Tenor

Die weitere sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Landgerichts Rostock vom 04.06.2007 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Der Antrag des Betroffenen auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.

Gegenstandswert der Beschwerde: bis 1.000,00 €

Gründe

I.

1

Die Personalien des Betroffenen sollten am 03.06.2007 gegen 22.17 Uhr in W. bei R. nahe der JVA polizeilich überprüft werden. Er hielt sich dort gemeinsam mit acht weiteren Personen, unter anderem dem S. S. neben einem Pkw auf, in dem Transparente mit den Aufschriften "Free all now" und "Freedom for prisoners" vorgefunden wurden. Der Betroffene widersetzte sich den Anordnungen der Polizeibeamten zur Feststellung seiner Identität und griff einen von ihnen körperlich an. Daraufhin nahm ihn die Polizei in Gewahrsam und verbrachte ihn in die Gefangenensammelstelle. Sie stellte fest, dass der Betroffene bereits im Jahre 2002 wegen gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr auffällig geworden war. Nach richterlicher Vernehmung ordnete das Amtsgericht Rostock durch Beschluss vom 04.06.2007 mit sofortiger Wirksamkeit die Fortdauer des polizeilichen Gewahrsams bis zum 09.06.2007, 12.00 Uhr an.

2

Gegen diesen Beschluss legte der Betroffene Beschwerde ein, die das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss nach Anhörung des Betroffenen zurückwies.

3

Der Betroffene hat sich in den Anhörungen vor dem Amts- und dem Landgericht nicht zur Sache eingelassen.

4

Zur Begründung seines Rechtsmittels trägt der Betroffene vor, die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 2 SOG M-V lägen nicht vor, da die Begehung einer Straftat weder begonnen noch eine solche unmittelbar bevorgestanden habe. Eine Widerstandshandlung gegen Polizeibeamte reiche für eine solche Gefahrenprognose nicht aus. Die Tatsache, dass in dem Fahrzeug, neben dem der Betroffene sich aufgehalten habe, Transparente aufgefunden worden seien, auf denen Schriftzüge wie "Free all now" und "Freedom for prisoners" aufgebracht waren, rechtfertige nicht die Annahme, er werde demnächst eine Straftat begehen. Das englische Verb "free" heiße übersetzt in erster Linie "freilassen". Die Auslegung der Polizei, es handele sich um eine Aufforderung an einen unbestimmten Personenkreis, die Gefängnisse zu stürmen und dort Gefangene zu befreien, sei lebensfremd. Der Personenkreis, an den sich die Transparente richteten, sei sehr gering gewesen. Die Transparente hätten sich ihrem Inhalt nach an die Polizeiführung K. gerichtet. Der Beschwerdeführer sei nicht vorbestraft. Ein Verfahren gegen ihn wegen gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr im Jahr 2002 sei eingestellt worden.

5

Außerdem sei das Unverzüglichkeitsgebot des Art. 104 Abs. 2 GG verletzt. Die richterliche Entscheidung des Landgerichts sei nicht unverzüglich herbeigeführt worden, da die Anhörung von der Kammer erst am 04.06.2007 um 20.45 Uhr erfolgt sei. Der Verstoß gegen das Unverzüglichkeitsgebot mache die Freiheitsentziehung rechtswidrig.

6

Der Antragsteller hat im Verfahren der weiteren Beschwerde nicht zur Sache Stellung genommen.

II.

7

Die weitere Beschwerde des Betroffenen ist zulässig, jedoch unbegründet. Gem. §§ 3 S. 2 FEVG, 27 FGG ist der Senat darauf beschränkt, die angegriffene Entscheidung daraufhin zu überprüfen, ob sie auf einer Rechtsverletzung beruht. Dies ist nicht der Fall.

8

Bei der Entscheidung über die Fortdauer der Ingewahrsamnahme haben die Vorinstanzen richtig festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 2 a SOG M-V zum Zeitpunkt ihrer Entscheidungen weiterhin gegeben waren. Außerdem lagen die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 2c SOG-MV vor, denn der Betroffene war bereits aus vergleichbarem Anlass 2002 als Störer angetroffen worden. Die Fortdauer der Ingewahrsamnahme war zur Abwendung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung unerlässlich.

