Verwaltungsgericht Ansbach Beschluss, 24. Nov. 2015 - AN 14 S 15.50402

bei uns veröffentlicht am24.11.2015

Gericht

Verwaltungsgericht Ansbach

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die unter Ziffer 2. des Bescheides der Antragsgegnerin vom 10. September 2015 verfügte Abschiebungsanordnung wird bis acht Wochen nach der Niederkunft der Antragstellerin zu 1) angeordnet. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

2. Die Antragsteller haben die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.

Die Antragstellerin zu 1) begehrt für sich und gemeinsam mit ihrem Ehemann für ihre zwei minderjährigen Kinder, den Antragstellern zu 2) und 3) einstweiligen Rechtsschutz gegen die Anordnung der Abschiebung in die Niederlande.

Die Antragsteller sind ukrainische Staatsangehörige. Sie reisten nach eigenen Angaben am 22. Mai 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 15. Juli 2015 Asylanträge beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt).

In dem persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens am 2015 gab die Antragstellerin zu 1) an, dass sie in keinen anderen Dublin-Mitgliedstaat überstellt werden wolle. Als Grund gegen eine Überstellung in die Niederlande gab die Antragstellerin im Wesentlichen an, sie sei dort unmenschlich behandelt worden. In Deutschland fühle sie sich sicher und würde medizinisch gut betreut. Sie wolle in keinem Fall von ihren Kindern und ihrem Ehemann getrennt werden. Nach den Erkenntnissen des Bundesamts (Eurodac-Treffer) lagen Anhaltspunkte vor für die Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO). Am 31. Juli 2015 wurde ein Übernahmeersuchen nach der Dublin III-VO an die Niederlande gerichtet. Die zuständigen niederländischen Behörden erklärten mit Antwortschreiben vom 12. August 2015 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung der Asylanträge gemäß Art. 18 Abs. 1 Dublin III-VO.

Mit Bescheid vom 10. September 2015 lehnte das Bundesamt die Asylanträge als unzulässig ab (Nr. 1) und ordnete die Abschiebung der Antragsteller in die Niederlande an (Nr. 2).

Am 16. September 2015 haben die Antragsteller durch Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach Klage gegen diesen Bescheid erhoben, die unter dem Aktenzeichen AN 14 K 15.50403 geführt wird. Gleichzeitig haben sie Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt.

Die Antragsteller lassen über ihren Prozessbevollmächtigten vortragen, dass der Abschiebung der Antragstellerin in die Niederlande ein inländisches Vollstreckungshindernis entgegenstehe, welches als Duldungsgrund im Rahmen von § 34a AsylVfG zu überprüfen sei. Im vorliegenden Fall bestehe derzeit bei der Antragstellerin zu 1) ein inländisches Vollstreckungshindernis in Form von Reiseunfähigkeit. Die Antragstellerin zu 1) sei hochschwanger und erwarte am 8. Oktober 2015 ein Neugeborenes. Wegen der durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützte Rechtsgüter der Antragstellerin zu 1) liege eine Reiseunfähigkeit vor, weshalb von einer Abschiebung bzw. Überstellung abzusehen sei.

Hinsichtlich der Antragsteller zu 2) und 3) liege ebenfalls ein inländisches Vollstreckungshindernis vor, da diese mit der Mutter eng emotional verbunden seien. Für sie sei der Familienzusammenhalt äußerst wichtig. Für die Antragsteller zu 2) und 3) ergebe sich die Zuständigkeit aus Art. 8 der Dublin-III-Verordnung, der die Familieneinheit und kohärente Entscheidungen für alle Familienmitglieder sicherstellen solle.

Die Antragsteller beantragen,

die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 10. September 2015 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamts vom 10. September 2015 anzuordnen, hat lediglich in dem tenorierten Umfang Erfolg.

Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 10. September 2015 anzuordnen, ist innerhalb der Wochenfrist des § 34 a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG bei Gericht eingegangen und auch sonst zulässig (§ 80 Abs. 5, Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 75 Abs. 1 AsylVfG).

Der Antrag ist aber nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des hier einschlägigen § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylVfG ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Im Rahmen der vom Gericht dabei vorzunehmenden Interessenabwägung zwischen dem Interesse der Antragsteller auf Aussetzung des Vollzugs und dem sich aus der Regelung des § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der Vollziehung des Bescheids sind insbesondere auch die Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache zu berücksichtigen. Ergibt die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein erforderliche summarische Prüfung, dass die Anfechtungsklage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich der streitgegenständliche Bescheid bei dieser Prüfung dagegen als rechtswidrig und wird die Anfechtungsklage voraussichtlich Erfolg haben, so tritt das öffentliche Interesse zurück, da kein Interesse am Sofortvollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsakts besteht. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.

Da im vorliegenden Fall nach summarischer Prüfung die Erfolgsaussichten der von den Antragstellern erhobenen Klagen voraussichtlich lediglich für einen Zeitraum von acht Wochen nach der Niederkunft der Antragstellerin zu 1) als erfolgreich, im Übrigen als erfolglos einzustufen sind, fällt die vom Gericht vorzunehmende Interessenabwägung für einen Zeitraum von acht Wochen nach der Entbindung zugunsten der Antragsteller und im Übrigen zu deren Lasten aus. Der streitgegenständliche Bescheid erweist sich lediglich hinsichtlich der Abschiebung innerhalb der 8-Wochen-Schutzfrist als rechtswidrig, ist jedoch ansonsten rechtlich nicht zu beanstanden, so dass nach Ablauf dieser Frist das sich auch aus § 75 AsylG ergebende öffentliche Interesse an der Vollziehung des Bescheids gegenüber den Interessen der Antragsteller überwiegt.

Die im Bescheid vom 10. September 2015 enthaltene und sofort vollziehbare Abschiebungsanordnung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Nach dieser Vorschrift hat das Bundesamt unter anderem dann eine Abschiebungsanordnung zu erlassen, wenn der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens nach § 27a AsylG zuständigen Staat abgeschoben werden soll (dazu 1.), sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann (dazu 2).

1.

Im vorliegenden Fall hat die Antragsgegnerin in Ziffer 1) des angefochtenen Bescheids den Asylantrag der Antragsteller gemäß § 27 a AsylG zu Recht als unzulässig abgelehnt, da nach den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft die Niederlande für die Durchführung des Asylverfahrens der Antragsteller zuständig sind.

Die Antragsgegnerin ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Niederlande für die Prüfung der Asylanträge der Antragstellerin zuständig sind. Die niederländischen Behörden haben dem - fristgerecht binnen 3 Monaten nach der Asylantragstellung (vgl. Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin-III-VO) gestellten - Aufnahmegesuch der Antragsgegnerin vom 31. Juli 2015 auch - fristgerecht binnen zwei Monaten (vgl. Art. 22 Abs. 1 Dublin-III-VO) - mit Schreiben vom 12. August 2015 unter Bezugnahme auf Art. 18 Abs. 1 Dublin-III-VO zugestimmt. Gemäß Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO sind die Niederlande verpflichtet, die Antragsteller spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahmegesuchs oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf, wenn dieser gemäß Art. 27 Abs. 3 aufschiebende Wirkung hat, aufzunehmen. Diese Frist ist vorliegend noch nicht abgelaufen und wird auch zum Zeitpunkt des Ablaufs der lediglich befristet angeordneten aufschiebenden Wirkung der Klage nicht abgelaufen sein, so dass die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrags auch nicht auf die Antragsgegnerin übergegangen ist bzw. zum Zeitpunkt der Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung übergegangen sein wird (vgl. Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin-III-VO).

Besondere Umstände, die zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO durch die Bundesrepublik Deutschland führen würden, sind nicht ersichtlich.

Hierbei ist aufgrund des vom Bundesverfassungsgericht zur Drittstaatenregelung des § 26 a AsylG entwickelten Konzepts der normativen Vergewisserung davon auszugehen, dass dort die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention als auch der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist, da es sich bei den Niederlanden um einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union und damit um einen sicheren Drittstaat im Sinne des Art. 16 a Abs. 2 GG bzw. § 26 a AsylG handelt.

Die Dublin III-VO ist die grundlegende Vorschrift auf dem Weg zu einem gemeinsamen Europäischen Asylsystem (vgl. Erwägungsgründe Nr. 2, 4 ff der Dublin III-VO), mit dem eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedsstaats bezweckt wird, um letztendlich einen effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft und eine zügige Bearbeitung der Asylanträge zur gewährleisten (vgl. hierzu BVerwG, B. v. 19.3.2014, Az.: 10 B 6/14 m. w. N., juris). Dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem liegt die Vermutung zugrunde, dass jeder Asylbewerber in jedem Mitgliedsstaat gemäß den Anforderungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK) sowie der Europäischen Konvention der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EMRK) behandelt wird (so grds. EuGH, U. v. 21.12.2011, C-411/10 und C-493/10, juris sowie U. v. 14.11.2013 - C-4/11 - beide juris). Die diesem „Prinzip gegenseitigen Vertrauens“ zugrunde liegende Vermutung ist jedoch dann als widerlegt zu betrachten, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in einem zuständigen Mitgliedstaat derart grundlegende, systemische Mängel aufweisen, dass für dorthin überstellte Asylbewerber die Gefahr besteht, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Grundrechtscharta bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden (EuGH, U. v. 21.12.2011, a. a. O., U. v. 14.11.2013, a. a. O.). Dies wiederum hat zur Folge, dass der Asylbewerber der Überstellung in den zuständigen Mitgliedsstaat nur mit dem Einwand sogenannter systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten kann (so grundsätzlich EUGH, große Kammer, U. v. 10.12.2013, RS: 10-394/12, juris). Diese Rechtsprechung mündete nunmehr in Art. 3 Abs. 2 der Dublin III-VO, der bestimmt, dass im Falle systemischer Schwachstellen in einem Mitgliedsstaat für den Fall, dass keine anderen zuständigen Staaten gefunden werden können, der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedsstaat der zuständige Mitgliedsstaat wird.

Solche systemische Mängel im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO liegen aber erst dann vor, wenn die bereits angesprochenen Grundrechtsverletzungen oder Verstöße gegen Art. 3 EMRK nicht nur in Einzelfällen vorliegen, sondern strukturell bedingt sind. Deshalb setzen systemische Mängel im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO voraus, dass die Asylverfahren bzw. die Aufnahmebedingungen im eigentlich zuständigen Mitgliedsstaat so defizitär sind, dass einem Asylbewerber im konkreten Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass sich die konkrete Gefahr einer gegen die Grundrechte verstoßenden Behandlung im zuständigen Staat aus der grundsätzlichen Behandlung der Asylbewerber heraus ergeben muss, die eben systemisch angelegt sein muss, dass also eine Verletzung von Grundrechten in einem Einzelfall nicht zur Aktivierung des Selbsteintritts ausreicht (BVerwG, B. v. 6.6.2014, Az.: 10 B 25/14, juris). Diese Defizite müssen des Weiteren in der Art und Weise offensichtlich sein, dass sie im überstellenden Mitgliedsstaat allgemein bekannt sein müssen (EUGH, U. v. 21.12.2011, a. a. O.) und im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedsstaats angelegt sein oder die Vollzugspraxis dort strukturell prägen, so dass sie des Weiteren aufgrund ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit aus Sicht der zuständigen Behörden und Gerichte verlässlich zu prognostizieren sind (BVerwG v. 6.6.2014, a. a. O., m. w. N.).

