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO war nicht auf einen früheren Zeitpunkt vorzuverlegen. Vielmehr wurde vorliegend diese Frist eingehalten.
35Das polnische Asylsystem steht einer Überstellung des Antragstellers nach Polen nicht entgegen. Unter Beachtung von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO ist von einer Überstellung an den als zuständig bestimmten Mitgliedstaat abzusehen, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i.S.d. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) mit sich bringen. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem gründet auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens darauf, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention (GK) und dem Protokoll von 1967 sowie in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) finden. Es gilt daher die Vermutung, dass Asylbewerbern in jedem Mitgliedstaat eine Behandlung entsprechend den Erfordernissen der GR-Charta, der GK und der EMRK zukommt. Die diesem „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“
36vgl. EuGH (Große Kammer), Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10, C-493/10 (N.S. u.a.) -, NVwZ 2012, 417 = InfAuslR 2012, 108
37bzw. dem „Konzept der normativen Vergewisserung“
38vgl. BVerfG, Urteil vom 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2315/93 -, NJW 1996, 1665 = DVBl. 1996, 753
39zu Grunde liegende Vermutung, an deren Widerlegung wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems hohe Hürden geknüpft sind, ist nur dann als widerlegt anzusehen, wenn systemische Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat, die entweder im Rechtssystem dieses Staats angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen und wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich zu prognostizieren sind, ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass auch im zu entscheidenden Einzelfall der Asylbewerber mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre.
40Vgl. EuGH (Große Kammer), Urteile vom 21.12.2011 - C-411/10, C-493/10 -, a.a.O., und vom 14.11.2013 - Rs. C-4/11 (Puid) -, NVwZ 2014, 129 = InfAuslR 2014, 68; BVerwG, Beschlüsse vom 19.3.2014 - 10 B 6.14 -, NVwZ 2014, 1039, und vom 6.6.2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677 = InfAuslR 2014, 352.
41Hingegen kommt es nicht darauf an, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK kommen kann und ob der jeweilige Antragsteller dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt war.
42Vgl. BVerwG, Beschluss vom 6.6.2014 - 10 B 35.14 -, a.a.O.
43Durchgreifende Anhaltspunkte für erhebliche systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylsuchende in Polen - mit der Folge einer dem Antragsteller ernsthaft drohenden unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung - bestehen nicht.
44Vgl. BayVGH, Urteil vom 13.4.2015 - 11 B 15.50031 -, juris; VG Gelsenkirchen, Urteile vom 4.7.2014 - 6a K 265/14.A - und vom 10.3.2015 - 6a K 3687/14.A -, jew. www.nrwe.de = juris; VG N. , Beschlüsse u.a. vom 4.11.2014 - 6 L 781/14.A - (nachfolgend Urteil vom 22.5.2015 - 6 K 2414/14.A -), vom 14.12.2015 - 6 L 1331/15.A - und vom 29.6.2016 - 6 L 1214/16.A -; VG Düsseldorf, Beschluss vom 2.3.2015 - 17 L 2510/14.A -, www.nrwe.de = juris, m.w.N.; VG Magdeburg, Beschluss vom 14.4.2015 - 9 B 147/15 -, AuAS 2015, 128 = juris.
45Die der Kammer vorliegenden Erkenntnisse lassen vielmehr den Rückschluss zu, dass die Praxis der asylrechtlichen und subsidiären Schutzgewährung, die Grund- und Gesundheitsversorgung sowie die Sicherheitslage für Asylsuchende in Polen unbedenklich sind und den Grundsätzen des Unionsrechts genügen, zumal sich weder aus Berichten des UNHCR noch aus der Rechtsprechung des EGMR irgendwelche Hinweise darauf ergeben, dass die Republik Polen bei der Vollziehung der Dublin-Verordnungen ihre Verpflichtungen nach der GK, der EMRK oder dem Unionsrecht missachten oder unvertretbare rechtliche Sonderpositionen einnehmen würde.
46Vgl. VG Düsseldorf, Beschlüsse vom 19.11.2013 - 25 L 2154/13.A - und vom 2.3.2015 - 17 L 2510/14.A -, jew. www.nrwe.de = juris; VG N. , Beschlüsse u.a. vom 4.11.2014 - 6 L 781/14.A -, vom 14.12.2015 - 6 L 1331/15.A - und vom 29.6.2016 - 6 L 1214/16.A -.
47Auch die Unterbringung von Asylbewerbern in geschlossenen Aufnahmeeinrichtungen, die sie während ihres Verfahrens nicht verlassen dürfen, weil sie unter Verstoß gegen das polnische Ausländergesetz (vgl. zu den Grundlagen: S. 7 ff. des streitigen Bescheides) die polnische Grenze illegal überquert haben, bedeutet keinen systemischen Mangel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylsuchende in Polen und keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung.
48So VG N. , Beschluss vom 21.07.2016 - 6 L 1264/16.A ‑.
49Im Übrigen ist ausweislich von Auskünften der Liaisonbeamtin des Bundesamtes in Polen aus dem Jahr 2013 selbst in diesen Aufnahmezentren z.B. die medizinische Behandlung und Versorgung von Asylbewerbern sowie ihre psychologische Betreuung kostenlos und erfolgt grundsätzlich durch qualifiziertes Personal. Personen im Flüchtlingsverfahren haben auch sonst prinzipiell den gleichen Anspruch auf medizinische Versorgung wie polnische Staatsangehörige; ausgeschlossen sind lediglich Kurfahrten.
50Vgl. VG Düsseldorf, Beschlüsse vom 19.11.2013 - 25 L 2154/13.A - und vom 2.3.2015 - 17 L 2510/14.A -, jew. a.a.O.
51Auch die Anordnung der Abschiebung der Antragsteller nach Polen gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Soll ein Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) oder - wie hier - in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylG) abgeschoben werden, ordnet nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Der Antragsteller hat nichts Durchgreifendes dazu vorgetragen und es ist für die Kammer auch sonst nichts dafür ersichtlich, dass die Abschiebung in die Republik Polen trotz ausdrücklicher Zustimmung der polnischen Behörden zur Wiederaufnahme des Antragstellers nicht durchführbar wäre.
52Dass die neu gewählte polnische Regierung am 23.11.2015 erklärt hat, entgegen der Vereinbarung der Vorgängerregierung mit der EU nicht 7.000 Flüchtlinge aufnehmen zu wollen,
53vgl. http://www.mbem.nrw/sites/default/files/asset/document/12.01. 2016_-_polen_spezial.pdf,
54sagt ganz abgesehen davon, dass der polnische Außenminister diese Aussage Anfang Januar 2016 deutlich relativiert hat,
55vgl. http://www.freiewelt.net/nachricht/polen-will-trotz-vorshybehalte-eu-fluechtlingsshyquote-erfuellen-10064936/,
56nichts darüber aus, dass Polen seither nicht mehr bereit wäre, in konkreten Einzelfällen anschließend gegebene Zusagen der Wiederaufnahme von Schutzsuchenden - wie hier - einzuhalten. Das gilt ebenso mit Blick auf die Erklärung der polnischen Ministerpräsidentin von Ende März 2016, sie sehe keine Möglichkeit, dass im Moment Migranten nach Polen kämen,
57vgl. Zeit online vom 23.3.2016: „Polen will gar keine Flüchtlinge mehr aufnehmen“, http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-03/ bruessel-polen-anschlag-fluechtlinge,
58denn trotz der vorzitierten Erklärung der Ministerpräsidentin hat Polen auch anschließend noch ausdrückliche Rückübernahmeerklärungen abgegeben, z.B. Mitte Mai 2016
59vgl. VG N. , Beschluss vom 29.6.2016 - 6 L 1214/16.A -
60und im vorliegenden Verfahren im Juni 2016.
61Dem steht nicht entgegen, dass die EU-Kommission am 13.01.2016 die erste Stufe des sog. EU-Rechtsstaatsmechanismus gegen Polen eingeleitet hat. An der Situation bzgl. der Asylverfahren in Polen ändert dies nichts.
62Auch im Übrigen bestehen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken gegen die Anordnung der Abschiebung des Antragstellers nach Polen. Die Abschiebung kann durchgeführt werden. Ihr stehen weder tatsächliche noch rechtliche Hindernisse entgegen. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf zielstaatsbezogene, sondern auch in Bezug auf inlandsbezogene Abschiebungshindernisse (§ 60a Abs. 2 AufenthG) einschließlich sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebender Ansprüche auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, die im Rahmen des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ebenfalls vom Bundesamt zu prüfen sind.
63Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.09.2014 – 2 BvR 732/14 –, juris Rn. 11; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 25.04.2014 – 2 B 215/14 –, juris Rn. 7; OVG NRW, Beschluss vom 30.08.2011 – 18 B 1060/11 –, juris Rn. 4; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31.05.2011 – A 11 S 1523/11 –, juris Rn. 4.
64Entsprechende Abschiebungshindernisse sind nicht ersichtlich.
65Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Hinweis auf die Ge-richtskostenfreiheit des Verfahrens folgt aus § 83b AsylG.
(1) Eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 44 nichtig macht, ist unbeachtlich, wenn
- 1.
der für den Erlass des Verwaltungsaktes erforderliche Antrag nachträglich gestellt wird; - 2.
die erforderliche Begründung nachträglich gegeben wird; - 3.
die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird; - 4.
der Beschluss eines Ausschusses, dessen Mitwirkung für den Erlass des Verwaltungsaktes erforderlich ist, nachträglich gefasst wird; - 5.
die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde nachgeholt wird.
(2) Handlungen nach Absatz 1 können bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden.
(3) Fehlt einem Verwaltungsakt die erforderliche Begründung oder ist die erforderliche Anhörung eines Beteiligten vor Erlass des Verwaltungsaktes unterblieben und ist dadurch die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsaktes versäumt worden, so gilt die Versäumung der Rechtsbehelfsfrist als nicht verschuldet. Das für die Wiedereinsetzungsfrist nach § 32 Abs. 2 maßgebende Ereignis tritt im Zeitpunkt der Nachholung der unterlassenen Verfahrenshandlung ein.
Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
(1) Der Ausländer muss selbst die Tatsachen vortragen, die seine Furcht vor Verfolgung oder die Gefahr eines ihm drohenden ernsthaften Schadens begründen, und die erforderlichen Angaben machen. Zu den erforderlichen Angaben gehören auch solche über Wohnsitze, Reisewege, Aufenthalte in anderen Staaten und darüber, ob bereits in anderen Staaten oder im Bundesgebiet ein Verfahren mit dem Ziel der Anerkennung als ausländischer Flüchtling, auf Zuerkennung internationalen Schutzes im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 oder ein Asylverfahren eingeleitet oder durchgeführt ist.
(2) Der Ausländer hat alle sonstigen Tatsachen und Umstände anzugeben, die einer Abschiebung oder einer Abschiebung in einen bestimmten Staat entgegenstehen.
(3) Ein späteres Vorbringen des Ausländers kann unberücksichtigt bleiben, wenn andernfalls die Entscheidung des Bundesamtes verzögert würde. Der Ausländer ist hierauf und auf § 36 Absatz 4 Satz 3 hinzuweisen.
(4) Bei einem Ausländer, der verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, soll die Anhörung in zeitlichem Zusammenhang mit der Asylantragstellung erfolgen. Einer besonderen Ladung des Ausländers und seines Bevollmächtigten bedarf es nicht. Entsprechendes gilt, wenn dem Ausländer bei oder innerhalb einer Woche nach der Antragstellung der Termin für die Anhörung mitgeteilt wird. Kann die Anhörung nicht an demselben Tag stattfinden, sind der Ausländer und sein Bevollmächtigter von dem Anhörungstermin unverzüglich zu verständigen.
(5) Bei einem Ausländer, der nicht verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, kann von der persönlichen Anhörung abgesehen werden, wenn der Ausländer einer Ladung zur Anhörung ohne genügende Entschuldigung nicht folgt. In diesem Falle ist dem Ausländer Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme innerhalb eines Monats zu geben.
(6) Die Anhörung ist nicht öffentlich. An ihr können Personen, die sich als Vertreter des Bundes, eines Landes oder des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen ausweisen, teilnehmen. Der Ausländer kann sich bei der Anhörung von einem Bevollmächtigten oder Beistand im Sinne des § 14 des Verwaltungsverfahrensgesetzes begleiten lassen. Das Bundesamt kann die Anhörung auch dann durchführen, wenn der Bevollmächtigte oder Beistand trotz einer mit angemessener Frist erfolgten Ladung nicht an ihr teilnimmt. Satz 4 gilt nicht, wenn der Bevollmächtigte oder Beistand seine Nichtteilnahme vor Beginn der Anhörung genügend entschuldigt. Anderen Personen kann der Leiter des Bundesamtes oder die von ihm beauftragte Person die Anwesenheit gestatten.
(7) Die Anhörung kann in geeigneten Fällen ausnahmsweise im Wege der Bild- und Tonübertragung erfolgen.
(8) Über die Anhörung ist eine Niederschrift aufzunehmen, die die wesentlichen Angaben des Ausländers enthält. Dem Ausländer ist eine Kopie der Niederschrift auszuhändigen oder mit der Entscheidung des Bundesamtes zuzustellen.
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
(1) Die mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden dürfen zum Zwecke der Ausführung dieses Gesetzes personenbezogene Daten erheben, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Personenbezogene Daten, deren Verarbeitung nach Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) (ABl. L 119 vom 4.5.2016, S. 1; L 314 vom 22.11.2016, S. 72; L 127 vom 23.5.2018, S. 2) in der jeweils geltenden Fassung untersagt ist, dürfen erhoben werden, soweit dies im Einzelfall zur Aufgabenerfüllung erforderlich ist.
(2) Die Daten sind bei der betroffenen Person zu erheben. Sie dürfen auch ohne Mitwirkung der betroffenen Person bei anderen öffentlichen Stellen, ausländischen Behörden und nichtöffentlichen Stellen erhoben werden, wenn
- 1.
dieses Gesetz oder eine andere Rechtsvorschrift es vorsieht oder zwingend voraussetzt, - 2.
es offensichtlich ist, dass es im Interesse der betroffenen Person liegt und kein Grund zu der Annahme besteht, dass sie in Kenntnis der Erhebung ihre Einwilligung verweigern würde, - 3.
die Mitwirkung der betroffenen Person nicht ausreicht oder einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde, - 4.
die zu erfüllende Aufgabe ihrer Art nach eine Erhebung bei anderen Personen oder Stellen erforderlich macht oder - 5.
es zur Überprüfung der Angaben der betroffenen Person erforderlich ist.
(3) Die Asylverfahrensakten des Bundesamtes sind spätestens zehn Jahre nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu vernichten sowie in den Datenverarbeitungssystemen des Bundesamtes zu löschen. Die Fristen zur Vernichtung und Löschung aufgrund anderer Vorschriften bleiben davon unberührt.
(1) Das Jugendamt hat im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme der ausländischen Person gemäß § 42a deren Minderjährigkeit durch Einsichtnahme in deren Ausweispapiere festzustellen oder hilfsweise mittels einer qualifizierten Inaugenscheinnahme einzuschätzen und festzustellen. § 8 Absatz 1 und § 42 Absatz 2 Satz 2 sind entsprechend anzuwenden.
(2) Auf Antrag des Betroffenen oder seines Vertreters oder von Amts wegen hat das Jugendamt in Zweifelsfällen eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen. Ist eine ärztliche Untersuchung durchzuführen, ist die betroffene Person durch das Jugendamt umfassend über die Untersuchungsmethode und über die möglichen Folgen der Altersbestimmung aufzuklären. Ist die ärztliche Untersuchung von Amts wegen durchzuführen, ist die betroffene Person zusätzlich über die Folgen einer Weigerung, sich der ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, aufzuklären; die Untersuchung darf nur mit Einwilligung der betroffenen Person und ihres Vertreters durchgeführt werden. Die §§ 60, 62 und 65 bis 67 des Ersten Buches sind entsprechend anzuwenden.
(3) Widerspruch und Klage gegen die Entscheidung des Jugendamts, aufgrund der Altersfeststellung nach dieser Vorschrift die vorläufige Inobhutnahme nach § 42a oder die Inobhutnahme nach § 42 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 abzulehnen oder zu beenden, haben keine aufschiebende Wirkung. Landesrecht kann bestimmen, dass gegen diese Entscheidung Klage ohne Nachprüfung in einem Vorverfahren nach § 68 der Verwaltungsgerichtsordnung erhoben werden kann.
(1) Das Jugendamt ist berechtigt und verpflichtet, ein ausländisches Kind oder einen ausländischen Jugendlichen vorläufig in Obhut zu nehmen, sobald dessen unbegleitete Einreise nach Deutschland festgestellt wird. Ein ausländisches Kind oder ein ausländischer Jugendlicher ist grundsätzlich dann als unbegleitet zu betrachten, wenn die Einreise nicht in Begleitung eines Personensorgeberechtigten oder Erziehungsberechtigten erfolgt; dies gilt auch, wenn das Kind oder der Jugendliche verheiratet ist. § 42 Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 2 und 3, Absatz 5 sowie 6 gilt entsprechend.
(2) Das Jugendamt hat während der vorläufigen Inobhutnahme zusammen mit dem Kind oder dem Jugendlichen einzuschätzen,
- 1.
ob das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen durch die Durchführung des Verteilungsverfahrens gefährdet würde, - 2.
ob sich eine mit dem Kind oder dem Jugendlichen verwandte Person im Inland oder im Ausland aufhält, - 3.
ob das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen eine gemeinsame Inobhutnahme mit Geschwistern oder anderen unbegleiteten ausländischen Kindern oder Jugendlichen erfordert und - 4.
ob der Gesundheitszustand des Kindes oder des Jugendlichen die Durchführung des Verteilungsverfahrens innerhalb von 14 Werktagen nach Beginn der vorläufigen Inobhutnahme ausschließt; hierzu soll eine ärztliche Stellungnahme eingeholt werden.
(3) Das Jugendamt ist während der vorläufigen Inobhutnahme berechtigt und verpflichtet, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des Kindes oder des Jugendlichen notwendig sind. Dabei ist das Kind oder der Jugendliche zu beteiligen und der mutmaßliche Wille der Personen- oder der Erziehungsberechtigten angemessen zu berücksichtigen.
(3a) Das Jugendamt hat dafür Sorge zu tragen, dass für die in Absatz 1 genannten Kinder oder Jugendlichen unverzüglich erkennungsdienstliche Maßnahmen nach § 49 Absatz 8 und 9 des Aufenthaltsgesetzes durchgeführt werden, wenn Zweifel über die Identität bestehen.
(4) Das Jugendamt hat der nach Landesrecht für die Verteilung von unbegleiteten ausländischen Kindern und Jugendlichen zuständigen Stelle die vorläufige Inobhutnahme des Kindes oder des Jugendlichen innerhalb von sieben Werktagen nach Beginn der Maßnahme zur Erfüllung der in § 42b genannten Aufgaben mitzuteilen. Zu diesem Zweck sind auch die Ergebnisse der Einschätzung nach Absatz 2 Satz 1 mitzuteilen. Die nach Landesrecht zuständige Stelle hat gegenüber dem Bundesverwaltungsamt innerhalb von drei Werktagen das Kind oder den Jugendlichen zur Verteilung anzumelden oder den Ausschluss der Verteilung anzuzeigen.
(5) Soll das Kind oder der Jugendliche im Rahmen eines Verteilungsverfahrens untergebracht werden, so umfasst die vorläufige Inobhutnahme auch die Pflicht,
- 1.
die Begleitung des Kindes oder des Jugendlichen und dessen Übergabe durch eine insofern geeignete Person an das für die Inobhutnahme nach § 42 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 zuständige Jugendamt sicherzustellen sowie - 2.
dem für die Inobhutnahme nach § 42 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 zuständigen Jugendamt unverzüglich die personenbezogenen Daten zu übermitteln, die zur Wahrnehmung der Aufgaben nach § 42 erforderlich sind.
(6) Die vorläufige Inobhutnahme endet mit der Übergabe des Kindes oder des Jugendlichen an die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten oder an das aufgrund der Zuweisungsentscheidung der zuständigen Landesbehörde nach § 88a Absatz 2 Satz 1 zuständige Jugendamt oder mit der Anzeige nach Absatz 4 Satz 3 über den Ausschluss des Verteilungsverfahrens nach § 42b Absatz 4.
(1) Das Jugendamt hat im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme der ausländischen Person gemäß § 42a deren Minderjährigkeit durch Einsichtnahme in deren Ausweispapiere festzustellen oder hilfsweise mittels einer qualifizierten Inaugenscheinnahme einzuschätzen und festzustellen. § 8 Absatz 1 und § 42 Absatz 2 Satz 2 sind entsprechend anzuwenden.
(2) Auf Antrag des Betroffenen oder seines Vertreters oder von Amts wegen hat das Jugendamt in Zweifelsfällen eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen. Ist eine ärztliche Untersuchung durchzuführen, ist die betroffene Person durch das Jugendamt umfassend über die Untersuchungsmethode und über die möglichen Folgen der Altersbestimmung aufzuklären. Ist die ärztliche Untersuchung von Amts wegen durchzuführen, ist die betroffene Person zusätzlich über die Folgen einer Weigerung, sich der ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, aufzuklären; die Untersuchung darf nur mit Einwilligung der betroffenen Person und ihres Vertreters durchgeführt werden. Die §§ 60, 62 und 65 bis 67 des Ersten Buches sind entsprechend anzuwenden.
(3) Widerspruch und Klage gegen die Entscheidung des Jugendamts, aufgrund der Altersfeststellung nach dieser Vorschrift die vorläufige Inobhutnahme nach § 42a oder die Inobhutnahme nach § 42 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 abzulehnen oder zu beenden, haben keine aufschiebende Wirkung. Landesrecht kann bestimmen, dass gegen diese Entscheidung Klage ohne Nachprüfung in einem Vorverfahren nach § 68 der Verwaltungsgerichtsordnung erhoben werden kann.
Tenor
Der Antrag und der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin N. aus L. werden abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2Der gestellte Antrag,
3das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gemäß § 123 VwGO zu verpflichten, den formellen Asylantrag des Antragstellers innerhalb von fünf Tagen nach Zustellung der Entscheidung über diesen Antrag, hilfsweise innerhalb einer vom Gericht zu bestimmenden Frist anzunehmen,
4hilfsweise festzustellen, dass der Antrag auf internationalen Schutz des Antragstellers mit Ausstellung der Bescheinigung für die Meldung als Asylsuchender durch die zentrale Ausländerbehörde E. vom 9. Juni 2015 als förmlich gestellt im Sinne des Artikel 6 Absatz 4 Asylverfahrens-Richtlinie gilt,
5hat keinen Erfolg.
61. Der Hauptantrag ist bereits gemäß § 44a VwGO unzulässig.
7Hierzu hat das Verwaltungsgericht Aachen in einem Beschluss vom 14. März 2016 – 4 L 40/16.A –, juris, in einem vergleichbar gelagerten Fall ausgeführt:
8„Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung dürfte bereits gemäß § 44a VwGO unzulässig sein. Nach dieser Vorschrift können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen, sofern sie nicht vollstreckt werden können oder gegen einen Nichtbeteiligten ergehen, nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Die Vorschrift gilt trotz des nicht eindeutigen Wortlauts mit Blick auf ihren Zweck, die Sachentscheidung nicht durch Rechtsstreitigkeiten über Verfahrenshandlungen zu verzögern oder zu erschweren, nicht nur für die Anfechtung von Verfahrenshandlungen, sondern auch für deren Einklagen in Form der Verpflichtungsklage oder einer anderen Leistungsklage sowie für entsprechende Anträge nach § 123 VwGO.
9Vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. März 1997 - 11 VR 2.97 -, NV WZ-RR 1997, 663 = juris, Rn. 16 ff.; OVG NRW, Beschluss vom = juris, Rn. 6 ff.; von Albedyll, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 6. Aufl., § 44a Rn. 5.
10Die Voraussetzungen des § 44a S. 1 VwGO sind hier gegeben. Der Antragsteller begehrt mit seinem Rechtsbehelf die Benennung eines Termins zur förmlichen Asylantragstellung und damit eine behördliche Verfahrenshandlung. Denn durch die förmliche Asylantragstellung nach §§ 14 Abs. 1, 23 Abs. 1 AsylG wird das eigentliche Asylverfahren vor dem Bundesamt eingeleitet, das auf den Erlass einer Sachentscheidung über den Asylantrag gerichtet ist.
11Vgl. ebenso zur Einleitung eines Verwaltungsverfahrens: OVG NRW, Beschluss vom 5. Juli 2006 - 19 B 991/06, 19 E 6619 E 661/06 -, NWVBl. 2007, 62 = juris, Rn. 6.
12Ein Ausnahmefall nach § 44a S. 2 VwGO liegt nicht vor. Eine vollstreckbare Verfahrenshandlung steht im Hinblick auf die begehrte Benennung eines Termins zur Asylantragstellung nicht in Rede. Der Antragsteller ist auch kein "Nichtbeteiligter" im Sinne der Vorschrift.
13Auch Art. 19 Abs. 4 GG gebietet es nicht, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Wege einer verfassungskonformen Auslegung des § 44a VwGO als statthaft anzusehen. Diese Grundrechtsnorm gewährleistet einen Anspruch des Bürgers auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle einer belastenden Verwaltungsentscheidung. Dieser Gewährleistung wird dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass Mängel im Verwaltungsverfahren, die wegen § 44a VwGO nicht unmittelbar mit Rechtsbehelfen gegen die Verfahrenshandlung geltend gemacht werden können, im Rahmen eines gegen die Sachentscheidung zulässigen Klageverfahrens gerügt und rechtlich geprüft werden können. Auch im Fall der Untätigkeit einer Behörde sieht das Prozessrecht ausreichende Rechtsschutzmöglichkeiten vor, eine Sachentscheidung zu erwirken (vgl. § 75 VwGO). Nach dieser Vorschrift kann gegen eine säumige Behörde nach vorheriger Antragstellung - hier entweder im Wege einer persönlichen Vorsprache gemäß §§ 14 Abs. 1, 23 S. 1 AsylG oder in Form eines schriftlichen Asylantrags - Untätigkeitsklage zum Erhalt einer Sachentscheidung erhoben werden.
14Es ist auch nicht ersichtlich, dass die nationale Verfahrensvorschrift des § 44a VwGO durch das Unionsrecht modifiziert wird. Insbesondere ergibt sich eine solche Modifikation nicht aus den Bestimmungen der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Verfahrensrichtlinie - VRL) zum gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren (Kapitel V). Art. 46 Abs. 1 und 2 VRL verlangt lediglich, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass Antragsteller ein Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor Gericht gegen die das Verfahren abschließende Sachentscheidung der Asylbehörde im Sinne von Artikel 46 Abs. 1 Buchst. a) bis c) haben. Rechtsbehelfe gegen einzelne Verfahrenshandlungen der Asylbehörde während des Asylverfahrens sind in Art. 46 VRL hingegen nicht vorgesehen.“
15Die Einzelrichterin schließt sich diesen Ausführungen an. Insbesondere teilt die Einzelrichterin nicht die Bedenken des Antragstellers, eine Untätigkeitsklage sei bei noch nicht anhängigen Verwaltungsverfahren unzulässig. Entscheidend ist vielmehr, dass die Antragstellerin unter dem 15. März 2016 die Entgegennahme eines förmlichen Asylantrags beim Bundesamt – erfolglos – beantragt hat.
162. Der Hauptantrag ist auch unbegründet. Hierzu hat das Verwaltungsgericht Aachen in dem vorstehend zitierten Beschluss Folgendes ausgeführt:
17„Nach § 123 Abs. S. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Der Antragsteller hat Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft zu machen (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).
18Vorliegend hat der Antragsteller weder das Bestehen eines Anordnungsanspruchs (a) noch das Bestehen eines Anordnungsgrundes (b) glaubhaft gemacht.
19(a) Es ist nicht mit der im vorliegenden Verfahren gebotenen überwiegenden Wahrscheinlichkeit dargetan, dass dem Antragsteller ein Anspruch darauf zusteht, dass die Antragsgegnerin ihm unverzüglich oder zumindest innerhalb einer vom Gericht zu bestimmenden Frist einen Termin zur Stellung eines förmlichen Asylantrags im Sinne von §§ 14 Abs. 1, 23 Abs. 1 AsylG bei der für ihn zuständigen Außenstelle des Bundesamtes benennt. Eine Rechtsgrundlage für das geltend gemachte Begehren lässt sich weder dem deutschen Asylgesetz (aa) noch dem Unionsrecht (bb) entnehmen.
20aa) (1) Ein solcher Anspruch ergibt sich zunächst nicht aus § 23 Abs. 1 AsylG. Danach ist der Ausländer, der in der Aufnahmeeinrichtung aufgenommen ist, verpflichtet, unverzüglich oder zu dem von der Aufnahmeeinrichtung genannten Termin bei der Außenstelle des Bundesamtes zur Stellung des Asylantrags persönlich zu erscheinen. Diese Vorschrift regelt lediglich eine Mitwirkungspflicht des Ausländers zum persönlichen Erscheinen bei der Außenstelle des Bundesamtes zur förmlichen Asylantragstellung, an deren Verletzung bestimmte Rechtsfolgen geknüpft sind (vgl. § 23 Abs. 2 S. 1 und 2 AsylG). Eine Pflicht des Bundesamtes, dem Ausländer unverzüglich oder innerhalb einer bestimmten Frist einen Termin zur förmlichen Asylantragstellung zu nennen, ergibt sich hieraus nicht.
