Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 17. März 2016 - L 6 U 1518/14

bei uns veröffentlicht am17.03.2016

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 19. November 2013 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Klägers sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung einer Gonarthrose als Wie-Berufskrankheit streitig.
Der 1948 geborene Kläger wurde nach dem Hauptschulabschluss ab April 1963 im Betrieb seines Vaters zum Zimmerer und Dachdecker ausgebildet. Anschließend arbeitete er dort, unterbrochen von der Bundeswehrzeit von Juli 1968 bis Dezember 1969, bis November 1974 in abhängiger Beschäftigung. Ab Januar 1975 führte er, nachdem er zwischenzeitlich die Meisterprüfungen in beiden Berufen abgelegt hatte, den Betrieb in selbstständiger Tätigkeit bis Mitte August 2007 weiter; während dieser Zeit war er bei der Beklagten freiwillig versichert.
Der den Kläger behandelnde Hausarzt, der Internist Dr. B., zeigte der Beklagten im August 2007 den Verdacht einer Gonarthrose als Berufskrankheit an. Der Kläger teilte ihr Ende September 2007 mit, die Kniebeschwerden bestünden berufsbedingt. Sie seien erstmals 1995 aufgetreten und hätten seit einem Arbeitsunfall am 29. August 2005 zu dauernd starken Schmerzen geführt. Die Beschwerden würden bei knienden Tätigkeiten auf den Baustellen auftreten.
Der Mitarbeiter des Präventionsdienstes der Beklagten Sch. erstellte Ende Februar 2013 eine Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition, welcher ein von ihm erstelltes Gesprächsprotokoll vom 14. Februar 2013 nach einer persönlichen Unterredung mit dem Kläger an dessen Wohnort einen Tag zuvor zugrunde lag, das diesem übersandt und am 24. Februar 2013 von ihm unterschrieben worden war. Während der Ausbildung seien die Tätigkeiten als Zimmerer und Dachdecker vollzeitig und an ständig wechselnden Arbeitsplätzen ausgeübt worden. Von Anfang an seien während der kalten Jahreszeit keine Mitarbeitenden entlassen worden, vielmehr seien dann Arbeiten in Innenräumen ausgeführt worden. Hierbei habe es sich um die Parkettverlegung und den Dachgeschossausbau im Trockenbau gehandelt.
Der Bereich der Außenarbeiten habe die Zimmerei und Dachdeckerei umfasst. Reine Zimmererarbeiten, wie der Abbund und das ausschließliche Aufrichten von etwa Dachstühlen oder Gauben, seien anfangs nur ausnahmsweise ausgeführt worden. Hölzer seien überwiegend fertig abgebunden bezogen worden. Es habe praktisch immer eine Überschneidung zum Dachdeckerhandwerk bestanden. Es seien Dachstühle aufgerichtet, aber auch die Lattung und Dämmung angebracht worden. Anschließend sei die Eindeckung mit Dachpfannen und Biberschwanzziegeln (jeweils 50 %) erfolgt, bei größeren Gehöften, Scheunen oder Hallendächern seien Wellasbestzementplatten verwendet worden. Flachdächer seien nicht gedeckt worden. Es seien ausschließlich Steildächer bearbeitet worden. Zum Bereich der Innenarbeiten hätten die Parkettverlegung und der Innenausbau im Dachgeschoss gehört. Es seien Stab- und Mosaikparkette im Verhältnis 70 % zu 30 % verlegt worden, daneben Dielen, Ausgleichsschüttungen, Trittschalldämmungen und Estrichelemente. Das Verhältnis der beiden beschriebenen Bereiche, also von Außen- und Innenarbeiten, habe, bezogen auf die Arbeitsschichten, etwa 60 % zu 40 % betragen. Von Montag bis Freitag sei üblicherweise 10 Stunden täglich gearbeitet worden. Je nach Auftragsgröße habe teilweise auch an Samstagen gearbeitet werden müssen. Dies sei etwa an jedem zweiten Samstag der Fall gewesen. Der Kläger sei stets aktiv auf Baustellen tätig gewesen, habe also während der regulären Arbeitszeit keine administrativen Tätigkeiten oder Büroarbeiten ausgeführt. Diese seien an den Wochenenden und nach Feierabend erledigt worden. Der Mitarbeiter des Präventionsdienstes der Beklagten Sch. ging von 240 Arbeitsschichten pro Jahr aus, die zu Grunde zu legen seien. Der Kläger sei zu einer ähnlichen Einschätzung gekommen, wobei er etwa 32 Wochen für die Außen- und 16 Wochen für die Innenarbeiten angenommen habe, woraus sich ein Verhältnis von etwa 2/3 zu 1/3 ergebe. Im Wesentlichen seien die Tätigkeiten über den gesamten Betrachtungszeitraum hinweg vergleichbar gewesen, so dass die einzelnen Beschäftigungsabschnitte einheitlich bewertet werden könnten.
Für die Zeit von April 1963 bis Mitte August 2007 stelle sich die prozentuale Aufsplittung der Einzeltätigkeiten zusammenfassend wie folgt dar: Außenarbeiten, 60 % der Schichten: Steildach einlatten = 10 % der Schichten = 14 Schichten, Steildach dämmen = 50 % der Schichten = 72 Schichten, Steildach eindecken mit Dachpfannen = 10 % der Schichten = 15 Schichten, Steildach eindecken mit Biberschwanzziegeln = 10 % der Schichten = 15 Schichten, Wellplattenmontage = 10 % der Schichten = 14 Schichten und Zimmerei (Abbund und Aufrichten) = 10 % der Schichten = 14 Schichten sowie Innenarbeiten, 40 % der Schichten: Stabparkett verlegen = 21 % der Schichten = 20 Schichten, Mosaikparkett verlegen = 9 % der Schichten = 9 Schichten, schleifen und verkitten = 10 % der Schichten = 10 Schichten, Dielenboden verlegen = 10 % der Schichten = 10 Schichten und Trittschalldämmung verlegen, auch Schüttung, Holzfaserplatten und Estrichelemente = 50 % der Schichten = 47 Schichten.
Nach den Vorgaben der wissenschaftlichen Begründung zur Gonarthrose und aus Erfahrungen bei der Betrachtung der Tätigkeitsmerkmale an Vergleichsarbeitsplätzen ergebe sich, bezogen auf die Gonarthrose, eine Gesamtstundenzahl kniebelastender Tätigkeiten von 32.442 Stunden. Gestützt auf den Report des Instituts für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e. V. (IFA-Report), Ausgabe 1/2010 habe sich eine die Knie betreffende Mindesteinwirkungsdauer von mehr als einer Stunde je Arbeitsschicht ergeben.
Der Beklagten lagen neben dem Vorerkrankungsverzeichnis der Innungskrankenkasse (IKK) Baden-Württemberg (heute: IKK classic), bei welcher der Kläger während seiner selbstständigen Tätigkeit gegen Krankheit freiwillig versichert war, verschiedene medizinische Befundunterlagen vor, insbesondere auch solche, die sich auf das Unfallereignis vom 29. August 2005 beziehen. Damals legte der Kläger den Weg zu einer Baustellenkontrolle bei einem Kunden mit dem Fahrrad zurück, wobei er vom Pedal abrutschte und auf das rechte Knie stürzte. Deswegen stellte die Beklagte mit Bescheid vom 26. September 2006 ein Recht des Klägers auf Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vom Hundert (v. H.) als Gesamtvergütung vom 4. Mai bis 31. Dezember 2006 fest. Als Folgen dieses Arbeitsunfalls wurden ein persistierender bewegungsabhängiger Schmerz im rechten Kniegelenk mit Schwellneigung und Teilriss des hinteren Kreuzbandes rechts bei vorbestehender Gonarthrose anerkannt. Demgegenüber seien in diesem Körperbereich eine viertgradige Knorpelläsion im medialen Kompartment im Bereich des Schienbeines, eine drittgradige Chondromalazie des retropatellaren Gleitlagers, ein nahezu aufgebrauchter Außenmeniskus, zweitgradige Knorpelveränderungen im lateralen Kompartment im Bereich der Tibia und Femurkondylen sowie darüber hinaus eine rheumatische Erkrankung mehrerer Gelenke nicht Folgen dieses Versicherungsfalls. Ein Recht des Klägers auf Rente nach dem 31. Dezember 2006 wurde abgelehnt (Bescheid vom 22. März 2007, Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 2007). Das Klageverfahren S 2 U 3160/07 beim Sozialgericht (SG) Konstanz, welches für den bei Klageerhebung noch in Leutkirch im Allgäu, Landkreis Ravensburg, wohnenden Kläger zuständig war, verlief für ihn erfolglos.
Der Chefarzt der Rheumaambulanz der Rheumaklinik Bad W., Prof. Dr. J., äußerte nach einer klinischen Untersuchung des Klägers am 22. April 2004 zunächst den Verdacht auf eine seronegative rheumatoide Arthritis. Der Kläger habe über seit etwa einem halben Jahr bestehende rezidivierende Gelenkschmerzen in beiden Schulter-, Ellenbogen-, Hüft- und Kniegelenken sowie Händen berichtet. Es habe eine endgradig leicht schmerzhafte Beugung im rechten Kniegelenk ohne Bewegungseinschränkung bestanden. Nach einer Untersuchung am 6. Mai 2004 diagnostizierte er eine seronegative rheumatoide Arthritis (ICD-10 M06.00). Im Vordergrund stünden noch die Beschwerden in den Händen und Knien.
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Nach dem Unfallereignis am 29. August 2005 hatte der Kläger am 6. September 2005 den Arzt für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. L. aufgesucht, der eine Kniegelenkskontusion bei vorbestehender rheumatischer Erkrankung und eine diskrete Gonarthrose diagnostizierte.Es hätten ein deutlicher Kniegelenkserguss und eine endgradige Bewegungseinschränkung bei der Streckung bestanden. Radiologisch hätten eine deutliche Verkalkung der Menisken, eine leichte, medial betonte Gonarthrose und Zeichen einer Retropatellararthrose vorgelegen. Es sei eine Punktion einer 40 ml blutig tingierten Flüssigkeit vorgenommen worden, die eher alt gewesen sei. In seinem Ergänzungsbericht bei Verdacht auf einen Kniebinnenschaden vom 8. September 2005 erwähnte er, der Kläger, der zuvor gejoggt und Fahrrad gefahren sei, habe beruflich eine kniende Tätigkeit ausgeübt. Festgestellt worden seien eine Weichteilschwellung am medialen Bandapparat und in der Kniekehle sowie ein blutig-seröser Erguss.
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Der Radiologe Dr. R. erstellte am 22. September 2005 ein Magnetresonanztomogramm (MRT) des rechten Kniegelenkes. Es seien eine Ruptur des hinteren Kreuzbandes, eine Ruptur des Innenmeniskushinterhorns mit Luxationsstellung nach medial, ein feiner Einriss des Außenmeniskushinterhorns basal, eine mediale Gonarthrose mit dritt- bis viertgradigem Knorpelschaden femoral und tibial, ein deutliches Knochenmarködem in den benachbarten Partien femoral und tibial, ein retropatellarer Knorpelschaden craniomedial sowie ein Status nach Dehnung des Retinaculum patellae mediale mit teils aufgefaserten Strukturen festgestellt worden.
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Nach einer Arthroskopie des rechten Kniegelenkes am 27. September 2005 beschrieb der Chirurg Dr. B. eine Chrondromalazie bis Stadium IV. Es sei eine Meniskusteilresektion vorgenommen und eine Abrasionsarthroplastik eingesetzt worden. Es hätten sich zwei kleine Knorpelglatzen an der Pars media des medialen Tibiaplateaus, ein ausgefranster Lappenriss des Hinterhorns, eine Sklerosierung am medialen Kondylus, ein eingebluteter Synovialüberzug des hinteren Kreuzbandes mit erhaltener Kontinuität sowie retropatellar oberflächlich rasenartige und im Gleitlager pflastersteinartige Veränderungen gefunden.
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Im Auftrag der Beklagten erstattete Dr. B. nach einer ambulanten klinischen und radiologischen Untersuchung des Klägers am 5. Dezember 2005 ein Gutachten. Der Kläger habe bei dem Unfall am 29. August 2005 ein Distorsionstrauma des rechten Kniegelenkes mit Teilruptur des hinteren Kreuzbandes erlitten. Diese Verletzung sei mit großer Wahrscheinlichkeit Folge des Unfallereignisses. Dieses sei geeignet gewesen, zu einer Verletzung des hinteren Kreuzbandes zu führen. Bei der ersten durchgangsärztlichen Untersuchung sei ein blutig-seröser Gelenkerguss punktiert worden, was auf eine frische Schädigung des Kniebinnenraumes hindeute. Bei der Arthroskopie des rechten Kniegelenkes habe sich eine frische Synovialeinblutung des Synovialschlauches des hinteren Kreuzbandes gezeigt. Unfallunabhängig bestünden beim Kläger eine fortgeschrittene Arthrose des medialen Gelenkspaltes mit einer Chondromalazie bis Stadium 4 sowie eine degenerative Innen- und Außenmensikopathie. Somit sei es durch den Unfall zu einer Verschlimmerung einer bereits vorbestehenden Erkrankung des rechten Kniegelenkes gekommen.
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Nach einer Untersuchung Mitte Februar 2006 berichtete Dr. L., beim Kläger bestehe noch immer eine deutliche Schmerzsymptomatik und eine deutliche Ergussneigung im rechten Knie. Dieser habe mehrfach versucht, als Zimmermann tätig zu werden, was fehlgeschlagen sei. Bei der heutigen Vorstellung hätten sich nach wie vor eine endgradige Streckhemmung von etwa 5° und eine Beugehemmung von etwa 15° gezeigt.
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Über den stationären Aufenthalt des Klägers in der Berufsgenossenschaftlichen (BG-) Unfallklinik Murnau vom 24. bis 27. April 2006 berichtete der Ärztliche Direktor Prof. Dr. B. am 26. April 2006, diagnostiziert worden sei eine generalisierte Gonarthrose im Bereich des rechten Kniegelenkes. Am 25. April 2006 seien eine Arthroskopie und Kniegelenkspülung vorgenommen worden. Ein nahezu vollkommen aufgebrauchter Außenmeniskus und eine Pangonarthrose, bei unauffälligen Kreuzbändern, hätten dabei festgestellt werden können. Eine Knietotalendoprothese sei indiziert.
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Dr. L. berichtete nach einer Untersuchung des Klägers Mitte Mai 2006, es bestehe eine Arthrose, die letztendlich einen Kniegelenksersatz erforderlich machen werde. Der Kläger habe berichtet, dass er zwischenzeitlich kurzzeitig beschwerdefrei gewesen sei. Mittlerweile habe sich jedoch erneut ein derzeit nicht punktionswürdiger Gelenkserguss entwickelt. Die Beweglichkeit sei endgradig eingeschränkt gewesen. Schmerzen bestünden ab und an. Der Kläger habe angegeben, am 4. Mai 2006 die Arbeit wieder vollschichtig aufgenommen zu haben.
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Die Leitende Ärztin der Sektion Unfallchirurgie der Oberschwaben-Klinik gGmbH, Dr. St., erstattete im Auftrag der Beklagten ein so genanntes „Erstes Rentengutachten“. Nach einer ambulanten klinischen und radiologischen Untersuchung des Klägers am 1. August 2006 diagnostizierte sie eine Teilruptur des hinteren Kreuzbandes rechts bei bereits zuvor vorhandener Gonarthrose. Vorbestehend seien eine viertgradige Knorpelläsion im medialen Kompartment im Bereich der Tibia, eine drittgradige Chondromalazie des retropatellaren Gleitlagers, eine nahezu aufgebrauchter Außenmeniskus sowie eine zweitgradige Knorpelveränderung im lateralen Kompartment im Bereich der Tibia und der Femurkondylen. Bei der klinischen Untersuchung sei das Gangbild flüssig und der Bandapparat des rechten Kniegelenkes stabil gewesen. Der Schneidersitz habe bei Schmerzhaftigkeit nicht eingenommen werden können. Radiologisch habe eine mediale Gonarthrose festgestellt werden können. Es sei ein persistierender, bewegungsabhängiger Schmerz des rechten Kniegelenkes mit Schwellneigung und teilweiser Ergussbildung verblieben. Vorbestehend sei eine rheumatische Erkrankung mehrerer Gelenke unklarer Genese.
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Der Chefarzt der Abteilung für Unfallchirurgie des Krankenhauses St. E. der Oberschwaben-Klinik gGmbH, Prof. Dr. M., erstellte für die Beklagte ein weiteres Rentengutachten und der Chefarzt der Abteilung Radiologie dieses Krankenhauses, Prof. Dr. St., hierzu ein radiologisches Zusatzgutachten, jeweils nach Untersuchungen des Klägers am 5. Februar 2007. Prof. Dr. M. führte aus, eine verheilte Teilruptur des rechten hinteren Kreuzbandes mit verbliebener geringfügiger hinterer Instabilität sei Folge des Unfallereignisses vom 29. August 2005. Unfallunabhängig bestünde eine schwere Gonarthrose rechts mit schmerzbedingter Bewegungseinschränkung und Bakerzyste. Prof. Dr. St. ging von einer medial betonten Gonarthrose, Kniegelenksbinnenverkalkungen im Bereich des lateralen Gelenkspaltes sowie degenerativen Randkantenausziehungen im Bereich des medialen und lateralen Kniegelenkspaltes, retropatellar sowie im Bereich der Femurkondylen, aus.
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Dr. L. teilte der Beklagten im Verwaltungsverfahren zur Feststellung einer Berufskrankheit Anfang Dezember 2007 mit, der Kläger habe sich von Januar bis Juli 2004 in seiner Behandlung befunden, überwiegend wegen eines Karpaltunnelsyndroms, später wegen eines schnellenden Daumens und Fersensporns. Lediglich bei der ersten Inanspruchnahme Mitte Januar 2004 habe er auch von Kniegelenkschmerzen berichtet. Eine weitere Diagnostik und Therapie der Kniegelenksymptomatik sei nicht erfolgt.
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Im Verfahren S 2 U 3160/07 beim SG Konstanz ist Dr. K. mit der Erstattung eines orthopädischen Gutachtens beauftragt worden. Nach einer ambulanten klinischen und röntgenologischen Untersuchung des Klägers am 29. April 2008 führte dieser im Gutachten und in einer ergänzenden Stellungnahme Anfang September 2008 aus, Folge des Unfalls vom 29. August 2005 sei insbesondere eine leichte Instabilität des rechten Kniegelenkes nach hinten infolge einer verheilten Teilruptur des rechten hinteren Kreuzbandes. Als unfallunabhängige Gesundheitsstörungen lägen eine aktivierte Arthrosis deformans des rechten und linken Kniegelenkes, eine Chondrokalzinose beider Kniegelenke, ein Teilverlust des Innen- und Außenmeniskus bei durchgeführten arthroskopischen Operationen und degenerativen Vorschäden des Faserknorpels (Meniskus), eine retropatellare Gelenkarthrose sowie offensichtlich bestehende Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises, welche mit einem Basistherapeutikum (Metrotrexat, MTX Hexal, 200 mg pro Woche) behandelt worden seien, vor. Unfallunabhängige Erkrankungen seien also eine drittgradige Gonarthrose rechts mit schmerzhafter Bewegungseinschränkung bei Chondrokalzinose, eine beginnende Gonarthrose links mit Chondrokalzinose und eine Coxa profunda. Ausgeprägte zweit- bis viertgradige Knorpelschäden beträfen den medialen Femurkondylus und das mediale Tibiaplateau. Insbesondere die tibialen Knorpelschäden („Knorpelglatzen“) entsprächen einem Knorpelschaden vierten und somit höchsten Grades, welcher unabhängig vom Unfallereignis vorliege. Wenn aber im Bereich des Tibiaplateaus bereits Knorpelschäden vierten Grades nachweisbar seien, also ein vollständiges Fehlen des hyalinen Knorpels, sei eine graduelle Verschlechterung dieses Befundes zumindest im tibialen Bereich nicht mehr möglich gewesen.
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Nach zwei weiteren Arthroskopien des rechten Kniegelenkes am 10. Juni 2008 und 12. Februar 2009, mit zwischenzeitlicher Eröffnung des Kniegelenkes über einen medialen Zugang zum Innenmeniskus (sog. „Payr-Zugang“) am 30. September 2008, diagnostizierte der Chirurg Dr. B. einen Zustand nach tibialer Umstellungsosteotomie Ende September 2008 mit kompletter Bioabrasion medial und retropatellar sowie der Trochlea femoris, mit jetzt ordentlichem Knorpelüberzug. Im Bereich des medialen Femurkondylus bestehe noch ein viertgradiger Knorpelschaden mit einer Größe von 2 x 2 cm. Ferner sei eine Reizsynovitis erkannt worden.
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Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstattete Dr. T. A. im Verfahren S 2 U 3160/07 beim SG Konstanz nach dessen ambulanter klinischer und radiologischer Untersuchung am 29. September 2008 ein orthopädisches Gutachten, welches er Ende November 2008 um eine Stellungnahme ergänzte. Es bestehe unter anderem eine fortgeschrittene Arthrose im Bereich des inneren Gelenkspaltes des rechten Kniegelenkes im Sinne einer unfallbedingten deutlichen Verschlimmerung eines vorbestehenden Knorpelschadens. Die zum Unfallzeitpunkt vorhandene dritt- bis viertgradige Knorpelschädigung am inneren Gelenkspalt sei nicht Folge des Unfalls. Bei der im Vergleich zur gesunden linken Seite bestehenden starken Arthrose sei eher von einem unfallbedingten Schaden als von einer schicksalhaften Arthrose auszugehen; insbesondere, weil am gegenseitigen linken Kniegelenk keinerlei Arthrosezeichen dieses Ausmaßes zu sehen gewesen seien. Werde ein verletzter Meniskus entfernt, trete oft eine Früharthrose des betroffenen Gelenkes ein, so dass es wahrscheinlicher sei, dass das Unfallereignis vom 29. August 2005 zuerst die Meniskusverletzung und nachfolgend die Arthrose ausgelöst habe. Hinweise auf Vorerkrankungen der Menisken und Kreuzbänder lägen nicht vor.
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Nach einem am 18. April 2009 erstellten MRT des rechten Kniegelenkes und einer röntgenologischen Untersuchung am 20. April 2009 berichtete der Radiologe Dr. H., es sei ein deutlich verschmälerter medialer Gelenkspalt bei ausgeprägter medialer Gonarthrose, welche entzündlich aktiviert gewesen sei, festgestellt worden. Zudem seien eine deutliche Femoropatellararthrose, eine degenerative dritt- bis viertgradige Meniskopathie medial und eine der Patellasehne an der Tuperositas tibiae zu erkennen gewesen. Es hätten deutliche Hinweise auf eine beginnende Pseudarthrose vorgelegen.
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Die Radiologin Dr. F. führte nach einer Drei-Phasen-Sklettszintigraphie am 20. April 2009 aus, es habe eine Synovialitis im Bereich des rechten Kniegelenkes vorgelegen. Weiter sei eine Hyperfusion in diesem Körperbereich zu erkennen gewesen.
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Nach einer stationären Aufenthalt des Klägers in der orthopädischen Klinik des O.-Hospitals des Klinikums St. vom 1. bis 17. Juni 2009 diagnostizierte der Ärztliche Direktor Prof. Dr. W. unter anderem einen Zustand nach valgisierender Tibiakopfosteotomie mit Korrekturverlust und eine Pseudarthrosenentwicklung sowie eine rheumatoide Arthritis.
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In der beratungsärztlichen Stellungnahme von Anfang September 2009 ging der Chirurg Dr. K. nicht vom Vorliegen einer Gonarthrose als Berufskrankheit aus. Wesentliche Ursachen seien eine Chondrokalzinose, eine rheumatoide Arthritis, eine Varusfehlstellung beidseits mit Umstellungsosteotomie rechts und eine Adipositas mit Metabolischem Syndrom. Es liege bei einer Körpergröße von 185 cm ein Körpergewicht von 115 kg vor. Außerdem fehle es an der Beidseitigkeit des Schadensbildes.
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Das Regierungspräsidium Stuttgart teilte mit Schreiben von Ende September 2009 mit, von dem Berufskrankheitenfall Kenntnis genommen zu haben. Eine Bearbeitung durch eine Gewerbeärztin oder einen -arzt fände jedoch nicht statt.
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Mit Bescheid vom 8. Oktober 2009 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer Gonarthrose als Berufskrankheit ab. Diese Gesundheitsstörung sei seit 1. Juli 2009 als Nr. 2112 in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen worden. Da die Meldung der Erkrankung noch vor diesem Stichtag erfolgt sei, sei über das Vorliegen einer Berufskrankheit im Rahmen von § 9 Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII), also als Wie-Berufskrankheit, entschieden worden. Die Voraussetzungen hierfür lägen allerdings nicht vor. Im Falle des Klägers sei anhand der vorliegenden Röntgenaufnahmen und ärztlichen Befundberichte anlagebedingt eine Varusfehlstellung der Beine und eine rheumatische Arthritis, eine Chondrokalzinose sowie ein deutliches Übergewicht festgestellt worden. Diese Faktoren seien ursächlich für die Gonarthrose. Die berufliche Belastung trete demgegenüber in den Hintergrund. Außerdem wäre bei einer beruflichen Verursachung zu erwarten gewesen, dass beide Knie in gleichem Maße betroffen seien, was vorliegend nicht der Fall sei. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 5. Februar 2010 zurückgewiesen.
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Hiergegen hat der Kläger am 23. Februar 2010 beim SG Ulm Klage erhoben, mit der er die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung einer Gonarthrose als Berufskrankheit verfolgt hat.
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Das SG Ulm hat Dr. Pf. beauftragt, ein orthopädisch-chirurgisches Gutachten zu erstatten. Nach dessen Ausführungen nach einer ambulanten klinischen, röntgenologischen und optrimetrischen Untersuchung am 2. August 2010, welche um eine Stellungnahme von Ende Oktober 2010 ergänzt worden ist, liege ein ausgeprägter Knorpelschaden des rechten Kniegelenkes mit anhaltenden Reizerscheinungen, einem Belastungsdefizit und einer Bewegungseinschränkung vor. Diese Gonarthrose sei mit Wahrscheinlichkeit und in wesentlicher Weise durch die Berufstätigkeit als Zimmermann verursacht worden. Bei seiner gutachterlichen Untersuchung habe das Hauptproblem in der verminderten Patellamobilität und der sich daraus ergebenden Bewegungseinschränkung und verminderten Kraftentfaltung der Kniestrecker und Hüftbeuger bestanden. Radiologisch habe eine sehr deutliche Randosteophytenbildung am Ober- und Unterrand der Kniescheibe sowie im patellaren Gleitlager vorgelegen. Hieraus habe sich das Bild einer deutlich vermehrten Belastung des patellofemoralen Gelenkes ergeben, was den Beugebelastungen des Klägers im Berufsleben zuzuordnen sei. Das bedeute indes nicht, dass nicht auch das gesamte Kniegelenk mit einbezogen sei. Im Jahre 2004 habe sich bei diesem das typische Bild einer Polyarthritis rheumatica gezeigt, weshalb eine Methotrexat-therapie eingeleitet worden sei. In Bezug auf das rechte Kniegelenk habe sich nun eine lediglich endgradige, leicht schmerzhafte Beugung gezeigt, entsprechend einem Beugebelastungsproblem. Da in sämtlichen nach 2004 erhobenen Befunden eine Polyarthritis, also der Befall vieler Gelenke, nicht mehr erwähnt und auch bei seiner Untersuchung nicht mehr vorhanden gewesen sei, habe sich die Autoaggression, wie sie für die rheumatoide Arthritis ursächlich sei, durch die Methotrexattherapie so zurückgebildet, dass sie keinen Krankheitswert im destruktiven Sinne mehr gehabt habe. Diese Erkrankung scheide somit als konkurrierende Ursache aus. Als Alternativursache komme die Chondrokalzinose, also eine sichtbare Ablagerung von Kalziumpyrophosphat-Dihydrat-Kristallen sowohl im Faserknorpel als auch im hyalinen Knorpel in der Gelenkkapsel sowie in den periartikulären Weichteilstrukturen, ebenfalls nicht in Frage. Hierbei handele es sich um eine idiopathische Erkrankung, die als Präarthrose gewertet werde, allerdings über den Umweg einer ausgelösten Arthritis. Eine solche sei, werde von den Folgen des Unfallereignisses vom 29. August 2005 abgesehen, als nur auf das Kniegelenk bezogene Gonarthritis nirgends beschrieben. Hinzu komme, das radiologisch in gleicher Weise Verkalkungen am linken, beschwerdefreien Kniegelenk zur Darstellung gekommen seien, ohne eine Arthrose hervorgerufen zu haben. Außer in der beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr. K. von Anfang September 2009 habe sich nach keinem der erhobenen Befunde ein Hinweis auf eine deutliche Varusfehlstellung des rechten oder linken Kniegelenkes gezeigt. Anlass für die valgisierende Umstellungsosteotomie sei die Feststellung einer medial betonten Gonarthrose gewesen. In solchen Fällen werde auch bei achsengerechter Stellung der Kniegelenke ein derartiger Eingriff diskutiert. Bei seiner Untersuchung habe er am beschwerdefreien linken Kniegelenk eine über das übliche Maß hinausgehende Varusstellung im Übrigen nicht feststellen können. Soweit sich nach erfolgter Umstellungsosteotomie der Hinweis auf eine Verschiebung der Beinachse um nur 2 cm in zwei Jahren finde, sei dies kein stichhaltiges Gegenargument. Insoweit handele es sich lediglich um eine Befundbeschreibung des Operationsergebnisses. Wenn ein Tatbestand sowohl die Merkmale eines Arbeitsunfalls als auch die einer Listen-Berufskrankheit erfülle, sei die Berufskrankheit vorrangig anzuwenden. Dr. K. habe in seinem Gutachten festgestellt, die degenerativen Veränderungen des rechten Kniegelenkes seien nicht in den ätiopathogenetischen Zusammenhang mit den Unfallfolgen zu stellen, auch nicht im Sinne einer Verschlimmerung. Letzterem stimme er nicht zu. Der Unfall vom 29. August 2005 habe bei dem bis dahin, bezogen auf das rechte Kniegelenk, beschwerdefreien sowie im Übrigen leistungsfähigen und sportlichen Kläger zu einer, wenn auch lang dauernden, aber vorrübergehenden Verschlimmerung geführt, da jetzt ein Zustand vorliege, welcher der schicksalsmäßigen Weiterentwicklung des Leidens, also des berufsbedingten Schadens, entspreche. Dem Übergewicht komme zwar eine multiplikative Bedeutung zu, dieses sei vorliegend jedoch nicht als wesentliche Ursache der Gonarthrose anzusehen.
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Nach der von der Beklagten vorgelegten beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr. K. von September 2010 hat diese eine weitere von ihm von Ende November 2010 übersandt. Wegen der biomechanischen Plausibilität sei bei einem belastungskonformen Schadensbild der vorliegend zu prüfenden Berufskrankheit zu erwarten, dass der Knorpelschaden im Patellofemoralgelenk beginne und sich von dort aus gegebenenfalls in das Kniehauptgelenk ausdehne. Der Knorpelschaden müsse danach in erster Linie und vorauseilend im Patellofemoralgelenk vorhanden sein. Bei einer bereits fortgeschrittenen Gonarthrose, wie vorliegend, müsse anhand früher erhobener Befunde nachgewiesen werden, dass sich der aktuelle Befund mit hinreichender Wahrscheinlichkeit aus einem belastungskonformen Schadensbild heraus entwickelt habe. Dies sei durch das Gutachten von Dr. Pf. nicht belegt und auch nicht weiter diskutiert worden. Bei einem belastungskonformen Schadensbild seien in der R. auch beide Kniegelenke in vergleichbaren Ausmaß betroffen, was vorliegend nicht der Fall sei. Sowohl die rheumatoide Polyarthritis als auch die Chondrokalzinose seien als konkurrierende Ursachen anzusehen, auch wenn sie angeblich aktuell keine Beschwerden verursachten. Die im medialen Gelenkbereich lokalisierte Gonarthrose weise auf eine deutliche Varusfehlbelastung des Kniegelenkes hin, die mitursächlich für die medial betonte Gonarthrose gewesen sei. Bei der Entstehung der Gonarthrose im rechten Kniegelenk komme somit den konkurrierenden Ursachen Polyarthritis, Chondrokalzinose, Übergewicht und Varusfehlstellung die wesentliche Teilursache zu. Auch spreche der fehlende Nachweis, dass sich die jetzige Gonarthrose mit hinreichender Wahrscheinlichkeit aus einem belastungskonformen Schadensbild heraus entwickelt habe, und die fehlende Beidseitigkeit der Kniearthrose gegen das Vorliegen einer Berufskrankheit.
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Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG ist Dr. M. mit der Erstattung eines orthopädisch-chirurgischen Gutachtens beauftragt worden. Nach seinen Ausführungen, die sich auf eine ambulante klinische Untersuchung des Klägers am 3. August 2011 sowie auf Röntgenuntersuchungen des rechten Kniegelenkes am 16. Dezember 2010 und des linken am 16. Februar 2011 stützen, bestünden eine rechtsbetonte beidseitige Femoropatellararthrose mit Funktionsstörungen beim Trepp- und Bergabgehen, Hinknien sowie in die Hocke gehen, eine mediale Gonarthrose nach Innenmeniskusresektion und hinterer Kreuzbandruptur mit einem Zustand nach valgisierender Umstellungsosteotomie, verzögerter Heilung und bleibender Bewegungseinschränkung, Schwellneigung, Muskel- und Kraftminderung sowie Belastungsinsuffizienz, degenerative Wirbelsäulenveränderungen mit Muskelverhärtungen, Bewegungseinschränkung sowie Funktionsdefizit und Fehlstellung, eine rheumatoide Arthritis ohne aktuelle Krankheitsaktivität unter Methotrexattherapie sowie ein chronisches Schmerzsyndrom vom Typ III nach Gerbershagen mit somatischen und psychischen Faktoren. Die Gonarthrose sei als Berufskrankheit anzusehen. Sowohl durch die klinische Untersuchung als auch die radiologische Dokumentation fänden sich beidseits deutliche femoropatellare Schädigungen als Ausdruck des belastungskonformen Schadensbildes. Die Tätigkeit als Zimmermann gehe anders als diejenige etwa eines Estrichlegers mit auch einseitig kniender Tätigkeit sowie schwerem Heben und Tragen und Stemmen von Lasten einher. Auch die Dauer der kniebelastenden Tätigkeiten erfüllten die Voraussetzungen für die zu prüfende Berufskrankheit. Da die rheumatoide Arthritis seit der Diagnosestellung im Jahre 2003 nach adäquater Behandlung weder weitere Gelenkbeschwerden oder -schwellungen hervorgerufen noch wiederholten Behandlungsbedarf erfordert habe, könne diese keinen Einfluss mehr auf die Entwicklung der Gonarthrose genommen haben. Aus empirischen und physiologischen Gründen scheide das Übergewicht des Klägers als wesentliche Ursache für die femoropatellare, aber auch die mediale Gonarthrose aus. Das Kniegelenk weise nahezu keine durch knöcherne Formgebung entstehende Stabilisierung auf, sondern werde durch die beiden Menisken, die Seiten- und Kreuzbänder sowie die Muskulatur stabilisiert. Im November 2010 sei beim Kläger im Rahmen der Rückentrainingtherapie eine Bioimpedanzanalyse durchgeführt worden, die mit 33 % einen hohen Muskelanteil am Gesamtgewicht ausgewiesen habe. Es sei anzunehmen, dass der Kläger zur Zeit seiner Berufstätigkeit noch mehr Muskelmasse aufgewiesen habe. Diese verstärkte Muskulatur bewirke einen Schutz auch der Gelenke. Der Varusfehlstellung komme vorliegend keine maßgebliche Bedeutung zu. Im Jahre 2008 sei beim Kläger eine valgisierende Umstellungsosteotomie zur Entlastung des medialen Gelenkspaltes durchgeführt worden. Im Operationsbericht sei eine Varusstellung von 10° im rechten Kniegelenk erwähnt. Ganzbeinaufnahmen seien nicht angefertigt worden. Auf einer Röntgenaufnahme von April 2008 sei sogar keine varische Beinachse zu erkennen. Eine Beinachsenstellung von 10° werde üblicherweise als leichtgradige Fehlstellung bezeichnet. In einer nach dem Unfallereignis Ende August 2005 durchgeführten Arthroskopie hätten sich bereits deutliche Verschleißerscheinungen femoropatellar sowie kleinflächig auch im inneren Kniegelenkskompartment gezeigt. Wegen der nachgewiesenen deutlichen Einblutung ins Gelenk und in die Gelenkinnenhaut sowie des kernspintomographisch nachgewiesenen so genannten „Bone bruise“ (Knochenquetschung) müsse von einer erheblichen Krafteinwirkung ausgegangen werden. Das Unfallereignis sei somit auf einen bereits vorgealterten und durch schwere berufliche Belastungen in Mitleidenschaft gezogenen Innenmeniskus getroffen und habe diesen richtungsweisend verletzt. Im weiteren Verlauf sei es zu einem Kniegelenkskollaps mit erheblicher Verschlimmerung der Gonarthrose rechts gekommen, wie sie in den weiteren Arthroskopien dokumentiert sei. Auch das hintere Kreuzband habe für die weitere Entwicklung der Gonarthrose eine wichtige Rolle spielen können. In der ersten Arthroskopie sei eine synoviale Einblutung beschrieben worden. Sehr häufig würden Verletzungen des hinteren Kreuzbandes übersehen, da dieses anders als das vordere häufig in Elongation verheile und damit seine stabilisierende Funktion verliere, obwohl es vermeintlich als durchgängig nachweisbar sei. Der Innenmeniskus habe eine Puffer- und Stabilisierungsfunktion für den Gelenkknorpel. Auf diesen wirkten nach einer Verletzung und Teilentfernung höhere Belastungen ein. Die mediale Gonarthrose könne daher auch auf die Innenmeniskusschädigung zurückgeführt werden.
33 
Nachdem die Beklagte von ihrem Mitarbeiter des Präventionsdienstes Sch. die Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition von Ende Februar 2013 hat erstellen lassen, ist Dr. Pf. durch das SG Ulm auch hierzu ergänzend befragt worden, woraufhin dieser ausgeführt hat, die mediale Gonarthrose rechts sei auf eine Innenmeniskusschädigung zurückzuführen. Wie im Falle des Knorpelschadens bestehe auch für diese Beeinträchtigung ein Zusammenhang mit der beruflichen Belastung. Ein belastungskonformes Schadensbild sei gelenkmechanisch vorhanden, da vorliegend auch die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt seien. Die Erhebungen hierzu seien entsprechend dem IFA-Report, Ausgabe 1/2010 durchgeführt worden und hätten eine Gesamtkniebelastung zwischen April 1963 und Mitte August 2007 von 32.442 Stunden ergeben. In der Stellungnahme des Präventionsdienstes der Beklagten sei beschrieben worden, das Dämmen von steilen Dächern habe 50 % der Arbeitsschichten eingenommen. Im Hinblick darauf sei zu beachten, dass dies entweder bei sehr steilen Dächern im Kniestand oder bei weniger steilen Dächern voll kniend durchgeführt werde. Da der Kläger Rechtshänder sei, sei eine vermehrte Belastung des rechten gegenüber dem linken Kniegelenk anzunehmen. Dies komme dadurch zustande, dass durch die linke Hand und den linken Arm diagonal zum rechten Kniegelenk eine Stabilisation erreicht werde sowie mit der rechten Hand und dem rechten Arm die eigentliche Tätigkeit erfolge. Daraus resultiere, dass arbeitstechnisch eindeutig eine vermehrte Belastung des rechten Kniegelenkes stattgefunden haben müsse. Somit habe bereits vor dem Unfall Ende August 2005 ein belastungskonformes Schadensbild am rechten Kniegelenk bestanden, welches durch das Trauma exazerbiert worden sei, infolge dessen sich eine Pangonarthrose entwickelt habe. Vier Wochen nach dem Unfallereignis seien kernspintomographisch eine Läsion des Innenmeniskus sowie degenerative Knorpelveränderungen an der Kniescheibenrückfläche und dem Gleitlager des Oberschenkels festgestellt worden, wie sie durch den Unfall nicht hätten ausgelöst werden können. Sie seien vielmehr als vorbestehend im Sinne der vorliegend zu beurteilenden Berufskrankheit anzusehen. Durch den Sturz vom Fahrrad sei es wegen der Gewalteinwirkung zu einer synovitisch-arthritischen Reaktion und damit zu einer Progression der Arthrose im Sinne einer Verschlimmerung eines vorbestehenden Zustandes gekommen.
34 
In dem beim erstinstanzlichen Gericht anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung am 19. November 2013 hat der Kläger ausschließlich nur noch die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung einer Gonarthrose als Wie-Berufskrankheit verfolgt. Das SG Ulm hat die Beklagte mit Urteil vom selben Tag verpflichtet, beim Kläger eine Gonarthrose rechts als Wie-Berufskrankheit anzuerkennen. Die Klage sei insbesondere nicht mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig, weil die Gonarthrose mittlerweile seit Juli 2009 als Listen-Berufskrankheit aufgenommen worden sei. Hierdurch sei der Anspruch auf Anerkennung als Wie-Berufskrankheit nicht erloschen. Konstitutiv für die Feststellung einer Wie-Berufskrankheit sei nicht der Anerkennungsbescheid der Beklagten, sondern das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für den Eintritt des Versicherungsfalls. Rechtsgrundlage für die Feststellung als Wie-Berufskrankheit sei § 9 Abs. 2 SGB VII. Dessen Tatbestand sei erfüllt, insbesondere lägen beim Kläger die individuellen Voraussetzungen vor. Die Sachverständigen Dr. Pf. und Dr. M. hätten überzeugend dargelegt, dass die berufliche Tätigkeit des Klägers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu der Gonarthrose rechts geführt habe. Aus der Listen-Berufskrankheit nach Nr. 2112 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) ergebe sich eine tatsächliche Vermutung, die auch auf die Gonarthrose als Wie-Berufskrankheit zu übertragen sei. Hierbei handele es sich um keine unzulässige Vorwirkung eines materiellen Gesetzes, da diese nur bei Eingriffen zu Lasten der Versicherten, jedoch nicht zu ihren Gunsten gelte.
35 
Gegen die der Beklagten am 17. März 2014 zugestellte Entscheidung hat diese am 2. April 2014 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg mit der Begründung Berufung eingelegt, eine einseitige berufliche Belastung der Knie sei nicht erwiesen, woraus sich indes einzig die unterschiedlichen Schadensbilder in beiden Kniegelenken erklären ließen. Der Herleitung des SG Ulm aus der Rechtshändigkeit liege kein gesicherter medizinischen Erfahrungssatz zugrunde.
36 
Der Internist Dr. B., welcher den Kläger von 2004 bis 2008 hausärztlich behandelt hat, und die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. B., die diese Funktion nach dem Umzug des Klägers von Leutkirch im Allgäu nach Bopfingen übernommen hat, sind als sachverständige Personen schriftlich befragt worden.
37 
Dr. B. hat mitgeteilt, er habe den Kläger erstmals am 20. Januar 2004 wegen Gelenkbeschwerden behandelt. Betroffen gewesen seien hauptsächlich die Handgelenke. Er habe ihn an den Rheumatologen Prof. Dr. J. überwiesen. Ob zum damaligen Zeitpunkt bereits eine Gonarthrose diagnostiziert worden sei, könne er im Nachhinein nicht mehr nachvollziehen. Von dort sei ihm lediglich die Diagnose einer rheumatoiden Arthritis übermittelt worden, weshalb der Kläger entsprechend medikamentös behandelt worden sei. Aus seinen Unterlagen ergebe sich kein Hinweis für eine Pseudogicht. Ob eine Varusfehlstellung vorgelegen habe, könne er nicht sagen. Zwischen 2004 und 2008 habe beim Kläger eine mäßiggradige Adipositas bestanden. Er hat unter anderem einen Befundbericht des Facharztes für Radiologie Dr. G. nach einem am 14. Dezember 2009 erstellten Computertomogramm des rechten Knies vorgelegt, wonach der Kläger auch über zunehmende Gonalgien links berichtet habe.
38 
Dr. B. hat ausgeführt, sie könne einzig zum Übergewicht des Klägers Angaben machen. Dieser sei 1,90 m groß und habe Anfang Januar 2009 ein Gewicht von 118 kg gehabt, wonach sich eine Adipositas vom Grad I ergeben habe. Sie hat einen Befundbericht des Facharztes für Radiologie Dr. L. nach einer am 21. September 2005 durchgeführten Phlebographie rechts vorgelegt, wonach ein ausgeprägter Kniegelenkserguss und eine Bakerzyste festgestellt worden seien. Des Weiteren hat sie einen Entlassungsbericht von Dr. R., Rehazentrum Bad S.-A., Klinik W. nach einem stationären Aufenthalt des Klägers vom 11. Dezember 2012 bis 8. Januar 2013 übersandt, wonach unter anderem eine Gonalgie, rechts mehr als links, bei femoropatellarer und medialer Gonarthrose (ICD-10 M17.9) diagnostiziert worden sind.
39 
Zudem ist die Beklagte gebeten worden, durch ihren Präventionsdienst berechnen zu lassen, zu welchem Zeitpunkt der Kläger einer beruflichen Gesamtkniebelastung von 13.000 Stunden ausgesetzt gewesen sei, woraufhin der Mitarbeiter Sch. im März 2015 kundtat, dieser Wert sei zum Ende des Jahres 1981, rechnerisch am 23. Dezember 1981, erreicht gewesen.
40 
Nach Beiziehung von bildgebendem Material des rechten und linken Kniegelenkes ist Prof. Dr. Sch. beauftragt worden, ein orthopädisch-chirurgisches Gutachten nach Aktenlage zu erstatten. Nach seinen Ausführungen vom 13. Oktober 2015 liegt beim Kläger im rechten Kniegelenk eine Gonarthrose vom Grad 4 nach dem Kellgren-Lawrence-Score und im linken nach diesem Bewertungsmaßstab keine maßgebliche Erkrankung vor. Diese sonstige posttraumatische Gonarthrose sei nach ICD-10 mit „M17.3“ zu verschlüsseln. Ein beginnender Aufbrauch des rechten Kniegelenkes habe durch das Unfallereignis am 29. August 2005 festgestellt werden können. Eine Gonarthrose im Sinne der fraglichen Berufskrankheit liege nicht vor. Ein Arthrosegrad von mindestens 2 sei im Jahre 2006 radiologisch nur rechtsseitig nach stattgehabtem Unfall nachzuweisen gewesen. Wesentlich für deren Entstehung sei die durch das Unfallereignis im Jahre 2005 erlittene Teilruptur des hinteren Kreuzbandes. Zu diesem Zeitpunkt hätten am rechten Kniegelenk degenerative Veränderungen im Bereich des Innen- und Außenmeniskus sowie eine Knorpelschädigung des medialen Gelenkspaltes bis zur Chondromalazie im Stadium 4 vorgelegen, die bis dahin keine ärztliche Konsultation erforderten. Eine Arthrose sei ein struktureller Schaden eines Gelenkes, beginnend beim Gelenkknorpel, der letztlich zum Versagen des Organs „Gelenk“ führe. Klinische Merkmale der Gonarthrose seien ein Knorpelabbau, ein subchondraler Knochenumbau mit Sklerose, eine subchondrale Zystenbildung, eine Osteophytenbildung im Bereich der beteiligten Knochen, eine Bewegungseinschränkung und Schmerzen. Die Arthrose habe eine multifaktorielle Genese. Systemische Faktoren bedingten die Empfänglichkeit für die Arthrose, lokale biomechanische Faktoren beeinflussten die Lokalisation und Ausprägung. Die Einteilung aufgrund bildgebender Verfahren erfolge nach dem Kellgren-Lawrence-Score in vier Stadien. Grundvoraussetzung sei eine ausreichende berufliche Belastung, die eine plausible zeitliche Korrelation zur Entwicklung der Gonarthrose aufweisen müsse. Der Erkrankung nach einem Grad von mindestens 2 müsse eine ausreichende Exposition von 13.000 Stunden vorausgegangen sein. Ein plausibler Zeitraum werde dann angenommen, wenn zwischen dem Erreichen dieser Mindestbelastung und dem erstmaligem Nachweis der Erkrankung maximal fünf Jahre lägen. Bei einem längeren Zeitraum sei der Ursachenzusammenhang umso unwahrscheinlicher, je größer dieser sei. Nach Auffassung der an der Begutachtungsempfehlung beteiligten Experten sei in aller R. Beidseitigkeit der Veränderungen zu erwarten. Ein Abweichen von mehr als einem Grad nach dem Kellgren-Lawrence-Score im Seitenvergleich könne nur mit einer besonderen Begründung und dem Nachweis einer einseitigen arbeitsbedingten Belastung anerkannt werden. Ein belastungskonformes Schadensbild werde für die zu prüfende Berufskrankheit nicht gefordert. Weiterhin müssten wesentliche konkurrierende Faktoren in Bezug auf die derzeitige Evidenzlage berücksichtigt werden.
41 
Hinsichtlich der arbeitstechnischen Voraussetzungen habe der Kläger von April 1963 bis Mitte August 2007, also über einen Zeitraum von 44 Jahren hinweg, mit Unterbrechungen eine Gesamtbelastung von 32.442 Stunden erfahren. Rechnerisch seien die 13.000 Stunden im Jahre 1981 erreicht gewesen, weshalb formal die arbeitstechnischen Voraussetzungen vorlägen. Der radiologische Nachweis einer Gonarthrose nach dem Kellgren-Lawrence-Score mit einem Grad von mindestens 2 habe erst im Jahre 2006 und nur am rechten Kniegelenk festgestellt werden können. Im linken Kniegelenk liege in Bezug auf die fragliche Berufskrankheit keine maßgebliche Arthrose vor. Zwischen dem Erreichen der Mindestbelastung und dem erstmaligen Nachweis der einseitigen Erkrankung lägen rechnerisch somit 25 Jahre. Aus Plausibilitätsgründen sei eine berufsbedingte Verursachung somit nicht wahrscheinlich, sonst hätte sich die berufliche Belastung früher in einem Schaden realisieren müssen. Auch die Tatsache, dass beim Kläger nur das rechte Kniegelenk betroffen sei und eine einseitige Belastung nicht vorgelegen habe, spreche gegen eine maßgeblichen beruflichen Einfluss. Weiterhin sei gegen eine berufsbedingte Entstehung der Arthrose im rechten Kniegelenk der Umstand zu werten, dass der Kläger vor dem Unfallereignis im Jahre 2005 keinen Arzt in Bezug auf diesen Körperbereich konsultiert habe, was jedoch bei einer beruflichen Verursachung zu fordern sei. Eine Behandlung der Kniegelenke sei erstmalig wegen des Unfallereignisses Ende August 2005 erfolgt, wobei sich der Kläger eine frische Teilruptur des hinteren Kreuzbandes zugezogen habe. Das anschließend angefertigte bildgebende Material zeige degenerative Veränderungen im Bereich des Innen- und Außenmeniskus sowie eine Knorpelschädigung des medialen Gelenkspaltes bis zur Chondromalazie im Stadium 4. Hinweise für einen beginnenden Aufbrauch des rechten Kniegelenkes seien somit lediglich im Rahmen der diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen wegen dieses Unfallereignisses festgestellt worden. Bis zu diesem Zeitpunkt sei dieser symptomfrei verlaufen. Im Fremdbefund zu den sechs Tage nach dem Unfallereignis durchgeführten Röntgenaufnahmen des rechten Kniegelenkes seien eine deutliche Verkalkung der Menisken, eine leichte medial betonte Gonarthrose, Zeichen einer Retropatellararthrose und eine leichte Patelladysplasie beschrieben worden. Zeichen einer Arthrose im Sinne der zu prüfenden Berufskrankheit mit Osteophyten, also Knochennasen, einer definitiven Verschmälerung des Kniegelenkspaltes, einer Sklerose und einer Verformung der Tibia oder des Femurs seien somit zum damaligen Zeitpunkt nicht feststellbar gewesen. Eine Chondrokalzinose gelte nicht als konkurrierender Faktor für die Entstehung einer Gonarthrose. Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis als Ursache seien nach der Literatur nicht belegbar, wohl aber nach klinischer Erfahrung anzunehmen. Die kongenitale tibiofemorale Beinachse sei vorliegend ebenfalls nicht als konkurrierender Faktor anzusehen. Übergewicht gelte zwar als wissenschaftlich gesicherte Alternativursache. Allerdings bestehe für die Adipositas eine epidemiologische Evidenz für ein multiplikatives Zusammenwirken mit den arbeitsbedingten Belastungen. Nach der wissenschaftlichen Begründung sei die zu beurteilende Berufskrankheit bei Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen und des geeigneten Krankheitsbildes auch bei adipösen Menschen anzuerkennen. Nach dem Akteninhalt seien hinsichtlich Körpergröße und -gewicht des Klägers ab 1991 sowie vor dem Unfallereignis im Jahre 2005 Werte zwischen 105 kg und 113 kg dokumentiert. Bei der gutachterlichen Untersuchung durch Dr. Pf. Anfang August 2010 sei das Körpergewicht mit 110 kg festgestellt worden. Eine wesentliche Gewichtszunahme sei somit nach dem Unfall nicht zu objektivieren. In der Zusammenschau der anamnestischen, radiologischen und interaoperativen Befunde seien die Veränderungen im rechten Kniegelenk hauptsächlich durch das Unfallereignis mit verbliebener Instabilität nach stattgehabter Kreuzbandverletzung bedingt.
42 
Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, das Gutachten von Prof. Dr. Sch. bestätige, dass beim Kläger keine Gonarthrose als Berufskrankheit anzuerkennen sei. Der einseitige Binnenschaden im Kniegelenk des Klägers lasse sich nicht mit seiner beruflichen Tätigkeit in Einklang bringen. Auch nach dem IFA-Report, Ausgabe 1/2010 werde lediglich bei der Tätigkeit „Steildach eindecken (Biberschwanz)“ auf eine einseitige Kniebelastung hingewiesen, während bei allen übrigen Dachdeckertätigkeiten, selbst beim Eindecken eines Steildaches (Dachpfanne), ein solcher Hinweis nicht zu finden sei. Im Übrigen sei in diesem IFA-Report zur Tätigkeit des Steildacheindeckens mit Biberschwanzziegeln nur erwähnt, dass einseitiges Knien häufig habe beobachtet werden können. Indes besage dies nicht, ob auch eine ganz überwiegend einseitige Kniebelastung vorgelegen habe. Denn hierbei sei es typisch, dass zur Entlastung immer wieder ein Wechsel zwischen linkem und rechtem Knie stattfinde.
43 
Die Beklagte beantragt,
44 
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 19. November 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
45 
Der Kläger beantragt,
46 
die Berufung zurückzuweisen.
47 
Er trägt im Wesentlichen vor, er habe während seiner beruflichen Tätigkeit ganz überwiegend Steildächer mit Biberschwanzziegeln eingedeckt. Diese hätten bei Arbeiten an mehr als zwanzig Objekten insgesamt mindestens eine Fläche von 5.210 m² umfasst. Hierbei handele es sich allein um die Projekte, welche ihm spontan erinnerlich gewesen seien. Während der Ausbildungs- und sonstigen Arbeitszeit seien noch zahlreiche weitere derartige Dächer eingedeckt worden. Tatsächlich habe es sich um das Doppelte, wenn nicht sogar ein Vielfaches dieser Quadratmeterzahl gehandelt. Prof. Dr. Sch. habe sich nicht eingehend mit dem Gutachten von Dr. Pf. auseinandergesetzt. Er gehe zu Unrecht davon aus, dass er beruflich bedingt keiner einseitigen Belastung des rechten Kniegelenkes ausgesetzt gewesen sei. Dr. Pf. sei mit dem Gutachten von Prof. Dr. Sch. zu konfrontieren und Letzterer ergänzend zu befragen. Lasse sich der Widerspruch zwischen den bisherigen Ausführungen der Sachverständigen nicht auflösen, sei ein Obergutachten einzuholen. Alle bislang diskutierten konkurrierenden Ursachen hätten keinen wesentlichen Einfluss auf die bei ihm vorliegende Gonarthrose gehabt. Insbesondere habe kein maßgebliches Übergewicht vorgelegen. Bei seiner Heirat im Jahre 1979 habe er maximal 80 kg gewogen. Zu einer Gewichtszunahme sei es erst gekommen, als er die berufliche Tätigkeit reduziert und schließlich eingestellt habe, frühestens also im Jahre 2005.
48 
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung am 17. März 2016 ein Lichtbild vorgelegt, welches ihn mit dem linken Knie kniend auf einem Steildach zeigt, das mit Biberschwanzziegeln eingedeckt worden ist. Des Weiteren hat er zur Inaugenscheinnahme Fotos vorgelegt, mit denen er seinen Vortrag bekräftigt hat, während der beruflichen Tätigkeiten kein Übergewicht gehabt, allenfalls Muskelmasse aufgebaut zu haben.
49 
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die Verwaltungsakten der Beklagten (2 Bände), einschließlich derjenigen zu dem Arbeitsunfall am 29. August 2005, verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
50 
Die nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere statthafte Berufung (§ 143, § 144 Abs. 1 SGG) der Beklagten ist begründet. Deren Bescheid vom 8. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Februar 2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Voraussetzungen für die Feststellung einer Gonarthrose als Wie-Berufskrankheit liegen nicht vor. Das SG hätte die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG, zur Klageart vgl. BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 - B 2 U 6/12 R -, SozR 4-2700 § 9 Nr. 22, Rz. 13 m. w. N.) erhobene Klage, die zuletzt ausschließlich darauf gerichtet gewesen ist, die Beklagte zu verpflichten, eine Gonarthrose als Wie-Berufskrankheit festzustellen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Januar 2010 - B 2 U 5/08 R -, SozR 4-2700 § 9 Nr. 17, Rz. 12, wonach nach dem materiellen Recht mit den jeweiligen Listen-Berufskrankheiten und der Wie-Berufskrankheit verschiedene Versicherungsfälle definiert sind, und LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. September 2009 - L 8 U 5884/08 -, juris, Rz. 32 ff. zu einer Teilrücknahme der Klage durch spätere Antragsbeschränkung), daher abweisen müssen.
51 
Die Voraussetzungen für die Feststellung der Gonarthrose des Klägers als Wie-Berufskrankheit liegen nicht vor, da der sachliche Anwendungsbereich nicht eröffnet ist. Darüber hinaus fehlt es am Ursachenzusammenhang zwischen den Einwirkungen durch die versicherten Tätigkeiten im Knien oder eine vergleichbare Kniebelastung und der Gonarthrose im rechten Kniegelenk; im linken liegt keine insoweit maßgebliche Erkrankung vor.
52 
Der geltend gemachten Anspruch richtet sich nach den am 1. Januar 1997 in Kraft getretenen Bestimmungen des SGB VII (Art. 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, BGBl I 1996, S. 1254; § 212 SGB VII), da beim Kläger zwar erstmals 1995 Kniebeschwerden auftraten, wie dies der ihn behandelnde Hausarzt Dr. B. bei der Anzeige des Verdachtes einer Gonarthrose als Berufskrankheit im August 2007 kundgetan hat. Diagnostiziert worden ist eine „diskrete“ Gonarthrose allerdings überhaupt erst durch Dr. L. nach einer klinischen und radiologischen Untersuchung des Klägers am 6. September 2005. Nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand (vgl. hierzu BSG, Urteile vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R -, BSGE 96, 196 <200 f.> und 23. April 2015 - B 2 U 10/14 R -, juris, Rz. 20, zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen), der wegen des für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei der vorliegenden Verpflichtungsklage maßgeblichen Zeitpunktes der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz zu berücksichtigen ist (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 54 Rz. 34), liegt eine durch die versicherte Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastung herbeigeführte Gonarthrose sogar erst vor, wenn chronische Kniegelenksbeschwerden, Funktionsstörungen bei der standardisierten klinisch-orthopädischen Untersuchung und die röntgenologische Diagnose einer Gonarthrose entsprechend einem Grad 2 bis 4 der spezifizierten Klassifikation von Kellgren et al. objektiviert worden sind; als Funktionsstörung muss eine Bewegungseinschränkung in Form einer eingeschränkten Streckung und/oder Beugung im Kniegelenk, ein Kniegelenkserguss, eine Kapselentzündung mit Verdickung oder Verplumpung der Gelenkkontur, eine Krepitation bei der Gelenkbewegung, ein hinkendes Gangbild oder eine Atrophie der Oberschenkelmuskulatur festgestellt sein. Diesen Maßstab legt der Senat aufgrund der Begutachtungsempfehlung für die Berufskrankheit Nr. 2112 (Gonarthrose) der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e. V., Stand: 3. Juni 2014 (im Internet unter „www.dguv.de/medien/inhalt/versicherung/bk/empfehlungen/Begutachtung-BK2112-Stand-20140613.pdf“), zugrunde, welche von einem interdisziplinären Arbeitskreis, zu dem auch der Sachverständige Prof. Dr. Sch. gehört hat, erstellt worden sind. Die Kriterien „chronische Kniegelenksbeschwerden, Funktionsstörungen bei der orthopädischen Untersuchung in Form einer eingeschränkten Streckung oder Beugung im Kniegelenk und die röntgenologische Diagnose einer Gonarthrose entsprechend einem Grad 2 bis 4 der spezifizierten Klassifikation von Kellgren et al.“ ist bereits nach dem Merkblatt zur Berufskrankheit nach Nr. 2112 der Anlage 1 zur BKV (Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 30. Dezember 2009 - IVa 4-45222-2112 -, GMBl 5/6/2010, S. 98 ff.) gefordert worden. Der Sachverständige Prof. Dr. Sch. geht vor diesem Hintergrund von einer objektivierten Gonarthrose im rechten Kniegelenk im Jahre 2006 aus, wohingegen der Senat zu der Überzeugung gelangt ist, dass diese bereits am 22. September 2005 nachgewiesen worden ist. Nach dem im Wege des Urkundenbeweises (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 415 ff. Zivilprozessordnung - ZPO) verwerteten Befundbericht von Dr. R., der infolge eines an diesem Tag erstellten MRT verfasst worden ist, wurden eine mediale Gonarthrose mit dritt- bis viertgradigem Knorpelschaden femoral und tibial, ein deutliches Knochenmarködem in den benachbarten Partien femoral und tibial, ein retropatellarer Knorpelschaden craniomedial sowie ein Status nach Dehnung des Retinaculum patellae mediale mit teils aufgefaserten Strukturen festgestellt. Dr. L. hatte bereits zuvor, am 6. September 2005 und bei bereits bestehenden chronischen Kniegelenksbeschwerden, einen deutlichen Kniegelenkserguss und eine endgradige Bewegungseinschränkung bei der Streckung objektiviert, wobei der Senat zugunsten des Klägers davon ausgeht, dass diese Funktionsstörungen wegen der arthrotischen Veränderungen bestanden haben und nicht auf das Unfallereignis vom 29. August 2005 zurückzuführen gewesen sind. Der Versicherungsfall im Sinne des § 212 SGB VII ist damit jedenfalls weit nach dem 31. Dezember 1996 eingetreten. Offen bleiben kann, ob § 9 Abs. 5 SGB VII entsprechende Anwendung findet. Soweit danach Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für die Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen (vgl. Köhler, in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB VII, Stand: Mai 2011, § 212 Rz. 5; Söhngen, in jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 212 Rz. 11). Auch diese Voraussetzungen lägen frühestens zum Zeitpunkt des Nachweises der Gonarthrose vor.
53 
Nach § 9 Abs. 2 SGB VII haben die Trägerinnen der gesetzlichen Unfallversicherung eine Krankheit, die nicht in der BKV bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII erfüllt sind (sog. „Öffnungsklausel“ für Wie-Berufskrankheiten). Mit § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII hat der Gesetzgeber das "Listensystem" als Grundprinzip des Rechts der Berufskrankheiten der gesetzlichen Unfallversicherung festgelegt. Mit der Einführung der Wie-Berufskrankheit in § 551 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 30. April 1963 (BGBl I S. 241), also der Vorgängervorschrift zu § 9 Abs. 2 SGB VII, wurde eine Ausnahme vom Listenprinzip nur für den Fall zugelassen, dass der Verordnungsgeber wegen der regelmäßig notwendigen mehrjährigen Intervalle zwischen den Anpassungen der BKV an die neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht rechtzeitig tätig wird (vgl. BSG, Urteil vom 25. August 1994 - 2 RU 42/93 -, BSGE 75, 51 <54>). Sinn des § 9 Abs. 2 SGB VII ist es, ausnahmsweise vom Listensystem abweichen zu können, um solche durch die Arbeit verursachten Krankheiten wie eine Berufskrankheit zu entschädigen, die nur deshalb nicht in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen worden sind, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen in ihrer Arbeit bei der letzten Fassung der Liste noch nicht vorhanden waren oder vom Verordnungsgeber nicht hinreichend berücksichtigt wurden (vgl. BSG, Urteil vom 4. August 1981 - 5a/5 RKnU 1/80 -, SozR 2200 § 551 Nr. 18, S. 27). Im Falle des Klägers fehlt es an der sachlichen Anwendungsvoraussetzung der Regelung zur Feststellung einer Wie-Berufskrankheit, denn die Gonarthrose ist in der BKV bezeichnet, die dort bestimmten Voraussetzungen liegen vor und die Feststellung als Listen-Berufskrankheit ist vorliegend nicht grundsätzlich ausgeschlossen.
54 
Die Gonarthrose ist durch die Zweite Verordnung zur Änderung der BKV vom 11. Juni 2009 (BGBl I S. 1273) mit Wirkung zum 1. Juli 2009 als Nr. 2112 in die Liste der Berufskrankheiten (§ 1 BKV i. V. m. Anlage 1) aufgenommen worden. Sie ist bezeichnet als „Gonarthrose durch eine Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastung mit einer kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde pro Schicht“. Die in dieser Listen-Berufskrankheit bestimmten, also dort benannten Voraussetzungen liegen vor. Denn der Kläger war während seiner versicherten beruflichen Tätigkeit von April 1963 bis Juni 1968 und von Januar 1970 bis November 1974 als Beschäftigter nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII sowie aufgrund der freiwilligen Versicherung (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VII) während seiner selbstständigen Tätigkeit von Januar 1975 bis Mitte August 2007 durch eine Tätigkeit im Knien oder eine vergleichbare Kniebelastung einer kumulativen Einwirkungsdauer von 32.442 Stunden ausgesetzt, wobei die Mindesteinwirkungsdauer von einer Stunde je Arbeitsschicht erfüllt war. Hierfür stützt sich der Senat auf die vom Mitarbeiter des Präventionsdienstes der Beklagten Sch. erstellte Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition von Ende Februar 2013, welcher ein von ihm erstelltes Gesprächsprotokoll vom 14. Februar 2013 nach einer persönlichen Unterredung mit dem Kläger an dessen Wohnort einen Tag zuvor zugrunde liegt, das diesem übersandt und am 24. Februar 2013 von ihm unterschrieben worden war. Danach wurden Tätigkeiten als Zimmerer und Dachdecker vollzeitig und an ständig wechselnden Arbeitsplätzen ausgeübt. Von Anfang an wurden während der kalten Jahreszeit keine Mitarbeitenden entlassen, vielmehr führten diese dann Arbeiten in Innenräumen aus. Hierbei handelte es sich um die Parkettverlegung und den Dachgeschossausbau im Trockenbau.Der Bereich der Außenarbeiten umfasste die Zimmerei und Dachdeckerei. Reine Zimmererarbeiten, wie der Abbund und das ausschließliche Aufrichten von etwa Dachstühlen oder Gauben, wurden anfangs nur ausnahmsweise ausgeführt. Hölzer wurden überwiegend fertig abgebunden bezogen. Zum Dachdeckerhandwerk bestanden Überschneidungen. Es wurden Dachstühle aufgerichtet, aber auch die Lattung und Dämmung angebracht. Anschließend erfolgte die Eindeckung mit Dachpfannen und Biberschwanzziegeln (jeweils 50 %), bei größeren Gehöften, Scheunen oder Hallendächern wurden Wellasbestzementplatten verwendet. Flachdächer wurden nicht gedeckt. Es wurden ausschließlich Steildächer bearbeitet. Zum Bereich der Innenarbeiten gehörten die Parkettverlegung und der Innenausbau im Dachgeschoss. Es wurden Stab- und Mosaikparkette im Verhältnis 70 % zu 30 % verlegt, daneben Dielen, Ausgleichsschüttungen, Trittschalldämmungen und Estrichelemente. Das Verhältnis der beiden beschriebenen Bereiche, also von Außen- und Innenarbeiten, betrug, bezogen auf die Arbeitsschichten, etwa 60 % zu 40 %. Von Montag bis Freitag wurde üblicherweise 10 Stunden täglich gearbeitet. An jedem zweiten Samstag wurden die Tätigkeiten auftragsbedingt ebenfalls ausgeübt. Der Kläger war immer aktiv auf den Baustellen tätig, führte also während der regulären Arbeitszeit keine administrativen Tätigkeiten oder Büroarbeiten aus. Diese wurden an den Wochenenden und nach Feierabend erledigt. Der Mitarbeiter des Präventionsdienstes der Beklagten Sch. ist auf dieser Grundlage für den Senat nachvollziehbar von 240 Arbeitsschichten je Zeitjahr ausgegangen. Der Kläger selbst ist damals zu einer nahezu identischen Einschätzung gekommen, wobei er etwa 32 Wochen für die Außen- und 16 Wochen für die Innenarbeiten annahm, woraus sich ein Verhältnis von etwa 2/3 zu 1/3 ergibt. Im Wesentlichen waren die Tätigkeitsinhalte über die Zeit von April 1963 bis Juni 1968 und Januar 1970 bis Mitte August 2007 hinweg vergleichbar, so dass die einzelnen Beschäftigungsabschnitte einheitlich bewertet werden können. Die prozentuale Aufsplittung der Einzeltätigkeiten stellt sich zusammenfassend und gerundet daher wie folgt dar: Außenarbeiten, 60 % der Schichten: Steildach einlatten = 10 % der Schichten = 14 Schichten, Steildach dämmen = 50 % der Schichten = 72 Schichten, Steildach eindecken mit Dachpfannen = 10 % der Schichten = 15 Schichten, Steildach eindecken mit Biberschwanzziegeln = 10 % der Schichten = 15 Schichten, Wellplattenmontage = 10 % der Schichten = 14 Schichten und Zimmerei (Abbund und Aufrichten) = 10 % der Schichten = 14 Schichten sowie Innenarbeiten, 40 % der Schichten: Stabparkett verlegen = 21 % der Schichten = 20 Schichten, Mosaikparkett verlegen = 9 % der Schichten = 9 Schichten, schleifen und verkitten = 10 % der Schichten = 10 Schichten, Dielenboden verlegen = 10 % der Schichten = 10 Schichten und Trittschalldämmung verlegen, auch Schüttung, Holzfaserplatten und Estrichelemente = 50 % der Schichten = 47 Schichten. Hieraus ergibt sich zur Überzeugung des Senats nachvollziehbar eine durch die Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastung kumulative Einwirkungsdauer von 32.442 Stunden. Gestützt auf den IFA-Report, Ausgabe 1/2010 ist hiernach zudem plausibel eine die Knie betreffende Mindesteinwirkungsdauer von sogar mehr als einer Stunde je Arbeitsschicht ermittelt worden.
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Die Feststellung als Listen-Berufskrankheit ist vorliegend wegen § 6 Abs. 2 Satz 1 BKV in der Fassung der Zweiten Verordnung zur Änderung der BKV vom 11. Juni 2009 (BGBl I S. 1273) nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Leiden danach Versicherte am 1. Juli 2009 an einer Krankheit unter anderem nach Nr. 2112 der Anlage 1 zur BKV, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 30. September 2002 eingetreten ist. Der Kläger leidet bis heute im rechten Kniegelenk an einer Gonarthrose im Sinne dieser Listen-Berufskrankheit. Der Versicherungsfall ist, wie zuvor ausgeführt, erst am 22. September 2005 eingetreten. Der Kläger ist folglich nach der Stichtagsregelung des § 6 Abs. 2 Satz 1 BKV, bei der es sich um eine unechte Rückwirkung (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 7. Dezember 2010 - 1 BvR 2628/07 -, BVerfGE 128, 90 <107>) beziehungsweise tatbestandliche Rückanknüpfung (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 11. Juli 2013 - 2 BvR 2302/11 u. a. -, juris, Rz. 72) handelt, die Norm also auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt, nicht von der noch möglichen Anerkennung als Listen-Berufskrankheit ausgeschlossen. Damit behält der Vorrang der allgemeinen Regelung des § 9 Abs. 1 SGB VII in Verbindung mit § 1 BKV und der Anlage 1 hierzu, unter Einschluss der Rückwirkungsanordnung, weiter Geltung (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 9. Oktober 2010 - 1 BvR 791/95 -, juris, Rz. 28). Dieser Vorrang kommt zwar trotz des bei der Verpflichtungsklage maßgeblichen Zeitpunktes der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage wegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 22. Oktober 1981 - 1 BvR 1369/79 - BVerfGE 58, 369 zur Auslegung der Regelungen über die Anerkennung von Berufskrankheiten), unter Beachtung des allgemeinen Grundsatzes des Verwaltungsverfahrensrechts, wonach die Trägerinnen der gesetzlichen Unfallversicherung zügig zu entscheiden haben, nicht zum Tragen, wenn von diesen eine Verwaltungsentscheidung zu einer Wie-Berufskrankheit im Hinblick darauf zurückgestellt worden ist, dass eine Änderung der BKV in Sicht ist (BVerfG, a. a. O., Rz. 29), oder sie ein Begehren auf Feststellung als Wie-Berufskrankheit mit dem Hinweis auf eine in Aussicht stehende Änderung der BKV abgelehnt haben (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 23. Juni 2005 - 1 BvR 235/00 -, juris, Rz. 21). Die Beklagte hat indes die Verwaltungsentscheidung über die ihr von Dr. B. im August 2007 angezeigte mögliche Gonarthrose als Berufskrankheit weder im Hinblick darauf zurückgestellt, dass die Zweite Verordnung zur Änderung der BKV vom 11. Juni 2009 (BGBl I S. 1273) in Sicht ist, noch die Ablehnung unter Hinweis auf diese in Aussicht stehende Änderung der BKV abgelehnt. Die Beklagte hat demgegenüber mit dem angefochtenen Bescheid vom 8. Oktober 2009 sogar nach Inkrafttreten der Neuregelungen, abgestellt auf den Zeitpunkt der Meldung der Erkrankung vor dem Stichtag, über die begehrte Feststellung als Wie-Berufskrankheit entschieden und diese mit der Begründung abgelehnt, nicht versicherte Faktoren seien ursächlich für die Gonarthrose gewesen die berufliche Belastung sei in den Hintergrund getreten. Eine unsachgemäße Verzögerung des Verwaltungsverfahrens durch die Beklagte liegt ebenfalls nicht vor. Sie hat nach der hausärztlichen Anzeige der Berufskrankheit sogleich die medizinischen Befundunterlagen, die bis dahin wegen des Arbeitsunfalls vom 29. August 2005, bei dem ebenfalls das rechte Knie betroffen war, vorgelegen haben, zu dem Verfahren wegen der Feststellung einer Berufskrankheit herangezogen, Dr. B. und Dr. L. ergänzend befragt, ein Vorerkrankungsverzeichnis der IKK Baden-Württemberg beigezogen sowie anschließend das nach dem in Bezug auf das Unfallereignis ergangenen Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 2007 angestrengte Klageverfahren beim SG Konstanz, welches mit Urteil vom 24. Juni 2009 endete und in welchem weitere medizinische Beweiserhebungen vorgenommen wurden, abgewartet. Daraufhin hat sie von Dr. K. eine Anfang September 2009 vorgelegte beratungsärztliche Stellungnahme eingeholt und die am Ende dieses Monats eingegangene Mitteilung des Regierungspräsidiums Stuttgart, wonach keine gewerbeärztliche Befassung erfolgen werde, abgewartet, um schließlich, ohne dass der Kläger im gesamten Verfahren auf eine frühere Entscheidung hingewirkt hat, mit Bescheid vom 8. Oktober 2009 über sein Begehren zu entscheiden. Dem steht die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht entgegen. Zwar hat dieses in seinem Urteil vom 27. Juni 2006 (B 2 U 5/05 R -, BSGE 96, 297) nicht mehr an seiner bisherigen Rechtsprechung festgehalten, wonach die Anwendung des § 551 Abs. 2 RVO ausnahmslos dann ausgeschlossen war, wenn der Verordnungsgeber die einschlägige Erkrankung in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen hat (Urteil vom 24. Februar 2000 - B 2 U 43/98 R -, SozR 3-2200 § 551 Nr. 14). Die Einschränkung bezog sich indes auf Versicherungsfälle außerhalb eines Rückwirkungszeitraumes, nicht, wie vorliegend, innerhalb eines solchen liegende. Dem Urteil des BSG vom 2. Dezember 2008 (B 2 KN 1/08 U R -, BSGE 102, 121) lag ein Antrag auf Überprüfung eines Bescheides vom 5. Juli 1996, mit dem die Anerkennung einer Atemwegserkrankung unter anderem als Wie-Berufskrankheit nach § 551 Abs. 2 RVO abgelehnt worden war, im Wege des Zugunstenverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch zugrunde. Maßgeblich in diesem Verfahren war also nach dieser materiell-rechtlichen Regelung insbesondere, ob bei Erlass dieses zu überprüfenden Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt worden war. Zu diesem Zeitpunkt war die Erkrankung aber noch nicht in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen worden, was erst durch die BKV vom 31. Oktober 1997 (BGBl I S. 2623) mit Wirkung zum 1. Dezember 1997 erfolgte. Ein Anwendungsvorrang der Listen-Berufskrankheit stellte sich somit überhaupt nicht. Der in dieser Entscheidung formulierte Rechtssatz, wonach diese BKV erst ab dem Tag ihres Inkrafttretens Rechtswirkungen entfaltet und für die Rechtslage davor, wenn die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Wie-Berufskrankheit vorgelegen haben, aus ihr keine Rechtsfolgen hergeleitet werden können (vgl. auch LSG für das Saarland, Urteil vom 23. Mai 2012 - L 2 U 52/09 WA -, juris, Rz. 28), war demzufolge nicht tragend, soweit er so verstanden werden sollte, dass eine geänderte BKV nur nach ihrem Inkrafttreten eintretende Versicherungsfälle erfasst (vgl. hierzu Römer, a. a. O., Stand: Mai 2015, § 6 BKV, Rz. 9). Damit weicht der Senat nicht von einer Entscheidung des BSG ab.
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Darüber hinaus steht zur Überzeugung des Senats nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit fest, dass es durch die versicherten Tätigkeiten im Knien oder eine vergleichbare Kniebelastung zu einer Einwirkungen auf das rechte Kniegelenk gekommen ist, welche die Gonarthrose im rechten Kniegelenk herbeigeführt hat.
57 
Für die Feststellung einer Wie-Berufskrankheit ist wie bei einer Listen-Berufskrankheit Voraussetzung, dass im Einzelfall eine berufsbedingte Einwirkung die rechtlich wesentliche Ursache einer nicht in der Liste der Berufskrankheiten bezeichneten Krankheit ist (vgl. Urteil des Senats vom 26. März 2015 - L 6 U 1017/13 -, juris, Rz. 50; Römer, in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB VII, Stand: Juli 2015, § 9 Rz. 38a). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 23. April 2015 - B 2 U 10/14 R -, juris, Rz. 11 m. w. N., zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen). Da die R.ung des § 9 Abs. 2 SGB VII keinen Auffangtatbestand und keine allgemeine Härteklausel beinhaltet (BSG, Urteile vom 20. Juli 2010 - B 2 U 19/09 R -, juris, Rz. 19 m. w. N. und 13. Februar 2013 - B 2 U 33/11 R -, SozR 4-2700 § 9 Nr. 21, Rz. 17; vgl. auch BSG, Urteil vom 4. Juni 2002 - B 2 U 20/01 R -, juris, Rz. 20 zu § 551 Abs. 2 RVO), darf die Anerkennung einer Wie-Berufskrankheit darüber hinaus nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der Berufskrankheiten erfüllt sind, der Verordnungsgeber sie also als neue Listen-Berufskrankheit in die BKV einfügen dürfte, aber noch nicht tätig geworden ist (vgl. BT-Drucks 13/2204, S. 77 f.), also der generelle Ursachenzusammenhang gegeben ist (vgl. Römer, a. a. O., Rz. 39). Die Anerkennung einer Wie-Berufskrankheit knüpft an dieselben materiellen Voraussetzungen an, die der Verordnungsgeber auch nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII für die Aufnahme einer Erkrankung in die Liste zu beachten hat.
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Dahinstehen kann, ob, wovon das SG Ulm ausgegangen ist, der Listen-Berufskrankheit nach Nr. 2112 der Anlage 1 zur BKV „harte“ Kriterien, die vorliegend im Vollbeweis vorliegen, zu entnehmen sind, und sich hieraus eine tatsächliche Vermutung des Ursachenzusammenhanges ergibt (vgl. BSG, Urteil vom 30. Januar 2007 - B 2 U 15/05 R -, SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 4104 Nr. 2, Rz. 24 zur Berufskrankheit nach Nr. 4104 der Anlage 1 zur BKV), welche auch auf die Gonarthrose als Wie-Berufskrankheit „zu übertragen“ ist (Hessisches LSG, Urteil vom 18. November 2011 - L 9 U 66/07 -, juris, Rz. 40). Denn selbst eine tatsächliche Vermutung ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme erschüttert und der Ursachenzusammenhang nicht nachgewiesen.
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Beim Vergleich der radiologischen Befunde liegt beim Kläger nach den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. Sch. im rechten Kniegelenk eine viertgradige Gonarthrose nach Kellgren et al. vor, demgegenüber links keine derartige nach diesem Bewertungsmaßstab maßgebliche Erkrankung. Dieser Sachverständige hat schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, dass bei einer solchen Befundkonstellation ein Ursachenzusammenhang zwischen der beruflichen kniebelastenden Tätigkeit und dieser Erkrankung nur bei einer besonderen Begründung und dem Nachweis einer einseitigen arbeitsbedingten Belastung gegeben ist, wenn also eine asymmetrische, beruflich bedingte Belastung der beiden Kniegelenke vorlag (vgl. Begutachtungsempfehlung für die Berufskrankheit Nr. 2112 der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e. V. vom 3. Juni 2014, S. 8; vgl. auch die Entscheidung des Senats vom 26. November 2015 - L 6 U 2782/15 -, juris, Rz. 48 zu einem asymmetrischen Schadensbild bei der Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV). Davon ist der Senat auch nach den Angaben des Klägers im Berufungsverfahren nicht überzeugt. Zuletzt hat er vorgetragen, er habe während seiner beruflichen Tätigkeit ganz überwiegend Steildächer mit Biberschwanzziegeln eingedeckt, welche insgesamt, bezogen auf mehr als zwanzig benannte Objekte, mindestens eine Fläche von 5.210 m² umfasst hätten. Hierbei habe es sich allein um die Projekte gehandelt, welche ihm spontan erinnerlich gewesen seien. Während der Ausbildungs- und sonstigen Arbeitszeit seien noch zahlreiche weitere derartige Dächer eingedeckt worden. Tatsächlich habe es sich um das Doppelte, wenn nicht sogar ein Vielfaches dieser Quadratmeterzahl gehandelt. Weder nach dem SGG noch nach der ZPO gibt es zwar eine Beweisregelung in dem Sinne, dass frühere Aussagen oder Angaben grundsätzlich einen höheren Beweiswert besitzen als spätere; im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 286 ZPO) sind vielmehr alle Aussagen, Angaben und sonstigen Einlassungen zu würdigen. Gleichwohl kann das Gericht im Rahmen der Gesamtwürdigung den zeitlich früheren Aussagen aufgrund der Gesichtspunkte, dass die Erinnerung hierbei noch frischer war und sie von irgendwelchen Überlegungen, die darauf abzielen, das Klagebegehren zu begünstigen, noch unbeeinflusst waren, einen höheren Beweiswert als den späteren zumessen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2003 - B 2 U 41/02 R -, SozR 4-2700 § 4 Nr. 1, Rz. 12; Urteile des Senats vom 12. August 2014 - L 6 VH 5821/10 ZVW - juris, Rz. 144 und vom 21. Mai 2015 - L 6 U 1053/15 -, juris, Rz. 34). Hiervon geht der Senat vorliegend in Bezug auf die Angaben aus, welche sich nach der Stellungnahme des Mitarbeiters des Präventionsdienstes der Beklagten Sch. zur Arbeitsplatzexposition von Ende Februar 2013 ergeben haben, der ein von ihm erstelltes Gesprächsprotokoll vom 14. Februar 2013 nach einer persönlichen Unterredung mit dem Kläger an dessen Wohnort einen Tag zuvor zugrunde liegt, das diesem übersandt und am 24. Februar 2013 von ihm unterschrieben worden war. Danach nahm die Einzeltätigkeit „Steildach eindecken mit Biberschwanzziegeln“ 10 % der Schichten ein; ausgehend von 240 Arbeitsschichten je Jahr und einer Gewichtung der Außen- zu den Innenarbeiten mit 60 % zu 40 % aufgerundet 15 Schichten. Mit einem Anteil von weniger als 7 % der Jahresarbeitsschichten (15 von 240 Schichten) hatte diese Tätigkeit somit eine nur untergeordnete Bedeutung, wodurch eine einseitig arbeitsbedingte Belastung nicht nachgewiesen ist. Das Abweichen nach dem Kellgren-Lawrence-Score von vier Grad zwischen dem rechten und linken Kniegelenk erklärt sich dadurch nicht. Darüber hinaus bieten Biberschwanzziegel mit steigender Dachneigung gegenüber anderen Dachziegeltypen zwar schlechtere Standbedingungen, weshalb das Eindecken insoweit in weitaus größerem Maße im Knien durchgeführt wird. In den Untersuchungen konnte indes lediglich häufig und nicht immer auch das einbeinige Knien auf der Dachfläche beobachtet werden. Der Kläger hat in Bezug darauf im gesamten Verfahren weder konkrete Angaben zu den Dachneigungen gemacht, bei denen er Biberschwanzziegel eindeckte, noch in welchem Umfang er dabei einseitig rechts kniete. Das von ihm in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Lichtbild zeigt ihn nicht rechts-, sondern linkskniend. Soweit der Sachverständige Dr. Pf. aus dem Umstand der Rechtshändigkeit des Klägers geschlossen hat, dass es hierdurch zu einer vermehrten Belastung des rechten Kniegelenkes gekommen ist, handelt es sich um eine für ihn plausible Erklärung eines möglichen Bewegungsablaufes, ohne dass damit für den Senat der Nachweis erbracht ist, zumal der Kläger selbst den Arbeitsvorgang nie so beschrieben hat und das von ihm in die mündliche Verhandlung mitgebrachte Foto ihn demgegenüber linkskniend zeigt. Die Tätigkeiten als Zimmermann mögen als solche einseitig kniende Arbeitsabläufe enthalten, wie der Sachverständige Dr. M. dargelegt hat. Der konkret beim Kläger nachgewiesene Umfang belegt indes keine überwiegend einseitige, das rechte Kniegelenk belastenden Tätigkeiten.
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Zudem spricht die Zeitspanne zwischen dem Erreichen der kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde je Schicht einerseits sowie dem erstmaligen Nachweis der Gonarthrose nach einem Grad von mindestens 2 nach dem Kellgren-Lawrence-Score gegen einen Zusammenhang zwischen einer Einwirkung aufgrund der beruflichen kniebelastenden Tätigkeit und einer solchen Gonarthrose. Diese arbeitstechnischen Kriterien beruhen auf Erkenntnissen aus epidemiologischen Studien (vgl. hierzu und zum Folgenden BR-Drucks 242/09, S. 17). In der bislang größten zu dieser Thematik durchgeführten Fall-Kontroll-Studie zeigte sich bei einer Belastungsdauer von insgesamt rund 13.000 Stunden ein mehr als verdoppeltes, signifikant erhöhtes Gonarthroserisiko für Personen mit hoher beruflicher Exposition durch eine kniende oder hockende Tätigkeit. Auch für die Voraussetzung der mindestens einstündigen Kniegelenksbelastung je Schicht wurde die Verdoppelungsdosis in epidemiologischen Studien festgestellt. Prof. Dr. Sch. hat in Bezug darauf überzeugend ausgeführt, dass ein plausibler Zeitraum zwischen einer solchen Einwirkungsintensität und dieser Gesundheitsstörung anzunehmen ist, wenn, bei einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde je Schicht, zwischen dem Erreichen der 13.000 Stunden, was beim Kläger rechnerisch Ende 1981 der Fall gewesen ist, und dem erstmaligem Nachweis der Erkrankung maximal fünf Jahre liegen. Bei einem längeren Zeitraum ist der Ursachenzusammenhang umso unwahrscheinlicher, je größer die Spanne ist. Die Erkrankung nach einem Grad von mindestens 2 nach dem Kellgren-Lawrence-Score ist beim Kläger im September 2005 nachgewiesen worden, so dass mittlerweile sogar annähernd 24 Jahre vergangen gewesen sind. Auch aus Plausibilitätsgründen ist eine berufsbedingte Verursachung somit nicht wahrscheinlich, sonst hätte sich die berufliche Belastung früher in einem relevanten Schaden realisieren müssen.
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Dr. Pf. gelangt wie Dr. M. durch Ausschluss möglicher konkurrierender Ursachen zu dem Ergebnis, dass die Gonarthrose mit Wahrscheinlichkeit und in wesentlicher Weise durch die berufliche Tätigkeit des Klägers verursacht worden ist. Beide setzen sich indes darüber hinaus nicht in hinreichendem Maße mit dem deutlich unterschiedlichen Schadensbild im rechten und linken Kniegelenk sowie überhaupt nicht mit der Zeitspanne zwischen dem Erreichen der kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde je Schicht einerseits sowie dem erstmaligen Nachweis der Gonarthrose nach einem Grad von mindestens 2 nach dem Kellgren-Lawrence-Score andererseits auseinander. Beide Gutachten haben den Senat daher nicht überzeugt. Weder musste Dr. Pf. mit dem Gutachten von Prof. Dr. Sch. konfrontiert oder Letzterer ergänzend befragt, noch eine weitere, vom Kläger als Obergutachten bezeichnete Expertise in Auftrag geben werden, welche ohnehin keinen höheren Beweiswert als die bereits eingeholten sachverständigen Meinungen hätte (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 128 Rz. 7e). Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtensergebnisse gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst, welche ureigene Aufgabe eines Tatsachengerichts ist. Eine Verpflichtung zur Einholung eines weiteren Gutachtens besteht auch bei einander widersprechenden Gutachtensergebnissen im Allgemeinen nicht. Vielmehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen. Hält es eines von mehreren Gutachten für überzeugend, wie vorliegend dasjenige von Prof. Dr. Sch., darf es sich diesem anschließen, ohne ein weiteres einzuholen. Bei einer derartigen Fallgestaltung ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum (vgl. BSG, Beschlüsse vom 19. November 2007 - B 5a/5 R 382/06 B -, SozR 4-1500 § 160a Nr. 21, Rz. 8 und 12. Mai 2015 - B 9 SB 93/14 B -, juris, Rz. 6). Als Grund für eine Ausnahme ist zwar ein nicht lösbarer Widerspruch anerkannt, welcher indes nicht darin zu sehen ist, dass unterschiedliche Gutachtensergebnisse vorliegen. Für den Nachweis, dass der Kläger Steildächer mit einer von ihm konkretisierten Gesamtfläche von mindestens 5.210 m² mit Biberschwanzziegeln eindeckte, sind die Sachverständigen ohnehin kein geeignetes Beweismittel.
62 
Mangels hinreichender Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhanges der beruflich bedingten Einwirkungen auf die Knie des Klägers und der Gonarthrose, kommt es an sich von vornherein nicht darauf an, ob beim Kläger mit der Chondrokalzinose, den Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis, der kongenitalen tibiofemoralen Beinachse (Varusstellung), dem Übergewicht oder dem Unfallereignis vom 29. August 2005 konkurrierende Ursachen vorhanden sind, die ihrerseits zu der Gonarthrose geführt haben. Nach der überzeugenden Begründung von Prof. Dr. Sch. gilt eine Chondrokalzinose aber ohnehin nicht als konkurrierender Faktor für die Entstehung einer Gonarthrose. Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis sind zwar nach klinischer Erfahrung anzunehmen, als Ursache nach der Literatur aber derzeit nicht belegbar. Die kongenitale tibiofemorale Beinachse ist ebenfalls nicht als konkurrierender Faktor anzusehen. In dem Bericht von Dr. B. über eine Operation Ende September 2008 ist eine Varusstellung von 10° im rechten Kniegelenk erwähnt. Ganzbeinaufnahmen sind nicht angefertigt worden. Auf einer Röntgenaufnahme von April 2008 ist sogar keine varische Beinachse zu erkennen gewesen. Eine maximale Beinachsenfehlstellung um 10° wird üblicherweise als leichtgradige Fehlstellung bezeichnet, welche kein Ausschlusskriterium in diesem Zusammenhang darstellt (vgl. Urteil des Senats vom 26. November 2015 - L 6 U 2782/15 -, Rz. 50 zur Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV). Übergewicht gilt zwar als wissenschaftlich gesicherte Alternativursache. Allerdings besteht für die Adipositas eine epidemiologische Evidenz für ein multiplikatives Zusammenwirken mit den arbeitsbedingten Belastungen. Nach der wissenschaftlichen Begründung ist die vorliegend zu beurteilende Berufskrankheit bei gegebenen arbeitstechnischen Voraussetzungen und einem geeigneten Krankheitsbild auch bei adipösen Menschen anzuerkennen. Nach dem Akteninhalt sind hinsichtlich Körpergröße und -gewicht des Klägers ab 1991 sowie vor dem Unfallereignis im Jahre 2005 Werte zwischen 105 kg und 113 kg dokumentiert. Bei der gutachterlichen Untersuchung durch Dr. Pf. Anfang August 2010 ist das Körpergewicht mit 110 kg festgestellt worden. Die Behauptung des Klägers im Berufungsverfahren, wonach es erst nach seiner Heirat im Jahre 1979 zu einer Gewichtszunahme gekommen sei, als er die berufliche Tätigkeit reduziert und schließlich eingestellt habe, frühestens also nach dem Unfall im Jahre 2005, was er in der mündlichen Verhandlung mittels Vorlage von Fotos von ihm zu untermauern versucht hat, ist damit allerdings widerlegt. Dr. K. weist zwar in seinen beratungsärztlichen Stellungnahmen von September und November 2010 unter Bezugnahme auf die biomechanische Plausibilität darauf hin, bei einem belastungskonformen Schadensbild der vorliegend zu prüfenden Berufskrankheit sei zu erwarten, dass der Knorpelschaden im Patellofemoralgelenk beginne und sich von dort aus gegebenenfalls in das Kniehauptgelenk ausdehne. Der Knorpelschaden müsse danach in erster Linie und vorauseilend im Patellofemoralgelenk vorhanden sein. Die ursprüngliche Arbeitshypothese des interdisziplinären Arbeitskreises, welcher die Begutachtungsempfehlung für die Berufskrankheit nach Nr. 2112 der Anlage 1 zur BKV erarbeitet hat, nach der mit einem Beginn des Knorpelaufbrauches in erst Linie patellofemoral und in den dorsalen Kniegelenksanteilen sowie mit einem selektiven Aufbrauch der Meniskushinterhörner als möglichem Initialstadium zu rechnen sei, hat sich durch die bislang vorliegenden Forschungsergebnisse indes nicht belegen lassen (vgl. die Empfehlung auf S. 9). Anders als Prof. Dr. Sch., Dr. Pf. und Dr. M. geht der Senat darüber hinaus nur von der Möglichkeit aus, dass die Veränderungen im rechten Kniegelenk, also auch die arthrotischen, hauptsächlich durch das Unfallereignis vom 29. August 2005 mit verbliebener Instabilität nach stattgehabter Kreuzbandverletzung bedingt gewesen sind.
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Nach alledem war der Berufung der Beklagten stattzugeben und das erstinstanzliche Urteil aufzuheben.
64 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Gründe

 
50 
Die nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere statthafte Berufung (§ 143, § 144 Abs. 1 SGG) der Beklagten ist begründet. Deren Bescheid vom 8. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Februar 2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Voraussetzungen für die Feststellung einer Gonarthrose als Wie-Berufskrankheit liegen nicht vor. Das SG hätte die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG, zur Klageart vgl. BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 - B 2 U 6/12 R -, SozR 4-2700 § 9 Nr. 22, Rz. 13 m. w. N.) erhobene Klage, die zuletzt ausschließlich darauf gerichtet gewesen ist, die Beklagte zu verpflichten, eine Gonarthrose als Wie-Berufskrankheit festzustellen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Januar 2010 - B 2 U 5/08 R -, SozR 4-2700 § 9 Nr. 17, Rz. 12, wonach nach dem materiellen Recht mit den jeweiligen Listen-Berufskrankheiten und der Wie-Berufskrankheit verschiedene Versicherungsfälle definiert sind, und LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. September 2009 - L 8 U 5884/08 -, juris, Rz. 32 ff. zu einer Teilrücknahme der Klage durch spätere Antragsbeschränkung), daher abweisen müssen.
51 
Die Voraussetzungen für die Feststellung der Gonarthrose des Klägers als Wie-Berufskrankheit liegen nicht vor, da der sachliche Anwendungsbereich nicht eröffnet ist. Darüber hinaus fehlt es am Ursachenzusammenhang zwischen den Einwirkungen durch die versicherten Tätigkeiten im Knien oder eine vergleichbare Kniebelastung und der Gonarthrose im rechten Kniegelenk; im linken liegt keine insoweit maßgebliche Erkrankung vor.
52 
Der geltend gemachten Anspruch richtet sich nach den am 1. Januar 1997 in Kraft getretenen Bestimmungen des SGB VII (Art. 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, BGBl I 1996, S. 1254; § 212 SGB VII), da beim Kläger zwar erstmals 1995 Kniebeschwerden auftraten, wie dies der ihn behandelnde Hausarzt Dr. B. bei der Anzeige des Verdachtes einer Gonarthrose als Berufskrankheit im August 2007 kundgetan hat. Diagnostiziert worden ist eine „diskrete“ Gonarthrose allerdings überhaupt erst durch Dr. L. nach einer klinischen und radiologischen Untersuchung des Klägers am 6. September 2005. Nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand (vgl. hierzu BSG, Urteile vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R -, BSGE 96, 196 <200 f.> und 23. April 2015 - B 2 U 10/14 R -, juris, Rz. 20, zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen), der wegen des für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei der vorliegenden Verpflichtungsklage maßgeblichen Zeitpunktes der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz zu berücksichtigen ist (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 54 Rz. 34), liegt eine durch die versicherte Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastung herbeigeführte Gonarthrose sogar erst vor, wenn chronische Kniegelenksbeschwerden, Funktionsstörungen bei der standardisierten klinisch-orthopädischen Untersuchung und die röntgenologische Diagnose einer Gonarthrose entsprechend einem Grad 2 bis 4 der spezifizierten Klassifikation von Kellgren et al. objektiviert worden sind; als Funktionsstörung muss eine Bewegungseinschränkung in Form einer eingeschränkten Streckung und/oder Beugung im Kniegelenk, ein Kniegelenkserguss, eine Kapselentzündung mit Verdickung oder Verplumpung der Gelenkkontur, eine Krepitation bei der Gelenkbewegung, ein hinkendes Gangbild oder eine Atrophie der Oberschenkelmuskulatur festgestellt sein. Diesen Maßstab legt der Senat aufgrund der Begutachtungsempfehlung für die Berufskrankheit Nr. 2112 (Gonarthrose) der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e. V., Stand: 3. Juni 2014 (im Internet unter „www.dguv.de/medien/inhalt/versicherung/bk/empfehlungen/Begutachtung-BK2112-Stand-20140613.pdf“), zugrunde, welche von einem interdisziplinären Arbeitskreis, zu dem auch der Sachverständige Prof. Dr. Sch. gehört hat, erstellt worden sind. Die Kriterien „chronische Kniegelenksbeschwerden, Funktionsstörungen bei der orthopädischen Untersuchung in Form einer eingeschränkten Streckung oder Beugung im Kniegelenk und die röntgenologische Diagnose einer Gonarthrose entsprechend einem Grad 2 bis 4 der spezifizierten Klassifikation von Kellgren et al.“ ist bereits nach dem Merkblatt zur Berufskrankheit nach Nr. 2112 der Anlage 1 zur BKV (Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 30. Dezember 2009 - IVa 4-45222-2112 -, GMBl 5/6/2010, S. 98 ff.) gefordert worden. Der Sachverständige Prof. Dr. Sch. geht vor diesem Hintergrund von einer objektivierten Gonarthrose im rechten Kniegelenk im Jahre 2006 aus, wohingegen der Senat zu der Überzeugung gelangt ist, dass diese bereits am 22. September 2005 nachgewiesen worden ist. Nach dem im Wege des Urkundenbeweises (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 415 ff. Zivilprozessordnung - ZPO) verwerteten Befundbericht von Dr. R., der infolge eines an diesem Tag erstellten MRT verfasst worden ist, wurden eine mediale Gonarthrose mit dritt- bis viertgradigem Knorpelschaden femoral und tibial, ein deutliches Knochenmarködem in den benachbarten Partien femoral und tibial, ein retropatellarer Knorpelschaden craniomedial sowie ein Status nach Dehnung des Retinaculum patellae mediale mit teils aufgefaserten Strukturen festgestellt. Dr. L. hatte bereits zuvor, am 6. September 2005 und bei bereits bestehenden chronischen Kniegelenksbeschwerden, einen deutlichen Kniegelenkserguss und eine endgradige Bewegungseinschränkung bei der Streckung objektiviert, wobei der Senat zugunsten des Klägers davon ausgeht, dass diese Funktionsstörungen wegen der arthrotischen Veränderungen bestanden haben und nicht auf das Unfallereignis vom 29. August 2005 zurückzuführen gewesen sind. Der Versicherungsfall im Sinne des § 212 SGB VII ist damit jedenfalls weit nach dem 31. Dezember 1996 eingetreten. Offen bleiben kann, ob § 9 Abs. 5 SGB VII entsprechende Anwendung findet. Soweit danach Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für die Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen (vgl. Köhler, in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB VII, Stand: Mai 2011, § 212 Rz. 5; Söhngen, in jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 212 Rz. 11). Auch diese Voraussetzungen lägen frühestens zum Zeitpunkt des Nachweises der Gonarthrose vor.
53 
Nach § 9 Abs. 2 SGB VII haben die Trägerinnen der gesetzlichen Unfallversicherung eine Krankheit, die nicht in der BKV bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII erfüllt sind (sog. „Öffnungsklausel“ für Wie-Berufskrankheiten). Mit § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII hat der Gesetzgeber das "Listensystem" als Grundprinzip des Rechts der Berufskrankheiten der gesetzlichen Unfallversicherung festgelegt. Mit der Einführung der Wie-Berufskrankheit in § 551 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 30. April 1963 (BGBl I S. 241), also der Vorgängervorschrift zu § 9 Abs. 2 SGB VII, wurde eine Ausnahme vom Listenprinzip nur für den Fall zugelassen, dass der Verordnungsgeber wegen der regelmäßig notwendigen mehrjährigen Intervalle zwischen den Anpassungen der BKV an die neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht rechtzeitig tätig wird (vgl. BSG, Urteil vom 25. August 1994 - 2 RU 42/93 -, BSGE 75, 51 <54>). Sinn des § 9 Abs. 2 SGB VII ist es, ausnahmsweise vom Listensystem abweichen zu können, um solche durch die Arbeit verursachten Krankheiten wie eine Berufskrankheit zu entschädigen, die nur deshalb nicht in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen worden sind, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen in ihrer Arbeit bei der letzten Fassung der Liste noch nicht vorhanden waren oder vom Verordnungsgeber nicht hinreichend berücksichtigt wurden (vgl. BSG, Urteil vom 4. August 1981 - 5a/5 RKnU 1/80 -, SozR 2200 § 551 Nr. 18, S. 27). Im Falle des Klägers fehlt es an der sachlichen Anwendungsvoraussetzung der Regelung zur Feststellung einer Wie-Berufskrankheit, denn die Gonarthrose ist in der BKV bezeichnet, die dort bestimmten Voraussetzungen liegen vor und die Feststellung als Listen-Berufskrankheit ist vorliegend nicht grundsätzlich ausgeschlossen.
54 
Die Gonarthrose ist durch die Zweite Verordnung zur Änderung der BKV vom 11. Juni 2009 (BGBl I S. 1273) mit Wirkung zum 1. Juli 2009 als Nr. 2112 in die Liste der Berufskrankheiten (§ 1 BKV i. V. m. Anlage 1) aufgenommen worden. Sie ist bezeichnet als „Gonarthrose durch eine Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastung mit einer kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde pro Schicht“. Die in dieser Listen-Berufskrankheit bestimmten, also dort benannten Voraussetzungen liegen vor. Denn der Kläger war während seiner versicherten beruflichen Tätigkeit von April 1963 bis Juni 1968 und von Januar 1970 bis November 1974 als Beschäftigter nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII sowie aufgrund der freiwilligen Versicherung (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VII) während seiner selbstständigen Tätigkeit von Januar 1975 bis Mitte August 2007 durch eine Tätigkeit im Knien oder eine vergleichbare Kniebelastung einer kumulativen Einwirkungsdauer von 32.442 Stunden ausgesetzt, wobei die Mindesteinwirkungsdauer von einer Stunde je Arbeitsschicht erfüllt war. Hierfür stützt sich der Senat auf die vom Mitarbeiter des Präventionsdienstes der Beklagten Sch. erstellte Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition von Ende Februar 2013, welcher ein von ihm erstelltes Gesprächsprotokoll vom 14. Februar 2013 nach einer persönlichen Unterredung mit dem Kläger an dessen Wohnort einen Tag zuvor zugrunde liegt, das diesem übersandt und am 24. Februar 2013 von ihm unterschrieben worden war. Danach wurden Tätigkeiten als Zimmerer und Dachdecker vollzeitig und an ständig wechselnden Arbeitsplätzen ausgeübt. Von Anfang an wurden während der kalten Jahreszeit keine Mitarbeitenden entlassen, vielmehr führten diese dann Arbeiten in Innenräumen aus. Hierbei handelte es sich um die Parkettverlegung und den Dachgeschossausbau im Trockenbau.Der Bereich der Außenarbeiten umfasste die Zimmerei und Dachdeckerei. Reine Zimmererarbeiten, wie der Abbund und das ausschließliche Aufrichten von etwa Dachstühlen oder Gauben, wurden anfangs nur ausnahmsweise ausgeführt. Hölzer wurden überwiegend fertig abgebunden bezogen. Zum Dachdeckerhandwerk bestanden Überschneidungen. Es wurden Dachstühle aufgerichtet, aber auch die Lattung und Dämmung angebracht. Anschließend erfolgte die Eindeckung mit Dachpfannen und Biberschwanzziegeln (jeweils 50 %), bei größeren Gehöften, Scheunen oder Hallendächern wurden Wellasbestzementplatten verwendet. Flachdächer wurden nicht gedeckt. Es wurden ausschließlich Steildächer bearbeitet. Zum Bereich der Innenarbeiten gehörten die Parkettverlegung und der Innenausbau im Dachgeschoss. Es wurden Stab- und Mosaikparkette im Verhältnis 70 % zu 30 % verlegt, daneben Dielen, Ausgleichsschüttungen, Trittschalldämmungen und Estrichelemente. Das Verhältnis der beiden beschriebenen Bereiche, also von Außen- und Innenarbeiten, betrug, bezogen auf die Arbeitsschichten, etwa 60 % zu 40 %. Von Montag bis Freitag wurde üblicherweise 10 Stunden täglich gearbeitet. An jedem zweiten Samstag wurden die Tätigkeiten auftragsbedingt ebenfalls ausgeübt. Der Kläger war immer aktiv auf den Baustellen tätig, führte also während der regulären Arbeitszeit keine administrativen Tätigkeiten oder Büroarbeiten aus. Diese wurden an den Wochenenden und nach Feierabend erledigt. Der Mitarbeiter des Präventionsdienstes der Beklagten Sch. ist auf dieser Grundlage für den Senat nachvollziehbar von 240 Arbeitsschichten je Zeitjahr ausgegangen. Der Kläger selbst ist damals zu einer nahezu identischen Einschätzung gekommen, wobei er etwa 32 Wochen für die Außen- und 16 Wochen für die Innenarbeiten annahm, woraus sich ein Verhältnis von etwa 2/3 zu 1/3 ergibt. Im Wesentlichen waren die Tätigkeitsinhalte über die Zeit von April 1963 bis Juni 1968 und Januar 1970 bis Mitte August 2007 hinweg vergleichbar, so dass die einzelnen Beschäftigungsabschnitte einheitlich bewertet werden können. Die prozentuale Aufsplittung der Einzeltätigkeiten stellt sich zusammenfassend und gerundet daher wie folgt dar: Außenarbeiten, 60 % der Schichten: Steildach einlatten = 10 % der Schichten = 14 Schichten, Steildach dämmen = 50 % der Schichten = 72 Schichten, Steildach eindecken mit Dachpfannen = 10 % der Schichten = 15 Schichten, Steildach eindecken mit Biberschwanzziegeln = 10 % der Schichten = 15 Schichten, Wellplattenmontage = 10 % der Schichten = 14 Schichten und Zimmerei (Abbund und Aufrichten) = 10 % der Schichten = 14 Schichten sowie Innenarbeiten, 40 % der Schichten: Stabparkett verlegen = 21 % der Schichten = 20 Schichten, Mosaikparkett verlegen = 9 % der Schichten = 9 Schichten, schleifen und verkitten = 10 % der Schichten = 10 Schichten, Dielenboden verlegen = 10 % der Schichten = 10 Schichten und Trittschalldämmung verlegen, auch Schüttung, Holzfaserplatten und Estrichelemente = 50 % der Schichten = 47 Schichten. Hieraus ergibt sich zur Überzeugung des Senats nachvollziehbar eine durch die Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastung kumulative Einwirkungsdauer von 32.442 Stunden. Gestützt auf den IFA-Report, Ausgabe 1/2010 ist hiernach zudem plausibel eine die Knie betreffende Mindesteinwirkungsdauer von sogar mehr als einer Stunde je Arbeitsschicht ermittelt worden.
55 
Die Feststellung als Listen-Berufskrankheit ist vorliegend wegen § 6 Abs. 2 Satz 1 BKV in der Fassung der Zweiten Verordnung zur Änderung der BKV vom 11. Juni 2009 (BGBl I S. 1273) nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Leiden danach Versicherte am 1. Juli 2009 an einer Krankheit unter anderem nach Nr. 2112 der Anlage 1 zur BKV, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 30. September 2002 eingetreten ist. Der Kläger leidet bis heute im rechten Kniegelenk an einer Gonarthrose im Sinne dieser Listen-Berufskrankheit. Der Versicherungsfall ist, wie zuvor ausgeführt, erst am 22. September 2005 eingetreten. Der Kläger ist folglich nach der Stichtagsregelung des § 6 Abs. 2 Satz 1 BKV, bei der es sich um eine unechte Rückwirkung (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 7. Dezember 2010 - 1 BvR 2628/07 -, BVerfGE 128, 90 <107>) beziehungsweise tatbestandliche Rückanknüpfung (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 11. Juli 2013 - 2 BvR 2302/11 u. a. -, juris, Rz. 72) handelt, die Norm also auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt, nicht von der noch möglichen Anerkennung als Listen-Berufskrankheit ausgeschlossen. Damit behält der Vorrang der allgemeinen Regelung des § 9 Abs. 1 SGB VII in Verbindung mit § 1 BKV und der Anlage 1 hierzu, unter Einschluss der Rückwirkungsanordnung, weiter Geltung (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 9. Oktober 2010 - 1 BvR 791/95 -, juris, Rz. 28). Dieser Vorrang kommt zwar trotz des bei der Verpflichtungsklage maßgeblichen Zeitpunktes der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage wegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 22. Oktober 1981 - 1 BvR 1369/79 - BVerfGE 58, 369 zur Auslegung der Regelungen über die Anerkennung von Berufskrankheiten), unter Beachtung des allgemeinen Grundsatzes des Verwaltungsverfahrensrechts, wonach die Trägerinnen der gesetzlichen Unfallversicherung zügig zu entscheiden haben, nicht zum Tragen, wenn von diesen eine Verwaltungsentscheidung zu einer Wie-Berufskrankheit im Hinblick darauf zurückgestellt worden ist, dass eine Änderung der BKV in Sicht ist (BVerfG, a. a. O., Rz. 29), oder sie ein Begehren auf Feststellung als Wie-Berufskrankheit mit dem Hinweis auf eine in Aussicht stehende Änderung der BKV abgelehnt haben (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 23. Juni 2005 - 1 BvR 235/00 -, juris, Rz. 21). Die Beklagte hat indes die Verwaltungsentscheidung über die ihr von Dr. B. im August 2007 angezeigte mögliche Gonarthrose als Berufskrankheit weder im Hinblick darauf zurückgestellt, dass die Zweite Verordnung zur Änderung der BKV vom 11. Juni 2009 (BGBl I S. 1273) in Sicht ist, noch die Ablehnung unter Hinweis auf diese in Aussicht stehende Änderung der BKV abgelehnt. Die Beklagte hat demgegenüber mit dem angefochtenen Bescheid vom 8. Oktober 2009 sogar nach Inkrafttreten der Neuregelungen, abgestellt auf den Zeitpunkt der Meldung der Erkrankung vor dem Stichtag, über die begehrte Feststellung als Wie-Berufskrankheit entschieden und diese mit der Begründung abgelehnt, nicht versicherte Faktoren seien ursächlich für die Gonarthrose gewesen die berufliche Belastung sei in den Hintergrund getreten. Eine unsachgemäße Verzögerung des Verwaltungsverfahrens durch die Beklagte liegt ebenfalls nicht vor. Sie hat nach der hausärztlichen Anzeige der Berufskrankheit sogleich die medizinischen Befundunterlagen, die bis dahin wegen des Arbeitsunfalls vom 29. August 2005, bei dem ebenfalls das rechte Knie betroffen war, vorgelegen haben, zu dem Verfahren wegen der Feststellung einer Berufskrankheit herangezogen, Dr. B. und Dr. L. ergänzend befragt, ein Vorerkrankungsverzeichnis der IKK Baden-Württemberg beigezogen sowie anschließend das nach dem in Bezug auf das Unfallereignis ergangenen Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 2007 angestrengte Klageverfahren beim SG Konstanz, welches mit Urteil vom 24. Juni 2009 endete und in welchem weitere medizinische Beweiserhebungen vorgenommen wurden, abgewartet. Daraufhin hat sie von Dr. K. eine Anfang September 2009 vorgelegte beratungsärztliche Stellungnahme eingeholt und die am Ende dieses Monats eingegangene Mitteilung des Regierungspräsidiums Stuttgart, wonach keine gewerbeärztliche Befassung erfolgen werde, abgewartet, um schließlich, ohne dass der Kläger im gesamten Verfahren auf eine frühere Entscheidung hingewirkt hat, mit Bescheid vom 8. Oktober 2009 über sein Begehren zu entscheiden. Dem steht die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht entgegen. Zwar hat dieses in seinem Urteil vom 27. Juni 2006 (B 2 U 5/05 R -, BSGE 96, 297) nicht mehr an seiner bisherigen Rechtsprechung festgehalten, wonach die Anwendung des § 551 Abs. 2 RVO ausnahmslos dann ausgeschlossen war, wenn der Verordnungsgeber die einschlägige Erkrankung in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen hat (Urteil vom 24. Februar 2000 - B 2 U 43/98 R -, SozR 3-2200 § 551 Nr. 14). Die Einschränkung bezog sich indes auf Versicherungsfälle außerhalb eines Rückwirkungszeitraumes, nicht, wie vorliegend, innerhalb eines solchen liegende. Dem Urteil des BSG vom 2. Dezember 2008 (B 2 KN 1/08 U R -, BSGE 102, 121) lag ein Antrag auf Überprüfung eines Bescheides vom 5. Juli 1996, mit dem die Anerkennung einer Atemwegserkrankung unter anderem als Wie-Berufskrankheit nach § 551 Abs. 2 RVO abgelehnt worden war, im Wege des Zugunstenverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch zugrunde. Maßgeblich in diesem Verfahren war also nach dieser materiell-rechtlichen Regelung insbesondere, ob bei Erlass dieses zu überprüfenden Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt worden war. Zu diesem Zeitpunkt war die Erkrankung aber noch nicht in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen worden, was erst durch die BKV vom 31. Oktober 1997 (BGBl I S. 2623) mit Wirkung zum 1. Dezember 1997 erfolgte. Ein Anwendungsvorrang der Listen-Berufskrankheit stellte sich somit überhaupt nicht. Der in dieser Entscheidung formulierte Rechtssatz, wonach diese BKV erst ab dem Tag ihres Inkrafttretens Rechtswirkungen entfaltet und für die Rechtslage davor, wenn die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Wie-Berufskrankheit vorgelegen haben, aus ihr keine Rechtsfolgen hergeleitet werden können (vgl. auch LSG für das Saarland, Urteil vom 23. Mai 2012 - L 2 U 52/09 WA -, juris, Rz. 28), war demzufolge nicht tragend, soweit er so verstanden werden sollte, dass eine geänderte BKV nur nach ihrem Inkrafttreten eintretende Versicherungsfälle erfasst (vgl. hierzu Römer, a. a. O., Stand: Mai 2015, § 6 BKV, Rz. 9). Damit weicht der Senat nicht von einer Entscheidung des BSG ab.
56 
Darüber hinaus steht zur Überzeugung des Senats nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit fest, dass es durch die versicherten Tätigkeiten im Knien oder eine vergleichbare Kniebelastung zu einer Einwirkungen auf das rechte Kniegelenk gekommen ist, welche die Gonarthrose im rechten Kniegelenk herbeigeführt hat.
57 
Für die Feststellung einer Wie-Berufskrankheit ist wie bei einer Listen-Berufskrankheit Voraussetzung, dass im Einzelfall eine berufsbedingte Einwirkung die rechtlich wesentliche Ursache einer nicht in der Liste der Berufskrankheiten bezeichneten Krankheit ist (vgl. Urteil des Senats vom 26. März 2015 - L 6 U 1017/13 -, juris, Rz. 50; Römer, in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB VII, Stand: Juli 2015, § 9 Rz. 38a). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 23. April 2015 - B 2 U 10/14 R -, juris, Rz. 11 m. w. N., zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen). Da die R.ung des § 9 Abs. 2 SGB VII keinen Auffangtatbestand und keine allgemeine Härteklausel beinhaltet (BSG, Urteile vom 20. Juli 2010 - B 2 U 19/09 R -, juris, Rz. 19 m. w. N. und 13. Februar 2013 - B 2 U 33/11 R -, SozR 4-2700 § 9 Nr. 21, Rz. 17; vgl. auch BSG, Urteil vom 4. Juni 2002 - B 2 U 20/01 R -, juris, Rz. 20 zu § 551 Abs. 2 RVO), darf die Anerkennung einer Wie-Berufskrankheit darüber hinaus nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der Berufskrankheiten erfüllt sind, der Verordnungsgeber sie also als neue Listen-Berufskrankheit in die BKV einfügen dürfte, aber noch nicht tätig geworden ist (vgl. BT-Drucks 13/2204, S. 77 f.), also der generelle Ursachenzusammenhang gegeben ist (vgl. Römer, a. a. O., Rz. 39). Die Anerkennung einer Wie-Berufskrankheit knüpft an dieselben materiellen Voraussetzungen an, die der Verordnungsgeber auch nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII für die Aufnahme einer Erkrankung in die Liste zu beachten hat.
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Dahinstehen kann, ob, wovon das SG Ulm ausgegangen ist, der Listen-Berufskrankheit nach Nr. 2112 der Anlage 1 zur BKV „harte“ Kriterien, die vorliegend im Vollbeweis vorliegen, zu entnehmen sind, und sich hieraus eine tatsächliche Vermutung des Ursachenzusammenhanges ergibt (vgl. BSG, Urteil vom 30. Januar 2007 - B 2 U 15/05 R -, SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 4104 Nr. 2, Rz. 24 zur Berufskrankheit nach Nr. 4104 der Anlage 1 zur BKV), welche auch auf die Gonarthrose als Wie-Berufskrankheit „zu übertragen“ ist (Hessisches LSG, Urteil vom 18. November 2011 - L 9 U 66/07 -, juris, Rz. 40). Denn selbst eine tatsächliche Vermutung ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme erschüttert und der Ursachenzusammenhang nicht nachgewiesen.
59 
Beim Vergleich der radiologischen Befunde liegt beim Kläger nach den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. Sch. im rechten Kniegelenk eine viertgradige Gonarthrose nach Kellgren et al. vor, demgegenüber links keine derartige nach diesem Bewertungsmaßstab maßgebliche Erkrankung. Dieser Sachverständige hat schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, dass bei einer solchen Befundkonstellation ein Ursachenzusammenhang zwischen der beruflichen kniebelastenden Tätigkeit und dieser Erkrankung nur bei einer besonderen Begründung und dem Nachweis einer einseitigen arbeitsbedingten Belastung gegeben ist, wenn also eine asymmetrische, beruflich bedingte Belastung der beiden Kniegelenke vorlag (vgl. Begutachtungsempfehlung für die Berufskrankheit Nr. 2112 der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e. V. vom 3. Juni 2014, S. 8; vgl. auch die Entscheidung des Senats vom 26. November 2015 - L 6 U 2782/15 -, juris, Rz. 48 zu einem asymmetrischen Schadensbild bei der Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV). Davon ist der Senat auch nach den Angaben des Klägers im Berufungsverfahren nicht überzeugt. Zuletzt hat er vorgetragen, er habe während seiner beruflichen Tätigkeit ganz überwiegend Steildächer mit Biberschwanzziegeln eingedeckt, welche insgesamt, bezogen auf mehr als zwanzig benannte Objekte, mindestens eine Fläche von 5.210 m² umfasst hätten. Hierbei habe es sich allein um die Projekte gehandelt, welche ihm spontan erinnerlich gewesen seien. Während der Ausbildungs- und sonstigen Arbeitszeit seien noch zahlreiche weitere derartige Dächer eingedeckt worden. Tatsächlich habe es sich um das Doppelte, wenn nicht sogar ein Vielfaches dieser Quadratmeterzahl gehandelt. Weder nach dem SGG noch nach der ZPO gibt es zwar eine Beweisregelung in dem Sinne, dass frühere Aussagen oder Angaben grundsätzlich einen höheren Beweiswert besitzen als spätere; im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 286 ZPO) sind vielmehr alle Aussagen, Angaben und sonstigen Einlassungen zu würdigen. Gleichwohl kann das Gericht im Rahmen der Gesamtwürdigung den zeitlich früheren Aussagen aufgrund der Gesichtspunkte, dass die Erinnerung hierbei noch frischer war und sie von irgendwelchen Überlegungen, die darauf abzielen, das Klagebegehren zu begünstigen, noch unbeeinflusst waren, einen höheren Beweiswert als den späteren zumessen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2003 - B 2 U 41/02 R -, SozR 4-2700 § 4 Nr. 1, Rz. 12; Urteile des Senats vom 12. August 2014 - L 6 VH 5821/10 ZVW - juris, Rz. 144 und vom 21. Mai 2015 - L 6 U 1053/15 -, juris, Rz. 34). Hiervon geht der Senat vorliegend in Bezug auf die Angaben aus, welche sich nach der Stellungnahme des Mitarbeiters des Präventionsdienstes der Beklagten Sch. zur Arbeitsplatzexposition von Ende Februar 2013 ergeben haben, der ein von ihm erstelltes Gesprächsprotokoll vom 14. Februar 2013 nach einer persönlichen Unterredung mit dem Kläger an dessen Wohnort einen Tag zuvor zugrunde liegt, das diesem übersandt und am 24. Februar 2013 von ihm unterschrieben worden war. Danach nahm die Einzeltätigkeit „Steildach eindecken mit Biberschwanzziegeln“ 10 % der Schichten ein; ausgehend von 240 Arbeitsschichten je Jahr und einer Gewichtung der Außen- zu den Innenarbeiten mit 60 % zu 40 % aufgerundet 15 Schichten. Mit einem Anteil von weniger als 7 % der Jahresarbeitsschichten (15 von 240 Schichten) hatte diese Tätigkeit somit eine nur untergeordnete Bedeutung, wodurch eine einseitig arbeitsbedingte Belastung nicht nachgewiesen ist. Das Abweichen nach dem Kellgren-Lawrence-Score von vier Grad zwischen dem rechten und linken Kniegelenk erklärt sich dadurch nicht. Darüber hinaus bieten Biberschwanzziegel mit steigender Dachneigung gegenüber anderen Dachziegeltypen zwar schlechtere Standbedingungen, weshalb das Eindecken insoweit in weitaus größerem Maße im Knien durchgeführt wird. In den Untersuchungen konnte indes lediglich häufig und nicht immer auch das einbeinige Knien auf der Dachfläche beobachtet werden. Der Kläger hat in Bezug darauf im gesamten Verfahren weder konkrete Angaben zu den Dachneigungen gemacht, bei denen er Biberschwanzziegel eindeckte, noch in welchem Umfang er dabei einseitig rechts kniete. Das von ihm in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Lichtbild zeigt ihn nicht rechts-, sondern linkskniend. Soweit der Sachverständige Dr. Pf. aus dem Umstand der Rechtshändigkeit des Klägers geschlossen hat, dass es hierdurch zu einer vermehrten Belastung des rechten Kniegelenkes gekommen ist, handelt es sich um eine für ihn plausible Erklärung eines möglichen Bewegungsablaufes, ohne dass damit für den Senat der Nachweis erbracht ist, zumal der Kläger selbst den Arbeitsvorgang nie so beschrieben hat und das von ihm in die mündliche Verhandlung mitgebrachte Foto ihn demgegenüber linkskniend zeigt. Die Tätigkeiten als Zimmermann mögen als solche einseitig kniende Arbeitsabläufe enthalten, wie der Sachverständige Dr. M. dargelegt hat. Der konkret beim Kläger nachgewiesene Umfang belegt indes keine überwiegend einseitige, das rechte Kniegelenk belastenden Tätigkeiten.
60 
Zudem spricht die Zeitspanne zwischen dem Erreichen der kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde je Schicht einerseits sowie dem erstmaligen Nachweis der Gonarthrose nach einem Grad von mindestens 2 nach dem Kellgren-Lawrence-Score gegen einen Zusammenhang zwischen einer Einwirkung aufgrund der beruflichen kniebelastenden Tätigkeit und einer solchen Gonarthrose. Diese arbeitstechnischen Kriterien beruhen auf Erkenntnissen aus epidemiologischen Studien (vgl. hierzu und zum Folgenden BR-Drucks 242/09, S. 17). In der bislang größten zu dieser Thematik durchgeführten Fall-Kontroll-Studie zeigte sich bei einer Belastungsdauer von insgesamt rund 13.000 Stunden ein mehr als verdoppeltes, signifikant erhöhtes Gonarthroserisiko für Personen mit hoher beruflicher Exposition durch eine kniende oder hockende Tätigkeit. Auch für die Voraussetzung der mindestens einstündigen Kniegelenksbelastung je Schicht wurde die Verdoppelungsdosis in epidemiologischen Studien festgestellt. Prof. Dr. Sch. hat in Bezug darauf überzeugend ausgeführt, dass ein plausibler Zeitraum zwischen einer solchen Einwirkungsintensität und dieser Gesundheitsstörung anzunehmen ist, wenn, bei einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde je Schicht, zwischen dem Erreichen der 13.000 Stunden, was beim Kläger rechnerisch Ende 1981 der Fall gewesen ist, und dem erstmaligem Nachweis der Erkrankung maximal fünf Jahre liegen. Bei einem längeren Zeitraum ist der Ursachenzusammenhang umso unwahrscheinlicher, je größer die Spanne ist. Die Erkrankung nach einem Grad von mindestens 2 nach dem Kellgren-Lawrence-Score ist beim Kläger im September 2005 nachgewiesen worden, so dass mittlerweile sogar annähernd 24 Jahre vergangen gewesen sind. Auch aus Plausibilitätsgründen ist eine berufsbedingte Verursachung somit nicht wahrscheinlich, sonst hätte sich die berufliche Belastung früher in einem relevanten Schaden realisieren müssen.
61 
Dr. Pf. gelangt wie Dr. M. durch Ausschluss möglicher konkurrierender Ursachen zu dem Ergebnis, dass die Gonarthrose mit Wahrscheinlichkeit und in wesentlicher Weise durch die berufliche Tätigkeit des Klägers verursacht worden ist. Beide setzen sich indes darüber hinaus nicht in hinreichendem Maße mit dem deutlich unterschiedlichen Schadensbild im rechten und linken Kniegelenk sowie überhaupt nicht mit der Zeitspanne zwischen dem Erreichen der kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde je Schicht einerseits sowie dem erstmaligen Nachweis der Gonarthrose nach einem Grad von mindestens 2 nach dem Kellgren-Lawrence-Score andererseits auseinander. Beide Gutachten haben den Senat daher nicht überzeugt. Weder musste Dr. Pf. mit dem Gutachten von Prof. Dr. Sch. konfrontiert oder Letzterer ergänzend befragt, noch eine weitere, vom Kläger als Obergutachten bezeichnete Expertise in Auftrag geben werden, welche ohnehin keinen höheren Beweiswert als die bereits eingeholten sachverständigen Meinungen hätte (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 128 Rz. 7e). Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtensergebnisse gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst, welche ureigene Aufgabe eines Tatsachengerichts ist. Eine Verpflichtung zur Einholung eines weiteren Gutachtens besteht auch bei einander widersprechenden Gutachtensergebnissen im Allgemeinen nicht. Vielmehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen. Hält es eines von mehreren Gutachten für überzeugend, wie vorliegend dasjenige von Prof. Dr. Sch., darf es sich diesem anschließen, ohne ein weiteres einzuholen. Bei einer derartigen Fallgestaltung ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum (vgl. BSG, Beschlüsse vom 19. November 2007 - B 5a/5 R 382/06 B -, SozR 4-1500 § 160a Nr. 21, Rz. 8 und 12. Mai 2015 - B 9 SB 93/14 B -, juris, Rz. 6). Als Grund für eine Ausnahme ist zwar ein nicht lösbarer Widerspruch anerkannt, welcher indes nicht darin zu sehen ist, dass unterschiedliche Gutachtensergebnisse vorliegen. Für den Nachweis, dass der Kläger Steildächer mit einer von ihm konkretisierten Gesamtfläche von mindestens 5.210 m² mit Biberschwanzziegeln eindeckte, sind die Sachverständigen ohnehin kein geeignetes Beweismittel.
62 
Mangels hinreichender Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhanges der beruflich bedingten Einwirkungen auf die Knie des Klägers und der Gonarthrose, kommt es an sich von vornherein nicht darauf an, ob beim Kläger mit der Chondrokalzinose, den Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis, der kongenitalen tibiofemoralen Beinachse (Varusstellung), dem Übergewicht oder dem Unfallereignis vom 29. August 2005 konkurrierende Ursachen vorhanden sind, die ihrerseits zu der Gonarthrose geführt haben. Nach der überzeugenden Begründung von Prof. Dr. Sch. gilt eine Chondrokalzinose aber ohnehin nicht als konkurrierender Faktor für die Entstehung einer Gonarthrose. Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis sind zwar nach klinischer Erfahrung anzunehmen, als Ursache nach der Literatur aber derzeit nicht belegbar. Die kongenitale tibiofemorale Beinachse ist ebenfalls nicht als konkurrierender Faktor anzusehen. In dem Bericht von Dr. B. über eine Operation Ende September 2008 ist eine Varusstellung von 10° im rechten Kniegelenk erwähnt. Ganzbeinaufnahmen sind nicht angefertigt worden. Auf einer Röntgenaufnahme von April 2008 ist sogar keine varische Beinachse zu erkennen gewesen. Eine maximale Beinachsenfehlstellung um 10° wird üblicherweise als leichtgradige Fehlstellung bezeichnet, welche kein Ausschlusskriterium in diesem Zusammenhang darstellt (vgl. Urteil des Senats vom 26. November 2015 - L 6 U 2782/15 -, Rz. 50 zur Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV). Übergewicht gilt zwar als wissenschaftlich gesicherte Alternativursache. Allerdings besteht für die Adipositas eine epidemiologische Evidenz für ein multiplikatives Zusammenwirken mit den arbeitsbedingten Belastungen. Nach der wissenschaftlichen Begründung ist die vorliegend zu beurteilende Berufskrankheit bei gegebenen arbeitstechnischen Voraussetzungen und einem geeigneten Krankheitsbild auch bei adipösen Menschen anzuerkennen. Nach dem Akteninhalt sind hinsichtlich Körpergröße und -gewicht des Klägers ab 1991 sowie vor dem Unfallereignis im Jahre 2005 Werte zwischen 105 kg und 113 kg dokumentiert. Bei der gutachterlichen Untersuchung durch Dr. Pf. Anfang August 2010 ist das Körpergewicht mit 110 kg festgestellt worden. Die Behauptung des Klägers im Berufungsverfahren, wonach es erst nach seiner Heirat im Jahre 1979 zu einer Gewichtszunahme gekommen sei, als er die berufliche Tätigkeit reduziert und schließlich eingestellt habe, frühestens also nach dem Unfall im Jahre 2005, was er in der mündlichen Verhandlung mittels Vorlage von Fotos von ihm zu untermauern versucht hat, ist damit allerdings widerlegt. Dr. K. weist zwar in seinen beratungsärztlichen Stellungnahmen von September und November 2010 unter Bezugnahme auf die biomechanische Plausibilität darauf hin, bei einem belastungskonformen Schadensbild der vorliegend zu prüfenden Berufskrankheit sei zu erwarten, dass der Knorpelschaden im Patellofemoralgelenk beginne und sich von dort aus gegebenenfalls in das Kniehauptgelenk ausdehne. Der Knorpelschaden müsse danach in erster Linie und vorauseilend im Patellofemoralgelenk vorhanden sein. Die ursprüngliche Arbeitshypothese des interdisziplinären Arbeitskreises, welcher die Begutachtungsempfehlung für die Berufskrankheit nach Nr. 2112 der Anlage 1 zur BKV erarbeitet hat, nach der mit einem Beginn des Knorpelaufbrauches in erst Linie patellofemoral und in den dorsalen Kniegelenksanteilen sowie mit einem selektiven Aufbrauch der Meniskushinterhörner als möglichem Initialstadium zu rechnen sei, hat sich durch die bislang vorliegenden Forschungsergebnisse indes nicht belegen lassen (vgl. die Empfehlung auf S. 9). Anders als Prof. Dr. Sch., Dr. Pf. und Dr. M. geht der Senat darüber hinaus nur von der Möglichkeit aus, dass die Veränderungen im rechten Kniegelenk, also auch die arthrotischen, hauptsächlich durch das Unfallereignis vom 29. August 2005 mit verbliebener Instabilität nach stattgehabter Kreuzbandverletzung bedingt gewesen sind.
63 
Nach alledem war der Berufung der Beklagten stattzugeben und das erstinstanzliche Urteil aufzuheben.
64 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
65 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 17. März 2016 - L 6 U 1518/14

