Verwaltungsgericht Düsseldorf Beschluss, 22. Jan. 2019 - 29 L 3642/18.A
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Der Eilantrag wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung nicht die gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Zur Begründung wird insoweit auf die nachstehenden Ausführungen Bezug genommen.
3Die am 13. Dezember 2018 sinngemäß gestellten Anträge,
4die aufschiebende Wirkung der Klage 29 K 10105/18.A gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 6. Dezember 2018 anzuordnen,
5hilfsweise, die Antragsgegnerin unter entsprechender Abänderung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 6. Dezember 2018 zu verpflichten, das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf einen Monat zu befristen,
6haben keinen Erfolg.
7I.
8Der Hautpantrag ist zulässig, aber unbegründet.
9Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 Asylgesetz (AsylG) statthaft. Ferner ist die dort bestimmte Antragsfrist von einer Woche nach Bekanntgabe des streitgegenständlichen Bescheides (hier: 13. Dezember 2018) gewahrt.
10Es handelt sich entgegen der Auffassung der Antragsteller bei dem vorliegenden Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auch um einen den Vorgaben des Europäischen Unionsrechts genügenden wirksamen Rechtsbehelf.
11Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in seinem Urteil vom 19. Juni 2018 (C-181/19) entschieden, dass bei einer Rückkehrentscheidung und einer etwaigen Abschiebungsentscheidung das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf dadurch zu gewährleisten sei, dass der Person, die internationalen Schutz beantragt habe, das Recht zuzuerkennen sei, vor mindestens einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen, der kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung habe.
12EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 -, juris, Rdn. 58.
13Um den in Kapitel III der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) genannten Verfahrensgarantien und den sonstigen einschlägigen Bestimmungen des Unions- und des nationalen Rechts gerecht zu werden, hätten die Mitgliedstaaten zu gewährleisten, dass der Rechtsbehelf gegen die Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz seine volle Wirksamkeit entfalte, wobei der Grundsatz der Waffengleichheit zu wahren sei, so dass während der Frist für die Einlegung des Rechtsbehelfs und, falls er eingelegt werde, bis zur Entscheidung über ihn u.a. alle Wirkungen der Rückkehrentscheidung auszusetzen seien.
14EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 -, juris, Rdn. 61; EuGH, Beschluss vom 5. Juli 2018 - C‑269/18 -, juris, Rdn. 50 f.
15Im Übrigen müsse der Betroffene bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die erstinstanzliche Ablehnung seines Antrags auf internationalen Schutz durch die zuständige Behörde grundsätzlich in den Genuss der Rechte aus der Richtlinie 2003/9/EG (Aufnahmerichtlinie) kommen können.
16EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 -, juris, Rdn. 63.
17Überdies müssten die Mitgliedstaaten, da eine Person, die internationalen Schutz beantragt habe, ein Bleiberecht bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Ablehnung haben müsse, es den Betroffenen ermöglichen, sich auf jede nach Erlass der Rückkehrentscheidung eingetretenen Änderung der Umstände zu berufen, die in Anbetracht der Richtlinie 2008/115/EG und insbesondere ihres Art. 5 erheblichen Einfluss auf die Beurteilung ihrer Situation haben könne.
18EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 -, juris, Rdn. 64.
19Der EuGH hat diese Grundsätze in einer nachfolgenden Entscheidung auch auf Fälle ausgeweitet, in denen der Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist. Nach Art. 46 Abs. 5 und 6 der Richtlinie 2013/32/EG (Asylverfahrensrichtlinie) habe der Betroffene dann bis zur Entscheidung über seinen Rechtsbehelf kein volles Bleiberecht im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats. Im Einklang mit den Anforderungen von Art. 46 Abs. 6 letzter Unterabsatz der Richtlinie müsse er jedoch ein Gericht anrufen können, das darüber zu entscheiden habe, ob er in diesem Hoheitsgebiet verbleiben könne, bis in der Sache über seinen Rechtsbehelf entschieden werde. Art. 46 Abs. 8 der Richtlinie sehe vor, dass der betreffende Mitgliedstaat dem Betroffenen bis zur Entscheidung über sein Bleiberecht in diesem Verfahren gestatten müsse, in seinem Hoheitsgebiet zu verbleiben
20EuGH, Beschluss vom 5. Juli 2018 - C-269/18 -, juris, Rdn. 53.
21Es ist schon zu bezweifeln, ob diese vom EuGH entwickelten Grundsätze auch auf Fälle anwendbar sind, in denen der Asylantrag nicht in der Sache geprüft, sondern – wie hier – wegen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates als unzulässig abgelehnt worden ist. Die Beantwortung dieser Frage kann jedoch offen bleiben, da den Betroffenen im Rahmen des Dublin-Verfahrens jedenfalls ein wirksamer Rechtsbehelf im oben genannten Sinne zur Verfügung steht.
22Im Anwendungsbereich der Dublin III-VO werden die Anforderungen, die nach Art. 47 EU-GR-Charta und der Rechtsprechung des EuGH an einen wirksamen Rechtsbehelf gestellt werden, von Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufgegriffen und konkretisiert. Danach sehen die Mitgliedstaaten zum Zwecke eines Rechtsbehelfs gegen eine Überstellungsentscheidung oder einer Überprüfung einer Überstellungsentscheidung in ihrem innerstaatlichen Recht vor, dass die betroffene Person aufgrund des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung berechtigt ist, bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats zu bleiben (Buchst. a); oder dass die Überstellung automatisch ausgesetzt wird und diese Aussetzung innerhalb einer angemessenen Frist endet, innerhalb der ein Gericht, nach eingehender und gründlicher Prüfung, darüber entschieden hat, ob eine aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung gewährt wird (Buchst. b); oder die betreffende Person die Möglichkeit hat, bei einem Gericht innerhalb einer angemessenen Frist eine Aussetzung der Durchführung der Überstellungsentscheidung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung zu beantragen. Dabei sorgen die Mitgliedstaaten für einen wirksamen Rechtsbehelf in der Form, dass die Überstellung ausgesetzt wird, bis die Entscheidung über den ersten Antrag auf Aussetzung ergangen ist. Die Entscheidung, ob die Durchführung der Überstellungsentscheidung ausgesetzt wird, wird innerhalb einer angemessenen Frist getroffen, welche gleichwohl eine eingehende und gründliche Prüfung des Antrags auf Aussetzung ermöglicht. Die Entscheidung, die Durchführung der Überstellungsentscheidung nicht auszusetzen, ist zu begründen (Buchst. c).
23Diesen Vorgaben wird die nach § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 34a Abs. 2 AsylG mit Wirkung zum 6. September 2013 eingeführte,
24Gesetz vom 28. August 2013, BGBl. I S. 3474 (Nr. 54), abrufbar unter: https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl113s3474.pdf%27%5D__1547803538580,
25Möglichkeit der Überprüfung einer Überstellungsentscheidung gerecht. Die Antragsteller können – und haben im vorliegenden Fall – beim beschließenden Gericht fristwahrend die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Abschiebungsanordnung beantragt. In diesem Verfahren haben sie Gelegenheit, ihre Einwände gegen die behördliche Entscheidung in vollem Umfang geltend zu machen. Auch steht es ihnen zu, ihre Beurteilung bezogen auf Abschiebungsverbote darzutun. Dieser fristgerecht gestellte Antrag hat entsprechend der europarechtlichen Vorgaben gemäß § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG kraft Gesetzes zur Folge, dass die Abschiebung vor der gerichtlichen Entscheidung über den Antrag nicht zulässig ist und die Antragsteller bis zur Entscheidung im Eilverfahren im Hoheitsgebiet verbleiben dürfen. Diese normative Schutzanordnung, die über ein bloßes Absehen von der Abschiebung durch den Mitgliedstaat hinausgeht, bewirkt – wie vom EuGH in der von den Antragstellern zitierten Entscheidung gefordert – kraft Gesetzes eine vorübergehende aufschiebende Wirkung dieses Rechtsbehelfs gegenüber der Abschiebungsanordnung.
26Vgl. entsprechend für § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 36 Abs. 3 AsylG im Falle einer Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet: VG Münster, Beschluss vom 8. Oktober 2018 - 9 L 976/18 -, juris, Rdn. 11; VG Frankfurt, Beschluss vom 26. November 2018 - 5 L 4508/18.F.A -, juris, Rdn. 19; VG Berlin, Beschluss vom 30. November 2018 - 31 L 682.18 A -, juris, Rdn. 22 ff.; VG Ansbach, Beschluss vom 7. Dezember 2018 - AN 4 S 18.31385 -, juris, Rdn. 14 ff.; VG Stuttgart, Beschluss vom 11. Dezember 2018 - A 2 K 10728/18 -, juris, Rdn. 5; VG Düsseldorf, Beschluss vom 14. Dezember 2018 - 11 L 3248/18.A -, juris, Rdn. 22; a.A.: VG Arnsberg, Beschluss vom 17. Dezember 2018 - 3 L 1935/18.A -, juris, Rdn. 10 ff.; offen gelassen: VG Würzburg, Beschluss vom 24. September 2018 - W 2 S 18.31990 -, juris, Rdn. 14.
27Der Antrag ist aber unbegründet.
28Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht auf Antrag im Rahmen einer eigenen Ermessensentscheidung die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen, wenn das Interesse der Antragsteller an der beantragten Aussetzung der Vollziehung das bezüglich der Abschiebungsanordnung durch § 75 AsylG gesetzlich angeordnete öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt. Die dabei vorzunehmende Interessenabwägung geht zu Lasten der Antragsteller aus. Die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheides begegnet bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Greifbare Anhaltspunkte, aufgrund derer das Suspensivinteresse der Antragsteller das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegen könnte, sind auch im Übrigen nicht ersichtlich.
29Die Abschiebungsanordnung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. AsylG. Danach ordnet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: Bundesamt) die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
30Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO), für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
31Vorliegend ist Belgien für die Durchführung des Asylverfahrens der Antragsteller zuständig. Zwar war in dem nach Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt (am 17. Juli 2015) die Zuständigkeit Österreichs nach Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO gegeben. Die Zuständigkeit ist jedoch zwischenzeitlich auf Belgien übergegangen, da der von den Antragstellern am 21. August 2015 dort gestellte Asylantrag von den belgischen Behörden materiell geprüft worden ist, ohne dass ein Dublin-Verfahren nach Österreich eingeleitet worden wäre (siehe Schreiben der österreichischen Behörden vom 10. Oktober 2017). Damit haben die belgischen Behörden von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO Gebrauch gemacht.
32Dass die Antragsteller nach Ablehnung ihres Asylantrags in Belgien am 10. August 2017 in das Bundesgebiet einreisten, am 7. Mai 2018 nach Belgien überstellt wurden und, nachdem sie am 12. Juni 2018 zum zweiten Mal erfolglos in Belgien um Asyl nachgesucht hatten, am 22. November 2018 erneut in das Bundesgebiet einreisten, um hier einen Asylantrag zu stellen, vermag an der einmal begründeten Zuständigkeit Belgiens nichts zu ändern. Denn nach Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO wird der Asylantrag nur von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Vorschriften der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt worden ist. Dies folgt auch aus Art. 18 Abs. 1 Buchst. d) Dublin III-VO, wonach der zuständige Mitgliedstaat (hier: Belgien) nach erfolglosem Abschluss des Asylverfahrens verpflichtet ist und bleibt, den Asylantragsteller wieder aufzunehmen.
33Die für Belgien anzunehmende Zuständigkeit ist auch nicht nachträglich entfallen. Insbesondere hat das Bundesamt innerhalb der in Art. 23 Abs. 2 UAbs. 1 Dublin III-VO genannten Frist am 29. November 2018 ein Wiederaufnahmegesuch an Belgien gerichtet. Belgien hat dem Wiederaufnahmegesuch mit Schreiben vom 5. Dezember 2018 auf der Grundlage von Art. 18 Abs. 1 Buchst. d) Dublin III-VO stattgegeben.
34Ferner ist die Zuständigkeit nicht gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III‑VO wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf die Antragsgegnerin übergegangen. Die Annahme des Wiederaufnahmegesuchs durch Belgien liegt weniger als sechs Monate zurück und die Überstellungsfrist wurde durch die Stellung des vorliegenden fristgerecht gestellten Eilantrages unterbrochen.
35Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Mai 2016 ‑ 1 C 15/15 ‑, juris, Rdn. 11.
36Darüber hinaus können sich die Antragsteller auch nicht erfolgreich darauf berufen, die Antragsgegnerin sei verpflichtet, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Dublin III-VO Gebrauch zu machen, weil ihrer Überstellung nach Belgien rechtliche Hindernisse entgegenstünden. Die Unmöglichkeit der Überstellung eines Asylbewerbers an einen bestimmten Staat hindert nur die Überstellung dorthin, begründet aber kein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts gegenüber der Antragsgegnerin,
37vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - C 394/12 -, juris, Rdn. 60, 62 und Urteil vom 14. November 2013 - C 4/11 -, juris, Rdn. 37; BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6/14 -, juris, Rdn. 7.
38Davon abgesehen ist die Antragsgegnerin aber auch nicht – unabhängig von der Frage der Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO – nach Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO gehindert, die Antragsteller nach Belgien zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gäbe, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylantragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufwiesen, die für die Antragsteller eine ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta) bzw. Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) mit sich brächten. Die Voraussetzungen, unter denen dies nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH),
39EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 et al. -, juris, Rdn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 -, NVwZ 2011, 413,
40der Fall wäre, liegen hier nicht vor. Systemische Mängel in diesem Sinne können erst angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Art. 4 EU-GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK entsprechenden Schwere nicht nur in Einzelfällen, sondern strukturell bedingt, eben systemisch vorliegen. Diese müssen dabei aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein. In der Diktion des Europäischen Gerichtshofs dürfen diese systemischen Mängel dem überstellenden Mitgliedstaat nicht unbekannt sein können.
41Vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 et al. -, juris, Rdn. 94.
42Die im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem grundsätzlich bestehende Vermutung, dass jeder Mitgliedstaat ein sicherer Drittstaat ist und die Grundrechte von Asylbewerbern einschließlich des Refoulement-Verbots hinreichend achtet, ist nicht unwiderleglich. Vielmehr hat eine Überstellung in einen Mitgliedstaat zu unterbleiben, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EU-GR-Charta implizieren,
43EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 et al. -, juris, Rdn. 86.
44Eine Widerlegung der Vermutung ist aber wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Das Gericht muss sich vielmehr die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird.
45Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rdn. 6 ff. m.w.N.
46Nach diesen Maßstäben fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen in Belgien mit systemischen Mängeln behaftet wären, die eine beachtliche Gefahr einer den Antragstellern drohenden unmenschlichen Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GR-Charta, Art. 3 EMRK im Falle ihrer Überstellung nach Belgien nach sich ziehen könnten. Dem erkennenden Gericht liegen keine Erkenntnisse vor, die den Schluss rechtfertigen würden, Belgien halte die in der EU-GR-Charta, der EU, der EMRK oder der GFK verbrieften Rechte von Asylbewerbern nicht ein.
47Vgl. ebenso: VG Cottbus, Beschluss vom 19. September 2017 - 5 L 208/17.A -, juris, Rdn. 20 ff.; VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 18. September 2017 - 12 K 4286/17.A -, juris, Rdn. 40; VG Köln, Beschluss vom 11. September 2017 - 14 L 3469/17.A -, juris, Rdn. 8 ff.; VG München, Beschluss vom 27. Juli 2017 - M 9 S 16.51044 -, juris, Rdn. 14; VG Düsseldorf, Beschluss vom 28. September 2016 - 13 L 1014/16.A -, juris, Rdn. 81 ff., jeweils m.w.N.
48Insbesondere haben Dublin-Rückkehrer in Belgien vollen Zugang zum Asylsystem und das Recht auf Versorgung wie normale Asylbewerber. Die Versorgung beinhaltet unter anderem Unterkunft, Nahrung, Kleidung, medizinische, soziale und psychologische Hilfe. Das Recht auf medizinische Versorgung umfasst im Wesentlichen alle Leistungen, die die belgische Krankenkasse übernimmt. Es gibt eigene Stellen, die sich um die psychologische Betreuung von Asylbewerbern kümmern. Außerdem existiert in Wallonien eine auf traumatisierte Asylbewerber spezialisierte Unterbringungseinrichtung des Roten Kreuzes. Wenn die Versorgung als Sanktionsmaßnahme reduziert oder ganz beendet wird, ist das Recht auf medizinische Versorgung davon ausgenommen. Nach negativ abgeschlossenem Asylverfahren und Auslaufen des Rechts auf Versorgung wird jedenfalls medizinische Nothilfe weiterhin gewährt.
49Vgl. Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Belgien, Gesamtaktualisierung am 20.9.2016, S. 6, 8, 9. f.; Asylum Information Database (aida), Country Report: Belgium, 2017 Update, S. 76 ff.
50Es existieren gesetzliche Mechanismen, nach denen die persönliche Situation von Asylbewerbern binnen 30 Tagen nach deren Zuweisung zu einer Unterbringungseinrichtung zu untersuchen ist, um vulnerable Personen – z.B. alleinstehende Elternteile mit Kindern – identifizieren und entsprechend ihrer besonderen Bedürfnisse behandeln zu können.
51Vgl. Asylum Information Database (aida), Country Report: Belgium, 2017 Update, S. 78 ff.; Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Belgien, Gesamtaktualisierung am 20.9.2016, S. 6.
52Dass die Asylanträge der Antragsteller in Belgien abgelehnt worden sind mit der Folge, dass ihnen gegebenenfalls eine Abschiebung in den Irak droht, führt ebenfalls nicht zu der Annahme, dass das belgische Asylsystem mit systemischen Mängeln behaftet wäre. Es kann schon nicht abschließend beurteilt werden, aus welchen Gründen die Asylanträge der Antragsteller konkret abgelehnt worden sind. Es bestehen jedoch keine durchgreifenden Zweifel daran, dass ihr Asylbegehren von den belgischen Behörden in einem rechtsstaatlichen Verfahren, das den Mindestanforderungen des Europäischen Rechts genügt, geprüft worden ist.
53Sollten die Antragsteller Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung der belgischen Behörden haben, sind sie darauf zu verweisen, in Belgien Rechtsschutz zu suchen. Denn die Frage, ob die Ablehnung der Asylanträge durch die belgischen Behörden rechtsfehlerhaft gewesen ist, unterliegt ausschließlich der Jurisdiktion der zuständigen Gerichte in Belgien.
54Vgl. dazu: EuGH, Urteil vom 17. März 2016 - C-695/15 -, juris, Rdn. 62; VG Düsseldorf, Beschluss vom 26. Februar 2014 - 13 L 171/14.A -, juris, Rdn. 45.
55Auch dem Vorbringen der Antragsteller sind keine Anhaltspunkte für das Vorliegen systemischer Mängel des Asylsystems oder der Aufnahmebedingungen in Belgien zu entnehmen. Soweit sie vorgetragen haben, sei hätten während ihres Aufenthaltes in Belgien keine medizinische Versorgung erhalten, decken sie sich nicht mit dem vorliegenden Erkenntnismaterial und sind überdies in sich widersprüchlich. So hat die Antragstellerin zu 1. im Rahmen der Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags am 28. November 2018 gegenüber dem Bundesamt zunächst angegeben, dass weder sie selbst noch der Antragsteller zu 2. während ihres (letzten) sechsmonatigen Aufenthalts in Belgien medizinisch behandelt worden sei (Bl. 31 f. der Bundesamtsakte). Anschließend hat sie jedoch erklärt, sie habe die ärztlichen Unterlagen aus Deutschland einem Arzt in Belgien gegeben und daraufhin Medikamente verschrieben bekommen. Darüber hinaus sei auch der Antragsteller zu 2. während des (letzten) Aufenthaltes in Belgien beim Arzt gewesen. Er habe für Dezember einen Termin bekommen, nachdem der Arzt im Camp Autismus bei ihm diagnostiziert habe (Bl. 33 der Bundesamtsakte). Auch hat die Antragstellerin zu 1. schon während ihres ersten in Deutschland durchgeführten Asylverfahrens gegenüber dem Bundesamt erklärt, vor ihrer Einreise in das Bundesgebiet in Belgien in ärztlicher Behandlung gewesen zu sein (Bl. 101 der Bundesamtsakte zum Az. 7189949).
56Dass die Antragsteller im Falle ihrer Überstellung nach Belgien obdachlos werden könnten, ist ebenfalls nicht zu befürchten. Die Antragstellerin zu 1. hat während der Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags am 28. November 2018 gegenüber dem Bundesamt selbst angegeben, der Antragsteller zu 2. sei während des (letzten) sechsmonatigen Aufenthalts in Belgien nicht aus dem Zimmer herausgekommen und von einem Arzt im Camp untersucht worden (Bl. 32 und 33 der Bundesamtsakte). Es spricht insofern Alles dafür, dass die Antragsteller in einer Flüchtlingsunterkunft untergebracht waren. Dass dies bei einer erneuten Überstellung nicht der Fall sein könnte, ist nicht dargetan und geht auch aus dem vorliegenden Erkenntnismaterial nicht hervor.
57Soweit die Antragsteller im Rahmen des vorliegenden Verfahrens erklärt haben, sie hätten nach ihrer Rückkehr nach Belgien ein paar Tage im Bahnhof geschlafen und Angst gehabt, die Behörden in Belgien würden sie in den Irak abschieben, geht daraus nicht hervor, ob sich die Antragsteller nach ihrer Überstellung überhaupt zum Zwecke der Unterbringung an die belgischen Behörden gewandt haben.
58Darüber hinaus berufen sich die Antragsteller (sinngemäß) ohne Erfolg auf die an den EuGH gerichteten Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juli 2017 (1 C 26.16) sowie des Verwaltungsgerichts Baden-Württemberg vom 15. März 2017 (A 11 S 2151/16). Die Antragsteller haben schon nicht hinreichend dargelegt, dass eine der darin aufgeworfenen Fragen für ihr Verfahren entscheidungserheblich ist und deshalb – ggf. im Rahmen einer offenen Abwägungsentscheidung – wegen des Vorliegens einer unionsrechtlich ungeklärten Rechtsfrage zu berücksichtigen wäre.
59Die Fragen, die das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 27. Juni 2017 dem EuGH zur Beantwortung vorgelegt hat, betreffen die Antragsteller bereits deshalb nicht, weil diese ausschließlich die Situation der in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt Schutzberechtigten beziehungsweise Verfahrensfragen bei einer unterbliebenen Anhörung zum Gegenstand haben. Die Antragsteller haben in Belgien keinen Schutzstatus erhalten und machen – soweit ersichtlich – keine Anhörungsmängel geltend.
60Die Antragsteller berufen sich auch ohne Erfolg auf die dem EuGH vorgelegte Frage, ob ein Asylantrag auch dann als unzulässig abgelehnt werden kann, wenn ein Asylantragsteller im Falle einer Zuerkennung des internationalen Schutzes im zuständigen Mitgliedstaat im Hinblick auf die dann zu erwartenden Lebensumstände einem ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, eine Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-GR-Charta zu erfahren,
61VGH Baden-Württemberg, Vorlagebeschluss vom 15. März 2017 - A 11 S 2151/16 -, juris.
62Nach eigenen Angaben wurden die Asylbegehren der Antragsteller wiederholt abgelehnt, so dass es auf die Frage, wie sich die Lebenssituation von international Schutzberechtigten in Belgien darstellt, vorliegend nicht ankommen dürfte. Sollte den Antragstellern die Möglichkeit offen stehen, einen Asylfolgeantrag zu stellen, würde dies zu keiner anderen rechtlichen Einschätzung führen. Denn Dauer und Ausgang des Asyl(folge)verfahrens der Antragsteller in Belgien wären völlig offen. Ob es tatsächlich mit der Gewährung eines internationalen Schutzstatus für die Antragsteller seinen Abschluss finden würde, wäre ungewiss, so dass schon zweifelhaft ist, ob diese Frage überhaupt Prüfungsgegenstand im Rahmen eines Verfahrens wie dem vorliegenden sein kann. Eine Prüfung der für den Fall einer Zuerkennung des internationalen Schutzstatus zu erwartenden Lebensumstände sieht das Dublin-Verfahren im Übrigen nicht vor (vgl. Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO). Es würde dem Sinn und Zweck des Dublin-Verfahrens widersprechen, von dem für die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens an sich nicht zuständigen Mitgliedstaat eine wenn auch nur summarische Prüfung der Erfolgsaussichten zu verlangen. Eine Prognose der Erfolgsaussichten des in einem anderen Mitgliedstaat durchzuführenden Asylverfahrens wäre mit großen Unsicherheiten belastet und würde einen zusätzlichen Ermittlungsaufwand erfordern, der für die angestrebte beschleunigte Bearbeitung der Asylanträge kontraproduktiv wäre. Darüber hinaus ist nicht absehbar, ob und wie sich die allgemeinen Lebensbedingungen für anerkannte Schutzberechtigte im Lauf des sich unter Umständen länger hinziehenden Asyl(folge)verfahrens der Antragsteller verändern würden. Eine Prognose über die Lebensumstände, die die Antragsteller für den Fall ihrer Zuerkennung internationalen Schutzes in Belgien zu erwarten hätten, wäre insofern weitgehend spekulativ.
63Vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. Mai 2017,11 A 52/17.A, juris, Rdn. 94; VG Augsburg, Beschluss vom 6. Oktober 2017 - Au 3 S 17.50239 -, juris, Rdn. 12.
64Individuelle, in der Person der Antragsteller liegende besondere Gründe, die eine Überstellung als menschenrechtswidrig erscheinen lassen, sind nicht geltend gemacht und auch im Übrigen nicht ersichtlich. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die von ihnen geltend gemachten Erkrankungen (dazu sogleich).
65Unter diesen Umständen steht gegenwärtig auch im Sinne von § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG fest, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Das Bundesamt hat nach dieser gesetzlichen Maßgabe neben zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen auch zu prüfen, ob der Abschiebung inlandsbezogene Vollzugshindernisse entgegenstehen. Für eine insoweit eigene Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde verbleibt daneben kein Raum,
66vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2014 - 2 BvR 1795/14 -, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. August 2011 - 18 B 1060/11 -, juris, Rdn. 4; OVG Niedersachsen, Urteil vom 4. Juli 2012 - 2 LB 163/10 -, juris, Rdn. 41; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1. Februar 2012 - OVG 2 S 6.12 -, juris, Rdn. 4 ff.; VGH Bayern, Beschluss vom 12. März 2014 - 10 CE 14.427 -, juris, Rdn. 4; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 25. April 2014 - 2 B 215/14 -, juris, Rdn. 7; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Mai 2011 - A 11 S 1523/11 -, juris, Rdn. 4 ff.; OVG Hamburg, Beschluss vom 3. Dezember 2010 - 4 Bs 223/10 -, juris, Rdn. 9 ff.; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29. November 2004 - 2 M 299/04 -, juris, Rdn. 9 ff.
67Dies gilt nicht nur hinsichtlich bereits bei Erlass der Abschiebungsanordnung vorliegender, sondern auch bei nachträglich auftretenden Abschiebungshindernissen und Duldungsgründen,
68vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2014 - 2 BvR 1795/14 -, juris, m.w.N.
69Anhaltspunkte für derartige zielstaats- oder inlandsbezogene Abschiebungshindernisse liegen nicht vor. Insbesondere führen die von den Antragstellern geltend gemachten Erkrankungen nicht zum Vorliegen eines Abschiebungshindernisses.