21(2) Auch aus § 63 Abs. 1 S. 1 AsylG lässt sich ein entsprechender Anspruch nicht ableiten. Nach dieser Vorschrift, mit der Art. 6 Abs. 1 S. 1 der Richtlinie 2003/9/EG über die Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten (Ausnahmerichtlinie - ARL -; heute Art. 6 Abs. 1 S. 1 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen) umgesetzt wird (vgl. BT-Drs. 16/5065, S. 219), wird dem Ausländer nach der Asylantragstellung innerhalb von drei Tagen eine mit Angaben zur Person und einem Lichtbild versehene Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung erteilt, wenn er - wie der Antragsteller - nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels ist. Ein Anspruch auf Ausstellung einer Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung, die gemäß § 55 Abs. 1 S. 1 AsylG bereits mit der Äußerung eines (formlosen) Asylgesuchs im Sinne von § 13 AsylG kraft Gesetzes entsteht, besteht danach erst nach der förmlichen Antragstellung beim Bundesamt im Sinne von §§ 14 Abs. 1, 23 Abs. 1 AsylG. An einer solchen fehlt es hier jedoch gerade. Einen Anspruch darauf, dem Asylsuchenden innerhalb von drei Tagen oder einer sonstigen Frist nach Äußerung eines formlosen Asylgesuchs auch die Möglichkeit einzuräumen, einen förmlichen Asylantrag zu stellen, mit der Folge eines Anspruchs auf Ausstellung einer Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung, vermittelt die Vorschrift nach ihrem eindeutigen Wortlaut hingegen nicht.
22(3) Der geltend gemachte Anspruch kann auch nicht auf § 67 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gestützt werden. Danach erlischt die Aufenthaltsgestattung, wenn der Ausländer innerhalb von zwei Wochen, nachdem er um Asyl nachgesucht hat, noch keinen Asylantrag gestellt hat. Mit dieser Regelung wird für den Ausländer eine Frist zur förmlichen Asylantragstellung festgelegt, mit der seine Mitwirkung im Asylverfahren effektiv durchgesetzt werden soll. Die Vorschrift begründet jedoch keine Pflicht des Bundesamtes - und einen damit korrespondierenden Anspruch des Ausländers -, dass der förmliche Asylantrag spätestens innerhalb von zwei Wochen nach der Äußerung des Asylgesuchs aufgenommen sein muss.
23Zwar erlischt die Aufenthaltsgestattung auch dann, wenn der Grund für die verzögerte Antragstellung nicht im Verantwortungsbereich des Ausländers liegt, z.B. wenn der Ausländer wegen einer Überlastung der Außenstelle des Bundesamtes noch keinen Termin zur persönlichen Antragstellung im Sinne von §§ 14 Abs. 1, 23 Abs. 1 AsylG erhalten hat.
24Vgl. ebenso: Bergmann, in: Renner/Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 67 Rn. 5; Hailbronner, Ausländerrecht, Bd. 3, Stand: Dezember 2015, § 67 Rn. 12; Funke-Kaiser, in Gemeinschaftskommentar zum Asylverfahrensgesetz (GK-AsylVfG), Stand: Dezember 2015, Bd. III, § 67 Rn. 15.
25Dies folgt aus Wortlaut, Systematik sowie Entstehungsgeschichte der Vorschrift. So enthält § 67 Abs. 1 Nr. 2 AsylG - anders als etwa die Regelungen der §§ 20 Abs. 2 S. 1, 22 Abs. 3 S. 2, 23 Abs. 2 S. 1 AsylVfG im Falle der Verletzung der Mitwirkungspflichten des Ausländers bei der Weiterleitung, Meldepflicht und förmlichen Antragstellung - seinem Wortlaut nach keine Beschränkung auf Fälle einer schuldhaft verzögerten Antragstellung. Zudem ist der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 1227/18, S. 62) zu entnehmen, dass die ursprünglich vorgesehene Antragsfrist von einer Woche deswegen auf zwei Wochen verlängert worden ist, weil eine Verzögerung auch auf Gründen außerhalb der Sphäre des Ausländers beruhen kann. Dies zeigt jedoch, dass der Gesetzgeber davon ausging, dass grundsätzlich auch eine unverschuldete Verzögerung bei der förmlichen Antragstellung zum Erlöschen der Aufenthaltsgestattung führt. Vor dem Hintergrund, dass er diesem Umstand "nur" mit einer Verlängerung der Antragsfrist Rechnung getragen hat, verbietet sich daher eine am Zweck der Vorschrift orientierte, einschränkende Auslegung dahin, Fälle der unverschuldeten Verzögerung bei der förmlichen Antragstellung vom Erlöschenstatbestand des § 67 Abs. 1 Nr. 2 AsylG auszunehmen.
26Der mit einer auch unverschuldeten Verzögerung des Asylantrags einhergehende Rechtsverlust gebietet es jedoch nicht, eine Pflicht des Bundesamtes anzunehmen, dem Ausländer binnen zwei Wochen ab Äußerung des Asylgesuchs einen Termin zur förmlichen Antragstellung zu benennen. Denn der Gesetzgeber hat diesem aus § 67 Abs. 1 Nr. 2 AsylG folgenden unbilligen Ergebnis mit der Aufnahme des Satzes 2 durch das zum 24. Oktober 2015 in Kraft getreten Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 20. Oktober 2015 (BGBl. I, S. 1722) inzwischen hinreichend Rechnung getragen. Diese Bestimmung sieht nunmehr vor, dass, wenn in den Fällen des § 23 Abs. 1 AsylG der dem Ausländer genannte Termin bei der Außenstelle des Bundesamtes nach der sich aus § 67 S. 1 Nr. 2 AsylG ergebenden Frist liegt, die Aufenthaltsgestattung nach dieser Bestimmung erst dann erlischt, wenn der Ausländer bis zu diesem Termin keinen Asylantrag gestellt. Nach der Gesetzesbegründung soll diese Änderung dem Problem begegnen, dass sich im Einzelfall die Vergabe eines Termins zur förmlichen Antragstellung soweit verzögert, dass nach § 67 S. 1 Nr. 2 AsylG die Aufenthaltsgestattung erlöschen und der Aufenthalt somit unerlaubt würde, obwohl der Ausländer ohne eigenes Verschulden noch keine Gelegenheit hatte, einen Asylantrag zu stellen (vgl. BT-Drs. 18/6185, S. 35). Ist dem Ausländer - wie hier - noch gar kein Termin zur förmlichen Asylantragstellung benannt worden, gilt die Ausnahmeregelung des § 67 Abs. 1 S. 2 AsylG nach ihrem Sinn und Zweck erst recht (vgl. ebenso Erlass des Ministeriums für Inneres und Kommunales des Landes NRW vom 1. Dezember 2012 - Az. 122/123 - 39.11.00-15-206 -, S. 3).
27(4) Aus der Vorschrift des § 63a AsylG (Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender), die ebenfalls durch das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz in das Asylgesetz aufgenommen und durch das Datenaustauschverbesserungsgesetz vom 2. Februar 2016 (BGBl. I, S. 130) geändert wurde, lässt sich im Gegenteil entnehmen, dass das Asylgesetz keine Pflicht des Bundesamtes vorsieht, einem Ausländer, der ein materielles Asylbegehren geäußert hat, unverzüglich oder innerhalb einer bestimmten (lediglich Tagen oder Wochen umfassenden) Frist die Gelegenheit zur förmlichen Asylantragstellung einzuräumen. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift wird einem Ausländer, der um Asyl nachgesucht hat und nach den Vorschriften des Asylgesetzes oder des Aufenthaltsgesetzes erkennungsdienstlich behandelt worden ist, aber noch keinen - förmlichen - Asylantrag gestellt hat, unverzüglich eine Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender (Ankunftsnachweis) ausgestellt. Das Dokument dient damit für den Zeitraum zwischen der Äußerung eines materiellen Asylgesuchs und der förmlichen Asylantragstellung als Nachweis, dass der Inhaber als Asylsuchender registriert wurde und berechtigt ist, sich zu der im Dokument genannten Aufnahmeeinrichtung zu begeben, um dort bei der Außenstelle des Bundesamtes einen Asylantrag zu stellen (vgl. BT-Drs. 18/6185 S. 35). Gemäß § 63a Abs. 2 S. 1 AsylG ist die Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender auf längstens sechs Monate zu befristen. Nach S. 2 soll sie ausnahmsweise um jeweils längstens drei Monate verlängert werden, wenn dem Ausländer bis zum Ablauf der Frist nach S. 1 oder der verlängerten Frist nach Halbs. 1 kein Termin bei der Außenstelle des Bundesamtes nach § 23 Abs. 1 genannt wurde (Nr. 1), der dem Ausländer nach § 23 Abs. 1 genannte Termin bei der Außenstelle des Bundesamtes außerhalb der Frist nach S. 1 oder der verlängerten Frist nach Halbs. 1 liegt (Nr. 2) oder der Ausländer den ihm genannten Termin aus Gründen, die nicht zu vertreten hat, nicht wahrnimmt (Nr. 3). Aus der Bemessung der Befristungsdauer der bis zur förmlichen Asylantragstellung auszustellenden Bescheinigung auf grundsätzlich sechs Monate bzw. ausnahmsweise auch länger je nachdem, ob und wann dem Ausländer der Termin zur Antragstellung beim Bundesamt benannt worden ist, folgt jedoch, dass der nationale Gesetzgeber den zulässigen Zeitraum für die Anberaumung eines Termins zur förmlichen Asylantragstellung nach Äußerung eines Asylgesuchs in eben diesem Zeitrahmen verortet.
28Vgl. ebenso: VG Gießen, Beschluss vom 28. Februar 2016 - 3 L 208/16.GI.A -, juris, Rn. 25.
29bb) Ein Anspruch darauf, dem Antragsteller unverzüglich oder zumindest innerhalb einer bestimmten Frist die Stellung eines förmlichen Asylantrags zu ermöglichen, ergibt sich ferner auch nicht aus dem Unionsrecht, insbesondere nicht aus der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie).
30Die Verfahrensrichtlinie war gemäß Art. 51 Abs. 1 VRL u.a. hinsichtlich der Bestimmungen zum Zugang zum Verfahren (Art. 6 VRL) bis spätestens 20. Juli 2015 umzusetzen. Dies ist bislang nicht geschehen. Der noch die Umsetzung der Verfahrensrichtlinie beabsichtigende Entwurf eines "Gesetzes zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes, des Asylbewerberleistungsgesetzes und weiterer Gesetze" vom 14. September 2015 ist nicht in die Gesetzgebungsorgane eingebracht worden.
31Die Richtlinie ist im vorliegenden Fall bei der Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts auch nach der Übergangsvorschrift des Art. 52 VRL zu berücksichtigen. Gemäß Unterabs. 1 S. 1 dieser Vorschrift wenden die Mitgliedstaaten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften nach Art. 51 Abs. 1 VRL auf förmlich gestellte Anträge auf internationalen Schutz nach dem 20. Juli 2015 oder früher an. Gemäß Unterabs. 1 S. 2 gelten für vor diesem Datum förmlich gestellte Anträge die Rechts- und Verwaltungsvorschriften nach Maßgabe der Richtlinie 2005/85/EG. Das Unionsrecht differenziert dabei - ebenso wie das deutsche Asylrecht - zwischen dem materiellen Antrag einerseits (vgl. das materielle Schutzersuchen gemäß Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 2013/32/EU sowie gemäß Art. 2 Buchst. a) der Richtlinie 2013/33/die i.V.m. Art. 2 Buchst. h) der Richtlinie 2011/95/EU - Qualifikationsrichtlinie -) und dem förmlichen Antrag andererseits, der das Asylverfahren im engeren Sinne mit seinen spezifischen Rechten und Pflichten auslöst (vgl. Art. 6 Abs. 2, 3 und 4 sowie Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 1 und Abs. 5 der Richtlinie 2013/32/EU). Der Antragsteller hat zwar noch keinen förmlichen Asylantrag gestellt, da der vorliegende Antrag gerade auf die Ermöglichung eines solchen Antrags gerichtet ist. Der Antragsteller wird den förmlichen Antrag jedoch in jedem Fall erst nach dem vorgenannten Stichtag stellen, so dass die Bestimmungen der Richtlinie 2013/32/EU hier bereits zu beachten sind.
32Allerdings folgt aus der vom Antragsteller zu seinen Gunsten angeführten Vorschrift des Art. 6 Abs. 1 VRL keine Pflicht des Bundesamtes - und korrespondierend damit ein Anspruch des Antragstellers -, den förmlichen Asylantrag unverzüglich bzw. innerhalb einer bestimmten Frist nach Äußerung des Schutzersuchens anzunehmen.
33Gemäß Unterabs. 1 dieser Vorschrift erfolgt in dem Fall, dass eine Person einen Antrag auf internationalen Schutz bei einer Behörde stellt, die nach nationalem Recht für die Registrierung solcher Anträge zuständig ist, die Registrierung spätestens drei Arbeitstage nach Antragstellung. Wird der Antrag auf internationalen Schutz bei anderen Behörden gestellt, bei denen derartige Anträge wahrscheinlich gestellt werden, die aber nach nationalem Recht nicht für die Registrierung zuständig sind, so gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die Registrierung spätestens sechs Arbeitstage nach Antragstellung erfolgt (Unterabsatz 2). Nach Art. 6 Abs. 5 VRL können die Mitgliedstaaten für den Fall, dass eine große Zahl von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gleichzeitig internationalen Schutz beantragt, so dass es in der Praxis sehr schwierig ist, die Frist nach Abs. 1 einzuhalten, vorsehen, dass diese Frist auf zehn Arbeitstage verlängert wird.
34Die vorgenannten Bestimmungen regeln nach ihrem eindeutigen Wortlaut ausschließlich die Registrierung eines Antragstellers nach Äußerung eines materiellen Schutzersuchens. Die Registrierung eines Antragstellers ist jedoch, wie sich aus dem systematischen Zusammenhang der Vorschrift ergibt, zu unterscheiden von der förmlichen Antragstellung, wie sie der Antragsteller hier begehrt. Denn die förmliche Antragstellung ist in den Bestimmungen des Art. 6 Abs. 2 bis 4 VRL gesondert geregelt. Dies belegt, dass nach der Konzeption der Verfahrensrichtlinie die Registrierung einerseits und die förmliche Antragstellung andererseits zwei unterschiedliche Verfahrensschritte sind. Aus den Fristen, die in den vorgenannten Bestimmungen für die Registrierung eines Antragstellers vorgesehen sind, ergibt sich daher nichts für die in Rede stehende förmliche Antragstellung.
35Abgesehen davon ist der Antragsteller, nachdem er nach Aktenlage erstmals am 21. Oktober 2015 ein materielles Schutzersuchen geäußert hat, innerhalb der genannten 3-Tages-Frist von der Erstaufnahmeeinrichtung der Bezirksregierung Arnsberg, Außenstelle I. , als hierfür zuständigen Behörde (vgl. § 63a Abs. 3 S. 1 AsylG) als Asylsuchender registriert worden, wie die ihm ausgestellte Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender vom 23. Oktober 2015 belegt.
36Der Antragsteller kann einen Anspruch, unverzüglich oder zumindest innerhalb einer bestimmten Frist einen förmlichen Schutzantrag beim Bundesamt als zuständiger Asylbehörde (vgl. Art. 2 Buchst. f) und Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU) stellen zu können, insbesondere auch nicht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 der Richtlinie 2013/32/EU ableiten. Nach dieser Bestimmung stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass eine Person, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, tatsächlich die Möglichkeit hat, diesen sobald wie möglich förmlich zu stellen.
37Zum einen dürfte der Antragsteller sich auf diese Vorschrift schon nicht berufen können.
38Vgl. in diesem Sinne auch: VG Gießen, Beschluss vom 28. Februar 2016 - 3 L 208/16.GI.A -, juris, Rn. 25; VG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 25. November 2015 - 12 B 88/15 -, juris, Rn. 9; letztlich offen gelassen: VG Hannover, Beschluss vom 30. Dezember 2015 - 6 B 6186/15 -, juris, Rn. 17.
39Europäische Richtlinien, die in erster Linie an die Mitgliedstaaten gerichtet sind, entfalten - anders als Verordnungen - grundsätzlich keine unmittelbare Wirkung, sondern müssen in nationales Recht umgesetzt werden (vgl. Art. 288 Abs. 3 AEUV). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union können sich Einzelne allerdings im Falle der nicht fristgemäßen Umsetzung gegenüber allen innerstaatlichen, nicht richtlinienkonformen Vorschriften unmittelbar auf eine Richtlinienbestimmung berufen, wenn diese inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt ist und dem Einzelnen Rechte einräumt, auf die dieser sich dem Mitgliedstaat gegenüber berufen kann.
40Vgl. EuGH Urteile vom 19. Januar 1982 - Rs. C-8/81, Becker - Slg. 1982, S. 53 ff. = juris, Rn. 17 ff.; vom 4. Dezember 1986 - Rs. C-71/85, Niederländischer Staat -, Slg. 1986, S. 3855 ff, Rn. 13 f.; vom 24. März 1987 - Rs. C-286/85, McDermott und Cotter, Slg. 1987, S. 1463 ff. = juris, Rn. 11.
41Diese Anforderungen erfüllt Art. 6 Abs. 2 VRL nicht. Eine Richtlinienbestimmung ist dann inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt, wenn sie eine Verpflichtung begründet, die weder an eine Bedingung geknüpft ist, noch zu ihrer Erfüllung und Wirksamkeit einer Maßnahme der Gemeinschaftsorgane oder der Mitgliedstaaten bedarf und der Inhalt der einzelnen Regelung so eindeutig umschrieben ist, dass sie ohne weitere Konkretisierung angewendet werden kann.
42Vgl. EuGH, Urteil vom 23. Februar 1994 - Rs. C-236/92, Comitato di coordinamento per la difesa della Cava u.a. -, NVwZ 1994, 885 = juris, Rn. 8 ff.
43Dies ist bei Art. 6 Abs. 2 VRL nicht der Fall. Denn soweit die Mitgliedstaaten danach "sicherstellen" sollen, dass eine Person, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, tatsächlich die Möglichkeit hat, diesen "sobald wie möglich" förmlich zu stellen, bedarf es einerseits noch eines Umsetzungsakts der Mitgliedstaaten, um diese Vorgabe zu erfüllen. Andererseits ist die Formulierung "sobald wie möglich" nicht so konkret, dass daraus eine Verpflichtung zur Entgegennahme des förmlichen Antrags innerhalb einer bestimmten Frist abgeleitet werden könnte. Im Gegensatz zu Art. 6 Abs. 1, 2 und 5 VRL ist in Art. 6 Abs. 2 VRL eine konkrete Frist zur Stellung des förmlichen Asylantrags gerade nicht vorgesehen. Außerdem ergibt sich aus dem Wortlaut auch nicht, dass diese Bestimmung individualschützend ausgestaltet ist. Es fehlt im Gegensatz etwa zu den Regelungen in Art. 7 Abs. 1 und 3, Art. 9 Abs. 1, Art 14 Abs. 1, Art. 28 Abs. 2, Art. 46 Abs. 1 VRL an einer entsprechenden Wortwahl, die den individualschützenden Charakter der Norm zum Ausdruck bringt (vgl. "das Recht hat", "Antragsteller dürfen", "Garantien für den Antragsteller", "dem Antragsteller wird Gelegenheit gegeben", "berechtigt ist").
44Jedenfalls aber ist ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 VRL nicht ersichtlich. Denn die Vorschrift bestimmt - wie dargelegt - lediglich, dass ein Antragsteller tatsächlich die Möglichkeit hat, den Antrag "sobald wie möglich" förmlich zu stellen. Mit dieser Wendung wird gerade die Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse in der Praxis ermöglicht, die der Einhaltung bestimmter Fristen zur förmlichen Antragstellung ggf. entgegenstehen können, wie z.B. eine starke Zunahme von Schutzersuchen und die damit einhergehenden Kapazitätsauslastungen der zuständigen Asylbehörde. Maßgeblich ist vielmehr, dass in der Zeit zwischen der Äußerung des materiellen Schutzersuchens sowie der zeitnah durchzuführenden Registrierung und der förmlichen Antragstellung die Verfahrensrechte der Antragsteller, die in der Verfahrensrichtlinie und der Aufnahmerichtlinie festgelegt sind, insbesondere das verfahrensbezogene Bleiberecht (vgl. Art. 9 Abs. VRL), das Recht auf materielle und medizinische Versorgung (vgl. Art. 17 ff. ARL), der Zugang zu Beschäftigung (vgl. Art. 15 ARL) u.a. gewahrt werden (vgl. Erwägungsgrund Nr. 27). Dies ist mit Blick auf die diesbezüglichen Gewährleistungen des Asylgesetzes und des Asylbewerberleistungsgesetzes jedoch der Fall.
45Angesichts der allgemein bekannten Entwicklung der Asylantragstellerzahlen seit dem Jahr 2015 und der damit einhergehenden erheblichen Arbeitsüberlastung des Bundesamtes ist es diesem bei objektiver Betrachtung derzeit rein faktisch nicht möglich, eine zeitnahe Terminvergabe zur förmlichen Asylantragstellung zu gewährleisten. Die Ladungen des Bundesamtes zur Antragstellung haben nach Kenntnis des Gerichts gegenwärtig eine Vorlaufzeit von 2 bis 3 Monaten. Dies ist jedoch angesichts des aktuell zu verzeichnenden Massenzustroms von Flüchtlingen auch unter Berücksichtigung des erklärten Ziels der Verfahrensrichtlinie, über Anträge auf internationalen Schutz so rasch wie möglich zu entscheiden (vgl. Erwägungsgrund Nr. 18),- noch - nicht zu beanstanden.
46Vgl. in diesem Sinne auch: VG Gießen, Beschluss vom 28. Februar 2016 - 3 L 208/16.GI.A -, juris, Rn. 24; VG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 25. November 2015 - 12 B 88/15 -, juris, Rn. 9; VG Hannover, Beschluss vom 30. Dezember 2015 - 6 B 6186/15 -, juris, Rn. 16.
47b) Darüber hinaus ist auch das Bestehen eines Anordnungsgrundes nicht glaubhaft gemacht worden.
48Der Antragsteller begehrt mit seinem Antrag letztlich eine grundsätzlich verbotene, weil mit dem Sinn und Zweck der einstweiligen Anordnung als vorläufige Regelung unvereinbare Vorwegnahme der Hauptsache. Denn im Fall des Obsiegens erhielte er bereits das, was er auch im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens erstreiten müsste. Eine Vorwegnahme der Hauptsache ist jedoch nur dann zulässig, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtschutzes (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG) geboten ist, weil andernfalls ein unwiederbringlicher Rechtsverlust drohen würde, eine Hauptsacheentscheidung nicht mehr möglich wäre oder ein sonstiger schwerer, unzumutbarer Nachteil eintreten würde.
49Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 2013 - 10 C 9.12 -, InfAuslR 2013, 331 = juris Rn. 22 m.w.N.; Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 6. Aufl., § 123 Rn. 58.
50Es ist jedoch weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, welche schwerwiegenden Nachteile dem Antragsteller drohen, wenn die begehrte einstweilige Anordnung nicht erlassen wird.
51Vgl. ebenso: VG Gießen, Beschluss vom 28. Februar 2016 - 3 L 208/16.GI.A -, juris, Rn. 29; VG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 25. November 2015 - 12 B 88/15 -, juris, Rn. 10.
52Sein Aufenthalt ist bereits seit der Äußerung des materiellen Asylgesuchs kraft Gesetzes gestattet (vgl. § 55 Abs. 1 AsylG). Die hierüber erst nach der förmlichen Asylantragstellung auszustellende Bescheinigung (vgl. § 63 Abs. 1 AsylG) ist lediglich deklaratorische Natur. Auch ist - wie bereits dargelegt - das gesetzliche Aufenthaltsrecht nicht nach Ablauf von 2 Wochen erloschen (vgl. § 67 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AsylG), weil dem Antragsteller noch kein Termin zur förmlichen Asylantragstellung vom Bundesamt benannt worden ist (vgl. § 67 Abs. 1 S. 2 AsylG). Rechtsnachteile im Hinblick auf eine spätere Aufenthaltsverfestigung oder gar Einbürgerung, sind ebenfalls nicht ersichtlich. Denn im Falle der späteren Zuerkennung eines Schutzstatus durch das Bundesamt, werden die Zeiten des Asylverfahrens, in denen eine Aufenthaltsgestattung bestand, bei einem Rechtserwerb angerechnet (vgl. § 55 Abs. 3 AsylG). Auch der Bezug von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz setzt gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG nur das materielle Asylgesuch, nicht die förmliche Antragstellung voraus. Ferner hat der Antragsteller nunmehr bereits nach 3 Monaten eines gestatteten Aufenthalts Zugang zum Arbeitsmarkt, sofern die Bundesagentur der Aufnahme einer Beschäftigung zustimmt oder die Beschäftigung zustimmungsfrei zulässig ist (vgl. § 61 Abs. 2 AsylG). Eine infolge der Verfahrensdauer ggf. verzögerte Möglichkeit, Familienangehörige ins Bundesgebiet nachziehen zu lassen (vgl. § 29 Abs. 1 und 2 AufenthG), stellt ebenfalls keinen unzumutbaren Nachteil dar. Denn dieses Recht hängt davon ab, ob dem Ausländer überhaupt ein Schutzstatus zuerkannt wird. Ein Rechtsverlust kann bei einem noch nicht zuerkannten Recht jedoch nicht eintreten. Abgesehen davon steht es Familienangehörigen bis zur Anerkennung des Stammberechtigten frei, selbst im Bundesgebiet um Asyl nachzusuchen.“
53Auch diesen Ausführungen schließt sich die Einzelrichterin an.
543. Der Hilfsantrag, festzustellen, dass der Antrag auf internationalen Schutz des Antragstellers mit Ausstellung der Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender durch die zentrale Ausländerbehörde E. vom 9. Juni 2015 als förmlich gestellt im Sinne des Artikel 6 Absatz 4 Richtlinie 2013/32/EU gilt, hat ebenfalls keinen Erfolg. Dahingestellt bleiben kann, inwieweit ein solcher Antrag zulässig ist und ein Anordnungsgrund besteht. Denn es fehlt jedenfalls an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs.
55Die Übersendung der Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender durch die zentrale Ausländerbehörde an das Bundesamt löst die in Artikel 6 Absatz 4 der Richtlinie 2013/32/EU geregelte Fiktion einer förmlichen Antragstellung nicht aus. Dies ergibt sich aus folgenden rechtlichen Erwägungen:
56Während Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie 2013/32/EU ausschließlich die Registrierung eines Antragstellers nach Äußerung eines materiellen Schutzersuchens regelt, betrifft Artikel 6 Absatz 2 bis 4 den förmlichen Asylantrag. Gemäß Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 der Richtlinie 2013/32/EU stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass eine Person, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, tatsächlich die Möglichkeit hat, diesen so bald wie möglich förmlich zu stellen. Gemäß Absatz 3 der Vorschrift können die Mitgliedstaaten unbeschadet des Absatzes 2 verlangen, dass Anträge auf internationalen Schutz persönlich und/oder an einem bestimmten Ort gestellt werden. Ungeachtet dessen gilt gemäß Artikel 6 Absatz 4 der Richtlinie 2013/32/EU ein Antrag auf internationalen Schutz als förmlich gestellt, sobald den zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats ein vom Antragsteller vorgelegtes Formblatt oder ein behördliches Protokoll, sofern nach nationalem Recht vorgesehen, zugegangen ist.
57Artikel 6 Absatz 4 der Richtlinie 2013/32/EU hat mithin die Fälle im Blick, in denen ein Asylantrag schriftlich und nicht persönlich gestellt wird. Das nationale Recht sieht eine schriftliche Asylantragstellung grundsätzlich nicht vor. § 23 Absatz 1 AsylG stellt den Grundsatz der persönlichen Asylantragstellung bei der Außenstelle des Bundesamtes auf. Danach ist der Ausländer, der in der Aufnahmeeinrichtung aufgenommen ist, verpflichtet, unverzüglich oder zu dem von der Aufnahmeeinrichtung genannten Termin bei der Außenstelle des Bundesamtes zur Stellung des Asylantrags persönlich zu erscheinen. Eine schriftliche Antragstellung anstelle der persönlichen ist nur für Asylsuchende vorgesehen, die nicht in einer Aufnahmeeinrichtung wohnen müssen und gemäß § 14 Absatz 2 AsylG den Antrag beim Bundesamt zu stellen haben.
58Vgl. Bodenbender, GK-AsylVfG, Stand: 92. Ergänzungslieferung Dezember 2011, § 23, Rn. 5 m.w.N.; Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 14, Rn. 3.