In Bezug auf die Niederlande ist nach aktuellem Kenntnisstand nicht davon auszugehen, dass den Antragstellern im Falle ihrer Rücküberstellung in dieses Land eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. im Sinne von Artikel 3 EMRK droht, insbesondere im Hinblick auf ihre besondere Verletzlichkeit als Familie mit Kleinkindern bzw. Kindern. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass in den Niederlanden systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber vorliegen. Auch liegen dem Gericht keine Erkenntnisse darüber vor, dass namhafte sachverständige Institutionen, Nicht-Regierungsorganisationen oder insbesondere der UNHCR eine Empfehlung dahingehend ausgesprochen hätten, Asylbewerber nicht in die Niederlande zu überstellen. Dementsprechend geht auch die Rechtsprechung der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit davon aus, dass systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in den Niederlanden tatsächlich nicht vorliegen (vgl. VG Regensburg, B. v. 26.3.2014 - RN 5 S 14.30303; VG Augsburg, B. v. 21.11.2013 - Au 6 S 13.30424; VG München, B. v. 02.09.2013 - M 16 E 13.30861). Die Einzelrichterin schließt sich dieser Rechtsauffassung an. Nach alledem ergeben sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 2 AsylG analog) in Bezug auf die Niederlande keine ernst zu nehmenden Anhaltspunkte für das Bestehen solcher systemischer Mängel.

Auch sonstige Gründe, die die Antragsgegnerin veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, sind nicht ersichtlich.

2.

Die Abschiebung kann allerdings derzeit nicht - wie von § 34 a Abs. 1 AsylG außerdem vorausgesetzt - durchgeführt werden.

Das Bundesamt hat vor Erlass einer Abschiebungsanordnung auch zu prüfen, ob inlandsbezogene Abschiebungshindernisse oder Duldungsgründe vorliegen, die der Abschiebung entgegenstehen können. Dabei sind von der Antragsgegnerin auch Abschiebungshindernisse und Duldungsgründe zu berücksichtigen, die erst nach Erlass der Abschiebungsanordnung entstehen (vgl. BVerfG, B. v. 17.9.2014 - 2 BvR 732/14 - AuAS 2014, S. 244 ff - juris Rn. 11 f; OVG NRW, B. v. 30.8.2011 - 18 B 1060/11 - juris Rn. 4).

Im vorliegenden Fall erweist sich die Abschiebung der Antragstellerin zu 1) mit Blick auf ihre - fachärztlich attestierte - Niederkunft (voraussichtlich am 8. Oktober 2015) und einer daraus folgenden Reiseunfähigkeit gem. § 60a Abs. 2 AufenthG i. V. m. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG für einen Zeitraum bis 8 Wochen nach der Entbindung als rechtlich unmöglich. Im Hinblick auf die aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG folgenden staatlichen Schutzpflichten in Bezug auf das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit sind die mit der Abschiebung betrauten Behörden verpflichtet, von einer Abschiebung abzusehen, wenn diese mit einer erheblichen konkreten Gefahr für die Gesundheit oder die körperliche Unversehrtheit des Ausländers verbunden wäre. Das Gericht geht davon aus, dass die Bestimmungen über Mutterschutzfristen im Mutterschutzgesetz (vgl. § 3 Abs. 2 und § 6 Abs. 1 MuSchG) bei der Frage der Durchführbarkeit einer Abschiebung entsprechend heranzuziehen sind, so dass für den Zeitraum von 6 Wochen vor der Entbindung bis 8 Wochen nach der Entbindung grundsätzlich ein Abschiebungshindernis besteht. Dies ergibt sich aus der gesetzgeberischen Wertung des § 3 Abs. 2 MuSchG, der für diesen Zeitraum ein arbeitsrechtliches Beschäftigungsverbot festsetzt und auf der allgemeinen Erkenntnis beruht, dass bei einer erheblichen physischen oder psychischen Belastung der Schwangeren in dieser Zeit Gefahren für Mutter und Kind drohen (so auch OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 18.11.2013 - OVG 7 S 92.13 - juris VG Oldenburg, B. v. 29.1.2013 - 11 B 37/13 - juris Rn. 10). Diese zeitliche Grenze kann auch für Abschiebungen herangezogen werden, da davon auszugehen ist, dass die physische und psychische Belastung im Falle einer zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung jedenfalls derjenigen einer Arbeit an einem Büroarbeitsplatz zumindest gleichkommt (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 10. Dezember 2014 - 2 M 127/14 -, juris, Rn. 10; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 3. September 2012 - OVG 11 S 40.12 -, juris Rn. 27; Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, § 60 a Rn. 146).

Ist die Abschiebung der Antragstellerin zu 1) danach vorübergehend rechtlich unmöglich, so liegt auch bei den Antragstellern zu 2) und zu 3) ein solches inlandsbezogenes Abschiebungshindernis vor. Eine Trennung der Familieneinheit wäre gem. Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO und gemessen an dem durch Artikel 6 Grundgesetz (GG) bzw. Artikel 8 EMRK gewährleisteten Schutz der Familie unzulässig (vgl. auch VG München, B. 12.6.2015 - M 12 S 15.50490 - juris). Auch wenn Artikel 6 GG unmittelbar keinen Aufenthaltsanspruch gewährt, muss die jeweilige zuständige Behörde - hier das Bundesamt - bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des Ausländers an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen. Berührt eine aufenthaltsbeendende Maßnahme die Beziehung zwischen einem Kind und seinem Elternteil, so ist maßgeblich auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Ist dies der Fall geht Artikel 6 GG davon aus, dass die persönliche Verbundenheit dem Kindeswohl dient (vgl. VG Düsseldorf, U. v. 3.8.2015 - 13 L 2377/15.A - juris; VG Aachen, U. v. 4.4.2014 - 2 K 1273/13.A - juris).

Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung geht das Gericht von einer unter dem Schutz der Artikel 6 GG bzw. Artikel 8 EMRK stehenden familiären Beziehung zwischen der Antragstellerin zu 1) und ihren Kindern, den Antragstellern zu 2) und 3) aus.

Demzufolge war dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stattzugeben, soweit die Antragsteller die Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung für den Zeitraum der Mutterschutzfrist begehren. Soweit die Antragsteller über die 8-Wochen-Frist hinaus die Aussetzung der Vollziehung ihrer Abschiebungsanordnung bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens begehren, bleibt der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hingegen ohne Erfolg. Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, ist die Abschiebungsanordnung im Übrigen rechtmäßig.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Angesichts des nur geringfügigen Obsiegens der Antragsteller waren ihnen die Kosten insgesamt aufzuerlegen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).

Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.

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1.
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2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Die Klage gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz hat nur in den Fällen des § 38 Absatz 1 sowie des § 73b Absatz 7 Satz 1 aufschiebende Wirkung. Die Klage gegen Maßnahmen des Verwaltungszwangs (§ 73b Absatz 5) hat keine aufschiebende Wirkung.

(2) Die Klage gegen Entscheidungen des Bundesamtes, mit denen die Anerkennung als Asylberechtigter oder die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft widerrufen oder zurückgenommen worden ist, hat in folgenden Fällen keine aufschiebende Wirkung:

1.
bei Widerruf oder Rücknahme wegen des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder des § 3 Absatz 2,
2.
bei Widerruf oder Rücknahme, weil das Bundesamt nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen hat.
Dies gilt entsprechend bei Klagen gegen den Widerruf oder die Rücknahme der Gewährung subsidiären Schutzes wegen Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Absatz 2. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung bleibt unberührt.

Gründe

I.

1

Der Kläger, ein malischer Staatsangehöriger, reiste im Mai 2009 über den Seeweg nach Italien ein und stellte dort einen Asylantrag. Im Juli 2009 stellte er in der Schweiz einen weiteren Asylantrag und entzog sich der Überstellung nach Italien. Auf seinen am 1. Oktober 2010 in Österreich gestellten Asylantrag überstellten ihn die österreichischen Behörden im Juli 2011 nach Italien. Im November 2011 wurde der Kläger in Deutschland aufgegriffen und stellte erneut einen Asylantrag. Dem Übernahmeersuchen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) stimmten die italienischen Behörden im Februar 2012 zu. Daraufhin entschied das Bundesamt mit Bescheid vom 7. Mai 2012, dass der Asylantrag unzulässig sei und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Italien an. Das Verwaltungsgericht hat seiner dagegen gerichteten Klage stattgegeben, das Oberverwaltungsgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Es hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Beschwerde.

II.

2

Die Beschwerde, mit der der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sowie einen Gehörsverstoß des Berufungsgerichts (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 108 Abs. 2 VwGO) rügt, hat keinen Erfolg.

3

1. Die Beschwerde wirft als grundsätzlich bedeutsam die Frage auf,

"welchen rechtlichen Anforderungen der Begriff der 'systemischen Mängel' unterliegt, insbesondere welcher Wahrscheinlichkeits- und Beweismaßstab für die Annahme erforderlich ist, dass für einen Asylbewerber eine tatsächliche Gefahr besteht, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt zu werden."

4

Diese Frage rechtfertigt mangels Klärungsbedürftigkeit nicht die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Denn sie lässt sich, soweit sie nicht bereits in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt ist, auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung und des nationalen Prozessrechts ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantworten.

5

Gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 2 der im vorliegenden Verfahren (noch) maßgeblichen Verordnung Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl EU Nr. L 50 S. 1) - Dublin-II-Verordnung - wird ein Asylantrag von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. Wie sich aus ihren Erwägungsgründen 3 und 4 ergibt, besteht einer der Hauptzwecke der Dublin-II-Verordnung in der Schaffung einer klaren und praktikablen Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft und eine zügige Bearbeitung der Asylanträge zu gewährleisten. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem gründet sich auf das Prinzip gegenseitigen Vertrauens, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden (EuGH - Große Kammer, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 und Rs. C-493/10, N.S. u.a. - Slg. 2011, I-13905 Rn. 78 f. = NVwZ 2012, 417). Daraus hat der Gerichtshof die Vermutung abgeleitet, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta (GR-Charta) sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht (EuGH a.a.O. Rn. 80).

6

Dabei hat der Gerichtshof nicht verkannt, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stoßen kann, so dass die ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung an den nach Unionsrecht zuständigen Mitgliedstaat auf unmenschliche oder erniedrigende Weise behandelt werden. Deshalb geht er davon aus, dass die Vermutung, die Rechte der Asylbewerber aus der Grundrechte-Charta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention würden in jedem Mitgliedstaat beachtet, widerlegt werden kann (EuGH a.a.O. Rn. 104). Eine Widerlegung der Vermutung hat er aber wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln (EuGH a.a.O. Rn. 81 ff.). Ist hingegen ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 GR-Charta zur Folge haben, ist eine Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar (EuGH a.a.O. Rn. 86 und 94).