70Soweit die Antragsteller geltend machen, der Antragsteller zu 2. sei Autist und auch im Übrigen auf Grund der zeitweiligen Obdachlosigkeit und der permanenten Ortswechsel verhaltensauffällig und traumatisiert, fehlt es an diesbezüglichen aussagekräftigen Belegen. Ärztliche/Psychiatrische Atteste oder anderweitige Unterlagen sind bislang von den Antragstellern nicht vorgelegt worden, so dass belastbare Anhaltspunkte für eine – gegebenenfalls zu einem inlandsbezogenen Abschiebungshindernis nach § 60a Abs. 2 AufenthG führende – Reiseunfähigkeit des Antragstellers zu 2. nicht vorliegen. Daran vermag auch das Schreiben des Arbeitskreises Asyl N. vom 14. Dezember 2018 nichts zu ändern. Denn es handelt sich dabei schon nicht um eine ärztliche Bescheinigung, die den inhaltlichen Anforderungen des § 60a Abs. 2c) AufenthG gerecht wird. Im Übrigen beruhen die dort gemachten Angaben im Wesentlichen auf Angaben der Antragstellerin zu 1. selbst oder der Beratungsstelle der Caritas in S. .
71Aus den gleichen Gründen kann in Bezug auf den Antragsteller zu 2. auch das Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht festgestellt werden. Im Übrigen dürfte der Antragsteller zu 2. eine gegebenenfalls erforderliche medizinische Behandlung auch in Belgien erhalten.
72In Bezug auf die von der Antragstellerin zu 1. selbst geltend gemachten Erkrankungen kann das Vorliegen eines inlandsbezogenen Abschiebungshindernisses ebenfalls nicht festgestellt werden. Ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis in Form der Reiseunfähigkeit liegt vor, wenn sich der Gesundheitszustand der Antragstellerin zu 1. unmittelbar durch die Abschiebung oder als unmittelbare Folge davon voraussichtlich wesentlich verschlechtern wird. Bei einer – hier vornehmlich in Betracht kommenden – psychischen Erkrankung ist davon im Wesentlichen dann auszugehen, wenn im Rahmen einer Abschiebung die ernsthafte Gefahr einer Selbsttötung droht, der darüber hinaus auch nicht durch ärztliche Hilfen oder in sonstiger Weise, etwa durch vorbeugende Maßnahmen nach dem Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG) – wie z.B. der vorübergehenden Unterbringung in einer geeigneten geschlossenen Einrichtung – begegnet werden kann.
73StRspr., vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 24. Februar 2006 - 18 A 916/05 -, juris, Rdn. 16, vom 27. Juli 2006 - 18 B 586/06 -, juris, Rdn. 26, vom 17. Februar 2006 - 18 B 52/06 -, juris, Rdn. 8, vom 29. November 2010 - 18 B 910/10 -, juris, Rdn. 15 und vom 28. Dezember 2010 - 18 B 1599/10 -, juris, Rdn. 16.
74Entsprechende Umstände sind nicht vorgetragen und auch den vorgelegten ärztlichen Unterlagen nicht zu entnehmen.
75Soweit die Antragstellerin zu 1. zum Nachweis ihrer Erkrankungen einen Bericht von Dr. med. N1. K. vom 13. Dezember 2017, einen Bericht des N2. -Hospitals in F. vom 6. Februar 2018 und jeweils ein Nervenärztliches Attest und einen Bericht von X. F1. vom 22. Februar 2018 vorgelegt hat, sind diese Unterlagen schon auf Grund ihres Alters nicht (mehr) geeignet, den Nachweis über eine aktuell bestehende Reiseunfähigkeit der Antragstellerin zu 1. zu erbringen.
76Aus den oben genannten Gründen gilt dies auch für das Schreiben des Arbeitskreises Asyl N. vom 14. Dezember 2018.
77Ungeachtet dessen geht aus den vorgelegten ärztlichen Unterlagen aber auch nicht hervor, dass der Antragstellerin zu 1. im Rahmen einer Abschiebung die ernsthafte Gefahr einer Selbsttötung droht.
78Ausweislich des Berichts von Dr. med. N1. K. vom 13. Dezember 2017 seien bei der Antragstellerin zu 1. eine schwere depressive Episode, eine generalisierende Angsterkrankung, eine Anpassungsstörung, eine nichtorganische Insomnie, das Auftreten von Albträumen, eine Neurasthenie und Bronchial-Asthma diagnostiziert worden. Die Medikation bestehe aus Citalopram und Mirtazapin. Eine Rückkehr in den Irak sei eine sichere Verschlimmerung für die Antragstellerin zu 1., da sie dort sozial geächtet und in den Tod getrieben werde. Auch die eigene psychische Verfassung verbiete eine Rückkehr, weil die Angst und der innere Druck sehr stark wirkten und insofern ein Reisehindernis darstellten. Die Antragstellerin zu 1. sei daher krankheitsbedingt nicht reisefähig.
79Aus dem Bericht des N2. -Hospitals vom 6. Februar 2018 geht zudem hervor, dass bei der Antragstellerin zu 1. ein exazerbiertes Asthma bronchiale sowie eine Panikattacke bei den im Arztbericht vom 13. Dezember 2017 bekannten Vorerkrankungen diagnostiziert worden sei. Sie sei vom 4. bis 6. Februar 2018 stationär behandelt und im Verlauf beschwerdeverbessert entlassen worden.
80Dem Nervenärztlichen Attest und dem Arztbrief von X. F1. (jeweils vom 22. Februar 2018) ist zu entnehmen, dass die Antragsteller auf Grund ihrer aktuellen Verfassung nicht in der Lage seien, eine Rückkehr in den Irak durchzustehen. Im Falle einer Abschiebung nach Belgien drohe jedoch genau das. Die Antragstellerin zu 1. leide an einer Posttraumatischen Belastungsstörung und Depressionen. Die Therapie solle aus stützenden Gesprächen bestehen; die Medikation werde fortgesetzt. Bei Bedarf könne die Antragstellerin zu 1. auch Alprazolam nehmen. Eine Rückkehr werde unter den derzeitigen ungeklärten Bedingungen und wegen der Gefährdung im Heimatland sowie angesichts der bestehenden depressiven Erkrankung nicht für zumutbar gehalten.
81Im Schreiben des Arbeitskreises Asyl N. vom 14. Dezember 2018 heißt es schließlich, der Zustand der Antragstellerin zu 1. sei sehr besorgniserregend. Sie habe in Gesprächen mehrfach Suizidabsichten geäußert und nehme starke Medikamente zur Beruhigung. Bei einer Untersuchung sei bei ihr Diabetes diagnostiziert worden, die auf Grund der starken Medikamente derzeit nicht behandelt werden könne. Die Antragstellerin zu 1. berichte von ständig wiederkehrenden Alpträumen und von ihrer Todesangst, in den Irak zurück zu müssen. Bei der Antragstellerin zu 1. bestehe dringender Behandlungsbedarf. Eine erneute Abschiebung nach Belgien, die mit der Panik vor einer Kettenabschiebung in den Irak verbunden sei, werde die Situation weiter verschlimmern.
82Der Einzelrichter hat auf Grundlage dieser Unterlagen nicht die Überzeugungsgewissheit gewonnen, dass die Antragstellerin zu 1. im Falle der Überstellung nach Belgien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine suizidale Krise erleiden wird, die ein inlandsbezogenes Vollzugshindernis darstellt.
83Es liegen keine Anhaltspunkte für eine anhaltende, auch gegenwärtig bestehende akute Suizidalität vor. Soweit es in dem Bericht von Dr. med. N1. K. heißt, die Antragstellerin zu 1. werde im Irak sozial geächtet und in den Tod getrieben, bezieht sich diese Einschätzung zum einen ersichtlich nicht auf die hier in Rede stehende Überstellung nach Belgien. Zum anderen ist nicht erkennbar, auf Grund welcher Erkenntnisse Dr. K. zu dieser Einschätzung gelangt ist.
84Soweit Herr X. F1. in seinen Attesten und Berichten angibt, er halte eine Rückkehr der Antragstellerin zu 1. nach Belgien für unzumutbar, geht daraus nicht hervor, welche gesundheitlichen Folgen eine Überstellung konkret für die Antragstellerin zu 1. haben würde. Jedenfalls lässt sich dem nicht entnehmen, dass die Antragstellerin zu 1. in diesem Fall eine suizidale Krise erleiden würde.
85Sollte die Antragstellerin zu 1. tatsächlich Suizidgedanken geäußert haben, rechtfertigt die zeitlich begrenzte bloße Hinwendung zu Selbsttötungsgedanken ohne das Hinzutreten äußerer damit im Zusammenhang stehender Anzeichen einer Gesundheitsverschlechterung wie Verletzungshandlungen, körperlichem Verfall oder vegetativen Auffälligkeiten die Annahme einer besonders intensiven Gesundheitsverletzung nicht. Charakteristisch für derartige Ankündigungen ist, dass damit die Möglichkeit der Umsetzung einer Selbsttötung erst ins Blickfeld des Adressaten rückt und dies in der Regel auch bewusst veranlasst wird. Mangels zuverlässiger Überprüfbarkeit der dahinterstehenden Motivation und Ernsthaftigkeit muss schon die Äußerung als solche regelmäßig zu der Bewertung führen, dass suizidale Handlungen nicht ausgeschlossen werden können, was gleichbedeutend damit ist, dass die Möglichkeit einer Selbsttötung besteht. In gleichem Maße besteht diese Möglichkeit aber bei demjenigen, der entsprechende Gedanken hat, diese aber nicht äußert. Die Äußerung hat deswegen isoliert betrachtet wenig Aussagekraft. Die daraus allenfalls ableitbare Möglichkeit suizidaler Handlungen kann sich nur bei Hinzutreten weiterer Indizien zu einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit verdichten.
86Vgl. OVG NRW, Urteil vom 27. Januar 2015 - 13 A 1201/12.A -, juris Rdn. 44 (für eine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG).
87Daran fehlt es hier. Soweit dem Schreiben des Arbeitskreises Asyl N. vom 14. Dezember 2018 und der Medizinischen Dokumentation durch die ZUE L. vom 21. November 2017 (Bl. 75 der Bundesamtsakte zum Az. 7673292) zu entnehmen ist, dass die Antragstellerin zu 1. mehrfach Suizidgedanken geäußert habe, ist dies zum einen nicht substantiiert genug und genügt zum anderen aus den oben genannten Gründen nicht, um daraus auf die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Selbsttötung im Falle einer Überstellung nach Belgien schließen zu können. Anhaltspunkte für eine Abkehr von „bloßen“ Suizidideen hin zur konkreten Ausführung liegen nämlich nicht vor.
88Schließlich ist davon auszugehen, dass einer gegebenenfalls bestehenden Gefahr der Selbsttötung jedenfalls durch ärztliche Hilfen oder durch vorübergehende Unterbringung in einer geeigneten geschlossenen Einrichtung begegnet werde könnte.
89Ungeachtet der vorstehenden Erwägungen steht es den Antragstellern offen, etwaige gesundheitliche Probleme gegenüber den belgischen Behörden geltend zu machen.
90Sonstige Gründe für ein Überwiegen des Interesses der Antragsteller, von der Vollziehung der Maßnahme vorläufig verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Vollzugsinteresse sind nicht erkennbar.
91II.
92Der Hilfsantrag hat ebenfalls keinen Erfolg. Er ist zulässig, aber unbegründet.
93Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung ist, dass die Antragsteller die Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) und ein Recht auf das begehrte Verwaltungshandeln (Anordnungsanspruch) glaubhaft machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).
94Ausgehend davon, dass die Abschiebung ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auslöst,
95vgl. BVerwG, Urteil vom 17. September 2015 - BVerwG 1 C 26.14 -, juris Rn. 27,
96haben die Antragsteller zwar einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Dass den Antragstellern ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG entgegengehalten werden kann, ist hier ohne Hinzutreten eventueller konkreter Auswirkungen auf ihren Einzelfall als wesentlicher Nachteil im Sinne des § 123 Abs. 3 Satz 2 VwGO anzusehen.
97Die Antragsteller haben jedoch keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die streitgegenständliche Entscheidung über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots ist nach gegenwärtigem Sach- und Streitstand rechtlich nicht zu beanstanden. Die Antragsteller haben weder einen Anspruch auf eine kürzere Befristung noch ist ihr Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Befristung verletzt.
98Bei der Entscheidung über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG, die von Amts wegen zu erfolgen hat (§ 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG) handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Diese ist gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar, nämlich nur darauf, ob die Behörde das Ermessen in seiner Reichweite erkannt, ihre Erwägungen am Zweck der Ermessensermächtigung ausgerichtet und die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens nicht überschritten hat, § 114 Satz 1 VwGO, § 40 VwVfG.
99Nach diesen Maßstäben begegnet die Befristungsentscheidung des Bundesamtes keinen rechtlichen Bedenken. Mit einer Befristung auf 24 Monate ab dem Tag der Abschiebung hat das Bundesamt die Reichweite seines Ermessens nicht überschritten. Aus der Begründung ist zudem erkennbar, dass es seine Erwägungen am Zweck der Ermessensermächtigung ausgerichtet hat, indem es das öffentliche Interesse an dem Verbot einer kurzfristigen Wiedereinreise der Antragsteller mit deren Interesse an einer erneuten Einreise in das Bundesgebiet abgewogen hat. Schließlich ist auch nichts dafür ersichtlich, dass das Bundesamt diese Abwägung auf der Grundlage eines falschen Sachverhalts vorgenommen hätte oder sich der entscheidungserhebliche Sachverhalt nachträglich in einer Weise verändert hätte, die eine Ergänzung der Ermessensausübung erfordern würde.
100Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß §§ 83b, 83c AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz.
101Der Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.
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(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozesskostenhilfe sowie § 569 Abs. 3 Nr. 2 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer oder vereidigter Buchprüfer beigeordnet werden. Die Vergütung richtet sich nach den für den beigeordneten Rechtsanwalt geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.
(2) Die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach den §§ 114 bis 116 der Zivilprozessordnung einschließlich der in § 118 Absatz 2 der Zivilprozessordnung bezeichneten Maßnahmen, der Beurkundung von Vergleichen nach § 118 Absatz 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung und der Entscheidungen nach § 118 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des jeweiligen Rechtszugs, wenn der Vorsitzende ihm das Verfahren insoweit überträgt. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hiernach nicht vor, erlässt der Urkundsbeamte die den Antrag ablehnende Entscheidung; anderenfalls vermerkt der Urkundsbeamte in den Prozessakten, dass dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt werden kann und in welcher Höhe gegebenenfalls Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen zu zahlen sind.
(3) Dem Urkundsbeamten obliegen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ferner die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung und eine Wiederaufnahme der Zahlungen nach § 120 Absatz 3 der Zivilprozessordnung sowie die Änderung und die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach den §§ 120a und 124 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 der Zivilprozessordnung.
(4) Der Vorsitzende kann Aufgaben nach den Absätzen 2 und 3 zu jedem Zeitpunkt an sich ziehen. § 5 Absatz 1 Nummer 1, die §§ 6, 7, 8 Absatz 1 bis 4 und § 9 des Rechtspflegergesetzes gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Rechtspflegers der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tritt.
(5) § 87a Absatz 3 gilt entsprechend.
(6) Gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten nach den Absätzen 2 und 3 kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe die Entscheidung des Gerichts beantragt werden.
(7) Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, dass die Absätze 2 bis 6 für die Gerichte des jeweiligen Landes nicht anzuwenden sind.
(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.
(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Soll der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Absatz 1 Nummer 1) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies gilt auch, wenn der Ausländer den Asylantrag in einem anderen auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt oder vor der Entscheidung des Bundesamtes zurückgenommen hat. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht. Kann eine Abschiebungsanordnung nach Satz 1 oder 2 nicht ergehen, droht das Bundesamt die Abschiebung in den jeweiligen Staat an.
(2) Anträge nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung gegen die Abschiebungsanordnung sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Abschiebung ist bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots durch das Bundesamt nach § 11 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung bleibt hiervon unberührt.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) In den Fällen der Unzulässigkeit nach § 29 Absatz 1 Nummer 2 und 4 und der offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrages beträgt die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist eine Woche.
(2) Das Bundesamt übermittelt mit der Zustellung der Entscheidung den Beteiligten eine Kopie des Inhalts der Asylakte. Der Verwaltungsvorgang ist mit dem Nachweis der Zustellung unverzüglich dem zuständigen Verwaltungsgericht zu übermitteln.
(3) Anträge nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung gegen die Abschiebungsandrohung sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen; dem Antrag soll der Bescheid des Bundesamtes beigefügt werden. Der Ausländer ist hierauf hinzuweisen. § 58 der Verwaltungsgerichtsordnung ist entsprechend anzuwenden. Die Entscheidung soll im schriftlichen Verfahren ergehen; eine mündliche Verhandlung, in der zugleich über die Klage verhandelt wird, ist unzulässig. Die Entscheidung soll innerhalb von einer Woche nach Ablauf der Frist des Absatzes 1 ergehen. Die Kammer des Verwaltungsgerichts kann die Frist nach Satz 5 um jeweils eine weitere Woche verlängern. Die zweite Verlängerung und weitere Verlängerungen sind nur bei Vorliegen schwerwiegender Gründe zulässig, insbesondere wenn eine außergewöhnliche Belastung des Gerichts eine frühere Entscheidung nicht möglich macht. Die Abschiebung ist bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Die Entscheidung ist ergangen, wenn die vollständig unterschriebene Entscheidungsformel der Geschäftsstelle der Kammer vorliegt. Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots durch das Bundesamt nach § 11 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes und die Anordnung und Befristung nach § 11 Absatz 7 des Aufenthaltsgesetzes sind ebenso innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung bleibt hiervon unberührt.
(4) Die Aussetzung der Abschiebung darf nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, bleiben unberücksichtigt, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig. Ein Vorbringen, das nach § 25 Abs. 3 im Verwaltungsverfahren unberücksichtigt geblieben ist, sowie Tatsachen und Umstände im Sinne des § 25 Abs. 2, die der Ausländer im Verwaltungsverfahren nicht angegeben hat, kann das Gericht unberücksichtigt lassen, wenn andernfalls die Entscheidung verzögert würde.
Tenor
1. Die Anträge werden abgelehnt.
2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Die Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe werden abgelehnt.
Gründe
I.
die Beschlüsse des VG Ansbach vom 23. März 2017, 19. April 2017, 24. August 2017 und 20. März 2018 gemäß § 80 Abs. 7 VwGO abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klagen anzuordnen.
II.
Tenor
Der Antrag einschließlich des Prozesskostenhilfegesuchs wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2Der am 7. November 2018 gestellte Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den im Folgenden dargestellten Gründen nicht die nach § 166 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erforderliche Aussicht auf Erfolg bietet.
3Der am 7. November 2018 sinngemäß gestellte Antrag,
4unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 7. Juni 2018 – 11 L 1555/18.A – die aufschiebende Wirkung der Klage 11 K 4610/18.A gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17. Mai 2018 anzuordnen,
5zu dessen Entscheidung die Einzelrichterin gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 des Asylgesetzes (AsylG) berufen ist, hat keinen Erfolg.
6Gemäß § 80 Abs. 7 VwGO kann das Gericht der Hauptsache jederzeit, d.h. ohne Bindung an Fristen, von Amts wegen oder – wie hier – auf Antrag eines Beteiligten einen Beschluss über die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ändern oder aufheben. Das Verfahren trägt dem Umstand Rechnung, dass Veränderungen während des Hauptsacheverfahrens eintreten, auf die trotz Rechtskraft des Beschlusses zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes reagiert werden muss. Es dient nicht in der Art eines Rechtsmittelverfahrens der Überprüfung, ob die vorangegangene Entscheidung formell und materiell richtig ist. Maßgeblich ist somit eine entscheidungserhebliche Änderung der Sach- und Rechtslage. Prüfungsmaßstab für die Entscheidung ist allein, ob nach der jetzigen Sach- und Rechtslage die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage geboten ist. Soweit ein Beteiligter den Antrag stellt, kann der Antrag nur damit begründet werden, dass sich entscheidungserhebliche Umstände, auf denen die ursprüngliche Entscheidung beruhte, geändert haben oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemacht werden konnten (§ 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO). Prozessrechtliche Voraussetzung für die Ausübung der dem Gericht der Hauptsache eröffneten Abänderungsbefugnis ist somit eine Änderung der maßgeblichen Umstände, auf die die frühere Entscheidung gestützt war. Liegt eine derartige Änderung nicht vor, ist dem Gericht eine Entscheidung in der Sache verwehrt, weil sie auf eine unzulässige Rechtsmittelentscheidung hinausliefe.
7Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschlüsse vom 25. August 2008 – 2 VR 1.08 –, juris, Rn. 4 ff. und 29. Januar 1999, – 11 VR 13.98 – , juris; VG Augsburg, Beschluss vom 25. Juli 2014– Au 7 S 14.50183 –, juris, Rn. 15; VG Oldenburg, Beschluss vom 20. Juni 2014 – 12 B 1903/14 –, juris, Rn. 2; Kopp/Schenke, VwGO, 19. Auflage 2013, § 80 Rn. 197.
8Vorliegend fehlt es an einer entscheidungserheblichen Änderung der Umstände, auf denen die ursprüngliche Entscheidung beruhte. Es kann dabei dahinstehen, ob es sich bei der von der Antragstellerin zitierten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH),
9Urteil vom 19. Juni 2018 – C-181/16 –, juris,
10überhaupt um eine Entscheidung handelt, die eine bis dahin strittige einschlägige Rechtsfrage geklärt hat und damit grundsätzlich geeignet ist, eine Änderung der Umstände im Sinne von § 80 Abs. 7 VwGO darzustellen.
11Vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 12. Juni 1998 – 10 S 1178/98 –, juris.
12Denn jedenfalls liegen auch unter Berücksichtigung dieser Entscheidung keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung im streitgegenständlichen Bescheid vor, die es rechtfertigen können, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Denn zunächst ist festzuhalten, dass sich die zitierte Entscheidung des EuGH nicht maßgeblich auf die für die Antragstellerin einschlägige Regelung des Art. 46 Abs. 6 lit. a der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (RL 2013/32/EU) bezieht. Vielmehr setzt sich die Entscheidung mit den in Art. 7 und 39 der Vorgängerrichtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (RL 2005/85/EG) und Art. 9 und 46 Abs. 5 RL 2013/32/EU enthaltenen Regelungen zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes im Fall der Ablehnung eines Asylantrags als einfach unbegründet auseinander. Die Entscheidung des EuGH bezieht sich gerade nicht auf einen Fall, in dem das Asylgesuch – wie vorliegend – als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde.
13Ein Verstoß gegen die in dem zitierten Urteil des EuGH aufgestellten Grundsätze und damit gegen Europarecht ist jedoch auch im Übrigen nicht ersichtlich. Insbesondere verstößt der Wegfall der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 75 Abs. 1 AsylG und damit die Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung nicht gegen das Recht der Antragstellerin auf einen wirksamen Rechtsbehelf.
14Vgl. hierzu EuGH, Beschluss vom 5. Juli 2018 – C-269/18 –, juris.
15Auf die Antragstellerin findet vorliegend gemäß Art. 52 Abs. 1 RL 2013/32/EU die neue Verfahrensrichtlinie RL 2013/32/EU Anwendung, da ihr Asylantrag nach dem 20. Juli 2015 gestellt wurde bzw. gemäß § 14a Abs. 2 Satz 3 AsylG als gestellt galt.
16Gemäß Art. 46 Abs. 5 RL 2013/32/EU müssen die Mitgliedstaaten den Antragstellern grundsätzlich den Verbleib im Hoheitsgebiet bis zum Ablauf der Frist für die Ausübung des Rechts der Antragsteller auf einen wirksamen Rechtsbehelf und, wenn ein solches Recht fristgemäß ausgeübt wurde, bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gestatten. Nach Art. 46 Abs. 6 lit. a RL 2013/32/EU ist jedoch für den Fall, dass ein Asylantrag nach Art. 32 Abs. 2, 31 Abs. 8 lit. b) RL 2013/32/EU – wie vorliegend – als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, lediglich vorgesehen, dass das Gericht befugt ist, darüber zu entscheiden, ob der Antragsteller im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats verbleiben darf, wenn die Entscheidung über den Asylantrag zur Folge hat, das Recht des Antragstellers auf Verbleib in dem Mitgliedstaat zu beenden und wenn in diesen Fällen das Recht auf Verbleib in dem betreffenden Mitgliedstaat bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf im nationalen Recht nicht vorgesehen ist.
17Demnach geht die betroffene Richtlinie inzident von der Zulässigkeit des Wegfalls der aufschiebenden Wirkung einer Klage in den Fällen der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet aus, wie dies § 75 Abs. 1 AsylG im nationalen Recht regelt. Dies führt dazu, dass der betroffene Antragsteller gerade kein volles Bleiberecht im Mitgliedstaat bis zur Entscheidung im Klageverfahren hat.
18Zur Zulässigkeit dieses eingeschränkten Bleiberechts EuGH, Beschluss vom 5. Juli 2018 – C-269/18 –, juris.
19Im Einklang mit den Anforderungen von Art. 46 Abs. 6 letzter Unterabsatz RL 2013/32/EU muss der betroffene Antragsteller jedoch ein Gericht anrufen können, das darüber zu entscheiden hat, ob er in diesem Hoheitsgebiet verbleiben kann, bis über seinen Rechtsbehelf im Hauptsacheverfahren entschieden ist. Art. 46 Abs. 8 RL 2013/32/EU sieht in diesem Zusammenhang vor, dass der betreffende Mitgliedstaat dem Antragsteller bis zur Entscheidung über sein Bleiberecht in diesem Verfahren (gemeint ist das vorläufige Verfahren nach Art. 46 Abs. 6 letzter Unterabsatz RL 2013/32/EU) gestatten muss, in seinem Hoheitsgebiet zu verbleiben.
20Vgl. zu diesen Anforderungen ausdrücklich EuGH, Beschluss vom 5. Juli 2018 – C-269/18 –, juris.
21Europarechtlich allein gefordert ist demnach, dass eine gerichtliche Entscheidung beantragt werden kann, die die Vollziehbarkeit der Rückkehrentscheidung – hier der Abschiebungsandrohung – auszusetzen vermag und dass der Antragsteller für die Dauer dieses vorläufigen Verfahrens unter Aussetzung aller Wirkungen der Rückkehrentscheidung im Mitgliedstaat verbleiben darf.
22Vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 – C-181/16 –, juris und Beschluss vom 5. Juli 2018 – C-269/18 –, juris.
23Diesen Anforderungen wird die nationale Rechtsschutzmöglichkeit in § 80 Abs. 5 VwGO bzw. § 80 Abs. 7 VwGO, der es ermöglicht, auch veränderte Umstände zu berücksichtigen, gerecht. Insbesondere stellt § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 36 Abs. 3 AsylG einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gegen die Abschiebungsandrohung nach Ablehnung eines Schutzgesuchs als offensichtlich unbegründet zur Verfügung, der – namentlich mit Blick auf die vom EuGH herausgestellten Anforderungen nach Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – den unionsrechtlichen Erfordernissen an einen zu gewährenden wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf genügt. Die Antragstellerin kann – und hat im vorliegenden Fall – beim beschließenden Gericht fristwahrend die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Abschiebungsandrohung beantragt. In diesem Verfahren hatte sie Gelegenheit, ihre Einwände gegen die behördliche Entscheidung in vollem Umfang geltend zu machen, und zwar sowohl was die Ablehnung ihrer Schutzgesuche überhaupt als auch was die Ablehnung als offensichtlich unbegründet betrifft. Auch stand bzw. steht es ihr zu, ihre Beurteilung bezogen auf Abschiebungsverbote darzutun. Dieser fristgerecht gestellte Antrag hat entsprechend der europarechtlichen Vorgabe in Art. 46 Abs. 8 RL 2013/32/EU nach § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG kraft Gesetzes zur Folge, dass die Abschiebung vor der gerichtlichen Entscheidung über den Antrag nicht zulässig ist und die Antragstellerin bis zur Entscheidung im Eilverfahren im Hoheitsgebiet verbleiben darf. Diese normative Schutzanordnung, die über ein bloßes Absehen von der Abschiebung durch den Mitgliedstaat hinausgeht, bewirkt – wie vom EuGH in der von der Antragstellerin angeführten Entscheidung gefordert – kraft Gesetzes eine vorübergehende aufschiebende Wirkung dieses Rechtsbehelfs gegenüber der Abschiebungsandrohung.