9

Die richterliche Entscheidung gemäß § 56 Abs. 5 SOG M-V erfasst zum einen eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit des vorangegangenen polizeilichen Zugriffs und hat zum anderen über die Erforderlichkeit der Fortdauer des Gewahrsams zu befinden. Dies erfordert die Prüfung, ob im Zeitpunkt seiner Entscheidung die Fortdauer der Freiheitsentziehung zur Abwehr der fortbestehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung geboten ist.

10

a) Hierbei hat sich der Richter zunächst damit auseinanderzusetzen, ob die Polizeibeamten den Betroffenen zu Recht in Gewahrsam genommen haben. War die Ingewahrsamnahme bereits rechtswidrig, so lässt sich ihre Fortdauer allenfalls dann rechtfertigen, wenn neue Erkenntnisse hinzukommen. Bei der Beurteilung der Rechtmäßig- oder Rechtswidrigkeit der polizeilichen Ingewahrsamnahme ist auf die Situation unmittelbar vor dem Zugriff abzustellen. Für die Annahme einer polizeilichen Gefahr genügt es, dass bei objektiver Sicht zur Zeit des polizeilichen Einschreitens die Tatsachen auf eine drohende Gefahr hindeuten, ohne dass sofort eindeutig Klarheit geschaffen werden kann (BGH, Beschl. vom 27.10.1988 - III ZR 256/87, BGHR Verwaltungsrecht, Allg. Grundsätze, Polizeirecht 1; OLG Hamm, Urt. v. 07.06.1978 - IV A 330/77, NJW 1980, 138). Spätere Erkenntnisse nach eingehender Beweisaufnahme sind nicht zu berücksichtigen, da diese den vollziehenden Polizeibeamten vor Ort nicht zur Verfügung standen.

11

Die auf eine polizeiliche Gefahr deutenden Tatsachen waren vorliegend gegeben, denn der Betroffene gehörte augenscheinlich zu einer Gruppe von neun Personen, die mit einem Pkw aus B. in Richtung R. angereist war, um dort mit Transparenten an einer Demonstration teilzunehmen. Diese Transparente konnten ihrem Inhalt nach dazu auffordern bzw. dazu anstiften, eine Gefangenenbefreiung im Sinne von § 120 StGB zu begehen. Insbesondere das Transparent mit der Aufschrift "Free all now" kann so gedeutet werden, dass dazu aufgerufen wird, alle Gefangenen zu befreien, wenn die Gruppe zugleich das Transparent mit der Aufschrift "Freedom for prisoners" bei sich führt. Für die Polizeibeamten bestand der begründete Verdacht der Gefahr einer unmittelbar bevorstehenden Begehung einer Straftat (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 a SOG M-V). Dabei musste nicht angenommen werden, dass die Transparente an Ort und Stelle - etwa vor der JVA W. - ausgerollt und gezeigt werden. Vielmehr konnte vermutet werden, dass sich der Betroffene und seine Begleiter in das Stadtgebiet von R. zu den dort stattfindenden, teilweise gewalttätigen Demonstrationen begaben und sie dort zeigten. Damit konnte eine gewaltbereite Menge durchaus dazu bewogen werden, Gefangene, die in Polizeigewahrsam genommen worden waren und in eine Sammelstelle oder in die JVA verbracht werden sollten, zu befreien. Zur Abwendung dieser Gefahr war die Ingewahrsamnahme des Betroffenen unerlässlich. Dabei mussten die Polizeibeamten besonders die am 02. und 03.06.2007 in R. bestehende allgemeine Gefahrenlage berücksichtigen. An diesen Tagen war es in R. in der Innenstadt zu äußerst gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Demonstranten gekommen. Wenn sich der Betroffene in einer solchen Situation mit Transparenten in den R. Raum begab, deren Aufschriften als Aufforderung zu strafbaren Handlungen verstanden werden konnten, so musste er mit polizeilichen Maßnahmen rechnen. Hier kommt hinzu, dass er sich selbst gewaltbereit zeigte, indem er einen Polizeibeamten angriff und bei der Feststellung seiner Personalien Widerstand leistete. Außerdem war er bereits 2002 wegen eines Eingriffs in den Bahnverkehr im Zusammenhang mit den Castor-Transporten auffällig geworden, so dass der Tatbestand des § 55 Abs. 1 Nr. 2c des SOG M-V vorlag. Auf eine Bestrafung des Betroffenen kommt es in diesem Zusammenhang nicht an, da es bei der Gefahrenabwehr nur um die Störereigenschaft geht.