7

Der Gerichtshof hat seine Überlegungen dahingehend zusammengefasst, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den "zuständigen Mitgliedstaat" im Sinne der Dublin-II-Verordnung zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu werden (EuGH a.a.O. Rn. 106 und LS 2; ebenso Urteil der Großen Kammer vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11, Puid - NVwZ 2014, 129 Rn. 30). Schließlich hat er für den Fall, dass der zuständige Mitgliedstaat der Aufnahme zustimmt, entschieden, dass der Asylbewerber mit dem in Art. 19 Abs. 2 der Dublin-II-Verordnung vorgesehenen Rechtsbehelf gegen die Überstellung der Heranziehung des in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung niedergelegten Zuständigkeitskriteriums nur mit dem o.g. Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten kann (EuGH - Große Kammer, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12, Abdullahi - NVwZ 2014, 208 Rn. 60). Diese Rechtsprechung des Gerichtshofs liegt auch Art. 3 Abs. 2 der Neufassung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 (ABl EU L Nr. 180 S. 31) - Dublin-III-Verordnung - zugrunde.

8

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat derartige systemische Mängel für das Asylverfahren wie für die Aufnahmebedingungen der Asylbewerber in Griechenland in Fällen der Überstellung von Asylbewerbern im Rahmen des Dublin-Systems der Sache nach bejaht (EGMR - Große Kammer, Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien und Griechenland - NVwZ 2011, 413) und in Folgeentscheidungen insoweit ausdrücklich auf das Kriterium des systemischen Versagens ("systemic failure") abgestellt (EGMR, Entscheidungen vom 2. April 2013 - Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u.a./Niederlande und Italien - ZAR 2013, 336 Rn. 78; vom 4. Juni 2013 - Nr. 6198/12, Daytbegova u.a./Österreich - Rn. 66; vom 18. Juni 2013 - Nr. 53852/11, Halimi/Österreich und Italien - ZAR 2013, 338 Rn. 68; vom 27. August 2013 - Nr. 40524/10, Mohammed Hassan/Niederlande und Italien - Rn. 176 und vom 10. September 2013 - Nr. 2314/10, Hussein Diirshi/Niederlande und Italien - Rn. 138).

9

Für das in Deutschland - im Unterschied zu anderen Rechtssystemen - durch den Untersuchungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) geprägte verwaltungsgerichtliche Verfahren hat das Kriterium der systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union Bedeutung für die Gefahrenprognose im Rahmen des Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK. Der Tatrichter muss sich zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 22 m.w.N. = Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 39) einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Die Fokussierung der Prognose auf systemische Mängel ist dabei, wie sich aus den Erwägungen des Gerichtshofs zur Erkennbarkeit der Mängel für andere Mitgliedstaaten ergibt (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 und Rs. C-493/10 - a.a.O. Rn. 88 bis 94), Ausdruck der Vorhersehbarkeit solcher Defizite, weil sie im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen. Solche Mängel treffen den Einzelnen in dem zuständigen Mitgliedstaat nicht unvorhersehbar oder schicksalhaft, sondern lassen sich aus Sicht der deutschen Behörden und Gerichte wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren. Die Widerlegung der o.g. Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Dann scheidet eine Überstellung an den nach der Dublin-II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat aus. Diesen Maßstab hat das Berufungsgericht der angefochtenen Entscheidung erkennbar zugrunde gelegt.

10

2. Mit der Gehörsrüge macht die Beschwerde geltend, das Berufungsgericht habe zusammen mit seiner Ankündigung vom 8. Oktober 2013, dass erwogen werde, ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss gemäß § 130a VwGO zu entscheiden, darauf hingewiesen, dass der 3. Senat des Gerichts in vergleichbaren Fällen ebenso entschieden habe. Trotz entsprechender Aufforderung habe das Berufungsgericht die damals noch nicht abgesetzten Entscheidungen des anderen Senats nicht zugänglich gemacht und auch die Frist zur Stellungnahme nicht verlängert. Die Gehörsrüge greift nicht durch.

11

Aus Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO ergibt sich, dass eine gerichtliche Entscheidung nur auf solche Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden darf, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Die Verwertung tatsächlicher Feststellungen aus anderen Verfahren für den zur Entscheidung anstehenden Rechtsstreit unterliegt - nicht anders als andere tatsächliche Feststellungen - dem Gebot des rechtlichen Gehörs (Urteil vom 8. Februar 1983 - BVerwG 9 C 847.82 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 132 = InfAuslR 1983, 184). Dagegen verstößt ein Gericht, wenn es anstelle einer eigenen Beweiserhebung auf Entscheidungen mit umfangreichen tatsächlichen Feststellungen verweist, ohne die Entscheidungen den Beteiligten so zugänglich zu machen, dass sie sich dazu hätten äußern können. Zieht ein Gericht aber andere Entscheidungen nur als bestätigenden Beleg dafür heran, dass andere Gerichte die Lage (einer bestimmten Gruppe) in einem Land tatrichterlich in ähnlicher Weise gewürdigt und deshalb rechtlich die gleichen Schlussfolgerungen gezogen haben, unterliegen solche Bezugnahmen nicht den besonderen Anforderungen des § 108 Abs. 2 VwGO (Urteil vom 22. März 1983 - BVerwG 9 C 860.82 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 133; Beschluss vom 12. Juli 1985 - BVerwG 9 CB 104.84 - Buchholz 310 § 103 VwGO Nr. 8 = NJW 1986, 3154).

12

An diesem Maßstab gemessen erweist sich die Gehörsrüge als unbegründet. Das Berufungsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung die Lage der Asylbewerber in Italien unter Auswertung verschiedener Quellen selbstständig tatrichterlich gewürdigt. Es hat die in dem Schreiben vom 8. Oktober 2013 genannten Entscheidungen des 3. Senats des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt ausweislich der Entscheidungsgründe nicht verwertet. Daher ist nicht ersichtlich, wie die angefochtene Entscheidung durch die - sicherlich prozessual ungeschickte - Vorgehensweise des Berufungsgerichts das rechtliche Gehör des Klägers hätte verletzen können. Denn die Auskunftsquellen als Grundlagen der tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts waren dem Kläger mit dem gerichtlichen Schreiben vom 8. Oktober 2013 bekannt gegeben worden, so dass er sich dazu äußern konnte.

13

Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.

(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.

(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. H. wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführer sind äthiopische Staatsangehörige und Eltern eines am 12. Februar 2014 geborenen Sohnes. Sie reisten im März 2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten einen Asylantrag; zuvor hatten sie bereits in Italien einen Asylantrag gestellt. Sie wenden sich gegen einen am 3. März 2014 zugestellten Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 27. Februar 2014, mit dem ihnen Eilrechtsschutz gegen die auf § 34a Abs. 1 Satz 1, § 27a AsylVfG gestützte Anordnung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom 3. Februar 2014 versagt wurde, sie auf Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin II) nach Italien abzuschieben.

2

1. Das Verwaltungsgericht lehnte den Eilantrag der Beschwerdeführer mit der Maßgabe ab, dass die angeordnete Abschiebung unter Berücksichtigung einer zweimonatigen "Mutterschutzfrist" (in Anlehnung an § 6 MuSchG) nicht vor dem 1. Mai 2014 vollzogen werden dürfe. Eine Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zum Selbsteintritt gemäß Art. 3 Abs. 2 der Dublin II-Verordnung bestehe nicht. Weder sei ein Ausnahmefall nach dem Konzept der normativen Vergewisserung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 94, 49 ff.) gegeben, noch lägen systemische Mängel des italienischen Asyl- und Aufnahmesystems im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. EuGH , Urteil vom 21. Dezember 2011, N.S. ./. Secretary of State, verb. Rs. C-411/10, C-493/10, NVwZ 2012, S. 417) vor, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellten, dass der Asylbewerber oder Flüchtling tatsächlich Gefahr laufe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt zu werden. Systemische Mängel, die eine Aussetzung der Abschiebung in Anwendung von Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) gebieten könnten, seien auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Falle von Italien aufgrund der Auskunftslage derzeit nicht erkennbar (vgl. EGMR, Beschluss vom 2. April 2013, Mohammed Hussein u.a. v. Niederlande und Italien, Nr. 27725/10, ZAR 2013, S. 336).

3

2. Die Beschwerdeführer rügen mit ihrer am 3. April 2014 erhobenen Verfassungsbeschwerde die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 16a Abs. 1 in Verbindung mit Art. 23 GG, Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 23 GG, Art. 3 Abs. 1 GG wegen willkürlicher Verkennung der Vorgaben aus Art. 3 EMRK sowie aus Art. 6 Abs. 1 GG.

4

a) Die Beschwerdeführer befürchten unter Bezugnahme insbesondere auf einen Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zu den Aufnahmebedingungen in Italien vom Oktober 2013, bei einer Rückkehr nach Italien wie die große Mehrheit der Schutzbedürftigen obdachlos zu werden und keinen Zugang zu Gesundheitsvorsorge und Nahrungsmitteln zu erhalten. Schutzbedürftige Dublin-Rückkehrer seien einem sehr hohen Risiko der Verelendung ausgesetzt; ihre Situation sei wesentlich prekärer als die eines Asylsuchenden, der sich noch im Verfahren befinde. Etwas anderes gelte allenfalls für besonders schutzbedürftige Personen. Allerdings gälten Familien mit beiden Elternteilen in Italien nicht als verletzlich. Auch wenn es zu einer staatlichen Unterbringung kommen sollte, bestehe die Gefahr, dass sie nicht als Familie untergebracht würden, sondern dass es zu einer Unterbringung von Mutter und Kind in der einen, des Vaters aber in einer anderen Einrichtung komme. Eine Trennung der Familie, um die Wahrscheinlichkeit der Unterbringung zu erhöhen, könne ihnen jedoch nach Art. 8 EMRK nicht zugemutet werden. Gerade im Hinblick auf ihr neugeborenes Kind erscheine die Vorenthaltung von Gesundheitsversorgung und Nahrung dramatisch.

5

b) Das Grundrecht der Beschwerdeführer aus Art. 16a Abs. 1 in Verbindung mit Art. 23 GG sei verletzt, weil das Verwaltungsgericht zu Unrecht davon ausgehe, die Berufung auf das Asyl-Grundrecht werde in Dublin-Fällen durch Art. 16a Abs. 2 GG ausgeschlossen. Die Dublin-Fälle richteten sich vielmehr allein nach der - spezielleren - Vorschrift des Art. 16a Abs. 5 GG und den Vorgaben des - zwischenzeitlich vergemeinschafteten - europäischen Asylsystems. Während Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG den materiell-rechtlichen Gewährleistungsinhalt des Grundrechts auf Asyl grundsätzlich einschränke und den Prüfungsmaßstab nach dem Konzept der normativen Vergewisserung festlege, liege der Kompetenzübertragung nach Art. 16a Abs. 5 in Verbindung mit Art. 23 GG die Idee zugrunde, dass die Bundesrepublik den Gewährleistungsinhalt von Art. 16a Abs. 1 GG einer europäischen Zuständigkeitsregelung unterwerfe und zugleich an ihr normsetzend mitwirke. Die Pflichten, die die Bundesrepublik sich mit Art. 16a Abs. 1 GG auferlegt habe, könne sie danach nur soweit delegieren, wie die Verheißung eines im Gebiet der Dublin-Verordnung geltenden Flüchtlingsschutzes im anderen Mitgliedstaat auch wirklich eingelöst werde. Sei dies nicht der Fall, treffe die Bundesrepublik kraft des wechselseitigen und auf Solidarität sowie Mindeststandards beruhenden Lastenausgleichssystems die Rolle eines "Ausfallbürgen". Europäische Asylstandards würden in Italien jedoch nicht gewahrt; nach allem, was über die dortige Situation von Asylbewerbern bekannt sei, würden dort entscheidende Bestimmungen aus der Verfahrens-, Aufnahme- und Qualifikationsrichtlinie ebenso verletzt wie Gewährleistungen der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK.