24Vgl. auch VG Münster, Beschluss vom 8. Oktober 2018 – 9 L 976/18 –, Rn. 11, juris.
25Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
26Der Gegenstandswert folgt aus § 30 Abs. 1 RVG.
27Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage 3 K 5070/18.A gegen die in Ziffer 5. des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 3. Dezember 2018 enthaltene Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2Der – sinngemäße – Antrag des Antragstellers,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 3 K 5070/18.A gegen die in Ziffer 5. des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 3. Dezember 2018 enthaltene Abschiebungsandrohung anzuordnen,
4hat Erfolg.
5Der Antrag ist zulässig (vgl. hierzu unter I.) und begründet (vgl. hierzu unter II.).
6I. Der Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthaft, da die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsandrohung mit Blick auf die wegen der zugleich erfolgten Asylantragsablehnung als offensichtlich unbegründet gesetzte einwöchige Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit §§ 75 Abs. 1, 36 Abs. 1 und 3 Satz 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung entfaltet. Gegen die Zulässigkeit des einstweiligen Rechtsschutzantrags bestehen auch im Übrigen keine Bedenken; insbesondere ist er innerhalb der einwöchigen Antragsfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG erhoben worden.
7II. Der Antrag ist auch begründet. Es bestehen ernstliche, die Aussetzung der Abschiebung gebietende Zweifel im Sinne des § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG an der Rechtmäßigkeit der den Bezugspunkt der eilverfahrensrechtlichen Prüfung des beschließenden Gerichts bildenden Abschiebungsandrohung. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung voraussichtlich nicht standhält.
8Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1516/93 –, juris, Rn. 99.
9Entsprechendes ist hier in Bezug auf die angegriffene Abschiebungsandrohung anzunehmen.
10Vgl. zum Bestehen derartiger Zweifel in Fallkonstellationen der vorliegenden Art auch: Verwaltungsgericht (VG) Arnsberg, Beschlüsse vom 11. Dezember 2018 – 3 L 1313/18.A, 3 L 1610/18.A und 3 L 1744/18.A –, u.v.; VG Würzburg, Beschluss vom 24. September 2018 – W 2 S 18.31990 –, juris, Rn. 14, 17; kritisch allgemein auch: Hruschka, Umfassender Rechtsschutz im Asylverfahren, Asylmagazin 2018, 290.
11Offen bleiben kann dabei, ob dies schon deshalb der Fall ist, weil die dem Erlass der Abschiebungsandrohung zugrundeliegende Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet bzw. die darüber hinaus unterbliebene Feststellung zum Vorliegen von Abschiebungsverboten in Person des Antragstellers durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet. Denn auch unabhängig davon liegen – jedenfalls bei vorläufiger Bewertung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens und vorbehaltlich einer abschließenden Klärung im Hauptsacheverfahren – erhebliche Gründe vor, die die Annahme nahelegen, dass die angegriffene Abschiebungsandrohung, bei der es sich um eine Rückkehrentscheidung im Sinne der Richtlinie 2008/115/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (Rückführungsrichtlinie, ABl. L 348 vom 24. Dezember 2008, S. 98) handelt, voraussichtlich keinen Bestand haben kann. Nach derzeitiger Auffassung der beschließenden Kammer spricht nämlich unter Berücksichtigung der nach der aktuellen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH),
12vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 – C-181/16 – [Rs. Gnandi], juris und Beschluss vom 5. Juli 2018 – C-269/18 PPU –, juris,
13zu der aus Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EUGRCh) niedergelegten Rechtsschutzgarantie in Verbindung mit dem in Art. 18 und Art. 19 Abs. 2 kodifizierten Grundsatz der Nichtzurückweisung (Refoulement-Verbot) und den daraus abzuleitenden (Mindest-)Anforderungen an einen wirksamen Rechtsbehelf im Sinne des einschlägigen Sekundärrechts gegen eine solche Rückkehrentscheidung Vieles dafür, dass die streitgegenständliche Abschiebungsandrohung wegen einer unzureichenden Gewährleistung dieser (Mindest-)Anforderungen durch das nationale Verfahrensrecht – anders als hier erfolgt – nicht zusammen mit der ablehnenden Asylentscheidung ergehen durfte.
14Maßgeblich für diese Einschätzung sind folgende Erwägungen: Nach den durch den EuGH in der Rechtssache C-181/16 entwickelten Grundsätzen ist der Erlass einer Rückkehrentscheidung zusammen mit bzw. im zeitlichen Zusammenhang mit einer ablehnenden, noch nicht bestandskräftigen Asylentscheidung nur zulässig, wenn das nationale Recht zugunsten des Betroffenen sicherstellt, dass ein Rechtsbehelf gegen die ablehnende Entscheidung volle Wirksamkeit entfaltet. Hierbei ist der Grundsatz der Waffengleichheit zu wahren, so dass während der Frist für die Einlegung des Rechtsbehelfs und, falls er eingelegt wird, bis zur Entscheidung über ihn u.a. alle Wirkungen der Rückkehrentscheidung auszusetzen sind. Insoweit genügt es nicht, dass der jeweilige Mitgliedstaat davon absieht, die Rückkehrentscheidung zwangsweise umzusetzen. Vielmehr müssen alle Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung während des vorgenannten Zeitraums kraft Gesetzes ausgesetzt werden. Konkret bedeutet dies insbesondere, dass die in Art. 7 Rückführungsrichtlinie vorgesehene Frist zur freiwilligen Ausreise während eines bestehenden Bleiberechts nicht zu laufen beginnen darf, der Betroffene nicht gemäß Art. 15 Rückführungsrichtlinie für Zwecke der Abschiebung inhaftiert werden darf, er weiterhin Zugang zu den ihm nach der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten (Aufnahmerichtlinie a. F., ABl. L 31 vom 6. Februar 2003, S. 18; nunmehr ersetzt durch die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen – Aufnahmerichtlinie n. F. –, ABl. L 180 vom 29. Juni 2013, S. 96) zustehenden Rechten haben und für ihn zudem die Möglichkeit bestehen muss, sich auf jede nach dem Erlass der Rückkehrentscheidung eingetretene Änderung der Umstände berufen zu können, die in Anbetracht der Rückführungsrichtlinie und insbesondere ihres Art. 5 erheblichen Einfluss auf die Beurteilung seiner Situation haben. Darüber hinaus ist durch den jeweiligen Mitgliedstaat sicherzustellen, dass der Betroffene in transparenter Weise über das Bestehen der vorstehend genannten Garantien informiert wird.
15Vgl. zum Vorstehenden: EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 – C-181/16 –, juris, Rn. 55 ff.
16Nach Auffassung der Kammer spricht Vieles dafür, dass diese Vorgaben, die erkennbar auf die Verhinderung einer wie auch immer gearteten Verschlechterung der Rechtsposition des Adressaten einer im Zusammenhang mit einer ablehnenden Asylentscheidung ergangenen Rückkehrentscheidung während des Laufs bestehender bzw. bereits in Anspruch genommener Rechtsschutzmöglichkeiten gerichtet sind, unabhängig davon zu beachten sind, ob die Ablehnung des Asylantrags als einfach unbegründet oder – was vorliegend Bedeutung erlangt – als offensichtlich unbegründet erfolgt ist. An dieser Einschätzung sieht sich die Kammer insbesondere nicht dadurch gehindert, dass der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-181/16 ausschließlich eine Fallkonstellation einer im zeitlichen Zusammenhang mit einer einfach unbegründeten Asylantragsablehnung ergangenen Rückkehrentscheidung zugrunde lag und die Antragsablehnung noch während des Gültigkeitszeitraums der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (Asylverfahrensrichtlinie a.F.; ABl. L 326 vom 13. Dezember 2005, S. 13) ergangen ist, die – anders als die für den nach dem 20. Juli 2015 gestellten Asylantrag des Antragstellers maßgebliche Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung internationalen Schutzes (Asylverfahrensrichtlinie n.F.; ABl. L 180 vom 29. Juni 2013, S. 60) in ihrem Art. 46 – keine nach der Art der Antragsablehnung differenzierenden Rechtsschutzregelungen enthielt.
17So aber: VG Stade, Beschluss vom 30. Juli 2018 – 2 B 1616/18 –, Bl. 2 des Beschlussabdrucks, abrufbar unter: https://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/dokumente/26508.pdf unter Bezugnahme auf VG Hannover, Beschluss vom 30. Juli 2018 – 10 B 4228/18 –.
18Denn nach den diesbezüglich wenig Interpretationsspielraum belassenden Ausführungen des EuGH in seiner Entscheidung in der Rechtssache C-269/18 PPU unter Bezugnahme auf seine Ausführungen in der Rechtssache C-181/16 soll auch die Zulässigkeit des Erlasses einer Rückkehrentscheidung im zeitlichen Zusammenhang mit einer Asylantragsablehnung als offensichtlich unbegründet, die dem Anwendungsbereich der Asylverfahrensrichtlinie n.F. unterfällt, die Aussetzung aller Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung während des Laufs der Rechtsbehelfsfrist bzw. während der Dauer eines eingelegten Rechtsbehelfs voraussetzen. Der EuGH erkennt insoweit zwar an, dass einem von einer derartigen Entscheidung Betroffenen nach Art. 46 Abs. 5 und 6 Asylverfahrensrichtlinie n. F. kein volles Bleiberecht im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats bis zur Entscheidung über seinen Rechtsbehelf zustehe. Gleichwohl gestehe Art. 46 Abs. 6 Asylverfahrensrichtlinie n. F. ihm das Recht zu, ein Gericht anzurufen, das darüber zu entscheiden habe, ob er im Hoheitsgebiet des jeweiligen Mitgliedstaats verbleiben kann, bis in der Sache über seinen Rechtsbehelf entschieden wird. Darüber hinaus sehe Art. 46 Abs. 8 Asylverfahrensrichtlinie n. F. vor, dass der betreffende Mitgliedstaat dem Betroffenen bis zur Entscheidung über sein Bleiberecht in diesem Verfahren gestatten muss, in seinem Hoheitsgebiet zu verbleiben. Ungeachtet dessen sieht der EuGH jedoch eine Inhaftnahme des Betroffenen zum Zwecke der Abschiebung während des dem Betroffenen zur Verfügung stehenden Rechtsschutzzeitraums als unzulässig an.
19Vgl. zum Vorstehenden: EuGH, Beschluss vom 5. Juli 2018 – C-269/18 PPU –, juris, Rn. 48 ff.
20Dies legt es aus Sicht der beschließenden Kammer nahe, dass die durch den EuGH in der Rechtssache C-181/16 im Einzelnen formulierten Vorgaben für den gemeinsamen Erlass von Rückkehrentscheidung und Asylantragsablehnung im Ausgangspunkt – jedenfalls während des insoweit zur Verfügung stehenden einstweiligen Rechtsschutzzeitraums – auch in den Fällen einzuhalten sind, in denen der jeweilige Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist.
21In diesem Sinne wohl auch: Wittkopp, Abschiebung abgelehnter Asylbewerber im Einklang mit dem Unionsrecht – Das Urteil „Gnandi“, ZAR 2018, 325 (328); a. A. Thiel, EuGH: Zur Verbindung von Ablehnungs- und Rückkehrentscheidung, Entscheiderbrief, 2018, 4 (5).
22Ausgehend hiervon bestehen aktuell erhebliche Gründe für die Annahme, dass die angegriffene Abschiebungsandrohung keinen Bestand haben kann. Denn die danach maßgeblichen europarechtlichen Voraussetzungen für einen gemeinsamen Erlass der Abschiebungsandrohung mit der ablehnenden Asylentscheidung werden auf nationaler Ebene wohl nicht hinreichend erfüllt.
23A. A. VG Münster, Beschluss vom 8. Oktober 2018 – 9 L 976/18 –, juris, Rn. 11, das allerdings u.a. die hier noch zu erörternde Frage des vorzeitigen Laufs der Frist zur freiwilligen Ausreise ausklammert.
24Das gilt vorliegend jedenfalls deshalb, weil die dem Antragsteller im Einklang mit § 36 Abs. 1 AsylG gesetzte Wochenfrist zur freiwilligen Ausreise ausweislich des Bescheidtenors bereits mit der Bekanntgabe des angegriffenen Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zu laufen begonnen hat. Sie lief dementsprechend parallel zu der in § 74 Abs. 1 Halbsatz 2 AsylG in Verbindung mit § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG vorgesehenen Frist für die Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen die in Rede stehende Entscheidung, was nach den durch den EuGH statuierten Vorgaben unzulässig ist. Die Frist zur freiwilligen Ausreise ist im Übrigen zwischenzeitlich bereits abgelaufen, da die in der Hauptsache erhobene Klage – wie bereits dargelegt – keine aufschiebende Wirkung entfaltet und auch die Regelung des § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG, nach der eine Abschiebung des Betroffenen bei – wie hier – rechtzeitiger Stellung eines einstweiligen Rechtsschutzantrags vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig ist, den Lauf der Frist zur freiwilligen Ausreise bzw. die Ausreiseverpflichtung als solche unberührt lässt.
25Vgl. Funke-Kaiser, in: Fritz/Vormeier, Gemeinschaftskommentar zum Asylgesetz, § 36 Rn. 48 (Stand: Dezember 2017); Wittkopp, Abschiebung abgelehnter Asylbewerber im Einklang mit Unionsrecht – Das Urteil „Gnandi“ des EuGH, ZAR 2018, 325 (328).
26Auch dies steht nicht in Einklang mit den genannten Anforderungen des EuGH. Zwar mag es zutreffen, dass dem Betroffenen im Anschluss an eine ablehnende Entscheidung im Rahmen eines Eilverfahrens auch unabhängig hiervon noch ein kurzer Zeitraum zur freiwilligen Ausreise zuzubilligen ist.
27Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 16. Mai 1986 – 1 C 16.85 –, juris, Rn. 21.
28Dies wird den europarechtlichen Vorgaben aber schon deshalb nicht gerecht, weil dieser Zeitraum in seiner Länge nach der vorzitierten Entscheidung gerade nicht der jeweiligen Ausreisefrist entsprechen muss. Überdies fehlt es insoweit an der vom EuGH verlangten gesetzlichen Kodifikation dieser Gewährleistung.
29Vgl. zum Ganzen auch: Wittkopp, Abschiebung abgelehnter Asylbewerber im Einklang mit Unionsrecht – Das Urteil „Gnandi“ des EuGH, ZAR 2018, 325 (328), die die Unionsrechtskonformität des Beginns der Ausreisefrist ebenfalls für zweifelhaft hält.
30Aus demselben Grund scheidet schließlich auch eine von der Kammer erwogene – letztlich aber verworfene – befristete Anordnung der aufschiebenden Wirkung der in der Hauptsache erhobenen Anfechtungsklage nach Maßgabe des § 80 Abs. 5 Satz 5 VwGO im Umfang der dem Antragsteller gesetzten Frist zur freiwilligen Ausreise aus. Denn selbst wenn man in der hiermit der Sache nach allenfalls verbundenen nachträglichen Substitution der bereits unumkehrbar abgelaufenen Ausreisefrist ein hinreichendes Äquivalent zu den Vorgaben des EuGH sehen wollte, würde dieses Äquivalent lediglich auf der Grundlage einer entsprechenden gerichtlichen Anordnung und nicht bereits kraft Gesetzes bestehen. Gleiches würde – selbst wenn man diese Entscheidungsform trotz des Fehlens einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage für zulässig hielte –,
31vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (BayVGH), Beschluss vom 11. Oktober 2017 – 15 CS 17.1055 –, juris, Rn. 42; Sächsisches Oberverwaltungsgericht (OVG Sachsen), Beschluss vom 12. Dezember 2008 – 5 BS 336/07 –, juris, Rn. 28; a. A. wohl: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH Baden-Württemberg), Beschluss vom 27. Juni 2018 – 8 S 700/18 –, juris, Rn. 11,
32im Übrigen auch im Falle einer Ablehnung des einstweiligen Rechtsschutzantrags mit der Maßgabe, dass die dem Antragsteller gesetzte Ausreisefrist mit der Bekanntgabe der gerichtlichen Entscheidung erneut zu laufen beginnt, gelten.
33Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtkostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage W 2 K 18.31989 gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamts für ... vom 12. September 2018 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid des Bundesamtes für ... vom 12. September wird angeordnet.
den Antrag abzulehnen.
II.
„Die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger in Verbindung mit der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und im Licht des Grundsatzes der Nichtzurückweisung und des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf, die in den Art. 18, 19 Abs. 2 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert sind, ist dahin auszulegen, dass sie dem nicht entgegensteht, dass gegen einen Drittstaatsangehörigen, der internationalen Schutz beantragt hat, nach der Ablehnung dieses Antrags durch die zuständige Behörde oder zusammen mit der Ablehnung in einer einzigen behördlichen Entscheidung und somit vor der Entscheidung über den gegen diese Ablehnung eingelegten Rechtsbehelf eine Rückkehrentscheidung gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115 erlassen wird, sofern u. a. der betreffende Mitgliedstaat gewährleistet, dass alle Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf ausgesetzt werden, dass der Antragsteller während dieses Zeitraums in den Genuss der Rechte aus der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten kommen kann und dass er eine nach Erlass der Rückkehrentscheidung eingetretene Änderung der Umstände geltend machen kann, die im Hinblick auf die Richtlinie 2008/115, insbesondere ihren Art. 5, erheblichen Einfluss auf die Beurteilung seiner Situation haben kann; dies zu prüfen ist Sache des nationalen Gerichts.“
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Die Klage gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz hat nur in den Fällen des § 38 Absatz 1 sowie des § 73b Absatz 7 Satz 1 aufschiebende Wirkung. Die Klage gegen Maßnahmen des Verwaltungszwangs (§ 73b Absatz 5) hat keine aufschiebende Wirkung.
(2) Die Klage gegen Entscheidungen des Bundesamtes, mit denen die Anerkennung als Asylberechtigter oder die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft widerrufen oder zurückgenommen worden ist, hat in folgenden Fällen keine aufschiebende Wirkung:
- 1.
bei Widerruf oder Rücknahme wegen des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder des § 3 Absatz 2, - 2.
bei Widerruf oder Rücknahme, weil das Bundesamt nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen hat.
(1) Ein Asylantrag ist unzulässig, wenn
- 1.
ein anderer Staat - a)
nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 oder - b)
auf Grund von anderen Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages
- 2.
ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 gewährt hat, - 3.
ein Staat, der bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, als für den Ausländer sicherer Drittstaat gemäß § 26a betrachtet wird, - 4.
ein Staat, der kein Mitgliedstaat der Europäischen Union und bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, als sonstiger Drittstaat gemäß § 27 betrachtet wird oder - 5.
im Falle eines Folgeantrags nach § 71 oder eines Zweitantrags nach § 71a ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist.
(2) Das Bundesamt hört den Ausländer zu den Gründen nach Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe b bis Nummer 4 persönlich an, bevor es über die Zulässigkeit eines Asylantrags entscheidet. Zu den Gründen nach Absatz 1 Nummer 5 gibt es dem Ausländer Gelegenheit zur Stellungnahme nach § 71 Absatz 3.
(3) Erscheint der Ausländer nicht zur Anhörung über die Zulässigkeit, entscheidet das Bundesamt nach Aktenlage. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unverzüglich nachweist, dass das in Satz 1 genannte Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte. Führt der Ausländer diesen Nachweis, ist das Verfahren fortzuführen.
(4) Die Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags kann gemäß § 24 Absatz 1a dafür geschulten Bediensteten anderer Behörden übertragen werden.
Tatbestand
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Der Kläger, ein guineischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrages als unzulässig und die Anordnung seiner Abschiebung nach Spanien.
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Der Kläger reiste nach eigenen Angaben Anfang Oktober 2012 von Marokko aus (über Melilla) nach Spanien und wurde dort am 25. Oktober 2012 erkennungsdienstlich behandelt. Am 14. Januar 2013 beantragte er unter einem Aliasnamen in der Bundesrepublik Deutschland Asyl. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - lehnte diesen Asylantrag durch Bescheid vom 13. März 2013 als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Spanien an; die Überstellung erfolgte am 10. April 2013.
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Am 3. Juni 2013 reiste der Kläger erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 7. Juni 2013 - nunmehr unter einem anderen Namen - erneut Asyl. Ein Eurodac-Abgleich vom 27. August 2013 ergab, dass der Kläger bereits in Spanien erkennungsdienstlich behandelt worden war. Auf ein entsprechendes Ersuchen des Bundesamtes anerkannten die spanischen Behörden mit Schreiben vom 17. September 2013 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrages und erklärten ihre Bereitschaft zur Wiederaufnahme des Klägers. Daraufhin lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 4. Oktober 2013 den Asylantrag wegen anderweitiger internationaler Zuständigkeit als unzulässig ab (Ziffer 1) und ordnete die Abschiebung nach Spanien an (Ziffer 2).
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Das Verwaltungsgericht lehnte mit Beschluss vom 7. Januar 2014 einen Antrag des Klägers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO zunächst ab und ordnete dann nach § 80 Abs. 7 VwGO mit Beschluss vom 24. März 2014 die aufschiebende Wirkung der Klage an, weil zwischenzeitlich die sechsmonatige Überstellungsfrist abgelaufen sei. Das Verwaltungsgericht wies mit Urteil vom 12. September 2014 die Klage ab, weil nach der Dublin II-Verordnung weiterhin Spanien für die Prüfung des Asylantrages zuständig sei.
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Das Oberverwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 15. Dezember 2014 die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung angeordnet und in der Hauptsache mit Urteil vom 16. September 2015 den Bescheid des Bundesamtes aufgehoben. Es hat seine Entscheidung damit begründet, dass nach der hier anzuwendenden Dublin II-Verordnung zwar zunächst Spanien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig gewesen sei. Diese Zuständigkeit sei aber inzwischen auf Deutschland übergegangen, weil der Kläger nicht innerhalb von sechs Monaten nach Spanien überstellt worden sei. Diese Frist habe mit der Annahme des Wiederaufnahmeersuchens durch Spanien im September 2013 begonnen und sei während des gerichtlichen Verfahrens nicht wieder neu eröffnet worden. Der rechtswidrige Bescheid bewirke auch eine Rechtsverletzung des Klägers. Dabei könne offenbleiben, ob und in welchem Umfang die Dublin-Regelungen Individualschutz entfalteten. Eine Verletzung subjektiver Rechte ergebe sich jedenfalls aus dem materiellen Recht, da der Kläger ansonsten seinen Anspruch auf die ihm durch Unionsrecht garantierte Überprüfung seines Begehrens durch einen Mitgliedstaat nicht wirksam durchsetzen könne. Zwar sei im Einzelfall denkbar, dass ein Mitgliedstaat nach Ablauf der Überstellungsfrist weiterhin zur Wiederaufnahme bereit sei; für den Regelfall könne hiervon aber nicht ausgegangen werden. In Ermangelung jeglichen Hinweises auf eine fortbestehende Aufnahmebereitschaft Spaniens sei hier von einer Rechtsverletzung des Klägers auszugehen. Die Unzulässigkeitsentscheidung könne auch nicht in eine andere rechtmäßige Entscheidung umgedeutet werden.
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Die Beklagte macht mit ihrer Revision geltend, dass bereits die Überstellungsfrist nicht abgelaufen und daher kein Zuständigkeitswechsel auf Deutschland bewirkt worden sei. Zudem dienten die in den Dublin-Verordnungen geregelten Fristen allein der zeitnahen Feststellung des zuständigen Mitgliedstaats und der zeitnahen Überstellung in diesen Staat, begründeten aber keine subjektiven Rechte des Schutzsuchenden.
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Der Kläger verteidigt die angegriffene Entscheidung.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision ist begründet. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, die durch die Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs in Lauf gesetzte Überstellungsfrist werde durch einen fristgerechten Antrag nach § 34a AsylG nicht unterbrochen und dann auch bei einer ablehnenden Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht neu in Lauf gesetzt, verstößt gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO) (3.). Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als zutreffend (4.).
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1. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens ist das Asylgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl. I S. 390) und das Gesetz zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom gleichen Tag (BGBl. I S. 394), sowie die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 50 S. 1) - Dublin II-VO. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Rechtsänderungen, die nach der Berufungsentscheidung eintreten, zu berücksichtigen, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Revisionsgerichts - sie seinerseits zu berücksichtigen hätte (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Berufungsgericht nach § 77 Abs. 1 AsylG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen hat, müsste es, wenn es jetzt entschiede, die neue Rechtslage zugrunde legen, soweit nicht hiervon - wie hier in Bezug auf die anzuwendende Fassung der Dublin-Verordnung - eine Abweichung aus Gründen des materiellen Rechts geboten ist.
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2. Das Berufungsgericht hat allerdings zutreffend dahin erkannt, dass hinsichtlich der Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - vom 4. Oktober 2013 nur die Anfechtungsklage statthaft ist (BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 2015 - 1 C 32.14 - NVwZ 2016, 154 Rn. 13 ff.). Für die Beurteilung der internationalen Zuständigkeit ist nach deren Art. 49 Abs. 2 die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 S. 31) - Dublin III-VO - nicht heranzuziehen, weil sie intertemporal nur auf Anträge auf internationalen Schutz anwendbar ist, die ab dem ersten Tag des sechsten Monats nach ihrem Inkrafttreten, also ab dem 1. Januar 2014, gestellt worden sind. Zutreffend ist das Berufungsgericht weiter zu dem Ergebnis gekommen, dass nach Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO Spanien jedenfalls wegen der Einreise des Klägers über diesen Mitgliedstaat mangels vorrangiger Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats nach Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO originär zuständig war, und die Bundesrepublik Deutschland jedenfalls nicht wegen einer Versäumung der in Art. 17 Abs. 1 Dublin II-VO genannten Frist für die Prüfung des Asylantrages international zuständig geworden ist.
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3. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, die Zuständigkeit für die Entscheidung über den Asylantrag sei wegen Versäumung der Überstellungsfrist (Art. 19 Abs. 3, Art. 20 Abs. 1 Buchst. d Dublin II-VO) auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen, verletzt indes Bundesrecht. Das Berufungsgericht vernachlässigt bei seiner Berechnung der Frist, die grundsätzlich mit der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat beginnt, dass bei einem rechtzeitigen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen die Abschiebungsanordnung kraft Gesetzes (§ 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG) eine Abschiebung bis zu der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht vollzogen werden darf und daher die sechsmonatige Überstellungsfrist auch dann erneut in Lauf gesetzt wird, wenn das Verwaltungsgericht diesen Antrag ablehnt (s.a. BVerwG, Beschluss vom 27. April 2016 - 1 C 22.15 - Rn. 18 ff.). Aus der - zu Art. 20 Abs. 1 Buchst. d Dublin II-VO ergangenen - Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ergibt sich, dass dem Mitgliedstaat in Fällen der Inanspruchnahme von Rechtsschutz stets die volle Überstellungsfrist zur Vorbereitung und Durchführung zur Verfügung stehen muss und die Frist für die Durchführung der Überstellung daher erst zu laufen beginnt, wenn grundsätzlich vereinbart und sichergestellt ist, dass die Überstellung in Zukunft erfolgen wird und lediglich deren Modalitäten zu regeln bleiben (EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 [ECLI:EU:C:2009:41], Petrosian - Rn. 43 ff.). Dem unionsrechtlichen Begriff der "aufschiebenden Wirkung" eines Rechtsbehelfs unterfällt mithin unabhängig von der terminologischen Einordnung nach nationalem Recht auch das allein durch die Antragstellung nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG bewirkte gesetzesunmittelbare Abschiebungsverbot (§ 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG). Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich klar, dass dem Mitgliedstaat stets eine zusammenhängende sechsmonatige Überstellungsfrist zuzubilligen ist, so dass die in der Rechtsprechung vertretene Auffassung, nach der eine bloße Hemmung einer mit der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs in Lauf gesetzten Überstellungsfrist anzunehmen ist (so VGH Mannheim, Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 - NVwZ 2015, 92), nicht dem Unionsrecht entspricht.