12

Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gem. Art. 5 GG steht dem nicht entgegen. Dem Betroffenen ist zuzugeben, dass die Aufschriften auf den Transparenten mehrdeutig sind. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 10.10.1995 - 1 BvR 1476/91 - ausgesprochen, dass ein Strafgericht bei mehrdeutigen Äußerungen, die zur Verurteilung führende Bedeutung nicht zugrundelegen darf, ohne vorher die anderen möglichen Deutungen mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen zu haben. Vorliegend geht es indes nicht um eine strafgerichtliche Verurteilung, sondern um eine situationsbedingte, kurzfristig durchzuführende Maßnahme zur Gefahrenabwehr und einer damit verbundenen Beurteilung einer konkreten Gefahrenlage. In der in und um R. bestehenden angespannten Situation musste es der Polizei erlaubt sein, auch missverständliche Meinungskundgebungen zu unterbinden, die möglicherweise zu einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung führen konnten.

13

b) Der Richter hat außerdem festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 2, 3 SOG M-V weiterhin gegeben sind, d. h. die Fortdauer der Ingewahrsamnahme zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung unerlässlich ist. Der Richter muss über die Fortdauer des Gewahrsams anhand einer Prognose entscheiden (§ 56 Abs. 5 Satz 1 SOG M-V). Die Rechtmäßigkeit der vorangegangenen Ingewahrsamnahme durch die Polizeibeamten allein indiziert nicht die Rechtmäßigkeit der richterlich angeordneten Fortdauer der Ingewahrsamnahme. Vielmehr hat das Amtsgericht zu prüfen, ob im Fall der Freilassung weiterhin die Gefahr besteht, dass der Betroffene nach Freilassung seine Straftat fortsetzen oder eine weitere Straftat begehen bzw. weiterhin die öffentliche Sicherheit und Ordnung stören wird (Senatsbeschl. v. 16.04.2007 - 3 W 119/06). Das Landgericht hat in dem angefochtenen Beschluss ausgeführt, auf welche tatsächlichen Anhaltspunkte sich diese Überzeugung stützt. Dem tritt der Senat bei. Aus dem Mitführen der Transparente, der einschlägigen Vorbelastung und der Gewaltbereitschaft des Betroffenen folgt die Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Wenn er aus B. nach R. anreisend solche Transparente mit sich führt, kann vermutet werden, dass er sie dort und in der Umgebung des Tagungsortes des G 8-Gipfels zu Demonstrationszwecken benutzen wird. Dass daraus eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung entsteht, folgt aus den vorstehenden Ausführungen des Senats. Der Betroffene ist dem nicht entgegengetreten und hat sich nicht zur Sache eingelassen.

14

Die Dauer der angeordneten Freiheitsentziehung ist verhältnismäßig und nicht zu beanstanden. Die Gefahrenlage im Großraum R., insbesondere in H. besteht fort. Aus dem Bericht der Polizeidirektion R. vom 06.06.2007 und Medienberichten geht hervor, dass Globalisierungsgegner in hoher Zahl (6000 bis 10000 Personen) mit zum Teil hoher Gewaltbereitschaft sich in Richtung H. bewegen und zur Stürmung des Dammes aufrufen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Betroffene mit den Transparenten hieran beteiligt und damit andere Teilnehmer zur Gefangenenbefreiung aufstachelt. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Gefahrenlage noch bis zum Ende der angeordneten Freiheitsentziehung am 09.06.2007 12.00 h andauert. Dass sich die Massendemonstrationen schon vor der Beendigung des G8-Gipfeltreffens vollständig auflösen und die Teilnehmer abreisen, kann nicht angenommen werden.