6

Aus der Pflicht der Bundesrepublik zu gewährleisten, dass die Beschwerdeführer bei Überstellung an einen Dublin-Zielstaat keine Rechtsverletzungen an anderen Rechtsgütern erlitten, folge, dass die Bundesrepublik sich derartige Rechtsverletzungen zurechnen lassen müsse. Ihnen drohe in Italien Obdachlosigkeit und eine defiziente Gesundheits- und Lebensmittelversorgung, die in die reale Gefahr der Verelendung führe; hierin liege eine Verletzung sowohl der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG als auch eine Gefahr für ihr Leben und ihre körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Das Verwaltungsgericht habe im Übrigen auch gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, indem es die einfachgesetzlich geltenden Normen der EMRK verfehlt interpretiert habe. In ihrem Falle sei Art. 3 EMRK zu berücksichtigen gewesen, der mit dem Verbot "unmenschlicher" oder "erniedrigender" Behandlung nach allgemeiner Auffassung gerade die Situation der Verelendung umschreibe, die durch den Zielstaat der Überstellung zu unterbleiben habe. Die drohende Trennung der Familie verletze Art. 6 GG.

II.

7

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Ihr kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, und die Annahme ist nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>); sie ist unzulässig (dazu 1. und 2.). Hiervon unabhängig besteht allerdings Anlass zu dem Hinweis, dass die mit der Rückführung befassten deutschen Behörden in dem vorliegenden Einzelfall geeignete Vorkehrungen zum Schutz des von der Rückführung betroffenen Kleinkindes der Beschwerdeführer zu treffen haben (dazu 3.).

8

1. Soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 16a Abs. 1 in Verbindung mit Art. 23 GG und Art. 3 Abs. 1 GG wegen willkürlicher Verkennung der Vorgaben aus Art. 3 EMRK rügen, zeigen sie schon die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung nicht auf (vgl. zu diesem Erfordernis nur BVerfGE 108, 370 <386 f.>). Die Beschwerdeführer setzen sich mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 94, 49 <95 ff.>), des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. EuGH , Urteil vom 21. Dezember 2011, N.S. ./. Secretary of State, verb. Rs. C-411/10, C-493/10, NVwZ 2012, S. 417) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. EGMR , Urteil vom 21. Januar 2011, M.S.S. v. Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09, NVwZ 2011, S. 413; Beschluss vom 2. April 2013, Mohammed Hussein u.a. v. Niederlande und Italien, Nr. 27725/10, ZAR 2013, S. 336) nicht auseinander, die der angegriffenen Entscheidung zugrunde liegt.

9

2. Soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung in ihren Rechten aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 23 GG sowie aus Art. 6 Abs. 1 GG aufgrund einer drohenden Obdachlosigkeit und einer Trennung der Eltern von ihrem neugeborenen Kind bei einer Abschiebung geltend machen, legen sie nicht hinreichend substantiiert dar, dass sie in Italien mit Obdachlosigkeit und Trennung der Familie zu rechnen haben und ihrem Sohn als Folge der Abschiebung mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Gesundheitsgefahren drohen. Es bedarf daher keiner Klärung, ob dahingehende systemische Mängel des italienischen Aufnahmesystems bestehen und ob solche strukturelle Defizite in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union einen im Konzept der normativen Vergewisserung nicht aufgefangenen Sonderfall darstellen können (vgl. dazu nur Moll/Pohl, ZAR 2012, S. 102 <104 ff.>; zu den Darlegungslasten für die Begründung eines solchen Sonderfalles vgl. BVerfGE 94, 49 <100>). Hierbei wäre ohnehin zu berücksichtigen, dass etwaige mit der Überforderung des Asylsystems eines Mitgliedstaats der Europäischen Union verbundene transnationale Probleme vornehmlich auf der Ebene der Europäischen Union zu bewältigen sind (vgl. BVerfGE 128, 224 <226>).

10

3. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann es allerdings - unbeschadet der Prüfung, ob einer Zurückweisung oder Rückverbringung eines Ausländers in einen sicheren Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen - in Einzelfällen geboten sein, dass die deutschen Behörden vor einer solchen mit den im Zielstaat zuständigen Behörden Kontakt aufnehmen, den Sachverhalt klären und gegebenenfalls zum Schutz des Ausländers Vorkehrungen treffen (vgl. BVerfGE 94, 49 <100>). Insbesondere besteht eine Verpflichtung der mit dem Vollzug einer Abschiebung betrauten Stelle, von Amts wegen aus dem Gesundheitszustand eines Ausländers folgende tatsächliche Abschiebungshindernisse in jedem Stadium der Durchführung der Abschiebung zu beachten; diese Stelle hat gegebenenfalls durch ein (vorübergehendes) Absehen von der Abschiebung (Duldung) oder durch entsprechende tatsächliche Gestaltung derselben die notwendigen Vorkehrungen zu treffen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Februar 1998 - 2 BvR 185/98 -, InfAuslR 1998, S. 241 <242>).

11

a) Nach der - von Verfassungs wegen nicht zu beanstandenden - jüngeren Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ist es im Rahmen des Verfahrens auf Erlass einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylVfG mit Blick auf den Wortlaut dieser Vorschrift Aufgabe allein des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zu prüfen, ob "feststeht", dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Das Bundesamt hat damit sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse als auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollzugshindernisse zu prüfen, so dass daneben für eine eigene Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde zur Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG kein Raum verbleibt (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29. November 2004 - 2 M 299/04, juris; Hamburgisches OVG, Beschluss vom 3. Dezember 2010 - 4 Bs 223/10 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Mai 2011 - A 11 S 1523/11 -, InfAuslR 2011, S. 310, dort <311> auch m.w.N. zur a.A.; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. August 2011 - 18 B 1060/11 -, juris; Niedersächsisches OVG, Urteil vom 4. Juli 2012 - 2 LB 163/10 -, InfAuslR 2012, S. 383; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1. Februar 2012 - OVG 2 S 6.12 -, juris; BayVGH, Beschluss vom 12. März 2014 - 10 CE 14.427 -, juris; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 25. April 2014 - 2 B 215/14 -, juris; zuletzt VG Karlsruhe, Beschluss vom 19. Mai 2014 - A 9 K 3615/13 -, juris).

12

Dies gilt nicht nur hinsichtlich bereits bei Erlass der Abschiebungsanordnung vorliegender, sondern auch bei nachträglich auftretenden Abschiebungshindernissen und Duldungsgründen. Gegebenenfalls hat das Bundesamt die Abschiebungsanordnung aufzuheben oder die Ausländerbehörde anzuweisen, von deren Vollziehung abzusehen (vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. August 2011 - 18 B 1060/11 -, juris, Rn. 4; BayVGH, Beschluss vom 12. März 2014 - 10 CE 14.427 -, juris, Rn. 4; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 25. April 2014 - 2 B 215/14 -, juris, Rn. 7; VG Karlsruhe, Beschluss vom 19. Mai 2014 - A 9 K 3615/13 -, juris, Rn. 4).

13

b) Ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ist nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte unter anderem dann gegeben, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass sich der Gesundheitszustand des Ausländers durch die Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert, und wenn diese Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden kann. Diese Voraussetzungen können nicht nur erfüllt sein, wenn und solange der Ausländer ohne Gefährdung seiner Gesundheit nicht transportfähig ist (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn), sondern auch, wenn die Abschiebung als solche - außerhalb des Transportvorgangs - eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bewirkt (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinn). Das dabei in den Blick zu nehmende Geschehen beginnt regelmäßig bereits mit der Mitteilung einer beabsichtigten Abschiebung gegenüber dem Ausländer. Besondere Bedeutung kommt sodann denjenigen Verfahrensabschnitten zu, in denen der Ausländer dem tatsächlichen Zugriff und damit auch der Obhut staatlicher deutscher Stellen unterliegt. Hierzu gehören das Aufsuchen und Abholen in der Wohnung, das Verbringen zum Abschiebeort sowie eine etwaige Abschiebungshaft ebenso wie der Zeitraum nach Ankunft am Zielort bis zur Übergabe des Ausländers an die Behörden des Zielstaats. In dem genannten Zeitraum haben die zuständigen deutschen Behörden von Amts wegen in jedem Stadium der Abschiebung etwaige Gesundheitsgefahren zu beachten. Diese Gefahren müssen sie entweder durch ein (vorübergehendes) Absehen von der Abschiebung mittels einer Duldung oder aber durch eine entsprechende tatsächliche Gestaltung des Vollstreckungsverfahrens mittels der notwendigen Vorkehrungen abwehren (vgl. zum Ganzen VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. Februar 2008 - 11 S 2439/07 -, InfAuslR 2008, S. 213 <214> unter Verweis auf BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Februar 1998 - 2 BvR 185/98 -, InfAuslR 1998, S. 241).

14

Die der zuständigen Behörde obliegende Pflicht, gegebenenfalls durch eine entsprechende Gestaltung der Abschiebung die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, damit eine Abschiebung verantwortet werden kann, kann es in Einzelfällen gebieten, sicherzustellen, dass erforderliche Hilfen rechtzeitig nach der Ankunft im Zielstaat zur Verfügung stehen, wobei der Ausländer regelmäßig auf den dort allgemein üblichen Standard zu verweisen ist (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 20. Juni 2011 - 2 M 38/11 -, InfAuslR 2011, S. 390 <392>).

15

c) So liegt es auch im vorliegenden Fall. Bei Rückführungen in sichere Drittstaaten können hiervon betroffene Ausländer - anders als bei der Rückführung in ihr Heimatland - regelmäßig weder auf verwandtschaftliche Hilfe noch auf ein soziales Netzwerk bei der Suche nach einer Unterkunft für die Zeit unmittelbar nach ihrer Rückkehr zurückgreifen. Bestehen - wie gegenwärtig im Falle Italiens - aufgrund von Berichten international anerkannter Flüchtlingsschutzorganisationen oder des Auswärtigen Amtes belastbare Anhaltspunkte für das Bestehen von Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung rückgeführter Ausländer im sicheren Drittstaat, hat die auf deutscher Seite für die Abschiebung zuständige Behörde dem angemessen Rechnung zu tragen.