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 19


(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 20


(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160


(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 54


(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig

Zivilprozessordnung - ZPO | § 286 Freie Beweiswürdigung


(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 144


(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 1. bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hier

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 44 Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes


(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbrach

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 151


(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. (2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerh

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 143


Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 2 Versicherung kraft Gesetzes


(1) Kraft Gesetzes sind versichert 1. Beschäftigte,2. Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung in Betriebsstätten, Lehrwerkstätten, Schulungskursen und ähnlichen Einrichtungen,3. Personen, die sich Untersuchungen, Prüfungen oder ähnliche

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 128


(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. (2) Das Urteil darf nur auf Tatsache

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 109


(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschieß

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 6 Freiwillige Versicherung


(1) Auf schriftlichen oder elektronischen Antrag können sich versichern 1. Unternehmer und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner; ausgenommen sind Haushaltsführende, Unternehmer von nicht gewerbsmäßig betriebenen Binnenfisch

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 9 Berufskrankheit


(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 118


(1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sind auf die Beweisaufnahme die §§ 358 bis 363, 365 bis 378, 380 bis 386, 387 Abs. 1 und 2, §§ 388 bis 390, 392 bis 406 Absatz 1 bis 4, die §§ 407 bis 444, 478 bis 484 der Zivilprozeßordnung entsprech

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 212 Grundsatz


Die Vorschriften des Ersten bis Neunten Kapitels gelten für Versicherungsfälle, die nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eintreten, soweit in den folgenden Vorschriften nicht etwas anderes bestimmt ist.

Berufskraftfahrer-Ausbildungsverordnung - KraftfAusbV 2001 | § 6 Berichtsheft


Der Auszubildende hat ein Berichtsheft in Form eines Ausbildungsnachweises zu führen. Ihm ist Gelegenheit zu geben, das Berichtsheft während der Ausbildungszeit zu führen. Der Ausbildende hat das Berichtsheft regelmäßig durchzusehen.

Berufskraftfahrer-Ausbildungsverordnung - KraftfAusbV 2001 | § 1 Staatliche Anerkennung des Ausbildungsberufes


Der Ausbildungsberuf Berufskraftfahrer/Berufskraftfahrerin wird staatlich anerkannt.

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Tenor Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 8. Juli 2015 wird zurückgewiesen.Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Tatbestand   1 Der Kläger begehrt die Fe

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(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, daß die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind. In der Rechtsverordnung kann ferner bestimmt werden, inwieweit Versicherte in Unternehmen der Seefahrt auch in der Zeit gegen Berufskrankheiten versichert sind, in der sie an Land beurlaubt sind.

(1a) Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ein Ärztlicher Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten gebildet. Der Sachverständigenbeirat ist ein wissenschaftliches Gremium, das das Bundesministerium bei der Prüfung der medizinischen Erkenntnisse zur Bezeichnung neuer und zur Erarbeitung wissenschaftlicher Stellungnahmen zu bestehenden Berufskrankheiten unterstützt. Bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wird eine Geschäftsstelle eingerichtet, die den Sachverständigenbeirat bei der Erfüllung seiner Arbeit organisatorisch und wissenschaftlich, insbesondere durch die Erstellung systematischer Reviews, unterstützt. Das Nähere über die Stellung und die Organisation des Sachverständigenbeirats und der Geschäftsstelle regelt die Bundesregierung in der Rechtsverordnung nach Absatz 1.

(2) Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind.

(2a) Krankheiten, die bei Versicherten vor der Bezeichnung als Berufskrankheiten bereits entstanden waren, sind rückwirkend frühestens anzuerkennen

1.
in den Fällen des Absatzes 1 als Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die Bezeichnung in Kraft getreten ist,
2.
in den Fällen des Absatzes 2 wie eine Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorgelegen haben; hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten eine Empfehlung für die Bezeichnung einer neuen Berufskrankheit beschlossen, ist für die Anerkennung maßgebend der Tag der Beschlussfassung.

(3) Erkranken Versicherte, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach Absatz 1 genannten Berufskrankheit ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, wird vermutet, daß diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist.

(3a) Der Unfallversicherungsträger erhebt alle Beweise, die zur Ermittlung des Sachverhalts erforderlich sind. Dabei hat er neben den in § 21 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Beweismitteln auch Erkenntnisse zu berücksichtigen, die er oder ein anderer Unfallversicherungsträger an vergleichbaren Arbeitsplätzen oder zu vergleichbaren Tätigkeiten gewonnen hat. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Ermittlungen zu den Einwirkungen während der versicherten Tätigkeit dadurch erschwert sind, dass der Arbeitsplatz des Versicherten nicht mehr oder nur in veränderter Gestaltung vorhanden ist. Die Unfallversicherungsträger sollen zur Erfüllung der Aufgaben nach den Sätzen 2 und 3 einzeln oder gemeinsam tätigkeitsbezogene Expositionskataster erstellen. Grundlage für diese Kataster können die Ergebnisse aus systematischen Erhebungen, aus Ermittlungen in Einzelfällen sowie aus Forschungsvorhaben sein. Die Unfallversicherungsträger können außerdem Erhebungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen durchführen.

(4) Besteht für Versicherte, bei denen eine Berufskrankheit anerkannt wurde, die Gefahr, dass bei der Fortsetzung der versicherten Tätigkeit die Krankheit wiederauflebt oder sich verschlimmert und lässt sich diese Gefahr nicht durch andere geeignete Mittel beseitigen, haben die Unfallversicherungsträger darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen. Die Versicherten sind von den Unfallversicherungsträgern über die mit der Tätigkeit verbundenen Gefahren und mögliche Schutzmaßnahmen umfassend aufzuklären. Zur Verhütung einer Gefahr nach Satz 1 sind die Versicherten verpflichtet, an individualpräventiven Maßnahmen der Unfallversicherungsträger teilzunehmen und an Maßnahmen zur Verhaltensprävention mitzuwirken; die §§ 60 bis 65a des Ersten Buches gelten entsprechend. Pflichten der Unternehmer und Versicherten nach dem Zweiten Kapitel und nach arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften bleiben hiervon unberührt. Kommen Versicherte ihrer Teilnahme- oder Mitwirkungspflicht nach Satz 3 nicht nach, können die Unfallversicherungsträger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder die Leistung einer danach erstmals festzusetzenden Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit oder den Anteil einer Rente, der auf eine danach eingetretene wesentliche Änderung im Sinne des § 73 Absatz 3 zurückgeht, bis zur Nachholung der Teilnahme oder Mitwirkung ganz oder teilweise versagen. Dies setzt voraus, dass infolge der fehlenden Teilnahme oder Mitwirkung der Versicherten die Teilhabeleistungen erforderlich geworden sind oder die Erwerbsminderung oder die wesentliche Änderung eingetreten ist; § 66 Absatz 3 und § 67 des Ersten Buches gelten entsprechend.

(5) Soweit Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen.

(6) Die Bundesregierung regelt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates

1.
Voraussetzungen, Art und Umfang von Leistungen zur Verhütung des Entstehens, der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens von Berufskrankheiten,
2.
die Mitwirkung der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen bei der Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind; dabei kann bestimmt werden, daß die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen berechtigt sind, Zusammenhangsgutachten zu erstellen sowie zur Vorbereitung ihrer Gutachten Versicherte zu untersuchen oder auf Kosten der Unfallversicherungsträger andere Ärzte mit der Vornahme der Untersuchungen zu beauftragen,
3.
die von den Unfallversicherungsträgern für die Tätigkeit der Stellen nach Nummer 2 zu entrichtenden Gebühren; diese Gebühren richten sich nach dem für die Begutachtung erforderlichen Aufwand und den dadurch entstehenden Kosten.

(7) Die Unfallversicherungsträger haben die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständige Stelle über den Ausgang des Berufskrankheitenverfahrens zu unterrichten, soweit ihre Entscheidung von der gutachterlichen Stellungnahme der zuständigen Stelle abweicht.

(8) Die Unfallversicherungsträger wirken bei der Gewinnung neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse insbesondere zur Fortentwicklung des Berufskrankheitenrechts mit; sie sollen durch eigene Forschung oder durch Beteiligung an fremden Forschungsvorhaben dazu beitragen, den Ursachenzusammenhang zwischen Erkrankungshäufigkeiten in einer bestimmten Personengruppe und gesundheitsschädlichen Einwirkungen im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit aufzuklären. Die Verbände der Unfallversicherungsträger veröffentlichen jährlich einen gemeinsamen Bericht über ihre Forschungsaktivitäten und die Forschungsaktivitäten der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Bericht erstreckt sich auf die Themen der Forschungsvorhaben, die Höhe der aufgewendeten Mittel sowie die Zuwendungsempfänger und Forschungsnehmer externer Projekte.

(9) Die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen dürfen zur Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind, Daten verarbeiten sowie zur Vorbereitung von Gutachten Versicherte untersuchen, soweit dies im Rahmen ihrer Mitwirkung nach Absatz 6 Nr. 2 erforderlich ist; sie dürfen diese Daten insbesondere an den zuständigen Unfallversicherungsträger übermitteln. Die erhobenen Daten dürfen auch zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren gespeichert, verändert, genutzt, übermittelt oder in der Verarbeitung eingeschränkt werden. Soweit die in Satz 1 genannten Stellen andere Ärzte mit der Vornahme von Untersuchungen beauftragen, ist die Übermittlung von Daten zwischen diesen Stellen und den beauftragten Ärzten zulässig, soweit dies im Rahmen des Untersuchungsauftrages erforderlich ist.

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, daß die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind. In der Rechtsverordnung kann ferner bestimmt werden, inwieweit Versicherte in Unternehmen der Seefahrt auch in der Zeit gegen Berufskrankheiten versichert sind, in der sie an Land beurlaubt sind.

(1a) Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ein Ärztlicher Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten gebildet. Der Sachverständigenbeirat ist ein wissenschaftliches Gremium, das das Bundesministerium bei der Prüfung der medizinischen Erkenntnisse zur Bezeichnung neuer und zur Erarbeitung wissenschaftlicher Stellungnahmen zu bestehenden Berufskrankheiten unterstützt. Bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wird eine Geschäftsstelle eingerichtet, die den Sachverständigenbeirat bei der Erfüllung seiner Arbeit organisatorisch und wissenschaftlich, insbesondere durch die Erstellung systematischer Reviews, unterstützt. Das Nähere über die Stellung und die Organisation des Sachverständigenbeirats und der Geschäftsstelle regelt die Bundesregierung in der Rechtsverordnung nach Absatz 1.

(2) Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind.

(2a) Krankheiten, die bei Versicherten vor der Bezeichnung als Berufskrankheiten bereits entstanden waren, sind rückwirkend frühestens anzuerkennen

1.
in den Fällen des Absatzes 1 als Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die Bezeichnung in Kraft getreten ist,
2.
in den Fällen des Absatzes 2 wie eine Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorgelegen haben; hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten eine Empfehlung für die Bezeichnung einer neuen Berufskrankheit beschlossen, ist für die Anerkennung maßgebend der Tag der Beschlussfassung.

(3) Erkranken Versicherte, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach Absatz 1 genannten Berufskrankheit ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, wird vermutet, daß diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist.

(3a) Der Unfallversicherungsträger erhebt alle Beweise, die zur Ermittlung des Sachverhalts erforderlich sind. Dabei hat er neben den in § 21 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Beweismitteln auch Erkenntnisse zu berücksichtigen, die er oder ein anderer Unfallversicherungsträger an vergleichbaren Arbeitsplätzen oder zu vergleichbaren Tätigkeiten gewonnen hat. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Ermittlungen zu den Einwirkungen während der versicherten Tätigkeit dadurch erschwert sind, dass der Arbeitsplatz des Versicherten nicht mehr oder nur in veränderter Gestaltung vorhanden ist. Die Unfallversicherungsträger sollen zur Erfüllung der Aufgaben nach den Sätzen 2 und 3 einzeln oder gemeinsam tätigkeitsbezogene Expositionskataster erstellen. Grundlage für diese Kataster können die Ergebnisse aus systematischen Erhebungen, aus Ermittlungen in Einzelfällen sowie aus Forschungsvorhaben sein. Die Unfallversicherungsträger können außerdem Erhebungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen durchführen.

(4) Besteht für Versicherte, bei denen eine Berufskrankheit anerkannt wurde, die Gefahr, dass bei der Fortsetzung der versicherten Tätigkeit die Krankheit wiederauflebt oder sich verschlimmert und lässt sich diese Gefahr nicht durch andere geeignete Mittel beseitigen, haben die Unfallversicherungsträger darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen. Die Versicherten sind von den Unfallversicherungsträgern über die mit der Tätigkeit verbundenen Gefahren und mögliche Schutzmaßnahmen umfassend aufzuklären. Zur Verhütung einer Gefahr nach Satz 1 sind die Versicherten verpflichtet, an individualpräventiven Maßnahmen der Unfallversicherungsträger teilzunehmen und an Maßnahmen zur Verhaltensprävention mitzuwirken; die §§ 60 bis 65a des Ersten Buches gelten entsprechend. Pflichten der Unternehmer und Versicherten nach dem Zweiten Kapitel und nach arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften bleiben hiervon unberührt. Kommen Versicherte ihrer Teilnahme- oder Mitwirkungspflicht nach Satz 3 nicht nach, können die Unfallversicherungsträger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder die Leistung einer danach erstmals festzusetzenden Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit oder den Anteil einer Rente, der auf eine danach eingetretene wesentliche Änderung im Sinne des § 73 Absatz 3 zurückgeht, bis zur Nachholung der Teilnahme oder Mitwirkung ganz oder teilweise versagen. Dies setzt voraus, dass infolge der fehlenden Teilnahme oder Mitwirkung der Versicherten die Teilhabeleistungen erforderlich geworden sind oder die Erwerbsminderung oder die wesentliche Änderung eingetreten ist; § 66 Absatz 3 und § 67 des Ersten Buches gelten entsprechend.

(5) Soweit Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen.

(6) Die Bundesregierung regelt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates

1.
Voraussetzungen, Art und Umfang von Leistungen zur Verhütung des Entstehens, der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens von Berufskrankheiten,
2.
die Mitwirkung der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen bei der Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind; dabei kann bestimmt werden, daß die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen berechtigt sind, Zusammenhangsgutachten zu erstellen sowie zur Vorbereitung ihrer Gutachten Versicherte zu untersuchen oder auf Kosten der Unfallversicherungsträger andere Ärzte mit der Vornahme der Untersuchungen zu beauftragen,
3.
die von den Unfallversicherungsträgern für die Tätigkeit der Stellen nach Nummer 2 zu entrichtenden Gebühren; diese Gebühren richten sich nach dem für die Begutachtung erforderlichen Aufwand und den dadurch entstehenden Kosten.

(7) Die Unfallversicherungsträger haben die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständige Stelle über den Ausgang des Berufskrankheitenverfahrens zu unterrichten, soweit ihre Entscheidung von der gutachterlichen Stellungnahme der zuständigen Stelle abweicht.

(8) Die Unfallversicherungsträger wirken bei der Gewinnung neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse insbesondere zur Fortentwicklung des Berufskrankheitenrechts mit; sie sollen durch eigene Forschung oder durch Beteiligung an fremden Forschungsvorhaben dazu beitragen, den Ursachenzusammenhang zwischen Erkrankungshäufigkeiten in einer bestimmten Personengruppe und gesundheitsschädlichen Einwirkungen im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit aufzuklären. Die Verbände der Unfallversicherungsträger veröffentlichen jährlich einen gemeinsamen Bericht über ihre Forschungsaktivitäten und die Forschungsaktivitäten der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Bericht erstreckt sich auf die Themen der Forschungsvorhaben, die Höhe der aufgewendeten Mittel sowie die Zuwendungsempfänger und Forschungsnehmer externer Projekte.

(9) Die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen dürfen zur Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind, Daten verarbeiten sowie zur Vorbereitung von Gutachten Versicherte untersuchen, soweit dies im Rahmen ihrer Mitwirkung nach Absatz 6 Nr. 2 erforderlich ist; sie dürfen diese Daten insbesondere an den zuständigen Unfallversicherungsträger übermitteln. Die erhobenen Daten dürfen auch zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren gespeichert, verändert, genutzt, übermittelt oder in der Verarbeitung eingeschränkt werden. Soweit die in Satz 1 genannten Stellen andere Ärzte mit der Vornahme von Untersuchungen beauftragen, ist die Übermittlung von Daten zwischen diesen Stellen und den beauftragten Ärzten zulässig, soweit dies im Rahmen des Untersuchungsauftrages erforderlich ist.

(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.

(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. Februar 2012 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung einer Halswirbelsäulenerkrankung als Wie-Berufskrankheit (BK) streitig.

2

Die 1947 geborene Klägerin leidet an Bandscheibenvorfällen im Bereich der Halswirbelsäule. Sie war im Anschluss an ihr abgeschlossenes Musikstudium von August 1970 bis Juli 1972 als Geigenlehrerin sowie von August 1972 bis Juli 1992, von September 1992 bis Dezember 1993 und von Mai 1994 bis Mai 1998 im Beitrittsgebiet als Geigerin in verschiedenen Orchestern tätig.

3

Auf ärztliche Anzeige vom 23.3.2001 wegen des Verdachts einer BK holte die Beklagte ärztliche Gutachten ein. Dr. L., Leiter des Europäischen Instituts für Bewegungsphysiologie, M. , führte in seinem Gutachten vom 28.9.2002 aus, die Halswirbelsäulenerkrankung sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch das jahrelange Instrumentalspiel entstanden oder wesentlich mitverursacht worden. Prof. Dr. D., Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Johannes Gutenberg-Universität M., gelangte in seinem Gutachten vom 8.1.2003 zu dem Ergebnis, das Geigenspiel gehe zwar mit einer außergewöhnlichen Zwangshaltung in Form einer "Schulter-Kopf-Zwinge" einher. Allerdings könne die sog "Gruppentypik" anhand neuer statistisch gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht festgestellt werden.

4

Die Beklagte lehnte es ab, eine Wie-BK festzustellen (Bescheid vom 25.3.2003; Widerspruchsbescheid vom 30.11.2005). Hiergegen hat die Klägerin Klage zum SG Neuruppin erhoben, das weitere Begutachtungen veranlasst hat. Dr. B., Institut für sozialmedizinische Begutachtung GbR im Krankenhaus W., hat in seinem Gutachten vom 6.6.2007 dargelegt, die Wirbelsäulenbeschwerden seien nicht auf die berufliche Tätigkeit als Orchestermusikerin zurückzuführen. Prof. Dr. A., Institut für Musikphysiologie und Musiker-Medizin, H., hat in seinem Gutachten vom 3.5.2010 darauf hingewiesen, für eine berufsbedingte Wirbelsäulenerkrankung spreche die kumulative Lebensarbeitszeit an der Geige in Zwangshaltung aufgrund der "Schulter-Kinn-Zange" und die mit dem Schrifttum übereinstimmende Häufigkeit der Beschwerden bei Geigern. Dabei handele es sich um Plausibilitätsargumente, da bislang keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse existierten.

5

Das SG Neuruppin hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 23.9.2010). Das LSG Berlin-Brandenburg hat die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung seines Urteils vom 23.2.2012 hat es ausgeführt, auf das Recht der ehemaligen DDR komme es nicht an, weil die Erkrankung der Klägerin erst nach dem 31.12.1993 der Beklagten bekannt geworden sei. Die Voraussetzungen des § 551 Abs 2 RVO und des § 9 Abs 2 SGB VII für die Feststellung einer Wie-BK seien nicht erfüllt. Zwar seien Streicher wegen der nur in dieser Berufsgruppe auftretenden "Schulter-Kinn-Zange" besonderen Einwirkungen in höherem Maße als die übrige Bevölkerung ausgesetzt. Es fehle aber an der generellen Geeignetheit dieser Einwirkung für die Verursachung von Halswirbelsäulenbeschwerden. Die erforderliche sog "Gruppentypik" setze in der Regel anhand statistisch relevanter Zahlen den Nachweis einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und eine lange zeitliche Überwachung der Krankheitsbilder voraus, um mit Sicherheit eine andere Krankheitsursache ausschließen zu können. Entsprechende epidemiologische Erkenntnisse seien aufgrund der geringen Zahl der in der Bundesrepublik Deutschland tätigen Streicher aber nicht vorhanden. Auch sonstige, die generelle Geeignetheit belegende Erkenntnisse seien nicht ersichtlich. Die von Prof. Dr. A. hervorgehobene Plausibilität genüge ebenso wenig wie der von mit Musikererkrankungen vertrauten Ärzten publizierte Ursachenzusammenhang. Gerade vor dem Hintergrund, dass in der Bundesrepublik Deutschland nur etwa 4100 Streicher betroffen seien und es sich bei der Halswirbelsäulenerkrankung um eine sog Volkskrankheit handele, könne der Nachweis des gruppenspezifischen Risikos nicht schon mit der Einschätzung einzelner mit Musikererkrankungen befasster Fachärzte geführt werden. Die besonderen Beweisprobleme im Falle kleinerer Berufsgruppen seien der Entscheidung des Gesetzgebers für das verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Listensystem geschuldet. Dieser sei dem im Zusammenhang mit dem Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz (UVEG) unterbreiteten Vorschlag, die Feststellung einer Wie-BK unter erleichterten Voraussetzungen zu ermöglichen, gerade nicht gefolgt.

6

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 9 Abs 2 SGB VII sowie die Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht. Das Fehlen neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse stehe der Anerkennung der Wie-BK nicht entgegen, weil sich der Verordnungsgeber mit den besonderen Einwirkungen von hohen Streichern noch gar nicht befasst habe und eine Auseinandersetzung damit auch nicht geplant sei. Abgesehen davon könne nach der Rechtsprechung des BSG zur Vermeidung unbilliger Ergebnisse ausnahmsweise bei fehlender epidemiologischer Evidenz einerseits und gegebener biologischer Evidenz andererseits auf eine statistisch nachgewiesene Gruppentypik verzichtet werden. Das LSG habe zu hohe Anforderungen an die Beweisführung gestellt und zahlreiche, das Begehren stützende Umstände nicht berücksichtigt. Sowohl Prof. Dr. A. als auch Dr. L. gingen von einer berufsbedingten Erkrankung aus. Ein medizinischer Erfahrungssatz, dass eine durch das Violinspiel hervorgerufene Halswirbelsäulenerkrankung im Falle weiterer Verschleißerscheinungen der gesamten Wirbelsäule ausscheide, existiere nicht. Selbst der Bundesverband der Unfallkassen gehe bei Streichern in seiner Broschüre "Musikermedizin, Musikerarbeitsplätze" von berufsrelevanten Erkrankungen der Hals- und Brustwirbelsäule aus. Dass sich gleichwohl der Ärztliche Sachverständigenbeirat beim BMAS mit der streitgegenständlichen Thematik weder bislang beschäftigt habe noch in Zukunft auseinandersetzen werde, dürfe nicht zu Lasten der Streicher gehen. Ansonsten wäre ein bestimmter Berufsstand trotz besonderer Einwirkungen von der Anerkennung einer BK auf Dauer ausgeschlossen. Schließlich sei bei hohen Streichern in der ehemaligen DDR, in Frankreich und in Tschechien eine BK anerkannt worden.

7

Die Klägerin beantragt,

        

die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. Februar 2012 und des Sozialgerichts Neuruppin vom 23. September 2010 sowie die Ablehnung einer Wie-Berufskrankheit im Bescheid der Beklagten vom 25. März 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Erkrankung der Halswirbelsäule als Wie-Berufskrankheit anzuerkennen.

8

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

9

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend. Die Revision sei bereits unzulässig, da die Revisionsbegründung nicht den Anforderungen des § 164 Abs 2 SGG genüge. Inwieweit das LSG die Vorschrift des § 9 Abs 2 SGB VII fehlerhaft ausgelegt habe, sei nicht schlüssig dargetan. Soweit die Klägerin die Beweiswürdigung des LSG beanstande, sei eine Verfahrensrüge nicht erhoben worden. Die Revision sei aber auch unbegründet. Es fehle an epidemiologischen Erkenntnissen, dass die "Schulter-Kinn-Zange" generell geeignet wäre, eine Halswirbelsäulenerkrankung hervorzurufen. Die von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Unterlagen spiegelten nicht den aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand, sondern nur Einzelmeinungen wider.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision ist nicht begründet.

11

Die Klägerin hat in zulässiger Weise Revision eingelegt. Bei ihrem Prozessbevollmächtigten handelt es sich um eine selbständige Vereinigung von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung für ihre Mitglieder, die nach § 73 Abs 4 Satz 2 iVm Abs 2 Satz 2 Nr 5 SGG zur Vertretung vor dem BSG zugelassen ist.

12

Die Revision genügt entgegen der Ansicht der Beklagten den Begründungsanforderungen des § 164 Abs 2 Satz 1 und 3 SGG. Danach muss die Begründung einen bestimmten Antrag enthalten und die verletzte Rechtsnorm bezeichnen. Insoweit ist mit rechtlichen Erwägungen aufzuzeigen, dass und weshalb die Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht geteilt wird. Es bedarf einer Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils und der Darlegung, inwieweit die als verletzt gerügte Vorschrift des materiellen Bundesrechts nicht oder nicht richtig angewandt worden ist (zuletzt BSG vom 11.4.2013 - B 2 U 21/11 R - NZS 2013, 639 sowie BSG vom 2.12.2008 - B 2 U 26/06 R - BSGE 102, 111 = SozR 4-2700 § 8 Nr 29, RdNr 10 mwN). Dem trägt die Revisionsbegründung Rechnung. Aus ihr geht hervor, weshalb die Klägerin die angefochtene Entscheidung für unzutreffend hält. Sie hat eine Verletzung des § 9 Abs 2 SGB VII gerügt und ua ausgeführt, das LSG sei zu Unrecht davon ausgegangen, die Feststellung einer Wie-BK scheitere am Fehlen epidemiologischer Studien.

13

Die Revision der Klägerin ist allerdings unbegründet. Das LSG hat ihre Berufung gegen das die zulässig kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG; zur Klageart vgl BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4 BKV, RdNr 11 mwN; BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1, RdNr 12 mwN) abweisende Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen. Die Ablehnung der Anerkennung einer Wie-BK im Bescheid der Beklagten vom 25.3.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2005 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

14

Es kann offenbleiben, seit wann die Halswirbelsäulenerkrankung der Klägerin besteht und ob sich der geltend gemachte Anspruch noch nach den Vorschriften der RVO oder den am 1.1.1997 in Kraft getretenen Bestimmungen des SGB VII richtet (Art 36 UVEG, § 212 SGB VII). Denn die Regelungen über die Anerkennung einer Wie-BK sind im SGB VII gegenüber der RVO im Wesentlichen inhaltlich unverändert geblieben.

15

Nach § 9 Abs 2 SGB VII(§ 551 Abs 2 RVO) haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der BKV bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII(§ 551 Abs 1 Satz 2 RVO) erfüllt sind (sog Öffnungsklausel für Wie-BKen). Die Feststellung einer Wie-BK nach dieser Vorschrift ist ua vom Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen für die Bezeichnung der geltend gemachten Krankheit als BK nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen abhängig (zuletzt BSG vom 13.2.2013 - B 2 U 33/11 R - mwN, auch zu den weiteren Voraussetzungen einer Wie-BK - SozR 4-2700 § 9 Nr 21 RdNr 17). Diese allgemeinen Voraussetzungen sind erfüllt, wenn bestimmte Personengruppen infolge einer versicherten Tätigkeit nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII(§§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO) in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt sind, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft eine Krankheit hervorrufen. Die insoweit in früheren Entscheidungen des Senats verwendeten Begriffe der Gruppentypik, generellen Geeignetheit und gruppentypischen oder -spezifischen Risikoerhöhung dienten allein der Erläuterung oder Umschreibung der aufgezeigten Voraussetzungen, ohne dass damit andere Anforderungen an die Anerkennung einer Wie-BK gestellt werden sollten (BSG vom 27.4.2010 - B 2 U 13/09 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 18 RdNr 15 mwN).

16

Die Klägerin war aufgrund ihrer versicherten Tätigkeit als Beschäftigte nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII(§ 539 Abs 1 Nr 1 RVO) und ihrer Zugehörigkeit zur Berufsgruppe der Streicher besonderen Einwirkungen durch die "Schulter-Kinn-Zange" in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt. Als Einwirkung kommt jedes auf den Menschen einwirkende Geschehen in Betracht (BSG aaO RdNr 19). Die Klägerin leidet auch an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Halswirbelsäule, die als BK iS des § 9 Abs 1 SGB VII(§ 551 Abs 1 RVO) zugrunde gelegt werden könnte. Allerdings fehlt es am generellen Ursachenzusammenhang zwischen dieser Erkrankung und der besonderen Einwirkung.

17

Ob eine Krankheit innerhalb einer bestimmten Personengruppe im Rahmen der versicherten Tätigkeit häufiger auftritt als bei der übrigen Bevölkerung, erfordert in der Regel den Nachweis einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und eine langfristige zeitliche Überwachung der Krankheitsbilder. Mit wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen muss zu begründen sein, dass bestimmte Einwirkungen die generelle Eignung besitzen, eine bestimmte Krankheit zu verursachen. Erst dann lässt sich anhand von gesicherten "Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft" iS des § 9 Abs 2 SGB VII(§ 551 Abs 2 iVm § 551 Abs 1 Satz 2 RVO) nachvollziehen, dass die Ursache für die Krankheit in einem schädigenden Arbeitsleben liegt. Solche Erkenntnisse setzen regelmäßig voraus, dass die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf dem jeweils in Betracht kommenden Fachgebiet über besondere Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt ist. Es ist nicht erforderlich, dass diese Erkenntnisse die einhellige Meinung aller Mediziner widerspiegeln. Andererseits reichen vereinzelte Meinungen einiger Sachverständiger grundsätzlich nicht aus (BSG vom 4.6.2002 - B 2 U 20/01 R - Juris RdNr 22; bereits BSG vom 23.3.1999 - B 2 U 12/98 R - BSGE 84, 30, 35 mwN = SozR 3-2200 § 551 Nr 12).

18

Nach § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII(§ 551 Abs 1 Satz 2 RVO) sind BKen grundsätzlich nur solche Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII(§§ 539, 540, 543 bis 545 RVO)begründenden Tätigkeit erleiden. Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber das "Listensystem" als Grundprinzip des Berufskrankheitenrechts der gesetzlichen Unfallversicherung festgelegt. Mit der Einführung der Wie-BK in § 551 Abs 2 RVO durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 30.4.1963 (BGBl I 241) wurde eine Ausnahme vom Listenprinzip nur für den Fall zugelassen, dass der Verordnungsgeber wegen der regelmäßig notwendigen mehrjährigen Intervalle zwischen den Anpassungen der BKV an die neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht rechtzeitig tätig wird (BSG vom 25.8.1994 - 2 RU 42/93 - BSGE 75, 51, 54 = SozR 3-2200 § 551 Nr 6 S 14). Sinn des § 9 Abs 2 SGB VII(§ 551 Abs 2 RVO) ist es, ausnahmsweise vom Listensystem abweichen zu können, um solche durch die Arbeit verursachten Krankheiten wie eine BK zu entschädigen, die nur deshalb nicht in die Liste der BKen aufgenommen worden sind, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen in ihrer Arbeit bei der letzten Fassung der Liste noch nicht vorhanden waren oder vom Verordnungsgeber nicht hinreichend berücksichtigt wurden (vgl BSG vom 4.8.1981 - 5a/5 RKnU 1/80 - SozR 2200 § 551 Nr 18 S 27). Die Anerkennung einer Wie-BK knüpft damit an dieselben materiellen Voraussetzungen an, die der Verordnungsgeber auch nach § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII(§ 551 Abs 1 Satz 3 RVO) für die Aufnahme einer Erkrankung in die Liste zu beachten hat.

19

Die damit zur Anerkennung einer Wie-BK notwendigen gesicherten Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft liegen nach den dem Senat vorliegenden Unterlagen, die er zur Klärung der generellen Tatsache (vgl hierzu BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 9/08 R - BSGE 103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr 14, RdNr 15)des Zusammenhangs zwischen "Schulter-Kinn-Zange" und bandscheibenbedingter Halswirbelsäulenerkrankung heranziehen und auswerten durfte, nicht vor. Hinsichtlich eines solchen Zusammenhangs fehlt es an epidemiologischen Studien und statistisch relevanten Zahlen, die wegen der geringen Anzahl von Berufsgeigern auch nicht zu erwarten sind. Auch wenn eine besondere Gefährdung der Streicher durch die mit der "Schulter-Kinn-Zange" einhergehende Fehlhaltung zu beobachten ist, lässt sich ein Zusammenhang zwischen beruflicher Belastung und morphologischer Veränderung der Wirbelsäule mangels statistisch gesicherter Erkenntnisse nicht herstellen. Zwar führt Dr. L. in seinem Gutachten vom 28.9.2002 die Halswirbelsäulenerkrankung der Klägerin mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf das jahrelange Instrumentalspiel zurück. Zudem bestätigt Prof. Dr. D. in seinem Gutachten vom 8.1.2003 eine durch das Geigenspiel bedingte außergewöhnliche Zwangshaltung. Er führt aber ferner aus, dass die sog Gruppentypik anhand neuer gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht festgestellt werden könne. Auch Prof. Dr. A. hält in seinem Gutachten vom 3.5.2010 zwar eine berufsbedingte Wirbelsäulenerkrankung für gegeben, weist aber ebenfalls darauf hin, dass die hierfür sprechende Lebensarbeitszeit an der Geige einerseits sowie die Häufigkeit des Auftretens der Wirbelsäulenbeschwerden bei Geigern andererseits den generellen Ursachenzusammenhang lediglich plausibel erscheinen ließen und es an die Kausalität belegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen fehle. Schließlich ist das im Jahr 2001 durchgeführte 3. Symposium der Deutschen Gesellschaft für Musikphysiologie und Musikermedizin zu dem Ergebnis gelangt, dass die publizierten Daten zur Epidemiologie funktioneller und struktureller Erkrankungen der Wirbelsäule bei Musikern in sowohl quantitativer als auch qualitativer Hinsicht sehr dürftig seien (Seidel/Lange, Institut für Musikpädagogik und Musiktheorie, Die Wirbelsäule des Musikers, 2001). Eine Vielzahl fachkundiger Mediziner, die eine Verursachung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der Halswirbelsäulen durch die "Schulter-Kinn-Zange" für hinreichend wahrscheinlich halten, existiert damit nicht. Für die Annahme gesicherter Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft iS des § 9 Abs 2 SGB VII(§ 551 Abs 2 iVm § 551 Abs 1 Satz 2 RVO) genügt es nicht, dass einzelne Mediziner die Verursachung von Halswirbelsäulenbeschwerden durch eine Fehlbelastung infolge der "Schulter-Kinn-Zange" für plausibel oder wahrscheinlich halten. Es reicht nicht aus, dass überhaupt medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse zu dem jeweils relevanten Problemfeld existieren, vielmehr muss sich eine sog herrschende Meinung im einschlägigen medizinischen Fachgebiet gebildet haben (BSG vom 4.6.2002 - B 2 U 16/01 R - Juris RdNr 19).

20

Allerdings hat der Senat zu sog Seltenheitsfällen entschieden, dass die den generellen Ursachenzusammenhang zwischen besonderer Einwirkung und Erkrankung belegenden medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht ausschließlich anhand von Methoden der Epidemiologie und statistischer Belege nachgewiesen werden müssen. Fehlt es an einer im Allgemeinen notwendigen langfristigen zeitlichen Überwachung von Krankheitsbildern, da aufgrund der Seltenheit einer Erkrankung medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse durch statistisch abgesicherte Zahlen nicht erbracht werden können, kommt nach dieser Rechtsprechung ausnahmsweise auch ein Rückgriff auf Einzelfallstudien, auf Erkenntnisse aus anderen Staaten und auf frühere Anerkennungen entsprechender Erkrankungen, auch in der ehemaligen DDR, in Betracht (BSG vom 4.6.2002 - B 2 U 20/01 R - Juris RdNr 22 mwN; BSG vom 14.11.1996 - 2 RU 9/96 - BSGE 79, 250, 252 = SozR 3-2200 § 551 Nr 9 S 21). Es kann offenbleiben, ob eine solche Vorgehensweise unter Zugrundelegung eines geringeren wissenschaftlichen Standards überhaupt mit den gesetzlichen Voraussetzungen des § 9 Abs 2 SGB VII(iVm § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII) für die Anerkennung einer Wie-BK vereinbar ist. Ihre Zulässigkeit unterstellt, kann ferner dahingestellt bleiben, ob sie auch dann in Betracht kommt, wenn - wie hier - gar kein Seltenheitsfall gegeben, sondern stattdessen eine Berufsgruppe betroffen ist, bei der wegen ihrer geringen Größe epidemiologische Studien nicht zu erwarten bzw unmöglich sind. Denn selbst bei Zugrundlegung eines geringeren wissenschaftlichen Standards reichen die über die bereits beschriebenen Unterlagen hinausgehenden aktenkundigen Erkenntnisse nicht aus, einen Zusammenhang zwischen der "Schulter-Kinn-Zange" von Berufsgeigern und bandscheibenbedingten Halswirbelsäulenerkrankungen als hinreichend wissenschaftlich belegt zu betrachten.

21

Dr. D. nimmt in seinem Aufsatz "Abnutzungsschäden durch Geigen- und Bratschenspiel" (Das Orchester 6/96, 13) auf eine eigene Studie über 17 professionelle Streicher Bezug und weist darauf hin, dass zur Klärung der Frage der Anerkennung von Wirbelsäulenschäden als BK noch weitere wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt werden sollten. Die sog Weimarer Studie zu klinisch relevanten Belastungsfaktoren und Belastungskomplexen bei Musikstudenten und Berufsmusikern (Seidel/Höpfner/Lange, Musikphysiologie und Musikermedizin 1999, 6. Jg, Nr 4, 115) beruht lediglich auf der Auswertung eines von 100 Musikstudenten und 88 Orchestermusikern jeweils ausgefüllten standardisierten und validierten Fragebogens. Im Forschungsantrag "CMD/CCD bei Streichern" der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Musikermedizin des Klinikums der Friedrich-Schiller-Universität Jena, des Klinikums Weimar und der Hochschule für Musik Weimar vom 20.5.2001 wird ausgeführt, dass es an Datenmaterial zur Bewertung funktioneller Störungen des Bewegungssystems bei Streichern als BK fehle. Aus diesen Publikationen lässt sich folglich auch ein ggf geringeren Anforderungen an wissenschaftliche Erkenntnisse genügender genereller Zusammenhang zwischen der "Schulter-Kinn-Zange" und einer bandscheibenbedingten Halswirbelsäulenerkrankung nicht ableiten. Soweit die Revision zudem auf Anerkennungen einer BK in Frankreich, Tschechien und der ehemaligen DDR hinweist, ist nicht ersichtlich, dass diese auf hinreichenden medizinischen Erkenntnissen beruhten und nicht nur das Ergebnis von Einzelfallprüfungen sind, ohne wissenschaftlich fundierte Aussagen über die generelle Geeignetheit der hier zu beurteilenden Einwirkung zu berücksichtigen. Zudem existiert in Frankreich entgegen der Revision keine spezifisch auf Musiker, sondern eine generell auf Zwangshaltungen bezogene BK. Ob weiterhin auch die jeweilige Ausgestaltung des Berufskrankheitenrechts in Frankreich, Tschechien und der ehemaligen DDR einer Berücksichtigung der behaupteten Anerkennungen entgegensteht, kann daher offenbleiben (vgl zur Ausgestaltung des BK-Rechts in anderen Ländern Kranig, DGUV-Forum 2012, 30; ders, Berufskrankheiten im internationalen Vergleich, 2002, 337).

22

Auch Billigkeitserwägungen führen zu keinem anderen Ergebnis. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats enthält § 9 Abs 2 SGB VII(§ 551 Abs 2 RVO) keine allgemeine "Härteklausel", nach der jede durch eine versicherte Tätigkeit verursachte Krankheit als Wie-BK anzuerkennen wäre (vgl zuletzt BSG vom 13.2.2013 - B 2 U 33/11 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 21 RdNr 17).

23

Dass die Anerkennung einer Wie-BK an das Vorliegen wissenschaftlich gesicherter Kausalbeziehungen anknüpft, ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

24

Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG liegt nicht vor. Danach sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Dieses Grundrecht ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen (stRspr; vgl BVerfG vom 28.4.1999 - 1 BvR 1926/96, 1 BvR 485/97 - BVerfGE 100, 104 = SozR 3-2600 § 307b Nr 6). § 9 Abs 2 SGB VII(§ 551 Abs 2 RVO) ist zwar dann mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht mehr vereinbar, wenn einer Personengruppe der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung allein deshalb versagt wird, weil der Verordnungsgeber vorliegende wissenschaftliche Erkenntnisse noch nicht geprüft und gewürdigt hat (BVerfG vom 22.10.1981 - 1 BvR 1369/79 - BVerfGE 58, 369, 375 f = SozR 2200 § 551 Nr 19 S 32 f). Denn die Vorschrift schließt solche Lücken, die sich daraus ergeben, dass neue Erkenntnisse über den Zusammenhang von beruflicher Exposition und Erkrankung vorliegen, bevor die BKV eine entsprechende Anpassung erfährt (BVerfG vom 9.10.2000 - 1 BvR 791/95 - SozR 3-2200 § 551 Nr 15 S 76). An medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen zu evtl gesundheitsschädigenden Folgen einer "Schulter-Kinn-Zange" fehlt es vorliegend aber gerade. Dass sich der Verordnungsgeber mit den besonderen Einwirkungen von hohen Streichern noch gar nicht befasst hat und eine Auseinandersetzung damit ggf auch nicht geplant ist, befreit daher aus Gründen der Gleichbehandlung nicht vom Erfordernis der die generelle Geeignetheit einer besonderen Einwirkung für die Verursachung einer bestimmten Erkrankung belegenden medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse.

25

Eine verfassungswidrige Benachteiligung ergibt sich auch nicht daraus, dass die Berufsgruppe der Streicher sehr klein ist und sich möglicherweise eine wissenschaftlich gesicherte Kausalbeziehung zwischen beruflicher Einwirkung und Erkrankung anhand epidemiologischer Studien schon rein tatsächlich nicht feststellen lässt, weil die für epidemiologische Studien erforderlichen Fallzahlen nicht erreicht werden können. § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII(§ 551 Abs 1 Satz 2 RVO) beschränkt BKen begrifflich auf Krankheiten, die in der Berufskrankheitenliste als Anlage zur BKV aufgeführt sind. Die Ermächtigung der Bundesregierung zur Aufnahme von BKen in diese Anlage macht § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII(§ 551 Abs 1 Satz 3 RVO) davon abhängig, dass die Krankheiten nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit ausgesetzt sind. In diesen Regelungen kommt das die gesetzliche Unfallversicherung prägende Listenprinzip zum Ausdruck, das nach § 9 Abs 2 SGB VII nur unter der Voraussetzung durchbrochen wird, dass neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorliegen. Diese vom Gesetzgeber gewollte Systementscheidung begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (BVerfG vom 8.6.2012 - 1 BvR 2853/10 - NZS 2012, 901; BVerfG vom 14.7.1993 - 1 BvR 1127/90 - SozR 3-2200 § 551 Nr 5 S 10). Mit ihr im Einzelfall verbundene Härten sind hinzunehmen. Sie halten sich im Rahmen einer zulässigen Typisierung, weil nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betroffen ist und dadurch bedingte Ungerechtigkeiten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären (vgl BVerfG vom 28.4.1999 - 1 BvL 22/95, 1 BvL 34/95 - BVerfGE 100, 59, 90 = SozR 3-8570 § 6 Nr 3 S 28 mwN).

26

In seiner Stellungnahme zum Entwurf des UVEG hat der Bundesrat 1995 zwar vorgeschlagen, eine neue Regelung in § 9 Abs 2a SGB VII einzufügen, die die Anerkennung einer Wie-BK zur Vermeidung von Härtefällen auch für den Fall vorsah, dass 1. vergleichbare Arbeitsplätze mit entsprechenden Arbeitsbedingungen nicht oder nur in einer geringen Zahl vorhanden sind und deshalb Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft darüber nicht vorliegen können, dass bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt sind und 2. nach medizinischen Erkenntnissen mit hinreichender Sicherheit feststeht, dass die Krankheit durch die besonderen Bedingungen des Arbeitsplatzes verursacht ist (BT-Drucks 13/2333 S 5 zu Nr 9). Dem ist der Gesetzgeber des UVEG aber mit der Begründung nicht gefolgt, bei einer solchen Regelung bestehe ua die Gefahr, dass die vorgeschlagene Bestimmung, bei der epidemiologische Erkenntnisse wegen der Singularität der Arbeitsbedingungen nicht gewonnen werden könnten, eine Antragsflut auslöse, die von den Unfallversicherungsträgern nicht bewältigt werden könnte (BT-Drucks 13/2333 S 19 zu Nr 9). Diese Erwägungen des Gesetzgebers sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, weil sie sich im Rahmen seines legislatorischen Gestaltungsspielraums bewegen. Der Gesetzgeber darf sich bei der Einführung typisierender Regelungen an den ansonsten mit Einzelfallregelungen verbundenen Erfordernissen der Verwaltung orientieren. Die Entlastung der Unfallversicherungsträger und folglich auch der Sozialgerichtsbarkeit von umfangreichen und zeitaufwendigen Einzelfallprüfungen ist ein sachlicher, zur Typisierung berechtigender Grund (vgl BVerfG vom 8.2.1983 - 1 BvL 28/79 - BVerfGE 63, 119, 128 = SozR 2200 § 1255 Nr 17 S 37 und vom 16.12.1958 - 1 BvL 3/57, 1 BvL 4/57 und 1 BvL 8/58 - BVerfGE 9, 20, 31 ff = SozR Nr 42 zu Art 3 GG). Damit sind zugleich einer richterlichen Rechtsfortbildung verfassungsrechtliche Grenzen aufgezeigt, weil diese bewusste Entscheidung des Gesetzgebers nicht durch richterliche Wertungen ersetzt werden darf.

27

Die das hier gefundene Ergebnis tragenden und den Senat bindenden Tatsachenfeststellungen (§ 163 SGG) sind nicht mit zulässig erhobenen Verfahrensrügen angegriffen worden.

28

Eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge setzt die Bezeichnung der Tatsachen voraus, die den behaupteten Mangel ergeben (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG) und aus denen die Möglichkeit folgt, dass das Gericht ohne die geltend gemachte Verfahrensverletzung anders entschieden hätte. Das Revisionsgericht muss in die Lage versetzt werden, sich allein anhand der Revisionsbegründung ein Urteil darüber zu bilden, ob die angegriffene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann (BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 42 RdNr 19 mwN). Daran fehlt es hier.

29

Die Rüge der Klägerin, die Entscheidung des LSG beruhe auf einer fehlerhaften Beweiswürdigung, ist nicht ordnungsgemäß erhoben. Sie hätte darlegen müssen, dass das Berufungsgericht die Grenzen seiner ihm durch § 128 Abs 1 Satz 1 SGG eingeräumten Befugnis verletzt hat, nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden. Es hätte insoweit aufgezeigt werden müssen, dass es gegen allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstoßen oder das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht ausreichend berücksichtigt hat (BSG vom 31.5.2005 - B 2 U 12/04 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 2 RdNr 9). Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung nicht gerecht.

30

Mit dem Vorbringen, ein medizinischer Erfahrungssatz, dass die durch ein Violinspiel hervorgerufene Halswirbelsäulenerkrankung im Falle weiterer Verschleißerscheinungen der gesamten Wirbelsäule ausscheide, existiere nicht, ist nicht deutlich geworden, dass das LSG einen Erfahrungssatz fehlerhaft angewandt hat (vgl hierzu BSG vom 2.5.2001 - B 2 U 24/00 R - SozR 3-2200 § 581 Nr 8 S 37 mwN). Die Revision zeigt nicht auf, an welcher Stelle seines Urteils sich das LSG tragend auf einen solchen Erfahrungssatz gestützt hätte. Auf Seite 13 der angegriffenen Entscheidung wird vielmehr lediglich ausgeführt, dass es sich bei dem Halswirbelsäulenleiden um eine "Volkskrankheit" handele, die eine Beweiserleichterung bei der Feststellung der generellen Geeignetheit verbiete.

31

Auch ein sog Denkgesetz, gegen das das LSG verstoßen haben könnte, hat die Klägerin nicht dargetan. Dass es zu einer bestimmten, aus seiner Sicht erheblichen Frage aus den gesamten rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten nur eine Folgerung hätte ziehen können, jede andere nicht folgerichtig "denkbar" ist und das Gericht die allein in Betracht kommende nicht gesehen hat (vgl BSG vom 11.6.2003 - B 5 RJ 52/02 R - Juris RdNr 13 mwN), legt die Revision nicht dar.

32

Aus dem Vortrag der Klägerin geht auch nicht hervor, dass das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht hinreichend berücksichtigt worden wäre. Soweit sie geltend macht, in der ehemaligen DDR, in Frankreich sowie in Tschechien ausgesprochene Anerkennungen von BKen seien bei der Beweiswürdigung nicht berücksichtigt worden, wird übersehen, dass sich das LSG auf Seite 15 seiner Entscheidung damit auseinandergesetzt hat, dass die Problematik der Geiger in der ehemaligen DDR "einer anderen Lösung zugeführt worden sei". Im Übrigen hat die Revision nicht aufgezeigt, ob und wenn ja inwieweit den behaupteten Anerkennungen generelle medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse zugrunde liegen. Die Klägerin setzt im Kern nur ihre Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des LSG. Allein damit ist aber eine Verletzung der Grenzen des Rechts auf freie Beweiswürdigung nicht formgerecht gerügt (BSG vom 23.8.2007 - B 4 RS 3/06 R - SozR 4-8570 § 1 Nr 16 RdNr 31).

33

Schließlich scheidet ein Anspruch auf Anerkennung der geltend gemachten Wie-BK nach übergangsrechtlichen Regelungen aus. Für die Übernahme einer vor dem 1.1.1992 im Beitrittsgebiet eingetretenen Erkrankung als BK nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung ist nach §§ 212 und 215 Abs 1 Satz 1 SGB VII die Vorschrift des § 1150 Abs 2 RVO in der am 31.12.1996 geltenden Fassung des Renten-Überleitungsgesetzes vom 25.7.1991 (BGBl I 1606, 1688) weiter anzuwenden. Gemäß § 1150 Abs 2 Satz 1 RVO gelten solche Krankheiten, die nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht BKen der Sozialversicherung waren, als BKen iS des Dritten Buches der RVO. Das gilt nach § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO allerdings nicht für Krankheiten, die einem ab 1.1.1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung - wie hier - erst nach dem 31.12.1993 bekannt werden und die nach dem Dritten Buch der RVO nicht zu entschädigen wären. Dies bedeutet, dass Krankheiten, von denen ein ab 1.1.1991 für das Beitrittsgebiet zuständiger Träger der Unfallversicherung erst nach dem 31.12.1993 Kenntnis erlangt, nur dann BKen darstellen, wenn die Voraussetzungen nach den §§ 548 ff RVO erfüllt sind(BSG vom 2.12.2008 - B 2 U 26/06 R - BSGE 102, 111 = SozR 4-2700 § 8 Nr 29, RdNr 16). Das ist aus den dargelegten Gründen nicht der Fall.

34

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von der beklagten Berufsgenossenschaft die Zahlung von Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

2

Sie ist die Witwe des am 8.8.2000 an einem Bronchialkarzinom des rechten Lungenlappens verstorbenen Versicherten. Dieser war von August 1958 bis 31.12.1994 als Schweißer bei einem Werftunternehmer, der Mitglied der Beklagten ist, in Hamburg beschäftigt. Zur Arbeitsausrüstung gehörte ein Kniekissen, in das Asbesttuch eingenäht war. Er schweißte mit hochlegiertem Chrom-/Nickel-Stahl, unlegiertem Stahl und Aluminium. Als Schweißverfahren kamen mit jeweils zu einem Drittel das Wolfram-Inert-Gas-Schweißen, das Lichtbogenhandschweißen mittels Stabelektrode und das Metall-Aktiv-Gas-Schweißen mit Fülldraht-Elektrode zur Anwendung, eingesetzt wurden thoriumhaltige Zündelektroden und "Thermanit-X-Elektroden".

3

Der Versicherte teilte der Beklagten unter dem 23.12.1999 mit, bei ihm sei im Oktober 1999 ein Lungentumor festgestellt worden. Er habe zeitlebens nicht geraucht und bringe die Erkrankung mit seiner Arbeit als Schweißer in Verbindung. Die Beklagte forderte noch im Juli 2000 von dem behandelnden Hausarzt des Versicherten Dr. K. eine Benachrichtigung für den Fall der Verschlechterung des Gesundheitszustands des Versicherten an. Am 8.8.2000 ist der Versicherte an dem Lungentumor verstorben. Am 31.8.2000 erhielt die Beklagte die Nachricht, der Versicherte sei ohne vorherige Sektion eingeäschert worden. Die Beklagte lehnte die "Gewährung von Witwenrente" im Hinblick auf die Berufskrankheiten (BKen) 1103, 4104 und 4109 an die Klägerin ab (Bescheid vom 23.1.2001, Widerspruchsbescheid vom 1.6.2001).

4

Die Klägerin hat bei dem Sozialgericht (SG) Itzehoe Klage erhoben (S 1 U 71/01). Während des Verfahrens hat die Beklagte die Feststellung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenrente auch im Blick auf eine inzwischen geprüfte BK 2402 abgelehnt (Bescheid vom 7.12.2001, Widerspruchsbescheid vom 15.3.2002). Die auch hiergegen erhobene Klage (S 1 U 32/02) hat das SG mit dem schon anhängigen Klageverfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und die Klagen abgewiesen (Urteil vom 24.2.2003).

5

Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG sowie die angefochtenen Ablehnungsentscheidungen aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin unter Anerkennung der Lungenkrebserkrankung des Versicherten als BK 1103, BK 4109 und BK 2402 ab 8.8.2000 Hinterbliebenenrente zu zahlen. Hingegen hat es die Berufung zurückgewiesen, soweit die Verurteilung zur Zahlung von Hinterbliebenenrente aufgrund einer BK 4104 begehrt wurde (Urteil vom 13.9.2007). Die Klägerin habe Anspruch auf Hinterbliebenenrente, da der Tod infolge eines Versicherungsfalls eingetreten sei. Zwar liege keine der genannten Listen-BKen monokausal vor, es sei aber anzunehmen, dass die Einwirkungen von Chromat, Nickeloxid, ionisierender Strahlung und Asbest im Sinne einer Synkanzerogenese mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das Bronchialkarzinom beim Versicherten verursacht hätten und er infolge der anerkannten BKen verstorben sei.

6

Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung von § 9 Abs 1 und 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Die schädigenden Einwirkungen durch Chromat, Nickeloxid, ionisierende Strahlen sowie Asbest stellten keine BK dar. Lediglich für das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) sei eine Dosis-Wirkungs-Beziehung festgelegt. Zwar gebe es Hinweise in der medizinischen Wissenschaft, dass auch das Zusammenwirken anderer Stoffe karzinogene Wirkung habe. Welche Stoffe im Einzelnen mit welcher Dosis eingewirkt haben müssten, damit sie im Zusammenwirken einen Lungenkrebs hervorrufen könnten, sei wissenschaftlich aber noch nicht geklärt. Auch wenn das Bundessozialgericht (BSG) im Urteil vom 27.6.2006 (B 2 U 9/05 R) die Einwirkungen der BKen 2108 und 2110 zusammengefasst habe, könne dies nicht auf den Fall des Zusammenwirkens von vier Arbeitsstoffen übertragen werden. Im Übrigen habe das LSG die Berufung hinsichtlich der BK 4104 zurückgewiesen, aber die Einwirkungen durch Asbest in die Berechnung des Risikos des Versicherten einbezogen.

7

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 13. September 2007 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 24. Februar 2003 zurückzuweisen.

8

Die Klägerin beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung der Entscheidung des LSG und Zurückverweisung an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz).

10

Das Urteil des LSG verletzt Bundesrecht, soweit es das Urteil des SG und die ablehnenden Entscheidungen in den Bescheiden der Beklagten vom 23.1.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.6.2001 sowie vom 7.12.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.3.2002 aufgehoben und die Beklagte verurteilt hat, der Klägerin ab 8.8.2000 Hinterbliebenenrente aufgrund einer Gesamtbetrachtung der BKen 1103, 4109 und 2402 zu zahlen. Ob die Klägerin aufgrund einer der BKen 1103, 4109 oder 2402 oder mehrerer von diesen einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente hat, kann der Senat nicht abschließend entscheiden, da das LSG hierzu die erforderlichen Feststellungen nicht getroffen hat.

11

1. Nach § 63 Abs 1 SGB VII haben Hinterbliebene ua Anspruch auf Hinterbliebenenrente, wenn der Tod infolge eines Versicherungsfalls eingetreten ist. Nach § 7 Abs 1 SGB VII sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und BKen. Beim Versicherten konnten als Versicherungsfall nur BKen vorgelegen haben.

12

Bei BKen ist nach § 9 SGB VII zwischen "Listen-BKen" und "Wie-BKen" zu unterscheiden. Eine Listen-BK nach § 9 Abs 1 SGB VII setzt voraus, dass die Krankheit als BK in einem Tatbestand der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) erfasst ist und diesen erfüllt. Hingegen ist eine Wie-BK nach § 9 Abs 2 SGB VII als Versicherungsfall anzuerkennen, wenn die Krankheit nicht in der BKV bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht erfüllt, aber nach neuen Erkenntnissen der Wissenschaft die Voraussetzungen für ihre Bezeichnung als BK in der Anlage zur BKV durch den Verordnungsgeber gemäß § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII vorliegen. Das Gesetz definiert für die BK also zwei Arten von Versicherungsfällen (BSG vom 25.7.2001 - B 8 KN 1/00 U R - BSGE 88, 226 = SozR 3-2700 § 63 Nr 1 - juris RdNr 15; BSG vom 2.12.2008 - B 2 KN 2/07 U R - juris RdNr 15) . Jeder dieser Versicherungsfälle kann iS des § 63 Abs 1 Satz 2 SGB VII zum Tod des Versicherten führen und Leistungen an Hinterbliebene auslösen.

13

2. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente wegen eines Todes des Versicherten infolge des Versicherungsfalls einer BK 4104, weil dieser nicht vorgelegen hat (a). Es hat auch nicht der Versicherungsfall einer Art "Gesamt-BK" aufgrund einer Gesamtbetrachtung oder Kombination von mehreren Listen-BKen (b) oder der Versicherungsfall einer Wie-BK vorgelegen (c). Ob der Versicherte an den Folgen des Versicherungsfalls einer Listen-BK 1103 oder 4109 oder 2402 (§ 9 Abs 1 SGB VII iVm der Anlage 1 zur BKV) verstorben ist (d), kann der Senat nicht abschließend entscheiden, weshalb das angegriffene Urteil aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen ist.

14

a) Aus § 9 Abs 1 SGB VII lassen sich für eine Listen-BK im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oä auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität; vgl BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 9/08 R - BSGE 103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr 14) .

15

Von den in der Anlage zur BKV bezeichneten Listen-BKen kommt im Falle des Versicherten, der als Schweißer gearbeitet hat, berufsbedingt den Stoffen Chromat, Nickeloxid, ionisierender Strahlung und Asbest ausgesetzt war und an einem Lungentumor verstorben ist, ein Versicherungsfall nach folgenden BK-Tatbeständen in Betracht:

Nr 1103:

Erkrankungen durch Chrom oder seine Verbindungen

Nr 2402:

Erkrankungen durch ionisierende Strahlen

Nr 4104:

Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs
- in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder
- in Verbindung mit durch Asbeststaub verursachter Erkrankung der Pleura oder
- bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren

Nr 4109:

Bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Nickel oder seine Verbindungen

16

Die BK Nr 4104 scheidet schon deswegen aus, weil bei dem Versicherten weder das Bild einer Asbestose noch einer durch Asbeststaub verursachten Erkrankung der Pleura noch eine Einwirkung von 25 Asbestfaserjahren vorgelegen hat (zu den anderen Listen-BKen unten d).

17

b) Entgegen der Auffassung des LSG ist der Versicherte nicht infolge eines Versicherungsfalls einer Art "Gesamt-BK" aufgrund einer Gesamtbetrachtung oder Kombination der Listen-BKen 1103, 4109 und 2402 verstorben.

18

Zwar ist der Klägerin darin zu folgen, dass das LSG nicht nur die BKen 1103 und 4109, sondern - ausweislich des Tenors - auch die BK 2402 bejaht hat. Die Beklagte hat jedoch zu Recht darauf hingewiesen, dass die Art und Weise, wie das LSG die Verursachungswahrscheinlichkeit gemeinsam für die BKen 1103, 2402 und 4109 errechnet hat, zu beanstanden ist.

19

Es widerspricht dem Bundesrecht, wenn die Verwaltung oder die Gerichte Tatbestände mehrerer Listen-BKen zu einer neuen Gesamt-BK verbinden. Zur Bezeichnung einer neuen (Listen-)BK ist nur die Bundesregierung als Verordnungsgeberin - mit Zustimmung des Bundesrates - ermächtigt (§ 9 Abs 1 SGB VII) und neben diesem Listenprinzip gibt es nur die sog Öffnungsklausel unter den eingeschränkten Voraussetzungen des § 9 Abs 2 SGB VII.

20

Indem der Verordnungsgeber mit Wirkung zum 1.7.2009 durch Art 1 Nr 3 Buchst d der 2. Verordnung zur Änderung der BKV vom 11.6.2009 (BGBl I, 1273) einen BK-Tatbestand geschaffen hat, der nun eine Erkrankung nach schädigenden Einwirkungen zweier synkanzerogen wirkender Stoffe als Versicherungsfall bezeichnet (BK 4114: Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis, die eine Verursachungswahrscheinlichkeit von mindestens 50 vH nach Anlage 2 der BKV begründet), wird deutlich, dass er durchaus auch die berufsbedingte Verursachung einer Erkrankung durch das Zusammenwirken verschiedener gefährdender Stoffe als BK bezeichnen kann.

21

In dem Urteil vom 27.6.2006 (B 2 U 9/05 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 8) zum Verhältnis der BKen 2108 und 2110 hat der Senat "nicht eine aus den Tatbeständen der Nr 2108 und 2110 zusammengesetzte neue BK gebildet, sondern dem Umstand Rechnung getragen, dass in Bezug auf die Wirbelsäulenerkrankung die Tatbestandsvoraussetzungen beider BKen (nebeneinander) vorliegen" (RdNr 18). Soweit Mell in seiner Anmerkung zu dem Urteil (SGb 2007, 562 f) von einer "Verklammerung" des BK-Geschehens schreibt, ändert dies nichts an der getrennten Betrachtung beider BKen durch den Senat. Klarzustellen ist jedoch, dass bei einem Versicherten, der an einer Krankheit leidet, die Gegenstand mehrerer BKen ist, wenn er zudem Einwirkungen ausgesetzt war, die von jeder dieser BKen erfasst werden, schon nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu prüfen ist, ob die Einwirkungen die in der BK bezeichnete Erkrankung verursacht haben. Diese Einwirkungen können nicht isoliert gesehen werden, sondern sind sich wechselseitig beeinflussende konkurrierende Ursachen (vgl nur BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, jeweils RdNr 16) . Ob der Tod des Versicherten in diesem Sinne wesentlich durch die Einwirkungen nach einer der möglichen BKen Nr 1103, 2402, 4109 verursacht wurde, hat das LSG jedoch nicht geprüft (siehe nachfolgend d).

22

c) Der Versicherte ist auch nicht infolge des Versicherungsfalls einer Wie-BK (§ 9 Abs 2 SGB VII) verstorben.

23

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Senat nicht gehindert, über den Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenrente wegen einer Wie-BK zu entscheiden (aa). Zum maßgeblichen Zeitpunkt (bb) hat beim Versicherten der Versicherungsfall einer Wie-BK nicht vorgelegen (cc), denn die Voraussetzungen für die Bezeichnung der Erkrankung Lungenkrebs infolge der gemeinsamen Einwirkungen von Chromat, Nickeloxid, ionisierender Strahlung und Asbeststaub in der Anlage zur BKV als BK waren nicht gegeben.

24

aa) Der von der Klägerin bestimmte Streitgegenstand umfasst das Begehren auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Witwenrente unter jedem rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkt. Diesen Anspruch hat die Beklagte mit den Ablehnungsentscheidungen in ihren Bescheiden verneint.

25

Die Beklagte verweist zu Unrecht auf die Rechtslage, die gilt, wenn ein Versicherter selbst die Feststellung eines Versicherungsfalls einer BK durch die Verwaltung begehrt oder Versicherungsansprüche gegen sie erhebt. Dabei bilden jede Listen- und jede Wie-BK jeweils einen eigenständigen Gegenstand des Verwaltungsverfahrens, über den der zuständige Träger einen feststellenden Verwaltungsakt (positiver oder negativer Art) zu erlassen hat. Die Feststellung des Versicherungsträgers, eine BK liege vor oder nicht vor, kann sich wegen der völlig verschiedenen Voraussetzungen der Listen-BKen in der Anlage zur BKV untereinander und den dazu und untereinander ebenfalls völlig unterschiedlichen Voraussetzungen der eventuell zu prüfenden Wie-BKen nach § 9 Abs 2 SGB VII immer nur auf einzelne Listen- oder Wie-BKen beziehen. Daher kann der Versicherte eine Anfechtungsklage nur gegen einen Verwaltungsakt erheben, mit dem der Versicherungsträger die Feststellung einer bestimmten BK oder Wie-BK (oder mehrerer solcher Versicherungsfälle) abgelehnt hat (vgl BSG vom 2.12.2008 - B 2 KN 3/07 U R - SozR 4-2700 § 9 Nr 13 RdNr 12; BSG vom 2.12.2008 - B 2 KN 2/07 U R - juris RdNr 15 f) .

26

Anders ist die Rechtslage bei Hinterbliebenen, die ein abgeleitetes, aber eigenständiges Recht gegen den Träger geltend machen. Nach § 63 Abs 1 SGB VII ist Voraussetzung eines jeden Hinterbliebenenrechts(§§ 64 bis 71 SGB VII) , dass in der Person des Versicherten ein Versicherungsfall eingetreten war und er infolgedessen verstorben ist. Die Frage, ob ein Versicherungsfall vorgelegen hat und welcher es genau war, ist kein selbstständiger Gegenstand des Verwaltungsverfahrens, über den durch Verwaltungsakt entschieden werden dürfte, sondern nur eine Tatbestandsvoraussetzung des streitgegenständlichen Anspruchs. Wird dieser Anspruch durch negativ feststellenden Verwaltungsakt verneint, ist die Äußerung des Trägers, ein Versicherungsfall, zB eine bestimmte BK oder Wie-BK habe nicht vorgelegen, nur ein unselbstständiges Begründungselement des Verwaltungsakts. Der Hinterbliebene kann sich daher darauf beschränken vorzutragen, beim Versicherten habe irgendein Versicherungsfall (Arbeitsunfall, Listen-BK, Wie-BK) vorgelegen, der seinen Tod herbeigeführt habe. Der Träger muss dann allein darüber entscheiden, ob das vom Hinterbliebenen verfolgte Recht auf Hinterbliebenenleistungen besteht oder nicht besteht. Hingegen ist er schon mangels einer gesetzlichen Ermächtigung nicht befugt, einen feststellenden Verwaltungsakt darüber zu erlassen, ob der Versicherte einen Versicherungsfall erlitten hatte. Es gibt auch keine Anspruchsgrundlage für einen Anspruch des Hinterbliebenen auf eine isolierte Vorabentscheidung des Trägers über das frühere Vorliegen eines Versicherungsfalles beim Versicherten. Hierfür besteht im Übrigen auch kein Bedürfnis, weil nach dem Tod des Versicherten der Eintritt weiterer Versicherungsfälle, deren Folgen voneinander abzugrenzen sein könnten, ausgeschlossen ist. Auch hier hat die Beklagte zwar mehrfach im Blick auf verschiedene Sachverhalte, aber jeweils nur einheitlich festgestellt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf die begehrte Witwenrente habe.

27

bb) Für die Entscheidung, ob der Versicherte infolge eines Versicherungsfalls verstorben ist, ist auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem der Versicherte verstorben ist.

28

Der Senat hat zwar im Zusammenhang mit Ansprüchen von Versicherten entschieden, neue wissenschaftliche Erkenntnisse müssen sich im Zeitpunkt der Erkrankung des Versicherten noch nicht bis zur Aufnahme in die BK-Liste verdichtet haben. Es reiche aus, wenn dies im Zeitpunkt der Entscheidung über den Anspruch geschehen sei (BSG vom 14.11.1996 - 2 RU 9/96 - BSGE 79, 250, 253; BSG vom 4.6.2002 - B 2 U 16/01 R - juris RdNr 17) .

29

Dies ist aber auf die Rechte der Hinterbliebenen eines Versicherten nicht übertragbar, weil sie aus dessen letzter Rechtsstellung abgeleitet sind. Gemäß § 63 Abs 1 Satz 2 SGB VII muss der Tod des Versicherten "infolge eines Versicherungsfalls eingetreten" sein. Der Todestag des Versicherten ist der späteste Zeitpunkt, an dem er einen Versicherungsfall erlitten haben kann.

30

cc) Der Versicherte ist am 8.8.2000 nicht infolge des Versicherungsfalls einer Wie-BK verstorben.

31

Nach § 9 Abs 2 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der BKV bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit (Wie-BK) als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII erfüllt sind. Diese "Öffnungsklausel" des § 9 Abs 2 SGB VII soll nur die Regelungslücken in der BKV schließen, die sich aus den zeitlichen Abständen zwischen den Änderungen der BKV ergeben. Die Regelung ist aber keine allgemeine Härteklausel, für deren Anwendung es genügen würde, dass im Einzelfall berufsbedingte Einwirkungen die rechtlich wesentliche Ursache einer nicht in der BK-Liste bezeichneten Krankheit sind (vgl BSG vom 30.1.1986 - 2 RU 80/84 - BSGE 59, 295 = SozR 2200 § 551 Nr 27) . Vielmehr soll die Anerkennung einer Wie-BK nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der BKen (vgl § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII) erfüllt sind, der Verordnungsgeber aber noch nicht tätig geworden ist (vgl BT-Drucks 13/2204, 77 f) .

32

Der Versicherungsfall einer Wie-BK ist eingetreten, wenn neben den Voraussetzungen der schädigenden Einwirkungen aufgrund der versicherten Tätigkeit, der Erkrankung und der haftungsbegründenden Kausalität im Einzelfall auch die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der BKen nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen erfüllt sind. Der Versicherungsfall der Wie-BK lässt sich zwar nachträglich feststellen, er ist aber objektiv zu dem Zeitpunkt eingetreten, zu dem die Voraussetzungen des § 9 Abs 2 SGB VII gegeben sind(vgl noch zu § 551 Abs 1 Satz 2 RVO: BSG vom 2.12.2008 - B 2 KN 1/08 U R - SozR 4-2700 § 9 Nr 12 RdNr 23) . Im vorliegenden Fall kommt es also entscheidend darauf an, ob es spätestes am 8.8.2000 wissenschaftliche Erkenntnisse gab, nach denen die Erkrankung Lungenkrebs, wenn sie durch die Einwirkungen von Chromat, Nickeloxid, Asbest und ionisierender Strahlung gemeinsam verursacht worden ist, in die Liste der BKen aufzunehmen war. Dies ist indes nach den Feststellungen des LSG, das eine Auskunft des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften eingeholt hat, nicht der Fall (vgl im Übrigen: Schneider, ASUMed 2008, 326; Ergebnisse des Fachgesprächs "Synkanzerogenese" in der BG Akademie Hennef am 25./26.11.2005, BGFA-Info 01-06, S 17; Thomas Brüning, SYNERGIE - ein Beitrag zur Klärung der Synkanzerogenese - fordert vor der BGFA der DGUV am 27.1.2009 die Einrichtung epidemiologischer Datenbanken zur Beurteilung der synkanzerogenen Wirkung von Stoffen wie Asbest, PAK, Chrom und Nickel; http: www.igf-bbg.de/schlema6/tag2/Brüning_BGFA.pdf ; Pesch, Weiss, Westphal, Brüning, Berufliche Chrom- Exposition und Lungenkrebsrisiko, BGFA, August 2008, S 23) .

33

d) Ob der Tod des Versicherten infolge eines Versicherungsfalls nach § 9 Abs 1 SGB VII iVm Nr 1103, 2402 oder 4109 der Anlage zur BKV, der durch das Miteinwirken des Listenstoffes als wesentliche Teilursache für die Erkrankung des Versicherten verursacht wurde, eingetreten ist, kann der Senat nicht abschließend entscheiden.

34

Nach den Feststellungen des LSG ist der Versicherte berufsbedingt schädigenden Einwirkungen ausgesetzt gewesen. Allerdings hat das LSG für jeden der in den angeführten Listen-BKen bezeichneten Arbeitsstoffe monokausal die haftungsbegründende Kausalität verneint. Keiner der Stoffe hat allein die in der jeweiligen Listen-BK bezeichnete Erkrankung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit verursacht. Für die BK 1103 ist eine Einwirkung in der Größenordnung von 2000 µg/m³ x Jahre erforderlich, einer solchen Dosis ist der Versicherte bei weitem nicht ausgesetzt gewesen. Bei der Einwirkung durch ionisierende Strahlen (BK 2402) wird anhand der Einwirkungsdosen (Bql, mSv) die Verursachungswahrscheinlichkeit in Prozent ermittelt, die beim Versicherten maximal 23 vH erreicht hat. Bei der BK 4109 ist eine berufliche Einwirkung durch Nickel von 5000 µg/m³ x Jahre erforderlich, die ebenfalls nicht - auch nicht iS des Halbwerts - erreicht worden ist.

35

Eine dieser Listen-BKen liegt aber nicht nur dann vor, wenn die in ihrem Tatbestand genannten Einwirkungen durch einen bestimmten Stoff auf die Gesundheit schon monokausal die dort bestimmten Voraussetzungen erfüllen. Denn selbst wenn diese Einwirkungen bei isolierter Betrachtung nicht die Voraussetzungen an die Einwirkungsdauer, -intensität, -häufigkeit oder -weise erfüllen, können sie dennoch eine wesentliche Teilursache der als BK anerkannten Krankheit nach der Theorie der wesentlichen Bedingung sein (vgl zur Prüfung des Versicherungsfalls einer Listen-BK: BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 33/07 R - BSGE 103, 54 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 5; zur Theorie der wesentlichen Bedingung: BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, jeweils RdNr 13 ff) .

36

Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie, nach der jedes Ereignis Ursache eines Erfolges ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Erst wenn feststeht, dass ein bestimmtes Ereignis - hier Einwirkungen durch einen Arbeitsstoff - eine naturphilosophische Teilursache der Krankheit ist, stellt sich die Frage nach einer rechtlich wesentlichen Verursachung des Erfolgs durch das Ereignis. Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist in diesem zweiten Schritt zwischen Ursachen zu unterscheiden, denen der Erfolg zugerechnet wird und die für den Erfolg rechtlich unerheblich sind. Als kausal und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs abgeleitet werden (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, jeweils RdNr 13 f mwN; BSG vom 17.2.2009 - B 2 U 18/07 R - juris RdNr 12) .

37

Erfüllen die Einwirkungen eines bestimmten Arbeitsstoffs nicht die im BK-Tatbestand genannten Einwirkungsvoraussetzungen - so wie hier der Asbest die 25 Faserjahre nach der BK 4104 Alternative 3 (siehe oben a) -, können sie zwar die anerkannte Krankheit mitverursacht haben, eine Anerkennung dieser BK scheidet aber aus, weil die Mindestanforderungen des jeweiligen BK-Tatbestandes nicht gegeben sind.

38

Für die Arbeitsstoffe der hier in Betracht kommenden BKen 1103, 2402, 4109, deren Bezeichnung keine Dosis enthält, ist in einem ersten Schritt zu prüfen, ob der Stoff des jeweiligen BK-Tatbestands nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass das Entstehen der Erkrankung entfiele. Ist ein Listenstoff in diesem naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne ursächlich geworden, ist weiter zu prüfen, ob er eine wesentliche (Teil-)Ursache für den Eintritt der Erkrankung gesetzt hat. Denn die Theorie der wesentlichen Bedingung verlangt bei der Prüfung, ob eine Einwirkung einen wesentlichen Kausalbeitrag gesetzt hat, nicht abstrakt eine mindestens gleichwertige Bedeutung für den Erfolg. Vielmehr lässt sie es zu, ihre "Wesentlichkeit" für die festgestellte Erkrankung auch bei einem naturphilosophisch notwendigen Zusammenwirken mehrerer in der Anlage zur BKV bezeichneter schädigender Einwirkungen zu bejahen. Dem Zusammenwirken einzelner Mitbedingungen in einer Gruppe, die als Kollektiv für einen Erfolg wesentlich ist, kann so viel Eigenbedeutung zukommen, dass auch dem einzelnen Listenstoff des Einwirkungsgemischs wesentliche Bedeutung für den Erfolg iS eines BK-Tatbestands zukommt (vgl BSG vom 12.6.1990 - 2 RU 14/90 - juris RdNr 21; Becker in MedSach 2005, 115) .

39

3. Auf die Revision der Beklagten ist die Entscheidung des LSG, die § 9 SGB VII verletzt, aufzuheben. Der Rechtsstreit ist an das LSG zurückzuverweisen, damit geklärt werden kann, ob die Einwirkungen durch Chromat, Nickeloxid oder ionisierende Strahlung unter Einbeziehung der Einwirkungen von Asbest zusammen oder - wenn nicht alle - ob möglicherweise mehrere dieser Listenstoffe gemeinsam den Lungenkrebs des Versicherten im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne verursacht haben. Ist dies anzunehmen, ist weiter zu prüfen, ob die Einwirkungen nach den genannten BKen Nr 1103, 2402, 4109 - jede für sich und nicht alle zusammen als Gesamt-BK betrachtet - eine rechtlich wesentliche Teilursache für den Eintritt der Lungenerkrankung waren. Ist auch dies zu bejahen, ist entweder ein Versicherungsfall nach BK 1103 oder BK 2402 oder BK 4109 oder aber mehrere Versicherungsfälle dieser Listen-BKen nebeneinander (nicht kumulativ) gegeben (vgl BSG aaO) . Schließlich ist zu prüfen, ob der Tod des Versicherten infolge dieses Versicherungsfalls oder eines dieser Versicherungsfälle eingetreten ist. Hierzu hat das Berufungsgericht keine tatsächlichen Feststellungen getroffen, sodass der Senat nicht abschließend entscheiden konnte.

40

Dagegen steht für die abschließende Entscheidung des LSG bindend fest, dass bei dem Versicherten keine BK 4104, keine Gesamt-BK aus einer Kombination der BKen 1103, 2402, 4109 und keine entsprechende Wie-BK vorgelegen hat.

41

Das LSG hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 26. August 2008 abgeändert. Der Bescheid der Beklagten vom 24. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Juli 2005 wird insoweit aufgehoben, als die Erhöhung von Verletztenrente auch für einen Zeitraum vor 11. Juni 2006 abgelehnt wird. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Verletztenrente nach einer MdE von 50 v.H. ab 1. November 2004 bis 11. Juni 2006 wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 15. Mai 2001 zu gewähren.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass das Klageverfahren gegen den Bescheid der Beklagten vom 8. Juni 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. September 2006 wegen Rücknahme der Klage erledigt ist.

Die Beklagte hat dem Kläger ein Fünftel seiner außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Tatbestand