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Im Zeitpunkt des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 24. März 2014, durch den die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet worden war, war hiernach die Überstellungsfrist noch nicht abgelaufen. Da der Kläger gegen die Überstellungsentscheidung vom 4. Oktober 2013 Klage erhoben und im Oktober 2013 rechtzeitig einen Antrag auf Anordnung ihrer aufschiebenden Wirkung gestellt hatte, war die Überstellungsfrist unterbrochen worden. Sie begann erst (erneut) mit der Ablehnung des vorläufigen Rechtsschutzantrages durch das Verwaltungsgericht am 7. Januar 2014 zu laufen und war mithin am 24. März 2014, als das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage anordnete, noch nicht abgelaufen. Das Berufungsgericht hat die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung hier nach § 80b Abs. 2 VwGO auch fristgerecht angeordnet, so dass die Vollziehung weiterhin - bis zur Unanfechtbarkeit der Anordnung - ausgesetzt bleibt. Die derart unterbrochene Überstellungsfrist konnte daher nicht wegen der Überschreitung der in Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO genannten Fristen, die sich auf eine rechtlich mögliche Überstellung beziehen, ablaufen.
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Der Kläger hat hier die - unter einem Aliasnamen bewirkte - erste Überstellungsentscheidung des Bundesamtes vom 13. März 2013 bestandskräftig werden lassen und ist auch sonst nicht gegen die am 10. April 2013 bewirkte Überstellung vorgegangen. Die im Beschluss des Senats vom 27. April 2016 - 1 C 22.15 - aufgeworfenen Fragen stellen sich mithin nicht, zumal es der Bundesrepublik Deutschland jedenfalls nicht verwehrt ist, auf den neuerlichen Asylantrag des Klägers hin das Dublin-Regime anzuwenden, die Anwendung der Dublin-Regelungen den Kläger jedenfalls nicht in seinen Rechten verletzt und bei Nichtanwendbarkeit ein Zuständigkeitsübergang auf die Bundesrepublik Deutschland erst recht ausscheidet.
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4. Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als rechtmäßig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrages ist insbesondere nicht ausnahmsweise wegen sog. systemischer Mängel (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 und C-493/10 [ECLI:EU:C:2011:865], N. S. u.a.; EGMR
, Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/09, M. S. S./Belgien und Griechenland - NVwZ 2011, 413; s. nunmehr auch Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO) auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen. Der Kläger hat sich allerdings in seiner Klageschrift auf solche Mängel berufen. Das Verwaltungsgericht hat hierzu indes ausgeführt, dass ihm keinerlei Erkenntnisse vorlägen, die die Befürchtung rechtfertigen könnten, dass in Spanien systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber bestehen. Bereits im Berufungsverfahren hat der Kläger seinen Vortrag aus der Klageschrift nicht wieder aufgegriffen, so dass das Berufungsgericht - dem sich derartige Mängel für Spanien nach dem erstinstanzlichen Vorbringen des Klägers oder von Amts wegen in aktueller Gesamtwürdigung der zu der jeweiligen Situation vorliegenden Berichte und Stellungnahmen (dazu BVerfG, Kammerbeschluss vom 21. April 2016 - 2 BvR 273/16 - juris) auch nicht aufdrängen mussten - insoweit keine ausdrücklichen Feststellungen treffen musste. Auch im Revisionsverfahren hat der Kläger insoweit nicht an sein erstinstanzliches Vorbringen angeknüpft und nicht mit einer formgerechten Gegenrüge (dazu - m.w.N. - Kraft, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 137 Rn. 78) substantiiert zu systemischen Schwachstellen des Asylsystems in Spanien vorgetragen.
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5. Gründe für eine Rechtswidrigkeit der Abschiebungsanordnung (Ziffer 2 des Bescheides), die von der Vorfrage der internationalen Zuständigkeit (§ 27a AsylG) unabhängig sind, sind hier nicht geltend gemacht und auch sonst nicht ersichtlich.
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6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.
Gründe
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I.
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Der Kläger, ein malischer Staatsangehöriger, reiste im Mai 2009 über den Seeweg nach Italien ein und stellte dort einen Asylantrag. Im Juli 2009 stellte er in der Schweiz einen weiteren Asylantrag und entzog sich der Überstellung nach Italien. Auf seinen am 1. Oktober 2010 in Österreich gestellten Asylantrag überstellten ihn die österreichischen Behörden im Juli 2011 nach Italien. Im November 2011 wurde der Kläger in Deutschland aufgegriffen und stellte erneut einen Asylantrag. Dem Übernahmeersuchen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) stimmten die italienischen Behörden im Februar 2012 zu. Daraufhin entschied das Bundesamt mit Bescheid vom 7. Mai 2012, dass der Asylantrag unzulässig sei und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Italien an. Das Verwaltungsgericht hat seiner dagegen gerichteten Klage stattgegeben, das Oberverwaltungsgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Es hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Beschwerde.
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II.
- 2
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Die Beschwerde, mit der der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sowie einen Gehörsverstoß des Berufungsgerichts (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 108 Abs. 2 VwGO) rügt, hat keinen Erfolg.
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1. Die Beschwerde wirft als grundsätzlich bedeutsam die Frage auf,
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"welchen rechtlichen Anforderungen der Begriff der 'systemischen Mängel' unterliegt, insbesondere welcher Wahrscheinlichkeits- und Beweismaßstab für die Annahme erforderlich ist, dass für einen Asylbewerber eine tatsächliche Gefahr besteht, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt zu werden."
- 4
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Diese Frage rechtfertigt mangels Klärungsbedürftigkeit nicht die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Denn sie lässt sich, soweit sie nicht bereits in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt ist, auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung und des nationalen Prozessrechts ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantworten.
- 5
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Gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 2 der im vorliegenden Verfahren (noch) maßgeblichen Verordnung Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl EU Nr. L 50 S. 1) - Dublin-II-Verordnung - wird ein Asylantrag von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. Wie sich aus ihren Erwägungsgründen 3 und 4 ergibt, besteht einer der Hauptzwecke der Dublin-II-Verordnung in der Schaffung einer klaren und praktikablen Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft und eine zügige Bearbeitung der Asylanträge zu gewährleisten. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem gründet sich auf das Prinzip gegenseitigen Vertrauens, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden (EuGH - Große Kammer, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 und Rs. C-493/10, N.S. u.a. - Slg. 2011, I-13905 Rn. 78 f. = NVwZ 2012, 417). Daraus hat der Gerichtshof die Vermutung abgeleitet, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta (GR-Charta) sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht (EuGH a.a.O. Rn. 80).
- 6
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Dabei hat der Gerichtshof nicht verkannt, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stoßen kann, so dass die ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung an den nach Unionsrecht zuständigen Mitgliedstaat auf unmenschliche oder erniedrigende Weise behandelt werden. Deshalb geht er davon aus, dass die Vermutung, die Rechte der Asylbewerber aus der Grundrechte-Charta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention würden in jedem Mitgliedstaat beachtet, widerlegt werden kann (EuGH a.a.O. Rn. 104). Eine Widerlegung der Vermutung hat er aber wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln (EuGH a.a.O. Rn. 81 ff.). Ist hingegen ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 GR-Charta zur Folge haben, ist eine Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar (EuGH a.a.O. Rn. 86 und 94).
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Der Gerichtshof hat seine Überlegungen dahingehend zusammengefasst, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den "zuständigen Mitgliedstaat" im Sinne der Dublin-II-Verordnung zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu werden (EuGH a.a.O. Rn. 106 und LS 2; ebenso Urteil der Großen Kammer vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11, Puid - NVwZ 2014, 129 Rn. 30). Schließlich hat er für den Fall, dass der zuständige Mitgliedstaat der Aufnahme zustimmt, entschieden, dass der Asylbewerber mit dem in Art. 19 Abs. 2 der Dublin-II-Verordnung vorgesehenen Rechtsbehelf gegen die Überstellung der Heranziehung des in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung niedergelegten Zuständigkeitskriteriums nur mit dem o.g. Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten kann (EuGH - Große Kammer, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12, Abdullahi - NVwZ 2014, 208 Rn. 60). Diese Rechtsprechung des Gerichtshofs liegt auch Art. 3 Abs. 2 der Neufassung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 (ABl EU L Nr. 180 S. 31) - Dublin-III-Verordnung - zugrunde.
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Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat derartige systemische Mängel für das Asylverfahren wie für die Aufnahmebedingungen der Asylbewerber in Griechenland in Fällen der Überstellung von Asylbewerbern im Rahmen des Dublin-Systems der Sache nach bejaht (EGMR - Große Kammer, Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien und Griechenland - NVwZ 2011, 413) und in Folgeentscheidungen insoweit ausdrücklich auf das Kriterium des systemischen Versagens ("systemic failure") abgestellt (EGMR, Entscheidungen vom 2. April 2013 - Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u.a./Niederlande und Italien - ZAR 2013, 336 Rn. 78; vom 4. Juni 2013 - Nr. 6198/12, Daytbegova u.a./Österreich - Rn. 66; vom 18. Juni 2013 - Nr. 53852/11, Halimi/Österreich und Italien - ZAR 2013, 338 Rn. 68; vom 27. August 2013 - Nr. 40524/10, Mohammed Hassan/Niederlande und Italien - Rn. 176 und vom 10. September 2013 - Nr. 2314/10, Hussein Diirshi/Niederlande und Italien - Rn. 138).
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Für das in Deutschland - im Unterschied zu anderen Rechtssystemen - durch den Untersuchungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) geprägte verwaltungsgerichtliche Verfahren hat das Kriterium der systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union Bedeutung für die Gefahrenprognose im Rahmen des Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK. Der Tatrichter muss sich zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 22 m.w.N. = Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 39) einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Die Fokussierung der Prognose auf systemische Mängel ist dabei, wie sich aus den Erwägungen des Gerichtshofs zur Erkennbarkeit der Mängel für andere Mitgliedstaaten ergibt (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 und Rs. C-493/10 - a.a.O. Rn. 88 bis 94), Ausdruck der Vorhersehbarkeit solcher Defizite, weil sie im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen. Solche Mängel treffen den Einzelnen in dem zuständigen Mitgliedstaat nicht unvorhersehbar oder schicksalhaft, sondern lassen sich aus Sicht der deutschen Behörden und Gerichte wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren. Die Widerlegung der o.g. Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Dann scheidet eine Überstellung an den nach der Dublin-II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat aus. Diesen Maßstab hat das Berufungsgericht der angefochtenen Entscheidung erkennbar zugrunde gelegt.
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2. Mit der Gehörsrüge macht die Beschwerde geltend, das Berufungsgericht habe zusammen mit seiner Ankündigung vom 8. Oktober 2013, dass erwogen werde, ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss gemäß § 130a VwGO zu entscheiden, darauf hingewiesen, dass der 3. Senat des Gerichts in vergleichbaren Fällen ebenso entschieden habe. Trotz entsprechender Aufforderung habe das Berufungsgericht die damals noch nicht abgesetzten Entscheidungen des anderen Senats nicht zugänglich gemacht und auch die Frist zur Stellungnahme nicht verlängert. Die Gehörsrüge greift nicht durch.
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Aus Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO ergibt sich, dass eine gerichtliche Entscheidung nur auf solche Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden darf, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Die Verwertung tatsächlicher Feststellungen aus anderen Verfahren für den zur Entscheidung anstehenden Rechtsstreit unterliegt - nicht anders als andere tatsächliche Feststellungen - dem Gebot des rechtlichen Gehörs (Urteil vom 8. Februar 1983 - BVerwG 9 C 847.82 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 132 = InfAuslR 1983, 184). Dagegen verstößt ein Gericht, wenn es anstelle einer eigenen Beweiserhebung auf Entscheidungen mit umfangreichen tatsächlichen Feststellungen verweist, ohne die Entscheidungen den Beteiligten so zugänglich zu machen, dass sie sich dazu hätten äußern können. Zieht ein Gericht aber andere Entscheidungen nur als bestätigenden Beleg dafür heran, dass andere Gerichte die Lage (einer bestimmten Gruppe) in einem Land tatrichterlich in ähnlicher Weise gewürdigt und deshalb rechtlich die gleichen Schlussfolgerungen gezogen haben, unterliegen solche Bezugnahmen nicht den besonderen Anforderungen des § 108 Abs. 2 VwGO (Urteil vom 22. März 1983 - BVerwG 9 C 860.82 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 133; Beschluss vom 12. Juli 1985 - BVerwG 9 CB 104.84 - Buchholz 310 § 103 VwGO Nr. 8 = NJW 1986, 3154).
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An diesem Maßstab gemessen erweist sich die Gehörsrüge als unbegründet. Das Berufungsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung die Lage der Asylbewerber in Italien unter Auswertung verschiedener Quellen selbstständig tatrichterlich gewürdigt. Es hat die in dem Schreiben vom 8. Oktober 2013 genannten Entscheidungen des 3. Senats des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt ausweislich der Entscheidungsgründe nicht verwertet. Daher ist nicht ersichtlich, wie die angefochtene Entscheidung durch die - sicherlich prozessual ungeschickte - Vorgehensweise des Berufungsgerichts das rechtliche Gehör des Klägers hätte verletzen können. Denn die Auskunftsquellen als Grundlagen der tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts waren dem Kläger mit dem gerichtlichen Schreiben vom 8. Oktober 2013 bekannt gegeben worden, so dass er sich dazu äußern konnte.
(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben gesamtschuldnerisch die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung anzuordnen.
II.
Tenor
Der Antrag – inklusive des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe – wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2Der am 5. April 2016 gestellte Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den im Folgenden dargestellten Gründen nicht die nach § 166 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
3Der am 29. März 2016 gestellte Antrag,
4die aufschiebende Wirkung der Klage 13 K 3936/16.A gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 2. des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 21. März 2016 anzuordnen,
5ist zulässig, aber unbegründet.
6Die im summarischen Eilverfahren gebotene Abwägung des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung mit dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers fällt zu Lasten des Antragstellers aus, weil die Abschiebungsanordnung in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet. Sie ist weder in formeller noch in materieller Hinsicht zu beanstanden.
7Die Abschiebungsanordnung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG in der Fassung des am 6. August 2016 in Kraft getretenen Integrationsgesetzes vom 31. Juli 2016 (BGBl. I S. 1939) - im Folgenden: AsylG ‑, die mangels einer einschlägigen Übergangsvorschrift gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG auch auf den vorliegenden Fall anwendbar ist. Die genannte Vorschrift sieht vor, dass das Bundesamt, wenn der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat anordnet, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
8Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist der angegriffene Bescheid in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden.
9Zunächst liegt kein Verfahrensfehler im Sinne einer Verletzung des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG dahingehend vor, dass die Entscheidung des Bundesamtes auf eine dem Antragsteller unbekannte Tatsachengrundlage gestützt und ihm somit eine effektive Wahrnehmung seiner Rechte verwehrt worden wäre. Der Antragsteller trägt insoweit vor, dass lediglich eine Mitteilung über den EURODAC-Treffer und nicht der Treffer selbst in der Akte vorliege, sodass nicht überprüft werden könne, ob und wann und wo der Antragsteller einen Asylantrag gestellt habe bzw. erkennungsdienstlich behandelt worden sei. Das im Wiederaufnahmegesuch genannte Datum der Asylantragstellung in Belgien ergebe sich nicht aus der Akte, sodass das rechtliche Gehör verletzt sei. Der Antragsteller hat jedoch in seiner Befragung vom 18. Januar 2016 selbst angegeben, am 9. Dezember 2013 in Belgien Fingerabdrücke abgenommen bekommen und dort einen Asylantrag gestellt zu haben. Die entscheidungserhebliche Tatsachengrundlage war ihm daher offensichtlich bekannt.
10In diesem Zusammenhang weist das Gericht darauf hin, dass es die vom Verwaltungsgericht Wiesbaden in der vom Antragsteller zitierten Entscheidung geäußerten Bedenken gegen die Vollständigkeit der elektronischen Akte des Bundesamtes,
11vgl. Verwaltungsgericht Wiesbaden, Urteil vom 28. Februar 2014 – 6 K 152/14.WI.A –, juris, Rn. 22 ff.,
12in dem vorliegenden Verfahren nicht teilt. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, inwieweit eine etwaige Unvollständigkeit der elektronischen Akte des Bundesamtes sich auf die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides auswirken kann, zumal zumindest die Möglichkeit bestünde, die Dokumentenmappe beizuziehen.
13Soweit der Antragsteller darauf hinweist, er sei entgegen Artikel 4 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (im Folgenden: Dublin III-VO) nicht über die Anwendung der Dublin-Verordnung informiert worden, vermag er damit nicht durchzudringen. Zwar entspricht das von der Antragsgegnerin verwendete Merkblatt über das Dublin-Verfahren nicht dem ausführlicheren Merkblatt, das die EU-Kommission in Anlage X ihrer „Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 vom 30. Januar 2014 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist“ (im Folgenden: Durchführungsverordnung) vorgesehen hat. Der wesentliche Inhalt des Dublin-Verfahrens wird dem Antragsteller aber durch das vom Bundesamt verwendete Merkblatt und die weiteren dem Antragsteller gegebenen Informationen ausreichend näher gebracht. Insofern liegt nach Auffassung des Gerichts bereits kein Verfahrensfehler vor. Aus Artikel 4 Absatz 3 Dublin III-VO folgt insbesondere nicht, dass das Merkblatt der EU-Kommission zur Unterrichtung im Dublin-Verfahren für die Durchführung des Verfahrens von wesentlicher Bedeutung ist. Deshalb spricht auch einiges dafür, dass nach den allgemeinen, in § 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) zum Ausdruck kommenden Rechtsgrundsätzen ein diesbezüglicher Verfahrensfehler jedenfalls unbeachtlich wäre. Nach § 46 VwVfG darf ein Verwaltungsakt nicht allein deshalb aufgehoben werden, weil er unter Verletzung von Verfahrens-, Form oder Zuständigkeitsbestimmungen zustande gekommen ist, wenn offensichtlich eine gleichlautende Entscheidung zu treffen wäre.
14VG Schwerin, Beschluss vom 17. März 2015 – 3 B 687/15 As –, juris, Rn. 9; VG Düsseldorf, Beschluss vom 05.06.2015 – 13 L 1253/15.A –, juris; VG Minden, Beschluss vom 24. August 2016 – 1 L 1299/16.A –, juris.
15Anderes folgt im vorliegenden Fall auch nicht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zum harmless error principle. Danach führen wesentliche Verfahrensfehler (vgl. Artikel 263 Absatz 2 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union [AEUV]) zur Aufhebung der entsprechenden Verwaltungsentscheidung, wenn sie geeignet sind, sich auf die inhaltliche Entscheidung auszuwirken und deshalb ein Kausalzusammenhang zwischen dem Fehler und der Verwaltungsentscheidung besteht.
16Vgl. ausführlich zum Verhältnis von §§ 45, 46 VwVfG zu den vom EuGH entwickelten Verfahrensprinzipien, Kahl, VerwArch 95 (2004), 1 (22 ff.) m. umfassenden Nachweisen; ferner Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 46 Rn. 85a m. § 45 Rn. 158 ff.; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 16. Aufl. 2015, § 46 Rn. 5a je m.w.N.
17Dass dem Antragsteller keinerlei Informationen bezüglich der Dublin III-VO ausgehändigt worden sind, trägt er nicht vor. Er beruft sich allein darauf, dass dies nicht in der elektronischen Akte des Bundesamtes dokumentiert sei. Jedoch kann aus einer fehlenden oder unzureichenden Information zum Verfahren nach der Dublin III-VO nicht zwingend geschlossen werden, dass der Fehler für die spätere Entscheidung kausal geworden ist. Das Informationsrecht nach Artikel 4 Dublin III-VO zielt darauf ab, die Antragsteller über ihre Rechte zu informieren, damit sie diese wahren können. Der für die Bestimmung des zuständigen Staates maßgebende Sachverhalt wird aber erst in der persönlichen Anhörung nach Art. 5 Dublin III-VO bzw. § 25 AsylG geklärt, worauf auch Artikel 4 Absatz 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO verweist.
18VG Schwerin, Beschluss vom 17. März 2015 – 3 B 687/15 As –, juris, Rn. 11.
19Dies gilt auch für die vom Antragsteller insbesondere gerügten fehlenden Informationen bezüglich des Art. 19 Abs. 2 Dublin III-VO. Es ist nicht ersichtlich, wie sich – selbst bei unterstelltem Fehlen der Information – dies auf die Rechtmäßigkeit des Bescheides ausgewirkt hat. Der Antragsteller ist in seiner Befragung vom 18. Januar 2016 dazu angehört worden, ob er das Gebiet der Mitgliedstaaten verlassen hat, was er verneint hat. Dass er diese oder andere Fragen anders beantwortet hätte, wenn er zuvor über die Rechtsfolge der Ausreise oder andere Kriterien belehrt worden wäre, ist nicht ersichtlich. Inwieweit es sich auf die Rechtmäßigkeit des Bescheides hätte auswirken können, wenn der Antragsteller detailliert dargelegt hätte, wie er über Belgien nach Deutschland eingereist ist, bleibt offen. Soweit mit diesem Vortrag auf systemische Mängel hingedeutet wird, ist darauf hinzuweisen, dass das Bestehen systemischer Mängel nicht von dem individuellen Schicksal des jeweiligen Asylbewerbers, sondern dem objektiven Vorliegen von über den Einzelfall hinausgehenden – eben systemischen – Mängeln abhängt.
20Weiterhin kann auch kein relevanter Verfahrensmangel aufgrund eines Verstoßes gegen Art. 5 Dublin III-Verordnung festgestellt werden. Zweck dieser Regelung ist ausweislich des Erwägungsgrundes 18 der Dublin III-Verordnung, die Bestimmung des für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats zu erleichtern. Der Antragsteller soll über die Anwendung der Dublin III-Verordnung und über die Möglichkeit informiert werden, bei dem Gespräch Angaben über die Anwesenheit von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung in den Mitgliedstaaten zu machen, um das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zu erleichtern. Das Bundesamt hat mit dem Antragsteller am 18. Januar 2016 ein persönliches Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens geführt. Es wurden von ihm alle Fragen beantwortet. Das Ziel der Bestimmung des für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats wurde erreicht. Es ist nicht ersichtlich, dass die gerügte Gesprächsdauer dazu geführt hat, dass der Antragsteller wesentliche Angaben nicht machen konnte. Vielmehr diente das erste Gespräch nur der Abklärung, ob überhaupt ein Dublin-Verfahren eingeleitet wird. Dem Antragsteller wurde dann nach der Feststellung der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates die Möglichkeit gegeben, in einem zweiten Gespräch hierzu – auch zu der Frage, ob es Gründe gibt, in einen bestimmten Mitgliedstaat nicht überstellt zu werden – Stellung zu nehmen. Der Antragsteller ist zu dieser Zweitbefragung jedoch nicht erschienen. Wie im Weiteren darzulegen sein wird, hat der Antragsteller auch im gerichtlichen Verfahren keine Umstände vorgetragen, die er mangels entsprechender Information im Rahmen der ersten Befragung nicht angebracht hat, bzw. die zu einer anderen Sachentscheidung des Bundesamtes hätten führen müssen oder können.
21Entgegen der Ansicht des Antragstellers hat das Bundesamt für das Wiederaufnahmegesuch das in Art. 23 Abs. 4 Dublin III-VO vorgeschriebene Standardblatt aus dem Anhang III der Durchführungsverordnung verwendet. Dass die Beantwortung der unter dem Punkt 11. im Standardformular angegebenen Frage vom Bundesamt in der Sektion Bemerkungen vorgenommen wird, steht dem nicht entgegen. Insbesondere wurde Belgien die relevante Information des Datums des Eingangs des Eurodac-Treffers ausdrücklich mitgeteilt.
22Der Antragsteller dringt auch nicht durch mit der Rüge, dass Belgien im Wiederaufnahmegesuch nicht mitgeteilt wurde, dass das vom Bundesamt angegebene Geburtsdatum ein fiktiv festgelegtes Datum ist. Unter Umständen kann der ersuchte Staat, um die Überprüfung der eigenen Zuständigkeit durchzuführen, darauf angewiesen sein, dass der ersuchende Staat ihm entsprechende Informationen, die dieser etwa im persönlichen Gespräch mit dem Asylbewerber (Art. 5 Dublin III-VO) gewonnen hat, zur Verfügung stellt. Derartige Informationspflichten sieht Art. 23 Abs. 4 Dublin III-VO für das Wiederaufnahmegesuch ausdrücklich vor. Ergänzend bestimmt Art. 34 Dublin III-VO als allgemeine Vorschrift über den Informationsaustausch, dass jeder Mitgliedstaat jedem anderen Mitgliedstaat, der dies beantragt, personenbezogene Daten über den Antragsteller, die sachdienlich und relevant sind und nicht über das erforderliche Maß hinausgehen, für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats, siehe Abs. 1 Buchst. a), übermittelt. Eine etwaige Fehlinformation oder unterlassene Information kann jedoch nur dann einen relevanten Verstoß gegen die Vorschriften der Dublin III-VO darstellen, wenn der ersuchende Staat dem ersuchten Staat die Möglichkeit nimmt, sich auf seine fehlende Zuständigkeit, beispielsweise aufgrund der Minderjährigkeit eines Antragstellers, zu berufen. Vorliegend kann schon nicht von einer derartigen Fehlinformation ausgegangen werden, da das Bundesamt tatsächlich der Ansicht war, dass der Antragsteller spätestens zu diesem Datum geboren wurde. Der Antragsteller hat dieses Datum im Rahmen seiner formellen Antragstellung am 22. Januar 2016 auch selbst angegeben bzw. durch seine Unterschrift bestätigt. Darüber hinaus lagen den belgischen Behörden eigene Erkenntnisse bezüglich des Geburtsdatums des Antragstellers vor, sodass auch bei der entsprechenden Information des Bundesamtes, dass der Antragsteller in Deutschland zunächst ein anderes Geburtsdatum angegeben hat, nicht von einer anderen Reaktion Belgiens ausgegangen werden kann. Zudem wäre es Belgien, auch wenn man das fiktive Geburtsdatum zugrunde legt, nicht benommen gewesen, sich auf seine fehlende Zuständigkeit zu berufen. Bei der vom Antragsteller vertretenen Ansicht der Versteinerung der Zuständigkeitskriterien nach Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO wäre der Antragsteller auch bei Zugrundelegung des fiktiven Geburtsdatum bei seiner Antragstellung in Belgien minderjährig gewesen und Deutschland nunmehr zuständig. Darüber hinaus folgt auch aus dem vom Antragsteller bei seiner Einreise in Deutschland angegebenen Geburtsdatum nicht der Übergang der Zuständigkeit auf Deutschland (s. unten). Im Ergebnis wurde Belgien somit nicht die Möglichkeit genommen, sich auf die eigene fehlende Zuständigkeit zu berufen. Darüber hinaus dient die Übermittlung der personenbezogenen Daten im Rahmen des Dublin-Verfahrens der Identifikation des Asylantragstellers. Diesem Zweck wäre auch die Übermittlung des vom Antragsteller in Deutschland angegebenen Geburtsdatums nicht gerecht geworden, da die belgischen Behörden ein anderes Geburtsdatum gespeichert haben.