16

Bei Vorliegen einer solchen Auskunftslage hat das zuständige Bundesamt angesichts der hier berührten hochrangigen Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 6 Abs. 1 GG und der bei der Durchführung von Überstellungen nach dem Dublin-System vorrangig zu berücksichtigenden Gesichtspunkte der uneingeschränkten Achtung des Grundsatzes der Einheit der Familie und der Gewährleistung des Kindeswohls (vgl. nunmehr Erwägungsgrund 16 der neugefassten Verordnung Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 - Dublin III-Verordnung) jedenfalls bei der Abschiebung von Familien mit neugeborenen (vgl. Art. 15 Abs. 1 und 2 der Dublin II-Verordnung und Art. 16 Abs. 1 der Dublin III-Verordnung) und Kleinstkindern bis zum Alter von drei Jahren in Abstimmung mit den Behörden des Zielstaats sicherzustellen, dass die Familie bei der Übergabe an diese eine gesicherte Unterkunft erhält, um erhebliche konkrete Gesundheitsgefahren in dem genannten Sinne für diese in besonderem Maße auf ihre Eltern angewiesenen Kinder auszuschließen.

17

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

18

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Der Arbeitgeber darf eine schwangere Frau in den letzten sechs Wochen vor der Entbindung nicht beschäftigen (Schutzfrist vor der Entbindung), soweit sie sich nicht zur Arbeitsleistung ausdrücklich bereit erklärt. Sie kann die Erklärung nach Satz 1 jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen. Für die Berechnung der Schutzfrist vor der Entbindung ist der voraussichtliche Tag der Entbindung maßgeblich, wie er sich aus dem ärztlichen Zeugnis oder dem Zeugnis einer Hebamme oder eines Entbindungspflegers ergibt. Entbindet eine Frau nicht am voraussichtlichen Tag, verkürzt oder verlängert sich die Schutzfrist vor der Entbindung entsprechend.

(2) Der Arbeitgeber darf eine Frau bis zum Ablauf von acht Wochen nach der Entbindung nicht beschäftigen (Schutzfrist nach der Entbindung). Die Schutzfrist nach der Entbindung verlängert sich auf zwölf Wochen

1.
bei Frühgeburten,
2.
bei Mehrlingsgeburten und,
3.
wenn vor Ablauf von acht Wochen nach der Entbindung bei dem Kind eine Behinderung im Sinne von § 2 Absatz 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch ärztlich festgestellt wird.
Bei vorzeitiger Entbindung verlängert sich die Schutzfrist nach der Entbindung nach Satz 1 oder nach Satz 2 um den Zeitraum der Verkürzung der Schutzfrist vor der Entbindung nach Absatz 1 Satz 4. Nach Satz 2 Nummer 3 verlängert sich die Schutzfrist nach der Entbindung nur, wenn die Frau dies beantragt.

(3) Die Ausbildungsstelle darf eine Frau im Sinne von § 1 Absatz 2 Satz 2 Nummer 8 bereits in der Schutzfrist nach der Entbindung im Rahmen der schulischen oder hochschulischen Ausbildung tätig werden lassen, wenn die Frau dies ausdrücklich gegenüber ihrer Ausbildungsstelle verlangt. Die Frau kann ihre Erklärung jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen.

(4) Der Arbeitgeber darf eine Frau nach dem Tod ihres Kindes bereits nach Ablauf der ersten zwei Wochen nach der Entbindung beschäftigen, wenn

1.
die Frau dies ausdrücklich verlangt und
2.
nach ärztlichem Zeugnis nichts dagegen spricht.
Sie kann ihre Erklärung nach Satz 1 Nummer 1 jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen.

(1) Der Arbeitgeber darf eine schwangere oder stillende Frau nicht an Sonn- und Feiertagen beschäftigen. Er darf sie an Sonn- und Feiertagen nur dann beschäftigen, wenn

1.
sich die Frau dazu ausdrücklich bereit erklärt,
2.
eine Ausnahme vom allgemeinen Verbot der Arbeit an Sonn- und Feiertagen nach § 10 des Arbeitszeitgesetzes zugelassen ist,
3.
der Frau in jeder Woche im Anschluss an eine ununterbrochene Nachtruhezeit von mindestens elf Stunden ein Ersatzruhetag gewährt wird und
4.
insbesondere eine unverantwortbare Gefährdung für die schwangere Frau oder ihr Kind durch Alleinarbeit ausgeschlossen ist.
Die schwangere oder stillende Frau kann ihre Erklärung nach Satz 2 Nummer 1 jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen.

(2) Die Ausbildungsstelle darf eine schwangere oder stillende Frau im Sinne von § 1 Absatz 2 Satz 2 Nummer 8 nicht an Sonn- und Feiertagen im Rahmen der schulischen oder hochschulischen Ausbildung tätig werden lassen. Die Ausbildungsstelle darf sie an Ausbildungsveranstaltungen an Sonn- und Feiertagen teilnehmen lassen, wenn

1.
sich die Frau dazu ausdrücklich bereit erklärt,
2.
die Teilnahme zu Ausbildungszwecken zu dieser Zeit erforderlich ist,
3.
der Frau in jeder Woche im Anschluss an eine ununterbrochene Nachtruhezeit von mindestens elf Stunden ein Ersatzruhetag gewährt wird und
4.
insbesondere eine unverantwortbare Gefährdung für die schwangere Frau oder ihr Kind durch Alleinarbeit ausgeschlossen ist.
Die schwangere oder stillende Frau kann ihre Erklärung nach Satz 2 Nummer 1 jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen.

(1) Der Arbeitgeber darf eine schwangere Frau in den letzten sechs Wochen vor der Entbindung nicht beschäftigen (Schutzfrist vor der Entbindung), soweit sie sich nicht zur Arbeitsleistung ausdrücklich bereit erklärt. Sie kann die Erklärung nach Satz 1 jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen. Für die Berechnung der Schutzfrist vor der Entbindung ist der voraussichtliche Tag der Entbindung maßgeblich, wie er sich aus dem ärztlichen Zeugnis oder dem Zeugnis einer Hebamme oder eines Entbindungspflegers ergibt. Entbindet eine Frau nicht am voraussichtlichen Tag, verkürzt oder verlängert sich die Schutzfrist vor der Entbindung entsprechend.

(2) Der Arbeitgeber darf eine Frau bis zum Ablauf von acht Wochen nach der Entbindung nicht beschäftigen (Schutzfrist nach der Entbindung). Die Schutzfrist nach der Entbindung verlängert sich auf zwölf Wochen

1.
bei Frühgeburten,
2.
bei Mehrlingsgeburten und,
3.
wenn vor Ablauf von acht Wochen nach der Entbindung bei dem Kind eine Behinderung im Sinne von § 2 Absatz 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch ärztlich festgestellt wird.
Bei vorzeitiger Entbindung verlängert sich die Schutzfrist nach der Entbindung nach Satz 1 oder nach Satz 2 um den Zeitraum der Verkürzung der Schutzfrist vor der Entbindung nach Absatz 1 Satz 4. Nach Satz 2 Nummer 3 verlängert sich die Schutzfrist nach der Entbindung nur, wenn die Frau dies beantragt.

(3) Die Ausbildungsstelle darf eine Frau im Sinne von § 1 Absatz 2 Satz 2 Nummer 8 bereits in der Schutzfrist nach der Entbindung im Rahmen der schulischen oder hochschulischen Ausbildung tätig werden lassen, wenn die Frau dies ausdrücklich gegenüber ihrer Ausbildungsstelle verlangt. Die Frau kann ihre Erklärung jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen.

(4) Der Arbeitgeber darf eine Frau nach dem Tod ihres Kindes bereits nach Ablauf der ersten zwei Wochen nach der Entbindung beschäftigen, wenn

1.
die Frau dies ausdrücklich verlangt und
2.
nach ärztlichem Zeugnis nichts dagegen spricht.
Sie kann ihre Erklärung nach Satz 1 Nummer 1 jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen.

Gründe

1

I. Die gemäß § 146 Abs. 4 VwGO zulässige Beschwerde der Antragsteller hat Erfolg.

2

Das Verwaltungsgericht hat angenommen, der Antrag der Antragsteller sei bereits unzulässig, da er zur Unzeit gestellt worden sei. Die Antragsteller hätten bewusst erst sehr spät am 13.10.2014 bei dem Antragsgegner eine Duldung beantragt und am 15.10.2014 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, um die zuständige Behörde und das Gericht ohne sachlichen Grund unter Druck zu setzen, obwohl ihnen der Abschiebetermin vom 17.10.2014 bereits mit Schreiben vom 17.09.2014 bekannt gegeben worden sei. Der Antrag habe aber auch in der Sache keinen Erfolg. Die Antragsteller hätten keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Das geltend gemachte Grundrecht auf Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) stehe ihnen nicht zur Seite, weil keine Lebensgemeinschaft bestehe. Dass der Antragsteller zu 1 mit Frau (...) und deren Kind, dessen Vaterschaft er zeitnah anzuerkennen beabsichtige, künftig zusammenleben möchte, könne das tatsächliche Bestehen einer familiären Lebensgemeinschaft im Sinne einer Beistandsgemeinschaft nicht ersetzen. Der Antragsteller zu 1 habe nicht dargelegt, wann, seit wann überhaupt, bei welchen Gelegenheiten und wie lange er Frau (...), die etwa in der 7. Woche schwanger sei, gesehen habe. Auch fehle es an jeglichem Vortrag dazu, wie er Frau (...) kennengelernt haben wolle, zumal sein Aufenthalt auf das Bundesland Sachsen-Anhalt beschränkt sei. Soweit der Antragsteller zu 1 auf einen bevorstehenden Termin beim Bezirksamt (...) der Freien und Hansestadt B-Stadt verweise, in dem er die Vaterschaft für das ungeborene Kind der Frau (...) anerkennen wolle, handele es sich lediglich um ein zukünftiges ungewisses Ereignis, welches das Bestehen einer familiären Lebensgemeinschaft ebenfalls nicht ersetzen könne.

3

Dieser Würdigung durch das Verwaltungsgericht tritt die Beschwerde mit Erfolg entgegen.

4

Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sogenannte Sicherungsanordnung). Anordnungsanspruch und -grund sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

5

Diese Voraussetzungen für den Erlass der von den Antragstellern begehrten einstweiligen Anordnung sind erfüllt. Der Antragsteller zu 1 hat einen Anspruch auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG glaubhaft gemacht (dazu 1). Auch die Antragsteller zu 2 – 3 haben einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (dazu 2). Es besteht auch ein Anordnungsgrund (dazu 3).