59§ 14 Absatz 2 Satz 1 AsylG erfasst nur Ausländer, die einen Aufenthaltstitel mit einer Geltungsdauer von mehr als sechs Monaten besitzen (Nr. 1), sich in Haft oder sonstigem öffentlichem Gewahrsam, in einem Krankenhaus, einer Heil- oder Pflegeanstalt oder in einer Jugendhilfeeinrichtung befinden (Nr. 2), oder minderjährig sind und der gesetzliche Vertreter nicht verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen (Nr. 3). § 14 Absatz 2 Satz 2 AsylG sieht in diesen Fällen vor, dass die Ausländerbehörde einen bei ihr eingereichten schriftlichen Antrag unverzüglich dem Bundesamt zuleitet. Da der Antragsteller schon nicht dem vorstehend genannten Personenkreis unterfällt, bleibt es für ihn nach nationalem Recht bei der Verpflichtung seinen Asylantrag persönlich beim Bundesamt zu stellen.
60Überdies dient die Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender im Sinne von § 63a Absatz 1 Satz 1 AsylG allein dem Nachweis, dass der Betroffene um Asyl nachgesucht hat (vgl. § 13 Absatz 1 AsylG) und als Asylsuchender registriert worden sowie berechtigt ist, in der in der Bescheinigung näher bezeichneten Aufnahmeeinrichtung einen Asylantrag im förmlichen Sinne zu stellen.
61Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, Stand: 106. Ergänzungslieferung April 2016, § 63a, Rn. 4.
62Bei dem „Nachsuchen um Asyl“ handelt es sich um ein nicht förmliches Asylgesuch im Sinne der Legaldefinition in § 13 Absatz 1 AsylG und nicht um den förmlichen Antrag im Sinne des § 14 AsylG. Sinn und Zweck der Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender ist es lediglich – in Einklang mit Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie 2013/32/EU – den Zeitraum, bis zur förmlichen Antragstellung zu überbrücken.
63Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, Stand: 106. Ergänzungslieferung April 2016, § 63a, Rn. 2.
64Weitergehende Rechtsfolgen sind mit der Ausstellung einer Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender nicht verbunden. Insbesondere stellt sie nach alldem kein Formblatt oder behördliches Protokoll im Sinne von Artikel 6 Absatz 4 der Richtlinie 2013/32/EU dar.
65A.A. VG Arnsberg, Beschluss vom 7. Dezember 2015 – 9 L 1508/15.A –. juris, Rn. 6.
66Das Prozesskostenhilfegesuch war abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung aus den vorstehend genannten Gründen nicht die erforderliche Aussicht auf Erfolg bietet, § 166 VwGO, 114 ZPO.
67Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Absatz 1 VwGO, § 83b AsylG.
68Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Absatz 1 Satz 1 RVG.
69Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
(1) Soll der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Absatz 1 Nummer 1) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies gilt auch, wenn der Ausländer den Asylantrag in einem anderen auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt oder vor der Entscheidung des Bundesamtes zurückgenommen hat. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht. Kann eine Abschiebungsanordnung nach Satz 1 oder 2 nicht ergehen, droht das Bundesamt die Abschiebung in den jeweiligen Staat an.
(2) Anträge nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung gegen die Abschiebungsanordnung sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Abschiebung ist bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots durch das Bundesamt nach § 11 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung bleibt hiervon unberührt.
Tenor
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Das Verfahren wird ausgesetzt.
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Es wird gemäß Art. 267 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu folgenden Fragen eingeholt:
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1. In einem Fall, in dem der Drittstaatsangehörige nach Stellung eines zweiten Asylantrags in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Deutschland) aufgrund gerichtlicher Ablehnung seines Antrags auf Aussetzung der Überstellungsentscheidung nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) in den originär zuständigen Mitgliedstaat der ersten Asylantragstellung (hier: Italien) überstellt wurde und er danach umgehend illegal in den zweiten Mitgliedstaat (hier: Deutschland) zurückgekehrt ist:
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a) Ist nach den Grundsätzen der Dublin III-VO für die gerichtliche Überprüfung einer Überstellungsentscheidung die Sachlage im Zeitpunkt der Überstellung maßgeblich, weil mit der fristgerecht erfolgten Überstellung die Zuständigkeit endgültig bestimmt und daher zuständigkeitsrelevante Vorschriften der Dublin III-VO für die weitere Entwicklung nicht mehr anzuwenden sind, oder sind nachträgliche Entwicklungen der für die Zuständigkeit im Allgemeinen erheblichen Umstände - z.B. Ablauf von Fristen zur Wiederaufnahme oder (neuerlichen) Überstellung - zu berücksichtigen?
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b) Sind nach abgeschlossener Zuständigkeitsbestimmung aufgrund der Überstellungsentscheidung weitere Überstellungen in den originär zuständigen Mitgliedstaat möglich und bleibt dieser Mitgliedstaat zur Aufnahme des Drittstaatsangehörigen verpflichtet?
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2. Wenn die Zuständigkeit mit der Überstellung nicht endgültig bestimmt ist: Welche der nachstehend genannten Regelungen ist in einem solchen Fall auf eine Person im Sinne des Art. 18 Abs. 1 Buchstaben b, c oder d Dublin III-VO wegen des noch laufenden Rechtsbehelfsverfahrens gegen die bereits vollzogene Überstellungsentscheidung anzuwenden:
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a) Art. 23 Dublin III-VO (analog) mit der Folge, dass bei einem nicht fristgerechten erneuten Wiederaufnahmegesuch ein Zuständigkeitsübergang nach Art. 23 Abs. 2 und 3 Dublin III-VO eintreten kann, oder
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b) Art. 24 der Dublin III-VO (analog) oder
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c) keine der unter a) und b) genannten Regelungen?
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3. Für den Fall, dass auf eine solche Person weder Art. 23 noch Art. 24 Dublin III-VO (analog) anwendbar sind (Frage 2 Buchstabe c): Sind aufgrund der angefochtenen Überstellungsentscheidung bis zum Abschluss des dagegen gerichteten Rechtsbehelfsverfahrens weitere Überstellungen in den originär zuständigen Mitgliedstaat (hier: Italien) möglich und bleibt dieser Mitgliedstaat zur Aufnahme des Drittstaatsangehörigen verpflichtet - unabhängig von der Stellung weiterer Wiederaufnahmegesuche ohne Beachtung der Fristen des Art. 23 Abs. 3 oder Art. 24 Abs. 2 Dublin III-VO und unabhängig von Überstellungsfristen gemäß Art. 29 Abs. 1 und 2 Dublin III-VO?
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4. Für den Fall, dass auf eine solche Person Art. 23 Dublin III-VO (analog) anzuwenden ist (Frage 2 Buchstabe a): Ist das erneute Wiederaufnahmegesuch an eine neue Frist nach Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO (analog) gebunden? Wenn ja: Wird diese neue Frist durch die Kenntnis der zuständigen Behörde von der Wiedereinreise in Lauf gesetzt oder ist für den Fristanlauf ein anderes Ereignis maßgebend?
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5. Für den Fall, dass auf eine solche Person Art. 24 Dublin III-VO (analog) anzuwenden ist (Frage 2 Buchstabe b):
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a) Ist das erneute Wiederaufnahmegesuch an eine neue Frist nach Art. 24 Abs. 2 Dublin III-VO (analog) gebunden? Wenn ja: Wird diese neue Frist durch die Kenntnis der zuständigen Behörde von der Wiedereinreise in Lauf gesetzt oder ist für den Fristanlauf ein anderes Ereignis maßgebend?
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b) Wenn der andere Mitgliedstaat (hier: Deutschland) eine nach Art. 24 Abs. 2 Dublin III-VO (analog) zu beachtende Frist verstreichen lässt: Begründet die Stellung eines neuen Asylantrags gemäß Art. 24 Abs. 3 Dublin III-VO unmittelbar die Zuständigkeit des anderen Mitgliedstaates (hier: Deutschland) oder kann dieser trotz des neuen Asylantrags erneut den originär zuständigen Mitgliedstaat (hier: Italien) ohne Bindung an eine Frist um Wiederaufnahme ersuchen oder den Ausländer ohne Wiederaufnahmegesuch in diesen Mitgliedstaat überstellen?
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c) Wenn der andere Mitgliedstaat (hier: Deutschland) eine nach Art. 24 Abs. 2 Dublin III-VO (analog) zu beachtende Frist verstreichen lässt: Ist dann die Rechtshängigkeit eines im anderen Mitgliedstaat (hier: Deutschland) vor der Überstellung gestellten Asylantrags der Stellung eines neuen Asylantrags gemäß Art. 24 Abs. 3 Dublin III-VO gleichzustellen?
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d) Wenn der andere Mitgliedstaat (hier: Deutschland) eine nach Art. 24 Abs. 2 Dublin III-VO (analog) zu beachtende Frist verstreichen lässt und der Ausländer weder einen neuen Asylantrag stellt noch die Rechtshängigkeit eines im anderen Mitgliedstaat (hier: Deutschland) vor der Überstellung gestellten Asylantrags der Stellung eines neuen Asylantrags gemäß Art. 24 Abs. 3 Dublin III-VO gleichzustellen ist: Kann der andere Mitgliedstaat (hier: Deutschland) erneut den originär zuständigen Mitgliedstaat (hier: Italien) ohne Bindung an eine Frist um Wiederaufnahme ersuchen oder den Ausländer ohne Wiederaufnahmegesuch in diesen Mitgliedstaat überstellen?
Gründe
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I
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Der Kläger, ein syrischer Staatsangehöriger, wurde am 12. September 2014 von der Polizei in Frankfurt am Main aufgegriffen und stellte am 29. Oktober 2014 einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gab er an, über das Meer von Libyen nach Italien und von dort aus auf dem Landweg nach Deutschland gereist zu sein. Eine Eurodac-Treffermeldung ergab, dass der Kläger bereits am 4. September 2014 in Italien Asyl beantragt hatte. Daraufhin ersuchte das Bundesamt am 11. November 2014 die italienischen Behörden um die Wiederaufnahme des Klägers, ohne eine Antwort zu erhalten.
- 2
-
Mit Bescheid vom 30. Januar 2015 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers wegen der Zuständigkeit Italiens als unzulässig ab und ordnete seine Abschiebung nach Italien an.
- 3
-
Der Kläger beantragte, die aufschiebende Wirkung seiner gleichzeitig erhobenen Klage anzuordnen, da das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien systemische Mängel aufwiesen. Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag mit Beschluss vom 12. März 2015 ab und wies die Klage mit Urteil vom 30. Juni 2015 ab. Daraufhin wurde der Kläger am 3. August 2015 nach Italien abgeschoben, kehrte aber Mitte August 2015 illegal nach Deutschland zurück.
- 4
-
Seine Berufung hatte vor dem Oberverwaltungsgericht Erfolg. Zwar hat das Berufungsgericht in seinem Beschluss vom 3. November 2015 Italien als originär zuständig für die Prüfung des Asylantrags angesehen. Die Zuständigkeit sei aber gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen, da der Kläger nicht innerhalb der Sechs-Monatsfrist des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO überstellt worden sei. Diese Frist sei mit der (fingierten) Annahme des Wiederaufnahmegesuchs durch die italienischen Behörden am 26. November 2014 angelaufen. Bei dem erfolglos gebliebenen Antrag des Klägers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes handele es sich nicht um einen mit aufschiebender Wirkung versehenen Rechtsbehelf im Sinne des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO. In Ermangelung jeglicher Anhaltspunkte sei davon auszugehen, dass Italien nach Ablauf der Überstellungsfrist nicht mehr zur Wiederaufnahme des Klägers bereit sei.
- 5
-
Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten. Sie rügt, die Überstellung des Klägers sei fristgemäß erfolgt. Denn die sechsmonatige Überstellungsfrist sei nicht mit der (fingierten) Annahme des Wiederaufnahmegesuchs, sondern erst mit dem ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes angelaufen. Im Übrigen entfalteten die Frist- und Zuständigkeitsbestimmungen der Dublin III-VO keine individualschützende Wirkung. Schließlich habe sich der Kläger selbst der Prüfung seines Asylbegehrens im zuständigen Mitgliedstaat (Italien) begeben, so dass keine Situation eines "refugee in orbit" vorliege.
- 6
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Der Kläger verteidigt die Entscheidung des Berufungsgerichts.
-
II
- 7
-
Der Rechtsstreit ist auszusetzen. Gemäß Art. 267 AEUV ist eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Gerichtshof) zu den im Beschlusstenor formulierten Fragen einzuholen. Diese Fragen betreffen die Auslegung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist - ABl. L 180 S. 31 - (Dublin III-VO). Da es um die Auslegung von Unionsrecht geht, ist der Gerichtshof zuständig.
- 8
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1. Für die rechtliche Beurteilung der auf Aufhebung des Bescheides vom 30. Januar 2015 gerichteten Anfechtungsklage sind das Asylgesetz (AsylG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl. I S. 390) und Art. 2 des Gesetzes zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom 11. März 2016 (BGBl. I S. 394), sowie die Dublin III-VO maßgeblich. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Rechtsänderungen, die nach der Berufungsentscheidung eintreten, zu berücksichtigen, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie seinerseits zu berücksichtigen hätte (BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Berufungsgericht nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen hat, müsste es, wenn es jetzt entschiede, die neue Rechtslage zugrunde legen. Die Anwendbarkeit der Dublin III-VO ergibt sich aus Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO, wonach die Verordnung auf Anträge auf internationalen Schutz anwendbar ist, die - wie hier - ab dem ersten Tag des sechsten Monats nach ihrem Inkrafttreten, d.h. ab dem 1. Januar 2014, gestellt werden, und die ab diesem Zeitpunkt ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme gilt.
- 9
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Den hiernach maßgeblichen rechtlichen Rahmen des Rechtsstreits bilden die folgenden Vorschriften des nationalen Rechts:
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Ein Asylantrag ist unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
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(1) Soll der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. (...)
-
(2) Anträge nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung gegen die Abschiebungsanordnung sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Abschiebung ist bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. (...)
-
(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. (...)
- 10
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Im Übrigen ist auf Art. 2 Abs. 1 und 2 des unter anderem zwischen den Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Italienischen Republik geschlossenen Übereinkommens betreffend die Rückübernahme von Personen mit unbefugtem Aufenthalt vom 29. März 1991 in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Juli 1993 (BGBl. II S. 1099) hinzuweisen. Die genannte Vorschrift lautet:
-
Art. 2 Rückübernahmeabkommen
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(1) Die Vertragspartei, über deren Außengrenze die Person eingereist ist, die im Hoheitsgebiet der ersuchenden Vertragspartei die geltenden Voraussetzungen für die Einreise oder den Aufenthalt nicht oder nicht mehr erfüllt, übernimmt auf Antrag dieser Vertragspartei formlos diese Person.
-
(2) Als Außengrenze im Sinne dieses Artikels gilt die zuerst überschrittene Grenze, die nicht Binnengrenze der Vertragsparteien gemäß dem Übereinkommen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen ist.
- 11
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2. Die Vorlagefragen sind entscheidungserheblich und bedürfen einer Klärung durch den Gerichtshof der Europäischen Union.
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a) Gemäß § 27a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Mit der Bezugnahme auf die Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft verweist § 27a AsylG insbesondere auf die Vorschriften der Dublin III-VO zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist. Ist hiernach ein anderer Mitgliedstaat zuständig und hat dieser Mitgliedstaat ein an ihn gerichtetes Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch angenommen, lehnt das Bundesamt den in Deutschland gestellten Asylantrag als unzulässig ab und ordnet zugleich gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG die Abschiebung in den zuständigen Staat an. Bei der Abschiebungsanordnung handelt es sich um die Anordnung einer Überstellung im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b und c der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 (ABl. L 222 S. 3), zuletzt geändert durch die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 der Kommission vom 30. Januar 2014 (ABl. L 39 S. 1) (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. September 2015 - 1 C 26.14 - juris Rn. 11 ff.).
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Bei der gerichtlichen Überprüfung der Entscheidung des Bundesamts stellt das Gericht gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. Diese Sonderregelung für asylrechtliche Streitigkeiten soll dazu beitragen, den Streit über das Asyl- und Bleiberecht umfassend zu beenden und neue Verwaltungsverfahren möglichst zu vermeiden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Februar 1997 - 1 B 5.97 - Buchholz 402.240 § 45 AuslG 1990 Nr. 8 S. 13). Hiernach sind bei der gerichtlichen Überprüfung in einem Fall wie dem vorliegenden auch nach Erlass der behördlichen Entscheidung und Durchführung der Überstellung bis zur letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung der letzten Tatsacheninstanz - hier des Berufungsgerichts - eintretende Umstände zu berücksichtigen, wenn sie nach dem anwendbaren materiellen Unionsrecht für die Bestimmung der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates von Bedeutung sind.
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b) Auf der Grundlage der für das vorlegende Gericht bindenden Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts kann nicht abschließend beurteilt werden, ob Italien nach Maßgabe der Dublin III-VO originär für die Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig ist und sich deshalb die durch das Bundesamt getroffenen Entscheidungen als rechtmäßig erweisen.
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Gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO wird ein Antrag auf internationalen Schutz nur von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Dabei ist von der nach Art. 7 Abs. 1 Dublin III-VO genannten Rangfolge und gemäß Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO von der Situation auszugehen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Lässt sich anhand dieser Kriterien der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist nach der allgemeinen Auffangregelung in Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig. Ist die Überstellung an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat nicht möglich, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller dort systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-Grundrechtecharta (GRC) mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO die Prüfung nach den Kriterien des Kapitels III fort. Kann danach keine Überstellung an einen aufgrund der Kriterien von Kapitel III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, wird nach der weiteren Auffangregelung in Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat zuständig.
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Auf der Grundlage dieser unionsrechtlichen Vorgaben ist das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend von einer originären Zuständigkeit Italiens ausgegangen. Diese ergibt sich hier in Ermangelung vorrangiger Regelungen aus Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO. Danach ist ein Mitgliedstaat für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig, wenn auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Art. 22 Abs. 3 Dublin III-VO genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013, festgestellt wird, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaates illegal überschritten hat; die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Hierzu hat das Berufungsgericht für das Revisionsgericht bindend festgestellt (§ 137 Abs. 2 VwGO), dass der Kläger von Libyen aus die Seegrenze Italiens am 29. August 2014 illegal überschritten hat. Die damit in Lauf gesetzte Frist von zwölf Monaten war zum Zeitpunkt der Stellung des ersten Antrags auf internationalen Schutz in Italien auch noch nicht verstrichen. Denn nach den wiederum bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Kläger am 4. September 2014 in Italien den ersten Asylantrag gestellt.
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Die originäre Zuständigkeit Italiens kann jedoch durch den Senat nicht abschließend beurteilt werden. Denn das Berufungsgericht hat - von seinem rechtlichen Standpunkt aus konsequent - keine Tatsachenfeststellungen dazu getroffen, ob das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen in Italien systemische Schwachstellen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO aufweisen, so dass Italien gegebenenfalls bei der Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO außer Betracht zu lassen wäre. Der Kläger hat sich in den Vorinstanzen substantiiert auf systemische Defizite in Italien berufen, so dass diesem Einwand von Amts wegen nachzugehen ist. Sind nach gegenwärtigem Sach- und Streitstand systemische Schwachstellen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO hinsichtlich Italiens zumindest nicht ausgeschlossen, kommt in Ermangelung jeglicher Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines dritten Mitgliedstaates auch eine Zuständigkeit Deutschlands über die Auffangregelung in Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO in Betracht.
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c) Die Frage, ob nach Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO Italien oder Deutschland zuständig ist, kann entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht deshalb offenbleiben, weil Deutschland jedenfalls nachträglich gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO zuständig geworden ist. Denn der Kläger ist bei richtiger Berechnung der Überstellungsfrist fristgemäß nach Italien überstellt worden.
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Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO bestimmt, dass der originär zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur (Wieder-)Aufnahme verpflichtet ist und die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat übergeht, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO durchgeführt wird. Nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO ist eine Überstellung durchzuführen, sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des (Wieder-)Aufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat (erste Variante) oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufschiebende Wirkung hat (zweite Variante). Bei dem nach der zweiten Variante maßgeblichen Tatbestandsmerkmal der "aufschiebenden Wirkung" handelt es sich um einen unionsrechtlichen Begriff, der durch den Verweis auf Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO alle Fälle erfasst, in denen eine Überstellungsentscheidung im Rahmen der den Mitgliedstaaten in Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO eingeräumten Möglichkeiten zur Ausgestaltung eines wirksamen Rechtsbehelfs nicht vollzogen werden darf. Denn wie sich aus der zu Art. 20 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung (EG) 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (Dublin II-VO) ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, ist bei der Auslegung der Dublin-Bestimmungen zum einen die Effektivität des von den Mitgliedstaaten gewährleisteten gerichtlichen Rechtsschutzes zu wahren und der Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten zu respektieren. Zum anderen ist sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten auch bei der zweiten Variante die volle Frist zur Bewerkstelligung der Überstellung nutzen können. Die Frist beginnt bei der zweiten Variante daher erst zu laufen, wenn sichergestellt ist, dass die Überstellung in Zukunft erfolgen wird und lediglich deren Modalitäten zu regeln bleiben, d.h. ab der gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden wird und die der Durchführung nicht mehr entgegenstehen kann (EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 [ECLI:EU:C:2009:41], Petrosian - Rn. 43 ff.).
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Daraus folgt, dass die Überstellungsfrist grundsätzlich mit der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch den anderen Mitgliedstaat anläuft. Die zweite Variante greift erst dann, wenn eine Überstellungsentscheidung erlassen wurde und wegen eines in Umsetzung der Vorgaben des Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO eingelegten Rechtsbehelfs nicht vollzogen werden kann. Dies ist nach nationalem Recht der Fall, wenn der Antragsteller bei dem Verwaltungsgericht Klage gegen die Abschiebungsanordnung erhoben und innerhalb der Frist von einer Woche gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragt hat. Denn nach § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG ist eine Abschiebung bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung über den Antrag unabhängig vom Verfahrensausgang kraft Gesetzes nicht zulässig. Diese Regelung dient der Umsetzung des Art. 27 Abs. 3 Buchst. c Dublin III-VO. Danach sorgen die Mitgliedstaaten unter anderem dadurch für einen wirksamen Rechtsbehelf gegen eine Überstellungsentscheidung, dass die betreffende Person die Möglichkeit hat, bei einem Gericht innerhalb einer angemessenen Frist eine Aussetzung der Durchführung der Überstellungsentscheidung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung zu beantragen, und die Überstellung ausgesetzt wird, bis die Entscheidung über den ersten Antrag auf Aussetzung ergangen ist.
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Der Übergang von der ersten auf die zweite Variante des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO setzt allerdings voraus, dass die mit der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs angelaufene Überstellungsfrist noch nicht abgelaufen war. Denn es versteht sich von selbst, dass die an den Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO geknüpften Rechtsfolgen durch ein Ereignis, das eine neue Überstellungsfrist in Lauf setzt, nicht rückgängig gemacht werden können. Zugleich ergibt sich aus Sinn und Zweck der in die zweite Variante aufgenommenen Beschränkung auf einen Rechtsbehelf, der aufschiebende Wirkung hat, dass bei dieser Variante der Beginn der Überstellungsfrist nur so lange herausgeschoben wird, wie die Überstellungsentscheidung wegen eines Rechtsbehelfs nicht vollzogen werden darf. Das ist nach nationalem Recht indes nicht mehr der Fall, wenn das Verwaltungsgericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt hat. Denn ab diesem Zeitpunkt sind die Behörden aus Rechtsgründen nicht länger an der Durchführung der Abschiebung gehindert.
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Deshalb begann die Überstellungsfrist im vorliegenden Fall zunächst am 26. November 2014 mit der gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO nach Ablauf von zwei Wochen fingierten Annahme des fristgemäß gestellten Wiederaufnahmeersuchens an Italien. Der Kläger hat aber gegen die Überstellungsentscheidung Klage erhoben und rechtzeitig einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gestellt. Die nach der ersten Variante des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO in Lauf gesetzte Überstellungsfrist war zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht abgelaufen, so dass die zweite Variante des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO greift. Wegen der durch den Antrag bewirkten Unterbrechung der Überstellungsfrist begann diese (erneut) mit Bekanntgabe des vorläufigen Rechtsschutz ablehnenden verwaltungsgerichtlichen Beschlusses am 12. März 2015 an die Beklagte und war folglich bei der Überstellung des Klägers am 3. August 2015 noch nicht abgelaufen.
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d) Die Frage, ob nach Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO Italien oder Deutschland originär zuständig ist, könnte allerdings dann offenbleiben, wenn infolge der illegalen Wiedereinreise des Klägers zu dem hier nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts am 3. November 2015 die Zuständigkeit nach den Vorschriften der Dublin III-VO auf Deutschland übergegangen oder ein erneut durchzuführendes Wiederaufnahmeverfahren noch nicht abgeschlossen war. Entscheidungserheblich wird dann, ob nach den Grundsätzen der Dublin III-VO mit einer fristgemäß erfolgten Überstellung die Zuständigkeit für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz noch nicht endgültig bestimmt ist, sondern im Falle einer umgehenden illegalen Rückkehr des Asylbewerbers ein erneutes (Wieder-)Aufnahmeverfahren - gegebenenfalls mit erneuter Beachtung zuständigkeitsrelevanter Fristen - durchzuführen wäre. In diesem Zusammenhang stellen sich die oben genannten unionsrechtlichen Fragen zur Auslegung der Dublin III-VO.
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aa) Die Frage 1 Buchstabe a soll klären, ob nach den Grundsätzen der Dublin III-VO für die gerichtliche Überprüfung einer Überstellungsentscheidung abweichend von der nationalen Regelung des § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG unionsrechtlich die Sachlage im Zeitpunkt der fristgerecht erfolgten Überstellung maßgeblich ist. Denn es spricht einiges dafür, dass nach einer fristgerecht erfolgten Überstellung in den originär zuständigen Mitgliedstaat die Zuständigkeit dieses Mitgliedstaates endgültig bestimmt ist und die Vorschriften der Dublin III-VO, insbesondere diejenigen über die Durchführung eines Wiederaufnahmeverfahrens, auf nachträgliche tatsächliche Umstände wie die illegale Wiedereinreise eines Asylbewerbers nicht mehr anwendbar sind.
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Zu dieser Frage enthält die Dublin III-VO keine ausdrücklichen Regelungen. Die Vorschriften über das Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeverfahren sind jedenfalls nicht unmittelbar auf eine solche Fallkonstellation zugeschnitten, so dass allenfalls eine analoge Anwendung in Betracht käme. Art. 21 Abs. 1 und Art. 23 Abs. 1 Dublin III-VO knüpfen die Einleitung eines Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeverfahrens an die (erneute) Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz in dem ersuchenden Mitgliedstaat. Die hiernach vorausgesetzte Situation ist mit der vorliegenden allenfalls insoweit vergleichbar, als der Kläger in Deutschland vor seiner Überstellung einen (erneuten) Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte, über den zum Zeitpunkt seiner illegalen Wiedereinreise noch nicht rechtskräftig entschieden worden war. Art. 24 Abs. 1 Dublin III-VO erfasst zwar Konstellationen, in denen sich ein Drittstaatsangehöriger ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates aufhält und keinen neuen Antrag auf internationalen Schutz stellt. Wie die Regelung in Art. 24 Abs. 3 Dublin III-VO zeigt, wonach dem Drittstaatsangehörigen bei nicht fristgerechter Stellung eines Wiederaufnahmegesuchs die Gelegenheit zu geben ist, einen neuen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, passt jedoch auch diese Vorschrift nicht unmittelbar auf den Fall eines bereits anhängigen, noch nicht rechtskräftig beschiedenen Antrags.
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Eine eindeutige Antwort auf die aufgeworfene Fragestellung ergibt sich auch nicht aus dem mit der Dublin III-VO verfolgten zentralen Ziel, eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zu ermöglichen, um den effektiven Zugang zu den Verfahren der Gewährung internationalen Schutzes zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz nicht zu gefährden (5. Erwägungsgrund). Zwar würde eine jedenfalls analoge Anwendung der Vorschriften über das (Wieder-)Aufnahmeverfahren es ermöglichen, dass der Betroffene in einem geordneten Verfahren wieder in den für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz originär zuständigen Mitgliedstaat überstellt und zeitnah entweder dort oder bei einem etwaigen Zuständigkeitsübergang infolge einer Fristversäumnis in dem anderen Mitgliedstaat mit einer inhaltlichen Prüfung des Asylantrags begonnen werden kann. Aber die Obliegenheit eines Mitgliedstaates, in solchen Fällen erneut ein Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeverfahrens durchführen zu müssen, könnte Asylbewerber dazu veranlassen, sich trotz der Überstellung wieder in den von ihnen favorisierten Mitgliedstaat zu begeben. Dann hätten es Asylbewerber stets in der Hand, die zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten im Wege eines Aufnahme- oder Wiederaufnahmeverfahrens getroffene Zuständigkeitsbestimmung durch eine illegale Rückkehr wieder in Frage zu stellen und damit letztendlich eine ihren persönlichen Interessen nicht entsprechende Zuständigkeitsbestimmung zu unterlaufen. Eine solche Annahme liefe dem Ziel des Dublin-Systems zuwider, durch Schaffung einheitlicher Verfahren und Kriterien zur Zuständigkeitsbestimmung die Sekundärmigration gerade zu verhindern (vgl. EuGH, Urteil vom 17. März 2016 - C-695/15 PPU [ECLI:EU:C:2016:188], Mirza - Rn. 52).
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bb) Für den Fall, dass mit einer einmal fristgerecht erfolgten Überstellung die Zuständigkeit unter den Mitgliedstaaten endgültig bestimmt ist, bedarf es - hierauf zielt der zweite Teil der ersten Vorlagefrage (Frage 1 Buchstabe b) - zudem der Klärung, ob aufgrund der einmal getroffenen Überstellungsentscheidung weitere Überstellungen in den zuständigen Mitgliedstaat möglich sind und dieser nach Sinn und Zweck der Regelungen der Dublin III-VO zur Aufnahme des Drittstaatsangehörigen verpflichtet bleibt.
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Ist die Zuständigkeit mit der einmal erfolgten Überstellung endgültig festgelegt, bedarf es gegenüber dem Asylbewerber einer rechtlichen Grundlage für eine erneute Überstellung in den für die Prüfung seines Antrags zuständigen Mitgliedstaat. Diese könnte, wenn keine Obliegenheit zur Durchführung eines erneuten (Wieder-)Aufnahmeverfahrens gegenüber dem anderen Mitgliedstaat besteht, weiterhin in der einmal getroffenen Überstellungsentscheidung liegen. Als Anknüpfungspunkt für eine fortbestehende (Wieder-)Aufnahmepflicht des originär zuständigen Mitgliedstaates ließe sich die Vorschrift des Art. 18 Abs. 1 Dublin III-VO anführen. Danach ist der nach den Kriterien der Verordnung zuständige Mitgliedstaat in den durch Art. 18 Abs. 1 Buchst. a bis d Dublin III-VO näher bestimmten Fällen zur Aufnahme- bzw. Wiederaufnahme eines Antragstellers verpflichtet. Allerdings ist, wie die weiteren aufeinander abgestimmten Regelungen in Kapitel VI der Dublin III-VO zeigen, die Durchführung einer (weiteren) Überstellung ohne vorherige Durchführung eines Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeverfahrens jedenfalls nicht ausdrücklich vorgesehen.
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Deshalb ist auch in Betracht zu ziehen, dass sich die Rückführung des Asylbewerbers im Anschluss an eine einmal durchgeführte Überstellung nicht mehr nach den Bestimmungen der Dublin III-VO richtet. Dann käme als Rechtsgrundlage für eine Rückführung Art. 6 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über die gemeinsamen Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 S. 98) in Betracht. Nach dieser Bestimmung sind Drittstaatsangehörige, die sich illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates aufhalten und Inhaber eines gültigen Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates sind, zu verpflichten, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses anderen Mitgliedstaates zu begeben; kommen sie dieser Verpflichtung nicht nach, erlassen die Mitgliedstaaten eine Rückkehrentscheidung. Dazu müsste die sich aus Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. L 180 S. 60) ergebende Berechtigung, bis zur erstinstanzlichen Entscheidung der Asylbehörde über den Antrag auf internationalen Schutz im Mitgliedstaat zu verbleiben, als eine "sonstige Aufenthaltsberechtigung" im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2008/115/EG anzusehen sein, die diesen Mitgliedstaat zur Aufnahme der betreffenden Person verpflichtet. Das würde indes voraussetzen, dass das Asylverfahren in dem anderen Mitgliedstaat (hier: Italien) noch nicht abgeschlossen ist.
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Folgt man dem nicht, verbliebe in Ermangelung anderweitiger unionsrechtlicher Grundlagen für eine Überstellung in den im Dublin-Verfahren als zuständig bestimmten Mitgliedstaat allenfalls ein Rekurs auf bilaterale Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten. Unter den vorliegenden Umständen wäre dabei eine Überstellung an Italien nach Maßgabe von Art. 2 Abs. 1 des unter anderem zwischen den Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Italienischen Republik geschlossenen Übereinkommens betreffend die Rückübernahme von Personen mit unbefugtem Aufenthalt vom 29. März 1991 in Betracht zu ziehen. Danach übernimmt die Vertragspartei, über deren Außengrenze eine Person eingereist ist, die im Hoheitsgebiet der ersuchenden Vertragspartei die geltenden Voraussetzungen für die Einreise oder den Aufenthalt nicht (mehr) erfüllt, diese Person formlos auf Antrag dieser Vertragspartei. Wie sich aus dieser Regelung ergibt, muss es sich bei dem hiernach zur Übernahme verpflichteten Staat indes nicht zwangsläufig um den für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaat handeln, auch wenn dies unter den vorliegenden Umständen der Fall wäre.
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cc) Die weiteren Vorlagefragen sind durch den Gerichtshof nur für den Fall zu beantworten, dass mit einer fristgerecht durchgeführten Überstellung in den originär zuständigen Mitgliedstaat die Zuständigkeitsbestimmung nicht endgültig abgeschlossen ist. Sie zielen auf die Klärung, welche Regelungen der Dublin III-VO im Falle der illegalen Rückkehr eines überstellten Drittstaatsangehörigen unter Umständen wie den vorliegenden - gegebenenfalls analog - Anwendung finden und wie diese Vorschriften dabei im Einzelnen auszulegen sind. Nach der Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts kommt dabei in Betracht, dass Art. 23 Dublin III-VO über das Wiederaufnahmeverfahren nach erneuter Antragstellung, Art. 24 Dublin III-VO über das Wiederaufnahmeverfahren ohne erneute Antragstellung oder aber keine dieser beiden Vorschriften heranzuziehen ist (Frage 2).
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aaa) Für den Fall, dass weder Art. 23 noch Art. 24 Dublin III-VO - gegebenenfalls analog - Anwendung finden, bedarf der Klärung, ob aufgrund der angefochtenen Überstellungsentscheidung bis zum Abschluss des dagegen gerichteten Rechtsbehelfsverfahrens weitere Überstellungen in den originär zuständigen Mitgliedstaat (hier: Italien) möglich sind und dieser Mitgliedstaat unabhängig von der Stellung weiterer Wiederaufnahmegesuche ohne Beachtung der Fristen des Art. 23 Abs. 2 und 3 oder Art. 24 Abs. 2 Dublin III-VO und auch unabhängig von Überstellungsfristen gemäß Art. 29 Abs. 1 und 2 Dublin III-VO, die gegebenenfalls zu einem Zuständigkeitsübergang auf den anderen Mitgliedstaat (hier: Deutschland) führen können, zur Wiederaufnahme des Drittstaatsangehörigen verpflichtet bleibt (Frage 3).
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bbb) Für den Fall, dass Art. 23 Dublin III-VO - gegebenenfalls analog - Anwendung findet, bedarf der Klärung, ob die Stellung eines dann erforderlichen erneuten Wiederaufnahmegesuchs an eine neue zweimonatige oder dreimonatige Frist nach Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO gebunden ist und ob - falls diese Frage zu bejahen sein sollte - diese neue Frist bereits durch die Kenntnis der zuständigen Behörde von der Wiedereinreise oder durch ein anderes Ereignis in Lauf gesetzt wird (Frage 4). Gemäß Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO ist ein Wiederaufnahmeverfahren so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von zwei Monaten nach einer Eurodac-Treffermeldung im Sinne von Art. 9 Abs. 5 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 zu stellen. Stützt sich das Wiederaufnahmegesuch auf andere Beweismittel als auf Angaben aus dem Eurodac-System, ist es innerhalb von drei Monaten, nachdem der Antrag auf internationalen Schutz im Sinne von Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO gestellt wurde, an den ersuchten Mitgliedstaat zu richten. Unmittelbar ist diese Regelung allein auf eine Situation zugeschnitten, in der nach Stellung eines Antrags auf internationalem Schutz in dem originär zuständigen Mitgliedstaat (hier: Italien) in dem um Wiederaufnahme ersuchenden Mitgliedstaat (hier: Deutschland) ein neuer Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird und bei dessen Prüfung entweder eine Eurodac-Treffermeldung oder sonstige Beweismittel und Indizien auf eine Zuständigkeit des originär zuständigen Mitgliedstaates hinweisen. Es liegt auf der Hand, dass die hiernach ursprünglich in Lauf gesetzte zweimonatige bzw. dreimonatige Frist für die Stellung eines Wiederaufnahmegesuchs nicht auch für die Stellung eines weiteren Wiederaufnahmegesuchs nach illegaler Rückkehr maßgeblich sein kann. Denn im Falle einer illegalen Rückkehr wird diese Frist - wie hier - regelmäßig verstrichen sein. In Ermangelung einer erneuten Eurodac-Treffermeldung bzw. eines erneuten Antrags könnte als ein den Fristlauf auslösendes Ereignis aber möglicherweise auf die Kenntnis der nach Art. 35 Abs. 1 Dublin III-VO für die Einleitung des Wiederaufnahmeverfahrens zuständigen nationalen Behörde, hier des Bundesamtes, von der illegalen Rückkehr des Drittstaatsangehörigen abzustellen sein.
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ccc) Für den Fall, dass in Ermangelung eines erneuten Antrags auf internationalen Schutz nicht Art. 23 Dublin III-VO, sondern Art. 24 Dublin III-VO - gegebenenfalls analog - Anwendung findet, ist klärungsbedürftig, ob die Stellung eines erneuten Wiederaufnahmegesuchs an eine neue zwei- oder dreimonatige Frist nach Art. 24 Abs. 2 Dublin III-VO gebunden ist. Falls diese Frage zu bejahen sein sollte, stellt sich die weitere Frage, durch welches Ereignis die Frist in Lauf gesetzt wird (Frage 5 Buchstabe a). Denn ebenso wenig wie die Fristenregelung in Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO ist auch die Fristenregelung in Art. 24 Abs. 2 Dublin III-VO auf eine Situation wie die vorliegende zugeschnitten. Die vorstehenden Erwägungen zur Auslegung von Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO gelten daher entsprechend.
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Ist der um Wiederaufnahme ersuchende Mitgliedstaat an eine aus Art. 24 Abs. 2 Dublin III-VO (analog) folgende Frist für die Stellung eines Wiederaufnahmegesuchs gebunden, hält das vorlegende Gericht außerdem eine Klärung der an das erfolglose Verstreichen der Frist geknüpften Rechtsfolge für erforderlich (Frage 5 Buchstabe b). Anders als Art. 23 Abs. 3 Dublin III-VO sieht Art. 24 Abs. 3 Dublin-VO nämlich keinen Zuständigkeitsübergang vor, wenn das Wiederaufnahmegesuch nicht fristgerecht gestellt wird. Stattdessen bestimmt Art. 24 Abs. 3 Dublin III-VO lediglich, dass dem Drittstaatsangehörigen die Gelegenheit zu geben ist, einen neuen Antrag zu stellen. Allerdings könnte diese Regelung dahin zu verstehen sein, dass die Stellung eines neuen Antrags im Sinne des Art. 24 Abs. 3 Dublin III-VO unmittelbar die Zuständigkeit des Mitgliedstaates begründet, in dem der neue Antrag gestellt wird. Wirkt die Stellung des neuen Antrags hingegen nicht unmittelbar zuständigkeitsbegründend, könnte dieser Mitgliedstaat berechtigt bleiben, den originär zuständigen Mitgliedstaat ohne Bindung an eine Frist um Wiederaufnahme zu ersuchen oder den Drittstaatsangehörigen ohne Wiederaufnahmegesuch in diesen zu überstellen.
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Falls die Stellung eines neuen Antrags gemäß Art. 24 Abs. 3 Dublin III-VO unmittelbar zuständigkeitsbegründend wirken sollte, bedarf außerdem der Klärung, ob die Rechtshängigkeit eines in einem Mitgliedstaat vor der Überstellung gestellten Antrags der Stellung eines neuen Asylantrags im Sinne des Art. 24 Abs. 3 Dublin III-VO gleichzustellen ist (Frage 5 Buchstabe c). Denn der Kläger des Ausgangsverfahrens hat, nachdem er an Italien überstellt wurde und illegal nach Deutschland zurückgekehrt ist, keinen weiteren Asylantrag gestellt, sondern vielmehr den gegen die abschlägige Bescheidung des früheren Antrags noch anhängigen Rechtsbehelf weiterverfolgt.
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Ist die vorstehende Frage zu verneinen, bedarf schließlich der Klärung, ob der andere Mitgliedstaat (hier: Deutschland) erneut den originär zuständigen Mitgliedstaat (hier Italien) ohne Bindung an eine Frist um Wiederaufnahme ersuchen oder den Drittstaatsangehörigen ohne Wiederaufnahmegesuch in diesen Mitgliedstaat überstellen kann (Frage 5 Buchstabe d).
Tenor
1. Dem Antragsteller wird zur Durchführung des vorliegenden Eilverfahrens Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und zur vorläufig unentgeltlichen Wahrnehmung der Rechte Rechtsanwalt Simon aus Aachen beigeordnet.
2. Die aufschiebende Wirkung der Klage gleichen Rubrums 5 K 40/15.A gegen die unter Ziffer 2. des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15. Dezember 2014 verfügte Abschiebungsanordnung wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens, in dem Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
G r ü n d e:
2I.
3Der Antragsteller, nach eigenen Angaben afghanischer Staatsangehöriger tadschikischer Volkszugehörigkeit und sunnitischen Glaubens, wurde am 22. August 2014 zusammen mit zwei weiteren afghanischen Staatsangehörigen auf den Gleisen der Bahnlinie Osterhofen-Platting aufgegriffen. Keiner der Aufgegriffenen verfügte über Ausweispapiere. In einer ersten Befragung gaben sie an, aus Afghanistan zu stammen und sich in einem "Camp" in Ungarn getroffen zu haben. Von dort aus habe sie ein ungarischer Schleuser gegen Zahlung von 400,-- € pro Person nach Deutschland gebracht. Er habe sie auf freier Bahnstrecke aussteigen lassen und sie seien ca. vier Stunden unterwegs gewesen, bis sie vom ICE mitgenommen und zum nächstgelegenen Bahnhof gebracht worden seien. Der Antragsteller gab an, am 15. Februar 1997 geboren zu sein. Gegen 20.35 Uhr ordnete der zuständige Staatsanwalt an, eine Beschuldigtenvernehmung durchzuführen und die Jugendlichen anschließend über das Jugendamt unterzubringen. Eine Mitarbeiterin sowie ein Mitarbeiter des Jugendamtes E. führten vor Ort mit Hilfe eines Dolmetschers Einzelgespräche mit den Aufgegriffenen und zweifelten daraufhin die Altersangabe des Antragstellers an. Die Aufgegriffenen wurden gegen 0.30 Uhr in einer Sammelzelle der Polizei E. untergebracht und am nächsten Vormittag mit Fahrscheinen für eine Fahrt zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) in N. entlassen. Als Geburtsdatum für den Antragsteller wurde nunmehr der 31. Dezember 1995 registriert.
4Am 25. September 2014 stellte der Antragsteller beim Bundesamt in C. einen Asylantrag. Im Rahmen des Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens gab der Antragsteller am 25. September 2014 u.a. an, er habe Afghanistan vor 6 Monaten verlassen. Er wisse nicht, was die Reise gekostet habe. Seine Mutter habe sie organisiert. Er wisse auch nicht, durch welche EU-Länder er gereist sei; es seien ihm aber in einem anderen Staat Fingerabdrücke genommen worden.
5Auf entsprechende Anfrage des Bundesamtes zur Person des Antragstellers unter Angabe des Geburtsdatums 15. Februar 1997 wurde ein Eurodac-Treffer der Kategorie 2 für Griechenland sowie ein weiterer Eurodac-Treffer der Kategorie 1 für Ungarn gemeldet. Einem Wiederaufnahmegesuch des Bundesamtes vom 1. Dezember 2014 stimmte die ungarische "Dublin Coordination Unit" unter dem 9. Dezember 2014 zu und führte u.a. aus: Der Antragsteller habe am 10. August 2014 einen Asylantrag in Ungarn gestellt. In Ungarn sei er als volljährige Person behandelt worden, basierend auf einer im Zuge der Festnahme durchgeführten vorläufigen Altersbestimmung ("based on the result oft the preliminary age assessment carried out upon apprehension.").
6Mit Bescheid vom 15. Dezember 2014, nach Angaben des Antragstellers am 31. Dezember 2014 zugestellt, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziffer 1 des Bescheides) und ordnete die Abschiebung nach Ungarn an (Ziffer 2 des Bescheides). Systemische Mängel des Asylsystems in Ungarn bestünden nicht.
7Der Antragsteller hat am 7. Januar 2015 Klage erhoben und einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Er trägt vor: Sein Asylverfahren sei in Deutschland durchzuführen. Er sei wie in seiner Erstbefragung angegeben am 15. Februar 1997 geboren und damit (im maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung) minderjährig. Es sei in keiner Weise nachvollziehbar, wie die Mitarbeiter des Jugendamtes E. zu einer anderen Einschätzung gelangt seien. Im Übrigen legt er ein Attest des Fachkrankenhauses für Psychiatrie/Psychotherapie/Psychosomatik/ Psychosoziale Integration, B. B1. H. vom 17. März 2015 vor, in dem unter der Diagnose F43.1 Posttraumatische Belastungsstörung basierend auf zwei Behandlungsterminen (10. Februar 2015 und 3. März 2015) u.a. ausgeführt wird: Der Patient benötige ohne Zweifel eine weitere traumatherapeutische und psychiatrische Versorgung. Auch eine zwangsweise Rückführung in sein letztes Aufenthaltsland Ungarn würde den Patienten sicher hochgradig belasten, zumal eine dortige adäquate psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht stattfinden könne. Als Folgen einer zwangsweisen Abschiebung bei äußerst schwer belastender Vorgeschichte - zu der das Attest weitere Ausführungen enthält, auf die Bezug genommen wird - mit erneutem subjektiven Gefühl einer Bedrohung seien auch selbstschädigende Handlungen bis zu einer Selbsttötung nicht ausschließbar.
8Der Antragsteller beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
9die aufschiebende Wirkung der Klage gleichen Rubrums 5 K 40/15.A gegen die unter Ziffer 2. des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 15. Dezember 2014 verfügte Abschiebungsanordnung anzuordnen,
10Die Antragsgegnerin beantragt,
11den Antrag abzulehnen.
12Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Antragsgegnerin verwiesen.
13II.
141. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist gemäß § 166 der Verwaltungsgerichtsordnung ‑ VwGO - i.V.m. §§ 114, 115 der Zivilprozessordnung begründet, weil der Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann und die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachfolgenden Gründen hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
152. Der Antrag,
16die aufschiebende Wirkung der Klage gleichen Rubrums 5 K 40/15.A gegen die unter Ziffer 2. des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 15. Dezember 2014 verfügte Abschiebungsanordnung anzuordnen,
17hat Erfolg.
18Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist statthaft, da gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 des Asylverfahrensgesetzes - AsylVfG - Aussetzungsanträge gegen eine Abschiebungsanordnung zulässig sind und der in der Hauptsache erhobenen Klage gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung zukommt.
19Der Antrag ist zulässig. Er ist insbesondere innerhalb der Wochenfrist des § 34 a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG gestellt worden. Der angegriffene Bescheid ist dem Antragsteller nach eigenen Angaben am 31. Dezember 2014 zugestellt worden. Sein Antrag ist am 7. Januar 2015 und damit fristgerecht bei Gericht eingegangen.
20Der Antrag ist auch begründet, da sich die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens nach summarischer Prüfung als offen erweisen und die Interessenabwägung zu Gunsten des bei Antragstellung möglicherweise minderjährigen Antragstellers ausfällt.
21Im Rahmen eines Aussetzungsantrags nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht eine Interessenabwägung vorzunehmen zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse einerseits und dem privaten Interesse des Antragstellers andererseits, von einer Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorläufig verschont zu bleiben.
22Dabei darf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen eine Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht erst bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts erfolgen, wie dies in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als unbeachtlich oder offensichtlich unbegründet in § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG vorgeschrieben ist. Eine derartige Einschränkung des gerichtlichen Prüfungsmaßstabes hat der Gesetzgeber für die Fälle des § 34a Abs. 2 AsylVfG gerade nicht geregelt. Eine solche Gesetzesauslegung entspräche auch nicht dem gesetzgeberischen Willen, denn eine entsprechende Initiative zur Ergänzung des § 34a Abs. 2 AsylVfG fand im Bundesrat keine Mehrheit.
23Vgl. hierzu: Verwaltungsgericht (VG) Trier, Beschluss vom 18. September 2013 ‑ 5 L 1234/13.TR ‑; VG Göttingen, Beschluss vom 17. Oktober 2013 - 2 B 844/13 -; VG Düsseldorf, Beschluss vom 28. Februar 2014 - 13 148/14.A - und VG Aachen, Beschluss vom 27. April 2014 ‑ 4 L 559/14.A ‑; alle: juris.
24Die Abwägung des öffentlichen Vollzugsinteresses mit dem privaten Aussetzungsinteresse hat sich vielmehr maßgeblich an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu orientieren, soweit diese sich bei der im vorliegenden Verfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung abschätzen lassen. An der Vollziehung einer offensichtlich rechtswidrigen Maßnahme kann kein öffentliches Interesse bestehen; ist die zu vollziehende Maßnahme rechtmäßig, kann das Interesse am Aufschub der Vollziehung regelmäßig als gering veranschlagt werden, so dass das öffentliche Interesse überwiegt. Lassen sich die Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs nicht abschließend abschätzen, bedarf es einer Abwägung aller relevanten Umstände, insbesondere der Vollzugsfolgen, um zu ermitteln, wessen Interessen für die Dauer des Hauptsacheverfahrens der Vorrang gebührt.
25Nach § 34 a Abs. 1 AsylVfG hat das Bundesamt eine Abschiebungsanordnung u.a. dann zu erlassen, wenn der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27 a) abgeschoben werden soll (dazu unter a), sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann (dazu unter b).
26a) Die Antragsgegnerin ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass grundsätzlich Ungarn für die Prüfung des von dem Antragsteller gestellten Asylantrags zuständig wäre.
27Entscheidend für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Überstellung nach Ungarn ist die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist ‑ sog. Dublin III‑VO ‑. Diese Verordnung ist auf Anträge auf internationalen Schutz anwendbar, die ab dem ersten Tag des sechsten Monats nach ihrem Inkrafttreten, also ab dem 1. Januar 2014, gestellt werden und gilt ab diesem Zeitpunkt ‑ ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung ‑ für alle Gesuche auf Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern (vgl. Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Dublin III‑VO). Vorliegend ist das Wiederaufnahmegesuch an Ungarn am 1. Dezember 2014 und damit nach dem vorgenannten Stichtag gestellt worden.
28Die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Maßgabe der Dublin III‑VO hat grundsätzlich auf der Grundlage der dort festgelegten Kriterien zu erfolgen, für die eine bestimmte Rangfolge (vgl. Art. 7 bis 15 Dublin III‑VO) gilt. Stimmt allerdings ein Mitgliedstaat der (Wieder‑)Aufnahme eines Asylbewerbers nach Maßgabe eines der in der Dublin III‑VO genannten Kriterien zu ‑ wie hier Ungarn mit Schreiben vom 9. Dezember 2014 unter Hinweis auf Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III‑VO -, so ist dieser verpflichtet, den Asylbewerber aufzunehmen. Der Asylbewerber hat grundsätzlich kein subjektives Recht auf Einhaltung der primär den Interessen der Mitgliedstaaten dienenden Zuständigkeitsverfahrensvorschriften, insbesondere soweit diese Form- und Fristerfordernisse regeln. Der Asylbewerber kann eine Dublin-Zuständigkeitsregelung gerichtlich nur dann durchsetzen, wenn diese wie Art. 6 bis 8 der Dublin II-VO bzw. Art. 8 bis 11 und 16 der Dublin III-VO grundrechtlich "aufgeladen" sind oder wenn ein Fall des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO vorliegt. Nach dieser Vorschrift setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 14. Dezember 2007 (ABl. C 303/1, Europäische Grundrechtecharta - GR‑Charta) mit sich bringen und eine Überstellung in den Mitgliedstaat deshalb unmöglich ist. Die Aufnahme dieser in der Dublin II-VO nicht enthaltenen Vorschrift geht auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Dublin II-VO zurück,
29vgl. Urteil vom 21. Dezember 2011 ‑ Rs. C‑411/10 und 493/10 u.a. ‑ "N.S.", NVwZ 2012, 417 ff.,
30wonach Artikel 4 der GR-Charta dahingehend auszulegen ist, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den "zuständigen Mitgliedstaat" im Sinne der Dublin II-VO zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der GR-Charta ausgesetzt zu werden. Der Antragsteller hat ein subjektives Recht auf die korrekte Anwendung des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 der Dublin III-VO in dem Sinne, dass jedenfalls keine Überstellung in den Mitgliedstaat, in dem diese systemischen Schwachstellen vorliegen, erfolgen darf.
31Die Kammer geht zwar mit Blick auf die aktuelle Auskunftslage derzeit nicht vom Vorliegen systemischer Schwachstellen in diesem Sinne im ungarischen Asylverfahren aus
32vgl. z.B. VG Aachen, Beschluss vom 26. März 2015 - 5 L 188/15.A -.
33Vorliegend ist aber offen, ob der Antragsteller aus Art. 8 Abs. 4 der Dublin III-VO i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG (Schutz des Kindeswohls) einen Anspruch auf Durchführung seines Asylverfahrens durch die Bundesrepublik Deutschland hat. Gemäß Art. 8 Abs. 4 der Dublin III-VO ist bei Abwesenheit eines Familienangehörigen, eines seiner Geschwister oder eines Verwandten im Sinne der Absätze 1 und 2 der Mitgliedstaat zuständig, in dem der unbegleitete Minderjährige seinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, sofern es dem Wohl des Minderjährigen dient. Verfassungsrechtlich verankert ist der Schutz des Kindeswohls in Art. 6 Abs. 2 GG.
34Vgl. hierzu: BVerfG, Beschluss vom 29. Oktober 1998 - 2 BvR 1206/98 -, juris, Rn. 77.
35Anhaltspunkte dafür, dass sich ein Familienangehöriger, ein Geschwister oder ein Verwandter des Antragstellers in einem Mitgliedstaat aufhält, bestehen nicht, so dass der Anwendungsbereich des Art. 8 Abs. 4 der Dublin III-VO eröffnet ist. Aufgrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs
36Urteil vom 6. Juni 2013, M.A. u.a. vs. UK, - C-648/11 -, juris,
37zur inhaltlich identischen Vorgängerbestimmung des Art. 6 Satz 2 der Dublin II-VO ist Art. 8 Abs. 4 der Dublin III-VO mit Blick auf die besondere Schutzbedürftigkeit Minderjähriger dahingehend auszulegen, dass unbegleitete Minderjährige, die in einem anderen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt haben, grundsätzlich nicht in einen anderen Mitgliedstaat zu überstellen sind, in dem sie den ersten Asylantrag gestellt haben. Unbegleitete Minderjährige sind damit von Wiederaufnahmeverfahren ausgenommen; die Prüfung des Schutzgesuchs ist vom Aufenthaltsstaat selbst - hier von der Bundesrepublik Deutschland - durchzuführen.
38Vorliegend ist im Eilverfahren nicht aufklärbar und damit offen, ob der Antragsteller minderjährig ist. "Unbegleiteter Minderjähriger" ist gemäß Art. 2 Buchstabe j) Dublin III-VO ein Minderjähriger, der ohne Begleitung eines für ihn nach dem Recht oder nach den Gepflogenheiten des betreffenden Mitgliedstaats verantwortlichen Erwachsenen in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einreist, solange er sich nicht tatsächlich in der Obhut eines solchen Erwachsenen befindet; dies schließt einen Minderjährigen ein, der nach Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats dort ohne Begleitung zurückgelassen wird. "Minderjähriger" ist nach der Definition in Art. 2 Buchstabe i) Dublin III-VO ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser unter 18 Jahren. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Zuständigkeitskriterium der Minderjährigkeit ist nach der sogenannten Sachverhaltsversteinerungsregel des Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO der Sachverhalt zum Zeitpunkt der Stellung des ersten Antrages auf internationalen Schutz.
39Nach Aktenlage hat der Antragsteller nach seinem Aufgriff an der Bahnlinie P. -Q. und der sich anschließenden Vernehmung bei der Polizeiinspektion Q1. seine Personalien auf einen Zettel geschrieben und als Geburtsdatum den 15. Februar 1997 angegeben. Soweit die ungarischen Behörden in ihrer Antwort auf das Wiederaufnahmegesuch unter dem 9. Dezember 2014 angeben, der Antragsteller habe in Ungarn am 10. August 2014 unter Angabe des Geburtsdatums 15. Februar 1996 einen Asylantrag gestellt, sei aber aufgrund einer vorläufigen Altersbestimmung als volljährig behandelt worden, ist dies insoweit widersprüchlich als der Antragsteller unter Zugrundelegung des 15. Februar 1996 am 15. Februar 2014 und damit bei Antragstellung in Ungarn bereits 18 Jahre alt gewesen wäre. Für die von den ungarischen Behörden vorgenommene Altersschätzung hätte also damit kein Anlass bestanden, so dass davon auszugehen ist, dass der Antragsteller auch damals 1997 und nicht wie - offensichtlich irrtümlich - von den ungarischen Behörden mitgeteilt 1996 als Geburtsjahr angegeben hat. Die - insoweit einheitlichen - Angaben des Antragstellers zu seinem Geburtsdatum zugrundegelegt war er mithin im maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung in Ungarn minderjährig.