23Ebenso wenig ergibt sich aus der Verwendung eines fiktiven Geburtsdatums ein rechtswidriger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG des Antragstellers, das den streitgegenständlichen Bescheid rechtswidrig erscheinen ließe. Zunächst ist schon nicht ersichtlich, welche – über einen Änderungsanspruch und die zuvor genannten Informationspflichten – hinausgehende Rechtsfolge die Speicherung eines falschen Geburtsdatums im Rahmen des Dublin-Verfahrens haben sollte. Darüber hinaus wurde das Geburtsdatum des 00.00.1996 vom Bundesamt zu Recht gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AsylG erhoben und der streitgegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt. Wie bereits dargelegt, hat der Antragsteller bei seiner formellen Asylantragstellung am 22. Januar 2016 selbst das Geburtsdatum 00.00.1996 angegeben bzw. dies durch seine Unterschrift bestätigt. Dass dieses Datum ursprünglich auf der Altersuntersuchung durch das Jugendamt der Stadt Bochum und der Festlegung des Alters durch die Zentrale Ausländerbehörde in Dortmund beruhte, ist für die formelle Rechtmäßigkeit des Bescheides unerheblich. Gemäß § 42f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII hat das Jugendamt im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme einer ausländischen Person gemäß § 42a SGB VIII deren Minderjährigkeit durch Einsichtnahme in deren Ausweispapiere festzustellen oder hilfsweise mittels einer qualifizierten Inaugenscheinnahme einzuschätzen und festzustellen. Aufgrund der Anzeichen, die gegen eine Minderjährigkeit des Antragstellers sprachen, hat das Jugendamt der Stadt Bochum von einer Inobhutnahme abgesehen. Das aus dieser Inaugenscheinnahme resultierende Geburtsdatum war dem Antragsteller spätestens mit Aushändigung der Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender bekannt, sodass es sich nicht um eine dem Antragsteller verheimlichte Speicherung eines abweichenden Geburtsdatums handelt. Der Umstand, dass die vom Jugendamt vorgenommene Altersfeststellung möglicherweise nicht den von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien entsprach, ist in Bezug auf die formelle Rechtmäßigkeit des vorliegenden Bescheides nicht relevant. Dass der Antragsteller gemäß § 42f Abs. 2 SGB VIII einen Antrag auf eine ärztliche Untersuchung gestellt hätte oder diese aufgrund von Zweifeln von Amts wegen zu veranlassen gewesen wäre, ist nicht ersichtlich. Überdies ist in der Akte des Bundesamtes weiterhin nachvollziehbar, dass der Antragsteller bei seiner Einreise den 00.00.1997 als Geburtsdatum angegeben hat und dass das Datum des 00.00.1996 ein fiktives Datum darstellt.
24Inwieweit es sich auf die Rechtmäßigkeit des Bescheides auswirkt, dass das Bundesamt – wie vom Antragsteller gerügt – im Wiederaufnahmegesuch keine Kopie der Anhörung vom 18. Januar 2016 übersandt hat, ist nicht ersichtlich. Ebenso wenig ist ein Verstoß gegen Art. 41 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) ersichtlich.
25Es liegt auch kein Fall vor, in dem es zum Schutz der Grundrechte des Antragstellers aufgrund einer unangemessen langen Verfahrensdauer der Antragsgegnerin verwehrt ist, sich auf die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats zu berufen. Nach der Rechtsprechung des EuGH hat der an sich nach der Dublin III-VO unzuständige Mitgliedstaat darauf zu achten, dass eine Situation, in der die Grundrechte des Asylbewerbers verletzt werden, nicht durch ein unangemessen langes Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats verschlimmert wird. Erforderlichenfalls muss er den Antrag nach den Modalitäten des Art. 17 Abs. 1 Unterabsatz 1 Dublin III-VO selbst prüfen,
26EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris Rn. 108.
27Zunächst erscheint bereits fraglich, ob diese Vorgaben des EuGH auch auf den zwischen der Meldung als Asylsuchender und der förmlichen Asylantragstellung liegenden Zeitraum anzuwenden sind. Denn die Entscheidung des EuGH bezog sich im konkreten Verfahren allein auf ein Aufnahmeersuchen nach Erstantragstellung im unzuständigen Mitgliedstaat und damit den Zeitraum ab dem förmlichen Verfahrensbeginn. Jedenfalls ist eine überlange Verfahrensdauer nicht ersichtlich. Dies liegt für den Zeitraum zwischen der förmlichen Asylantragstellung am 22. Januar 2016 und der Bescheidung knappe drei Monate später am 21. März 2016 auf der Hand. Auch für den Zeitraum, der zwischen der Meldung als Asylsuchender und der förmlichen Antragstellung vergangen ist, liegt im Ergebnis keine unangemessen lange Dauer des Verfahrens vor. Es ist zutreffend, dass zwischen der Meldung des Antragstellers als Asylsuchendem vom 6. November 2014 und seiner förmlichen Asylantragstellung am 22. Januar 2016 ein erheblicher Zeitraum von über einem Jahr liegt. Darüber hinaus lässt sich – wie der Antragsteller vorträgt – dem Verwaltungsvorgang des Bundesamtes nicht entnehmen, warum es zu dieser Verzögerung kam. Gleichzeitig ist damit jedoch auch nicht ersichtlich, ob der Antragsteller versucht hat, zu einem früheren Zeitpunkt persönlich beim Bundesamt vorzusprechen. Dies behauptet der Antragsteller nicht.
28Anhaltspunkte, ab wann von einer unangemessen langen Verfahrensdauer auszugehen ist, hat der EuGH nicht gegeben. Nach Auffassung des Gerichts ist insoweit zu berücksichtigen, dass die Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (im Folgenden: Richtlinie 2013/32/EU) und die Dublin III-VO nur für bestimmte Verfahrensschritte konkrete Fristen vorsehen, auch wenn sich unter anderem aus den Regelungen von Art. 20 Dublin III-VO und Art. 6 Richtlinie 2013/32/EU sowie Art. 41 Abs. 1 GR-Charta der Grundsatz der Beschleunigung für das Asylverfahren insgesamt ergibt. Es ist jedoch keine ausdrückliche Frist für die Zeit zwischen der Meldung als Asylsuchender und der Stellung eines förmlichen Asylantrags vorgesehen. Aus der vom Antragsteller zu seinen Gunsten angeführten Vorschrift des Art. 6 Abs. 1 Richtlinie 2013/32/EU ergibt sich keine Pflicht des Bundesamtes – und korrespondierend damit ein Anspruch des Antragstellers –, den förmlichen Asylantrag unverzüglich bzw. innerhalb einer bestimmten Frist nach Äußerung des Schutzersuchens anzunehmen. Die Bestimmungen des Art. 6 Abs. 1 Unterabsatz 1 und 2 sowie Abs. 5 Richtlinie 2013/32/EU regeln nach ihrem eindeutigen Wortlaut ausschließlich die Registrierung eines Antragstellers nach Äußerung eines materiellen Schutzersuchens. Die Registrierung eines Antragstellers ist jedoch, wie sich aus dem systematischen Zusammenhang der Vorschrift ergibt, zu unterscheiden von der förmlichen Antragstellung. Denn die förmliche Antragstellung ist in den Bestimmungen des Art. 6 Abs. 2 bis 4 Richtlinie 2013/32/EU gesondert geregelt. Dies belegt, dass nach der Konzeption der Verfahrensrichtlinie die Registrierung einerseits und die förmliche Antragstellung andererseits zwei unterschiedliche Verfahrensschritte sind. Aus den Fristen, die in den vorgenannten Bestimmungen für die Registrierung eines Antragstellers vorgesehen sind, ergibt sich daher nichts für die in Rede stehende förmliche Antragstellung.
29VG Düsseldorf, Beschluss vom 26. Juli 2016 – 6 L 2019/16.A –, juris.
30Der Antragsteller kann einen Anspruch, unverzüglich oder zumindest innerhalb einer bestimmten Frist einen förmlichen Schutzantrag beim Bundesamt als zuständiger Asylbehörde (vgl. Art. 2 Buchst. f) und Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU) stellen zu können, insbesondere auch nicht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 der Richtlinie 2013/32/EU ableiten. Nach dieser Bestimmung stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass eine Person, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, tatsächlich die Möglichkeit hat, diesen sobald wie möglich förmlich zu stellen.
31Vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 26. Juli 2016 – 6 L 2019/16.A –, juris.
32Unabhängig davon, ob der Antragsteller sich auf diese Richtlinie unmittelbar berufen kann, ist jedenfalls aber ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 Richtlinie 2013/32/EU nicht ersichtlich. Denn die Vorschrift bestimmt – wie dargelegt – lediglich, dass ein Antragsteller tatsächlich die Möglichkeit hat, den Antrag "sobald wie möglich" förmlich zu stellen. Mit dieser Wendung wird gerade die Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse in der Praxis ermöglicht, die der Einhaltung bestimmter Fristen zur förmlichen Antragstellung ggf. entgegenstehen können, wie z.B. eine starke Zunahme von Schutzersuchen und die damit einhergehenden Kapazitätsauslastungen der zuständigen Asylbehörde. Angesichts der allgemein bekannten Entwicklung der Asylantragstellerzahlen seit dem Jahr 2015 und der damit einhergehenden erheblichen Arbeitsüberlastung des Bundesamtes ist es diesem bei objektiver Betrachtung derzeit rein faktisch nicht möglich, eine zeitnahe Terminvergabe zur förmlichen Asylantragstellung zu gewährleisten.
33Vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 26. Juli 2016 – 6 L 2019/16.A –, juris.
34Der Antragsteller, der – laut der Übernahmeerklärung Belgiens nach Art. 18 Abs. 1 lit. d) Dublin III-VO und seinen eigenen Angaben – in Belgien bereits ein abgeschlossenes Asylverfahren durchlaufen hat, ist auch nicht durch den bloßen Zeitablauf zwischen der Meldung als Asylsuchendem und der förmlichen Asylantragstellung derart erheblich in seinen Verfahrensrechten verletzt, dass ihm eine Überstellung nach Belgien allein aus diesem Grunde unzumutbar wäre.
35Darüber hinaus ist anzumerken, dass auch wenn Verfahrensfehler grundsätzlich von der gerichtlichen Überprüfung erfasst sind und nach der Rechtsprechung des EuGH,
36Urteile vom 7. Juni 2016 – C-63/15 – und – C-155/15 –, juris,
37zumindest die fehlerhafte Anwendung eines in Kapitel III der Dublin III-VO festgelegten Zuständigkeitskriteriums subjektive Rechte begründet, dies nur für den Fall der Ergebnisrelevanz des jeweiligen Verfahrensfehlers gelten kann. Diese ist jedoch – wie zuvor dargelegt – jeweils nicht ersichtlich.
38Entgegen der Ansicht des Antragstellers war in Bezug auf mögliche Verfahrensfehler auch nicht das Verfahren auszusetzen und eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen. Dies gilt vorliegend bereits, da in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich keine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV besteht.
39Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschlüsse vom 19. Oktober 2006 – 2 BvR 2023/06 – und vom 29. November 1991 – 2 BvR 1642/91 –,juris.
40Art. 267 Abs. 3 AEUV (früher Art. 177 Abs. 3 EWGV) ist nach der Rechtsprechung des EuGH dahin auszulegen, dass ein einzelstaatliches Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, nicht verpflichtet ist, dem Gerichtshof eine Auslegungsfrage im Sinne von Absatz 1 dieses Artikels vorzulegen, wenn sich die Frage in einem Verfahren der einstweiligen Anordnung stellt und die zu erlassende Entscheidung das Gericht, dem der Rechtsstreit danach in einem Hauptsacheverfahren vorgelegt wird, nicht bindet, sofern es jeder Partei unbenommen bleibt, - auch vor den Gerichten eines anderen Gerichtszweigs – ein Hauptverfahren, in dem jede in summarischen Verfahren vorläufig entschiedene Frage des Gemeinschaftsrechts erneut geprüft werden und den Gegenstand einer Vorlage nach Art. 267 AEUV bilden kann, entweder selbst einzuleiten oder dessen Einleitung zu verlangen.
41EuGH, Urteile vom 24. Mai 1977, Rs. 107/76, Hoffmann-La Roche/Centrafarm, Slg. 1977 und vom 27. Oktober 1982, verbundene Rs. 35 und 36/82, Morson und Jhanjan/Niederländischer Staat, Slg. 1982, juris.
42Die Abschiebungsanordnung ist überdies materiell rechtmäßig. § 34a AsylG sieht vor, dass das Bundesamt, wenn der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat anordnet, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. In einem solchen Fall prüft die Antragsgegnerin den Asylantrag nicht, sondern ordnet die Abschiebung in den zuständigen Staat an (§ 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG).
43Nach den Zuständigkeitsvorschriften der Dublin III-VO ist Belgien der zuständige Staat für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers.
44Der Antragsteller hat sich nach seinen eigenen Angaben in der Befragung durch das Bundesamt vor der Einreise nach Deutschland am 30. Oktober 2014 und Asylantragstellung am 22. Januar 2016 ca. ein Jahr in Belgien aufgehalten und dort auch einen Asylantrag gestellt. Dies wird durch den am 27. Januar 2016 beim Bundesamt eingegangenen Eurodac-Treffer (BE1870103074291) bestätigt. Die Antragsgegnerin hat am 1. Februar 2016, und damit innerhalb der von Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO vorgesehenen Frist, Belgien um Wiederaufnahme des Antragstellers ersucht. Belgien hat auf dieses Ersuchen gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d) Dublin III-VO ausdrücklich am 2. Februar 2016 seine Zuständigkeit erklärt.
45Belgien ist daher gemäß Art. 29 Abs. 1 Unterabsatz 1 Dublin III-VO grundsätzlich verpflichtet, den Antragsteller innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Entscheidung über den vorliegenden Eilantrag wieder aufzunehmen.
46BVerwG, EuGH-Vorlage vom 27. April 2016 – 1 C 22/15 –, juris.
47Entgegen der Ansicht des Antragstellers ergibt sich die Zuständigkeit Deutschlands auch nicht aus der Regelung von Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO. Im Fall eines unbegleiteten Minderjährigen ist danach der Mitgliedstaat zuständiger Mitgliedstaat, in dem der unbegleitete Minderjährige seinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, sofern es dem Wohl des Minderjährigen dient. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist diese Vorschrift so zu verstehen, dass der Mitgliedstaat zuständig ist, in dem sich der Minderjährige gerade aufhält, auch wenn er bereits in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten einen Asylantrag gestellt hat.
48Vgl. EuGH, Urteil vom 6. Juni 2013 – C-648/11 –, juris.
49Der Antragsteller war jedoch im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der formalen Asylantragstellung in Deutschland kein Minderjähriger im Sinne der Art. 8 Abs. 4 und 2 lit. i) Dublin III-VO. Minderjähriger im Sinne der Legaldefinition von Art. 2 lit. i) Dublin III-VO ist ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser unter 18 Jahren.
50Zunächst ist festzuhalten, dass der Antragsteller schon nicht plausibel dargelegt hat, dass er im Zeitpunkt der Antragstellung in Belgien bzw. der Einreise nach Deutschland minderjährig war. Aus der Übernahmeerklärung Belgiens vom 2. Februar 2016 ergibt sich, dass er dort als Geburtsdatum den 00.00.1993 angegeben hat und somit im Zeitpunkt der dortigen Antragstellung am 9. Dezember 2013 bereits volljährig war. Bei der Einreise nach Deutschland am 30. Oktober 2014 gab der Antragsteller nunmehr als Geburtsdatum den 00.00.1997 an. Danach wäre er im Zeitpunkt der Einreise nach Deutschland und der Antragstellung in Belgien noch minderjährig gewesen. Die in Belgien gespeicherten Angaben des Monats und des Tages entsprechen den Angaben des Antragstellers bei der Einreise in Deutschland. Nur das Jahr wurde dort vom Antragsteller abweichend angegeben. Dies spricht dafür, dass es sich bei dem in Belgien gespeicherten Datum um ein tatsächlich vom Antragsteller angegebenes Geburtsdatum und nicht um eine Schätzung – wie beispielsweise beim 1. Januar eines Jahres – handelt. Die unterschiedlichen Angaben in Bezug auf das Geburtsjahr hat der Antragsteller im vorliegenden Verfahren nicht plausibilisiert. Dem Gericht liegen überdies keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller in Belgien veranlasst gewesen wäre, sich älter erscheinen zu lassen, als er tatsächlich war. Bei seiner Einreise nach Deutschland spricht jedoch vieles dafür, dass er, um die Vorteile einer Antragstellung als Minderjähriger im Dublin-Verfahren in Anspruch nehmen zu können, sein Alter nunmehr jünger angegeben hat. Darüber hinaus spricht für die Richtigkeit seines in Belgien angegebenen Geburtsdatums die Stellungnahme durch das Jugendamt der Stadt C. vom 3. November 2014. Auch wenn diese nicht den Untersuchungsanforderungen an eine konkrete Altersfeststellung genügt, lässt sie sich dennoch als weiteres Indiz hinzuziehen. Danach sprachen die Bewertung der Stimmlage, der Gesichtszüge, des Körperbaus sowie der Gesamteindruck, den der Antragsteller auf den Mitarbeiter des Jugendamtes machte, für seine Volljährigkeit im Zeitpunkt der Einreise nach Deutschland. Gegen diese Einschätzung spricht im Ergebnis auch nicht die erst im Gerichtsverfahren und ausschließlich in französischer Sprache vorgelegte Kopie der Geburtsurkunde des Antragstellers, die als Geburtsdatum den 00.00.1997 ausweist. Unabhängig davon, ob dieses französisch-sprachige Dokument zu Beweiszwecken im vorliegenden Verfahren geeignet ist, kann ihm keine erhebliche Bedeutung beigemessen werden. Denn nach den Angaben des Auswärtigen Amtes ist das amtliche Urkundswesen Guineas chronisch unzuverlässig. Es gebe eine Vielzahl gefälschter Urkunden und es existiere ein reger Dokumentenschwarzmarkt für Stempel und Urkundsmuster,
51Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Guinea vom 21. November 2015, Seite 13.
52Darüber hinaus ist auch das vom Antragsteller im Rahmen des förmlichen Asylantrags vom 22. Januar 2016 angegebene Geburtsdatum des 00.00.1996 ein Indiz dafür, dass er nicht zwingend an seiner vorherigen Angabe des 00.00.1997 festhalten wolle. Dies spricht ebenfalls für die Fehlerhaftigkeit dieses Datums.
53Überdies kann es dahinstehen, ob der Antragsteller bereits im Zeitpunkt seiner Antragstellung in Belgien volljährig war. Denn für die Zuständigkeitsbestimmung ist im Rahmen des Kriteriums der Minderjährigkeit auf den aktuellen förmlichen Asylantrag im jeweiligen Mitgliedstaat abzustellen. Selbst wenn man das vom Antragsteller bei seiner Einreise angegebene – und damit das für ihn im Zweifelsfall günstigste – Alter unterstellt, war er demnach im entscheidungserheblichen Zeitpunkt bereits volljährig.
54Das Kriterium der Minderjährigkeit unterfällt zunächst nicht der „Versteinerungsregel“ in Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO. Vielmehr ist das jeweils aktuelle Alter des Asylbewerbers bei Antragstellung für seine Einordnung und die Anwendung von Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO relevant. Nach Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO wird bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Zwar spricht der Wortlaut dieser Regelung dafür, dass alle im Kapitel III der Dublin III-VO genannten Kriterien der „Versteinerung“ unterfallen.
55Für die Anwendung der „Versteinerung“ VG Aachen, Beschluss vom 22. April 2015 – 5 L 15/15.A, juris und VG Düsseldorf, Beschluss vom 24. August 2016 – 12 L 2387/16.A n.V.; aA VG Minden, Beschluss vom 27. Januar 2015 – 10 L 820/14.A, juris; offen gelassen durch BVerwG, Urteil vom 16. November 2015 – 1 C 4/15 – und VG Würzburg, Beschluss vom 7. Januar 2016 – W 3 S 15.50392 –, juris.
56Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind jedoch bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden.
57EuGH, Urteile vom 6. Juni 2013 – C-648/11 –, vom 29. Januar 2009 – C-19/08 – und vom 23. Dezember 2009 – C-403/09 –, jeweils juris.
58Der Zusammenhang bzw. die Gesetzessystematik und die Ziele bzw. der Sinn und Zweck der verschiedenen Zuständigkeitskriterien sprechen vorliegend dafür, dass das Kriterium der Minderjährigkeit nicht unter die in Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO genannten Kriterien zu subsumieren ist. Das Kapitel III der Dublin III-VO enthält verschiedene Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats, wie die Minderjährigkeit (Art. 8 Dublin III-VO), das Vorhandensein von Familienangehörigen (Art. 9 bis 11 Dublin III-VO), die Ausstellung von Aufenthaltstiteln oder Visa (Art. 12 Dublin III-VO) und die Modalitäten der Einreise (Art. 12 bis 15 Dublin III-VO). Diese Kriterien lassen sich systematisch in Kriterien einteilen, die an den jeweiligen Mitgliedstaat oder die Person des Antragstellers anknüpfen. Erstere Kriterien dienen der Entscheidung über die Zuständigkeit zur Durchführung des Asylverfahrens aufgrund der Sachnähe des jeweiligen Mitgliedstaates. Die an die Person des Antragstellers anknüpfenden Merkmale – wie die Minderjährigkeit – dienen hingegen dem Schutz des Antragstellers. Bei der weiteren Auslegung ist in systematischer Hinsicht auf die in Kapitel II „Allgemeine Grundsätze und Schutzgarantien“, insbesondere in Art. 6 Dublin III-VO enthaltenen Garantien für Minderjährige abzustellen. Aus der Position dieses Artikels unter den allgemeinen Grundsätzen erschließt sich dessen Bedeutung auch für die Auslegung der folgenden Artikel. Art. 6 Dublin III-VO lassen sich verschiedene Verfahrensgarantien insbesondere für unbegleitete Minderjährige entnehmen, wie die Bestellung eines Vertreters (Abs. 2) und die Beschäftigung von geeignet geschultem Personal für die besonderen Bedürfnisse Minderjähriger (Abs. 4 Unterabsatz 3). Auch aus Art. 12 Abs. 3 der Durchführungsverordnung ergeben sich besondere Verfahrensgarantien für Minderjährige, wie der Umstand, dass das persönliche Gespräch nach Art. 5 Dublin III-VO im Beisein des in Art. 6 Abs. 2 Dublin III-VO genannten Vertreters zu führen ist. Sämtliche zuvor genannte Vorschriften implizieren, dass die Bearbeitung des Antrages eines unbegleiteten Minderjährigen besonderer Schutzvorkehrungen und Hilfestellungen bedarf, die jedoch auch mit Rücksicht auf die nicht gewünschte Bevormundung eines erwachsenen Antragstellers nur dann Anwendung finden können, wenn dem Mitarbeiter des jeweiligen Mitgliedstaates auch tatsächlich ein minderjähriger Antragsteller gegenüber sitzt. Die sich in systematischer Hinsicht ergebende Orientierung an der tatsächlichen Notwendigkeit des Schutzes eines Minderjährigen lässt sich auch auf die Kriterien der Zuständigkeitsbestimmung übertragen. So verweist Art. 6 Abs. 4 Unterabsatz 1 Dublin III-VO ausdrücklich im Rahmen der Ermittlung von Familienangehörigen auf den Zweck der Durchführung des Art. 8 Dublin III-VO und verdeutlicht damit eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Schutz des tatsächlich Minderjährigen und dem Verfahren der Zuständigkeitsbestimmung.
59Ebenso ist nach dem Sinn und Zweck der Zuständigkeitskriterien davon auszugehen, dass nur solche Kriterien von der Versteinerungsklausel erfasst sind, die an die Mitgliedstaaten anknüpfen, wie beispielsweise die Erteilung eines Aufenthaltstitels oder eines Visums bzw. die Grenzüberschreitung, da hiervon unmittelbar die Sachnähe zur Durchführung des Asylverfahrens abgeleitet werden kann. Das Kriterium der Minderjährigkeit hingegen dient allein dem Schutz des Minderjährigen und kann deswegen auch nur so lange von Relevanz sein, wie es tatsächlich erfüllt ist. So ergibt sich aus Art. 6 Abs. 1 Dublin III-VO, dass das Wohl des Kindes in allen Verfahren, die in dieser Verordnung vorgesehen sind, eine vorrangige Erwägung der Mitgliedstaaten ist. Darüber hinaus lässt sich dem Erwägungsgrund 13 der Dublin III-VO entnehmen, dass für unbegleitete Minderjährige gerade aufgrund ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit spezielle Verfahrensgarantien festgelegt werden. Zu diesen Verfahrensgarantien gehört auch der Umstand, dass der Mitgliedstaat für das Asylverfahren des Minderjährigen zuständig ist, in dem er sich gerade aufhält, unabhängig von der Zahl bzw. dem Status der bereits gestellten Anträge in anderen Mitgliedstaaten. Denn das Wohl des Minderjährigen steht insoweit über dem Gesichtspunkt, dass die einmal festgelegte Zuständigkeit grundsätzlich nicht mehr geändert werden soll. So hat der EuGH in seiner Entscheidung zur Auslegung des Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO in seinem Urteil
60vom 6. Juni 2013 – C-648/11 –, juris,
61maßgeblich auf das Ziel des Schutzes der unbegleiteten Minderjährigen abgestellt, die zu einer Kategorie besonders gefährdeter Personen gehörten und deswegen von der Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat auszunehmen seien. Vorliegend greifen diese am Schutzziel orientierten Auslegungsgründe jedoch nicht mehr. Denn ab dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller nicht mehr in diese schutzbedürftige Gruppe hineinfällt, besteht kein Grund mehr dafür, ihn gesondert zu behandeln und von dem Überstellungsverfahren auszunehmen. Vor dem Hintergrund, dass die Dublin III-VO grundsätzlich dem Zweck dient, den Asylantrag nur in einem einzigen Staat zu prüfen, Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO,
62vgl. EuGH, Urteil vom 6. Juni 2013 – C-648/11 –, juris,
63kann die Möglichkeit, Folgeanträge oder sonstige weitere Anträge in allen Mitgliedstaaten zu stellen und den Mitgliedstaat auf die inhaltliche Prüfung der Voraussetzungen des Wiederaufgreifens eines Verfahrens zu verweisen, nur für den Fall der tatsächlich noch bestehenden Minderjährigkeit von Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO erfasst sein.
64Auch unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten im Sinne von Art. 21 GR-Charta erscheint die Versteinerung des Kriteriums der Minderjährigkeit und damit einer Ungleichbehandlung von zwei volljährigen Asylbewerbern, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten in das Gebiet der Mitgliedstaaten eingereist sind, nicht sachgerecht. Es liegt jedenfalls nicht auf der Hand, dass ein 18-jähriger Asylantragsteller als weniger schutzwürdig zu behandeln ist als ein 25-jähriger, der mit 17 Jahren seinen ersten Antrag in einem Mitgliedstaat gestellt hat.
65Allein die Tatsache, dass ein Asylbewerber als Minderjähriger eingereist ist, spricht nicht maßgeblich für seine besondere Schutzbedürftigkeit auch im Erwachsenenalter, zumal gerade die Schutzvorkehrungen für unbegleitete Minderjährige, wie die Inobhutnahme durch das Jugendamt, einen Ausgleich dieser erhöhten Verletzlichkeit darstellen sollen.
66Für die Feststellung der Minderjährigkeit kommt es auf den Zeitpunkt der förmlichen Asylantragstellung in Deutschland an. Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist demgegenüber nicht auf den Zeitpunkt seiner Einreise nach Deutschland bzw. seine Meldung als Asylsuchender abzustellen.