 
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger wegen eines Arbeitsunfalls am 15.05.2001 höhere Verletztenrente als nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 v.H. und Verletztengeld ab 25.01.2005 zusteht.
Der 1978 geborene Kläger zog sich während seiner Arbeit als Verladearbeiter bei einer Fertighausfirma am 15.05.2001 eine Knieverletzung links zu, da er beim Herunterspringen von der Ladefläche eines Tiefladers ausgerutscht und auf das Knie gestürzt war. Der Durchgangsarzt K. diagnostizierte am Unfalltag eine Kniegelenksprellung mit einer eingeschränkten Beweglichkeit und leichter Schwellung des linken Kniegelenks, ohne Erguss und ohne Anhalt für eine Band- oder Meniskusverletzung. Es wurde eine Gipsschiene angelegt (Durchgangsarztbericht vom 26.05.2001). Bei der Nachschau am 17.05.2001 zeigte sich eine Hämatomverfärbung mediopatellar und an der Patellasehne medialseits (Nachschaubericht des Chirurgen K. vom 21.05.2001). Es bestand Arbeitsunfähigkeit vom 16.05. bis 24.05.2001.
Am 18.09.2001 suchte der Kläger den Orthopäden Dr. B. auf, da er sich vor drei bis vier Wochen bei der Arbeit erneut das linke Knie angeschlagen habe. Dr. B. diagnostizierte eine schwere Distorsion des linken Kniegelenks bei Druck-, Bewegungs- und Überbeugungsschmerz sowie Schwellung im Gelenkbereich und röntgenologisch ohne sichere knöcherne Verletzung (H-Arzt-Bericht von Dr. B. vom 19.09.2001). Die am 27.09.2001 durchgeführte Kernspintomographie ergab einen muldenförmigen osteochondralen (knochenknorpelbetreffend) Defekt im Bereich der medialen Femurcondyle mit freiem Gelenkkörper mit deutlichem Gelenkserguss. Unter der Diagnose einer Osteochondrosis dissecans (aseptische Knochennekrose, evtl. mit Herauslösen eines Knochen- u. Knorpelstücks aus einer Gelenkfläche sowie Bildung eines freien Gelenkkörpers) Typ V veranlasste Dr. B. die Durchführung einer Arthroskopie des linken Kniegelenks (Zwischenbericht von Dr. B. vom 08.10.2001), die am 11.10.2001 im Kreiskrankenhaus B. während der stationären Behandlung des Kläger vom 11. bis 13.10.2001 durchgeführt wurde (Entlassungsbericht Kreiskrankenhaus B. vom 18.10.2001). Arbeitsunfähigkeit bestand vom 18.09. bis 03.12.2001.
Am 25.02.2002 war der Kläger während seiner Arbeit auf einer Pritsche ausgerutscht und verletzte sich erneut am linken Knie. Er arbeitete weiter und suchte am Abend des Unfalltages Dr. B. auf, der eine Distorsion des linken Kniegelenks ohne Erguss bei Druck- und Bewegungsschmerz, negativem Innenmeniskuszeichen und röntgenologisch ohne sichere knöcherne Verletzung diagnostizierte (H-Arzt-Bericht von Dr. B. vom 26.02.2002). Arbeitsfähigkeit bestand fort.
Am 16.04.2002 ließ sich der Kläger von Dr. M. untersuchen, weil er seit vier bis fünf Wochen erneut unter Schmerzen retropatellar am linken Knie leide. Dr. M. stellte die Verdachtsdiagnose einer retropatellaren Arthrose und sah eine Arthroskopie für 29.04.2002 vor (Nachschaubericht von Dr. M. vom 17.04.2002). Der Kläger wurde vom 29.04. bis 02.05.2002 stationär im C.-Krankenhaus B. M. behandelt, wo am 30.04.2002 unter der Diagnose eines osteochondralen Defektes und Chondromalazie I. Grades (Erweichung des Patellaknorpels) die Arthroskopie vorgenommen wurde (Zwischenbericht des C.-Krankenhauses vom 09.07.2002). Eine weitere Arthroskopie zur Beseitigung des Knorpeldefekts sollte während der ab 16.07.2002 beginnenden stationären Behandlung in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. vorgenommen werden. Nach der Operationsvorbereitung verließ der Kläger kurzfristig vor Operationsbeginn die Klinik, um eine bereits vereinbarte Heilmaßnahme zur Gewichtsreduzierung in der Reha-Klinik O. d. T. in B. M. zu Lasten des Rentenversicherungsträgers durchzuführen (Bericht der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. vom 05.08.2002). Nach Ende der vom 23.07. bis 20.08.2002 erfolgten Maßnahme unter der Diagnose Adipositas 2. Grades (Aufnahmegewicht 155 kg bzw. 150 kg bei Körpergröße von 1,95 m, Entlassungsgewicht 139 kg) wurde der Kläger wegen der Knie- und Oberschenkelverletzung mit bevorstehender Operation als derzeit arbeitsunfähig entlassen (Entlassungsbericht der Reha-Klinik O. d. T. vom 29.08.2002). Am 15.10.2002 wurde eine Arthroskopie des linken Kniegelenks in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. u. a. zur autologen Knorpelzelltransplantation vorgenommen (Zwischenbericht der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. vom 26.09.2002). Die Arthroskopie ergab im medialen Gelenkkompartiment einen Knorpeldefekt 4. Grades, einen retropatellaren zentralen Defekt mit Knorpelaufbrauch und chondromalazischen Veränderungen 3. bis 4. Gerades. Anschließend wurde eine valgisierende Tibiakopfumstellungsosteotomie mit Einsetzen eines Knochenkeils vom linken vorderen Beckenkamm durchgeführt (Entlassungsbericht vom 19.12.2002 zur stationären Behandlung vom 10.10. bis 25.10.2002). Eine ab 01.04.2003 für die Dauer von vier Wochen vorgesehene Belastungserprobung brach der Kläger am 01.04.2003 wegen Schmerzen ab (Zwischenbericht von Dr. B. vom 02.04.2003). Eine erneute Belastungserprobung ab 18.08.2003 wurde nach mehreren Unterbrechungen Anfang September 2003 endgültig abgebrochen, zum 30.09.2003 wurde dem Kläger gekündigt. Arbeitsunfähigkeit bestand vom 16.04.2002 bis 01.11.2003. Der Kläger machte eine Umschulung zum Busfahrer und ist seither arbeitslos.
Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch Prof. Dr. H., der in seinem Gutachten vom 16.06.2003 die im Verlauf der Arthroskopie diagnostizierten Knorpelknochen-Flakes als unfallbedingt beurteilte. Inwieweit das Unfallereignis vom 15.05. oder vom August 2001 für die Gelenkkörper verantwortlich sei, könne im Nachhinein nicht beantwortet werden. Die für eine traumatische Läsion sprechenden Knorpelknochen-Flakes seien auf Grund des kernspintomographisch Befundes aber eher auf das Ereignis von Mai 2001 zurückzuführen. Die aktuell bestehende Arbeitsunfähigkeit sei auf das Ereignis von Mai 2001 zurückzuführen. Im neurologischen Befundbericht von PD Dr. G. vom 30.07.2003 wurde aufgrund einer traumatischen Patella-Fraktur der Verdacht einer Läsion des Nervus cutaneus surae lateralis geäußert.
Im unfallchirurgischen Gutachten von Dr. B. vom 15.12.2003 wurden als wesentliche Unfallfolgen eine osteochondrale Fraktur vom medialen Femurcondylus mit präarthrotischen Veränderungen, ein Zustand nach valgisierende Schienbeinkopfosteotomie links mit noch nicht vollständig knöcherner Durchbauung, erhebliche Belastungsbeschwerden des linken Beines und ein Sensibilitätsdefizit am linken Oberschenkel bis über das Knie zum Unterschenkel reichend beschrieben. Unfallunabhängig bestehe eine Degeneration des femoro-patellaren Gleitlagers, Varicosis beidseits, eine Stauungsdermatose am Unterschenkel links. Ab 01.11.2003 betrage die MdE 20 v.H. bis auf weiteres.
Mit Bescheid vom 27.08.2003 (Widerspruchsbescheid vom 14.11.2003) lehnte die Beklagte Verletztenrente wegen eines Unfalls im August 2001 ab. Der Bescheid wurde nach Klagerücknahme (S 6 U 3568/03) bestandskräftig.
Mit Bescheid vom 18.03.2004 gewährte die Beklagte dem Kläger eine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit ab 18.10.2003 nach einer MdE um 20 v.H. für den Unfall am 15.05.2001.
10 
Mit DAB vom 25.10.2004 zeigte Dr. E. die Wiedererkrankung des Klägers vom gleichen Tag an wegen eines von ihm diagnostizierten Ulcus cruris am linken Unterschenkel mit deutlicher Schwellung und deutlich chronisch venöser Insuffizienz und Lymphödeme. Es bestehe ein posthrombotisches Syndrom am linken Bein mit posttraumatischer Gonarthrose. Arbeitsunfähigkeit wurde von Dr. E. verneint. Nachfolgend wurde der Kläger u. a. wegen chronisch venöser Insuffizienz, Stammveneninsuffizienz und sekundärem Lymphödem am linken Bein behandelt, u. a. stationär vom 13.06. bis 09.07.2005 in der Fach-Klinik für Lymphologie L.-O. –Klinik in P. (Entlassungsbericht vom 09.07.2005). Ab 25.01.2005 bestand Arbeitsunfähigkeit. Im Auftrag der Beklagte zahlte die AOK S.-H.l für den Zeitpunkt der angezeigten Wiedererkrankung Verletztengeld ab 08.03.2005 (Schreiben der Beklagten vom 23.03.2005 an die AOK).
11 
Die Beklagte holte das Gutachten des Arztes für Allgemeinmedizin, Phlebologie-Lymphologie Dr. K. vom 26.01.2005 mit Ergänzung vom 18.03.2005 ein. Er bewertete das beim Kläger diagnostizierte Lymphödem als Unfallfolge, die durch den vermehrten Anfall von lymphpflichtiger Last durch das Trauma, die wiederholten operativen Eingriffe und die Entzündungsreaktionen an der verletzten Extremität entstanden sei. Unfallunabhängig sei die diagnostizierte chronisch venöse Insuffizienz, die Stammveneninsuffizienz Stadium IV und ein Ulcus cruris am linken Unterschenkel. Durch die lange Immobilisation sei jedoch eine unfallbedingte Verschlimmerung der chronisch venösen Insuffizienz zusammen mit dem Ulcus eingetreten. Die unfallbedingte MdE betrage ab 25.01.2005 20 v.H. Die Arbeitsunfähigkeit ab 25.01.2005 sei auf den Unfall zurückzuführen. In seinem unfallchirurgischen Gutachten vom 15.02.2005 verneinte Dr. B. eine wesentliche Änderung gegenüber seinem Vorgutachten und schätzte die unfallbedingte MdE weiterhin auf 20 v.H. unter Berücksichtigung der Zusatzbegutachtung von Dr. K..
12 
Mit Bescheid vom 24.05.2005 lehnte die Beklagte die Erhöhung der Rente ab, da eine Änderung in der Höhe der MdE als Folge des Unfalls vom 15.05.2001 nicht eingetreten sei. Als Unfallfolgen wurden festgestellt: belastungsabhängige Beschwerden am linken Bein mit Instabilitätsgefühl am linken Kniegelenk nach knöchern durchbautem Bruch des medialen Femurcondylus und Schienbeinkopfosteotomie links, sekundäres Lymphödem am linken Bein, Ulcus cruris linker Unterschenkel, Verschlimmerung der vorbestehenden chronisch venösen Insuffizienz.
13 
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, da die von Dr. K. beurteilte Folgeerkrankung mit einer MdE um 20 v.H. nicht berücksichtigt worden sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 22.07.2005 wurde der Widerspruch zurückgewiesen, denn Dr. B. habe das Gutachten von Dr. K. berücksichtigt.
14 
Der Kläger erhob am 17.08.2005 Klage beim Sozialgericht Heilbronn mit dem Begehren, Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 50 v.H. zu gewähren.
15 
Das Sozialgericht holte das orthopädische Gutachten von Dr. T. vom 02.02.2006 ein. Danach bedingten die belastungsabhängigen Schmerzen mit Funktionseinschränkung des linken Kniegelenks nach Flakefraktur medialer Femurcondylus, subcapitale Umstellungsosteotomie mit noch bestehendem Reizzustand, Chondromalazie mit beginnender Sekundärarthrose, eine Beugefähigkeit des Kniegelenks von 95 Grad mit kompletter Streckbarkeit und straffer Bandführung ohne schwerwiegende Kapselweichteilreizung eine unfallbedingte MdE um 20 v.H. Eine Höherstufung wegen der angenommenen somatoformen Schmerzstörung sei nicht möglich. Damit sei der Kläger noch besser gestellt als bei einer Streckhemmung von 30 Grad und Beugefähigkeit bis 90 Grad oder einer Versteifung des Kniegelenks in Beugestellung von fünf Grad, was nach der unfallversicherungsrechtlichen Literatur jeweils mit einer MdE um 30 v.H. bewertet werde. Eine nennenswerte Lymphödembildung sei zum Untersuchungszeitpunkt nicht nachzuweisen gewesen. Eine venöse Stauungssymptomatik oder Thrombophlebitis sei nach dem ersten Unfall- geschehen ab 15.05.2001 nicht dokumentiert, eine Lymphödembildung im Bereich der unteren Extremitäten werde im Rahmen der Behandlung ab Mai 2001 bis zu der Gutachtenerstellung durch Prof. Dr. H. im Mai 2003 - mit Ausnahme einer minimalen prätibialen Ödembildung beidseits während der Reha-Maßnahme im Juli/August 2002 - nicht beschrieben, noch im 1. Rentengutachten von Dr. B. vom 15.12.2003 würden solche verneint. Aufgrund des massiven unfallunabhängigen Venenklappenschadens stehe die venöse Stauungssymptomatik als Ursache der Ödemsbildung eindeutig im Vordergrund, was die zunehmend verstärkte Beschwerdesymptomatik mit entsprechender Schmerzverstärkung erkläre. Eine schmerzbedingte Belastungseinschränkung des linken Beines sei für die ungenügende muskuläre Entstauung des venös gestauten Beines nachzuvollziehen, als Komponente der venösen Stauung sei sie jedoch nicht derart schwerwiegend, dass hieraus eine Unfallfolge abgeleitet werden könne.
16 
Der Kläger legte eine Stellungnahme von Dr. B. vom 06.04.2006 zum Gutachten von Dr. T. vor, wonach die unfallbedingte MdE mindestens 30 v.H. betrage. Zu berücksichtigen sei die Tatsache dass innerhalb eines Jahres 3 Arthroskopien und eine Umstellungsosteotomie durchgeführt worden seien. Die durch die häufigen Eingriffe verursachte untere Blutleere habe indirekt einen Verschlimmerungsfaktor für die Varicosis dargestellt. Gleiches gelte für das Lymphödem, das durch Trauma, wiederholte Eingriffe und Entzündungsreaktionen und lange Entlastung durch verzögerte Knochenheilung mitverursacht sei. Unberücksichtigt sei auch die Schmerzsymptomatik.
17 
Das Sozialgericht holte außerdem das dermatologisch-phlebologische Gutachten vom 27.12.2006 ein. Privatdozentin (PD) Dr. St. bewertete darin die Veneninsuffizienz sowie die Varicosis beidseits wie auch das Ulcus cruris am linken Unterschenkel als unfallunabhängig. Eine Stammveneninsuffizienz der Vena saphena sei duplexsonographisch nachzuweisen, eine tiefe Beinvenenthrombose habe duplexsonographisch ausgeschlossen werden können. Bei ihrer Untersuchung sei kein sekundäres Lymphödem am linken Bein festgestellt worden. Ursächlich für die Stauungssymptomatik mit Ausbildung eines Ulcus cruris sei die unfallunabhängige Venenklappenschädigung der Vena saphena magna Grad 4 nach Hach. Für die Verschlimmerung der Varicosis beidseits seien die körpereigenen Faktoren, die Adipositas permagna und die Immobilisation, führend. Außerdem werde die Kompressionstherapie nicht suffizient durchgeführt, da die vom Kläger getragenen Kompressionsstrümpfe überaltert seien und daher nicht den notwendigen Kompressionsdruck aufwiesen. Für die Muskelpumpe als peripheres Herz sei die Mobilisation im oberen Sprunggelenk entscheidend, die beim Kläger jedoch nicht aufgehoben sei. Auf ihrem Fachgebiet bestehe keine unfallbedingte MdE.
18 
Schließlich hörte das Sozialgericht die behandelnde Ärztin für Psychiatrie-Psychotherapie P. an, die in ihrer schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 03.05.2007 über eine depressive Symptomatik des Klägers bei leichter intellektueller Beeinträchtigung berichtete. Der Kläger klage über Schmerzen, lebe Zuhause bei seinem seit längerem krebskranken Vater, dem es sehr schlecht gehe. Hinsichtlich seiner beruflichen und sozialen Situation sei er herabgestimmt. Sein derzeitiges Gewicht betrage 180 Kilogramm, was bereits zu zwei Bruchoperationen geführt habe. Nach wie vor bestünden rezidivierende Ulcera am linken Unterschenkel.
19 
Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) holte das Sozialgericht von Dr. B. das Gutachten vom 21.04.2008 ein. Danach sei auf den Arbeitsunfall 2001 der osteochondrale Defekt der medialen Femurcondyle, die Umstellungsosteotomie, chronischer Knieschmerz, posttraumatische Arthrose und somatoforme Schmerzstörung zu 100 Prozent zurückzuführen, das chronische Ulcus cruris oberhalb des linken Innenknöchels sei zu 30 Prozent unfallbedingt und das Lymphödem zu 100 Prozent unfallbedingt. Aus fachorthopädischer Sicht betrage die unfallbedingte MdE 30 v.H. Entgegen den Bewegungsmaßen von Dr. T. sei bei seiner Untersuchung eine Beugung des linken Kniegelenks nur bis 90 Grad möglich und eine Streckhemmung bis 10 Grad gegeben.
20 
Während des Klageverfahrens erließ die Beklagte den Bescheid vom 08.06.2006, mit dem sie die Feststellung von Unfallfolgen im Bescheid vom 24.05.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 22.07.2005 mit Wirkung für die Zukunft insoweit zurücknahm, als nur noch belastungsabhängige Beschwerden am linken Bein mit Instabilitätsgefühl am linken Kniegelenk nach knöchern durchbautem Bruch des medialen Femurcondylus und Schienbeinkopfosteotomie links als Unfallfolgen anerkannt wurden. Lymphödem und Venenerkrankung seien unfallunabhängig. In der Rechtsmittelbelehrung wurde darauf hingewiesen, dass der Bescheid Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens werde.
21 
Außerdem lehnte die Beklagte mit Bescheid vom gleichen Tag die Gewährung von Verletztengeld ab 25.01.2005 ab. Aus dem Gutachten von Dr. T. habe sich ergeben, dass die ab diesem Zeitpunkt bestehende Arbeitsunfähigkeit wegen eines sekundären Lymphödems unfallunabhängig sei und daher zu Lasten der Krankenkasse gehe. Der hiergegen eingelegte Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 15.09.2006 zurückgewiesen. Der Kläger erhob hiergegen am 13.10.2006 beim Sozialgericht Heilbronn gesondert Klage (S 5 U 3732/06). Das Sozialgericht verband mit Beschluss vom 10.11.2006 den Rechtsstreit zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung mit der bereits anhängigen Klage S 5 U 2587/05.
22 
Mit Urteil vom 26.08.2008 wies das Sozialgericht die Klage ab. Hinsichtlich der geltend gemachten Rentenerhöhung stützte sich das Sozialgericht unter Einbeziehung des Bescheides vom 08.06.2006 auf die Gutachten von Dr. T. und PD Dr. St.. Hinsichtlich der Klage auf Gewährung von Verletztengeld führte das Sozialgericht aus, dass auch über diesen Bescheid vom 08.06.2006 i. d. F. des Widerspruchsbescheid vom 15.09.2006 zu entscheiden gewesen sei, obwohl in der mündlichen Verhandlung ein solcher Antrag nicht mehr gestellt worden sei. Anträge müssten mündlich nicht ausdrücklich noch einmal gestellt werden, wenn sie schriftlich vorlägen. Die angegriffenen Bescheide seien jedoch rechtmäßig, da die auf dem Ulcus cruris und der chronisch venösen Insuffizienz beruhende Arbeitsunfähigkeit nicht unfallbedingt gewesen sei.
23 
Gegen das dem früheren Klägerbevollmächtigten am 20.11.2008 mit Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil hat der Kläger am 17.12.2008 Berufung eingelegt und macht zur Begründung geltend, Dr. B. sei entgegen der Auffassung des Sozialgerichts lediglich der Auffassung, dass ohne die unfallbedingte Immobilisation und die Gehunfähigkeit das bei ihm vorliegende Ulcus nicht aufgetreten wäre. Hinsichtlich der Verwertung des Gutachten von Dr. T. ergäben sich erhebliche Zweifel hinsichtlich der zu fordernden Objektivität als auch hinsichtlich der zu berücksichtigenden zeitablaufbedingten geänderten Befundsituation. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei auch die Berufung hinsichtlich des begehrten Verletztengelds nicht unzulässig. Das Sozialgericht habe über das Begehren zutreffend entschieden, denn bei der Auslegung des Antrags sei nicht am Wortlaut festzuhalten, sondern der wirkliche Wille sei zu erforschen und zu berücksichtigen. Nachdem das Sozialgericht die beiden Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden habe, sei es nach diesseitiger Auffassung gehalten gewesen, über den gesamten Streitgegenstand zu entscheiden.
24 
Der Kläger beantragt,
25 
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 26.08.2008 und den Bescheid der Beklagten vom 24.05.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.07.2005 i. d. F. des Bescheids vom 08.06.2006 sowie den Bescheid vom 08.06.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.09.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 15.05.2001 höhere Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 50 v.H. ab 01.11.2004 und Verletztengeld ab 25.01.2005 zu gewähren.
26 
Die Beklagte beantragt,
27 
die Berufung zurückzuweisen.
28 
Hinsichtlich des Anspruchs auf Verletztengeld sei die Berufung unzulässig, denn ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 26.08.2008 sei die Aufhebung des Ablehnungsbescheides nicht mehr beantragt worden. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe auf den schriftsätzlich gestellten Antrag nicht verwiesen, sondern einen mündlichen Antrag in der Verhandlung gestellt, bei diesem handle es sich um den endgültigen Antrag. Im Übrigen werde auf die zutreffenden Darlegungen im angefochtenen Urteil verwiesen.
29 
Der Senat hat die Verwaltungsakten der Beklagten und die Gerichtsakten beider verbundener Klageverfahren des Sozialgerichts beigezogenen. Auf diese Unterlagen und die vor dem Senat angefallene Akte im Berufungsverfahren wird wegen weiterer Einzelheiten verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
30 
Die gem. §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig.
31 
Die Berufung ist jedoch nur teilweise begründet. Verletztengeld kann nicht geltend gemacht werden und nach dem 11.06.2006 besteht kein Anspruch auf höhere Verletztenrente als nach einer MdE um 20 v.H. Insoweit ist die Berufung unbegründet. Der Kläger hat dagegen einen Anspruch auf höhere Verletztenrente im Zeitraum vom 01.11.2004 bis 11.06.2006. Insoweit ist die Berufung begründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts war dahingehend abzuändern, ist im Übrigen aber im Ergebnis nicht zu beanstanden.
32 
Die Klage auf Gewährung von Verletztengeld ist unzulässig geworden, weil die diesen Anspruch betreffende Klage entgegen der Rechtsauffassung des Sozialgerichts zurückgenommen wurde.
33 
Die Rücknahme der Klage ist als Prozesserklärung unwiderruflich und nicht anfechtbar. Sie muss nicht ausdrücklich erklärt werden, die Erklärung kann auch konkludent durch eine Antragsbeschränkung abgegeben werden (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 9. Aufl., § 102 Rdnr. 7 b, c, m. w. N.). Ausnahmsweise besteht eine Widerrufsmöglichkeit der Prozesserklärung bei einem offensichtlichen Versehen, gegebenenfalls nach vorausgegangener Falschbelehrung (vgl. Leitherer a. a. O., mit Hinweise auf BVerwG, Urteil vom 15.06. 2005 - 9 c 8/04 -, NVwZ-RR 05,7 139; BFHE 210, 4).
34 
Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 26.08.2008 vor dem Sozialgericht, der nach § 122 SGG i. V. m. § 165 Zivilprozessordnung (ZPO) volle Beweiskraft für die vorgeschriebenen Förmlichkeiten der mündlichen Verhandlung zukommt, ist vom damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers nur die Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 24.05.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.07.2005 i. d. F. des Bescheids vom 08.06.2006 und Verurteilung zur höheren Verletztenrente beantragt worden, die Aufhebung des Bescheids vom 08.06.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.09.2006 und Verurteilung zur Gewährung von Verletztengeld ist in der mündlichen Verhandlung nicht beantragt worden.
35 
Die Sitzungsniederschrift hat die wesentlichen Vorgänge der Verhandlung als zwingenden Inhalt wiederzugeben (§ 122 SGG, § 160 Abs. 2 ZPO), wozu auch die Anträge gehören (§ 160 Abs. 3 Nr. 2 ZPO). Die Beweiskraft der Sitzungsniederschrift erstreckt sich auch auf den Inhalt der Sachanträge, die nur durch den Nachweis der Fälschung entkräftet werden kann (§ 165 Satz 2 ZPO). Nach § 124 Abs. 1 SGG entscheidet das Gericht auf Grund der mündlichen Verhandlung. Zum Gang der mündlichen Verhandlung gehört die Antragstellung, die in der mündlichen Verhandlung ergänzt, berichtigt oder im Rahmen des § 99 SGG geändert werden kann (§ 112 Abs. 3 SGG). Das Gericht entscheidet über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein (§ 123 SGG).
36 
Der zur Entscheidung gestellte Anspruch i. S. von § 123 SGG ist der prozessuale Anspruch, der in den gestellten Anträgen, an deren Wortlaut das Gericht selbst nicht gebunden ist, zum Ausdruck kommt (herrschende Meinung, vgl. Bolay in Nomos Kommentar, SGG, 3. Aufl., § 123 Rdnr. 3 ff; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a. a. O. § 123 Rdnr. 3 ff, jeweils m. w. N.). Der anwaltlich vertretene Kläger hat einen eindeutig formulierten Sachantrag gestellt, aus dem sich die Grenze des prozessual verfolgten Anspruchs ergibt und über den das Gericht ohne Missachtung der dem Kläger zustehenden Dispositionsmaxime auch nicht hinausgehen darf. Eine Auslegung des tatsächlich Gewollten unter Heranziehung der im schriftlichen Verfahren angekündigten Anträge verbietet sich aber dann, wenn damit die Grenze des in der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck gekommenen und noch verfolgten Klagebegehrens, d. h. des prozessualen Anspruchs, überschritten wird (im Ergebnis ebenso Keller a. a. O. § 123 Rdnr. 3; Bolay a. a. O. § 123 Rdnr. 4). Aus der objektiven Sicht des Empfängerhorizonts hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten den ursprünglich verfolgten Anspruch auf Zahlung von Verletztengeld in der mündlichen Verhandlung nicht aufrechterhalten; ein solcher Anspruch war nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung, über den das Sozialgericht hätte entscheiden können. Aus der vom Sozialgericht in den Urteilsgründen angegebenen Literaturstelle (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a. a. O. § 112 Rdnr. 8) ergibt sich nichts anderes. Die Bezugnahme auf schriftlich gestellte Anträge ist möglich, eine ausdrückliche Antragstellung ist nicht geboten. Werden jedoch mündliche Anträge gestellt, sind diese in die Sitzungsniederschrift aufzunehmen. Eine neben der mündlichen Antragstellung erfolgte Bezugnahme auf schriftlich angekündigte Anträge ergibt sich vorliegend aus der Aktenlage nicht. Weder der Sitzungsniederschrift noch dem sonstigen Vorbringen des Klägers ist außerdem zu entnehmen, dass die Antragsbeschränkung widerrufen wurde oder der Kläger sich auf ein offensichtliches Versehen beruft. Durch die Antragsbeschränkung erfolgte Klagerücknahme ist der angefochtene Bescheid der Beklagten zur Ablehnung von Verletztengeld bestandskräftig geworden und das Klageverfahren war einzustellen. Soweit das Sozialgericht im angefochtenen Urteil über das Verletztengeld in der Sache entschieden hat, war dies rechtsfehlerhaft, was den Kläger jedoch nicht beschwert.
37 
Hinsichtlich des Anspruchs auf höhere Verletztenrente ist die zulässige Klage nur teilweise begründet. Eine unfallbedingte MdE um 50 v.H. ergibt sich aus Rechtsgründen für den Zeitraum ab 01.11.2004 bis 11.06.2006, danach beträgt die unfallbedingte MdE nicht mehr als 20 v.H.
38 
Die Bemessung der MdE ist eine vom Gericht gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu treffende Tatsachenfeststellung. Dies gilt für die Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ebenso wie für die auf der Grundlage medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen zu treffende Feststellung der ihm verbliebenen Erwerbsmöglichkeiten (BSG SozR 4-2700 § 56 Nr. 2; BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8, S 36 m. w. N.). Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind (BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22, 23; BSGE 82, 212 = SozR 3-2200 § 581 Nr. 5). Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE geschätzt werden (BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8). Die zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind deshalb bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der tägliche Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (BSG aaO; BSG Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R - SozR 4-2700 § 56 Nr 1).
39 
Nach diesen Grundsätzen hält der Senat eine auf unfallchirurgischem Fachgebiet zu beurteilende MdE um 20 v.H. für nachgewiesen.
40 
Auf unfallchirurgischem/orthopädischem Fachgebiet liegen beim Kläger am linken Kniegelenk die von Dr. B. und Dr. T.- letztlich auch von Dr. B. - beschriebenen Gelenkveränderungen vor, die zu den annähernd gleichermaßen ausgeprägten Bewegungseinschränkungen bei der Streckung und Beugung des Kniegelenkes bei den jeweiligen Untersuchungen durch die Ärzte führten. Dr. B. und Dr. T. haben dies überzeugend mit einer MdE um 20 v.H. bewertet. Zutreffend verweist Dr. T. darauf, dass nach der unfallmedizinischen Literatur (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl., S. 724) eine Einschränkung der Beugefähigkeit des Kniegelenkes bis 90 Grad ohne Streckhemmung mit einer MdE um 20 v.H. eingestuft wird. Erst bei einer Streckhemmung bis 30 Grad und Beugeeinschränkung bis 90 Grad ist danach eine MdE um 30 v.H. gerechtfertigt. Bei der Untersuchung durch Dr. B. am 26.01.2005 bestand keine Streckhemmung (Streckung bis fünf Grad liegt im Normbereich bis 10 Grad) und eine Beugefähigkeit bis 100 Grad, bei der Untersuchung durch Dr. T. am 19.12.2005 bestand keine Streckhemmung und eine Beugefähigkeit bis 95 Grad, bei der Untersuchung durch Dr. B. am 30.10.2007 bestand eine Streckhemmung bis 10 Grad und eine Beugefähigkeit bis 90 Grad. Ein Kniescheibenbruch mit intaktem Streckapparat ist mit einer MdE von 10 bis 20 v.H. bewertet. Eine straffe Kniescheibenpseudarthrose ohne Funktionsbehinderung des Streckapparates ist der gleichen Bewertungsstufe zugeordnet (vgl. Schönberger u. a., a. a. O.). Eine Lockerung der Kreuz- oder Seitenbänder haben aber weder Prof. Dr. H. und Dr. T. noch Dr. B. beschrieben.
41 
In den Bewertungsansätzen zur Beurteilung der MdE nach Bewegungseinschränkungen sind auch die üblichen Schmerzen mit berücksichtigt. Zwar beschreibt Dr. T. eine besondere Schmerzempfindlichkeit des Klägers und nimmt in seiner Diagnose eine somatoforme Schmerzstörung auf, die auch Dr. B. in seinem Gutachten anführt, aber Dr. T. sah sich nicht veranlasst, deshalb die nach den oben angeführten Beurteilungsgrundsätzen ermittelte MdE wegen das übliche Maß übersteigender Schmerzen anzuheben. Unter Berücksichtigung der sachverständigen Zeugenaussage der den Kläger seit April 2006 behandelnden Psychiaterin P. ist die Einschätzung von Dr. T. für den Senat nachvollziehbar. Sie hat in ihrer Zeugenaussage vom 03.05.2007 als Diagnosen eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittel- bis schwergradige Episode, und eine Lernbehinderung bei Zustand nach Meningitis im zweiten Lebensjahr angegeben. Eine somatoforme Schmerzstörung hat sie nicht diagnostiziert. Die behandelnde Ärztin ist als Psychiaterin zur Beurteilung einer somatoformen Schmerzstörung sachkundiger als der Orthopäde, weshalb die beim Kläger zu beobachtende Schmerzempfindlichkeit, die weder von Dr. B. noch von Dr. T. als unabhängig von den erkrankten Körperorganen beschrieben wird, ein (noch) nicht pathologisches Persönlichkeitsmerkmal ist, welches in der Bandbreite des noch üblichen Schmerzempfindens und Schmerzverarbeitung liegt.
42 
Entgegen der Auffassung von Dr. B. sind auch die von ihm angeführten langwierigen Behandlungsmaßnahmen mit mehrmaliger Arthroskopie und der Umstellungsosteotomie, die zur Arbeitsunfähigkeit des Klägers geführt haben, nach den oben dargestellten Grundsätzen keine die MdE beeinflussende Umstände.
43 
Der Senat hat keinen Anlass, das Gutachten von Dr. T. nicht zu verwerten. Eine mangelnde Objektivität oder fehlerhafte Schlussfolgerungen, insbesondere bei den auch von anderen Ärzten bestätigten Bewegungsmaßen und Befunden, sind dem Gutachten nicht zu entnehmen.
44 
Der Senat gelangt für den Zeitraum, in dem mit Bescheid vom 24.05.2005 ein sekundäres Lymphödem und ein Ulcus cruris am linken Unterschenkel mit Verschlimmerung der vorbestehenden chronischen venösen Insuffizienz als Unfallfolgen festgestellt sind, zu einer weiteren Teil-MdE um 40 v.H. auf internistischem/gefäßmedizinischem Gebiet. Da mit dem nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens gewordenen Bescheid der Beklagten vom 08.06.2006 die Feststellung dieser Unfallfolgen erst mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen worden sind, sind die Unfallfolgen bis zum Wirksamwerden des Aufhebungsbescheid durch Bekanntgabe (§ 39 Abs. 1 Sozialgesetzbuch X) zu berücksichtigen, unabhängig vom tatsächlichen unfallbedingten Zusammenhang. Der am 09.06.2006 zur Post gegebene Verwaltungsakt gilt als am dritten Tage, somit am 12.06.2006, als bekannt gegeben (§ 37 Abs. 2 SGB X).
45 
Diese Gesundheitsstörungen lagen auch im Zeitraum von Oktober 2004 bis Juni 2006 vor, denn Dr. E. diagnostizierte im Oktober 2004 das Unterschenkelgeschwür und das Lymphödem bei venöser Insuffizienz. Die Veneninsuffizienz und das Unterschenkelgeschwür bestanden auch noch bei den Untersuchungen durch Dr. T. im Januar 2006 und durch PD Dr. St. im Dezember 2006 fort, lediglich das Lymphödem war nicht mehr zu diagnostizieren. Das Ausmaß eines chronischen Stauungsödems und der Zustand des Weichteilmantels bemisst sich nach der unfallmedizinischen Literatur bei einer Schwellung mit therapieresistenten Ulcerationen (Geschwürbildungen) mit einer MdE um 40 v.H. Erfolgt die Bewertung ohne getragenen Kompressionsstrumpf ergibt sich bei einer Umfangsvermehrung von mehr als zwei Zentimetern mit therapieresistenten Ulcerationen ebenso eine MdE um 40 v.H. (vgl. Schönberger u. a., a.a.O., S. 673 u. 730; Mehrhoff/Meindl/Muhr, Unfallbegutachtung, 11. Aufl. S. 171). Die nicht näher begründete MdE-Einschätzung von Dr. K. mit 20 v.H. ist daher nicht überzeugend. Eine Seitendifferenz von drei Zentimetern (15 cm unterhalb inn. Gelenkspalt) und von zwei Zentimetern (kleinster Unterschenkelumfang) gibt Dr. B. in seinem Messblatt zur Untersuchung am 26.01.2005 wieder. Vor diesem Hintergrund ist die MdE-Einschätzung in seinem Gutachten vom 15.02.2005 mit einer Gesamt-MdE von 20 v.H. nicht nachvollziehbar, zumal unklar ist, ob er die Beurteilung im phlebologisch-lymphologischen Gutachten von Dr. K. zur unfallbedingten Verschlimmerung der Venenerkrankung auch als solche Feststellung verstanden hat. Immerhin sah sich die Beklagte zur Nachfrage bei Dr. K. deswegen veranlasst, der diesbezüglich sein Gutachten unter dem 18.03.2005 ergänzte, was Dr. B. nicht zur Kenntnis gelangte.
46 
Die für den hier maßgebenden Zeitraum zu berücksichtigenden Teil-MdE-Werte von 20 v.H. und 40 v.H. ergeben eine Gesamt-MdE um 50 v.H. Eine vollständig integrierende Berücksichtigung der Teil-MdE von 20 v.H. ist zur Überzeugung des Senats nicht gerechtfertigt, da die Beeinträchtigung der Kniegelenkfunktion zu der Beeinträchtigung der Muskelfunktion des Unterschenkels hinzutritt und die muskuläre Kompensation der Bewegungseinschränkung des Gelenks erschwert ist. Außerdem ist eine verstärkte Schmerzzunahme nach Dr. T. nachvollziehbar.
47 
Der Rentenerhöhung steht - entgegen der vom Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vertretenen Rechtsauffassung - § 74 Abs. 2 SGB VII nicht entgegen. Die die erhöhte MdE begründenden Unfallfolgen lagen nach Dr. E. bereits ab Oktober 2004 vor, insbesondere das Unterschenkelgeschwür. Arbeitsunfähigkeit verneinte Dr. E.. Solche ist erst ab 25.01.2005 eingetreten, wie von Dr. K. bescheinigt. Bereits vor dem Zeitraum, der wegen Anspruch auf Verletztengeld nach § 74 Abs. 2 SGB VII einer Neufeststellung entgegensteht, lagen somit die Voraussetzungen der höheren Verletztenrente vor, die nach Antrag des Klägers aber erst ab 01.11.2004 begehrt wird.
48 
Für den Zeitraum nach dem 11.06.2006 ist der Senat ebenso wie das Sozialgericht davon überzeugt, dass die unfallbedingte MdE des Klägers nicht mehr als 20 v.H. beträgt. Der Senat stützt sich hierbei auf die überzeugenden Gutachten von Dr. B., Dr. T. und PD Dr. St.. Weitere unfallbedingte Gesundheitsstörungen liegen zur Überzeugung des Senats neben der unverändert auf orthopädischem Gebiet zu beurteilenden Unfallfolge nicht vor. Insoweit war die unbegründete Berufung zurückzuweisen.
49 
Der Bescheid vom 08.06.2006 ist rechtmäßig, denn die darin ausgesprochene Rücknahme von Unfallfolgen ist nach § 45 SGB X rechtlich zulässig. Da die Rücknahme nur mit Wirkung für die Zukunft ausgesprochen wurde und Vermögensdispositionen des Klägers im Vertrauen auf diese Unfallfolgen nicht ersichtlich sind, kann sich der Kläger auch nicht auf Vertrauensschutz i. S. v. § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X berufen. Ebenso ist die Zweijahresfrist für die Teilrücknahme des im Mai 2005 bekannt gegebenen Bescheides nach § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X berücksichtigt.
50 
Die Feststellung der Unfallfolgen aus dem Krankheitskomplex der Venenerkrankung war auch von Anfang an rechtswidrig, weshalb die Beklagte gem. § 45 Abs. 1 SGB X diese im Bescheid vom 24.05.2005 erfolgte Feststellung zurücknehmen konnte. Auch die Ermessensentscheidung der Beklagten ist beanstandungsfrei erfolgt.
51 
Sowohl Dr. T. wie auch PD Dr. St. haben überzeugend dargelegt, dass die Venenerkrankung des Klägers und das bei ihren Untersuchungen des Klägers nicht mehr zu diagnostizierende Lymphödem weder durch den Unfall verursacht noch verschlimmert worden sind. Dr. T. hat dargelegt, dass eine Thrombophlebitis und tiefe Beinvenenthrombose als Folge der Unfallverletzung oder der hierauf beruhenden Eingriffe den Akten nicht zu entnehmen ist. Eine auffällige Schwellung des linken Beins wird in den vielfältigen Untersuchungsbefunden ab Mai 2001 im Verlauf der Erkrankung erst durch Prof. Dr. H. im Mai 2003 beschrieben. Auch PD Dr. St. hat ein Thrombosegeschehen ausgeschlossen. Überzeugend haben die Sachverständigen ausgeführt, dass die Venenerkrankung durch die schwerwiegende Venenklappenschädigung der Vena saphena magna verursacht ist, die eine Stauungssymptomatik mit Ausbildung des Unterschenkelgeschwürs zur Folge hat. Nach PD Dr. St. haben zur Progression der Erkrankung das starke Übergewicht des Klägers, Immobilisation und eine unzureichende Kompressionstherapie beigetragen. Ob tatsächlich in der Vergangenheit auch kein Lymphödem vorgelegen hat, weil Phlebödem und Lymphödem palpatorisch schwer zu unterscheiden sind - wie Dr. T. ausführt - oder auch als Kombinationsform infolge des Krankheitsbildes der venösen Insuffizienz nicht selten vorkommen - wie PD Dr. St. ausführt - kann deshalb dahinstehen. Das nur zwischenzeitlich bestehende Lymphödem ist jedenfalls nicht unfallabhängig gewesen.
52 
Entgegen der Auffassung des Klägers kann sein deutliches Übergewicht nicht mit dem Unfall in Zusammenhang gebracht und deshalb der Unfallzusammenhang der Verschlechterung der Venenerkrankung bejaht werden. Bereits im Mai 2002 wird über eine signifikante Adipositas anlässlich der Vorstellung des Klägers in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. am 29.05.2002 berichtet (Zwischenbericht vom 07.06.2002). Im Juli 2002 betrug das Körpergewicht des Klägers 140 Kilogramm (Entlassungsbericht der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. vom 05.08.2002). Aus dem Entlassungsbericht der Reha-Klinik O. d. T. vom 29.08.2002 ergibt sich, dass der Kläger eigenen Angaben gemäß bereits "seit der Geburt" übergewichtig ist und bereits vier Jahre zuvor - also 1998 - ein Maximalgewicht von 175 Kilogramm hatte. Gewichtsschwankungen zwischen 20 bis 30 Kilogramm gab es daher bereits schon vor dem Unfall und die Gewichtsänderungen blieben danach ohne Auswirkungen auf die Beurteilung, ob noch Übergewichtigkeit vorliegt. Ebenso ist von Dr. T. nachvollziehbar dargelegt worden, dass der Immobilisation, soweit vom Unfall herrührend, keine wesentliche Rolle für die Verschlechterung der Venenerkrankung zukommt. Auch PD Dr. St. misst der Immobilisation keine hervorgehobene Bedeutung zu, weil für die Muskelpumpe als peripheres Herz die Beweglichkeit im oberen Sprunggelenk entscheidend ist, welche beim Kläger aber nicht unfallbedingt aufgehoben war. Dr. T. hat daher für den Senat überzeugend dargelegt, dass bei dieser Ausgangslage die zur Verschlechterung der Venenerkrankung führenden unfallunabhängigen Bedingungen etwaige mitwirkende unfallbedingte Faktoren weit in den Hintergrund drängen, sodass ein wesentlicher Zusammenhang des Unfalls mit der Verschlechterung der Venenerkrankung nicht gegeben ist. Dies steht auch im Einklang mit der unfallversicherungsrechtlichen und unfallmedizinischen Literatur (vgl. Mehrhoff u.a., a.a.O. S. 213). Eine Schmerzverstärkung durch die Venenerkrankung, die Dr. T. als nachvollziehbar beschreibt, ist daher – mit Ausnahme der Zeit bis zum 11.06.2006 allein aus Rechtsgründen - nicht dem Unfall zuzurechnen.
53 
Die zum wesentlichen Zusammenhang des Unfalls mit der Venenerkrankung und mit der Lymphödembildung erfolgte gegenteilige Einschätzung von Dr. K. und Dr. B., die die von Dr. T. und PD Dr. St. angestellten Erwägungen nicht berücksichtigt haben, ist daher für den Senat nicht überzeugend gewesen.
54 
Die von Dr. B. bei seiner MdE-Einschätzung mit berücksichtigten psychischen Auswirkungen - seiner Auffassung nach sei der Kläger durch den Unfall aus seiner persönlichen Lebensbahn geworfen worden - sind nicht auf den Unfall zurückzuführen. Für die von Psychiaterin P. diagnostizierte depressive Störung hat sie vornehmlich unfallunabhängige Lebensumstände des Klägers, wie die Krebserkrankung seines Vaters, sein Übergewicht - nun 180 Kilogramm - und Schmerzen bei starker Schwellneigung des Beines mit gestörtem Nachtschlaf, angeführt, die seine berufliche und soziale Situation beeinflussen. Das Unfallgeschehen und die hierauf beruhende Krankengeschichte spielen hierbei ersichtlich keine entscheidende Rolle.
55 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
56 
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Gründe

 
30 
Die gem. §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig.
31 
Die Berufung ist jedoch nur teilweise begründet. Verletztengeld kann nicht geltend gemacht werden und nach dem 11.06.2006 besteht kein Anspruch auf höhere Verletztenrente als nach einer MdE um 20 v.H. Insoweit ist die Berufung unbegründet. Der Kläger hat dagegen einen Anspruch auf höhere Verletztenrente im Zeitraum vom 01.11.2004 bis 11.06.2006. Insoweit ist die Berufung begründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts war dahingehend abzuändern, ist im Übrigen aber im Ergebnis nicht zu beanstanden.
32 
Die Klage auf Gewährung von Verletztengeld ist unzulässig geworden, weil die diesen Anspruch betreffende Klage entgegen der Rechtsauffassung des Sozialgerichts zurückgenommen wurde.
33 
Die Rücknahme der Klage ist als Prozesserklärung unwiderruflich und nicht anfechtbar. Sie muss nicht ausdrücklich erklärt werden, die Erklärung kann auch konkludent durch eine Antragsbeschränkung abgegeben werden (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 9. Aufl., § 102 Rdnr. 7 b, c, m. w. N.). Ausnahmsweise besteht eine Widerrufsmöglichkeit der Prozesserklärung bei einem offensichtlichen Versehen, gegebenenfalls nach vorausgegangener Falschbelehrung (vgl. Leitherer a. a. O., mit Hinweise auf BVerwG, Urteil vom 15.06. 2005 - 9 c 8/04 -, NVwZ-RR 05,7 139; BFHE 210, 4).
34 
Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 26.08.2008 vor dem Sozialgericht, der nach § 122 SGG i. V. m. § 165 Zivilprozessordnung (ZPO) volle Beweiskraft für die vorgeschriebenen Förmlichkeiten der mündlichen Verhandlung zukommt, ist vom damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers nur die Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 24.05.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.07.2005 i. d. F. des Bescheids vom 08.06.2006 und Verurteilung zur höheren Verletztenrente beantragt worden, die Aufhebung des Bescheids vom 08.06.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.09.2006 und Verurteilung zur Gewährung von Verletztengeld ist in der mündlichen Verhandlung nicht beantragt worden.
35 
Die Sitzungsniederschrift hat die wesentlichen Vorgänge der Verhandlung als zwingenden Inhalt wiederzugeben (§ 122 SGG, § 160 Abs. 2 ZPO), wozu auch die Anträge gehören (§ 160 Abs. 3 Nr. 2 ZPO). Die Beweiskraft der Sitzungsniederschrift erstreckt sich auch auf den Inhalt der Sachanträge, die nur durch den Nachweis der Fälschung entkräftet werden kann (§ 165 Satz 2 ZPO). Nach § 124 Abs. 1 SGG entscheidet das Gericht auf Grund der mündlichen Verhandlung. Zum Gang der mündlichen Verhandlung gehört die Antragstellung, die in der mündlichen Verhandlung ergänzt, berichtigt oder im Rahmen des § 99 SGG geändert werden kann (§ 112 Abs. 3 SGG). Das Gericht entscheidet über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein (§ 123 SGG).
36 
Der zur Entscheidung gestellte Anspruch i. S. von § 123 SGG ist der prozessuale Anspruch, der in den gestellten Anträgen, an deren Wortlaut das Gericht selbst nicht gebunden ist, zum Ausdruck kommt (herrschende Meinung, vgl. Bolay in Nomos Kommentar, SGG, 3. Aufl., § 123 Rdnr. 3 ff; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a. a. O. § 123 Rdnr. 3 ff, jeweils m. w. N.). Der anwaltlich vertretene Kläger hat einen eindeutig formulierten Sachantrag gestellt, aus dem sich die Grenze des prozessual verfolgten Anspruchs ergibt und über den das Gericht ohne Missachtung der dem Kläger zustehenden Dispositionsmaxime auch nicht hinausgehen darf. Eine Auslegung des tatsächlich Gewollten unter Heranziehung der im schriftlichen Verfahren angekündigten Anträge verbietet sich aber dann, wenn damit die Grenze des in der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck gekommenen und noch verfolgten Klagebegehrens, d. h. des prozessualen Anspruchs, überschritten wird (im Ergebnis ebenso Keller a. a. O. § 123 Rdnr. 3; Bolay a. a. O. § 123 Rdnr. 4). Aus der objektiven Sicht des Empfängerhorizonts hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten den ursprünglich verfolgten Anspruch auf Zahlung von Verletztengeld in der mündlichen Verhandlung nicht aufrechterhalten; ein solcher Anspruch war nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung, über den das Sozialgericht hätte entscheiden können. Aus der vom Sozialgericht in den Urteilsgründen angegebenen Literaturstelle (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a. a. O. § 112 Rdnr. 8) ergibt sich nichts anderes. Die Bezugnahme auf schriftlich gestellte Anträge ist möglich, eine ausdrückliche Antragstellung ist nicht geboten. Werden jedoch mündliche Anträge gestellt, sind diese in die Sitzungsniederschrift aufzunehmen. Eine neben der mündlichen Antragstellung erfolgte Bezugnahme auf schriftlich angekündigte Anträge ergibt sich vorliegend aus der Aktenlage nicht. Weder der Sitzungsniederschrift noch dem sonstigen Vorbringen des Klägers ist außerdem zu entnehmen, dass die Antragsbeschränkung widerrufen wurde oder der Kläger sich auf ein offensichtliches Versehen beruft. Durch die Antragsbeschränkung erfolgte Klagerücknahme ist der angefochtene Bescheid der Beklagten zur Ablehnung von Verletztengeld bestandskräftig geworden und das Klageverfahren war einzustellen. Soweit das Sozialgericht im angefochtenen Urteil über das Verletztengeld in der Sache entschieden hat, war dies rechtsfehlerhaft, was den Kläger jedoch nicht beschwert.
37 
Hinsichtlich des Anspruchs auf höhere Verletztenrente ist die zulässige Klage nur teilweise begründet. Eine unfallbedingte MdE um 50 v.H. ergibt sich aus Rechtsgründen für den Zeitraum ab 01.11.2004 bis 11.06.2006, danach beträgt die unfallbedingte MdE nicht mehr als 20 v.H.
38 
Die Bemessung der MdE ist eine vom Gericht gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu treffende Tatsachenfeststellung. Dies gilt für die Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ebenso wie für die auf der Grundlage medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen zu treffende Feststellung der ihm verbliebenen Erwerbsmöglichkeiten (BSG SozR 4-2700 § 56 Nr. 2; BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8, S 36 m. w. N.). Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind (BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22, 23; BSGE 82, 212 = SozR 3-2200 § 581 Nr. 5). Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE geschätzt werden (BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8). Die zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind deshalb bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der tägliche Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (BSG aaO; BSG Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R - SozR 4-2700 § 56 Nr 1).
39 
Nach diesen Grundsätzen hält der Senat eine auf unfallchirurgischem Fachgebiet zu beurteilende MdE um 20 v.H. für nachgewiesen.
40 
Auf unfallchirurgischem/orthopädischem Fachgebiet liegen beim Kläger am linken Kniegelenk die von Dr. B. und Dr. T.- letztlich auch von Dr. B. - beschriebenen Gelenkveränderungen vor, die zu den annähernd gleichermaßen ausgeprägten Bewegungseinschränkungen bei der Streckung und Beugung des Kniegelenkes bei den jeweiligen Untersuchungen durch die Ärzte führten. Dr. B. und Dr. T. haben dies überzeugend mit einer MdE um 20 v.H. bewertet. Zutreffend verweist Dr. T. darauf, dass nach der unfallmedizinischen Literatur (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl., S. 724) eine Einschränkung der Beugefähigkeit des Kniegelenkes bis 90 Grad ohne Streckhemmung mit einer MdE um 20 v.H. eingestuft wird. Erst bei einer Streckhemmung bis 30 Grad und Beugeeinschränkung bis 90 Grad ist danach eine MdE um 30 v.H. gerechtfertigt. Bei der Untersuchung durch Dr. B. am 26.01.2005 bestand keine Streckhemmung (Streckung bis fünf Grad liegt im Normbereich bis 10 Grad) und eine Beugefähigkeit bis 100 Grad, bei der Untersuchung durch Dr. T. am 19.12.2005 bestand keine Streckhemmung und eine Beugefähigkeit bis 95 Grad, bei der Untersuchung durch Dr. B. am 30.10.2007 bestand eine Streckhemmung bis 10 Grad und eine Beugefähigkeit bis 90 Grad. Ein Kniescheibenbruch mit intaktem Streckapparat ist mit einer MdE von 10 bis 20 v.H. bewertet. Eine straffe Kniescheibenpseudarthrose ohne Funktionsbehinderung des Streckapparates ist der gleichen Bewertungsstufe zugeordnet (vgl. Schönberger u. a., a. a. O.). Eine Lockerung der Kreuz- oder Seitenbänder haben aber weder Prof. Dr. H. und Dr. T. noch Dr. B. beschrieben.
41 
In den Bewertungsansätzen zur Beurteilung der MdE nach Bewegungseinschränkungen sind auch die üblichen Schmerzen mit berücksichtigt. Zwar beschreibt Dr. T. eine besondere Schmerzempfindlichkeit des Klägers und nimmt in seiner Diagnose eine somatoforme Schmerzstörung auf, die auch Dr. B. in seinem Gutachten anführt, aber Dr. T. sah sich nicht veranlasst, deshalb die nach den oben angeführten Beurteilungsgrundsätzen ermittelte MdE wegen das übliche Maß übersteigender Schmerzen anzuheben. Unter Berücksichtigung der sachverständigen Zeugenaussage der den Kläger seit April 2006 behandelnden Psychiaterin P. ist die Einschätzung von Dr. T. für den Senat nachvollziehbar. Sie hat in ihrer Zeugenaussage vom 03.05.2007 als Diagnosen eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittel- bis schwergradige Episode, und eine Lernbehinderung bei Zustand nach Meningitis im zweiten Lebensjahr angegeben. Eine somatoforme Schmerzstörung hat sie nicht diagnostiziert. Die behandelnde Ärztin ist als Psychiaterin zur Beurteilung einer somatoformen Schmerzstörung sachkundiger als der Orthopäde, weshalb die beim Kläger zu beobachtende Schmerzempfindlichkeit, die weder von Dr. B. noch von Dr. T. als unabhängig von den erkrankten Körperorganen beschrieben wird, ein (noch) nicht pathologisches Persönlichkeitsmerkmal ist, welches in der Bandbreite des noch üblichen Schmerzempfindens und Schmerzverarbeitung liegt.
42 
Entgegen der Auffassung von Dr. B. sind auch die von ihm angeführten langwierigen Behandlungsmaßnahmen mit mehrmaliger Arthroskopie und der Umstellungsosteotomie, die zur Arbeitsunfähigkeit des Klägers geführt haben, nach den oben dargestellten Grundsätzen keine die MdE beeinflussende Umstände.
43 
Der Senat hat keinen Anlass, das Gutachten von Dr. T. nicht zu verwerten. Eine mangelnde Objektivität oder fehlerhafte Schlussfolgerungen, insbesondere bei den auch von anderen Ärzten bestätigten Bewegungsmaßen und Befunden, sind dem Gutachten nicht zu entnehmen.
44 
Der Senat gelangt für den Zeitraum, in dem mit Bescheid vom 24.05.2005 ein sekundäres Lymphödem und ein Ulcus cruris am linken Unterschenkel mit Verschlimmerung der vorbestehenden chronischen venösen Insuffizienz als Unfallfolgen festgestellt sind, zu einer weiteren Teil-MdE um 40 v.H. auf internistischem/gefäßmedizinischem Gebiet. Da mit dem nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens gewordenen Bescheid der Beklagten vom 08.06.2006 die Feststellung dieser Unfallfolgen erst mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen worden sind, sind die Unfallfolgen bis zum Wirksamwerden des Aufhebungsbescheid durch Bekanntgabe (§ 39 Abs. 1 Sozialgesetzbuch X) zu berücksichtigen, unabhängig vom tatsächlichen unfallbedingten Zusammenhang. Der am 09.06.2006 zur Post gegebene Verwaltungsakt gilt als am dritten Tage, somit am 12.06.2006, als bekannt gegeben (§ 37 Abs. 2 SGB X).
45 
Diese Gesundheitsstörungen lagen auch im Zeitraum von Oktober 2004 bis Juni 2006 vor, denn Dr. E. diagnostizierte im Oktober 2004 das Unterschenkelgeschwür und das Lymphödem bei venöser Insuffizienz. Die Veneninsuffizienz und das Unterschenkelgeschwür bestanden auch noch bei den Untersuchungen durch Dr. T. im Januar 2006 und durch PD Dr. St. im Dezember 2006 fort, lediglich das Lymphödem war nicht mehr zu diagnostizieren. Das Ausmaß eines chronischen Stauungsödems und der Zustand des Weichteilmantels bemisst sich nach der unfallmedizinischen Literatur bei einer Schwellung mit therapieresistenten Ulcerationen (Geschwürbildungen) mit einer MdE um 40 v.H. Erfolgt die Bewertung ohne getragenen Kompressionsstrumpf ergibt sich bei einer Umfangsvermehrung von mehr als zwei Zentimetern mit therapieresistenten Ulcerationen ebenso eine MdE um 40 v.H. (vgl. Schönberger u. a., a.a.O., S. 673 u. 730; Mehrhoff/Meindl/Muhr, Unfallbegutachtung, 11. Aufl. S. 171). Die nicht näher begründete MdE-Einschätzung von Dr. K. mit 20 v.H. ist daher nicht überzeugend. Eine Seitendifferenz von drei Zentimetern (15 cm unterhalb inn. Gelenkspalt) und von zwei Zentimetern (kleinster Unterschenkelumfang) gibt Dr. B. in seinem Messblatt zur Untersuchung am 26.01.2005 wieder. Vor diesem Hintergrund ist die MdE-Einschätzung in seinem Gutachten vom 15.02.2005 mit einer Gesamt-MdE von 20 v.H. nicht nachvollziehbar, zumal unklar ist, ob er die Beurteilung im phlebologisch-lymphologischen Gutachten von Dr. K. zur unfallbedingten Verschlimmerung der Venenerkrankung auch als solche Feststellung verstanden hat. Immerhin sah sich die Beklagte zur Nachfrage bei Dr. K. deswegen veranlasst, der diesbezüglich sein Gutachten unter dem 18.03.2005 ergänzte, was Dr. B. nicht zur Kenntnis gelangte.
46 
Die für den hier maßgebenden Zeitraum zu berücksichtigenden Teil-MdE-Werte von 20 v.H. und 40 v.H. ergeben eine Gesamt-MdE um 50 v.H. Eine vollständig integrierende Berücksichtigung der Teil-MdE von 20 v.H. ist zur Überzeugung des Senats nicht gerechtfertigt, da die Beeinträchtigung der Kniegelenkfunktion zu der Beeinträchtigung der Muskelfunktion des Unterschenkels hinzutritt und die muskuläre Kompensation der Bewegungseinschränkung des Gelenks erschwert ist. Außerdem ist eine verstärkte Schmerzzunahme nach Dr. T. nachvollziehbar.
47 
Der Rentenerhöhung steht - entgegen der vom Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vertretenen Rechtsauffassung - § 74 Abs. 2 SGB VII nicht entgegen. Die die erhöhte MdE begründenden Unfallfolgen lagen nach Dr. E. bereits ab Oktober 2004 vor, insbesondere das Unterschenkelgeschwür. Arbeitsunfähigkeit verneinte Dr. E.. Solche ist erst ab 25.01.2005 eingetreten, wie von Dr. K. bescheinigt. Bereits vor dem Zeitraum, der wegen Anspruch auf Verletztengeld nach § 74 Abs. 2 SGB VII einer Neufeststellung entgegensteht, lagen somit die Voraussetzungen der höheren Verletztenrente vor, die nach Antrag des Klägers aber erst ab 01.11.2004 begehrt wird.
48 
Für den Zeitraum nach dem 11.06.2006 ist der Senat ebenso wie das Sozialgericht davon überzeugt, dass die unfallbedingte MdE des Klägers nicht mehr als 20 v.H. beträgt. Der Senat stützt sich hierbei auf die überzeugenden Gutachten von Dr. B., Dr. T. und PD Dr. St.. Weitere unfallbedingte Gesundheitsstörungen liegen zur Überzeugung des Senats neben der unverändert auf orthopädischem Gebiet zu beurteilenden Unfallfolge nicht vor. Insoweit war die unbegründete Berufung zurückzuweisen.
49 
Der Bescheid vom 08.06.2006 ist rechtmäßig, denn die darin ausgesprochene Rücknahme von Unfallfolgen ist nach § 45 SGB X rechtlich zulässig. Da die Rücknahme nur mit Wirkung für die Zukunft ausgesprochen wurde und Vermögensdispositionen des Klägers im Vertrauen auf diese Unfallfolgen nicht ersichtlich sind, kann sich der Kläger auch nicht auf Vertrauensschutz i. S. v. § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X berufen. Ebenso ist die Zweijahresfrist für die Teilrücknahme des im Mai 2005 bekannt gegebenen Bescheides nach § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X berücksichtigt.
50 
Die Feststellung der Unfallfolgen aus dem Krankheitskomplex der Venenerkrankung war auch von Anfang an rechtswidrig, weshalb die Beklagte gem. § 45 Abs. 1 SGB X diese im Bescheid vom 24.05.2005 erfolgte Feststellung zurücknehmen konnte. Auch die Ermessensentscheidung der Beklagten ist beanstandungsfrei erfolgt.
51 
Sowohl Dr. T. wie auch PD Dr. St. haben überzeugend dargelegt, dass die Venenerkrankung des Klägers und das bei ihren Untersuchungen des Klägers nicht mehr zu diagnostizierende Lymphödem weder durch den Unfall verursacht noch verschlimmert worden sind. Dr. T. hat dargelegt, dass eine Thrombophlebitis und tiefe Beinvenenthrombose als Folge der Unfallverletzung oder der hierauf beruhenden Eingriffe den Akten nicht zu entnehmen ist. Eine auffällige Schwellung des linken Beins wird in den vielfältigen Untersuchungsbefunden ab Mai 2001 im Verlauf der Erkrankung erst durch Prof. Dr. H. im Mai 2003 beschrieben. Auch PD Dr. St. hat ein Thrombosegeschehen ausgeschlossen. Überzeugend haben die Sachverständigen ausgeführt, dass die Venenerkrankung durch die schwerwiegende Venenklappenschädigung der Vena saphena magna verursacht ist, die eine Stauungssymptomatik mit Ausbildung des Unterschenkelgeschwürs zur Folge hat. Nach PD Dr. St. haben zur Progression der Erkrankung das starke Übergewicht des Klägers, Immobilisation und eine unzureichende Kompressionstherapie beigetragen. Ob tatsächlich in der Vergangenheit auch kein Lymphödem vorgelegen hat, weil Phlebödem und Lymphödem palpatorisch schwer zu unterscheiden sind - wie Dr. T. ausführt - oder auch als Kombinationsform infolge des Krankheitsbildes der venösen Insuffizienz nicht selten vorkommen - wie PD Dr. St. ausführt - kann deshalb dahinstehen. Das nur zwischenzeitlich bestehende Lymphödem ist jedenfalls nicht unfallabhängig gewesen.
52 
Entgegen der Auffassung des Klägers kann sein deutliches Übergewicht nicht mit dem Unfall in Zusammenhang gebracht und deshalb der Unfallzusammenhang der Verschlechterung der Venenerkrankung bejaht werden. Bereits im Mai 2002 wird über eine signifikante Adipositas anlässlich der Vorstellung des Klägers in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. am 29.05.2002 berichtet (Zwischenbericht vom 07.06.2002). Im Juli 2002 betrug das Körpergewicht des Klägers 140 Kilogramm (Entlassungsbericht der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. vom 05.08.2002). Aus dem Entlassungsbericht der Reha-Klinik O. d. T. vom 29.08.2002 ergibt sich, dass der Kläger eigenen Angaben gemäß bereits "seit der Geburt" übergewichtig ist und bereits vier Jahre zuvor - also 1998 - ein Maximalgewicht von 175 Kilogramm hatte. Gewichtsschwankungen zwischen 20 bis 30 Kilogramm gab es daher bereits schon vor dem Unfall und die Gewichtsänderungen blieben danach ohne Auswirkungen auf die Beurteilung, ob noch Übergewichtigkeit vorliegt. Ebenso ist von Dr. T. nachvollziehbar dargelegt worden, dass der Immobilisation, soweit vom Unfall herrührend, keine wesentliche Rolle für die Verschlechterung der Venenerkrankung zukommt. Auch PD Dr. St. misst der Immobilisation keine hervorgehobene Bedeutung zu, weil für die Muskelpumpe als peripheres Herz die Beweglichkeit im oberen Sprunggelenk entscheidend ist, welche beim Kläger aber nicht unfallbedingt aufgehoben war. Dr. T. hat daher für den Senat überzeugend dargelegt, dass bei dieser Ausgangslage die zur Verschlechterung der Venenerkrankung führenden unfallunabhängigen Bedingungen etwaige mitwirkende unfallbedingte Faktoren weit in den Hintergrund drängen, sodass ein wesentlicher Zusammenhang des Unfalls mit der Verschlechterung der Venenerkrankung nicht gegeben ist. Dies steht auch im Einklang mit der unfallversicherungsrechtlichen und unfallmedizinischen Literatur (vgl. Mehrhoff u.a., a.a.O. S. 213). Eine Schmerzverstärkung durch die Venenerkrankung, die Dr. T. als nachvollziehbar beschreibt, ist daher – mit Ausnahme der Zeit bis zum 11.06.2006 allein aus Rechtsgründen - nicht dem Unfall zuzurechnen.
53 
Die zum wesentlichen Zusammenhang des Unfalls mit der Venenerkrankung und mit der Lymphödembildung erfolgte gegenteilige Einschätzung von Dr. K. und Dr. B., die die von Dr. T. und PD Dr. St. angestellten Erwägungen nicht berücksichtigt haben, ist daher für den Senat nicht überzeugend gewesen.
54 
Die von Dr. B. bei seiner MdE-Einschätzung mit berücksichtigten psychischen Auswirkungen - seiner Auffassung nach sei der Kläger durch den Unfall aus seiner persönlichen Lebensbahn geworfen worden - sind nicht auf den Unfall zurückzuführen. Für die von Psychiaterin P. diagnostizierte depressive Störung hat sie vornehmlich unfallunabhängige Lebensumstände des Klägers, wie die Krebserkrankung seines Vaters, sein Übergewicht - nun 180 Kilogramm - und Schmerzen bei starker Schwellneigung des Beines mit gestörtem Nachtschlaf, angeführt, die seine berufliche und soziale Situation beeinflussen. Das Unfallgeschehen und die hierauf beruhende Krankengeschichte spielen hierbei ersichtlich keine entscheidende Rolle.
55 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
56 
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Die Vorschriften des Ersten bis Neunten Kapitels gelten für Versicherungsfälle, die nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eintreten, soweit in den folgenden Vorschriften nicht etwas anderes bestimmt ist.

(1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sind auf die Beweisaufnahme die §§ 358 bis 363, 365 bis 378, 380 bis 386, 387 Abs. 1 und 2, §§ 388 bis 390, 392 bis 406 Absatz 1 bis 4, die §§ 407 bis 444, 478 bis 484 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden. Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Weigerung nach § 387 der Zivilprozeßordnung ergeht durch Beschluß.

(2) Zeugen und Sachverständige werden nur beeidigt, wenn das Gericht dies im Hinblick auf die Bedeutung des Zeugnisses oder Gutachtens für die Entscheidung des Rechtsstreits für notwendig erachtet.

(3) Der Vorsitzende kann das Auftreten eines Prozeßbevollmächtigten untersagen, solange die Partei trotz Anordnung ihres persönlichen Erscheinens unbegründet ausgeblieben ist und hierdurch der Zweck der Anordnung vereitelt wird.

Die Vorschriften des Ersten bis Neunten Kapitels gelten für Versicherungsfälle, die nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eintreten, soweit in den folgenden Vorschriften nicht etwas anderes bestimmt ist.

(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, daß die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind. In der Rechtsverordnung kann ferner bestimmt werden, inwieweit Versicherte in Unternehmen der Seefahrt auch in der Zeit gegen Berufskrankheiten versichert sind, in der sie an Land beurlaubt sind.

(1a) Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ein Ärztlicher Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten gebildet. Der Sachverständigenbeirat ist ein wissenschaftliches Gremium, das das Bundesministerium bei der Prüfung der medizinischen Erkenntnisse zur Bezeichnung neuer und zur Erarbeitung wissenschaftlicher Stellungnahmen zu bestehenden Berufskrankheiten unterstützt. Bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wird eine Geschäftsstelle eingerichtet, die den Sachverständigenbeirat bei der Erfüllung seiner Arbeit organisatorisch und wissenschaftlich, insbesondere durch die Erstellung systematischer Reviews, unterstützt. Das Nähere über die Stellung und die Organisation des Sachverständigenbeirats und der Geschäftsstelle regelt die Bundesregierung in der Rechtsverordnung nach Absatz 1.

(2) Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind.

(2a) Krankheiten, die bei Versicherten vor der Bezeichnung als Berufskrankheiten bereits entstanden waren, sind rückwirkend frühestens anzuerkennen

1.
in den Fällen des Absatzes 1 als Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die Bezeichnung in Kraft getreten ist,
2.
in den Fällen des Absatzes 2 wie eine Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorgelegen haben; hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten eine Empfehlung für die Bezeichnung einer neuen Berufskrankheit beschlossen, ist für die Anerkennung maßgebend der Tag der Beschlussfassung.

(3) Erkranken Versicherte, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach Absatz 1 genannten Berufskrankheit ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, wird vermutet, daß diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist.

(3a) Der Unfallversicherungsträger erhebt alle Beweise, die zur Ermittlung des Sachverhalts erforderlich sind. Dabei hat er neben den in § 21 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Beweismitteln auch Erkenntnisse zu berücksichtigen, die er oder ein anderer Unfallversicherungsträger an vergleichbaren Arbeitsplätzen oder zu vergleichbaren Tätigkeiten gewonnen hat. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Ermittlungen zu den Einwirkungen während der versicherten Tätigkeit dadurch erschwert sind, dass der Arbeitsplatz des Versicherten nicht mehr oder nur in veränderter Gestaltung vorhanden ist. Die Unfallversicherungsträger sollen zur Erfüllung der Aufgaben nach den Sätzen 2 und 3 einzeln oder gemeinsam tätigkeitsbezogene Expositionskataster erstellen. Grundlage für diese Kataster können die Ergebnisse aus systematischen Erhebungen, aus Ermittlungen in Einzelfällen sowie aus Forschungsvorhaben sein. Die Unfallversicherungsträger können außerdem Erhebungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen durchführen.

(4) Besteht für Versicherte, bei denen eine Berufskrankheit anerkannt wurde, die Gefahr, dass bei der Fortsetzung der versicherten Tätigkeit die Krankheit wiederauflebt oder sich verschlimmert und lässt sich diese Gefahr nicht durch andere geeignete Mittel beseitigen, haben die Unfallversicherungsträger darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen. Die Versicherten sind von den Unfallversicherungsträgern über die mit der Tätigkeit verbundenen Gefahren und mögliche Schutzmaßnahmen umfassend aufzuklären. Zur Verhütung einer Gefahr nach Satz 1 sind die Versicherten verpflichtet, an individualpräventiven Maßnahmen der Unfallversicherungsträger teilzunehmen und an Maßnahmen zur Verhaltensprävention mitzuwirken; die §§ 60 bis 65a des Ersten Buches gelten entsprechend. Pflichten der Unternehmer und Versicherten nach dem Zweiten Kapitel und nach arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften bleiben hiervon unberührt. Kommen Versicherte ihrer Teilnahme- oder Mitwirkungspflicht nach Satz 3 nicht nach, können die Unfallversicherungsträger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder die Leistung einer danach erstmals festzusetzenden Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit oder den Anteil einer Rente, der auf eine danach eingetretene wesentliche Änderung im Sinne des § 73 Absatz 3 zurückgeht, bis zur Nachholung der Teilnahme oder Mitwirkung ganz oder teilweise versagen. Dies setzt voraus, dass infolge der fehlenden Teilnahme oder Mitwirkung der Versicherten die Teilhabeleistungen erforderlich geworden sind oder die Erwerbsminderung oder die wesentliche Änderung eingetreten ist; § 66 Absatz 3 und § 67 des Ersten Buches gelten entsprechend.

(5) Soweit Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen.

(6) Die Bundesregierung regelt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates

1.
Voraussetzungen, Art und Umfang von Leistungen zur Verhütung des Entstehens, der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens von Berufskrankheiten,
2.
die Mitwirkung der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen bei der Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind; dabei kann bestimmt werden, daß die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen berechtigt sind, Zusammenhangsgutachten zu erstellen sowie zur Vorbereitung ihrer Gutachten Versicherte zu untersuchen oder auf Kosten der Unfallversicherungsträger andere Ärzte mit der Vornahme der Untersuchungen zu beauftragen,
3.
die von den Unfallversicherungsträgern für die Tätigkeit der Stellen nach Nummer 2 zu entrichtenden Gebühren; diese Gebühren richten sich nach dem für die Begutachtung erforderlichen Aufwand und den dadurch entstehenden Kosten.

(7) Die Unfallversicherungsträger haben die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständige Stelle über den Ausgang des Berufskrankheitenverfahrens zu unterrichten, soweit ihre Entscheidung von der gutachterlichen Stellungnahme der zuständigen Stelle abweicht.

(8) Die Unfallversicherungsträger wirken bei der Gewinnung neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse insbesondere zur Fortentwicklung des Berufskrankheitenrechts mit; sie sollen durch eigene Forschung oder durch Beteiligung an fremden Forschungsvorhaben dazu beitragen, den Ursachenzusammenhang zwischen Erkrankungshäufigkeiten in einer bestimmten Personengruppe und gesundheitsschädlichen Einwirkungen im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit aufzuklären. Die Verbände der Unfallversicherungsträger veröffentlichen jährlich einen gemeinsamen Bericht über ihre Forschungsaktivitäten und die Forschungsaktivitäten der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Bericht erstreckt sich auf die Themen der Forschungsvorhaben, die Höhe der aufgewendeten Mittel sowie die Zuwendungsempfänger und Forschungsnehmer externer Projekte.

(9) Die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen dürfen zur Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind, Daten verarbeiten sowie zur Vorbereitung von Gutachten Versicherte untersuchen, soweit dies im Rahmen ihrer Mitwirkung nach Absatz 6 Nr. 2 erforderlich ist; sie dürfen diese Daten insbesondere an den zuständigen Unfallversicherungsträger übermitteln. Die erhobenen Daten dürfen auch zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren gespeichert, verändert, genutzt, übermittelt oder in der Verarbeitung eingeschränkt werden. Soweit die in Satz 1 genannten Stellen andere Ärzte mit der Vornahme von Untersuchungen beauftragen, ist die Übermittlung von Daten zwischen diesen Stellen und den beauftragten Ärzten zulässig, soweit dies im Rahmen des Untersuchungsauftrages erforderlich ist.

Der Ausbildungsberuf Berufskraftfahrer/Berufskraftfahrerin wird staatlich anerkannt.

(1) Kraft Gesetzes sind versichert

1.
Beschäftigte,
2.
Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung in Betriebsstätten, Lehrwerkstätten, Schulungskursen und ähnlichen Einrichtungen,
3.
Personen, die sich Untersuchungen, Prüfungen oder ähnlichen Maßnahmen unterziehen, die aufgrund von Rechtsvorschriften zur Aufnahme einer versicherten Tätigkeit oder infolge einer abgeschlossenen versicherten Tätigkeit erforderlich sind, soweit diese Maßnahmen vom Unternehmen oder einer Behörde veranlaßt worden sind,
4.
behinderte Menschen, die in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen, bei einem anderen Leistungsanbieter nach § 60 des Neunten Buches oder in Blindenwerkstätten im Sinne des § 226 des Neunten Buches oder für diese Einrichtungen in Heimarbeit tätig sind,
5.
Personen, die
a)
Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens sind und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
b)
im landwirtschaftlichen Unternehmen nicht nur vorübergehend mitarbeitende Familienangehörige sind,
c)
in landwirtschaftlichen Unternehmen in der Rechtsform von Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften regelmäßig wie Unternehmer selbständig tätig sind,
d)
ehrenamtlich in Unternehmen tätig sind, die unmittelbar der Sicherung, Überwachung oder Förderung der Landwirtschaft überwiegend dienen,
e)
ehrenamtlich in den Berufsverbänden der Landwirtschaft tätig sind,
wenn für das Unternehmen die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft zuständig ist.
6.
Hausgewerbetreibende und Zwischenmeister sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
7.
selbständig tätige Küstenschiffer und Küstenfischer, die zur Besatzung ihres Fahrzeugs gehören oder als Küstenfischer ohne Fahrzeug fischen und regelmäßig nicht mehr als vier Arbeitnehmer beschäftigen, sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
8.
a)
Kinder während des Besuchs von Tageseinrichtungen, deren Träger für den Betrieb der Einrichtungen der Erlaubnis nach § 45 des Achten Buches oder einer Erlaubnis aufgrund einer entsprechenden landesrechtlichen Regelung bedürfen, während der Betreuung durch geeignete Tagespflegepersonen im Sinne von § 23 des Achten Buches sowie während der Teilnahme an vorschulischen Sprachförderungskursen, wenn die Teilnahme auf Grund landesrechtlicher Regelungen erfolgt,
b)
Schüler während des Besuchs von allgemein- oder berufsbildenden Schulen und während der Teilnahme an unmittelbar vor oder nach dem Unterricht von der Schule oder im Zusammenwirken mit ihr durchgeführten Betreuungsmaßnahmen,
c)
Studierende während der Aus- und Fortbildung an Hochschulen,
9.
Personen, die selbständig oder unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege tätig sind,
10.
Personen, die
a)
für Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts oder deren Verbände oder Arbeitsgemeinschaften, für die in den Nummern 2 und 8 genannten Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen Fällen mit schriftlicher Genehmigung von Gebietskörperschaften ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
b)
für öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften und deren Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen Fällen mit schriftlicher Genehmigung von öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
11.
Personen, die
a)
von einer Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts zur Unterstützung einer Diensthandlung herangezogen werden,
b)
von einer dazu berechtigten öffentlichen Stelle als Zeugen zur Beweiserhebung herangezogen werden,
12.
Personen, die in Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen oder im Zivilschutz unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen dieser Unternehmen einschließlich der satzungsmäßigen Veranstaltungen, die der Nachwuchsförderung dienen, teilnehmen,
13.
Personen, die
a)
bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten oder einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retten,
b)
Blut oder körpereigene Organe, Organteile oder Gewebe spenden oder bei denen Voruntersuchungen oder Nachsorgemaßnahmen anlässlich der Spende vorgenommen werden,
c)
sich bei der Verfolgung oder Festnahme einer Person, die einer Straftat verdächtig ist oder zum Schutz eines widerrechtlich Angegriffenen persönlich einsetzen,
d)
Tätigkeiten als Notärztin oder Notarzt im Rettungsdienst ausüben, wenn diese Tätigkeiten neben
aa)
einer Beschäftigung mit einem Umfang von regelmäßig mindestens 15 Stunden wöchentlich außerhalb des Rettungsdienstes oder
bb)
einer Tätigkeit als zugelassener Vertragsarzt oder als Arzt in privater Niederlassung
ausgeübt werden,
14.
Personen, die
a)
nach den Vorschriften des Zweiten oder des Dritten Buches der Meldepflicht unterliegen, wenn sie einer besonderen, an sie im Einzelfall gerichteten Aufforderung der Bundesagentur für Arbeit, des nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Zweiten Buches zuständigen Trägers oder eines nach § 6a des Zweiten Buches zugelassenen kommunalen Trägers nachkommen, diese oder eine andere Stelle aufzusuchen,
b)
an einer Maßnahme teilnehmen, wenn die Person selbst oder die Maßnahme über die Bundesagentur für Arbeit, einen nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Zweiten Buches zuständigen Träger oder einen nach § 6a des Zweiten Buches zugelassenen kommunalen Träger gefördert wird,
15.
Personen, die
a)
auf Kosten einer Krankenkasse oder eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der landwirtschaftlichen Alterskasse stationäre oder teilstationäre Behandlung oder stationäre, teilstationäre oder ambulante Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhalten,
b)
zur Vorbereitung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auf Aufforderung eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit einen dieser Träger oder eine andere Stelle aufsuchen,
c)
auf Kosten eines Unfallversicherungsträgers an vorbeugenden Maßnahmen nach § 3 der Berufskrankheiten-Verordnung teilnehmen,
d)
auf Kosten eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung, der landwirtschaftlichen Alterskasse oder eines Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung an Präventionsmaßnahmen teilnehmen,
16.
Personen, die bei der Schaffung öffentlich geförderten Wohnraums im Sinne des Zweiten Wohnungsbaugesetzes oder im Rahmen der sozialen Wohnraumförderung bei der Schaffung von Wohnraum im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 des Wohnraumförderungsgesetzes oder entsprechender landesrechtlicher Regelungen im Rahmen der Selbsthilfe tätig sind,
17.
Pflegepersonen im Sinne des § 19 Satz 1 und 2 des Elften Buches bei der Pflege eines Pflegebedürftigen mit mindestens Pflegegrad 2 im Sinne der §§ 14 und 15 Absatz 3 des Elften Buches; die versicherte Tätigkeit umfasst pflegerische Maßnahmen in den in § 14 Absatz 2 des Elften Buches genannten Bereichen sowie Hilfen bei der Haushaltsführung nach § 18 Absatz 5a Satz 3 Nummer 2 des Elften Buches.

(1a) Versichert sind auch Personen, die nach Erfüllung der Schulpflicht auf der Grundlage einer schriftlichen Vereinbarung im Dienst eines geeigneten Trägers im Umfang von durchschnittlich mindestens acht Wochenstunden und für die Dauer von mindestens sechs Monaten als Freiwillige einen Freiwilligendienst aller Generationen unentgeltlich leisten. Als Träger des Freiwilligendienstes aller Generationen geeignet sind inländische juristische Personen des öffentlichen Rechts oder unter § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes fallende Einrichtungen zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger oder kirchlicher Zwecke (§§ 52 bis 54 der Abgabenordnung), wenn sie die Haftpflichtversicherung und eine kontinuierliche Begleitung der Freiwilligen und deren Fort- und Weiterbildung im Umfang von mindestens durchschnittlich 60 Stunden je Jahr sicherstellen. Die Träger haben fortlaufende Aufzeichnungen zu führen über die bei ihnen nach Satz 1 tätigen Personen, die Art und den Umfang der Tätigkeiten und die Einsatzorte. Die Aufzeichnungen sind mindestens fünf Jahre lang aufzubewahren.

(2) Ferner sind Personen versichert, die wie nach Absatz 1 Nr. 1 Versicherte tätig werden. Satz 1 gilt auch für Personen, die während einer aufgrund eines Gesetzes angeordneten Freiheitsentziehung oder aufgrund einer strafrichterlichen, staatsanwaltlichen oder jugendbehördlichen Anordnung wie Beschäftigte tätig werden.

(3) Absatz 1 Nr. 1 gilt auch für

1.
Personen, die im Ausland bei einer amtlichen Vertretung des Bundes oder der Länder oder bei deren Leitern, Mitgliedern oder Bediensteten beschäftigt und in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 4 Absatz 1 Satz 2 des Sechsten Buches pflichtversichert sind,
2.
Personen, die
a)
im Sinne des Entwicklungshelfer-Gesetzes Entwicklungsdienst oder Vorbereitungsdienst leisten,
b)
einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst „weltwärts” im Sinne der Richtlinie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vom 1. August 2007 (BAnz. 2008 S. 1297) leisten,
c)
einen Internationalen Jugendfreiwilligendienst im Sinne der Richtlinie Internationaler Jugendfreiwilligendienst des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 20. Dezember 2010 (GMBl S. 1778) leisten,
3.
Personen, die
a)
eine Tätigkeit bei einer zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Organisation ausüben und deren Beschäftigungsverhältnis im öffentlichen Dienst während dieser Zeit ruht,
b)
als Lehrkräfte vom Auswärtigen Amt durch das Bundesverwaltungsamt an Schulen im Ausland vermittelt worden sind oder
c)
für ihre Tätigkeit bei internationalen Einsätzen zur zivilen Krisenprävention als Sekundierte nach dem Sekundierungsgesetz abgesichert werden.
Die Versicherung nach Satz 1 Nummer 3 Buchstabe a und c erstreckt sich auch auf Unfälle oder Krankheiten, die infolge einer Verschleppung oder einer Gefangenschaft eintreten oder darauf beruhen, dass der Versicherte aus sonstigen mit seiner Tätigkeit zusammenhängenden Gründen, die er nicht zu vertreten hat, dem Einflussbereich seines Arbeitgebers oder der für die Durchführung seines Einsatzes verantwortlichen Einrichtung entzogen ist. Gleiches gilt, wenn Unfälle oder Krankheiten auf gesundheitsschädigende oder sonst vom Inland wesentlich abweichende Verhältnisse bei der Tätigkeit oder dem Einsatz im Ausland zurückzuführen sind. Soweit die Absätze 1 bis 2 weder eine Beschäftigung noch eine selbständige Tätigkeit voraussetzen, gelten sie abweichend von § 3 Nr. 2 des Vierten Buches für alle Personen, die die in diesen Absätzen genannten Tätigkeiten im Inland ausüben; § 4 des Vierten Buches gilt entsprechend. Absatz 1 Nr. 13 gilt auch für Personen, die im Ausland tätig werden, wenn sie im Inland ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

(4) Familienangehörige im Sinne des Absatzes 1 Nr. 5 Buchstabe b sind

1.
Verwandte bis zum dritten Grade,
2.
Verschwägerte bis zum zweiten Grade,
3.
Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 2 des Ersten Buches)
der Unternehmer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner.

(1) Auf schriftlichen oder elektronischen Antrag können sich versichern

1.
Unternehmer und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner; ausgenommen sind Haushaltsführende, Unternehmer von nicht gewerbsmäßig betriebenen Binnenfischereien, von nicht gewerbsmäßig betriebenen Unternehmen nach § 123 Abs. 1 Nr. 2 und ihre Ehegatten oder Lebenspartner sowie Fischerei- und Jagdgäste,
2.
Personen, die in Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften regelmäßig wie Unternehmer selbständig tätig sind,
3.
gewählte oder beauftragte Ehrenamtsträger in gemeinnützigen Organisationen,
4.
Personen, die in Verbandsgremien und Kommissionen für Arbeitgeberorganisationen und Gewerkschaften sowie anderen selbständigen Arbeitnehmervereinigungen mit sozial- oder berufspolitischer Zielsetzung (sonstige Arbeitnehmervereinigungen) ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
5.
Personen, die ehrenamtlich für Parteien im Sinne des Parteiengesetzes tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen.
In den Fällen des Satzes 1 Nummer 3 kann auch die Organisation, für die die Ehrenamtsträger tätig sind, oder ein Verband, in dem die Organisation Mitglied ist, den Antrag stellen; eine namentliche Bezeichnung der Versicherten ist in diesen Fällen nicht erforderlich. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 4 und 5 gilt Satz 2 entsprechend.

(2) Die Versicherung beginnt mit dem Tag, der dem Eingang des Antrags folgt. Die Versicherung erlischt, wenn der Beitrag oder Beitragsvorschuß binnen zwei Monaten nach Fälligkeit nicht gezahlt worden ist. Eine Neuanmeldung bleibt so lange unwirksam, bis der rückständige Beitrag oder Beitragsvorschuß entrichtet worden ist.

Der Auszubildende hat ein Berichtsheft in Form eines Ausbildungsnachweises zu führen. Ihm ist Gelegenheit zu geben, das Berichtsheft während der Ausbildungszeit zu führen. Der Ausbildende hat das Berichtsheft regelmäßig durchzusehen.

Tenor

1. Verwirft ein oberstes Bundesgericht die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision, weil es alle wesentlichen Aspekte einer Verfassungsfrage bereits als in seiner Rechtsprechung geklärt ansieht, steht dies der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht entgegen, wenn der Beschwerdeführer vernünftige und gewichtige Gründe für eine Überprüfung dieser Rechtsfrage anführen kann und es sich um eine ungeklärte verfassungsrechtliche Frage handelt.

2. Der gesetzliche Anspruch auf Arbeitslosenhilfe nach den §§ 190 bis 206 Sozialgesetzbuch Drittes Buch in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung unterlag nicht dem grundrechtlichen Eigentumsschutz des Art. 14 Abs. 1 GG.

3. Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe mit Wirkung zum 1. Januar 2005 ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe zum 1. Januar 2005.

I.

2

1. Die gesetzliche Trennung zwischen einer beitragsfinanzierten "regulären" Entgeltersatzleistung wegen Arbeitslosigkeit und einer steuerfinanzierten Leistung für bestimmte Ausnahmefälle steht in einer jahrzehntelangen Tradition.

3

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde im Jahr 1918 in Deutschland erstmals eine Erwerbslosenfürsorge eingeführt und zwar für arbeitsfähige und arbeitswillige Personen über 14 Jahre, die sich infolge des Krieges durch Erwerbslosigkeit in bedürftiger Lage befanden (§ 6 Satz 1 der Verordnung über Erwerbslosenfürsorge vom 13. November 1918, RGBl S. 1305). Die Mittel zu ihrer Finanzierung wurden zunächst zu fünf Sechsteln vom Reich und dem zuständigen Bundesstaat und im Übrigen von der jeweiligen Gemeinde aufgebracht, wobei für leistungsschwache Gemeinden oder einzelne Bezirke eine Erhöhung der Reichsbeihilfe bewilligt werden konnte (§ 4 Sätze 1 und 2 der Verordnung). Mit § 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 3 der Verordnung über die Aufbringung der Mittel für die Erwerbslosenfürsorge vom 13. Oktober 1923 (RGBl I S. 946) wurde die Finanzierung geändert. Ein erheblicher Teil des "notwendigen Aufwandes" für die Erwerbslosenfürsorge wurde nun durch Beiträge der Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgebracht und gemeinsam mit den Krankenkassenbeiträgen erhoben. Diese Regelung wurde später in die §§ 33 ff. der Verordnung über Erwerbslosenfürsorge in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. Februar 1924 (RGBl I S. 127) aufgenommen.

4

Durch Gesetz vom 19. November 1926 (RGBl I S. 489) wurde dann eine Krisenfürsorge für Erwerbslose eingeführt. Sie ist als Vorläufer der Arbeitslosenhilfe anzusehen (vgl. BVerfGE 9, 20 <22>) und diente vor allem zur Absicherung von Arbeitslosen, die ihren Anspruch auf Erwerbslosenfürsorge erschöpft hatten (§ 1 Abs. 1 des Gesetzes). Wegen der Leistungsvoraussetzungen verwies das Gesetz in § 2 auf die Vorschriften zur Erwerbslosenfürsorge; jedoch waren die finanziellen Mittel zu drei Vierteln vom Reich und zu einem Viertel von den Gemeinden aufzubringen (§ 7 Abs. 1 des Gesetzes).

5

Mit dem Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) vom 16. Juli 1927 (RGBl I S. 187) wurde schließlich die Arbeitslosenversicherung errichtet. Sie umfasste einerseits die Arbeitslosenunterstützung und andererseits eine Krisenunterstützung, die "in Zeiten andauernd besonders ungünstiger Arbeitsmarktlage" vom Reichsarbeitsminister für bedürftige Arbeitslose, die keinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung hatten, zugelassen werden konnte (§ 101 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Abs. 2 AVAVG). Während sich die Höhe der Arbeitslosenunterstützung nach dem zuletzt erzielten Arbeitsentgelt (§§ 104, 105 AVAVG) zuzüglich Familienzuschlägen (§ 103 AVAVG) richtete, konnten die Höhe und die Dauer der Krisenunterstützung vom Reichsarbeitsminister beschränkt werden (§ 101 Abs. 1 Satz 3 AVAVG). Die von der Reichsanstalt für Arbeit zur Durchführung ihrer Aufgaben benötigten Mittel wurden durch Beiträge der Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgebracht (§ 142 AVAVG); "von dem notwendigen Aufwand" für die Krisenunterstützung trugen hingegen das Reich 80 % und die Gemeinden 20 % (§ 167 Abs. 1 AVAVG). Ihre endgültige Gestalt erhielt die Arbeitslosenhilfe durch das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 23. Dezember 1956 (BGBl I S. 1018; §§ 141 bis 141m AVAVG, später §§ 144 bis 156 AVAVG in der Fassung vom 3. April 1957, BGBl I S. 322). Das Gesetz sah nunmehr eine Unterstützung Arbeitsloser in den Formen des Arbeitslosengeldes und der Arbeitslosenhilfe vor. Im Gegensatz zum Arbeitslosengeld setzte der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe Bedürftigkeit voraus (§ 145 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AVAVG). Die Aufwendungen für die Arbeitslosenhilfe trug nach § 1 Satz 2 AVAVG der Bund.

6

Das am 1. Juli 1969 in Kraft getretene Arbeitsförderungsgesetz (AFG) vom 25. Juni 1969 (BGBl I S. 582) änderte hieran wenig. Arbeitslosenhilfe wurde weiterhin nur an bedürftige Arbeitslose erbracht (§ 134 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AFG). Die Höhe der Leistung richtete sich nach dem früheren Arbeitsentgelt, jedoch in niedrigerem Anteil als beim Arbeitslosengeld; die Kosten trug der Bund (§ 188 Satz 1 AFG).

7

Der Übergang vom Arbeitsförderungsgesetz zu dem ab dem 1. Januar 1998 geltenden Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) brachte in dieser Hinsicht ebenfalls keine wesentlichen Änderungen. Allerdings wurde durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch vom 22. Dezember 1999 (BGBl I S. 2624) die originäre Arbeitslosenhilfe, die in Sonderfällen ohne vorherigen Bezug von Arbeitslosengeld geleistet wurde, mit Wirkung zum 1. Januar 2000 gestrichen (vgl. BVerfGK 6, 126).

8

2. Die Arbeitslosenhilfe war in ihrer letzten, bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Form in den §§ 190 bis 206 SGB III a.F. geregelt. Es handelte sich um eine aus Steuermitteln finanzierte Entgeltersatzleistung bei Arbeitslosigkeit (§ 363 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F.), die von der Bundesagentur für Arbeit im Auftrag des Bundes erbracht wurde (§ 205 Satz 1 SGB III a.F.). Sie war auf der Tatbestandsseite bedürftigkeitsabhängig (§ 190 Abs. 1 Nr. 5, §§ 193, 194 SGB III a.F.), orientierte sich auf der Rechtsfolgenseite jedoch nicht am Bedarf des Empfängers, sondern an dessen letztem Arbeitsentgelt. Die Arbeitslosenhilfe belief sich auf einen bestimmten Prozentsatz eines pauschalierten Nettoarbeitsentgelts. Der auf diese Weise errechnete Betrag verminderte sich um das im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung anzurechnende Einkommen und Vermögen des Hilfeempfängers (§ 195 Satz 2 SGB III a.F.).

9

Der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe setzte neben der Bedürftigkeit voraus, dass der Arbeitnehmer arbeitslos war (§ 190 Abs. 1 Nr. 1 SGB III a.F.), sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet hatte (§ 190 Abs. 1 Nr. 2 SGB III a.F.), er keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld besaß, weil er die Anwartschaftszeit nicht erfüllt hatte (§ 190 Abs. 1 Nr. 3 SGB III a.F.), und er in einer Vorfrist Arbeitslosengeld bezogen hatte, ohne dass der Anspruch wegen des Eintritts von Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt 21 Wochen erloschen war (§ 190 Abs. 1 Nr. 4 SGB III a.F.). Der Arbeitslose musste ferner eine versicherungspflichtige, mindestens fünfzehn Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung suchen (§ 118 Abs. 1 Nr. 2 SGB III a.F.) und den Vermittlungsbemühungen der Arbeitsverwaltung zur Verfügung stehen, um einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe zu haben (vgl. Straub, in: Schönefelder/Kranz/Wanka, SGB III, 3. Aufl., § 190 Rn. 18 ).

10

Die Arbeitslosenhilfe wurde in Zeitabschnitten bewilligt, wobei § 190 Abs. 3 Satz 2 SGB III a.F. ausdrücklich anordnete, dass vor einer erneuten Bewilligung die Voraussetzungen des Anspruchs zu prüfen waren. Der Prüfungsumfang umfasste sämtliche Leistungsvoraussetzungen dem Grunde und der Höhe nach ohne Bindung an frühere Bescheide; lediglich ein früher bereits gestellter Arbeitslosenhilfeantrag wirkte fort (vgl. Krauß, in: PK-SGB III, 2. Aufl. 2004, § 190 Rn. 41 f.). Nach § 190 Abs. 3 Satz 1 SGB III in der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung sollte Arbeitslosenhilfe jeweils für längstens ein Jahr bewilligt werden.

11

3. Durch Art. 3 Nr. 14 des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl I S. 2954) wurde § 190 Abs. 3 Satz 1 SGB III dahingehend geändert, dass Arbeitslosenhilfe längstens bis zum 31. Dezember 2004 bewilligt werden durfte. Diese Änderung trat gemäß Art. 61 Abs. 2 des Gesetzes am 1. Januar 2004 in Kraft. Durch Art. 3 Nr. 15 des Gesetzes wurden die §§ 190 bis 206 SGB III aufgehoben. Die Änderung trat nach Art. 61 Abs. 1 des Gesetzes zum 1. Januar 2005 in Kraft. Hierdurch ist die Arbeitslosenhilfe ab dem 1. Januar 2005 vollständig aus dem Leistungskatalog der Arbeitsförderung gestrichen worden. An ihre Stelle ist das Arbeitslosengeld II nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - getreten. Im Unterschied zur Arbeitslosenhilfe knüpft die Berechnung des Arbeitslosengeldes II nicht mehr an das frühere Einkommen des Hilfebedürftigen an, sondern orientiert sich - wie die Sozialhilfe - grundsätzlich an dessen Bedarf.

12

4. Nach § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III haben Arbeitnehmer Anspruch auf Arbeitslosengeld, die das 58. Lebensjahr vollendet haben und die Regelvoraussetzungen des Anspruchs allein deshalb nicht erfüllen, weil sie nicht arbeitsbereit sind und nicht alle Möglichkeiten nutzen oder nutzen wollen, um ihre Beschäftigungslosigkeit zu beenden. Die Vorschrift war nach § 198 Satz 2 Nr. 3 SGB III a.F. ebenfalls auf die Arbeitslosenhilfe anwendbar. Der in § 428 Abs. 1 SGB III geregelte Rechtszustand tritt in der Praxis ein, wenn der Arbeitslose gegenüber der Bundesagentur für Arbeit eine entsprechende Erklärung abgibt (vgl. Brandts, in: Niesel/Brand , SGB III, 5. Aufl. 2010, § 428 Rn. 5).

13

Die Möglichkeit, Arbeitslosenhilfe unter diesen erleichterten Voraussetzungen in Anspruch zu nehmen, war von Anfang an nur befristet angelegt: § 428 geht zurück auf § 105c AFG, der mit Wirkung zum 1. Januar 1986 als Reaktion auf die Arbeitslosigkeit der 1980er Jahre eingeführt worden war (Art. 1 Nr. 20 des Siebten Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes vom 20. Dezember 1985, BGBl I S. 2484). Zunächst galt die Vorschrift nur für Fälle, in denen der Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung vor dem 1. Januar 1990 entstanden war und der Arbeitslose vor diesem Tag das 58. Lebensjahr vollendet hatte. Diese Befristung wurde wiederholt verlängert und schließlich in das am 1. Januar 1998 in Kraft getretene Sozialgesetzbuch Drittes Buch übergeleitet. Dort wurde sie im Jahr 2000 (Art. 2 des Zweiten Gesetzes zur Fortentwicklung der Altersteilzeit vom 27. Juni 2000, BGBl I S. 910) bis zum 1. Januar 2006 und schließlich im Jahr 2005 (Art. 1 Nr. 21 des Fünften Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 22. Dezember 2005, BGBl I S. 3676) bis zum 1. Januar 2008 verlängert. § 428 Abs. 1 SGB III gilt insofern nur noch in Fällen, in denen der Arbeitslosengeldanspruch vor dem 1. Januar 2008 entstanden ist und der Arbeitslose vor diesem Tag das 58. Lebensjahr vollendet hat.

II.

14

1. Der 1946 geborene Beschwerdeführer zu 1) bezog bis Ende 2002 Arbeitslosengeld und anschließend Arbeitslosenhilfe. Im Juni 2004 gab er eine Erklärung im Sinne von § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III ab und bezog sodann weiter Arbeitslosenhilfe bis zum Jahresende. Seit dem 1. Juni 2006 bezieht er nach eigenen Angaben Altersrente. Seinen Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld II ab Januar 2005 lehnte der Leistungsträger mit der Begründung ab, das anzurechnende monatliche Einkommen übersteige den ermittelten Gesamtbedarf des Beschwerdeführers zu 1) und seiner Ehefrau, der Beschwerdeführerin zu 2). Ein Arbeitslosenhilfeanspruch der Beschwerdeführerin zu 2) war nicht Gegenstand des fachgerichtlichen Verfahrens.

15

Im anschließenden Klage- und Berufungsverfahren begehrte der Beschwerdeführer zu 1) erfolglos die Weiterzahlung der Arbeitslosenhilfe, hilfsweise begehrten beide Beschwerdeführer Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch.

16

Die gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Landessozialgericht gerichtete Beschwerde verwarf das Bundessozialgericht als unzulässig. Die Beschwerdeführer hätten die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht in der nach § 160a Abs. 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gebotenen Weise dargelegt, denn die Beschwerdebegründung zeige keine klärungsbedürftigen Rechtsfragen auf, sondern greife allein die Rechtsauffassung des Landessozialgerichts an. Weiterhin liege bereits höchstrichterliche sozialgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vor, ob die Arbeitslosenhilfe auch für Leistungsbezieher nach § 428 SGB III habe abgeschafft werden dürfen. Dieser Rechtsprechung seien die Beschwerdeführer nicht in der gebotenen Weise entgegengetreten, sondern hätten lediglich solche Argumente wiederholt, mit denen sich das Gericht bereits in früheren Entscheidungen auseinandergesetzt habe.

17

2. Mit der Verfassungsbeschwerde verfolgen die Beschwerdeführer nur den Antrag auf Weiterzahlung der Arbeitslosenhilfe weiter. Sie rügen Verstöße gegen Art. 14 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 jeweils in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

18

Art. 14 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG sei verletzt, da der Arbeitslosenhilfeanspruch des Beschwerdeführers zu 1) auf einer beinahe vierzigjährigen Beitragsleistung zur Arbeitslosenversicherung beruht habe. Da ein Arbeitslosenhilfeanspruch nach dem zuletzt geltenden Recht nur nach dem Erwerb einer Arbeitslosengeldanwartschaft bestanden habe, könne es nicht darauf ankommen, aus welchem Etat die Arbeitslosenhilfe finanziert worden sei.

19

Weiterhin verstoße die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe jedenfalls für die unter § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III fallenden Bezieher wegen unechter Rückwirkung gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes. Der Beschwerdeführer zu 1) habe im Vertrauen darauf, er werde bis zum Eintritt in die Altersrente Leistungen in einer an seinem letzten Einkommen orientierten Höhe erhalten, durch die Erklärung im Sinne von § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III seine "Vermittlungsrechte gegenüber der Arbeitsverwaltung" aufgegeben. Dieses Vertrauen sei nicht nur aus der Erklärung selbst, sondern auch aus ihren Folgen - dem Verlust des Kontakts zum Arbeitsmarkt sowie fehlenden Angeboten und Qualifizierungsmaßnahmen - erwachsen, denn an den hierdurch entstandenen Schwierigkeiten trage der Staat eine erhebliche Mitverantwortung.

III.

20

Zu den Verfassungsbeschwerden haben sich als sachkundige Dritte (§ 27a BVerfGG) der Deutsche Gewerkschaftsbund und der Deutsche Sozialgerichtstag e.V. geäußert.

21

1. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hält die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe jedenfalls für Leistungsbezieher nach § 428 Abs. 1 SGB III für verfassungswidrig. Der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe habe Eigentumsschutz genossen. Die Finanzierung aus Steuermitteln stehe dem nicht entgegen, da der Bezug von Anschlussarbeitslosenhilfe das Bestehen einer Arbeitslosengeldanwartschaft vorausgesetzt habe. Gerade ältere Arbeitslose hätten in der Regel jahrzehntelang Beiträge zur Arbeitslosenversicherung in erheblichem Umfang geleistet, denen schon angesichts der Zwangsmitgliedschaft in dieser Versicherung ein ausreichendes Leistungsäquivalent gegenüber stehen müsse. Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe begründe einen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG. Sie verstoße jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden gegen das Vertrauensschutzprinzip.

22

2. Der Deutsche Sozialgerichtstag e.V. sieht in der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe - auch für die Bezieher nach § 428 Abs. 1 SGB III - keinen Verfassungsverstoß. Der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe sei zwar Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG. Allerdings sei der Eingriff gerechtfertigt. Die Erhaltung der Funktions- und Leistungsfähigkeit des sozialen Sicherungssystems der "(materiellen) Sozialhilfe", zu der auch die Arbeitslosenhilfe gezählt habe, stelle einen legitimierenden Eingriffsgrund dar. Dieser Eingriff sei verhältnismäßig. Es liege kein Verstoß gegen das Vertrauensschutzprinzip vor.

B.

23

Die Verfassungsbeschwerden sind teilweise unzulässig.

I.

24

1. Soweit sich der Beschwerdeführer zu 1) gegen die Entscheidung des Bundessozialgerichts wendet, mit dem seine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision als unzulässig verworfen wurde, ist die Verfassungsbeschwerde bereits unzulässig, weil sie nicht hinreichend begründet wurde (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG). Werden mehrere gerichtliche Entscheidungen, die auf verschiedenen Gründen beruhen, mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen, bedarf es der Auseinandersetzung mit jeder einzelnen Entscheidung (vgl. BVerfGE 82, 43 <49>; 86, 122 <127>; Magen, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, 2. Aufl. 2005, § 92 Rn. 45). Da das Bundessozialgericht keine Entscheidung in der Sache getroffen hat, gehen die materiellen Ausführungen des Beschwerdeführers zu 1) ins Leere (vgl. BVerfGE 103, 172 <181 f.>). Mit den prozessualen Ausführungen des Bundessozialgerichts setzt er sich nicht auseinander; er behauptet insbesondere keine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG durch die Entscheidung des Bundessozialgerichts.

25

2. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 1) gegen die Entscheidungen des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts sowie die vorangegangenen Behördenentscheidungen richtet, ist sie zulässig.

26

Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass das Bundessozialgericht die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen hat. Zwar ist eine Verfassungsbeschwerde mangels ordnungsgemäßer Rechtswegerschöpfung in der Regel unzulässig, wenn ein an sich gegebenes Rechtsmittel mangels Nutzung der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten erfolglos bleibt (vgl. BVerfGE 74, 102 <114>; BVerfGK 1, 222 <223>; stRspr). Es ist verfassungsrechtlich dabei insbesondere unbedenklich, die Beschreitung des Rechtswegs von der Erfüllung bestimmter formaler Voraussetzungen abhängig zu machen (vgl. BVerfGE 10, 264 <267 f.>). Da jedoch ein Beschwerdeführer wegen der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde auch dann verpflichtet ist, von einem Rechtsbehelf Gebrauch zu machen, wenn dessen Zulässigkeit im konkreten Fall unterschiedlich beurteilt werden kann (vgl. BVerfGE 47, 168 <175>), können ihm keine Nachteile daraus erwachsen, wenn sich ein solcher Rechtsbehelf später als unzulässig erweist. Anders liegen die Dinge nur bei einem offensichtlich unzulässigen oder nicht ordnungsgemäß genutzten Rechtsbehelf.

27

Im vorliegenden Fall kann dem Beschwerdeführer zu 1) aber nicht angelastet werden, den Rechtsweg nicht in gehöriger Weise erschöpft zu haben. Seiner Nichtzulassungsbeschwerde lässt sich entnehmen, dass er die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe für diejenigen Bezieher von Arbeitslosenhilfe, die von der Regelung des § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III Gebrauch gemacht haben, als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufwerfen wollte. Dass das Bundessozialgericht wegen seiner eigenen Rechtsprechung dazu die Klärungsbedürftigkeit in einem Revisionsverfahren verneint und deshalb die Beschwerde als unzulässig verworfen hat, kann ihm im Rahmen der Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde nicht entgegengehalten werden. Selbst wenn in der Rechtsprechung eines obersten Fachgerichts nach dessen Auffassung bereits alle wesentlichen Aspekte einer Verfassungsfrage gewürdigt wurden, ist es einem Beschwerdeführer möglich und verfassungsrechtlich auch bei Berücksichtigung des Grundsatzes der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde zulässig, eine verfassungsgerichtliche Überprüfung dieser Würdigung zu begehren, wenn er dafür vernünftige und gewichtige Gründe anführen kann und es sich um eine verfassungsrechtliche Frage handelt, die umstritten geblieben ist und über die das Bundesverfassungsgericht noch nicht entschieden hat (vgl. BVerfGE 91, 93 <106>).

II.

28

Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 2) ist unzulässig. Ihr fehlt es bereits an einer nach § 90 Abs. 1 BVerfGG erforderlichen Behauptung, in eigenen Rechten verletzt zu sein. Inhaber eines Arbeitslosenhilfeanspruchs war allein der Beschwerdeführer zu 1). Dass auch die Beschwerdeführerin zu 2) einen derartigen Anspruch gehabt haben soll, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

C.

29

Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 1) ist unbegründet. Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe verstößt weder gegen Art. 14 Abs. 1 GG noch gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Auch die hierauf beruhenden Entscheidungen des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts sowie die vorangegangenen Behördenentscheidungen sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

I.

30

Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe verletzt den Beschwerdeführer zu 1) nicht in seinem Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG, da der gesetzliche Anspruch auf Arbeitslosenhilfe kein Eigentum im Sinne dieses Grundrechts ist. Dies gilt auch für die nach Maßgabe von § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III bezogene Arbeitslosenhilfe.

31

1. a) Sozialrechtliche Ansprüche genießen nur dann grundrechtlichen Eigentumsschutz, wenn es sich um vermögenswerte Rechtspositionen handelt, die dem Rechtsträger nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts privatnützig zugeordnet sind, auf nicht unerheblichen Eigenleistungen beruhen und seiner Existenzsicherung dienen (vgl. BVerfGE 69, 272 <300>; 92, 365 <405>; 97, 217 <284>; 100, 1 <32 f.>).

32

Für die Anerkennung einer sozialversicherungsrechtlichen Rechtsposition als Eigentum im Sinne von Art. 14 Abs. 1 GG ist eine an den Versicherungsträger erbrachte Eigenleistung notwendig (vgl. BVerfGE 116, 96 <121>). Nur als Äquivalent einer nicht unerheblichen eigenen Leistung, die der besondere Grund für die Anerkennung als Eigentumsposition ist, erfahren sozialversicherungsrechtliche Anwartschaften den Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 53, 257 <291 f.>, 100, 1 <33>). Nicht von Art. 14 Abs. 1 GG geschützt sind demgegenüber Rechtsstellungen und gesetzliche Ansprüche, soweit sie vorwiegend auf staatlicher Gewährung beruhen (vgl. BVerfGE 22, 241 <253>; 24, 220 <226>; 53, 257 <291 f.>; 100, 1 <33>; 116, 96 <121 f.>).

33

b) Auf dieser Grundlage unterfällt der gesetzliche Anspruch auf Arbeitslosenhilfe dem Grundrechtsschutz des Art. 14 Abs. 1 GG nicht, weil es an dem Beruhen auf nicht unerheblichen Eigenleistungen fehlt.

34

aa) Ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung auf der Einnahmenseite und den Aufwendungen für die Arbeitslosenhilfe auf der Ausgabenseite bestand nicht. Die Arbeitslosenhilfe wurde nicht aus Beitragseinnahmen des Leistungsträgers finanziert; diese dienten allein der Finanzierung des Arbeitslosengeldes. Die Arbeitslosenhilfe wurde hingegen im Auftrag des Bundes erbracht (§ 205 Satz 1 SGB III a.F.). Die Ausgaben für sie trug der Bund aus Steuermitteln (§ 363 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F.).

35

Diese gesetzliche Unterscheidung zwischen einer beitragsfinanzierten "regulären" Entgeltersatzleistung wegen Arbeitslosigkeit und einer steuerfinanzierten Leistung im Anschluss daran wegen Bedürftigkeit steht in einer jahrzehntelangen Tradition. Sie reicht bis zur Einführung der Krisenfürsorge als Ergänzung der seit 1923 beitragsfinanzierten Erwerbslosenfürsorge im Jahr 1926 zurück und fand im Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) von 1927 ihre feste Verankerung. Bereits hier wurde zwischen der beitragsfinanzierten und nicht bedürftigkeitsabhängigen Arbeitslosenunterstützung (§§ 87 ff., § 142 AVAVG a.F.) und der bedürftigkeitsabhängigen und nicht beitragsfinanzierten Krisenunterstützung (§§ 101, 167 AVAVG a.F.) differenziert. Später blieb es bei der Differenzierung der beiden Leistungen und ihrer unterschiedlichen Finanzierung. Der Gesetzgeber hat deshalb mit der Streichung der Arbeitslosenhilfe keine aufgrund ihrer Finanzierung aus Beiträgen eigentumsgeschützte Rechtsposition beseitigt.

36

bb) Die Arbeitslosenhilfe war finanzrechtlich auch nicht als eine aus Beiträgen und Steuermitteln mischfinanzierte Einheit konzipiert (vgl. BVerfGK 6, 266 <270 f.>). Zwischen dem Arbeitslosengeld und der Arbeitslosenhilfe bestanden grundlegende Unterschiede. Die Arbeitslosenhilfe stellte - anders als das Arbeitslosengeld - keine Leistung dar, die dem versicherungstypischen Gegenseitigkeitsverhältnis von Beiträgen und Leistungen im System der Arbeitslosenversicherung entsprang. Das Arbeitslosengeld ist eine Versicherungsleistung, die Arbeitslosenhilfe war es nicht. Ein weiterer Unterschied lag darin, dass das Arbeitslosengeld - wie auch weiterhin - zeitlich begrenzt ist, während die Arbeitslosenhilfe grundsätzlich zeitlich unbegrenzt geleistet wurde. Zudem wurde die Arbeitslosenhilfe - anders als das Arbeitslosengeld - nur bei Bedürftigkeit gewährt. Auf das Arbeitslosengeld ist allein das "mühevolle Nebeneinkommen" (Arbeitsentgelt aus einer weniger als 15 Stunden wöchentlich umfassenden Beschäftigung) nach Maßgabe von § 141 SGB III anzurechnen, während bei der Arbeitslosenhilfe zusätzlich das "mühelose Einkommen" aus anderen Quellen als der Verwertung der Arbeitskraft (etwa aus Vermietung oder Kapitalvermögen) zu berücksichtigen war. Ferner wird bei ihr das Vermögen berücksichtigt, während es beim Arbeitslosengeld ohne Bedeutung ist. Die Arbeitslosenhilfe bildete demnach eine nachrangige Leistung, die von der Bedürftigkeit im Einzelfall abhing. An diese konzeptionellen und systematischen Unterschiede zwischen Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe hat die verfassungsrechtliche Beurteilung anzuknüpfen. Sie schließen es aus, beide Leistungen finanzrechtlich als einheitlichen Gesamtanspruch zu betrachten und davon auszugehen, dass sie beide gleichermaßen durch Beiträge und Zuschüsse mischfinanziert wurden und damit auch die Arbeitslosenhilfe zum Teil auf Beitragsleistung beruhte (vgl. BVerfGK 6, 266 <270 f.>). Daran ändert nichts, dass der Gesetzgeber bei der Bemessung der Arbeitslosenhilfe grundsätzlich an das zuletzt erzielte Arbeitsentgelt des Leistungsempfängers anknüpfte (vgl. BVerfGK 6, 266 <271>).

37

cc) Es lässt sich kein hinreichender personaler Bezug zwischen der Beitragsleistung des gegen Arbeitslosigkeit Versicherten und der nach Auslaufen des Arbeitslosengeldbezugs an den Arbeitslosen erbrachten Arbeitslosenhilfe erkennen. Wie die Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die dem Eigentumsschutz des Art. 14 Abs. 1 GG nicht unterfällt (vgl. BVerfGE 97, 271 <284>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 1. März 2010 - 1 BvR 2584/06 -, NVwZ-RR 2010, S. 505 <507>), war die Arbeitslosenhilfe eine sozialpolitisch motivierte Leistung. Mit ihr sollte eine erbrachte Arbeits- und Beitragsleistung über das versicherte Ausmaß hinaus gewürdigt werden. Sie wurde ohne eine eigens hierauf bezogene oder deswegen erhöhte Beitragsleistung des Versicherten gewährt. Dementsprechend folgte auch die Kompetenz des Bundes für die Regelung der Arbeitslosenhilfe als Sozialleistung aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG (öffentliche Fürsorge), während die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Regelungen über das Arbeitslosengeld auf der Zuständigkeitsbestimmung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG für das Gebiet der Sozialversicherung beruht (vgl. BVerfGE 81, 156 <184 ff.>; 87, 234 <256>; BVerfGK 6, 266 <270>).

38

dd) Der Arbeitslosenhilfeanspruch war nicht als lediglich modifizierte Fortsetzung des Arbeitslosengeldanspruchs in Fortwirkung einer früheren Arbeits- oder Beitragsleistung konzipiert (vgl. BVerfGK 6, 266 <270 f.>). Zwar war die Arbeitslosenhilfe arbeitsförderungsrechtlich eng mit dem Arbeitslosengeld verknüpft (vgl. § 190 Abs. 1 Nr. 4, § 198 SGB III a.F.). So galten nach § 198 Satz 1 SGB III a.F. die Ansprüche auf Arbeitslosengeld und auf Arbeitslosenhilfe vorrangig abweichender gesetzlicher Bestimmungen als einheitlicher Anspruch auf Entgeltersatzleistungen bei Arbeitslosigkeit. Hieraus folgte aber nicht, dass die Beitragsleistungen auch auf den Arbeitslosenhilfeanspruch bezogen wurden. § 198 Satz 1 SGB III a.F. berührte nicht den Entstehungsgrund der jeweiligen Leistungen, sondern ordnete lediglich auf der Vollzugsebene an, dass sich Tatbestände, die für den Arbeitslosengeldanspruch rechtserheblich waren, auch auf die anschließende Arbeitslosenhilfe auswirkten. Damit reagierte der Gesetzgeber (vgl. BTDrucks 9/846, S. 47) auf eine Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSGE 48, 109), das eine während des Arbeitslosengeldbezugs eingetretene Sperrzeit für den Arbeitslosenhilfeanspruch außer Betracht ließ, und bezog sie gesetzlich wieder in die Voraussetzungen der Arbeitslosenhilfe ein (vgl. auch Krauß, in: PK-SGB III, 2. Aufl. 2004, § 198 Rn. 5).

39

ee) Der Hinweis des Beschwerdeführers zu 1) auf die lange Zeit seiner Versicherungspflicht und Beitragsleistung ändert daran nichts, denn die Arbeitslosenhilfe war nach ihrer gesetzlichen Ausgestaltung kein Äquivalent für die Beitragszahlung. Die Arbeitslosenversicherung ist als Risikoversicherung ausgestaltet, die nach Erwerb einer Anwartschaft zeitlich begrenzte Leistungen bei Arbeitslosigkeit gewährt. Der langjährigen Beitragsleistung des Beschwerdeführers zu 1) stand ab erstmaliger Erfüllung einer gesetzlich vorgesehenen Anwartschaftszeit der Vorteil gegenüber, dass er für einen entsprechend größeren Zeitraum gegen das Risiko der Arbeitslosigkeit abgesichert war.

40

Im Übrigen trägt das Arbeitsförderungsrecht der Zeitspanne des Versicherungsverhältnisses und der der Arbeitslosigkeit vorangegangenen und entrichteten Beiträge in den Regelungen zur Dauer des Arbeitslosengeldanspruchs Rechnung (§ 127 SGB III). Eine derartige Berücksichtigung kannte das Recht der Arbeitslosenhilfe nicht; es behandelte die Arbeitslosen ungeachtet der Dauer vorangehender Versicherungszeiten oder Beitragsleistungen gleich.

41

2. Die Regelung des § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III führt nicht dazu, dass der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe dem Eigentumsschutz des Art. 14 Abs. 1 GG unterlag. Ihr Inhalt vermag das Erfordernis einer nicht unerheblichen Eigenleistung des Hilfebeziehers nicht zu ersetzen. § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III modifiziert vielmehr allein eine Anspruchsvoraussetzung, lässt aber die anderen Anspruchsvoraussetzungen nicht entfallen. Gerade dadurch, dass damit der Zugang zur Arbeitslosenhilfe erleichtert wurde, tritt deren Charakter als sozialpolitisch motivierte Leistung noch deutlicher hervor. Ob ein Versicherter die einseitige Erklärung nach § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III abgab, lag in seiner freien Entscheidung. Sie war weder verbunden mit einer staatlichen Zusage einer dauerhaften Gewährung von Arbeitslosenhilfe noch stellte sie den Anspruch unter grundrechtlichen Schutz.

II.

42

Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe verstößt nicht gegen das Vertrauensschutzprinzip (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG).

43

1. Rechtsstaatsprinzip und Grundrechte begrenzen die Befugnis des Gesetzgebers, Rechtsänderungen vorzunehmen, die an Sachverhalte der Vergangenheit anknüpfen. Die Verlässlichkeit der Rechtsordnung ist eine Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen (vgl. BVerfGE 109, 133 <180>). Jedoch geht der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz nicht so weit, den Staatsbürger vor jeglicher Enttäuschung seiner Erwartung in die Dauerhaftigkeit der Rechtslage zu schützen (vgl. BVerfGE 30, 367 <389>; 68, 287 <307>; 109, 133 <180>). Die schlichte Erwartung, das geltende Recht werde auch in der Zukunft unverändert fortbestehen, ist verfassungsrechtlich nicht geschützt (vgl. BVerfGE 68, 193 <222>; 105, 17 <40>; 109, 133 <180 f.>).

44

2. Es liegt weder eine Rückwirkung vor noch war der Beschwerdeführer zu 1) aus anderen Gründen vor einer Änderung der Rechtslage geschützt.

45

a) Eine echte Rückwirkung liegt vor, wenn ein Gesetz nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift oder wenn der Beginn seiner zeitlichen Anwendung auf einen Zeitpunkt festgelegt ist, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm durch ihre Verkündung rechtlich existent, das heißt gültig geworden ist (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 21. Juli 2010 - 1 BvL 11/06 u. a. -, juris, Rn. 71 m.w.N.).

46

Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe hat keine echte Rückwirkung entfaltet. Art. 3 Nr. 14 und Nr. 15 des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, das am 29. Dezember 2003 verkündet worden ist (BGBl I S. 2954), hat den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe in früheren, bereits vollständig abgeschlossenen Bewilligungsabschnitten unberührt gelassen. Beide Regelungen wirkten sich lediglich auf zukünftige Bewilligungsabschnitte aus, indem sie zunächst eine Neu- oder Weiterbewilligung nur für die Zeit bis zum 31. Dezember 2004 zuließen (Art. 3 Nr. 14) und sodann eine Bewilligung für die Zeit ab dem 1. Januar 2005 ausschlossen (Art. 3 Nr. 15).

47

b) Eine unechte Rückwirkung oder tatbestandliche Rückanknüpfung liegt vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet (vgl. BVerfGE 69, 272 <309>; 72, 141 <154>; 101, 239 <263>; 123, 186 <257>) oder wenn die Rechtsfolgen einer Norm zwar erst nach ihrer Verkündung eintreten, deren Tatbestand aber Sachverhalte erfasst, die bereits vor der Verkündung "ins Werk gesetzt" worden sind (vgl. BVerfGE 72, 200 <242>; 97, 67 <79>; 105, 17 <37 f.>; 109, 133 <181>).

48

Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe bewirkt keine solche unechte Rückwirkung oder tatbestandliche Rückanknüpfung. Der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe hatte durch die Rechtsordnung keine Ausgestaltung erfahren, die über das Ende des jeweiligen Bewilligungsabschnitts hinaus eine verfestigte Anspruchsposition begründete. Die Arbeitslosenhilfe wurde vielmehr abschnittsweise und nur nach einer Neuprüfung der Anspruchsvoraussetzungen bewilligt (§ 190 Abs. 3 SGB III a.F.). Die einmal erfolgte Bewilligung vermochte weder in ihrem Verfügungssatz noch in den ihr zugrunde liegenden Feststellungen eine über den im Bescheid geregelten Zeitraum hinausgehende Rechtsposition zu begründen. Ein Recht, das durch den Vertrauensschutzgrundsatz gegen seine nachträgliche Entwertung hätte geschützt werden können, entstand daher frühestens mit der jeweiligen Neu- oder Weiterbewilligung der Arbeitslosenhilfe und bezog sich nur auf die Zeit bis zum Ablauf des jeweiligen Bewilligungsabschnitts.

49

Eine unabhängig vom Bewilligungsakt bestehende Erwartung des Bürgers, er werde - den Fortbestand der jeweiligen Rechtslage vorausgesetzt - in einer bestimmten zukünftigen Sachlage leistungsberechtigt sein, ist mangels hinreichender Konkretisierung kein solches geschütztes Recht. Denn die Verfassung gewährt keinen Schutz vor einer nachteiligen Veränderung der geltenden Rechtslage (vgl. BVerfGE 38, 61 <83>; 105, 17 <40>). Eine schützenswerte Rechtsposition liegt daher nicht schon in der voraussichtlichen Einschlägigkeit bestimmter Vorschriften in der Zukunft.

50

c) Besonderheiten für Arbeitslosenhilfebezieher nach § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III ergeben sich insoweit nicht. Der Umstand, dass ein Arbeitsloser die Arbeitslosenhilfe unter den besonderen Voraussetzungen von § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III in Anspruch nahm, modifizierte seine Rechtsbeziehungen zur Bundesagentur für Arbeit nicht in einer Weise, dass im Unterschied zum regulären Arbeitslosenhilfebezug ein hinreichend verfestigter Anspruch auf Arbeitslosenhilfe jenseits des aktuellen Bewilligungsabschnitts entstanden wäre. Es wurde lediglich von zwei Tatbestandsvoraussetzungen des Anspruchs abgesehen, ohne dass Inhalt und Umfang des Anspruchs sich verändert hätten. Die Abgabe der Erklärung im Sinne von § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III erweist sich nicht als Disposition des Arbeitslosen, die schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand des Anspruchs begründen konnte. § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III hat keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres oder bis zur Inanspruchnahme einer abschlagsfreien Altersrente eingeräumt.

51

d) Zudem kann sich der Beschwerdeführer zu 1) nicht auf Vertrauensschutz berufen, weil er die Erklärung im Sinne von § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III erst im Juni 2004 abgegeben hat. Bereits im Dezember 2003 war aber durch Art. 3 Nr. 14 und Nr. 15 des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl I S. 2954) festgelegt worden, dass Arbeitslosenhilfe längstens bis zum 31. Dezember 2004 bewilligt werden durfte und anschließend als Leistungsart vollständig wegfiel. Damit bestand für den Beschwerdeführer zu 1) von vornherein keine Grundlage für die Bildung schutzwürdigen Vertrauens mit dem Inhalt, dass Arbeitslosenhilfe über den 31. Dezember 2004 hinaus gewährt würde.

(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, daß die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind. In der Rechtsverordnung kann ferner bestimmt werden, inwieweit Versicherte in Unternehmen der Seefahrt auch in der Zeit gegen Berufskrankheiten versichert sind, in der sie an Land beurlaubt sind.

(1a) Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ein Ärztlicher Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten gebildet. Der Sachverständigenbeirat ist ein wissenschaftliches Gremium, das das Bundesministerium bei der Prüfung der medizinischen Erkenntnisse zur Bezeichnung neuer und zur Erarbeitung wissenschaftlicher Stellungnahmen zu bestehenden Berufskrankheiten unterstützt. Bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wird eine Geschäftsstelle eingerichtet, die den Sachverständigenbeirat bei der Erfüllung seiner Arbeit organisatorisch und wissenschaftlich, insbesondere durch die Erstellung systematischer Reviews, unterstützt. Das Nähere über die Stellung und die Organisation des Sachverständigenbeirats und der Geschäftsstelle regelt die Bundesregierung in der Rechtsverordnung nach Absatz 1.

(2) Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind.

(2a) Krankheiten, die bei Versicherten vor der Bezeichnung als Berufskrankheiten bereits entstanden waren, sind rückwirkend frühestens anzuerkennen

1.
in den Fällen des Absatzes 1 als Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die Bezeichnung in Kraft getreten ist,
2.
in den Fällen des Absatzes 2 wie eine Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorgelegen haben; hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten eine Empfehlung für die Bezeichnung einer neuen Berufskrankheit beschlossen, ist für die Anerkennung maßgebend der Tag der Beschlussfassung.

(3) Erkranken Versicherte, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach Absatz 1 genannten Berufskrankheit ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, wird vermutet, daß diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist.

(3a) Der Unfallversicherungsträger erhebt alle Beweise, die zur Ermittlung des Sachverhalts erforderlich sind. Dabei hat er neben den in § 21 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Beweismitteln auch Erkenntnisse zu berücksichtigen, die er oder ein anderer Unfallversicherungsträger an vergleichbaren Arbeitsplätzen oder zu vergleichbaren Tätigkeiten gewonnen hat. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Ermittlungen zu den Einwirkungen während der versicherten Tätigkeit dadurch erschwert sind, dass der Arbeitsplatz des Versicherten nicht mehr oder nur in veränderter Gestaltung vorhanden ist. Die Unfallversicherungsträger sollen zur Erfüllung der Aufgaben nach den Sätzen 2 und 3 einzeln oder gemeinsam tätigkeitsbezogene Expositionskataster erstellen. Grundlage für diese Kataster können die Ergebnisse aus systematischen Erhebungen, aus Ermittlungen in Einzelfällen sowie aus Forschungsvorhaben sein. Die Unfallversicherungsträger können außerdem Erhebungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen durchführen.

(4) Besteht für Versicherte, bei denen eine Berufskrankheit anerkannt wurde, die Gefahr, dass bei der Fortsetzung der versicherten Tätigkeit die Krankheit wiederauflebt oder sich verschlimmert und lässt sich diese Gefahr nicht durch andere geeignete Mittel beseitigen, haben die Unfallversicherungsträger darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen. Die Versicherten sind von den Unfallversicherungsträgern über die mit der Tätigkeit verbundenen Gefahren und mögliche Schutzmaßnahmen umfassend aufzuklären. Zur Verhütung einer Gefahr nach Satz 1 sind die Versicherten verpflichtet, an individualpräventiven Maßnahmen der Unfallversicherungsträger teilzunehmen und an Maßnahmen zur Verhaltensprävention mitzuwirken; die §§ 60 bis 65a des Ersten Buches gelten entsprechend. Pflichten der Unternehmer und Versicherten nach dem Zweiten Kapitel und nach arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften bleiben hiervon unberührt. Kommen Versicherte ihrer Teilnahme- oder Mitwirkungspflicht nach Satz 3 nicht nach, können die Unfallversicherungsträger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder die Leistung einer danach erstmals festzusetzenden Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit oder den Anteil einer Rente, der auf eine danach eingetretene wesentliche Änderung im Sinne des § 73 Absatz 3 zurückgeht, bis zur Nachholung der Teilnahme oder Mitwirkung ganz oder teilweise versagen. Dies setzt voraus, dass infolge der fehlenden Teilnahme oder Mitwirkung der Versicherten die Teilhabeleistungen erforderlich geworden sind oder die Erwerbsminderung oder die wesentliche Änderung eingetreten ist; § 66 Absatz 3 und § 67 des Ersten Buches gelten entsprechend.

(5) Soweit Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen.

(6) Die Bundesregierung regelt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates

1.
Voraussetzungen, Art und Umfang von Leistungen zur Verhütung des Entstehens, der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens von Berufskrankheiten,
2.
die Mitwirkung der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen bei der Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind; dabei kann bestimmt werden, daß die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen berechtigt sind, Zusammenhangsgutachten zu erstellen sowie zur Vorbereitung ihrer Gutachten Versicherte zu untersuchen oder auf Kosten der Unfallversicherungsträger andere Ärzte mit der Vornahme der Untersuchungen zu beauftragen,
3.
die von den Unfallversicherungsträgern für die Tätigkeit der Stellen nach Nummer 2 zu entrichtenden Gebühren; diese Gebühren richten sich nach dem für die Begutachtung erforderlichen Aufwand und den dadurch entstehenden Kosten.

(7) Die Unfallversicherungsträger haben die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständige Stelle über den Ausgang des Berufskrankheitenverfahrens zu unterrichten, soweit ihre Entscheidung von der gutachterlichen Stellungnahme der zuständigen Stelle abweicht.

(8) Die Unfallversicherungsträger wirken bei der Gewinnung neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse insbesondere zur Fortentwicklung des Berufskrankheitenrechts mit; sie sollen durch eigene Forschung oder durch Beteiligung an fremden Forschungsvorhaben dazu beitragen, den Ursachenzusammenhang zwischen Erkrankungshäufigkeiten in einer bestimmten Personengruppe und gesundheitsschädlichen Einwirkungen im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit aufzuklären. Die Verbände der Unfallversicherungsträger veröffentlichen jährlich einen gemeinsamen Bericht über ihre Forschungsaktivitäten und die Forschungsaktivitäten der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Bericht erstreckt sich auf die Themen der Forschungsvorhaben, die Höhe der aufgewendeten Mittel sowie die Zuwendungsempfänger und Forschungsnehmer externer Projekte.

(9) Die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen dürfen zur Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind, Daten verarbeiten sowie zur Vorbereitung von Gutachten Versicherte untersuchen, soweit dies im Rahmen ihrer Mitwirkung nach Absatz 6 Nr. 2 erforderlich ist; sie dürfen diese Daten insbesondere an den zuständigen Unfallversicherungsträger übermitteln. Die erhobenen Daten dürfen auch zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren gespeichert, verändert, genutzt, übermittelt oder in der Verarbeitung eingeschränkt werden. Soweit die in Satz 1 genannten Stellen andere Ärzte mit der Vornahme von Untersuchungen beauftragen, ist die Übermittlung von Daten zwischen diesen Stellen und den beauftragten Ärzten zulässig, soweit dies im Rahmen des Untersuchungsauftrages erforderlich ist.

Der Ausbildungsberuf Berufskraftfahrer/Berufskraftfahrerin wird staatlich anerkannt.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

Der Auszubildende hat ein Berichtsheft in Form eines Ausbildungsnachweises zu führen. Ihm ist Gelegenheit zu geben, das Berichtsheft während der Ausbildungszeit zu führen. Der Ausbildende hat das Berichtsheft regelmäßig durchzusehen.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 29. Januar 2014 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr 2108 (BK 2108) der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).

2

Der im Jahre 1958 geborene Kläger absolvierte bis Mai 1977 eine Ausbildung zum Baufacharbeiter. Im Anschluss war er bis einschließlich 1997 als Eisenflechter und Zimmerer tätig. Diese Tätigkeiten gab er aufgrund einer Erkrankung seiner Wirbelsäule 1998 auf. Zu diesem Zeitpunkt bestand beim Kläger eine Chondrose Grad III mit Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 und eine altersuntypische Chondrose Grad I im Segment L4/L5.

3

Mit Bescheid vom 5.4.2006 und Widerspruchsbescheid vom 26.7.2006 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Gewährung von Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Die Wirbelsäulenerkrankung könne nicht als BK anerkannt werden, weil insbesondere die medizinischen Voraussetzungen für eine BK 2108 nicht vorlägen. Da in allen Wirbelsäulenabschnitten Verschleißerscheinungen bestünden, spreche das Schadensbild gegen eine berufliche Verursachung.

4

Das SG Chemnitz hat die Klagen mit Urteil vom 6.4.2011 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, beim Kläger bestehe zwar eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule bei L4/L5. Die Voraussetzungen für eine Anerkennung als BK lägen jedoch nach den Konsensempfehlungen (U. Bolm-Audorff et al, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheiten 2005/3, S 211, 214 ff) nicht vor. Das Sächsische LSG hat mit Urteil vom 29.1.2014 das Urteil des SG sowie die Bescheide der Beklagten aufgehoben und festgestellt, dass bei dem Kläger eine BK 2108 vorliege. Zur Begründung hat es ua ausgeführt, die bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule sei wesentlich durch die berufliche Einwirkung verursacht. Entsprechend den Konsensempfehlungen liege eine ausreichende Exposition für die Anerkennung einer BK 2108 vor. Der Ursachenzusammenhang zwischen dieser Belastung und der Wirbelsäulenerkrankung des Klägers sei zu bejahen. Konkurrierende Ursachen seien nicht ersichtlich. Das bei Aufgabe der beruflichen Tätigkeit bestehende Schadensbild entspreche der Konstellation B2 der Konsensempfehlungen, bei deren Vorliegen die Verursachung hinreichend wahrscheinlich sei. Es liege zum einen eine besonders intensive Belastung im Sinne des zweiten Zusatzkriteriums dieser Konstellation vor, weil im Hinblick auf die Entscheidung des BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - auf die Hälfte des Richtwertes von 25 Meganewtonstunden (MNh) nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) für die Lebensdosis für Männer in weniger als 10 Jahren und damit auf 12,5 MNh abzustellen sei. Dieser Wert sei in dem 10-Jahreszeitraum vom 1.6.1977 bis 31.5.1987 mit rund 15 MNh erreicht worden. Zum anderen bestehe beim Kläger auch eine Höhenminderung und ein Prolaps an mehreren Bandscheiben im Sinne des ersten Zusatzkriteriums der Konstellation B2 der Konsensempfehlungen, weil dieses Zusatzkriterium auch bei einem lediglich bisegmentalen Bandscheibenschaden erfüllt sei.