40Vgl. zu dem - hier nicht vorliegenden - Fall widersprüchlicher Altersangaben des Antragstellers: EGMR, Entscheidung vom 5. Februar 2015 - Nr. 51428/10 -, juris, wonach der Mitgliedstaat sich grundsätzlich auf die zuerst gemachten persönlichen Angaben des Antragstellers berufen darf.
41Die dagegen vom Bundesamt vorgenommene - nicht näher begründete - Alterseinschätzung auf über 18 Jahre im maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung am 10. August 2014 in Ungarn ist nicht ansatzweise nachvollziehbar. Dabei geht die Kammer davon aus, dass eine Alterseinschätzung jedenfalls dann, wenn sie nicht auf weitere, nachvollziehbar dargestellte Umstände (wie z.B. Urkunden) gestützt werden kann, im Regelfall einer Untersuchung und Beurteilung durch geeignete Sachverständige bedarf, um diese überprüfbar zu machen. Dabei sind im Wege eines Sachverständigengutachtens die Ergebnisse einer - nach entsprechender Aufklärung und Einwilligung des Betroffenen durchgeführten - körperlichen Untersuchung zur Beurteilung der körperlichen und geistigen Reifeentwicklung, einer Röntgenuntersuchung der Hand und der Schlüsselbeine sowie einer zahnärztlichen und gegebenenfalls einer psychologischen Untersuchung zu einer abschließenden Altersdiagnose zusammenzuführen.
42Vgl. für Fälle der Inobhutnahme unbegleitet eingereister asylsuchender Minderjähriger: OVG NRW, Beschluss vom 13. November 2014 - 12 B 1280/14 - sowie BayVGH, Beschluss vom 23. September 2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 14.1865 -, beide juris, jeweils m.w.N.; Österreichisches Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zur Altersfeststellung mit Blick auf Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO: Beschluss vom 21. Oktober 2014 - W161 2013051-1 - und Erkenntnis vom 7. Februar 2014 - W144 143528-2 -, jeweils abrufbar unter RIS.
43Weiter ist zu beachten, dass grundsätzlich eine Altersfeststellung nur im Rahmen einer gewissen Bandbreite möglich sein dürfte und mit Blick auf die besondere Schutzbedürftigkeit von Minderjährigen im Zweifel von der Minderjährigkeit auszugehen ist. Art. 25 Abs. 5 der sogenannten Asylverfahrensrichtlinie (Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes) regelt ausdrücklich, dass die Mitgliedstaaten bei fortbestehenden Zweifeln bezüglich des Alters des Antragstellers davon ausgehen, dass der Antragsteller minderjährig ist. Dies entspricht auch den Richtlinien über allgemeine Grundsätze und Verfahren zur Behandlung asylsuchender unbegleiteter Minderjähriger des UNHCR vom Februar 1997, die unter Ziffer 5.11 empfehlen, im Zweifelsfall zugunsten des Kindes zu entscheiden, wenn das genaue Alter ungewiss ist und im Übrigen für ausschlaggebend halten, ob der Betreffende eine "Unreife" und Hilflosigkeit zeigt, die eine sensiblere Behandlung erfordern könnten.
44Vgl. BayVGH, Beschluss vom 23. September 2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, juris, Rn. 23; VG München, Beschluss vom 18. Juli 2014 - M 24 S 14.50340 -, juris; Filzwieser, Dublin III-VO, Art. 8, K 18.
45Nach diesen Maßstäben kann vorliegend im Rahmen des nur eine summarische Prüfung zulassenden Eilverfahrens nicht von der Volljährigkeit des Antragstellers ausgegangen werden. Soweit das Bundesamt sich auf die Angaben der ungarischen Behörden verlassen haben sollte, wonach der Antragsteller aufgrund einer vorläufigen Altersbestimmung im Rahmen seiner Festnahme als Volljähriger behandelt wurde, ist nicht erkennbar, wie diese Altersbestimmung durchgeführt wurde. Das Bundesamt hat offensichtlich keine diesbezüglichen Unterlagen beigezogen. Es findet sich im Verwaltungsvorgang auch kein Hinweis darauf, dass zumindest Einsicht in etwaige Untersuchungsergebnisse genommen wurde. Erkenntnisse darüber, in welcher Weise Ungarn Altersfeststellungen vornimmt, liegen der Kammer nicht vor. Auch mit Blick auf die von den Jugendamtsmitarbeitern des Jugendamtes E. nach einem am späten Abend des Aufgriffstages am 20. August 2014 geführten Einzelgespräch mit dem Antragsteller geäußerten Zweifel an seinen Altersangaben, lässt sich nicht feststellen, dass der Antragsteller im maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung am 10. August 2014 in Ungarn volljährig war. Abgesehen davon, dass die Einschätzung der Jugendamtsmitarbeiter nicht näher begründet ist und auch nicht bekannt ist, inwieweit diese über hinreichende berufliche Erfahrung im Umgang mit jungen Ausländern, insbesondere aus dem Kulturkreis Afghanistans verfügen, stellt eine Altersschätzung allein aufgrund bestimmter äußerlicher körperlicher Merkmale keine ausreichende Grundlage dar und zwar selbst dann nicht, wenn sie durch Personal erfolgt, das in diesem Bereich erfahren ist.
46Vgl. hierzu: BayVGH, Beschluss vom 23. September 2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, juris, Rn. 21; OVG NRW, Beschluss vom 13. November 2014 - 12 B 1280/14 -, juris, Rn. 18.
47Nach allem muss die abschließende Klärung der zuständigkeitsentscheidenden Altersfrage dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
48Die mit Blick auf die offenen Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren vorzunehmende Interessenabwägung fällt vorliegend zugunsten des Antragstellers aus. Soweit der Antragsteller bei Antragstellung in Ungarn minderjährig war, ist er als besonders schutzbedürftig zu behandeln. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist dem raschen Zugang des - bei Antragstellung - minderjährigen Antragstellers zur Prüfung seines Antrages auf internationalen Schutz vorrangige Bedeutung beizumessen gegenüber dem - in erster Linie von finanziellen Erwägungen getragenen - Interesse der Mitgliedstaaten an einer Einhaltung der übrigen, nachrangigen Zuständigkeitskriterien der Dublin III-VO. Dieser Schutzgedanke wäre nicht mehr realisierbar, wenn der Antragsteller vor einer entsprechenden Altersfeststellung abgeschoben würde.
49Vgl. im Ergebnis ebenso: VG München, Beschluss vom 18. Juli 2014 - M 24 S 14.50340 -, juris, Rn. 42.
50b) Die Kammer lässt offen, ob die Abschiebungsanordnung auch mit Blick auf sog. inlandsbezogene Abschiebungshindernisse in der Person des Antragstellers rechtswidrig ist. Abschiebungshindernisse hat das Bundesamt im Rahmen des Erlasses einer Abschiebungsanordnung nach § 34 a AsylVfG zu prüfen und zwar unabhängig davon, ob diese vor oder nach Erlass der Abschiebungsanordnung entstanden sind.
51Vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 17. September 2014 ‑ 2 BvR 1795/14 ‑, juris; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. August 2011 ‑ 18 B 1060/11 -, juris, Rdnr. 4.
52Vorliegend spricht aufgrund des im gerichtlichen Verfahren vorgelegten fachärztlichen Attestes vom 17. März 2015 allerdings einiges dafür, dass auch der gesundheitliche Zustand des Antragstellers mit Blick auf eine möglicherweise vorliegende Reiseunfähigkeit bzw. hinsichtlich der in Ungarn für den Antragsteller erreichbaren Behandlungsmöglichkeiten gegebenenfalls einer weiteren Aufklärung im Hauptsacheverfahren bedarf.
53Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylVfG.
54Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
Tenor
1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das keine Gerichtskosten erhoben werden.
1
Gründe:
2Der zulässige, insbesondere innerhalb der einwöchigen Frist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG gestellte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der unter dem Aktenzeichen 10 K 2533/14.A anhängigen Klage gegen die im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15. Oktober 2014 enthaltene Abschiebungsanordnung anzuordnen,
4ist unbegründet. Die im Verfahren nach § 34a Abs. 2 AsylVfG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung, bei der die Erfolgsaussichten der Klage maßgeblich zu berücksichtigen sind, geht zu Lasten des Antragstellers aus, da sich die Abschiebungsanordnung als rechtmäßig erweist.
51. Für die vorzunehmende Interessenabwägung gelten die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO anwendbaren allgemeinen Grundsätze. Dementsprechend ist das Interesse des Antragstellers an einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die streitgegenständliche Abschiebungsanordnung gegen das öffentliche Interesse an deren alsbaldiger Vollziehung abzuwägen. Im Rahmen dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten der Klage maßgeblich zu berücksichtigen.
6Dagegen setzt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage anders als in Fällen der Unbeachtlichkeit oder der offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrags (§ 36 Abs. 1 und 4 Satz 1 AsylVfG) nicht voraus, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen. Im Gegensatz zu § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG enthält § 34a Abs. 2 AsylVfG keine entsprechende Einschränkung. Ein Antrag, § 34a Abs. 2 AsylVfG entsprechend zu fassen, fand im Gesetzgebungsverfahren keine Mehrheit.
7Vgl. VG Trier, Beschluss vom 18. September 2013 - 5 L 1234/13.TR -, juris Rn. 5 ff. mit ausführlicher Darstellung des Ablaufs des Gesetzgebungsverfahrens.
82. Die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützte Abschiebungsanordnung ist rechtmäßig. Nach dieser Norm ordnet das Bundesamt die Abschiebung eines Ausländers in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
9a) Das Bundesamt ist zu Recht davon ausgegangen, dass Belgien für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig ist.
10aa) Welcher Staat für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist, richtet sich nach den Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder einschlägigen völkerrechtlichen Verträgen. Dies ergibt sich aus § 27a AsylVfG, auf den § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auch insoweit verweist. Im vorliegenden Verfahren findet dabei die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (ABl. EU L 180, S. 31, sog. Dublin III-VO) Anwendung, weil das an Belgien gerichtete Wiederaufnahmeersuchen Deutschlands vom 21. September 2014 nach dem 1. Januar 2014, dem gemäß Artikel 49 Unterabs. 1 Satz 1 Dublin III-VO für die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Dublin III-VO maßgeblichen Zeitpunkt, gestellt worden ist.
11Der Anwendbarkeit dieser Verordnung steht - anders als der Antragsteller meint - nicht entgegen, dass er in Deutschland lediglich einen isolierten Antrag auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG und keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat. Denn die Dublin III-VO regelt in Art. 24 gerade den Fall eines Wiederaufnahmegesuchs, wenn im ersuchenden Mitgliedstaat - hier Deutschland - kein neuer Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde. Auch Art. 18 Abs. 1 lit. b) bis d) Dublin III-VO ist zu entnehmen, dass eine Antragstellung im ersuchenden Mitgliedstaat nicht erforderlich ist, denn diese Regelungen berücksichtigen - neben Personen, die im ersuchenden Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben - auch Personen, die "sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates" aufhalten.
12Vgl. zur Anwendbarkeit der Dublin II-VO auf Fälle, in denen im ersuchenden Mitgliedstaat kein neuer Asylantrag gestellt wurde: VG Karlsruhe, Urteil vom 11. Juli 2013 - 3 K 1276/13 -, juris Rn. 6.
13Entscheidend für die Anwendbarkeit der Dublin III-VO ist vielmehr, dass überhaupt in einem Mitgliedsstaat ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist. Denn gemäß Art. 1 Dublin III-VO legt die Verordnung die Kriterien und Verfahren fest, die bei der Bestimmung des Mitgliedsstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen ineinem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist. Einen solchen Antrag hat der Antragsteller nach seinen eigenen Angaben im Fragenkatalog Dublin im Dezember 2010 in Belgien gestellt. Der Antragsteller kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, die Antragstellung in Belgien sei unwirksam gewesen, weil er damals noch minderjährig gewesen sei und auf Anraten eines Fluchthelfers sein Geburtsdatum wahrheitswidrig mit 12. März 1989 - in Wirklichkeit sei er am 25. März 1997 geboren - angegeben habe.
14Der Antragsteller hat keine Personalpapiere vorgelegt, aus denen sich dieses Geburtsdatum ergibt. Das von ihm vor den deutschen Behörden angegebene Geburtsdatum ist nachweislich nicht zutreffend. Aus dem Gutachten zur Altersfeststellung von Prof. Dr. Schmeling und Prof. Dr. Pfeiffer vom 3. August 2014 ergibt sich, dass der Antragsteller zum Untersuchungszeitpunkt am 16. Juli 2014 ein absolutes Mindestalter von 21 Jahren und 6 Monaten erreicht hat. Er kann damit nicht nach Januar 1993 geboren sein. Das Gericht ist vielmehr davon überzeugt (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), dass der Antragsteller - wie von ihm in Belgien angegeben - am 12. März 1989 geboren ist. Hierfür spricht, dass er die - nachweislich falschen - Angaben in der Bundesrepublik Deutschland getätigt hat, nachdem sein Asylantrag in Belgien abgelehnt worden war, um von der angeblichen Minderjährigkeit zu profitieren. Dem steht auch das oben genannte Gutachten nicht entgegen, weil es nur ein absolutes Mindestalter nennt.
15bb) Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO sieht vor, dass Anträge auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft werden. Welcher Mitgliedstaat dies ist, bestimmt sich nach den Kriterien der Art. 8 bis 15 Dublin III-VO und zwar in der Rangfolge ihrer Nummerierung (Art. 7 Abs. 1 Dublin III-VO). Lässt sich anhand dieser Kriterien nicht bestimmen, welcher Mitgliedsstaat zuständig ist, so ist der erste Mitgliedstaat zuständig, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde (Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO). Bei Anwendung dieser Kriterien ist Belgien für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig.
16(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht nach Art. 8 Dublin Abs. 4 III-VO zuständig. Nach dieser Norm ist in Fällen, in denen ein unbegleiteter Minderjähriger, der keinen sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates rechtmäßig aufhaltenden Familienangehörigen hat, für die Prüfung des Asylantrags des unbegleiteten Minderjährigen der Mitgliedsstaat zuständig, in dem der unbegleitete Minderjährige seinen Asylantrag gestellt hat, sofern es dem Wohl des Minderjährigen dient. Dies gilt auch dann, wenn der Betreffende schon zuvor einen Asylantrag in einem anderen Mitgliedstaat gestellt hat.
17Vgl. zu Art. 6 Dublin II-VO EuGH, Urteil vom 6. Juni 2013 - C-648/11 -, InfAuslR 2013, 299 (juris Rn. 60 und 66).
18Gemäß Art. 2 lit. i) Dublin III-VO ist minderjährig ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser unter 18 Jahren. Vorliegend greift Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO schon deshalb nicht, weil der Antragsteller in Deutschland gerade keinen Asylantrag gestellt hat.
19Die Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschlands ergäbe sich aber auch dann nicht aus Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO, wenn der Antragsteller hier einen Asylantrag gestellt hätte. Dabei ist bei der Bestimmung der Minderjährigkeit - abweichend von Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO - nicht auf die Situation abzustellen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedsstaat stellt. Sinn und Zweck der Zuständigkeitsbestimmung nach Art. 8 Dublin III-VO ist der Minderjährigenschutz. Bei unbegleiteten Minderjährigen, die eine besonders gefährdete Personengruppe bilden, soll sich das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats nicht länger als unbedingt nötig hinziehen.
20Vgl. zu Art. 6 Dublin II-VO EuGH, Urteil vom 6. Juni 2013 - C-648/11 -, InfAuslR 2013, 299 (juris Rn. 54 ff).
21Würde bei der Prüfung der Zuständigkeit nach Art. 8 Dublin III-VO gemäß Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO auf die Situation abgestellt werden, die zu dem Zeitpunkt bestanden hat, zu dem der Antragsteller zum ersten Mal in einem Mitgliedsstaat einen Asylantrag gestellt hat, würde dies in Fällen, in denen ein Antragsteller bei seiner wiederholten Asylantragstellung in einem anderen Mitgliedsstaat mittlerweile volljährig geworden ist, dazu führen, dass auf ihn Regelungen für eine besonders schutzwürdige Personengruppe Anwendung finden würden, zu denen er nicht (mehr) gehört. Das kann nicht gewollt sein. Deshalb ist bei der Prüfung des Art. 8 Dublin III-VO auf einen Zeitpunkt abzustellen, zu dem der Antragsteller sich bereits in dem Mitgliedsstaat befindet, in dem er seinen letzten Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat. Dabei kann das Gericht offen lassen, ob es diesbezüglich auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung
22- so VG Stuttgart, Gerichtsbescheid vom 16. September 2014 - A 1 K 447/14 -, Abdruck S. 4 -,
23den Zeitpunkt der Entscheidung über den Asylantrag durch das Bundesamt oder den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG) ankommt. Der Antragsteller hat nach dem oben unter aa) Gesagten nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen, dass er zu dem für ihn günstigsten Zeitpunkt - dem Zeitpunkt der Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland am 29. November 2013 - minderjährig war.
24(2) Belgien ist für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO zuständig. Dies ergibt sich aus den eigenen, insofern von der Antragsgegnerin nicht in Zweifel gezogenen Angaben des Antragstellers, wonach er im Fragenkatalog Dublin mitgeteilt hat, dass er als erstem Land in Belgien im Dezember 2010 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat.
25cc) Anhaltspunkte dafür, dass die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zwischenzeitlich auf einen anderen Staat übergegangen ist, liegen nicht vor.
26(1) Dabei kann offen bleiben, ob vorliegend die zweimonatige Frist für das Wiederaufnahmegesuch nach Art. 24 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO Anwendung findet. Nach dieser Vorschrift ist das Gesuch um Wiederaufnahme einer Person im Sinne des Art. 18 Abs. 1 lit. d), deren Antrag auf internationalen Schutz nicht durch eine endgültige Entscheidung abgelehnt wurde, innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt der Eurodac-Treffermeldung zu unterbreiten. Für den Fall, dass der Asylantrag durch eine endgültige Entscheidung abgelehnt worden ist, sieht Art. 24 Dublin III-VO keine Frist für das Wiederaufnahmegesuch vor. Belgien hat sich am 31. Juli 2014 unter Bezugnahme auf Art. 18 Abs. 1 lit. d) zur Übernahme des Antragstellers bereit erklärt. Hieraus ergibt sich, dass der Antrag des Antragstellers in Belgien abgelehnt worden ist. Ob es sich dabei um eine endgültige Entscheidung handelt, lässt sich der Übernahmeerklärung nicht entnehmen. Jedoch hat die Bundesrepublik Deutschland die Frist des Art. 24 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO eingehalten. Sie hat nach Erhalt der EURODAC-Treffermeldung am 28. Mai 2014 das Wiederaufnahmegesuch an Belgien am 21. Juli 2014 gestellt. Die belgischen Behörden haben zudem mit Schreiben vom 31. Juli 2014, also innerhalb der Frist des Art. 25 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO, ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags des Antragstellers erklärt.
27(2) Ebenso wenig ist die sechsmonatige Frist für die Überstellung des Antragstellers in den zuständigen Mitgliedsstaat mit der Folge überschritten, dass die Zuständigkeit für die Durchführung seines Asylverfahrens nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO auf die Antragsgegenerin übergegangen wäre. Gemäß Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO erfolgt die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat, sobald sie praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch den anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese aufschiebende Wirkung hat. Belgien hat das Wiederaufnahmeersuchen mit Schreiben vom 31. Juli 2014 angenommen, so dass die Überstellungsfrist im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) selbst dann noch nicht abgelaufen ist, wenn die bisherige Dauer des vorliegenden Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes auf die Überstellungsfrist anzurechnen sein sollte.
28So OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, juris Rn. 5 ff.; a.A. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. August 2014- A 11 S 1285/14 -, juris Rn. 58 (Hemmung der Überstellungsfrist für die Dauer des Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes).
29b) Auch im Übrigen sind keine durchgreifenden Gründe dafür ersichtlich, dass von einer Abschiebung des Antragstellers nach Belgien abgesehen werden müsste.
30Gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 VO Dublin III-VO setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der in Art. 8 bis 15 Dublin III-VO vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann, wenn es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) mit sich bringen (Unterabs. 2); kann eine Überstellung an einen aufgrund der Kriterien der Art. 8 bis 15 Dublin III-VO bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, nicht vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat (Unterabs. 3).
31Der Regelung in Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 Dublin-III-VO liegt die Rechtsprechung des EuGH zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem zugrunde. Dieses gründet sich auf das Prinzip gegenseitigen Vertrauens, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll zu dieser Konvention von 1967 sowie in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) finden. Es gilt daher die Vermutung, dass Asylbewerbern in jedem Mitgliedsstaat eine Behandlung entsprechend den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskommission zukommt. Diese Vermutung ist allerdings nicht unwiderleglich. Wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist die Widerlegung der Vermutung aber an hohe Hürden geknüpft, so dass nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder jeder Verstoß gegen Bestimmungen des zum Asylrecht ergangenen Sekundärrechts geeignet sind, die Vermutung zu widerlegen.
32Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 u.a. (N.S. u.a.) -, NVwZ 2012, 417, sowie vom 10. Dezember 2013 - C-394/12 (Abdullahi) -, NVwZ 2014, 208.
33Die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO liegen vor, wenn das Gericht zu der Überzeugung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) gelangt, dass ein Asylbewerber wegen systemischer Mängel, also strukturell bedingter, größerer Funktionsstörungen, im konkret zu entscheidenden Fall in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird.
34Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, NVwZ 2014, 1039, zur Rechtslage nach der Dublin II-VO.
35Einer solchen Behandlung sind Asylbewerber, die vollständig auf staatliche Hilfe angewiesen sind, ausgesetzt, wenn sie sich in einer mit der menschlichen Würde unvereinbaren Situation ernsthafter Entbehrungen und Not behördlicher Gleichgültigkeit gegenüber sehen.
36Vgl. EGMR, Urteil vom 4. November 2014 - 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) -, HUDOC Rn. 98; s.a. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 -, BVerwGE 146, 12 (juris Rn. 24); United Kingdom Supreme Court, Urteil vom 19. Februar 2014 - EM (Eritrea) and others v the Secretary of the State for the Home Department, [2014] UKSC 12 -, Rn. 62.
37Dabei ist zu berücksichtigen, ob staatliche Stellen es durch ihr vorsätzliches Handeln oder Unterlassen Asylbewerbern praktisch verwehren, von ihren gesetzlich verankerten Rechten auf eine Unterkunft und annehmbare materielle Bedingungen Gebrauch zu machen.
38Vgl. EGMR, Urteil vom 4. November 2014 - 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) -, HUDOC Rn. 96.
39Im Rahmen dieser Prognose ist nicht allein auf die Rechtslage im betreffenden Mitgliedstaat abzustellen, maßgeblich ist vielmehr deren Umsetzung in die Praxis.
40Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 (M.S.S ./. Belgien und Griechenland) -, NVwZ 2011, 413 und HUDOC (Rn. 359); Hailbronner, Ausländerrecht, Band 3, Stand: Juni 2014, § 34a AsylVfG Rn. 21.
41Bei Anlegung dieses Maßstabs ergeben sich entgegen der Ansicht des Antragstellers keine durchgreifenden Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylsuchende in Belgien.
42Vgl. auch VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 23. Dezember 2014 - 6a L 1906/14.A -, juris Rn. 11 f.; VG Würzburg, Beschluss vom 11. Dezember 2014 - W 1 S 14.30152 -, juris Rn. 21 f.; VG Düsseldorf, Urteil vom 23. Oktober 2014 - 13 K 471/14.A -, juris Rn. 55 ff.; VG Magdeburg, Urteil vom 17. Oktober 2014 - 1 A 1073/14 MD -, juris; VG München, Urteil vom 12. Mai 2014 - M 21 K 14.30347 -, juris Rn. 35.
43Während der Prüfung des Asylantrags wird einem Asylbewerber in Belgien von der Föderalen Agentur für die Aufnahme von Asylbewerbern (Fedasil) ein Platz in einer Betreuungseinrichtung zugewiesen. Der Asylbewerber hat dann auch Anspruch auf materielle, medizinische, soziale und rechtliche Begleitung.
44Vgl. Das Generalkommissariat für Flüchtlinge und Staatenlose, Asyl in Belgien, S. 7.
45Entgegen dem Vortrag des Antragstellers ist nicht davon auszugehen, dass Asylbewerbern in Belgien Obdachlosigkeit droht. Die von dem Antragsteller in Bezug genommen Erkenntnisse aus den Jahren 2011 und 2012 entsprechen nicht der aktuellen Situation in Belgien. Aus neuen Erkenntnismitteln lässt sich vielmehr entnehmen, dass die in den Jahren 2008 bis 2011 in Belgien bestehende Überbelegung der Aufnahmezentren nicht mehr gegeben ist. Die Kapazitäten bei den Unterbringungsplätzen sind nicht erschöpft. So waren im März 2014 nur 72 % der Unterkünfte belegt.
46Vgl. aida, Asylum Information Database, National Country Report Belgium, Stand 1. Juni 2014, S. 59.
47Auch bezüglich abgelehnter Asylbewerber, wie hier dem Antragsteller, liegen keine systemischen Mängel vor. Zwar steht einem Asylbewerber, dessen Asylantrag negativ beschieden worden ist und der unter Fristsetzung aufgefordert worden ist das Land zu verlassen, nach Art. 6 des Gesetzes über die Aufnahme von Asylsuchenden und von bestimmten anderen Kategorien von Ausländern vom 12. Januar 2007 grundsätzlich kein Anspruch mehr auf materielle Hilfe zu, wenn die Frist zur Ausreise abgelaufen ist. Dies stellt keinen systemischen Mangel dar. Ist der Asylantrag abgelehnt worden, so ist der abgelehnte Asylbewerber ausreisepflichtig. Zumindest in Fällen, in denen ein abgelehnter Asylbewerber trotz der ihm zustehenden Möglichkeit, das Land zu verlassen, die Ausreise unterlässt, stellt der Verlust des Anspruchs auf staatliche Leistungen keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung dar.
48Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 23. Oktober 2014 - 13 K 471/14.A -, juris Rn. 60 ff.
49Für Fälle, in denen der abgelehnte Asylbewerber das Land ohne sein Verschulden nicht verlassen kann, enthält das oben genannte Gesetz Ausnahmen von der Einstellung der Hilfeleistung. Gemäß Art. 7 des oben genannten Gesetzes kann die Gewährung von materieller Hilfe verlängert werden, wenn z.B. der abgelehnte Asylbewerber auf Grund von Umständen, die von seinem Willen unabhängig sind, nicht in sein Herkunftsland zurückkehren kann oder er bzw. sie wegen Schwangerschaft oder aus nachgewiesenen medizinischen Gründen der Ausreiseaufforderung nicht Folge leisten kann. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Vorschriften in der Praxis nicht umgesetzt werden.
50Vgl. hierzu auch aida, Asylum Information Database, National Country Report Belgium, Stand 1. Juni 2014, S. 58.
51Außerdem kann der Antragsteller nichts daraus herleiten, dass der EGMR in einer Entscheidung festgestellt hat, Belgien habe gegen den Grundsatz des Non-Refoulement verstoßen. So bleibt schon unklar, auf welche Entscheidung des EGMR der Antragsteller sich beruft. Sollte es sich dabei um das Urteil des EGMR zur Rechtssache M.S.S. gegen Belgien und Griechenland
52- EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 -
53handeln - wovon das Gericht ausgeht -, in dem der EGMR festgestellt hat, dass Belgien in der Vergangenheit Art. 3 EMRK verletzt hat, weil es trotz Kenntnis der mangelhaften griechischen Aufnahme-, Haft- und Verfahrensbedingungen für Flüchtlinge im Rahmen des Dublin-Verfahrens Abschiebungen nach Griechenland vorgenommen hat, ist dieser Umstand entgegen dem Vortrag des Antragstellers kein Argument, um noch heute für Belgien systemische Mängel im Asylverfahren annehmen zu können.
54Vgl. VG München, Urteil vom 12. Mai 2014 - M 21 K 14.30347 -, juris Rn. 35.
55Und selbst dann, wenn davon auszugehen wäre, dass unabhängig vom Vorliegen systemischer Mängel für jeden Einzelfall noch einmal zu prüfen wäre, ob eine Verletzung des Art. 4 GR-Charta (bzw. des Art. 3 EMRK) vorliegt
56- in diesem Sinne etwa EGMR, Urteil vom 4. November 2014 - 29217/12 (Tarakhel ./. Schweiz) -, HUDOC (Rn. 104), und United Kingdom Supreme Court, Urteil vom 19. Februar 2014 - EM (Eritrea) and others v the Secretary of the State for the Home Department, [2014] UKSC 12 (Rn. 42 bis 64), jeweils zu Überstellungen nach Italien -
57könnte der Antragsteller hieraus nichts für sich herleiten. Denn es ist nach dem oben gesagten nicht erkennbar, dass er Gefahr läuft, im Anschluss an eine Rücküberstellung nach Belgien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden.
58c) Anhaltspunkte dafür, dass der Abschiebung tatsächliche oder sonstige rechtliche Hindernisse entgegen stehen, sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, sondern auch in Bezug auf inlandsbezogene Abschiebungshindernisse (§ 60a Abs. 2 AufenthG) einschließlich sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebender Ansprüche auf Erteilung eines Aufenthaltstitels.
59Vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 25. April 2014 - 2 B 215/14 -, juris Rn. 7; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Mai 2011 - A 11 S 1523/11 -, InfAuslR 2011, 310 (juris Rn. 3).
60Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Hinweis auf die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens folgt aus § 83 b AsylVfG.
Tatbestand
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Der Kläger, nach eigenen Angaben ein am 7. November 1993 geborener irakischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrags als unzulässig und die Anordnung seiner Abschiebung nach Belgien.
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Der Kläger reiste im März 2010 von Belgien kommend in das Bundesgebiet ein und beantragte seine Anerkennung als Asylberechtigter. Zur Begründung gab er bei seiner persönlichen Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - an, er habe sein Heimatland 2008 wegen der unsicheren Lage verlassen und vor seiner Einreise nach Deutschland u.a. in Belgien ohne Erfolg zwei Asylanträge gestellt.
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Im Januar 2011 wurde der im Bundesgebiet lebende Bruder des Klägers zu dessen Vormund bestellt. Auf ein entsprechendes Ersuchen des Bundesamts erklärte sich Belgien im Februar 2011 mit der Wiederaufnahme des Klägers einverstanden. Mit Bescheid vom 29. April 2011 entschied das Bundesamt, dass der Asylantrag wegen anderweitiger internationaler Zuständigkeit nach § 27a AsylVfG unzulässig ist (Ziffer 1), und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Belgien an (Ziffer 2). Hiergegen erhob der Kläger Klage. Im Juni 2012 konvertierte er vom islamischen zum christlichen Glauben. Das Verwaltungsgericht gewährte vorläufigen Rechtsschutz und hob mit Urteil vom 20. Juli 2012 den Bescheid des Bundesamts auf.
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Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 9. Dezember 2014 zurückgewiesen und dies wie folgt begründet: Die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Asylantrags als unzulässig wegen anderweitiger internationaler Zuständigkeit lägen nicht vor. Bei der Bestimmung des für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaats sei nach Art. 5 Abs. 2 der - hier anzuwendenden - Verordnung (EG) Nr. 343/2003 - Dublin II-VO - von der Situation bei Antragstellung auszugehen. Der Senat habe keine Zweifel, dass der Kläger bei Stellung seines - weiteren - Asylantrags in Deutschland noch minderjährig gewesen sei, auch wenn er in Belgien als Geburtsjahr 1989 angegeben habe. Bei unbegleiteten Minderjährigen richte sich die Zuständigkeit nach Art. 6 der Dublin II-VO. Nach Art. 6 Abs. 2 der DublinII-VO sei der Mitgliedstaat zuständig, in dem der Minderjährige seinen Asylantrag gestellt habe. Bei mehreren Asylanträgen sei nach der Rechtsprechung des EuGH nicht auf den ersten in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrag abzustellen, sondern der Staat zuständig, in dem sich der Minderjährige aufhalte, nachdem er dort einen Asylantrag gestellt habe. Das gelte auch bei einem identischen Asylantrag im Sinne des Art. 25 Abs. 1 der RL 2005/85/EG. Diese Bestimmung räume den Mitgliedstaaten nur die zusätzliche Befugnis ein, einen Antrag auf internationalen Schutz nach einer rechtskräftigen Entscheidung als unzulässig zu behandeln, so dass kein unbegleiteter Minderjähriger einen Mitgliedstaat zwingen könne, einen erneuten identischen Asylantrag in der Sache zu prüfen. Die Annahme des Wiederaufnahmeersuchens durch Belgien habe nicht zu einem Zuständigkeitswechsel geführt. Die belgische Zustimmung stelle auch keine Ausübung des Selbsteintrittsrechts dar.
- 5
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Die Beklagte rügt mit ihrer Revision einen Verfahrensfehler bei der Altersfeststellung sowie materiell eine Verletzung des Art. 6 der Dublin II-VO und des § 71a AsylG. Zumindest bei identischen weiteren Anträgen begründe Art. 6 Abs. 2 der Dublin II-VO keine Zuständigkeit des Aufenthaltsstaats. Außerdem sei die Entscheidung selbst bei unterstellter Zuständigkeit im Ergebnis rechtmäßig. Denn nach der innerstaatlichen Rechtsordnung liege ein Zweitantrag vor, bei dem ein weiteres auf materielle Prüfung gerichtetes Asylverfahren nur unter den Voraussetzungen des § 71a AsylG durchgeführt werde.
- 6
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Der Kläger verteidigt die angegriffene Entscheidung.
Entscheidungsgründe
- 7
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Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Urteil des Berufungsgerichts verstößt nicht gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass auch hinsichtlich der Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - vom 29. April 2011 die Anfechtungsklage statthaft ist (1.). Die Klage ist begründet, da der Bescheid insgesamt rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 VwGO). Die Voraussetzungen für eine Unzulässigkeit des Asylantrags wegen anderweitiger internationaler Zuständigkeit liegen nicht vor (2.). Entgegen der Auffassung der Beklagten ist Deutschland zur Entscheidung über den vom Kläger im Bundesgebiet gestellten (weiteren) Asylantrag nach Art. 6 Abs. 2 der Dublin II-VO zuständig (2.1). Der Kläger hat auch ein subjektives Recht auf Einhaltung dieser dem (individuellen) Minderjährigenschutz dienenden Bestimmung (2.2). Die Entscheidung des Bundesamts kann nicht auf anderer Rechtsgrundlage aufrechterhalten bleiben; insbesondere liegen die Voraussetzungen für eine Umdeutung in eine Entscheidung nach § 71a AsylG (früher: AsylVfG), kein weiteres Asylverfahren durchzuführen, nicht vor (2.3). Die in Ziffer 2 des angegriffenen Bescheids verfügte Abschiebungsanordnung ist ebenfalls rechtswidrig (3.).
- 8
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Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens ist das während des Revisionsverfahrens durch das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 20. Oktober 2015 (BGBl. I S. 1722) mit Wirkung zum 24. Oktober 2015 an die Stelle des Asylverfahrensgesetzes getretene Asylgesetz. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Rechtsänderungen, die nach der Berufungsentscheidung eintreten, zu berücksichtigen, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie seinerseits zu berücksichtigen hätte (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Berufungsgericht nach § 77 Abs. 1 AsylG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen hat, müsste es, wenn es jetzt entschiede, die neue Rechtslage zugrunde legen, soweit nicht hiervon - wie im vorliegenden Fall in Bezug auf die maßgeblichen Dublin-Bestimmungen - eine Abweichung aus Gründen des materiellen Rechts geboten ist.
- 9
-
1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die vom Kläger erhobene Anfechtungsklage nicht nur hinsichtlich der Abschiebungsanordnung, sondern auch hinsichtlich der Entscheidung über die Unzulässigkeit des Asylantrags wegen anderweitiger internationaler Zuständigkeit die allein statthafte Klageart ist (BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 2015 - 1 C 32.14 - Rn. 13 ff.).
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2. Die Klage ist auch begründet. Das Bundesamt hat in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids - ungeachtet der Formulierung ("Der Asylantrag ist unzulässig") - eine rechtsgestaltende Entscheidung im Sinne des § 31 Abs. 6 AsylG über die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig getroffen (BVerwG, Urteil vom 17. September 2015 - 1 C 26.14 - juris Rn. 12).
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Die Voraussetzungen des vom Bundesamt zur Begründung dieser Entscheidung herangezogenen § 27a AsylVfG (inzwischen: AsylG) liegen nicht vor. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrags für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
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Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass für die Beurteilung der internationalen Zuständigkeit im vorliegenden Fall weiterhin die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 50 S. 1) - Dublin II-VO - maßgeblich ist. Das ergibt sich aus der Übergangsregelung in Art. 49 Abs. 2 der am 19. Juli 2013 in Kraft getretenen Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 S. 31) - Dublin III-VO. Danach ist die Dublin III-VO erst auf Anträge zur Erlangung internationalen Schutzes anwendbar, die ab dem 1. Januar 2014 gestellt werden; seit diesem Zeitpunkt gilt sie außerdem - ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung - für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern. Vorliegend wurden Asylantrag und Wiederaufnahmegesuch vor diesem Stichtag gestellt.
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2.1 Nach den in der Dublin II-VO festgelegten Kriterien obliegt Deutschland die Prüfung des klägerischen Asylantrags. Die originäre Zuständigkeit Deutschlands ergibt sich aus Art. 6 Abs. 2 der Dublin II-VO (a). Die Zuständigkeit ist nicht nachträglich auf Belgien übergegangen (b).
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a) Nach Art. 3 Abs. 1 der Dublin II-VO wird ein Asylantrag von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. Dabei kommen die originären Zuständigkeitskriterien nach Art. 5 Abs. 1 in der im Kapitel III genannten Rangfolge zur Anwendung (normative Hierarchie; vgl. EuGH, Urteil vom 6. Juni 2013 - C-648/11 [ECLI:EU:2013:367], MA u.a. - Rn. 44) und ist gemäß Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO von der Situation auszugehen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt (sog. Versteinerungsklausel; vgl. EuGH, Urteil vom 6. Juni 2013 - C-648/11 - Rn. 45).
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Art. 6 der Dublin II-VO bestimmt, dass bei unbegleiteten Minderjährigen der Mitgliedstaat, in dem sich ein Angehöriger rechtmäßig aufhält, für die Prüfung seines Antrags zuständig ist, sofern dies im Interesse des Minderjährigen liegt (Abs. 1). Ist kein Familienangehöriger anwesend, so ist der Mitgliedstaat zuständig, in dem der Minderjährige seinen Asylantrag gestellt hat (Abs. 2). "Unbegleitete Minderjährige" sind nach der Begriffsdefinition in Art. 2 Buchst. h der Dublin II-VO unverheiratete Personen unter 18 Jahren, die ohne Begleitung eines für sie nach dem Gesetz oder dem Gewohnheitsrecht verantwortlichen Erwachsenen in einen Mitgliedstaat einreisen, solange sie sich nicht tatsächlich in der Obhut eines solchen Erwachsenen befinden; dies schließt Minderjährige ein, die nach ihrer Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ohne Begleitung gelassen werden. "Familienangehörige" sind nach der Begriffsdefinition in Art. 2 Buchst. i der Dublin II-VO die dort aufgeführten, im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten anwesenden Mitglieder der Familie, sofern die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat. Hierzu zählt bei unverheirateten minderjährigen Antragstellern auch der Vormund.
- 16
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Der Kläger wurde nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes 1993 geboren; folglich war er auch noch bei Stellung seines weiteren Asylantrags in Deutschland minderjährig. Diese tatrichterliche Feststellung ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Soweit die Beklagte eine unzureichende Sachverhaltsaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO) durch das Berufungsgericht rügt, genügt ihr Vorbringen schon nicht den formellen Anforderungen an die Darlegung dieses Verfahrensfehlers. Denn es fehlen Ausführungen, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen zur Altersbestimmung in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Aufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Auch wird nicht dargelegt, dass bereits im Verfahren vor dem Berufungsgericht auf eine weitere Sachverhaltsaufklärung hingewirkt worden ist oder dass sich dem Berufungsgericht weitere Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (BVerwG, Urteil vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
VwGO Nr. 26 m.w.N.). Ebenso fehlen nähere Darlegungen für einen Verstoß gegen die sich aus dem Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ergebenden verfahrensmäßigen Verpflichtungen. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Alter des Klägers beruhen auch materiellrechtlich nicht auf einer zu schmalen Tatsachengrundlage. Zwar hat der Kläger in Belgien ein anderes Geburtsdatum angegeben. Das Berufungsgericht hat aber nachvollziehbar dargelegt, warum es dennoch keine Zweifel hat, dass die jetzige Angabe des Klägers, er sei erst 1993 geboren, richtig ist.
- 17
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Unerheblich ist, dass der Kläger inzwischen volljährig ist. Denn maßgeblich für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates ist nach Art. 5 Abs. 2 der Dublin II-VO die Sachlage im Zeitpunkt der Antragstellung. Diese Zeitpunktfixierung geht aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts der Regelung in § 77 Abs. 1 AsylG vor. Da der Kläger nach den Feststellungen des Berufungsgerichts auch noch bei Stellung seines letzten Asylantrags minderjährig war, kann dahinstehen, wie die weitere Präzisierung in Art. 5 Abs. 2 der Dublin II-VO, wonach von der Situation auszugehen ist, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber "seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt" auszulegen ist. Insbesondere braucht hier nicht entschieden zu werden, ob sie sich nur auf den Fall mehrerer miteinander konkurrierender Asylanträge oder auch - auf den hier zu entscheidenden Fall - einer erneuten Antragstellung nach Abschluss eines oder mehrerer Asylverfahren in einem anderen Mitgliedstaat bezieht. Nicht entscheidungserheblich ist auch, dass die belgischen Behörden aufgrund der früheren Angabe des Klägers von dessen Volljährigkeit ausgegangen sind, denn diese Einschätzung entfaltet im vorliegenden Verfahren keine Bindungswirkung.
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Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger zwar nicht die weiteren Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 der Dublin II-VO erfüllt. Denn sein rechtmäßig in Deutschland lebender Bruder wurde erst Anfang 2011 zum Vormund bestellt. Damit fehlte es im maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung an einem sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats rechtmäßig aufhaltenden Familienangehörigen im Sinne des Art. 2 Buchst. h der Dublin II-VO. Liegen die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 der Dublin II-VO für eine Zuständigkeit nicht vor, ist nach der subsidiären Regelung in Art. 6 Abs. 2 der Dublin II-VO der Mitgliedstaat zuständig, in dem der Minderjährige seinen Asylantrag gestellt hat.
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Zur Auslegung dieser Bestimmung hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in dem vom Berufungsgericht herangezogenen Urteil vom 6. Juni 2013 - C-648/11-, das Fälle betraf, in denen Minderjährige in mehreren Mitgliedstaaten Asylanträge gestellt hatten, über die noch nicht entschieden war (konkurrierende Asylanträge), festgestellt, dass die Vorschrift unter diesen Umständen dahin auszulegen ist, dass der Mitgliedstaat zuständig ist, in dem sich der Minderjährige aufhält, nachdem er dort einen Asylantrag gestellt hat (Rn. 66). Begründet hat er dies mit dem offenen Wortlaut, einem systematischen Vergleich mit den Regelungen in Art. 5 Abs. 2 und Art. 13 der Dublin II-VO, dem Zweck der Vorschrift, wonach Minderjährige als besonders gefährdete Personen besonders schutzwürdig sind, und dem Erfordernis zur Berücksichtigung des Wohl des Kindes nach Art. 24 Abs. 2 und Art. 51 Abs. 1 der GRC und dem 15. Erwägungsgrund der Dublin II-VO (Rn. 49 ff.). Zugleich hat er - mit Blick auf die hier einschlägige Konstellation gestaffelter Asylanträge - darauf hingewiesen, dass seine Auslegung von Art. 6 Abs. 2 der Dublin II-VO, wonach derjenige Mitgliedstaat zuständig ist, in dem sich der Minderjährige aufhält, nachdem er dort einen Asylantrag gestellt hat, aber nicht bedeutet, dass der unbegleitete Minderjährige, dessen Asylantrag schon in einem ersten Mitgliedstaat in der Sache zurückgewiesen wurde, anschließend einen anderen Mitgliedstaat zur Prüfung eines Asylantrags zwingen könnte (Rn. 63). Begründet hat er dies mit Art. 25 der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. Nr. L 326 S. 13) - Asylverfahrensrichtlinie a.F. Danach hätten die Mitgliedstaaten "zusätzlich zu den Fällen, in denen ein Asylantrag nach Maßgabe der Verordnung Nr. 343/2003 nicht geprüft wird", die Flüchtlingseigenschaft des Antragstellers insbesondere nicht zu prüfen, wenn ein Antrag deshalb als unzulässig betrachtet werde, weil der Asylbewerber nach einer gegen ihn ergangenen rechtskräftigen Entscheidung einen "identischen Antrag" gestellt habe (Rn. 64).
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Soweit die Beklagte diesen Ausführungen eine - auf der Zuständigkeitsebene zu berücksichtigende - Einschränkung des Anwendungsbereichs des Art. 6 Abs. 2 der Dublin II-VO jedenfalls bei identischen Anträgen entnimmt, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Bei der Dublin II-VO handelt es sich um unmittelbar anwendbares sekundäres Unionsrecht, das inhaltlich abschließend die Zuständigkeit zur Prüfung eines in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags regelt. Die vom EuGH herangezogene Bestimmung in Art. 25 der Asylverfahrensrichtlinie a.F. ermächtigt den (zuständigen) Mitgliedstaat lediglich, einen Asylantrag auch aus bestimmten anderen Gründen als unzulässig zu betrachten, etwa wenn der Asylbewerber nach einer rechtskräftigen Entscheidung einen identischen Asylantrag gestellt hat (Art. 25 Abs. 2 Buchst. f der RL 2005/85/EG). Beide Normen haben folglich unterschiedliche Regelungsgehalte, die sich ergänzen, aber nicht gegenseitig beeinflussen. Nichts anderes ergibt sich aus dem Hinweis des EuGH.
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b) Der Zuständigkeit Deutschlands zur Prüfung des klägerischen Asylantrags steht die Annahme des deutschen Wiederaufnahmeersuchens durch Belgien mit Schreiben vom 16. Februar 2011 nicht entgegen. Hierdurch ist die Zuständigkeit nicht nachträglich auf Belgien übergegangen.
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Die Dublin II-VO enthält neben den (originären) Zuständigkeitskriterien im Kapitel III bei den Bestimmungen zur (Wieder-)Aufnahme im Kapitel V Regelungen, die einen Übergang der Zuständigkeit vom ersuchten auf den ersuchenden Mitgliedstaat vorsehen (vgl. Art. 17 Abs. 1 der Dublin II-VO bei nicht fristgerechter Stellung eines Aufnahmeantrags und Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 2 der Dublin II-VO bei nicht fristgerechter Überstellung im Rahmen eines
Aufnahmeersuchens). Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass hingegen die bloße Annahme eines (Wieder-)Aufnahmeersuchens durch den ersuchten Mitgliedstaat nach dem Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen nicht zu einem Zuständigkeitswechsel führt, sondern nur zur (Wieder-)Aufnahme verpflichtet (vgl. Art. 18 Abs. 7 und Art. 20 Abs. 1 Buchst. d der Dublin II-VO). Dass im Anwendungsbereich des Art. 6 der Dublin II-VO allein die Annahme eines (Wieder-)Aufnahmeersuchens nicht zu einem Zuständigkeitswechsel führt, ergibt sich auch aus der Entscheidung des EuGH vom 6. Juni 2013 - C-648/11 -, in der dieser sich eingehend mit der Auslegung des Art. 6 der Dublin II-VO auseinandersetzt, obwohl in allen drei ihm vorgelegten Fällen sich die Staaten, in denen die minderjährigen Kläger bereits zuvor einen Asylantrag gestellt hatten, ausdrücklich zur Wiederaufnahme bereit erklärt hatten. Wäre allein hierdurch die Zuständigkeit auf die ersuchten Mitgliedstaaten übergegangen, hätten sich weitere Ausführungen zur (originären) Zuständigkeit des Aufenthaltsstaats nach Art. 6 der Dublin II-VO erübrigt.
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Soweit das Berufungsgericht weiter feststellt, dass die Zustimmung Belgiens auch keine (zuständigkeitsbegründende) Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 der Dublin II-VO beinhaltet, ist auch dies revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Die Dublin II-VO trennt zwischen den (originären) Zuständigkeitskriterien im Kapitel III, dem (fakultativen) Selbsteintrittsrecht der Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 2 und Art. 15 Abs. 2 der Dublin II-VO und dem (Wieder-)Aufnahmeverfahren nach Kapitel V. Mit der ausdrücklich auf Art. 16 Abs. 1 Buchst. e der Dublin II-VO gestützten Annahme des Wiederaufnahmeersuchens hat Belgien lediglich seine Bereitschaft erklärt, den Kläger wieder aufzunehmen. Eine Entscheidung, den Asylantrag des Klägers - unabhängig von den in der Dublin II-VO niedergelegten Zuständigkeitskriterien - im Wege des Selbsteintritts zu prüfen, ist dem - ungeachtet der Frage, ob ein solcher Selbsteintritt überhaupt zulässig wäre - nicht zu entnehmen. Es liegen auch keine Anhaltspunkte für eine konkludente Ausübung des Selbsteintrittsrechts vor. Hierfür genügen reine Verfahrenshandlungen regelmäßig nicht.
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2.2 Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass sein Asylantrag in Deutschland geprüft wird. Der Unionsgesetzgeber hat zur zügigen Bearbeitung von Asylanträgen in der Dublin II-VO organisatorische Vorschriften für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats festgelegt. Diese sind individualschützend, wenn sie nicht nur die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten regeln, sondern (auch) dem Grundrechtsschutz dienen. Ist dies der Fall, hat der Asylsuchende ein subjektives Recht auf Prüfung seines Asylantrags durch den danach zuständigen Mitgliedstaat und kann eine hiermit nicht im Einklang stehende Entscheidung des Bundesamts erfolgreich angreifen.
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In diesem Sinne sind die Bestimmungen zur Zuständigkeit für Asylanträge von unbegleiteten Minderjährigen - im Gegensatz etwa zur Fristenregelung für die Stellung eines Aufnahmegesuchs nach Art. 17 Abs. 1 der Dublin II-VO (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 2015 - 1 C 32.14 - Rn. 17 ff.) - individualschützend und vermitteln dem Betroffenen folglich ein subjektives Recht. Der EuGH hat in seinem Urteil vom 6. Juni 2013 (C-648/11), in dem es um die Zuständigkeit für Asylanträge unbegleiteter Minderjähriger ging, die bereits in einem anderen - zur Wiederaufnahme bereiten - Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hatten, die einschlägige Zuständigkeitsregelung in Art. 6 Abs. 2 der Dublin II-VO im Lichte des Art. 24 Abs. 2 der GRC ausgelegt, wonach bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen oder privater Einrichtungen das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein muss (Rn. 57). Dem ist zu entnehmen, dass die Zuständigkeitsbestimmungen für unbegleitete Minderjährige in Art. 6 der Dublin II-VO (auch) dem Grundrechtsschutz des Betroffenen dienen.
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2.3 Die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids kann entgegen der Auffassung der Beklagten nicht als Entscheidung nach § 71a AsylG, kein weiteres Asylverfahren durchzuführen, aufrechterhalten bleiben. Stellt ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag), ist nach § 71a Abs. 1 AsylG ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen; die Prüfung obliegt dem Bundesamt.
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Dabei kann dahinstehen, ob das Bundesamt hiernach die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ablehnen müsste. Denn ist die Bundesrepublik Deutschland nach den Dublin-Bestimmungen für die Prüfung des Asylantrags zuständig, unterliegt die vom Bundesamt zu Unrecht auf § 27a AsylG gestützte Ablehnung des Asylantrags als unzulässig ohne förmliche Änderung durch das Bundesamt und ohne Mitwirkung des Klägers im laufenden Gerichtsverfahren nur dann nicht der gerichtlichen Aufhebung, wenn sie sich entweder bei gleichbleibendem Streitgegenstand aus anderen Gründen im Ergebnis als rechtmäßig erweist (a) oder wenn sie im Wege der Umdeutung nach § 47 VwVfG durch eine andere - rechtmäßige - Regelung ersetzt werden kann (b). Beide Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
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a) Nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO unterliegt ein Verwaltungsakt der gerichtlichen Aufhebung, soweit er rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Darin kommt die Verpflichtung der Verwaltungsgerichte zum Ausdruck zu prüfen, ob ein angefochtener Verwaltungsakt mit dem objektiven Recht in Einklang steht und, falls nicht, ob er den Kläger in seinen Rechten verletzt. Bei dieser Prüfung haben die Verwaltungsgerichte alle einschlägigen Rechtsvorschriften und - nach Maßgabe der Sachaufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO - alle rechtserheblichen Tatsachen zu berücksichtigen, gleichgültig, ob die Normen und Tatsachen von der erlassenden Behörde zur Begründung des Verwaltungsaktes angeführt worden sind oder nicht. Dies gilt aber nur, wenn und soweit der angefochtene Verwaltungsakt hierdurch nicht in seinem Wesen verändert wird (BVerwG, Urteil vom 27. Januar 1982 - 8 C 12.81 - BVerwGE 64, 356 <357 f.>). Diese Grenze wird überschritten, wenn - wie hier - durch einen Austausch der Rechtsgrundlage prozessual der Streitgegenstand verändert würde.
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Zwar findet sowohl bei § 27a AsylG als auch bei § 71a AsylG keine inhaltliche Prüfung des Asylantrags statt. Das Gesetz knüpft an beide Entscheidungen aber unterschiedliche Rechtsfolgen, so dass prozessual von unterschiedlichen Streitgegenständen auszugehen ist. § 27a AsylG betrifft die Behandlung eines Asylantrags im Falle der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems. Eine auf diese Rechtsgrundlage gestützte Entscheidung hat zur Folge, dass der Antragsteller in den zur Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat überstellt und ihm zu diesem Zweck unter den Voraussetzungen des § 34a AsylG die Abschiebung in diesen Staat angedroht wird. Im Rahmen der Entscheidung nach § 71 a AsylG findet hingegen, ausgehend von einer Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland, eine Prüfung statt, ob das Asylverfahren auf den Zweitantrag wiederaufzugreifen ist und ob, falls Gründe für ein Wiederaufgreifen gegeben sind, ein Anspruch auf Asylanerkennung besteht. Lehnt das Bundesamt auf dieser Rechtsgrundlage die Durchführung eines (weiteren) Asylverfahrens ab, ist nur noch über das Vorliegen nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zu entscheiden (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, § 71 a AsylVfG, Stand 10. August 2010, Rn. 27) und der Betroffene kann nach Erlass einer Abschiebungsandrohung - vorbehaltlich des Bestehens eines nationalen Abschiebungsverbotes - in jeden Staat abgeschoben werden, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist (vgl. § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 2 AufenthG).
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b) Die auf § 27a AsylG gestützte Unzulässigkeitsentscheidung kann auch nicht nach § 47 VwVfG in eine Entscheidung nach § 71a AsylG umgedeutet werden. Bei der Umdeutung (Konversion) wird die im Verwaltungsakt getroffene Regelung nicht lediglich auf eine andere Rechtsgrundlage gestützt, sondern durch eine andere (rechtmäßige) Regelung ersetzt. Hierzu sind - bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 47 VwVfG - nicht nur die Behörden, sondern auch die Verwaltungsgerichte ermächtigt (vgl. u.a. BVerwG, Urteile vom 23. November 1999 - 9 C 16.99 - BVerwGE 110, 111 <114> und vom 26. Juli 2006 - 6 C 20.05 - BVerwGE 126, 254 Rn. 101 m.w.N.). Eine Verletzung des Gebots effektiven Rechtsschutzes ist damit nicht verbunden (BVerwG, Beschluss vom 9. April 2009 - 3 B 116.08 - juris Rn. 4). Eine Umdeutung ist auch noch im Revisionsverfahren möglich, sofern die das Revisionsgericht bindenden tatrichterlichen Feststellungen ausreichen, den Beteiligten rechtliches Gehör gewährt worden ist und sie in ihrer Rechtsverteidigung nicht beeinträchtigt sind (BVerwG, Urteile vom 14. Februar 2007 - 6 C 28.05 - Buchholz 442.066 § 150 TKG Nr. 3 und vom 29. Oktober 2008 - 6 C 38.07 - Buchholz 442.066 § 10 TKG Nr. 2).
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Nach § 47 Abs. 1 VwVfG kann ein fehlerhafter und damit rechtswidriger Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Dies gilt nach § 47 Abs. 2 VwVfG nicht, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsaktes (Satz 1). Eine Umdeutung ist ferner unzulässig, wenn der fehlerhafte Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden dürfte (Satz 3). Eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, kann nach § 47 Abs. 3 VwVfG nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden. Nach § 47 Abs. 4 VwVfG ist § 28 VwVfG entsprechend anzuwenden.
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Ob nach § 71a AsylG die Voraussetzungen für eine die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ablehnende Entscheidung vorliegen, nachdem der Kläger nach seinen Angaben zwar zwei erfolglose Asylverfahren in Belgien durchlaufen und sich bei Stellung seines (Zweit-)Antrags im Bundesgebiet lediglich allgemein auf die Verhältnisse in seinem Heimatland berufen hat, ausweislich der Akten aber während des gerichtlichen Verfahrens zum christlichen Glauben konvertiert ist, bedarf auch in diesem Zusammenhang keiner Entscheidung. Denn eine Umdeutung scheitert schon daran, dass die Rechtsfolgen einer Entscheidung nach § 71a AsylG für den Kläger ungünstiger wären. Dabei sind nicht nur die unmittelbaren, sondern auch die mittelbaren Rechtsfolgen der Entscheidung in den Blick zu nehmen. Folglich ist zu berücksichtigen, dass eine Entscheidung nach § 27a AsylVfG nur zur Überstellung des Asylsuchenden in einen anderen - zur Prüfung seines Asylantrags zuständigen - "sicheren" Dublin-Staat führt. Eine die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ablehnende Entscheidung nach § 71a AsylG hätte hingegen zur Folge, dass der Asylantrag auch von keinem anderen Staat weiter geprüft würde und der Betroffene - nach Erlass einer entsprechenden Abschiebungsandrohung und vorbehaltlich des Bestehens eines nationalen Abschiebungsverbotes - in jeden zu seiner Aufnahme bereiten Staat einschließlich seines Herkunftslands abgeschoben werden könnte. Die Regelung in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids kann schließlich auch nicht in eine andere (rechtmäßige) Entscheidung umgedeutet werden.