6

1. Die Zuerkennung von Abschiebungsschutz gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG für den ausländischen Vater eines noch nicht geborenen deutschen Kindes kommt dann in Betracht, wenn eine Gefahrenlage für das ungeborene Kind oder die Mutter (Risikoschwangerschaft) besteht und die Unterstützung der Schwangeren durch den Abzuschiebenden glaubhaft gemacht wird; denn die Wahrscheinlichkeit, dass die werdende Mutter unter diesen Umständen durch eine abschiebungsbedingte Trennung Belastungen ausgesetzt ist, die die Leibesfrucht gefährden, ist ungleich höher als bei vorübergehender Trennung während einer normal verlaufenden Schwangerschaft (vgl. Beschl. d. Senats v. 15.04.2008 – 2 M 84/08 –, Juris RdNr. 3; SächsOVG, Beschl. v. 25.01.2006 – 3 BS 274/05 –, Juris RdNr. 5 und Beschl. v. 02.10.2009 – 3 B 482/09 –, Juris RdNr. 6; BayVGH, Beschl. v. 25.02.2009 – 19 CE 09.213 –, Juris RdNr. 17 und Beschl. v. 28.11.2011 – 10 CE 11.2746 –, Juris RdNr. 4; OVG BB, Beschl. v. 03.09.2012 – OVG 11 S 40.12 –, Juris RdNr. 23; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG II, Stand: Oktober 2011, § 60a RdNr. 152). Erforderlich ist, dass eine enge und durch Fürsorge geprägte persönliche Beziehung des Ausländers zur werdenden Mutter besteht. Das setzt in der Regel ein tatsächliches Zusammenleben mit ihr in häuslicher Gemeinschaft voraus. Zudem muss glaubhaft die Bereitschaft bekundet werden, in Zukunft in einer tatsächlich gelebten familiären Verbundenheit elterliche Verantwortung zu übernehmen (Funke-Kaiser, a.a.O., § 60a RdNr. 149.2). Voraussetzung ist ferner, dass der ausländische Vater gegenüber den zuständigen Behörden mit Zustimmung der Mutter seine Vaterschaft wirksam anerkannt hat (BayVGH, Beschl. v. 28.11.2011 – 10 CE 11.2746 – a.a.O. RdNr. 4; Funke-Kaiser, a.a.O., § 60a RdNr. 149.1). Die Behörden und Verwaltungsgerichte können das Berufen auf eine Vaterschaft nach § 1592 Nr. 2 BGB nicht mehr in Zweifel ziehen, wenn ein Ausländer die Vaterschaft über ein deutsches Kind den Formerfordernissen des BGB entsprechend anerkannt und die Kindesmutter dem formrecht zugestimmt hat. Ob der Ausländer tatsächlich der biologische Vater des Kindes ist, hat in diesem Zusammenhang keine rechtliche Bedeutung (Beschl. d. Senats v. 25.08.2006 – 2 M 228/06 –, Juris RdNr. 19). Eine verfassungsrechtlich geschützte Elternschaft besteht auch dann, wenn die Vaterschaft durch Anerkennung nach § 1592 Nr. 2 BGB begründet wurde (BVerfG, Beschl. v. 17.12.2013 – 1 BvL 6/10 –, Juris RdNr. 95). Soweit – wie hier – weder die Mutter noch das Kind die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, liegt ein Grund für die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60a Abs. 2 AufenthG mit Blick auf Art. 6 GG nur dann vor, wenn es dem Ausländer und seiner Partnerin nicht zuzumuten ist, das Bundesgebiet zu verlassen und ein familiäres Zusammenleben im Heimatland des Ausländers oder seiner Partnerin zu führen (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 02.02.2011 – 8 ME 305/10 –, Juris RdNr. 8). Das hängt maßgeblich vom aufenthaltsrechtlichen Status der schwangeren ausländischen Staatsangehörigen ab. Abschiebungsschutz ist zu gewähren, wenn diese über ein gesichertes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verfügt (vgl. Funke-Kaiser, a.a.O., § 60a RdNr. 150).

7

Nach diesen Grundsätzen hat die Schwangerschaft der neuen Lebensgefährtin des Antragstellers zu 1, Frau (...), aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen im Sinne eines Abschiebungsschutzes gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG. Nach dem Attest des Facharztes für Gynäkologie und Geburtshilfe Dr. G. vom 09.10.2014 (GA Bl. 49) ist die Schwangerschaft von Frau (...) wegen ausgeprägter Schmerzsymptomatik als Risikoschwangerschaft einzustufen. Zudem ist es wegen psychischer Probleme wünschenswert, dass der Partner von Frau (...) anwesend ist. Anhaltspunkte dafür, dass diese Angaben nicht zutreffend sind, liegen nicht vor. Die Antragsteller haben zudem durch die Vorlage der eidesstattlichen Versicherung des Antragstellers zu 1 vom 08.10.2014 (GA Bl. 57) sowie der eidesstattlichen Versicherung der Frau (...) vom 08.10.2014 (GA Bl. 56) glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller zu 1 Frau (...) während der Schwangerschaft unterstützen und nach der Geburt des Kindes mit ihr, dem Kind sowie seinen beiden eigenen Kindern, den Antragstellern zu 2 und 3, in familiärer Gemeinschaft leben will. Gründe, weshalb diesen eidesstattlichen Versicherungen aus formellen Gründen – wie der Antragsgegner meint – keine Bedeutung zukommen soll, sieht der Senat nicht. Eine enge persönliche Bindung zwischen dem Antragsteller zu 1 und Frau (...) wird auch dadurch glaubhaft gemacht, dass sie ausweislich der Urkunde des Jugendamtes der Freien und Hansestadt B-Stadt – Bezirksamt (...) – vom 20.10.2014 (GA Bl. 76) erklärt haben, die elterliche Sorge für ihr Kind gemeinsam übernehmen zu wollen (§ 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB). Hiermit wird der Wunsch des Antragstellers zu 1, künftig mit Frau (...) in familiärer Gemeinschaft zusammenleben zu wollen, hinreichend glaubhaft gemacht. Dem steht nicht entgegen, dass sie derzeit nicht in häuslicher Gemeinschaft leben, sondern dass Frau (...) ihren Wohnsitz in B-Stadt hat, während die Antragsteller in der vom Antragsgegner betriebenen Gemeinschaftsunterkunft in A-Stadt wohnen. Diese räumliche Trennung lässt keine Rückschlüsse auf eine fehlende persönliche Beziehung des Antragstellers zu 1 zu der werdenden Mutter zu, da diese Trennung nicht freiwillig besteht, sondern weil der Aufenthalt der Antragsteller gemäß der Duldungsverfügung des Antragsgegners vom 06.08.2014 (BA A Bl. 114) auf das Bundesland Sachsen-Anhalt und H-Stadt beschränkt und ihnen die Wohnsitznahme nur im Landkreis C. gestattet ist, während sich Frau (...) nach den Angaben des Antragsgegners in seinem Schriftsatz vom 07.11.2014 nicht über Nacht in der Gemeinschaftsunterkunft in A-Stadt aufhalten darf. Für die Zukunft ist ein gemeinsames Familienleben entweder am Ort der Gemeinschaftsunterkunft in A-Stadt oder am derzeitigen Wohnort der Frau (...) in B-Stadt möglich, soweit ein länderübergreifender Wohnsitzwechsel nach § 51 AsylVfG oder eine Erweiterung der räumlichen Beschränkung nach § 61 Abs. 1 Satz 4 AufenthG erfolgt (vgl. hierzu Beschl. d. Senats v. 30.10.2014 – 2 M 106/14 –).

8

Der Antragsteller zu 1 hat auch die Vaterschaft des Kindes der Frau (...), dessen Geburt für den (…).05.2015 erwartet wird, gemäß § 1592 Nr. 2 BGB anerkannt. Frau (...) hat dieser Anerkennung gemäß § 1595 Abs. 1 BGB zugestimmt. Diese Erklärungen sind gemäß § 1597 Abs. 1 BGB durch eine Urkunde des Jugendamtes der Freien und Hansestadt B-Stadt – Bezirksamt (...) – vom 20.10.2014 (GA Bl. 77) beurkundet worden. Damit steht rechtlich fest, dass der Antragsteller zu 1 der Vater des Kindes ist. Die Zweifel des Antragsgegners an der biologischen Vaterschaft des Antragstellers zu 1 vermögen hieran nichts zu ändern.

9

Frau (...) verfügt auch über ein gesichertes Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland. Ihr wurde ausweislich des bei den Verwaltungsvorgängen befindlichen Auszugs aus dem Ausländerzentralregister vom 07.11.2014 (BA A Bl. 237 ff.) eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG erteilt, zuerst am 10.12.2007 und zuletzt am 11.02.2014 befristet bis 10.02.2017. Darüber hinaus ist sie nach ihren Angaben in der eidesstattlichen Versicherung vom 08.10.2014 in Deutschland geboren und aufgewachsen. Damit ist es ihr – bei summarischer Prüfung – auch angesichts der bestehenden Risikoschwangerschaft jedenfalls derzeit nicht zuzumuten, das Bundesgebiet zu verlassen und ein familiäres Zusammenleben mit den Antragstellern im gemeinsamen Heimatland Serbien zu führen.

10

Der Abschiebungsschutz ist jedoch in Anlehnung an § 6 Abs. 1 MuSchG auf den Zeitraum von acht Wochen nach dem Ende der Schwangerschaft der Kindesmutter zu begrenzen (vgl. OVG BB, Beschl. v. 03.09.2012 – OVG 11 S 40.12 –, Juris RdNr. 27). Durch die Gewährung von Abschiebungsschutz wird nichts darüber ausgesagt, ob der Antragsteller zu 1 nach Ablauf dieses Zeitraumes nicht doch erst einmal ausreisen muss (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG II, § 60a RdNr. 149).

11

2. Auch die Antragsteller zu 2 – 3 haben einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Eine rechtliche Unmöglichkeit einer Abschiebung im Sinne des § 60a Abs. 2 AufenthG kann sich aus inlandsbezogenen Abschiebungshindernissen ergeben, zu denen auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa mit Blick auf Art. 8 EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind. Der Schutz des Art. 6 GG umfasst die Freiheit der Eheschließung und Familiengründung sowie das Recht auf ein eheliches und familiäres Zusammenleben. Sich hieraus ergebende schutzwürdige Belange können einer (zwangsweisen) Beendigung des Aufenthalts des Ausländers dann entgegen stehen, wenn es ihm nicht zuzumuten ist, seine tatsächlichen Bindungen zu berechtigterweise im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen durch Ausreise auch nur kurzfristig zu unterbrechen (Beschl. d. Senats v. 14.08.2014 – 2 L 115/13 – m.w.N.). Derartige schutzwürdige Belange liegen im Fall der Antragsteller zu 2 – 3 vor. Aufgrund der oben dargestellten Umstände besteht bei dem Antragsteller zu 1 ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis. Die übrigen Familienmitglieder können daher einstweilen eine gewünschte familiäre Lebensgemeinschaft im gemeinsamen Heimatland nicht führen. Eine alleinige auch nur kurzfristige Rückkehr ohne Begleitung durch den Antragsteller zu 1 nach Serbien ist ihnen ebenfalls nicht zuzumuten.