5

Die Beklagte rügt mit der vom Senat zugelassenen Revision die Verletzung des § 9 SGB VII iVm Nr 2108 der Anlage 1 zur BKV. Das Vorliegen einer BK 2108 könne nicht auf die Konstellation B2 der Konsensempfehlungen gestützt werden, weil der erforderliche wissenschaftliche Konsens nicht mehr vorliege. Divergierende Entscheidungen der LSGe zur Höhe des Richtwertes für die Lebensdosis als Indiz für eine besonders intensive Belastung im Sinne des zweiten Zusatzkriteriums zur Konstellation B2 der Konsensempfehlungen zeigten, dass hinsichtlich ihrer Anwendung nicht mehr von einem einheitlichen Meinungsstand ausgegangen werden könne. Die Konsensempfehlungen könnten deshalb nicht mehr als aktueller Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse betrachtet und die Anerkennung einer BK 2108 nicht mehr auf sie gestützt werden. Auch seien die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 2108 nicht gegeben.

6

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 29. Januar 2014 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 6. April 2011 zurückzuweisen.

7

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Er hält das Urteil des LSG für zutreffend. Das LSG habe seiner Entscheidung den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zum Ursachenzusammenhang bei einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule zugrunde gelegt. Dieser sei weiterhin den Konsensempfehlungen zur BK 2108 zu entnehmen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide der Beklagten das Vorliegen einer BK 2108 festgestellt.

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Die erhobenen Klagen sind als Anfechtungsklage gegen die ablehnenden Entscheidungen verbunden mit der auf Feststellung einer BK gerichteten Feststellungsklage zulässig. Der Übergang im Berufungsverfahren von der zunächst erhobenen Verpflichtungs- auf eine Feststellungsklage war nach § 99 Abs 3 SGG zulässig(vgl BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - UV-Recht Aktuell 2012, 42 = NZS 2012, 151).

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Der Rechtsstreit richtet sich nach den Vorschriften des SGB VII (§ 212 SGB VII),weil der Versicherungsfall erst nach Inkrafttreten des SGB VII eingetreten ist. Rechtsgrundlage für die Anerkennung der streitigen BK ist § 9 Abs 1 SGB VII iVm Nr 2108 der Anlage 1 zur BKV vom 31.10.1997 (BGBl I 2623), die lautet: "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können". Nach § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind BKen nur diejenigen Krankheiten, die durch die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als solche bezeichnet sind (sog Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist für die Feststellung einer Listen-BK erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) sowie, dass eine Krankheit vorliegt (dazu unter A). Des Weiteren muss die Krankheit durch die Einwirkungen verursacht sein (haftungsbegründende Kausalität; dazu unter B). Schließlich ist Anerkennungsvoraussetzung, dass der Versicherte deshalb seine Tätigkeit aufgeben musste sowie alle gefährdenden Tätigkeiten unterlässt (dazu unter C). Fehlt eine dieser Voraussetzungen, ist die BK nicht anzuerkennen (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 17). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK. Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 12; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4, RdNr 16 mwN; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 9/08 R - BSGE 103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr 14, RdNr 9 mwN; zuletzt BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - UV-Recht Aktuell 2012, 412; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - NZS 2012, 151; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 14). Diese Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 2108 sind hier erfüllt.

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A.1. Der Kläger war im Anschluss an seine Ausbildung zum Baufacharbeiter von September 1975 bis Mai 1977 bis einschließlich 1997 und auch darüber hinaus als Eisenflechter und Zimmerer beschäftigt. Er war damit "Versicherter" iS von § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII.

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2. Nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) unterlag der Kläger während seiner versicherten Tätigkeit im Zeitraum vom 1.9.1975 bis 30.6.1998 einer kumulativen Einwirkungsbelastung in Form von Hebe- und Tragevorgängen von 31 MNh (zur Bestimmung des Ausmaßes der beruflichen Einwirkungen bei der BK 2108 vgl auch BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 17 f, sowie zur Feststellung der tatbestandlich vorausgesetzten Einwirkung in Form von Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 20/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

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3. Diese Belastungen erfolgten - wie der Tatbestand der Nr 2108 voraussetzt - auch langjährig, nämlich von September 1975 bis jedenfalls Ende 1997 und damit 22 Jahre. Langjährig bedeutet, dass zehn Berufsjahre als im Durchschnitt untere Grenze der belastenden Tätigkeit zu fordern sind (so wörtlich das aktuelle Merkblatt 2108, BArbBl 2006, Heft 10, S 30, Abschnitt IV; vgl zum Merkmal "langjährig" bei der BK 2109 BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 15; s zur BK 2108 bereits BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 10; BSG vom 22.6.2004 - B 2 U 22/03 R - USK 2004-101; vgl auch: Römer in Hauck/Noftz, SGB VII, Anh zu K § 9 Anl zu BKV BK Nr 2108 - 2110 RdNr 7 mwN; "mindestens 10 Jahre" fordern Ricke in Kasseler Kommentar, Stand 5/2014, § 9 SGB VII RdNr 42; Mehrtens/Brandenburg, BKV, Stand 12/2013, M 2108 Anm 2.2.2).

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4. Nach den weiteren Feststellungen des LSG litt der Kläger im Juli 1998 an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule. Es lag eine Chondrose Grad III mit Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 sowie eine Chondrose Grad I im Segment L4/L5 vor.

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B. Im Ergebnis zu Recht hat das LSG den Ursachenzusammenhang zwischen gefährdenden Einwirkungen und der Bandscheibenerkrankung des Klägers bejaht. Für die Anerkennung einer BK ist neben der Kausalität zwischen versicherter Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen (Einwirkungskausalität) ein Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkungen und der Erkrankung erforderlich. Für die BK 2108 bedeutet dies, dass die Lendenwirbelsäulenerkrankung des Klägers durch langjähriges schweres Heben und Tragen bzw Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit verursacht worden sein muss. Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung gilt im Berufskrankheitenrecht, wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung, die Theorie der wesentlichen Bedingung (s zum Arbeitsunfall die Entscheidungen des erkennenden Senats vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 34 ff sowie BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37; zu BKen s BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - UV-Recht Aktuell 2012, 412; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 13 sowie - B 2 U 26/04 R - UV-Recht Aktuell 2006, 497), die zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie beruht, nach der jedes Ereignis (jede Bedingung) Ursache eines Erfolgs ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Steht die versicherte Tätigkeit als eine der Wirkursachen fest, muss auf der zweiten Stufe die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr sein. Die Wesentlichkeit der Wirkursache ist zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen (zur Theorie der wesentlichen Bedingung: zuletzt eingehend BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37 f sowie BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1, RdNr 28 ff).

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1. Vorliegend hat das LSG unter Zugrundelegung des bindend festgestellten Einwirkungswerts iHv 31 MNh ausgehend vom MDD zutreffend angenommen, dass die versicherten Einwirkungen durch schweres Heben und Tragen ausreichten, um einen Bandscheibenschaden zu verursachen. Mit der Heranziehung des MDD zur Bestimmung der für eine Krankheitsverursachung erforderlichen Belastungsdosis folgt das LSG der Rechtsprechung des erkennenden Senats, der seit 2003 (BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 11 ff; BSG vom 19.8.2003 - B 2 U 1/02 R - USK 2003-219; BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 18 und zuletzt BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - UV-Recht Aktuell 2009, 295) dieses Modell als eine geeignete Grundlage zur Konkretisierung der im Text der BK 2108 mit den unbestimmten Rechtsbegriffen "langjähriges" Heben und Tragen "schwerer" Lasten oder "langjährige" Tätigkeit in "extremer Rumpfbeugehaltung" nur ungenau und allenfalls nur richtungsweisend umschriebenen Einwirkungen angesehen hat. Die aufgrund einer retrospektiven Belastungsermittlung für risikobehaftete Tätigkeitsfelder ermittelten Werte, insbesondere die Richtwerte für die Gesamtbelastungsdosis des MDD, sind nicht als Grenzwerte, sondern als Orientierungswerte oder -vorschläge zu verstehen (s zur Handhabung der hälftigen Orientierungswerte als Mindestbelastungswerte BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - UV-Recht Aktuell 2009, 295; BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 25; sowie BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R und B 2 U 20/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Für Männer legt das MDD als Gesamtbelastungsdosis den Wert von 25 MNh fest, der hier mit 31 MNh erheblich überschritten war. Es kommt daher im hier zu entscheidenden Fall nicht darauf an, ob bereits ein geringerer, ggf hälftiger Wert dieses Orientierungswertes ausreichen würde, um von einem erhöhten Erkrankungsrisiko auszugehen und deshalb auf einzelfallbezogene medizinische Ermittlungen nicht mehr verzichtet werden kann (vgl für Männer BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 25). Deshalb muss hier auch nicht entschieden werden, ob aufgrund der mittlerweile vorliegenden Ergebnisse der DWS-Richtwertestudie (DWS II; "Erweiterte Auswertung der Deutschen Wirbelsäulenstudie mit dem Ziel der Ableitung geeigneter Richtwerte", Kurztitel: "DWS-Richtwerteableitung", veröffentlicht unter http://www.dguv.de/ifa/Forschung/Projektverzeichnis/FF-FB_0155A.jsp) eine weitere Absenkung der Orientierungswerte angezeigt ist. Der Senat weist aber in diesem Zusammenhang darauf hin, dass gemäß § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII generelle Voraussetzung für die Einführung eines BK-Tatbestandes die gruppenspezifische Risikoerhöhung gegenüber der Gesamtbevölkerung ist, deren Erreichen jedenfalls bei Werten iHv 3 MNh bedenklich erscheint(s nur Kranig, Was schadet den Bandscheiben?, DGUV Forum 2013, Nr 6, S 27, 31; vgl auch LSG Baden-Württemberg vom 25.9.2008 - L 10 U 5965/06 - Breith 2009, 307, RdNr 34 ff).

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2. Das LSG hat auch in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise den erforderlichen Ursachenzusammenhang zwischen gefährdenden Einwirkungen im Sinne der BK 2108 und der Bandscheibenerkrankung des Klägers bejaht. Während die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK zum einen das Vorhandensein der tatbestandlich vorausgesetzten Einwirkungen und zum anderen die Kausalität zwischen diesen Einwirkungen und einer Erkrankung beinhalten, betreffen die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen ebenfalls zwei Aspekte der Anerkennungsvoraussetzungen, nämlich zum einen das Vorliegen der tatbestandlich vorausgesetzten Krankheit und zum anderen das Vorliegen eines Schadensbildes, welches mit der rechtlich-wesentlichen Verursachung dieser Krankheit durch die beruflichen Einwirkungen zumindest im Einklang steht (Bieresborn, Die Umsetzung der BK 2108 aus sozialrechtlicher Sicht, in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann , Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule" , Frankfurt 2014, S 193, 194, 199). Aus dem Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen kann angesichts der multifaktoriellen Entstehung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 26) nicht automatisch auf das Bestehen der Anspruchsvoraussetzungen der BK 2108 geschlossen werden; vielmehr müssen medizinische Kriterien hinzukommen (BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 19; BSG vom 30.1.2007 - B 2 U 15/05 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4104 Nr 2, RdNr 23; vgl BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 7/05 R - UV-Recht Aktuell 2006, 510 zur BK nach Nr 4302 der Anlage zur BKV; BSG vom 7.9.2004 - B 2 U 34/03 R - USK 2004-107).

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Zutreffend hat das Berufungsgericht bei der Bestimmung des maßgeblichen aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands sowohl die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 zugrunde gelegt (dazu unter a) als auch das festgestellte Schadensbild diesen Erkenntnissen zugeordnet, mit dem Ergebnis, dass ein belastungskonformes Schadensbild im Sinne der sog Konstellation B2 der Konsensempfehlungen vorliegt (dazu unter b).

20

a) Nicht zu beanstanden ist, dass das LSG die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 (U. Bolm-Audorff et al, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheit 2005/3, S 211, 216 ff, 228 ff) zugrunde gelegt hat. Diese bilden nach Überzeugung des Senats weiterhin den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand ab. Die naturwissenschaftliche Kausalitätsprüfung ist zwar eine der Bindung fähige tatsächliche Feststellung der Instanzgerichte (vgl Heinz in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 163 RdNr 9), jedoch sind nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats die die einzelnen Tatbestandsmerkmale der jeweiligen BK unterfütternden allgemeinen (generellen) Tatsachen, die für alle einschlägigen BK-Fälle gleichermaßen von Bedeutung sind, anhand des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands auch revisionsrechtlich überprüfbar (grundlegend: BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 5/05 R - BSGE 96, 297 = SozR 4-5671 § 6 Nr 2, RdNr 19 sowie BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 23; s auch BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 23; s zur älteren Senatsrechtsprechung, wonach diesbezügliche Feststellungen dem Anwendungsbereich des § 163 SGG zugerechnet wurden: BSG vom 2.5.2001 - B 2 U 16/00 R - SozR 3-2200 § 551 Nr 16 S 83 = SozR 3-2700 § 9 Nr 4 = SozR 3-5670 Anl 1 Nr 2108 Nr 4, Juris RdNr 28; BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 15, jeweils mwN). Dies muss zunächst jedenfalls immer dann gelten, wenn diese zulässig gerügt werden (vgl hierzu BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Eine Bindung besteht allerdings nicht, wenn das LSG von einem offenkundig falschen medizinischen Erfahrungssatz ausgegangen ist (vgl BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - UV-Recht Aktuell 2010, 418). Inwieweit in der Rechtsprechung anderer Senate des BSG (zur Überprüfung sog "genereller Tatsachen" in der sonstigen Rechtsprechung des BSG vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 163 RdNr 7 sowie speziell im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung BSG vom 16.6.1999 - B 1 KR 4/98 R - BSGE 84, 90, 94 = SozR 3-1500 § 163 Nr 7, Juris RdNr 17 sowie BSG vom 12.8.2009 - B 3 KR 10/07 R - BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 27 und zuletzt BSG vom 12.9.2012 - B 3 KR 10/12 R - BSGE 112, 15 = SozR 4-2500 § 137 Nr 1, RdNr 55; s zu "Rechtstatsachen" BSG vom 25.10.1994 - 3/1 RK 57/93 - SozR 3-1500 § 163 Nr 5, Juris RdNr 27, zu "allgemeinkundigen Tatsachen historischer Natur" BSG vom 7.2.1985 - 9a RV 5/83 - BSGE 58, 38, 42 = SozR 3100 § 5 Nr 7, Juris RdNr 17 sowie zu "gerichtskundigen Tatsachen" BSG vom 27.1.1977 - 7 RAr 16/75 - BSGE 43, 124, 127 = SozR 4100 § 41 Nr 28, Juris RdNr 30) eine solche Überprüfung genereller Tatsachen erfolgt, kann hier dahinstehen. Denn jedenfalls im Bereich des Rechts der BKen hat das BSG aufgrund der in den Normtexten der jeweiligen BKen in der Anlage zur BKV regelmäßig vertypisierten wissenschaftlichen Aussagen die Existenz der einschlägigen Erfahrungssätze selbst festzustellen. Das über das Vorliegen von BKen befindende Gericht muss sich folglich Klarheit darüber verschaffen, welches in der streitigen Frage der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ist. Die heranzuziehenden Quellen, Fachbücher, Standardwerke, Merkblätter des zuständigen Ministeriums, Begründungen des Sachverständigenbeirats, Konsensempfehlungen etc hat das Gericht eigenständig kritisch zu würdigen und auf ihre Aktualität hin - ggf durch Sachverständige - zu überprüfen (vgl BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 100/12 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 24 RdNr 18; BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 68 f; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 20; vgl auch BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 20; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17 mwN).

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Hierbei ist zunächst die Zugrundelegung der Konsensempfehlungen durch das LSG als Orientierungshilfe bei der Beurteilung, ob der Bandscheibenschaden des Klägers nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand durch die festgestellten beruflichen Einwirkungen verursacht wurde, revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Denn die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 sind nach wie vor eine hinreichende Grundlage für die Bestimmung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands, wie der Senat zuletzt 2009 klargestellt hat (BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - UV-Recht Aktuell 2010, 418). Seitdem wurden zwar in Folge der Veröffentlichung der DWS II Fachaufsätze publiziert, die Zweifel an den Aussagen auch der Konsensempfehlungen äußern. Weder aus der DWS II noch den sonstigen Veröffentlichungen ist jedoch zu entnehmen, dass die Erkenntnisse der Konsensarbeitsgruppe aus dem Jahre 2005 gerade hinsichtlich der hier zugrunde gelegten Befundkonstellation inzwischen veraltet sein könnten. Sofern vertreten wird, dass inzwischen die Ergebnisse der DWS II die wesentlichen Grundannahmen aus den Konsenskriterien widerlegten, etwa weil die bisher angenommenen Einwirkungsgrößen zu hoch seien, die Lokalisation und Häufigkeit der Verteilung von Bandscheibenschäden zu 96% mit denen der Normalbevölkerung identisch sei, die Auswertungen der DWS II keine deutliche Abhängigkeit der Begleitspondylose von der MDD-Gesamtbelastungsdosis gezeigt habe oder Schäden an der HWS keine Aussagekraft zur Verursachung von LWS-Schäden hätten (M. Kentner und K. Frank, Kommentar zur DWS-Richtwertestudie und Implikationen hinsichtlich BK 2108 - Biomechanik vs. Pathophysiologie, zur Veröffentlichung in ASUMed 8/2015 vorgesehen; Linhardt/Grifka, Auswirkungen der Deutschen Wirbelsäulenstudie auf die Berufskrankheit der Lendenwirbelsäule , MedSach 111 <2015>, 20, 21; Bergmann, Bolm-Audorff, Ditchen, Ellegast, Haerting, Kersten, Jäger, Skölziger, Kuß, Morfeld, Schäfer, Seidler, Luttmann, Lumbaler Bandscheibenvorfall mit Radikulärsyndrom und fortgeschrittene Osteochondrose, ZblArbeitsmed 2014, 233), handelt es sich erkennbar um wissenschaftliche Einzelmeinungen.

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Die zitierten Publikationen setzen sich zum einen jeweils inhaltlich nicht mit der grundsätzlichen Kritik an der angewandten Methodik der Nachuntersuchung auseinander (s nur Grosser, Ergebnisse der Konsensarbeitsgruppe zur Begutachtung der BK 2108 - Status quo und Konsequenzen aus der DWS, in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann, Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule" , Frankfurt 2014, S 84 ; Zagrodnik, Fragliche Belastungsdosis, DGUV Forum 2014, Nr 7/8, S 10 ff), zum anderen schöpfen sie ihre Kritik an den Aussagen der Konsensempfehlungen alleine aus den Ergebnissen der DWS II und wenden sich im Wesentlichen gegen die Bestimmung und Höhe der Einwirkungsgrößen, nicht aber gegen die Grundaussage der Konsensempfehlungen, dass Bandscheibenschäden aufgrund beruflich erworbener Druckbelastungs-Dosen entstehen können. Der Senat verkennt nicht, dass ein wissenschaftlicher Erkenntnisstand auch dadurch erschüttert werden kann, dass grundlegende und fundierte Zweifel seitens der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler diesem den Boden entziehen, ohne dass sich diese in ihrer Mehrheit auf einen neuen Konsens geeinigt hätten. Einzelne Gegenstimmen sind demgegenüber nicht geeignet, einen einmal gebildeten und sich in schriftlichen Beurteilungskriterien manifestierenden wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu erschüttern, solange nicht die daran beteiligten Autoren in ihrer Mehrheit diesen Konsens in wesentlichen Punkten aufkündigen oder eine (zumindest teilweise) personell anders zusammengesetzte große Mehrheit der mit dieser Materie befassten Fachwissenschaftler diesem Konsens entgegentritt.

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b) Nicht zu beanstanden ist im Rahmen des soeben aufgezeigten Prüfumfangs die Aussage des LSG, dass bei dem Kläger die Konstellation B2 der Konsensempfehlungen vorliegt, für die diese eine Anerkennungsempfehlung aussprechen. So wie der erkennende Senat im Recht der BKen nicht gehindert ist, den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu Verursachungszusammenhängen festzustellen, ist er ebenso wenig gehindert, die korrekte Zuordnung des Sachverhalts seitens des Berufungsgerichts unter diesen einschlägigen Erkenntnisstand zu überprüfen. Dies gilt umso mehr, wenn dieser in Konsensempfehlungen verdichtet ist. Bei diesen handelt es sich freilich nicht um einen normativen Text oder ein antizipiertes Sachverständigengutachten, weil die Konsensempfehlungen weder vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber erlassen, noch von unabhängigen und der Neutralität verpflichteten Autoren verfasst wurden (P. Becker, ASUMed 2009, 592, 595). Daher sind sie für Verwaltung, Gerichte oder Gutachter auch nicht unmittelbar verbindlich (Siefert, ASR 2011, 45, 48) und es verbietet sich deren Auslegung unter strikter Anwendung der Regeln der juristischen Methodenlehre (vgl Bieresborn, Die Umsetzung der BK 2108 aus sozialrechtlicher Sicht aaO, S 199).Konsensempfehlungen dienen lediglich zur Erleichterung der Beurteilung im Einzelfall, um typische Befundkonstellationen im Hinblick auf die Kausalbeziehungen unter Zugrundelegung des aktuell wissenschaftlichen Erkenntnisstands einordnen zu können (Duell, Kranig, Palfner, BK-Begutachtungsempfehlungen - Wissen von Experten für Experten, DGUV Forum 2012, Nr 4 S 14, 16). Andererseits muss bei diesem Erkenntnisvorgang überprüfbar bleiben, ob das LSG nach allgemeinem Verständnis den von ihm festgestellten Sachverhalt (noch) vertretbar den in den Konsensempfehlungen aufgeführten Kategorien zugeordnet hat.

24

Für sämtliche Befundkonstellationen wird in den Konsensempfehlungen vorausgesetzt, dass die (gesicherte) bandscheibenbedingte Erkrankung nach ihrer Lokalisation die Segmente L5/S1 und/oder L4/L5 betrifft und eine Ausprägung als Chondrose Grad II oder höher und/oder als Vorfall hat. Sofern zusätzlich eine Begleitspondylose besteht (Befundkonstellation B1), gilt der Zusammenhang als wahrscheinlich. Liegt hingegen - wie hier nach den bindenden Feststellungen des LSG - keine Begleitspondylose vor, so wird der Zusammenhang nach den Konsensempfehlungen ua dann als wahrscheinlich betrachtet, wenn eine Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben besteht (Befundkonstellation "B2", 1. Spiegelstrich - 1. Zusatzkriterium - 1. Alt). Alternativ müssen bei nur monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 im Magnetresonanztomogramm in mindestens zwei angrenzenden Segmenten "black discs" vorliegen (Befundkonstellation "B2", 1. Spiegelstrich - 1. Zusatzkriterium - 2. Alt). Als weitere Alternativen genügt für die Konstellation B2 entweder das Bestehen einer besonders intensiven Belastung, wobei hierfür als "Anhaltspunkt" das Erreichen des "Richtwertes für die Lebensdosis" in weniger als 10 Jahren (Befundkonstellation "B2", 2. Spiegelstrich - 2. Zusatzkriterium) gilt, oder eines besonderen Gefährdungspotenzials durch hohe Belastungsspitzen, wofür als "Anhaltspunkt" das Erreichen der Hälfte des "MDD-Tagesdosis-Richtwertes" durch hohe Belastungsspitzen (Frauen ab 4 1/2 kN, Männer ab 6 kN) (Befundkonstellation "B2", 3. Spiegelstrich - 3. Zusatzkriterium) verlangt wird.

25

Das LSG ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass beim Kläger die Befundkonstellation "B2" - 2. Zusatzkriterium - das Erreichen des "Richtwertes für die Lebensdosis" in weniger als 10 Jahren - vorlag, bei der der Ursachenzusammenhang hinreichend wahrscheinlich ist. Es hat für den erkennenden Senat bindend festgestellt, dass eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule in Form einer Chondrose Grad III mit Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 sowie eine Chondrose Grad I im Segment L4/L5 ohne Begleitspondylose und keine konkurrierenden Ursachen vorlagen, sowie dass der Kläger im Zeitraum vom 1.6.1977 bis 31.5.1987 Belastungen von 15 MNh ausgesetzt war. Damit erreichte der Kläger also in weniger als 10 Jahren zwar nicht den Orientierungswert für Männer nach dem MDD iHv 25 MNh, überschritt jedoch mit 15 MNh die Hälfte dieses Wertes von 12,5 MNh.

26

Das LSG ist weiter davon ausgegangen, dass beim Kläger wegen dieses Überschreitens der hälftigen MDD-Dosis in Höhe von 12,5 MNh in weniger als 10 Jahren die für den Kausalzusammenhang der Befundkonstellation "B2" - 2. Zusatzkriterium - erforderliche besonders intensive Belastung vorlag. Den Konsensempfehlungen hat das LSG mithin den generellen wissenschaftlichen Erfahrungssatz entnommen, dass für die bei der Befundkonstellation "B2" - 2. Zusatzkriterium - erforderliche besonders intensive Belastung bei Männern das Erreichen der hälftigen MDD-Dosis iHv 25 MNh, nämlich des Wertes von 12,5 MNh in weniger als 10 Jahren genügt. Dieser Erfahrungssatz ist jedenfalls nicht offenkundig falsch. Der vom LSG aufgestellte allgemeine Erfahrungssatz kann vom Revisionsgericht zwar in den oben aufgezeigten Grenzen überprüft werden, denn die Feststellungen des LSG zum aktuellen medizinischen Erkenntnisstand im Recht der BKen unterliegen nicht von vornherein der in § 163 SGG angeordneten Bindung des Revisionsgerichts an tatrichterliche Feststellungen(vgl zB BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7).

27

Der Senat konnte aber im Rahmen seiner hierzu durchgeführten Überprüfung nicht zu der Erkenntnis gelangen, dass der vom LSG zugrunde gelegte Erfahrungssatz hinsichtlich der erforderlichen besonders intensiven Belastung des 2. Zusatzkriteriums der Konstellation B2 in der Wissenschaft allgemein angegriffen wird und deshalb offenkundig nicht dem aktuellen Erkenntnisstand entspricht. Der Wortlaut der Konsensempfehlungen selbst verlangt jedenfalls in der Befundkonstellation "B2" - 2. Zusatzkriterium - nur das Erreichen des "Richtwertes für die Lebensdosis" in weniger als 10 Jahren, ohne dort konkret die "MDD-Lebensdosis" wie im 3. Zusatzkriterium zu erwähnen. Auch in der wissenschaftlichen Literatur wird (Seidler und Bolm-Audorff in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann, BK 2108, S 135, 138) teilweise auf die Hälfte des MDD-Richtwerts und damit für Männer auf eine Belastung von 12,5 MNh abgestellt. Allein dass auch eine andere Auffassung vertreten wird (für den Wert von 25 MNh wohl Grosser in: Grosser ua, BK 2108, S 83, 102) und die LSGe hier jeweils zu unterschiedlichen Einschätzungen gelangen (vgl LSG Niedersachsen-Bremen vom 19.2.2010 - L 14 U 78/06 - und vom 25.5.2011 - L 3 U 28/07; LSG Berlin-Brandenburg vom 6.5.2010 - L 3 U 19/06 - und vom 19.1.2012 - L 2 U 24/09 ZVW - sowie Bayerisches LSG vom 31.1.2013 - L 17 U 244/06), reicht nicht dafür aus, die Feststellungen des LSG zum aktuellen medizinischen Erkenntnisstand als offensichtlich fehlerhaft in Frage zu stellen.

28

Ein medizinischer Erfahrungssatz entspricht in der Regel dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand, wenn er von allen oder den meisten in dem entsprechenden Fachgebiet Kundigen vertreten wird. Er kann aber auch dann den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen, wenn er nicht von allen im jeweiligen Erkenntnissystem Handelnden geteilt wird und auch abweichende Auffassungen vertreten werden. Ein Erkenntnisstand kann sich fortlaufend verändern (vgl hierzu Hase, Sozialrecht und die Integration gesellschaftlichen Wissens, in Masuch ua , Grundlagen und Herausforderungen des Sozialstaats, 2014, S 423, 429 ff). Deshalb kann allein aus dem Vorliegen unterschiedlicher Auffassungen bei den im entsprechenden Fachgebiet Kundigen nicht geschlossen werden, dass ein Erfahrungssatz falsch ist oder nicht mehr dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entspricht. Für den Senat war danach nicht erkennbar, dass der vom LSG zugrunde gelegte wissenschaftliche Erfahrungssatz hinsichtlich der besonders intensiven Belastung bei dem 2. Zusatzkriterium der Konstellation B2 offenkundig falsch ist oder in der Wissenschaft allgemein angegriffen wird. Dies ist auch dem Vorbringen der Revision nicht zu entnehmen. Sie stützt sich lediglich darauf, dass die Konsensempfehlungen im Ganzen und hinsichtlich der Befundkonstellation "B2" - 2. Zusatzkriterium - im Besonderen aufgrund der dargestellten divergierenden Auffassungen keine hinlänglich zuverlässige Grundlage mehr für die Bestimmung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands seien. Dies ist jedoch - wie oben ausgeführt - hinsichtlich der Konsensempfehlungen insgesamt unzutreffend. Der Senat sieht sich nach seinen eigenen Erkenntnissen jedenfalls auch nicht veranlasst, diesen vom LSG zugrunde gelegten wissenschaftlichen Erfahrungssatz zu korrigieren.

29

Insofern besteht zwar aufgrund des durchaus kontroversen Stands der wissenschaftlichen Erkenntnisse im konkreten Anwendungsfall der BK 2108 die auch von der Beklagten beschriebene Gefahr, dass Tatsachengerichte zur Feststellung unterschiedlicher Erfahrungssätze gelangen können, die dann jeweils revisionsrechtlich - in den aufgezeigten Grenzen - akzeptiert werden müssten. Dieses Ergebnis ist jedoch zum einen die logische Folge der den Gerichten nur eingeschränkt eröffneten Möglichkeiten, sich den tatsächlichen aktuellen medizinischen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu verschaffen. Die damit verbundene Rechtsunsicherheit ist aber zum anderen zumindest partiell auch Folge des Normtatbestands der BK 2108, dessen Reform der Senat bereits mehrfach angemahnt hat (vgl insbesondere BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 28 ff). Der Senat hat bereits im Jahre 2007 (aaO) betont, dass eine gleichmäßige Rechtsanwendung nur gewährleistet ist, wenn sich die zur Definition einer BK verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe mit Hilfe des von den Gerichten feststellbaren wissenschaftlichen Erkenntnisstands hinreichend konkretisieren lassen. Eine rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechende Handhabung der BK-Tatbestände und insbesondere des Tatbestands der BK 2108 ist nicht mehr möglich, wenn sich eine tragfähige wissenschaftliche Grundlage für die Beurteilung der jeweils zu untersuchenden Ursachenzusammenhänge im Prozess nicht mehr ermitteln lässt, sei es, weil einschlägige Forschungsergebnisse überhaupt fehlen oder weil sie keine allgemein akzeptierten Erkenntnisse (mehr) liefern (so bereits BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 8 ff). Der Senat hat hierbei auch darauf hingewiesen, dass der Verordnungsgeber mittels ggf erst zu schaffender oder besser auszustattender Fachgremien den wissenschaftlichen Erkenntnisstand über Ursachenzusammenhänge zwischen beruflichen Einwirkungen und der Entstehung von Krankheiten umfassend ermitteln kann (allgemein zu den Problemen der Feststellung des Stands der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft im BK-Recht auch für den Verordnungsgeber vgl Spellbrink, SR 2014, 140, 144 ff). Es ist allerdings nicht ersichtlich, dass sich der Verordnungsgeber in den letzten Jahren dieser Aufgabe gestellt und etwa im Rahmen seiner gesetzlichen Ermächtigung (§ 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII) abstrakt-generelle Voraussetzungen der BK 2108 zB in Form von Dosiswerten diskutiert hätte. Auf die Angabe solcher "Grenzwerte" oder anderer Präzisierungen hat der Verordnungsgeber bei der BK 2108 bislang gerade verzichtet, woraus sich ein Großteil der auch im vorliegenden Fall erheblichen Anwendungsprobleme der Norm erklärt. Ob der erkennende Senat diese Anwendungsprobleme bei der BK 2108 auch in Zukunft als rechtsstaatlich noch tolerierbar betrachten kann, wird hier ausdrücklich offengelassen.

30

Da mithin bereits revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist, dass das 2. Zusatzkriterium der Befundkonstellation "B2" vorliegt, kann hier dahinstehen, ob für die Befundkonstellation "B2", 1. Spiegelstrich - 1. Zusatzkriterium - 1. Alt als "Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben" auch ein bisegmentaler Befund ausreichen würde (so Sächsisches LSG vom 21.6.2010 - L 2 U 170/08 LW - und LSG Sachsen-Anhalt Urteil vom 11.7.2013 - L 6 U 59/11; Seidler und Bolm-Audorff in Grosser ua BK 2108, S 134, 138; anders Hessisches LSG Urteil vom 18.8.2009 - L 3 U 202/04 - und vom 27.3.2012 - L 3 U 81/11; Bayerisches LSG Urteil vom 31.1.2013 - L 17 U 244/06 ; Grosser in: Grosser ua BK 2108, S 83, 101), was das LSG ebenfalls angenommen hat.

31

C. Schließlich ist auch die weitere Voraussetzung der Aufgabe der die Wirbelsäule belastenden Tätigkeit für die Anerkennung einer BK 2108 erfüllt. Nach den bindenden Feststellungen des LSG war der Kläger nur bis Juni 1998 in seiner versicherten Tätigkeit Belastungen der Wirbelsäule ausgesetzt und gab sämtliche wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten im Juli 1998 auf.

32

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 Abs 1 SGG.

(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, daß die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind. In der Rechtsverordnung kann ferner bestimmt werden, inwieweit Versicherte in Unternehmen der Seefahrt auch in der Zeit gegen Berufskrankheiten versichert sind, in der sie an Land beurlaubt sind.

(1a) Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ein Ärztlicher Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten gebildet. Der Sachverständigenbeirat ist ein wissenschaftliches Gremium, das das Bundesministerium bei der Prüfung der medizinischen Erkenntnisse zur Bezeichnung neuer und zur Erarbeitung wissenschaftlicher Stellungnahmen zu bestehenden Berufskrankheiten unterstützt. Bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wird eine Geschäftsstelle eingerichtet, die den Sachverständigenbeirat bei der Erfüllung seiner Arbeit organisatorisch und wissenschaftlich, insbesondere durch die Erstellung systematischer Reviews, unterstützt. Das Nähere über die Stellung und die Organisation des Sachverständigenbeirats und der Geschäftsstelle regelt die Bundesregierung in der Rechtsverordnung nach Absatz 1.

(2) Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind.

(2a) Krankheiten, die bei Versicherten vor der Bezeichnung als Berufskrankheiten bereits entstanden waren, sind rückwirkend frühestens anzuerkennen

1.
in den Fällen des Absatzes 1 als Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die Bezeichnung in Kraft getreten ist,
2.
in den Fällen des Absatzes 2 wie eine Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorgelegen haben; hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten eine Empfehlung für die Bezeichnung einer neuen Berufskrankheit beschlossen, ist für die Anerkennung maßgebend der Tag der Beschlussfassung.

(3) Erkranken Versicherte, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach Absatz 1 genannten Berufskrankheit ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, wird vermutet, daß diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist.

(3a) Der Unfallversicherungsträger erhebt alle Beweise, die zur Ermittlung des Sachverhalts erforderlich sind. Dabei hat er neben den in § 21 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Beweismitteln auch Erkenntnisse zu berücksichtigen, die er oder ein anderer Unfallversicherungsträger an vergleichbaren Arbeitsplätzen oder zu vergleichbaren Tätigkeiten gewonnen hat. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Ermittlungen zu den Einwirkungen während der versicherten Tätigkeit dadurch erschwert sind, dass der Arbeitsplatz des Versicherten nicht mehr oder nur in veränderter Gestaltung vorhanden ist. Die Unfallversicherungsträger sollen zur Erfüllung der Aufgaben nach den Sätzen 2 und 3 einzeln oder gemeinsam tätigkeitsbezogene Expositionskataster erstellen. Grundlage für diese Kataster können die Ergebnisse aus systematischen Erhebungen, aus Ermittlungen in Einzelfällen sowie aus Forschungsvorhaben sein. Die Unfallversicherungsträger können außerdem Erhebungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen durchführen.

(4) Besteht für Versicherte, bei denen eine Berufskrankheit anerkannt wurde, die Gefahr, dass bei der Fortsetzung der versicherten Tätigkeit die Krankheit wiederauflebt oder sich verschlimmert und lässt sich diese Gefahr nicht durch andere geeignete Mittel beseitigen, haben die Unfallversicherungsträger darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen. Die Versicherten sind von den Unfallversicherungsträgern über die mit der Tätigkeit verbundenen Gefahren und mögliche Schutzmaßnahmen umfassend aufzuklären. Zur Verhütung einer Gefahr nach Satz 1 sind die Versicherten verpflichtet, an individualpräventiven Maßnahmen der Unfallversicherungsträger teilzunehmen und an Maßnahmen zur Verhaltensprävention mitzuwirken; die §§ 60 bis 65a des Ersten Buches gelten entsprechend. Pflichten der Unternehmer und Versicherten nach dem Zweiten Kapitel und nach arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften bleiben hiervon unberührt. Kommen Versicherte ihrer Teilnahme- oder Mitwirkungspflicht nach Satz 3 nicht nach, können die Unfallversicherungsträger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder die Leistung einer danach erstmals festzusetzenden Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit oder den Anteil einer Rente, der auf eine danach eingetretene wesentliche Änderung im Sinne des § 73 Absatz 3 zurückgeht, bis zur Nachholung der Teilnahme oder Mitwirkung ganz oder teilweise versagen. Dies setzt voraus, dass infolge der fehlenden Teilnahme oder Mitwirkung der Versicherten die Teilhabeleistungen erforderlich geworden sind oder die Erwerbsminderung oder die wesentliche Änderung eingetreten ist; § 66 Absatz 3 und § 67 des Ersten Buches gelten entsprechend.

(5) Soweit Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen.

(6) Die Bundesregierung regelt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates

1.
Voraussetzungen, Art und Umfang von Leistungen zur Verhütung des Entstehens, der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens von Berufskrankheiten,
2.
die Mitwirkung der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen bei der Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind; dabei kann bestimmt werden, daß die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen berechtigt sind, Zusammenhangsgutachten zu erstellen sowie zur Vorbereitung ihrer Gutachten Versicherte zu untersuchen oder auf Kosten der Unfallversicherungsträger andere Ärzte mit der Vornahme der Untersuchungen zu beauftragen,
3.
die von den Unfallversicherungsträgern für die Tätigkeit der Stellen nach Nummer 2 zu entrichtenden Gebühren; diese Gebühren richten sich nach dem für die Begutachtung erforderlichen Aufwand und den dadurch entstehenden Kosten.

(7) Die Unfallversicherungsträger haben die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständige Stelle über den Ausgang des Berufskrankheitenverfahrens zu unterrichten, soweit ihre Entscheidung von der gutachterlichen Stellungnahme der zuständigen Stelle abweicht.

(8) Die Unfallversicherungsträger wirken bei der Gewinnung neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse insbesondere zur Fortentwicklung des Berufskrankheitenrechts mit; sie sollen durch eigene Forschung oder durch Beteiligung an fremden Forschungsvorhaben dazu beitragen, den Ursachenzusammenhang zwischen Erkrankungshäufigkeiten in einer bestimmten Personengruppe und gesundheitsschädlichen Einwirkungen im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit aufzuklären. Die Verbände der Unfallversicherungsträger veröffentlichen jährlich einen gemeinsamen Bericht über ihre Forschungsaktivitäten und die Forschungsaktivitäten der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Bericht erstreckt sich auf die Themen der Forschungsvorhaben, die Höhe der aufgewendeten Mittel sowie die Zuwendungsempfänger und Forschungsnehmer externer Projekte.

(9) Die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen dürfen zur Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind, Daten verarbeiten sowie zur Vorbereitung von Gutachten Versicherte untersuchen, soweit dies im Rahmen ihrer Mitwirkung nach Absatz 6 Nr. 2 erforderlich ist; sie dürfen diese Daten insbesondere an den zuständigen Unfallversicherungsträger übermitteln. Die erhobenen Daten dürfen auch zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren gespeichert, verändert, genutzt, übermittelt oder in der Verarbeitung eingeschränkt werden. Soweit die in Satz 1 genannten Stellen andere Ärzte mit der Vornahme von Untersuchungen beauftragen, ist die Übermittlung von Daten zwischen diesen Stellen und den beauftragten Ärzten zulässig, soweit dies im Rahmen des Untersuchungsauftrages erforderlich ist.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 14. Mai 2009 wird zurückgewiesen, soweit ihre Berufung gegen die Aufhebung der Ablehnung eines Anspruchs auf Anerkennung einer PTBS als Wie-BK im Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 2000 im Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 25. Oktober 2005 zurückgewiesen wurde. Im Übrigen werden diese Urteile aufgehoben und die Feststellungsklage abgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits in allen Instanzen zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch auf die Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) als Wie-Berufskrankheit (Wie-BK) streitig.

2

Der 1943 geborene Kläger ist von Beruf Diplom-Sozialarbeiter. Er nahm 1968 eine Beschäftigung als hauptamtlicher Mitarbeiter in der Entwicklungshilfe auf. Dort war er von März 1968 bis Juni 1973 auf Madagaskar und von Juli 1973 bis Juli 1975 in Mali eingesetzt. Von August 1975 bis Dezember 1978 war er beim Deutschen Entwicklungsdienst (DED) im Inland beschäftigt. Für diese Organisation war er von Januar 1979 bis Januar 1983 in Niger, von Februar 1983 bis Juni 1987 in Berlin, von August 1987 bis Juli 1995 in Togo sowie von September 1995 bis Februar 1999 als Referatsleiter "Westafrika" wieder in Berlin eingesetzt. In der zuletzt genannten Funktion unternahm er mehrere Reisen in westafrikanische Länder.

3

Unter dem 1.2.1999 zeigte der DED der Beklagten eine mögliche Berufskrankheit an. Der Kläger leide nach jahrelangem Aufenthalt in Krisengebieten an PTBS. Die Beklagte lehnte die Anerkennung einer PTBS als "Berufskrankheit nach der Berufskrankheiten-Verordnung" (BKV) ab (Bescheid vom 8.2.2000). Der Kläger erhob dagegen Widerspruch und machte außerdem geltend, die Erkrankung sei als Wie-BK anzuerkennen. Die Beklagte wies den Widerspruch durch den Widerspruchsausschuss mit Widerspruchsbescheid vom 25.7.2000 zurück. Darin wurde erstmals erklärt, die PTBS sei nicht nach § 9 Abs 2 SGB VII wie eine Berufskrankheit anzuerkennen, da neue medizinische Erkenntnisse hierzu nicht vorlägen.

4

Der Kläger hat beim SG Freiburg die Aufhebung der den Anspruch auf Anerkennung einer Wie-BK ablehnenden Entscheidung und die Verpflichtung der Beklagten zur Anerkennung sowie ihre Verurteilung zur Entschädigung begehrt. Das SG hat den "Bescheid der Beklagten vom 08.02.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 25.07.2000" aufgehoben und diese verurteilt, die PTBS als Wie-BK anzuerkennen und ihm die gesetzlichen Entschädigungsleistungen zu gewähren (Urteil vom 25.10.2005).

5

Die Beklagte hat gegen das Urteil des SG Berufung eingelegt und die Auffassung vertreten, neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über das Entstehen der Erkrankung PTBS bei der Gruppe der hauptberuflich in der Entwicklungshilfe tätigen Personen lägen nicht vor. Das LSG hat die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass festgestellt wird, dass die beim Kläger vorliegende PTBS wie eine BK zu "entschädigen" ist. Die hauptamtlich in der Entwicklungshilfe tätigen Personen und die Entwicklungshelfer seien zu einer Gruppe zusammenzufassen. Mit hinreichender Wahrscheinlichkeit sei die Personengruppe bei ihrer Tätigkeit Einwirkungen ausgesetzt, die geeignet seien, PTBS hervorzurufen. Auch die individuellen Voraussetzungen für die Feststellung einer Wie-BK seien gegeben.

6

Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung von § 9 Abs 2 SGB VII sowie § 551 Abs 2 RVO und einen Verstoß gegen die Grenzen freier richterlicher Beweiswürdigung. Für die Anerkennung einer Wie-BK seien ua besondere Einwirkungen zu fordern, denen der Kläger als Mitglied einer bestimmten Personengruppe in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sei. Zudem müssten neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft belegen, dass die Einwirkungen generell geeignet seien, PTBS zu verursachen. Bei den Feststellungen habe das LSG die Gruppe der Entwicklungshelfer iS des Entwicklungshelfer-Gesetzes von der Gruppe der als Landesbeauftragten eines Entwicklungshilfedienstes Beschäftigten abgrenzen müssen. Bei Beachtung dieser Unterscheidung zeige sich, dass Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die Verursachung einer PTBS nicht für die Gruppe der hauptamtlichen Landesbeauftragten gegeben seien. Für die Gruppe der hauptamtlich tätigen Verwaltungsbeauftragten lasse sich eine gruppenspezifische Risikoerhöhung nicht feststellen. Notwendig sei eine epidemiologische Bestätigung des Kausalzusammenhangs, die es nicht gebe.

7

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 14. Mai 2009 sowie das Urteil des SG Freiburg vom 25. Oktober 2005 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Beklagten ist teilweise begründet.

10

Da die Beklagte Revision eingelegt hat, sind nur die vom LSG bestätigte Aufhebung der Ablehnung der Feststellung einer Listen-BK im Bescheid vom 8.2.2000 und im Widerspruchsbescheid vom 25.7.2000 und die Aufhebung der in diesem zudem enthaltenen Ablehnung der Anerkennung einer Wie-BK sowie die Verurteilung zur Entschädigung einer PTBS als Wie-BK Gegenstände der Revision. Diese ist begründet, soweit das LSG die Berufung der Beklagten gegen die Aufhebung des die Anerkennung einer Listen-BK ablehnenden Bescheids vom 8.2.2000 und nur insoweit in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.7.2000 zurückgewiesen und das Urteil des SG mit der Maßgabe bestätigt hat, dass eine PTBS als Wie-BK festzustellen sei.

11

1. Gegen die Ablehnung eines Anspruchs auf Feststellung einer Listen-BK im Bescheid vom 8.2.2000 und die Zurückweisung seines Widerspruchs gegen diese Regelung im Widerspruchsbescheid hat der Kläger vor dem SG keine Klage erhoben. Er hat die Feststellung einer Listen-BK vor dem SG von Anfang an nicht begehrt. Der Verwaltungsakt vom 8.2.2000, der nur diese Regelung enthält, und der Widerspruchsbescheid vom 25.7.2000, soweit er den Widerspruch gegen diese Verfügung zurückweist, sind vom Kläger nicht angegriffen worden und durften schon deshalb nicht aufgehoben werden.

12

2. Die Feststellung einer PTBS als zu entschädigende Wie-BK, die das SG ausgesprochen hat, hätte das LSG nicht bestätigen dürfen. Die hierauf gerichtete Feststellungsklage ist unzulässig gewesen, denn insoweit fehlte es an einer Verwaltungsentscheidung der zuständigen Behörde über den Feststellungsantrag. Solange die sachlich zuständige Ausgangsbehörde des Unfallversicherungsträgers nicht über den erhobenen Feststellungsanspruch entschieden hat, kann der Versicherte, außer bei rechtswidriger Untätigkeit der Behörde, kein berechtigtes Interesse an einer gerichtlichen Feststellung haben.

13

3. Dagegen ist die Revision unbegründet, soweit das LSG die Berufung der Beklagten gegen die Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 25.7.2000 zurückgewiesen hat, soweit darin erstmals der Antrag auf Anerkennung der PTBS als Wie-BK abgelehnt worden ist. Das SG hat den Widerspruchsbescheid auf die Anfechtungsklage des Klägers gegen die Ablehnung des Anspruchs auf Feststellung einer Wie-BK im Ergebnis zu Recht aufgehoben.

14

Soweit die Widerspruchsstelle den Widerspruch gegen die im Ausgangsbescheid verfügte Ablehnung der Feststellung einer Listen-BK zurückgewiesen hat, hat der Widerspruchsbescheid - wie gesagt - Bestand, denn er ist insoweit nicht angefochten worden. Soweit aber die Widerspruchsstelle erstmals die Feststellung einer Wie-BK abgelehnt hat, hat sie eine Entscheidung über ein anderes Recht des Klägers getroffen, denn der Anspruch auf Feststellung einer Listen-BK einerseits und derjenige auf Feststellung einer Wie-BK andererseits sind grundsätzlich zu unterscheiden (vgl BSG vom 2.12.2008 - B 2 KN 3/07 U R - SozR 4-2700 § 9 Nr 13).

15

Die Feststellung der Widerspruchsstelle, der Kläger habe keinen Anspruch auf Anerkennung einer Wie-BK, ist rechtswidrig und verletzt diesen schon in seinem verfahrensrechtlichen Recht auf Entscheidung durch die funktional und sachlich zuständige Behörde des Leistungsträgers (§ 42 Satz 1 SGB X). Denn die Widerspruchsstelle ist funktional und sachlich nicht zuständig, an Stelle der Ausgangsbehörde des Trägers - hier des Rentenausschusses - über ein erstmals im Widerspruchsverfahren geltend gemachtes Recht zu entscheiden (vgl § 36a Abs 1 Satz 1 SGB IV iVm der Satzung der Beklagten; dazu BSG SozR 3-1500 § 87 Nr 1 S 5 f; BSG vom 30.3.2004 - B 4 RA 48/01 R, veröffentlicht in JURIS; BSG vom 18.10.2005 - B 4 RA 21/05 R; stRspr). Der Verfahrensfehler ist iS von § 62 Halbs 2, § 42 Satz 1 SGB X beachtlich und begründet einen Aufhebungsanspruch.

16

Aufgrund des Antrags auf Feststellung einer Wie-BK, den der Kläger mit seiner Widerspruchsbegründung gestellt hat, muss jetzt die sachlich zuständige Behörde der Beklagten das Verwaltungsverfahren durchführen.

17

4. Der Senat sieht sich im Hinblick auf die bisherige Dauer des Verfahrens und den zeitlichen Aspekt, den die grundgesetzliche Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 GG) hat, veranlasst, auf Folgendes hinzuweisen:

18

Maßgebend für die Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs dürfte das SGB VII (§ 212 SGB VII)sein. Zwar könnte die streitige Erkrankung seit Mitte 1996 eingetreten sein. Es ist aber anzunehmen, dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse über die Einwirkungs-Verursachungs-beziehung - wenn überhaupt, dann - aus der Zeit nach dem Jahr 2000 stammen. Der Versicherungsfall dürfte daher nach Inkrafttreten des SGB VII eingetreten sein (BSG vom 2.12.2008 - B 2 KN 1/08 U R - BSGE 102, 121, 126 = SozR 4-2700 § 9 Nr 12, RdNr 22).

19

Für die Feststellung einer Wie-BK genügt es nicht, dass im Einzelfall berufsbedingte Einwirkungen die rechtlich wesentliche Ursache einer nicht in der BK-Liste bezeichneten Krankheit sind (vgl BSG vom 30.1.1986 - 2 RU 80/84 - BSGE 59, 295 = SozR 2200 § 551 Nr 27), denn die Regelung des § 9 Abs 2 SGB VII beinhaltet keinen Auffangtatbestand und keine allgemeine Härteklausel(vgl BSG vom 12.1.2010 - B 2 U 5/08 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 17 RdNr 31 mwN). Vielmehr darf die Anerkennung einer Wie-BK nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der BKen (vgl § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII) erfüllt sind, der Verordnungsgeber sie also als neue Listen-BK in die BKV einfügen dürfte, aber noch nicht tätig geworden ist (vgl BT-Drucks 13/2204, 77 f).

20

           

Nach § 9 Abs 2 SGB VII müssen für die Feststellung der Wie-BK folgende Voraussetzungen erfüllt sein (zu den einzelnen Prüfungsschritten nachfolgend):

(1) Ein "Versicherter" muss die Feststellung einer bestimmten Krankheit als Wie-BK beanspruchen.

(2) Die Voraussetzungen einer in der Anlage 1 zur BKV bezeichneten Krankheit dürfen nicht erfüllt sein.

(3) Die Voraussetzungen für die Bezeichnung der geltend gemachten Krankheit als Listen-BK durch den Verordnungsgeber nach § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII müssen vorliegen; es muss eine bestimmte Personengruppe durch die versicherte Tätigkeit besonderen Einwirkungen in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt (gewesen) sein (3.1), und es müssen medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse über das Bestehen einer Einwirkungs- und Verursachungsbeziehung vorliegen (3.2).

(4) Diese medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse müssen neu sein.

(5) Im Einzelfall müssen die abstrakten Voraussetzungen der Wie-BK konkret erfüllt sein.

21

ad (1) Der Kläger dürfte als hauptamtlich Beschäftigter des DED bei seinen Auslandseinsätzen nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII, § 4 Abs 1 SGB IV versichert gewesen sein, denn während seiner Auslandseinsätze bestand im Inland ein Beschäftigungsverhältnis zum DED, in dessen Rahmen er vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt im Ausland tätig war. Er hat mit der PTBS eine bestimmte Krankheit benannt, deren Anerkennung als Wie-BK er begehrt.

22

ad (2) Die Merkmale einer Listen-BK sind nicht erfüllt.

23

ad (3) Nach § 9 Abs 2 iVm Abs 1 Satz 2 Halbs 1 SGB VII setzt die Feststellung einer Wie-BK voraus, dass eine bestimmte Personengruppe durch die Art der versicherten Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt ist (3.1). Die Personengruppe darf nicht vorab nach gesetzesfremden Merkmalen bestimmt werden, sondern ergibt sich durch die nachgenannten Prüfungen. Zuerst ist die Art der Einwirkungen zu ermitteln, die im Blick auf die vom Versicherten geltend gemachte Krankheit abstrakt-generell als Ursachen in Betracht kommen können. Dann ist zu klären, ob diese abstrakt-generell einer bestimmten Art einer vom Versicherten verrichteten versicherten Tätigkeit zuzurechnen sind. Erst aus dieser Verbindung von krankheitsbezogenen Einwirkungen und versicherten Tätigkeiten ergibt sich die abstrakt-generelle Personengruppe, die sich von der Allgemeinbevölkerung unterscheidet. Als Einwirkungen kommt praktisch alles in Betracht, was auf Menschen einwirkt. Daher ist es - auch wenn es (noch) keine Listen-BK gibt - möglich, auf rein psychische Einwirkungen abzustellen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Verordnungsgeber eine entsprechende Listen-BK einführen kann. An die bestimmte Personengruppe sind keine besonderen Anforderungen hinsichtlich ihrer Größe (vgl BSG vom 29.10.1981 - 8/8a RU 82/80 - BSGE 52, 272, 275 = SozR 2200 § 551 Nr 20) oder sonstiger charakterisierender Merkmale zu stellen (zB nicht gemeinsamer Beruf, vgl Becker in Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, Gesetzliche Unfallversicherung, SGB VII-Kommentar, Stand Mai 2010, § 9 RdNr 55).

24

(3.2) Die Einwirkungen, denen die Personengruppe durch die versicherte Tätigkeit ausgesetzt ist, müssen abstrakt-generell nach dem Stand der Wissenschaft die wesentliche Ursache einer Erkrankung der geltend gemachten Art sein. Denn für die Beurteilung des generellen Ursachenzusammenhangs gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17). Vor der rechtlichen Beurteilung der Wesentlichkeit einer Ursachenart selbst muss auch hier die naturwissenschaftliche/naturphilosophische Kausalitätsprüfung erfolgen. Dabei ist zu klären, ob nach wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen belegt ist, dass bestimmte Einwirkungen generell bestimmte Krankheiten der vom Versicherten geltend gemachten Art verursachen. Das ist anzunehmen, wenn die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf den jeweils in Betracht kommenden Gebieten über besondere Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt (zweifelnd zum Vorliegen solcher Erkenntnisse für die PTBS: Becker, ASUmed 2006, 304, 306; Knickrehm, SGb 2010, 381, 385). Bei der Erstellung und der gerichtlichen Überprüfung der Gutachten, die zur Ermittlung des Stands der Wissenschaft einzuholen sind, können zB auch Erkenntnisse der "militärischen" Forschung (Knickrehm, SGb 2010, 381, 388; Biesold, MedSach 2010, 23 ff) und die Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften herangezogen werden (vgl BSG vom 9.5.2006, aaO, jeweils RdNr 26 mwN).

25

ad (4) Falls solche Erkenntnisse zur PTBS vorliegen, dürften diese neu iS des § 9 Abs 2 SGB VII sein (so auch das Urteil des LSG), weil sie bei der letzten Änderung der BKV vom Verordnungsgeber nicht geprüft und nicht beachtet wurden.

26

ad (5) Zur Beurteilung der Frage, ob auch die individuellen Voraussetzungen für die Anerkennung einer psychischen Erkrankung als Wie-BK vorliegen, ergeben sich aus dem Urteil des Senats vom 9.5.2006 (aaO, jeweils RdNr 24 f) Hinweise, auch wenn es die psychischen Folgen eines Arbeitsunfalls betraf. Danach ist, wenn der Versicherte nicht selbst von Einwirkungen betroffen war, sondern Einwirkungen auf Dritte beobachtete, als Anknüpfungspunkt für die Bejahung des Ursachenzusammenhangs ein enger personaler Bezug zu verlangen (vgl BSG vom 8.8.2001 - B 9 VG 1/00 R - BSGE 88, 240 = SozR 3-3800 § 1 Nr 20).

27

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG. Der Senat schätzt den Anteil des wechselseitigen Obsiegens und Unterliegens auf jeweils die Hälfte.

(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, daß die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind. In der Rechtsverordnung kann ferner bestimmt werden, inwieweit Versicherte in Unternehmen der Seefahrt auch in der Zeit gegen Berufskrankheiten versichert sind, in der sie an Land beurlaubt sind.

(1a) Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ein Ärztlicher Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten gebildet. Der Sachverständigenbeirat ist ein wissenschaftliches Gremium, das das Bundesministerium bei der Prüfung der medizinischen Erkenntnisse zur Bezeichnung neuer und zur Erarbeitung wissenschaftlicher Stellungnahmen zu bestehenden Berufskrankheiten unterstützt. Bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wird eine Geschäftsstelle eingerichtet, die den Sachverständigenbeirat bei der Erfüllung seiner Arbeit organisatorisch und wissenschaftlich, insbesondere durch die Erstellung systematischer Reviews, unterstützt. Das Nähere über die Stellung und die Organisation des Sachverständigenbeirats und der Geschäftsstelle regelt die Bundesregierung in der Rechtsverordnung nach Absatz 1.

(2) Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind.

(2a) Krankheiten, die bei Versicherten vor der Bezeichnung als Berufskrankheiten bereits entstanden waren, sind rückwirkend frühestens anzuerkennen

1.
in den Fällen des Absatzes 1 als Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die Bezeichnung in Kraft getreten ist,
2.
in den Fällen des Absatzes 2 wie eine Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorgelegen haben; hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten eine Empfehlung für die Bezeichnung einer neuen Berufskrankheit beschlossen, ist für die Anerkennung maßgebend der Tag der Beschlussfassung.

(3) Erkranken Versicherte, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach Absatz 1 genannten Berufskrankheit ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, wird vermutet, daß diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist.

(3a) Der Unfallversicherungsträger erhebt alle Beweise, die zur Ermittlung des Sachverhalts erforderlich sind. Dabei hat er neben den in § 21 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Beweismitteln auch Erkenntnisse zu berücksichtigen, die er oder ein anderer Unfallversicherungsträger an vergleichbaren Arbeitsplätzen oder zu vergleichbaren Tätigkeiten gewonnen hat. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Ermittlungen zu den Einwirkungen während der versicherten Tätigkeit dadurch erschwert sind, dass der Arbeitsplatz des Versicherten nicht mehr oder nur in veränderter Gestaltung vorhanden ist. Die Unfallversicherungsträger sollen zur Erfüllung der Aufgaben nach den Sätzen 2 und 3 einzeln oder gemeinsam tätigkeitsbezogene Expositionskataster erstellen. Grundlage für diese Kataster können die Ergebnisse aus systematischen Erhebungen, aus Ermittlungen in Einzelfällen sowie aus Forschungsvorhaben sein. Die Unfallversicherungsträger können außerdem Erhebungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen durchführen.

(4) Besteht für Versicherte, bei denen eine Berufskrankheit anerkannt wurde, die Gefahr, dass bei der Fortsetzung der versicherten Tätigkeit die Krankheit wiederauflebt oder sich verschlimmert und lässt sich diese Gefahr nicht durch andere geeignete Mittel beseitigen, haben die Unfallversicherungsträger darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen. Die Versicherten sind von den Unfallversicherungsträgern über die mit der Tätigkeit verbundenen Gefahren und mögliche Schutzmaßnahmen umfassend aufzuklären. Zur Verhütung einer Gefahr nach Satz 1 sind die Versicherten verpflichtet, an individualpräventiven Maßnahmen der Unfallversicherungsträger teilzunehmen und an Maßnahmen zur Verhaltensprävention mitzuwirken; die §§ 60 bis 65a des Ersten Buches gelten entsprechend. Pflichten der Unternehmer und Versicherten nach dem Zweiten Kapitel und nach arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften bleiben hiervon unberührt. Kommen Versicherte ihrer Teilnahme- oder Mitwirkungspflicht nach Satz 3 nicht nach, können die Unfallversicherungsträger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder die Leistung einer danach erstmals festzusetzenden Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit oder den Anteil einer Rente, der auf eine danach eingetretene wesentliche Änderung im Sinne des § 73 Absatz 3 zurückgeht, bis zur Nachholung der Teilnahme oder Mitwirkung ganz oder teilweise versagen. Dies setzt voraus, dass infolge der fehlenden Teilnahme oder Mitwirkung der Versicherten die Teilhabeleistungen erforderlich geworden sind oder die Erwerbsminderung oder die wesentliche Änderung eingetreten ist; § 66 Absatz 3 und § 67 des Ersten Buches gelten entsprechend.

(5) Soweit Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen.

(6) Die Bundesregierung regelt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates

1.
Voraussetzungen, Art und Umfang von Leistungen zur Verhütung des Entstehens, der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens von Berufskrankheiten,
2.
die Mitwirkung der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen bei der Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind; dabei kann bestimmt werden, daß die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen berechtigt sind, Zusammenhangsgutachten zu erstellen sowie zur Vorbereitung ihrer Gutachten Versicherte zu untersuchen oder auf Kosten der Unfallversicherungsträger andere Ärzte mit der Vornahme der Untersuchungen zu beauftragen,
3.
die von den Unfallversicherungsträgern für die Tätigkeit der Stellen nach Nummer 2 zu entrichtenden Gebühren; diese Gebühren richten sich nach dem für die Begutachtung erforderlichen Aufwand und den dadurch entstehenden Kosten.

(7) Die Unfallversicherungsträger haben die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständige Stelle über den Ausgang des Berufskrankheitenverfahrens zu unterrichten, soweit ihre Entscheidung von der gutachterlichen Stellungnahme der zuständigen Stelle abweicht.

(8) Die Unfallversicherungsträger wirken bei der Gewinnung neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse insbesondere zur Fortentwicklung des Berufskrankheitenrechts mit; sie sollen durch eigene Forschung oder durch Beteiligung an fremden Forschungsvorhaben dazu beitragen, den Ursachenzusammenhang zwischen Erkrankungshäufigkeiten in einer bestimmten Personengruppe und gesundheitsschädlichen Einwirkungen im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit aufzuklären. Die Verbände der Unfallversicherungsträger veröffentlichen jährlich einen gemeinsamen Bericht über ihre Forschungsaktivitäten und die Forschungsaktivitäten der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Bericht erstreckt sich auf die Themen der Forschungsvorhaben, die Höhe der aufgewendeten Mittel sowie die Zuwendungsempfänger und Forschungsnehmer externer Projekte.

(9) Die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen dürfen zur Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind, Daten verarbeiten sowie zur Vorbereitung von Gutachten Versicherte untersuchen, soweit dies im Rahmen ihrer Mitwirkung nach Absatz 6 Nr. 2 erforderlich ist; sie dürfen diese Daten insbesondere an den zuständigen Unfallversicherungsträger übermitteln. Die erhobenen Daten dürfen auch zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren gespeichert, verändert, genutzt, übermittelt oder in der Verarbeitung eingeschränkt werden. Soweit die in Satz 1 genannten Stellen andere Ärzte mit der Vornahme von Untersuchungen beauftragen, ist die Übermittlung von Daten zwischen diesen Stellen und den beauftragten Ärzten zulässig, soweit dies im Rahmen des Untersuchungsauftrages erforderlich ist.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 18. Februar 2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Klägers sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Im Streit steht, ob der Kläger am 08.08.2012 einen Arbeitsunfall erlitten hat.
Der am … 1963 geborene Kläger ist als Nebenerwerbslandwirt bei der Beklagten in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert. Im Hauptberuf ist er als Außendienst-Vertreter bei der Firma W./K. beschäftigt. Zum Unfallzeitpunkt bewirtschaftete der Kläger ein in seinem Eigentum stehendes Waldgrundstück von 1,13 ha und versorgte 4 Schweine und 30 Kaninchen.
Am 08.08.2012 stürzte der Kläger auf der von ihm bewirtschafteten Hofstelle seiner Eltern in I.-D., L.. 10, von einem Anhänger und geriet dabei mit der linken Hand in eine auslaufende Kreissäge. Hierbei erlitt er eine Metacarpale-V-Trümmerfraktur intraartikulär, eine Strecksehnendefektverletzung DIII-IV sowie eine Abtrennung der Extensor carpi ulnaris (vgl. stationärer Zwischenbericht vom 10.10.2012, Bl. 44 Behördenakten - BA). Die Erstversorgung erfolgte im Krankenhaus H., die weitere Behandlung mit mehreren Operationen in den S.-Kliniken H., Klinikum am G..
Ausweislich des Durchgangsarztberichtes vom 08.08.2012 gab der Kläger gegenüber den Ärzten der S.-Kliniken zum Unfallhergang an, an diesem Tag als Nebenerwerbsbauer Holz gemacht zu haben. Beim Aufstapeln von Holz auf einen Anhänger sei er von diesem abgerutscht und mit dem ganzen Körper auf eine auslaufende Kreissäge gefallen. Hierbei sei er mit der linken Hand ins Sägeblatt geraten.
Noch während des ersten bis zum 23.08.2012 dauernden stationären Aufenthaltes in den S.-Kliniken suchte ein Mitarbeiter der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft den Kläger am 15.08.2012 dort auf, um den Sachverhalt weiter aufzuklären. In dem hierzu gefertigten Besuchsbericht wird ausgeführt, nach den Angaben des Klägers habe dieser „zusammen mit seinem Vater und seinem Bruder Holz (auch für den Eigenbedarf zum Heizen im Winter) gemacht“. Am Unfalltag hätten sie mit der Kreissäge das Holz klein gesägt und er sei damit beschäftigt gewesen, die Holzscheite auf dem Anhänger zu schichten. Dabei sei er vom Anhänger gestürzt und mit der Hand in die bereits ausgeschaltete, aber noch nachlaufende Kreissäge gestürzt. Bei dem Besuch habe sich der Kläger nach Berechnung und Höhe des Verletztengeldes erkundigt, da er vor kurzem gebaut und fünf Kinder zu versorgen habe.
In seiner Unfallanzeige vom 12.09.2012 führte der Kläger zum Unfallhergang aus, er sei während seines Urlaubes zu seinen Eltern gefahren, um Brennholz für sich zu besorgen. Dies erledige er jedes Jahr. Den ganzen Tag über hätten sein Vater, sein Bruder und er mit dem Hänger Holz aus dem Wald geholt, um dieses dann im Vorhof seiner Eltern mit der Kreissäge in Brennholzstücke zu sägen. Der Hänger mit dem Holz sowie der Kipper mit dem bereits zugesägten Brennholz hätten mit wenig Abstand vor der Kreissäge gestanden. Als der Hänger mit dem Holz entladen gewesen sei und er sein Brennholz auf dem Kipper vorschriftsmäßig gestapelt bzw. geladen gehabt habe und eigentlich nur noch vom Kipper habe runterklettern wollen, sei es zu dem Unfall gekommen.
Im ebenfalls am 12.09.2012 ausgefüllten „Fragebogen Holzaufbereitung“ hat der Kläger zur Frage, für wen das Holz bestimmt oder vorgesehen gewesen sei, eingetragen: „Für mich selbst“ (B Nr. 2). Auf die Frage, für welche Zwecke am Unfalltag das Holz habe bearbeitet oder aufbereitet bzw. wofür es habe verwendet werden sollen, mit prozentualer Angabe bei mehreren Verwendungszwecken, hat der Kläger angegeben, das Holz habe zu 100 % zur Heizung von Wohnstock und Kachelofen verwendet werden sollen (B Nr. 3). Die Antwortalternativen „Zum Kochen von Viehfutter für folgende Tiere…% des Holzes“, „Brennholz für…% des Holzes“ und „Verkauf an…% des Holzes“ hat der Kläger nicht angekreuzt. Außerdem hat der Kläger angegeben, das Holz stamme aus dem eigenen Wald (B Nr. 4), es habe sich um eine Menge von insgesamt 6 Raummeter (Ster) gehandelt (B Nr. 6).
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 18.09.2012 die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall mit der Begründung ab, die forstwirtschaftliche Tätigkeit sei in der Regel mit dem Abladevorgang beendet. Die spätere Verarbeitung zu Brennholz für den Haushalt sei eine Tätigkeit im Interesse der Hauswirtschaft. Dem Haushalt des landwirtschaftlichen Unternehmers dienende Tätigkeiten stünden dann unter Versicherungsschutz, wenn der Haushalt dem landwirtschaftlichen Unternehmen wesentlich diene, der Haushalt also auf das Unternehmen hin ausgerichtet sei und dieses dem Haushalt das Gepräge gebe. Der Haushalt werde insoweit Bestandteil des Unternehmens. Aufgrund der Größe und Struktur des hier veranlagten landwirtschaftlichen Unternehmens bestehe ein solcher versicherter Haushalt vorliegend nicht. Das Aufarbeiten von Brennholz als dem Haushalt dienende Tätigkeit sei somit unversichert gewesen.
Hiergegen hat der Kläger mit Schreiben vom 30.09.2012 Widerspruch eingelegt und zur Begründung vortragen lassen, er sei am 07. und 08.08.2012 mit seinem Vater mit Holzarbeiten beschäftigt gewesen. Er habe das im Wald gelagerte Holz auf einem Anhänger in seinen landwirtschaftlichen Betrieb geschafft. Das Holz sei mittels einer Kreissäge auf Ofengröße gesägt worden. Die Brennholzstücke seien dann in einem weiteren Arbeitsgang auf einen zweiten, bereitgestellten Anhänger gestapelt worden. Am 08.08.2012 sei sein Bruder, M. M., ebenfalls mit dem Sägen und Stapeln des Holzes beschäftigt gewesen. Das zu verarbeitende Brennholz sei nicht nur für seinen, des Klägers, Privatgebrauch vorgesehen gewesen. Vielmehr seien die zu verarbeitenden Holzstämme für die Eheleute H. bestimmt gewesen, die die Anlieferung von etwa 6 Raummeter in Auftrag gegeben hätten. Bereits vor Anlieferung des Brennholzes aus dem Wald sei mit dem Bruder vereinbart worden, dass das Holz zum Weiterverkauf an die Eheleute H. verarbeitet werden solle. Er habe, wie auf dem beigefügten Lichtbild zu erkennen, den bereit gestellten Anhänger seitlich erhöht, um die angeforderte Menge Holz in das etwa 40 km entfernte M. in einer Fahrt zu überführen. Ihm sei beim Ausfüllen des Fragebogens nicht bewusst gewesen, dass er zwischen den einzelnen Holzfuhren zu unterscheiden habe. Das weitere Holz, das im Zeitraum 07. und 08.08.2012 verarbeitet worden sei, habe zur Erwärmung von Wasser gedient, mit dem die für die Schweine bestimmten Kartoffeln hätten gekocht werden sollen.
10 
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.11.2012 hat die Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen, da die nunmehr gemachten Angaben von den zeitlich ersten Angaben im Hinblick auf die spätere Verwendung des Brennholzes erheblich abwichen. Den zeitlich ersten Aussagen komme besondere Bedeutung zu, da sie noch von irgendwelchen Wunschvorstellungen unbeeinflusst seien.
11 
Hiergegen hat der Kläger am 28.12.2012 Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben und ergänzend vorgetragen, er habe im Vertrauen auf die Eintrittspflicht der Beklagten nur geringe Aufmerksamkeit bei dem Ausfüllen des Fragebogens zur Unfallanzeige walten lassen. Er habe nicht zwischen den einzelnen Arbeitsschritten unterschieden und den Vorgang pauschal dargestellt.
12 
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG hat der Kläger auf Fragen des Gerichts weiter ausgeführt, das Holz werde nur gelegentlich an Verwandte verkauft, ein Verkauf an weitere Bekannte erfolge nicht. Frau H. sei seine Nichte. Am 08.08.2012 habe ein Anhänger mit Holz an sie nach Z. geliefert werden sollen. Für die Anlieferung habe er extra hohe Bordwände an den Anhänger angebracht. Auf diesem Anhänger habe sich dann der Unfall ereignet. Es sei geplant gewesen, das Holz am nächsten Morgen, am 09.08.2012, nach Z. zu transportieren. Es sei vereinbart gewesen, einen Kipper voller Holz nach Z. zu bringen, dies entspreche einer Menge von 6 Raummetern. Auf Frage, weshalb er in der Unfallanzeige andere Angaben gemacht habe, hat der Kläger erklärt, er sei psychisch so fertig gewesen, und habe nicht mehr zwischen den beiden Hängern unterschieden. Er sei im Krankenhaus von einem Mitarbeiter der Berufsgenossenschaft besucht worden, der ihm zugesichert habe, es handele sich um einen klassischen BG-Fall. Er habe sich dann keine Gedanken mehr darüber gemacht und zu diesem Zeitpunkt auch andere Sorgen gehabt. Sie hätten im Jahr 2012 zum ersten Mal Holz verkauft.
13 
Außerdem hat das SG den Bruder des Klägers, M. M., als Zeugen vernommen. Dieser hat angegeben, der Großteil des Holzes sei schon gesägt gewesen, als er am 08.08.2012 gegen dreiviertel vier auf den Hof seiner Eltern gekommen sei. Er habe das meterlange Holz runter zu seinem Vater gegeben, der es gesägt und die kurzen Stücke zu seinem Bruder, dem Kläger, auf den Hänger hochgeworfen habe. Sein Bruder habe auf dem Hänger gestanden, der ursprünglich noch abends nach Z. hätte gefahren werden sollen. Dies sei dann aber erst 4 bis 5 Wochen später geschehen. Es sei bereits Wochen zuvor ausgemacht worden, das Brennholz an seine Tochter zu liefern.
14 
Mit Urteil vom 18.02.2015 hat das SG festgestellt, dass das Ereignis vom 08.08.2012 einen Arbeitsunfall darstellt. Nach der Beweisaufnahme sei die Kammer davon überzeugt, dass das Holz für den Verkauf an die Nichte des Klägers vorgesehen gewesen sei. Das konkret zu verarbeitende Holz habe sich auf dem eigens für den Transport vorgesehenen Hänger mit hohen Aufsatzbrettern befunden. Sowohl der Kläger als auch der Zeuge hätten glaubhaft und übereinstimmend dargelegt, dass die hohen Ladewände des Anhängers extra für den Transport angebracht worden seien, was vor allem vor dem Hintergrund des langen Fahrtweges nach Z. einleuchtend sei. Bei einem Hänger ohne Bordwände hätte sich der Unfall nicht in dieser Form ereignet, denn auf den Hänger ohne Bordwände, auf welchem das Holz für den Eigengebrauch gestapelt gewesen sei, hätte der Kläger nicht hochsteigen müssen. Die Erstangaben des Klägers im Unfallfragebogen und im Fragebogen Holz seien durch die nunmehr getätigten Angaben und Aussagen des Klägers und des Zeugen widerlegt, die in sich widerspruchsfrei und schlüssig seien. Die Angaben des Klägers deckten sich mit der Aussage des glaubwürdigen Zeugen. Es sei vor dem Hintergrund des Ausmaßes und des Schocks der erlittenen Verletzung durchaus nachvollziehbar, dass der Kläger dem Ausfüllen des Unfallfragebogens keine Bedeutung beigemessen habe. Zum anderen sei vor dem Hintergrund der familiären Bindungen glaubhaft, dass der Kläger in dieser Situation nicht mehr zwischen dem am Vortag für die eigene Familie und den eigenen Gebrauch zubereiteten Holz und dem für den Verkauf vorgesehenen Holz differenziert habe.
15 
Gegen das der Beklagten am 03.03.2015 zugestellte Urteil hat diese am 20.03.2015 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung nochmals auf die einer Feststellung als Arbeitsunfall entgegen stehenden Erstangaben des Klägers hingewiesen.
16 
Die Beklagte beantragt,
17 
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 18. Februar 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
18 
Der Kläger beantragt,
19 
die Berufung zurückzuweisen.
20 
Er hat zur Begründung auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil des SG Bezug genommen und ergänzend darauf hingewiesen, unverzüglich seine Angaben korrigiert zu haben, nachdem er deren Unrichtigkeit im Unfallbogen erkannt habe.
21 
Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 21.05.2015 den Kläger nochmals befragt und dessen Bruder, M. M., als Zeugen vernommen. Hinsichtlich des Inhalts der Aussagen wird auf die Sitzungsniederschrift vom 21.05.2015 verwiesen.
22 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die vorgelegte Behördenakte sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
23 
Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte sowie nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgemäß eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Ihr Bescheid vom 18.09.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat im Zeitpunkt seines Unfalles nicht als landwirtschaftlicher Unternehmer nach § 2 Abs. 1 Nr. 5a Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) unter Versicherungsschutz gestanden. Das SG hätte seine als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Klage (vgl. zur Klageart BSG, Urteil vom 02.12.2008 - B 2 U 26/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 29) daher abweisen müssen.
24 
Rechtsgrundlage für die seitens des Klägers angestrebte Feststellung des Ereignisses vom 08.08.2012 als Arbeitsunfall sind §§ 102, 8 Abs. 1 SGB VII. Nach § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten in Folge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 SGB VII begründenden Tätigkeit.
25 
Nach § 2 Abs. 1 Nr. 5a SGB VII sind kraft Gesetzes in der gesetzlichen Unfallversicherung Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner versichert.Der Umfang des landwirtschaftlichen Unternehmens wird durch § 123 SGB VII bestimmt. Versicherte Unternehmer sind dabei nach § 123 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII im Wesentlichen diejenigen, die Land- und Forstwirtschaft, Garten- und Weinbau, Fischzucht, Teichwirtschaft, Seen-, Bach- und Flussfischerei (Binnenfischerei) und Imkerei betreiben.
26 
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Für einen Arbeitsunfall eines Versicherten ist danach im Regelfall erforderlich, dass seine Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), sie zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Bedingung für die Feststellung eines Arbeitsunfalls (BSG, Urteil vom 17.02.2009 - B 2 U 18/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 31).
27 
Ob die Verrichtung, bei der sich der Unfall ereignet hat, der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (sog. innerer oder sachlicher Zusammenhang), ist wertend zu entscheiden, indem untersucht wird, ob die Tätigkeit innerhalb der Grenze liegt, bis zu der nach Sinn und Zweck des Gesetzes der Unfallversicherungsschutz reicht. Für die tatsächlichen Grundlagen dieser Wertentscheidung ist der volle Nachweis erforderlich (BSG, Urteil vom 18.03.2008 - B 2 U 2./07 R - SozR 4-2700 § 6 Nr. 1; BSG, Urteil vom 10.10.2006 - B 2 U 2./05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 19). Maßgeblich für die Beurteilung des inneren bzw. sachlichen Zusammenhangs einer konkreten Verrichtung mit einer versicherten Tätigkeit nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII ist - auch bei selbstständigen Unternehmern (vgl. BSG, Urteil vom 18.03.2008 - B 2 U 2./07 R - a. a. O.) - die objektive Handlungstendenz, ob also der Betroffene eine versicherte Tätigkeit ausüben wollte und diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird (vgl. BSG, Urteil vom 09.11.2010 - B 2 U 1./10 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 39; BSG, Urteil vom 10.10.2006 - B 2 U 2./05 R - a. a. O.).
28 
Dabei müssen das Vorliegen einer versicherten Verrichtung zur Zeit des Unfalls, das Unfallereignis selbst sowie der Gesundheitserstschaden im Überzeugungsgrad des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein. Für die Nachweise der Ursachenzusammenhänge zwischen Verrichtung und Unfallereignis sowie zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden gilt der Beweismaßstab der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit; die bloße Möglichkeit genügt nicht (BSG, Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 2./07 R - SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 3101 Nr. 4 ).
29 
Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen lässt sich vorliegend ein Arbeitsunfall nicht feststellen. Zwar hat der Kläger am 08.08.2012 einen Unfall erlitten, der zu einem Gesundheitserstschaden an der linken Hand geführt hat. Der Senat kann sich jedoch nicht davon überzeugen, dass der Kläger den Unfall infolge einer versicherten Tätigkeit erlitten hat.
30 
Dies gilt zum einen für eine forstwirtschaftliche Verrichtung des Klägers.
31 
Ein forstwirtschaftliches Unternehmen wird geführt, wenn die Tätigkeit zu einer planmäßigen forstwirtschaftlichen Nutzung gehört (§ 123 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII). Solche Unternehmen betreiben planmäßig den Anbau und Abschlag von Holz. Eine Tätigkeit für ein forstwirtschaftliches Unternehmen liegt vor, wenn das gewonnene Brennholz zumindest teilweise verkauft werden soll (BSG, Urteil vom 27. März 2012 - B 2 U 5/11 R - zit. n. juris)
32 
Im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit als Unternehmer eines forstwirtschaftlichen Betriebes stehen die dem Unternehmen zu dienen bestimmten Arbeiten, zu denen das Schlagen, Entästen, Entrinden sowie das Abfahren des Holzes aus dem Wald gehören. Die Brennholzverarbeitung, also das Zersägen, Zerkleinern und Spalten von Brennholz, für den privaten Gebrauch ist hingegen keine Tätigkeit für ein forstwirtschaftliches Unternehmen, sodass deshalb insoweit bei der Brennholzgewinnung kein Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 5a VII besteht (BSG, Urteil vom 31.01.1989 - 2 BU 1./88; BSG, Urteil vom 12.06.1989 - 2 RU 1./88 - jeweils zit. n. juris).
33 
Vorliegend hält der Senat nicht für erwiesen, dass der Kläger am Unfalltag von einem Anhänger stürzte, auf dem er für den Verkauf an seine Nichte Holz gestapelt hatte. Seinen und den Aussagen des Zeugen M. M. in den jeweiligen mündlichen Verhandlungen vor dem SG und dem LSG stehen die dem widersprechenden Angaben des Klägers in der Unfallanzeige und dem Fragebogen Holzaufbereitung entgegen.
34 
Auch wenn weder das SGG noch die Zivilprozessordnung (ZPO) eine Beweisregel in dem Sinne kennen, dass frühere Aussagen oder Angaben grundsätzlich einen höheren Beweiswert besitzen als spätere, sondern im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 286 ZPO) vielmehr alle Aussagen, Angaben usw. zu würdigen sind, kann das Gericht im Rahmen der Gesamtwürdigung den zeitlich früheren Aussagen aufgrund des Gesichtspunktes, dass sie von irgendwelchen versicherungsrechtlichen Überlegungen ggf. noch unbeeinflusst waren, einen höheren Beweiswert als den späteren Aussagen zumessen (BSG, Urteil vom 11.11.2003 - B 2 U 4./02 R -, SozR 4-2700 § 4 Nr. 1, SozR 4-1500 § 128 Nr. 2; Urteil des Senats vom 12.08.2014 - L 6 VH 5./10 ZVW - zit. n. juris). Hiervon geht der Senat vorliegend aus, da sich auch im Hinblick auf die weiteren Einlassungen des Klägers im Berufungsverfahren keine Erklärung dafür finden lässt, weshalb seine ursprünglichen Angaben unzutreffend sein sollten. Dagegen ist der nach Erlass des Bescheides vorgetragene gänzlich abweichende Sachverhalt zur Begründung eines Leistungsanspruch geeignet, was eine Motivation zur entsprechenden Darstellung gibt. Da sich die Widersprüche in der Sachverhaltsdarstellung nicht auflösen oder nachvollziehbar erklären lassen, geht Senat nicht davon aus, dass nach der objektiven Handlungstendenz ein innerer Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und einer versicherten forstwirtschaftlichen Tätigkeit bestanden hat. Der Kläger hat daher zum Unfallzeitpunkt keine versicherte Tätigkeit verrichtet.
35 
Der Kläger hat in seiner Unfallanzeige vom 12.09.2012 den Unfallhergang selbst ausführlich dargestellt, ergänzende Angaben im Fragebogen Holzaufbereitung gemacht und hierbei – hingewiesen auf mögliche strafrechtliche Konsequenzen - versichert, sämtliche Angaben nach bestem Wissen gemacht zu haben. Der Kläger hat auch nicht etwa nur vorgegebene Antwortalternativen angekreuzt, sondern den Unfallhergang mit eigenen Worten auf einem Beiblatt am 12.09.2012 im Einzelnen geschildert. Danach hat der Kläger am 08.08.2012 den ganzen Tag über gemeinsam mit seinem Vater und seinem Bruder Holz in Meterstücken aus dem Wald geholt, dieses auf einen Hänger geladen, es zu dem Anwesen der Eltern gebracht, dort das Holz auf dem Vorhof in ofenfertige Stücke gesägt und diese auf einen Kipper gestapelt bzw. geladen. All dies geschah nach den Einlassungen des Klägers am 08.08.2012, „..um Brennholz für mich zu besorgen.“ Dieser Bestimmungszweck wird durch den zusätzlichen Hinweis verdeutlicht, dies jedes Jahr zu erledigen. Keine Zweifel hinsichtlich der beabsichtigten Verwendung des am 08.08.2012 gesägten und auf den Kipper geladenen Holzes für eigene, private Zwecke lässt schließlich die Schilderung zu, es sei zu dem Unfall gekommen, als sie fast fertig gewesen seien, der Hänger mit dem Holz (in Meterstücken) entladen gewesen sei „und ich mein Brennholz auf dem Kipper vorschriftsmäßig gestapelt bzw. beladen hatte und eigentlich nur noch vom Kipper runterklettern wollte“. Dieser bereits eindeutige und nicht interpretationsfähige Sachverhalt wird durch die weiteren Angaben des Klägers ebenfalls vom 12.09.2012 im Fragebogen Holzaufbereitung bestätigt. Danach handelte es sich bei der am 08.08.2012 verarbeiteten Gesamtmenge Holz um (insgesamt nur) 6 Raummeter. Das gesamte Volumen sei für ihn selbst bestimmt gewesen, er habe das Holz zu 100 % zum Heizen des Wohnstocks, Kachelofens verwenden wollen. Die alternativen Fragen nach Brennholz für oder Verkauf an Dritte hat der Kläger dagegen nicht angekreuzt und ergänzt, sodass auch hieraus geschlossen werden muss, dass das Holz nicht für Dritte bestimmt war. Mithin war der Kläger vom Anhänger gestürzt, als er sein privates Brennholz auf diesen geladen hatte. Zum Verkauf bestimmtes Holz war dagegen am 08.08.2012 nicht aufbereitet worden.
36 
Die späteren Angaben des Klägers im Widerspruchs-, Klage- sowie Berufungsverfahren lassen sich mit diesem Sachverhalt nicht in Übereinstimmung bringen. Da der Kläger angegeben hat, dass die 6 Raummeter Holz ausschließlich für seinen eigenen Heizbedarf vorgesehen waren, ist die spätere Behauptung, das Brennholz sei für seine Nichte bestimmt gewesen, die 6 Raummeter in Auftrag gegeben habe, nicht nachvollziehbar. Dies gilt auch für die Behauptung, das weitere Holz sei zur Erwärmung von Wasser für die Futterzubereitung gedacht gewesen. Denn über die 6 Raummeter hinaus hat der Kläger ausweislich seiner Angaben im Fragebogen Holzaufbereitung kein Holz aufbereitet. Anders als das SG hält der Senat die Begründung des Klägers für die gänzlich verschiedenen und sich widersprechenden Angaben in keiner Weise für überzeugend. Der Kläger hat seine Angaben in der Unfallanzeige und im Fragebogen Holzaufbereitung fünf Wochen nach dem Unfallereignis gemacht. Anhaltspunkte für eine besondere psychische Belastung ergeben sich weder aus den Formularbögen noch aus den medizinischen Befundberichten insbesondere der S.-Kliniken. Dass der Kläger fünf Wochen nach dem Unfallereignis noch an einem Unfallschock gelitten haben könnte, ergibt sich aus den vorliegenden Akten nicht. Ein solcher würde aber auch nicht erklären, weshalb der Kläger detaillierte falsche Angaben zum Unfallgeschehen und zu den weiteren Umständen der Holzverarbeitung sowie -verwendung hätte machen sollen. Für den Senat ist die Tatsache, dass der Kläger erst nach Bekanntgabe des ablehnenden Bescheides und der hierfür maßgeblichen Gründe den Sachverhalt quasi umgedreht hat und die ursprünglich ausschließlich private Holzverwendung als jetzt beabsichtigten Holzverkauf darstellt, wesentlicher Grund dafür, ihn an seinem ersten Vorbringen festzuhalten, an dessen Richtigkeit der Senat keine begründeten Zweifel hat. Anders als im Berufungsverfahren geltend gemacht, hat der Kläger auch nicht unverzüglich seine Angaben im Unfallbogen korrigiert, nachdem er deren Unrichtigkeit erkannt hat. Spätestens nach Erlass des streitgegenständlichen Bescheides vom 18.09.2012 war dem Kläger bekannt, weshalb seine Sachverhaltsangaben der beantragten Feststellung eines Arbeitsunfalles entgegenstanden. Seinen Widerspruch vom 30.09.2012 hat der Kläger jedoch zunächst nicht begründet und seine bislang gemachten Angaben nicht korrigiert. Erst nach Mandatierung des Verfahrens- bzw. Prozessbevollmächtigten ist dann in der Widerspruchsbegründung vom 30.10.2012, mithin ein Monat später, der neue Sachverhalt vorgetragen worden.
37 
Soweit das SG sein Urteil wesentlich auf die weitere Einlassung des Klägers zur Ausstattung des Hängers, nämlich Kippers mit hohen Bordwänden, gestützt hat, hält der Senat diesen Umstand für gänzlich unbedeutend. Denn völlig unabhängig davon, wie weit das ofenfertige Holz transportiert werden sollte, ob nun zur Nichte des Klägers in das ca. 35 km entfernte Z. oder zu seiner eigenen Wohnanschrift in D., hätten zur Aufnahme des gesamten gesägten Holzes auf den Kipper in jedem Fall die Seitenwände erhöht werden müssen.
38 
Auch der in der mündlichen Verhandlung des Senats wiederholte Erklärungsversuch des Klägers, er habe den Angaben in der Unfallanzeige und dem Fragebogen keine besondere Bedeutung beigemessen, weil ihm von Seiten der Ärzte und der Berufsgenossenschaft deutlich gemacht worden sei, dass es sich um einen eindeutigen „BG-Fall“ handele, erlaubt gerade nicht die Schlussziehung, der Kläger habe hier - wie von ihm in der mündlichen Verhandlung behauptet - falsche Angaben gemacht. Vielmehr lässt sich hieraus weit eher folgern, dass die in den Formularen gemachten Angaben der Wahrheit entsprechen, weil sich der Kläger über das Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen bereits sicher war.
39 
Der Senat misst den Angaben des Klägers in der Unfallanzeige und im Fragebogen Holzaufbereitung auch höheren Beweiswert als der Aussage des Zeugen bei, der sowohl vor dem SG als auch vor dem LSG angegeben hat, das Holz auf dem Hänger, von dem der Kläger am Nachmittag des 08.08.2012 gestürzt sei, sei für seine Tochter, die Nichte des Klägers, bestimmt gewesen. Zum einen widersprechen sich teilweise die Aussage des Zeugen und die des Klägers, was die Glaubwürdigkeit des Zeugen zumindest in Zweifel zieht. Während der Kläger zunächst angegeben hatte, am 08.08.2012 den ganzen Tag mit seinem Vater und dem Bruder Holz geholt und gesägt zu haben, hat der Zeuge angegeben, am 08.08.2012 erst nachmittags gegen dreiviertel vier zum Hof der Eltern gekommen zu sein. Nach Aussage des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem SG war auch nicht - wie von Seiten des Zeugen behauptet - der Transport des Holzes nach Z. noch am selben Abend, sondern erst am nächsten Morgen geplant. Anders als das SG geht der Senat nicht davon aus, worauf die Aussage des Zeugen vor dem SG unter Umständen hindeuten könnte, dass außer dem Hänger, von dem das Meterholz abgeladen worden war, und dem Kipper, auf dem das gesägte Holz aufgeladen war noch ein weiterer Anhänger mit für den Kläger bestimmtem Holz auf dem Hof gestanden hat. Zum einen finden sich dementsprechende Angaben nicht in der Unfallanzeige des Klägers, zum anderen ist nicht ersichtlich, woher dieses Holz stammen sollte, nachdem insgesamt nur 6 Raummeter Holz aufbereitet wurden, die im gesägten Zustand auf den Kipper mit erhöhten Seitenwänden passten. Zudem hat der Zeuge vor dem LSG eingeräumt, sie hätten lediglich zwei Anhänger. Zum anderen ist für den Senat wesentlich, dass der Zeuge keinen Sachverhalt geschildert hat, der begründen könnte, weshalb die schriftlichen Erklärungen des Klägers in der Unfallanzeige und im Fragebogen Holzaufbereitung seinen Angaben widersprechen. Der Zeuge hat sich dies vielmehr selbst nicht erklären können.
40 
Der Senat hält die Aussagen des Zeugen insgesamt nicht für glaubhaft. Die Konstanzanalyse seiner Aussage ergibt zwar, dass er bei beiden Vernehmungen beim SG und LSG wiederholt bekundet hat, dass das Holz für seine Tochter bestimmt war, was mit der zweiten Version des Klägers übereinstimmt. Das spricht aber aus Sicht des Senats eher für die Absprache der Aussagen der beiden Brüder. Denn insoweit zeigt sich ein typischer Strukturbruch in seiner Aussage, der gegen ein wirklich gehabtes Erlebnis spricht (Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 4. Aufl. 2014, S. 101). Bei der Auskunftsperson, dem Zeugen, wurde nämlich das Unwichtige und Nebensächliche, welches erlebnisbasiert ist, detailreich geschildert, dann brach die Berichterstattung zum eigentlichen Verkaufsgeschehen ab und wurde detailarm. Auch die kriterienorientierte Analyse der getätigten Aussage weist im Ergebnis keine deutlichen Kennzeichen einer erlebnisbezogenen Darstellung auf. So war z.B. die Schilderung des Tagesablaufs des Zeugen vor Eintreffen auf der späteren Unfallstelle sehr konkret, während der Zeuge keinerlei Einzelheiten des angeblich geplanten Verkaufs an seine Tochter, wie bspw. Vertragsgestaltung (mündlich/schriftlich), wie man zu dem Preis (möglicher Nachlass für Verwandte/ortsüblicher Holzpreis) kam, an wen und wie (bar) ausgezahlt werden sollte und wer das Geld zu versteuern hätte, berichtet hat. Als Realitätskriterien gelten beispielsweise der Detailreichtum einer Aussage, die Schilderung von Komplikationen, typische Einzelheiten, individuelle Prägung, Schilderung von gefühlsmäßigen Reaktionen; psychische Folgewirkungen, Verflechtung der Angaben mit anderen Geschehnissen und das Nichtsteuerungskriterium (inhaltlich und chronologisch nicht geordnete, sprunghafte Wiedergabe; vgl. zu allem die ausführlichen Darstellungen bei BGH, Urteil vom 30.07.1999 - 1 StR 6./98 -, NJW 1999, 2746; Bender/Nack/Treuer, a.a.O., S. 76 ff., 101 ff., 120 ff.). Die Aussage des Zeugen war insgesamt, gemessen daran - auch bei Nachfragen – zur eigentlichen Tatfrage weder besonders detailreich, noch liegen besondere Umstände vor, die sie für den Senat psychologisch stimmig und emotional nachvollziehbar machen, der Zeuge war vielmehr völlig emotionslos, obwohl er den dramatischen Unfall seines Bruders miterleben musste, wozu er aber kein Wort verloren hat, so dass es auch am typischen gefühlsmäßigen Nachklang fehlt (Bender/Nack/Treuer, a.a.O., S. 99). Spontane Details hat er schon gar nicht geschildert, auch die genaue Situation nicht beschrieben so z. B. ob es warm war (August), wie erschöpft die beiden Männer (betagterer Vater und Bruder) von der ganztägigen ungewohnten Arbeit waren, ob man unter Zeitdruck war (Spätnachmittag), wie weit die beiden schon mit der Arbeit fortgeschritten waren etc. Somit waren für den Senat auch die sogenannten „reality monitoring“, also erlebnisfundierte Sinneswahrnehmungen, nicht feststellbar (Bender/Nack/Treuer, a.a.O., S. 96). Auf Vorhalt der ersten Unfallversion hat der Zeuge sich damit begnügt, sich das „auch nicht erklären zu können“, obwohl vor dem Hintergrund der darauf beruhenden ablehnenden Entscheidung der Beklagten wie der Berufungsbegründung darüber zumindest gesprochen worden sein muss und der Zeuge auf die Wichtigkeit diese Umstandes noch vor seiner Aussage vor dem Senat ausdrücklich nochmals hingewiesen worden ist. Der Zeuge hatte auch ganz unzweifelhaft ein Motiv für seine falsche Aussage, nämlich seinem Bruder zu einem Anspruch gegen die Beklagte zu verhelfen. Gerade dieses Bedürfnis ist das häufigste Motiv für eine vorsätzliche falsche Aussage (Bender/Nack/Treuer, a.a.O., S. 63).
41 
Ebenfalls für nicht erwiesen hält der Senat, dass das Unfallereignis in einem inneren Zusammenhang mit einer landwirtschaftlichen Verrichtung gestanden hat und unter diesem Gesichtspunkt nach § 2 Abs. 1 Nr. 5a SGB VII versichert gewesen ist. Denn auch insoweit gibt es für den Senat aus o. g. Gründen keinen Anlass, an den Erstangaben des Klägers zu zweifeln. Danach war das Holz zu 100 % zum Heizen der Wohnräume im Haus des Klägers bestimmt. Die alternative Frage im Fragebogen Holzaufbereitung, ob das Holz zum Kochen von Viehfutter für Tiere verwendet werden sollte, hat der Kläger nicht angekreuzt und nicht ergänzt, wodurch eine solche Bestimmung ausgeschlossen worden ist. Da die gesamten 6 Raummeter Holz daher der Beheizung des Kachelofens dienen sollten, verblieb kein weiteres Holz für die Futterzubereitung. Hinzu kommt, dass weder der Kläger noch der Zeuge in der mündlichen Verhandlung vor dem SG eine derartige Zweckbestimmung nochmals erwähnt haben.
42 
Steht somit aufgrund der für den Senat glaubhaften Erstangaben des Klägers fest, dass das im Kipper gestapelte Holz dem privaten Haushalt des Klägers diente, kann nur unter den Voraussetzungen des § 124 Nr. 1 SGB VII, wonach zum landwirtschaftlichen Unternehmen die Haushalte der Unternehmer und der im Unternehmen Beschäftigten gehören, wenn die Haushalte dem Unternehmen wesentlich dienen, Versicherungsschutz gewährt werden. Diese Voraussetzungen sind vorliegend jedoch nicht gegeben. Die Zugehörigkeit des Haushalts zu einem landwirtschaftlichen Unternehmen setzt nach § 124 Nr. 1 SGB VII voraus, dass der Haushalt dem Unternehmen nützlich und die Land- oder Forstwirtschaft nicht derart klein ist, dass ihr der Haushalt an Bedeutung gleichsteht oder gar überlegen ist. Ein Haushalt ist kein Bestandteil eines landwirtschaftlichen Unternehmens, wenn er sich trotz eines örtlichen Zusammenhangs nicht wesentlich von anderen Haushalten unterscheidet (Bayerisches LSG, Urteil vom 30.07.1997 - L 2 U 1./95 - zit. n. juris). Vorliegend diente das Brennholz dem Haushalt des Klägers, während seine Tätigkeit als Nebenerwerbslandwirt die Bewirtschaftung der Hofstelle seiner Eltern betrifft. Zudem ergibt sich aus den Angaben des Klägers zu Umfang und Größe der Landwirtschaft mit 4 Schweinen, 30 Kaninchen und 1,13 ha Wald/Baumwiesen, dass es sich nur um einen kleinen Betrieb handelt, dem sich der Haushalt in seiner Bedeutung nicht unterordnet.
43 
Da die Tätigkeit des Klägers daher nicht als land- oder forstwirtschaftliche Verrichtung versichert gewesen ist, war auf die Berufung der Beklagten das Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
44 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
45 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Gründe

 
23 
Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte sowie nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgemäß eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Ihr Bescheid vom 18.09.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat im Zeitpunkt seines Unfalles nicht als landwirtschaftlicher Unternehmer nach § 2 Abs. 1 Nr. 5a Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) unter Versicherungsschutz gestanden. Das SG hätte seine als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Klage (vgl. zur Klageart BSG, Urteil vom 02.12.2008 - B 2 U 26/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 29) daher abweisen müssen.
24 
Rechtsgrundlage für die seitens des Klägers angestrebte Feststellung des Ereignisses vom 08.08.2012 als Arbeitsunfall sind §§ 102, 8 Abs. 1 SGB VII. Nach § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten in Folge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 SGB VII begründenden Tätigkeit.
25 
Nach § 2 Abs. 1 Nr. 5a SGB VII sind kraft Gesetzes in der gesetzlichen Unfallversicherung Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner versichert.Der Umfang des landwirtschaftlichen Unternehmens wird durch § 123 SGB VII bestimmt. Versicherte Unternehmer sind dabei nach § 123 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII im Wesentlichen diejenigen, die Land- und Forstwirtschaft, Garten- und Weinbau, Fischzucht, Teichwirtschaft, Seen-, Bach- und Flussfischerei (Binnenfischerei) und Imkerei betreiben.
26 
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Für einen Arbeitsunfall eines Versicherten ist danach im Regelfall erforderlich, dass seine Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), sie zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Bedingung für die Feststellung eines Arbeitsunfalls (BSG, Urteil vom 17.02.2009 - B 2 U 18/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 31).
27 
Ob die Verrichtung, bei der sich der Unfall ereignet hat, der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (sog. innerer oder sachlicher Zusammenhang), ist wertend zu entscheiden, indem untersucht wird, ob die Tätigkeit innerhalb der Grenze liegt, bis zu der nach Sinn und Zweck des Gesetzes der Unfallversicherungsschutz reicht. Für die tatsächlichen Grundlagen dieser Wertentscheidung ist der volle Nachweis erforderlich (BSG, Urteil vom 18.03.2008 - B 2 U 2./07 R - SozR 4-2700 § 6 Nr. 1; BSG, Urteil vom 10.10.2006 - B 2 U 2./05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 19). Maßgeblich für die Beurteilung des inneren bzw. sachlichen Zusammenhangs einer konkreten Verrichtung mit einer versicherten Tätigkeit nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII ist - auch bei selbstständigen Unternehmern (vgl. BSG, Urteil vom 18.03.2008 - B 2 U 2./07 R - a. a. O.) - die objektive Handlungstendenz, ob also der Betroffene eine versicherte Tätigkeit ausüben wollte und diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird (vgl. BSG, Urteil vom 09.11.2010 - B 2 U 1./10 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 39; BSG, Urteil vom 10.10.2006 - B 2 U 2./05 R - a. a. O.).
28 
Dabei müssen das Vorliegen einer versicherten Verrichtung zur Zeit des Unfalls, das Unfallereignis selbst sowie der Gesundheitserstschaden im Überzeugungsgrad des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein. Für die Nachweise der Ursachenzusammenhänge zwischen Verrichtung und Unfallereignis sowie zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden gilt der Beweismaßstab der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit; die bloße Möglichkeit genügt nicht (BSG, Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 2./07 R - SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 3101 Nr. 4 ).
29 
Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen lässt sich vorliegend ein Arbeitsunfall nicht feststellen. Zwar hat der Kläger am 08.08.2012 einen Unfall erlitten, der zu einem Gesundheitserstschaden an der linken Hand geführt hat. Der Senat kann sich jedoch nicht davon überzeugen, dass der Kläger den Unfall infolge einer versicherten Tätigkeit erlitten hat.
30 
Dies gilt zum einen für eine forstwirtschaftliche Verrichtung des Klägers.
31 
Ein forstwirtschaftliches Unternehmen wird geführt, wenn die Tätigkeit zu einer planmäßigen forstwirtschaftlichen Nutzung gehört (§ 123 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII). Solche Unternehmen betreiben planmäßig den Anbau und Abschlag von Holz. Eine Tätigkeit für ein forstwirtschaftliches Unternehmen liegt vor, wenn das gewonnene Brennholz zumindest teilweise verkauft werden soll (BSG, Urteil vom 27. März 2012 - B 2 U 5/11 R - zit. n. juris)
32 
Im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit als Unternehmer eines forstwirtschaftlichen Betriebes stehen die dem Unternehmen zu dienen bestimmten Arbeiten, zu denen das Schlagen, Entästen, Entrinden sowie das Abfahren des Holzes aus dem Wald gehören. Die Brennholzverarbeitung, also das Zersägen, Zerkleinern und Spalten von Brennholz, für den privaten Gebrauch ist hingegen keine Tätigkeit für ein forstwirtschaftliches Unternehmen, sodass deshalb insoweit bei der Brennholzgewinnung kein Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 5a VII besteht (BSG, Urteil vom 31.01.1989 - 2 BU 1./88; BSG, Urteil vom 12.06.1989 - 2 RU 1./88 - jeweils zit. n. juris).
33 
Vorliegend hält der Senat nicht für erwiesen, dass der Kläger am Unfalltag von einem Anhänger stürzte, auf dem er für den Verkauf an seine Nichte Holz gestapelt hatte. Seinen und den Aussagen des Zeugen M. M. in den jeweiligen mündlichen Verhandlungen vor dem SG und dem LSG stehen die dem widersprechenden Angaben des Klägers in der Unfallanzeige und dem Fragebogen Holzaufbereitung entgegen.
34 
Auch wenn weder das SGG noch die Zivilprozessordnung (ZPO) eine Beweisregel in dem Sinne kennen, dass frühere Aussagen oder Angaben grundsätzlich einen höheren Beweiswert besitzen als spätere, sondern im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 286 ZPO) vielmehr alle Aussagen, Angaben usw. zu würdigen sind, kann das Gericht im Rahmen der Gesamtwürdigung den zeitlich früheren Aussagen aufgrund des Gesichtspunktes, dass sie von irgendwelchen versicherungsrechtlichen Überlegungen ggf. noch unbeeinflusst waren, einen höheren Beweiswert als den späteren Aussagen zumessen (BSG, Urteil vom 11.11.2003 - B 2 U 4./02 R -, SozR 4-2700 § 4 Nr. 1, SozR 4-1500 § 128 Nr. 2; Urteil des Senats vom 12.08.2014 - L 6 VH 5./10 ZVW - zit. n. juris). Hiervon geht der Senat vorliegend aus, da sich auch im Hinblick auf die weiteren Einlassungen des Klägers im Berufungsverfahren keine Erklärung dafür finden lässt, weshalb seine ursprünglichen Angaben unzutreffend sein sollten. Dagegen ist der nach Erlass des Bescheides vorgetragene gänzlich abweichende Sachverhalt zur Begründung eines Leistungsanspruch geeignet, was eine Motivation zur entsprechenden Darstellung gibt. Da sich die Widersprüche in der Sachverhaltsdarstellung nicht auflösen oder nachvollziehbar erklären lassen, geht Senat nicht davon aus, dass nach der objektiven Handlungstendenz ein innerer Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und einer versicherten forstwirtschaftlichen Tätigkeit bestanden hat. Der Kläger hat daher zum Unfallzeitpunkt keine versicherte Tätigkeit verrichtet.
35 
Der Kläger hat in seiner Unfallanzeige vom 12.09.2012 den Unfallhergang selbst ausführlich dargestellt, ergänzende Angaben im Fragebogen Holzaufbereitung gemacht und hierbei – hingewiesen auf mögliche strafrechtliche Konsequenzen - versichert, sämtliche Angaben nach bestem Wissen gemacht zu haben. Der Kläger hat auch nicht etwa nur vorgegebene Antwortalternativen angekreuzt, sondern den Unfallhergang mit eigenen Worten auf einem Beiblatt am 12.09.2012 im Einzelnen geschildert. Danach hat der Kläger am 08.08.2012 den ganzen Tag über gemeinsam mit seinem Vater und seinem Bruder Holz in Meterstücken aus dem Wald geholt, dieses auf einen Hänger geladen, es zu dem Anwesen der Eltern gebracht, dort das Holz auf dem Vorhof in ofenfertige Stücke gesägt und diese auf einen Kipper gestapelt bzw. geladen. All dies geschah nach den Einlassungen des Klägers am 08.08.2012, „..um Brennholz für mich zu besorgen.“ Dieser Bestimmungszweck wird durch den zusätzlichen Hinweis verdeutlicht, dies jedes Jahr zu erledigen. Keine Zweifel hinsichtlich der beabsichtigten Verwendung des am 08.08.2012 gesägten und auf den Kipper geladenen Holzes für eigene, private Zwecke lässt schließlich die Schilderung zu, es sei zu dem Unfall gekommen, als sie fast fertig gewesen seien, der Hänger mit dem Holz (in Meterstücken) entladen gewesen sei „und ich mein Brennholz auf dem Kipper vorschriftsmäßig gestapelt bzw. beladen hatte und eigentlich nur noch vom Kipper runterklettern wollte“. Dieser bereits eindeutige und nicht interpretationsfähige Sachverhalt wird durch die weiteren Angaben des Klägers ebenfalls vom 12.09.2012 im Fragebogen Holzaufbereitung bestätigt. Danach handelte es sich bei der am 08.08.2012 verarbeiteten Gesamtmenge Holz um (insgesamt nur) 6 Raummeter. Das gesamte Volumen sei für ihn selbst bestimmt gewesen, er habe das Holz zu 100 % zum Heizen des Wohnstocks, Kachelofens verwenden wollen. Die alternativen Fragen nach Brennholz für oder Verkauf an Dritte hat der Kläger dagegen nicht angekreuzt und ergänzt, sodass auch hieraus geschlossen werden muss, dass das Holz nicht für Dritte bestimmt war. Mithin war der Kläger vom Anhänger gestürzt, als er sein privates Brennholz auf diesen geladen hatte. Zum Verkauf bestimmtes Holz war dagegen am 08.08.2012 nicht aufbereitet worden.
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Die späteren Angaben des Klägers im Widerspruchs-, Klage- sowie Berufungsverfahren lassen sich mit diesem Sachverhalt nicht in Übereinstimmung bringen. Da der Kläger angegeben hat, dass die 6 Raummeter Holz ausschließlich für seinen eigenen Heizbedarf vorgesehen waren, ist die spätere Behauptung, das Brennholz sei für seine Nichte bestimmt gewesen, die 6 Raummeter in Auftrag gegeben habe, nicht nachvollziehbar. Dies gilt auch für die Behauptung, das weitere Holz sei zur Erwärmung von Wasser für die Futterzubereitung gedacht gewesen. Denn über die 6 Raummeter hinaus hat der Kläger ausweislich seiner Angaben im Fragebogen Holzaufbereitung kein Holz aufbereitet. Anders als das SG hält der Senat die Begründung des Klägers für die gänzlich verschiedenen und sich widersprechenden Angaben in keiner Weise für überzeugend. Der Kläger hat seine Angaben in der Unfallanzeige und im Fragebogen Holzaufbereitung fünf Wochen nach dem Unfallereignis gemacht. Anhaltspunkte für eine besondere psychische Belastung ergeben sich weder aus den Formularbögen noch aus den medizinischen Befundberichten insbesondere der S.-Kliniken. Dass der Kläger fünf Wochen nach dem Unfallereignis noch an einem Unfallschock gelitten haben könnte, ergibt sich aus den vorliegenden Akten nicht. Ein solcher würde aber auch nicht erklären, weshalb der Kläger detaillierte falsche Angaben zum Unfallgeschehen und zu den weiteren Umständen der Holzverarbeitung sowie -verwendung hätte machen sollen. Für den Senat ist die Tatsache, dass der Kläger erst nach Bekanntgabe des ablehnenden Bescheides und der hierfür maßgeblichen Gründe den Sachverhalt quasi umgedreht hat und die ursprünglich ausschließlich private Holzverwendung als jetzt beabsichtigten Holzverkauf darstellt, wesentlicher Grund dafür, ihn an seinem ersten Vorbringen festzuhalten, an dessen Richtigkeit der Senat keine begründeten Zweifel hat. Anders als im Berufungsverfahren geltend gemacht, hat der Kläger auch nicht unverzüglich seine Angaben im Unfallbogen korrigiert, nachdem er deren Unrichtigkeit erkannt hat. Spätestens nach Erlass des streitgegenständlichen Bescheides vom 18.09.2012 war dem Kläger bekannt, weshalb seine Sachverhaltsangaben der beantragten Feststellung eines Arbeitsunfalles entgegenstanden. Seinen Widerspruch vom 30.09.2012 hat der Kläger jedoch zunächst nicht begründet und seine bislang gemachten Angaben nicht korrigiert. Erst nach Mandatierung des Verfahrens- bzw. Prozessbevollmächtigten ist dann in der Widerspruchsbegründung vom 30.10.2012, mithin ein Monat später, der neue Sachverhalt vorgetragen worden.
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Soweit das SG sein Urteil wesentlich auf die weitere Einlassung des Klägers zur Ausstattung des Hängers, nämlich Kippers mit hohen Bordwänden, gestützt hat, hält der Senat diesen Umstand für gänzlich unbedeutend. Denn völlig unabhängig davon, wie weit das ofenfertige Holz transportiert werden sollte, ob nun zur Nichte des Klägers in das ca. 35 km entfernte Z. oder zu seiner eigenen Wohnanschrift in D., hätten zur Aufnahme des gesamten gesägten Holzes auf den Kipper in jedem Fall die Seitenwände erhöht werden müssen.
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Auch der in der mündlichen Verhandlung des Senats wiederholte Erklärungsversuch des Klägers, er habe den Angaben in der Unfallanzeige und dem Fragebogen keine besondere Bedeutung beigemessen, weil ihm von Seiten der Ärzte und der Berufsgenossenschaft deutlich gemacht worden sei, dass es sich um einen eindeutigen „BG-Fall“ handele, erlaubt gerade nicht die Schlussziehung, der Kläger habe hier - wie von ihm in der mündlichen Verhandlung behauptet - falsche Angaben gemacht. Vielmehr lässt sich hieraus weit eher folgern, dass die in den Formularen gemachten Angaben der Wahrheit entsprechen, weil sich der Kläger über das Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen bereits sicher war.
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Der Senat misst den Angaben des Klägers in der Unfallanzeige und im Fragebogen Holzaufbereitung auch höheren Beweiswert als der Aussage des Zeugen bei, der sowohl vor dem SG als auch vor dem LSG angegeben hat, das Holz auf dem Hänger, von dem der Kläger am Nachmittag des 08.08.2012 gestürzt sei, sei für seine Tochter, die Nichte des Klägers, bestimmt gewesen. Zum einen widersprechen sich teilweise die Aussage des Zeugen und die des Klägers, was die Glaubwürdigkeit des Zeugen zumindest in Zweifel zieht. Während der Kläger zunächst angegeben hatte, am 08.08.2012 den ganzen Tag mit seinem Vater und dem Bruder Holz geholt und gesägt zu haben, hat der Zeuge angegeben, am 08.08.2012 erst nachmittags gegen dreiviertel vier zum Hof der Eltern gekommen zu sein. Nach Aussage des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem SG war auch nicht - wie von Seiten des Zeugen behauptet - der Transport des Holzes nach Z. noch am selben Abend, sondern erst am nächsten Morgen geplant. Anders als das SG geht der Senat nicht davon aus, worauf die Aussage des Zeugen vor dem SG unter Umständen hindeuten könnte, dass außer dem Hänger, von dem das Meterholz abgeladen worden war, und dem Kipper, auf dem das gesägte Holz aufgeladen war noch ein weiterer Anhänger mit für den Kläger bestimmtem Holz auf dem Hof gestanden hat. Zum einen finden sich dementsprechende Angaben nicht in der Unfallanzeige des Klägers, zum anderen ist nicht ersichtlich, woher dieses Holz stammen sollte, nachdem insgesamt nur 6 Raummeter Holz aufbereitet wurden, die im gesägten Zustand auf den Kipper mit erhöhten Seitenwänden passten. Zudem hat der Zeuge vor dem LSG eingeräumt, sie hätten lediglich zwei Anhänger. Zum anderen ist für den Senat wesentlich, dass der Zeuge keinen Sachverhalt geschildert hat, der begründen könnte, weshalb die schriftlichen Erklärungen des Klägers in der Unfallanzeige und im Fragebogen Holzaufbereitung seinen Angaben widersprechen. Der Zeuge hat sich dies vielmehr selbst nicht erklären können.
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Der Senat hält die Aussagen des Zeugen insgesamt nicht für glaubhaft. Die Konstanzanalyse seiner Aussage ergibt zwar, dass er bei beiden Vernehmungen beim SG und LSG wiederholt bekundet hat, dass das Holz für seine Tochter bestimmt war, was mit der zweiten Version des Klägers übereinstimmt. Das spricht aber aus Sicht des Senats eher für die Absprache der Aussagen der beiden Brüder. Denn insoweit zeigt sich ein typischer Strukturbruch in seiner Aussage, der gegen ein wirklich gehabtes Erlebnis spricht (Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 4. Aufl. 2014, S. 101). Bei der Auskunftsperson, dem Zeugen, wurde nämlich das Unwichtige und Nebensächliche, welches erlebnisbasiert ist, detailreich geschildert, dann brach die Berichterstattung zum eigentlichen Verkaufsgeschehen ab und wurde detailarm. Auch die kriterienorientierte Analyse der getätigten Aussage weist im Ergebnis keine deutlichen Kennzeichen einer erlebnisbezogenen Darstellung auf. So war z.B. die Schilderung des Tagesablaufs des Zeugen vor Eintreffen auf der späteren Unfallstelle sehr konkret, während der Zeuge keinerlei Einzelheiten des angeblich geplanten Verkaufs an seine Tochter, wie bspw. Vertragsgestaltung (mündlich/schriftlich), wie man zu dem Preis (möglicher Nachlass für Verwandte/ortsüblicher Holzpreis) kam, an wen und wie (bar) ausgezahlt werden sollte und wer das Geld zu versteuern hätte, berichtet hat. Als Realitätskriterien gelten beispielsweise der Detailreichtum einer Aussage, die Schilderung von Komplikationen, typische Einzelheiten, individuelle Prägung, Schilderung von gefühlsmäßigen Reaktionen; psychische Folgewirkungen, Verflechtung der Angaben mit anderen Geschehnissen und das Nichtsteuerungskriterium (inhaltlich und chronologisch nicht geordnete, sprunghafte Wiedergabe; vgl. zu allem die ausführlichen Darstellungen bei BGH, Urteil vom 30.07.1999 - 1 StR 6./98 -, NJW 1999, 2746; Bender/Nack/Treuer, a.a.O., S. 76 ff., 101 ff., 120 ff.). Die Aussage des Zeugen war insgesamt, gemessen daran - auch bei Nachfragen – zur eigentlichen Tatfrage weder besonders detailreich, noch liegen besondere Umstände vor, die sie für den Senat psychologisch stimmig und emotional nachvollziehbar machen, der Zeuge war vielmehr völlig emotionslos, obwohl er den dramatischen Unfall seines Bruders miterleben musste, wozu er aber kein Wort verloren hat, so dass es auch am typischen gefühlsmäßigen Nachklang fehlt (Bender/Nack/Treuer, a.a.O., S. 99). Spontane Details hat er schon gar nicht geschildert, auch die genaue Situation nicht beschrieben so z. B. ob es warm war (August), wie erschöpft die beiden Männer (betagterer Vater und Bruder) von der ganztägigen ungewohnten Arbeit waren, ob man unter Zeitdruck war (Spätnachmittag), wie weit die beiden schon mit der Arbeit fortgeschritten waren etc. Somit waren für den Senat auch die sogenannten „reality monitoring“, also erlebnisfundierte Sinneswahrnehmungen, nicht feststellbar (Bender/Nack/Treuer, a.a.O., S. 96). Auf Vorhalt der ersten Unfallversion hat der Zeuge sich damit begnügt, sich das „auch nicht erklären zu können“, obwohl vor dem Hintergrund der darauf beruhenden ablehnenden Entscheidung der Beklagten wie der Berufungsbegründung darüber zumindest gesprochen worden sein muss und der Zeuge auf die Wichtigkeit diese Umstandes noch vor seiner Aussage vor dem Senat ausdrücklich nochmals hingewiesen worden ist. Der Zeuge hatte auch ganz unzweifelhaft ein Motiv für seine falsche Aussage, nämlich seinem Bruder zu einem Anspruch gegen die Beklagte zu verhelfen. Gerade dieses Bedürfnis ist das häufigste Motiv für eine vorsätzliche falsche Aussage (Bender/Nack/Treuer, a.a.O., S. 63).
41 
Ebenfalls für nicht erwiesen hält der Senat, dass das Unfallereignis in einem inneren Zusammenhang mit einer landwirtschaftlichen Verrichtung gestanden hat und unter diesem Gesichtspunkt nach § 2 Abs. 1 Nr. 5a SGB VII versichert gewesen ist. Denn auch insoweit gibt es für den Senat aus o. g. Gründen keinen Anlass, an den Erstangaben des Klägers zu zweifeln. Danach war das Holz zu 100 % zum Heizen der Wohnräume im Haus des Klägers bestimmt. Die alternative Frage im Fragebogen Holzaufbereitung, ob das Holz zum Kochen von Viehfutter für Tiere verwendet werden sollte, hat der Kläger nicht angekreuzt und nicht ergänzt, wodurch eine solche Bestimmung ausgeschlossen worden ist. Da die gesamten 6 Raummeter Holz daher der Beheizung des Kachelofens dienen sollten, verblieb kein weiteres Holz für die Futterzubereitung. Hinzu kommt, dass weder der Kläger noch der Zeuge in der mündlichen Verhandlung vor dem SG eine derartige Zweckbestimmung nochmals erwähnt haben.
42 
Steht somit aufgrund der für den Senat glaubhaften Erstangaben des Klägers fest, dass das im Kipper gestapelte Holz dem privaten Haushalt des Klägers diente, kann nur unter den Voraussetzungen des § 124 Nr. 1 SGB VII, wonach zum landwirtschaftlichen Unternehmen die Haushalte der Unternehmer und der im Unternehmen Beschäftigten gehören, wenn die Haushalte dem Unternehmen wesentlich dienen, Versicherungsschutz gewährt werden. Diese Voraussetzungen sind vorliegend jedoch nicht gegeben. Die Zugehörigkeit des Haushalts zu einem landwirtschaftlichen Unternehmen setzt nach § 124 Nr. 1 SGB VII voraus, dass der Haushalt dem Unternehmen nützlich und die Land- oder Forstwirtschaft nicht derart klein ist, dass ihr der Haushalt an Bedeutung gleichsteht oder gar überlegen ist. Ein Haushalt ist kein Bestandteil eines landwirtschaftlichen Unternehmens, wenn er sich trotz eines örtlichen Zusammenhangs nicht wesentlich von anderen Haushalten unterscheidet (Bayerisches LSG, Urteil vom 30.07.1997 - L 2 U 1./95 - zit. n. juris). Vorliegend diente das Brennholz dem Haushalt des Klägers, während seine Tätigkeit als Nebenerwerbslandwirt die Bewirtschaftung der Hofstelle seiner Eltern betrifft. Zudem ergibt sich aus den Angaben des Klägers zu Umfang und Größe der Landwirtschaft mit 4 Schweinen, 30 Kaninchen und 1,13 ha Wald/Baumwiesen, dass es sich nur um einen kleinen Betrieb handelt, dem sich der Haushalt in seiner Bedeutung nicht unterordnet.
43 
Da die Tätigkeit des Klägers daher nicht als land- oder forstwirtschaftliche Verrichtung versichert gewesen ist, war auf die Berufung der Beklagten das Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
44 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
45 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 12. Mai 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Anerkennung der Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).
Der 1950 geborene Kläger absolvierte ab April 1965 eine Ausbildung zum Fliesenleger, zunächst bis Anfang Oktober 1966 bei S. H. in Waldenbuch und danach bis 1967 bei der Fliesen-R. KG in Stuttgart, wo er noch bis Mitte Oktober 1969 als Geselle beschäftigt war. In seinem Beruf arbeitete er anschließend bis Mitte April 1978 weiter, zunächst für K. A. in Filderstadt und anschließend für T. Sch. in Schönaich. Nach einer zweimonatigen Tätigkeit als Staplerfahrer bei der IBM Deutschland GmbH in Sindelfingen, war er ab Mitte Juni 1978 bis Ende September 1998 bei der Fahrzeugbau R. in Weil im Schönbuch angestellt, die danach aufgelöst wurde. Anschließend war er bis Mitte September 2006 wieder als Fliesenleger beschäftigt, zunächst bis Ende Februar 1999 bei A. H. in Weil im Schönbuch und, nach einer kurzen Zeit der Arbeitsuche, ab Ende Mai 1999 wiederum bei der Fliesen-R. KG in Stuttgart. Ab Mitte September 2006 erkrankte er arbeitsunfähig und bezog ab 2008 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung.
Bei Arthroskopien im rechten und linken Kniegelenk am 23. Juni 1997 und 18. März 1998 wurden von dem Arzt für Chirurgie Dr. J. rechts eine frische Komplexruptur des Innenmeniskushinterhorns und links eine dritt- bis viertgradige mediale Gonarthrose mit Innenmeniskusläsion diagnostiziert. Dieser erstattete der Württembergischen Bau-Berufsgenossenschaft, einer Rechtsvorgängerin der Beklagten, am 20. April 1998 eine ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit. Er gehe von einer Meniskusläsion im Bereich beider Kniegelenke aus, die er auf die beruflich bedingte kniende Tätigkeit des Klägers zurückführe. Die Beschwerden seien erstmals im April 1997 aufgetreten.
Auf Nachfrage teilte der Kläger im Juni 1998 mit, ein Meniskusschaden habe sich erstmals im Januar 1997 bemerkbar gemacht.
Nach telefonischer Rücksprache von Dr.-Ing. J. vom Technischen Aufsichtsdienst der Süddeutschen Metall-Berufsgenossenschaft, ebenfalls einer Rechtsvorgängerin der Beklagten, mit dem Geschäftsinhaber der Fahrzeugbau R. und dem Kläger im August 1998 habe sich ergeben, dass Letzterer dort zu etwa 80 % in der Lackiervorbereitung tätig gewesen sei. Die Arbeiten hätten das Schleifen und Spachteln von Aufbauten für Lastkraftwagen umfasst. Bei Tätigkeiten in etwa 60 bis 70 cm Flurhöhe habe sich der Kläger mit dem rechten Knie auf dem Boden abgestützt. Hierbei habe er einen Knieschoner getragen. Sein linkes Knie sei dabei nahezu unbelastet gewesen. Die Arbeiten habe er an etwa vier Tagen in der Woche mit einer Dauer von etwa zwei Stunden je Schicht durchgeführt. Am fünften Wochenarbeitstag seien keine kniebelastenden Tätigkeiten vorgenommen worden. Hauptsächlich in den Monaten November und Dezember seien fast täglich an sieben bis zwölf Last- oder Personenkraftwagen Reifen montiert worden. Für den Radwechsel dürfte er etwa eine Stunde je Tag kniend gearbeitet haben. Der Kläger habe bei dem Gespräch angegeben, die gesundheitlichen Probleme im Bereich seiner Knie auf seine Tätigkeit als Fliesenleger zurückzuführen.
Nach der Stellungnahme der Dipl.-Ing. S. und F. vom Technischen Aufsichtsdienst der Württembergischen Bau-Berufsgenossenschaft von September 1998 habe der Kläger von 1965 bis 1978 in verschiedenen Mitgliedsbetrieben als Fliesenleger gearbeitet. Er habe sämtliche in diesem Beruf anfallenden Arbeiten ausgeführt, welche üblicherweise in kniender oder hockender Haltung durchgeführt würden. Hierzu zählten im Besonderen das Verlegen und Verfugen von Bodenfliesen sowie von Wandfliesen im Bereich zwischen Sockel und einer Höhe von etwa 75 cm. An Körperhaltungen seien, bei gleichzeitiger Kraftaufwendung, der Fersensitz, die Kniehocke und die Hocke als solche eingenommen worden. Etwa 40 % der Gesamtarbeitszeit seien auf Arbeiten in kniender oder hockender Position entfallen. Der Kläger sei bei seiner Tätigkeit als Fliesenleger keiner häufig wiederkehrenden überdurchschnittlichen Bewegungsbeanspruchung durch Laufen, Springen oder Knick-, Dreh- und Scherbewegungen auf grob unebener Unterlage ausgesetzt gewesen. Außerberuflich habe der Kläger keine kniebelastenden Tätigkeiten oder Sportarten ausgeübt.
Der Kläger war bei der Innungskrankenkasse Baden-Württemberg (heute: IKK classic) gegen Krankheit versichert. Nach dem von dort beigezogenen Vorerkrankungsverzeichnis von Oktober 1998 wurden im November 1990 und April 1991 jeweils der Verdacht auf eine Innenmeniskusläsion, im September 1995 ein Reizknie, im April 1997 ein akutes Reizknie und eine Gonarthrose, drei Monate später eine erhebliche Gonarthrose und der Verdacht auf eine Meniskusläsion sowie im März 1998 der Verdacht auf eine Innenmeniskusläsion ärztlich diagnostiziert.
Auf Nachfrage führte der Allgemeinarzt Dr. C. im November 1998 aus, er habe beim Kläger ab Ende April 1997 ein Reizknie beidseits, rechts mehr als links, behandelt. Am 23. Juni 1997 sei es zu einer ersten arthroskopischen Knieoperation gekommen. Später habe er immer wieder Reizzustände des rechten Kniegelenkes mit Ergüssen behandelt. Am 18. März 1998 sei auf der linken Seite eine Arthroskopie durchgeführt worden.
Nach der gewerbeärztlichen Stellungnahme von Dr. G. von Dezember 1998 habe der Kläger nach Aktenlage dreizehn Jahre lang als Fliesenleger gearbeitet, wobei etwa 40 % der Gesamtarbeitszeit auf Arbeiten in kniender oder hockender Position entfallen seien. Nach dem Merkblatt zu der Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV sei dies als haftungsbegründende Kausalität anzusehen. Selbst bei dessen letzter Tätigkeit habe durchaus eine, wenn auch arbeitstäglich kürzere Kniegelenksbelastung vorgelegen. Da bei dem Kläger auch das typische Krankheitsbild einer Innenmeniskusdegeneration vorhanden sei, müsse geprüft werden, ob eine solche Berufskrankheit mit Wahrscheinlichkeit vorliege, was ihres Erachtens der Fall sei.
10 
Daraufhin wurde der Ärztliche Direktor der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie des K-Hospitals in Stuttgart, Prof. Dr. H., mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Nach einer ambulanten klinischen und radiologischen Untersuchung des Klägers am 15. Februar 1999 führte dieser aus, nach dessen Angaben sei am linken Kniegelenk 1972 eine Bursitis praepatellaris aufgetreten, welche medikamentös und durch Elektrotherapie behandelt worden sei. Daraufhin sei eine Besserung eingetreten. Im März 1997 sei es dann ohne Trauma zu Schmerzen im rechten Kniegelenk gekommen. Bei der klinischen Untersuchung hätten die Beinachsen beidseits eine Varusstellung eingenommen. Nach Aufforderung, die Füße zusammenzustellen, hätten sich beide Malleoli medialis berührt. Zwischen beiden Kniegelenken habe ein Abstand von 5 cm bestanden. Im linken Kniegelenk habe sich eine mediale Gonarthrose gezeigt. Beidseits seien Innenmeniskusteilresektionen vorgenommen worden, rechts 1997 und links 1998. Ein Knorpelschaden dritt- bis viertgradig links sei arthroskopisch diagnostiziert worden. Eine starke Verschwielung der beiden präpatellaren Zonen sei vorhanden. Linksseitig habe sich eine leichte Schwellung gezeigt. Es handele sich um eine sekundäre Meniskusschädigung beidseits aufgrund einer Varusstellung beidseits und einer links nachgewiesenen Varusgonarthrose. Den Knorpelschaden linksseitig medial führe er auf die Varusdeformität zurück. Es sei zwar vom Kläger in 40 % des täglichen Arbeitstages eine kniende Position eingenommen worden, allerdings nur zu einem geringeren Teil in meniskusbelastenden Positionen. Die medial betonte Gonarthrose und die Varusfehlstellung seien nicht Folge beruflich bedingter Einwirkungen. Vielmehr sei es hierdurch zu der beiderseitigen Meniskopathie gekommen.
11 
Aufgrund des Gutachtens von Prof. Dr. H. schlug Dr. G. in ihrer gewerbeärztlichen Stellungnahme von April 1999 vor, die Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV beim Kläger nicht anzuerkennen.
12 
Mit Bescheid vom 27. Mai 1999 lehnte die Beklagte die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV, im Wesentlichen gestützt auf das Gutachten von Prof. Dr. H., ab.
13 
Mit Schreiben vom 21. Dezember 2006 wandten sich die Bevollmächtigten des Klägers an die Beklagte und teilten mit, sie seien beauftragt zu überprüfen, inwieweit zwischenzeitlich eine Berufskrankheit geltend gemacht werden könne, weshalb sie um Akteneinsicht nachsuchten. Am 15. Juni 2007 äußerten sie, der Kläger habe nach Erlass des Bescheides vom 27. Mai 1999 noch bis einschließlich 2006 als Fliesenleger gearbeitet, weshalb nun erneut beantragt werde, bei ihm wegen seiner Meniskusschäden eine Berufskrankheit festzustellen.
14 
Nach den von Dr. J. der Beklagten vorgelegten Arztberichten hatte dieser im Herbst 2004 eine fortgeschrittene Varusgonarthrose links und im Herbst 2006 zudem eine viertgradige Chondromalazie medialer Femurkondylus rechts diagnostiziert. Auf Veranlassung der Trägerin der gesetzlichen Rentenversicherung hielt sich der Kläger von Ende April bis Mitte Mai 2007 stationär in den Fachkliniken Hohenurach in Bad Urach auf. Nach dem Entlassungsbericht des Chefarztes der Abteilung Orthopädie, Prof. Dr. H., wurde insbesondere ein Zustand nach medialer Schlittenprothese links bei primärer Gonarthrose beidseits am 18. April 2007 (ICD-10 M17.9) diagnostiziert.
15 
Mit Bescheid vom 8. November 2007 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 27. Mai 1999 im Wege des Zugunstenverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ab. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 7. März 2008 zurückgewiesen.
16 
In dem daraufhin geführten Klageverfahren vor dem Sozialgericht Stuttgart (SG, Az. S 6 U 2251/08) erstattete der Direktor der Klinik für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie des Universitätsklinikums des Saarlandes, Prof. Dr. K., auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten. Nach dessen ambulanter klinischer und röntgenologischer Untersuchung am 29. Mai 2009 führte der Sachverständige aus, aktuell liege im Bereich des rechten Kniegelenkes ein Zustand nach arthroskopischer Teilmeniskektomie vor, mit anamnestisch zu eruierenden weiterbestehenden Reizzuständen und Ergussbildungen, einem funktionellen Streckdefizit von 10° und röntgenologisch einer medialen Gonarthrose. Was die Beinachse rechts betreffe, so sei aufgrund der jetzt anscheinend erstmals durchgeführten Beinganzaufnahme festzustellen, dass die Belastungslinie, die so genannte „Mikulicz-Linie“, durch den Interkondylenhöcker des Knies verlaufe. Es liege damit ein Normalbefund vor. Die Längsachsen des Femurs und der Tibia bildeten einen Winkel von 5° Valgus zueinander. Betreffend das rechte Knie verlaufe die Belastungslinie orthotop, weshalb keine O-Beinstellung vorliege. Im Bereich des linken Kniegelenkes bestehe derzeit ein Zustand nach endoprothetischem Ersatz des inneren Kniegelenkanteiles mit einer geringgradig fehlplatzierten SchlittenpR.ese, einem glaubhaft weiter bestehenden Reizzustand, einem Bewegungsdefizit von 10° bei freier Beugung sowie eine nach dem Röntgenbild völlig unauffällig einliegende Prothese ohne Lockerungszeichen. Was die Beinachse links betreffe, sei, bedingt durch die Fehlimplantation, die Traglinie nach medial verschoben. Die Achse zwischen Femur und Tibia betrage 0°. Es sei also eine leicht varische Fehlstellung von 5 bis 6° vorhanden.
17 
Die körperlichen Verhältnisse des Klägers seien von Prof. Dr. H. nicht korrekt erfasst worden. Von ihm sei beidseits eine Varusstellung der Kniegelenke klinisch links von 10° und rechts von 8° gemessen worden. Ein solcher Befund lasse sich nach der von ihm durchgeführten klinischen Untersuchung nicht nachvollziehen. Von ihm sei zwar ein Interkondylenabstand von 3 cm bei sich berührenden Malleoli festgestellt worden. Die Ausmessung der Beinachse rechts habe jedoch unauffällige Verhältnisse gezeigt. Links habe klinisch nur ein geringes Varus vorgelegen. Die von Prof. Dr. H. vorgenommene Untersuchung sei auch hinsichtlich der Achsenbestimmung unzulänglich gewesen, da keine hinreichend aussagekräftige Beinganzaufnahme angefertigt worden sei. Es sei zu vermuten, dass die Beinachse vor Implantation der Knieendoprothese links gleichartig zu rechts oder nicht wesentlich unterschiedlich gewesen sei. Eine beidseitige deutliche O-Beinstellung dürfte daher auszuschließen sein. Rechts gelinge der Vollbeweis wegen der jetzt durchgeführten Beinganzaufnahme. Links müsse dies vermutet werden, da bei gering fehlimplantierter SchlittenpR.ese die jetzt vorgefundenen Achsen nicht 100 % auf den präoperativen Zustand zurückextrapoliert werden könnten, jedoch kein Grund ersichtlich sei, warum die Beinachse des Klägers links wesentlich anders sein sollte als rechts. Insbesondere lägen keine Verletzungen oder Stoffwechselerkrankungen vor, die zu einer verstärkten O-Beinbildung hätten führen können.
18 
Inkorrekt sei auch die Aussage im Gutachten von Prof. Dr. H., dass zwar eine kniende Position von 40 % des täglichen Arbeitstages eingenommen worden sei, jedoch nur zu einem geringeren Teil in einer meniskusbelastenden Position. Die Dipl.-Ing. S. und F. hätten gerade ausgeführt, dass der Kläger Tätigkeiten mit Meniskusbelastungen, also Tätigkeiten kniend, hockend und im Fersensitz, unter, und dies sei wichtig, gleichzeitiger Kraftaufwendung zu 40 % der Arbeitstätigkeit ausgeübt habe. Auf diesen Umstand habe auch Dr. G. in ihrer Stellungnahme von Dezember 1998 hingewiesen. Eine entsprechende Aussage finde sich ebenfalls in der Literatur, etwa in Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall- und Berufskrankheit. Demzufolge seien für eine Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV relevante belastende Tätigkeiten eindeutig nachgewiesen.
19 
Die Mehrjährigkeit sei ebenfalls gegeben, da die Belastungsdauer mittlerweile insgesamt 21 Jahre betragen habe, von 1965 bis 1978 dreizehn Jahre und von Oktober 1998 bis Mitte September 2006 annähernd acht Jahre. In der Literatur werde darauf hingewiesen, dass eine Meniskopathie lange klinisch stumm verlaufen und erst Jahre nach Beendigung der belastenden Tätigkeit zum Vorschein kommen könne, wobei für die Anerkennung ein jeweils langer Zeitraum der belastenden Tätigkeit und der besonderen Beanspruchung der Kniegelenke, ein kurzes beschwerdefreies Intervall bis zum Auftreten der ersten Beschwerden sowie ein geringes Lebensalter vorliegen müssten. Der Kläger habe dreizehn Jahre am Stück eine belastende Tätigkeit ausgeübt. Bei seiner ersten Phase als Fliesenleger habe ein geringes Lebensalter bestanden, so dass auch das klinische Manifestwerden im Sinne der Operationswürdigkeit nach Beendigung der die Kniegelenke belastenden Tätigkeit nicht gegen die Annahme einer berufsbedingten Meniskopathie spreche. Spätestens zum Zeitpunkt seiner Untersuchung lägen somit die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV vor.
20 
Hiergegen wandte die Beklagte ein, nach Beendigung der kniebelastenden Tätigkeit im April 1978 habe sich nach den Angaben des Klägers von Juni 1998 die Erkrankung erstmals im Jahre 1997 bemerkbar gemacht. Die Operationen mit Feststellungen von Innenmeniskusschäden seien im Juni 1997 im Bereich des rechten Knies und im März 1998 bezogen auf das linke Knie vorgenommen worden. Dass ein Meniskusschaden erst so viele Jahre nach Beendigung der kniebelastenden Tätigkeit klinisch manifest werde, spreche, entgegen der Ansicht von Prof. Dr. K., gegen die Annahme einer berufsbedingten Meniskopathie. Zu diesem Zeitpunkt habe beim Kläger auch kein geringes, sondern ein höheres Lebensalter vorgelegen. Selbst Dr. J. habe in seinem Bericht von September 2006, also vor Implantation der Schlittenprothese links im April 2007, für das linke Kniegelenk eine starke Varusfehlstellung beschrieben. Hierzu habe sich Prof. Dr. K. nicht verhalten.
21 
In einer ergänzenden Stellungnahme von April 2010 führte Prof. Dr. K. aus, dass auch nach der aktuellen 8. Auflage von Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit das Manifestwerden einer Meniskuserkrankung nach einer Latenz für sich alleine gesehen nicht gegen die Annahme einer beruflich bedingten Meniskopathie spreche. Zu dem von der Beklagten erwähnten Befundbericht von Dr. J. sei anzumerken, dass im Röntgenbefund nicht beschrieben werde, dass ein Varus oder Valgus bestehe. Diese Aussage finde sich nur im klinischen Befund. Dieser könne hingegen täuschen. Insbesondere bei übergewichtigen Menschen entsprächen die klinisch vorzufindenden Achsverhältnisse nicht immer den normalen. Nur mit einer kompletten Oberflächenersatzprothese oder gar einer achsgeführten Knieprothese könne ein Beinachsenfehler korrigiert werden, nicht jedoch mit einer unikondylären Prothese, wie sie beim Kläger zum Einsatz gekommen sei. Die Achsausmessungen, wie sie von ihm im Bereich des linken Beines mit einliegender Schlittenprothese vorgenommen worden seien, belegten, dass präoperativ kein stärkerer Varusfehler vorgelegen haben könne. Da wegen der Implantation einer unikondylären Schlittenprothese, die im Falle des Klägers von dem Ärztlichen Direktor der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie des K-Hospitals in Stuttgart, Priv.-Doz. Dr. G., eingesetzt worden sei, bei der präoperativen Planung, insbesondere der Ausrichtung der femoralen Komponente, eine komplexe Bestimmung diverser Winkel notwendig sei, müsse dort eine Beinganzaufnahme erstellt worden sein. Diese liege ihm jedoch nicht vor.
22 
Die Beklagte trug hierzu vor, nach der geltenden Fachliteratur sprächen ein entsprechend langer Zeitraum zwischen der Beendigung der belastenden Tätigkeit und dem Auftreten der ersten Beschwerden sowie ein zu diesem Zeitpunkt höheres Lebensalter gegen das Vorliegen eines beruflich verursachten Meniskusschadens. Nach der beratungsärztlichen Stellungnahme des Chirurgen Dr. K., dem die im K-Hospital in Stuttgart erstellte Ganzbeinaufnahme von Mitte März 2007 von der Beklagten vorgelegt wurde, zeige sich darauf eine deutliche Varusfehlstellung links.
23 
Das SG beauftragte den Leiter der Gutachtenambulanz der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie des Universitätsklinikums Heidelberg, Prof. Dr. Sch., mit der Erstattung eines Gutachtens. Nach einer ambulanten klinischen Untersuchung des Klägers am 2. November 2011 führte er aus, der Kniebefund sei im Gutachten von Prof. Dr. H. richtig erfasst worden. Es lägen Verschleißerscheinungen des Gelenkknorpels im linken Knie und beiderseitige Meniskusschädigungen vor. Jedoch sei nach heutigem medizinischem Wissen eine Fehlinterpretation hinsichtlich der O-Beinstellung als konkurrierende Ursache des Meniskusschadens erfolgt. Darüber hinaus fehle eine Differenzierung zwischen einem Gelenkknorpel- und einem Meniskusschaden, wie sie im Rahmen der Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV zu fordern sei. Ein so genanntes „konformes Belastungsbild“ im Sinne dieser Berufskrankheit verlange einen entsprechend dominierenden Verschleiß der Menisken. Dieses belastungskonforme Schädigungsmuster habe nur im rechten Kniegelenk des Klägers vorgelegen. Auch von Prof. Dr. K. sei der Befund der Kniegelenke weitgehend korrekt erfasst worden. Ihm sei zuzustimmen, dass eine valide Einschätzung der Beinachsen nur mittels einer Ganzbeinstandaufnahme vorzunehmen sei. Lediglich die von ihm vermutete gerade Beinachse des linken Beines vor der Implantation der Schlittentotalendoprothese habe sich nach der nun vorliegenden Ganzbeinstandaufnahme des K-Hospitals in Stuttgart aus dem Jahre 2007 als nicht zutreffend erwiesen. Auch er habe keine Differenzierung zwischen Meniskus- und Gelenkknorpelschäden vorgenommen. Die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV lägen somit nur für das rechte Knie vor. Ein belastungskonformes Schädigungsmuster mit dominierender Meniskusschädigung über die Gelenkknorpelschädigung hinaus sei für das linke Knie demgegenüber nicht zu belegen. Vor dem Hintergrund der vom Kläger angegeben Kniebelastung im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeiten erscheine eine einseitig berufsbedingte Meniskusschädigung wahrscheinlich.
24 
Hierzu wandte die Beklagte ein, die Annahme, dass der Kläger bei seinen beruflichen Tätigkeiten als Fliesenleger in einer überwiegend das rechte Knie belastenden Körperhaltung, bei der er sich auf dieses aufstützte, gearbeitet habe, sei eine Vermutung, die nicht nachvollzogen werden könne. Hiergegen spreche, dass Prof. Dr. H. bei seiner Begutachtung Anfang 1999 im Bereich beider Kniegelenke eine starke Verschwielung der beiden präpatellaren Zonen festgestellt habe. Der Tätigkeit als Fliesenleger sei der Kläger nach eigenen Angaben erst wieder ab Anfang Oktober 1998 nachgegangen.
25 
Prof. Dr. Sch. führte ergänzend aus, bei der von ihm vorgenommenen gutachterlichen Untersuchung habe der Kläger die kniebelastende Tätigkeit bereits seit Jahren aufgegeben gehabt. Eine Beurteilung der präpatellaren Beschwielung sei ihm zu diesem Zeitpunkt daher nicht mehr möglich gewesen. Eine beidseits vorliegende ausgeprägte präpatellare Beschwielung widerspreche in der Tat einer vorwiegend einseitigen Kniebelastung des Klägers. Folglich wäre im Falle einer berufsbedingten Schädigung ein im Seitenvergleich ähnliches Schädigungsmuster zu fordern. Zu der von der Beklagten angesprochenen Latenz zwischen der Aufgabe der beruflichen Tätigkeit und dem Manifestwerden eines Meniskusschadens gebe es keine Grenzwerte, weshalb die Tatsache der langen klinischen Unauffälligkeit nach Beendigung der meniskusbelastenden Tätigkeit nicht gegen die Anerkennung einer berufsbedingten Meniskopathie spreche.
26 
In der mündlichen Verhandlung beim SG am 21. Februar 2012 gab der Kläger, er habe zu 90 % seiner Tätigkeiten als Fliesenleger auf dem rechten Knie gearbeitet. Dabei habe er das linke Knie so aufgestellt gehabt, dass sich Ober- und Unterschenkel des linken Beines berührt hätten. Er habe beiderseits Knieschoner getragen. Beim Fliesenlegen habe er stets hinter den Fliesen gesessen. Diese Position habe er bereits zu Beginn seiner beruflichen Tätigkeit eingenommen. Grund hierfür sei gewesen, dass er Beschwerden am linken Knie gehabt habe. Dieses sei, wenn er aus der Hocke habe aufstehen müssen, ebenfalls Belastungen ausgesetzt gewesen.
27 
Das SG wies die Klage mit Urteil vom 21. Februar 2012 ab. Im Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG, Az. L 8 U 2150/12) schlossen die Beteiligten in der nichtöffentlichen Sitzung am 20. November 2012 einen Vergleich, wonach sie übereinstimmend davon ausgingen, dass der Antrag des Klägers von Dezember 2006 auch als Antrag nach § 48 SGB X gewertet wird. Die Beklagte verpflichtete sich, auf den Antrag des Klägers wegen der geltend gemachten Verschlimmerung einen Bescheid zu erteilen. Der Kläger nahm die Berufung zurück.
28 
Daraufhin forderte die Beklagte weitere medizinische Befundunterlagen an. Der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. Sch. diagnostizierte nach einer Untersuchung Anfang Oktober 2012 eine mediale Schlittenprothese im linken Kniegelenk (ICD-10 Z96.6), eine Gonarthrose rechts (ICD-10 M17.1) und eine Adipositas (ICD-10 E66.8). Als klinischen Befund stellte er unter anderem Genua vara fest. Priv.-Doz. Dr. G. berichtete im Januar 2013 über einen stationären Aufenthalt des Klägers im April 2007, bei dem eine mediale Schlittenprothese links eingesetzt worden sei, und diagnostizierte unter anderem eine medial betonte Gonarthrose primär links (ICD-10 M17.1).
29 
Mit Bescheid vom 4. April 2013 stellte die Beklagte „in Ausführung des Vergleiches“ fest, dass beim Kläger keine Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV vorliegt. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juni 2013, der den Bevollmächtigten des Klägers am 24. Juni 2013 zugestellt wurde, zurückgewiesen.
30 
Hiergegen hat der Kläger am 23. Juli 2013 Klage beim SG erhoben, welches sie nach Durchführung eines Erörterungstermins am 22. Juli 2014 mit Urteil vom 12. Mai 2015 abgewiesen hat. Zwischen den Beteiligten stehe der Gesundheitszustand des Klägers nach Erlass des Bescheides vom 27. Mai 1999 im Streit. Dieser habe angegeben, in diesem Zeitraum erneut als Fliesenleger tätig geworden zu sein. Entgegen der Formulierung in dem gerichtlichen Vergleich vor dem LSG im November 2012 habe die Beklagte nach Überzeugung der Kammer nicht über eine Verschlimmerung entschieden. Zu Recht habe sie geprüft, ob zum Zeitpunkt des Antrages vom 21. Dezember 2006 die Voraussetzungen für die in Streit stehende Berufskrankheit gegeben gewesen seien. Dies sei zu verneinen.
31 
Gegen die den Bevollmächtigten des Klägers am 8. Juni 2015 zugestellte Entscheidung, auf der neben der Kammervorsitzenden nur eine ehrenamtliche Richterin aufgeführt ist, hat der Kläger am 1. Juli 2015 mit der Begründung Berufung beim LSG eingelegt, bislang sei außer Acht gelassen worden, dass auch Prof. Dr. Sch. festgestellt habe, dass die Befundsituation seines rechten Knies mit einer Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV zu vereinbaren sei. Unberücksichtigt geblieben sei in der vorausgegangenen Entscheidung des SG ferner, dass Prof. Dr. K. zu dem Ergebnis gekommen sei, dass seine Kniebeschwerden nicht durch eine varische Fehlstellung verursacht worden sein könnten. Beide Sachverständigengutachten stützten das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV.
32 
Der Kläger beantragt,
33 
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 12. Mai 2015 und den Bescheid vom 4. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, bei ihm eine Berufskrankheit nach Nummer 2102 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung anzuerkennen.
34 
Die Beklagte beantragt,
35 
die Berufung zurückzuweisen.
36 
Sie trägt im Wesentlichen vor, der Kläger berücksichtige nicht die ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. Sch., wonach die medizinischen Voraussetzungen für eine Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV nicht bejaht werden könnten, wenn keine einseitige Kniebelastung des Klägers vorgelegen habe. Hiergegen spreche die Feststellung von Prof. Dr. H., wonach im Zeitpunkt seiner Begutachtung eine beiderseitige patellare Beschwielung im Bereich der Kniegelenke vorgelegen habe. Weiter deute auch der zeitliche Ablauf nicht darauf hin, dass die Kniegelenksbeschwerden durch die berufliche Tätigkeit des Klägers verursacht worden seien.
37 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte der Beklagten (2 Hefte) verwiesen.

Entscheidungsgründe

38 
Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden sowie im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft (§ 143, § 144 Abs. 1 SGG), aber unbegründet.
39 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Urteil des SG vom 12. Mai 2015, mit dem die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG; zur Klageart vgl. BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 - B 2 U 6/12 R -, SozR 4-2700 § 9 Nr. 22, Rz. 13 m. w. N.) erhobene Klage, mit welcher der Kläger zuletzt unter Aufhebung des Bescheides vom 4. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2013 die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV verfolgt hat, abgewiesen worden ist. Das Urteil ist wirksam und im Übrigen auch nicht fehlerhaft zustande gekommen, da es ausweislich der Niederschrift des SG über die mündlichen Verhandlung am 12. Mai 2015 (§ 122 SGG i. V. m. § 165 Satz 1 Zivilprozessordnung - ZPO) unter Mitwirkung von zwei ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern (§ 12 Abs. 1 Satz 1 SGG) zustande gekommen ist und lediglich auf der Urteilsurkunde entgegen § 136 Abs. 1 Nr. 2 SGG der mitwirkende ehrenamtliche Richter Ludwig nicht namentlich aufgeführt ist. Diese Vorschrift soll die Prüfung ermöglichen, ob das Gericht ordnungsgemäß besetzt war (Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 136 Rz. 3), was sich vorliegend allerdings noch hinreichend anhand der Sitzungsniederschrift nachvollziehen lässt, die den Beteiligten mit einem Urteilsabdruck zugestellt worden ist.
40 
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn die Voraussetzungen für die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV liegen beim Kläger nicht vor.
41 
Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach den am 1. Januar 1997 in Kraft getretenen Bestimmungen des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII), da ein Meniskusschaden, wie er Voraussetzung für die Feststellung der Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV ist, nicht vor diesem Datum nachgewiesen ist und der Leistungsfall somit erst nach 1996 eingetreten sein kann (§ 212 SGB VII; Art. 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, BGBl I 1996, S. 1254). Der Riss im Innenmeniskushinterhorn rechts wurde im Juni 1997 von Dr. J. operiert. Beschwerden wegen dieses Meniskusschadens sind nach dessen Angaben in der Anzeige über eine Berufskrankheit von April 1998 erstmals im April 1997 aufgetreten. Der Kläger selbst hat im Verwaltungsverfahren auf Nachfrage mitgeteilt, dass sich ein Meniskusschaden erstmals im Januar 1997 bemerkbar machte. Dem Vorerkrankungsverzeichnis ist kein Nachweis für einen Meniskusschaden des Klägers vor 1997 zu entnehmen. Im November 1990 und April 1991 ergab sich jeweils nur der Verdacht auf eine Innenmeniskusläsion. Im September 1995 wurde ein so genanntes „Reizknie“ diagnostiziert, also eine ätiologisch unklare, zu Rückfällen neigende Kniegelenksentzündung, die mögliche Folgeerkrankung eines Meniskusschadens sein kann, nicht aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf dessen Eintritt schließen lässt. Bei der vom Kläger gegenüber Prof. Dr. H. bei der Begutachtung angeführten Bursitis praepatellaris, also einer Entzündung des Schleimbeutels im Bereich der Kniescheibe, die im Jahre 1972 behandelt worden sein soll, handelt es sich ebenfalls nicht um einen Meniskusschaden. Wegen des somit erst nach 1996 nachgewiesenen Meniskusschadens kann der Versicherungsfall erst nach diesem Datum eingetreten sein, so dass die Bestimmungen des SGB VII heranzuziehen sind, unabhängig davon, ob § 9 Abs. 5 SGB VII entsprechende Anwendung findet. Soweit danach Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für die Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen (vgl. Köhler, in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB VII, Stand: Mai 2011, § 212 Rz. 5; Söhngen, in jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 212 Rz. 11). Auch diese Voraussetzungen lägen frühestens zum Zeitpunkt des Nachweises des Meniskusschadens vor.
42 
Nach § 9 Abs. 1 SGB VII sind Berufskrankheiten Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als Berufskrankheiten bezeichnet (Listen-Berufskrankheiten) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den § 2, § 3 oder § 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (Satz 1). Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann Berufskrankheiten auf bestimmte Gefährdungsbereiche beschränken oder mit dem Zwang zur Unterlassung einer gefährdenden Tätigkeit versehen (Satz 2). Für die Feststellung einer Listen-Berufskrankheit ist im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung gegebenenfalls den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-Berufskrankheit. Dabei müssen die „versicherte Tätigkeit“, die „Verrichtung“, die „Einwirkungen“ und die „Krankheit“ im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der T.rie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 15. September 2011 - B 2 U 25/10 R -, SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 4111 Nr. 3, Rz. 14 m. w. N.).
43 
Der Verordnungsgeber hat die Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV wie folgt bezeichnet: „Meniskusschäden nach mehrjährigen andauernden oder häufig wiederkehrenden, die Kniegelenke überdurchschnittlich belastenden Tätigkeiten“.
44 
Die gesundheitlichen Verhältnisse des Klägers rechtfertigen die beantragte Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV nicht. Dabei war der Senat nicht an den Inhalt des bestandskräftigen Bescheides vom 27. Mai 1999 gebunden. Dieser betraf nur das durch die ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit von Dr. J. eingeleitete Verwaltungsverfahren, welches durch die damit getroffene Feststellung abgeschlossen worden ist, dass beim Kläger keine Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV vorliegt. Insoweit ist eine der materiellen Bestandskraft (§ 77 SGG) fähige Feststellung allerdings nur insoweit getroffen worden, als das Begehren des Klägers nach dem maßgeblichen Sach- und Rechtsstand bis zum Abschluss des damaligen Verwaltungsverfahrens beurteilt worden ist. Eine solche negative Feststellung schließt das Verwaltungsverfahren ab, entfaltet jedoch keine Wirkung für die Zukunft. Wäre es anders, so käme dem Verwaltungsakt Dauerwirkung zu (vgl. BSG, Urteil vom 20. Oktober 1999 - B 9 SB 4/98 R -, SozR 3-1500 § 77 Nr. 3), was nicht der Fall ist, da seine Regelungswirkung nach dem zu Grunde liegenden materiellen Recht nicht über die punktuelle Gestaltung des Rechtsverhältnisses der Beteiligten hinausreicht (vgl. Schütze, in von Wulffen/Schütze, Kommentar zum SGB X, 8. Aufl. 2014, § 48 Rz. 3 mit § 45 Rz. 64). Aus diesem Grund findet vorliegend auch § 48 SGB X keine Anwendung. Mit dem Bescheid vom 8. November 2007, der aufgrund des vor dem LSG im November 2012 geschlossenen Vergleiches nicht aufgehoben worden ist, wurde ohnehin nur die Rücknahme der mit Bescheid vom 27. Mai 1999 getroffenen Verwaltungsentscheidung abgelehnt. Eine Bindungswirkung in materieller Hinsicht kommt diesem Verwaltungsakt für das Begehren des Klägers daher von vornherein nicht zu. Der Senat ist indes nach inhaltlicher Prüfung zum aktuellen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung beim LSG ebenfalls nicht zu der Überzeugung gelangt, dass die Voraussetzungen für die Feststellung der Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV vorliegen.
45 
Der Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV unterfällt nur die primäre Meniskopathie, welche dem Ausmaß der Verschleißerscheinungen des Gelenkknorpels vorauseilt, nicht die sekundäre, wie Prof. Dr. Sch. vor dem Hintergrund der Literatur in seiner im Auftrag des SG in einem Vorverfahren erstellten Expertise, welche als Sachverständigenbeweis verwertet worden ist (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 411a ZPO), überzeugend ausgeführt hat. Danach ist die primäre Meniskopathie unmittelbar belastungsabhängig. Bei ihr setzt der vorzeitige Verschleiß im Meniskusgewebe mit einer Einbuße an Elastizität und Gleitfähigkeit des gesamten Meniskussystems ein (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 632). Bei der sekundären Meniskopathie wird der Meniskusschaden durch andere Veränderungen vermittelt; zunächst erscheinen ausgedehnte Knorpelschäden im Gelenk. Ursächlich hierfür sind die Minderwertigkeit des Gelenkknorpels, die Folgen arthrotischer Veränderungen bei anlagebedingten oder posttraumatischen Achsenfehlstellungen, posttraumatische Stufenbildungen im Bereich der Gelenkkörper nach Frakturen oder eine posttraumatische Instabilität des Gelenkes nach Kapselbandverletzungen. Sekundär folgt der Meniskusschaden (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 633 f. m. w. N.).
46 
Beide operativen Eingriffe, denen sich der Kläger unterziehen musste und bei denen maßgebliche Anteile des jeweiligen Innenmeniskus im Juni 1997 und März 1998 entfernt worden sind, sind nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Sch. als solche geeignet, eine Arthrose zu fördern. Ein erst danach objektivierter - weiterer - Meniskusschaden ist daher meist Folge von solchen eingetretenen arthrotischen Veränderungen und folglich ein für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV nicht relevanter sekundärer Meniskusschaden. Für die Bewertung der Befundlage im Bereich der Knie des Klägers hinreichend aussagekräftig sind daher vor allem die medizinischen Verhältnisse bis zum jeweiligen Zeitpunkt der durchgeführten Arthroskopien. Ein für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV zu fordernder primärer Meniskusschaden hat beim Kläger in Bezug hierauf nach den schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen von Prof. Dr. Sch. nur hinsichtlich des rechten Knies vorgelegen. Bei der ersten Arthroskopie im Juni 1997 waren die Gelenkflächen im rechten Knie, abgesehen von einer kleinen oberflächlichen und frischen Knorpelabschürfung, gänzlich unauffällig. Dies ergibt sich aus dem Operationsbericht von Dr. J.. Isoliert stellte sich dabei das Innenmeniskushinterhorn als „komplex zerrissen“ dar. Der Außenmeniskus war intakt. Im Rahmen der arthroskopischen Versorgung erfolgte eine totale Entfernung des Innenmeniskushinterhorns. Im linken Knie zeigte sich demgegenüber bei der Arthroskopie im März 1998 nach dem Operationsbericht von Dr. J. ein dritt- bis viertgradiger medialer Knorpelschaden mit kombinierter Läsion des Innenmeniskushinterhorns. Im Rahmen der operativen Versorgung erfolgten eine Totalresektion des Innenmeniskushinterhorns und eine Teilresektion des Innenmeniskusvorderhorns.
47 
Beim Vergleich der Befunde zeigte sich somit für beide Kniegelenke ein deutlich asymmetrisches Bild. Im rechten Knie bestand eine weitgehend isolierte Meniskuskomplexläsion, ohne relevante begleitende Verschleißerscheinung des Gelenkknorpels. Im linken Knie dominierte eine medial betonte Verschleißsituation, kombiniert mit einer Meniskusläsion. Schon im März 1998 lag eine innenseitige Arthrose vor. Für das linke Knie ergaben sich somit zu den Gelenkknorpelschäden vergleichsweise untergeordnete Meniskusschäden. Anders als im linken Knie ist im rechten ein belastungskonformes Schadensbild objektiviert worden.
48 
Prof. Dr. Sch. hat schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, dass diese Befundkonstellation mit der Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV nur zu vereinbaren ist, wenn eine asymmetrische, beruflich bedingte Belastung der beiden Kniegelenke vorlag. Davon ist der Senat trotz der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung beim SG in einem Vorverfahren im Februar 2012, wonach er zu 90 % seiner Tätigkeiten als Fliesenleger auf dem rechten Knie gearbeitet habe, nicht überzeugt. Weder nach dem SGG noch nach der ZPO gibt es zwar eine Beweisregel in dem Sinne, dass frühere Aussagen oder Angaben grundsätzlich einen höheren Beweiswert besitzen als spätere; im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 286 ZPO) sind vielmehr alle Aussagen, Angaben und sonstigen Einlassungen zu würdigen. Gleichwohl kann das Gericht im Rahmen der Gesamtwürdigung den zeitlich früheren Aussagen aufgrund der Gesichtspunkte, dass die Erinnerung hierbei noch frischer war und sie von irgendwelchen Überlegungen, die darauf abzielen, das Klagebegehren zu begünstigen, noch unbeeinflusst waren, einen höheren Beweiswert als den späteren zumessen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2003 - B 2 U 41/02 R -, SozR 4-2700 § 4 Nr. 1, Rz. 12; Urteile des Senats vom 12. August 2014 - L 6 VH 5821/10 ZVW - juris, Rz. 144 und vom 21. Mai 2015 - L 6 U 1053/15 -, juris, Rz. 34). Hiervon geht der Senat vorliegend aus. In einem dem Kläger von der Beklagten übersandten Fragebogen machte er im Juni 1998 verschiedene Angaben zu einem möglichen Meniskusschaden und im Rahmen der Arbeitsanamnese zu körperlichen Belastungen, denen er ausgesetzt war, ohne allerdings zu diesem frühen Zeitpunkt darauf hinzuweisen, dass er bei seinen Tätigkeiten als Fliesenleger ganz überwiegend auf dem rechten Knie gearbeitet haben will. Eine solche Information konnten die Dipl.-Ing. S. und F. in ihrer Stellungnahme von September 1998, für die sie die schriftlichen Angaben des Klägers auswerteten, daher nicht aufnehmen. Dass der Kläger durchaus imstande ist, differenzierte Angaben zu machen, zeigt sich demgegenüber anhand der Stellungnahme von Dr.-Ing. J., der auch ein Telefonat mit dem Kläger im August 1998 vorausging. Dabei teilte der Kläger zu seiner Beschäftigung bei der Fahrzeugbau R. mit, dass er zu 80 % in der Lackiervorbereitung tätig war, wobei sein linkes Knie hierbei nahezu nicht belastet wurde. Zudem spricht gegen eine überwiegend einseitige Belastung des rechten Knies, dass Prof. Dr. H. nach seinem im Wege des Urkundenbeweises verwerteten Gutachten (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 415 ff. ZPO) bei seiner Untersuchung im Februar 1999 in beiden Kniegelenken eine präpatellare Beschwielung feststellte. Prof. Dr. Sch. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme zu seinem Gutachten hierzu überzeugend ausgeführt, dass dieser Umstand einer vorwiegend einseitigen Kniebelastung widerspricht. Hinzu kommt, dass der Kläger selbst angegeben hat, während seiner Tätigkeiten als Fliesenleger beiderseits Knieschoner getragen zu haben, was bei einer einseitigen Kniebelastung nicht nachvollziehbar wäre. Dies verdeutlicht sich umso mehr, da er nach eigenen Angaben während seiner Tätigkeit bei der Fahrzeugbau R., bei der das linke Knie nahezu unbelastet war, nur einen Knieschoner trug.
49 
Eine Meniskopathie kann klinisch lange „stumm“ bleiben und erst nach Beendigung der belastenden Tätigkeit offenbar werden (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 639 f.). Hierauf weist auch Prof. Dr. Sch. hin, wonach neben der Dauer der belastenden Tätigkeit der zeitliche Umfang der besonderen Beanspruchung der Kniegelenke und das Lebensalter eine Rolle spielen, wofür es keine Grenzwerte gibt. Diese Aspekte sprechen zwar vorliegend nicht gegen einen Ursachenzusammenhang zwischen der beruflich bedingten Einwirkung auf die Knie des Klägers und der bei ihm vorhandenen Meniskusschäden. Sie geben allerdings auch keinen Hinweis darauf, dass ein solcher vorliegt, sie sind vielmehr indifferent. Der Kläger war bei seinen Tätigkeiten als Fliesenleger im Zeitraum von April 1965 bis Mitte April 1978, also dreizehn Jahre lang und damit mehrjährig (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 635 f.), einer Dauerzwangshaltung, insbesondere bei Belastungen durch Hocken oder Knien, bei gleichzeitiger Kraftaufwendung ausgesetzt. Dies entnimmt der Senat der Stellungnahme der Dipl.-Ing. S. und F., wonach er sämtliche in diesem Beruf anfallenden Arbeiten ausführte, welche üblicherweise in kniender oder hockender Haltung durchgeführt wurden. Hierzu zählten im Besonderen das Verlegen und Verfugen von Bodenfliesen sowie von Wandfliesen im Bereich zwischen Sockel und einer Höhe von etwa 75 cm. An Körperhaltungen wurden, bei gleichzeitiger Kraftaufwendung, der Fersensitz, die Kniehocke und die Hocke als solche eingenommen worden. Etwa 40 % der Gesamtarbeitszeit entfielen auf solche Arbeiten in kniender oder hockender Position. Hierdurch kam es zu einer überdurchschnittlichen Belastung der Kniegelenke (vgl. Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zur Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV, Bek. des BMA, BArbBl. 2/1990, S. 135). Demgegenüber war der Kläger einer solchen überdurchschnittlichen Belastung weder bei seiner zweimonatigen Tätigkeit als Staplerfahrer bei der IBM Deutschland GmbH noch während seiner Beschäftigung bei der Fahrzeugbau R. im Zeitraum von Mitte Juni 1978 bis zu dem auch im zweiten Knie festgestellten Meniskusschaden im März 1998 ausgesetzt. Die Stellungnahme von Dr.-Ing. J., die er nach Telefonaten mit dem damaligen Geschäftsinhaber der Fahrzeugbau R. und dem Kläger erstellte, belegt, dass Letzterer dort zu etwa 80 % in der Lackiervorbereitung tätig war. Die Arbeiten umfassten das Schleifen und Spachteln von Aufbauten für Lastkraftwagen. Bei Tätigkeiten in etwa 60 bis 70 cm Flurhöhe stützte sich der Kläger mit dem rechten Knie auf dem Boden ab. Hierbei trug er einen Knieschoner. Sein linkes Knie war dabei nahezu unbelastet. Die Arbeiten führte er an etwa vier Tagen in der Woche mit einer Dauer von etwa zwei Stunden je Schicht durch. Am fünften Wochenarbeitstag wurde keine kniebelastende Tätigkeit ausgeübt. Vorwiegend in den Monaten November und Dezember wurden nahezu täglich an sieben bis zwölf Last- oder Personenkraftwagen Reifen montiert. Für die Dauer der knienden Tätigkeit beim Wechseln der Räder legt der Senat die Zeit zugrunde, die Dr.-Ing. J. mit etwa eine Stunde je Tag schlüssig eingeschätzt hat. Ohnehin hatte der Kläger bei dem Gespräch angegeben, die gesundheitlichen Probleme im Bereich seiner Knie auf seine Tätigkeit als Fliesenleger zurückzuführen. Somit lagen zwischen der Beendigung der dreizehn Jahre andauernden, überdurchschnittlich kniebelastenden Tätigkeit Mitte April 1978 und dem nachgewiesenen Eintritt der Meniskusschädigung im rechten Kniegelenk im Juni 1997, als der Kläger 47 Jahre alt war, mehr als neunzehn Jahre. Diese Umstände vermögen die Möglichkeit eines Ursachenzusammenhanges nicht auszuschließen, ihretwegen spricht aber auch nicht mehr für einen solchen als dagegen.
50 
Mangels hinreichender Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhanges der beruflich bedingten Einwirkungen auf die Knie des Klägers und einem primären Meniskusschaden, kommt es von vornherein nicht darauf an, ob die beim Kläger anhand der von Priv.-Doz. Dr. G. erstellten Ganzbeinaufnahme von März 2007, welche Prof. Dr. K. bei Erstattung seines Gutachtens nicht vorlag, objektivierte und nicht versicherte Varusfehlstellung links ebenfalls ursächlich für einen Meniskusschaden des Klägers gewesen ist. Deren ursächliche Bedeutung ist wissenschaftlich nicht belegt, auch wenn eine mäßig ausgeprägte O-Beinstellung biomechanisch und anatomisch eine Schadensanlage darstellt, worauf Prof. Dr. Sch. nachvollziehbar hingewiesen hat (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 638).
51 
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
52 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
53 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Gründe

38 
Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden sowie im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft (§ 143, § 144 Abs. 1 SGG), aber unbegründet.
39 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Urteil des SG vom 12. Mai 2015, mit dem die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG; zur Klageart vgl. BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 - B 2 U 6/12 R -, SozR 4-2700 § 9 Nr. 22, Rz. 13 m. w. N.) erhobene Klage, mit welcher der Kläger zuletzt unter Aufhebung des Bescheides vom 4. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2013 die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV verfolgt hat, abgewiesen worden ist. Das Urteil ist wirksam und im Übrigen auch nicht fehlerhaft zustande gekommen, da es ausweislich der Niederschrift des SG über die mündlichen Verhandlung am 12. Mai 2015 (§ 122 SGG i. V. m. § 165 Satz 1 Zivilprozessordnung - ZPO) unter Mitwirkung von zwei ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern (§ 12 Abs. 1 Satz 1 SGG) zustande gekommen ist und lediglich auf der Urteilsurkunde entgegen § 136 Abs. 1 Nr. 2 SGG der mitwirkende ehrenamtliche Richter Ludwig nicht namentlich aufgeführt ist. Diese Vorschrift soll die Prüfung ermöglichen, ob das Gericht ordnungsgemäß besetzt war (Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 136 Rz. 3), was sich vorliegend allerdings noch hinreichend anhand der Sitzungsniederschrift nachvollziehen lässt, die den Beteiligten mit einem Urteilsabdruck zugestellt worden ist.
40 
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn die Voraussetzungen für die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV liegen beim Kläger nicht vor.
41 
Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach den am 1. Januar 1997 in Kraft getretenen Bestimmungen des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII), da ein Meniskusschaden, wie er Voraussetzung für die Feststellung der Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV ist, nicht vor diesem Datum nachgewiesen ist und der Leistungsfall somit erst nach 1996 eingetreten sein kann (§ 212 SGB VII; Art. 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, BGBl I 1996, S. 1254). Der Riss im Innenmeniskushinterhorn rechts wurde im Juni 1997 von Dr. J. operiert. Beschwerden wegen dieses Meniskusschadens sind nach dessen Angaben in der Anzeige über eine Berufskrankheit von April 1998 erstmals im April 1997 aufgetreten. Der Kläger selbst hat im Verwaltungsverfahren auf Nachfrage mitgeteilt, dass sich ein Meniskusschaden erstmals im Januar 1997 bemerkbar machte. Dem Vorerkrankungsverzeichnis ist kein Nachweis für einen Meniskusschaden des Klägers vor 1997 zu entnehmen. Im November 1990 und April 1991 ergab sich jeweils nur der Verdacht auf eine Innenmeniskusläsion. Im September 1995 wurde ein so genanntes „Reizknie“ diagnostiziert, also eine ätiologisch unklare, zu Rückfällen neigende Kniegelenksentzündung, die mögliche Folgeerkrankung eines Meniskusschadens sein kann, nicht aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf dessen Eintritt schließen lässt. Bei der vom Kläger gegenüber Prof. Dr. H. bei der Begutachtung angeführten Bursitis praepatellaris, also einer Entzündung des Schleimbeutels im Bereich der Kniescheibe, die im Jahre 1972 behandelt worden sein soll, handelt es sich ebenfalls nicht um einen Meniskusschaden. Wegen des somit erst nach 1996 nachgewiesenen Meniskusschadens kann der Versicherungsfall erst nach diesem Datum eingetreten sein, so dass die Bestimmungen des SGB VII heranzuziehen sind, unabhängig davon, ob § 9 Abs. 5 SGB VII entsprechende Anwendung findet. Soweit danach Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für die Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen (vgl. Köhler, in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB VII, Stand: Mai 2011, § 212 Rz. 5; Söhngen, in jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 212 Rz. 11). Auch diese Voraussetzungen lägen frühestens zum Zeitpunkt des Nachweises des Meniskusschadens vor.
42 
Nach § 9 Abs. 1 SGB VII sind Berufskrankheiten Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als Berufskrankheiten bezeichnet (Listen-Berufskrankheiten) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den § 2, § 3 oder § 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (Satz 1). Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann Berufskrankheiten auf bestimmte Gefährdungsbereiche beschränken oder mit dem Zwang zur Unterlassung einer gefährdenden Tätigkeit versehen (Satz 2). Für die Feststellung einer Listen-Berufskrankheit ist im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung gegebenenfalls den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-Berufskrankheit. Dabei müssen die „versicherte Tätigkeit“, die „Verrichtung“, die „Einwirkungen“ und die „Krankheit“ im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der T.rie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 15. September 2011 - B 2 U 25/10 R -, SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 4111 Nr. 3, Rz. 14 m. w. N.).
43 
Der Verordnungsgeber hat die Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV wie folgt bezeichnet: „Meniskusschäden nach mehrjährigen andauernden oder häufig wiederkehrenden, die Kniegelenke überdurchschnittlich belastenden Tätigkeiten“.
44 
Die gesundheitlichen Verhältnisse des Klägers rechtfertigen die beantragte Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV nicht. Dabei war der Senat nicht an den Inhalt des bestandskräftigen Bescheides vom 27. Mai 1999 gebunden. Dieser betraf nur das durch die ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit von Dr. J. eingeleitete Verwaltungsverfahren, welches durch die damit getroffene Feststellung abgeschlossen worden ist, dass beim Kläger keine Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV vorliegt. Insoweit ist eine der materiellen Bestandskraft (§ 77 SGG) fähige Feststellung allerdings nur insoweit getroffen worden, als das Begehren des Klägers nach dem maßgeblichen Sach- und Rechtsstand bis zum Abschluss des damaligen Verwaltungsverfahrens beurteilt worden ist. Eine solche negative Feststellung schließt das Verwaltungsverfahren ab, entfaltet jedoch keine Wirkung für die Zukunft. Wäre es anders, so käme dem Verwaltungsakt Dauerwirkung zu (vgl. BSG, Urteil vom 20. Oktober 1999 - B 9 SB 4/98 R -, SozR 3-1500 § 77 Nr. 3), was nicht der Fall ist, da seine Regelungswirkung nach dem zu Grunde liegenden materiellen Recht nicht über die punktuelle Gestaltung des Rechtsverhältnisses der Beteiligten hinausreicht (vgl. Schütze, in von Wulffen/Schütze, Kommentar zum SGB X, 8. Aufl. 2014, § 48 Rz. 3 mit § 45 Rz. 64). Aus diesem Grund findet vorliegend auch § 48 SGB X keine Anwendung. Mit dem Bescheid vom 8. November 2007, der aufgrund des vor dem LSG im November 2012 geschlossenen Vergleiches nicht aufgehoben worden ist, wurde ohnehin nur die Rücknahme der mit Bescheid vom 27. Mai 1999 getroffenen Verwaltungsentscheidung abgelehnt. Eine Bindungswirkung in materieller Hinsicht kommt diesem Verwaltungsakt für das Begehren des Klägers daher von vornherein nicht zu. Der Senat ist indes nach inhaltlicher Prüfung zum aktuellen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung beim LSG ebenfalls nicht zu der Überzeugung gelangt, dass die Voraussetzungen für die Feststellung der Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV vorliegen.
45 
Der Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV unterfällt nur die primäre Meniskopathie, welche dem Ausmaß der Verschleißerscheinungen des Gelenkknorpels vorauseilt, nicht die sekundäre, wie Prof. Dr. Sch. vor dem Hintergrund der Literatur in seiner im Auftrag des SG in einem Vorverfahren erstellten Expertise, welche als Sachverständigenbeweis verwertet worden ist (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 411a ZPO), überzeugend ausgeführt hat. Danach ist die primäre Meniskopathie unmittelbar belastungsabhängig. Bei ihr setzt der vorzeitige Verschleiß im Meniskusgewebe mit einer Einbuße an Elastizität und Gleitfähigkeit des gesamten Meniskussystems ein (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 632). Bei der sekundären Meniskopathie wird der Meniskusschaden durch andere Veränderungen vermittelt; zunächst erscheinen ausgedehnte Knorpelschäden im Gelenk. Ursächlich hierfür sind die Minderwertigkeit des Gelenkknorpels, die Folgen arthrotischer Veränderungen bei anlagebedingten oder posttraumatischen Achsenfehlstellungen, posttraumatische Stufenbildungen im Bereich der Gelenkkörper nach Frakturen oder eine posttraumatische Instabilität des Gelenkes nach Kapselbandverletzungen. Sekundär folgt der Meniskusschaden (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 633 f. m. w. N.).
46 
Beide operativen Eingriffe, denen sich der Kläger unterziehen musste und bei denen maßgebliche Anteile des jeweiligen Innenmeniskus im Juni 1997 und März 1998 entfernt worden sind, sind nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Sch. als solche geeignet, eine Arthrose zu fördern. Ein erst danach objektivierter - weiterer - Meniskusschaden ist daher meist Folge von solchen eingetretenen arthrotischen Veränderungen und folglich ein für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV nicht relevanter sekundärer Meniskusschaden. Für die Bewertung der Befundlage im Bereich der Knie des Klägers hinreichend aussagekräftig sind daher vor allem die medizinischen Verhältnisse bis zum jeweiligen Zeitpunkt der durchgeführten Arthroskopien. Ein für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV zu fordernder primärer Meniskusschaden hat beim Kläger in Bezug hierauf nach den schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen von Prof. Dr. Sch. nur hinsichtlich des rechten Knies vorgelegen. Bei der ersten Arthroskopie im Juni 1997 waren die Gelenkflächen im rechten Knie, abgesehen von einer kleinen oberflächlichen und frischen Knorpelabschürfung, gänzlich unauffällig. Dies ergibt sich aus dem Operationsbericht von Dr. J.. Isoliert stellte sich dabei das Innenmeniskushinterhorn als „komplex zerrissen“ dar. Der Außenmeniskus war intakt. Im Rahmen der arthroskopischen Versorgung erfolgte eine totale Entfernung des Innenmeniskushinterhorns. Im linken Knie zeigte sich demgegenüber bei der Arthroskopie im März 1998 nach dem Operationsbericht von Dr. J. ein dritt- bis viertgradiger medialer Knorpelschaden mit kombinierter Läsion des Innenmeniskushinterhorns. Im Rahmen der operativen Versorgung erfolgten eine Totalresektion des Innenmeniskushinterhorns und eine Teilresektion des Innenmeniskusvorderhorns.
47 
Beim Vergleich der Befunde zeigte sich somit für beide Kniegelenke ein deutlich asymmetrisches Bild. Im rechten Knie bestand eine weitgehend isolierte Meniskuskomplexläsion, ohne relevante begleitende Verschleißerscheinung des Gelenkknorpels. Im linken Knie dominierte eine medial betonte Verschleißsituation, kombiniert mit einer Meniskusläsion. Schon im März 1998 lag eine innenseitige Arthrose vor. Für das linke Knie ergaben sich somit zu den Gelenkknorpelschäden vergleichsweise untergeordnete Meniskusschäden. Anders als im linken Knie ist im rechten ein belastungskonformes Schadensbild objektiviert worden.
48 
Prof. Dr. Sch. hat schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, dass diese Befundkonstellation mit der Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV nur zu vereinbaren ist, wenn eine asymmetrische, beruflich bedingte Belastung der beiden Kniegelenke vorlag. Davon ist der Senat trotz der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung beim SG in einem Vorverfahren im Februar 2012, wonach er zu 90 % seiner Tätigkeiten als Fliesenleger auf dem rechten Knie gearbeitet habe, nicht überzeugt. Weder nach dem SGG noch nach der ZPO gibt es zwar eine Beweisregel in dem Sinne, dass frühere Aussagen oder Angaben grundsätzlich einen höheren Beweiswert besitzen als spätere; im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 286 ZPO) sind vielmehr alle Aussagen, Angaben und sonstigen Einlassungen zu würdigen. Gleichwohl kann das Gericht im Rahmen der Gesamtwürdigung den zeitlich früheren Aussagen aufgrund der Gesichtspunkte, dass die Erinnerung hierbei noch frischer war und sie von irgendwelchen Überlegungen, die darauf abzielen, das Klagebegehren zu begünstigen, noch unbeeinflusst waren, einen höheren Beweiswert als den späteren zumessen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2003 - B 2 U 41/02 R -, SozR 4-2700 § 4 Nr. 1, Rz. 12; Urteile des Senats vom 12. August 2014 - L 6 VH 5821/10 ZVW - juris, Rz. 144 und vom 21. Mai 2015 - L 6 U 1053/15 -, juris, Rz. 34). Hiervon geht der Senat vorliegend aus. In einem dem Kläger von der Beklagten übersandten Fragebogen machte er im Juni 1998 verschiedene Angaben zu einem möglichen Meniskusschaden und im Rahmen der Arbeitsanamnese zu körperlichen Belastungen, denen er ausgesetzt war, ohne allerdings zu diesem frühen Zeitpunkt darauf hinzuweisen, dass er bei seinen Tätigkeiten als Fliesenleger ganz überwiegend auf dem rechten Knie gearbeitet haben will. Eine solche Information konnten die Dipl.-Ing. S. und F. in ihrer Stellungnahme von September 1998, für die sie die schriftlichen Angaben des Klägers auswerteten, daher nicht aufnehmen. Dass der Kläger durchaus imstande ist, differenzierte Angaben zu machen, zeigt sich demgegenüber anhand der Stellungnahme von Dr.-Ing. J., der auch ein Telefonat mit dem Kläger im August 1998 vorausging. Dabei teilte der Kläger zu seiner Beschäftigung bei der Fahrzeugbau R. mit, dass er zu 80 % in der Lackiervorbereitung tätig war, wobei sein linkes Knie hierbei nahezu nicht belastet wurde. Zudem spricht gegen eine überwiegend einseitige Belastung des rechten Knies, dass Prof. Dr. H. nach seinem im Wege des Urkundenbeweises verwerteten Gutachten (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 415 ff. ZPO) bei seiner Untersuchung im Februar 1999 in beiden Kniegelenken eine präpatellare Beschwielung feststellte. Prof. Dr. Sch. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme zu seinem Gutachten hierzu überzeugend ausgeführt, dass dieser Umstand einer vorwiegend einseitigen Kniebelastung widerspricht. Hinzu kommt, dass der Kläger selbst angegeben hat, während seiner Tätigkeiten als Fliesenleger beiderseits Knieschoner getragen zu haben, was bei einer einseitigen Kniebelastung nicht nachvollziehbar wäre. Dies verdeutlicht sich umso mehr, da er nach eigenen Angaben während seiner Tätigkeit bei der Fahrzeugbau R., bei der das linke Knie nahezu unbelastet war, nur einen Knieschoner trug.
49 
Eine Meniskopathie kann klinisch lange „stumm“ bleiben und erst nach Beendigung der belastenden Tätigkeit offenbar werden (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 639 f.). Hierauf weist auch Prof. Dr. Sch. hin, wonach neben der Dauer der belastenden Tätigkeit der zeitliche Umfang der besonderen Beanspruchung der Kniegelenke und das Lebensalter eine Rolle spielen, wofür es keine Grenzwerte gibt. Diese Aspekte sprechen zwar vorliegend nicht gegen einen Ursachenzusammenhang zwischen der beruflich bedingten Einwirkung auf die Knie des Klägers und der bei ihm vorhandenen Meniskusschäden. Sie geben allerdings auch keinen Hinweis darauf, dass ein solcher vorliegt, sie sind vielmehr indifferent. Der Kläger war bei seinen Tätigkeiten als Fliesenleger im Zeitraum von April 1965 bis Mitte April 1978, also dreizehn Jahre lang und damit mehrjährig (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 635 f.), einer Dauerzwangshaltung, insbesondere bei Belastungen durch Hocken oder Knien, bei gleichzeitiger Kraftaufwendung ausgesetzt. Dies entnimmt der Senat der Stellungnahme der Dipl.-Ing. S. und F., wonach er sämtliche in diesem Beruf anfallenden Arbeiten ausführte, welche üblicherweise in kniender oder hockender Haltung durchgeführt wurden. Hierzu zählten im Besonderen das Verlegen und Verfugen von Bodenfliesen sowie von Wandfliesen im Bereich zwischen Sockel und einer Höhe von etwa 75 cm. An Körperhaltungen wurden, bei gleichzeitiger Kraftaufwendung, der Fersensitz, die Kniehocke und die Hocke als solche eingenommen worden. Etwa 40 % der Gesamtarbeitszeit entfielen auf solche Arbeiten in kniender oder hockender Position. Hierdurch kam es zu einer überdurchschnittlichen Belastung der Kniegelenke (vgl. Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zur Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV, Bek. des BMA, BArbBl. 2/1990, S. 135). Demgegenüber war der Kläger einer solchen überdurchschnittlichen Belastung weder bei seiner zweimonatigen Tätigkeit als Staplerfahrer bei der IBM Deutschland GmbH noch während seiner Beschäftigung bei der Fahrzeugbau R. im Zeitraum von Mitte Juni 1978 bis zu dem auch im zweiten Knie festgestellten Meniskusschaden im März 1998 ausgesetzt. Die Stellungnahme von Dr.-Ing. J., die er nach Telefonaten mit dem damaligen Geschäftsinhaber der Fahrzeugbau R. und dem Kläger erstellte, belegt, dass Letzterer dort zu etwa 80 % in der Lackiervorbereitung tätig war. Die Arbeiten umfassten das Schleifen und Spachteln von Aufbauten für Lastkraftwagen. Bei Tätigkeiten in etwa 60 bis 70 cm Flurhöhe stützte sich der Kläger mit dem rechten Knie auf dem Boden ab. Hierbei trug er einen Knieschoner. Sein linkes Knie war dabei nahezu unbelastet. Die Arbeiten führte er an etwa vier Tagen in der Woche mit einer Dauer von etwa zwei Stunden je Schicht durch. Am fünften Wochenarbeitstag wurde keine kniebelastende Tätigkeit ausgeübt. Vorwiegend in den Monaten November und Dezember wurden nahezu täglich an sieben bis zwölf Last- oder Personenkraftwagen Reifen montiert. Für die Dauer der knienden Tätigkeit beim Wechseln der Räder legt der Senat die Zeit zugrunde, die Dr.-Ing. J. mit etwa eine Stunde je Tag schlüssig eingeschätzt hat. Ohnehin hatte der Kläger bei dem Gespräch angegeben, die gesundheitlichen Probleme im Bereich seiner Knie auf seine Tätigkeit als Fliesenleger zurückzuführen. Somit lagen zwischen der Beendigung der dreizehn Jahre andauernden, überdurchschnittlich kniebelastenden Tätigkeit Mitte April 1978 und dem nachgewiesenen Eintritt der Meniskusschädigung im rechten Kniegelenk im Juni 1997, als der Kläger 47 Jahre alt war, mehr als neunzehn Jahre. Diese Umstände vermögen die Möglichkeit eines Ursachenzusammenhanges nicht auszuschließen, ihretwegen spricht aber auch nicht mehr für einen solchen als dagegen.
50 
Mangels hinreichender Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhanges der beruflich bedingten Einwirkungen auf die Knie des Klägers und einem primären Meniskusschaden, kommt es von vornherein nicht darauf an, ob die beim Kläger anhand der von Priv.-Doz. Dr. G. erstellten Ganzbeinaufnahme von März 2007, welche Prof. Dr. K. bei Erstattung seines Gutachtens nicht vorlag, objektivierte und nicht versicherte Varusfehlstellung links ebenfalls ursächlich für einen Meniskusschaden des Klägers gewesen ist. Deren ursächliche Bedeutung ist wissenschaftlich nicht belegt, auch wenn eine mäßig ausgeprägte O-Beinstellung biomechanisch und anatomisch eine Schadensanlage darstellt, worauf Prof. Dr. Sch. nachvollziehbar hingewiesen hat (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 638).
51 
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
52 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
53 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.

(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. Februar 2012 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung einer Halswirbelsäulenerkrankung als Wie-Berufskrankheit (BK) streitig.

2

Die 1947 geborene Klägerin leidet an Bandscheibenvorfällen im Bereich der Halswirbelsäule. Sie war im Anschluss an ihr abgeschlossenes Musikstudium von August 1970 bis Juli 1972 als Geigenlehrerin sowie von August 1972 bis Juli 1992, von September 1992 bis Dezember 1993 und von Mai 1994 bis Mai 1998 im Beitrittsgebiet als Geigerin in verschiedenen Orchestern tätig.

3

Auf ärztliche Anzeige vom 23.3.2001 wegen des Verdachts einer BK holte die Beklagte ärztliche Gutachten ein. Dr. L., Leiter des Europäischen Instituts für Bewegungsphysiologie, M. , führte in seinem Gutachten vom 28.9.2002 aus, die Halswirbelsäulenerkrankung sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch das jahrelange Instrumentalspiel entstanden oder wesentlich mitverursacht worden. Prof. Dr. D., Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Johannes Gutenberg-Universität M., gelangte in seinem Gutachten vom 8.1.2003 zu dem Ergebnis, das Geigenspiel gehe zwar mit einer außergewöhnlichen Zwangshaltung in Form einer "Schulter-Kopf-Zwinge" einher. Allerdings könne die sog "Gruppentypik" anhand neuer statistisch gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht festgestellt werden.

4

Die Beklagte lehnte es ab, eine Wie-BK festzustellen (Bescheid vom 25.3.2003; Widerspruchsbescheid vom 30.11.2005). Hiergegen hat die Klägerin Klage zum SG Neuruppin erhoben, das weitere Begutachtungen veranlasst hat. Dr. B., Institut für sozialmedizinische Begutachtung GbR im Krankenhaus W., hat in seinem Gutachten vom 6.6.2007 dargelegt, die Wirbelsäulenbeschwerden seien nicht auf die berufliche Tätigkeit als Orchestermusikerin zurückzuführen. Prof. Dr. A., Institut für Musikphysiologie und Musiker-Medizin, H., hat in seinem Gutachten vom 3.5.2010 darauf hingewiesen, für eine berufsbedingte Wirbelsäulenerkrankung spreche die kumulative Lebensarbeitszeit an der Geige in Zwangshaltung aufgrund der "Schulter-Kinn-Zange" und die mit dem Schrifttum übereinstimmende Häufigkeit der Beschwerden bei Geigern. Dabei handele es sich um Plausibilitätsargumente, da bislang keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse existierten.

5

Das SG Neuruppin hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 23.9.2010). Das LSG Berlin-Brandenburg hat die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung seines Urteils vom 23.2.2012 hat es ausgeführt, auf das Recht der ehemaligen DDR komme es nicht an, weil die Erkrankung der Klägerin erst nach dem 31.12.1993 der Beklagten bekannt geworden sei. Die Voraussetzungen des § 551 Abs 2 RVO und des § 9 Abs 2 SGB VII für die Feststellung einer Wie-BK seien nicht erfüllt. Zwar seien Streicher wegen der nur in dieser Berufsgruppe auftretenden "Schulter-Kinn-Zange" besonderen Einwirkungen in höherem Maße als die übrige Bevölkerung ausgesetzt. Es fehle aber an der generellen Geeignetheit dieser Einwirkung für die Verursachung von Halswirbelsäulenbeschwerden. Die erforderliche sog "Gruppentypik" setze in der Regel anhand statistisch relevanter Zahlen den Nachweis einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und eine lange zeitliche Überwachung der Krankheitsbilder voraus, um mit Sicherheit eine andere Krankheitsursache ausschließen zu können. Entsprechende epidemiologische Erkenntnisse seien aufgrund der geringen Zahl der in der Bundesrepublik Deutschland tätigen Streicher aber nicht vorhanden. Auch sonstige, die generelle Geeignetheit belegende Erkenntnisse seien nicht ersichtlich. Die von Prof. Dr. A. hervorgehobene Plausibilität genüge ebenso wenig wie der von mit Musikererkrankungen vertrauten Ärzten publizierte Ursachenzusammenhang. Gerade vor dem Hintergrund, dass in der Bundesrepublik Deutschland nur etwa 4100 Streicher betroffen seien und es sich bei der Halswirbelsäulenerkrankung um eine sog Volkskrankheit handele, könne der Nachweis des gruppenspezifischen Risikos nicht schon mit der Einschätzung einzelner mit Musikererkrankungen befasster Fachärzte geführt werden. Die besonderen Beweisprobleme im Falle kleinerer Berufsgruppen seien der Entscheidung des Gesetzgebers für das verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Listensystem geschuldet. Dieser sei dem im Zusammenhang mit dem Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz (UVEG) unterbreiteten Vorschlag, die Feststellung einer Wie-BK unter erleichterten Voraussetzungen zu ermöglichen, gerade nicht gefolgt.

6

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 9 Abs 2 SGB VII sowie die Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht. Das Fehlen neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse stehe der Anerkennung der Wie-BK nicht entgegen, weil sich der Verordnungsgeber mit den besonderen Einwirkungen von hohen Streichern noch gar nicht befasst habe und eine Auseinandersetzung damit auch nicht geplant sei. Abgesehen davon könne nach der Rechtsprechung des BSG zur Vermeidung unbilliger Ergebnisse ausnahmsweise bei fehlender epidemiologischer Evidenz einerseits und gegebener biologischer Evidenz andererseits auf eine statistisch nachgewiesene Gruppentypik verzichtet werden. Das LSG habe zu hohe Anforderungen an die Beweisführung gestellt und zahlreiche, das Begehren stützende Umstände nicht berücksichtigt. Sowohl Prof. Dr. A. als auch Dr. L. gingen von einer berufsbedingten Erkrankung aus. Ein medizinischer Erfahrungssatz, dass eine durch das Violinspiel hervorgerufene Halswirbelsäulenerkrankung im Falle weiterer Verschleißerscheinungen der gesamten Wirbelsäule ausscheide, existiere nicht. Selbst der Bundesverband der Unfallkassen gehe bei Streichern in seiner Broschüre "Musikermedizin, Musikerarbeitsplätze" von berufsrelevanten Erkrankungen der Hals- und Brustwirbelsäule aus. Dass sich gleichwohl der Ärztliche Sachverständigenbeirat beim BMAS mit der streitgegenständlichen Thematik weder bislang beschäftigt habe noch in Zukunft auseinandersetzen werde, dürfe nicht zu Lasten der Streicher gehen. Ansonsten wäre ein bestimmter Berufsstand trotz besonderer Einwirkungen von der Anerkennung einer BK auf Dauer ausgeschlossen. Schließlich sei bei hohen Streichern in der ehemaligen DDR, in Frankreich und in Tschechien eine BK anerkannt worden.

7

Die Klägerin beantragt,

        

die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. Februar 2012 und des Sozialgerichts Neuruppin vom 23. September 2010 sowie die Ablehnung einer Wie-Berufskrankheit im Bescheid der Beklagten vom 25. März 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Erkrankung der Halswirbelsäule als Wie-Berufskrankheit anzuerkennen.

8

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

9

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend. Die Revision sei bereits unzulässig, da die Revisionsbegründung nicht den Anforderungen des § 164 Abs 2 SGG genüge. Inwieweit das LSG die Vorschrift des § 9 Abs 2 SGB VII fehlerhaft ausgelegt habe, sei nicht schlüssig dargetan. Soweit die Klägerin die Beweiswürdigung des LSG beanstande, sei eine Verfahrensrüge nicht erhoben worden. Die Revision sei aber auch unbegründet. Es fehle an epidemiologischen Erkenntnissen, dass die "Schulter-Kinn-Zange" generell geeignet wäre, eine Halswirbelsäulenerkrankung hervorzurufen. Die von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Unterlagen spiegelten nicht den aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand, sondern nur Einzelmeinungen wider.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision ist nicht begründet.

11

Die Klägerin hat in zulässiger Weise Revision eingelegt. Bei ihrem Prozessbevollmächtigten handelt es sich um eine selbständige Vereinigung von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung für ihre Mitglieder, die nach § 73 Abs 4 Satz 2 iVm Abs 2 Satz 2 Nr 5 SGG zur Vertretung vor dem BSG zugelassen ist.

12

Die Revision genügt entgegen der Ansicht der Beklagten den Begründungsanforderungen des § 164 Abs 2 Satz 1 und 3 SGG. Danach muss die Begründung einen bestimmten Antrag enthalten und die verletzte Rechtsnorm bezeichnen. Insoweit ist mit rechtlichen Erwägungen aufzuzeigen, dass und weshalb die Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht geteilt wird. Es bedarf einer Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils und der Darlegung, inwieweit die als verletzt gerügte Vorschrift des materiellen Bundesrechts nicht oder nicht richtig angewandt worden ist (zuletzt BSG vom 11.4.2013 - B 2 U 21/11 R - NZS 2013, 639 sowie BSG vom 2.12.2008 - B 2 U 26/06 R - BSGE 102, 111 = SozR 4-2700 § 8 Nr 29, RdNr 10 mwN). Dem trägt die Revisionsbegründung Rechnung. Aus ihr geht hervor, weshalb die Klägerin die angefochtene Entscheidung für unzutreffend hält. Sie hat eine Verletzung des § 9 Abs 2 SGB VII gerügt und ua ausgeführt, das LSG sei zu Unrecht davon ausgegangen, die Feststellung einer Wie-BK scheitere am Fehlen epidemiologischer Studien.

13

Die Revision der Klägerin ist allerdings unbegründet. Das LSG hat ihre Berufung gegen das die zulässig kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG; zur Klageart vgl BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4 BKV, RdNr 11 mwN; BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1, RdNr 12 mwN) abweisende Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen. Die Ablehnung der Anerkennung einer Wie-BK im Bescheid der Beklagten vom 25.3.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2005 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

14

Es kann offenbleiben, seit wann die Halswirbelsäulenerkrankung der Klägerin besteht und ob sich der geltend gemachte Anspruch noch nach den Vorschriften der RVO oder den am 1.1.1997 in Kraft getretenen Bestimmungen des SGB VII richtet (Art 36 UVEG, § 212 SGB VII). Denn die Regelungen über die Anerkennung einer Wie-BK sind im SGB VII gegenüber der RVO im Wesentlichen inhaltlich unverändert geblieben.

15

Nach § 9 Abs 2 SGB VII(§ 551 Abs 2 RVO) haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der BKV bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII(§ 551 Abs 1 Satz 2 RVO) erfüllt sind (sog Öffnungsklausel für Wie-BKen). Die Feststellung einer Wie-BK nach dieser Vorschrift ist ua vom Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen für die Bezeichnung der geltend gemachten Krankheit als BK nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen abhängig (zuletzt BSG vom 13.2.2013 - B 2 U 33/11 R - mwN, auch zu den weiteren Voraussetzungen einer Wie-BK - SozR 4-2700 § 9 Nr 21 RdNr 17). Diese allgemeinen Voraussetzungen sind erfüllt, wenn bestimmte Personengruppen infolge einer versicherten Tätigkeit nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII(§§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO) in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt sind, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft eine Krankheit hervorrufen. Die insoweit in früheren Entscheidungen des Senats verwendeten Begriffe der Gruppentypik, generellen Geeignetheit und gruppentypischen oder -spezifischen Risikoerhöhung dienten allein der Erläuterung oder Umschreibung der aufgezeigten Voraussetzungen, ohne dass damit andere Anforderungen an die Anerkennung einer Wie-BK gestellt werden sollten (BSG vom 27.4.2010 - B 2 U 13/09 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 18 RdNr 15 mwN).

16

Die Klägerin war aufgrund ihrer versicherten Tätigkeit als Beschäftigte nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII(§ 539 Abs 1 Nr 1 RVO) und ihrer Zugehörigkeit zur Berufsgruppe der Streicher besonderen Einwirkungen durch die "Schulter-Kinn-Zange" in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt. Als Einwirkung kommt jedes auf den Menschen einwirkende Geschehen in Betracht (BSG aaO RdNr 19). Die Klägerin leidet auch an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Halswirbelsäule, die als BK iS des § 9 Abs 1 SGB VII(§ 551 Abs 1 RVO) zugrunde gelegt werden könnte. Allerdings fehlt es am generellen Ursachenzusammenhang zwischen dieser Erkrankung und der besonderen Einwirkung.

17

Ob eine Krankheit innerhalb einer bestimmten Personengruppe im Rahmen der versicherten Tätigkeit häufiger auftritt als bei der übrigen Bevölkerung, erfordert in der Regel den Nachweis einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und eine langfristige zeitliche Überwachung der Krankheitsbilder. Mit wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen muss zu begründen sein, dass bestimmte Einwirkungen die generelle Eignung besitzen, eine bestimmte Krankheit zu verursachen. Erst dann lässt sich anhand von gesicherten "Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft" iS des § 9 Abs 2 SGB VII(§ 551 Abs 2 iVm § 551 Abs 1 Satz 2 RVO) nachvollziehen, dass die Ursache für die Krankheit in einem schädigenden Arbeitsleben liegt. Solche Erkenntnisse setzen regelmäßig voraus, dass die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf dem jeweils in Betracht kommenden Fachgebiet über besondere Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt ist. Es ist nicht erforderlich, dass diese Erkenntnisse die einhellige Meinung aller Mediziner widerspiegeln. Andererseits reichen vereinzelte Meinungen einiger Sachverständiger grundsätzlich nicht aus (BSG vom 4.6.2002 - B 2 U 20/01 R - Juris RdNr 22; bereits BSG vom 23.3.1999 - B 2 U 12/98 R - BSGE 84, 30, 35 mwN = SozR 3-2200 § 551 Nr 12).

18

Nach § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII(§ 551 Abs 1 Satz 2 RVO) sind BKen grundsätzlich nur solche Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII(§§ 539, 540, 543 bis 545 RVO)begründenden Tätigkeit erleiden. Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber das "Listensystem" als Grundprinzip des Berufskrankheitenrechts der gesetzlichen Unfallversicherung festgelegt. Mit der Einführung der Wie-BK in § 551 Abs 2 RVO durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 30.4.1963 (BGBl I 241) wurde eine Ausnahme vom Listenprinzip nur für den Fall zugelassen, dass der Verordnungsgeber wegen der regelmäßig notwendigen mehrjährigen Intervalle zwischen den Anpassungen der BKV an die neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht rechtzeitig tätig wird (BSG vom 25.8.1994 - 2 RU 42/93 - BSGE 75, 51, 54 = SozR 3-2200 § 551 Nr 6 S 14). Sinn des § 9 Abs 2 SGB VII(§ 551 Abs 2 RVO) ist es, ausnahmsweise vom Listensystem abweichen zu können, um solche durch die Arbeit verursachten Krankheiten wie eine BK zu entschädigen, die nur deshalb nicht in die Liste der BKen aufgenommen worden sind, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen in ihrer Arbeit bei der letzten Fassung der Liste noch nicht vorhanden waren oder vom Verordnungsgeber nicht hinreichend berücksichtigt wurden (vgl BSG vom 4.8.1981 - 5a/5 RKnU 1/80 - SozR 2200 § 551 Nr 18 S 27). Die Anerkennung einer Wie-BK knüpft damit an dieselben materiellen Voraussetzungen an, die der Verordnungsgeber auch nach § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII(§ 551 Abs 1 Satz 3 RVO) für die Aufnahme einer Erkrankung in die Liste zu beachten hat.

19

Die damit zur Anerkennung einer Wie-BK notwendigen gesicherten Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft liegen nach den dem Senat vorliegenden Unterlagen, die er zur Klärung der generellen Tatsache (vgl hierzu BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 9/08 R - BSGE 103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr 14, RdNr 15)des Zusammenhangs zwischen "Schulter-Kinn-Zange" und bandscheibenbedingter Halswirbelsäulenerkrankung heranziehen und auswerten durfte, nicht vor. Hinsichtlich eines solchen Zusammenhangs fehlt es an epidemiologischen Studien und statistisch relevanten Zahlen, die wegen der geringen Anzahl von Berufsgeigern auch nicht zu erwarten sind. Auch wenn eine besondere Gefährdung der Streicher durch die mit der "Schulter-Kinn-Zange" einhergehende Fehlhaltung zu beobachten ist, lässt sich ein Zusammenhang zwischen beruflicher Belastung und morphologischer Veränderung der Wirbelsäule mangels statistisch gesicherter Erkenntnisse nicht herstellen. Zwar führt Dr. L. in seinem Gutachten vom 28.9.2002 die Halswirbelsäulenerkrankung der Klägerin mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf das jahrelange Instrumentalspiel zurück. Zudem bestätigt Prof. Dr. D. in seinem Gutachten vom 8.1.2003 eine durch das Geigenspiel bedingte außergewöhnliche Zwangshaltung. Er führt aber ferner aus, dass die sog Gruppentypik anhand neuer gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht festgestellt werden könne. Auch Prof. Dr. A. hält in seinem Gutachten vom 3.5.2010 zwar eine berufsbedingte Wirbelsäulenerkrankung für gegeben, weist aber ebenfalls darauf hin, dass die hierfür sprechende Lebensarbeitszeit an der Geige einerseits sowie die Häufigkeit des Auftretens der Wirbelsäulenbeschwerden bei Geigern andererseits den generellen Ursachenzusammenhang lediglich plausibel erscheinen ließen und es an die Kausalität belegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen fehle. Schließlich ist das im Jahr 2001 durchgeführte 3. Symposium der Deutschen Gesellschaft für Musikphysiologie und Musikermedizin zu dem Ergebnis gelangt, dass die publizierten Daten zur Epidemiologie funktioneller und struktureller Erkrankungen der Wirbelsäule bei Musikern in sowohl quantitativer als auch qualitativer Hinsicht sehr dürftig seien (Seidel/Lange, Institut für Musikpädagogik und Musiktheorie, Die Wirbelsäule des Musikers, 2001). Eine Vielzahl fachkundiger Mediziner, die eine Verursachung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der Halswirbelsäulen durch die "Schulter-Kinn-Zange" für hinreichend wahrscheinlich halten, existiert damit nicht. Für die Annahme gesicherter Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft iS des § 9 Abs 2 SGB VII(§ 551 Abs 2 iVm § 551 Abs 1 Satz 2 RVO) genügt es nicht, dass einzelne Mediziner die Verursachung von Halswirbelsäulenbeschwerden durch eine Fehlbelastung infolge der "Schulter-Kinn-Zange" für plausibel oder wahrscheinlich halten. Es reicht nicht aus, dass überhaupt medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse zu dem jeweils relevanten Problemfeld existieren, vielmehr muss sich eine sog herrschende Meinung im einschlägigen medizinischen Fachgebiet gebildet haben (BSG vom 4.6.2002 - B 2 U 16/01 R - Juris RdNr 19).

20

Allerdings hat der Senat zu sog Seltenheitsfällen entschieden, dass die den generellen Ursachenzusammenhang zwischen besonderer Einwirkung und Erkrankung belegenden medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht ausschließlich anhand von Methoden der Epidemiologie und statistischer Belege nachgewiesen werden müssen. Fehlt es an einer im Allgemeinen notwendigen langfristigen zeitlichen Überwachung von Krankheitsbildern, da aufgrund der Seltenheit einer Erkrankung medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse durch statistisch abgesicherte Zahlen nicht erbracht werden können, kommt nach dieser Rechtsprechung ausnahmsweise auch ein Rückgriff auf Einzelfallstudien, auf Erkenntnisse aus anderen Staaten und auf frühere Anerkennungen entsprechender Erkrankungen, auch in der ehemaligen DDR, in Betracht (BSG vom 4.6.2002 - B 2 U 20/01 R - Juris RdNr 22 mwN; BSG vom 14.11.1996 - 2 RU 9/96 - BSGE 79, 250, 252 = SozR 3-2200 § 551 Nr 9 S 21). Es kann offenbleiben, ob eine solche Vorgehensweise unter Zugrundelegung eines geringeren wissenschaftlichen Standards überhaupt mit den gesetzlichen Voraussetzungen des § 9 Abs 2 SGB VII(iVm § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII) für die Anerkennung einer Wie-BK vereinbar ist. Ihre Zulässigkeit unterstellt, kann ferner dahingestellt bleiben, ob sie auch dann in Betracht kommt, wenn - wie hier - gar kein Seltenheitsfall gegeben, sondern stattdessen eine Berufsgruppe betroffen ist, bei der wegen ihrer geringen Größe epidemiologische Studien nicht zu erwarten bzw unmöglich sind. Denn selbst bei Zugrundlegung eines geringeren wissenschaftlichen Standards reichen die über die bereits beschriebenen Unterlagen hinausgehenden aktenkundigen Erkenntnisse nicht aus, einen Zusammenhang zwischen der "Schulter-Kinn-Zange" von Berufsgeigern und bandscheibenbedingten Halswirbelsäulenerkrankungen als hinreichend wissenschaftlich belegt zu betrachten.

21

Dr. D. nimmt in seinem Aufsatz "Abnutzungsschäden durch Geigen- und Bratschenspiel" (Das Orchester 6/96, 13) auf eine eigene Studie über 17 professionelle Streicher Bezug und weist darauf hin, dass zur Klärung der Frage der Anerkennung von Wirbelsäulenschäden als BK noch weitere wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt werden sollten. Die sog Weimarer Studie zu klinisch relevanten Belastungsfaktoren und Belastungskomplexen bei Musikstudenten und Berufsmusikern (Seidel/Höpfner/Lange, Musikphysiologie und Musikermedizin 1999, 6. Jg, Nr 4, 115) beruht lediglich auf der Auswertung eines von 100 Musikstudenten und 88 Orchestermusikern jeweils ausgefüllten standardisierten und validierten Fragebogens. Im Forschungsantrag "CMD/CCD bei Streichern" der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Musikermedizin des Klinikums der Friedrich-Schiller-Universität Jena, des Klinikums Weimar und der Hochschule für Musik Weimar vom 20.5.2001 wird ausgeführt, dass es an Datenmaterial zur Bewertung funktioneller Störungen des Bewegungssystems bei Streichern als BK fehle. Aus diesen Publikationen lässt sich folglich auch ein ggf geringeren Anforderungen an wissenschaftliche Erkenntnisse genügender genereller Zusammenhang zwischen der "Schulter-Kinn-Zange" und einer bandscheibenbedingten Halswirbelsäulenerkrankung nicht ableiten. Soweit die Revision zudem auf Anerkennungen einer BK in Frankreich, Tschechien und der ehemaligen DDR hinweist, ist nicht ersichtlich, dass diese auf hinreichenden medizinischen Erkenntnissen beruhten und nicht nur das Ergebnis von Einzelfallprüfungen sind, ohne wissenschaftlich fundierte Aussagen über die generelle Geeignetheit der hier zu beurteilenden Einwirkung zu berücksichtigen. Zudem existiert in Frankreich entgegen der Revision keine spezifisch auf Musiker, sondern eine generell auf Zwangshaltungen bezogene BK. Ob weiterhin auch die jeweilige Ausgestaltung des Berufskrankheitenrechts in Frankreich, Tschechien und der ehemaligen DDR einer Berücksichtigung der behaupteten Anerkennungen entgegensteht, kann daher offenbleiben (vgl zur Ausgestaltung des BK-Rechts in anderen Ländern Kranig, DGUV-Forum 2012, 30; ders, Berufskrankheiten im internationalen Vergleich, 2002, 337).

22

Auch Billigkeitserwägungen führen zu keinem anderen Ergebnis. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats enthält § 9 Abs 2 SGB VII(§ 551 Abs 2 RVO) keine allgemeine "Härteklausel", nach der jede durch eine versicherte Tätigkeit verursachte Krankheit als Wie-BK anzuerkennen wäre (vgl zuletzt BSG vom 13.2.2013 - B 2 U 33/11 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 21 RdNr 17).

23

Dass die Anerkennung einer Wie-BK an das Vorliegen wissenschaftlich gesicherter Kausalbeziehungen anknüpft, ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

24

Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG liegt nicht vor. Danach sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Dieses Grundrecht ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen (stRspr; vgl BVerfG vom 28.4.1999 - 1 BvR 1926/96, 1 BvR 485/97 - BVerfGE 100, 104 = SozR 3-2600 § 307b Nr 6). § 9 Abs 2 SGB VII(§ 551 Abs 2 RVO) ist zwar dann mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht mehr vereinbar, wenn einer Personengruppe der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung allein deshalb versagt wird, weil der Verordnungsgeber vorliegende wissenschaftliche Erkenntnisse noch nicht geprüft und gewürdigt hat (BVerfG vom 22.10.1981 - 1 BvR 1369/79 - BVerfGE 58, 369, 375 f = SozR 2200 § 551 Nr 19 S 32 f). Denn die Vorschrift schließt solche Lücken, die sich daraus ergeben, dass neue Erkenntnisse über den Zusammenhang von beruflicher Exposition und Erkrankung vorliegen, bevor die BKV eine entsprechende Anpassung erfährt (BVerfG vom 9.10.2000 - 1 BvR 791/95 - SozR 3-2200 § 551 Nr 15 S 76). An medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen zu evtl gesundheitsschädigenden Folgen einer "Schulter-Kinn-Zange" fehlt es vorliegend aber gerade. Dass sich der Verordnungsgeber mit den besonderen Einwirkungen von hohen Streichern noch gar nicht befasst hat und eine Auseinandersetzung damit ggf auch nicht geplant ist, befreit daher aus Gründen der Gleichbehandlung nicht vom Erfordernis der die generelle Geeignetheit einer besonderen Einwirkung für die Verursachung einer bestimmten Erkrankung belegenden medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse.

25

Eine verfassungswidrige Benachteiligung ergibt sich auch nicht daraus, dass die Berufsgruppe der Streicher sehr klein ist und sich möglicherweise eine wissenschaftlich gesicherte Kausalbeziehung zwischen beruflicher Einwirkung und Erkrankung anhand epidemiologischer Studien schon rein tatsächlich nicht feststellen lässt, weil die für epidemiologische Studien erforderlichen Fallzahlen nicht erreicht werden können. § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII(§ 551 Abs 1 Satz 2 RVO) beschränkt BKen begrifflich auf Krankheiten, die in der Berufskrankheitenliste als Anlage zur BKV aufgeführt sind. Die Ermächtigung der Bundesregierung zur Aufnahme von BKen in diese Anlage macht § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII(§ 551 Abs 1 Satz 3 RVO) davon abhängig, dass die Krankheiten nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit ausgesetzt sind. In diesen Regelungen kommt das die gesetzliche Unfallversicherung prägende Listenprinzip zum Ausdruck, das nach § 9 Abs 2 SGB VII nur unter der Voraussetzung durchbrochen wird, dass neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorliegen. Diese vom Gesetzgeber gewollte Systementscheidung begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (BVerfG vom 8.6.2012 - 1 BvR 2853/10 - NZS 2012, 901; BVerfG vom 14.7.1993 - 1 BvR 1127/90 - SozR 3-2200 § 551 Nr 5 S 10). Mit ihr im Einzelfall verbundene Härten sind hinzunehmen. Sie halten sich im Rahmen einer zulässigen Typisierung, weil nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betroffen ist und dadurch bedingte Ungerechtigkeiten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären (vgl BVerfG vom 28.4.1999 - 1 BvL 22/95, 1 BvL 34/95 - BVerfGE 100, 59, 90 = SozR 3-8570 § 6 Nr 3 S 28 mwN).

26

In seiner Stellungnahme zum Entwurf des UVEG hat der Bundesrat 1995 zwar vorgeschlagen, eine neue Regelung in § 9 Abs 2a SGB VII einzufügen, die die Anerkennung einer Wie-BK zur Vermeidung von Härtefällen auch für den Fall vorsah, dass 1. vergleichbare Arbeitsplätze mit entsprechenden Arbeitsbedingungen nicht oder nur in einer geringen Zahl vorhanden sind und deshalb Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft darüber nicht vorliegen können, dass bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt sind und 2. nach medizinischen Erkenntnissen mit hinreichender Sicherheit feststeht, dass die Krankheit durch die besonderen Bedingungen des Arbeitsplatzes verursacht ist (BT-Drucks 13/2333 S 5 zu Nr 9). Dem ist der Gesetzgeber des UVEG aber mit der Begründung nicht gefolgt, bei einer solchen Regelung bestehe ua die Gefahr, dass die vorgeschlagene Bestimmung, bei der epidemiologische Erkenntnisse wegen der Singularität der Arbeitsbedingungen nicht gewonnen werden könnten, eine Antragsflut auslöse, die von den Unfallversicherungsträgern nicht bewältigt werden könnte (BT-Drucks 13/2333 S 19 zu Nr 9). Diese Erwägungen des Gesetzgebers sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, weil sie sich im Rahmen seines legislatorischen Gestaltungsspielraums bewegen. Der Gesetzgeber darf sich bei der Einführung typisierender Regelungen an den ansonsten mit Einzelfallregelungen verbundenen Erfordernissen der Verwaltung orientieren. Die Entlastung der Unfallversicherungsträger und folglich auch der Sozialgerichtsbarkeit von umfangreichen und zeitaufwendigen Einzelfallprüfungen ist ein sachlicher, zur Typisierung berechtigender Grund (vgl BVerfG vom 8.2.1983 - 1 BvL 28/79 - BVerfGE 63, 119, 128 = SozR 2200 § 1255 Nr 17 S 37 und vom 16.12.1958 - 1 BvL 3/57, 1 BvL 4/57 und 1 BvL 8/58 - BVerfGE 9, 20, 31 ff = SozR Nr 42 zu Art 3 GG). Damit sind zugleich einer richterlichen Rechtsfortbildung verfassungsrechtliche Grenzen aufgezeigt, weil diese bewusste Entscheidung des Gesetzgebers nicht durch richterliche Wertungen ersetzt werden darf.

27

Die das hier gefundene Ergebnis tragenden und den Senat bindenden Tatsachenfeststellungen (§ 163 SGG) sind nicht mit zulässig erhobenen Verfahrensrügen angegriffen worden.

28

Eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge setzt die Bezeichnung der Tatsachen voraus, die den behaupteten Mangel ergeben (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG) und aus denen die Möglichkeit folgt, dass das Gericht ohne die geltend gemachte Verfahrensverletzung anders entschieden hätte. Das Revisionsgericht muss in die Lage versetzt werden, sich allein anhand der Revisionsbegründung ein Urteil darüber zu bilden, ob die angegriffene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann (BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 42 RdNr 19 mwN). Daran fehlt es hier.

29

Die Rüge der Klägerin, die Entscheidung des LSG beruhe auf einer fehlerhaften Beweiswürdigung, ist nicht ordnungsgemäß erhoben. Sie hätte darlegen müssen, dass das Berufungsgericht die Grenzen seiner ihm durch § 128 Abs 1 Satz 1 SGG eingeräumten Befugnis verletzt hat, nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden. Es hätte insoweit aufgezeigt werden müssen, dass es gegen allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstoßen oder das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht ausreichend berücksichtigt hat (BSG vom 31.5.2005 - B 2 U 12/04 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 2 RdNr 9). Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung nicht gerecht.

30

Mit dem Vorbringen, ein medizinischer Erfahrungssatz, dass die durch ein Violinspiel hervorgerufene Halswirbelsäulenerkrankung im Falle weiterer Verschleißerscheinungen der gesamten Wirbelsäule ausscheide, existiere nicht, ist nicht deutlich geworden, dass das LSG einen Erfahrungssatz fehlerhaft angewandt hat (vgl hierzu BSG vom 2.5.2001 - B 2 U 24/00 R - SozR 3-2200 § 581 Nr 8 S 37 mwN). Die Revision zeigt nicht auf, an welcher Stelle seines Urteils sich das LSG tragend auf einen solchen Erfahrungssatz gestützt hätte. Auf Seite 13 der angegriffenen Entscheidung wird vielmehr lediglich ausgeführt, dass es sich bei dem Halswirbelsäulenleiden um eine "Volkskrankheit" handele, die eine Beweiserleichterung bei der Feststellung der generellen Geeignetheit verbiete.

31

Auch ein sog Denkgesetz, gegen das das LSG verstoßen haben könnte, hat die Klägerin nicht dargetan. Dass es zu einer bestimmten, aus seiner Sicht erheblichen Frage aus den gesamten rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten nur eine Folgerung hätte ziehen können, jede andere nicht folgerichtig "denkbar" ist und das Gericht die allein in Betracht kommende nicht gesehen hat (vgl BSG vom 11.6.2003 - B 5 RJ 52/02 R - Juris RdNr 13 mwN), legt die Revision nicht dar.

32

Aus dem Vortrag der Klägerin geht auch nicht hervor, dass das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht hinreichend berücksichtigt worden wäre. Soweit sie geltend macht, in der ehemaligen DDR, in Frankreich sowie in Tschechien ausgesprochene Anerkennungen von BKen seien bei der Beweiswürdigung nicht berücksichtigt worden, wird übersehen, dass sich das LSG auf Seite 15 seiner Entscheidung damit auseinandergesetzt hat, dass die Problematik der Geiger in der ehemaligen DDR "einer anderen Lösung zugeführt worden sei". Im Übrigen hat die Revision nicht aufgezeigt, ob und wenn ja inwieweit den behaupteten Anerkennungen generelle medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse zugrunde liegen. Die Klägerin setzt im Kern nur ihre Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des LSG. Allein damit ist aber eine Verletzung der Grenzen des Rechts auf freie Beweiswürdigung nicht formgerecht gerügt (BSG vom 23.8.2007 - B 4 RS 3/06 R - SozR 4-8570 § 1 Nr 16 RdNr 31).

33

Schließlich scheidet ein Anspruch auf Anerkennung der geltend gemachten Wie-BK nach übergangsrechtlichen Regelungen aus. Für die Übernahme einer vor dem 1.1.1992 im Beitrittsgebiet eingetretenen Erkrankung als BK nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung ist nach §§ 212 und 215 Abs 1 Satz 1 SGB VII die Vorschrift des § 1150 Abs 2 RVO in der am 31.12.1996 geltenden Fassung des Renten-Überleitungsgesetzes vom 25.7.1991 (BGBl I 1606, 1688) weiter anzuwenden. Gemäß § 1150 Abs 2 Satz 1 RVO gelten solche Krankheiten, die nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht BKen der Sozialversicherung waren, als BKen iS des Dritten Buches der RVO. Das gilt nach § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO allerdings nicht für Krankheiten, die einem ab 1.1.1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung - wie hier - erst nach dem 31.12.1993 bekannt werden und die nach dem Dritten Buch der RVO nicht zu entschädigen wären. Dies bedeutet, dass Krankheiten, von denen ein ab 1.1.1991 für das Beitrittsgebiet zuständiger Träger der Unfallversicherung erst nach dem 31.12.1993 Kenntnis erlangt, nur dann BKen darstellen, wenn die Voraussetzungen nach den §§ 548 ff RVO erfüllt sind(BSG vom 2.12.2008 - B 2 U 26/06 R - BSGE 102, 111 = SozR 4-2700 § 8 Nr 29, RdNr 16). Das ist aus den dargelegten Gründen nicht der Fall.

34

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von der beklagten Berufsgenossenschaft die Zahlung von Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

2

Sie ist die Witwe des am 8.8.2000 an einem Bronchialkarzinom des rechten Lungenlappens verstorbenen Versicherten. Dieser war von August 1958 bis 31.12.1994 als Schweißer bei einem Werftunternehmer, der Mitglied der Beklagten ist, in Hamburg beschäftigt. Zur Arbeitsausrüstung gehörte ein Kniekissen, in das Asbesttuch eingenäht war. Er schweißte mit hochlegiertem Chrom-/Nickel-Stahl, unlegiertem Stahl und Aluminium. Als Schweißverfahren kamen mit jeweils zu einem Drittel das Wolfram-Inert-Gas-Schweißen, das Lichtbogenhandschweißen mittels Stabelektrode und das Metall-Aktiv-Gas-Schweißen mit Fülldraht-Elektrode zur Anwendung, eingesetzt wurden thoriumhaltige Zündelektroden und "Thermanit-X-Elektroden".

3

Der Versicherte teilte der Beklagten unter dem 23.12.1999 mit, bei ihm sei im Oktober 1999 ein Lungentumor festgestellt worden. Er habe zeitlebens nicht geraucht und bringe die Erkrankung mit seiner Arbeit als Schweißer in Verbindung. Die Beklagte forderte noch im Juli 2000 von dem behandelnden Hausarzt des Versicherten Dr. K. eine Benachrichtigung für den Fall der Verschlechterung des Gesundheitszustands des Versicherten an. Am 8.8.2000 ist der Versicherte an dem Lungentumor verstorben. Am 31.8.2000 erhielt die Beklagte die Nachricht, der Versicherte sei ohne vorherige Sektion eingeäschert worden. Die Beklagte lehnte die "Gewährung von Witwenrente" im Hinblick auf die Berufskrankheiten (BKen) 1103, 4104 und 4109 an die Klägerin ab (Bescheid vom 23.1.2001, Widerspruchsbescheid vom 1.6.2001).

4

Die Klägerin hat bei dem Sozialgericht (SG) Itzehoe Klage erhoben (S 1 U 71/01). Während des Verfahrens hat die Beklagte die Feststellung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenrente auch im Blick auf eine inzwischen geprüfte BK 2402 abgelehnt (Bescheid vom 7.12.2001, Widerspruchsbescheid vom 15.3.2002). Die auch hiergegen erhobene Klage (S 1 U 32/02) hat das SG mit dem schon anhängigen Klageverfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und die Klagen abgewiesen (Urteil vom 24.2.2003).

5

Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG sowie die angefochtenen Ablehnungsentscheidungen aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin unter Anerkennung der Lungenkrebserkrankung des Versicherten als BK 1103, BK 4109 und BK 2402 ab 8.8.2000 Hinterbliebenenrente zu zahlen. Hingegen hat es die Berufung zurückgewiesen, soweit die Verurteilung zur Zahlung von Hinterbliebenenrente aufgrund einer BK 4104 begehrt wurde (Urteil vom 13.9.2007). Die Klägerin habe Anspruch auf Hinterbliebenenrente, da der Tod infolge eines Versicherungsfalls eingetreten sei. Zwar liege keine der genannten Listen-BKen monokausal vor, es sei aber anzunehmen, dass die Einwirkungen von Chromat, Nickeloxid, ionisierender Strahlung und Asbest im Sinne einer Synkanzerogenese mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das Bronchialkarzinom beim Versicherten verursacht hätten und er infolge der anerkannten BKen verstorben sei.

6

Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung von § 9 Abs 1 und 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Die schädigenden Einwirkungen durch Chromat, Nickeloxid, ionisierende Strahlen sowie Asbest stellten keine BK dar. Lediglich für das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) sei eine Dosis-Wirkungs-Beziehung festgelegt. Zwar gebe es Hinweise in der medizinischen Wissenschaft, dass auch das Zusammenwirken anderer Stoffe karzinogene Wirkung habe. Welche Stoffe im Einzelnen mit welcher Dosis eingewirkt haben müssten, damit sie im Zusammenwirken einen Lungenkrebs hervorrufen könnten, sei wissenschaftlich aber noch nicht geklärt. Auch wenn das Bundessozialgericht (BSG) im Urteil vom 27.6.2006 (B 2 U 9/05 R) die Einwirkungen der BKen 2108 und 2110 zusammengefasst habe, könne dies nicht auf den Fall des Zusammenwirkens von vier Arbeitsstoffen übertragen werden. Im Übrigen habe das LSG die Berufung hinsichtlich der BK 4104 zurückgewiesen, aber die Einwirkungen durch Asbest in die Berechnung des Risikos des Versicherten einbezogen.

7

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 13. September 2007 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 24. Februar 2003 zurückzuweisen.

8

Die Klägerin beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung der Entscheidung des LSG und Zurückverweisung an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz).

10

Das Urteil des LSG verletzt Bundesrecht, soweit es das Urteil des SG und die ablehnenden Entscheidungen in den Bescheiden der Beklagten vom 23.1.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.6.2001 sowie vom 7.12.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.3.2002 aufgehoben und die Beklagte verurteilt hat, der Klägerin ab 8.8.2000 Hinterbliebenenrente aufgrund einer Gesamtbetrachtung der BKen 1103, 4109 und 2402 zu zahlen. Ob die Klägerin aufgrund einer der BKen 1103, 4109 oder 2402 oder mehrerer von diesen einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente hat, kann der Senat nicht abschließend entscheiden, da das LSG hierzu die erforderlichen Feststellungen nicht getroffen hat.

11

1. Nach § 63 Abs 1 SGB VII haben Hinterbliebene ua Anspruch auf Hinterbliebenenrente, wenn der Tod infolge eines Versicherungsfalls eingetreten ist. Nach § 7 Abs 1 SGB VII sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und BKen. Beim Versicherten konnten als Versicherungsfall nur BKen vorgelegen haben.

12

Bei BKen ist nach § 9 SGB VII zwischen "Listen-BKen" und "Wie-BKen" zu unterscheiden. Eine Listen-BK nach § 9 Abs 1 SGB VII setzt voraus, dass die Krankheit als BK in einem Tatbestand der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) erfasst ist und diesen erfüllt. Hingegen ist eine Wie-BK nach § 9 Abs 2 SGB VII als Versicherungsfall anzuerkennen, wenn die Krankheit nicht in der BKV bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht erfüllt, aber nach neuen Erkenntnissen der Wissenschaft die Voraussetzungen für ihre Bezeichnung als BK in der Anlage zur BKV durch den Verordnungsgeber gemäß § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII vorliegen. Das Gesetz definiert für die BK also zwei Arten von Versicherungsfällen (BSG vom 25.7.2001 - B 8 KN 1/00 U R - BSGE 88, 226 = SozR 3-2700 § 63 Nr 1 - juris RdNr 15; BSG vom 2.12.2008 - B 2 KN 2/07 U R - juris RdNr 15) . Jeder dieser Versicherungsfälle kann iS des § 63 Abs 1 Satz 2 SGB VII zum Tod des Versicherten führen und Leistungen an Hinterbliebene auslösen.

13

2. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente wegen eines Todes des Versicherten infolge des Versicherungsfalls einer BK 4104, weil dieser nicht vorgelegen hat (a). Es hat auch nicht der Versicherungsfall einer Art "Gesamt-BK" aufgrund einer Gesamtbetrachtung oder Kombination von mehreren Listen-BKen (b) oder der Versicherungsfall einer Wie-BK vorgelegen (c). Ob der Versicherte an den Folgen des Versicherungsfalls einer Listen-BK 1103 oder 4109 oder 2402 (§ 9 Abs 1 SGB VII iVm der Anlage 1 zur BKV) verstorben ist (d), kann der Senat nicht abschließend entscheiden, weshalb das angegriffene Urteil aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen ist.

14

a) Aus § 9 Abs 1 SGB VII lassen sich für eine Listen-BK im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oä auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität; vgl BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 9/08 R - BSGE 103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr 14) .

15

Von den in der Anlage zur BKV bezeichneten Listen-BKen kommt im Falle des Versicherten, der als Schweißer gearbeitet hat, berufsbedingt den Stoffen Chromat, Nickeloxid, ionisierender Strahlung und Asbest ausgesetzt war und an einem Lungentumor verstorben ist, ein Versicherungsfall nach folgenden BK-Tatbeständen in Betracht:

Nr 1103:

Erkrankungen durch Chrom oder seine Verbindungen

Nr 2402:

Erkrankungen durch ionisierende Strahlen

Nr 4104:

Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs
- in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder
- in Verbindung mit durch Asbeststaub verursachter Erkrankung der Pleura oder
- bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren

Nr 4109:

Bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Nickel oder seine Verbindungen

16

Die BK Nr 4104 scheidet schon deswegen aus, weil bei dem Versicherten weder das Bild einer Asbestose noch einer durch Asbeststaub verursachten Erkrankung der Pleura noch eine Einwirkung von 25 Asbestfaserjahren vorgelegen hat (zu den anderen Listen-BKen unten d).

17

b) Entgegen der Auffassung des LSG ist der Versicherte nicht infolge eines Versicherungsfalls einer Art "Gesamt-BK" aufgrund einer Gesamtbetrachtung oder Kombination der Listen-BKen 1103, 4109 und 2402 verstorben.

18

Zwar ist der Klägerin darin zu folgen, dass das LSG nicht nur die BKen 1103 und 4109, sondern - ausweislich des Tenors - auch die BK 2402 bejaht hat. Die Beklagte hat jedoch zu Recht darauf hingewiesen, dass die Art und Weise, wie das LSG die Verursachungswahrscheinlichkeit gemeinsam für die BKen 1103, 2402 und 4109 errechnet hat, zu beanstanden ist.

19

Es widerspricht dem Bundesrecht, wenn die Verwaltung oder die Gerichte Tatbestände mehrerer Listen-BKen zu einer neuen Gesamt-BK verbinden. Zur Bezeichnung einer neuen (Listen-)BK ist nur die Bundesregierung als Verordnungsgeberin - mit Zustimmung des Bundesrates - ermächtigt (§ 9 Abs 1 SGB VII) und neben diesem Listenprinzip gibt es nur die sog Öffnungsklausel unter den eingeschränkten Voraussetzungen des § 9 Abs 2 SGB VII.

20

Indem der Verordnungsgeber mit Wirkung zum 1.7.2009 durch Art 1 Nr 3 Buchst d der 2. Verordnung zur Änderung der BKV vom 11.6.2009 (BGBl I, 1273) einen BK-Tatbestand geschaffen hat, der nun eine Erkrankung nach schädigenden Einwirkungen zweier synkanzerogen wirkender Stoffe als Versicherungsfall bezeichnet (BK 4114: Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis, die eine Verursachungswahrscheinlichkeit von mindestens 50 vH nach Anlage 2 der BKV begründet), wird deutlich, dass er durchaus auch die berufsbedingte Verursachung einer Erkrankung durch das Zusammenwirken verschiedener gefährdender Stoffe als BK bezeichnen kann.

21

In dem Urteil vom 27.6.2006 (B 2 U 9/05 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 8) zum Verhältnis der BKen 2108 und 2110 hat der Senat "nicht eine aus den Tatbeständen der Nr 2108 und 2110 zusammengesetzte neue BK gebildet, sondern dem Umstand Rechnung getragen, dass in Bezug auf die Wirbelsäulenerkrankung die Tatbestandsvoraussetzungen beider BKen (nebeneinander) vorliegen" (RdNr 18). Soweit Mell in seiner Anmerkung zu dem Urteil (SGb 2007, 562 f) von einer "Verklammerung" des BK-Geschehens schreibt, ändert dies nichts an der getrennten Betrachtung beider BKen durch den Senat. Klarzustellen ist jedoch, dass bei einem Versicherten, der an einer Krankheit leidet, die Gegenstand mehrerer BKen ist, wenn er zudem Einwirkungen ausgesetzt war, die von jeder dieser BKen erfasst werden, schon nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu prüfen ist, ob die Einwirkungen die in der BK bezeichnete Erkrankung verursacht haben. Diese Einwirkungen können nicht isoliert gesehen werden, sondern sind sich wechselseitig beeinflussende konkurrierende Ursachen (vgl nur BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, jeweils RdNr 16) . Ob der Tod des Versicherten in diesem Sinne wesentlich durch die Einwirkungen nach einer der möglichen BKen Nr 1103, 2402, 4109 verursacht wurde, hat das LSG jedoch nicht geprüft (siehe nachfolgend d).

22

c) Der Versicherte ist auch nicht infolge des Versicherungsfalls einer Wie-BK (§ 9 Abs 2 SGB VII) verstorben.

23

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Senat nicht gehindert, über den Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenrente wegen einer Wie-BK zu entscheiden (aa). Zum maßgeblichen Zeitpunkt (bb) hat beim Versicherten der Versicherungsfall einer Wie-BK nicht vorgelegen (cc), denn die Voraussetzungen für die Bezeichnung der Erkrankung Lungenkrebs infolge der gemeinsamen Einwirkungen von Chromat, Nickeloxid, ionisierender Strahlung und Asbeststaub in der Anlage zur BKV als BK waren nicht gegeben.

24

aa) Der von der Klägerin bestimmte Streitgegenstand umfasst das Begehren auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Witwenrente unter jedem rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkt. Diesen Anspruch hat die Beklagte mit den Ablehnungsentscheidungen in ihren Bescheiden verneint.

25

Die Beklagte verweist zu Unrecht auf die Rechtslage, die gilt, wenn ein Versicherter selbst die Feststellung eines Versicherungsfalls einer BK durch die Verwaltung begehrt oder Versicherungsansprüche gegen sie erhebt. Dabei bilden jede Listen- und jede Wie-BK jeweils einen eigenständigen Gegenstand des Verwaltungsverfahrens, über den der zuständige Träger einen feststellenden Verwaltungsakt (positiver oder negativer Art) zu erlassen hat. Die Feststellung des Versicherungsträgers, eine BK liege vor oder nicht vor, kann sich wegen der völlig verschiedenen Voraussetzungen der Listen-BKen in der Anlage zur BKV untereinander und den dazu und untereinander ebenfalls völlig unterschiedlichen Voraussetzungen der eventuell zu prüfenden Wie-BKen nach § 9 Abs 2 SGB VII immer nur auf einzelne Listen- oder Wie-BKen beziehen. Daher kann der Versicherte eine Anfechtungsklage nur gegen einen Verwaltungsakt erheben, mit dem der Versicherungsträger die Feststellung einer bestimmten BK oder Wie-BK (oder mehrerer solcher Versicherungsfälle) abgelehnt hat (vgl BSG vom 2.12.2008 - B 2 KN 3/07 U R - SozR 4-2700 § 9 Nr 13 RdNr 12; BSG vom 2.12.2008 - B 2 KN 2/07 U R - juris RdNr 15 f) .

26

Anders ist die Rechtslage bei Hinterbliebenen, die ein abgeleitetes, aber eigenständiges Recht gegen den Träger geltend machen. Nach § 63 Abs 1 SGB VII ist Voraussetzung eines jeden Hinterbliebenenrechts(§§ 64 bis 71 SGB VII) , dass in der Person des Versicherten ein Versicherungsfall eingetreten war und er infolgedessen verstorben ist. Die Frage, ob ein Versicherungsfall vorgelegen hat und welcher es genau war, ist kein selbstständiger Gegenstand des Verwaltungsverfahrens, über den durch Verwaltungsakt entschieden werden dürfte, sondern nur eine Tatbestandsvoraussetzung des streitgegenständlichen Anspruchs. Wird dieser Anspruch durch negativ feststellenden Verwaltungsakt verneint, ist die Äußerung des Trägers, ein Versicherungsfall, zB eine bestimmte BK oder Wie-BK habe nicht vorgelegen, nur ein unselbstständiges Begründungselement des Verwaltungsakts. Der Hinterbliebene kann sich daher darauf beschränken vorzutragen, beim Versicherten habe irgendein Versicherungsfall (Arbeitsunfall, Listen-BK, Wie-BK) vorgelegen, der seinen Tod herbeigeführt habe. Der Träger muss dann allein darüber entscheiden, ob das vom Hinterbliebenen verfolgte Recht auf Hinterbliebenenleistungen besteht oder nicht besteht. Hingegen ist er schon mangels einer gesetzlichen Ermächtigung nicht befugt, einen feststellenden Verwaltungsakt darüber zu erlassen, ob der Versicherte einen Versicherungsfall erlitten hatte. Es gibt auch keine Anspruchsgrundlage für einen Anspruch des Hinterbliebenen auf eine isolierte Vorabentscheidung des Trägers über das frühere Vorliegen eines Versicherungsfalles beim Versicherten. Hierfür besteht im Übrigen auch kein Bedürfnis, weil nach dem Tod des Versicherten der Eintritt weiterer Versicherungsfälle, deren Folgen voneinander abzugrenzen sein könnten, ausgeschlossen ist. Auch hier hat die Beklagte zwar mehrfach im Blick auf verschiedene Sachverhalte, aber jeweils nur einheitlich festgestellt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf die begehrte Witwenrente habe.

27

bb) Für die Entscheidung, ob der Versicherte infolge eines Versicherungsfalls verstorben ist, ist auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem der Versicherte verstorben ist.

28

Der Senat hat zwar im Zusammenhang mit Ansprüchen von Versicherten entschieden, neue wissenschaftliche Erkenntnisse müssen sich im Zeitpunkt der Erkrankung des Versicherten noch nicht bis zur Aufnahme in die BK-Liste verdichtet haben. Es reiche aus, wenn dies im Zeitpunkt der Entscheidung über den Anspruch geschehen sei (BSG vom 14.11.1996 - 2 RU 9/96 - BSGE 79, 250, 253; BSG vom 4.6.2002 - B 2 U 16/01 R - juris RdNr 17) .

29

Dies ist aber auf die Rechte der Hinterbliebenen eines Versicherten nicht übertragbar, weil sie aus dessen letzter Rechtsstellung abgeleitet sind. Gemäß § 63 Abs 1 Satz 2 SGB VII muss der Tod des Versicherten "infolge eines Versicherungsfalls eingetreten" sein. Der Todestag des Versicherten ist der späteste Zeitpunkt, an dem er einen Versicherungsfall erlitten haben kann.

30

cc) Der Versicherte ist am 8.8.2000 nicht infolge des Versicherungsfalls einer Wie-BK verstorben.

31

Nach § 9 Abs 2 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der BKV bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit (Wie-BK) als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII erfüllt sind. Diese "Öffnungsklausel" des § 9 Abs 2 SGB VII soll nur die Regelungslücken in der BKV schließen, die sich aus den zeitlichen Abständen zwischen den Änderungen der BKV ergeben. Die Regelung ist aber keine allgemeine Härteklausel, für deren Anwendung es genügen würde, dass im Einzelfall berufsbedingte Einwirkungen die rechtlich wesentliche Ursache einer nicht in der BK-Liste bezeichneten Krankheit sind (vgl BSG vom 30.1.1986 - 2 RU 80/84 - BSGE 59, 295 = SozR 2200 § 551 Nr 27) . Vielmehr soll die Anerkennung einer Wie-BK nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der BKen (vgl § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII) erfüllt sind, der Verordnungsgeber aber noch nicht tätig geworden ist (vgl BT-Drucks 13/2204, 77 f) .

32

Der Versicherungsfall einer Wie-BK ist eingetreten, wenn neben den Voraussetzungen der schädigenden Einwirkungen aufgrund der versicherten Tätigkeit, der Erkrankung und der haftungsbegründenden Kausalität im Einzelfall auch die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der BKen nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen erfüllt sind. Der Versicherungsfall der Wie-BK lässt sich zwar nachträglich feststellen, er ist aber objektiv zu dem Zeitpunkt eingetreten, zu dem die Voraussetzungen des § 9 Abs 2 SGB VII gegeben sind(vgl noch zu § 551 Abs 1 Satz 2 RVO: BSG vom 2.12.2008 - B 2 KN 1/08 U R - SozR 4-2700 § 9 Nr 12 RdNr 23) . Im vorliegenden Fall kommt es also entscheidend darauf an, ob es spätestes am 8.8.2000 wissenschaftliche Erkenntnisse gab, nach denen die Erkrankung Lungenkrebs, wenn sie durch die Einwirkungen von Chromat, Nickeloxid, Asbest und ionisierender Strahlung gemeinsam verursacht worden ist, in die Liste der BKen aufzunehmen war. Dies ist indes nach den Feststellungen des LSG, das eine Auskunft des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften eingeholt hat, nicht der Fall (vgl im Übrigen: Schneider, ASUMed 2008, 326; Ergebnisse des Fachgesprächs "Synkanzerogenese" in der BG Akademie Hennef am 25./26.11.2005, BGFA-Info 01-06, S 17; Thomas Brüning, SYNERGIE - ein Beitrag zur Klärung der Synkanzerogenese - fordert vor der BGFA der DGUV am 27.1.2009 die Einrichtung epidemiologischer Datenbanken zur Beurteilung der synkanzerogenen Wirkung von Stoffen wie Asbest, PAK, Chrom und Nickel; http: www.igf-bbg.de/schlema6/tag2/Brüning_BGFA.pdf ; Pesch, Weiss, Westphal, Brüning, Berufliche Chrom- Exposition und Lungenkrebsrisiko, BGFA, August 2008, S 23) .

33

d) Ob der Tod des Versicherten infolge eines Versicherungsfalls nach § 9 Abs 1 SGB VII iVm Nr 1103, 2402 oder 4109 der Anlage zur BKV, der durch das Miteinwirken des Listenstoffes als wesentliche Teilursache für die Erkrankung des Versicherten verursacht wurde, eingetreten ist, kann der Senat nicht abschließend entscheiden.

34

Nach den Feststellungen des LSG ist der Versicherte berufsbedingt schädigenden Einwirkungen ausgesetzt gewesen. Allerdings hat das LSG für jeden der in den angeführten Listen-BKen bezeichneten Arbeitsstoffe monokausal die haftungsbegründende Kausalität verneint. Keiner der Stoffe hat allein die in der jeweiligen Listen-BK bezeichnete Erkrankung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit verursacht. Für die BK 1103 ist eine Einwirkung in der Größenordnung von 2000 µg/m³ x Jahre erforderlich, einer solchen Dosis ist der Versicherte bei weitem nicht ausgesetzt gewesen. Bei der Einwirkung durch ionisierende Strahlen (BK 2402) wird anhand der Einwirkungsdosen (Bql, mSv) die Verursachungswahrscheinlichkeit in Prozent ermittelt, die beim Versicherten maximal 23 vH erreicht hat. Bei der BK 4109 ist eine berufliche Einwirkung durch Nickel von 5000 µg/m³ x Jahre erforderlich, die ebenfalls nicht - auch nicht iS des Halbwerts - erreicht worden ist.

35

Eine dieser Listen-BKen liegt aber nicht nur dann vor, wenn die in ihrem Tatbestand genannten Einwirkungen durch einen bestimmten Stoff auf die Gesundheit schon monokausal die dort bestimmten Voraussetzungen erfüllen. Denn selbst wenn diese Einwirkungen bei isolierter Betrachtung nicht die Voraussetzungen an die Einwirkungsdauer, -intensität, -häufigkeit oder -weise erfüllen, können sie dennoch eine wesentliche Teilursache der als BK anerkannten Krankheit nach der Theorie der wesentlichen Bedingung sein (vgl zur Prüfung des Versicherungsfalls einer Listen-BK: BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 33/07 R - BSGE 103, 54 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 5; zur Theorie der wesentlichen Bedingung: BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, jeweils RdNr 13 ff) .

36

Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie, nach der jedes Ereignis Ursache eines Erfolges ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Erst wenn feststeht, dass ein bestimmtes Ereignis - hier Einwirkungen durch einen Arbeitsstoff - eine naturphilosophische Teilursache der Krankheit ist, stellt sich die Frage nach einer rechtlich wesentlichen Verursachung des Erfolgs durch das Ereignis. Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist in diesem zweiten Schritt zwischen Ursachen zu unterscheiden, denen der Erfolg zugerechnet wird und die für den Erfolg rechtlich unerheblich sind. Als kausal und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs abgeleitet werden (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, jeweils RdNr 13 f mwN; BSG vom 17.2.2009 - B 2 U 18/07 R - juris RdNr 12) .

37

Erfüllen die Einwirkungen eines bestimmten Arbeitsstoffs nicht die im BK-Tatbestand genannten Einwirkungsvoraussetzungen - so wie hier der Asbest die 25 Faserjahre nach der BK 4104 Alternative 3 (siehe oben a) -, können sie zwar die anerkannte Krankheit mitverursacht haben, eine Anerkennung dieser BK scheidet aber aus, weil die Mindestanforderungen des jeweiligen BK-Tatbestandes nicht gegeben sind.

38

Für die Arbeitsstoffe der hier in Betracht kommenden BKen 1103, 2402, 4109, deren Bezeichnung keine Dosis enthält, ist in einem ersten Schritt zu prüfen, ob der Stoff des jeweiligen BK-Tatbestands nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass das Entstehen der Erkrankung entfiele. Ist ein Listenstoff in diesem naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne ursächlich geworden, ist weiter zu prüfen, ob er eine wesentliche (Teil-)Ursache für den Eintritt der Erkrankung gesetzt hat. Denn die Theorie der wesentlichen Bedingung verlangt bei der Prüfung, ob eine Einwirkung einen wesentlichen Kausalbeitrag gesetzt hat, nicht abstrakt eine mindestens gleichwertige Bedeutung für den Erfolg. Vielmehr lässt sie es zu, ihre "Wesentlichkeit" für die festgestellte Erkrankung auch bei einem naturphilosophisch notwendigen Zusammenwirken mehrerer in der Anlage zur BKV bezeichneter schädigender Einwirkungen zu bejahen. Dem Zusammenwirken einzelner Mitbedingungen in einer Gruppe, die als Kollektiv für einen Erfolg wesentlich ist, kann so viel Eigenbedeutung zukommen, dass auch dem einzelnen Listenstoff des Einwirkungsgemischs wesentliche Bedeutung für den Erfolg iS eines BK-Tatbestands zukommt (vgl BSG vom 12.6.1990 - 2 RU 14/90 - juris RdNr 21; Becker in MedSach 2005, 115) .

39

3. Auf die Revision der Beklagten ist die Entscheidung des LSG, die § 9 SGB VII verletzt, aufzuheben. Der Rechtsstreit ist an das LSG zurückzuverweisen, damit geklärt werden kann, ob die Einwirkungen durch Chromat, Nickeloxid oder ionisierende Strahlung unter Einbeziehung der Einwirkungen von Asbest zusammen oder - wenn nicht alle - ob möglicherweise mehrere dieser Listenstoffe gemeinsam den Lungenkrebs des Versicherten im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne verursacht haben. Ist dies anzunehmen, ist weiter zu prüfen, ob die Einwirkungen nach den genannten BKen Nr 1103, 2402, 4109 - jede für sich und nicht alle zusammen als Gesamt-BK betrachtet - eine rechtlich wesentliche Teilursache für den Eintritt der Lungenerkrankung waren. Ist auch dies zu bejahen, ist entweder ein Versicherungsfall nach BK 1103 oder BK 2402 oder BK 4109 oder aber mehrere Versicherungsfälle dieser Listen-BKen nebeneinander (nicht kumulativ) gegeben (vgl BSG aaO) . Schließlich ist zu prüfen, ob der Tod des Versicherten infolge dieses Versicherungsfalls oder eines dieser Versicherungsfälle eingetreten ist. Hierzu hat das Berufungsgericht keine tatsächlichen Feststellungen getroffen, sodass der Senat nicht abschließend entscheiden konnte.

40

Dagegen steht für die abschließende Entscheidung des LSG bindend fest, dass bei dem Versicherten keine BK 4104, keine Gesamt-BK aus einer Kombination der BKen 1103, 2402, 4109 und keine entsprechende Wie-BK vorgelegen hat.

41

Das LSG hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 26. August 2008 abgeändert. Der Bescheid der Beklagten vom 24. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Juli 2005 wird insoweit aufgehoben, als die Erhöhung von Verletztenrente auch für einen Zeitraum vor 11. Juni 2006 abgelehnt wird. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Verletztenrente nach einer MdE von 50 v.H. ab 1. November 2004 bis 11. Juni 2006 wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 15. Mai 2001 zu gewähren.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass das Klageverfahren gegen den Bescheid der Beklagten vom 8. Juni 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. September 2006 wegen Rücknahme der Klage erledigt ist.

Die Beklagte hat dem Kläger ein Fünftel seiner außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Tatbestand

 
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger wegen eines Arbeitsunfalls am 15.05.2001 höhere Verletztenrente als nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 v.H. und Verletztengeld ab 25.01.2005 zusteht.
Der 1978 geborene Kläger zog sich während seiner Arbeit als Verladearbeiter bei einer Fertighausfirma am 15.05.2001 eine Knieverletzung links zu, da er beim Herunterspringen von der Ladefläche eines Tiefladers ausgerutscht und auf das Knie gestürzt war. Der Durchgangsarzt K. diagnostizierte am Unfalltag eine Kniegelenksprellung mit einer eingeschränkten Beweglichkeit und leichter Schwellung des linken Kniegelenks, ohne Erguss und ohne Anhalt für eine Band- oder Meniskusverletzung. Es wurde eine Gipsschiene angelegt (Durchgangsarztbericht vom 26.05.2001). Bei der Nachschau am 17.05.2001 zeigte sich eine Hämatomverfärbung mediopatellar und an der Patellasehne medialseits (Nachschaubericht des Chirurgen K. vom 21.05.2001). Es bestand Arbeitsunfähigkeit vom 16.05. bis 24.05.2001.
Am 18.09.2001 suchte der Kläger den Orthopäden Dr. B. auf, da er sich vor drei bis vier Wochen bei der Arbeit erneut das linke Knie angeschlagen habe. Dr. B. diagnostizierte eine schwere Distorsion des linken Kniegelenks bei Druck-, Bewegungs- und Überbeugungsschmerz sowie Schwellung im Gelenkbereich und röntgenologisch ohne sichere knöcherne Verletzung (H-Arzt-Bericht von Dr. B. vom 19.09.2001). Die am 27.09.2001 durchgeführte Kernspintomographie ergab einen muldenförmigen osteochondralen (knochenknorpelbetreffend) Defekt im Bereich der medialen Femurcondyle mit freiem Gelenkkörper mit deutlichem Gelenkserguss. Unter der Diagnose einer Osteochondrosis dissecans (aseptische Knochennekrose, evtl. mit Herauslösen eines Knochen- u. Knorpelstücks aus einer Gelenkfläche sowie Bildung eines freien Gelenkkörpers) Typ V veranlasste Dr. B. die Durchführung einer Arthroskopie des linken Kniegelenks (Zwischenbericht von Dr. B. vom 08.10.2001), die am 11.10.2001 im Kreiskrankenhaus B. während der stationären Behandlung des Kläger vom 11. bis 13.10.2001 durchgeführt wurde (Entlassungsbericht Kreiskrankenhaus B. vom 18.10.2001). Arbeitsunfähigkeit bestand vom 18.09. bis 03.12.2001.
Am 25.02.2002 war der Kläger während seiner Arbeit auf einer Pritsche ausgerutscht und verletzte sich erneut am linken Knie. Er arbeitete weiter und suchte am Abend des Unfalltages Dr. B. auf, der eine Distorsion des linken Kniegelenks ohne Erguss bei Druck- und Bewegungsschmerz, negativem Innenmeniskuszeichen und röntgenologisch ohne sichere knöcherne Verletzung diagnostizierte (H-Arzt-Bericht von Dr. B. vom 26.02.2002). Arbeitsfähigkeit bestand fort.
Am 16.04.2002 ließ sich der Kläger von Dr. M. untersuchen, weil er seit vier bis fünf Wochen erneut unter Schmerzen retropatellar am linken Knie leide. Dr. M. stellte die Verdachtsdiagnose einer retropatellaren Arthrose und sah eine Arthroskopie für 29.04.2002 vor (Nachschaubericht von Dr. M. vom 17.04.2002). Der Kläger wurde vom 29.04. bis 02.05.2002 stationär im C.-Krankenhaus B. M. behandelt, wo am 30.04.2002 unter der Diagnose eines osteochondralen Defektes und Chondromalazie I. Grades (Erweichung des Patellaknorpels) die Arthroskopie vorgenommen wurde (Zwischenbericht des C.-Krankenhauses vom 09.07.2002). Eine weitere Arthroskopie zur Beseitigung des Knorpeldefekts sollte während der ab 16.07.2002 beginnenden stationären Behandlung in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. vorgenommen werden. Nach der Operationsvorbereitung verließ der Kläger kurzfristig vor Operationsbeginn die Klinik, um eine bereits vereinbarte Heilmaßnahme zur Gewichtsreduzierung in der Reha-Klinik O. d. T. in B. M. zu Lasten des Rentenversicherungsträgers durchzuführen (Bericht der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. vom 05.08.2002). Nach Ende der vom 23.07. bis 20.08.2002 erfolgten Maßnahme unter der Diagnose Adipositas 2. Grades (Aufnahmegewicht 155 kg bzw. 150 kg bei Körpergröße von 1,95 m, Entlassungsgewicht 139 kg) wurde der Kläger wegen der Knie- und Oberschenkelverletzung mit bevorstehender Operation als derzeit arbeitsunfähig entlassen (Entlassungsbericht der Reha-Klinik O. d. T. vom 29.08.2002). Am 15.10.2002 wurde eine Arthroskopie des linken Kniegelenks in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. u. a. zur autologen Knorpelzelltransplantation vorgenommen (Zwischenbericht der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. vom 26.09.2002). Die Arthroskopie ergab im medialen Gelenkkompartiment einen Knorpeldefekt 4. Grades, einen retropatellaren zentralen Defekt mit Knorpelaufbrauch und chondromalazischen Veränderungen 3. bis 4. Gerades. Anschließend wurde eine valgisierende Tibiakopfumstellungsosteotomie mit Einsetzen eines Knochenkeils vom linken vorderen Beckenkamm durchgeführt (Entlassungsbericht vom 19.12.2002 zur stationären Behandlung vom 10.10. bis 25.10.2002). Eine ab 01.04.2003 für die Dauer von vier Wochen vorgesehene Belastungserprobung brach der Kläger am 01.04.2003 wegen Schmerzen ab (Zwischenbericht von Dr. B. vom 02.04.2003). Eine erneute Belastungserprobung ab 18.08.2003 wurde nach mehreren Unterbrechungen Anfang September 2003 endgültig abgebrochen, zum 30.09.2003 wurde dem Kläger gekündigt. Arbeitsunfähigkeit bestand vom 16.04.2002 bis 01.11.2003. Der Kläger machte eine Umschulung zum Busfahrer und ist seither arbeitslos.
Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch Prof. Dr. H., der in seinem Gutachten vom 16.06.2003 die im Verlauf der Arthroskopie diagnostizierten Knorpelknochen-Flakes als unfallbedingt beurteilte. Inwieweit das Unfallereignis vom 15.05. oder vom August 2001 für die Gelenkkörper verantwortlich sei, könne im Nachhinein nicht beantwortet werden. Die für eine traumatische Läsion sprechenden Knorpelknochen-Flakes seien auf Grund des kernspintomographisch Befundes aber eher auf das Ereignis von Mai 2001 zurückzuführen. Die aktuell bestehende Arbeitsunfähigkeit sei auf das Ereignis von Mai 2001 zurückzuführen. Im neurologischen Befundbericht von PD Dr. G. vom 30.07.2003 wurde aufgrund einer traumatischen Patella-Fraktur der Verdacht einer Läsion des Nervus cutaneus surae lateralis geäußert.
Im unfallchirurgischen Gutachten von Dr. B. vom 15.12.2003 wurden als wesentliche Unfallfolgen eine osteochondrale Fraktur vom medialen Femurcondylus mit präarthrotischen Veränderungen, ein Zustand nach valgisierende Schienbeinkopfosteotomie links mit noch nicht vollständig knöcherner Durchbauung, erhebliche Belastungsbeschwerden des linken Beines und ein Sensibilitätsdefizit am linken Oberschenkel bis über das Knie zum Unterschenkel reichend beschrieben. Unfallunabhängig bestehe eine Degeneration des femoro-patellaren Gleitlagers, Varicosis beidseits, eine Stauungsdermatose am Unterschenkel links. Ab 01.11.2003 betrage die MdE 20 v.H. bis auf weiteres.
Mit Bescheid vom 27.08.2003 (Widerspruchsbescheid vom 14.11.2003) lehnte die Beklagte Verletztenrente wegen eines Unfalls im August 2001 ab. Der Bescheid wurde nach Klagerücknahme (S 6 U 3568/03) bestandskräftig.
Mit Bescheid vom 18.03.2004 gewährte die Beklagte dem Kläger eine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit ab 18.10.2003 nach einer MdE um 20 v.H. für den Unfall am 15.05.2001.
10 
Mit DAB vom 25.10.2004 zeigte Dr. E. die Wiedererkrankung des Klägers vom gleichen Tag an wegen eines von ihm diagnostizierten Ulcus cruris am linken Unterschenkel mit deutlicher Schwellung und deutlich chronisch venöser Insuffizienz und Lymphödeme. Es bestehe ein posthrombotisches Syndrom am linken Bein mit posttraumatischer Gonarthrose. Arbeitsunfähigkeit wurde von Dr. E. verneint. Nachfolgend wurde der Kläger u. a. wegen chronisch venöser Insuffizienz, Stammveneninsuffizienz und sekundärem Lymphödem am linken Bein behandelt, u. a. stationär vom 13.06. bis 09.07.2005 in der Fach-Klinik für Lymphologie L.-O. –Klinik in P. (Entlassungsbericht vom 09.07.2005). Ab 25.01.2005 bestand Arbeitsunfähigkeit. Im Auftrag der Beklagte zahlte die AOK S.-H.l für den Zeitpunkt der angezeigten Wiedererkrankung Verletztengeld ab 08.03.2005 (Schreiben der Beklagten vom 23.03.2005 an die AOK).
11 
Die Beklagte holte das Gutachten des Arztes für Allgemeinmedizin, Phlebologie-Lymphologie Dr. K. vom 26.01.2005 mit Ergänzung vom 18.03.2005 ein. Er bewertete das beim Kläger diagnostizierte Lymphödem als Unfallfolge, die durch den vermehrten Anfall von lymphpflichtiger Last durch das Trauma, die wiederholten operativen Eingriffe und die Entzündungsreaktionen an der verletzten Extremität entstanden sei. Unfallunabhängig sei die diagnostizierte chronisch venöse Insuffizienz, die Stammveneninsuffizienz Stadium IV und ein Ulcus cruris am linken Unterschenkel. Durch die lange Immobilisation sei jedoch eine unfallbedingte Verschlimmerung der chronisch venösen Insuffizienz zusammen mit dem Ulcus eingetreten. Die unfallbedingte MdE betrage ab 25.01.2005 20 v.H. Die Arbeitsunfähigkeit ab 25.01.2005 sei auf den Unfall zurückzuführen. In seinem unfallchirurgischen Gutachten vom 15.02.2005 verneinte Dr. B. eine wesentliche Änderung gegenüber seinem Vorgutachten und schätzte die unfallbedingte MdE weiterhin auf 20 v.H. unter Berücksichtigung der Zusatzbegutachtung von Dr. K..
12 
Mit Bescheid vom 24.05.2005 lehnte die Beklagte die Erhöhung der Rente ab, da eine Änderung in der Höhe der MdE als Folge des Unfalls vom 15.05.2001 nicht eingetreten sei. Als Unfallfolgen wurden festgestellt: belastungsabhängige Beschwerden am linken Bein mit Instabilitätsgefühl am linken Kniegelenk nach knöchern durchbautem Bruch des medialen Femurcondylus und Schienbeinkopfosteotomie links, sekundäres Lymphödem am linken Bein, Ulcus cruris linker Unterschenkel, Verschlimmerung der vorbestehenden chronisch venösen Insuffizienz.
13 
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, da die von Dr. K. beurteilte Folgeerkrankung mit einer MdE um 20 v.H. nicht berücksichtigt worden sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 22.07.2005 wurde der Widerspruch zurückgewiesen, denn Dr. B. habe das Gutachten von Dr. K. berücksichtigt.
14 
Der Kläger erhob am 17.08.2005 Klage beim Sozialgericht Heilbronn mit dem Begehren, Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 50 v.H. zu gewähren.
15 
Das Sozialgericht holte das orthopädische Gutachten von Dr. T. vom 02.02.2006 ein. Danach bedingten die belastungsabhängigen Schmerzen mit Funktionseinschränkung des linken Kniegelenks nach Flakefraktur medialer Femurcondylus, subcapitale Umstellungsosteotomie mit noch bestehendem Reizzustand, Chondromalazie mit beginnender Sekundärarthrose, eine Beugefähigkeit des Kniegelenks von 95 Grad mit kompletter Streckbarkeit und straffer Bandführung ohne schwerwiegende Kapselweichteilreizung eine unfallbedingte MdE um 20 v.H. Eine Höherstufung wegen der angenommenen somatoformen Schmerzstörung sei nicht möglich. Damit sei der Kläger noch besser gestellt als bei einer Streckhemmung von 30 Grad und Beugefähigkeit bis 90 Grad oder einer Versteifung des Kniegelenks in Beugestellung von fünf Grad, was nach der unfallversicherungsrechtlichen Literatur jeweils mit einer MdE um 30 v.H. bewertet werde. Eine nennenswerte Lymphödembildung sei zum Untersuchungszeitpunkt nicht nachzuweisen gewesen. Eine venöse Stauungssymptomatik oder Thrombophlebitis sei nach dem ersten Unfall- geschehen ab 15.05.2001 nicht dokumentiert, eine Lymphödembildung im Bereich der unteren Extremitäten werde im Rahmen der Behandlung ab Mai 2001 bis zu der Gutachtenerstellung durch Prof. Dr. H. im Mai 2003 - mit Ausnahme einer minimalen prätibialen Ödembildung beidseits während der Reha-Maßnahme im Juli/August 2002 - nicht beschrieben, noch im 1. Rentengutachten von Dr. B. vom 15.12.2003 würden solche verneint. Aufgrund des massiven unfallunabhängigen Venenklappenschadens stehe die venöse Stauungssymptomatik als Ursache der Ödemsbildung eindeutig im Vordergrund, was die zunehmend verstärkte Beschwerdesymptomatik mit entsprechender Schmerzverstärkung erkläre. Eine schmerzbedingte Belastungseinschränkung des linken Beines sei für die ungenügende muskuläre Entstauung des venös gestauten Beines nachzuvollziehen, als Komponente der venösen Stauung sei sie jedoch nicht derart schwerwiegend, dass hieraus eine Unfallfolge abgeleitet werden könne.
16 
Der Kläger legte eine Stellungnahme von Dr. B. vom 06.04.2006 zum Gutachten von Dr. T. vor, wonach die unfallbedingte MdE mindestens 30 v.H. betrage. Zu berücksichtigen sei die Tatsache dass innerhalb eines Jahres 3 Arthroskopien und eine Umstellungsosteotomie durchgeführt worden seien. Die durch die häufigen Eingriffe verursachte untere Blutleere habe indirekt einen Verschlimmerungsfaktor für die Varicosis dargestellt. Gleiches gelte für das Lymphödem, das durch Trauma, wiederholte Eingriffe und Entzündungsreaktionen und lange Entlastung durch verzögerte Knochenheilung mitverursacht sei. Unberücksichtigt sei auch die Schmerzsymptomatik.
17 
Das Sozialgericht holte außerdem das dermatologisch-phlebologische Gutachten vom 27.12.2006 ein. Privatdozentin (PD) Dr. St. bewertete darin die Veneninsuffizienz sowie die Varicosis beidseits wie auch das Ulcus cruris am linken Unterschenkel als unfallunabhängig. Eine Stammveneninsuffizienz der Vena saphena sei duplexsonographisch nachzuweisen, eine tiefe Beinvenenthrombose habe duplexsonographisch ausgeschlossen werden können. Bei ihrer Untersuchung sei kein sekundäres Lymphödem am linken Bein festgestellt worden. Ursächlich für die Stauungssymptomatik mit Ausbildung eines Ulcus cruris sei die unfallunabhängige Venenklappenschädigung der Vena saphena magna Grad 4 nach Hach. Für die Verschlimmerung der Varicosis beidseits seien die körpereigenen Faktoren, die Adipositas permagna und die Immobilisation, führend. Außerdem werde die Kompressionstherapie nicht suffizient durchgeführt, da die vom Kläger getragenen Kompressionsstrümpfe überaltert seien und daher nicht den notwendigen Kompressionsdruck aufwiesen. Für die Muskelpumpe als peripheres Herz sei die Mobilisation im oberen Sprunggelenk entscheidend, die beim Kläger jedoch nicht aufgehoben sei. Auf ihrem Fachgebiet bestehe keine unfallbedingte MdE.
18 
Schließlich hörte das Sozialgericht die behandelnde Ärztin für Psychiatrie-Psychotherapie P. an, die in ihrer schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 03.05.2007 über eine depressive Symptomatik des Klägers bei leichter intellektueller Beeinträchtigung berichtete. Der Kläger klage über Schmerzen, lebe Zuhause bei seinem seit längerem krebskranken Vater, dem es sehr schlecht gehe. Hinsichtlich seiner beruflichen und sozialen Situation sei er herabgestimmt. Sein derzeitiges Gewicht betrage 180 Kilogramm, was bereits zu zwei Bruchoperationen geführt habe. Nach wie vor bestünden rezidivierende Ulcera am linken Unterschenkel.
19 
Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) holte das Sozialgericht von Dr. B. das Gutachten vom 21.04.2008 ein. Danach sei auf den Arbeitsunfall 2001 der osteochondrale Defekt der medialen Femurcondyle, die Umstellungsosteotomie, chronischer Knieschmerz, posttraumatische Arthrose und somatoforme Schmerzstörung zu 100 Prozent zurückzuführen, das chronische Ulcus cruris oberhalb des linken Innenknöchels sei zu 30 Prozent unfallbedingt und das Lymphödem zu 100 Prozent unfallbedingt. Aus fachorthopädischer Sicht betrage die unfallbedingte MdE 30 v.H. Entgegen den Bewegungsmaßen von Dr. T. sei bei seiner Untersuchung eine Beugung des linken Kniegelenks nur bis 90 Grad möglich und eine Streckhemmung bis 10 Grad gegeben.
20 
Während des Klageverfahrens erließ die Beklagte den Bescheid vom 08.06.2006, mit dem sie die Feststellung von Unfallfolgen im Bescheid vom 24.05.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 22.07.2005 mit Wirkung für die Zukunft insoweit zurücknahm, als nur noch belastungsabhängige Beschwerden am linken Bein mit Instabilitätsgefühl am linken Kniegelenk nach knöchern durchbautem Bruch des medialen Femurcondylus und Schienbeinkopfosteotomie links als Unfallfolgen anerkannt wurden. Lymphödem und Venenerkrankung seien unfallunabhängig. In der Rechtsmittelbelehrung wurde darauf hingewiesen, dass der Bescheid Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens werde.
21 
Außerdem lehnte die Beklagte mit Bescheid vom gleichen Tag die Gewährung von Verletztengeld ab 25.01.2005 ab. Aus dem Gutachten von Dr. T. habe sich ergeben, dass die ab diesem Zeitpunkt bestehende Arbeitsunfähigkeit wegen eines sekundären Lymphödems unfallunabhängig sei und daher zu Lasten der Krankenkasse gehe. Der hiergegen eingelegte Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 15.09.2006 zurückgewiesen. Der Kläger erhob hiergegen am 13.10.2006 beim Sozialgericht Heilbronn gesondert Klage (S 5 U 3732/06). Das Sozialgericht verband mit Beschluss vom 10.11.2006 den Rechtsstreit zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung mit der bereits anhängigen Klage S 5 U 2587/05.
22 
Mit Urteil vom 26.08.2008 wies das Sozialgericht die Klage ab. Hinsichtlich der geltend gemachten Rentenerhöhung stützte sich das Sozialgericht unter Einbeziehung des Bescheides vom 08.06.2006 auf die Gutachten von Dr. T. und PD Dr. St.. Hinsichtlich der Klage auf Gewährung von Verletztengeld führte das Sozialgericht aus, dass auch über diesen Bescheid vom 08.06.2006 i. d. F. des Widerspruchsbescheid vom 15.09.2006 zu entscheiden gewesen sei, obwohl in der mündlichen Verhandlung ein solcher Antrag nicht mehr gestellt worden sei. Anträge müssten mündlich nicht ausdrücklich noch einmal gestellt werden, wenn sie schriftlich vorlägen. Die angegriffenen Bescheide seien jedoch rechtmäßig, da die auf dem Ulcus cruris und der chronisch venösen Insuffizienz beruhende Arbeitsunfähigkeit nicht unfallbedingt gewesen sei.
23 
Gegen das dem früheren Klägerbevollmächtigten am 20.11.2008 mit Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil hat der Kläger am 17.12.2008 Berufung eingelegt und macht zur Begründung geltend, Dr. B. sei entgegen der Auffassung des Sozialgerichts lediglich der Auffassung, dass ohne die unfallbedingte Immobilisation und die Gehunfähigkeit das bei ihm vorliegende Ulcus nicht aufgetreten wäre. Hinsichtlich der Verwertung des Gutachten von Dr. T. ergäben sich erhebliche Zweifel hinsichtlich der zu fordernden Objektivität als auch hinsichtlich der zu berücksichtigenden zeitablaufbedingten geänderten Befundsituation. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei auch die Berufung hinsichtlich des begehrten Verletztengelds nicht unzulässig. Das Sozialgericht habe über das Begehren zutreffend entschieden, denn bei der Auslegung des Antrags sei nicht am Wortlaut festzuhalten, sondern der wirkliche Wille sei zu erforschen und zu berücksichtigen. Nachdem das Sozialgericht die beiden Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden habe, sei es nach diesseitiger Auffassung gehalten gewesen, über den gesamten Streitgegenstand zu entscheiden.
24 
Der Kläger beantragt,
25 
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 26.08.2008 und den Bescheid der Beklagten vom 24.05.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.07.2005 i. d. F. des Bescheids vom 08.06.2006 sowie den Bescheid vom 08.06.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.09.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 15.05.2001 höhere Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 50 v.H. ab 01.11.2004 und Verletztengeld ab 25.01.2005 zu gewähren.
26 
Die Beklagte beantragt,
27 
die Berufung zurückzuweisen.
28 
Hinsichtlich des Anspruchs auf Verletztengeld sei die Berufung unzulässig, denn ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 26.08.2008 sei die Aufhebung des Ablehnungsbescheides nicht mehr beantragt worden. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe auf den schriftsätzlich gestellten Antrag nicht verwiesen, sondern einen mündlichen Antrag in der Verhandlung gestellt, bei diesem handle es sich um den endgültigen Antrag. Im Übrigen werde auf die zutreffenden Darlegungen im angefochtenen Urteil verwiesen.
29 
Der Senat hat die Verwaltungsakten der Beklagten und die Gerichtsakten beider verbundener Klageverfahren des Sozialgerichts beigezogenen. Auf diese Unterlagen und die vor dem Senat angefallene Akte im Berufungsverfahren wird wegen weiterer Einzelheiten verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
30 
Die gem. §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig.
31 
Die Berufung ist jedoch nur teilweise begründet. Verletztengeld kann nicht geltend gemacht werden und nach dem 11.06.2006 besteht kein Anspruch auf höhere Verletztenrente als nach einer MdE um 20 v.H. Insoweit ist die Berufung unbegründet. Der Kläger hat dagegen einen Anspruch auf höhere Verletztenrente im Zeitraum vom 01.11.2004 bis 11.06.2006. Insoweit ist die Berufung begründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts war dahingehend abzuändern, ist im Übrigen aber im Ergebnis nicht zu beanstanden.
32 
Die Klage auf Gewährung von Verletztengeld ist unzulässig geworden, weil die diesen Anspruch betreffende Klage entgegen der Rechtsauffassung des Sozialgerichts zurückgenommen wurde.
33 
Die Rücknahme der Klage ist als Prozesserklärung unwiderruflich und nicht anfechtbar. Sie muss nicht ausdrücklich erklärt werden, die Erklärung kann auch konkludent durch eine Antragsbeschränkung abgegeben werden (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 9. Aufl., § 102 Rdnr. 7 b, c, m. w. N.). Ausnahmsweise besteht eine Widerrufsmöglichkeit der Prozesserklärung bei einem offensichtlichen Versehen, gegebenenfalls nach vorausgegangener Falschbelehrung (vgl. Leitherer a. a. O., mit Hinweise auf BVerwG, Urteil vom 15.06. 2005 - 9 c 8/04 -, NVwZ-RR 05,7 139; BFHE 210, 4).
34 
Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 26.08.2008 vor dem Sozialgericht, der nach § 122 SGG i. V. m. § 165 Zivilprozessordnung (ZPO) volle Beweiskraft für die vorgeschriebenen Förmlichkeiten der mündlichen Verhandlung zukommt, ist vom damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers nur die Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 24.05.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.07.2005 i. d. F. des Bescheids vom 08.06.2006 und Verurteilung zur höheren Verletztenrente beantragt worden, die Aufhebung des Bescheids vom 08.06.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.09.2006 und Verurteilung zur Gewährung von Verletztengeld ist in der mündlichen Verhandlung nicht beantragt worden.
35 
Die Sitzungsniederschrift hat die wesentlichen Vorgänge der Verhandlung als zwingenden Inhalt wiederzugeben (§ 122 SGG, § 160 Abs. 2 ZPO), wozu auch die Anträge gehören (§ 160 Abs. 3 Nr. 2 ZPO). Die Beweiskraft der Sitzungsniederschrift erstreckt sich auch auf den Inhalt der Sachanträge, die nur durch den Nachweis der Fälschung entkräftet werden kann (§ 165 Satz 2 ZPO). Nach § 124 Abs. 1 SGG entscheidet das Gericht auf Grund der mündlichen Verhandlung. Zum Gang der mündlichen Verhandlung gehört die Antragstellung, die in der mündlichen Verhandlung ergänzt, berichtigt oder im Rahmen des § 99 SGG geändert werden kann (§ 112 Abs. 3 SGG). Das Gericht entscheidet über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein (§ 123 SGG).
36 
Der zur Entscheidung gestellte Anspruch i. S. von § 123 SGG ist der prozessuale Anspruch, der in den gestellten Anträgen, an deren Wortlaut das Gericht selbst nicht gebunden ist, zum Ausdruck kommt (herrschende Meinung, vgl. Bolay in Nomos Kommentar, SGG, 3. Aufl., § 123 Rdnr. 3 ff; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a. a. O. § 123 Rdnr. 3 ff, jeweils m. w. N.). Der anwaltlich vertretene Kläger hat einen eindeutig formulierten Sachantrag gestellt, aus dem sich die Grenze des prozessual verfolgten Anspruchs ergibt und über den das Gericht ohne Missachtung der dem Kläger zustehenden Dispositionsmaxime auch nicht hinausgehen darf. Eine Auslegung des tatsächlich Gewollten unter Heranziehung der im schriftlichen Verfahren angekündigten Anträge verbietet sich aber dann, wenn damit die Grenze des in der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck gekommenen und noch verfolgten Klagebegehrens, d. h. des prozessualen Anspruchs, überschritten wird (im Ergebnis ebenso Keller a. a. O. § 123 Rdnr. 3; Bolay a. a. O. § 123 Rdnr. 4). Aus der objektiven Sicht des Empfängerhorizonts hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten den ursprünglich verfolgten Anspruch auf Zahlung von Verletztengeld in der mündlichen Verhandlung nicht aufrechterhalten; ein solcher Anspruch war nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung, über den das Sozialgericht hätte entscheiden können. Aus der vom Sozialgericht in den Urteilsgründen angegebenen Literaturstelle (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a. a. O. § 112 Rdnr. 8) ergibt sich nichts anderes. Die Bezugnahme auf schriftlich gestellte Anträge ist möglich, eine ausdrückliche Antragstellung ist nicht geboten. Werden jedoch mündliche Anträge gestellt, sind diese in die Sitzungsniederschrift aufzunehmen. Eine neben der mündlichen Antragstellung erfolgte Bezugnahme auf schriftlich angekündigte Anträge ergibt sich vorliegend aus der Aktenlage nicht. Weder der Sitzungsniederschrift noch dem sonstigen Vorbringen des Klägers ist außerdem zu entnehmen, dass die Antragsbeschränkung widerrufen wurde oder der Kläger sich auf ein offensichtliches Versehen beruft. Durch die Antragsbeschränkung erfolgte Klagerücknahme ist der angefochtene Bescheid der Beklagten zur Ablehnung von Verletztengeld bestandskräftig geworden und das Klageverfahren war einzustellen. Soweit das Sozialgericht im angefochtenen Urteil über das Verletztengeld in der Sache entschieden hat, war dies rechtsfehlerhaft, was den Kläger jedoch nicht beschwert.
37 
Hinsichtlich des Anspruchs auf höhere Verletztenrente ist die zulässige Klage nur teilweise begründet. Eine unfallbedingte MdE um 50 v.H. ergibt sich aus Rechtsgründen für den Zeitraum ab 01.11.2004 bis 11.06.2006, danach beträgt die unfallbedingte MdE nicht mehr als 20 v.H.
38 
Die Bemessung der MdE ist eine vom Gericht gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu treffende Tatsachenfeststellung. Dies gilt für die Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ebenso wie für die auf der Grundlage medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen zu treffende Feststellung der ihm verbliebenen Erwerbsmöglichkeiten (BSG SozR 4-2700 § 56 Nr. 2; BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8, S 36 m. w. N.). Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind (BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22, 23; BSGE 82, 212 = SozR 3-2200 § 581 Nr. 5). Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE geschätzt werden (BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8). Die zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind deshalb bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der tägliche Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (BSG aaO; BSG Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R - SozR 4-2700 § 56 Nr 1).
39 
Nach diesen Grundsätzen hält der Senat eine auf unfallchirurgischem Fachgebiet zu beurteilende MdE um 20 v.H. für nachgewiesen.
40 
Auf unfallchirurgischem/orthopädischem Fachgebiet liegen beim Kläger am linken Kniegelenk die von Dr. B. und Dr. T.- letztlich auch von Dr. B. - beschriebenen Gelenkveränderungen vor, die zu den annähernd gleichermaßen ausgeprägten Bewegungseinschränkungen bei der Streckung und Beugung des Kniegelenkes bei den jeweiligen Untersuchungen durch die Ärzte führten. Dr. B. und Dr. T. haben dies überzeugend mit einer MdE um 20 v.H. bewertet. Zutreffend verweist Dr. T. darauf, dass nach der unfallmedizinischen Literatur (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl., S. 724) eine Einschränkung der Beugefähigkeit des Kniegelenkes bis 90 Grad ohne Streckhemmung mit einer MdE um 20 v.H. eingestuft wird. Erst bei einer Streckhemmung bis 30 Grad und Beugeeinschränkung bis 90 Grad ist danach eine MdE um 30 v.H. gerechtfertigt. Bei der Untersuchung durch Dr. B. am 26.01.2005 bestand keine Streckhemmung (Streckung bis fünf Grad liegt im Normbereich bis 10 Grad) und eine Beugefähigkeit bis 100 Grad, bei der Untersuchung durch Dr. T. am 19.12.2005 bestand keine Streckhemmung und eine Beugefähigkeit bis 95 Grad, bei der Untersuchung durch Dr. B. am 30.10.2007 bestand eine Streckhemmung bis 10 Grad und eine Beugefähigkeit bis 90 Grad. Ein Kniescheibenbruch mit intaktem Streckapparat ist mit einer MdE von 10 bis 20 v.H. bewertet. Eine straffe Kniescheibenpseudarthrose ohne Funktionsbehinderung des Streckapparates ist der gleichen Bewertungsstufe zugeordnet (vgl. Schönberger u. a., a. a. O.). Eine Lockerung der Kreuz- oder Seitenbänder haben aber weder Prof. Dr. H. und Dr. T. noch Dr. B. beschrieben.
41 
In den Bewertungsansätzen zur Beurteilung der MdE nach Bewegungseinschränkungen sind auch die üblichen Schmerzen mit berücksichtigt. Zwar beschreibt Dr. T. eine besondere Schmerzempfindlichkeit des Klägers und nimmt in seiner Diagnose eine somatoforme Schmerzstörung auf, die auch Dr. B. in seinem Gutachten anführt, aber Dr. T. sah sich nicht veranlasst, deshalb die nach den oben angeführten Beurteilungsgrundsätzen ermittelte MdE wegen das übliche Maß übersteigender Schmerzen anzuheben. Unter Berücksichtigung der sachverständigen Zeugenaussage der den Kläger seit April 2006 behandelnden Psychiaterin P. ist die Einschätzung von Dr. T. für den Senat nachvollziehbar. Sie hat in ihrer Zeugenaussage vom 03.05.2007 als Diagnosen eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittel- bis schwergradige Episode, und eine Lernbehinderung bei Zustand nach Meningitis im zweiten Lebensjahr angegeben. Eine somatoforme Schmerzstörung hat sie nicht diagnostiziert. Die behandelnde Ärztin ist als Psychiaterin zur Beurteilung einer somatoformen Schmerzstörung sachkundiger als der Orthopäde, weshalb die beim Kläger zu beobachtende Schmerzempfindlichkeit, die weder von Dr. B. noch von Dr. T. als unabhängig von den erkrankten Körperorganen beschrieben wird, ein (noch) nicht pathologisches Persönlichkeitsmerkmal ist, welches in der Bandbreite des noch üblichen Schmerzempfindens und Schmerzverarbeitung liegt.
42 
Entgegen der Auffassung von Dr. B. sind auch die von ihm angeführten langwierigen Behandlungsmaßnahmen mit mehrmaliger Arthroskopie und der Umstellungsosteotomie, die zur Arbeitsunfähigkeit des Klägers geführt haben, nach den oben dargestellten Grundsätzen keine die MdE beeinflussende Umstände.
43 
Der Senat hat keinen Anlass, das Gutachten von Dr. T. nicht zu verwerten. Eine mangelnde Objektivität oder fehlerhafte Schlussfolgerungen, insbesondere bei den auch von anderen Ärzten bestätigten Bewegungsmaßen und Befunden, sind dem Gutachten nicht zu entnehmen.
44 
Der Senat gelangt für den Zeitraum, in dem mit Bescheid vom 24.05.2005 ein sekundäres Lymphödem und ein Ulcus cruris am linken Unterschenkel mit Verschlimmerung der vorbestehenden chronischen venösen Insuffizienz als Unfallfolgen festgestellt sind, zu einer weiteren Teil-MdE um 40 v.H. auf internistischem/gefäßmedizinischem Gebiet. Da mit dem nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens gewordenen Bescheid der Beklagten vom 08.06.2006 die Feststellung dieser Unfallfolgen erst mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen worden sind, sind die Unfallfolgen bis zum Wirksamwerden des Aufhebungsbescheid durch Bekanntgabe (§ 39 Abs. 1 Sozialgesetzbuch X) zu berücksichtigen, unabhängig vom tatsächlichen unfallbedingten Zusammenhang. Der am 09.06.2006 zur Post gegebene Verwaltungsakt gilt als am dritten Tage, somit am 12.06.2006, als bekannt gegeben (§ 37 Abs. 2 SGB X).
45 
Diese Gesundheitsstörungen lagen auch im Zeitraum von Oktober 2004 bis Juni 2006 vor, denn Dr. E. diagnostizierte im Oktober 2004 das Unterschenkelgeschwür und das Lymphödem bei venöser Insuffizienz. Die Veneninsuffizienz und das Unterschenkelgeschwür bestanden auch noch bei den Untersuchungen durch Dr. T. im Januar 2006 und durch PD Dr. St. im Dezember 2006 fort, lediglich das Lymphödem war nicht mehr zu diagnostizieren. Das Ausmaß eines chronischen Stauungsödems und der Zustand des Weichteilmantels bemisst sich nach der unfallmedizinischen Literatur bei einer Schwellung mit therapieresistenten Ulcerationen (Geschwürbildungen) mit einer MdE um 40 v.H. Erfolgt die Bewertung ohne getragenen Kompressionsstrumpf ergibt sich bei einer Umfangsvermehrung von mehr als zwei Zentimetern mit therapieresistenten Ulcerationen ebenso eine MdE um 40 v.H. (vgl. Schönberger u. a., a.a.O., S. 673 u. 730; Mehrhoff/Meindl/Muhr, Unfallbegutachtung, 11. Aufl. S. 171). Die nicht näher begründete MdE-Einschätzung von Dr. K. mit 20 v.H. ist daher nicht überzeugend. Eine Seitendifferenz von drei Zentimetern (15 cm unterhalb inn. Gelenkspalt) und von zwei Zentimetern (kleinster Unterschenkelumfang) gibt Dr. B. in seinem Messblatt zur Untersuchung am 26.01.2005 wieder. Vor diesem Hintergrund ist die MdE-Einschätzung in seinem Gutachten vom 15.02.2005 mit einer Gesamt-MdE von 20 v.H. nicht nachvollziehbar, zumal unklar ist, ob er die Beurteilung im phlebologisch-lymphologischen Gutachten von Dr. K. zur unfallbedingten Verschlimmerung der Venenerkrankung auch als solche Feststellung verstanden hat. Immerhin sah sich die Beklagte zur Nachfrage bei Dr. K. deswegen veranlasst, der diesbezüglich sein Gutachten unter dem 18.03.2005 ergänzte, was Dr. B. nicht zur Kenntnis gelangte.
46 
Die für den hier maßgebenden Zeitraum zu berücksichtigenden Teil-MdE-Werte von 20 v.H. und 40 v.H. ergeben eine Gesamt-MdE um 50 v.H. Eine vollständig integrierende Berücksichtigung der Teil-MdE von 20 v.H. ist zur Überzeugung des Senats nicht gerechtfertigt, da die Beeinträchtigung der Kniegelenkfunktion zu der Beeinträchtigung der Muskelfunktion des Unterschenkels hinzutritt und die muskuläre Kompensation der Bewegungseinschränkung des Gelenks erschwert ist. Außerdem ist eine verstärkte Schmerzzunahme nach Dr. T. nachvollziehbar.
47 
Der Rentenerhöhung steht - entgegen der vom Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vertretenen Rechtsauffassung - § 74 Abs. 2 SGB VII nicht entgegen. Die die erhöhte MdE begründenden Unfallfolgen lagen nach Dr. E. bereits ab Oktober 2004 vor, insbesondere das Unterschenkelgeschwür. Arbeitsunfähigkeit verneinte Dr. E.. Solche ist erst ab 25.01.2005 eingetreten, wie von Dr. K. bescheinigt. Bereits vor dem Zeitraum, der wegen Anspruch auf Verletztengeld nach § 74 Abs. 2 SGB VII einer Neufeststellung entgegensteht, lagen somit die Voraussetzungen der höheren Verletztenrente vor, die nach Antrag des Klägers aber erst ab 01.11.2004 begehrt wird.
48 
Für den Zeitraum nach dem 11.06.2006 ist der Senat ebenso wie das Sozialgericht davon überzeugt, dass die unfallbedingte MdE des Klägers nicht mehr als 20 v.H. beträgt. Der Senat stützt sich hierbei auf die überzeugenden Gutachten von Dr. B., Dr. T. und PD Dr. St.. Weitere unfallbedingte Gesundheitsstörungen liegen zur Überzeugung des Senats neben der unverändert auf orthopädischem Gebiet zu beurteilenden Unfallfolge nicht vor. Insoweit war die unbegründete Berufung zurückzuweisen.
49 
Der Bescheid vom 08.06.2006 ist rechtmäßig, denn die darin ausgesprochene Rücknahme von Unfallfolgen ist nach § 45 SGB X rechtlich zulässig. Da die Rücknahme nur mit Wirkung für die Zukunft ausgesprochen wurde und Vermögensdispositionen des Klägers im Vertrauen auf diese Unfallfolgen nicht ersichtlich sind, kann sich der Kläger auch nicht auf Vertrauensschutz i. S. v. § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X berufen. Ebenso ist die Zweijahresfrist für die Teilrücknahme des im Mai 2005 bekannt gegebenen Bescheides nach § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X berücksichtigt.
50 
Die Feststellung der Unfallfolgen aus dem Krankheitskomplex der Venenerkrankung war auch von Anfang an rechtswidrig, weshalb die Beklagte gem. § 45 Abs. 1 SGB X diese im Bescheid vom 24.05.2005 erfolgte Feststellung zurücknehmen konnte. Auch die Ermessensentscheidung der Beklagten ist beanstandungsfrei erfolgt.
51 
Sowohl Dr. T. wie auch PD Dr. St. haben überzeugend dargelegt, dass die Venenerkrankung des Klägers und das bei ihren Untersuchungen des Klägers nicht mehr zu diagnostizierende Lymphödem weder durch den Unfall verursacht noch verschlimmert worden sind. Dr. T. hat dargelegt, dass eine Thrombophlebitis und tiefe Beinvenenthrombose als Folge der Unfallverletzung oder der hierauf beruhenden Eingriffe den Akten nicht zu entnehmen ist. Eine auffällige Schwellung des linken Beins wird in den vielfältigen Untersuchungsbefunden ab Mai 2001 im Verlauf der Erkrankung erst durch Prof. Dr. H. im Mai 2003 beschrieben. Auch PD Dr. St. hat ein Thrombosegeschehen ausgeschlossen. Überzeugend haben die Sachverständigen ausgeführt, dass die Venenerkrankung durch die schwerwiegende Venenklappenschädigung der Vena saphena magna verursacht ist, die eine Stauungssymptomatik mit Ausbildung des Unterschenkelgeschwürs zur Folge hat. Nach PD Dr. St. haben zur Progression der Erkrankung das starke Übergewicht des Klägers, Immobilisation und eine unzureichende Kompressionstherapie beigetragen. Ob tatsächlich in der Vergangenheit auch kein Lymphödem vorgelegen hat, weil Phlebödem und Lymphödem palpatorisch schwer zu unterscheiden sind - wie Dr. T. ausführt - oder auch als Kombinationsform infolge des Krankheitsbildes der venösen Insuffizienz nicht selten vorkommen - wie PD Dr. St. ausführt - kann deshalb dahinstehen. Das nur zwischenzeitlich bestehende Lymphödem ist jedenfalls nicht unfallabhängig gewesen.
52 
Entgegen der Auffassung des Klägers kann sein deutliches Übergewicht nicht mit dem Unfall in Zusammenhang gebracht und deshalb der Unfallzusammenhang der Verschlechterung der Venenerkrankung bejaht werden. Bereits im Mai 2002 wird über eine signifikante Adipositas anlässlich der Vorstellung des Klägers in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. am 29.05.2002 berichtet (Zwischenbericht vom 07.06.2002). Im Juli 2002 betrug das Körpergewicht des Klägers 140 Kilogramm (Entlassungsbericht der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. vom 05.08.2002). Aus dem Entlassungsbericht der Reha-Klinik O. d. T. vom 29.08.2002 ergibt sich, dass der Kläger eigenen Angaben gemäß bereits "seit der Geburt" übergewichtig ist und bereits vier Jahre zuvor - also 1998 - ein Maximalgewicht von 175 Kilogramm hatte. Gewichtsschwankungen zwischen 20 bis 30 Kilogramm gab es daher bereits schon vor dem Unfall und die Gewichtsänderungen blieben danach ohne Auswirkungen auf die Beurteilung, ob noch Übergewichtigkeit vorliegt. Ebenso ist von Dr. T. nachvollziehbar dargelegt worden, dass der Immobilisation, soweit vom Unfall herrührend, keine wesentliche Rolle für die Verschlechterung der Venenerkrankung zukommt. Auch PD Dr. St. misst der Immobilisation keine hervorgehobene Bedeutung zu, weil für die Muskelpumpe als peripheres Herz die Beweglichkeit im oberen Sprunggelenk entscheidend ist, welche beim Kläger aber nicht unfallbedingt aufgehoben war. Dr. T. hat daher für den Senat überzeugend dargelegt, dass bei dieser Ausgangslage die zur Verschlechterung der Venenerkrankung führenden unfallunabhängigen Bedingungen etwaige mitwirkende unfallbedingte Faktoren weit in den Hintergrund drängen, sodass ein wesentlicher Zusammenhang des Unfalls mit der Verschlechterung der Venenerkrankung nicht gegeben ist. Dies steht auch im Einklang mit der unfallversicherungsrechtlichen und unfallmedizinischen Literatur (vgl. Mehrhoff u.a., a.a.O. S. 213). Eine Schmerzverstärkung durch die Venenerkrankung, die Dr. T. als nachvollziehbar beschreibt, ist daher – mit Ausnahme der Zeit bis zum 11.06.2006 allein aus Rechtsgründen - nicht dem Unfall zuzurechnen.
53 
Die zum wesentlichen Zusammenhang des Unfalls mit der Venenerkrankung und mit der Lymphödembildung erfolgte gegenteilige Einschätzung von Dr. K. und Dr. B., die die von Dr. T. und PD Dr. St. angestellten Erwägungen nicht berücksichtigt haben, ist daher für den Senat nicht überzeugend gewesen.
54 
Die von Dr. B. bei seiner MdE-Einschätzung mit berücksichtigten psychischen Auswirkungen - seiner Auffassung nach sei der Kläger durch den Unfall aus seiner persönlichen Lebensbahn geworfen worden - sind nicht auf den Unfall zurückzuführen. Für die von Psychiaterin P. diagnostizierte depressive Störung hat sie vornehmlich unfallunabhängige Lebensumstände des Klägers, wie die Krebserkrankung seines Vaters, sein Übergewicht - nun 180 Kilogramm - und Schmerzen bei starker Schwellneigung des Beines mit gestörtem Nachtschlaf, angeführt, die seine berufliche und soziale Situation beeinflussen. Das Unfallgeschehen und die hierauf beruhende Krankengeschichte spielen hierbei ersichtlich keine entscheidende Rolle.
55 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
56 
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Gründe

 
30 
Die gem. §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig.
31 
Die Berufung ist jedoch nur teilweise begründet. Verletztengeld kann nicht geltend gemacht werden und nach dem 11.06.2006 besteht kein Anspruch auf höhere Verletztenrente als nach einer MdE um 20 v.H. Insoweit ist die Berufung unbegründet. Der Kläger hat dagegen einen Anspruch auf höhere Verletztenrente im Zeitraum vom 01.11.2004 bis 11.06.2006. Insoweit ist die Berufung begründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts war dahingehend abzuändern, ist im Übrigen aber im Ergebnis nicht zu beanstanden.
32 
Die Klage auf Gewährung von Verletztengeld ist unzulässig geworden, weil die diesen Anspruch betreffende Klage entgegen der Rechtsauffassung des Sozialgerichts zurückgenommen wurde.
33 
Die Rücknahme der Klage ist als Prozesserklärung unwiderruflich und nicht anfechtbar. Sie muss nicht ausdrücklich erklärt werden, die Erklärung kann auch konkludent durch eine Antragsbeschränkung abgegeben werden (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 9. Aufl., § 102 Rdnr. 7 b, c, m. w. N.). Ausnahmsweise besteht eine Widerrufsmöglichkeit der Prozesserklärung bei einem offensichtlichen Versehen, gegebenenfalls nach vorausgegangener Falschbelehrung (vgl. Leitherer a. a. O., mit Hinweise auf BVerwG, Urteil vom 15.06. 2005 - 9 c 8/04 -, NVwZ-RR 05,7 139; BFHE 210, 4).
34 
Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 26.08.2008 vor dem Sozialgericht, der nach § 122 SGG i. V. m. § 165 Zivilprozessordnung (ZPO) volle Beweiskraft für die vorgeschriebenen Förmlichkeiten der mündlichen Verhandlung zukommt, ist vom damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers nur die Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 24.05.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.07.2005 i. d. F. des Bescheids vom 08.06.2006 und Verurteilung zur höheren Verletztenrente beantragt worden, die Aufhebung des Bescheids vom 08.06.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.09.2006 und Verurteilung zur Gewährung von Verletztengeld ist in der mündlichen Verhandlung nicht beantragt worden.
35 
Die Sitzungsniederschrift hat die wesentlichen Vorgänge der Verhandlung als zwingenden Inhalt wiederzugeben (§ 122 SGG, § 160 Abs. 2 ZPO), wozu auch die Anträge gehören (§ 160 Abs. 3 Nr. 2 ZPO). Die Beweiskraft der Sitzungsniederschrift erstreckt sich auch auf den Inhalt der Sachanträge, die nur durch den Nachweis der Fälschung entkräftet werden kann (§ 165 Satz 2 ZPO). Nach § 124 Abs. 1 SGG entscheidet das Gericht auf Grund der mündlichen Verhandlung. Zum Gang der mündlichen Verhandlung gehört die Antragstellung, die in der mündlichen Verhandlung ergänzt, berichtigt oder im Rahmen des § 99 SGG geändert werden kann (§ 112 Abs. 3 SGG). Das Gericht entscheidet über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein (§ 123 SGG).
36 
Der zur Entscheidung gestellte Anspruch i. S. von § 123 SGG ist der prozessuale Anspruch, der in den gestellten Anträgen, an deren Wortlaut das Gericht selbst nicht gebunden ist, zum Ausdruck kommt (herrschende Meinung, vgl. Bolay in Nomos Kommentar, SGG, 3. Aufl., § 123 Rdnr. 3 ff; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a. a. O. § 123 Rdnr. 3 ff, jeweils m. w. N.). Der anwaltlich vertretene Kläger hat einen eindeutig formulierten Sachantrag gestellt, aus dem sich die Grenze des prozessual verfolgten Anspruchs ergibt und über den das Gericht ohne Missachtung der dem Kläger zustehenden Dispositionsmaxime auch nicht hinausgehen darf. Eine Auslegung des tatsächlich Gewollten unter Heranziehung der im schriftlichen Verfahren angekündigten Anträge verbietet sich aber dann, wenn damit die Grenze des in der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck gekommenen und noch verfolgten Klagebegehrens, d. h. des prozessualen Anspruchs, überschritten wird (im Ergebnis ebenso Keller a. a. O. § 123 Rdnr. 3; Bolay a. a. O. § 123 Rdnr. 4). Aus der objektiven Sicht des Empfängerhorizonts hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten den ursprünglich verfolgten Anspruch auf Zahlung von Verletztengeld in der mündlichen Verhandlung nicht aufrechterhalten; ein solcher Anspruch war nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung, über den das Sozialgericht hätte entscheiden können. Aus der vom Sozialgericht in den Urteilsgründen angegebenen Literaturstelle (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a. a. O. § 112 Rdnr. 8) ergibt sich nichts anderes. Die Bezugnahme auf schriftlich gestellte Anträge ist möglich, eine ausdrückliche Antragstellung ist nicht geboten. Werden jedoch mündliche Anträge gestellt, sind diese in die Sitzungsniederschrift aufzunehmen. Eine neben der mündlichen Antragstellung erfolgte Bezugnahme auf schriftlich angekündigte Anträge ergibt sich vorliegend aus der Aktenlage nicht. Weder der Sitzungsniederschrift noch dem sonstigen Vorbringen des Klägers ist außerdem zu entnehmen, dass die Antragsbeschränkung widerrufen wurde oder der Kläger sich auf ein offensichtliches Versehen beruft. Durch die Antragsbeschränkung erfolgte Klagerücknahme ist der angefochtene Bescheid der Beklagten zur Ablehnung von Verletztengeld bestandskräftig geworden und das Klageverfahren war einzustellen. Soweit das Sozialgericht im angefochtenen Urteil über das Verletztengeld in der Sache entschieden hat, war dies rechtsfehlerhaft, was den Kläger jedoch nicht beschwert.
37 
Hinsichtlich des Anspruchs auf höhere Verletztenrente ist die zulässige Klage nur teilweise begründet. Eine unfallbedingte MdE um 50 v.H. ergibt sich aus Rechtsgründen für den Zeitraum ab 01.11.2004 bis 11.06.2006, danach beträgt die unfallbedingte MdE nicht mehr als 20 v.H.
38 
Die Bemessung der MdE ist eine vom Gericht gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu treffende Tatsachenfeststellung. Dies gilt für die Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ebenso wie für die auf der Grundlage medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen zu treffende Feststellung der ihm verbliebenen Erwerbsmöglichkeiten (BSG SozR 4-2700 § 56 Nr. 2; BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8, S 36 m. w. N.). Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind (BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22, 23; BSGE 82, 212 = SozR 3-2200 § 581 Nr. 5). Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE geschätzt werden (BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8). Die zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind deshalb bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der tägliche Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (BSG aaO; BSG Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R - SozR 4-2700 § 56 Nr 1).
39 
Nach diesen Grundsätzen hält der Senat eine auf unfallchirurgischem Fachgebiet zu beurteilende MdE um 20 v.H. für nachgewiesen.
40 
Auf unfallchirurgischem/orthopädischem Fachgebiet liegen beim Kläger am linken Kniegelenk die von Dr. B. und Dr. T.- letztlich auch von Dr. B. - beschriebenen Gelenkveränderungen vor, die zu den annähernd gleichermaßen ausgeprägten Bewegungseinschränkungen bei der Streckung und Beugung des Kniegelenkes bei den jeweiligen Untersuchungen durch die Ärzte führten. Dr. B. und Dr. T. haben dies überzeugend mit einer MdE um 20 v.H. bewertet. Zutreffend verweist Dr. T. darauf, dass nach der unfallmedizinischen Literatur (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl., S. 724) eine Einschränkung der Beugefähigkeit des Kniegelenkes bis 90 Grad ohne Streckhemmung mit einer MdE um 20 v.H. eingestuft wird. Erst bei einer Streckhemmung bis 30 Grad und Beugeeinschränkung bis 90 Grad ist danach eine MdE um 30 v.H. gerechtfertigt. Bei der Untersuchung durch Dr. B. am 26.01.2005 bestand keine Streckhemmung (Streckung bis fünf Grad liegt im Normbereich bis 10 Grad) und eine Beugefähigkeit bis 100 Grad, bei der Untersuchung durch Dr. T. am 19.12.2005 bestand keine Streckhemmung und eine Beugefähigkeit bis 95 Grad, bei der Untersuchung durch Dr. B. am 30.10.2007 bestand eine Streckhemmung bis 10 Grad und eine Beugefähigkeit bis 90 Grad. Ein Kniescheibenbruch mit intaktem Streckapparat ist mit einer MdE von 10 bis 20 v.H. bewertet. Eine straffe Kniescheibenpseudarthrose ohne Funktionsbehinderung des Streckapparates ist der gleichen Bewertungsstufe zugeordnet (vgl. Schönberger u. a., a. a. O.). Eine Lockerung der Kreuz- oder Seitenbänder haben aber weder Prof. Dr. H. und Dr. T. noch Dr. B. beschrieben.
41 
In den Bewertungsansätzen zur Beurteilung der MdE nach Bewegungseinschränkungen sind auch die üblichen Schmerzen mit berücksichtigt. Zwar beschreibt Dr. T. eine besondere Schmerzempfindlichkeit des Klägers und nimmt in seiner Diagnose eine somatoforme Schmerzstörung auf, die auch Dr. B. in seinem Gutachten anführt, aber Dr. T. sah sich nicht veranlasst, deshalb die nach den oben angeführten Beurteilungsgrundsätzen ermittelte MdE wegen das übliche Maß übersteigender Schmerzen anzuheben. Unter Berücksichtigung der sachverständigen Zeugenaussage der den Kläger seit April 2006 behandelnden Psychiaterin P. ist die Einschätzung von Dr. T. für den Senat nachvollziehbar. Sie hat in ihrer Zeugenaussage vom 03.05.2007 als Diagnosen eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittel- bis schwergradige Episode, und eine Lernbehinderung bei Zustand nach Meningitis im zweiten Lebensjahr angegeben. Eine somatoforme Schmerzstörung hat sie nicht diagnostiziert. Die behandelnde Ärztin ist als Psychiaterin zur Beurteilung einer somatoformen Schmerzstörung sachkundiger als der Orthopäde, weshalb die beim Kläger zu beobachtende Schmerzempfindlichkeit, die weder von Dr. B. noch von Dr. T. als unabhängig von den erkrankten Körperorganen beschrieben wird, ein (noch) nicht pathologisches Persönlichkeitsmerkmal ist, welches in der Bandbreite des noch üblichen Schmerzempfindens und Schmerzverarbeitung liegt.
42 
Entgegen der Auffassung von Dr. B. sind auch die von ihm angeführten langwierigen Behandlungsmaßnahmen mit mehrmaliger Arthroskopie und der Umstellungsosteotomie, die zur Arbeitsunfähigkeit des Klägers geführt haben, nach den oben dargestellten Grundsätzen keine die MdE beeinflussende Umstände.
43 
Der Senat hat keinen Anlass, das Gutachten von Dr. T. nicht zu verwerten. Eine mangelnde Objektivität oder fehlerhafte Schlussfolgerungen, insbesondere bei den auch von anderen Ärzten bestätigten Bewegungsmaßen und Befunden, sind dem Gutachten nicht zu entnehmen.
44 
Der Senat gelangt für den Zeitraum, in dem mit Bescheid vom 24.05.2005 ein sekundäres Lymphödem und ein Ulcus cruris am linken Unterschenkel mit Verschlimmerung der vorbestehenden chronischen venösen Insuffizienz als Unfallfolgen festgestellt sind, zu einer weiteren Teil-MdE um 40 v.H. auf internistischem/gefäßmedizinischem Gebiet. Da mit dem nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens gewordenen Bescheid der Beklagten vom 08.06.2006 die Feststellung dieser Unfallfolgen erst mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen worden sind, sind die Unfallfolgen bis zum Wirksamwerden des Aufhebungsbescheid durch Bekanntgabe (§ 39 Abs. 1 Sozialgesetzbuch X) zu berücksichtigen, unabhängig vom tatsächlichen unfallbedingten Zusammenhang. Der am 09.06.2006 zur Post gegebene Verwaltungsakt gilt als am dritten Tage, somit am 12.06.2006, als bekannt gegeben (§ 37 Abs. 2 SGB X).
45 
Diese Gesundheitsstörungen lagen auch im Zeitraum von Oktober 2004 bis Juni 2006 vor, denn Dr. E. diagnostizierte im Oktober 2004 das Unterschenkelgeschwür und das Lymphödem bei venöser Insuffizienz. Die Veneninsuffizienz und das Unterschenkelgeschwür bestanden auch noch bei den Untersuchungen durch Dr. T. im Januar 2006 und durch PD Dr. St. im Dezember 2006 fort, lediglich das Lymphödem war nicht mehr zu diagnostizieren. Das Ausmaß eines chronischen Stauungsödems und der Zustand des Weichteilmantels bemisst sich nach der unfallmedizinischen Literatur bei einer Schwellung mit therapieresistenten Ulcerationen (Geschwürbildungen) mit einer MdE um 40 v.H. Erfolgt die Bewertung ohne getragenen Kompressionsstrumpf ergibt sich bei einer Umfangsvermehrung von mehr als zwei Zentimetern mit therapieresistenten Ulcerationen ebenso eine MdE um 40 v.H. (vgl. Schönberger u. a., a.a.O., S. 673 u. 730; Mehrhoff/Meindl/Muhr, Unfallbegutachtung, 11. Aufl. S. 171). Die nicht näher begründete MdE-Einschätzung von Dr. K. mit 20 v.H. ist daher nicht überzeugend. Eine Seitendifferenz von drei Zentimetern (15 cm unterhalb inn. Gelenkspalt) und von zwei Zentimetern (kleinster Unterschenkelumfang) gibt Dr. B. in seinem Messblatt zur Untersuchung am 26.01.2005 wieder. Vor diesem Hintergrund ist die MdE-Einschätzung in seinem Gutachten vom 15.02.2005 mit einer Gesamt-MdE von 20 v.H. nicht nachvollziehbar, zumal unklar ist, ob er die Beurteilung im phlebologisch-lymphologischen Gutachten von Dr. K. zur unfallbedingten Verschlimmerung der Venenerkrankung auch als solche Feststellung verstanden hat. Immerhin sah sich die Beklagte zur Nachfrage bei Dr. K. deswegen veranlasst, der diesbezüglich sein Gutachten unter dem 18.03.2005 ergänzte, was Dr. B. nicht zur Kenntnis gelangte.
46 
Die für den hier maßgebenden Zeitraum zu berücksichtigenden Teil-MdE-Werte von 20 v.H. und 40 v.H. ergeben eine Gesamt-MdE um 50 v.H. Eine vollständig integrierende Berücksichtigung der Teil-MdE von 20 v.H. ist zur Überzeugung des Senats nicht gerechtfertigt, da die Beeinträchtigung der Kniegelenkfunktion zu der Beeinträchtigung der Muskelfunktion des Unterschenkels hinzutritt und die muskuläre Kompensation der Bewegungseinschränkung des Gelenks erschwert ist. Außerdem ist eine verstärkte Schmerzzunahme nach Dr. T. nachvollziehbar.
47 
Der Rentenerhöhung steht - entgegen der vom Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vertretenen Rechtsauffassung - § 74 Abs. 2 SGB VII nicht entgegen. Die die erhöhte MdE begründenden Unfallfolgen lagen nach Dr. E. bereits ab Oktober 2004 vor, insbesondere das Unterschenkelgeschwür. Arbeitsunfähigkeit verneinte Dr. E.. Solche ist erst ab 25.01.2005 eingetreten, wie von Dr. K. bescheinigt. Bereits vor dem Zeitraum, der wegen Anspruch auf Verletztengeld nach § 74 Abs. 2 SGB VII einer Neufeststellung entgegensteht, lagen somit die Voraussetzungen der höheren Verletztenrente vor, die nach Antrag des Klägers aber erst ab 01.11.2004 begehrt wird.
48 
Für den Zeitraum nach dem 11.06.2006 ist der Senat ebenso wie das Sozialgericht davon überzeugt, dass die unfallbedingte MdE des Klägers nicht mehr als 20 v.H. beträgt. Der Senat stützt sich hierbei auf die überzeugenden Gutachten von Dr. B., Dr. T. und PD Dr. St.. Weitere unfallbedingte Gesundheitsstörungen liegen zur Überzeugung des Senats neben der unverändert auf orthopädischem Gebiet zu beurteilenden Unfallfolge nicht vor. Insoweit war die unbegründete Berufung zurückzuweisen.
49 
Der Bescheid vom 08.06.2006 ist rechtmäßig, denn die darin ausgesprochene Rücknahme von Unfallfolgen ist nach § 45 SGB X rechtlich zulässig. Da die Rücknahme nur mit Wirkung für die Zukunft ausgesprochen wurde und Vermögensdispositionen des Klägers im Vertrauen auf diese Unfallfolgen nicht ersichtlich sind, kann sich der Kläger auch nicht auf Vertrauensschutz i. S. v. § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X berufen. Ebenso ist die Zweijahresfrist für die Teilrücknahme des im Mai 2005 bekannt gegebenen Bescheides nach § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X berücksichtigt.
50 
Die Feststellung der Unfallfolgen aus dem Krankheitskomplex der Venenerkrankung war auch von Anfang an rechtswidrig, weshalb die Beklagte gem. § 45 Abs. 1 SGB X diese im Bescheid vom 24.05.2005 erfolgte Feststellung zurücknehmen konnte. Auch die Ermessensentscheidung der Beklagten ist beanstandungsfrei erfolgt.
51 
Sowohl Dr. T. wie auch PD Dr. St. haben überzeugend dargelegt, dass die Venenerkrankung des Klägers und das bei ihren Untersuchungen des Klägers nicht mehr zu diagnostizierende Lymphödem weder durch den Unfall verursacht noch verschlimmert worden sind. Dr. T. hat dargelegt, dass eine Thrombophlebitis und tiefe Beinvenenthrombose als Folge der Unfallverletzung oder der hierauf beruhenden Eingriffe den Akten nicht zu entnehmen ist. Eine auffällige Schwellung des linken Beins wird in den vielfältigen Untersuchungsbefunden ab Mai 2001 im Verlauf der Erkrankung erst durch Prof. Dr. H. im Mai 2003 beschrieben. Auch PD Dr. St. hat ein Thrombosegeschehen ausgeschlossen. Überzeugend haben die Sachverständigen ausgeführt, dass die Venenerkrankung durch die schwerwiegende Venenklappenschädigung der Vena saphena magna verursacht ist, die eine Stauungssymptomatik mit Ausbildung des Unterschenkelgeschwürs zur Folge hat. Nach PD Dr. St. haben zur Progression der Erkrankung das starke Übergewicht des Klägers, Immobilisation und eine unzureichende Kompressionstherapie beigetragen. Ob tatsächlich in der Vergangenheit auch kein Lymphödem vorgelegen hat, weil Phlebödem und Lymphödem palpatorisch schwer zu unterscheiden sind - wie Dr. T. ausführt - oder auch als Kombinationsform infolge des Krankheitsbildes der venösen Insuffizienz nicht selten vorkommen - wie PD Dr. St. ausführt - kann deshalb dahinstehen. Das nur zwischenzeitlich bestehende Lymphödem ist jedenfalls nicht unfallabhängig gewesen.
52 
Entgegen der Auffassung des Klägers kann sein deutliches Übergewicht nicht mit dem Unfall in Zusammenhang gebracht und deshalb der Unfallzusammenhang der Verschlechterung der Venenerkrankung bejaht werden. Bereits im Mai 2002 wird über eine signifikante Adipositas anlässlich der Vorstellung des Klägers in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. am 29.05.2002 berichtet (Zwischenbericht vom 07.06.2002). Im Juli 2002 betrug das Körpergewicht des Klägers 140 Kilogramm (Entlassungsbericht der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. vom 05.08.2002). Aus dem Entlassungsbericht der Reha-Klinik O. d. T. vom 29.08.2002 ergibt sich, dass der Kläger eigenen Angaben gemäß bereits "seit der Geburt" übergewichtig ist und bereits vier Jahre zuvor - also 1998 - ein Maximalgewicht von 175 Kilogramm hatte. Gewichtsschwankungen zwischen 20 bis 30 Kilogramm gab es daher bereits schon vor dem Unfall und die Gewichtsänderungen blieben danach ohne Auswirkungen auf die Beurteilung, ob noch Übergewichtigkeit vorliegt. Ebenso ist von Dr. T. nachvollziehbar dargelegt worden, dass der Immobilisation, soweit vom Unfall herrührend, keine wesentliche Rolle für die Verschlechterung der Venenerkrankung zukommt. Auch PD Dr. St. misst der Immobilisation keine hervorgehobene Bedeutung zu, weil für die Muskelpumpe als peripheres Herz die Beweglichkeit im oberen Sprunggelenk entscheidend ist, welche beim Kläger aber nicht unfallbedingt aufgehoben war. Dr. T. hat daher für den Senat überzeugend dargelegt, dass bei dieser Ausgangslage die zur Verschlechterung der Venenerkrankung führenden unfallunabhängigen Bedingungen etwaige mitwirkende unfallbedingte Faktoren weit in den Hintergrund drängen, sodass ein wesentlicher Zusammenhang des Unfalls mit der Verschlechterung der Venenerkrankung nicht gegeben ist. Dies steht auch im Einklang mit der unfallversicherungsrechtlichen und unfallmedizinischen Literatur (vgl. Mehrhoff u.a., a.a.O. S. 213). Eine Schmerzverstärkung durch die Venenerkrankung, die Dr. T. als nachvollziehbar beschreibt, ist daher – mit Ausnahme der Zeit bis zum 11.06.2006 allein aus Rechtsgründen - nicht dem Unfall zuzurechnen.
53 
Die zum wesentlichen Zusammenhang des Unfalls mit der Venenerkrankung und mit der Lymphödembildung erfolgte gegenteilige Einschätzung von Dr. K. und Dr. B., die die von Dr. T. und PD Dr. St. angestellten Erwägungen nicht berücksichtigt haben, ist daher für den Senat nicht überzeugend gewesen.
54 
Die von Dr. B. bei seiner MdE-Einschätzung mit berücksichtigten psychischen Auswirkungen - seiner Auffassung nach sei der Kläger durch den Unfall aus seiner persönlichen Lebensbahn geworfen worden - sind nicht auf den Unfall zurückzuführen. Für die von Psychiaterin P. diagnostizierte depressive Störung hat sie vornehmlich unfallunabhängige Lebensumstände des Klägers, wie die Krebserkrankung seines Vaters, sein Übergewicht - nun 180 Kilogramm - und Schmerzen bei starker Schwellneigung des Beines mit gestörtem Nachtschlaf, angeführt, die seine berufliche und soziale Situation beeinflussen. Das Unfallgeschehen und die hierauf beruhende Krankengeschichte spielen hierbei ersichtlich keine entscheidende Rolle.
55 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
56 
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Die Vorschriften des Ersten bis Neunten Kapitels gelten für Versicherungsfälle, die nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eintreten, soweit in den folgenden Vorschriften nicht etwas anderes bestimmt ist.

(1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sind auf die Beweisaufnahme die §§ 358 bis 363, 365 bis 378, 380 bis 386, 387 Abs. 1 und 2, §§ 388 bis 390, 392 bis 406 Absatz 1 bis 4, die §§ 407 bis 444, 478 bis 484 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden. Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Weigerung nach § 387 der Zivilprozeßordnung ergeht durch Beschluß.

(2) Zeugen und Sachverständige werden nur beeidigt, wenn das Gericht dies im Hinblick auf die Bedeutung des Zeugnisses oder Gutachtens für die Entscheidung des Rechtsstreits für notwendig erachtet.

(3) Der Vorsitzende kann das Auftreten eines Prozeßbevollmächtigten untersagen, solange die Partei trotz Anordnung ihres persönlichen Erscheinens unbegründet ausgeblieben ist und hierdurch der Zweck der Anordnung vereitelt wird.

Die Vorschriften des Ersten bis Neunten Kapitels gelten für Versicherungsfälle, die nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eintreten, soweit in den folgenden Vorschriften nicht etwas anderes bestimmt ist.

(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, daß die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind. In der Rechtsverordnung kann ferner bestimmt werden, inwieweit Versicherte in Unternehmen der Seefahrt auch in der Zeit gegen Berufskrankheiten versichert sind, in der sie an Land beurlaubt sind.

(1a) Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ein Ärztlicher Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten gebildet. Der Sachverständigenbeirat ist ein wissenschaftliches Gremium, das das Bundesministerium bei der Prüfung der medizinischen Erkenntnisse zur Bezeichnung neuer und zur Erarbeitung wissenschaftlicher Stellungnahmen zu bestehenden Berufskrankheiten unterstützt. Bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wird eine Geschäftsstelle eingerichtet, die den Sachverständigenbeirat bei der Erfüllung seiner Arbeit organisatorisch und wissenschaftlich, insbesondere durch die Erstellung systematischer Reviews, unterstützt. Das Nähere über die Stellung und die Organisation des Sachverständigenbeirats und der Geschäftsstelle regelt die Bundesregierung in der Rechtsverordnung nach Absatz 1.

(2) Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind.

(2a) Krankheiten, die bei Versicherten vor der Bezeichnung als Berufskrankheiten bereits entstanden waren, sind rückwirkend frühestens anzuerkennen

1.
in den Fällen des Absatzes 1 als Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die Bezeichnung in Kraft getreten ist,
2.
in den Fällen des Absatzes 2 wie eine Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorgelegen haben; hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten eine Empfehlung für die Bezeichnung einer neuen Berufskrankheit beschlossen, ist für die Anerkennung maßgebend der Tag der Beschlussfassung.

(3) Erkranken Versicherte, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach Absatz 1 genannten Berufskrankheit ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, wird vermutet, daß diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist.

(3a) Der Unfallversicherungsträger erhebt alle Beweise, die zur Ermittlung des Sachverhalts erforderlich sind. Dabei hat er neben den in § 21 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Beweismitteln auch Erkenntnisse zu berücksichtigen, die er oder ein anderer Unfallversicherungsträger an vergleichbaren Arbeitsplätzen oder zu vergleichbaren Tätigkeiten gewonnen hat. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Ermittlungen zu den Einwirkungen während der versicherten Tätigkeit dadurch erschwert sind, dass der Arbeitsplatz des Versicherten nicht mehr oder nur in veränderter Gestaltung vorhanden ist. Die Unfallversicherungsträger sollen zur Erfüllung der Aufgaben nach den Sätzen 2 und 3 einzeln oder gemeinsam tätigkeitsbezogene Expositionskataster erstellen. Grundlage für diese Kataster können die Ergebnisse aus systematischen Erhebungen, aus Ermittlungen in Einzelfällen sowie aus Forschungsvorhaben sein. Die Unfallversicherungsträger können außerdem Erhebungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen durchführen.

(4) Besteht für Versicherte, bei denen eine Berufskrankheit anerkannt wurde, die Gefahr, dass bei der Fortsetzung der versicherten Tätigkeit die Krankheit wiederauflebt oder sich verschlimmert und lässt sich diese Gefahr nicht durch andere geeignete Mittel beseitigen, haben die Unfallversicherungsträger darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen. Die Versicherten sind von den Unfallversicherungsträgern über die mit der Tätigkeit verbundenen Gefahren und mögliche Schutzmaßnahmen umfassend aufzuklären. Zur Verhütung einer Gefahr nach Satz 1 sind die Versicherten verpflichtet, an individualpräventiven Maßnahmen der Unfallversicherungsträger teilzunehmen und an Maßnahmen zur Verhaltensprävention mitzuwirken; die §§ 60 bis 65a des Ersten Buches gelten entsprechend. Pflichten der Unternehmer und Versicherten nach dem Zweiten Kapitel und nach arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften bleiben hiervon unberührt. Kommen Versicherte ihrer Teilnahme- oder Mitwirkungspflicht nach Satz 3 nicht nach, können die Unfallversicherungsträger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder die Leistung einer danach erstmals festzusetzenden Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit oder den Anteil einer Rente, der auf eine danach eingetretene wesentliche Änderung im Sinne des § 73 Absatz 3 zurückgeht, bis zur Nachholung der Teilnahme oder Mitwirkung ganz oder teilweise versagen. Dies setzt voraus, dass infolge der fehlenden Teilnahme oder Mitwirkung der Versicherten die Teilhabeleistungen erforderlich geworden sind oder die Erwerbsminderung oder die wesentliche Änderung eingetreten ist; § 66 Absatz 3 und § 67 des Ersten Buches gelten entsprechend.

(5) Soweit Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen.

(6) Die Bundesregierung regelt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates

1.
Voraussetzungen, Art und Umfang von Leistungen zur Verhütung des Entstehens, der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens von Berufskrankheiten,
2.
die Mitwirkung der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen bei der Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind; dabei kann bestimmt werden, daß die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen berechtigt sind, Zusammenhangsgutachten zu erstellen sowie zur Vorbereitung ihrer Gutachten Versicherte zu untersuchen oder auf Kosten der Unfallversicherungsträger andere Ärzte mit der Vornahme der Untersuchungen zu beauftragen,
3.
die von den Unfallversicherungsträgern für die Tätigkeit der Stellen nach Nummer 2 zu entrichtenden Gebühren; diese Gebühren richten sich nach dem für die Begutachtung erforderlichen Aufwand und den dadurch entstehenden Kosten.

(7) Die Unfallversicherungsträger haben die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständige Stelle über den Ausgang des Berufskrankheitenverfahrens zu unterrichten, soweit ihre Entscheidung von der gutachterlichen Stellungnahme der zuständigen Stelle abweicht.

(8) Die Unfallversicherungsträger wirken bei der Gewinnung neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse insbesondere zur Fortentwicklung des Berufskrankheitenrechts mit; sie sollen durch eigene Forschung oder durch Beteiligung an fremden Forschungsvorhaben dazu beitragen, den Ursachenzusammenhang zwischen Erkrankungshäufigkeiten in einer bestimmten Personengruppe und gesundheitsschädlichen Einwirkungen im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit aufzuklären. Die Verbände der Unfallversicherungsträger veröffentlichen jährlich einen gemeinsamen Bericht über ihre Forschungsaktivitäten und die Forschungsaktivitäten der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Bericht erstreckt sich auf die Themen der Forschungsvorhaben, die Höhe der aufgewendeten Mittel sowie die Zuwendungsempfänger und Forschungsnehmer externer Projekte.

(9) Die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen dürfen zur Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind, Daten verarbeiten sowie zur Vorbereitung von Gutachten Versicherte untersuchen, soweit dies im Rahmen ihrer Mitwirkung nach Absatz 6 Nr. 2 erforderlich ist; sie dürfen diese Daten insbesondere an den zuständigen Unfallversicherungsträger übermitteln. Die erhobenen Daten dürfen auch zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren gespeichert, verändert, genutzt, übermittelt oder in der Verarbeitung eingeschränkt werden. Soweit die in Satz 1 genannten Stellen andere Ärzte mit der Vornahme von Untersuchungen beauftragen, ist die Übermittlung von Daten zwischen diesen Stellen und den beauftragten Ärzten zulässig, soweit dies im Rahmen des Untersuchungsauftrages erforderlich ist.

Der Ausbildungsberuf Berufskraftfahrer/Berufskraftfahrerin wird staatlich anerkannt.

(1) Kraft Gesetzes sind versichert

1.
Beschäftigte,
2.
Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung in Betriebsstätten, Lehrwerkstätten, Schulungskursen und ähnlichen Einrichtungen,
3.
Personen, die sich Untersuchungen, Prüfungen oder ähnlichen Maßnahmen unterziehen, die aufgrund von Rechtsvorschriften zur Aufnahme einer versicherten Tätigkeit oder infolge einer abgeschlossenen versicherten Tätigkeit erforderlich sind, soweit diese Maßnahmen vom Unternehmen oder einer Behörde veranlaßt worden sind,
4.
behinderte Menschen, die in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen, bei einem anderen Leistungsanbieter nach § 60 des Neunten Buches oder in Blindenwerkstätten im Sinne des § 226 des Neunten Buches oder für diese Einrichtungen in Heimarbeit tätig sind,
5.
Personen, die
a)
Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens sind und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
b)
im landwirtschaftlichen Unternehmen nicht nur vorübergehend mitarbeitende Familienangehörige sind,
c)
in landwirtschaftlichen Unternehmen in der Rechtsform von Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften regelmäßig wie Unternehmer selbständig tätig sind,
d)
ehrenamtlich in Unternehmen tätig sind, die unmittelbar der Sicherung, Überwachung oder Förderung der Landwirtschaft überwiegend dienen,
e)
ehrenamtlich in den Berufsverbänden der Landwirtschaft tätig sind,
wenn für das Unternehmen die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft zuständig ist.
6.
Hausgewerbetreibende und Zwischenmeister sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
7.
selbständig tätige Küstenschiffer und Küstenfischer, die zur Besatzung ihres Fahrzeugs gehören oder als Küstenfischer ohne Fahrzeug fischen und regelmäßig nicht mehr als vier Arbeitnehmer beschäftigen, sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
8.
a)
Kinder während des Besuchs von Tageseinrichtungen, deren Träger für den Betrieb der Einrichtungen der Erlaubnis nach § 45 des Achten Buches oder einer Erlaubnis aufgrund einer entsprechenden landesrechtlichen Regelung bedürfen, während der Betreuung durch geeignete Tagespflegepersonen im Sinne von § 23 des Achten Buches sowie während der Teilnahme an vorschulischen Sprachförderungskursen, wenn die Teilnahme auf Grund landesrechtlicher Regelungen erfolgt,
b)
Schüler während des Besuchs von allgemein- oder berufsbildenden Schulen und während der Teilnahme an unmittelbar vor oder nach dem Unterricht von der Schule oder im Zusammenwirken mit ihr durchgeführten Betreuungsmaßnahmen,
c)
Studierende während der Aus- und Fortbildung an Hochschulen,
9.
Personen, die selbständig oder unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege tätig sind,
10.
Personen, die
a)
für Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts oder deren Verbände oder Arbeitsgemeinschaften, für die in den Nummern 2 und 8 genannten Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen Fällen mit schriftlicher Genehmigung von Gebietskörperschaften ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
b)
für öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften und deren Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen Fällen mit schriftlicher Genehmigung von öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
11.
Personen, die
a)
von einer Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts zur Unterstützung einer Diensthandlung herangezogen werden,
b)
von einer dazu berechtigten öffentlichen Stelle als Zeugen zur Beweiserhebung herangezogen werden,
12.
Personen, die in Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen oder im Zivilschutz unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen dieser Unternehmen einschließlich der satzungsmäßigen Veranstaltungen, die der Nachwuchsförderung dienen, teilnehmen,
13.
Personen, die
a)
bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten oder einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retten,
b)
Blut oder körpereigene Organe, Organteile oder Gewebe spenden oder bei denen Voruntersuchungen oder Nachsorgemaßnahmen anlässlich der Spende vorgenommen werden,
c)
sich bei der Verfolgung oder Festnahme einer Person, die einer Straftat verdächtig ist oder zum Schutz eines widerrechtlich Angegriffenen persönlich einsetzen,
d)
Tätigkeiten als Notärztin oder Notarzt im Rettungsdienst ausüben, wenn diese Tätigkeiten neben
aa)
einer Beschäftigung mit einem Umfang von regelmäßig mindestens 15 Stunden wöchentlich außerhalb des Rettungsdienstes oder
bb)
einer Tätigkeit als zugelassener Vertragsarzt oder als Arzt in privater Niederlassung
ausgeübt werden,
14.
Personen, die
a)
nach den Vorschriften des Zweiten oder des Dritten Buches der Meldepflicht unterliegen, wenn sie einer besonderen, an sie im Einzelfall gerichteten Aufforderung der Bundesagentur für Arbeit, des nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Zweiten Buches zuständigen Trägers oder eines nach § 6a des Zweiten Buches zugelassenen kommunalen Trägers nachkommen, diese oder eine andere Stelle aufzusuchen,
b)
an einer Maßnahme teilnehmen, wenn die Person selbst oder die Maßnahme über die Bundesagentur für Arbeit, einen nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Zweiten Buches zuständigen Träger oder einen nach § 6a des Zweiten Buches zugelassenen kommunalen Träger gefördert wird,
15.
Personen, die
a)
auf Kosten einer Krankenkasse oder eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der landwirtschaftlichen Alterskasse stationäre oder teilstationäre Behandlung oder stationäre, teilstationäre oder ambulante Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhalten,
b)
zur Vorbereitung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auf Aufforderung eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit einen dieser Träger oder eine andere Stelle aufsuchen,
c)
auf Kosten eines Unfallversicherungsträgers an vorbeugenden Maßnahmen nach § 3 der Berufskrankheiten-Verordnung teilnehmen,
d)
auf Kosten eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung, der landwirtschaftlichen Alterskasse oder eines Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung an Präventionsmaßnahmen teilnehmen,
16.
Personen, die bei der Schaffung öffentlich geförderten Wohnraums im Sinne des Zweiten Wohnungsbaugesetzes oder im Rahmen der sozialen Wohnraumförderung bei der Schaffung von Wohnraum im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 des Wohnraumförderungsgesetzes oder entsprechender landesrechtlicher Regelungen im Rahmen der Selbsthilfe tätig sind,
17.
Pflegepersonen im Sinne des § 19 Satz 1 und 2 des Elften Buches bei der Pflege eines Pflegebedürftigen mit mindestens Pflegegrad 2 im Sinne der §§ 14 und 15 Absatz 3 des Elften Buches; die versicherte Tätigkeit umfasst pflegerische Maßnahmen in den in § 14 Absatz 2 des Elften Buches genannten Bereichen sowie Hilfen bei der Haushaltsführung nach § 18 Absatz 5a Satz 3 Nummer 2 des Elften Buches.

(1a) Versichert sind auch Personen, die nach Erfüllung der Schulpflicht auf der Grundlage einer schriftlichen Vereinbarung im Dienst eines geeigneten Trägers im Umfang von durchschnittlich mindestens acht Wochenstunden und für die Dauer von mindestens sechs Monaten als Freiwillige einen Freiwilligendienst aller Generationen unentgeltlich leisten. Als Träger des Freiwilligendienstes aller Generationen geeignet sind inländische juristische Personen des öffentlichen Rechts oder unter § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes fallende Einrichtungen zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger oder kirchlicher Zwecke (§§ 52 bis 54 der Abgabenordnung), wenn sie die Haftpflichtversicherung und eine kontinuierliche Begleitung der Freiwilligen und deren Fort- und Weiterbildung im Umfang von mindestens durchschnittlich 60 Stunden je Jahr sicherstellen. Die Träger haben fortlaufende Aufzeichnungen zu führen über die bei ihnen nach Satz 1 tätigen Personen, die Art und den Umfang der Tätigkeiten und die Einsatzorte. Die Aufzeichnungen sind mindestens fünf Jahre lang aufzubewahren.

(2) Ferner sind Personen versichert, die wie nach Absatz 1 Nr. 1 Versicherte tätig werden. Satz 1 gilt auch für Personen, die während einer aufgrund eines Gesetzes angeordneten Freiheitsentziehung oder aufgrund einer strafrichterlichen, staatsanwaltlichen oder jugendbehördlichen Anordnung wie Beschäftigte tätig werden.

(3) Absatz 1 Nr. 1 gilt auch für

1.
Personen, die im Ausland bei einer amtlichen Vertretung des Bundes oder der Länder oder bei deren Leitern, Mitgliedern oder Bediensteten beschäftigt und in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 4 Absatz 1 Satz 2 des Sechsten Buches pflichtversichert sind,
2.
Personen, die
a)
im Sinne des Entwicklungshelfer-Gesetzes Entwicklungsdienst oder Vorbereitungsdienst leisten,
b)
einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst „weltwärts” im Sinne der Richtlinie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vom 1. August 2007 (BAnz. 2008 S. 1297) leisten,
c)
einen Internationalen Jugendfreiwilligendienst im Sinne der Richtlinie Internationaler Jugendfreiwilligendienst des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 20. Dezember 2010 (GMBl S. 1778) leisten,
3.
Personen, die
a)
eine Tätigkeit bei einer zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Organisation ausüben und deren Beschäftigungsverhältnis im öffentlichen Dienst während dieser Zeit ruht,
b)
als Lehrkräfte vom Auswärtigen Amt durch das Bundesverwaltungsamt an Schulen im Ausland vermittelt worden sind oder
c)
für ihre Tätigkeit bei internationalen Einsätzen zur zivilen Krisenprävention als Sekundierte nach dem Sekundierungsgesetz abgesichert werden.
Die Versicherung nach Satz 1 Nummer 3 Buchstabe a und c erstreckt sich auch auf Unfälle oder Krankheiten, die infolge einer Verschleppung oder einer Gefangenschaft eintreten oder darauf beruhen, dass der Versicherte aus sonstigen mit seiner Tätigkeit zusammenhängenden Gründen, die er nicht zu vertreten hat, dem Einflussbereich seines Arbeitgebers oder der für die Durchführung seines Einsatzes verantwortlichen Einrichtung entzogen ist. Gleiches gilt, wenn Unfälle oder Krankheiten auf gesundheitsschädigende oder sonst vom Inland wesentlich abweichende Verhältnisse bei der Tätigkeit oder dem Einsatz im Ausland zurückzuführen sind. Soweit die Absätze 1 bis 2 weder eine Beschäftigung noch eine selbständige Tätigkeit voraussetzen, gelten sie abweichend von § 3 Nr. 2 des Vierten Buches für alle Personen, die die in diesen Absätzen genannten Tätigkeiten im Inland ausüben; § 4 des Vierten Buches gilt entsprechend. Absatz 1 Nr. 13 gilt auch für Personen, die im Ausland tätig werden, wenn sie im Inland ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

(4) Familienangehörige im Sinne des Absatzes 1 Nr. 5 Buchstabe b sind

1.
Verwandte bis zum dritten Grade,
2.
Verschwägerte bis zum zweiten Grade,
3.
Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 2 des Ersten Buches)
der Unternehmer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner.

(1) Auf schriftlichen oder elektronischen Antrag können sich versichern

1.
Unternehmer und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner; ausgenommen sind Haushaltsführende, Unternehmer von nicht gewerbsmäßig betriebenen Binnenfischereien, von nicht gewerbsmäßig betriebenen Unternehmen nach § 123 Abs. 1 Nr. 2 und ihre Ehegatten oder Lebenspartner sowie Fischerei- und Jagdgäste,
2.
Personen, die in Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften regelmäßig wie Unternehmer selbständig tätig sind,
3.
gewählte oder beauftragte Ehrenamtsträger in gemeinnützigen Organisationen,
4.
Personen, die in Verbandsgremien und Kommissionen für Arbeitgeberorganisationen und Gewerkschaften sowie anderen selbständigen Arbeitnehmervereinigungen mit sozial- oder berufspolitischer Zielsetzung (sonstige Arbeitnehmervereinigungen) ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
5.
Personen, die ehrenamtlich für Parteien im Sinne des Parteiengesetzes tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen.
In den Fällen des Satzes 1 Nummer 3 kann auch die Organisation, für die die Ehrenamtsträger tätig sind, oder ein Verband, in dem die Organisation Mitglied ist, den Antrag stellen; eine namentliche Bezeichnung der Versicherten ist in diesen Fällen nicht erforderlich. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 4 und 5 gilt Satz 2 entsprechend.

(2) Die Versicherung beginnt mit dem Tag, der dem Eingang des Antrags folgt. Die Versicherung erlischt, wenn der Beitrag oder Beitragsvorschuß binnen zwei Monaten nach Fälligkeit nicht gezahlt worden ist. Eine Neuanmeldung bleibt so lange unwirksam, bis der rückständige Beitrag oder Beitragsvorschuß entrichtet worden ist.

Der Auszubildende hat ein Berichtsheft in Form eines Ausbildungsnachweises zu führen. Ihm ist Gelegenheit zu geben, das Berichtsheft während der Ausbildungszeit zu führen. Der Ausbildende hat das Berichtsheft regelmäßig durchzusehen.

Tenor

1. Verwirft ein oberstes Bundesgericht die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision, weil es alle wesentlichen Aspekte einer Verfassungsfrage bereits als in seiner Rechtsprechung geklärt ansieht, steht dies der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht entgegen, wenn der Beschwerdeführer vernünftige und gewichtige Gründe für eine Überprüfung dieser Rechtsfrage anführen kann und es sich um eine ungeklärte verfassungsrechtliche Frage handelt.

2. Der gesetzliche Anspruch auf Arbeitslosenhilfe nach den §§ 190 bis 206 Sozialgesetzbuch Drittes Buch in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung unterlag nicht dem grundrechtlichen Eigentumsschutz des Art. 14 Abs. 1 GG.

3. Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe mit Wirkung zum 1. Januar 2005 ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe zum 1. Januar 2005.

I.

2

1. Die gesetzliche Trennung zwischen einer beitragsfinanzierten "regulären" Entgeltersatzleistung wegen Arbeitslosigkeit und einer steuerfinanzierten Leistung für bestimmte Ausnahmefälle steht in einer jahrzehntelangen Tradition.

3

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde im Jahr 1918 in Deutschland erstmals eine Erwerbslosenfürsorge eingeführt und zwar für arbeitsfähige und arbeitswillige Personen über 14 Jahre, die sich infolge des Krieges durch Erwerbslosigkeit in bedürftiger Lage befanden (§ 6 Satz 1 der Verordnung über Erwerbslosenfürsorge vom 13. November 1918, RGBl S. 1305). Die Mittel zu ihrer Finanzierung wurden zunächst zu fünf Sechsteln vom Reich und dem zuständigen Bundesstaat und im Übrigen von der jeweiligen Gemeinde aufgebracht, wobei für leistungsschwache Gemeinden oder einzelne Bezirke eine Erhöhung der Reichsbeihilfe bewilligt werden konnte (§ 4 Sätze 1 und 2 der Verordnung). Mit § 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 3 der Verordnung über die Aufbringung der Mittel für die Erwerbslosenfürsorge vom 13. Oktober 1923 (RGBl I S. 946) wurde die Finanzierung geändert. Ein erheblicher Teil des "notwendigen Aufwandes" für die Erwerbslosenfürsorge wurde nun durch Beiträge der Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgebracht und gemeinsam mit den Krankenkassenbeiträgen erhoben. Diese Regelung wurde später in die §§ 33 ff. der Verordnung über Erwerbslosenfürsorge in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. Februar 1924 (RGBl I S. 127) aufgenommen.

4

Durch Gesetz vom 19. November 1926 (RGBl I S. 489) wurde dann eine Krisenfürsorge für Erwerbslose eingeführt. Sie ist als Vorläufer der Arbeitslosenhilfe anzusehen (vgl. BVerfGE 9, 20 <22>) und diente vor allem zur Absicherung von Arbeitslosen, die ihren Anspruch auf Erwerbslosenfürsorge erschöpft hatten (§ 1 Abs. 1 des Gesetzes). Wegen der Leistungsvoraussetzungen verwies das Gesetz in § 2 auf die Vorschriften zur Erwerbslosenfürsorge; jedoch waren die finanziellen Mittel zu drei Vierteln vom Reich und zu einem Viertel von den Gemeinden aufzubringen (§ 7 Abs. 1 des Gesetzes).

5

Mit dem Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) vom 16. Juli 1927 (RGBl I S. 187) wurde schließlich die Arbeitslosenversicherung errichtet. Sie umfasste einerseits die Arbeitslosenunterstützung und andererseits eine Krisenunterstützung, die "in Zeiten andauernd besonders ungünstiger Arbeitsmarktlage" vom Reichsarbeitsminister für bedürftige Arbeitslose, die keinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung hatten, zugelassen werden konnte (§ 101 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Abs. 2 AVAVG). Während sich die Höhe der Arbeitslosenunterstützung nach dem zuletzt erzielten Arbeitsentgelt (§§ 104, 105 AVAVG) zuzüglich Familienzuschlägen (§ 103 AVAVG) richtete, konnten die Höhe und die Dauer der Krisenunterstützung vom Reichsarbeitsminister beschränkt werden (§ 101 Abs. 1 Satz 3 AVAVG). Die von der Reichsanstalt für Arbeit zur Durchführung ihrer Aufgaben benötigten Mittel wurden durch Beiträge der Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgebracht (§ 142 AVAVG); "von dem notwendigen Aufwand" für die Krisenunterstützung trugen hingegen das Reich 80 % und die Gemeinden 20 % (§ 167 Abs. 1 AVAVG). Ihre endgültige Gestalt erhielt die Arbeitslosenhilfe durch das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 23. Dezember 1956 (BGBl I S. 1018; §§ 141 bis 141m AVAVG, später §§ 144 bis 156 AVAVG in der Fassung vom 3. April 1957, BGBl I S. 322). Das Gesetz sah nunmehr eine Unterstützung Arbeitsloser in den Formen des Arbeitslosengeldes und der Arbeitslosenhilfe vor. Im Gegensatz zum Arbeitslosengeld setzte der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe Bedürftigkeit voraus (§ 145 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AVAVG). Die Aufwendungen für die Arbeitslosenhilfe trug nach § 1 Satz 2 AVAVG der Bund.

6

Das am 1. Juli 1969 in Kraft getretene Arbeitsförderungsgesetz (AFG) vom 25. Juni 1969 (BGBl I S. 582) änderte hieran wenig. Arbeitslosenhilfe wurde weiterhin nur an bedürftige Arbeitslose erbracht (§ 134 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AFG). Die Höhe der Leistung richtete sich nach dem früheren Arbeitsentgelt, jedoch in niedrigerem Anteil als beim Arbeitslosengeld; die Kosten trug der Bund (§ 188 Satz 1 AFG).

7

Der Übergang vom Arbeitsförderungsgesetz zu dem ab dem 1. Januar 1998 geltenden Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) brachte in dieser Hinsicht ebenfalls keine wesentlichen Änderungen. Allerdings wurde durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch vom 22. Dezember 1999 (BGBl I S. 2624) die originäre Arbeitslosenhilfe, die in Sonderfällen ohne vorherigen Bezug von Arbeitslosengeld geleistet wurde, mit Wirkung zum 1. Januar 2000 gestrichen (vgl. BVerfGK 6, 126).

8

2. Die Arbeitslosenhilfe war in ihrer letzten, bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Form in den §§ 190 bis 206 SGB III a.F. geregelt. Es handelte sich um eine aus Steuermitteln finanzierte Entgeltersatzleistung bei Arbeitslosigkeit (§ 363 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F.), die von der Bundesagentur für Arbeit im Auftrag des Bundes erbracht wurde (§ 205 Satz 1 SGB III a.F.). Sie war auf der Tatbestandsseite bedürftigkeitsabhängig (§ 190 Abs. 1 Nr. 5, §§ 193, 194 SGB III a.F.), orientierte sich auf der Rechtsfolgenseite jedoch nicht am Bedarf des Empfängers, sondern an dessen letztem Arbeitsentgelt. Die Arbeitslosenhilfe belief sich auf einen bestimmten Prozentsatz eines pauschalierten Nettoarbeitsentgelts. Der auf diese Weise errechnete Betrag verminderte sich um das im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung anzurechnende Einkommen und Vermögen des Hilfeempfängers (§ 195 Satz 2 SGB III a.F.).

9

Der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe setzte neben der Bedürftigkeit voraus, dass der Arbeitnehmer arbeitslos war (§ 190 Abs. 1 Nr. 1 SGB III a.F.), sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet hatte (§ 190 Abs. 1 Nr. 2 SGB III a.F.), er keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld besaß, weil er die Anwartschaftszeit nicht erfüllt hatte (§ 190 Abs. 1 Nr. 3 SGB III a.F.), und er in einer Vorfrist Arbeitslosengeld bezogen hatte, ohne dass der Anspruch wegen des Eintritts von Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt 21 Wochen erloschen war (§ 190 Abs. 1 Nr. 4 SGB III a.F.). Der Arbeitslose musste ferner eine versicherungspflichtige, mindestens fünfzehn Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung suchen (§ 118 Abs. 1 Nr. 2 SGB III a.F.) und den Vermittlungsbemühungen der Arbeitsverwaltung zur Verfügung stehen, um einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe zu haben (vgl. Straub, in: Schönefelder/Kranz/Wanka, SGB III, 3. Aufl., § 190 Rn. 18 ).

10

Die Arbeitslosenhilfe wurde in Zeitabschnitten bewilligt, wobei § 190 Abs. 3 Satz 2 SGB III a.F. ausdrücklich anordnete, dass vor einer erneuten Bewilligung die Voraussetzungen des Anspruchs zu prüfen waren. Der Prüfungsumfang umfasste sämtliche Leistungsvoraussetzungen dem Grunde und der Höhe nach ohne Bindung an frühere Bescheide; lediglich ein früher bereits gestellter Arbeitslosenhilfeantrag wirkte fort (vgl. Krauß, in: PK-SGB III, 2. Aufl. 2004, § 190 Rn. 41 f.). Nach § 190 Abs. 3 Satz 1 SGB III in der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung sollte Arbeitslosenhilfe jeweils für längstens ein Jahr bewilligt werden.

11

3. Durch Art. 3 Nr. 14 des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl I S. 2954) wurde § 190 Abs. 3 Satz 1 SGB III dahingehend geändert, dass Arbeitslosenhilfe längstens bis zum 31. Dezember 2004 bewilligt werden durfte. Diese Änderung trat gemäß Art. 61 Abs. 2 des Gesetzes am 1. Januar 2004 in Kraft. Durch Art. 3 Nr. 15 des Gesetzes wurden die §§ 190 bis 206 SGB III aufgehoben. Die Änderung trat nach Art. 61 Abs. 1 des Gesetzes zum 1. Januar 2005 in Kraft. Hierdurch ist die Arbeitslosenhilfe ab dem 1. Januar 2005 vollständig aus dem Leistungskatalog der Arbeitsförderung gestrichen worden. An ihre Stelle ist das Arbeitslosengeld II nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - getreten. Im Unterschied zur Arbeitslosenhilfe knüpft die Berechnung des Arbeitslosengeldes II nicht mehr an das frühere Einkommen des Hilfebedürftigen an, sondern orientiert sich - wie die Sozialhilfe - grundsätzlich an dessen Bedarf.

12

4. Nach § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III haben Arbeitnehmer Anspruch auf Arbeitslosengeld, die das 58. Lebensjahr vollendet haben und die Regelvoraussetzungen des Anspruchs allein deshalb nicht erfüllen, weil sie nicht arbeitsbereit sind und nicht alle Möglichkeiten nutzen oder nutzen wollen, um ihre Beschäftigungslosigkeit zu beenden. Die Vorschrift war nach § 198 Satz 2 Nr. 3 SGB III a.F. ebenfalls auf die Arbeitslosenhilfe anwendbar. Der in § 428 Abs. 1 SGB III geregelte Rechtszustand tritt in der Praxis ein, wenn der Arbeitslose gegenüber der Bundesagentur für Arbeit eine entsprechende Erklärung abgibt (vgl. Brandts, in: Niesel/Brand , SGB III, 5. Aufl. 2010, § 428 Rn. 5).

13

Die Möglichkeit, Arbeitslosenhilfe unter diesen erleichterten Voraussetzungen in Anspruch zu nehmen, war von Anfang an nur befristet angelegt: § 428 geht zurück auf § 105c AFG, der mit Wirkung zum 1. Januar 1986 als Reaktion auf die Arbeitslosigkeit der 1980er Jahre eingeführt worden war (Art. 1 Nr. 20 des Siebten Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes vom 20. Dezember 1985, BGBl I S. 2484). Zunächst galt die Vorschrift nur für Fälle, in denen der Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung vor dem 1. Januar 1990 entstanden war und der Arbeitslose vor diesem Tag das 58. Lebensjahr vollendet hatte. Diese Befristung wurde wiederholt verlängert und schließlich in das am 1. Januar 1998 in Kraft getretene Sozialgesetzbuch Drittes Buch übergeleitet. Dort wurde sie im Jahr 2000 (Art. 2 des Zweiten Gesetzes zur Fortentwicklung der Altersteilzeit vom 27. Juni 2000, BGBl I S. 910) bis zum 1. Januar 2006 und schließlich im Jahr 2005 (Art. 1 Nr. 21 des Fünften Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 22. Dezember 2005, BGBl I S. 3676) bis zum 1. Januar 2008 verlängert. § 428 Abs. 1 SGB III gilt insofern nur noch in Fällen, in denen der Arbeitslosengeldanspruch vor dem 1. Januar 2008 entstanden ist und der Arbeitslose vor diesem Tag das 58. Lebensjahr vollendet hat.

II.

14

1. Der 1946 geborene Beschwerdeführer zu 1) bezog bis Ende 2002 Arbeitslosengeld und anschließend Arbeitslosenhilfe. Im Juni 2004 gab er eine Erklärung im Sinne von § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III ab und bezog sodann weiter Arbeitslosenhilfe bis zum Jahresende. Seit dem 1. Juni 2006 bezieht er nach eigenen Angaben Altersrente. Seinen Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld II ab Januar 2005 lehnte der Leistungsträger mit der Begründung ab, das anzurechnende monatliche Einkommen übersteige den ermittelten Gesamtbedarf des Beschwerdeführers zu 1) und seiner Ehefrau, der Beschwerdeführerin zu 2). Ein Arbeitslosenhilfeanspruch der Beschwerdeführerin zu 2) war nicht Gegenstand des fachgerichtlichen Verfahrens.

15

Im anschließenden Klage- und Berufungsverfahren begehrte der Beschwerdeführer zu 1) erfolglos die Weiterzahlung der Arbeitslosenhilfe, hilfsweise begehrten beide Beschwerdeführer Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch.

16

Die gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Landessozialgericht gerichtete Beschwerde verwarf das Bundessozialgericht als unzulässig. Die Beschwerdeführer hätten die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht in der nach § 160a Abs. 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gebotenen Weise dargelegt, denn die Beschwerdebegründung zeige keine klärungsbedürftigen Rechtsfragen auf, sondern greife allein die Rechtsauffassung des Landessozialgerichts an. Weiterhin liege bereits höchstrichterliche sozialgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vor, ob die Arbeitslosenhilfe auch für Leistungsbezieher nach § 428 SGB III habe abgeschafft werden dürfen. Dieser Rechtsprechung seien die Beschwerdeführer nicht in der gebotenen Weise entgegengetreten, sondern hätten lediglich solche Argumente wiederholt, mit denen sich das Gericht bereits in früheren Entscheidungen auseinandergesetzt habe.

17

2. Mit der Verfassungsbeschwerde verfolgen die Beschwerdeführer nur den Antrag auf Weiterzahlung der Arbeitslosenhilfe weiter. Sie rügen Verstöße gegen Art. 14 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 jeweils in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

18

Art. 14 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG sei verletzt, da der Arbeitslosenhilfeanspruch des Beschwerdeführers zu 1) auf einer beinahe vierzigjährigen Beitragsleistung zur Arbeitslosenversicherung beruht habe. Da ein Arbeitslosenhilfeanspruch nach dem zuletzt geltenden Recht nur nach dem Erwerb einer Arbeitslosengeldanwartschaft bestanden habe, könne es nicht darauf ankommen, aus welchem Etat die Arbeitslosenhilfe finanziert worden sei.

19

Weiterhin verstoße die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe jedenfalls für die unter § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III fallenden Bezieher wegen unechter Rückwirkung gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes. Der Beschwerdeführer zu 1) habe im Vertrauen darauf, er werde bis zum Eintritt in die Altersrente Leistungen in einer an seinem letzten Einkommen orientierten Höhe erhalten, durch die Erklärung im Sinne von § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III seine "Vermittlungsrechte gegenüber der Arbeitsverwaltung" aufgegeben. Dieses Vertrauen sei nicht nur aus der Erklärung selbst, sondern auch aus ihren Folgen - dem Verlust des Kontakts zum Arbeitsmarkt sowie fehlenden Angeboten und Qualifizierungsmaßnahmen - erwachsen, denn an den hierdurch entstandenen Schwierigkeiten trage der Staat eine erhebliche Mitverantwortung.

III.

20

Zu den Verfassungsbeschwerden haben sich als sachkundige Dritte (§ 27a BVerfGG) der Deutsche Gewerkschaftsbund und der Deutsche Sozialgerichtstag e.V. geäußert.

21

1. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hält die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe jedenfalls für Leistungsbezieher nach § 428 Abs. 1 SGB III für verfassungswidrig. Der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe habe Eigentumsschutz genossen. Die Finanzierung aus Steuermitteln stehe dem nicht entgegen, da der Bezug von Anschlussarbeitslosenhilfe das Bestehen einer Arbeitslosengeldanwartschaft vorausgesetzt habe. Gerade ältere Arbeitslose hätten in der Regel jahrzehntelang Beiträge zur Arbeitslosenversicherung in erheblichem Umfang geleistet, denen schon angesichts der Zwangsmitgliedschaft in dieser Versicherung ein ausreichendes Leistungsäquivalent gegenüber stehen müsse. Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe begründe einen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG. Sie verstoße jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden gegen das Vertrauensschutzprinzip.

22

2. Der Deutsche Sozialgerichtstag e.V. sieht in der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe - auch für die Bezieher nach § 428 Abs. 1 SGB III - keinen Verfassungsverstoß. Der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe sei zwar Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG. Allerdings sei der Eingriff gerechtfertigt. Die Erhaltung der Funktions- und Leistungsfähigkeit des sozialen Sicherungssystems der "(materiellen) Sozialhilfe", zu der auch die Arbeitslosenhilfe gezählt habe, stelle einen legitimierenden Eingriffsgrund dar. Dieser Eingriff sei verhältnismäßig. Es liege kein Verstoß gegen das Vertrauensschutzprinzip vor.

B.

23

Die Verfassungsbeschwerden sind teilweise unzulässig.

I.

24

1. Soweit sich der Beschwerdeführer zu 1) gegen die Entscheidung des Bundessozialgerichts wendet, mit dem seine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision als unzulässig verworfen wurde, ist die Verfassungsbeschwerde bereits unzulässig, weil sie nicht hinreichend begründet wurde (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG). Werden mehrere gerichtliche Entscheidungen, die auf verschiedenen Gründen beruhen, mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen, bedarf es der Auseinandersetzung mit jeder einzelnen Entscheidung (vgl. BVerfGE 82, 43 <49>; 86, 122 <127>; Magen, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, 2. Aufl. 2005, § 92 Rn. 45). Da das Bundessozialgericht keine Entscheidung in der Sache getroffen hat, gehen die materiellen Ausführungen des Beschwerdeführers zu 1) ins Leere (vgl. BVerfGE 103, 172 <181 f.>). Mit den prozessualen Ausführungen des Bundessozialgerichts setzt er sich nicht auseinander; er behauptet insbesondere keine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG durch die Entscheidung des Bundessozialgerichts.

25

2. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 1) gegen die Entscheidungen des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts sowie die vorangegangenen Behördenentscheidungen richtet, ist sie zulässig.

26

Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass das Bundessozialgericht die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen hat. Zwar ist eine Verfassungsbeschwerde mangels ordnungsgemäßer Rechtswegerschöpfung in der Regel unzulässig, wenn ein an sich gegebenes Rechtsmittel mangels Nutzung der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten erfolglos bleibt (vgl. BVerfGE 74, 102 <114>; BVerfGK 1, 222 <223>; stRspr). Es ist verfassungsrechtlich dabei insbesondere unbedenklich, die Beschreitung des Rechtswegs von der Erfüllung bestimmter formaler Voraussetzungen abhängig zu machen (vgl. BVerfGE 10, 264 <267 f.>). Da jedoch ein Beschwerdeführer wegen der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde auch dann verpflichtet ist, von einem Rechtsbehelf Gebrauch zu machen, wenn dessen Zulässigkeit im konkreten Fall unterschiedlich beurteilt werden kann (vgl. BVerfGE 47, 168 <175>), können ihm keine Nachteile daraus erwachsen, wenn sich ein solcher Rechtsbehelf später als unzulässig erweist. Anders liegen die Dinge nur bei einem offensichtlich unzulässigen oder nicht ordnungsgemäß genutzten Rechtsbehelf.

27

Im vorliegenden Fall kann dem Beschwerdeführer zu 1) aber nicht angelastet werden, den Rechtsweg nicht in gehöriger Weise erschöpft zu haben. Seiner Nichtzulassungsbeschwerde lässt sich entnehmen, dass er die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe für diejenigen Bezieher von Arbeitslosenhilfe, die von der Regelung des § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III Gebrauch gemacht haben, als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufwerfen wollte. Dass das Bundessozialgericht wegen seiner eigenen Rechtsprechung dazu die Klärungsbedürftigkeit in einem Revisionsverfahren verneint und deshalb die Beschwerde als unzulässig verworfen hat, kann ihm im Rahmen der Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde nicht entgegengehalten werden. Selbst wenn in der Rechtsprechung eines obersten Fachgerichts nach dessen Auffassung bereits alle wesentlichen Aspekte einer Verfassungsfrage gewürdigt wurden, ist es einem Beschwerdeführer möglich und verfassungsrechtlich auch bei Berücksichtigung des Grundsatzes der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde zulässig, eine verfassungsgerichtliche Überprüfung dieser Würdigung zu begehren, wenn er dafür vernünftige und gewichtige Gründe anführen kann und es sich um eine verfassungsrechtliche Frage handelt, die umstritten geblieben ist und über die das Bundesverfassungsgericht noch nicht entschieden hat (vgl. BVerfGE 91, 93 <106>).

II.

28

Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 2) ist unzulässig. Ihr fehlt es bereits an einer nach § 90 Abs. 1 BVerfGG erforderlichen Behauptung, in eigenen Rechten verletzt zu sein. Inhaber eines Arbeitslosenhilfeanspruchs war allein der Beschwerdeführer zu 1). Dass auch die Beschwerdeführerin zu 2) einen derartigen Anspruch gehabt haben soll, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

C.

29

Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 1) ist unbegründet. Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe verstößt weder gegen Art. 14 Abs. 1 GG noch gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Auch die hierauf beruhenden Entscheidungen des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts sowie die vorangegangenen Behördenentscheidungen sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

I.

30

Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe verletzt den Beschwerdeführer zu 1) nicht in seinem Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG, da der gesetzliche Anspruch auf Arbeitslosenhilfe kein Eigentum im Sinne dieses Grundrechts ist. Dies gilt auch für die nach Maßgabe von § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III bezogene Arbeitslosenhilfe.

31

1. a) Sozialrechtliche Ansprüche genießen nur dann grundrechtlichen Eigentumsschutz, wenn es sich um vermögenswerte Rechtspositionen handelt, die dem Rechtsträger nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts privatnützig zugeordnet sind, auf nicht unerheblichen Eigenleistungen beruhen und seiner Existenzsicherung dienen (vgl. BVerfGE 69, 272 <300>; 92, 365 <405>; 97, 217 <284>; 100, 1 <32 f.>).

32

Für die Anerkennung einer sozialversicherungsrechtlichen Rechtsposition als Eigentum im Sinne von Art. 14 Abs. 1 GG ist eine an den Versicherungsträger erbrachte Eigenleistung notwendig (vgl. BVerfGE 116, 96 <121>). Nur als Äquivalent einer nicht unerheblichen eigenen Leistung, die der besondere Grund für die Anerkennung als Eigentumsposition ist, erfahren sozialversicherungsrechtliche Anwartschaften den Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 53, 257 <291 f.>, 100, 1 <33>). Nicht von Art. 14 Abs. 1 GG geschützt sind demgegenüber Rechtsstellungen und gesetzliche Ansprüche, soweit sie vorwiegend auf staatlicher Gewährung beruhen (vgl. BVerfGE 22, 241 <253>; 24, 220 <226>; 53, 257 <291 f.>; 100, 1 <33>; 116, 96 <121 f.>).

33

b) Auf dieser Grundlage unterfällt der gesetzliche Anspruch auf Arbeitslosenhilfe dem Grundrechtsschutz des Art. 14 Abs. 1 GG nicht, weil es an dem Beruhen auf nicht unerheblichen Eigenleistungen fehlt.

34

aa) Ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung auf der Einnahmenseite und den Aufwendungen für die Arbeitslosenhilfe auf der Ausgabenseite bestand nicht. Die Arbeitslosenhilfe wurde nicht aus Beitragseinnahmen des Leistungsträgers finanziert; diese dienten allein der Finanzierung des Arbeitslosengeldes. Die Arbeitslosenhilfe wurde hingegen im Auftrag des Bundes erbracht (§ 205 Satz 1 SGB III a.F.). Die Ausgaben für sie trug der Bund aus Steuermitteln (§ 363 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F.).

35

Diese gesetzliche Unterscheidung zwischen einer beitragsfinanzierten "regulären" Entgeltersatzleistung wegen Arbeitslosigkeit und einer steuerfinanzierten Leistung im Anschluss daran wegen Bedürftigkeit steht in einer jahrzehntelangen Tradition. Sie reicht bis zur Einführung der Krisenfürsorge als Ergänzung der seit 1923 beitragsfinanzierten Erwerbslosenfürsorge im Jahr 1926 zurück und fand im Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) von 1927 ihre feste Verankerung. Bereits hier wurde zwischen der beitragsfinanzierten und nicht bedürftigkeitsabhängigen Arbeitslosenunterstützung (§§ 87 ff., § 142 AVAVG a.F.) und der bedürftigkeitsabhängigen und nicht beitragsfinanzierten Krisenunterstützung (§§ 101, 167 AVAVG a.F.) differenziert. Später blieb es bei der Differenzierung der beiden Leistungen und ihrer unterschiedlichen Finanzierung. Der Gesetzgeber hat deshalb mit der Streichung der Arbeitslosenhilfe keine aufgrund ihrer Finanzierung aus Beiträgen eigentumsgeschützte Rechtsposition beseitigt.

36

bb) Die Arbeitslosenhilfe war finanzrechtlich auch nicht als eine aus Beiträgen und Steuermitteln mischfinanzierte Einheit konzipiert (vgl. BVerfGK 6, 266 <270 f.>). Zwischen dem Arbeitslosengeld und der Arbeitslosenhilfe bestanden grundlegende Unterschiede. Die Arbeitslosenhilfe stellte - anders als das Arbeitslosengeld - keine Leistung dar, die dem versicherungstypischen Gegenseitigkeitsverhältnis von Beiträgen und Leistungen im System der Arbeitslosenversicherung entsprang. Das Arbeitslosengeld ist eine Versicherungsleistung, die Arbeitslosenhilfe war es nicht. Ein weiterer Unterschied lag darin, dass das Arbeitslosengeld - wie auch weiterhin - zeitlich begrenzt ist, während die Arbeitslosenhilfe grundsätzlich zeitlich unbegrenzt geleistet wurde. Zudem wurde die Arbeitslosenhilfe - anders als das Arbeitslosengeld - nur bei Bedürftigkeit gewährt. Auf das Arbeitslosengeld ist allein das "mühevolle Nebeneinkommen" (Arbeitsentgelt aus einer weniger als 15 Stunden wöchentlich umfassenden Beschäftigung) nach Maßgabe von § 141 SGB III anzurechnen, während bei der Arbeitslosenhilfe zusätzlich das "mühelose Einkommen" aus anderen Quellen als der Verwertung der Arbeitskraft (etwa aus Vermietung oder Kapitalvermögen) zu berücksichtigen war. Ferner wird bei ihr das Vermögen berücksichtigt, während es beim Arbeitslosengeld ohne Bedeutung ist. Die Arbeitslosenhilfe bildete demnach eine nachrangige Leistung, die von der Bedürftigkeit im Einzelfall abhing. An diese konzeptionellen und systematischen Unterschiede zwischen Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe hat die verfassungsrechtliche Beurteilung anzuknüpfen. Sie schließen es aus, beide Leistungen finanzrechtlich als einheitlichen Gesamtanspruch zu betrachten und davon auszugehen, dass sie beide gleichermaßen durch Beiträge und Zuschüsse mischfinanziert wurden und damit auch die Arbeitslosenhilfe zum Teil auf Beitragsleistung beruhte (vgl. BVerfGK 6, 266 <270 f.>). Daran ändert nichts, dass der Gesetzgeber bei der Bemessung der Arbeitslosenhilfe grundsätzlich an das zuletzt erzielte Arbeitsentgelt des Leistungsempfängers anknüpfte (vgl. BVerfGK 6, 266 <271>).

37

cc) Es lässt sich kein hinreichender personaler Bezug zwischen der Beitragsleistung des gegen Arbeitslosigkeit Versicherten und der nach Auslaufen des Arbeitslosengeldbezugs an den Arbeitslosen erbrachten Arbeitslosenhilfe erkennen. Wie die Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die dem Eigentumsschutz des Art. 14 Abs. 1 GG nicht unterfällt (vgl. BVerfGE 97, 271 <284>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 1. März 2010 - 1 BvR 2584/06 -, NVwZ-RR 2010, S. 505 <507>), war die Arbeitslosenhilfe eine sozialpolitisch motivierte Leistung. Mit ihr sollte eine erbrachte Arbeits- und Beitragsleistung über das versicherte Ausmaß hinaus gewürdigt werden. Sie wurde ohne eine eigens hierauf bezogene oder deswegen erhöhte Beitragsleistung des Versicherten gewährt. Dementsprechend folgte auch die Kompetenz des Bundes für die Regelung der Arbeitslosenhilfe als Sozialleistung aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG (öffentliche Fürsorge), während die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Regelungen über das Arbeitslosengeld auf der Zuständigkeitsbestimmung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG für das Gebiet der Sozialversicherung beruht (vgl. BVerfGE 81, 156 <184 ff.>; 87, 234 <256>; BVerfGK 6, 266 <270>).

38

dd) Der Arbeitslosenhilfeanspruch war nicht als lediglich modifizierte Fortsetzung des Arbeitslosengeldanspruchs in Fortwirkung einer früheren Arbeits- oder Beitragsleistung konzipiert (vgl. BVerfGK 6, 266 <270 f.>). Zwar war die Arbeitslosenhilfe arbeitsförderungsrechtlich eng mit dem Arbeitslosengeld verknüpft (vgl. § 190 Abs. 1 Nr. 4, § 198 SGB III a.F.). So galten nach § 198 Satz 1 SGB III a.F. die Ansprüche auf Arbeitslosengeld und auf Arbeitslosenhilfe vorrangig abweichender gesetzlicher Bestimmungen als einheitlicher Anspruch auf Entgeltersatzleistungen bei Arbeitslosigkeit. Hieraus folgte aber nicht, dass die Beitragsleistungen auch auf den Arbeitslosenhilfeanspruch bezogen wurden. § 198 Satz 1 SGB III a.F. berührte nicht den Entstehungsgrund der jeweiligen Leistungen, sondern ordnete lediglich auf der Vollzugsebene an, dass sich Tatbestände, die für den Arbeitslosengeldanspruch rechtserheblich waren, auch auf die anschließende Arbeitslosenhilfe auswirkten. Damit reagierte der Gesetzgeber (vgl. BTDrucks 9/846, S. 47) auf eine Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSGE 48, 109), das eine während des Arbeitslosengeldbezugs eingetretene Sperrzeit für den Arbeitslosenhilfeanspruch außer Betracht ließ, und bezog sie gesetzlich wieder in die Voraussetzungen der Arbeitslosenhilfe ein (vgl. auch Krauß, in: PK-SGB III, 2. Aufl. 2004, § 198 Rn. 5).

39

ee) Der Hinweis des Beschwerdeführers zu 1) auf die lange Zeit seiner Versicherungspflicht und Beitragsleistung ändert daran nichts, denn die Arbeitslosenhilfe war nach ihrer gesetzlichen Ausgestaltung kein Äquivalent für die Beitragszahlung. Die Arbeitslosenversicherung ist als Risikoversicherung ausgestaltet, die nach Erwerb einer Anwartschaft zeitlich begrenzte Leistungen bei Arbeitslosigkeit gewährt. Der langjährigen Beitragsleistung des Beschwerdeführers zu 1) stand ab erstmaliger Erfüllung einer gesetzlich vorgesehenen Anwartschaftszeit der Vorteil gegenüber, dass er für einen entsprechend größeren Zeitraum gegen das Risiko der Arbeitslosigkeit abgesichert war.

40

Im Übrigen trägt das Arbeitsförderungsrecht der Zeitspanne des Versicherungsverhältnisses und der der Arbeitslosigkeit vorangegangenen und entrichteten Beiträge in den Regelungen zur Dauer des Arbeitslosengeldanspruchs Rechnung (§ 127 SGB III). Eine derartige Berücksichtigung kannte das Recht der Arbeitslosenhilfe nicht; es behandelte die Arbeitslosen ungeachtet der Dauer vorangehender Versicherungszeiten oder Beitragsleistungen gleich.

41

2. Die Regelung des § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III führt nicht dazu, dass der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe dem Eigentumsschutz des Art. 14 Abs. 1 GG unterlag. Ihr Inhalt vermag das Erfordernis einer nicht unerheblichen Eigenleistung des Hilfebeziehers nicht zu ersetzen. § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III modifiziert vielmehr allein eine Anspruchsvoraussetzung, lässt aber die anderen Anspruchsvoraussetzungen nicht entfallen. Gerade dadurch, dass damit der Zugang zur Arbeitslosenhilfe erleichtert wurde, tritt deren Charakter als sozialpolitisch motivierte Leistung noch deutlicher hervor. Ob ein Versicherter die einseitige Erklärung nach § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III abgab, lag in seiner freien Entscheidung. Sie war weder verbunden mit einer staatlichen Zusage einer dauerhaften Gewährung von Arbeitslosenhilfe noch stellte sie den Anspruch unter grundrechtlichen Schutz.

II.

42

Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe verstößt nicht gegen das Vertrauensschutzprinzip (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG).

43

1. Rechtsstaatsprinzip und Grundrechte begrenzen die Befugnis des Gesetzgebers, Rechtsänderungen vorzunehmen, die an Sachverhalte der Vergangenheit anknüpfen. Die Verlässlichkeit der Rechtsordnung ist eine Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen (vgl. BVerfGE 109, 133 <180>). Jedoch geht der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz nicht so weit, den Staatsbürger vor jeglicher Enttäuschung seiner Erwartung in die Dauerhaftigkeit der Rechtslage zu schützen (vgl. BVerfGE 30, 367 <389>; 68, 287 <307>; 109, 133 <180>). Die schlichte Erwartung, das geltende Recht werde auch in der Zukunft unverändert fortbestehen, ist verfassungsrechtlich nicht geschützt (vgl. BVerfGE 68, 193 <222>; 105, 17 <40>; 109, 133 <180 f.>).

44

2. Es liegt weder eine Rückwirkung vor noch war der Beschwerdeführer zu 1) aus anderen Gründen vor einer Änderung der Rechtslage geschützt.

45

a) Eine echte Rückwirkung liegt vor, wenn ein Gesetz nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift oder wenn der Beginn seiner zeitlichen Anwendung auf einen Zeitpunkt festgelegt ist, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm durch ihre Verkündung rechtlich existent, das heißt gültig geworden ist (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 21. Juli 2010 - 1 BvL 11/06 u. a. -, juris, Rn. 71 m.w.N.).

46

Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe hat keine echte Rückwirkung entfaltet. Art. 3 Nr. 14 und Nr. 15 des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, das am 29. Dezember 2003 verkündet worden ist (BGBl I S. 2954), hat den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe in früheren, bereits vollständig abgeschlossenen Bewilligungsabschnitten unberührt gelassen. Beide Regelungen wirkten sich lediglich auf zukünftige Bewilligungsabschnitte aus, indem sie zunächst eine Neu- oder Weiterbewilligung nur für die Zeit bis zum 31. Dezember 2004 zuließen (Art. 3 Nr. 14) und sodann eine Bewilligung für die Zeit ab dem 1. Januar 2005 ausschlossen (Art. 3 Nr. 15).

47

b) Eine unechte Rückwirkung oder tatbestandliche Rückanknüpfung liegt vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet (vgl. BVerfGE 69, 272 <309>; 72, 141 <154>; 101, 239 <263>; 123, 186 <257>) oder wenn die Rechtsfolgen einer Norm zwar erst nach ihrer Verkündung eintreten, deren Tatbestand aber Sachverhalte erfasst, die bereits vor der Verkündung "ins Werk gesetzt" worden sind (vgl. BVerfGE 72, 200 <242>; 97, 67 <79>; 105, 17 <37 f.>; 109, 133 <181>).

48

Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe bewirkt keine solche unechte Rückwirkung oder tatbestandliche Rückanknüpfung. Der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe hatte durch die Rechtsordnung keine Ausgestaltung erfahren, die über das Ende des jeweiligen Bewilligungsabschnitts hinaus eine verfestigte Anspruchsposition begründete. Die Arbeitslosenhilfe wurde vielmehr abschnittsweise und nur nach einer Neuprüfung der Anspruchsvoraussetzungen bewilligt (§ 190 Abs. 3 SGB III a.F.). Die einmal erfolgte Bewilligung vermochte weder in ihrem Verfügungssatz noch in den ihr zugrunde liegenden Feststellungen eine über den im Bescheid geregelten Zeitraum hinausgehende Rechtsposition zu begründen. Ein Recht, das durch den Vertrauensschutzgrundsatz gegen seine nachträgliche Entwertung hätte geschützt werden können, entstand daher frühestens mit der jeweiligen Neu- oder Weiterbewilligung der Arbeitslosenhilfe und bezog sich nur auf die Zeit bis zum Ablauf des jeweiligen Bewilligungsabschnitts.

49

Eine unabhängig vom Bewilligungsakt bestehende Erwartung des Bürgers, er werde - den Fortbestand der jeweiligen Rechtslage vorausgesetzt - in einer bestimmten zukünftigen Sachlage leistungsberechtigt sein, ist mangels hinreichender Konkretisierung kein solches geschütztes Recht. Denn die Verfassung gewährt keinen Schutz vor einer nachteiligen Veränderung der geltenden Rechtslage (vgl. BVerfGE 38, 61 <83>; 105, 17 <40>). Eine schützenswerte Rechtsposition liegt daher nicht schon in der voraussichtlichen Einschlägigkeit bestimmter Vorschriften in der Zukunft.

50

c) Besonderheiten für Arbeitslosenhilfebezieher nach § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III ergeben sich insoweit nicht. Der Umstand, dass ein Arbeitsloser die Arbeitslosenhilfe unter den besonderen Voraussetzungen von § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III in Anspruch nahm, modifizierte seine Rechtsbeziehungen zur Bundesagentur für Arbeit nicht in einer Weise, dass im Unterschied zum regulären Arbeitslosenhilfebezug ein hinreichend verfestigter Anspruch auf Arbeitslosenhilfe jenseits des aktuellen Bewilligungsabschnitts entstanden wäre. Es wurde lediglich von zwei Tatbestandsvoraussetzungen des Anspruchs abgesehen, ohne dass Inhalt und Umfang des Anspruchs sich verändert hätten. Die Abgabe der Erklärung im Sinne von § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III erweist sich nicht als Disposition des Arbeitslosen, die schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand des Anspruchs begründen konnte. § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III hat keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres oder bis zur Inanspruchnahme einer abschlagsfreien Altersrente eingeräumt.

51

d) Zudem kann sich der Beschwerdeführer zu 1) nicht auf Vertrauensschutz berufen, weil er die Erklärung im Sinne von § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III erst im Juni 2004 abgegeben hat. Bereits im Dezember 2003 war aber durch Art. 3 Nr. 14 und Nr. 15 des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl I S. 2954) festgelegt worden, dass Arbeitslosenhilfe längstens bis zum 31. Dezember 2004 bewilligt werden durfte und anschließend als Leistungsart vollständig wegfiel. Damit bestand für den Beschwerdeführer zu 1) von vornherein keine Grundlage für die Bildung schutzwürdigen Vertrauens mit dem Inhalt, dass Arbeitslosenhilfe über den 31. Dezember 2004 hinaus gewährt würde.

(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, daß die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind. In der Rechtsverordnung kann ferner bestimmt werden, inwieweit Versicherte in Unternehmen der Seefahrt auch in der Zeit gegen Berufskrankheiten versichert sind, in der sie an Land beurlaubt sind.

(1a) Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ein Ärztlicher Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten gebildet. Der Sachverständigenbeirat ist ein wissenschaftliches Gremium, das das Bundesministerium bei der Prüfung der medizinischen Erkenntnisse zur Bezeichnung neuer und zur Erarbeitung wissenschaftlicher Stellungnahmen zu bestehenden Berufskrankheiten unterstützt. Bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wird eine Geschäftsstelle eingerichtet, die den Sachverständigenbeirat bei der Erfüllung seiner Arbeit organisatorisch und wissenschaftlich, insbesondere durch die Erstellung systematischer Reviews, unterstützt. Das Nähere über die Stellung und die Organisation des Sachverständigenbeirats und der Geschäftsstelle regelt die Bundesregierung in der Rechtsverordnung nach Absatz 1.

(2) Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind.

(2a) Krankheiten, die bei Versicherten vor der Bezeichnung als Berufskrankheiten bereits entstanden waren, sind rückwirkend frühestens anzuerkennen

1.
in den Fällen des Absatzes 1 als Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die Bezeichnung in Kraft getreten ist,
2.
in den Fällen des Absatzes 2 wie eine Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorgelegen haben; hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten eine Empfehlung für die Bezeichnung einer neuen Berufskrankheit beschlossen, ist für die Anerkennung maßgebend der Tag der Beschlussfassung.

(3) Erkranken Versicherte, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach Absatz 1 genannten Berufskrankheit ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, wird vermutet, daß diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist.

(3a) Der Unfallversicherungsträger erhebt alle Beweise, die zur Ermittlung des Sachverhalts erforderlich sind. Dabei hat er neben den in § 21 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Beweismitteln auch Erkenntnisse zu berücksichtigen, die er oder ein anderer Unfallversicherungsträger an vergleichbaren Arbeitsplätzen oder zu vergleichbaren Tätigkeiten gewonnen hat. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Ermittlungen zu den Einwirkungen während der versicherten Tätigkeit dadurch erschwert sind, dass der Arbeitsplatz des Versicherten nicht mehr oder nur in veränderter Gestaltung vorhanden ist. Die Unfallversicherungsträger sollen zur Erfüllung der Aufgaben nach den Sätzen 2 und 3 einzeln oder gemeinsam tätigkeitsbezogene Expositionskataster erstellen. Grundlage für diese Kataster können die Ergebnisse aus systematischen Erhebungen, aus Ermittlungen in Einzelfällen sowie aus Forschungsvorhaben sein. Die Unfallversicherungsträger können außerdem Erhebungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen durchführen.

(4) Besteht für Versicherte, bei denen eine Berufskrankheit anerkannt wurde, die Gefahr, dass bei der Fortsetzung der versicherten Tätigkeit die Krankheit wiederauflebt oder sich verschlimmert und lässt sich diese Gefahr nicht durch andere geeignete Mittel beseitigen, haben die Unfallversicherungsträger darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen. Die Versicherten sind von den Unfallversicherungsträgern über die mit der Tätigkeit verbundenen Gefahren und mögliche Schutzmaßnahmen umfassend aufzuklären. Zur Verhütung einer Gefahr nach Satz 1 sind die Versicherten verpflichtet, an individualpräventiven Maßnahmen der Unfallversicherungsträger teilzunehmen und an Maßnahmen zur Verhaltensprävention mitzuwirken; die §§ 60 bis 65a des Ersten Buches gelten entsprechend. Pflichten der Unternehmer und Versicherten nach dem Zweiten Kapitel und nach arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften bleiben hiervon unberührt. Kommen Versicherte ihrer Teilnahme- oder Mitwirkungspflicht nach Satz 3 nicht nach, können die Unfallversicherungsträger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder die Leistung einer danach erstmals festzusetzenden Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit oder den Anteil einer Rente, der auf eine danach eingetretene wesentliche Änderung im Sinne des § 73 Absatz 3 zurückgeht, bis zur Nachholung der Teilnahme oder Mitwirkung ganz oder teilweise versagen. Dies setzt voraus, dass infolge der fehlenden Teilnahme oder Mitwirkung der Versicherten die Teilhabeleistungen erforderlich geworden sind oder die Erwerbsminderung oder die wesentliche Änderung eingetreten ist; § 66 Absatz 3 und § 67 des Ersten Buches gelten entsprechend.

(5) Soweit Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen.

(6) Die Bundesregierung regelt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates

1.
Voraussetzungen, Art und Umfang von Leistungen zur Verhütung des Entstehens, der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens von Berufskrankheiten,
2.
die Mitwirkung der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen bei der Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind; dabei kann bestimmt werden, daß die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen berechtigt sind, Zusammenhangsgutachten zu erstellen sowie zur Vorbereitung ihrer Gutachten Versicherte zu untersuchen oder auf Kosten der Unfallversicherungsträger andere Ärzte mit der Vornahme der Untersuchungen zu beauftragen,
3.
die von den Unfallversicherungsträgern für die Tätigkeit der Stellen nach Nummer 2 zu entrichtenden Gebühren; diese Gebühren richten sich nach dem für die Begutachtung erforderlichen Aufwand und den dadurch entstehenden Kosten.

(7) Die Unfallversicherungsträger haben die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständige Stelle über den Ausgang des Berufskrankheitenverfahrens zu unterrichten, soweit ihre Entscheidung von der gutachterlichen Stellungnahme der zuständigen Stelle abweicht.

(8) Die Unfallversicherungsträger wirken bei der Gewinnung neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse insbesondere zur Fortentwicklung des Berufskrankheitenrechts mit; sie sollen durch eigene Forschung oder durch Beteiligung an fremden Forschungsvorhaben dazu beitragen, den Ursachenzusammenhang zwischen Erkrankungshäufigkeiten in einer bestimmten Personengruppe und gesundheitsschädlichen Einwirkungen im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit aufzuklären. Die Verbände der Unfallversicherungsträger veröffentlichen jährlich einen gemeinsamen Bericht über ihre Forschungsaktivitäten und die Forschungsaktivitäten der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Bericht erstreckt sich auf die Themen der Forschungsvorhaben, die Höhe der aufgewendeten Mittel sowie die Zuwendungsempfänger und Forschungsnehmer externer Projekte.

(9) Die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen dürfen zur Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind, Daten verarbeiten sowie zur Vorbereitung von Gutachten Versicherte untersuchen, soweit dies im Rahmen ihrer Mitwirkung nach Absatz 6 Nr. 2 erforderlich ist; sie dürfen diese Daten insbesondere an den zuständigen Unfallversicherungsträger übermitteln. Die erhobenen Daten dürfen auch zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren gespeichert, verändert, genutzt, übermittelt oder in der Verarbeitung eingeschränkt werden. Soweit die in Satz 1 genannten Stellen andere Ärzte mit der Vornahme von Untersuchungen beauftragen, ist die Übermittlung von Daten zwischen diesen Stellen und den beauftragten Ärzten zulässig, soweit dies im Rahmen des Untersuchungsauftrages erforderlich ist.

Der Ausbildungsberuf Berufskraftfahrer/Berufskraftfahrerin wird staatlich anerkannt.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

Der Auszubildende hat ein Berichtsheft in Form eines Ausbildungsnachweises zu führen. Ihm ist Gelegenheit zu geben, das Berichtsheft während der Ausbildungszeit zu führen. Der Ausbildende hat das Berichtsheft regelmäßig durchzusehen.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 29. Januar 2014 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr 2108 (BK 2108) der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).

2

Der im Jahre 1958 geborene Kläger absolvierte bis Mai 1977 eine Ausbildung zum Baufacharbeiter. Im Anschluss war er bis einschließlich 1997 als Eisenflechter und Zimmerer tätig. Diese Tätigkeiten gab er aufgrund einer Erkrankung seiner Wirbelsäule 1998 auf. Zu diesem Zeitpunkt bestand beim Kläger eine Chondrose Grad III mit Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 und eine altersuntypische Chondrose Grad I im Segment L4/L5.

3

Mit Bescheid vom 5.4.2006 und Widerspruchsbescheid vom 26.7.2006 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Gewährung von Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Die Wirbelsäulenerkrankung könne nicht als BK anerkannt werden, weil insbesondere die medizinischen Voraussetzungen für eine BK 2108 nicht vorlägen. Da in allen Wirbelsäulenabschnitten Verschleißerscheinungen bestünden, spreche das Schadensbild gegen eine berufliche Verursachung.

4

Das SG Chemnitz hat die Klagen mit Urteil vom 6.4.2011 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, beim Kläger bestehe zwar eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule bei L4/L5. Die Voraussetzungen für eine Anerkennung als BK lägen jedoch nach den Konsensempfehlungen (U. Bolm-Audorff et al, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheiten 2005/3, S 211, 214 ff) nicht vor. Das Sächsische LSG hat mit Urteil vom 29.1.2014 das Urteil des SG sowie die Bescheide der Beklagten aufgehoben und festgestellt, dass bei dem Kläger eine BK 2108 vorliege. Zur Begründung hat es ua ausgeführt, die bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule sei wesentlich durch die berufliche Einwirkung verursacht. Entsprechend den Konsensempfehlungen liege eine ausreichende Exposition für die Anerkennung einer BK 2108 vor. Der Ursachenzusammenhang zwischen dieser Belastung und der Wirbelsäulenerkrankung des Klägers sei zu bejahen. Konkurrierende Ursachen seien nicht ersichtlich. Das bei Aufgabe der beruflichen Tätigkeit bestehende Schadensbild entspreche der Konstellation B2 der Konsensempfehlungen, bei deren Vorliegen die Verursachung hinreichend wahrscheinlich sei. Es liege zum einen eine besonders intensive Belastung im Sinne des zweiten Zusatzkriteriums dieser Konstellation vor, weil im Hinblick auf die Entscheidung des BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - auf die Hälfte des Richtwertes von 25 Meganewtonstunden (MNh) nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) für die Lebensdosis für Männer in weniger als 10 Jahren und damit auf 12,5 MNh abzustellen sei. Dieser Wert sei in dem 10-Jahreszeitraum vom 1.6.1977 bis 31.5.1987 mit rund 15 MNh erreicht worden. Zum anderen bestehe beim Kläger auch eine Höhenminderung und ein Prolaps an mehreren Bandscheiben im Sinne des ersten Zusatzkriteriums der Konstellation B2 der Konsensempfehlungen, weil dieses Zusatzkriterium auch bei einem lediglich bisegmentalen Bandscheibenschaden erfüllt sei.

5

Die Beklagte rügt mit der vom Senat zugelassenen Revision die Verletzung des § 9 SGB VII iVm Nr 2108 der Anlage 1 zur BKV. Das Vorliegen einer BK 2108 könne nicht auf die Konstellation B2 der Konsensempfehlungen gestützt werden, weil der erforderliche wissenschaftliche Konsens nicht mehr vorliege. Divergierende Entscheidungen der LSGe zur Höhe des Richtwertes für die Lebensdosis als Indiz für eine besonders intensive Belastung im Sinne des zweiten Zusatzkriteriums zur Konstellation B2 der Konsensempfehlungen zeigten, dass hinsichtlich ihrer Anwendung nicht mehr von einem einheitlichen Meinungsstand ausgegangen werden könne. Die Konsensempfehlungen könnten deshalb nicht mehr als aktueller Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse betrachtet und die Anerkennung einer BK 2108 nicht mehr auf sie gestützt werden. Auch seien die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 2108 nicht gegeben.

6

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 29. Januar 2014 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 6. April 2011 zurückzuweisen.

7

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Er hält das Urteil des LSG für zutreffend. Das LSG habe seiner Entscheidung den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zum Ursachenzusammenhang bei einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule zugrunde gelegt. Dieser sei weiterhin den Konsensempfehlungen zur BK 2108 zu entnehmen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide der Beklagten das Vorliegen einer BK 2108 festgestellt.

10

Die erhobenen Klagen sind als Anfechtungsklage gegen die ablehnenden Entscheidungen verbunden mit der auf Feststellung einer BK gerichteten Feststellungsklage zulässig. Der Übergang im Berufungsverfahren von der zunächst erhobenen Verpflichtungs- auf eine Feststellungsklage war nach § 99 Abs 3 SGG zulässig(vgl BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - UV-Recht Aktuell 2012, 42 = NZS 2012, 151).

11

Der Rechtsstreit richtet sich nach den Vorschriften des SGB VII (§ 212 SGB VII),weil der Versicherungsfall erst nach Inkrafttreten des SGB VII eingetreten ist. Rechtsgrundlage für die Anerkennung der streitigen BK ist § 9 Abs 1 SGB VII iVm Nr 2108 der Anlage 1 zur BKV vom 31.10.1997 (BGBl I 2623), die lautet: "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können". Nach § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind BKen nur diejenigen Krankheiten, die durch die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als solche bezeichnet sind (sog Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist für die Feststellung einer Listen-BK erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) sowie, dass eine Krankheit vorliegt (dazu unter A). Des Weiteren muss die Krankheit durch die Einwirkungen verursacht sein (haftungsbegründende Kausalität; dazu unter B). Schließlich ist Anerkennungsvoraussetzung, dass der Versicherte deshalb seine Tätigkeit aufgeben musste sowie alle gefährdenden Tätigkeiten unterlässt (dazu unter C). Fehlt eine dieser Voraussetzungen, ist die BK nicht anzuerkennen (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 17). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK. Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 12; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4, RdNr 16 mwN; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 9/08 R - BSGE 103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr 14, RdNr 9 mwN; zuletzt BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - UV-Recht Aktuell 2012, 412; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - NZS 2012, 151; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 14). Diese Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 2108 sind hier erfüllt.

12

A.1. Der Kläger war im Anschluss an seine Ausbildung zum Baufacharbeiter von September 1975 bis Mai 1977 bis einschließlich 1997 und auch darüber hinaus als Eisenflechter und Zimmerer beschäftigt. Er war damit "Versicherter" iS von § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII.

13

2. Nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) unterlag der Kläger während seiner versicherten Tätigkeit im Zeitraum vom 1.9.1975 bis 30.6.1998 einer kumulativen Einwirkungsbelastung in Form von Hebe- und Tragevorgängen von 31 MNh (zur Bestimmung des Ausmaßes der beruflichen Einwirkungen bei der BK 2108 vgl auch BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 17 f, sowie zur Feststellung der tatbestandlich vorausgesetzten Einwirkung in Form von Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 20/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

14

3. Diese Belastungen erfolgten - wie der Tatbestand der Nr 2108 voraussetzt - auch langjährig, nämlich von September 1975 bis jedenfalls Ende 1997 und damit 22 Jahre. Langjährig bedeutet, dass zehn Berufsjahre als im Durchschnitt untere Grenze der belastenden Tätigkeit zu fordern sind (so wörtlich das aktuelle Merkblatt 2108, BArbBl 2006, Heft 10, S 30, Abschnitt IV; vgl zum Merkmal "langjährig" bei der BK 2109 BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 15; s zur BK 2108 bereits BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 10; BSG vom 22.6.2004 - B 2 U 22/03 R - USK 2004-101; vgl auch: Römer in Hauck/Noftz, SGB VII, Anh zu K § 9 Anl zu BKV BK Nr 2108 - 2110 RdNr 7 mwN; "mindestens 10 Jahre" fordern Ricke in Kasseler Kommentar, Stand 5/2014, § 9 SGB VII RdNr 42; Mehrtens/Brandenburg, BKV, Stand 12/2013, M 2108 Anm 2.2.2).

15

4. Nach den weiteren Feststellungen des LSG litt der Kläger im Juli 1998 an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule. Es lag eine Chondrose Grad III mit Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 sowie eine Chondrose Grad I im Segment L4/L5 vor.

16

B. Im Ergebnis zu Recht hat das LSG den Ursachenzusammenhang zwischen gefährdenden Einwirkungen und der Bandscheibenerkrankung des Klägers bejaht. Für die Anerkennung einer BK ist neben der Kausalität zwischen versicherter Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen (Einwirkungskausalität) ein Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkungen und der Erkrankung erforderlich. Für die BK 2108 bedeutet dies, dass die Lendenwirbelsäulenerkrankung des Klägers durch langjähriges schweres Heben und Tragen bzw Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit verursacht worden sein muss. Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung gilt im Berufskrankheitenrecht, wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung, die Theorie der wesentlichen Bedingung (s zum Arbeitsunfall die Entscheidungen des erkennenden Senats vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 34 ff sowie BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37; zu BKen s BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - UV-Recht Aktuell 2012, 412; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 13 sowie - B 2 U 26/04 R - UV-Recht Aktuell 2006, 497), die zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie beruht, nach der jedes Ereignis (jede Bedingung) Ursache eines Erfolgs ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Steht die versicherte Tätigkeit als eine der Wirkursachen fest, muss auf der zweiten Stufe die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr sein. Die Wesentlichkeit der Wirkursache ist zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen (zur Theorie der wesentlichen Bedingung: zuletzt eingehend BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37 f sowie BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1, RdNr 28 ff).

17

1. Vorliegend hat das LSG unter Zugrundelegung des bindend festgestellten Einwirkungswerts iHv 31 MNh ausgehend vom MDD zutreffend angenommen, dass die versicherten Einwirkungen durch schweres Heben und Tragen ausreichten, um einen Bandscheibenschaden zu verursachen. Mit der Heranziehung des MDD zur Bestimmung der für eine Krankheitsverursachung erforderlichen Belastungsdosis folgt das LSG der Rechtsprechung des erkennenden Senats, der seit 2003 (BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 11 ff; BSG vom 19.8.2003 - B 2 U 1/02 R - USK 2003-219; BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 18 und zuletzt BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - UV-Recht Aktuell 2009, 295) dieses Modell als eine geeignete Grundlage zur Konkretisierung der im Text der BK 2108 mit den unbestimmten Rechtsbegriffen "langjähriges" Heben und Tragen "schwerer" Lasten oder "langjährige" Tätigkeit in "extremer Rumpfbeugehaltung" nur ungenau und allenfalls nur richtungsweisend umschriebenen Einwirkungen angesehen hat. Die aufgrund einer retrospektiven Belastungsermittlung für risikobehaftete Tätigkeitsfelder ermittelten Werte, insbesondere die Richtwerte für die Gesamtbelastungsdosis des MDD, sind nicht als Grenzwerte, sondern als Orientierungswerte oder -vorschläge zu verstehen (s zur Handhabung der hälftigen Orientierungswerte als Mindestbelastungswerte BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - UV-Recht Aktuell 2009, 295; BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 25; sowie BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R und B 2 U 20/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Für Männer legt das MDD als Gesamtbelastungsdosis den Wert von 25 MNh fest, der hier mit 31 MNh erheblich überschritten war. Es kommt daher im hier zu entscheidenden Fall nicht darauf an, ob bereits ein geringerer, ggf hälftiger Wert dieses Orientierungswertes ausreichen würde, um von einem erhöhten Erkrankungsrisiko auszugehen und deshalb auf einzelfallbezogene medizinische Ermittlungen nicht mehr verzichtet werden kann (vgl für Männer BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 25). Deshalb muss hier auch nicht entschieden werden, ob aufgrund der mittlerweile vorliegenden Ergebnisse der DWS-Richtwertestudie (DWS II; "Erweiterte Auswertung der Deutschen Wirbelsäulenstudie mit dem Ziel der Ableitung geeigneter Richtwerte", Kurztitel: "DWS-Richtwerteableitung", veröffentlicht unter http://www.dguv.de/ifa/Forschung/Projektverzeichnis/FF-FB_0155A.jsp) eine weitere Absenkung der Orientierungswerte angezeigt ist. Der Senat weist aber in diesem Zusammenhang darauf hin, dass gemäß § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII generelle Voraussetzung für die Einführung eines BK-Tatbestandes die gruppenspezifische Risikoerhöhung gegenüber der Gesamtbevölkerung ist, deren Erreichen jedenfalls bei Werten iHv 3 MNh bedenklich erscheint(s nur Kranig, Was schadet den Bandscheiben?, DGUV Forum 2013, Nr 6, S 27, 31; vgl auch LSG Baden-Württemberg vom 25.9.2008 - L 10 U 5965/06 - Breith 2009, 307, RdNr 34 ff).

18

2. Das LSG hat auch in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise den erforderlichen Ursachenzusammenhang zwischen gefährdenden Einwirkungen im Sinne der BK 2108 und der Bandscheibenerkrankung des Klägers bejaht. Während die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK zum einen das Vorhandensein der tatbestandlich vorausgesetzten Einwirkungen und zum anderen die Kausalität zwischen diesen Einwirkungen und einer Erkrankung beinhalten, betreffen die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen ebenfalls zwei Aspekte der Anerkennungsvoraussetzungen, nämlich zum einen das Vorliegen der tatbestandlich vorausgesetzten Krankheit und zum anderen das Vorliegen eines Schadensbildes, welches mit der rechtlich-wesentlichen Verursachung dieser Krankheit durch die beruflichen Einwirkungen zumindest im Einklang steht (Bieresborn, Die Umsetzung der BK 2108 aus sozialrechtlicher Sicht, in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann , Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule" , Frankfurt 2014, S 193, 194, 199). Aus dem Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen kann angesichts der multifaktoriellen Entstehung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 26) nicht automatisch auf das Bestehen der Anspruchsvoraussetzungen der BK 2108 geschlossen werden; vielmehr müssen medizinische Kriterien hinzukommen (BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 19; BSG vom 30.1.2007 - B 2 U 15/05 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4104 Nr 2, RdNr 23; vgl BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 7/05 R - UV-Recht Aktuell 2006, 510 zur BK nach Nr 4302 der Anlage zur BKV; BSG vom 7.9.2004 - B 2 U 34/03 R - USK 2004-107).

19

Zutreffend hat das Berufungsgericht bei der Bestimmung des maßgeblichen aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands sowohl die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 zugrunde gelegt (dazu unter a) als auch das festgestellte Schadensbild diesen Erkenntnissen zugeordnet, mit dem Ergebnis, dass ein belastungskonformes Schadensbild im Sinne der sog Konstellation B2 der Konsensempfehlungen vorliegt (dazu unter b).

20

a) Nicht zu beanstanden ist, dass das LSG die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 (U. Bolm-Audorff et al, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheit 2005/3, S 211, 216 ff, 228 ff) zugrunde gelegt hat. Diese bilden nach Überzeugung des Senats weiterhin den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand ab. Die naturwissenschaftliche Kausalitätsprüfung ist zwar eine der Bindung fähige tatsächliche Feststellung der Instanzgerichte (vgl Heinz in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 163 RdNr 9), jedoch sind nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats die die einzelnen Tatbestandsmerkmale der jeweiligen BK unterfütternden allgemeinen (generellen) Tatsachen, die für alle einschlägigen BK-Fälle gleichermaßen von Bedeutung sind, anhand des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands auch revisionsrechtlich überprüfbar (grundlegend: BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 5/05 R - BSGE 96, 297 = SozR 4-5671 § 6 Nr 2, RdNr 19 sowie BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 23; s auch BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 23; s zur älteren Senatsrechtsprechung, wonach diesbezügliche Feststellungen dem Anwendungsbereich des § 163 SGG zugerechnet wurden: BSG vom 2.5.2001 - B 2 U 16/00 R - SozR 3-2200 § 551 Nr 16 S 83 = SozR 3-2700 § 9 Nr 4 = SozR 3-5670 Anl 1 Nr 2108 Nr 4, Juris RdNr 28; BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 15, jeweils mwN). Dies muss zunächst jedenfalls immer dann gelten, wenn diese zulässig gerügt werden (vgl hierzu BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Eine Bindung besteht allerdings nicht, wenn das LSG von einem offenkundig falschen medizinischen Erfahrungssatz ausgegangen ist (vgl BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - UV-Recht Aktuell 2010, 418). Inwieweit in der Rechtsprechung anderer Senate des BSG (zur Überprüfung sog "genereller Tatsachen" in der sonstigen Rechtsprechung des BSG vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 163 RdNr 7 sowie speziell im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung BSG vom 16.6.1999 - B 1 KR 4/98 R - BSGE 84, 90, 94 = SozR 3-1500 § 163 Nr 7, Juris RdNr 17 sowie BSG vom 12.8.2009 - B 3 KR 10/07 R - BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 27 und zuletzt BSG vom 12.9.2012 - B 3 KR 10/12 R - BSGE 112, 15 = SozR 4-2500 § 137 Nr 1, RdNr 55; s zu "Rechtstatsachen" BSG vom 25.10.1994 - 3/1 RK 57/93 - SozR 3-1500 § 163 Nr 5, Juris RdNr 27, zu "allgemeinkundigen Tatsachen historischer Natur" BSG vom 7.2.1985 - 9a RV 5/83 - BSGE 58, 38, 42 = SozR 3100 § 5 Nr 7, Juris RdNr 17 sowie zu "gerichtskundigen Tatsachen" BSG vom 27.1.1977 - 7 RAr 16/75 - BSGE 43, 124, 127 = SozR 4100 § 41 Nr 28, Juris RdNr 30) eine solche Überprüfung genereller Tatsachen erfolgt, kann hier dahinstehen. Denn jedenfalls im Bereich des Rechts der BKen hat das BSG aufgrund der in den Normtexten der jeweiligen BKen in der Anlage zur BKV regelmäßig vertypisierten wissenschaftlichen Aussagen die Existenz der einschlägigen Erfahrungssätze selbst festzustellen. Das über das Vorliegen von BKen befindende Gericht muss sich folglich Klarheit darüber verschaffen, welches in der streitigen Frage der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ist. Die heranzuziehenden Quellen, Fachbücher, Standardwerke, Merkblätter des zuständigen Ministeriums, Begründungen des Sachverständigenbeirats, Konsensempfehlungen etc hat das Gericht eigenständig kritisch zu würdigen und auf ihre Aktualität hin - ggf durch Sachverständige - zu überprüfen (vgl BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 100/12 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 24 RdNr 18; BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 68 f; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 20; vgl auch BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 20; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17 mwN).

21

Hierbei ist zunächst die Zugrundelegung der Konsensempfehlungen durch das LSG als Orientierungshilfe bei der Beurteilung, ob der Bandscheibenschaden des Klägers nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand durch die festgestellten beruflichen Einwirkungen verursacht wurde, revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Denn die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 sind nach wie vor eine hinreichende Grundlage für die Bestimmung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands, wie der Senat zuletzt 2009 klargestellt hat (BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - UV-Recht Aktuell 2010, 418). Seitdem wurden zwar in Folge der Veröffentlichung der DWS II Fachaufsätze publiziert, die Zweifel an den Aussagen auch der Konsensempfehlungen äußern. Weder aus der DWS II noch den sonstigen Veröffentlichungen ist jedoch zu entnehmen, dass die Erkenntnisse der Konsensarbeitsgruppe aus dem Jahre 2005 gerade hinsichtlich der hier zugrunde gelegten Befundkonstellation inzwischen veraltet sein könnten. Sofern vertreten wird, dass inzwischen die Ergebnisse der DWS II die wesentlichen Grundannahmen aus den Konsenskriterien widerlegten, etwa weil die bisher angenommenen Einwirkungsgrößen zu hoch seien, die Lokalisation und Häufigkeit der Verteilung von Bandscheibenschäden zu 96% mit denen der Normalbevölkerung identisch sei, die Auswertungen der DWS II keine deutliche Abhängigkeit der Begleitspondylose von der MDD-Gesamtbelastungsdosis gezeigt habe oder Schäden an der HWS keine Aussagekraft zur Verursachung von LWS-Schäden hätten (M. Kentner und K. Frank, Kommentar zur DWS-Richtwertestudie und Implikationen hinsichtlich BK 2108 - Biomechanik vs. Pathophysiologie, zur Veröffentlichung in ASUMed 8/2015 vorgesehen; Linhardt/Grifka, Auswirkungen der Deutschen Wirbelsäulenstudie auf die Berufskrankheit der Lendenwirbelsäule , MedSach 111 <2015>, 20, 21; Bergmann, Bolm-Audorff, Ditchen, Ellegast, Haerting, Kersten, Jäger, Skölziger, Kuß, Morfeld, Schäfer, Seidler, Luttmann, Lumbaler Bandscheibenvorfall mit Radikulärsyndrom und fortgeschrittene Osteochondrose, ZblArbeitsmed 2014, 233), handelt es sich erkennbar um wissenschaftliche Einzelmeinungen.

22

Die zitierten Publikationen setzen sich zum einen jeweils inhaltlich nicht mit der grundsätzlichen Kritik an der angewandten Methodik der Nachuntersuchung auseinander (s nur Grosser, Ergebnisse der Konsensarbeitsgruppe zur Begutachtung der BK 2108 - Status quo und Konsequenzen aus der DWS, in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann, Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule" , Frankfurt 2014, S 84 ; Zagrodnik, Fragliche Belastungsdosis, DGUV Forum 2014, Nr 7/8, S 10 ff), zum anderen schöpfen sie ihre Kritik an den Aussagen der Konsensempfehlungen alleine aus den Ergebnissen der DWS II und wenden sich im Wesentlichen gegen die Bestimmung und Höhe der Einwirkungsgrößen, nicht aber gegen die Grundaussage der Konsensempfehlungen, dass Bandscheibenschäden aufgrund beruflich erworbener Druckbelastungs-Dosen entstehen können. Der Senat verkennt nicht, dass ein wissenschaftlicher Erkenntnisstand auch dadurch erschüttert werden kann, dass grundlegende und fundierte Zweifel seitens der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler diesem den Boden entziehen, ohne dass sich diese in ihrer Mehrheit auf einen neuen Konsens geeinigt hätten. Einzelne Gegenstimmen sind demgegenüber nicht geeignet, einen einmal gebildeten und sich in schriftlichen Beurteilungskriterien manifestierenden wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu erschüttern, solange nicht die daran beteiligten Autoren in ihrer Mehrheit diesen Konsens in wesentlichen Punkten aufkündigen oder eine (zumindest teilweise) personell anders zusammengesetzte große Mehrheit der mit dieser Materie befassten Fachwissenschaftler diesem Konsens entgegentritt.

23

b) Nicht zu beanstanden ist im Rahmen des soeben aufgezeigten Prüfumfangs die Aussage des LSG, dass bei dem Kläger die Konstellation B2 der Konsensempfehlungen vorliegt, für die diese eine Anerkennungsempfehlung aussprechen. So wie der erkennende Senat im Recht der BKen nicht gehindert ist, den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu Verursachungszusammenhängen festzustellen, ist er ebenso wenig gehindert, die korrekte Zuordnung des Sachverhalts seitens des Berufungsgerichts unter diesen einschlägigen Erkenntnisstand zu überprüfen. Dies gilt umso mehr, wenn dieser in Konsensempfehlungen verdichtet ist. Bei diesen handelt es sich freilich nicht um einen normativen Text oder ein antizipiertes Sachverständigengutachten, weil die Konsensempfehlungen weder vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber erlassen, noch von unabhängigen und der Neutralität verpflichteten Autoren verfasst wurden (P. Becker, ASUMed 2009, 592, 595). Daher sind sie für Verwaltung, Gerichte oder Gutachter auch nicht unmittelbar verbindlich (Siefert, ASR 2011, 45, 48) und es verbietet sich deren Auslegung unter strikter Anwendung der Regeln der juristischen Methodenlehre (vgl Bieresborn, Die Umsetzung der BK 2108 aus sozialrechtlicher Sicht aaO, S 199).Konsensempfehlungen dienen lediglich zur Erleichterung der Beurteilung im Einzelfall, um typische Befundkonstellationen im Hinblick auf die Kausalbeziehungen unter Zugrundelegung des aktuell wissenschaftlichen Erkenntnisstands einordnen zu können (Duell, Kranig, Palfner, BK-Begutachtungsempfehlungen - Wissen von Experten für Experten, DGUV Forum 2012, Nr 4 S 14, 16). Andererseits muss bei diesem Erkenntnisvorgang überprüfbar bleiben, ob das LSG nach allgemeinem Verständnis den von ihm festgestellten Sachverhalt (noch) vertretbar den in den Konsensempfehlungen aufgeführten Kategorien zugeordnet hat.

24

Für sämtliche Befundkonstellationen wird in den Konsensempfehlungen vorausgesetzt, dass die (gesicherte) bandscheibenbedingte Erkrankung nach ihrer Lokalisation die Segmente L5/S1 und/oder L4/L5 betrifft und eine Ausprägung als Chondrose Grad II oder höher und/oder als Vorfall hat. Sofern zusätzlich eine Begleitspondylose besteht (Befundkonstellation B1), gilt der Zusammenhang als wahrscheinlich. Liegt hingegen - wie hier nach den bindenden Feststellungen des LSG - keine Begleitspondylose vor, so wird der Zusammenhang nach den Konsensempfehlungen ua dann als wahrscheinlich betrachtet, wenn eine Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben besteht (Befundkonstellation "B2", 1. Spiegelstrich - 1. Zusatzkriterium - 1. Alt). Alternativ müssen bei nur monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 im Magnetresonanztomogramm in mindestens zwei angrenzenden Segmenten "black discs" vorliegen (Befundkonstellation "B2", 1. Spiegelstrich - 1. Zusatzkriterium - 2. Alt). Als weitere Alternativen genügt für die Konstellation B2 entweder das Bestehen einer besonders intensiven Belastung, wobei hierfür als "Anhaltspunkt" das Erreichen des "Richtwertes für die Lebensdosis" in weniger als 10 Jahren (Befundkonstellation "B2", 2. Spiegelstrich - 2. Zusatzkriterium) gilt, oder eines besonderen Gefährdungspotenzials durch hohe Belastungsspitzen, wofür als "Anhaltspunkt" das Erreichen der Hälfte des "MDD-Tagesdosis-Richtwertes" durch hohe Belastungsspitzen (Frauen ab 4 1/2 kN, Männer ab 6 kN) (Befundkonstellation "B2", 3. Spiegelstrich - 3. Zusatzkriterium) verlangt wird.

25

Das LSG ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass beim Kläger die Befundkonstellation "B2" - 2. Zusatzkriterium - das Erreichen des "Richtwertes für die Lebensdosis" in weniger als 10 Jahren - vorlag, bei der der Ursachenzusammenhang hinreichend wahrscheinlich ist. Es hat für den erkennenden Senat bindend festgestellt, dass eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule in Form einer Chondrose Grad III mit Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 sowie eine Chondrose Grad I im Segment L4/L5 ohne Begleitspondylose und keine konkurrierenden Ursachen vorlagen, sowie dass der Kläger im Zeitraum vom 1.6.1977 bis 31.5.1987 Belastungen von 15 MNh ausgesetzt war. Damit erreichte der Kläger also in weniger als 10 Jahren zwar nicht den Orientierungswert für Männer nach dem MDD iHv 25 MNh, überschritt jedoch mit 15 MNh die Hälfte dieses Wertes von 12,5 MNh.

26

Das LSG ist weiter davon ausgegangen, dass beim Kläger wegen dieses Überschreitens der hälftigen MDD-Dosis in Höhe von 12,5 MNh in weniger als 10 Jahren die für den Kausalzusammenhang der Befundkonstellation "B2" - 2. Zusatzkriterium - erforderliche besonders intensive Belastung vorlag. Den Konsensempfehlungen hat das LSG mithin den generellen wissenschaftlichen Erfahrungssatz entnommen, dass für die bei der Befundkonstellation "B2" - 2. Zusatzkriterium - erforderliche besonders intensive Belastung bei Männern das Erreichen der hälftigen MDD-Dosis iHv 25 MNh, nämlich des Wertes von 12,5 MNh in weniger als 10 Jahren genügt. Dieser Erfahrungssatz ist jedenfalls nicht offenkundig falsch. Der vom LSG aufgestellte allgemeine Erfahrungssatz kann vom Revisionsgericht zwar in den oben aufgezeigten Grenzen überprüft werden, denn die Feststellungen des LSG zum aktuellen medizinischen Erkenntnisstand im Recht der BKen unterliegen nicht von vornherein der in § 163 SGG angeordneten Bindung des Revisionsgerichts an tatrichterliche Feststellungen(vgl zB BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7).

27

Der Senat konnte aber im Rahmen seiner hierzu durchgeführten Überprüfung nicht zu der Erkenntnis gelangen, dass der vom LSG zugrunde gelegte Erfahrungssatz hinsichtlich der erforderlichen besonders intensiven Belastung des 2. Zusatzkriteriums der Konstellation B2 in der Wissenschaft allgemein angegriffen wird und deshalb offenkundig nicht dem aktuellen Erkenntnisstand entspricht. Der Wortlaut der Konsensempfehlungen selbst verlangt jedenfalls in der Befundkonstellation "B2" - 2. Zusatzkriterium - nur das Erreichen des "Richtwertes für die Lebensdosis" in weniger als 10 Jahren, ohne dort konkret die "MDD-Lebensdosis" wie im 3. Zusatzkriterium zu erwähnen. Auch in der wissenschaftlichen Literatur wird (Seidler und Bolm-Audorff in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann, BK 2108, S 135, 138) teilweise auf die Hälfte des MDD-Richtwerts und damit für Männer auf eine Belastung von 12,5 MNh abgestellt. Allein dass auch eine andere Auffassung vertreten wird (für den Wert von 25 MNh wohl Grosser in: Grosser ua, BK 2108, S 83, 102) und die LSGe hier jeweils zu unterschiedlichen Einschätzungen gelangen (vgl LSG Niedersachsen-Bremen vom 19.2.2010 - L 14 U 78/06 - und vom 25.5.2011 - L 3 U 28/07; LSG Berlin-Brandenburg vom 6.5.2010 - L 3 U 19/06 - und vom 19.1.2012 - L 2 U 24/09 ZVW - sowie Bayerisches LSG vom 31.1.2013 - L 17 U 244/06), reicht nicht dafür aus, die Feststellungen des LSG zum aktuellen medizinischen Erkenntnisstand als offensichtlich fehlerhaft in Frage zu stellen.

28

Ein medizinischer Erfahrungssatz entspricht in der Regel dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand, wenn er von allen oder den meisten in dem entsprechenden Fachgebiet Kundigen vertreten wird. Er kann aber auch dann den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen, wenn er nicht von allen im jeweiligen Erkenntnissystem Handelnden geteilt wird und auch abweichende Auffassungen vertreten werden. Ein Erkenntnisstand kann sich fortlaufend verändern (vgl hierzu Hase, Sozialrecht und die Integration gesellschaftlichen Wissens, in Masuch ua , Grundlagen und Herausforderungen des Sozialstaats, 2014, S 423, 429 ff). Deshalb kann allein aus dem Vorliegen unterschiedlicher Auffassungen bei den im entsprechenden Fachgebiet Kundigen nicht geschlossen werden, dass ein Erfahrungssatz falsch ist oder nicht mehr dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entspricht. Für den Senat war danach nicht erkennbar, dass der vom LSG zugrunde gelegte wissenschaftliche Erfahrungssatz hinsichtlich der besonders intensiven Belastung bei dem 2. Zusatzkriterium der Konstellation B2 offenkundig falsch ist oder in der Wissenschaft allgemein angegriffen wird. Dies ist auch dem Vorbringen der Revision nicht zu entnehmen. Sie stützt sich lediglich darauf, dass die Konsensempfehlungen im Ganzen und hinsichtlich der Befundkonstellation "B2" - 2. Zusatzkriterium - im Besonderen aufgrund der dargestellten divergierenden Auffassungen keine hinlänglich zuverlässige Grundlage mehr für die Bestimmung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands seien. Dies ist jedoch - wie oben ausgeführt - hinsichtlich der Konsensempfehlungen insgesamt unzutreffend. Der Senat sieht sich nach seinen eigenen Erkenntnissen jedenfalls auch nicht veranlasst, diesen vom LSG zugrunde gelegten wissenschaftlichen Erfahrungssatz zu korrigieren.

29

Insofern besteht zwar aufgrund des durchaus kontroversen Stands der wissenschaftlichen Erkenntnisse im konkreten Anwendungsfall der BK 2108 die auch von der Beklagten beschriebene Gefahr, dass Tatsachengerichte zur Feststellung unterschiedlicher Erfahrungssätze gelangen können, die dann jeweils revisionsrechtlich - in den aufgezeigten Grenzen - akzeptiert werden müssten. Dieses Ergebnis ist jedoch zum einen die logische Folge der den Gerichten nur eingeschränkt eröffneten Möglichkeiten, sich den tatsächlichen aktuellen medizinischen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu verschaffen. Die damit verbundene Rechtsunsicherheit ist aber zum anderen zumindest partiell auch Folge des Normtatbestands der BK 2108, dessen Reform der Senat bereits mehrfach angemahnt hat (vgl insbesondere BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 28 ff). Der Senat hat bereits im Jahre 2007 (aaO) betont, dass eine gleichmäßige Rechtsanwendung nur gewährleistet ist, wenn sich die zur Definition einer BK verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe mit Hilfe des von den Gerichten feststellbaren wissenschaftlichen Erkenntnisstands hinreichend konkretisieren lassen. Eine rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechende Handhabung der BK-Tatbestände und insbesondere des Tatbestands der BK 2108 ist nicht mehr möglich, wenn sich eine tragfähige wissenschaftliche Grundlage für die Beurteilung der jeweils zu untersuchenden Ursachenzusammenhänge im Prozess nicht mehr ermitteln lässt, sei es, weil einschlägige Forschungsergebnisse überhaupt fehlen oder weil sie keine allgemein akzeptierten Erkenntnisse (mehr) liefern (so bereits BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 8 ff). Der Senat hat hierbei auch darauf hingewiesen, dass der Verordnungsgeber mittels ggf erst zu schaffender oder besser auszustattender Fachgremien den wissenschaftlichen Erkenntnisstand über Ursachenzusammenhänge zwischen beruflichen Einwirkungen und der Entstehung von Krankheiten umfassend ermitteln kann (allgemein zu den Problemen der Feststellung des Stands der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft im BK-Recht auch für den Verordnungsgeber vgl Spellbrink, SR 2014, 140, 144 ff). Es ist allerdings nicht ersichtlich, dass sich der Verordnungsgeber in den letzten Jahren dieser Aufgabe gestellt und etwa im Rahmen seiner gesetzlichen Ermächtigung (§ 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII) abstrakt-generelle Voraussetzungen der BK 2108 zB in Form von Dosiswerten diskutiert hätte. Auf die Angabe solcher "Grenzwerte" oder anderer Präzisierungen hat der Verordnungsgeber bei der BK 2108 bislang gerade verzichtet, woraus sich ein Großteil der auch im vorliegenden Fall erheblichen Anwendungsprobleme der Norm erklärt. Ob der erkennende Senat diese Anwendungsprobleme bei der BK 2108 auch in Zukunft als rechtsstaatlich noch tolerierbar betrachten kann, wird hier ausdrücklich offengelassen.

30

Da mithin bereits revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist, dass das 2. Zusatzkriterium der Befundkonstellation "B2" vorliegt, kann hier dahinstehen, ob für die Befundkonstellation "B2", 1. Spiegelstrich - 1. Zusatzkriterium - 1. Alt als "Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben" auch ein bisegmentaler Befund ausreichen würde (so Sächsisches LSG vom 21.6.2010 - L 2 U 170/08 LW - und LSG Sachsen-Anhalt Urteil vom 11.7.2013 - L 6 U 59/11; Seidler und Bolm-Audorff in Grosser ua BK 2108, S 134, 138; anders Hessisches LSG Urteil vom 18.8.2009 - L 3 U 202/04 - und vom 27.3.2012 - L 3 U 81/11; Bayerisches LSG Urteil vom 31.1.2013 - L 17 U 244/06 ; Grosser in: Grosser ua BK 2108, S 83, 101), was das LSG ebenfalls angenommen hat.

31

C. Schließlich ist auch die weitere Voraussetzung der Aufgabe der die Wirbelsäule belastenden Tätigkeit für die Anerkennung einer BK 2108 erfüllt. Nach den bindenden Feststellungen des LSG war der Kläger nur bis Juni 1998 in seiner versicherten Tätigkeit Belastungen der Wirbelsäule ausgesetzt und gab sämtliche wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten im Juli 1998 auf.

32

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 Abs 1 SGG.

(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, daß die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind. In der Rechtsverordnung kann ferner bestimmt werden, inwieweit Versicherte in Unternehmen der Seefahrt auch in der Zeit gegen Berufskrankheiten versichert sind, in der sie an Land beurlaubt sind.

(1a) Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ein Ärztlicher Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten gebildet. Der Sachverständigenbeirat ist ein wissenschaftliches Gremium, das das Bundesministerium bei der Prüfung der medizinischen Erkenntnisse zur Bezeichnung neuer und zur Erarbeitung wissenschaftlicher Stellungnahmen zu bestehenden Berufskrankheiten unterstützt. Bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wird eine Geschäftsstelle eingerichtet, die den Sachverständigenbeirat bei der Erfüllung seiner Arbeit organisatorisch und wissenschaftlich, insbesondere durch die Erstellung systematischer Reviews, unterstützt. Das Nähere über die Stellung und die Organisation des Sachverständigenbeirats und der Geschäftsstelle regelt die Bundesregierung in der Rechtsverordnung nach Absatz 1.

(2) Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind.

(2a) Krankheiten, die bei Versicherten vor der Bezeichnung als Berufskrankheiten bereits entstanden waren, sind rückwirkend frühestens anzuerkennen

1.
in den Fällen des Absatzes 1 als Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die Bezeichnung in Kraft getreten ist,
2.
in den Fällen des Absatzes 2 wie eine Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorgelegen haben; hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten eine Empfehlung für die Bezeichnung einer neuen Berufskrankheit beschlossen, ist für die Anerkennung maßgebend der Tag der Beschlussfassung.

(3) Erkranken Versicherte, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach Absatz 1 genannten Berufskrankheit ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, wird vermutet, daß diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist.

(3a) Der Unfallversicherungsträger erhebt alle Beweise, die zur Ermittlung des Sachverhalts erforderlich sind. Dabei hat er neben den in § 21 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Beweismitteln auch Erkenntnisse zu berücksichtigen, die er oder ein anderer Unfallversicherungsträger an vergleichbaren Arbeitsplätzen oder zu vergleichbaren Tätigkeiten gewonnen hat. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Ermittlungen zu den Einwirkungen während der versicherten Tätigkeit dadurch erschwert sind, dass der Arbeitsplatz des Versicherten nicht mehr oder nur in veränderter Gestaltung vorhanden ist. Die Unfallversicherungsträger sollen zur Erfüllung der Aufgaben nach den Sätzen 2 und 3 einzeln oder gemeinsam tätigkeitsbezogene Expositionskataster erstellen. Grundlage für diese Kataster können die Ergebnisse aus systematischen Erhebungen, aus Ermittlungen in Einzelfällen sowie aus Forschungsvorhaben sein. Die Unfallversicherungsträger können außerdem Erhebungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen durchführen.

(4) Besteht für Versicherte, bei denen eine Berufskrankheit anerkannt wurde, die Gefahr, dass bei der Fortsetzung der versicherten Tätigkeit die Krankheit wiederauflebt oder sich verschlimmert und lässt sich diese Gefahr nicht durch andere geeignete Mittel beseitigen, haben die Unfallversicherungsträger darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen. Die Versicherten sind von den Unfallversicherungsträgern über die mit der Tätigkeit verbundenen Gefahren und mögliche Schutzmaßnahmen umfassend aufzuklären. Zur Verhütung einer Gefahr nach Satz 1 sind die Versicherten verpflichtet, an individualpräventiven Maßnahmen der Unfallversicherungsträger teilzunehmen und an Maßnahmen zur Verhaltensprävention mitzuwirken; die §§ 60 bis 65a des Ersten Buches gelten entsprechend. Pflichten der Unternehmer und Versicherten nach dem Zweiten Kapitel und nach arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften bleiben hiervon unberührt. Kommen Versicherte ihrer Teilnahme- oder Mitwirkungspflicht nach Satz 3 nicht nach, können die Unfallversicherungsträger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder die Leistung einer danach erstmals festzusetzenden Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit oder den Anteil einer Rente, der auf eine danach eingetretene wesentliche Änderung im Sinne des § 73 Absatz 3 zurückgeht, bis zur Nachholung der Teilnahme oder Mitwirkung ganz oder teilweise versagen. Dies setzt voraus, dass infolge der fehlenden Teilnahme oder Mitwirkung der Versicherten die Teilhabeleistungen erforderlich geworden sind oder die Erwerbsminderung oder die wesentliche Änderung eingetreten ist; § 66 Absatz 3 und § 67 des Ersten Buches gelten entsprechend.

(5) Soweit Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen.

(6) Die Bundesregierung regelt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates

1.
Voraussetzungen, Art und Umfang von Leistungen zur Verhütung des Entstehens, der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens von Berufskrankheiten,
2.
die Mitwirkung der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen bei der Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind; dabei kann bestimmt werden, daß die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen berechtigt sind, Zusammenhangsgutachten zu erstellen sowie zur Vorbereitung ihrer Gutachten Versicherte zu untersuchen oder auf Kosten der Unfallversicherungsträger andere Ärzte mit der Vornahme der Untersuchungen zu beauftragen,
3.
die von den Unfallversicherungsträgern für die Tätigkeit der Stellen nach Nummer 2 zu entrichtenden Gebühren; diese Gebühren richten sich nach dem für die Begutachtung erforderlichen Aufwand und den dadurch entstehenden Kosten.

(7) Die Unfallversicherungsträger haben die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständige Stelle über den Ausgang des Berufskrankheitenverfahrens zu unterrichten, soweit ihre Entscheidung von der gutachterlichen Stellungnahme der zuständigen Stelle abweicht.

(8) Die Unfallversicherungsträger wirken bei der Gewinnung neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse insbesondere zur Fortentwicklung des Berufskrankheitenrechts mit; sie sollen durch eigene Forschung oder durch Beteiligung an fremden Forschungsvorhaben dazu beitragen, den Ursachenzusammenhang zwischen Erkrankungshäufigkeiten in einer bestimmten Personengruppe und gesundheitsschädlichen Einwirkungen im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit aufzuklären. Die Verbände der Unfallversicherungsträger veröffentlichen jährlich einen gemeinsamen Bericht über ihre Forschungsaktivitäten und die Forschungsaktivitäten der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Bericht erstreckt sich auf die Themen der Forschungsvorhaben, die Höhe der aufgewendeten Mittel sowie die Zuwendungsempfänger und Forschungsnehmer externer Projekte.

(9) Die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen dürfen zur Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind, Daten verarbeiten sowie zur Vorbereitung von Gutachten Versicherte untersuchen, soweit dies im Rahmen ihrer Mitwirkung nach Absatz 6 Nr. 2 erforderlich ist; sie dürfen diese Daten insbesondere an den zuständigen Unfallversicherungsträger übermitteln. Die erhobenen Daten dürfen auch zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren gespeichert, verändert, genutzt, übermittelt oder in der Verarbeitung eingeschränkt werden. Soweit die in Satz 1 genannten Stellen andere Ärzte mit der Vornahme von Untersuchungen beauftragen, ist die Übermittlung von Daten zwischen diesen Stellen und den beauftragten Ärzten zulässig, soweit dies im Rahmen des Untersuchungsauftrages erforderlich ist.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 14. Mai 2009 wird zurückgewiesen, soweit ihre Berufung gegen die Aufhebung der Ablehnung eines Anspruchs auf Anerkennung einer PTBS als Wie-BK im Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 2000 im Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 25. Oktober 2005 zurückgewiesen wurde. Im Übrigen werden diese Urteile aufgehoben und die Feststellungsklage abgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits in allen Instanzen zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch auf die Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) als Wie-Berufskrankheit (Wie-BK) streitig.

2

Der 1943 geborene Kläger ist von Beruf Diplom-Sozialarbeiter. Er nahm 1968 eine Beschäftigung als hauptamtlicher Mitarbeiter in der Entwicklungshilfe auf. Dort war er von März 1968 bis Juni 1973 auf Madagaskar und von Juli 1973 bis Juli 1975 in Mali eingesetzt. Von August 1975 bis Dezember 1978 war er beim Deutschen Entwicklungsdienst (DED) im Inland beschäftigt. Für diese Organisation war er von Januar 1979 bis Januar 1983 in Niger, von Februar 1983 bis Juni 1987 in Berlin, von August 1987 bis Juli 1995 in Togo sowie von September 1995 bis Februar 1999 als Referatsleiter "Westafrika" wieder in Berlin eingesetzt. In der zuletzt genannten Funktion unternahm er mehrere Reisen in westafrikanische Länder.

3

Unter dem 1.2.1999 zeigte der DED der Beklagten eine mögliche Berufskrankheit an. Der Kläger leide nach jahrelangem Aufenthalt in Krisengebieten an PTBS. Die Beklagte lehnte die Anerkennung einer PTBS als "Berufskrankheit nach der Berufskrankheiten-Verordnung" (BKV) ab (Bescheid vom 8.2.2000). Der Kläger erhob dagegen Widerspruch und machte außerdem geltend, die Erkrankung sei als Wie-BK anzuerkennen. Die Beklagte wies den Widerspruch durch den Widerspruchsausschuss mit Widerspruchsbescheid vom 25.7.2000 zurück. Darin wurde erstmals erklärt, die PTBS sei nicht nach § 9 Abs 2 SGB VII wie eine Berufskrankheit anzuerkennen, da neue medizinische Erkenntnisse hierzu nicht vorlägen.

4

Der Kläger hat beim SG Freiburg die Aufhebung der den Anspruch auf Anerkennung einer Wie-BK ablehnenden Entscheidung und die Verpflichtung der Beklagten zur Anerkennung sowie ihre Verurteilung zur Entschädigung begehrt. Das SG hat den "Bescheid der Beklagten vom 08.02.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 25.07.2000" aufgehoben und diese verurteilt, die PTBS als Wie-BK anzuerkennen und ihm die gesetzlichen Entschädigungsleistungen zu gewähren (Urteil vom 25.10.2005).

5

Die Beklagte hat gegen das Urteil des SG Berufung eingelegt und die Auffassung vertreten, neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über das Entstehen der Erkrankung PTBS bei der Gruppe der hauptberuflich in der Entwicklungshilfe tätigen Personen lägen nicht vor. Das LSG hat die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass festgestellt wird, dass die beim Kläger vorliegende PTBS wie eine BK zu "entschädigen" ist. Die hauptamtlich in der Entwicklungshilfe tätigen Personen und die Entwicklungshelfer seien zu einer Gruppe zusammenzufassen. Mit hinreichender Wahrscheinlichkeit sei die Personengruppe bei ihrer Tätigkeit Einwirkungen ausgesetzt, die geeignet seien, PTBS hervorzurufen. Auch die individuellen Voraussetzungen für die Feststellung einer Wie-BK seien gegeben.

6

Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung von § 9 Abs 2 SGB VII sowie § 551 Abs 2 RVO und einen Verstoß gegen die Grenzen freier richterlicher Beweiswürdigung. Für die Anerkennung einer Wie-BK seien ua besondere Einwirkungen zu fordern, denen der Kläger als Mitglied einer bestimmten Personengruppe in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sei. Zudem müssten neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft belegen, dass die Einwirkungen generell geeignet seien, PTBS zu verursachen. Bei den Feststellungen habe das LSG die Gruppe der Entwicklungshelfer iS des Entwicklungshelfer-Gesetzes von der Gruppe der als Landesbeauftragten eines Entwicklungshilfedienstes Beschäftigten abgrenzen müssen. Bei Beachtung dieser Unterscheidung zeige sich, dass Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die Verursachung einer PTBS nicht für die Gruppe der hauptamtlichen Landesbeauftragten gegeben seien. Für die Gruppe der hauptamtlich tätigen Verwaltungsbeauftragten lasse sich eine gruppenspezifische Risikoerhöhung nicht feststellen. Notwendig sei eine epidemiologische Bestätigung des Kausalzusammenhangs, die es nicht gebe.

7

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 14. Mai 2009 sowie das Urteil des SG Freiburg vom 25. Oktober 2005 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Beklagten ist teilweise begründet.

10

Da die Beklagte Revision eingelegt hat, sind nur die vom LSG bestätigte Aufhebung der Ablehnung der Feststellung einer Listen-BK im Bescheid vom 8.2.2000 und im Widerspruchsbescheid vom 25.7.2000 und die Aufhebung der in diesem zudem enthaltenen Ablehnung der Anerkennung einer Wie-BK sowie die Verurteilung zur Entschädigung einer PTBS als Wie-BK Gegenstände der Revision. Diese ist begründet, soweit das LSG die Berufung der Beklagten gegen die Aufhebung des die Anerkennung einer Listen-BK ablehnenden Bescheids vom 8.2.2000 und nur insoweit in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.7.2000 zurückgewiesen und das Urteil des SG mit der Maßgabe bestätigt hat, dass eine PTBS als Wie-BK festzustellen sei.

11

1. Gegen die Ablehnung eines Anspruchs auf Feststellung einer Listen-BK im Bescheid vom 8.2.2000 und die Zurückweisung seines Widerspruchs gegen diese Regelung im Widerspruchsbescheid hat der Kläger vor dem SG keine Klage erhoben. Er hat die Feststellung einer Listen-BK vor dem SG von Anfang an nicht begehrt. Der Verwaltungsakt vom 8.2.2000, der nur diese Regelung enthält, und der Widerspruchsbescheid vom 25.7.2000, soweit er den Widerspruch gegen diese Verfügung zurückweist, sind vom Kläger nicht angegriffen worden und durften schon deshalb nicht aufgehoben werden.

12

2. Die Feststellung einer PTBS als zu entschädigende Wie-BK, die das SG ausgesprochen hat, hätte das LSG nicht bestätigen dürfen. Die hierauf gerichtete Feststellungsklage ist unzulässig gewesen, denn insoweit fehlte es an einer Verwaltungsentscheidung der zuständigen Behörde über den Feststellungsantrag. Solange die sachlich zuständige Ausgangsbehörde des Unfallversicherungsträgers nicht über den erhobenen Feststellungsanspruch entschieden hat, kann der Versicherte, außer bei rechtswidriger Untätigkeit der Behörde, kein berechtigtes Interesse an einer gerichtlichen Feststellung haben.

13

3. Dagegen ist die Revision unbegründet, soweit das LSG die Berufung der Beklagten gegen die Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 25.7.2000 zurückgewiesen hat, soweit darin erstmals der Antrag auf Anerkennung der PTBS als Wie-BK abgelehnt worden ist. Das SG hat den Widerspruchsbescheid auf die Anfechtungsklage des Klägers gegen die Ablehnung des Anspruchs auf Feststellung einer Wie-BK im Ergebnis zu Recht aufgehoben.

14

Soweit die Widerspruchsstelle den Widerspruch gegen die im Ausgangsbescheid verfügte Ablehnung der Feststellung einer Listen-BK zurückgewiesen hat, hat der Widerspruchsbescheid - wie gesagt - Bestand, denn er ist insoweit nicht angefochten worden. Soweit aber die Widerspruchsstelle erstmals die Feststellung einer Wie-BK abgelehnt hat, hat sie eine Entscheidung über ein anderes Recht des Klägers getroffen, denn der Anspruch auf Feststellung einer Listen-BK einerseits und derjenige auf Feststellung einer Wie-BK andererseits sind grundsätzlich zu unterscheiden (vgl BSG vom 2.12.2008 - B 2 KN 3/07 U R - SozR 4-2700 § 9 Nr 13).

15

Die Feststellung der Widerspruchsstelle, der Kläger habe keinen Anspruch auf Anerkennung einer Wie-BK, ist rechtswidrig und verletzt diesen schon in seinem verfahrensrechtlichen Recht auf Entscheidung durch die funktional und sachlich zuständige Behörde des Leistungsträgers (§ 42 Satz 1 SGB X). Denn die Widerspruchsstelle ist funktional und sachlich nicht zuständig, an Stelle der Ausgangsbehörde des Trägers - hier des Rentenausschusses - über ein erstmals im Widerspruchsverfahren geltend gemachtes Recht zu entscheiden (vgl § 36a Abs 1 Satz 1 SGB IV iVm der Satzung der Beklagten; dazu BSG SozR 3-1500 § 87 Nr 1 S 5 f; BSG vom 30.3.2004 - B 4 RA 48/01 R, veröffentlicht in JURIS; BSG vom 18.10.2005 - B 4 RA 21/05 R; stRspr). Der Verfahrensfehler ist iS von § 62 Halbs 2, § 42 Satz 1 SGB X beachtlich und begründet einen Aufhebungsanspruch.

16

Aufgrund des Antrags auf Feststellung einer Wie-BK, den der Kläger mit seiner Widerspruchsbegründung gestellt hat, muss jetzt die sachlich zuständige Behörde der Beklagten das Verwaltungsverfahren durchführen.

17

4. Der Senat sieht sich im Hinblick auf die bisherige Dauer des Verfahrens und den zeitlichen Aspekt, den die grundgesetzliche Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 GG) hat, veranlasst, auf Folgendes hinzuweisen:

18

Maßgebend für die Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs dürfte das SGB VII (§ 212 SGB VII)sein. Zwar könnte die streitige Erkrankung seit Mitte 1996 eingetreten sein. Es ist aber anzunehmen, dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse über die Einwirkungs-Verursachungs-beziehung - wenn überhaupt, dann - aus der Zeit nach dem Jahr 2000 stammen. Der Versicherungsfall dürfte daher nach Inkrafttreten des SGB VII eingetreten sein (BSG vom 2.12.2008 - B 2 KN 1/08 U R - BSGE 102, 121, 126 = SozR 4-2700 § 9 Nr 12, RdNr 22).

19

Für die Feststellung einer Wie-BK genügt es nicht, dass im Einzelfall berufsbedingte Einwirkungen die rechtlich wesentliche Ursache einer nicht in der BK-Liste bezeichneten Krankheit sind (vgl BSG vom 30.1.1986 - 2 RU 80/84 - BSGE 59, 295 = SozR 2200 § 551 Nr 27), denn die Regelung des § 9 Abs 2 SGB VII beinhaltet keinen Auffangtatbestand und keine allgemeine Härteklausel(vgl BSG vom 12.1.2010 - B 2 U 5/08 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 17 RdNr 31 mwN). Vielmehr darf die Anerkennung einer Wie-BK nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der BKen (vgl § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII) erfüllt sind, der Verordnungsgeber sie also als neue Listen-BK in die BKV einfügen dürfte, aber noch nicht tätig geworden ist (vgl BT-Drucks 13/2204, 77 f).

20

           

Nach § 9 Abs 2 SGB VII müssen für die Feststellung der Wie-BK folgende Voraussetzungen erfüllt sein (zu den einzelnen Prüfungsschritten nachfolgend):

(1) Ein "Versicherter" muss die Feststellung einer bestimmten Krankheit als Wie-BK beanspruchen.

(2) Die Voraussetzungen einer in der Anlage 1 zur BKV bezeichneten Krankheit dürfen nicht erfüllt sein.

(3) Die Voraussetzungen für die Bezeichnung der geltend gemachten Krankheit als Listen-BK durch den Verordnungsgeber nach § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII müssen vorliegen; es muss eine bestimmte Personengruppe durch die versicherte Tätigkeit besonderen Einwirkungen in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt (gewesen) sein (3.1), und es müssen medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse über das Bestehen einer Einwirkungs- und Verursachungsbeziehung vorliegen (3.2).

(4) Diese medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse müssen neu sein.

(5) Im Einzelfall müssen die abstrakten Voraussetzungen der Wie-BK konkret erfüllt sein.

21

ad (1) Der Kläger dürfte als hauptamtlich Beschäftigter des DED bei seinen Auslandseinsätzen nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII, § 4 Abs 1 SGB IV versichert gewesen sein, denn während seiner Auslandseinsätze bestand im Inland ein Beschäftigungsverhältnis zum DED, in dessen Rahmen er vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt im Ausland tätig war. Er hat mit der PTBS eine bestimmte Krankheit benannt, deren Anerkennung als Wie-BK er begehrt.

22

ad (2) Die Merkmale einer Listen-BK sind nicht erfüllt.

23

ad (3) Nach § 9 Abs 2 iVm Abs 1 Satz 2 Halbs 1 SGB VII setzt die Feststellung einer Wie-BK voraus, dass eine bestimmte Personengruppe durch die Art der versicherten Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt ist (3.1). Die Personengruppe darf nicht vorab nach gesetzesfremden Merkmalen bestimmt werden, sondern ergibt sich durch die nachgenannten Prüfungen. Zuerst ist die Art der Einwirkungen zu ermitteln, die im Blick auf die vom Versicherten geltend gemachte Krankheit abstrakt-generell als Ursachen in Betracht kommen können. Dann ist zu klären, ob diese abstrakt-generell einer bestimmten Art einer vom Versicherten verrichteten versicherten Tätigkeit zuzurechnen sind. Erst aus dieser Verbindung von krankheitsbezogenen Einwirkungen und versicherten Tätigkeiten ergibt sich die abstrakt-generelle Personengruppe, die sich von der Allgemeinbevölkerung unterscheidet. Als Einwirkungen kommt praktisch alles in Betracht, was auf Menschen einwirkt. Daher ist es - auch wenn es (noch) keine Listen-BK gibt - möglich, auf rein psychische Einwirkungen abzustellen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Verordnungsgeber eine entsprechende Listen-BK einführen kann. An die bestimmte Personengruppe sind keine besonderen Anforderungen hinsichtlich ihrer Größe (vgl BSG vom 29.10.1981 - 8/8a RU 82/80 - BSGE 52, 272, 275 = SozR 2200 § 551 Nr 20) oder sonstiger charakterisierender Merkmale zu stellen (zB nicht gemeinsamer Beruf, vgl Becker in Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, Gesetzliche Unfallversicherung, SGB VII-Kommentar, Stand Mai 2010, § 9 RdNr 55).

24

(3.2) Die Einwirkungen, denen die Personengruppe durch die versicherte Tätigkeit ausgesetzt ist, müssen abstrakt-generell nach dem Stand der Wissenschaft die wesentliche Ursache einer Erkrankung der geltend gemachten Art sein. Denn für die Beurteilung des generellen Ursachenzusammenhangs gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17). Vor der rechtlichen Beurteilung der Wesentlichkeit einer Ursachenart selbst muss auch hier die naturwissenschaftliche/naturphilosophische Kausalitätsprüfung erfolgen. Dabei ist zu klären, ob nach wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen belegt ist, dass bestimmte Einwirkungen generell bestimmte Krankheiten der vom Versicherten geltend gemachten Art verursachen. Das ist anzunehmen, wenn die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf den jeweils in Betracht kommenden Gebieten über besondere Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt (zweifelnd zum Vorliegen solcher Erkenntnisse für die PTBS: Becker, ASUmed 2006, 304, 306; Knickrehm, SGb 2010, 381, 385). Bei der Erstellung und der gerichtlichen Überprüfung der Gutachten, die zur Ermittlung des Stands der Wissenschaft einzuholen sind, können zB auch Erkenntnisse der "militärischen" Forschung (Knickrehm, SGb 2010, 381, 388; Biesold, MedSach 2010, 23 ff) und die Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften herangezogen werden (vgl BSG vom 9.5.2006, aaO, jeweils RdNr 26 mwN).

25

ad (4) Falls solche Erkenntnisse zur PTBS vorliegen, dürften diese neu iS des § 9 Abs 2 SGB VII sein (so auch das Urteil des LSG), weil sie bei der letzten Änderung der BKV vom Verordnungsgeber nicht geprüft und nicht beachtet wurden.

26

ad (5) Zur Beurteilung der Frage, ob auch die individuellen Voraussetzungen für die Anerkennung einer psychischen Erkrankung als Wie-BK vorliegen, ergeben sich aus dem Urteil des Senats vom 9.5.2006 (aaO, jeweils RdNr 24 f) Hinweise, auch wenn es die psychischen Folgen eines Arbeitsunfalls betraf. Danach ist, wenn der Versicherte nicht selbst von Einwirkungen betroffen war, sondern Einwirkungen auf Dritte beobachtete, als Anknüpfungspunkt für die Bejahung des Ursachenzusammenhangs ein enger personaler Bezug zu verlangen (vgl BSG vom 8.8.2001 - B 9 VG 1/00 R - BSGE 88, 240 = SozR 3-3800 § 1 Nr 20).

27

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG. Der Senat schätzt den Anteil des wechselseitigen Obsiegens und Unterliegens auf jeweils die Hälfte.

(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, daß die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind. In der Rechtsverordnung kann ferner bestimmt werden, inwieweit Versicherte in Unternehmen der Seefahrt auch in der Zeit gegen Berufskrankheiten versichert sind, in der sie an Land beurlaubt sind.

(1a) Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ein Ärztlicher Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten gebildet. Der Sachverständigenbeirat ist ein wissenschaftliches Gremium, das das Bundesministerium bei der Prüfung der medizinischen Erkenntnisse zur Bezeichnung neuer und zur Erarbeitung wissenschaftlicher Stellungnahmen zu bestehenden Berufskrankheiten unterstützt. Bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wird eine Geschäftsstelle eingerichtet, die den Sachverständigenbeirat bei der Erfüllung seiner Arbeit organisatorisch und wissenschaftlich, insbesondere durch die Erstellung systematischer Reviews, unterstützt. Das Nähere über die Stellung und die Organisation des Sachverständigenbeirats und der Geschäftsstelle regelt die Bundesregierung in der Rechtsverordnung nach Absatz 1.

(2) Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind.

(2a) Krankheiten, die bei Versicherten vor der Bezeichnung als Berufskrankheiten bereits entstanden waren, sind rückwirkend frühestens anzuerkennen

1.
in den Fällen des Absatzes 1 als Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die Bezeichnung in Kraft getreten ist,
2.
in den Fällen des Absatzes 2 wie eine Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorgelegen haben; hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten eine Empfehlung für die Bezeichnung einer neuen Berufskrankheit beschlossen, ist für die Anerkennung maßgebend der Tag der Beschlussfassung.

(3) Erkranken Versicherte, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach Absatz 1 genannten Berufskrankheit ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, wird vermutet, daß diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist.

(3a) Der Unfallversicherungsträger erhebt alle Beweise, die zur Ermittlung des Sachverhalts erforderlich sind. Dabei hat er neben den in § 21 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Beweismitteln auch Erkenntnisse zu berücksichtigen, die er oder ein anderer Unfallversicherungsträger an vergleichbaren Arbeitsplätzen oder zu vergleichbaren Tätigkeiten gewonnen hat. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Ermittlungen zu den Einwirkungen während der versicherten Tätigkeit dadurch erschwert sind, dass der Arbeitsplatz des Versicherten nicht mehr oder nur in veränderter Gestaltung vorhanden ist. Die Unfallversicherungsträger sollen zur Erfüllung der Aufgaben nach den Sätzen 2 und 3 einzeln oder gemeinsam tätigkeitsbezogene Expositionskataster erstellen. Grundlage für diese Kataster können die Ergebnisse aus systematischen Erhebungen, aus Ermittlungen in Einzelfällen sowie aus Forschungsvorhaben sein. Die Unfallversicherungsträger können außerdem Erhebungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen durchführen.

(4) Besteht für Versicherte, bei denen eine Berufskrankheit anerkannt wurde, die Gefahr, dass bei der Fortsetzung der versicherten Tätigkeit die Krankheit wiederauflebt oder sich verschlimmert und lässt sich diese Gefahr nicht durch andere geeignete Mittel beseitigen, haben die Unfallversicherungsträger darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen. Die Versicherten sind von den Unfallversicherungsträgern über die mit der Tätigkeit verbundenen Gefahren und mögliche Schutzmaßnahmen umfassend aufzuklären. Zur Verhütung einer Gefahr nach Satz 1 sind die Versicherten verpflichtet, an individualpräventiven Maßnahmen der Unfallversicherungsträger teilzunehmen und an Maßnahmen zur Verhaltensprävention mitzuwirken; die §§ 60 bis 65a des Ersten Buches gelten entsprechend. Pflichten der Unternehmer und Versicherten nach dem Zweiten Kapitel und nach arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften bleiben hiervon unberührt. Kommen Versicherte ihrer Teilnahme- oder Mitwirkungspflicht nach Satz 3 nicht nach, können die Unfallversicherungsträger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder die Leistung einer danach erstmals festzusetzenden Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit oder den Anteil einer Rente, der auf eine danach eingetretene wesentliche Änderung im Sinne des § 73 Absatz 3 zurückgeht, bis zur Nachholung der Teilnahme oder Mitwirkung ganz oder teilweise versagen. Dies setzt voraus, dass infolge der fehlenden Teilnahme oder Mitwirkung der Versicherten die Teilhabeleistungen erforderlich geworden sind oder die Erwerbsminderung oder die wesentliche Änderung eingetreten ist; § 66 Absatz 3 und § 67 des Ersten Buches gelten entsprechend.

(5) Soweit Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen.

(6) Die Bundesregierung regelt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates

1.
Voraussetzungen, Art und Umfang von Leistungen zur Verhütung des Entstehens, der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens von Berufskrankheiten,
2.
die Mitwirkung der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen bei der Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind; dabei kann bestimmt werden, daß die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen berechtigt sind, Zusammenhangsgutachten zu erstellen sowie zur Vorbereitung ihrer Gutachten Versicherte zu untersuchen oder auf Kosten der Unfallversicherungsträger andere Ärzte mit der Vornahme der Untersuchungen zu beauftragen,
3.
die von den Unfallversicherungsträgern für die Tätigkeit der Stellen nach Nummer 2 zu entrichtenden Gebühren; diese Gebühren richten sich nach dem für die Begutachtung erforderlichen Aufwand und den dadurch entstehenden Kosten.

(7) Die Unfallversicherungsträger haben die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständige Stelle über den Ausgang des Berufskrankheitenverfahrens zu unterrichten, soweit ihre Entscheidung von der gutachterlichen Stellungnahme der zuständigen Stelle abweicht.

(8) Die Unfallversicherungsträger wirken bei der Gewinnung neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse insbesondere zur Fortentwicklung des Berufskrankheitenrechts mit; sie sollen durch eigene Forschung oder durch Beteiligung an fremden Forschungsvorhaben dazu beitragen, den Ursachenzusammenhang zwischen Erkrankungshäufigkeiten in einer bestimmten Personengruppe und gesundheitsschädlichen Einwirkungen im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit aufzuklären. Die Verbände der Unfallversicherungsträger veröffentlichen jährlich einen gemeinsamen Bericht über ihre Forschungsaktivitäten und die Forschungsaktivitäten der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Bericht erstreckt sich auf die Themen der Forschungsvorhaben, die Höhe der aufgewendeten Mittel sowie die Zuwendungsempfänger und Forschungsnehmer externer Projekte.

(9) Die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen dürfen zur Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind, Daten verarbeiten sowie zur Vorbereitung von Gutachten Versicherte untersuchen, soweit dies im Rahmen ihrer Mitwirkung nach Absatz 6 Nr. 2 erforderlich ist; sie dürfen diese Daten insbesondere an den zuständigen Unfallversicherungsträger übermitteln. Die erhobenen Daten dürfen auch zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren gespeichert, verändert, genutzt, übermittelt oder in der Verarbeitung eingeschränkt werden. Soweit die in Satz 1 genannten Stellen andere Ärzte mit der Vornahme von Untersuchungen beauftragen, ist die Übermittlung von Daten zwischen diesen Stellen und den beauftragten Ärzten zulässig, soweit dies im Rahmen des Untersuchungsauftrages erforderlich ist.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 18. Februar 2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Klägers sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Im Streit steht, ob der Kläger am 08.08.2012 einen Arbeitsunfall erlitten hat.
Der am … 1963 geborene Kläger ist als Nebenerwerbslandwirt bei der Beklagten in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert. Im Hauptberuf ist er als Außendienst-Vertreter bei der Firma W./K. beschäftigt. Zum Unfallzeitpunkt bewirtschaftete der Kläger ein in seinem Eigentum stehendes Waldgrundstück von 1,13 ha und versorgte 4 Schweine und 30 Kaninchen.
Am 08.08.2012 stürzte der Kläger auf der von ihm bewirtschafteten Hofstelle seiner Eltern in I.-D., L.. 10, von einem Anhänger und geriet dabei mit der linken Hand in eine auslaufende Kreissäge. Hierbei erlitt er eine Metacarpale-V-Trümmerfraktur intraartikulär, eine Strecksehnendefektverletzung DIII-IV sowie eine Abtrennung der Extensor carpi ulnaris (vgl. stationärer Zwischenbericht vom 10.10.2012, Bl. 44 Behördenakten - BA). Die Erstversorgung erfolgte im Krankenhaus H., die weitere Behandlung mit mehreren Operationen in den S.-Kliniken H., Klinikum am G..
Ausweislich des Durchgangsarztberichtes vom 08.08.2012 gab der Kläger gegenüber den Ärzten der S.-Kliniken zum Unfallhergang an, an diesem Tag als Nebenerwerbsbauer Holz gemacht zu haben. Beim Aufstapeln von Holz auf einen Anhänger sei er von diesem abgerutscht und mit dem ganzen Körper auf eine auslaufende Kreissäge gefallen. Hierbei sei er mit der linken Hand ins Sägeblatt geraten.
Noch während des ersten bis zum 23.08.2012 dauernden stationären Aufenthaltes in den S.-Kliniken suchte ein Mitarbeiter der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft den Kläger am 15.08.2012 dort auf, um den Sachverhalt weiter aufzuklären. In dem hierzu gefertigten Besuchsbericht wird ausgeführt, nach den Angaben des Klägers habe dieser „zusammen mit seinem Vater und seinem Bruder Holz (auch für den Eigenbedarf zum Heizen im Winter) gemacht“. Am Unfalltag hätten sie mit der Kreissäge das Holz klein gesägt und er sei damit beschäftigt gewesen, die Holzscheite auf dem Anhänger zu schichten. Dabei sei er vom Anhänger gestürzt und mit der Hand in die bereits ausgeschaltete, aber noch nachlaufende Kreissäge gestürzt. Bei dem Besuch habe sich der Kläger nach Berechnung und Höhe des Verletztengeldes erkundigt, da er vor kurzem gebaut und fünf Kinder zu versorgen habe.
In seiner Unfallanzeige vom 12.09.2012 führte der Kläger zum Unfallhergang aus, er sei während seines Urlaubes zu seinen Eltern gefahren, um Brennholz für sich zu besorgen. Dies erledige er jedes Jahr. Den ganzen Tag über hätten sein Vater, sein Bruder und er mit dem Hänger Holz aus dem Wald geholt, um dieses dann im Vorhof seiner Eltern mit der Kreissäge in Brennholzstücke zu sägen. Der Hänger mit dem Holz sowie der Kipper mit dem bereits zugesägten Brennholz hätten mit wenig Abstand vor der Kreissäge gestanden. Als der Hänger mit dem Holz entladen gewesen sei und er sein Brennholz auf dem Kipper vorschriftsmäßig gestapelt bzw. geladen gehabt habe und eigentlich nur noch vom Kipper habe runterklettern wollen, sei es zu dem Unfall gekommen.
Im ebenfalls am 12.09.2012 ausgefüllten „Fragebogen Holzaufbereitung“ hat der Kläger zur Frage, für wen das Holz bestimmt oder vorgesehen gewesen sei, eingetragen: „Für mich selbst“ (B Nr. 2). Auf die Frage, für welche Zwecke am Unfalltag das Holz habe bearbeitet oder aufbereitet bzw. wofür es habe verwendet werden sollen, mit prozentualer Angabe bei mehreren Verwendungszwecken, hat der Kläger angegeben, das Holz habe zu 100 % zur Heizung von Wohnstock und Kachelofen verwendet werden sollen (B Nr. 3). Die Antwortalternativen „Zum Kochen von Viehfutter für folgende Tiere…% des Holzes“, „Brennholz für…% des Holzes“ und „Verkauf an…% des Holzes“ hat der Kläger nicht angekreuzt. Außerdem hat der Kläger angegeben, das Holz stamme aus dem eigenen Wald (B Nr. 4), es habe sich um eine Menge von insgesamt 6 Raummeter (Ster) gehandelt (B Nr. 6).
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 18.09.2012 die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall mit der Begründung ab, die forstwirtschaftliche Tätigkeit sei in der Regel mit dem Abladevorgang beendet. Die spätere Verarbeitung zu Brennholz für den Haushalt sei eine Tätigkeit im Interesse der Hauswirtschaft. Dem Haushalt des landwirtschaftlichen Unternehmers dienende Tätigkeiten stünden dann unter Versicherungsschutz, wenn der Haushalt dem landwirtschaftlichen Unternehmen wesentlich diene, der Haushalt also auf das Unternehmen hin ausgerichtet sei und dieses dem Haushalt das Gepräge gebe. Der Haushalt werde insoweit Bestandteil des Unternehmens. Aufgrund der Größe und Struktur des hier veranlagten landwirtschaftlichen Unternehmens bestehe ein solcher versicherter Haushalt vorliegend nicht. Das Aufarbeiten von Brennholz als dem Haushalt dienende Tätigkeit sei somit unversichert gewesen.
Hiergegen hat der Kläger mit Schreiben vom 30.09.2012 Widerspruch eingelegt und zur Begründung vortragen lassen, er sei am 07. und 08.08.2012 mit seinem Vater mit Holzarbeiten beschäftigt gewesen. Er habe das im Wald gelagerte Holz auf einem Anhänger in seinen landwirtschaftlichen Betrieb geschafft. Das Holz sei mittels einer Kreissäge auf Ofengröße gesägt worden. Die Brennholzstücke seien dann in einem weiteren Arbeitsgang auf einen zweiten, bereitgestellten Anhänger gestapelt worden. Am 08.08.2012 sei sein Bruder, M. M., ebenfalls mit dem Sägen und Stapeln des Holzes beschäftigt gewesen. Das zu verarbeitende Brennholz sei nicht nur für seinen, des Klägers, Privatgebrauch vorgesehen gewesen. Vielmehr seien die zu verarbeitenden Holzstämme für die Eheleute H. bestimmt gewesen, die die Anlieferung von etwa 6 Raummeter in Auftrag gegeben hätten. Bereits vor Anlieferung des Brennholzes aus dem Wald sei mit dem Bruder vereinbart worden, dass das Holz zum Weiterverkauf an die Eheleute H. verarbeitet werden solle. Er habe, wie auf dem beigefügten Lichtbild zu erkennen, den bereit gestellten Anhänger seitlich erhöht, um die angeforderte Menge Holz in das etwa 40 km entfernte M. in einer Fahrt zu überführen. Ihm sei beim Ausfüllen des Fragebogens nicht bewusst gewesen, dass er zwischen den einzelnen Holzfuhren zu unterscheiden habe. Das weitere Holz, das im Zeitraum 07. und 08.08.2012 verarbeitet worden sei, habe zur Erwärmung von Wasser gedient, mit dem die für die Schweine bestimmten Kartoffeln hätten gekocht werden sollen.
10 
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.11.2012 hat die Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen, da die nunmehr gemachten Angaben von den zeitlich ersten Angaben im Hinblick auf die spätere Verwendung des Brennholzes erheblich abwichen. Den zeitlich ersten Aussagen komme besondere Bedeutung zu, da sie noch von irgendwelchen Wunschvorstellungen unbeeinflusst seien.
11 
Hiergegen hat der Kläger am 28.12.2012 Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben und ergänzend vorgetragen, er habe im Vertrauen auf die Eintrittspflicht der Beklagten nur geringe Aufmerksamkeit bei dem Ausfüllen des Fragebogens zur Unfallanzeige walten lassen. Er habe nicht zwischen den einzelnen Arbeitsschritten unterschieden und den Vorgang pauschal dargestellt.
12 
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG hat der Kläger auf Fragen des Gerichts weiter ausgeführt, das Holz werde nur gelegentlich an Verwandte verkauft, ein Verkauf an weitere Bekannte erfolge nicht. Frau H. sei seine Nichte. Am 08.08.2012 habe ein Anhänger mit Holz an sie nach Z. geliefert werden sollen. Für die Anlieferung habe er extra hohe Bordwände an den Anhänger angebracht. Auf diesem Anhänger habe sich dann der Unfall ereignet. Es sei geplant gewesen, das Holz am nächsten Morgen, am 09.08.2012, nach Z. zu transportieren. Es sei vereinbart gewesen, einen Kipper voller Holz nach Z. zu bringen, dies entspreche einer Menge von 6 Raummetern. Auf Frage, weshalb er in der Unfallanzeige andere Angaben gemacht habe, hat der Kläger erklärt, er sei psychisch so fertig gewesen, und habe nicht mehr zwischen den beiden Hängern unterschieden. Er sei im Krankenhaus von einem Mitarbeiter der Berufsgenossenschaft besucht worden, der ihm zugesichert habe, es handele sich um einen klassischen BG-Fall. Er habe sich dann keine Gedanken mehr darüber gemacht und zu diesem Zeitpunkt auch andere Sorgen gehabt. Sie hätten im Jahr 2012 zum ersten Mal Holz verkauft.
13 
Außerdem hat das SG den Bruder des Klägers, M. M., als Zeugen vernommen. Dieser hat angegeben, der Großteil des Holzes sei schon gesägt gewesen, als er am 08.08.2012 gegen dreiviertel vier auf den Hof seiner Eltern gekommen sei. Er habe das meterlange Holz runter zu seinem Vater gegeben, der es gesägt und die kurzen Stücke zu seinem Bruder, dem Kläger, auf den Hänger hochgeworfen habe. Sein Bruder habe auf dem Hänger gestanden, der ursprünglich noch abends nach Z. hätte gefahren werden sollen. Dies sei dann aber erst 4 bis 5 Wochen später geschehen. Es sei bereits Wochen zuvor ausgemacht worden, das Brennholz an seine Tochter zu liefern.
14 
Mit Urteil vom 18.02.2015 hat das SG festgestellt, dass das Ereignis vom 08.08.2012 einen Arbeitsunfall darstellt. Nach der Beweisaufnahme sei die Kammer davon überzeugt, dass das Holz für den Verkauf an die Nichte des Klägers vorgesehen gewesen sei. Das konkret zu verarbeitende Holz habe sich auf dem eigens für den Transport vorgesehenen Hänger mit hohen Aufsatzbrettern befunden. Sowohl der Kläger als auch der Zeuge hätten glaubhaft und übereinstimmend dargelegt, dass die hohen Ladewände des Anhängers extra für den Transport angebracht worden seien, was vor allem vor dem Hintergrund des langen Fahrtweges nach Z. einleuchtend sei. Bei einem Hänger ohne Bordwände hätte sich der Unfall nicht in dieser Form ereignet, denn auf den Hänger ohne Bordwände, auf welchem das Holz für den Eigengebrauch gestapelt gewesen sei, hätte der Kläger nicht hochsteigen müssen. Die Erstangaben des Klägers im Unfallfragebogen und im Fragebogen Holz seien durch die nunmehr getätigten Angaben und Aussagen des Klägers und des Zeugen widerlegt, die in sich widerspruchsfrei und schlüssig seien. Die Angaben des Klägers deckten sich mit der Aussage des glaubwürdigen Zeugen. Es sei vor dem Hintergrund des Ausmaßes und des Schocks der erlittenen Verletzung durchaus nachvollziehbar, dass der Kläger dem Ausfüllen des Unfallfragebogens keine Bedeutung beigemessen habe. Zum anderen sei vor dem Hintergrund der familiären Bindungen glaubhaft, dass der Kläger in dieser Situation nicht mehr zwischen dem am Vortag für die eigene Familie und den eigenen Gebrauch zubereiteten Holz und dem für den Verkauf vorgesehenen Holz differenziert habe.
15 
Gegen das der Beklagten am 03.03.2015 zugestellte Urteil hat diese am 20.03.2015 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung nochmals auf die einer Feststellung als Arbeitsunfall entgegen stehenden Erstangaben des Klägers hingewiesen.
16 
Die Beklagte beantragt,
17 
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 18. Februar 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
18 
Der Kläger beantragt,
19 
die Berufung zurückzuweisen.
20 
Er hat zur Begründung auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil des SG Bezug genommen und ergänzend darauf hingewiesen, unverzüglich seine Angaben korrigiert zu haben, nachdem er deren Unrichtigkeit im Unfallbogen erkannt habe.
21 
Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 21.05.2015 den Kläger nochmals befragt und dessen Bruder, M. M., als Zeugen vernommen. Hinsichtlich des Inhalts der Aussagen wird auf die Sitzungsniederschrift vom 21.05.2015 verwiesen.
22 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die vorgelegte Behördenakte sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
23 
Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte sowie nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgemäß eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Ihr Bescheid vom 18.09.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat im Zeitpunkt seines Unfalles nicht als landwirtschaftlicher Unternehmer nach § 2 Abs. 1 Nr. 5a Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) unter Versicherungsschutz gestanden. Das SG hätte seine als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Klage (vgl. zur Klageart BSG, Urteil vom 02.12.2008 - B 2 U 26/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 29) daher abweisen müssen.
24 
Rechtsgrundlage für die seitens des Klägers angestrebte Feststellung des Ereignisses vom 08.08.2012 als Arbeitsunfall sind §§ 102, 8 Abs. 1 SGB VII. Nach § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten in Folge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 SGB VII begründenden Tätigkeit.
25 
Nach § 2 Abs. 1 Nr. 5a SGB VII sind kraft Gesetzes in der gesetzlichen Unfallversicherung Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner versichert.Der Umfang des landwirtschaftlichen Unternehmens wird durch § 123 SGB VII bestimmt. Versicherte Unternehmer sind dabei nach § 123 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII im Wesentlichen diejenigen, die Land- und Forstwirtschaft, Garten- und Weinbau, Fischzucht, Teichwirtschaft, Seen-, Bach- und Flussfischerei (Binnenfischerei) und Imkerei betreiben.
26 
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Für einen Arbeitsunfall eines Versicherten ist danach im Regelfall erforderlich, dass seine Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), sie zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Bedingung für die Feststellung eines Arbeitsunfalls (BSG, Urteil vom 17.02.2009 - B 2 U 18/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 31).
27 
Ob die Verrichtung, bei der sich der Unfall ereignet hat, der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (sog. innerer oder sachlicher Zusammenhang), ist wertend zu entscheiden, indem untersucht wird, ob die Tätigkeit innerhalb der Grenze liegt, bis zu der nach Sinn und Zweck des Gesetzes der Unfallversicherungsschutz reicht. Für die tatsächlichen Grundlagen dieser Wertentscheidung ist der volle Nachweis erforderlich (BSG, Urteil vom 18.03.2008 - B 2 U 2./07 R - SozR 4-2700 § 6 Nr. 1; BSG, Urteil vom 10.10.2006 - B 2 U 2./05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 19). Maßgeblich für die Beurteilung des inneren bzw. sachlichen Zusammenhangs einer konkreten Verrichtung mit einer versicherten Tätigkeit nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII ist - auch bei selbstständigen Unternehmern (vgl. BSG, Urteil vom 18.03.2008 - B 2 U 2./07 R - a. a. O.) - die objektive Handlungstendenz, ob also der Betroffene eine versicherte Tätigkeit ausüben wollte und diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird (vgl. BSG, Urteil vom 09.11.2010 - B 2 U 1./10 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 39; BSG, Urteil vom 10.10.2006 - B 2 U 2./05 R - a. a. O.).
28 
Dabei müssen das Vorliegen einer versicherten Verrichtung zur Zeit des Unfalls, das Unfallereignis selbst sowie der Gesundheitserstschaden im Überzeugungsgrad des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein. Für die Nachweise der Ursachenzusammenhänge zwischen Verrichtung und Unfallereignis sowie zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden gilt der Beweismaßstab der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit; die bloße Möglichkeit genügt nicht (BSG, Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 2./07 R - SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 3101 Nr. 4 ).
29 
Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen lässt sich vorliegend ein Arbeitsunfall nicht feststellen. Zwar hat der Kläger am 08.08.2012 einen Unfall erlitten, der zu einem Gesundheitserstschaden an der linken Hand geführt hat. Der Senat kann sich jedoch nicht davon überzeugen, dass der Kläger den Unfall infolge einer versicherten Tätigkeit erlitten hat.
30 
Dies gilt zum einen für eine forstwirtschaftliche Verrichtung des Klägers.
31 
Ein forstwirtschaftliches Unternehmen wird geführt, wenn die Tätigkeit zu einer planmäßigen forstwirtschaftlichen Nutzung gehört (§ 123 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII). Solche Unternehmen betreiben planmäßig den Anbau und Abschlag von Holz. Eine Tätigkeit für ein forstwirtschaftliches Unternehmen liegt vor, wenn das gewonnene Brennholz zumindest teilweise verkauft werden soll (BSG, Urteil vom 27. März 2012 - B 2 U 5/11 R - zit. n. juris)
32 
Im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit als Unternehmer eines forstwirtschaftlichen Betriebes stehen die dem Unternehmen zu dienen bestimmten Arbeiten, zu denen das Schlagen, Entästen, Entrinden sowie das Abfahren des Holzes aus dem Wald gehören. Die Brennholzverarbeitung, also das Zersägen, Zerkleinern und Spalten von Brennholz, für den privaten Gebrauch ist hingegen keine Tätigkeit für ein forstwirtschaftliches Unternehmen, sodass deshalb insoweit bei der Brennholzgewinnung kein Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 5a VII besteht (BSG, Urteil vom 31.01.1989 - 2 BU 1./88; BSG, Urteil vom 12.06.1989 - 2 RU 1./88 - jeweils zit. n. juris).
33 
Vorliegend hält der Senat nicht für erwiesen, dass der Kläger am Unfalltag von einem Anhänger stürzte, auf dem er für den Verkauf an seine Nichte Holz gestapelt hatte. Seinen und den Aussagen des Zeugen M. M. in den jeweiligen mündlichen Verhandlungen vor dem SG und dem LSG stehen die dem widersprechenden Angaben des Klägers in der Unfallanzeige und dem Fragebogen Holzaufbereitung entgegen.
34 
Auch wenn weder das SGG noch die Zivilprozessordnung (ZPO) eine Beweisregel in dem Sinne kennen, dass frühere Aussagen oder Angaben grundsätzlich einen höheren Beweiswert besitzen als spätere, sondern im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 286 ZPO) vielmehr alle Aussagen, Angaben usw. zu würdigen sind, kann das Gericht im Rahmen der Gesamtwürdigung den zeitlich früheren Aussagen aufgrund des Gesichtspunktes, dass sie von irgendwelchen versicherungsrechtlichen Überlegungen ggf. noch unbeeinflusst waren, einen höheren Beweiswert als den späteren Aussagen zumessen (BSG, Urteil vom 11.11.2003 - B 2 U 4./02 R -, SozR 4-2700 § 4 Nr. 1, SozR 4-1500 § 128 Nr. 2; Urteil des Senats vom 12.08.2014 - L 6 VH 5./10 ZVW - zit. n. juris). Hiervon geht der Senat vorliegend aus, da sich auch im Hinblick auf die weiteren Einlassungen des Klägers im Berufungsverfahren keine Erklärung dafür finden lässt, weshalb seine ursprünglichen Angaben unzutreffend sein sollten. Dagegen ist der nach Erlass des Bescheides vorgetragene gänzlich abweichende Sachverhalt zur Begründung eines Leistungsanspruch geeignet, was eine Motivation zur entsprechenden Darstellung gibt. Da sich die Widersprüche in der Sachverhaltsdarstellung nicht auflösen oder nachvollziehbar erklären lassen, geht Senat nicht davon aus, dass nach der objektiven Handlungstendenz ein innerer Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und einer versicherten forstwirtschaftlichen Tätigkeit bestanden hat. Der Kläger hat daher zum Unfallzeitpunkt keine versicherte Tätigkeit verrichtet.
35 
Der Kläger hat in seiner Unfallanzeige vom 12.09.2012 den Unfallhergang selbst ausführlich dargestellt, ergänzende Angaben im Fragebogen Holzaufbereitung gemacht und hierbei – hingewiesen auf mögliche strafrechtliche Konsequenzen - versichert, sämtliche Angaben nach bestem Wissen gemacht zu haben. Der Kläger hat auch nicht etwa nur vorgegebene Antwortalternativen angekreuzt, sondern den Unfallhergang mit eigenen Worten auf einem Beiblatt am 12.09.2012 im Einzelnen geschildert. Danach hat der Kläger am 08.08.2012 den ganzen Tag über gemeinsam mit seinem Vater und seinem Bruder Holz in Meterstücken aus dem Wald geholt, dieses auf einen Hänger geladen, es zu dem Anwesen der Eltern gebracht, dort das Holz auf dem Vorhof in ofenfertige Stücke gesägt und diese auf einen Kipper gestapelt bzw. geladen. All dies geschah nach den Einlassungen des Klägers am 08.08.2012, „..um Brennholz für mich zu besorgen.“ Dieser Bestimmungszweck wird durch den zusätzlichen Hinweis verdeutlicht, dies jedes Jahr zu erledigen. Keine Zweifel hinsichtlich der beabsichtigten Verwendung des am 08.08.2012 gesägten und auf den Kipper geladenen Holzes für eigene, private Zwecke lässt schließlich die Schilderung zu, es sei zu dem Unfall gekommen, als sie fast fertig gewesen seien, der Hänger mit dem Holz (in Meterstücken) entladen gewesen sei „und ich mein Brennholz auf dem Kipper vorschriftsmäßig gestapelt bzw. beladen hatte und eigentlich nur noch vom Kipper runterklettern wollte“. Dieser bereits eindeutige und nicht interpretationsfähige Sachverhalt wird durch die weiteren Angaben des Klägers ebenfalls vom 12.09.2012 im Fragebogen Holzaufbereitung bestätigt. Danach handelte es sich bei der am 08.08.2012 verarbeiteten Gesamtmenge Holz um (insgesamt nur) 6 Raummeter. Das gesamte Volumen sei für ihn selbst bestimmt gewesen, er habe das Holz zu 100 % zum Heizen des Wohnstocks, Kachelofens verwenden wollen. Die alternativen Fragen nach Brennholz für oder Verkauf an Dritte hat der Kläger dagegen nicht angekreuzt und ergänzt, sodass auch hieraus geschlossen werden muss, dass das Holz nicht für Dritte bestimmt war. Mithin war der Kläger vom Anhänger gestürzt, als er sein privates Brennholz auf diesen geladen hatte. Zum Verkauf bestimmtes Holz war dagegen am 08.08.2012 nicht aufbereitet worden.
36 
Die späteren Angaben des Klägers im Widerspruchs-, Klage- sowie Berufungsverfahren lassen sich mit diesem Sachverhalt nicht in Übereinstimmung bringen. Da der Kläger angegeben hat, dass die 6 Raummeter Holz ausschließlich für seinen eigenen Heizbedarf vorgesehen waren, ist die spätere Behauptung, das Brennholz sei für seine Nichte bestimmt gewesen, die 6 Raummeter in Auftrag gegeben habe, nicht nachvollziehbar. Dies gilt auch für die Behauptung, das weitere Holz sei zur Erwärmung von Wasser für die Futterzubereitung gedacht gewesen. Denn über die 6 Raummeter hinaus hat der Kläger ausweislich seiner Angaben im Fragebogen Holzaufbereitung kein Holz aufbereitet. Anders als das SG hält der Senat die Begründung des Klägers für die gänzlich verschiedenen und sich widersprechenden Angaben in keiner Weise für überzeugend. Der Kläger hat seine Angaben in der Unfallanzeige und im Fragebogen Holzaufbereitung fünf Wochen nach dem Unfallereignis gemacht. Anhaltspunkte für eine besondere psychische Belastung ergeben sich weder aus den Formularbögen noch aus den medizinischen Befundberichten insbesondere der S.-Kliniken. Dass der Kläger fünf Wochen nach dem Unfallereignis noch an einem Unfallschock gelitten haben könnte, ergibt sich aus den vorliegenden Akten nicht. Ein solcher würde aber auch nicht erklären, weshalb der Kläger detaillierte falsche Angaben zum Unfallgeschehen und zu den weiteren Umständen der Holzverarbeitung sowie -verwendung hätte machen sollen. Für den Senat ist die Tatsache, dass der Kläger erst nach Bekanntgabe des ablehnenden Bescheides und der hierfür maßgeblichen Gründe den Sachverhalt quasi umgedreht hat und die ursprünglich ausschließlich private Holzverwendung als jetzt beabsichtigten Holzverkauf darstellt, wesentlicher Grund dafür, ihn an seinem ersten Vorbringen festzuhalten, an dessen Richtigkeit der Senat keine begründeten Zweifel hat. Anders als im Berufungsverfahren geltend gemacht, hat der Kläger auch nicht unverzüglich seine Angaben im Unfallbogen korrigiert, nachdem er deren Unrichtigkeit erkannt hat. Spätestens nach Erlass des streitgegenständlichen Bescheides vom 18.09.2012 war dem Kläger bekannt, weshalb seine Sachverhaltsangaben der beantragten Feststellung eines Arbeitsunfalles entgegenstanden. Seinen Widerspruch vom 30.09.2012 hat der Kläger jedoch zunächst nicht begründet und seine bislang gemachten Angaben nicht korrigiert. Erst nach Mandatierung des Verfahrens- bzw. Prozessbevollmächtigten ist dann in der Widerspruchsbegründung vom 30.10.2012, mithin ein Monat später, der neue Sachverhalt vorgetragen worden.
37 
Soweit das SG sein Urteil wesentlich auf die weitere Einlassung des Klägers zur Ausstattung des Hängers, nämlich Kippers mit hohen Bordwänden, gestützt hat, hält der Senat diesen Umstand für gänzlich unbedeutend. Denn völlig unabhängig davon, wie weit das ofenfertige Holz transportiert werden sollte, ob nun zur Nichte des Klägers in das ca. 35 km entfernte Z. oder zu seiner eigenen Wohnanschrift in D., hätten zur Aufnahme des gesamten gesägten Holzes auf den Kipper in jedem Fall die Seitenwände erhöht werden müssen.
38 
Auch der in der mündlichen Verhandlung des Senats wiederholte Erklärungsversuch des Klägers, er habe den Angaben in der Unfallanzeige und dem Fragebogen keine besondere Bedeutung beigemessen, weil ihm von Seiten der Ärzte und der Berufsgenossenschaft deutlich gemacht worden sei, dass es sich um einen eindeutigen „BG-Fall“ handele, erlaubt gerade nicht die Schlussziehung, der Kläger habe hier - wie von ihm in der mündlichen Verhandlung behauptet - falsche Angaben gemacht. Vielmehr lässt sich hieraus weit eher folgern, dass die in den Formularen gemachten Angaben der Wahrheit entsprechen, weil sich der Kläger über das Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen bereits sicher war.
39 
Der Senat misst den Angaben des Klägers in der Unfallanzeige und im Fragebogen Holzaufbereitung auch höheren Beweiswert als der Aussage des Zeugen bei, der sowohl vor dem SG als auch vor dem LSG angegeben hat, das Holz auf dem Hänger, von dem der Kläger am Nachmittag des 08.08.2012 gestürzt sei, sei für seine Tochter, die Nichte des Klägers, bestimmt gewesen. Zum einen widersprechen sich teilweise die Aussage des Zeugen und die des Klägers, was die Glaubwürdigkeit des Zeugen zumindest in Zweifel zieht. Während der Kläger zunächst angegeben hatte, am 08.08.2012 den ganzen Tag mit seinem Vater und dem Bruder Holz geholt und gesägt zu haben, hat der Zeuge angegeben, am 08.08.2012 erst nachmittags gegen dreiviertel vier zum Hof der Eltern gekommen zu sein. Nach Aussage des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem SG war auch nicht - wie von Seiten des Zeugen behauptet - der Transport des Holzes nach Z. noch am selben Abend, sondern erst am nächsten Morgen geplant. Anders als das SG geht der Senat nicht davon aus, worauf die Aussage des Zeugen vor dem SG unter Umständen hindeuten könnte, dass außer dem Hänger, von dem das Meterholz abgeladen worden war, und dem Kipper, auf dem das gesägte Holz aufgeladen war noch ein weiterer Anhänger mit für den Kläger bestimmtem Holz auf dem Hof gestanden hat. Zum einen finden sich dementsprechende Angaben nicht in der Unfallanzeige des Klägers, zum anderen ist nicht ersichtlich, woher dieses Holz stammen sollte, nachdem insgesamt nur 6 Raummeter Holz aufbereitet wurden, die im gesägten Zustand auf den Kipper mit erhöhten Seitenwänden passten. Zudem hat der Zeuge vor dem LSG eingeräumt, sie hätten lediglich zwei Anhänger. Zum anderen ist für den Senat wesentlich, dass der Zeuge keinen Sachverhalt geschildert hat, der begründen könnte, weshalb die schriftlichen Erklärungen des Klägers in der Unfallanzeige und im Fragebogen Holzaufbereitung seinen Angaben widersprechen. Der Zeuge hat sich dies vielmehr selbst nicht erklären können.
40 
Der Senat hält die Aussagen des Zeugen insgesamt nicht für glaubhaft. Die Konstanzanalyse seiner Aussage ergibt zwar, dass er bei beiden Vernehmungen beim SG und LSG wiederholt bekundet hat, dass das Holz für seine Tochter bestimmt war, was mit der zweiten Version des Klägers übereinstimmt. Das spricht aber aus Sicht des Senats eher für die Absprache der Aussagen der beiden Brüder. Denn insoweit zeigt sich ein typischer Strukturbruch in seiner Aussage, der gegen ein wirklich gehabtes Erlebnis spricht (Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 4. Aufl. 2014, S. 101). Bei der Auskunftsperson, dem Zeugen, wurde nämlich das Unwichtige und Nebensächliche, welches erlebnisbasiert ist, detailreich geschildert, dann brach die Berichterstattung zum eigentlichen Verkaufsgeschehen ab und wurde detailarm. Auch die kriterienorientierte Analyse der getätigten Aussage weist im Ergebnis keine deutlichen Kennzeichen einer erlebnisbezogenen Darstellung auf. So war z.B. die Schilderung des Tagesablaufs des Zeugen vor Eintreffen auf der späteren Unfallstelle sehr konkret, während der Zeuge keinerlei Einzelheiten des angeblich geplanten Verkaufs an seine Tochter, wie bspw. Vertragsgestaltung (mündlich/schriftlich), wie man zu dem Preis (möglicher Nachlass für Verwandte/ortsüblicher Holzpreis) kam, an wen und wie (bar) ausgezahlt werden sollte und wer das Geld zu versteuern hätte, berichtet hat. Als Realitätskriterien gelten beispielsweise der Detailreichtum einer Aussage, die Schilderung von Komplikationen, typische Einzelheiten, individuelle Prägung, Schilderung von gefühlsmäßigen Reaktionen; psychische Folgewirkungen, Verflechtung der Angaben mit anderen Geschehnissen und das Nichtsteuerungskriterium (inhaltlich und chronologisch nicht geordnete, sprunghafte Wiedergabe; vgl. zu allem die ausführlichen Darstellungen bei BGH, Urteil vom 30.07.1999 - 1 StR 6./98 -, NJW 1999, 2746; Bender/Nack/Treuer, a.a.O., S. 76 ff., 101 ff., 120 ff.). Die Aussage des Zeugen war insgesamt, gemessen daran - auch bei Nachfragen – zur eigentlichen Tatfrage weder besonders detailreich, noch liegen besondere Umstände vor, die sie für den Senat psychologisch stimmig und emotional nachvollziehbar machen, der Zeuge war vielmehr völlig emotionslos, obwohl er den dramatischen Unfall seines Bruders miterleben musste, wozu er aber kein Wort verloren hat, so dass es auch am typischen gefühlsmäßigen Nachklang fehlt (Bender/Nack/Treuer, a.a.O., S. 99). Spontane Details hat er schon gar nicht geschildert, auch die genaue Situation nicht beschrieben so z. B. ob es warm war (August), wie erschöpft die beiden Männer (betagterer Vater und Bruder) von der ganztägigen ungewohnten Arbeit waren, ob man unter Zeitdruck war (Spätnachmittag), wie weit die beiden schon mit der Arbeit fortgeschritten waren etc. Somit waren für den Senat auch die sogenannten „reality monitoring“, also erlebnisfundierte Sinneswahrnehmungen, nicht feststellbar (Bender/Nack/Treuer, a.a.O., S. 96). Auf Vorhalt der ersten Unfallversion hat der Zeuge sich damit begnügt, sich das „auch nicht erklären zu können“, obwohl vor dem Hintergrund der darauf beruhenden ablehnenden Entscheidung der Beklagten wie der Berufungsbegründung darüber zumindest gesprochen worden sein muss und der Zeuge auf die Wichtigkeit diese Umstandes noch vor seiner Aussage vor dem Senat ausdrücklich nochmals hingewiesen worden ist. Der Zeuge hatte auch ganz unzweifelhaft ein Motiv für seine falsche Aussage, nämlich seinem Bruder zu einem Anspruch gegen die Beklagte zu verhelfen. Gerade dieses Bedürfnis ist das häufigste Motiv für eine vorsätzliche falsche Aussage (Bender/Nack/Treuer, a.a.O., S. 63).
41 
Ebenfalls für nicht erwiesen hält der Senat, dass das Unfallereignis in einem inneren Zusammenhang mit einer landwirtschaftlichen Verrichtung gestanden hat und unter diesem Gesichtspunkt nach § 2 Abs. 1 Nr. 5a SGB VII versichert gewesen ist. Denn auch insoweit gibt es für den Senat aus o. g. Gründen keinen Anlass, an den Erstangaben des Klägers zu zweifeln. Danach war das Holz zu 100 % zum Heizen der Wohnräume im Haus des Klägers bestimmt. Die alternative Frage im Fragebogen Holzaufbereitung, ob das Holz zum Kochen von Viehfutter für Tiere verwendet werden sollte, hat der Kläger nicht angekreuzt und nicht ergänzt, wodurch eine solche Bestimmung ausgeschlossen worden ist. Da die gesamten 6 Raummeter Holz daher der Beheizung des Kachelofens dienen sollten, verblieb kein weiteres Holz für die Futterzubereitung. Hinzu kommt, dass weder der Kläger noch der Zeuge in der mündlichen Verhandlung vor dem SG eine derartige Zweckbestimmung nochmals erwähnt haben.
42 
Steht somit aufgrund der für den Senat glaubhaften Erstangaben des Klägers fest, dass das im Kipper gestapelte Holz dem privaten Haushalt des Klägers diente, kann nur unter den Voraussetzungen des § 124 Nr. 1 SGB VII, wonach zum landwirtschaftlichen Unternehmen die Haushalte der Unternehmer und der im Unternehmen Beschäftigten gehören, wenn die Haushalte dem Unternehmen wesentlich dienen, Versicherungsschutz gewährt werden. Diese Voraussetzungen sind vorliegend jedoch nicht gegeben. Die Zugehörigkeit des Haushalts zu einem landwirtschaftlichen Unternehmen setzt nach § 124 Nr. 1 SGB VII voraus, dass der Haushalt dem Unternehmen nützlich und die Land- oder Forstwirtschaft nicht derart klein ist, dass ihr der Haushalt an Bedeutung gleichsteht oder gar überlegen ist. Ein Haushalt ist kein Bestandteil eines landwirtschaftlichen Unternehmens, wenn er sich trotz eines örtlichen Zusammenhangs nicht wesentlich von anderen Haushalten unterscheidet (Bayerisches LSG, Urteil vom 30.07.1997 - L 2 U 1./95 - zit. n. juris). Vorliegend diente das Brennholz dem Haushalt des Klägers, während seine Tätigkeit als Nebenerwerbslandwirt die Bewirtschaftung der Hofstelle seiner Eltern betrifft. Zudem ergibt sich aus den Angaben des Klägers zu Umfang und Größe der Landwirtschaft mit 4 Schweinen, 30 Kaninchen und 1,13 ha Wald/Baumwiesen, dass es sich nur um einen kleinen Betrieb handelt, dem sich der Haushalt in seiner Bedeutung nicht unterordnet.
43 
Da die Tätigkeit des Klägers daher nicht als land- oder forstwirtschaftliche Verrichtung versichert gewesen ist, war auf die Berufung der Beklagten das Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
44 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
45 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Gründe

 
23 
Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte sowie nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgemäß eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Ihr Bescheid vom 18.09.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat im Zeitpunkt seines Unfalles nicht als landwirtschaftlicher Unternehmer nach § 2 Abs. 1 Nr. 5a Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) unter Versicherungsschutz gestanden. Das SG hätte seine als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Klage (vgl. zur Klageart BSG, Urteil vom 02.12.2008 - B 2 U 26/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 29) daher abweisen müssen.
24 
Rechtsgrundlage für die seitens des Klägers angestrebte Feststellung des Ereignisses vom 08.08.2012 als Arbeitsunfall sind §§ 102, 8 Abs. 1 SGB VII. Nach § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten in Folge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 SGB VII begründenden Tätigkeit.
25 
Nach § 2 Abs. 1 Nr. 5a SGB VII sind kraft Gesetzes in der gesetzlichen Unfallversicherung Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner versichert.Der Umfang des landwirtschaftlichen Unternehmens wird durch § 123 SGB VII bestimmt. Versicherte Unternehmer sind dabei nach § 123 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII im Wesentlichen diejenigen, die Land- und Forstwirtschaft, Garten- und Weinbau, Fischzucht, Teichwirtschaft, Seen-, Bach- und Flussfischerei (Binnenfischerei) und Imkerei betreiben.
26 
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Für einen Arbeitsunfall eines Versicherten ist danach im Regelfall erforderlich, dass seine Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), sie zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Bedingung für die Feststellung eines Arbeitsunfalls (BSG, Urteil vom 17.02.2009 - B 2 U 18/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 31).
27 
Ob die Verrichtung, bei der sich der Unfall ereignet hat, der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (sog. innerer oder sachlicher Zusammenhang), ist wertend zu entscheiden, indem untersucht wird, ob die Tätigkeit innerhalb der Grenze liegt, bis zu der nach Sinn und Zweck des Gesetzes der Unfallversicherungsschutz reicht. Für die tatsächlichen Grundlagen dieser Wertentscheidung ist der volle Nachweis erforderlich (BSG, Urteil vom 18.03.2008 - B 2 U 2./07 R - SozR 4-2700 § 6 Nr. 1; BSG, Urteil vom 10.10.2006 - B 2 U 2./05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 19). Maßgeblich für die Beurteilung des inneren bzw. sachlichen Zusammenhangs einer konkreten Verrichtung mit einer versicherten Tätigkeit nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII ist - auch bei selbstständigen Unternehmern (vgl. BSG, Urteil vom 18.03.2008 - B 2 U 2./07 R - a. a. O.) - die objektive Handlungstendenz, ob also der Betroffene eine versicherte Tätigkeit ausüben wollte und diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird (vgl. BSG, Urteil vom 09.11.2010 - B 2 U 1./10 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 39; BSG, Urteil vom 10.10.2006 - B 2 U 2./05 R - a. a. O.).
28 
Dabei müssen das Vorliegen einer versicherten Verrichtung zur Zeit des Unfalls, das Unfallereignis selbst sowie der Gesundheitserstschaden im Überzeugungsgrad des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein. Für die Nachweise der Ursachenzusammenhänge zwischen Verrichtung und Unfallereignis sowie zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden gilt der Beweismaßstab der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit; die bloße Möglichkeit genügt nicht (BSG, Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 2./07 R - SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 3101 Nr. 4 ).
29 
Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen lässt sich vorliegend ein Arbeitsunfall nicht feststellen. Zwar hat der Kläger am 08.08.2012 einen Unfall erlitten, der zu einem Gesundheitserstschaden an der linken Hand geführt hat. Der Senat kann sich jedoch nicht davon überzeugen, dass der Kläger den Unfall infolge einer versicherten Tätigkeit erlitten hat.
30 
Dies gilt zum einen für eine forstwirtschaftliche Verrichtung des Klägers.
31 
Ein forstwirtschaftliches Unternehmen wird geführt, wenn die Tätigkeit zu einer planmäßigen forstwirtschaftlichen Nutzung gehört (§ 123 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII). Solche Unternehmen betreiben planmäßig den Anbau und Abschlag von Holz. Eine Tätigkeit für ein forstwirtschaftliches Unternehmen liegt vor, wenn das gewonnene Brennholz zumindest teilweise verkauft werden soll (BSG, Urteil vom 27. März 2012 - B 2 U 5/11 R - zit. n. juris)
32 
Im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit als Unternehmer eines forstwirtschaftlichen Betriebes stehen die dem Unternehmen zu dienen bestimmten Arbeiten, zu denen das Schlagen, Entästen, Entrinden sowie das Abfahren des Holzes aus dem Wald gehören. Die Brennholzverarbeitung, also das Zersägen, Zerkleinern und Spalten von Brennholz, für den privaten Gebrauch ist hingegen keine Tätigkeit für ein forstwirtschaftliches Unternehmen, sodass deshalb insoweit bei der Brennholzgewinnung kein Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 5a VII besteht (BSG, Urteil vom 31.01.1989 - 2 BU 1./88; BSG, Urteil vom 12.06.1989 - 2 RU 1./88 - jeweils zit. n. juris).
33 
Vorliegend hält der Senat nicht für erwiesen, dass der Kläger am Unfalltag von einem Anhänger stürzte, auf dem er für den Verkauf an seine Nichte Holz gestapelt hatte. Seinen und den Aussagen des Zeugen M. M. in den jeweiligen mündlichen Verhandlungen vor dem SG und dem LSG stehen die dem widersprechenden Angaben des Klägers in der Unfallanzeige und dem Fragebogen Holzaufbereitung entgegen.
34 
Auch wenn weder das SGG noch die Zivilprozessordnung (ZPO) eine Beweisregel in dem Sinne kennen, dass frühere Aussagen oder Angaben grundsätzlich einen höheren Beweiswert besitzen als spätere, sondern im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 286 ZPO) vielmehr alle Aussagen, Angaben usw. zu würdigen sind, kann das Gericht im Rahmen der Gesamtwürdigung den zeitlich früheren Aussagen aufgrund des Gesichtspunktes, dass sie von irgendwelchen versicherungsrechtlichen Überlegungen ggf. noch unbeeinflusst waren, einen höheren Beweiswert als den späteren Aussagen zumessen (BSG, Urteil vom 11.11.2003 - B 2 U 4./02 R -, SozR 4-2700 § 4 Nr. 1, SozR 4-1500 § 128 Nr. 2; Urteil des Senats vom 12.08.2014 - L 6 VH 5./10 ZVW - zit. n. juris). Hiervon geht der Senat vorliegend aus, da sich auch im Hinblick auf die weiteren Einlassungen des Klägers im Berufungsverfahren keine Erklärung dafür finden lässt, weshalb seine ursprünglichen Angaben unzutreffend sein sollten. Dagegen ist der nach Erlass des Bescheides vorgetragene gänzlich abweichende Sachverhalt zur Begründung eines Leistungsanspruch geeignet, was eine Motivation zur entsprechenden Darstellung gibt. Da sich die Widersprüche in der Sachverhaltsdarstellung nicht auflösen oder nachvollziehbar erklären lassen, geht Senat nicht davon aus, dass nach der objektiven Handlungstendenz ein innerer Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und einer versicherten forstwirtschaftlichen Tätigkeit bestanden hat. Der Kläger hat daher zum Unfallzeitpunkt keine versicherte Tätigkeit verrichtet.
35 
Der Kläger hat in seiner Unfallanzeige vom 12.09.2012 den Unfallhergang selbst ausführlich dargestellt, ergänzende Angaben im Fragebogen Holzaufbereitung gemacht und hierbei – hingewiesen auf mögliche strafrechtliche Konsequenzen - versichert, sämtliche Angaben nach bestem Wissen gemacht zu haben. Der Kläger hat auch nicht etwa nur vorgegebene Antwortalternativen angekreuzt, sondern den Unfallhergang mit eigenen Worten auf einem Beiblatt am 12.09.2012 im Einzelnen geschildert. Danach hat der Kläger am 08.08.2012 den ganzen Tag über gemeinsam mit seinem Vater und seinem Bruder Holz in Meterstücken aus dem Wald geholt, dieses auf einen Hänger geladen, es zu dem Anwesen der Eltern gebracht, dort das Holz auf dem Vorhof in ofenfertige Stücke gesägt und diese auf einen Kipper gestapelt bzw. geladen. All dies geschah nach den Einlassungen des Klägers am 08.08.2012, „..um Brennholz für mich zu besorgen.“ Dieser Bestimmungszweck wird durch den zusätzlichen Hinweis verdeutlicht, dies jedes Jahr zu erledigen. Keine Zweifel hinsichtlich der beabsichtigten Verwendung des am 08.08.2012 gesägten und auf den Kipper geladenen Holzes für eigene, private Zwecke lässt schließlich die Schilderung zu, es sei zu dem Unfall gekommen, als sie fast fertig gewesen seien, der Hänger mit dem Holz (in Meterstücken) entladen gewesen sei „und ich mein Brennholz auf dem Kipper vorschriftsmäßig gestapelt bzw. beladen hatte und eigentlich nur noch vom Kipper runterklettern wollte“. Dieser bereits eindeutige und nicht interpretationsfähige Sachverhalt wird durch die weiteren Angaben des Klägers ebenfalls vom 12.09.2012 im Fragebogen Holzaufbereitung bestätigt. Danach handelte es sich bei der am 08.08.2012 verarbeiteten Gesamtmenge Holz um (insgesamt nur) 6 Raummeter. Das gesamte Volumen sei für ihn selbst bestimmt gewesen, er habe das Holz zu 100 % zum Heizen des Wohnstocks, Kachelofens verwenden wollen. Die alternativen Fragen nach Brennholz für oder Verkauf an Dritte hat der Kläger dagegen nicht angekreuzt und ergänzt, sodass auch hieraus geschlossen werden muss, dass das Holz nicht für Dritte bestimmt war. Mithin war der Kläger vom Anhänger gestürzt, als er sein privates Brennholz auf diesen geladen hatte. Zum Verkauf bestimmtes Holz war dagegen am 08.08.2012 nicht aufbereitet worden.
36 
Die späteren Angaben des Klägers im Widerspruchs-, Klage- sowie Berufungsverfahren lassen sich mit diesem Sachverhalt nicht in Übereinstimmung bringen. Da der Kläger angegeben hat, dass die 6 Raummeter Holz ausschließlich für seinen eigenen Heizbedarf vorgesehen waren, ist die spätere Behauptung, das Brennholz sei für seine Nichte bestimmt gewesen, die 6 Raummeter in Auftrag gegeben habe, nicht nachvollziehbar. Dies gilt auch für die Behauptung, das weitere Holz sei zur Erwärmung von Wasser für die Futterzubereitung gedacht gewesen. Denn über die 6 Raummeter hinaus hat der Kläger ausweislich seiner Angaben im Fragebogen Holzaufbereitung kein Holz aufbereitet. Anders als das SG hält der Senat die Begründung des Klägers für die gänzlich verschiedenen und sich widersprechenden Angaben in keiner Weise für überzeugend. Der Kläger hat seine Angaben in der Unfallanzeige und im Fragebogen Holzaufbereitung fünf Wochen nach dem Unfallereignis gemacht. Anhaltspunkte für eine besondere psychische Belastung ergeben sich weder aus den Formularbögen noch aus den medizinischen Befundberichten insbesondere der S.-Kliniken. Dass der Kläger fünf Wochen nach dem Unfallereignis noch an einem Unfallschock gelitten haben könnte, ergibt sich aus den vorliegenden Akten nicht. Ein solcher würde aber auch nicht erklären, weshalb der Kläger detaillierte falsche Angaben zum Unfallgeschehen und zu den weiteren Umständen der Holzverarbeitung sowie -verwendung hätte machen sollen. Für den Senat ist die Tatsache, dass der Kläger erst nach Bekanntgabe des ablehnenden Bescheides und der hierfür maßgeblichen Gründe den Sachverhalt quasi umgedreht hat und die ursprünglich ausschließlich private Holzverwendung als jetzt beabsichtigten Holzverkauf darstellt, wesentlicher Grund dafür, ihn an seinem ersten Vorbringen festzuhalten, an dessen Richtigkeit der Senat keine begründeten Zweifel hat. Anders als im Berufungsverfahren geltend gemacht, hat der Kläger auch nicht unverzüglich seine Angaben im Unfallbogen korrigiert, nachdem er deren Unrichtigkeit erkannt hat. Spätestens nach Erlass des streitgegenständlichen Bescheides vom 18.09.2012 war dem Kläger bekannt, weshalb seine Sachverhaltsangaben der beantragten Feststellung eines Arbeitsunfalles entgegenstanden. Seinen Widerspruch vom 30.09.2012 hat der Kläger jedoch zunächst nicht begründet und seine bislang gemachten Angaben nicht korrigiert. Erst nach Mandatierung des Verfahrens- bzw. Prozessbevollmächtigten ist dann in der Widerspruchsbegründung vom 30.10.2012, mithin ein Monat später, der neue Sachverhalt vorgetragen worden.
37 
Soweit das SG sein Urteil wesentlich auf die weitere Einlassung des Klägers zur Ausstattung des Hängers, nämlich Kippers mit hohen Bordwänden, gestützt hat, hält der Senat diesen Umstand für gänzlich unbedeutend. Denn völlig unabhängig davon, wie weit das ofenfertige Holz transportiert werden sollte, ob nun zur Nichte des Klägers in das ca. 35 km entfernte Z. oder zu seiner eigenen Wohnanschrift in D., hätten zur Aufnahme des gesamten gesägten Holzes auf den Kipper in jedem Fall die Seitenwände erhöht werden müssen.
38 
Auch der in der mündlichen Verhandlung des Senats wiederholte Erklärungsversuch des Klägers, er habe den Angaben in der Unfallanzeige und dem Fragebogen keine besondere Bedeutung beigemessen, weil ihm von Seiten der Ärzte und der Berufsgenossenschaft deutlich gemacht worden sei, dass es sich um einen eindeutigen „BG-Fall“ handele, erlaubt gerade nicht die Schlussziehung, der Kläger habe hier - wie von ihm in der mündlichen Verhandlung behauptet - falsche Angaben gemacht. Vielmehr lässt sich hieraus weit eher folgern, dass die in den Formularen gemachten Angaben der Wahrheit entsprechen, weil sich der Kläger über das Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen bereits sicher war.
39 
Der Senat misst den Angaben des Klägers in der Unfallanzeige und im Fragebogen Holzaufbereitung auch höheren Beweiswert als der Aussage des Zeugen bei, der sowohl vor dem SG als auch vor dem LSG angegeben hat, das Holz auf dem Hänger, von dem der Kläger am Nachmittag des 08.08.2012 gestürzt sei, sei für seine Tochter, die Nichte des Klägers, bestimmt gewesen. Zum einen widersprechen sich teilweise die Aussage des Zeugen und die des Klägers, was die Glaubwürdigkeit des Zeugen zumindest in Zweifel zieht. Während der Kläger zunächst angegeben hatte, am 08.08.2012 den ganzen Tag mit seinem Vater und dem Bruder Holz geholt und gesägt zu haben, hat der Zeuge angegeben, am 08.08.2012 erst nachmittags gegen dreiviertel vier zum Hof der Eltern gekommen zu sein. Nach Aussage des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem SG war auch nicht - wie von Seiten des Zeugen behauptet - der Transport des Holzes nach Z. noch am selben Abend, sondern erst am nächsten Morgen geplant. Anders als das SG geht der Senat nicht davon aus, worauf die Aussage des Zeugen vor dem SG unter Umständen hindeuten könnte, dass außer dem Hänger, von dem das Meterholz abgeladen worden war, und dem Kipper, auf dem das gesägte Holz aufgeladen war noch ein weiterer Anhänger mit für den Kläger bestimmtem Holz auf dem Hof gestanden hat. Zum einen finden sich dementsprechende Angaben nicht in der Unfallanzeige des Klägers, zum anderen ist nicht ersichtlich, woher dieses Holz stammen sollte, nachdem insgesamt nur 6 Raummeter Holz aufbereitet wurden, die im gesägten Zustand auf den Kipper mit erhöhten Seitenwänden passten. Zudem hat der Zeuge vor dem LSG eingeräumt, sie hätten lediglich zwei Anhänger. Zum anderen ist für den Senat wesentlich, dass der Zeuge keinen Sachverhalt geschildert hat, der begründen könnte, weshalb die schriftlichen Erklärungen des Klägers in der Unfallanzeige und im Fragebogen Holzaufbereitung seinen Angaben widersprechen. Der Zeuge hat sich dies vielmehr selbst nicht erklären können.
40 
Der Senat hält die Aussagen des Zeugen insgesamt nicht für glaubhaft. Die Konstanzanalyse seiner Aussage ergibt zwar, dass er bei beiden Vernehmungen beim SG und LSG wiederholt bekundet hat, dass das Holz für seine Tochter bestimmt war, was mit der zweiten Version des Klägers übereinstimmt. Das spricht aber aus Sicht des Senats eher für die Absprache der Aussagen der beiden Brüder. Denn insoweit zeigt sich ein typischer Strukturbruch in seiner Aussage, der gegen ein wirklich gehabtes Erlebnis spricht (Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 4. Aufl. 2014, S. 101). Bei der Auskunftsperson, dem Zeugen, wurde nämlich das Unwichtige und Nebensächliche, welches erlebnisbasiert ist, detailreich geschildert, dann brach die Berichterstattung zum eigentlichen Verkaufsgeschehen ab und wurde detailarm. Auch die kriterienorientierte Analyse der getätigten Aussage weist im Ergebnis keine deutlichen Kennzeichen einer erlebnisbezogenen Darstellung auf. So war z.B. die Schilderung des Tagesablaufs des Zeugen vor Eintreffen auf der späteren Unfallstelle sehr konkret, während der Zeuge keinerlei Einzelheiten des angeblich geplanten Verkaufs an seine Tochter, wie bspw. Vertragsgestaltung (mündlich/schriftlich), wie man zu dem Preis (möglicher Nachlass für Verwandte/ortsüblicher Holzpreis) kam, an wen und wie (bar) ausgezahlt werden sollte und wer das Geld zu versteuern hätte, berichtet hat. Als Realitätskriterien gelten beispielsweise der Detailreichtum einer Aussage, die Schilderung von Komplikationen, typische Einzelheiten, individuelle Prägung, Schilderung von gefühlsmäßigen Reaktionen; psychische Folgewirkungen, Verflechtung der Angaben mit anderen Geschehnissen und das Nichtsteuerungskriterium (inhaltlich und chronologisch nicht geordnete, sprunghafte Wiedergabe; vgl. zu allem die ausführlichen Darstellungen bei BGH, Urteil vom 30.07.1999 - 1 StR 6./98 -, NJW 1999, 2746; Bender/Nack/Treuer, a.a.O., S. 76 ff., 101 ff., 120 ff.). Die Aussage des Zeugen war insgesamt, gemessen daran - auch bei Nachfragen – zur eigentlichen Tatfrage weder besonders detailreich, noch liegen besondere Umstände vor, die sie für den Senat psychologisch stimmig und emotional nachvollziehbar machen, der Zeuge war vielmehr völlig emotionslos, obwohl er den dramatischen Unfall seines Bruders miterleben musste, wozu er aber kein Wort verloren hat, so dass es auch am typischen gefühlsmäßigen Nachklang fehlt (Bender/Nack/Treuer, a.a.O., S. 99). Spontane Details hat er schon gar nicht geschildert, auch die genaue Situation nicht beschrieben so z. B. ob es warm war (August), wie erschöpft die beiden Männer (betagterer Vater und Bruder) von der ganztägigen ungewohnten Arbeit waren, ob man unter Zeitdruck war (Spätnachmittag), wie weit die beiden schon mit der Arbeit fortgeschritten waren etc. Somit waren für den Senat auch die sogenannten „reality monitoring“, also erlebnisfundierte Sinneswahrnehmungen, nicht feststellbar (Bender/Nack/Treuer, a.a.O., S. 96). Auf Vorhalt der ersten Unfallversion hat der Zeuge sich damit begnügt, sich das „auch nicht erklären zu können“, obwohl vor dem Hintergrund der darauf beruhenden ablehnenden Entscheidung der Beklagten wie der Berufungsbegründung darüber zumindest gesprochen worden sein muss und der Zeuge auf die Wichtigkeit diese Umstandes noch vor seiner Aussage vor dem Senat ausdrücklich nochmals hingewiesen worden ist. Der Zeuge hatte auch ganz unzweifelhaft ein Motiv für seine falsche Aussage, nämlich seinem Bruder zu einem Anspruch gegen die Beklagte zu verhelfen. Gerade dieses Bedürfnis ist das häufigste Motiv für eine vorsätzliche falsche Aussage (Bender/Nack/Treuer, a.a.O., S. 63).
41 
Ebenfalls für nicht erwiesen hält der Senat, dass das Unfallereignis in einem inneren Zusammenhang mit einer landwirtschaftlichen Verrichtung gestanden hat und unter diesem Gesichtspunkt nach § 2 Abs. 1 Nr. 5a SGB VII versichert gewesen ist. Denn auch insoweit gibt es für den Senat aus o. g. Gründen keinen Anlass, an den Erstangaben des Klägers zu zweifeln. Danach war das Holz zu 100 % zum Heizen der Wohnräume im Haus des Klägers bestimmt. Die alternative Frage im Fragebogen Holzaufbereitung, ob das Holz zum Kochen von Viehfutter für Tiere verwendet werden sollte, hat der Kläger nicht angekreuzt und nicht ergänzt, wodurch eine solche Bestimmung ausgeschlossen worden ist. Da die gesamten 6 Raummeter Holz daher der Beheizung des Kachelofens dienen sollten, verblieb kein weiteres Holz für die Futterzubereitung. Hinzu kommt, dass weder der Kläger noch der Zeuge in der mündlichen Verhandlung vor dem SG eine derartige Zweckbestimmung nochmals erwähnt haben.
42 
Steht somit aufgrund der für den Senat glaubhaften Erstangaben des Klägers fest, dass das im Kipper gestapelte Holz dem privaten Haushalt des Klägers diente, kann nur unter den Voraussetzungen des § 124 Nr. 1 SGB VII, wonach zum landwirtschaftlichen Unternehmen die Haushalte der Unternehmer und der im Unternehmen Beschäftigten gehören, wenn die Haushalte dem Unternehmen wesentlich dienen, Versicherungsschutz gewährt werden. Diese Voraussetzungen sind vorliegend jedoch nicht gegeben. Die Zugehörigkeit des Haushalts zu einem landwirtschaftlichen Unternehmen setzt nach § 124 Nr. 1 SGB VII voraus, dass der Haushalt dem Unternehmen nützlich und die Land- oder Forstwirtschaft nicht derart klein ist, dass ihr der Haushalt an Bedeutung gleichsteht oder gar überlegen ist. Ein Haushalt ist kein Bestandteil eines landwirtschaftlichen Unternehmens, wenn er sich trotz eines örtlichen Zusammenhangs nicht wesentlich von anderen Haushalten unterscheidet (Bayerisches LSG, Urteil vom 30.07.1997 - L 2 U 1./95 - zit. n. juris). Vorliegend diente das Brennholz dem Haushalt des Klägers, während seine Tätigkeit als Nebenerwerbslandwirt die Bewirtschaftung der Hofstelle seiner Eltern betrifft. Zudem ergibt sich aus den Angaben des Klägers zu Umfang und Größe der Landwirtschaft mit 4 Schweinen, 30 Kaninchen und 1,13 ha Wald/Baumwiesen, dass es sich nur um einen kleinen Betrieb handelt, dem sich der Haushalt in seiner Bedeutung nicht unterordnet.
43 
Da die Tätigkeit des Klägers daher nicht als land- oder forstwirtschaftliche Verrichtung versichert gewesen ist, war auf die Berufung der Beklagten das Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
44 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
45 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 12. Mai 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Anerkennung der Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).
Der 1950 geborene Kläger absolvierte ab April 1965 eine Ausbildung zum Fliesenleger, zunächst bis Anfang Oktober 1966 bei S. H. in Waldenbuch und danach bis 1967 bei der Fliesen-R. KG in Stuttgart, wo er noch bis Mitte Oktober 1969 als Geselle beschäftigt war. In seinem Beruf arbeitete er anschließend bis Mitte April 1978 weiter, zunächst für K. A. in Filderstadt und anschließend für T. Sch. in Schönaich. Nach einer zweimonatigen Tätigkeit als Staplerfahrer bei der IBM Deutschland GmbH in Sindelfingen, war er ab Mitte Juni 1978 bis Ende September 1998 bei der Fahrzeugbau R. in Weil im Schönbuch angestellt, die danach aufgelöst wurde. Anschließend war er bis Mitte September 2006 wieder als Fliesenleger beschäftigt, zunächst bis Ende Februar 1999 bei A. H. in Weil im Schönbuch und, nach einer kurzen Zeit der Arbeitsuche, ab Ende Mai 1999 wiederum bei der Fliesen-R. KG in Stuttgart. Ab Mitte September 2006 erkrankte er arbeitsunfähig und bezog ab 2008 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung.
Bei Arthroskopien im rechten und linken Kniegelenk am 23. Juni 1997 und 18. März 1998 wurden von dem Arzt für Chirurgie Dr. J. rechts eine frische Komplexruptur des Innenmeniskushinterhorns und links eine dritt- bis viertgradige mediale Gonarthrose mit Innenmeniskusläsion diagnostiziert. Dieser erstattete der Württembergischen Bau-Berufsgenossenschaft, einer Rechtsvorgängerin der Beklagten, am 20. April 1998 eine ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit. Er gehe von einer Meniskusläsion im Bereich beider Kniegelenke aus, die er auf die beruflich bedingte kniende Tätigkeit des Klägers zurückführe. Die Beschwerden seien erstmals im April 1997 aufgetreten.
Auf Nachfrage teilte der Kläger im Juni 1998 mit, ein Meniskusschaden habe sich erstmals im Januar 1997 bemerkbar gemacht.
Nach telefonischer Rücksprache von Dr.-Ing. J. vom Technischen Aufsichtsdienst der Süddeutschen Metall-Berufsgenossenschaft, ebenfalls einer Rechtsvorgängerin der Beklagten, mit dem Geschäftsinhaber der Fahrzeugbau R. und dem Kläger im August 1998 habe sich ergeben, dass Letzterer dort zu etwa 80 % in der Lackiervorbereitung tätig gewesen sei. Die Arbeiten hätten das Schleifen und Spachteln von Aufbauten für Lastkraftwagen umfasst. Bei Tätigkeiten in etwa 60 bis 70 cm Flurhöhe habe sich der Kläger mit dem rechten Knie auf dem Boden abgestützt. Hierbei habe er einen Knieschoner getragen. Sein linkes Knie sei dabei nahezu unbelastet gewesen. Die Arbeiten habe er an etwa vier Tagen in der Woche mit einer Dauer von etwa zwei Stunden je Schicht durchgeführt. Am fünften Wochenarbeitstag seien keine kniebelastenden Tätigkeiten vorgenommen worden. Hauptsächlich in den Monaten November und Dezember seien fast täglich an sieben bis zwölf Last- oder Personenkraftwagen Reifen montiert worden. Für den Radwechsel dürfte er etwa eine Stunde je Tag kniend gearbeitet haben. Der Kläger habe bei dem Gespräch angegeben, die gesundheitlichen Probleme im Bereich seiner Knie auf seine Tätigkeit als Fliesenleger zurückzuführen.
Nach der Stellungnahme der Dipl.-Ing. S. und F. vom Technischen Aufsichtsdienst der Württembergischen Bau-Berufsgenossenschaft von September 1998 habe der Kläger von 1965 bis 1978 in verschiedenen Mitgliedsbetrieben als Fliesenleger gearbeitet. Er habe sämtliche in diesem Beruf anfallenden Arbeiten ausgeführt, welche üblicherweise in kniender oder hockender Haltung durchgeführt würden. Hierzu zählten im Besonderen das Verlegen und Verfugen von Bodenfliesen sowie von Wandfliesen im Bereich zwischen Sockel und einer Höhe von etwa 75 cm. An Körperhaltungen seien, bei gleichzeitiger Kraftaufwendung, der Fersensitz, die Kniehocke und die Hocke als solche eingenommen worden. Etwa 40 % der Gesamtarbeitszeit seien auf Arbeiten in kniender oder hockender Position entfallen. Der Kläger sei bei seiner Tätigkeit als Fliesenleger keiner häufig wiederkehrenden überdurchschnittlichen Bewegungsbeanspruchung durch Laufen, Springen oder Knick-, Dreh- und Scherbewegungen auf grob unebener Unterlage ausgesetzt gewesen. Außerberuflich habe der Kläger keine kniebelastenden Tätigkeiten oder Sportarten ausgeübt.
Der Kläger war bei der Innungskrankenkasse Baden-Württemberg (heute: IKK classic) gegen Krankheit versichert. Nach dem von dort beigezogenen Vorerkrankungsverzeichnis von Oktober 1998 wurden im November 1990 und April 1991 jeweils der Verdacht auf eine Innenmeniskusläsion, im September 1995 ein Reizknie, im April 1997 ein akutes Reizknie und eine Gonarthrose, drei Monate später eine erhebliche Gonarthrose und der Verdacht auf eine Meniskusläsion sowie im März 1998 der Verdacht auf eine Innenmeniskusläsion ärztlich diagnostiziert.
Auf Nachfrage führte der Allgemeinarzt Dr. C. im November 1998 aus, er habe beim Kläger ab Ende April 1997 ein Reizknie beidseits, rechts mehr als links, behandelt. Am 23. Juni 1997 sei es zu einer ersten arthroskopischen Knieoperation gekommen. Später habe er immer wieder Reizzustände des rechten Kniegelenkes mit Ergüssen behandelt. Am 18. März 1998 sei auf der linken Seite eine Arthroskopie durchgeführt worden.
Nach der gewerbeärztlichen Stellungnahme von Dr. G. von Dezember 1998 habe der Kläger nach Aktenlage dreizehn Jahre lang als Fliesenleger gearbeitet, wobei etwa 40 % der Gesamtarbeitszeit auf Arbeiten in kniender oder hockender Position entfallen seien. Nach dem Merkblatt zu der Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV sei dies als haftungsbegründende Kausalität anzusehen. Selbst bei dessen letzter Tätigkeit habe durchaus eine, wenn auch arbeitstäglich kürzere Kniegelenksbelastung vorgelegen. Da bei dem Kläger auch das typische Krankheitsbild einer Innenmeniskusdegeneration vorhanden sei, müsse geprüft werden, ob eine solche Berufskrankheit mit Wahrscheinlichkeit vorliege, was ihres Erachtens der Fall sei.
10 
Daraufhin wurde der Ärztliche Direktor der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie des K-Hospitals in Stuttgart, Prof. Dr. H., mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Nach einer ambulanten klinischen und radiologischen Untersuchung des Klägers am 15. Februar 1999 führte dieser aus, nach dessen Angaben sei am linken Kniegelenk 1972 eine Bursitis praepatellaris aufgetreten, welche medikamentös und durch Elektrotherapie behandelt worden sei. Daraufhin sei eine Besserung eingetreten. Im März 1997 sei es dann ohne Trauma zu Schmerzen im rechten Kniegelenk gekommen. Bei der klinischen Untersuchung hätten die Beinachsen beidseits eine Varusstellung eingenommen. Nach Aufforderung, die Füße zusammenzustellen, hätten sich beide Malleoli medialis berührt. Zwischen beiden Kniegelenken habe ein Abstand von 5 cm bestanden. Im linken Kniegelenk habe sich eine mediale Gonarthrose gezeigt. Beidseits seien Innenmeniskusteilresektionen vorgenommen worden, rechts 1997 und links 1998. Ein Knorpelschaden dritt- bis viertgradig links sei arthroskopisch diagnostiziert worden. Eine starke Verschwielung der beiden präpatellaren Zonen sei vorhanden. Linksseitig habe sich eine leichte Schwellung gezeigt. Es handele sich um eine sekundäre Meniskusschädigung beidseits aufgrund einer Varusstellung beidseits und einer links nachgewiesenen Varusgonarthrose. Den Knorpelschaden linksseitig medial führe er auf die Varusdeformität zurück. Es sei zwar vom Kläger in 40 % des täglichen Arbeitstages eine kniende Position eingenommen worden, allerdings nur zu einem geringeren Teil in meniskusbelastenden Positionen. Die medial betonte Gonarthrose und die Varusfehlstellung seien nicht Folge beruflich bedingter Einwirkungen. Vielmehr sei es hierdurch zu der beiderseitigen Meniskopathie gekommen.
11 
Aufgrund des Gutachtens von Prof. Dr. H. schlug Dr. G. in ihrer gewerbeärztlichen Stellungnahme von April 1999 vor, die Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV beim Kläger nicht anzuerkennen.
12 
Mit Bescheid vom 27. Mai 1999 lehnte die Beklagte die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV, im Wesentlichen gestützt auf das Gutachten von Prof. Dr. H., ab.
13 
Mit Schreiben vom 21. Dezember 2006 wandten sich die Bevollmächtigten des Klägers an die Beklagte und teilten mit, sie seien beauftragt zu überprüfen, inwieweit zwischenzeitlich eine Berufskrankheit geltend gemacht werden könne, weshalb sie um Akteneinsicht nachsuchten. Am 15. Juni 2007 äußerten sie, der Kläger habe nach Erlass des Bescheides vom 27. Mai 1999 noch bis einschließlich 2006 als Fliesenleger gearbeitet, weshalb nun erneut beantragt werde, bei ihm wegen seiner Meniskusschäden eine Berufskrankheit festzustellen.
14 
Nach den von Dr. J. der Beklagten vorgelegten Arztberichten hatte dieser im Herbst 2004 eine fortgeschrittene Varusgonarthrose links und im Herbst 2006 zudem eine viertgradige Chondromalazie medialer Femurkondylus rechts diagnostiziert. Auf Veranlassung der Trägerin der gesetzlichen Rentenversicherung hielt sich der Kläger von Ende April bis Mitte Mai 2007 stationär in den Fachkliniken Hohenurach in Bad Urach auf. Nach dem Entlassungsbericht des Chefarztes der Abteilung Orthopädie, Prof. Dr. H., wurde insbesondere ein Zustand nach medialer Schlittenprothese links bei primärer Gonarthrose beidseits am 18. April 2007 (ICD-10 M17.9) diagnostiziert.
15 
Mit Bescheid vom 8. November 2007 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 27. Mai 1999 im Wege des Zugunstenverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ab. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 7. März 2008 zurückgewiesen.
16 
In dem daraufhin geführten Klageverfahren vor dem Sozialgericht Stuttgart (SG, Az. S 6 U 2251/08) erstattete der Direktor der Klinik für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie des Universitätsklinikums des Saarlandes, Prof. Dr. K., auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten. Nach dessen ambulanter klinischer und röntgenologischer Untersuchung am 29. Mai 2009 führte der Sachverständige aus, aktuell liege im Bereich des rechten Kniegelenkes ein Zustand nach arthroskopischer Teilmeniskektomie vor, mit anamnestisch zu eruierenden weiterbestehenden Reizzuständen und Ergussbildungen, einem funktionellen Streckdefizit von 10° und röntgenologisch einer medialen Gonarthrose. Was die Beinachse rechts betreffe, so sei aufgrund der jetzt anscheinend erstmals durchgeführten Beinganzaufnahme festzustellen, dass die Belastungslinie, die so genannte „Mikulicz-Linie“, durch den Interkondylenhöcker des Knies verlaufe. Es liege damit ein Normalbefund vor. Die Längsachsen des Femurs und der Tibia bildeten einen Winkel von 5° Valgus zueinander. Betreffend das rechte Knie verlaufe die Belastungslinie orthotop, weshalb keine O-Beinstellung vorliege. Im Bereich des linken Kniegelenkes bestehe derzeit ein Zustand nach endoprothetischem Ersatz des inneren Kniegelenkanteiles mit einer geringgradig fehlplatzierten SchlittenpR.ese, einem glaubhaft weiter bestehenden Reizzustand, einem Bewegungsdefizit von 10° bei freier Beugung sowie eine nach dem Röntgenbild völlig unauffällig einliegende Prothese ohne Lockerungszeichen. Was die Beinachse links betreffe, sei, bedingt durch die Fehlimplantation, die Traglinie nach medial verschoben. Die Achse zwischen Femur und Tibia betrage 0°. Es sei also eine leicht varische Fehlstellung von 5 bis 6° vorhanden.
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Die körperlichen Verhältnisse des Klägers seien von Prof. Dr. H. nicht korrekt erfasst worden. Von ihm sei beidseits eine Varusstellung der Kniegelenke klinisch links von 10° und rechts von 8° gemessen worden. Ein solcher Befund lasse sich nach der von ihm durchgeführten klinischen Untersuchung nicht nachvollziehen. Von ihm sei zwar ein Interkondylenabstand von 3 cm bei sich berührenden Malleoli festgestellt worden. Die Ausmessung der Beinachse rechts habe jedoch unauffällige Verhältnisse gezeigt. Links habe klinisch nur ein geringes Varus vorgelegen. Die von Prof. Dr. H. vorgenommene Untersuchung sei auch hinsichtlich der Achsenbestimmung unzulänglich gewesen, da keine hinreichend aussagekräftige Beinganzaufnahme angefertigt worden sei. Es sei zu vermuten, dass die Beinachse vor Implantation der Knieendoprothese links gleichartig zu rechts oder nicht wesentlich unterschiedlich gewesen sei. Eine beidseitige deutliche O-Beinstellung dürfte daher auszuschließen sein. Rechts gelinge der Vollbeweis wegen der jetzt durchgeführten Beinganzaufnahme. Links müsse dies vermutet werden, da bei gering fehlimplantierter SchlittenpR.ese die jetzt vorgefundenen Achsen nicht 100 % auf den präoperativen Zustand zurückextrapoliert werden könnten, jedoch kein Grund ersichtlich sei, warum die Beinachse des Klägers links wesentlich anders sein sollte als rechts. Insbesondere lägen keine Verletzungen oder Stoffwechselerkrankungen vor, die zu einer verstärkten O-Beinbildung hätten führen können.
18 
Inkorrekt sei auch die Aussage im Gutachten von Prof. Dr. H., dass zwar eine kniende Position von 40 % des täglichen Arbeitstages eingenommen worden sei, jedoch nur zu einem geringeren Teil in einer meniskusbelastenden Position. Die Dipl.-Ing. S. und F. hätten gerade ausgeführt, dass der Kläger Tätigkeiten mit Meniskusbelastungen, also Tätigkeiten kniend, hockend und im Fersensitz, unter, und dies sei wichtig, gleichzeitiger Kraftaufwendung zu 40 % der Arbeitstätigkeit ausgeübt habe. Auf diesen Umstand habe auch Dr. G. in ihrer Stellungnahme von Dezember 1998 hingewiesen. Eine entsprechende Aussage finde sich ebenfalls in der Literatur, etwa in Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall- und Berufskrankheit. Demzufolge seien für eine Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV relevante belastende Tätigkeiten eindeutig nachgewiesen.
19 
Die Mehrjährigkeit sei ebenfalls gegeben, da die Belastungsdauer mittlerweile insgesamt 21 Jahre betragen habe, von 1965 bis 1978 dreizehn Jahre und von Oktober 1998 bis Mitte September 2006 annähernd acht Jahre. In der Literatur werde darauf hingewiesen, dass eine Meniskopathie lange klinisch stumm verlaufen und erst Jahre nach Beendigung der belastenden Tätigkeit zum Vorschein kommen könne, wobei für die Anerkennung ein jeweils langer Zeitraum der belastenden Tätigkeit und der besonderen Beanspruchung der Kniegelenke, ein kurzes beschwerdefreies Intervall bis zum Auftreten der ersten Beschwerden sowie ein geringes Lebensalter vorliegen müssten. Der Kläger habe dreizehn Jahre am Stück eine belastende Tätigkeit ausgeübt. Bei seiner ersten Phase als Fliesenleger habe ein geringes Lebensalter bestanden, so dass auch das klinische Manifestwerden im Sinne der Operationswürdigkeit nach Beendigung der die Kniegelenke belastenden Tätigkeit nicht gegen die Annahme einer berufsbedingten Meniskopathie spreche. Spätestens zum Zeitpunkt seiner Untersuchung lägen somit die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV vor.
20 
Hiergegen wandte die Beklagte ein, nach Beendigung der kniebelastenden Tätigkeit im April 1978 habe sich nach den Angaben des Klägers von Juni 1998 die Erkrankung erstmals im Jahre 1997 bemerkbar gemacht. Die Operationen mit Feststellungen von Innenmeniskusschäden seien im Juni 1997 im Bereich des rechten Knies und im März 1998 bezogen auf das linke Knie vorgenommen worden. Dass ein Meniskusschaden erst so viele Jahre nach Beendigung der kniebelastenden Tätigkeit klinisch manifest werde, spreche, entgegen der Ansicht von Prof. Dr. K., gegen die Annahme einer berufsbedingten Meniskopathie. Zu diesem Zeitpunkt habe beim Kläger auch kein geringes, sondern ein höheres Lebensalter vorgelegen. Selbst Dr. J. habe in seinem Bericht von September 2006, also vor Implantation der Schlittenprothese links im April 2007, für das linke Kniegelenk eine starke Varusfehlstellung beschrieben. Hierzu habe sich Prof. Dr. K. nicht verhalten.
21 
In einer ergänzenden Stellungnahme von April 2010 führte Prof. Dr. K. aus, dass auch nach der aktuellen 8. Auflage von Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit das Manifestwerden einer Meniskuserkrankung nach einer Latenz für sich alleine gesehen nicht gegen die Annahme einer beruflich bedingten Meniskopathie spreche. Zu dem von der Beklagten erwähnten Befundbericht von Dr. J. sei anzumerken, dass im Röntgenbefund nicht beschrieben werde, dass ein Varus oder Valgus bestehe. Diese Aussage finde sich nur im klinischen Befund. Dieser könne hingegen täuschen. Insbesondere bei übergewichtigen Menschen entsprächen die klinisch vorzufindenden Achsverhältnisse nicht immer den normalen. Nur mit einer kompletten Oberflächenersatzprothese oder gar einer achsgeführten Knieprothese könne ein Beinachsenfehler korrigiert werden, nicht jedoch mit einer unikondylären Prothese, wie sie beim Kläger zum Einsatz gekommen sei. Die Achsausmessungen, wie sie von ihm im Bereich des linken Beines mit einliegender Schlittenprothese vorgenommen worden seien, belegten, dass präoperativ kein stärkerer Varusfehler vorgelegen haben könne. Da wegen der Implantation einer unikondylären Schlittenprothese, die im Falle des Klägers von dem Ärztlichen Direktor der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie des K-Hospitals in Stuttgart, Priv.-Doz. Dr. G., eingesetzt worden sei, bei der präoperativen Planung, insbesondere der Ausrichtung der femoralen Komponente, eine komplexe Bestimmung diverser Winkel notwendig sei, müsse dort eine Beinganzaufnahme erstellt worden sein. Diese liege ihm jedoch nicht vor.
22 
Die Beklagte trug hierzu vor, nach der geltenden Fachliteratur sprächen ein entsprechend langer Zeitraum zwischen der Beendigung der belastenden Tätigkeit und dem Auftreten der ersten Beschwerden sowie ein zu diesem Zeitpunkt höheres Lebensalter gegen das Vorliegen eines beruflich verursachten Meniskusschadens. Nach der beratungsärztlichen Stellungnahme des Chirurgen Dr. K., dem die im K-Hospital in Stuttgart erstellte Ganzbeinaufnahme von Mitte März 2007 von der Beklagten vorgelegt wurde, zeige sich darauf eine deutliche Varusfehlstellung links.
23 
Das SG beauftragte den Leiter der Gutachtenambulanz der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie des Universitätsklinikums Heidelberg, Prof. Dr. Sch., mit der Erstattung eines Gutachtens. Nach einer ambulanten klinischen Untersuchung des Klägers am 2. November 2011 führte er aus, der Kniebefund sei im Gutachten von Prof. Dr. H. richtig erfasst worden. Es lägen Verschleißerscheinungen des Gelenkknorpels im linken Knie und beiderseitige Meniskusschädigungen vor. Jedoch sei nach heutigem medizinischem Wissen eine Fehlinterpretation hinsichtlich der O-Beinstellung als konkurrierende Ursache des Meniskusschadens erfolgt. Darüber hinaus fehle eine Differenzierung zwischen einem Gelenkknorpel- und einem Meniskusschaden, wie sie im Rahmen der Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV zu fordern sei. Ein so genanntes „konformes Belastungsbild“ im Sinne dieser Berufskrankheit verlange einen entsprechend dominierenden Verschleiß der Menisken. Dieses belastungskonforme Schädigungsmuster habe nur im rechten Kniegelenk des Klägers vorgelegen. Auch von Prof. Dr. K. sei der Befund der Kniegelenke weitgehend korrekt erfasst worden. Ihm sei zuzustimmen, dass eine valide Einschätzung der Beinachsen nur mittels einer Ganzbeinstandaufnahme vorzunehmen sei. Lediglich die von ihm vermutete gerade Beinachse des linken Beines vor der Implantation der Schlittentotalendoprothese habe sich nach der nun vorliegenden Ganzbeinstandaufnahme des K-Hospitals in Stuttgart aus dem Jahre 2007 als nicht zutreffend erwiesen. Auch er habe keine Differenzierung zwischen Meniskus- und Gelenkknorpelschäden vorgenommen. Die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV lägen somit nur für das rechte Knie vor. Ein belastungskonformes Schädigungsmuster mit dominierender Meniskusschädigung über die Gelenkknorpelschädigung hinaus sei für das linke Knie demgegenüber nicht zu belegen. Vor dem Hintergrund der vom Kläger angegeben Kniebelastung im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeiten erscheine eine einseitig berufsbedingte Meniskusschädigung wahrscheinlich.
24 
Hierzu wandte die Beklagte ein, die Annahme, dass der Kläger bei seinen beruflichen Tätigkeiten als Fliesenleger in einer überwiegend das rechte Knie belastenden Körperhaltung, bei der er sich auf dieses aufstützte, gearbeitet habe, sei eine Vermutung, die nicht nachvollzogen werden könne. Hiergegen spreche, dass Prof. Dr. H. bei seiner Begutachtung Anfang 1999 im Bereich beider Kniegelenke eine starke Verschwielung der beiden präpatellaren Zonen festgestellt habe. Der Tätigkeit als Fliesenleger sei der Kläger nach eigenen Angaben erst wieder ab Anfang Oktober 1998 nachgegangen.
25 
Prof. Dr. Sch. führte ergänzend aus, bei der von ihm vorgenommenen gutachterlichen Untersuchung habe der Kläger die kniebelastende Tätigkeit bereits seit Jahren aufgegeben gehabt. Eine Beurteilung der präpatellaren Beschwielung sei ihm zu diesem Zeitpunkt daher nicht mehr möglich gewesen. Eine beidseits vorliegende ausgeprägte präpatellare Beschwielung widerspreche in der Tat einer vorwiegend einseitigen Kniebelastung des Klägers. Folglich wäre im Falle einer berufsbedingten Schädigung ein im Seitenvergleich ähnliches Schädigungsmuster zu fordern. Zu der von der Beklagten angesprochenen Latenz zwischen der Aufgabe der beruflichen Tätigkeit und dem Manifestwerden eines Meniskusschadens gebe es keine Grenzwerte, weshalb die Tatsache der langen klinischen Unauffälligkeit nach Beendigung der meniskusbelastenden Tätigkeit nicht gegen die Anerkennung einer berufsbedingten Meniskopathie spreche.
26 
In der mündlichen Verhandlung beim SG am 21. Februar 2012 gab der Kläger, er habe zu 90 % seiner Tätigkeiten als Fliesenleger auf dem rechten Knie gearbeitet. Dabei habe er das linke Knie so aufgestellt gehabt, dass sich Ober- und Unterschenkel des linken Beines berührt hätten. Er habe beiderseits Knieschoner getragen. Beim Fliesenlegen habe er stets hinter den Fliesen gesessen. Diese Position habe er bereits zu Beginn seiner beruflichen Tätigkeit eingenommen. Grund hierfür sei gewesen, dass er Beschwerden am linken Knie gehabt habe. Dieses sei, wenn er aus der Hocke habe aufstehen müssen, ebenfalls Belastungen ausgesetzt gewesen.
27 
Das SG wies die Klage mit Urteil vom 21. Februar 2012 ab. Im Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG, Az. L 8 U 2150/12) schlossen die Beteiligten in der nichtöffentlichen Sitzung am 20. November 2012 einen Vergleich, wonach sie übereinstimmend davon ausgingen, dass der Antrag des Klägers von Dezember 2006 auch als Antrag nach § 48 SGB X gewertet wird. Die Beklagte verpflichtete sich, auf den Antrag des Klägers wegen der geltend gemachten Verschlimmerung einen Bescheid zu erteilen. Der Kläger nahm die Berufung zurück.
28 
Daraufhin forderte die Beklagte weitere medizinische Befundunterlagen an. Der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. Sch. diagnostizierte nach einer Untersuchung Anfang Oktober 2012 eine mediale Schlittenprothese im linken Kniegelenk (ICD-10 Z96.6), eine Gonarthrose rechts (ICD-10 M17.1) und eine Adipositas (ICD-10 E66.8). Als klinischen Befund stellte er unter anderem Genua vara fest. Priv.-Doz. Dr. G. berichtete im Januar 2013 über einen stationären Aufenthalt des Klägers im April 2007, bei dem eine mediale Schlittenprothese links eingesetzt worden sei, und diagnostizierte unter anderem eine medial betonte Gonarthrose primär links (ICD-10 M17.1).
29 
Mit Bescheid vom 4. April 2013 stellte die Beklagte „in Ausführung des Vergleiches“ fest, dass beim Kläger keine Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV vorliegt. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juni 2013, der den Bevollmächtigten des Klägers am 24. Juni 2013 zugestellt wurde, zurückgewiesen.
30 
Hiergegen hat der Kläger am 23. Juli 2013 Klage beim SG erhoben, welches sie nach Durchführung eines Erörterungstermins am 22. Juli 2014 mit Urteil vom 12. Mai 2015 abgewiesen hat. Zwischen den Beteiligten stehe der Gesundheitszustand des Klägers nach Erlass des Bescheides vom 27. Mai 1999 im Streit. Dieser habe angegeben, in diesem Zeitraum erneut als Fliesenleger tätig geworden zu sein. Entgegen der Formulierung in dem gerichtlichen Vergleich vor dem LSG im November 2012 habe die Beklagte nach Überzeugung der Kammer nicht über eine Verschlimmerung entschieden. Zu Recht habe sie geprüft, ob zum Zeitpunkt des Antrages vom 21. Dezember 2006 die Voraussetzungen für die in Streit stehende Berufskrankheit gegeben gewesen seien. Dies sei zu verneinen.
31 
Gegen die den Bevollmächtigten des Klägers am 8. Juni 2015 zugestellte Entscheidung, auf der neben der Kammervorsitzenden nur eine ehrenamtliche Richterin aufgeführt ist, hat der Kläger am 1. Juli 2015 mit der Begründung Berufung beim LSG eingelegt, bislang sei außer Acht gelassen worden, dass auch Prof. Dr. Sch. festgestellt habe, dass die Befundsituation seines rechten Knies mit einer Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV zu vereinbaren sei. Unberücksichtigt geblieben sei in der vorausgegangenen Entscheidung des SG ferner, dass Prof. Dr. K. zu dem Ergebnis gekommen sei, dass seine Kniebeschwerden nicht durch eine varische Fehlstellung verursacht worden sein könnten. Beide Sachverständigengutachten stützten das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV.
32 
Der Kläger beantragt,
33 
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 12. Mai 2015 und den Bescheid vom 4. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, bei ihm eine Berufskrankheit nach Nummer 2102 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung anzuerkennen.
34 
Die Beklagte beantragt,
35 
die Berufung zurückzuweisen.
36 
Sie trägt im Wesentlichen vor, der Kläger berücksichtige nicht die ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. Sch., wonach die medizinischen Voraussetzungen für eine Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV nicht bejaht werden könnten, wenn keine einseitige Kniebelastung des Klägers vorgelegen habe. Hiergegen spreche die Feststellung von Prof. Dr. H., wonach im Zeitpunkt seiner Begutachtung eine beiderseitige patellare Beschwielung im Bereich der Kniegelenke vorgelegen habe. Weiter deute auch der zeitliche Ablauf nicht darauf hin, dass die Kniegelenksbeschwerden durch die berufliche Tätigkeit des Klägers verursacht worden seien.
37 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte der Beklagten (2 Hefte) verwiesen.

Entscheidungsgründe

38 
Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden sowie im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft (§ 143, § 144 Abs. 1 SGG), aber unbegründet.
39 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Urteil des SG vom 12. Mai 2015, mit dem die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG; zur Klageart vgl. BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 - B 2 U 6/12 R -, SozR 4-2700 § 9 Nr. 22, Rz. 13 m. w. N.) erhobene Klage, mit welcher der Kläger zuletzt unter Aufhebung des Bescheides vom 4. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2013 die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV verfolgt hat, abgewiesen worden ist. Das Urteil ist wirksam und im Übrigen auch nicht fehlerhaft zustande gekommen, da es ausweislich der Niederschrift des SG über die mündlichen Verhandlung am 12. Mai 2015 (§ 122 SGG i. V. m. § 165 Satz 1 Zivilprozessordnung - ZPO) unter Mitwirkung von zwei ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern (§ 12 Abs. 1 Satz 1 SGG) zustande gekommen ist und lediglich auf der Urteilsurkunde entgegen § 136 Abs. 1 Nr. 2 SGG der mitwirkende ehrenamtliche Richter Ludwig nicht namentlich aufgeführt ist. Diese Vorschrift soll die Prüfung ermöglichen, ob das Gericht ordnungsgemäß besetzt war (Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 136 Rz. 3), was sich vorliegend allerdings noch hinreichend anhand der Sitzungsniederschrift nachvollziehen lässt, die den Beteiligten mit einem Urteilsabdruck zugestellt worden ist.
40 
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn die Voraussetzungen für die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV liegen beim Kläger nicht vor.
41 
Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach den am 1. Januar 1997 in Kraft getretenen Bestimmungen des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII), da ein Meniskusschaden, wie er Voraussetzung für die Feststellung der Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV ist, nicht vor diesem Datum nachgewiesen ist und der Leistungsfall somit erst nach 1996 eingetreten sein kann (§ 212 SGB VII; Art. 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, BGBl I 1996, S. 1254). Der Riss im Innenmeniskushinterhorn rechts wurde im Juni 1997 von Dr. J. operiert. Beschwerden wegen dieses Meniskusschadens sind nach dessen Angaben in der Anzeige über eine Berufskrankheit von April 1998 erstmals im April 1997 aufgetreten. Der Kläger selbst hat im Verwaltungsverfahren auf Nachfrage mitgeteilt, dass sich ein Meniskusschaden erstmals im Januar 1997 bemerkbar machte. Dem Vorerkrankungsverzeichnis ist kein Nachweis für einen Meniskusschaden des Klägers vor 1997 zu entnehmen. Im November 1990 und April 1991 ergab sich jeweils nur der Verdacht auf eine Innenmeniskusläsion. Im September 1995 wurde ein so genanntes „Reizknie“ diagnostiziert, also eine ätiologisch unklare, zu Rückfällen neigende Kniegelenksentzündung, die mögliche Folgeerkrankung eines Meniskusschadens sein kann, nicht aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf dessen Eintritt schließen lässt. Bei der vom Kläger gegenüber Prof. Dr. H. bei der Begutachtung angeführten Bursitis praepatellaris, also einer Entzündung des Schleimbeutels im Bereich der Kniescheibe, die im Jahre 1972 behandelt worden sein soll, handelt es sich ebenfalls nicht um einen Meniskusschaden. Wegen des somit erst nach 1996 nachgewiesenen Meniskusschadens kann der Versicherungsfall erst nach diesem Datum eingetreten sein, so dass die Bestimmungen des SGB VII heranzuziehen sind, unabhängig davon, ob § 9 Abs. 5 SGB VII entsprechende Anwendung findet. Soweit danach Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für die Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen (vgl. Köhler, in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB VII, Stand: Mai 2011, § 212 Rz. 5; Söhngen, in jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 212 Rz. 11). Auch diese Voraussetzungen lägen frühestens zum Zeitpunkt des Nachweises des Meniskusschadens vor.
42 
Nach § 9 Abs. 1 SGB VII sind Berufskrankheiten Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als Berufskrankheiten bezeichnet (Listen-Berufskrankheiten) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den § 2, § 3 oder § 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (Satz 1). Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann Berufskrankheiten auf bestimmte Gefährdungsbereiche beschränken oder mit dem Zwang zur Unterlassung einer gefährdenden Tätigkeit versehen (Satz 2). Für die Feststellung einer Listen-Berufskrankheit ist im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung gegebenenfalls den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-Berufskrankheit. Dabei müssen die „versicherte Tätigkeit“, die „Verrichtung“, die „Einwirkungen“ und die „Krankheit“ im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der T.rie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 15. September 2011 - B 2 U 25/10 R -, SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 4111 Nr. 3, Rz. 14 m. w. N.).
43 
Der Verordnungsgeber hat die Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV wie folgt bezeichnet: „Meniskusschäden nach mehrjährigen andauernden oder häufig wiederkehrenden, die Kniegelenke überdurchschnittlich belastenden Tätigkeiten“.
44 
Die gesundheitlichen Verhältnisse des Klägers rechtfertigen die beantragte Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV nicht. Dabei war der Senat nicht an den Inhalt des bestandskräftigen Bescheides vom 27. Mai 1999 gebunden. Dieser betraf nur das durch die ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit von Dr. J. eingeleitete Verwaltungsverfahren, welches durch die damit getroffene Feststellung abgeschlossen worden ist, dass beim Kläger keine Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV vorliegt. Insoweit ist eine der materiellen Bestandskraft (§ 77 SGG) fähige Feststellung allerdings nur insoweit getroffen worden, als das Begehren des Klägers nach dem maßgeblichen Sach- und Rechtsstand bis zum Abschluss des damaligen Verwaltungsverfahrens beurteilt worden ist. Eine solche negative Feststellung schließt das Verwaltungsverfahren ab, entfaltet jedoch keine Wirkung für die Zukunft. Wäre es anders, so käme dem Verwaltungsakt Dauerwirkung zu (vgl. BSG, Urteil vom 20. Oktober 1999 - B 9 SB 4/98 R -, SozR 3-1500 § 77 Nr. 3), was nicht der Fall ist, da seine Regelungswirkung nach dem zu Grunde liegenden materiellen Recht nicht über die punktuelle Gestaltung des Rechtsverhältnisses der Beteiligten hinausreicht (vgl. Schütze, in von Wulffen/Schütze, Kommentar zum SGB X, 8. Aufl. 2014, § 48 Rz. 3 mit § 45 Rz. 64). Aus diesem Grund findet vorliegend auch § 48 SGB X keine Anwendung. Mit dem Bescheid vom 8. November 2007, der aufgrund des vor dem LSG im November 2012 geschlossenen Vergleiches nicht aufgehoben worden ist, wurde ohnehin nur die Rücknahme der mit Bescheid vom 27. Mai 1999 getroffenen Verwaltungsentscheidung abgelehnt. Eine Bindungswirkung in materieller Hinsicht kommt diesem Verwaltungsakt für das Begehren des Klägers daher von vornherein nicht zu. Der Senat ist indes nach inhaltlicher Prüfung zum aktuellen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung beim LSG ebenfalls nicht zu der Überzeugung gelangt, dass die Voraussetzungen für die Feststellung der Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV vorliegen.
45 
Der Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV unterfällt nur die primäre Meniskopathie, welche dem Ausmaß der Verschleißerscheinungen des Gelenkknorpels vorauseilt, nicht die sekundäre, wie Prof. Dr. Sch. vor dem Hintergrund der Literatur in seiner im Auftrag des SG in einem Vorverfahren erstellten Expertise, welche als Sachverständigenbeweis verwertet worden ist (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 411a ZPO), überzeugend ausgeführt hat. Danach ist die primäre Meniskopathie unmittelbar belastungsabhängig. Bei ihr setzt der vorzeitige Verschleiß im Meniskusgewebe mit einer Einbuße an Elastizität und Gleitfähigkeit des gesamten Meniskussystems ein (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 632). Bei der sekundären Meniskopathie wird der Meniskusschaden durch andere Veränderungen vermittelt; zunächst erscheinen ausgedehnte Knorpelschäden im Gelenk. Ursächlich hierfür sind die Minderwertigkeit des Gelenkknorpels, die Folgen arthrotischer Veränderungen bei anlagebedingten oder posttraumatischen Achsenfehlstellungen, posttraumatische Stufenbildungen im Bereich der Gelenkkörper nach Frakturen oder eine posttraumatische Instabilität des Gelenkes nach Kapselbandverletzungen. Sekundär folgt der Meniskusschaden (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 633 f. m. w. N.).
46 
Beide operativen Eingriffe, denen sich der Kläger unterziehen musste und bei denen maßgebliche Anteile des jeweiligen Innenmeniskus im Juni 1997 und März 1998 entfernt worden sind, sind nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Sch. als solche geeignet, eine Arthrose zu fördern. Ein erst danach objektivierter - weiterer - Meniskusschaden ist daher meist Folge von solchen eingetretenen arthrotischen Veränderungen und folglich ein für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV nicht relevanter sekundärer Meniskusschaden. Für die Bewertung der Befundlage im Bereich der Knie des Klägers hinreichend aussagekräftig sind daher vor allem die medizinischen Verhältnisse bis zum jeweiligen Zeitpunkt der durchgeführten Arthroskopien. Ein für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV zu fordernder primärer Meniskusschaden hat beim Kläger in Bezug hierauf nach den schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen von Prof. Dr. Sch. nur hinsichtlich des rechten Knies vorgelegen. Bei der ersten Arthroskopie im Juni 1997 waren die Gelenkflächen im rechten Knie, abgesehen von einer kleinen oberflächlichen und frischen Knorpelabschürfung, gänzlich unauffällig. Dies ergibt sich aus dem Operationsbericht von Dr. J.. Isoliert stellte sich dabei das Innenmeniskushinterhorn als „komplex zerrissen“ dar. Der Außenmeniskus war intakt. Im Rahmen der arthroskopischen Versorgung erfolgte eine totale Entfernung des Innenmeniskushinterhorns. Im linken Knie zeigte sich demgegenüber bei der Arthroskopie im März 1998 nach dem Operationsbericht von Dr. J. ein dritt- bis viertgradiger medialer Knorpelschaden mit kombinierter Läsion des Innenmeniskushinterhorns. Im Rahmen der operativen Versorgung erfolgten eine Totalresektion des Innenmeniskushinterhorns und eine Teilresektion des Innenmeniskusvorderhorns.
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Beim Vergleich der Befunde zeigte sich somit für beide Kniegelenke ein deutlich asymmetrisches Bild. Im rechten Knie bestand eine weitgehend isolierte Meniskuskomplexläsion, ohne relevante begleitende Verschleißerscheinung des Gelenkknorpels. Im linken Knie dominierte eine medial betonte Verschleißsituation, kombiniert mit einer Meniskusläsion. Schon im März 1998 lag eine innenseitige Arthrose vor. Für das linke Knie ergaben sich somit zu den Gelenkknorpelschäden vergleichsweise untergeordnete Meniskusschäden. Anders als im linken Knie ist im rechten ein belastungskonformes Schadensbild objektiviert worden.
48 
Prof. Dr. Sch. hat schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, dass diese Befundkonstellation mit der Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV nur zu vereinbaren ist, wenn eine asymmetrische, beruflich bedingte Belastung der beiden Kniegelenke vorlag. Davon ist der Senat trotz der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung beim SG in einem Vorverfahren im Februar 2012, wonach er zu 90 % seiner Tätigkeiten als Fliesenleger auf dem rechten Knie gearbeitet habe, nicht überzeugt. Weder nach dem SGG noch nach der ZPO gibt es zwar eine Beweisregel in dem Sinne, dass frühere Aussagen oder Angaben grundsätzlich einen höheren Beweiswert besitzen als spätere; im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 286 ZPO) sind vielmehr alle Aussagen, Angaben und sonstigen Einlassungen zu würdigen. Gleichwohl kann das Gericht im Rahmen der Gesamtwürdigung den zeitlich früheren Aussagen aufgrund der Gesichtspunkte, dass die Erinnerung hierbei noch frischer war und sie von irgendwelchen Überlegungen, die darauf abzielen, das Klagebegehren zu begünstigen, noch unbeeinflusst waren, einen höheren Beweiswert als den späteren zumessen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2003 - B 2 U 41/02 R -, SozR 4-2700 § 4 Nr. 1, Rz. 12; Urteile des Senats vom 12. August 2014 - L 6 VH 5821/10 ZVW - juris, Rz. 144 und vom 21. Mai 2015 - L 6 U 1053/15 -, juris, Rz. 34). Hiervon geht der Senat vorliegend aus. In einem dem Kläger von der Beklagten übersandten Fragebogen machte er im Juni 1998 verschiedene Angaben zu einem möglichen Meniskusschaden und im Rahmen der Arbeitsanamnese zu körperlichen Belastungen, denen er ausgesetzt war, ohne allerdings zu diesem frühen Zeitpunkt darauf hinzuweisen, dass er bei seinen Tätigkeiten als Fliesenleger ganz überwiegend auf dem rechten Knie gearbeitet haben will. Eine solche Information konnten die Dipl.-Ing. S. und F. in ihrer Stellungnahme von September 1998, für die sie die schriftlichen Angaben des Klägers auswerteten, daher nicht aufnehmen. Dass der Kläger durchaus imstande ist, differenzierte Angaben zu machen, zeigt sich demgegenüber anhand der Stellungnahme von Dr.-Ing. J., der auch ein Telefonat mit dem Kläger im August 1998 vorausging. Dabei teilte der Kläger zu seiner Beschäftigung bei der Fahrzeugbau R. mit, dass er zu 80 % in der Lackiervorbereitung tätig war, wobei sein linkes Knie hierbei nahezu nicht belastet wurde. Zudem spricht gegen eine überwiegend einseitige Belastung des rechten Knies, dass Prof. Dr. H. nach seinem im Wege des Urkundenbeweises verwerteten Gutachten (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 415 ff. ZPO) bei seiner Untersuchung im Februar 1999 in beiden Kniegelenken eine präpatellare Beschwielung feststellte. Prof. Dr. Sch. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme zu seinem Gutachten hierzu überzeugend ausgeführt, dass dieser Umstand einer vorwiegend einseitigen Kniebelastung widerspricht. Hinzu kommt, dass der Kläger selbst angegeben hat, während seiner Tätigkeiten als Fliesenleger beiderseits Knieschoner getragen zu haben, was bei einer einseitigen Kniebelastung nicht nachvollziehbar wäre. Dies verdeutlicht sich umso mehr, da er nach eigenen Angaben während seiner Tätigkeit bei der Fahrzeugbau R., bei der das linke Knie nahezu unbelastet war, nur einen Knieschoner trug.
49 
Eine Meniskopathie kann klinisch lange „stumm“ bleiben und erst nach Beendigung der belastenden Tätigkeit offenbar werden (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 639 f.). Hierauf weist auch Prof. Dr. Sch. hin, wonach neben der Dauer der belastenden Tätigkeit der zeitliche Umfang der besonderen Beanspruchung der Kniegelenke und das Lebensalter eine Rolle spielen, wofür es keine Grenzwerte gibt. Diese Aspekte sprechen zwar vorliegend nicht gegen einen Ursachenzusammenhang zwischen der beruflich bedingten Einwirkung auf die Knie des Klägers und der bei ihm vorhandenen Meniskusschäden. Sie geben allerdings auch keinen Hinweis darauf, dass ein solcher vorliegt, sie sind vielmehr indifferent. Der Kläger war bei seinen Tätigkeiten als Fliesenleger im Zeitraum von April 1965 bis Mitte April 1978, also dreizehn Jahre lang und damit mehrjährig (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 635 f.), einer Dauerzwangshaltung, insbesondere bei Belastungen durch Hocken oder Knien, bei gleichzeitiger Kraftaufwendung ausgesetzt. Dies entnimmt der Senat der Stellungnahme der Dipl.-Ing. S. und F., wonach er sämtliche in diesem Beruf anfallenden Arbeiten ausführte, welche üblicherweise in kniender oder hockender Haltung durchgeführt wurden. Hierzu zählten im Besonderen das Verlegen und Verfugen von Bodenfliesen sowie von Wandfliesen im Bereich zwischen Sockel und einer Höhe von etwa 75 cm. An Körperhaltungen wurden, bei gleichzeitiger Kraftaufwendung, der Fersensitz, die Kniehocke und die Hocke als solche eingenommen worden. Etwa 40 % der Gesamtarbeitszeit entfielen auf solche Arbeiten in kniender oder hockender Position. Hierdurch kam es zu einer überdurchschnittlichen Belastung der Kniegelenke (vgl. Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zur Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV, Bek. des BMA, BArbBl. 2/1990, S. 135). Demgegenüber war der Kläger einer solchen überdurchschnittlichen Belastung weder bei seiner zweimonatigen Tätigkeit als Staplerfahrer bei der IBM Deutschland GmbH noch während seiner Beschäftigung bei der Fahrzeugbau R. im Zeitraum von Mitte Juni 1978 bis zu dem auch im zweiten Knie festgestellten Meniskusschaden im März 1998 ausgesetzt. Die Stellungnahme von Dr.-Ing. J., die er nach Telefonaten mit dem damaligen Geschäftsinhaber der Fahrzeugbau R. und dem Kläger erstellte, belegt, dass Letzterer dort zu etwa 80 % in der Lackiervorbereitung tätig war. Die Arbeiten umfassten das Schleifen und Spachteln von Aufbauten für Lastkraftwagen. Bei Tätigkeiten in etwa 60 bis 70 cm Flurhöhe stützte sich der Kläger mit dem rechten Knie auf dem Boden ab. Hierbei trug er einen Knieschoner. Sein linkes Knie war dabei nahezu unbelastet. Die Arbeiten führte er an etwa vier Tagen in der Woche mit einer Dauer von etwa zwei Stunden je Schicht durch. Am fünften Wochenarbeitstag wurde keine kniebelastende Tätigkeit ausgeübt. Vorwiegend in den Monaten November und Dezember wurden nahezu täglich an sieben bis zwölf Last- oder Personenkraftwagen Reifen montiert. Für die Dauer der knienden Tätigkeit beim Wechseln der Räder legt der Senat die Zeit zugrunde, die Dr.-Ing. J. mit etwa eine Stunde je Tag schlüssig eingeschätzt hat. Ohnehin hatte der Kläger bei dem Gespräch angegeben, die gesundheitlichen Probleme im Bereich seiner Knie auf seine Tätigkeit als Fliesenleger zurückzuführen. Somit lagen zwischen der Beendigung der dreizehn Jahre andauernden, überdurchschnittlich kniebelastenden Tätigkeit Mitte April 1978 und dem nachgewiesenen Eintritt der Meniskusschädigung im rechten Kniegelenk im Juni 1997, als der Kläger 47 Jahre alt war, mehr als neunzehn Jahre. Diese Umstände vermögen die Möglichkeit eines Ursachenzusammenhanges nicht auszuschließen, ihretwegen spricht aber auch nicht mehr für einen solchen als dagegen.
50 
Mangels hinreichender Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhanges der beruflich bedingten Einwirkungen auf die Knie des Klägers und einem primären Meniskusschaden, kommt es von vornherein nicht darauf an, ob die beim Kläger anhand der von Priv.-Doz. Dr. G. erstellten Ganzbeinaufnahme von März 2007, welche Prof. Dr. K. bei Erstattung seines Gutachtens nicht vorlag, objektivierte und nicht versicherte Varusfehlstellung links ebenfalls ursächlich für einen Meniskusschaden des Klägers gewesen ist. Deren ursächliche Bedeutung ist wissenschaftlich nicht belegt, auch wenn eine mäßig ausgeprägte O-Beinstellung biomechanisch und anatomisch eine Schadensanlage darstellt, worauf Prof. Dr. Sch. nachvollziehbar hingewiesen hat (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 638).
51 
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
52 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
53 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Gründe

38 
Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden sowie im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft (§ 143, § 144 Abs. 1 SGG), aber unbegründet.
39 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Urteil des SG vom 12. Mai 2015, mit dem die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG; zur Klageart vgl. BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 - B 2 U 6/12 R -, SozR 4-2700 § 9 Nr. 22, Rz. 13 m. w. N.) erhobene Klage, mit welcher der Kläger zuletzt unter Aufhebung des Bescheides vom 4. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2013 die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV verfolgt hat, abgewiesen worden ist. Das Urteil ist wirksam und im Übrigen auch nicht fehlerhaft zustande gekommen, da es ausweislich der Niederschrift des SG über die mündlichen Verhandlung am 12. Mai 2015 (§ 122 SGG i. V. m. § 165 Satz 1 Zivilprozessordnung - ZPO) unter Mitwirkung von zwei ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern (§ 12 Abs. 1 Satz 1 SGG) zustande gekommen ist und lediglich auf der Urteilsurkunde entgegen § 136 Abs. 1 Nr. 2 SGG der mitwirkende ehrenamtliche Richter Ludwig nicht namentlich aufgeführt ist. Diese Vorschrift soll die Prüfung ermöglichen, ob das Gericht ordnungsgemäß besetzt war (Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 136 Rz. 3), was sich vorliegend allerdings noch hinreichend anhand der Sitzungsniederschrift nachvollziehen lässt, die den Beteiligten mit einem Urteilsabdruck zugestellt worden ist.
40 
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn die Voraussetzungen für die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV liegen beim Kläger nicht vor.
41 
Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach den am 1. Januar 1997 in Kraft getretenen Bestimmungen des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII), da ein Meniskusschaden, wie er Voraussetzung für die Feststellung der Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV ist, nicht vor diesem Datum nachgewiesen ist und der Leistungsfall somit erst nach 1996 eingetreten sein kann (§ 212 SGB VII; Art. 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, BGBl I 1996, S. 1254). Der Riss im Innenmeniskushinterhorn rechts wurde im Juni 1997 von Dr. J. operiert. Beschwerden wegen dieses Meniskusschadens sind nach dessen Angaben in der Anzeige über eine Berufskrankheit von April 1998 erstmals im April 1997 aufgetreten. Der Kläger selbst hat im Verwaltungsverfahren auf Nachfrage mitgeteilt, dass sich ein Meniskusschaden erstmals im Januar 1997 bemerkbar machte. Dem Vorerkrankungsverzeichnis ist kein Nachweis für einen Meniskusschaden des Klägers vor 1997 zu entnehmen. Im November 1990 und April 1991 ergab sich jeweils nur der Verdacht auf eine Innenmeniskusläsion. Im September 1995 wurde ein so genanntes „Reizknie“ diagnostiziert, also eine ätiologisch unklare, zu Rückfällen neigende Kniegelenksentzündung, die mögliche Folgeerkrankung eines Meniskusschadens sein kann, nicht aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf dessen Eintritt schließen lässt. Bei der vom Kläger gegenüber Prof. Dr. H. bei der Begutachtung angeführten Bursitis praepatellaris, also einer Entzündung des Schleimbeutels im Bereich der Kniescheibe, die im Jahre 1972 behandelt worden sein soll, handelt es sich ebenfalls nicht um einen Meniskusschaden. Wegen des somit erst nach 1996 nachgewiesenen Meniskusschadens kann der Versicherungsfall erst nach diesem Datum eingetreten sein, so dass die Bestimmungen des SGB VII heranzuziehen sind, unabhängig davon, ob § 9 Abs. 5 SGB VII entsprechende Anwendung findet. Soweit danach Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für die Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen (vgl. Köhler, in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB VII, Stand: Mai 2011, § 212 Rz. 5; Söhngen, in jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 212 Rz. 11). Auch diese Voraussetzungen lägen frühestens zum Zeitpunkt des Nachweises des Meniskusschadens vor.
42 
Nach § 9 Abs. 1 SGB VII sind Berufskrankheiten Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als Berufskrankheiten bezeichnet (Listen-Berufskrankheiten) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den § 2, § 3 oder § 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (Satz 1). Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann Berufskrankheiten auf bestimmte Gefährdungsbereiche beschränken oder mit dem Zwang zur Unterlassung einer gefährdenden Tätigkeit versehen (Satz 2). Für die Feststellung einer Listen-Berufskrankheit ist im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung gegebenenfalls den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-Berufskrankheit. Dabei müssen die „versicherte Tätigkeit“, die „Verrichtung“, die „Einwirkungen“ und die „Krankheit“ im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der T.rie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 15. September 2011 - B 2 U 25/10 R -, SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 4111 Nr. 3, Rz. 14 m. w. N.).
43 
Der Verordnungsgeber hat die Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV wie folgt bezeichnet: „Meniskusschäden nach mehrjährigen andauernden oder häufig wiederkehrenden, die Kniegelenke überdurchschnittlich belastenden Tätigkeiten“.
44 
Die gesundheitlichen Verhältnisse des Klägers rechtfertigen die beantragte Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV nicht. Dabei war der Senat nicht an den Inhalt des bestandskräftigen Bescheides vom 27. Mai 1999 gebunden. Dieser betraf nur das durch die ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit von Dr. J. eingeleitete Verwaltungsverfahren, welches durch die damit getroffene Feststellung abgeschlossen worden ist, dass beim Kläger keine Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV vorliegt. Insoweit ist eine der materiellen Bestandskraft (§ 77 SGG) fähige Feststellung allerdings nur insoweit getroffen worden, als das Begehren des Klägers nach dem maßgeblichen Sach- und Rechtsstand bis zum Abschluss des damaligen Verwaltungsverfahrens beurteilt worden ist. Eine solche negative Feststellung schließt das Verwaltungsverfahren ab, entfaltet jedoch keine Wirkung für die Zukunft. Wäre es anders, so käme dem Verwaltungsakt Dauerwirkung zu (vgl. BSG, Urteil vom 20. Oktober 1999 - B 9 SB 4/98 R -, SozR 3-1500 § 77 Nr. 3), was nicht der Fall ist, da seine Regelungswirkung nach dem zu Grunde liegenden materiellen Recht nicht über die punktuelle Gestaltung des Rechtsverhältnisses der Beteiligten hinausreicht (vgl. Schütze, in von Wulffen/Schütze, Kommentar zum SGB X, 8. Aufl. 2014, § 48 Rz. 3 mit § 45 Rz. 64). Aus diesem Grund findet vorliegend auch § 48 SGB X keine Anwendung. Mit dem Bescheid vom 8. November 2007, der aufgrund des vor dem LSG im November 2012 geschlossenen Vergleiches nicht aufgehoben worden ist, wurde ohnehin nur die Rücknahme der mit Bescheid vom 27. Mai 1999 getroffenen Verwaltungsentscheidung abgelehnt. Eine Bindungswirkung in materieller Hinsicht kommt diesem Verwaltungsakt für das Begehren des Klägers daher von vornherein nicht zu. Der Senat ist indes nach inhaltlicher Prüfung zum aktuellen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung beim LSG ebenfalls nicht zu der Überzeugung gelangt, dass die Voraussetzungen für die Feststellung der Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV vorliegen.
45 
Der Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV unterfällt nur die primäre Meniskopathie, welche dem Ausmaß der Verschleißerscheinungen des Gelenkknorpels vorauseilt, nicht die sekundäre, wie Prof. Dr. Sch. vor dem Hintergrund der Literatur in seiner im Auftrag des SG in einem Vorverfahren erstellten Expertise, welche als Sachverständigenbeweis verwertet worden ist (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 411a ZPO), überzeugend ausgeführt hat. Danach ist die primäre Meniskopathie unmittelbar belastungsabhängig. Bei ihr setzt der vorzeitige Verschleiß im Meniskusgewebe mit einer Einbuße an Elastizität und Gleitfähigkeit des gesamten Meniskussystems ein (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 632). Bei der sekundären Meniskopathie wird der Meniskusschaden durch andere Veränderungen vermittelt; zunächst erscheinen ausgedehnte Knorpelschäden im Gelenk. Ursächlich hierfür sind die Minderwertigkeit des Gelenkknorpels, die Folgen arthrotischer Veränderungen bei anlagebedingten oder posttraumatischen Achsenfehlstellungen, posttraumatische Stufenbildungen im Bereich der Gelenkkörper nach Frakturen oder eine posttraumatische Instabilität des Gelenkes nach Kapselbandverletzungen. Sekundär folgt der Meniskusschaden (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 633 f. m. w. N.).
46 
Beide operativen Eingriffe, denen sich der Kläger unterziehen musste und bei denen maßgebliche Anteile des jeweiligen Innenmeniskus im Juni 1997 und März 1998 entfernt worden sind, sind nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Sch. als solche geeignet, eine Arthrose zu fördern. Ein erst danach objektivierter - weiterer - Meniskusschaden ist daher meist Folge von solchen eingetretenen arthrotischen Veränderungen und folglich ein für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV nicht relevanter sekundärer Meniskusschaden. Für die Bewertung der Befundlage im Bereich der Knie des Klägers hinreichend aussagekräftig sind daher vor allem die medizinischen Verhältnisse bis zum jeweiligen Zeitpunkt der durchgeführten Arthroskopien. Ein für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV zu fordernder primärer Meniskusschaden hat beim Kläger in Bezug hierauf nach den schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen von Prof. Dr. Sch. nur hinsichtlich des rechten Knies vorgelegen. Bei der ersten Arthroskopie im Juni 1997 waren die Gelenkflächen im rechten Knie, abgesehen von einer kleinen oberflächlichen und frischen Knorpelabschürfung, gänzlich unauffällig. Dies ergibt sich aus dem Operationsbericht von Dr. J.. Isoliert stellte sich dabei das Innenmeniskushinterhorn als „komplex zerrissen“ dar. Der Außenmeniskus war intakt. Im Rahmen der arthroskopischen Versorgung erfolgte eine totale Entfernung des Innenmeniskushinterhorns. Im linken Knie zeigte sich demgegenüber bei der Arthroskopie im März 1998 nach dem Operationsbericht von Dr. J. ein dritt- bis viertgradiger medialer Knorpelschaden mit kombinierter Läsion des Innenmeniskushinterhorns. Im Rahmen der operativen Versorgung erfolgten eine Totalresektion des Innenmeniskushinterhorns und eine Teilresektion des Innenmeniskusvorderhorns.
47 
Beim Vergleich der Befunde zeigte sich somit für beide Kniegelenke ein deutlich asymmetrisches Bild. Im rechten Knie bestand eine weitgehend isolierte Meniskuskomplexläsion, ohne relevante begleitende Verschleißerscheinung des Gelenkknorpels. Im linken Knie dominierte eine medial betonte Verschleißsituation, kombiniert mit einer Meniskusläsion. Schon im März 1998 lag eine innenseitige Arthrose vor. Für das linke Knie ergaben sich somit zu den Gelenkknorpelschäden vergleichsweise untergeordnete Meniskusschäden. Anders als im linken Knie ist im rechten ein belastungskonformes Schadensbild objektiviert worden.
48 
Prof. Dr. Sch. hat schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, dass diese Befundkonstellation mit der Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV nur zu vereinbaren ist, wenn eine asymmetrische, beruflich bedingte Belastung der beiden Kniegelenke vorlag. Davon ist der Senat trotz der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung beim SG in einem Vorverfahren im Februar 2012, wonach er zu 90 % seiner Tätigkeiten als Fliesenleger auf dem rechten Knie gearbeitet habe, nicht überzeugt. Weder nach dem SGG noch nach der ZPO gibt es zwar eine Beweisregel in dem Sinne, dass frühere Aussagen oder Angaben grundsätzlich einen höheren Beweiswert besitzen als spätere; im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 286 ZPO) sind vielmehr alle Aussagen, Angaben und sonstigen Einlassungen zu würdigen. Gleichwohl kann das Gericht im Rahmen der Gesamtwürdigung den zeitlich früheren Aussagen aufgrund der Gesichtspunkte, dass die Erinnerung hierbei noch frischer war und sie von irgendwelchen Überlegungen, die darauf abzielen, das Klagebegehren zu begünstigen, noch unbeeinflusst waren, einen höheren Beweiswert als den späteren zumessen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2003 - B 2 U 41/02 R -, SozR 4-2700 § 4 Nr. 1, Rz. 12; Urteile des Senats vom 12. August 2014 - L 6 VH 5821/10 ZVW - juris, Rz. 144 und vom 21. Mai 2015 - L 6 U 1053/15 -, juris, Rz. 34). Hiervon geht der Senat vorliegend aus. In einem dem Kläger von der Beklagten übersandten Fragebogen machte er im Juni 1998 verschiedene Angaben zu einem möglichen Meniskusschaden und im Rahmen der Arbeitsanamnese zu körperlichen Belastungen, denen er ausgesetzt war, ohne allerdings zu diesem frühen Zeitpunkt darauf hinzuweisen, dass er bei seinen Tätigkeiten als Fliesenleger ganz überwiegend auf dem rechten Knie gearbeitet haben will. Eine solche Information konnten die Dipl.-Ing. S. und F. in ihrer Stellungnahme von September 1998, für die sie die schriftlichen Angaben des Klägers auswerteten, daher nicht aufnehmen. Dass der Kläger durchaus imstande ist, differenzierte Angaben zu machen, zeigt sich demgegenüber anhand der Stellungnahme von Dr.-Ing. J., der auch ein Telefonat mit dem Kläger im August 1998 vorausging. Dabei teilte der Kläger zu seiner Beschäftigung bei der Fahrzeugbau R. mit, dass er zu 80 % in der Lackiervorbereitung tätig war, wobei sein linkes Knie hierbei nahezu nicht belastet wurde. Zudem spricht gegen eine überwiegend einseitige Belastung des rechten Knies, dass Prof. Dr. H. nach seinem im Wege des Urkundenbeweises verwerteten Gutachten (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 415 ff. ZPO) bei seiner Untersuchung im Februar 1999 in beiden Kniegelenken eine präpatellare Beschwielung feststellte. Prof. Dr. Sch. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme zu seinem Gutachten hierzu überzeugend ausgeführt, dass dieser Umstand einer vorwiegend einseitigen Kniebelastung widerspricht. Hinzu kommt, dass der Kläger selbst angegeben hat, während seiner Tätigkeiten als Fliesenleger beiderseits Knieschoner getragen zu haben, was bei einer einseitigen Kniebelastung nicht nachvollziehbar wäre. Dies verdeutlicht sich umso mehr, da er nach eigenen Angaben während seiner Tätigkeit bei der Fahrzeugbau R., bei der das linke Knie nahezu unbelastet war, nur einen Knieschoner trug.
49 
Eine Meniskopathie kann klinisch lange „stumm“ bleiben und erst nach Beendigung der belastenden Tätigkeit offenbar werden (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 639 f.). Hierauf weist auch Prof. Dr. Sch. hin, wonach neben der Dauer der belastenden Tätigkeit der zeitliche Umfang der besonderen Beanspruchung der Kniegelenke und das Lebensalter eine Rolle spielen, wofür es keine Grenzwerte gibt. Diese Aspekte sprechen zwar vorliegend nicht gegen einen Ursachenzusammenhang zwischen der beruflich bedingten Einwirkung auf die Knie des Klägers und der bei ihm vorhandenen Meniskusschäden. Sie geben allerdings auch keinen Hinweis darauf, dass ein solcher vorliegt, sie sind vielmehr indifferent. Der Kläger war bei seinen Tätigkeiten als Fliesenleger im Zeitraum von April 1965 bis Mitte April 1978, also dreizehn Jahre lang und damit mehrjährig (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 635 f.), einer Dauerzwangshaltung, insbesondere bei Belastungen durch Hocken oder Knien, bei gleichzeitiger Kraftaufwendung ausgesetzt. Dies entnimmt der Senat der Stellungnahme der Dipl.-Ing. S. und F., wonach er sämtliche in diesem Beruf anfallenden Arbeiten ausführte, welche üblicherweise in kniender oder hockender Haltung durchgeführt wurden. Hierzu zählten im Besonderen das Verlegen und Verfugen von Bodenfliesen sowie von Wandfliesen im Bereich zwischen Sockel und einer Höhe von etwa 75 cm. An Körperhaltungen wurden, bei gleichzeitiger Kraftaufwendung, der Fersensitz, die Kniehocke und die Hocke als solche eingenommen worden. Etwa 40 % der Gesamtarbeitszeit entfielen auf solche Arbeiten in kniender oder hockender Position. Hierdurch kam es zu einer überdurchschnittlichen Belastung der Kniegelenke (vgl. Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zur Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV, Bek. des BMA, BArbBl. 2/1990, S. 135). Demgegenüber war der Kläger einer solchen überdurchschnittlichen Belastung weder bei seiner zweimonatigen Tätigkeit als Staplerfahrer bei der IBM Deutschland GmbH noch während seiner Beschäftigung bei der Fahrzeugbau R. im Zeitraum von Mitte Juni 1978 bis zu dem auch im zweiten Knie festgestellten Meniskusschaden im März 1998 ausgesetzt. Die Stellungnahme von Dr.-Ing. J., die er nach Telefonaten mit dem damaligen Geschäftsinhaber der Fahrzeugbau R. und dem Kläger erstellte, belegt, dass Letzterer dort zu etwa 80 % in der Lackiervorbereitung tätig war. Die Arbeiten umfassten das Schleifen und Spachteln von Aufbauten für Lastkraftwagen. Bei Tätigkeiten in etwa 60 bis 70 cm Flurhöhe stützte sich der Kläger mit dem rechten Knie auf dem Boden ab. Hierbei trug er einen Knieschoner. Sein linkes Knie war dabei nahezu unbelastet. Die Arbeiten führte er an etwa vier Tagen in der Woche mit einer Dauer von etwa zwei Stunden je Schicht durch. Am fünften Wochenarbeitstag wurde keine kniebelastende Tätigkeit ausgeübt. Vorwiegend in den Monaten November und Dezember wurden nahezu täglich an sieben bis zwölf Last- oder Personenkraftwagen Reifen montiert. Für die Dauer der knienden Tätigkeit beim Wechseln der Räder legt der Senat die Zeit zugrunde, die Dr.-Ing. J. mit etwa eine Stunde je Tag schlüssig eingeschätzt hat. Ohnehin hatte der Kläger bei dem Gespräch angegeben, die gesundheitlichen Probleme im Bereich seiner Knie auf seine Tätigkeit als Fliesenleger zurückzuführen. Somit lagen zwischen der Beendigung der dreizehn Jahre andauernden, überdurchschnittlich kniebelastenden Tätigkeit Mitte April 1978 und dem nachgewiesenen Eintritt der Meniskusschädigung im rechten Kniegelenk im Juni 1997, als der Kläger 47 Jahre alt war, mehr als neunzehn Jahre. Diese Umstände vermögen die Möglichkeit eines Ursachenzusammenhanges nicht auszuschließen, ihretwegen spricht aber auch nicht mehr für einen solchen als dagegen.
50 
Mangels hinreichender Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhanges der beruflich bedingten Einwirkungen auf die Knie des Klägers und einem primären Meniskusschaden, kommt es von vornherein nicht darauf an, ob die beim Kläger anhand der von Priv.-Doz. Dr. G. erstellten Ganzbeinaufnahme von März 2007, welche Prof. Dr. K. bei Erstattung seines Gutachtens nicht vorlag, objektivierte und nicht versicherte Varusfehlstellung links ebenfalls ursächlich für einen Meniskusschaden des Klägers gewesen ist. Deren ursächliche Bedeutung ist wissenschaftlich nicht belegt, auch wenn eine mäßig ausgeprägte O-Beinstellung biomechanisch und anatomisch eine Schadensanlage darstellt, worauf Prof. Dr. Sch. nachvollziehbar hingewiesen hat (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 638).
51 
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
52 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
53 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.