15

c) Mit seinem Einwand, es liege ein Verstoß gegen das Unverzüglichkeitsgebot des Art. 104 Abs. 2 GG vor, dringt der Betroffene nicht durch. Gem. Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG ist bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Dies geschah im vorliegenden Falle, da der Betroffene ohne schuldhafte Verzögerung der Polizei, nämlich am 04.06.2007 um 03.40 h dem Richter am Amtsgericht vorgeführt wurde. Für das weitere Verfahren gilt dieses strikte Unverzüglichkeitsgebot nicht. Zwar sind Beschwerden gegen Freiheitsentziehungsmaßnahmen im Rahmen des gerichtlichen Geschäftsganges vorrangig und eilig zu behandeln. Dies bedeutet nicht, dass eine Entscheidung des Beschwerdegerichtes unverzüglich i. S. v. Art. 104 GG herbeizuführen ist. Vielmehr ist auch hierbei auf den Geschäftsgang des betreffenden Gerichts Rücksicht zu nehmen. Vorliegend wurde der Betroffene noch am Tage der Anhörung vor dem Amtsgericht dem Landgericht vorgeführt und dort nochmals angehört. Eine verzögerliche Behandlung des Verfahrens kann den Vorinstanzen nicht vorgeworfen werden.

III.

16

Der Antrag des Betroffenen auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe musste abgewiesen werden, da die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg verspricht (§§ 14 FGG, 114 S. 1 ZPO). Im übrigen hat der Betroffene seine Bedürftigkeit nicht glaubhaft gemacht, da er keine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt hat.

IV.

17

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 14 FreihEntzG.

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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 5


(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Fi

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 104


(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden. (2) Über die Zuläss

Strafgesetzbuch - StGB | § 120 Gefangenenbefreiung


(1) Wer einen Gefangenen befreit, ihn zum Entweichen verleitet oder dabei fördert, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ist der Täter als Amtsträger oder als für den öffentlichen Dienst besonders Verpflich

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Tenor Auf die weitere Beschwerde werden der Beschluss des Landgerichts Rostock vom 19.06.2006 (Az.: 2 T 100/06) und der Beschluss des Amtsgerichts Rostock vom 01.05.2006 (Az.: XIV 227/06) aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die am 01.05.2006 du
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bei uns veröffentlicht am 30.08.2007

Tenor Die weitere sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Landgerichts Rostock vom 06.06.2007 wird auf seine Kosten zurückgewiesen. Der Antrag des Betroffenen, ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt S. zu

Oberlandesgericht Rostock Beschluss, 21. Aug. 2007 - 3 W 102/07

bei uns veröffentlicht am 21.08.2007

Tenor Die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen wird auf seine Kosten zurückgewiesen. Gründe I. 1 Der Betroffene erstrebt die Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Freiheitsentziehung. Am 06.06.2007 gegen 16.02 Uhr befand sich der B

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(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden.

(2) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.

(3) Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.

(4) Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen.

(1) Wer einen Gefangenen befreit, ihn zum Entweichen verleitet oder dabei fördert, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ist der Täter als Amtsträger oder als für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter gehalten, das Entweichen des Gefangenen zu verhindern, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Einem Gefangenen im Sinne der Absätze 1 und 2 steht gleich, wer sonst auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt wird.

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Tenor

Auf die weitere Beschwerde werden der Beschluss des Landgerichts Rostock vom 19.06.2006 (Az.: 2 T 100/06) und der Beschluss des Amtsgerichts Rostock vom 01.05.2006 (Az.: XIV 227/06) aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die am 01.05.2006 durch das Amtsgericht Rostock angeordnete Fortdauer der polizeilichen Ingewahrsamnahme rechtswidrig war.

Die Kosten der Beschwerde und der weiteren Beschwerde werden der Staatskasse auferlegt.

Gegenstandswert der Beschwerde: bis 1.000,00 €

Gründe

I.

1

Der Betroffene erstrebt die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Freiheitsentziehung.