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3. Hat das Bundesamt den Asylantrag zu Unrecht nach § 27a AsylG als unzulässig abgelehnt und ist der Bescheid insoweit aufzuheben, liegen auch die Voraussetzungen für eine Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG nicht vor.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Tatbestand
I.
Beim zur Person nicht ausgewiesenen Antragsteller handelt es sich nach dessen eigenen Angaben um einen am ... ... 1997 geborenen äthiopischen Staatsangehörigen oromischer Volkszugehörigkeit und moslemischsunnitischen Glaubens. Er gab an, am 17. Mai 2015 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein; am 18. Mai 2015 meldete er sich als Asylsuchender. Am 3. Juli 2015 stellte der Antragsteller beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Antrag auf die Gewährung politischen Asyls.
Im Rahmen einer Anhörung durch das Bundesamt am
In einer weiteren Anhörung am selben Tag gab der Antragsteller an, er habe keine Beschwerden, Erkrankungen, Gebrechen oder Behinderung. Er wolle nicht nach Italien rücküberstellt werden, da er dort menschenunwürdig behandelt worden sei; ihm seien unter Gewalt die Fingerabdrücke abgenommen worden.
Eine entsprechende Anfrage ergab einen EURODAC-Treffer der Kategorie 2 Italien. Am
Mit Bescheid vom 17. November 2015 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab, ordnete die Abschiebung nach Italien an und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf zwölf Monate ab dem Tag der Abschiebung. Zur Begründung wurde ausgeführt, Italien sei aufgrund der illegalen Einreise seitens des Antragstellers gemäß Art. 13 Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Antragsgegnerin veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. In Italien lägen keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen im Sinne der Rechtsprechung des EGMR und des EuGH vor. Die Anordnung der Abschiebung nach Italien beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG, das Einreiseverbot beruhe auf § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG; die Befristung auf zwölf Monate sei im vorliegenden Fall angemessen.
Der Bescheid wurde dem Antragsteller laut Postzustellungsurkunde am
Am
Zugleich wurde die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt.
Zur Begründung wurde ausgeführt, es bestünden deshalb ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides, weil der Antragsteller zum Zeitpunkt der Einreise in Deutschland und zum Zeitpunkt der Meldung ein unbegleiteter Minderjähriger ohne Familienangehörige gewesen sei. Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bildeten unbegleitete Minderjährige eine Kategorie besonders gefährdeter Personen, die grundsätzlich nicht in einen anderen Mitgliedstaat zu überstellen seien. Dies habe das Bundesamt in seinem angefochtenen Bescheid übersehen und nicht thematisiert. Zwar sei im vorliegenden Fall der Asylantrag des Antragstellers erst nach dessen Volljährigkeit offiziell erfasst worden; es könne jedoch nicht zulasten eines Minderjährigen gehen, dass dessen Asylgesuch aufgrund von Verzögerungen durch die Behörden erst so spät erfasst worden sei, dass die Volljährigkeit eingetreten sei. Zudem komme eine Abschiebung nach Italien deshalb nicht in Betracht, weil dort systemische Mängel hinsichtlich des Asylverfahrens und der Unterbringung von Asylsuchenden herrschten.
Die Antragsgegnerin beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
Im Übrigen wird auf das weitere schriftsätzliche Vorbringen der Parteien sowie auf den Inhalt der einschlägigen Verwaltungsakten des Bundesamtes und den Inhalt der Gerichtsakte W 3 K 15.50391, welche Gegenstand des Verfahrens waren, Bezug genommen.
Gründe
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung des Bundesamtes im Bescheid vom
Der Antrag ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom
Dies ergibt sich aus Folgendem:
Die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützte Abschiebungsanordnung ist rechtmäßig. Nach dieser Norm ordnet das Bundesamt die Abschiebung eines Ausländers u. a. in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Das Bundesamt ist zu Recht davon ausgegangen, dass Italien für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig ist.
Welcher Staat für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist, richtet sich nach den Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages. Dies ergibt sich aus § 27a AsylG, auf welchen § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG auch insoweit verweist.
Im vorliegenden Fall findet dabei die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom
Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO prüfen die Mitgliedstaaten jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO sieht vor, dass der Antrag auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III (Art. 7 bis Art. 15 Dublin III-VO) bestimmt wird. Hierbei ist gemäß Art. 7 Abs. 1 Dublin III-VO zu beachten, dass die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung finden. Dabei ist gemäß Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats von der Situation auszugehen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Lässt sich anhand der Kriterien des dritten Kapitels der Dublin III-VO nicht bestimmen, welcher Mitgliedstaat zuständig ist, so ist der erste Mitgliedstaat zuständig, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde (Art. 3 Abs. 2 UA 1 Dublin III-VO).
Auf der Grundlage dieser Vorschriften kann sich der Antragsteller nicht darauf berufen, dass die Antragsgegnerin gemäß Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO zuständiger Mitgliedstaat für die Prüfung seines Antrags auf internationalen Schutz wäre. Nach dieser Vorschrift ist für einen unbegleiteten Minderjährigen, also bei Abwesenheit eines Familienangehörigen, eines seiner Geschwister oder eines Verwandten im Sinne der Absätze 1 und 2, der Mitgliedstaat zuständiger Mitgliedstaat, in dem der unbegleitete Minderjährige seinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, sofern es dem Wohl des Minderjährigen dient.
Zwar hat der Antragsteller grundsätzlich kein subjektives Recht auf Einhaltung der primär den Interessen der Mitgliedstaaten dienenden Zuständigkeitsverfahrensvorschriften, insbesondere insoweit diese Form- und Fristerfordernisse regeln; allerdings kann er eine Dublin-Zuständigkeitsregelung gerichtlich dann durchsetzen, wenn diese - wie Art. 8 Dublin III-VO - grundrechtlich „aufgeladen“ ist (vgl. hierzu EuGH, U.v. 6.6.2013 - C-648/11 -, NVwZ-RR 2013, 735, Beckonline Rn. 58 und 59 zum inhaltsgleichen Art. 6 Abs. 2 der Verordnung [EG] Nr. 343/2003 des Rates vom 18.2.2003 - Dublin II-VO; VG Aachen, B.v. 22.4.2015 - 5 L 15/15.A - juris Rn. 25).
Allerdings ist Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO auf den Antragsteller nicht anwendbar.
Diese Vorschrift ist auf der Grundlage der genannten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U.v. 6.6.2013 - C-648/11
Dies muss der Sache nach auch für Fälle gelten, in denen der unbegleitete Minderjährige im anderen Mitgliedstaat lediglich registriert worden ist, ohne einen Asylantrag gestellt zu haben, um dem vom Europäischen Gerichtshof geforderten Minderjährigenschutz Rechnung zu tragen. Allerdings kann sich der Antragsteller trotzdem nicht gegenüber der Antragsgegnerin auf Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO berufen, weil diese Vorschrift nicht auf ihn zutrifft. Denn diesbezüglich ist hinsichtlich der Antwort auf die Frage, ob es sich um einen Minderjährigen i. S. d. Art. 8 Abs. 4, Art. 2 Buchst. i) (hiernach bezeichnet der Ausdruck Minderjähriger einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen unter 18 Jahren) Dublin III-VO handelt, auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem der Antragsteller einen Antrag auf internationalen Schutz stellt. Dabei kann offen bleiben, ob in diesem Rahmen Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO anwendbar ist. Nach dieser Vorschrift ist von der Situation auszugehen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt (für die Anwendung dieser „Sachverhaltsversteinerungsregelung“: VG Aachen, B.v. 22.4.2015 - 5 L 15/15.A - juris Rn. 35; a.A. VG Minden, B.v. 27.1.2015 - 10 L 820/14.A - BeckRS 2015, 41154 - Beckonline; a.A. wohl auch EuGH, U.v. 6.6.2013 - C-648/11 - a. a. O. Rn. 45 zur inhaltsgleichen Vorschrift Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO). Denn nach den Angaben des Antragstellers, die durch den EURODAC-Treffer der Kategorie 2 bestätigt worden sind, hat dieser in Italien keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
Demzufolge ist auf den Antrag auf internationalen Schutz abzustellen, den der Antragsteller am
Dies ergibt sich aus der Formulierung des Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO; hier wird auf die Zuständigkeit des Mitgliedstaats abgestellt, in dem der unbegleitete Minderjährige seinen „Antrag auf internationalen Schutz“ gestellt hat. Im Sinne der Dublin III-Verordnung bezeichnet gemäß Art. 2 Buchst. b) Dublin III-VO der Ausdruck „Antrag auf internationalen Schutz“ einen Antrag auf internationalen Schutz i. S. d. Art. 2 Buchst. h) der Richtlinie 2011/95/EU.
Nach Art. 2 Buchst. h) der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom
Dies bedeutet, dass bei der Beurteilung, ob ein „Antrag auf internationalen Schutz“ in diesem Sinne vorliegt, das inhaltliche Begehren des Antragstellers zu berücksichtigen ist; dies wird jedoch nicht schon dann im Einzelnen benannt und seitens der Antragsgegnerin in rechtlicher Hinsicht zur Kenntnis genommen und entsprechend eingeordnet, wenn sich ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser erstmals - bei welcher Behörde oder Institution auch immer - als Asylsuchender meldet. Vielmehr wird dieses Begehren erst bei der Antragstellung i. S. d. § 14 Abs. 1 Satz 1 AsylG bei der Außenstelle des Bundesamtes aufgenommen und konkretisiert, die der für die Aufnahme des Ausländers zuständigen Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist (vgl. hierzu auch § 23 Abs. 1 und § 24 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
Dies wird bestätigt durch Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO, wonach ein Antrag auf internationalen Schutz dann als gestellt gilt, wenn den zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats ein vom Antragsteller eingereichtes Formblatt oder ein behördliches Protokoll zugegangen ist. Erst dieser Antrag begründet die Zuständigkeit des Bundesamtes gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 AsylG i. V. m. § 14 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Folglich ist hinsichtlich des Verfahrensfristregimes der Dublin III-Verordnung nicht auf (irgend-)eine Meldung als Asylsuchender bei irgendeiner Behörde oder sonstigen Stelle zu einem möglicherweise völlig beliebigen Zeitpunkt abzustellen, sondern zumindest auf die formelle Asylantragstellung bei der zuständigen Bundesamtsaußenstelle (vgl. VG Potsdam, B.v. 26.6.2015 - VG 6 L 763/15.A - BeckRS 2015, 51713 - Beckonline). Eine mögliche weitere Verlagerung des maßgeblichen Zeitpunktes gemäß § 77 Abs. 1 AsylG auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bzw. der Entscheidung des Gerichts kann hier außer Betracht bleiben, da der Antragsteller schon zum Zeitpunkt der Antragstellung gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 AsylG am 3. Juli 2015 volljährig war.
Bestätigt wird dies durch die Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs in seiner Entscheidung vom 6. Juni 2013 (C-648/11
Hieraus ergibt sich, dass zumindest auf das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats abzustellen ist. Dieses Verfahren beginnt jedoch nicht schon bei der Meldung als Asylsuchender bei irgendeiner Stelle, sondern erst mit der Antragstellung gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Denn die Entscheidung gemäß § 27a AsylG, ob ein Asylantrag unzulässig ist, weil ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, kann erst dann getroffen werden, wenn der Asylantrag i. S. d. § 14 Abs. 1 Satz 1 AsylG tatsächlich gestellt ist. Erst dann kann der vom Europäischen Gerichtshof postulierte Minderjährigenschutz maßgeblich sein.
Damit steht fest, dass es hinsichtlich der Anwendung des Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO zumindest auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung ankommt, nicht dagegen schon auf den davor gelegenen Zeitpunkt der Meldung als Asylsuchender. Offen bleiben kann in diesem Zusammenhang, ob auf der Grundlage des § 77 Abs. 1 AsylG im Rahmen des Gerichtsverfahren auf den - später gelegenen - Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen ist (vgl. Bergmann, Das Dublin-Asylsystem, ZAR 2015, 81, Ziffer 5.7 m.w.Nachw.).
Denn der Antragsteller war schon am
Ist dies aber so, ist - gemäß Art. 7 Abs. 1 Dublin III-VO nach der in Kapitel III genannten Rangfolge - Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO einschlägig. Wird nach dieser Vorschrift auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß bestimmten im Einzelnen genannten Verzeichnissen festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.
So liegt der Fall hier. Auf der Grundlage der Angaben des Antragstellers steht fest, dass der Antragsteller aus Libyen kommend die Grenze von Italien illegal überschritten hat. Damit ist Italien für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Auf das am 31. August 2015 an die italienischen Behörden gerichtete Übernahmegesuch haben diese innerhalb der vorgegebenen Frist von zwei Monaten gemäß Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO nicht geantwortet, so dass gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO davon auszugehen ist, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wurde. Wenn ein Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylG) abgeschoben werden soll, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann (§ 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG).
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist eine Überstellung eines Asylsuchenden an einen anderen Mitgliedstaat nur dann zu unterlassen, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der (rück-)überstellten Asylsuchenden i. S. von Art. 4 Grundrechte-Charta (GR-Charta) zur Folge hätte (EuGH, U.v. 21.12.2011 - C-411/10 u. a. - juris). Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass jeder Verstoß eines zuständigen Mitgliedstaates gegen einzelne unionsrechtliche Bestimmungen zur Folge hätte, dass der Mitgliedstaat, in dem ein (weiterer) Asylantrag eingereicht wurde, daran gehindert wäre, den Asylsuchenden an den zuständigen Staat zu überstellen. Denn eine solche Sichtweise würde den Kern und die Verwirklichung des Ziels der Dublin-Verordnungen gefährden, rasch denjenigen Mitgliedstaat zu bestimmen, der für die Entscheidung über einen in der Union gestellten Asylantrag zuständig ist (EuGH, U.v. 21.12.2011, a. a. O.).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat für das in Deutschland - im Unterschied zu anderen Rechtssystemen - durch den Untersuchungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) geprägte verwaltungsgerichtliche Verfahren das Kriterium der systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für die Asylbewerber in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union Bedeutung für die Gefahrenprognose im Rahmen des Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK. Der Tatrichter muss sich zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylsuchenden stehe in jedem Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylsuchende wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d. h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt würde. Die Fokussierung der Prognose auf systemische Mängel ist dabei, wie sich aus den Erwägungen des Gerichtshofs zur Erkennbarkeit der Mängel für andere Mitgliedstaaten ergibt, Ausdruck der Vorhersehbarkeit solcher Defizite, weil sie im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen. Solche Mängel treffen den Einzelnen in dem zuständigen Mitgliedstaat nicht unvorhersehbar oder schicksalhaft, sondern lassen sich aus Sicht der deutschen Behörden und Gerichte wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren. Die Widerlegung der oben genannten Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylsuchenden im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erniedrigende Behandlung droht. Dann scheidet eine Überstellung an den nach der Verordnung zuständigen Mitgliedstaat aus (BVerwG, B.v. 19.3.2014 - 10 B 6/14 - und
Nach diesen Maßstäben kann das erkennende Gericht nicht die Überzeugungsgewissheit gewinnen, dass der Antragsteller, der nicht als besonders schutzbedürftige Person im Sinne von Kapitel IV der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten (ABl. Nr. L 031 v. 6.2.2003, S. 18 ff.) anzusehen ist, bei einer Überstellung nach Italien dort wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein würde. Diese Bewertung entspricht sowohl der Rechtsprechung des EGMR (B.v. 18.6.2013 - 53825/11 - ZAR 2013, 338 und B.v. 2.4.2013 - 27725/10
Auch aus der Entscheidung des EGMR vom 4. November 2014 - Tarakhel ./. Schweiz Nr. 29217/12
Die Situation des Antragstellers als allein stehender junger Mann ist mit der Situation der Kläger im vorgenannten Verfahren nicht vergleichbar. Der EGMR hat mit Entscheidung vom 5. Februar 2015 in dem Fall A.M.E. v.the Netherlands (Nr. 51428/10
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Behandlung von Dublin-Rückkehrern nicht vergleichbar ist mit der Behandlung von neu ankommenden Bootsflüchtlingen. Hinsichtlich der Verfahrensweise wird ergänzend auf die Ausführungen im Urteil des VGH Baden-Württemberg
In diesem Zusammenhang kann der Antragsteller nicht für das Gericht nachvollziehbar glaubhaft machen, dass für ihn etwas anderes gelten müsste.
Somit ist die Abschiebung des Antragstellers nach Italien rechtlich zulässig. Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die die Antragsgegnerin im Verfahren nach § 34a AsylG selbst zu berücksichtigen hat (BVerfG, B.v. 17.9.2014 - 2 BvR 1795/14 - juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 28.10.2013 - 10 CE 13.2257 - juris), liegen nicht vor.
Anhaltspunkte dafür, dass die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 AufenthG auf zwölf Monate rechtsfehlerhaft wäre, sind weder seitens des Antragstellers vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; § 83b AsylG.
Aufgrund der fehlenden Erfolgsaussichten des vorliegenden Verfahrens war auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung abzulehnen (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO).
(1) Der Asylantrag ist bei der Außenstelle des Bundesamtes zu stellen, die der für die Aufnahme des Ausländers zuständigen Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist. Das Bundesamt kann den Ausländer in Abstimmung mit der von der obersten Landesbehörde bestimmten Stelle verpflichten, seinen Asylantrag bei einer anderen Außenstelle zu stellen. Der Ausländer ist vor der Antragstellung schriftlich und gegen Empfangsbestätigung darauf hinzuweisen, dass nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines Asylantrages die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 10 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes Beschränkungen unterliegt. In Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 2 ist der Hinweis unverzüglich nachzuholen.
(2) Der Asylantrag ist beim Bundesamt zu stellen, wenn der Ausländer
- 1.
einen Aufenthaltstitel mit einer Gesamtgeltungsdauer von mehr als sechs Monaten besitzt, - 2.
sich in Haft oder sonstigem öffentlichem Gewahrsam, in einem Krankenhaus, einer Heil- oder Pflegeanstalt oder in einer Jugendhilfeeinrichtung befindet, oder - 3.
minderjährig ist und sein gesetzlicher Vertreter nicht verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen.
(3) Befindet sich der Ausländer in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 2 in
- 1.
Untersuchungshaft, - 2.
Strafhaft, - 3.
Vorbereitungshaft nach § 62 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes, - 4.
Sicherungshaft nach § 62 Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 des Aufenthaltsgesetzes, weil er sich nach der unerlaubten Einreise länger als einen Monat ohne Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufgehalten hat, - 5.
Sicherungshaft nach § 62 Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 und 3 des Aufenthaltsgesetzes, - 6.
Mitwirkungshaft nach § 62 Absatz 6 des Aufenthaltsgesetzes, - 7.
Ausreisegewahrsam nach § 62b des Aufenthaltsgesetzes,
(1) Der Ausländer, der in der Aufnahmeeinrichtung aufgenommen ist, ist verpflichtet, unverzüglich oder zu dem von der Aufnahmeeinrichtung genannten Termin bei der Außenstelle des Bundesamtes zur Stellung des Asylantrags persönlich zu erscheinen.
(2) Kommt der Ausländer der Verpflichtung nach Absatz 1 nicht nach, so findet § 33 Absatz 1, 5 und 6 entsprechend Anwendung. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unverzüglich nachweist, dass das Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte. Auf diese Rechtsfolgen ist der Ausländer von der Aufnahmeeinrichtung schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen. Die Aufnahmeeinrichtung unterrichtet unverzüglich die ihr zugeordnete Außenstelle des Bundesamtes über die Aufnahme des Ausländers in der Aufnahmeeinrichtung und den erfolgten Hinweis nach Satz 3.
(1) Das Bundesamt klärt den Sachverhalt und erhebt die erforderlichen Beweise. Das Bundesamt unterrichtet den Ausländer frühzeitig in einer Sprache, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann, über den Ablauf des Verfahrens, über seine Rechte und Pflichten im Verfahren, insbesondere über Fristen und die Folgen einer Fristversäumung, sowie über freiwillige Rückkehrmöglichkeiten. Der Ausländer ist persönlich anzuhören. Von einer Anhörung kann abgesehen werden, wenn das Bundesamt
- 1.
dem Asylantrag vollständig stattgeben will oder - 2.
der Auffassung ist, dass der Ausländer aufgrund dauerhafter Umstände, die sich seinem Einfluss entziehen, nicht zu einer Anhörung in der Lage ist. Im Zweifelsfall ist für die Feststellung der Dauerhaftigkeit der Umstände eine ärztliche Bestätigung erforderlich. Wird von einer Anhörung abgesehen, unternimmt das Bundesamt angemessene Bemühungen, damit der Ausländer weitere Informationen unterbreiten kann.
(1a) Sucht eine große Zahl von Ausländern gleichzeitig um Asyl nach und wird es dem Bundesamt dadurch unmöglich, die Anhörung in zeitlichem Zusammenhang mit der Antragstellung durchzuführen, so kann das Bundesamt die Anhörung vorübergehend von einer anderen Behörde, die Aufgaben nach diesem Gesetz oder dem Aufenthaltsgesetz wahrnimmt, durchführen lassen. Die Anhörung darf nur von einem dafür geschulten Bediensteten durchgeführt werden. Die Bediensteten dürfen bei der Anhörung keine Uniform tragen. § 5 Absatz 4 gilt entsprechend.
(2) Nach Stellung eines Asylantrags obliegt dem Bundesamt auch die Entscheidung, ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegt.
(3) Das Bundesamt unterrichtet die Ausländerbehörde unverzüglich über
- 1.
die getroffene Entscheidung und - 2.
von dem Ausländer vorgetragene oder sonst erkennbare Gründe - a)
für eine Aussetzung der Abschiebung, insbesondere über die Notwendigkeit, die für eine Rückführung erforderlichen Dokumente zu beschaffen, oder - b)
die nach § 25 Abs. 3 Satz 2 Nummer 1 bis 4 des Aufenthaltsgesetzes der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegenstehen könnten.
(4) Eine Entscheidung über den Asylantrag ergeht innerhalb von sechs Monaten. Das Bundesamt kann die Frist auf höchstens 15 Monate verlängern, wenn
- 1.
sich in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht komplexe Fragen ergeben, - 2.
eine große Zahl von Ausländern gleichzeitig Anträge stellt, weshalb es in der Praxis besonders schwierig ist, das Verfahren innerhalb der Frist nach Satz 1 abzuschließen oder - 3.
die Verzögerung eindeutig darauf zurückzuführen ist, dass der Ausländer seinen Pflichten nach § 15 nicht nachgekommen ist.
(5) Besteht aller Voraussicht nach im Herkunftsstaat eine vorübergehend ungewisse Lage, sodass eine Entscheidung vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, kann die Entscheidung abweichend von den in Absatz 4 genannten Fristen aufgeschoben werden. In diesen Fällen überprüft das Bundesamt mindestens alle sechs Monate die Lage in dem Herkunftsstaat. Das Bundesamt unterrichtet innerhalb einer angemessenen Frist die betroffenen Ausländer über die Gründe des Aufschubs der Entscheidung sowie die Europäische Kommission über den Aufschub der Entscheidungen.
(6) Die Frist nach Absatz 4 Satz 1 beginnt mit der Stellung des Asylantrags nach § 14 Absatz 1 und 2. Ist ein Antrag gemäß dem Verfahren nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31) zu behandeln, so beginnt die Frist nach Absatz 4 Satz 1, wenn die Bundesrepublik Deutschland als für die Prüfung zuständiger Mitgliedstaat bestimmt ist. Hält sich der Ausländer zu diesem Zeitpunkt nicht im Bundesgebiet auf, so beginnt die Frist mit seiner Überstellung in das Bundesgebiet.
(7) Das Bundesamt entscheidet spätestens 21 Monate nach der Antragstellung nach § 14 Absatz 1 und 2.
(8) Das Bundesamt informiert den Ausländer für den Fall, dass innerhalb von sechs Monaten keine Entscheidung ergehen kann, über die Verzögerung und unterrichtet ihn auf sein Verlangen über die Gründe für die Verzögerung und den zeitlichen Rahmen, innerhalb dessen mit einer Entscheidung zu rechnen ist.
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Tatbestand
I.
Beim zur Person nicht ausgewiesenen Antragsteller handelt es sich nach dessen eigenen Angaben um einen am ... ... 1997 geborenen äthiopischen Staatsangehörigen oromischer Volkszugehörigkeit und moslemischsunnitischen Glaubens. Er gab an, am 17. Mai 2015 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein; am 18. Mai 2015 meldete er sich als Asylsuchender. Am 3. Juli 2015 stellte der Antragsteller beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Antrag auf die Gewährung politischen Asyls.
Im Rahmen einer Anhörung durch das Bundesamt am
In einer weiteren Anhörung am selben Tag gab der Antragsteller an, er habe keine Beschwerden, Erkrankungen, Gebrechen oder Behinderung. Er wolle nicht nach Italien rücküberstellt werden, da er dort menschenunwürdig behandelt worden sei; ihm seien unter Gewalt die Fingerabdrücke abgenommen worden.
Eine entsprechende Anfrage ergab einen EURODAC-Treffer der Kategorie 2 Italien. Am
Mit Bescheid vom 17. November 2015 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab, ordnete die Abschiebung nach Italien an und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf zwölf Monate ab dem Tag der Abschiebung. Zur Begründung wurde ausgeführt, Italien sei aufgrund der illegalen Einreise seitens des Antragstellers gemäß Art. 13 Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Antragsgegnerin veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. In Italien lägen keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen im Sinne der Rechtsprechung des EGMR und des EuGH vor. Die Anordnung der Abschiebung nach Italien beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG, das Einreiseverbot beruhe auf § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG; die Befristung auf zwölf Monate sei im vorliegenden Fall angemessen.
Der Bescheid wurde dem Antragsteller laut Postzustellungsurkunde am
Am
Zugleich wurde die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt.
Zur Begründung wurde ausgeführt, es bestünden deshalb ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides, weil der Antragsteller zum Zeitpunkt der Einreise in Deutschland und zum Zeitpunkt der Meldung ein unbegleiteter Minderjähriger ohne Familienangehörige gewesen sei. Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bildeten unbegleitete Minderjährige eine Kategorie besonders gefährdeter Personen, die grundsätzlich nicht in einen anderen Mitgliedstaat zu überstellen seien. Dies habe das Bundesamt in seinem angefochtenen Bescheid übersehen und nicht thematisiert. Zwar sei im vorliegenden Fall der Asylantrag des Antragstellers erst nach dessen Volljährigkeit offiziell erfasst worden; es könne jedoch nicht zulasten eines Minderjährigen gehen, dass dessen Asylgesuch aufgrund von Verzögerungen durch die Behörden erst so spät erfasst worden sei, dass die Volljährigkeit eingetreten sei. Zudem komme eine Abschiebung nach Italien deshalb nicht in Betracht, weil dort systemische Mängel hinsichtlich des Asylverfahrens und der Unterbringung von Asylsuchenden herrschten.
Die Antragsgegnerin beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
Im Übrigen wird auf das weitere schriftsätzliche Vorbringen der Parteien sowie auf den Inhalt der einschlägigen Verwaltungsakten des Bundesamtes und den Inhalt der Gerichtsakte W 3 K 15.50391, welche Gegenstand des Verfahrens waren, Bezug genommen.
Gründe
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung des Bundesamtes im Bescheid vom
Der Antrag ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom
Dies ergibt sich aus Folgendem:
Die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützte Abschiebungsanordnung ist rechtmäßig. Nach dieser Norm ordnet das Bundesamt die Abschiebung eines Ausländers u. a. in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Das Bundesamt ist zu Recht davon ausgegangen, dass Italien für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig ist.
Welcher Staat für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist, richtet sich nach den Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages. Dies ergibt sich aus § 27a AsylG, auf welchen § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG auch insoweit verweist.
Im vorliegenden Fall findet dabei die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom
Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO prüfen die Mitgliedstaaten jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO sieht vor, dass der Antrag auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III (Art. 7 bis Art. 15 Dublin III-VO) bestimmt wird. Hierbei ist gemäß Art. 7 Abs. 1 Dublin III-VO zu beachten, dass die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung finden. Dabei ist gemäß Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats von der Situation auszugehen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Lässt sich anhand der Kriterien des dritten Kapitels der Dublin III-VO nicht bestimmen, welcher Mitgliedstaat zuständig ist, so ist der erste Mitgliedstaat zuständig, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde (Art. 3 Abs. 2 UA 1 Dublin III-VO).
Auf der Grundlage dieser Vorschriften kann sich der Antragsteller nicht darauf berufen, dass die Antragsgegnerin gemäß Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO zuständiger Mitgliedstaat für die Prüfung seines Antrags auf internationalen Schutz wäre. Nach dieser Vorschrift ist für einen unbegleiteten Minderjährigen, also bei Abwesenheit eines Familienangehörigen, eines seiner Geschwister oder eines Verwandten im Sinne der Absätze 1 und 2, der Mitgliedstaat zuständiger Mitgliedstaat, in dem der unbegleitete Minderjährige seinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, sofern es dem Wohl des Minderjährigen dient.
Zwar hat der Antragsteller grundsätzlich kein subjektives Recht auf Einhaltung der primär den Interessen der Mitgliedstaaten dienenden Zuständigkeitsverfahrensvorschriften, insbesondere insoweit diese Form- und Fristerfordernisse regeln; allerdings kann er eine Dublin-Zuständigkeitsregelung gerichtlich dann durchsetzen, wenn diese - wie Art. 8 Dublin III-VO - grundrechtlich „aufgeladen“ ist (vgl. hierzu EuGH, U.v. 6.6.2013 - C-648/11 -, NVwZ-RR 2013, 735, Beckonline Rn. 58 und 59 zum inhaltsgleichen Art. 6 Abs. 2 der Verordnung [EG] Nr. 343/2003 des Rates vom 18.2.2003 - Dublin II-VO; VG Aachen, B.v. 22.4.2015 - 5 L 15/15.A - juris Rn. 25).
Allerdings ist Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO auf den Antragsteller nicht anwendbar.
Diese Vorschrift ist auf der Grundlage der genannten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U.v. 6.6.2013 - C-648/11
Dies muss der Sache nach auch für Fälle gelten, in denen der unbegleitete Minderjährige im anderen Mitgliedstaat lediglich registriert worden ist, ohne einen Asylantrag gestellt zu haben, um dem vom Europäischen Gerichtshof geforderten Minderjährigenschutz Rechnung zu tragen. Allerdings kann sich der Antragsteller trotzdem nicht gegenüber der Antragsgegnerin auf Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO berufen, weil diese Vorschrift nicht auf ihn zutrifft. Denn diesbezüglich ist hinsichtlich der Antwort auf die Frage, ob es sich um einen Minderjährigen i. S. d. Art. 8 Abs. 4, Art. 2 Buchst. i) (hiernach bezeichnet der Ausdruck Minderjähriger einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen unter 18 Jahren) Dublin III-VO handelt, auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem der Antragsteller einen Antrag auf internationalen Schutz stellt. Dabei kann offen bleiben, ob in diesem Rahmen Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO anwendbar ist. Nach dieser Vorschrift ist von der Situation auszugehen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt (für die Anwendung dieser „Sachverhaltsversteinerungsregelung“: VG Aachen, B.v. 22.4.2015 - 5 L 15/15.A - juris Rn. 35; a.A. VG Minden, B.v. 27.1.2015 - 10 L 820/14.A - BeckRS 2015, 41154 - Beckonline; a.A. wohl auch EuGH, U.v. 6.6.2013 - C-648/11 - a. a. O. Rn. 45 zur inhaltsgleichen Vorschrift Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO). Denn nach den Angaben des Antragstellers, die durch den EURODAC-Treffer der Kategorie 2 bestätigt worden sind, hat dieser in Italien keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
Demzufolge ist auf den Antrag auf internationalen Schutz abzustellen, den der Antragsteller am
Dies ergibt sich aus der Formulierung des Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO; hier wird auf die Zuständigkeit des Mitgliedstaats abgestellt, in dem der unbegleitete Minderjährige seinen „Antrag auf internationalen Schutz“ gestellt hat. Im Sinne der Dublin III-Verordnung bezeichnet gemäß Art. 2 Buchst. b) Dublin III-VO der Ausdruck „Antrag auf internationalen Schutz“ einen Antrag auf internationalen Schutz i. S. d. Art. 2 Buchst. h) der Richtlinie 2011/95/EU.
Nach Art. 2 Buchst. h) der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom
Dies bedeutet, dass bei der Beurteilung, ob ein „Antrag auf internationalen Schutz“ in diesem Sinne vorliegt, das inhaltliche Begehren des Antragstellers zu berücksichtigen ist; dies wird jedoch nicht schon dann im Einzelnen benannt und seitens der Antragsgegnerin in rechtlicher Hinsicht zur Kenntnis genommen und entsprechend eingeordnet, wenn sich ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser erstmals - bei welcher Behörde oder Institution auch immer - als Asylsuchender meldet. Vielmehr wird dieses Begehren erst bei der Antragstellung i. S. d. § 14 Abs. 1 Satz 1 AsylG bei der Außenstelle des Bundesamtes aufgenommen und konkretisiert, die der für die Aufnahme des Ausländers zuständigen Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist (vgl. hierzu auch § 23 Abs. 1 und § 24 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
Dies wird bestätigt durch Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO, wonach ein Antrag auf internationalen Schutz dann als gestellt gilt, wenn den zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats ein vom Antragsteller eingereichtes Formblatt oder ein behördliches Protokoll zugegangen ist. Erst dieser Antrag begründet die Zuständigkeit des Bundesamtes gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 AsylG i. V. m. § 14 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Folglich ist hinsichtlich des Verfahrensfristregimes der Dublin III-Verordnung nicht auf (irgend-)eine Meldung als Asylsuchender bei irgendeiner Behörde oder sonstigen Stelle zu einem möglicherweise völlig beliebigen Zeitpunkt abzustellen, sondern zumindest auf die formelle Asylantragstellung bei der zuständigen Bundesamtsaußenstelle (vgl. VG Potsdam, B.v. 26.6.2015 - VG 6 L 763/15.A - BeckRS 2015, 51713 - Beckonline). Eine mögliche weitere Verlagerung des maßgeblichen Zeitpunktes gemäß § 77 Abs. 1 AsylG auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bzw. der Entscheidung des Gerichts kann hier außer Betracht bleiben, da der Antragsteller schon zum Zeitpunkt der Antragstellung gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 AsylG am 3. Juli 2015 volljährig war.
Bestätigt wird dies durch die Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs in seiner Entscheidung vom 6. Juni 2013 (C-648/11
Hieraus ergibt sich, dass zumindest auf das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats abzustellen ist. Dieses Verfahren beginnt jedoch nicht schon bei der Meldung als Asylsuchender bei irgendeiner Stelle, sondern erst mit der Antragstellung gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Denn die Entscheidung gemäß § 27a AsylG, ob ein Asylantrag unzulässig ist, weil ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, kann erst dann getroffen werden, wenn der Asylantrag i. S. d. § 14 Abs. 1 Satz 1 AsylG tatsächlich gestellt ist. Erst dann kann der vom Europäischen Gerichtshof postulierte Minderjährigenschutz maßgeblich sein.
Damit steht fest, dass es hinsichtlich der Anwendung des Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO zumindest auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung ankommt, nicht dagegen schon auf den davor gelegenen Zeitpunkt der Meldung als Asylsuchender. Offen bleiben kann in diesem Zusammenhang, ob auf der Grundlage des § 77 Abs. 1 AsylG im Rahmen des Gerichtsverfahren auf den - später gelegenen - Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen ist (vgl. Bergmann, Das Dublin-Asylsystem, ZAR 2015, 81, Ziffer 5.7 m.w.Nachw.).
Denn der Antragsteller war schon am
Ist dies aber so, ist - gemäß Art. 7 Abs. 1 Dublin III-VO nach der in Kapitel III genannten Rangfolge - Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO einschlägig. Wird nach dieser Vorschrift auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß bestimmten im Einzelnen genannten Verzeichnissen festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.
So liegt der Fall hier. Auf der Grundlage der Angaben des Antragstellers steht fest, dass der Antragsteller aus Libyen kommend die Grenze von Italien illegal überschritten hat. Damit ist Italien für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Auf das am 31. August 2015 an die italienischen Behörden gerichtete Übernahmegesuch haben diese innerhalb der vorgegebenen Frist von zwei Monaten gemäß Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO nicht geantwortet, so dass gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO davon auszugehen ist, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wurde. Wenn ein Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylG) abgeschoben werden soll, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann (§ 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG).
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist eine Überstellung eines Asylsuchenden an einen anderen Mitgliedstaat nur dann zu unterlassen, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der (rück-)überstellten Asylsuchenden i. S. von Art. 4 Grundrechte-Charta (GR-Charta) zur Folge hätte (EuGH, U.v. 21.12.2011 - C-411/10 u. a. - juris). Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass jeder Verstoß eines zuständigen Mitgliedstaates gegen einzelne unionsrechtliche Bestimmungen zur Folge hätte, dass der Mitgliedstaat, in dem ein (weiterer) Asylantrag eingereicht wurde, daran gehindert wäre, den Asylsuchenden an den zuständigen Staat zu überstellen. Denn eine solche Sichtweise würde den Kern und die Verwirklichung des Ziels der Dublin-Verordnungen gefährden, rasch denjenigen Mitgliedstaat zu bestimmen, der für die Entscheidung über einen in der Union gestellten Asylantrag zuständig ist (EuGH, U.v. 21.12.2011, a. a. O.).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat für das in Deutschland - im Unterschied zu anderen Rechtssystemen - durch den Untersuchungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) geprägte verwaltungsgerichtliche Verfahren das Kriterium der systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für die Asylbewerber in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union Bedeutung für die Gefahrenprognose im Rahmen des Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK. Der Tatrichter muss sich zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylsuchenden stehe in jedem Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylsuchende wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d. h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt würde. Die Fokussierung der Prognose auf systemische Mängel ist dabei, wie sich aus den Erwägungen des Gerichtshofs zur Erkennbarkeit der Mängel für andere Mitgliedstaaten ergibt, Ausdruck der Vorhersehbarkeit solcher Defizite, weil sie im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen. Solche Mängel treffen den Einzelnen in dem zuständigen Mitgliedstaat nicht unvorhersehbar oder schicksalhaft, sondern lassen sich aus Sicht der deutschen Behörden und Gerichte wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren. Die Widerlegung der oben genannten Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylsuchenden im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erniedrigende Behandlung droht. Dann scheidet eine Überstellung an den nach der Verordnung zuständigen Mitgliedstaat aus (BVerwG, B.v. 19.3.2014 - 10 B 6/14 - und
Nach diesen Maßstäben kann das erkennende Gericht nicht die Überzeugungsgewissheit gewinnen, dass der Antragsteller, der nicht als besonders schutzbedürftige Person im Sinne von Kapitel IV der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten (ABl. Nr. L 031 v. 6.2.2003, S. 18 ff.) anzusehen ist, bei einer Überstellung nach Italien dort wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein würde. Diese Bewertung entspricht sowohl der Rechtsprechung des EGMR (B.v. 18.6.2013 - 53825/11 - ZAR 2013, 338 und B.v. 2.4.2013 - 27725/10
Auch aus der Entscheidung des EGMR vom 4. November 2014 - Tarakhel ./. Schweiz Nr. 29217/12
Die Situation des Antragstellers als allein stehender junger Mann ist mit der Situation der Kläger im vorgenannten Verfahren nicht vergleichbar. Der EGMR hat mit Entscheidung vom 5. Februar 2015 in dem Fall A.M.E. v.the Netherlands (Nr. 51428/10
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Behandlung von Dublin-Rückkehrern nicht vergleichbar ist mit der Behandlung von neu ankommenden Bootsflüchtlingen. Hinsichtlich der Verfahrensweise wird ergänzend auf die Ausführungen im Urteil des VGH Baden-Württemberg
In diesem Zusammenhang kann der Antragsteller nicht für das Gericht nachvollziehbar glaubhaft machen, dass für ihn etwas anderes gelten müsste.
Somit ist die Abschiebung des Antragstellers nach Italien rechtlich zulässig. Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die die Antragsgegnerin im Verfahren nach § 34a AsylG selbst zu berücksichtigen hat (BVerfG, B.v. 17.9.2014 - 2 BvR 1795/14 - juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 28.10.2013 - 10 CE 13.2257 - juris), liegen nicht vor.
Anhaltspunkte dafür, dass die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 AufenthG auf zwölf Monate rechtsfehlerhaft wäre, sind weder seitens des Antragstellers vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; § 83b AsylG.
Aufgrund der fehlenden Erfolgsaussichten des vorliegenden Verfahrens war auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung abzulehnen (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO).
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2Der am 5. Februar 2014 sinngemäß bei Gericht anhängig gemachte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 13 K 718/14.A gegen Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 28. Januar 2014 anzuordnen,
4zu dessen Entscheidung die Einzelrichterin gemäß § 76 Abs. 4 AsylVfG berufen ist, hat keinen Erfolg. Er ist zulässig, bleibt aber in der Sache erfolglos.
5Der hier gestellte Antrag nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist statthaft, da nach § 34a Abs. 2 Satz 1 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) in seiner durch Artikel 1 Nr. 27 b) des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013, BGBl. I S. 3474, geänderten und nach § 77 Abs. 1 AsylVfG hier auch zu beachtenden Fassung solche Eilanträge gegen die Abschiebungsandrohung nunmehr zugelassen sind und der in der Hauptsache erhobenen Klage nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nummer 3 VwGO i.V.m. § 75 Satz 1 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung zukommt.
6Der Antragsteller hat den Eilantrag auch innerhalb von einer Woche nach Bekanntgabe des angegriffenen Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 28. Januar 2014 und damit fristgerecht im Sinne von § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG gestellt. Der auf die Unzulässigkeit des Asylantrags gemäß § 27a AsylVfG gestützte Bescheid wurde am 30. Januar 2014 gemäß § 31 Abs. 1 Satz 4 AsylVfG dem Antragsteller persönlich zugestellt. Er hat am 5. Februar 2014 und mithin fristgerecht den vorliegenden Antrag gestellt.
7Der Antrag hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
8Das Gericht folgt der bislang zu § 34a Abs. 2 AsylVfG n.F. ergangenen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nicht erst bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes erfolgen darf, wie dies in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unzulässig oder unbegründet gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG vom Gesetzgeber vorgegeben ist. Eine derartige Einschränkung der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis hat der Gesetzgeber für die Fälle des § 34a Abs. 2 AsylVfG gerade nicht geregelt. Eine solche Gesetzesauslegung entspräche auch nicht dem Willen des Gesetzgebers, denn eine entsprechende Initiative zur Ergänzung des § 34a Abs. 2 AsylVfG n.F. fand im Bundesrat keine Mehrheit;
9vgl. hierzu bereits mit ausführlicher Darstellung des Gesetzgebungsverfahrens Verwaltungsgericht Trier, Beschluss vom 18. September 2013 – 5 L 1234/13.TR -, juris Rn 5 ff. m.w.N.; Verwaltungsgericht Göttingen, Beschluss vom 17. Oktober 2013 – 2 B 844/13 -, juris Rn 3 f.; siehe auch bereits Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 7. Januar 2014 - 13 L 2168/13.A -, juris.
10Die danach vorzunehmende Abwägung des öffentlichen Vollzugsinteresses der Antragsgegnerin mit dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers hat sich maßgeblich ‑ nicht ausschließlich ‑ an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu orientieren, wie diese sich bei summarischer Prüfung im vorliegenden Verfahren abschätzen lassen. Diese Interessenabwägung fällt vorliegend zu Lasten des Antragstellers aus, denn der angefochtene Bescheid des Bundesamtes begegnet nach diesen Maßstäben keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
11Das Bundesamt hat den Asylantrag des Antragstellers zu Recht als unzulässig abgelehnt und geht von der Zuständigkeit Belgiens für dessen Prüfung aus. Gemäß § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. In einem solchen Fall prüft die Antragsgegnerin den Asylantrag nicht, sondern ordnet die Abschiebung in den zuständigen Staat an (§ 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG).
12Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Dublin II-VO. Diese findet auf den Asylantrag des Antragstellers Anwendung, obwohl gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. in Eilverfahren auf den Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen ist und die Nachfolgevorschrift der Dublin II-VO, die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (im Folgenden: Dublin III-VO) bereits am 19. Juli 2013 in Kraft getreten ist. Denn gemäß Art. 49 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO bleibt die Dublin II-VO anwendbar für Asylanträge, die vor dem 1. Januar 2014 gestellt werden. Anderes gilt allenfalls im Falle von Gesuchen um Aufnahme oder Wiederaufnahme, die ab dem 1. Januar 2014 gestellt werden (Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO), was hier jedoch nicht der Fall ist,
13vgl. bereits VG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Februar 2014 – 13 L 2428/13.A -, juris Rn. 13 = NRWE.
14Nach den Vorschriften der Dublin II-VO ist Belgien der zuständige Staat für die Prüfung des durch den Antragsteller gestellten Asylantrags. Der Antragsteller hat nach seinen eigenen Angaben, die er in der Anhörung beim Bundesamt am 25. Oktober 2013 gemacht hat, in Belgien am 10. April 2012 einen Asylantrag gestellt und sich auch nach der Ablehnung des Asylantrags weiterhin bis Ende August 2013 in Belgien aufgehalten, bevor er dann nach Deutschland gereist ist. Das an das Königreich Belgien gerichtete Wiederaufnahmeersuchen der Antragsgegnerin vom 4. Dezember 2013 wurde unter dem 12. Dezember 2013 unter Bezugnahme auf Art. 16 Abs. 1 Buchstabe e Dublin II-VO akzeptiert. Gemäß Art. 20 Abs. 1 Buchstabe d Dublin II-VO ist Belgien damit verpflichtet, den Antragsteller spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Antrags auf Wiederaufnahme durch einen anderen Mitgliedstaat oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, wieder aufzunehmen. Diese Frist ist vorliegend noch nicht abgelaufen.
15Der Überstellung nach Belgien steht auch nicht entgegen, dass zwischen der Asylantragstellung in Deutschland am 28. August 2013 und der Stellung des Übernahmeersuchens am 4. Dezember 2013 etwas mehr als drei Monate vergangen sind. Fristvorgaben enthält die Dublin II-VO insoweit allein für Aufnahmeersuchen (Art. 17 Abs. 1 Dublin II-VO), also Ersuchen, die darauf gerichtet sind, dass der erstmalige Asylantrag von einem anderen Mitgliedstaat geprüft werde. Wird wie hier nach der Stellung eines Asylantrags in einem anderen Mitgliedstaat (Belgien) ein weiterer Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland gestellt und ersucht die Antragsgegnerin daraufhin den Staat der ersten Asylantragstellung um Übernahme des Asylbewerbers, handelt es sich um ein Wiederaufnahmeersuchen nach Art. 20 Dublin II-VO, das nicht der Fristregelung des Art. 17 Dublin II-VO unterfällt,
16vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Februar 2013 – 17 L 150/13.A –, juris Rn. 40; VG Regensburg, Beschluss vom 5. Juli 2013 – RN 5 S 13.30273 –, juris Rn. 24; VG Berlin, Beschluss vom 7. Oktober 2013 – 33 L 403.13 A –, juris Rn. 8.
17Es liegt auch kein Fall vor, in dem es zum Schutz der Grundrechte des Antragstellers aufgrund einer unangemessen langen Verfahrensdauer der Antragsgegnerin verwehrt ist, sich auf die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats zu berufen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hat der an sich nach der Dublin II-VO unzuständige Mitgliedstaat darauf zu achten, dass eine Situation, in der die Grundrechte des Asylbewerbers verletzt werden, nicht durch ein unangemessen langes Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats verschlimmert wird. Erforderlichenfalls muss er den Antrag nach den Modalitäten des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO selbst prüfen,
18EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris Rn. 108.
19Diese Vorgabe ist nach Auffassung des Gerichts auch bei Wiederaufnahmeersuchen nach Art. 20 Dublin II-VO zu beachten, auch wenn sich der Europäische Gerichtshof im konkreten Verfahren allein auf ein Aufnahmeersuchen nach Erstantragstellung im unzuständigen Mitgliedstaat bezog. Denn die grundrechtliche Belastung, welche durch die unangemessen lange Verfahrensdauer entsteht, dürfte in beiden Fällen vergleichbar sein,
20vgl. VG Göttingen, Beschluss vom 11. Oktober 2013 – 2 B 806/13 –, juris Rn. 10. A. A. VG Berlin, Beschluss vom 24. Oktober 2013 – 33 L 450.13 A –, juris Rn. 8.
21Anhaltspunkte, ab wann von einer unangemessen langen Verfahrensdauer auszugehen ist, hat der Europäischen Gerichtshof nicht gegeben. Nach Auffassung des Gerichts ist insoweit aber zunächst zu berücksichtigen, dass schon die Regelung des Art. 17 Dublin II-VO für Aufnahmeersuchen und nunmehr auch Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO für Wiederaufnahmeersuchen eine regelmäßige Frist von zwei bzw. drei Monaten vorsieht. Deren Überschreiten kann dabei nicht gleichgesetzt werden mit der vom Europäischen Gerichtshof angesprochenen, die Grundrechte des Asylbewerbers beeinträchtigenden unangemessen langen Verfahrensdauer. Der gesetzlichen Wertung des § 24 Abs. 4 AsylVfG folgend geht das Gericht davon aus, dass frühestens nach dem Verstreichen eines Zeitraums, der der regelmäßigen Frist des Art. 17 Dublin II-VO von drei Monaten zuzüglich der durch § 24 Abs. 4 AsylVfG für die innerstaatlich für die Entscheidung über den Asylantrag im Regelfall vorgesehenen Frist von sechs Monaten, also insgesamt von neun Monaten, entspricht, von einer unangemessen langen Verfahrensdauer ausgegangen werden kann,
22vgl. i. E. VG Düsseldorf, Urteil vom 27. August 2013 – 17 K 4737/12.A –, S. 8 des Urteilsabdrucks, n. v.
23Hier sind seit der Asylantragstellung am 28. August 2013 und der Stellung des Übernahmeersuchens am 4. Dezember 2013 erst drei Monate und eine Woche verstrichen, sodass unter keinen Umständen eine unangemessen lange Verfahrensdauer gegeben ist.
24Die Antragsgegnerin ist auch nicht deswegen an der Überstellung des Antragstellers nach Belgien gehindert und zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO verpflichtet, weil das belgische Asylsystem systemische Mängel im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofs aufweist,
25EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris Rn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413.
26Ein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch die Bundesrepublik Deutschland besteht ohnehin nicht. Die Dublin-Verordnungen sehen ein nach objektiven Kriterien ausgerichtetes Verfahren der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten vor. Sie sind im Grundsatz nicht darauf ausgerichtet, Ansprüche von Asylbewerbern gegen einen Mitgliedstaat auf Durchführung des Asylverfahrens durch ihn zu begründen. Ausnahmen bestehen allenfalls bei einzelnen, eindeutig subjektiv-rechtlich ausgestalteten Zuständigkeitstatbeständen (vgl. etwa Art. 7 Dublin II-VO zugunsten von Familienangehörigen). Die Zuständigkeitsvorschriften der Dublin II-VO begründen zum Zwecke der sachgerechten Verteilung der Asylbewerber vor allem subjektive Rechte der Mitgliedstaaten untereinander. Die Unmöglichkeit der Überstellung eines Asylbewerbers an einen bestimmten Staat hindert daher nur die Überstellung dorthin; sie begründet kein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts gegenüber der Antragsgegnerin,
27vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 –, juris Rn. 37; Schlussanträge des GA Jääskinen vom 18. April 2013 – C-4/11 –, juris Rn. 57 f.
28Die Antragsgegnerin ist auch nicht – unabhängig von der Frage der Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO zugunsten des Antragstellers –gehindert, diesen nach Belgien zu überstellen. Die Voraussetzungen, unter denen das nach der zitierten Rechtsprechung,
29EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris Rn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413,
30der Fall wäre, liegen nicht vor. Danach ist die im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem grundsätzlich bestehende Vermutung, dass jeder Mitgliedstaat ein sicherer Drittstaat ist und die Grundrechte von Asylbewerbern einschließlich des Refoulement-Verbots hinreichend achtet, nicht unwiderleglich. Vielmehr hat eine Überstellung in einen Mitgliedstaat zu unterbleiben, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Grundrechtecharta implizieren,
31EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris Rn. 86.
32Systemische Mängel in diesem Sinne können erst angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Art. 4 GrCH bzw. Art. 3 EMRK entsprechenden Gravität nicht nur in Einzelfällen, sondern strukturell bedingt, eben systemisch vorliegen. Diese müssen dabei aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein. In der Diktion des Europäischen Gerichtshofs dürfen diese systemischen Mängel dem überstellenden Mitgliedstaat nicht unbekannt sein können,
33EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris Rn. 94.
34Der hier noch nicht anzuwendende Art. 3 Abs. 2 UAbs 2 Dublin III-VO hat diese Rechtsprechung normativ übernommen, indem er die Überstellung an den an sich zuständigen Mitgliedstaat für unmöglich erklärt, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen.
35Diese Voraussetzungen sind für Belgien nicht erfüllt.
36Sie ergeben sich zunächst nicht aus der Schilderung des Antragstellers selbst. Soweit dieser in seiner Anhörung beim Bundesamt zu seinem Aufenthalt in Belgien lediglich ausgeführt hat, dass er sich nach der Ablehnung seines Asylantrags noch weitere 8 bis 9 Monate bei Freunden in Belgien und anschließend am Bahnhof H. du O. in Brüssel aufgehalten habe, bevor er Ende August 2013 nach Deutschland gereist sei, hat der Antragsteller jedenfalls keine überprüfbaren Angaben dazu gemacht, welche Leistungen er nach der Antragsablehnung in Belgien noch erhalten hat. Selbst unterstellt, der Antragsteller sei nach der Ablehnung seines Asylantrags in Belgien auf sich gestellt gewesen und habe überhaupt keine Unterkunft, medizinische Versorgung, Zugang zu Nahrungsmitteln etc. erhalten, was eine unmenschliche Behandlung darstellen kann,
37vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413; OVG NRW, Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A –, NVwZ-RR 2012, 619 = juris Rn. 17,
38handelt es sich hierbei aber nicht um systemische Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen im oben geschilderten Sinne. Denn anders als vom hauptsächlichen Anwendungsbereich der Dublin-Verordnungen erfasst, ist das Asylverfahren des Antragstellers in Belgien bereits abgeschlossen, wenn auch erkennbar mit einem vom Antragsteller nicht erwünschten Ergebnis. Ist der Asylantrag des Antragstellers aber abgelehnt worden, folgt daraus für den Antragsteller auch die Ausreisepflicht,
39vgl. Generalkommissariat für Flüchtlinge und Staatenlose, Asyl in Belgien, 2010, S. 11.
40Die „Einstellung der Versorgung“ stellt sich in einem solchen Fall nicht als eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung dar,
41vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Juli 2013 – 25 L 1342/13.A -, n.v.
42Dies gilt mit Blick auf Belgien umso mehr, als abgelehnten Asylbewerbern in der Regel nach der Ablehnung des Asylantrags eine Rückkehrbegleitung angeboten wird,
43vgl. auch aida, Asylum Information Database, National Country Report Belgium, Stand 30. April 2013, S. 43.
44Nach Auswertung der dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel liegen auch sonst keine Umstände vor, aus denen sich systemische Mängel im Asylverfahren oder den Aufnahmebedingungen Belgiens ergeben:
45So geht aus dem vorzitierten Bericht des für die Prüfung von Asylbewerbern zuständigen Generalkommissariats für Flüchtlinge und Staatenlose (S. 7) hervor, dass einem Asylbewerber während der Prüfung seines Asylantrags ein Platz in einer Betreuungseinrichtung zustehe. Der Asylbewerber habe dann Anspruch auf materielle, medizinische, soziale und rechtliche Begleitung. In ähnlicher Weise beschreibt der Final Report des Dublin Transnational Project für den Berichtszeitraum Dezember 2009 bis Mai 2011, dass jedem Asylbewerber von der Stellung des Asylantrags an bis zur Verfahrensbeendigung ein Recht auf Unterkunft, Mahlzeiten, soziale, medizinische und psychologische Betreuung sowie auf ein begrenztes Fortbildungsangebot hat (S. 38 des Berichts),
46vgl. auch aida, Asylum Information Database, National Country Report Belgium, Stand 30. April 2013, S. 43, mit Einzelheiten zu den gewährten Leistungen auf S. 45 f.
47Lediglich solange eine von der Behörde festgestellte Ausreiseverpflichtung vollziehbar ist, bestehen diese Rechte nicht. Der Asylbewerber hat aber die Möglichkeit, die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs insoweit zu beantragen (S. 38). Der Bericht des Auswärtigen Amtes der Vereinigten Staaten von Amerika (Belgium 2012 Human Rights Report) beschreibt auf S. 7 ff. die Flüchtlingssituation in Belgien, ohne Beanstandungen systemischer Art auch nur im Ansatz zu erwähnen. Amnesty International enthält in seinem „Amnesty Report 2013 – Belgien“ lediglich den Hinweis darauf, dass die Kapazität der Aufnahmezentren für Flüchtlinge, Asylsuchende und Migranten nicht ausreichend gewesen sei, ein Zustand der nach dem vorzitierten aida-Report, S. 44, ab Ende 2012 nicht fortbestanden haben soll. Hierauf ist die Annahme systemischer Mängel in der oben geschilderten Schwere jedoch nicht zu stützen.
48Auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nach § 34a Abs. 1 AsylVfG bestehen keine Bedenken. Insbesondere besteht kein innerstaatliches Abschiebungshindernis.
49Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.
50Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylVfG.
(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.
(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.
(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.
(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.
(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.
(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.
(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.
(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.
(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.
(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn
- 1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen, - 2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder - 3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.
Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz können vorbehaltlich des § 133 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht mit der Beschwerde angefochten werden.