12

3. Es besteht auch ein Anordnungsgrund. Der Antragsgegner hatte ursprünglich geplant, die Antragsteller am 17.10.2014 nach Serbien abzuschieben. Der Umstand, dass noch kein neuer Abschiebetermin feststeht, führt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschl. v. 03.04.2006 – 2 M 82/06 –, Juris RdNr. 9 m.w.N.) nicht dazu, dass das Rechtsschutzinteresse entfällt; denn muss der Ausländer nach den dem Gericht bekannten Tatsachen befürchten, dass gegen ihn Abschiebungsmaßnahmen eingeleitet werden, so kann ihm nicht zugemutet werden, ganz konkret abzuwarten, bis Abschiebungsmaßnahmen tatsächlich erkennbar werden, und dies dann dem Gericht gegenüber glaubhaft zu machen.

13

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

14

III. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1, 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des beschließenden Senats, im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes den halben Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG je Antragsteller festzusetzen, soweit Streitgegenstand – wie hier – die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung ist (vgl. auch VGH BW, Beschl. v. 11.11.2010 – 11 S 2475/10 –, Juris RdNr. 2).


Tenor

I.

Die aufschiebende Wirkung der Klage M 12 K 15.50489 gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 12. 5. 2015 wird angeordnet.

II.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Die Antragsteller begehren vorläufigen Rechtsschutz gegen die ihnen drohende Überstellung nach Ungarn im Rahmen des so genannten „Dublin-Verfahrens“.

Die Antragsteller - ein Ehepaar mit einer im Jahr 2008 geborenen Tochter - sind eigenen Angaben zufolge afghanische Staatsangehörige. Sie reisten am 3. November 2014 ins Bundesgebiet ein und stellten am 29. Januar 2015 einen Asylantrag. Sie gaben bei der Anhörung des Bundesamtes an, sich auf der Reise in Iran (Juli 2014), der Türkei (40 bis 45 Tage), in Griechenland (5-6 Tage), in Mazedonien (26/27 Tage), in Serbien und Ungarn (5-6 Tage) aufgehalten zu haben. In Griechenland und Ungarn seien ihre Fingerabdrücke abgenommen worden (Bl. 6 der Behördenakte).

Es ergaben sich EURODAC-Treffer für Ungarn (Antragstellerin zu 2: HU1...; Bl. 55 und Antragsteller zu 1: HU1...; Bl. 57 der Behördenakte) und für Griechenland (Antragsteller zu 1: GR2...; Bl. 56 der Behördenakte).

Auf ein Übernahmeersuchen der Antragsgegnerin vom 26. Februar 2014 (Bl. 64 der Behördenakte) hat Ungarn am 20. April 2015 der Übernahme der Antragsteller zu 1 und 2 zugestimmt. Darin ist ausgeführt, dass die Familie in Ungarn am 26. September 2014 einen Asylantrag gestellt hat (Bl. 77 und 79 der Behördenakte).

Mit Bescheid vom 12. Mai 2015 stellte das Bundesamt fest, dass die Asylanträge der Antragsteller als unzulässig abgelehnt werden (Nr. 1) und ordnete die Abschiebung nach Ungarn an (Nr. 2).

Der Asylantrag sei gemäß § 27 a AsylVfG unzulässig, da Ungarn aufgrund des dort bereits gestellten Asylantrages für die Bearbeitung gem. Art. 18 Abs. 1 b Dublin III VO zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin II VO auszuüben, seien nicht ersichtlich.

Am ... Mai 2015 erhob der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller gegen den Bescheid vom 12. Mai 2015 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage (M 12 K 15.50489) und stellte gleichzeitig Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage.

Der Eilantrag wurde im Wesentlichen wie folgt begründet: Das Asylsystem in Ungarn weise systemische Mängel auf. Zahlreiche Gerichte hätten dies festgestellt. Die Antragsteller seien eine besonders schutzwürdige Personengruppe.

Die Antragsgegnerin stellte

keinen Antrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

II.

Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage bezüglich der Abschiebungsanordnung in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids anzuordnen, ist zulässig (§ 34a Abs. 2 AsylVfG) und begründet.

Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des hier einschlägigen § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat abzuwägen zwischen dem sich aus § 75 AsylVfG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsanordnung und dem Interesse der Antragsteller an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage, dass die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben wird, tritt das Interesse der Antragsteller regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als rechtswidrig, so besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung; nicht erforderlich sind insoweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids, denn die Regelung des § 36 Abs. 4 AsylVfG ist hier nicht (entsprechend) anwendbar (vgl. VG Trier, B.v. 18.9.2013 - 5 L 1234/13.TR - juris; VG Göttingen, B.v. 9.12.2013 - 2 B 869/13 - juris, Rn. 16). Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.

Nach der hier gebotenen und ausreichenden summarischen Prüfung ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass die Erfolgsaussichten der Klage der Antragsteller nach derzeitiger Einschätzung offen sind und das persönliche Interesse der Antragsteller an der aufschiebenden Wirkung der Klage die öffentlichen Interessen überwiegt.

Nach § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt in einem solchen Fall die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.

Im vorliegenden Fall ist aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union Ungarn für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.

Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich vorliegend nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Abl. L 180 v. 19. Juni 2013, S.31; Dublin III VO). Die Zuständigkeitskriterien der Dublin III VO finden nach Art. 49 Abs. 2 dieser Verordnung auf Asylanträge, die - wie hier - nach dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind, Anwendung. Die Antragsteller haben am 29. Januar 2015 in der Bundesrepublik einen Asylantrag gestellt.

Für die Antragsteller haben sich u. a. EURODAC-Treffer für Ungarn ergeben. Die Ziffer „1“ im EURODAC-Treffer steht für Personen, die in Ungarn einen Asylantrag gestellt haben, Art. 14 Abs. 1, Art. 24 Abs. 4 EURODAC-VO, Art. 2 Abs. 3 Satz 5 der VO (EG) Nr. 407/2002 zur Festlegung der Durchführungsbestimmungen zur VO (EG) Nr. 2725/2000 (EURODAC-VO)

Für die Prüfung des Asylantrags der Antragsteller ist gem. Art. 13 Abs. 1 Dublin-III-VO Ungarn zuständig. Die Antragsteller sind nach eigenen Angaben nach Ungarn eingereist (Bl. 6 der Behördenakte) und haben dort - nach Angaben der ungarischen Behörden im Schreiben vom 20. April 2015 - am 26. September 2014 einen Asylantrag gestellt (Bl. 77 und 79 der Behördenakte).

Die nach Art. 13 Abs. 1 Dublin-III-VO zuständige ungarische Behörde hat dem Wiederaufnahmegesuch ausdrücklich gem. Art. 18 Abs. 1 b Dublin III-VO zugestimmt.

Es liegen aber Umstände vor, die die Zuständigkeit Ungarns in Durchbrechung des Systems der Bestimmungen der Dublin-Verordnungen entfallen lassen.

Dem gemeinsamen Europäischen Asylsystem, zu dem insbesondere die Dublin-Verordnungen gehören, liegt die Vermutung zugrunde, dass jeder Asylbewerber in jedem Mitgliedsstaat gemäß den Anforderungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Abl. C 83/389 v. 30. März 2010, des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge v. 28. Juli 1951 (BGBl. II 1953, S.559) sowie der Europäischen Konvention der Menschenrechte und Grundfreiheiten v. 4. November 1950 (BGBl. II 1952, S.685 in der Fassung der Bekanntmachung v. 20. Oktober 2010 (BGBl. II S.1198) behandelt wird. Es gilt daher die Vermutung, dass Asylbewerbern in jedem Mitgliedsstaat eine Behandlung entsprechend den Erfordernissen der Charta, der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - und der Europäischen Menschenrechtskonvention - EMRK - zukommt.

Die diesem „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“ (EuGH, U. v. 21. Dezember 2011 - C - 411/10 und C - 493/10, NVwZ 2012, S.417 und juris; U. v. 14. November 2013 - C - 4/11, NVwZ 2014, S.129 und juris) bzw. dem „Konzept der normativen Vergewisserung“ (BVerfG, U.v. 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93 und 2315/93, BverfGE 94, Seite 49 = NJW 1996, S,1665 und juris) zugrunde liegende Vermutung ist jedoch dann als widerlegt zu betrachten, wenn den Mitgliedsstaaten „nicht unbekannt sein kann“, also ernsthaft zu befürchten ist, dass dem Asylverfahren einschließlich seiner Aufnahmebedingungen in einem Mitgliedsstaat derart grundlegende, systemische Mängel anhaften, dass für dorthin überstellte Asylbewerber die Gefahr besteht, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu werden (EuGH, U. v. 21. Dezember 2011, a. a. O.; U. v. 14. November 2013,a. a. O.). In einem solchen Fall ist die Prüfung anhand der der Dublin-Verordnungen fortzuführen, um festzustellen, ob anhand der weiteren Kriterien ein anderer Mitgliedsstaat als für die Prüfung des Asylantrags bestimmt werden kann; ist zu befürchten, dass durch ein unangemessen langes Verfahren eine Situation, in der Grundrechte des Asylbewerbers verletzt werden, verschlimmert wird, muss der angegangene Mitgliedsstaat selbst prüfen (EuGH, U. v. 21: Dezember 2011, a. a. O.; U. v. 14. November 2013, a. a. O.).

Als systemische Mängel sind solche Störungen anzusehen, die entweder im System eines nationalen Asylverfahrens angelegt sind und deswegen Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von ihnen nicht vereinzelt oder zufällig, sondern in einer Vielzahl von Fällen objektiv vorhersehbar treffen oder die dieses System aufgrund einer empirisch feststellbaren Umsetzung in der Praxis in Teilen funktionslos werden lassen (vgl. Bank/Hruschka, Die EuGH-Entscheidung zu Überstellungen nach Griechenland und ihre Folgen für Dublin-Verfahren (nicht nur) in Deutschland, ZAR 2012, S. 182; OVG Rheinland-Pfalz, U. v. 21. Februar 2014 - 10 A 10656 - juris).

Die Auslegung der Tatbestandsmerkmale des Art. 4 GR- Charta ist gem. Art. 52 Abs. 3 Satz 1 GR-Charta einschließlich der Erläuterungen hierzu (ABl. C 303/17 v. 14. Dezember 2007) i. V. m. Art. 6 Abs. 1 Satz 3 EUV v. 7. Februar 1992 (ABl. C 191, S.1), zuletzt geändert durch Art. 1 des Vertrages von Lissabon vom 13. Dezember 2007 (Abl. C 306, S.1, ber. Abl. 2008 C 111, S. 56 und Abl.2009 C 290, S.1) an Art. 3 EMRK auszurichten. Nach der Rechtsprechung des EGMR (Urteil v. 21. Januar 2011 - 30696/09, EuGRZ 2011, 243) ist eine Behandlung dann unmenschlich, wenn sie absichtlich über Stunden erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche oder seelische Leiden verursacht. Als erniedrigend ist eine Behandlung dann anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt oder fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert oder wenn sie Gefühle der Furcht, Angst oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, den moralischen oder psychischen Widerstand der Person zu treffen.

Die Behandlung/Misshandlung muss dabei, um in den Schutzbereich des Art. 3 EMRK zu fallen, einen Mindestgrad an Schwere erreichen. Dessen Beurteilung ist allerdings relativ, hängt also von den Umständen des Falles ab, insb. von der Dauer der Behandlung und ihrer physischen und psychischen Auswirkungen sowie mitunter auch vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers. Art. 3 EMRK kann allerdings nicht in dem Sinne ausgelegt werden, dass er die Vertragsparteien verpflichtete, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Auch begründet Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen (EGMR, U. v. 21. Januar 2011, a. a. O.; B. v. 2. April 2013 - 27725/10 -Mohammed Hussein u. a. gegen die Niederlande und Italien, ZAR 2013, S.336 und juris).