2

Am Vormittag des 01.05.2006 hielt er sich in Rostock auf der Steinstraße auf. Dort fand eine Demonstration statt. Um 11.30 Uhr nahmen mehrere Polizeibeamte ihn in Gewahrsam; anschließend wurde er vernommen und dem Richter vorgeführt, der ihn in der Zeit von 14.15 Uhr bis 14.25 Uhr anhörte. Sodann ordnete das Amtsgericht mit sofortiger Wirksamkeit die Fortdauer der polizeilichen Ingewahrsamnahme längstens bis zum 02.05.2006, 09.00 Uhr, an. Begründet wird dieser auf einem Vordruck abgefasste Beschluss wie folgt (vorgedruckte Passagen sind kursiv wiedergegeben):

3

"Die Ingewahrsamnahme des Betroffenen ist unerlässlich, um eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren (§§ 55 Abs. 1 Nr. 3, 56 Abs. 5 SOG M-V).

4

Der Betroffene hat während einer Demonstration einen Polizeibeamten angegriffen und beleidigt. Der Verdacht ergibt sich aus der Aussage des Polizeibeamten.

5

Die Anordnung der Fortdauer der polizeilichen Ingewahrsamnahme ist auch nicht unverhältnismäßig. Um die begründete Gefahr für eine Vereitelung der Anordnung auszuschließen, war gem. § 8 Abs. 1 Satz 2 FEVG die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung anzuordnen. "

6

Die sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen diesen Beschluss blieb erfolglos. In seiner Begründung stellte das Landgericht - in tatsächlicher Hinsicht dessen Einlassung folgend - fest, der Betroffene habe gesehen, dass vier Polizeibeamte in Höhe des Postgebäudes einen jungen Mann "am Wickel gehabt" und ihn festgehalten hätten. Um dem jungen Mann zu helfen, habe der Betroffene im Laufschritt die Straße überquert. Ungefähr in der Mitte der Straße habe ihn ein Polizist erreicht und mit seiner Schulter geschubst, so dass der Betroffene gestolpert und hingefallen sei. Dem Betroffenen sei es dann gelungen aufzustehen, obwohl ein Polizeibeamter ihn festgehalten habe. Er habe dann den Polizeibeamten festgehalten, um ihn auf Distanz zu halten. Der Polizeibeamte habe ihn aufgefordert loszulassen und zugesichert, auch den Betroffenen loszulassen. Dieser habe losgelassen, jedoch nicht der Polizeibeamte. Der Betroffene habe dann versucht, dem Polizeibeamten seinen Pullover zu entreißen, an dem dieser ihn festgehalten habe. Das sei ihm gelungen. Dann seien drei bis vier weitere Polizeibeamte gekommen, die ihn zu Boden gebracht, gefesselt und abgeführt hätten. Ihm sei weder bewusst geworden, dass er die Polizeiausrüstung beschädigt noch dass er die Polizeibeamten beleidigt habe.

7

Weiter heißt es in dem Beschluss, von dem Betroffenen sei insbesondere dadurch eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgegangen, weil er versucht habe, polizeiliche Maßnahmen zu verhindern. So habe er beabsichtigt, die Polizeibeamten körperlich anzugreifen, um dem in ihrer Gewalt befindlichen jungen Mann zu helfen. Ein derartiger geplanter körperlicher Angriff auf Polizeibeamte rechtfertige die Ingewahrsamnahme. Diese sei auch insofern unerlässlich gewesen, da davon auszugehen gewesen sei, dass der Betroffene auch in der Folge an diesem Tag körperlich gegen Polizeibeamte vorgegangen wäre, wenn er der Meinung gewesen wäre, andere Personen gegen Polizeibeamte schützen zu müssen.

8

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Betroffene mit seiner sofortigen weiteren Beschwerde. Er beanstandet insbesondere, dass das Landgericht es unterlassen habe, die von ihm, dem Betroffenen, benannten Zeugen zu vernehmen.

II.