67Vgl. VG Würzburg, Beschluss vom 7. Januar 2016 – W 3 S 15.50392 –, juris.
68Gemäß dem Wortlaut von Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO ist der Mitgliedstaat zuständiger Mitgliedstaat, in dem der unbegleitete Minderjährige seinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat. Gemäß der Legaldefinition in Art. 2 lit. b) bezeichnet der Ausdruck „Antrag auf internationalen Schutz“ einen Antrag im Sinne des Art. 2 lit. h) der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011. Danach ist ein Antrag auf internationalen Schutz das Ersuchen eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen um Schutz durch einen Mitgliedstaat, wenn davon ausgegangen werden kann, dass der Antragsteller die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder die Gewährung des subsidiären Schutzstatus anstrebt, und wenn er nicht ausdrücklich um eine andere, gesondert zu beantragende Form des Schutzes außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Richtlinie ersucht. Der Wortlaut ist nicht eindeutig dahin gehend, ob mit dem dort genannten Antrag der materielle Asylantrag bei gleich welcher Behörde oder der formelle Asylantrag bei der für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Behörde gemeint ist. Wie bereits dargelegt, sind für die Auslegung der europäischen Normen neben dem Wortlaut auch deren Systematik und Ziele heranzuziehen.
69Grundsätzlich ist der Regelung des Art. 6 Abs. 2 Richtlinie 2013/32/EU zu entnehmen, dass auch die Richtlinien zwischen dem materiellen Antrag auf internationalen Schutz und dem förmlichen Antrag auf internationalen Schutz unterscheiden (s. oben). Aus Art. 6 Abs. 3 Richtlinie 2013/32/EU ergibt sich jedoch ebenfalls, dass unbeschadet des Absatzes 2 die Mitgliedstaaten verlangen können, dass Anträge auf internationalen Schutz persönlich und an einem bestimmten Ort gestellt werden. Von dieser Möglichkeit hat die Antragsgegnerin in §§ 14 Abs. 1 Satz 1, 23 Abs. 1 AsylG Gebrauch gemacht. Von einer Antragstellung im Sinne einer verfahrenseinleitenden Maßnahme im Sinne des Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO ist damit erst im Zeitpunkt der persönlichen Antragstellung beim Bundesamt auszugehen.
70Darüber hinaus zeigt die Legaldefinition des Begriffs „Antrag auf internationalen Schutz“, dass bei der Beurteilung, ob ein „Antrag auf internationalen Schutz“ in diesem Sinne vorliegt, das inhaltliche Begehren des Antragstellers zu berücksichtigen ist; dies wird jedoch nicht schon dann im Einzelnen benannt und seitens der Antragsgegnerin in rechtlicher Hinsicht zur Kenntnis genommen und entsprechend eingeordnet, wenn sich ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser erstmals – gleich bei welcher Behörde oder Institution – als Asylsuchender meldet. Vielmehr wird dieses Begehren erst bei der Antragstellung i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 1 AsylG bei der Außenstelle des Bundesamtes aufgenommen und konkretisiert, die der für die Aufnahme des Ausländers zuständigen Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist (vgl. hierzu auch § 23 Abs. 1 und § 24 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
71Vgl. VG Würzburg, Beschluss vom 7. Januar 2016 – W 3 S 15.50392 –, juris.
72Auch dem Sinn und Zweck der Verfahrensgarantien zum Schutz des Minderjährigen lässt sich entnehmen, dass sie ab dem Zeitpunkt eingreifen, in dem das förmliche Verfahren von der zuständigen Behörde, dem Bundesamt, aufgenommen wird. Sonstige, dem Schutz des Minderjährigen dienende Vorkehrungen, wie die Inobhutnahme durch das Jugendamt, sind von diesem Zeitpunkt unabhängig, sodass der Schutz des Minderjährigen hinreichend gewahrt ist. Etwas anderes kann nur gelten, wenn der Mitgliedstaat den Asylbewerber rechtsmissbräuchlich in die Volljährigkeit hat herein wachsen lassen. Davon ist jedoch vorliegend nicht auszugehen, da die Altersuntersuchung des Antragstellers bereits im Zeitpunkt seiner Einreise nach Deutschland durchgeführt wurde und das Jugendamt der Stadt C. und die Zentrale Ausländerbehörde der Stadt E. davon ausgingen, dass der Antragsteller bereits zu diesem Zeitpunkt volljährig war. Eine gesonderte Behandlung des Antragstellers dahingehend, dass seine formelle Asylantragstellung beim Bundesamt bevorzugt vorzunehmen war, musste daher nicht erfolgen.
73Von der Vorlage der vorgenannten Auslegungsfragen an den EuGH wurde im Rahmen des Eilverfahrens aus den bereits im Rahmen der formellen Rechtmäßigkeit ausgeführten Erwägungen und zur Beschleunigung des Eilverfahrens verzichtet.
74Die Antragsgegnerin ist auch nicht deswegen an der Überstellung des Antragstellers nach Belgien gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO gehindert, weil das belgische Asylsystem systemische Mängel im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofs aufweist,
75EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris Rn. 83 ff., 99; Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413.
76Die Voraussetzungen, unter denen das nach der zitierten Rechtsprechung,
77EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris Rn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413,
78und der Regelung des Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO der Fall wäre, liegen nicht vor. Danach ist die im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem grundsätzlich bestehende Vermutung, dass jeder Mitgliedstaat ein sicherer Drittstaat ist und die Grundrechte von Asylbewerbern einschließlich des Refoulement-Verbots hinreichend achtet, nicht unwiderleglich. Vielmehr hat eine Überstellung in einen Mitgliedstaat zu unterbleiben, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder entwürdigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der GR-Charta implizieren,
79EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris Rn. 86.
80Systemische Mängel in diesem Sinne können erst angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Art. 4 Gr-Charta bzw. Art. 3 der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) entsprechenden Gravität nicht nur in Einzelfällen, sondern strukturell bedingt, eben systemisch vorliegen. Diese müssen dabei aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein. In der Diktion des Europäischen Gerichtshofs dürfen diese systemischen Mängel dem überstellenden Mitgliedstaat nicht unbekannt sein können,
81EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris Rn. 94.
82Diese Voraussetzungen sind für Belgien nicht erfüllt. Auch nach Auswertung der vom Antragsteller angeführten Erkenntnismittel liegen keine Umstände vor, aus denen sich systemische Mängel im Asylverfahren oder den Aufnahmebedingungen Belgiens ergeben. Für den Antragsteller ist dabei – wie sich sowohl aus der Übernahmeerklärung Belgiens als auch seinen eigenen Ausführungen ergibt – auf die Situation eines in Belgien bereits abgelehnten Asylbewerbers im Dublin-Verfahren abzustellen.
83Grundsätzlich kann der Umstand, dass ein Antragsteller ohne Schutzstatus vollständig auf sich gestellt ist und überhaupt keine Unterkunft, medizinische Versorgung, Zugang zu Nahrungsmitteln etc. erhält, eine unmenschliche Behandlung darstellen,
84vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 -, juris; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 1. März 2012 - 1 B 234/12.A -, juris.
85Im Fall des Antragstellers als abgelehntem Asylbewerber handelt es sich hierbei aber nicht um systemische Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen im oben geschilderten Sinne. Denn anders als vom hauptsächlichen Anwendungsbereich der Dublin-Verordnungen erfasst, ist das Asylverfahren des Antragstellers in Belgien bereits abgeschlossen, wenn auch erkennbar mit einem vom Antragsteller nicht erwünschten Ergebnis. Ist der Asylantrag des Antragstellers aber abgelehnt worden, folgt daraus für den Antragsteller die Ausreisepflicht,
86vgl. Generalkommissariat für Flüchtlinge und Staatenlose, Asyl in Belgien, 2010, S. 11.; Asylum Information Database (aida) Country Report: Belgium, Stand Dezember 2015, S. 58 ff.
87Die "Einstellung der Versorgung" stellt sich in einem solchen Fall nicht als eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung dar,
88vgl. VG Düsseldorf, Beschlüsse vom 23. Juli 2013 - 25 L 1342/13.A -, n.v. und vom 26. Februar 2014 – 13 L 254/14.A –, juris.
89Dies gilt mit Blick auf Belgien umso mehr, als abgelehnten Asylbewerbern in der Regel nach der Ablehnung des Asylantrags eine Rückkehrbegleitung angeboten wird und im Rahmen des Konzepts des sogenannten „return tracks“ die freiwillige Ausreise vor der Zwangsabschiebung gefördert wird,
90vgl. auch aida, a.a.O. S. 59.
91Den Antragstellern steht auch die Möglichkeit zu, binnen 30 Tagen „Berufung“ gegen die ablehnende Bescheidung ihres Asylantrags einzulegen, der aufschiebende Wirkung zukommt.
92aida, a.a.O. S. 23; Generalkommissariat für Flüchtlinge und Staatenlose a.a.O. S. 11.
93Aus dem vorzitierten aida Bericht ergibt sich zudem, dass zwar grundsätzlich abgelehnten Asylbewerbern keine Unterstützungsleistungen mehr gewährt werden. Dieser Grundsatz erfährt jedoch zahlreiche Ausnahmen. Das Recht auf Unterstützungsleistungen besteht zunächst bis zum Ablauf der Ausreisefrist, unabhängig davon, ob der abgelehnte Asylbewerber sich an der Möglichkeit der freiwilligen Ausreise beteiligt oder nicht. Für den Fall des eingelegten Rechtsmittels verlängert sich die Leistungsgewährung, wenn die Berufung vom Rat für Ausländersachen als zulässig erklärt wird. Darüber hinaus wird aus humanitären und anderen Gründen, beispielsweise, wenn es einem abgelehnten Asylbewerber krankheitsbeding oder aus sonstigen, nicht auf bloßem Unwillen beruhenden Gründen unmöglich ist, in sein Heimatland zurück zu reisen, die Leistungsgewährung verlängert. Warum dem Antragsteller eine Rückkehr nach Guinea – als Folge des abgelehnten Asylantrags – nicht möglich ist, trägt der Antragsteller nicht vor und ist auch sonst nicht ersichtlich. Dies kann jedoch auch dahinstehen, da sich aus dem zuvor Gesagten ergibt, dass im Falle der begründeten Unmöglichkeit der Rückreise auch in Belgien weiterhin Leistungen gewährt werden.
94Zwar ist es zutreffend, dass im Fall eines Folgeantrags zunächst kein Anspruch auf Leistungen besteht. Jedoch gilt dies nur solange, bis die zuständige belgische Verwaltungsbehörde den Antrag wieder in Betracht zieht oder ohnehin ein Antrag auf Verlängerung der Aufnahme des Antragstellers anhängig ist. Dies nimmt nach der vorliegenden Auskunft nur eine sehr kurze Zeit in Anspruch,
95vgl. aida, a.a.O. S. 60,
96und kann für sich genommen noch keinen systemischen Mangel des belgischen Asylsystems begründen.
97Entgegen der Ansicht des Antragstellers besteht für den Umfang der aus Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK abgeleiteten Verantwortung eines aufnehmenden Staates gegenüber einem Asylbewerber auch durchaus ein Unterschied, ob sich dieser berechtigt während des Asylverfahrens im Land aufhält, oder ob dieser ausreisepflichtig und ihm die Ausreise auch möglich ist.
98Der Antragsteller gehört darüber hinaus als in Belgien bereits registrierter und abgelehnter Asylbewerber nicht mehr zu der Gruppe von Asylbewerbern, die aufgrund der erhöhten Ankunftszahlen von Flüchtlingen in Belgien auf eine Registrierung warten und zeitweise obdachlos sind. Die diesbezüglichen Berichte,
99vgl. Pro Asyl, Fachpolitischer Newsletter Nr. 221 „Belgien: Eingeschränkter Zugang zu Schutz und Obdachlosigkeit von Asylsuchenden vom 31. Januar 2016 und Ecre’s Weekly Bulletin zu den Entwicklungen in Belgien vom 4. Dezember 2015,
100dass Asylbewerbern der Zugang zur Registrierung und damit zum Asylverfahren aufgrund von Kapazitätsengpässen zeitweise verwehrt werde und diese – unter anderem unbegleitete Minderjährige und Familien – einige Tage auf der Straße leben mussten, betreffen den Antragsteller in seiner Situation nicht mehr. Unabhängig von der Tatsache, dass der Antragsteller von dieser Situation nicht mehr betroffen ist, kann auch nicht aus dem in den zuvor zitierten Berichten gerügten Verstoß gegen die zeitlichen Vorgaben der Registrierung aus Art. 6 Richtlinie 2013/32/EU auf das Vorliegen systemischer Mängel geschlossen werden. Denn nicht jeder Rechtsverstoß gegen europäische Rechtsvorschriften stellt eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung dar.
101Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. Januar 2015 - 14 A 134/15.A -, juris, Rz. 15.
102Der Antragsteller ist grundsätzlich gehalten, seine bestehenden Rechte selbstständig wahrzunehmen und – ggf. mit anwaltlicher Hilfe oder der Unterstützung durch in Belgien tätige Flüchtlingsorganisationen – durchzusetzen. Dass der Antragsteller über entsprechende Handlungskompetenzen verfügt, hat er während seines bisherigen Aufenthalts in Deutschland bewiesen.
103Ebenso wenig liegt ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK vor. Hiernach ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist. Sie ist dann aus rechtlichen Gründen unmöglich, wenn sie unzumutbar in eine durch Art. 8 EMRK geschützte Beziehung eingreift. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens. Soweit sich der Antragsteller auf seine Integration in Deutschland beruft, kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine Abschiebung des Antragstellers nach Belgien im Rahmen des Dublin Verfahrens einen Verstoß gegen Art. 8 EMRK darstellt.
104Das Recht auf Achtung des Privatlebens im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK ist weit zu verstehen und umfasst seinem Schutzbereich nach unter anderem das Recht auf Entwicklung der Person und das Recht darauf, Beziehungen zu anderen Personen und der Außenwelt anzuknüpfen und zu entwickeln,
105vgl. EGMR (Große Kammer), Urteil vom 13. Februar 2003 – 42326/98 –, NJW 2003, 2145; OVG NRW, Beschluss vom 21. Juli 2005 – 19 B 939/05 –, juris,
106und damit auch die Gesamtheit der im Land des Aufenthalts gewachsenen Bindungen.
107Ein Eingriff in das von Art. 8 EMRK geschützte Privat- und Familienleben durch Versagung des Aufenthalts für einen Ausländer setzt jedoch zunächst voraus, dass sein Privat- oder Familienleben in dem betreffenden Land fest verankert ist und sich nicht auf eine lose Verbindung beschränkt.
108BVerwG, Urteil vom 03. Juni 1997 – 1 C 18/96 –, juris.
109Dass dies bei dem Antragsteller, der sich seit Ende Oktober 2014 – also noch keine zwei Jahre – in Deutschland aufhält, aufgrund des Beginns einer Bäckerausbildung im März diesen Jahres der Fall ist, ist nicht hinreichend ersichtlich. Überdies hatte sich der Antragsteller auch in Belgien bereits fast ein Jahr aufgehalten.
110Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Absatz 1 VwGO, § 83b AsylG.
111Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Absatz 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).
112Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
Tenor
Der Antrag und der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt X. aus N. werden abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2Der am 28. Januar 2014 sinngemäß anhängig gemachte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 13 K 500/14.A gegen Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20. Januar 2014 anzuordnen,
4zu deren Entscheidung der Einzelrichter gemäß § 76 Abs. 4 AsylVfG berufen ist, hat keinen Erfolg. Er ist zulässig, bleibt aber in der Sache erfolglos.
5Der hier gestellte Antrag nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist statthaft, da nach § 34a Abs. 2 Satz 1 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) in seiner durch Artikel 1 Nr. 27 b) des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013, BGBl. I S. 3474, geänderten und nach § 77 Abs. 1 AsylVfG hier auch zu beachtenden Fassung solche Eilanträge gegen die Abschiebungsandrohung nunmehr zugelassen sind und der in der Hauptsache erhobenen Klage nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nummer 3 VwGO i.V.m. § 75 Satz 1 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung zukommt.
6Der Antragsteller hat den Eilantrag auch innerhalb von einer Woche nach Bekanntgabe des angegriffenen Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 20. Januar 2014 und damit fristgerecht im Sinne von § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG gestellt. Der auf die Unzulässigkeit des Asylantrags gemäß § 27a AsylVfG gestützte Bescheid wurde am 22. Januar 2014 gemäß § 31 Abs. 1 Satz 4 AsylVfG dem Antragsteller persönlich zugestellt. Am 28. Januar 2014 hat er Klage erhoben und den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gestellt.
7Der Antrag hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
8Das Gericht folgt der bislang zu § 34a Abs. 2 AsylVfG n.F. ergangenen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nicht erst bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes erfolgen darf, wie dies in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unzulässig oder unbegründet gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG vom Gesetzgeber vorgegeben ist. Eine derartige Einschränkung der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis hat der Gesetzgeber für die Fälle des § 34a Abs. 2 AsylVfG gerade nicht geregelt. Eine solche Gesetzesauslegung entspräche auch nicht dem Willen des Gesetzgebers, denn eine entsprechende Initiative zur Ergänzung des § 34a Abs. 2 AsylVfG n.F. fand im Bundesrat keine Mehrheit;
9vgl. hierzu bereits mit ausführlicher Darstellung des Gesetzgebungsverfahrens Verwaltungsgericht Trier, Beschluss vom 18. September 2013 – 5 L 1234/13.TR -, juris Rn 5 ff. m.w.N.; Verwaltungsgericht Göttingen, Beschluss vom 17. Oktober 2013 – 2 B 844/13 -, juris Rn 3 f. Siehe auch bereits Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 7. Januar 2014 - 13 L 2168/13.A -.
10Die danach vorzunehmende Abwägung des öffentlichen Vollzugsinteresses der Antragsgegnerin mit dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers hat sich maßgeblich ‑ nicht ausschließlich ‑ an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu orientieren, wie diese sich bei summarischer Prüfung im vorliegenden Verfahren abschätzen lassen. Diese Interessenabwägung fällt vorliegend zu Lasten des Antragstellers aus, denn der angefochtene Bescheid des Bundesamtes begegnet nach diesen Maßstäben keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
11Das Bundesamt hat den Asylantrag des Antragstellers zu Recht als unzulässig abgelehnt und geht von der Zuständigkeit Belgiens für dessen Prüfung aus. Gemäß § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. In einem solchen Fall prüft die Antragsgegnerin den Asylantrag nicht, sondern ordnet die Abschiebung in den zuständigen Staat an (§ 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG).
12Die angegriffene Entscheidung ist formell rechtmäßig ergangen. Insbesondere hat das Bundesamt den Sachverhalt in einer dem § 24 AsylVfG genügenden Weise aufgeklärt und den Antragsteller in einer dem § 25 AsylVfG genügenden Weise angehört. Allerdings unterliegt das Bundesamt in Verfahren, in denen es die Unzulässigkeit des Asylantrags wegen der Zuständigkeit eines anderen Staates zu dessen Prüfung annimmt (§ 27a AsylVfG), nur einer beschränkten Anhörungspflicht. Es ist nur verpflichtet, die in § 25 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 AsylVfG beschriebenen Umstände zu ermitteln bzw. zu ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Mit Kenntnis dieser Umstände kann das Bundesamt bereits die Entscheidung über den zuständigen Mitgliedstaat bzw. die ggf. zu unterbleibende Abschiebung dorthin treffen. Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um Angaben zu Wohnsitzen, Reisewegen, Aufenthalten und Asylantragstellungen in anderen Staaten sowie zu sonstigen Tatsachen und Umständen, die einer Abschiebung oder einer Abschiebung in einen bestimmten Staat – hier der nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (im Folgenden: Dublin II-VO) zur Prüfung des Asylantrags zuständige Staat – entgegen stehen. Hingegen bedarf es in diesem Verfahrensstadium nicht der Kenntnis der von § 25 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG genannten Tatsachen, die die Furcht des Asylbewerbers vor politischer Verfolgung begründen. Die nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO durchzuführende Prüfung des Asylantrags umfasst gemäß Art. 2 Buchstabe c Dublin II-VO auch die Prüfung des Antrags auf Gewährung internationalen Schutzes im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, sodass diesbezüglich relevante Umstände erst von dem nach der Dublin II-VO zuständigen Staat zu prüfen sind.
13Vor diesem Hintergrund hatte der Antragsteller im Rahmen der am 18. November 2013 durchgeführten Anhörung ausreichend Gelegenheit, auf alle maßgeblichen Umstände hinzuweisen. Dies entspricht zunächst seiner Mitwirkungspflicht gemäß § 25 Abs. 2 AsylVfG. Zudem wurde er bei der Anhörung ausdrücklich nach Visa, Aufenthalten und Asylantragstellungen in anderen Staaten, Familienangehörigen, für die in einem anderen Staat der Flüchtlingsstatus anerkannt worden sei, sowie danach gefragt, ob er Einwände dagegen habe, dass sein Asylantrag in Belgien geprüft werde.
14Anders als vom Antragsteller angenommen, liegt auch kein Verstoß gegen Art. 5 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (im Folgenden: Dublin III-VO) vor. Zunächst findet diese Vorschrift ohnehin nicht auf den vor dem 1. Januar 2014 gestellten Asylantrag des Antragstellers Anwendung (s. unten). Sodann ist den Anforderungen des Art. 5 Dublin III-VO mit der Anhörung am 18. November 2013 genüge getan. Dort sind die nach Art. 5 Abs. 1 i.V.m. Art. 4 Dublin III-VO maßgeblichen Umstände, zu denen auch nach diesen Vorschriften nicht das Verfolgungsschicksal, sondern allein die zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats erforderlichen Umstände gehören, hinreichend zur Sprache gekommen.
15Die angegriffene Entscheidung ist auch materiell rechtmäßig. Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Dublin II-VO. Diese findet auf den Asylantrag des Antragstellers Anwendung, obwohl gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung – bzw. in Eilverfahren auf den Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen ist und die Nachfolgevorschrift der Dublin II-VO, die Dublin III-VO, bereits am 19. Juli 2013 in Kraft getreten ist. Denn gemäß Art. 49 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO bleibt die Dublin II-VO anwendbar für Asylanträge, die vor dem 1. Januar 2014 gestellt werden. Anderes gilt allenfalls im Falle von Gesuchen um Aufnahme oder Wiederaufnahme, die ab dem 1. Januar 2014 gestellt werden (Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO), was hier jedoch nicht der Fall ist.
16Vgl. bereits VG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Februar 2014 – 13 L 2428/13.A, juris Rn. 13 = NRWE.
17Nach den Vorschriften der Dublin II-VO ist Belgien der zuständige Staat für die Prüfung des durch den Antragsteller gestellten Asylantrags. Nach einem Eurodac-Treffer unter dem 26. April 2013 und einem an das Königreich Belgien gerichteten Wiederaufnahmeersuchen der Antragsgegnerin vom 2. Dezember 2013 wurde die Übernahme unter dem 11. Dezember 2013 unter Bezugnahme auf Art. 16 Abs. 1 Buchstabe e Dublin II-VO akzeptiert. Gemäß Art. 20 Abs. 1 Buchstabe d Dublin II-VO ist Belgien damit verpflichtet, den Antragsteller spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Antrags auf Wiederaufnahme durch einen anderen Mitgliedstaat oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, wieder aufzunehmen. Diese Frist ist noch nicht abgelaufen. Dass der Antragsteller bei der Anhörung am 18. November 2013 ohne weitere Erläuterung angegeben hat, nicht in Belgien gewesen zu sein, ist angesichts des positiven Eurodac-Treffers sowie der durch Belgien erklärten Bereitschaft zur Übernahme nicht nachvollziehbar, zumal der Antragsteller in der Antragsschrift vom 28. Januar 2014 selbst von seiner Behandlung „seit der Ablehnung des Asylantrags in Belgien“ spricht (dort S. 13, Blatt 37 der Gerichtsakte).
18Der Überstellung nach Belgien steht auch nicht entgegen, dass zwischen der Antragstellung am 24. April 2013 und der Stellung des Übernahmeersuchens am 2. Dezember 2013 gut sieben Monate vergangen sind. Fristvorgaben enthält die Dublin II-VO insoweit allein für Aufnahmeersuchen (Art. 17 Abs. 1 Dublin II-VO), also Ersuchen, die darauf gerichtet sind, dass der erstmalige Asylantrag von einem anderen Mitgliedstaat geprüft werde. Wird wie hier nach der Stellung eines Asylantrags in einem anderen Mitgliedstaat (Belgien) ein weiterer Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland gestellt und ersucht die Antragsgegnerin daraufhin den Staat der ersten Asylantragstellung um Übernahme des Asylbewerbers, handelt es sich um ein Wiederaufnahmeersuchen nach Art. 20 Dublin II-VO, das nicht der Fristregelung des Art. 17 Dublin II-VO unterfällt.
19Vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Februar 2013 – 17 L 150/13.A –, juris Rn. 40; VG Regensburg, Beschluss vom 5. Juli 2013 – RN 5 S 13.30273 –, juris Rn. 24; VG Berlin, Beschluss vom 7. Oktober 2013 – 33 L 403.13 A –, juris Rn. 8.
20Es liegt auch kein Fall vor, in dem es zum Schutz der Grundrechte des Antragstellers aufgrund einer unangemessen langen Verfahrensdauer der Antragsgegnerin verwehrt ist, sich auf die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats zu berufen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hat der an sich nach der Dublin II-VO unzuständige Mitgliedstaat darauf zu achten, dass eine Situation, in der die Grundrechte des Asylbewerbers verletzt werden, nicht durch ein unangemessen langes Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats verschlimmert wird. Erforderlichenfalls muss er den Antrag nach den Modalitäten des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO selbst prüfen.
21EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris Rn. 108.
22Diese Vorgabe ist nach Auffassung des Gerichts auch bei Wiederaufnahmeersuchen nach Art. 20 Dublin II-VO zu beachten, auch wenn sich der Europäische Gerichtshof im konkreten Verfahren allein auf ein Aufnahmeersuchen nach Erstantragstellung im unzuständigen Mitgliedstaat bezog. Denn die grundrechtliche Belastung, welche durch die unangemessen lange Verfahrensdauer entsteht, dürfte in beiden Fällen vergleichbar sein.
23Vgl. VG Göttingen, Beschluss vom 11. Oktober 2013 – 2 B 806/13 –, juris Rn. 10. A. A. VG Berlin, Beschluss vom 24. Oktober 2013 – 33 L 450.13 A –, juris Rn. 8.
24Anhaltspunkte, ab wann von einer unangemessen langen Verfahrensdauer auszugehen ist, hat der Europäischen Gerichtshof nicht gegeben. Nach Auffassung des Gerichts ist insoweit aber zunächst zu berücksichtigen, dass schon die Regelung des Art. 17 Dublin II-VO für Aufnahmeersuchen und nunmehr auch Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO für Wiederaufnahmeersuchen eine regelmäßige Frist von zwei bzw. drei Monaten vorsieht. Deren Überschreiten kann dabei nicht gleichgesetzt werden mit der vom Europäischen Gerichtshof angesprochenen, die Grundrechte des Asylbewerbers beeinträchtigenden unangemessen langen Verfahrensdauer. Der gesetzlichen Wertung des § 24 Abs. 4 AsylVfG folgend geht das Gericht davon aus, dass frühestens nach dem Verstreichen eines Zeitraums, der der regelmäßigen Frist des Art. 17 Dublin II-VO von drei Monaten zuzüglich der durch § 24 Abs. 4 AsylVfG für die innerstaatlich für die Entscheidung über den Asylantrag im Regelfall vorgesehenen Frist von sechs Monaten, also insgesamt von neun Monaten, entspricht, von einer unangemessen langen Verfahrensdauer ausgegangen werden kann.