Gleichwohl sind die in der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2014 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen - Aufnahmerichtlinie - (Abl. L 180 S. 96) genannten Mindeststandards für die Aufnahme von Asylsuchenden in den Mitgliedsstaaten zu berücksichtigen. Asylsuchende werden in einem Mitgliedsstaat unmenschlich oder erniedrigend behandelt, wenn ihnen nicht die Leistungen der Daseinsvorsorge gewährt werden, die ihnen nach der Aufnahmerichtlinie zustehen. Ihnen müssen während der Dauer des Asylverfahrens die notwendigen Mittel zur Verfügung stehen, mit denen sie die elementaren Bedürfnisse (wie z. B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) in zumutbarer Weise befriedigen können. Als Maßstab sind die Art. 17 und 18 der Aufnahmerichtlinie mit den dort geregelten zeitlich beschränkten Einschränkungsmöglichkeiten bei vorübergehenden Unterbringungsengpässen und der Verpflichtung, auch in diesen Fällen die Grundbedürfnisse zu decken, heranzuziehen (OVG Nordrhein-Westfalen, U. v. 7. März 2014 - 1 a 21/12.A, juris; VGH Baden-Württemberg, U. v. 16. April 2014 - A 11 S 1721/13, InfAuslR 2014, 293 und juris).

Prognosemaßstab für das Vorliegen derart relevanter Mängel ist eine beachtliche Wahrscheinlichkeit. Die Annahme systemischer Mängel setzt somit voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedsstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylsuchenden im konkret zu entscheidenden Fall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (BVerwG, B. v. 19. März 2014 - 10 B 6.14 - juris). Bei einer zusammenfassenden, qualifizierten - nicht rein quantitativen - Würdigung aller Umstände, die für das Vorliegen solcher Mängel sprechen, muss ihnen ein größeres Gewicht als den dagegen sprechenden Tatsachen zukommen, d. h. es müssen hinreichend gesicherte Erkenntnisse dazu vorliegen, dass es immer wieder zu den genannten Grundrechtsverletzungen kommt (vgl. VGH Bad.-Württ., U. v. 16. April 2014, a. a. O.; OVG Nordrhein-Westfalen, U. v. 7. März 2014, a. a. O., OVG Sachsen-Anhalt, B. v.14. November 2013 - 4 L 44/13 - juris; BVerwG, U v. 20. Februar 2013 - 10 C 23/12 - juris).

Der Mitgliedsstaat, der die Überstellung des Asylsuchenden vornehmen muss, ist im Fall der Widerlegung der Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem Mitgliedsstaat im Einklang mit den Erfordernissen der GFK und der EMRK steht, verpflichtet, den Asylantrag selbst zu prüfen, sofern nicht ein anderer Mitgliedsstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig bestimmt werden kann.

Im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Prüfung kann nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, ob die Anordnung der Abschiebung wegen systemischer Schwachstellen im ungarischen Asylsystem im Sinne des Art. 3 Abs. 2 UAbs.2 der sog. Dublin III VO rechtswidrig ist. Denn es handelt sich dabei um eine in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht schwierige Frage, deren abschließende Beantwortung dem Verfahren der Hauptsache vorbehalten bleiben muss.

Allerdings gibt es nach derzeitigem Kenntnisstand zumindest Anhaltspunkte dafür, dass die Abschiebung von (kleinen) Kindern nach Ungarn wegen systemischer Mängel rechtswidrig ist. Heranzuziehen sind dabei diejenigen Umstände, die auf die Situation der Antragsteller zutreffen, vorliegend also die Situation einer dreiköpfigen Familie mit einem sechsjährigen Kind, die vor ihrer Ausreise aus Ungarn dort bereits einen ersten Asylantrag gestellt hat und nunmehr im Rahmen des sog. Dublin-Systems überstellt werden soll (OVG NRW, U. v. 7. 3. 2014 - 1 A 21/(12 - juris, Rn.130). Maßgeblich ist insoweit das in Ungarn seit dem 1. Juli 2013 gültige Asylrechtssystem, das umfassende Gründe für die Inhaftierung von Asylbewerbern vorsieht (siehe UNHCR, Auskunft an das VG Düsseldorf v. 30. 9. 2014 zum Verfahren 13 K 501/14.A, zu Frage 3, Satz 2, abrufbar unter http://www.frnrw.de/index.php/inhaltliche-themen/eu-fluechtlingspolitik/dublin-iii/item/3952-unhcr-stellungnahme-zur-inhaftierung-von-dublin-rueckkehrern-in-ungarn sowie in der Datenbank MILO des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge).

Grundsätzlich sieht das Gericht in der Tatsache, dass Asylbewerber in Ungarn inhaftiert werden können, keinen systemischen Mangel. Das Gericht teilt insoweit die Einschätzung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, U. v. 3. 7. 2014 - 71932/12 - UA Rn.68 ff.; U. v. 6. 6. 2013 - 2283/12 - Asylmagazin 2013, 342 ff.) sowie anderer deutscher Verwaltungsgerichte, die systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Ungarn verneinen (VGH BW, B. v. 6. 8. 2013 - 12 S 675/13 - juris Rn.4; OVG LSA, B. v. 31. 5. 2013 - 4 L 169/12 - juris Rn. 23; VG Würzburg, B. v. 2. 1. 2015 - W 1 S 14.50120 - juris, Rn.28 ff., VG Düsseldorf, B. v. 2. 9. 2014 - 6 L 1235/14.A - juris, Rn. 8 ff.; VG München, B. v. 26. 6. 2014 - M 24 S 14. 50325 - juris Rn.31 ff., VG Düsseldorf, B. v. 27. 8. 2014 - 14 L 1786/14.A - juris, Rn. 24 ff; VG Augsburg, B. v. 21. 1. 2015, Au 2 S 14.50360 - juris, Rn. 19 ff.; VG Regensburg, U. v. 5. 12. 2014, RN 6 K 14.50089 - juris, Rn. 24 ff.; VG Bayreuth, B. v. 13.1.2015 - B 3 S 14.50129 - juris, Rn. 14 ff.; VG Augsburg, B. v. 26. 1. 2015 - Au 7 S 15.50015 - juris, Rn. 21 ff.; VG Regensburg, B. v. 4. 2. 2015 - RO 1 S 15.50021 - juris, Rn. 24 ff.; u. viele andere).

Vorliegend ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Antragsteller als Familie mit einem kleinen Kind eine besonders schutzwürdige Personengruppe sind. Von der Praxis der Inhaftierung sind nach neuesten Erkenntnissen, anders als offenbar früher, auch Familien betroffen. Die Inhaftierung von Familien mit Kindern ist nach ungarischem Recht für bis zu 30 Tage möglich und von dieser Möglichkeit wird seit September 2014 verstärkt - bzw. nach Angaben des UNHCR - routinemäßig und ohne Einzelfallprüfung Gebrauch gemacht (vgl. die Stellungnahme des UNHCR gegenüber dem ungarischen Innenministerium vom 7. Januar 2015 „UNHCR comments and recommandations on the draft modification of certain migration, asylum related and other legal acts for the purpose of legal harmonization”, S. 16, abrufbar unter http://www.unhcr-centraleurope.org/pdf/recources/lega-documents/unhcr-views-on-central-europes-national-asylum-laws/unhcr-comments-and-recommendations-to-draft-legal-amendmenst.html).

Auch Angaben des Auswärtigen Amts lässt sich entnehmen, dass Familien mit Kindern bis zu 30 Tagen in Haft genommen werden (Auskunft an das VG Düsseldorf v. 19. 11. 2014 zum Verfahren 13 K 501/14.A, abrufbar in MILO).

Nach den Feststellungen im AIDA-Bericht vom 17.2.1015, Seite 61 werden inhaftierte Familien vor allem Unterkünften in Bekescsaba und Debrecen zugewiesen. Diese Einrichtungen seien aber nicht zur Inhaftierung von Familien geeignet, insb. nicht zur Unterbringung und dem Aufenthalt von Kindern. In Bekescsaba werden inhaftierte Asylbewerber auf dem Weg von der Haftanstalt zum Gericht zu Anhörungszwecken oder auf anderen Wegen (z. B. Besuch im Krankenhaus) mit Handschellen gefesselt und an einer Leine geführt (Asylum Information Database v. 30. April 2014, aida, C.). Den in Asylhaft untergebrachten Kindern würden keine sozialen oder erzieherischen Aktivitäten angeboten. Mit Schlagstöcken und Handschellen ausgerüstete Sicherheitskräfte würden auf die Kinder einschüchternd wirken (M 16 K 14.50044).

Angesichts dieser das ungarische Asylsystem prägenden Umstände liegt unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR der Schluss nahe, dass die Inhaftierung von Kindern zu einem Verstoß gegen Art. 3 EMRK führen würde und folglich insoweit systemische Schwachstellen bestehen. Denn die Betroffenen haben insb. aufgrund ihres Alters, ihrer Abhängigkeit und ihres Status als Asylsuchende spezielle Bedürfnisse, denen Rechnung getragen werden muss (Urteil des EGMR v. 19. 1. 2012 - Nrn.39472/07und 39474/07 - in der Sache Popov/Frankreich, in dem eine 15-tägige Inhaftierung von Kleinkindern in Frankreich angesichts der Haftbedingungen (Polizeipräsens, Angst vor Abschiebung, Spannungen unter den Insassen, kein kindgerechtes Mobiliar)) als Verstoß gegen Art. 3 EMRK gewertet wurde.

Schon deswegen überwiegt im vorliegenden Verfahren im Hinblick auf die minderjährige Antragstellerin zu 3 das Aussetzungsinteresse. Diese Bewertung erstreckt sich zugleich auf die Eltern, die Antragsteller zu 1 und 2. Denn eine Trennung der Familieneinheit wäre gem. Art. 20 Abs. 3 Dublin III VO und gemessen an dem in Art. 6 GG und 8 EMRK verbürgten Schutz der Familie unzulässig. Ein solches inlandsbezogenes Abschiebungshindernis ist bei der Prüfung einer auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG beruhenden Abschiebungsanordnung zu berücksichtigen (OVG Niedersachsen, B. v. 2. 5. 2012 -13 MC 22/12 - juris, Rn.27).

Dem Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.

Der Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylVfG.

Tenor

Die aufschiebende Wirkung der Klage 13 K 4882/15.A gegen die Abschiebungsanordnung unter Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 30. Juni 2015 wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.


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Tenor

Der Bescheid des Bundesamtes vom 28. Februar 2013 wird aufgehoben, soweit unter Ziffer 2. die Abschiebung nach Norwegen angeordnet worden ist.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, in dem Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerinnen zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.


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(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz können vorbehaltlich des § 133 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht mit der Beschwerde angefochten werden.