9

Die weitere Beschwerde des Betroffenen ist zulässig. Ihr steht nicht entgegen, dass der Betroffene noch am Abend des 01.05.2006 freigelassen wurde. Wird mit einer gerichtlichen Entscheidung tiefgreifend in ein Grundrecht eingegriffen, so gebietet der aus Artikel 14 Abs. 4 GG abgeleitete effektive Rechtschutz auch nach Beendigung der freiheitsentziehenden Maßnahme vor Erschöpfung des Rechtsmittelweges, dem Betroffenen die Möglichkeit zu geben, den Grundrechtseingriff auf seine Rechtsmäßigkeit hin überprüfen zu lassen (BVerfG NJW 2002, 206).

III.

10

Die weitere Beschwerde ist begründet. Gegenstand der Rechtsmittel des Betroffenen ist nicht die am 01.05.2006 am Vormittag vollzogene Ingewahrsamnahme des Betroffenen, sondern die richterlich angeordnete Fortdauer des Gewahrsames. Gemäß § 27 FGG ist der Senat darauf beschränkt, die angegriffene Entscheidung darauf hin zu überprüfen, ob sie auf einer Rechtsverletzung beruht. Dies ist vorliegend der Fall.

11

1. Bei der Entscheidung über die Fortdauer der Ingewahrsamnahme hat das Amtsgericht nicht festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 2 und 3 SOG M-V zum Zeitpunkt seiner Entscheidung weiterhin gegeben waren, d. h. dass die Fortdauer der Ingewahrsamnahme zur Abwendung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung unerlässlich war.

12

Die richterliche Entscheidung gemäß § 56 Abs. 5 SOG M-V darf sich nicht auf eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit des vorangegangenen polizeilichen Zugriffs beschränken. Vielmehr hat der Richter auch und insbesondere über die Fortdauer des Gewahrsams zu befinden. Dies erfordert die Prüfung, ob im Zeitpunkt seiner Entscheidung die Fortdauer der Freiheitsentziehung zur Abwehr der fortbestehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung geboten ist.

13

a) Hierbei hat sich der Richter zunächst damit auseinanderzusetzen, ob die Polizeibeamten den Betroffenen zu Recht in Gewahrsam genommen haben. War die Ingewahrsamnahme bereits rechtswidrig, so lässt sich ihre Fortdauer allenfalls dann rechtfertigen, wenn neue Erkenntnisse hinzukommen.

14

Bei der Beurteilung der Rechtmäßig- oder Rechtswidrigkeit der polizeilichen Ingewahrsamnahme ist auf die Situation unmittelbar vor dem Zugriff abzustellen. Für die Annahme einer polizeilichen Gefahr genügt es, dass bei objektiver Sicht zur Zeit des polizeilichen Einschreitens die Tatsachen auf eine drohende Gefahr hindeuten, ohne dass sofort eindeutig Klarheit geschaffen werden kann (BGH, Beschl. vom 27.10.1988 - III ZR 256/87, BGHR Verwaltungsrecht, Allg. Grundsätze, Polizeirecht 1; OLG Hamm, Urt. v. 07.06.1978 - IV A 330/77, NJW 1980, 138). Spätere Erkenntnisse nach eingehender Beweisaufnahme sind nicht zu berücksichtigen, da diese den vollziehenden Polizeibeamten vor Ort nicht zur Verfügung standen.

15

Die auf eine polizeiliche Gefahr deutenden Tatsachen waren vorliegend gegeben, denn der Betroffene hat selbst eingestanden, auf die Polizeibeamten losgegangen zu sein, um dem in ihrer Gewalt befindlichen jungen Mann zu helfen. Auch wenn er nicht dartut, auf welche Art er "helfen" wollte, so erweckte jedenfalls das Zugehen auf die Polizeibeamten den Eindruck, dass er diese körperlich angreifen werde, um den anderen Mann aus deren Gewalt zu befreien. Demgemäß durften die Polizeibeamten den Betroffenen gem. § 55 Abs. 1 Nr. 2 1. Halbsatz und Nr. 3 SOG M-V in Gewahrsam nehmen, weil die Begehung einer Straftat - Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gem. § 113 StGB - unmittelbar bevorstand. Auch bedeutete der begründete Verdacht, dass der Betroffene die Vollzugshandlung der Polizeibeamten stören werde, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. In der Situation vor Ort genügte es nicht, den drohenden Angriff des Betroffenen abzuwehren; vielmehr war es geboten, ihn zunächst von dem Tatort zu entfernen.