25Vgl. i. E. VG Düsseldorf, Urteil vom 27. August 2013 – 17 K 4737/12.A –, S. 8 des Urteilsabdrucks, n. v.
26Hier sind seit der Asylantragstellung am 24. April 2013 und der Stellung des Übernahmeersuchens am 2. Dezember 2013 erst gut sieben Monate verstrichen, sodass unter keinen Umständen eine unangemessen lange Verfahrensdauer gegeben ist.
27Die Antragsgegnerin ist auch nicht deswegen an der Überstellung des Antragstellers nach Belgien gehindert und zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO verpflichtet, weil das belgische Asylsystem systemische Mängel im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofs aufweist.
28EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris Rn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413.
29Ein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch die Bundesrepublik Deutschland besteht ohnehin nicht. Die Dublin-Verordnungen sehen ein nach objektiven Kriterien ausgerichtetes Verfahren der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten vor. Sie sind im Grundsatz nicht darauf ausgerichtet, Ansprüche von Asylbewerbern gegen einen Mitgliedstaat auf Durchführung des Asylverfahrens durch ihn zu begründen. Ausnahmen bestehen allenfalls bei einzelnen, eindeutig subjektiv-rechtlich ausgestalteten Zuständigkeitstatbeständen (vgl. etwa Art. 7 Dublin II-VO zugunsten von Familienangehörigen). Die Zuständigkeitsvorschriften der Dublin II-VO begründen zum Zwecke der sachgerechten Verteilung der Asylbewerber vor allem subjektive Rechte der Mitgliedstaaten untereinander. Die Unmöglichkeit der Überstellung eines Asylbewerbers an einen bestimmten Staat hindert daher nur die Überstellung dorthin; sie begründet kein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts gegenüber der Antragsgegnerin.
30Vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 –, juris Rn. 37; Schlussanträge des GA Jääskinen vom 18. April 2013 – C-4/11 –, juris Rn. 57 f.
31Die Antragsgegnerin ist auch nicht – unabhängig von der Frage der Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO zugunsten des Antragstellers – gehindert, diesen nach Belgien zu überstellen. Die Voraussetzungen, unter denen das nach der zitierten Rechtsprechung,
32EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris Rn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413,
33der Fall wäre, liegen nicht vor. Danach ist die im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem grundsätzlich bestehende Vermutung, dass jeder Mitgliedstaat ein sicherer Drittstaat ist und die Grundrechte von Asylbewerbern einschließlich des Refoulement-Verbots hinreichend achtet, nicht unwiderleglich. Vielmehr hat eine Überstellung in einen Mitgliedstaat zu unterbleiben, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Grundrechtecharta implizieren.
34EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris Rn. 86.
35Systemische Mängel in diesem Sinne können erst angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Art. 4 GrCH bzw. Art. 3 EMRK entsprechenden Gravität nicht nur in Einzelfällen, sondern strukturell bedingt, eben systemisch vorliegen. Diese müssen dabei aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein. In der Diktion des Europäischen Gerichtshofs dürfen diese systemischen Mängel dem überstellenden Mitgliedstaat nicht unbekannt sein können.
36EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris Rn. 94.
37Der hier noch nicht anzuwendende Art. 3 Abs. 2 UAbs 2 Dublin III-VO hat diese Rechtsprechung normativ übernommen, indem er die Überstellung an den an sich zuständigen Mitgliedstaat für unmöglich erklärt, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen.
38Diese Voraussetzungen sind für Belgien nicht erfüllt.
39Sie ergeben sich zunächst nicht aus der Schilderung des Antragstellers, nach der Ablehnung seines Asylantrags in Belgien keinen Anspruch auf staatliche Leistungen mehr zu haben. Hierbei handelt es sich nicht um systemische Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen im oben geschilderten Sinne. Denn es geht hierbei nicht um Leistungen und Aufnahmebedingungen während der Durchführung des Asylverfahrens. Anders als vom hauptsächlichen Anwendungsbereich der Dublin-Verordnungen erfasst, ist das Asylverfahren des Antragstellers in Belgien bereits abgeschlossen, wenn auch erkennbar mit einem von ihm nicht erwünschten Ergebnis. Ist wie hier der Asylantrag des Antragstellers abgelehnt worden, folgt daraus für den Antragsteller auch die Ausreisepflicht.
40Vgl. Generalkommissariat für Flüchtlinge und Staatenlose, Asyl in Belgien, 2010, S. 11.
41Der Verlust des Anspruchs auf staatliche Leistungen stellt sich jedenfalls in einem solchen Fall nicht als eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung dar.
42Vgl. VG Düsseldorf, Beschlüsse vom 26. Februar 2014 – 13 L 2685/13.A –, demnächst bei juris und NRWE, und vom 23. Juli 2013 – 25 L 1342/13.A -, n.v.
43Das zeigt auch schon die Wertung, welche in Art. 41 Abs. 1 Buchstabe b der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (im Folgenden: Verfahrensrichtlinie n.F.) zum Ausdruck kommt. Danach können die Mitgliedstaaten Ausnahmen vom Recht auf Verbleib im Hoheitsgebiet machen, wenn eine Person nach einer bestandskräftigen Entscheidung, einen ersten Folgeantrag gemäß Artikel 40 Abs. 5 als unzulässig zu betrachten oder als unbegründet abzulehnen, in demselben Mitgliedstaat einen weiteren Folgeantrag stellt. Ist es demnach möglich, einer beständigen Wiederholung von Folgeanträgen durch die Ausweisung des Asylbewerbers zu begegnen, so begegnet es keinen Bedenken, die „Versorgung einzustellen“, wenn der Ausreisepflichtige dieser Verpflichtung nicht nachkommt. Dies gilt mit Blick auf Belgien umso mehr, als abgelehnten Asylbewerbern in der Regel nach der Ablehnung des Asylantrags eine Rückkehrbegleitung angeboten wird.
44Vgl. auch aida, Asylum Information Database, National Country Report Belgium, Stand 30. April 2013, S. 43.
45Ob dies in einem Fall, in dem nach der letzten Ablehnung eines Asylantrags asylerheblich neue Umstände eintreten oder der Asylbewerber in der Lage ist – erst jetzt – weitere asylerhebliche Angaben vorzubringen, anders zu sehen ist, bedarf hier keiner Entscheidung, da solche Umstände vom Antragsteller nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich sind.
46Weitere Umstände, aus denen sich systemische Mängel im Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen Belgiens ergeben, sind vom Antragsteller ebenfalls nicht überzeugend geltend gemacht worden. Soweit der Kläger sich auf die systemische Verletzung des Refoulement-Verbotes bezieht, führt er zunächst einige Einzelfälle an, die ihrem Charakter als Einzelfall entsprechend nicht herangezogen werden können, um Fehler im Asylverfahren mit systemischem Ausmaß zu begründen. Soweit der Antragsteller geltend macht, Belgien könnte ihn im Wege der Kettenabschiebung nach Guinea abschieben, wo ihm Verfolgung drohe, kann dieser Einwand keine systemischen Mängel im Asylverfahren Belgiens begründen. Dort ist bereits eine Prüfung seines Asylbegehrens durchgeführt worden. Die belgischen Behörden sind dabei offenbar zu dem Ergebnis gelangt, dass eine solche Furcht vor Verfolgung nicht begründet ist. In dieser Situation eine Abschiebung nach Guinea vorzusehen, ist nicht zu beanstanden. Dies gilt, zumal es dem Antragsteller grundsätzlich freisteht, auch in Belgien um Rechtsschutz nachzusuchen oder ggf. einen Folgeantrag zu stellen (vgl. hierzu unten). Der Antragsteller beruft sich insoweit auch auf einen Brief des Jesuiten Flüchtlingsdienstes vom 16. September 2013. Dieser befasst sich jedoch mit den Einzelschicksalen von Asylbewerbern, denen eine Abschiebung nach Inguschetien drohte. Der Autor des Briefes führte diesbezüglich u.a. aus, dass „die gegenwärtig zur Verfügung stehenden Beweismittel“ in einem erneuten Asylverfahren wohl nicht zum Erfolg führen würden. Dies macht deutlich, dass es grundsätzlich möglich ist, auch in Belgien Folgeanträge zu stellen.
47Vgl. Hierzu auch ausführlich, aida, Asylum Information Database, National Country Report Belgium, Stand 30. April 2013, S. 36. Danach hat die Stellung eines Folgeantrags u.a. einen Suspensiveffekt bezüglich einer bestehenden Ausweisungsverfügung.
48Außerdem ist erkennbar, dass sich die Auskunft allein auf die konkrete Beweissituation in Einzelfällen bezog. Eine Aussagekraft für das hiesige Antragsverfahren oder das Asylverfahren in Belgien im Allgemeinen haben diese Ausführungen daher nicht.
49Auch die Einlassung, dass Rechtsschutz gegen die drohende Abschiebung unzumutbar erschwert werde, lässt systemische Mängel im Sinne der genannten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofes im Asylverfahren in Belgien nicht offensichtlich werden. Denn die diesbezüglichen Angaben des Antragstellers (Asylbewerber würden grundsätzlich in Abschiebehaft genommen, dort bestünde kein Zugang zu einem Rechtsbeistand) stehen in Widerspruch zu anderen Erkenntnissen. So weist etwa der vorzitierte aida-Bericht auf S. 58 darauf hin, dass der Zugang zu einem Rechtsbeistand während der Abschiebehaft nicht nur dem Gesetz nach zu gewähren sei, sondern dass effektiver Zugang zu einem Rechtsbeistand auch in der Praxis bestehe. Die in dem Bericht genannten absoluten Zahlen von Verhaftungen von Asylbewerbern im dreistelligen Bereich (S. 53) sprechen im Übrigen dagegen, dass flächendeckend mit Inhaftierung zu rechnen ist.
50Dem Final Report des Dublin Transnational Project für den Berichtszeitraum Dezember 2009 bis Mai 2011 ist zu entnehmen, dass jeder Asylbewerber die Möglichkeit hat, gegen eine ablehnende Asylentscheidung die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs zu beantragen (S. 38).
51Auch im Übrigen sind keine systemischen Mängel im Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen erkennbar. Der Bericht des Auswärtigen Amtes der Vereinigten Staaten von Amerika (Belgium 2012 Human Rights Report) beschreibt auf S. 7 ff. die Flüchtlingssituation in Belgien, ohne Beanstandungen systemischer Art auch nur im Ansatz zu erwähnen. Amnesty International enthält in seinem „Amnesty Report 2013 – Belgien“ lediglich den Hinweis darauf, dass die Kapazität der Aufnahmezentren für Flüchtlinge, Asylsuchende und Migranten nicht ausreichend gewesen sei, ein Zustand der nach dem vorzitierten aida-Report, S. 44, ab Ende 2012 nicht fortbestanden haben soll.
52Ohne dass es hier darauf ankommt, weist das Gericht in diesem Zusammenhang darauf hin, dass nicht jeglicher Unzulänglichkeit im Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen automatisch eine Schwere zuzumessen ist, die für die hier erforderliche Annahme einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährten Rechte (Verbot der Folter und der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe) ausreicht.
53Gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nach § 34a Abs. 1 AsylVfG bestehen ebenfalls keine Bedenken. Das Gericht teilt zunächst nicht die Auffassung des Antragstellers, dass über die Frage, ob abgeschoben oder eine andere Form der Überstellung gewählt wird, zunächst eine Ermessensentscheidung zu treffen ist. Vielmehr sieht Art. 20 Abs. 1 Buchstabe d Satz 2 Dublin II-VO vor, dass die Überstellung nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften erfolgt. Diese sehen hier gemäß § 34 Abs. 1 AsylVfG zwingend den Erlass einer Abschiebungsandrohung vor. Soweit der Antragsteller auf Art. 20 Abs. 1 Buchstabe e Satz 2 (gemeint ist wohl Satz 3) Dublin II-VO Bezug nimmt, folgt hieraus nichts anderes. Diese Vorschrift befasst sich zwar mit dem Fall, dass der Asylbewerber sich auf eigene Initiative in den zuständigen Staat begeben soll. Sie schreibt diese Möglichkeit den Mitgliedstaaten jedoch nicht vor, sondern enthält nur Regelungen für den Fall, dass das einzelstaatliche Recht eine solche Möglichkeit vorsieht. Vorrang genießt insoweit die bereits genannte Regelung des Art. 20 Abs. 1 Buchstabe d Satz 2 Dublin II-VO, die die Umstände der Überstellung der einzelstaatlichen Regelung überlässt.
54Es besteht auch kein innerstaatliches Abschiebungshindernis. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG setzt die Anordnung der Abschiebung voraus, dass diese auch durchgeführt werden kann. Das bedeutet, dass keine zielstaatsbezogenen oder in der Person des Ausländers bestehenden Abschiebungshindernisse bestehen. Die insoweit vom Antragsteller geltend gemachten gesundheitlichen Beschwerden begründen kein solches Abschiebungshindernis. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AsylVfG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben oder Freiheit besteht. Leidet der Ausländer bereits vor der Abschiebung unter einer Erkrankung, ist von einer solchen Gefahr auszugehen, wenn sich die Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände nach der Abschiebung voraussichtlich in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht.
55BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 2006 – 1 C 18.05 –, BVerwGE 127,33 = juris Rn. 15.
56Dies ist der Fall, wenn die befürchtete Verschlimmerung der gesundheitlichen Beeinträchtigungen etwa als Folge fehlender Behandlungsmöglichkeiten im Zielland der Abschiebung zu einer erheblichen Gesundheitsgefahr führt, das heißt eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität erwarten lässt.
57Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. April 2007 – 13 A 4611/04.A –, juris Rn. 32 = NRWE.
58Eine solche Gesundheitsbeeinträchtigung besonderer Intensität ist hier nicht ersichtlich. Der Antragsteller macht insoweit lediglich geltend, dass nach dem Bericht des Evangelischen Krankenhauses P. zwölf Monate nach seiner Knieoperation am 13. August 2013 zur Behandlung einer lateralen Tibiakopfimpressionsfraktur links eine Überprüfung der Indikation zur Materialentfernung (winkelstabile vorgeformte L-Platte, 4,5 mm, Titan Fa Synthes) von dem behandelnden Arzt erbeten worden ist (vgl. ärztlicher Bericht des Assistenzarztes T. vom 18. August 2013). Nach weiterer ärztlicher Bescheinigung vom 17. Dezember 2013 wird die Metallentfernung in ca. 15 Monaten „angeraten“. Eine Gesundheitsgefährdung im beschriebenen Ausmaß wird hiermit nicht dargetan; sie ist aufgrund der Angaben auch nicht offensichtlich. Zum einen bleibt es völlig offen, ob eine ggf. anstehende Operation zur Entfernung des eingebrachten Materials nicht auch in Belgien oder ggf. im Herkunftsland des Antragstellers erfolgen kann. Aber selbst unterstellt, dass dies nicht möglich wäre, ist überhaupt nicht ersichtlich, warum aus dem Verbleiben des Materials im Knie des Antragstellers eine Gesundheitsgefahr – noch zudem im beschriebenen Ausmaß – erwachsen soll. Hierzu fehlen jegliche Angaben des Antragstellers. Angesichts des häufig zum dauerhaften Verbleib im menschlichen Körper verwendeten Titans drängen sich solche Gesundheitsgefahren auch nicht auf.
59Die weitere ärztliche Bescheinigung des Leitenden Arztes im Evangelischen Krankenhaus P. Dr. B. , nach welcher eine längere Fahrt mit verschiedenen öffentlichen Verkehrsmitteln und längeres Treppensteigen zu vermeiden sei, genießt keine Aktualität mehr. Die am 27. August 2013, also zwei Wochen nach der Knieoperation ausgestellte Bescheinigung bezieht sich selbst darauf, dass der Antragsteller bis zum 28. Oktober 2013 sich nur auf Unterarmgehstützen fortbewegen solle. Dieser Zusammenhang ist in zeitlicher Hinsicht inzwischen offensichtlich entfallen. Auch die Bescheinigung vom 18. August 2013 sah eine Vollbelastung nach zwölf Wochen postoperativ, also ab November 2013, vor.
60Ebenso ist der weiter gestellte Prozesskostenhilfeantrag abzulehnen, da die Rechtsverfolgung aus den dargelegten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, §§ 166 VwGO, 114 ZPO.
61Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.
62Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylVfG.
Tenor
Das Verfahren wird ausgesetzt, um nach Art. 267 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichthofs der Europäischen Union zu folgenden Fragen einzuholen:
1. Ist ein Asylbewerber nur dann flüchtig im Sinne von Art. 29 Abs. 2 Satz 2 VO (EU) 604/2013, wenn er sich gezielt und bewusst dem Zugriff der für die Durchführung der Überstellung zuständigen nationalen Behörden entzieht, um die Überstellung zu vereiteln bzw. zu erschweren, oder genügt es, wenn er sich über einen längeren Zeitraum nicht mehr in der ihm zugewiesenen Wohnung aufhält und die Behörde nicht über seinen Verbleib informiert ist und deshalb eine geplante Überstellung nicht durchgeführt werden kann?
Kann sich der Betroffene auf die richtige Anwendung der Vorschrift berufen und in einem Verfahren gegen die Überstellungsentscheidung einwenden, die Überstellungsfrist von sechs Monaten sei abgelaufen, weil er nicht flüchtig gewesen sei?
2. Kommt eine Verlängerung der Frist nach Art. 29 Abs. 1 UA 1 VO (EU) 604/2013 allein dadurch zustande, dass der überstellende Mitgliedstaat noch vor Ablauf der Frist den zuständigen Mitgliedstaat darüber informiert, dass der Betreffende flüchtig ist, und zugleich eine konkrete Frist benennt, die 18 Monate nicht übersteigen darf, bis zu der die Überstellung durchgeführt werden wird, oder ist eine Verlängerung nur in der Weise möglich, dass die beteiligten Mitgliedstaaten einvernehmlich eine verlängerte Frist festlegen?
3. Ist eine Überstellung des Asylbewerbers in den zuständigen Mitgliedstaat unzulässig, wenn er für den Fall einer Zuerkennung eines internationalen Schutzstatus dort im Hinblick auf die dann zu erwartenden Lebensumstände einem ernsthaften Risikos ausgesetzt wäre, eine Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh zu erfahren?
Fällt diese Fragestellung noch in den Anwendungsbereich des Unionsrechts?
Nach welchen unionsrechtlichen Maßstäben sind die Lebensverhältnisse des anerkannten international Schutzberechtigten zu beurteilen?
Der Senat beantragt die Anordnung eines Eilvorabentscheidungsverfahrens.
Gründe
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Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
II.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
(1) Soll der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Absatz 1 Nummer 1) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies gilt auch, wenn der Ausländer den Asylantrag in einem anderen auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt oder vor der Entscheidung des Bundesamtes zurückgenommen hat. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht. Kann eine Abschiebungsanordnung nach Satz 1 oder 2 nicht ergehen, droht das Bundesamt die Abschiebung in den jeweiligen Staat an.
(2) Anträge nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung gegen die Abschiebungsanordnung sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Abschiebung ist bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots durch das Bundesamt nach § 11 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung bleibt hiervon unberührt.
Tenor
I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250,-- Euro festgesetzt.
Gründe
die Antragsgegnerin auch passivlegitimiert. Entgegen der vom Verwaltungsgericht im Beschluss vom 10. Februar 2014 (Az. M 12 S7 14.30227) vertretenen Auffassung hat das Bundesamt im Rahmen einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG die (rechtliche und tatsächliche) Durchführbarkeit der Abschiebung und damit sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse als auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollzugshindernisse zu prüfen, so dass daneben für eine eigene Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde für die Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG kein Raum verbleibt (st. Rspr. des Senats; vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 28.10.2013 - 10 CE 13.2257 - juris Rn. 4; B.v. 20.11.2012 - 10 CE 12.2428 - juris Rn. 4; NdsOVG, U.v. 4.7.2012 - 2 LB 163/10 - juris Rn. 41; OVG Berlin-Bbg, B.v. 1.2.2012 - 2 S 6/12 - juris Rn. 4; VGH BW, B.v. 31.5.2011 - A 11 S 1523/11 - juris Rn. 4). Dies gilt nicht nur hinsichtlich bereits bei Erlass der Abschiebungsanordnung vorliegender Abschiebungshindernisse und Duldungsgründe. Bei nach Erlass der Abschiebungsanordnung auftretenden Abschiebungshindernissen hat das Bundesamt gegebenenfalls die Abschiebungsanordnung aufzuheben oder die Ausländerbehörde anzuweisen, von der Vollziehung der Abschiebungsanordnung abzusehen (OVG NRW, B.v. 30.8.2011 - 18 B 1060/11 - juris Rn. 4).
Tenor
Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 20. März 2014 mit der Ergänzung vom 2. April 2014 – 6 L 407/14 – wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
II.
(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.
(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.
(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.
(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.
(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.
(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.
(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.
(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.
(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.
(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn
- 1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen, - 2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder - 3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 21. März 2012 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der 1992 in der afghanischen Provinz Ghazni geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger, tadschikischer Volks- und islamischer Religionszugehörigkeit. Bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan im Mai/Juni 2009 lebte er ledig in dem Dorf L. R. im Bezirk R. in der Provinz Ghazni. Dort betätigte er sich eigenen Angaben zufolge - nachdem er die Schule nach der sechsten Klasse verlassen hatte - damit, seinem Vater bei Polsterarbeiten zu helfen.
3Der Kläger ist als damals 16-jähriger am 20. Juni 2009 nach ungefähr einmonatiger Landwegreise über den Iran, die Türkei und Griechenland und von dort kommend auf dem Luftweg nach Deutschland eingereist. Hier beantragte er am 17. August 2009 seine Anerkennung als Asylberechtigter.
4Am 2. September 2009 und am 30. September 2010 wurde der Kläger vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) angehört, wo er u.a. folgende Angaben machte: Er habe in Afghanistan Bodybuilding betrieben und dabei einen Unfall verursacht. Während er mit einer Langhantel mit aufgesteckten ungesicherten Gewichtscheiben trainiert habe, seien zwei Scheiben mit einem Gewicht von jeweils 15 kg abgerutscht und auf das Gesicht und die Brust eines Mannes gefallen, der auf dem Rücken liegend in seiner Nähe trainiert habe. Als er dessen blutüberströmtes Gesicht gesehen und der Mann keine Reaktion gezeigt habe, sei er aus Angst davon gelaufen. Er habe einer anderen Person - die er bei der zweiten Anhörung als seinen Cousin bezeichnet hat - von dem Vorfall erzählt. Auf den Rat und mit der finanziellen Hilfe dieser Person sei er wenig später nach Kabul gereist. Dort habe er sich einige Zeit bei der ersten Frau seines Onkels aufgehalten. Anlass dafür sei gewesen, dass es sich bei dem Vater des Verletzten um I. A. , der so etwas Ähnliches wie ein einflussreicher Politiker sei, handele. Kurz darauf sei sein eigener Vater auf dessen Anzeige hin inhaftiert und ungefähr eine Woche später auf Initiative des Ältestenrates wieder freigelassen worden. Er gehe davon aus, in Afghanistan von dem Vater des Verletzten, dem I. A. , Tag und Nacht verfolgt zu werden.
5Mit Bescheid vom 6. Dezember 2010 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers mit der Begründung ab, dass dieser nicht geltend gemacht habe, aufgrund asylrelevanter Persönlichkeitsmerkmale verfolgt zu werden. Gleichzeitig stellte es fest, dass angesichts dessen auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vorlägen. Ferner enthält der Bescheid die Feststellung, dass Abschiebungshindernisse im Sinne des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG (a. F.) nicht gegeben sind. Ob dem Kläger aufgrund der von ihm geschilderten Ereignisse eine Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 2 AufenthG (a. F.) drohe, könne dahin stehen, da er die Möglichkeit habe, in Afghanistan, namentlich in Herat oder Kabul, internen Schutz zu erlangen. Entsprechendes gelte bezogen auf Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG (a. F.). Dass der Kläger bei Rückkehr nach Afghanistan einer extremen allgemeinen Gefahr ausgesetzt sei, sei nicht feststellbar. Da kein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen ihn anhängig sei, müsse er auch nicht die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 60 Abs. 3 AufenthG) befürchten. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, andernfalls er nach Afghanistan oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat abgeschoben werde.
6Der Kläger hat am 28. Dezember 2010 Klage erhoben, zu deren Begründung er sein Vorbringen vor dem Bundesamt wiederholt und vertieft und ergänzend u.a. Folgendes vorgetragen hat: Seine Familie habe vergebens versucht, sich von der zu erwartenden Rache frei zu kaufen. Obwohl der Vater des Verletzten, dessen Machtbasis in der Provinz Nangarhar angesiedelt gewesen sei, im Februar 2010 bei einem Bombenattentat zu Tode gekommen sei, bestehe für ihn weiterhin ein Verfolgungsrisiko. Denn es wäre überraschend, wenn das Verlangen nach Rache nicht auf Seiten der gesamten Familie des Opfers bestünde. Deswegen könne unterstellt werden, dass diese nach wie vor ein Interesse daran habe, ihn zu bestrafen, wobei damit zu rechnen sei, dass dies mit Misshandlungen einhergehe und rechtsstaatliche Prinzipien dabei außer Acht blieben. Für ihn bestehe keine inländische Fluchtalternative. Denn der Zuzug in eine Stadt würde sich in einer auf informellen Strukturen fußenden Gesellschaft wie der afghanischen schnell herumsprechen. Dass vorliegend ein nicht nur lokales Verfolgungsinteresse bestehe, ergebe sich bereits aus dem Umstand, dass die Familie des Opfers provinzübergreifend tätig geworden sei. Seine eigene Familie hingegen verfüge nicht über ausreichend Macht und Einfluss, um ihm Schutz zu gewähren. Mit Schriftsatz vom 1. März 2012 hat der Kläger ergänzend mitgeteilt, dass das Opfer sich zwar schwere, teilweise wohl bleibende Verletzungen zugezogen, den Unfall aber überlebt habe. Dies ändere aber nichts an der fortbestehenden Verfolgungsgefahr durch dessen Familie und daran, dass er selbst - wie sich aus den dem Schriftsatz beigefügten Attesten ergebe - traumatisiert und im Falle einer erzwungenen Rückkehr nach Afghanistan gefährdet sei, retraumatisiert zu werden.
7Der Kläger hat beantragt,
8die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 6. Dezember 2010‑ zugestellt am 14. Dezember 2010 - Aktenzeichen 5386602 - 423 - zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen sowie festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, und ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
9hilfsweise
10die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 S. 2 AufenthG vorliegen,
11weiter hilfsweise
12die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 4, 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
13Die Beklagte hat beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 21. März 2012 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter oder auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG. Ferner stehe ihm kein Anspruch darauf zu, dass Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2, 3, 4, 5 und 7 Satz 2 AufenthG festgestellt werden. Insoweit werde zur Vermeidung von Wiederholungen auf den angefochtenen Bescheid Bezug genommen. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Seine Schilderung des fluchtauslösenden Vorfalls im Sportstudio, dessentwegen er der Blutrache ausgesetzt sein wolle, sei nicht glaubhaft. Die attestierte posttraumatische Belastungsstörung stelle keine den § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (gemeint gewesen sein dürfte § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) auslösende Anomalie dar. Der Kläger habe trotz gerichtlicher Nachfrage keine Auswirkungen der Traumatisierung auf alltägliche Verrichtungen aufgezeigt. Angstzustände oder Schlafstörungen stellten keine Besonderheiten dar, die eine
16extreme Gefahr begründen könnten. Im Ergebnis könne der Kläger ohne Gefährdung nach Afghanistan zurückkehren.
17Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner vom Senat mit Beschluss vom 22. März 2013 (nur) hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungsverboten nach
18§ 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG (a.F.) zugelassenen Berufung, zu deren Begründung er sein Vorbringen aus dem Klageverfahren wiederholt und vertieft. Ergänzend weist er darauf hin, das Verwaltungsgericht habe die Schilderungen zu seinem Verfolgungsschicksal zu Unrecht als unglaubhaft bewertet. Zu folgen sei insoweit der Beurteilung der Beklagten, die die Abläufe nicht in Frage gestellt habe. Wegen der in Afghanistan herrschenden Strukturen sei es ihm auch nicht möglich, dort „unterzutauchen“. Aufgrund drohender Rache bestehe für ihn eine Gefahr, die gleichermaßen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG und die des § 60 Abs. 5 AufenthG erfülle. Seine Gefährdung ergebe sich zum einen aus dem Umstand, dass er nach wie vor wegen der von ihm verursachten Körperverletzung Vergeltungsabsichten ausgesetzt sei, und zum anderen daraus, dass er unter einem posttraumatischen Belastungssyndrom leide. Eine Weiterbehandlung dieser Erkrankung sei schon aufgrund der Gefahr der Retraumatisierung in Afghanistan nicht möglich.
19Die Kläger beantragt,
20das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 21. März 2012 zu ändern und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung ihres Bescheides vom 6. Dezember 2010 zu verpflichten, das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG festzustellen.
21Die Beklagte beantragt,
22die Berufung zurückzuweisen.
23Der Senat hat mit Beschluss vom 18. September 2014 Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Facharztes für Psychiatrie Dr. med. K. T. dazu erhoben, ob der Kläger an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, diese ggf. behandlungsbedürftig ist und ob im Falle einer Abschiebung mit einer wesentlichen Gesundheitsverschlechterung zu rechnen wäre. In der Sitzung am 27. Januar 2014 hat der Sachverständige sein Gutachten mündlich erläutert. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten vom 7. Dezember 2014 und das Sitzungsprotokoll vom 27. Januar 2014 verwiesen.
24Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamts Bezug genommen.
25Entscheidungsgründe:
26Die nur hinsichtlich der Feststellung des Vorliegens nationaler Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG und § 60 Abs. 5 AufenthG eingelegte Berufung hat keinen Erfolg.
27Sie ist zulässig, aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage insoweit im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der ablehnende Bescheid des Bundesamts ist in diesem Umfang rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 1 Satz 1 VwGO). Er hat keinen Anspruch auf die Feststellung in seiner Person begründeter Abschiebungsverbote gemäß
28§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (1) und § 60 Abs. 5 AufenthG (2).
29Für die Entscheidung über die Berufung ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltende Sach- und Rechtslage maßgebend. Das ist hier die seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337/9; im Folgenden: QRL II) vom 28. August 2013 (BGBl. I, S. 3474) am 1. Dezember 2013 geltende Fassung des Aufenthalts- und des Asylverfahrensgesetzes. Eine Änderung des Streitgegenstandes ist durch diese Neufassung nicht eingetreten.
30Vgl. OVG NRW, Urteile vom 22. Januar 2014 - 9 A 2561/10.A - und vom 26. August 2014 - 13 A 2998/11 -, jeweils juris; Sächsisches OVG, Urteil vom 29. April 2014 A - 4 A 104/14 -, juris.
31(1) Der geltend gemachte Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG steht dem Kläger nicht zu. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Unerheblich ist dabei, von wem die Gefahr ausgeht und auf welchen Umständen sie beruht. Für die Annahme einer „konkreten Gefahr" im Sinne dieser Vorschrift genügt aber nicht die bloße Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in die geschützten Rechtsgüter zu werden. Vielmehr ist insoweit wie im Asylrecht der Maßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit" anzuwenden, und zwar unabhängig davon, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Zudem ergibt sich aus dem Element der „Konkretheit" der Gefahr für „diesen" Ausländer das zusätzliche Erfordernis einer auf den Einzelfall bezogenen, individuell bestimmten und erheblichen, also auch alsbald nach der Rückkehr eintretenden Gefährdungssituation. Schließlich muss es sich um Gefahren handeln, die dem Ausländer landesweit drohen, denen er sich also nicht durch Ausweichen in sichere Gebiete seines Herkunftslandes entziehen kann.
32Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 - sowie Beschlüsse vom 18. Juli 2001 - 1 B 71.01 - und vom 4. Februar 2004 - 1 B 291.03 -, jeweils juris.
33Allerdings erfasst § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur einzelfallbezogene, individuell bestimmte Gefährdungssituationen. Gefahren, denen die Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppen allgemein ausgesetzt ist bzw. sind, werden bei Entscheidungen über eine vorübergehende Abschiebung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt. Allgemeine Gefahren in diesem Sinne unterfallen § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG selbst dann nicht, wenn sie den Einzelnen konkret und individuali-sierbar zu treffen drohen. Angesichts der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG kann ein Ausländer Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur dann beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr in sein Heimatland aufgrund der dortigen Existenzbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren.
34Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung damit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden muss, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde". Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde.
35Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. September 2011 ‑ 10 C 24.10 -, juris.
36Bezogen auf krankheitsbedingte Verschlechterungen des Gesundheitszustands eines Ausländers bei Rückkehr in sein Heimatland muss daher ernsthaft zu befürchten stehen, dass sich sein Gesundheitszustand in seinem Heimatland wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde, etwa weil er auf die dortigen unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung seines Leidens angewiesen wäre und auch anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte. Erforderlich ist, dass die drohende Gesundheitsgefahr von besonderer Intensität ist und die zu erwartende Gesundheitsverschlechterung alsbald nach Rückkehr in den Zielstaat einzutreten droht.
37Vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Oktober 2006 - 1 C 18.05 - und vom 29. Oktober 2002 - 1 C 1.02 -, jeweils juris.
38Dementsprechend kann von einer abschiebungsschutzrelevanten Verschlechterung des Gesundheitszustandes nicht schon dann gesprochen werden, wenn „lediglich" eine Heilung eines Krankheitszustandes des Ausländers im Abschiebungsfall nicht zu erwarten ist. Eine solche Gefahr ist auch nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur, wenn außergewöhnlich schwere körperliche oder psychische Schäden alsbald nach der Einreise des Betroffenen in den Zielstaat drohen.
39Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 30. Oktober 2006 - 13 A 2820/04.A - und vom 30. Dezember 2004 - 13 A 1250/04.A -, jeweils juris.
40Diese Befürchtung kann auch dann begründet sein, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation im Herkunftsland des Ausländers zwar allgemein zur Verfügung steht, sie dem betroffenen Ausländer im Einzelfall jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist. Die mögliche Unterstützung durch Angehörige ist dabei in die gerichtliche Prognose, ob eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes droht, einzubeziehen.
41Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2002 - 1 C 1.02 -, juris.
42Ausgehend hiervon ist nicht feststellbar, dass für den Kläger eine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG besteht. Eine den Anforderungen dieser Vorschrift genügende individuelle, also gerade in den persönlichen Eigenschaften und Verhältnissen des Klägers angelegte Gefahr ist in Anknüpfung an das von ihm geschilderte Vorfluchtschicksal nicht gegeben (a). Ferner sind keine schwerwiegenden gesundheitlichen Nachteile im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan feststellbar (b). Ebenso wenig besteht eine hohe oder auch nur beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger in diesem Fall mit einer extremen Gefahrenlage, die ihrer Dimension nach geeignet wäre, die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AsylVfG zu durchbrechen, konfrontiert wäre (c).
43(a) Die Schilderungen des Klägers zu seinem Vorfluchtschicksal rechtfertigen die Annahme eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht. Das gilt unabhängig davon, ob sie - wenngleich hieran erhebliche Bedenken bestehen - der Wahrheit entsprechen oder nicht. Denn seine Darlegungen erlauben bereits für sich genommen nicht die Prognose einer erheblichen konkreten Gefahr i. S. d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Die Einschätzung des Klägers, dass sein Leben in Afghanistan aufgrund des geschilderten Vorfalls im Fitnessstudio in Gefahr sei, ist spekulativ. Sein Vorbringen vor dem Bundesamt und im Klageverfahren beinhaltet keine tragfähigen Anknüpfungstatsachen dafür, sondern erschöpft sich in Vermutungen. Danach haben weder tätliche Übergriffe auf den Kläger stattgefunden noch ist er in irgendeiner Form persönlich bedroht worden. Der Umstand, dass sein eigener Vater auf die Anzeige des Vaters des Verletzten hin eine Woche von der Polizei festgehalten und anschließend nach Aufklärung durch den Ältestenrat wieder freigelassen worden sein soll, begründet kein Indiz dafür, dass der Kläger in Afghanistan von der Familie des Verletzten verfolgt wird. Im Gegenteil wird daran allenfalls deutlich, dass dessen Familie jedenfalls keine Vergeltung außerhalb des staatlichen Strafverfolgungssystems sucht. Hinzu kommt, dass nach dem Vorfall einerseits zwischenzeitlich beinahe sechs Jahre verstrichen sind und andererseits mittlerweile bekannt geworden ist, dass der Trainingskollege des Klägers bei dem Unfall nicht verstorben ist, womit zugleich das vom Kläger angenommene Motiv für etwaige Verfolgungsmaßnahmen entfallen ist. Angesichts dessen, dass überdies diejenige Person, die der Kläger als mutmaßlichen Verfolger benannt und mit deren Einfluss er die vermutete Gefahr begründet hat, zwischenzeitlich verstorben ist, kann nicht von einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Gefahr ausgegangen werden. Der pauschale Hinweis des Klägers, die „Familie des Verletzten“ habe gegenüber seinen zwischenzeitlich wieder in Ghazni lebenden Eltern geäußert, sie werde seine Rückkehr abwarten, um Rache zu üben, ist nicht hinreichend substantiiert und führt deswegen zu keiner anderen Bewertung. Mangels feststellbarer Gefahrensituation kann dahinstehen, ob die Familie des Verletzten tatsächlich die vom Kläger ohne nähere Erläuterung behaupteten Einflussmöglichkeiten hat.
44(b) Nach der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats ebenfalls fest, dass dem Kläger keine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen einer zielstaatsbezogenen wesentlichen Verschlimmerung seines Gesundheitszustandes, namentlich der Verschlechterung einer bestehenden posttraumatischen Belastungsstörung droht. Diese Überzeugung beruht auf dem Gutachten des Sachverständigen Dr. med. K. T. vom 7. Dezember 2014 und seinen ergänzenden Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vom 27. Januar 2015. Hierin ist der Sachverständige in Beantwortung der vom Senat mit Beweisbeschluss vom 18. September 2014 gestellten Fragen zu folgenden Aussagen gelangt: Er habe seiner Begutachtung die Befunde von Frau Dr. med. N. aus Oktober 2010 und Januar 2012 zugrunde gelegt. Es sei davon auszugehen, dass die anfänglich bestehende posttraumatische Belastungsstörung durch die stattgefundene therapeutische Behandlung deutlich rückläufig sei, so dass nunmehr diagnostisch festgestellt werden könne, dass es sich um eine posttraumatische Belastungsstörung in weitgehender Teilremission handele. Dieser Befund sei vor dem Hintergrund zu sehen, dass eine Vollremission grundsätzlich nicht erreichbar sei, da das Trauma - erkrankungsspezifisch - bestehen bleibe. Die einzig verbliebenen Symptome seien die Alpträume und die Kopfschmerzen. Kognitive Beeinträchtigungen seien während der beiden durchgeführten Untersuchungen nicht feststellbar gewesen. Für die therapeutische Behandlung einer posttraumatischen Belastungsstörung seien in der Regel zwischen fünf und fünfzehn Sitzungen ausreichend. Im Anschluss daran komme es maßgebend auf die Vermittlung lebenspraktischer Fertigkeiten und Fähigkeiten an. Der Kläger habe - seiner Einschätzung zufolge - an mehr als fünfzehn therapeutischen Sitzungen teilgenommen. Die bisherige Behandlung sei intensiv, adäquat und vorbildlich gewesen und habe zu einem weitgehenden Rückgang der Symptomatik geführt. Die Symptome seien nur noch in verdünnter Form vorhanden und beeinträchtigten den Kläger nicht mehr so wie früher.
45Erste Maßnahme bei einer posttraumatischen Belastungsstörung sei das Herstellen einer sicheren Umgebung. In der zweiten Phase erfolge dann die Stabilisierung, in der der Proband lerne, im Alltag besser mit den bestehenden Symptomen umzugehen. Beides sei bei dem Kläger intensiv erfolgt und gelungen. In der dritten Phase werde versucht, das Trauma zu überwinden, hierzu müsse aber zunächst eine gewisse emotionale Stabilität vorliegen. Unter der Anleitung von Frau L1. und in dem geschützten Bereich des Internats habe sich der Kläger mit seinen inneren Traumata auseinandergesetzt. Er habe diese analysiert und auch ansatzweise verarbeitet. Eine zwingende Notwendigkeit zur Weiterführung dieser Therapie sei aus psychiatrisch-forensischer Sicht nicht zu erkennen. Eine medikamentöse Behandlung sei zu keiner Zeit durchgeführt worden und sei auch nicht indiziert gewesen. Eine wesentliche Gesundheitsverschlechterung sei mit der Abschiebung nicht zwangsläufig verbunden. Es liege auf der Hand, dass sich die psychopathologischen Symptome Angst, Gereiztheit, Schreckhaftigkeit und auch vegetative Übererregbarkeit nach einer Rückkehr mit unsicherer Perspektive zwangsläufig wieder verstärken würden. Dies seien aber vorübergehende Änderungen, die in einer sicheren Umgebung mit familiärer und sozialer Unterstützung im Zeitverlauf rückläufig seien dürften. Demgegenüber könne es bei einer direkten Konfrontation mit dem traumaauslösenden Ereignis zu einer Retraumatisierung kommen.
46Das schriftliche Gutachten des Sachverständigen enthält abschließend den Hinweis, dass bei einer Abschiebung möglicherweise eine suizidale Krise auftreten könne. Diese Anmerkung geht auf die Äußerung des Klägers zurück, er werde sich, wenn er wieder nach Afghanistan zurück müsse, vorher das Leben nehmen. In der mündlichen Verhandlung hat der Sachverständige diesen Aspekt näher erläutert: Suizid sei ein allgemeines Phänomen. Die Äußerung des Klägers sei nicht als traumaspezifische Reaktion zu werten, sondern nicht ungewöhnlich für jemanden, der aus einer sicheren Lebenslage gerissen werde und einer unsicheren Zukunft entgegengehe. Diese Suizidankündigung lasse aber derzeit nur den Rückschluss auf eine gedankliche Befassung mit der Selbsttötung im Sinne einer passiven Suizidalität zu.
47Nach diesen eindeutigen fachlichen Aussagen lässt die maßgebende gegenwärtige Gesundheitssituation des Klägers nicht den Rückschluss auf eine alsbald nach seiner Rückkehr nach Afghanistan drohende Gesundheitsgefahr von besonderer Intensität zu. Die Befunderhebung ist unter umfassender Berücksichtigung des Akteninhalts und nach ausführlicher und differenzierter Anamnese des Klägers erfolgt. Sie ist erkennbar von besonderer Fachkunde getragen und durchgehend nachvollziehbar und plausibel begründet. Das gilt insbesondere mit Bezug auf die beschriebene rückläufige Symptomatik. Diese ist angesichts dessen, dass der Kläger nach Einschätzung des Sachverständigen einerseits ideale Rahmenbedingungen vorgefunden hat, indem er ein gut betreutes Internat besucht hat, schulisch gefördert wurde und andererseits - seit nunmehr fast drei Jahren - sehr gut therapeutisch betreut wurde, nicht nur nachvollziehbar, sondern auch naheliegend, zumal die Therapie mit eben diesem Ziel begonnen wurde. Dabei ist ein weitergehender Therapieerfolg als die festgestellte weitgehende Teilremission nicht zu erwarten, denn eine Vollremission ist bei einer posttraumatischen Belastungsstörung den Erläuterungen des Sachverständigen zufolge nicht erreichbar. Darüber hinaus steht der Befund in Einklang mit den in dem Gutachten beschriebenen schulischen und beruflichen Entwicklungen des Klägers und seiner Freizeitgestaltung, hinsichtlich derer keinerlei Anhalt für krankheitsbedingte Einschränkungen besteht.
48Zudem hat der Sachverständige die Vermutung der - insoweit fachfremden - Pädagogin C. T1. in ihrer Stellungnahme von Februar 2012, der Kläger leide an einer Borderline-Störung, überzeugend widerlegt. Insofern hat er darauf hingewiesen, dass eine solche Erkrankung mit schwerwiegenden Störungen der Affektregulation einhergehe, die bei dem Kläger nicht vorlägen. Die körperliche Überbeanspruchung, der er sich beim Bodybuilding aussetze, finde sich bei sehr vielen Hochleistungssportlern und sei kein spezifisches Symptom einer psychischen Störung.
49Zudem ist keine beachtliche Gefahr für eine Retraumatisierung feststellbar.
50Hierzu hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass diese Gefahr im Fall einer direkten Konfrontation mit dem traumaauslösenden Ereignis bestehe. Es fehlen aber tatsächlichen Anknüpfungspunkte dafür, dass es dazu bei einer Rückkehr des Klägers nach Afghanistan kommen wird, zumal als primär trauma-auslösend der Unfall beim Krafttraining beschrieben wird, so dass eine Retraumatisierung daher in erster Linie durch die Fortführung dieses Sports und nicht durch Rückkehr des Klägers in sein Heimatland in Betracht zu ziehen wäre. Da das Vorbringen des Klägers - wie dargelegt - nichts für eine stattgefundene Verfolgung durch die Familie des Verletzten hergibt und seine Befürchtung einer solchen bei Rückkehr nach Afghanistan ausgesetzt zu sein, angesichts des Tatsachenvorbringens rein spekulativ ist, besteht auch für die Prognose einer Retraumatisierung aus Furcht vor Rache keine tatsächliche Grundlage. Das gilt insbesondere deswegen, weil der Hauptakteur potentieller Vergeltungsmaßnahmen zwischenzeitlich verstorben und das vom Kläger zunächst vermutete Motiv ‑ der Tod des Trainingskollegen - entfallen ist.
51Soweit der Sachverständige auf die Möglichkeit einer suizidalen Krise bei der Abschiebung hingewiesen hat, begründet dies keine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Der Begriff Suizidalität umschreibt einen psychischen Zustand, in dem Gedanken, Phantasien, Impulse und Handlungen anhaltend, wiederholt oder in bestimmten krisenhaften Zuspitzungen darauf ausgerichtet sind, gezielt den eigenen Tod herbeizuführen. Es besteht eine graduelle Differenzierung zwischen Suizidgedanken ohne den Wunsch nach Selbsttötung ‑ die ebenfalls zur Suizidalität zählen - und drängenden Suizidgedanken mit konkreten Absichten, Plänen bis hin zu Vorbereitungen eines Suizids.
52http://de.wikipedia.org/wiki/Suizidalit%C3%A4t
53Daran wird deutlich, dass schon nicht jede Form der Suizidalität geeignet ist, eine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu begründen. Jedenfalls die zeitlich begrenzte bloße innere Hinwendung zu Selbsttötungsgedanken rechtfertigt ohne das Hinzutreten äußerer damit im Zusammenhang stehender Anzeichen einer Gesundheitsverschlechterung wie Verletzungshandlungen, körperlichem Verfall oder vegetativen Auffälligkeiten die Annahme einer besonders intensiven Gesundheitsverschlechterung nicht. Der Senat hat auf der Grundlage der Feststellungen des Sachverständigen schon nicht die Überzeugungsgewissheit gewonnen, dass der Kläger im Falle einer erzwungenen Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine suizidale Krise erleiden wird, die eine abschiebungsschutzrelevante Qualität erreicht. Der Hinweis des Sachverständigen auf eine „möglicherweise“ bei der Abschiebung auftretende suizidale Krise geht auf die Äußerung des Klägers zurück, er werde sich, wenn er wieder nach Afghanistan zurück müsse, vorher das Leben nehmen. Charakteristisch für derartige Ankündigungen ist, dass damit die Möglichkeit ihrer Umsetzung erst ins Blickfeld des Adressaten rückt und dies in der Regel auch bewusst veranlasst wird. Mangels zuverlässiger Überprüfbarkeit der dahinterstehenden Motivation und Ernsthaftigkeit muss schon die Äußerung als solche regelmäßig zu der Bewertung führen, dass suizidale Handlungen nicht ausgeschlossen werden können, was gleichbedeutend damit ist, dass die Möglichkeit einer Selbsttötung besteht. In gleichem Maße besteht diese Möglichkeit aber bei demjenigen, der entsprechende Gedanken hat, diese aber nicht äußert. Die Äußerung hat deswegen isoliert betrachtet wenig Aussagekraft. Die daraus allenfalls ableitbare Möglichkeit suizidaler Handlungen kann sich nur bei Hinzutreten weiterer Indizien zu einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit verdichten. Wie an der vom Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten gewählten Formulierung deutlich wird, fehlt es daran hier. Der Kläger hat seine Absicht, sich bei einer erzwungenen Rückkehr nach Afghanistan das Leben zu nehmen, im Rahmen der Anamnese eher beiläufig erwähnt. Seine Äußerungen dazu sind nicht hinreichend substantiell, um anhaltende und konkretisierte Selbsttötungsgedanken und -absichten als naheliegend erscheinen zu lassen. Das gilt zumal deswegen, weil in den vorgelegten Berichten seiner behandelnden Ärztin und Psychotherapeutin keine entsprechenden Gedankeninhalte dokumentiert sind. Hinzu kommt, dass das bisherige Leben des Klägers - folgt man seinem Vorbringen - durch eine Reihe krisenhafter Situationen gekennzeichnet war, die jedoch keine suizidalen Krisen bei ihm hervorgerufen haben. Es besteht kein Vortrag und Anhalt für in der Vergangenheit aufgetretene Suizidabsichten geschweige denn für auf eine Selbsttötung gerichtete selbstverletzende Handlungen. Die mündlichen Erläuterungen des Sachverständigen bestätigen diese Einschätzung. Angesichts dessen ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht die im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderliche beachtliche Wahrscheinlichkeit für die Gefahr einer Selbsttötung feststellbar.
54Abgesehen davon liegt ein Abschiebungshindernis nach dieser Vorschrift aber auch deswegen nicht vor, weil die Äußerung des Klägers, sich das Leben nehmen zu wollen, im Zusammenhang mit der Abschiebung steht. Hierauf zielt auch der Hinweis des Sachverständigen ab, dass es „bei einer Abschiebung" möglicherweise zu einer suizidalen Krise kommen könne. In diese Richtung geht auch die Äußerung des Klägers, der erklärt hat, dass er sich vor einer Rückführung nach Afghanistan das Leben nehmen werde. Die als möglich erachtete suizidale Krise steht daher in Zusammenhang mit der Abschiebung als solcher, nicht hingegen mit den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat der Abschiebung. Bei dieser Sachlage sind aber nicht die Voraussetzungen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gegeben, sondern allenfalls diejenigen eines inlandsbezogenen Vollstreckungshindernisses gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG, das allein gegenüber der Ausländerbehörde geltend zu machen ist.
55(c) Eine extreme Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG lässt sich auch nicht mit der Sicherheits- und Versorgungslage begründen, der der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan ausgesetzt ist. Das gilt unabhängig davon, ob die Voraussetzungen dieser Vorschrift angesichts der derzeitigen Situation in der Herkunftsregion des Klägers, der Provinz Ghazni, erfüllt sind, weil Kabul als inländische Fluchtalternative den Anspruch auf die Feststellungen eines Abschiebungshindernisses ausschließt. In seinem Urteil vom 26. August 2014 - 13 A 2298/11 - hat der Senat die Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul zusammenfassend dargestellt. Auf die dortigen Ausführungen wird Bezug genommen. Dass sich seitdem grundlegende Veränderungen ergeben haben, ist ‑ abgesehen davon, dass der Kläger hierzu nichts vorgetragen hat - auf der Grundlage aktueller Erkenntnisse nicht anzunehmen.
56Vgl. Die Bundesregierung, Fortschrittsbericht Afghanistan 2014 (Stand: November 2014), S. 20; ecoi.net-Themendossier zu Afghanistan: Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan und Chronologie für Kabul, letzte Aktualisierung 13. Januar 2015
57https://www.ecoi.net/news/188769::afghanistan/101.general-security-situation-in-afghanistan-and-events-in-kabul.htm.
58Angesichts dessen muss sich der Kläger wegen seines sich als günstig erweisenden Risikoprofils auf Kabul als inländische Fluchtalternative verweisen lassen. Zwar ist die humanitäre Lage dort im Allgemeinen weiterhin äußerst schwierig. Das Verelendungsrisiko einzelner Bevölkerungsgruppen weicht indes stark voneinander ab. Jedenfalls für den Kläger als jungen, gesunden, arbeitsfähigen und alleinstehenden Mann besteht es allenfalls in einem geringfügigen Maße, denn es ist davon auszugehen, dass er seinen Lebensunterhalt nach einer Wiedereingliederungsphase zumindest auf einem nach westlichen Maßstäben niedrigen Niveau wird sicherstellen können. Der Kläger trägt keine Unterhaltslasten, muss nur für sich selbst sorgen und ist im Ausgangspunkt schon deswegen einem geringeren Armutsrisiko ausgesetzt. Die Beziehung zwischen Haushaltsgröße und Armutsrisiko ist für Afghanistan statistisch belegt. Danach steigt das Armutsrisiko bei einer Haushaltsgröße von drei Personen (11 %) bis zu einer Haushaltsgröße von neun Personen (über 40 %) kontinuierlich und liegt bei einer Haushaltsgröße von 15 Personen sogar bei über 45 %. Für eine alleinstehende Person bewegt es sich demgegenüber nur im Bereich zwischen 10 und 15 %.
59Vgl. Summary of the national risk and vulnerability assessment, 2007/8, A profile of Afghanistan, Main Report, S. 59.
60Hinzu kommt, dass der Kläger über Fähigkeiten und Kenntnisse verfügt, die in Afghanistan nicht selbstverständlich sind und es ihm dort erleichtern dürften, eine Erwerbsgrundlage zu finden. Er hat in Afghanistan sechs Schuljahre beendet und kann von daher - anders als 70 % aller Afghanen - lesen und schreiben. Außerdem hat er dort handwerkliche Berufserfahrung gesammelt. Der Kläger spricht persisch, ein wenig paschtu und deutsch. Insbesondere der in Deutschland erfolgte Abschluss seiner Schulausbildung mit dem Fachabitur und die im Bereich des Einzelhandels erworbenen Berufserfahrungen dürften seine Erwerbsperspektiven in Afghanistan erheblich begünstigen. Zudem ist zu erwarten, dass anfängliche Wiedereingliederungsschwierigkeiten darüber abgefedert werden, dass eine Tante des Klägers in Kabul lebt und seine Eltern in der nahegelegenen Provinz Ghazni und er von daher über eine gewisse familiäre Anbindung verfügt.
61Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; das Verfahren ist nach § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.
62Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
63Die Revision war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.
(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.
(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.
(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.
(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.
(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.
(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.
(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.
(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.
(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.
(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.
(7) Gegen einen Ausländer,
- 1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder - 2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.
(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.
(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.
(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.
(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.
(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.
(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.
(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.
(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.
(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.
(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.
(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.
(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.
(7) Gegen einen Ausländer,
- 1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder - 2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.
(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.
Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.
Ist die Behörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.
Die Bestimmungen dieses Abschnitts sowie § 52 Nummer 2 Satz 3 der Verwaltungsgerichtsordnung gelten auch für Rechtsbehelfe gegen die Entscheidungen des Bundesamtes nach § 75 Nummer 12 des Aufenthaltsgesetzes.
Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz können vorbehaltlich des § 133 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht mit der Beschwerde angefochten werden.