16

b) Sodann hat der Richter festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 2 und 3 SOG M-V weiterhin gegeben sind, d. h. die Fortdauer der Ingewahrsamnahme zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung unerlässlich ist. Die Rechtmäßigkeit der vorangegangenen Ingewahrsamnahme durch die Polizeibeamten allein indiziert nicht die Rechtmäßigkeit der richterlich angeordneten Fortdauer der Ingewahrsamnahme. Vielmehr hat das Amtgericht zu prüfen, ob im Falle der Freilassung weiterhin die Gefahr besteht, dass der Betroffene nach Freilassung seine Straftat fortsetzen, eine weitere Straftat begehen, bzw. weiterhin die öffentliche Sicherheit und Ordnung stören wird. Das Amtsgericht Rostock hat hierzu keine Feststellungen getroffen. Es begnügt sich durch Ankreuzen der vorgedruckten Textpassage mit dem Satz, die Ingewahrsamnahme des Betroffenen sei unerlässlich, um eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren, wobei dieser Satz nicht erkennen lässt, ob er die Fortdauer der Ingewahrsamnahme meint. Auf welche tatsächlichen Anhaltspunkte sich diese Überzeugung stützt, ist nicht ausgeführt.

17

Feststellungen zum Fortbestehen der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zum Zeitpunkt der richterlichen Entscheidung sind in dem nach den Umständen des Einzelfalles möglichen Umfang erforderlich. Der Senat verkennt nicht, dass in dem Anhörungstermin der Richter nicht aufwändig Beweis erheben kann. Insbesondere kann er nicht die Polizeibeamten vernehmen, die weiterhin auf der Straße benötigt werden. Er ist auf den Akteninhalt und auf seine persönliche Überzeugung angewiesen. Ob ihm zuzumuten ist, ggf. eine Videoaufzeichnung in Augenschein zu nehmen, um sich selbst ein Bild davon zu machen, wie aggressiv sich der ihm vorgeführte Betroffene auf der Straße verhalten hat, kann dahin stehen. Jedenfalls ist es unerlässlich, dass er zu der Überzeugung gelangt, dass von dem Betroffenen weiterhin eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Eine solche Prognose ist bei der richterlichen Entscheidungsfindung, namentlich bei freiheitsentziehenden Maßnahmen nicht ungewöhnlich. So hat der Richter bei Anordnung der Untersuchungshaft nach § 112 StPO auszuführen, aus welchen tatsächlichen Anhaltspunkten er Flucht- oder Verdunklungsgefahr ableitet. Bei Anordnung der Abschiebehaft gem. § 62 AufenthG ist zu begründen, welche tatsächlichen Umstände die Gefahr begründen, dass der Betroffene sich der Abschiebung entziehen wird. Vielfach indizieren bestimmte Verhaltensweisen die die Freiheitsentziehung rechtfertigende Prognose. Bei der richterlichen Entscheidung gem. § 56 Abs. 5 SOG kann der Rückgriff auf § 55 Abs. 1 Nr. 2 2. Halbsatz SOG M-V hilfreich sein, der Regelfälle aufführt, die die Annahme rechtfertigen, dass von dem Betroffenen eine fortdauernde Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen wird. Als solche Anzeichen sind dort erwähnt die Ankündigung der Begehung der Tat oder die Aufforderung dazu, das Mitführen von Transparenten, Flugblättern oder sonstigen Gegenstände mit derartigen Aufforderungen, zudem das Mitführen von Waffen und Werkzeugen oder sonstigen Gegenständen, die zur Tatbegehung geeignet sind, und schließlich das Auffälligwerden des Störers in der Vergangenheit aus vergleichbarem Anlass.

18

Nach der Aktenlage lagen die Beweisanzeichen gem. § 55 Abs. 1 Nr. 2, 2. Halbsatz lit. a und b SOG M-V nicht vor. Angesichts des Datenbestandes der Polizeibehörde und der einfachen Übermittlungswege wäre durchaus in der Zeit nach Festnahme (11.30 Uhr) und Vorführung vor dem Richter (14.15 Uhr) abzuklären gewesen, ob der Betroffene in der Vergangenheit wegen Störung einer Demonstration oder wegen eines ähnlichen Anlasses aufgefallen ist (§ 55 Abs. 1 Nr. 2, 2. Halbsatz lit. c SOG M-V). Dahingehende Erkenntnisse wären geeignet gewesen, die Fortdauer der Ingewahrsamnahme zu rechtfertigen. Ohne solche Feststellungen kann jedoch allein aus dem Verhalten des Betroffenen am Vormittag des 01.05.2006 nicht geschlossen werden, dass er nach Freilassung um 14.25 Uhr wieder auf die Straße gegangen wäre, um weiterhin zu stören. Zu berücksichtigen ist, dass vielfach schon der Zeitablauf deeskalierend wirkt. Einen bislang nicht auffällig gewordenen, im Umgang mit Vollzugsmaßnahmen der Polizei unerfahrenen Bürger lassen die erkennungsdienstlichen Maßnahmen und ein kurzfristiger Freiheitsentzug von knapp drei Stunden in der Regel nicht unbeeindruckt und er wird bedacht sein, nicht erneut zu stören und sich der wiederholten Gefahr eines polizeilichen Eingreifens auszusetzen. Auch kann sich der Richter ohne Hinzuziehung eines Psychologen einen persönlichen Eindruck von dem ihm vorgeführten Betroffenen verschaffen, insbesondere seine Reaktion auf die vorangegangene Festnahme würdigen. Macht der Vorgeführte einen ruhigen Eindruck, so kann dies gegen die fortdauernde Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sprechen, während umgekehrt aggressives oder uneinsichtiges Verhalten durchaus als Indiz für die Prognose taugt, dass er nach Entlassung erneut auf die Straße gehen wird, um zu stören. Die tatsächlichen Grundlagen seiner richterlichen Überzeugung hat der Richter in der Begründung seiner Entscheidung nachvollziehbar auszuführen. Die fortbestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit der Erwägung zu begründen, der Betroffene habe bei seiner Anhörung einen aggressiven und/oder uneinsichtigen Eindruck gemacht, ist ebenso rechtsfehlerfrei wie die Begründung, er sei ruhig aufgetreten und der vorangegangene kurzfristige Freiheitsentzug habe ihn beeindruckt. Mit einer solchen Überzeugungsbildung in der einen oder anderen Richtung ist der Richter nicht überfordert.

19

Da der Beschluss des Amtsgerichts Rostock vom 01.05.2006 keine Feststellungen enthält, die die Anordnung der Fortdauer der Ingewahrsamnahme rechtfertigen, ist die Entscheidung rechtswidrig.

20

2 . Auch der Beschluss des Landgerichts Rostock vom 19.06.2006 lässt die Prüfung vermissen, ob am Nachmittag des 01.05.2006 die Fortdauer der Ingewahrsamnahme noch erforderlich war. Die Formulierung: "Die Ingewahrsamnahme war unerlässlich, da davon auszugehen war , ..." (jeweils Imperfekt) zeigt, dass das Landgericht nicht geprüft hat, ob zur Zeit der richterlichen Entscheidung am Nachmittag des 01.05.2006 für den erstinstanzlichen Richter erkennbar die Voraussetzungen für die Fortdauer der Ingewahrsamnahme gegeben waren. Selbst wenn das Landgericht mit diesem Satz die richterliche Anordnung der Fortdauer der Ingewahrsamnahme gemeint haben sollte, fehlen jedenfalls Ausführungen dazu, aus welchem Grund diese geboten war.

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Nachträgliche tatsächliche Feststellungen können nach Auffassung des Senats die Rechtswidrigkeit der richterlichen Anordnung der Fortdauer der Ingewahrsamnahme nicht rückwirkend beseitigen. Daher kann der Senat ohne Aufhebung und Zurückverweisung abschließend entscheiden.

IV.

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Die Kostenentscheidung ergeht nach § 16 FreihEntzG.

(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden.

(2) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.

(3) Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.

(4) Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen.