Sozialgericht Karlsruhe Entscheidung, 08. Aug. 2016 - S 1 U 1231/16

bei uns veröffentlicht am08.08.2016

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob ein Harnblasentumor als Folge einer Berufskrankheit (BK) der Nr. 1303 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) festzustellen ist.
Der ... geborene Kläger war zuletzt vom 21.05.1991 bis zum 30.04.2015 bei der Firma X Spedition GmbH, K., als Tanklastwagenfahrer beschäftigt. Dabei hatte er eigenen Angaben zufolge auch Kontakt zu Benzol und seinen Homologen. Im März 2015 diagnostizierte der Urologe Dr. B. bei dem Kläger einen Harnblasentumor.
Im April 2015 erstattete der Kläger bei der Beklagten eine Verdachtsanzeige auf das Vorliegen einer BK. Nach Einholung eines Berichts ihres Präventionsdienstes, weiterer medizinischer Sachaufklärung und aufgrund der Stellungnahme der Gewerbeärztin E. lehnte die Beklagte die Feststellung der Harnblasenkrebserkrankung als Folge einer BK Nr. 1301 der Anlage 1 zur BKV mit der Begründung ab, der Kläger sei im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit keinen Einwirkungen gegenüber aromatischen Amine ausgesetzt gewesen (Bescheid vom 15.09.2015, Widerspruchsbescheid vom 12.01.2016).
Nachdem der Kläger im Rahmen seiner Begründung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 15.09.2015 die Feststellung der Harnblasenkrebserkrankung als Folge einer BK der Nr. 1303 der Anlage 1 zur BKV geltend gemacht hatte mit der Begründung, er sei während seiner langjährigen Tätigkeit als Tanklastzugfahrer fortlaufend in erhöhtem Maße Benzoldämpfen ausgesetzt gewesen, leitete die Beklagte ein Feststellungsverfahren auch zu dieser BK ein. Hierzu holte sie u.a. eine weitere Stellungnahme ihres Präventionsdienstes ein. Dieser führte zusammenfassend aus, Ottokraftstoffe und in geringerem Ausmaß auch Dieselkraftstoffe enthielten als typische Mineralölprodukte Aromate wie Benzol, Toluol, Xylol und weitere Alkylbenzole. Insoweit lasse sich eine ausreichende Exposition mit Bezug zu einer BK Nr. 1303 grundsätzlich bestätigen. Auch sei Benzol als krebserzeugend eingestuft. Zielorgan des kanzerogenen Angriffs sei allerdings das blutbildende bzw. lymphatische System. Die Harnblase entspreche demgegenüber nicht der Organotropie dieser Verbindung. Benzol sei deshalb generell nicht geeignet, einen Harnblasenkrebs zu verursachen. Die übrigen Aromate seien nicht als krebserzeugend eingestuft und kämen deshalb schon dem Grunde nach nicht als Ursache der angezeigten Blasenkrebserkrankung in Betracht. Dem stimmte die Gewerbeärztin E. zu (vgl. Stellungnahme vom 02.12.2015). Gestützt auf das Ermittlungsergebnis lehnte die Beklagte die Feststellung der Harnblasenkrebserkrankung als Folge der BK Nr. 1303 der Anlage zur BKV ab (Bescheid vom 22.12.2015, Widerspruchsbescheid vom 24.04.2016).
Deswegen hat der Kläger am 13.04.2016 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben, mit der sein Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, sowohl Dr. B. als auch die ihn behandelnden Ärzte des Klinikums Y., B., bestätigten einen ursächlichen Zusammenhang der Blasenkrebserkrankung mit beruflichen Einwirkungen durch Benzoldämpfe. Zur Stützung seines Begehrens legt der Kläger eine Bescheinigung des Dr. B. vor.
Der Kläger beantragt - teilweise sinngemäß -,
den Bescheid vom 22. Dezember 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. März 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, seine Harnblasenkrebserkrankung als Folge einer BK der Nr. 1303 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
10 
Sie erachtet die angefochtenen Bescheide für zutreffend.
11 
Mit Schreiben vom 29.06.2016 hat das Gericht den Beteiligten mitgeteilt, es erwäge eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt.
12 
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakten der Beklagten sowie den der Prozessakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
13 
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes; zur Klageart vgl. BSG SozR 4-2700 § 9 Nr. 22, Rnr. 13 m.w.N. und LSG Baden-Württemberg vom 17.03.2016 - L 6 U 1518/14 -, Rnr. 50 ) zulässig, aber nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Zu Recht hat es die Beklagte abgelehnt, die Harnblasenkrebserkrankung des Klägers als Folge einer BK der Nr. 1303 der Anlage 1 zur BKV festzustellen. Hierüber konnte die Kammer gemäß § 105 Abs. 1 S. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung und ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil sie der Auffassung ist, dass die Sache keine besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.
14 
1. Nach § 7 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und BKen. BKen sind nach § 9 Abs. 1 S. 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Eine solche Bezeichnung hat der Verordnungsgeber mit den sogenannten Listenkrankheiten in der Anlage 1 zur BKV vorgenommen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Diese Listenerkrankungen umfassen u.a. nach Nr. 1303 Erkrankungen durch Benzol, seine Homologe oder durch Styrol.
15 
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesozialgerichts (BSG) ist für die Feststellung einer Listen-BK erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) sowie, dass eine Krankheit vorliegt. Des Weiteren muss die Krankheit durch die Einwirkungen verursacht sein (haftungsbegründende Kausalität). Fehlt eine dieser Voraussetzungen, ist die BK nicht anzuerkennen (vgl. BSG SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 5, Rnr. 17 und BSG vom 23.04.2015 - B 2 U 10/14 R -, Rnr. 11 ). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK.
16 
Außerdem müssen wie bei einem Arbeitsunfall auch bei einer BK die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen neben der versicherten Tätigkeit die Dauer und Intensität der schädigenden Einwirkung und die als BK-Folge geltend gemachte Gesundheitsstörung gehören, erwiesen sein (vgl. BSGE 45, 1, 9; 58, 80, 83 und 60, 58 ff. sowie BSG SozR 3-5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2 m.w.N.). Dem gegenüber reicht für den nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht aber die bloße Möglichkeit aus (vgl. BSG SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2109 Nr. 1, Rnr. 12; BSG SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 3101 Nr. 4, Rnr. 16 m.w.N.; BSG SozR 4-2700 § 9 Nr. 14, Rnr. 9 m.w.N. sowie zuletzt BSG vom 23.04.2015 - B 2 U 10/14 R -, Rnr. 11; - B 2 U 20/14 R -, Rnr. 10 und - B 2 U 6/13 R -, Rnr. 10 ). Die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs liegt vor, wenn nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht, d.h. wenn die für den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Gründe zumindest deutlich überwiegen (st. Rspr.; vgl. BSGE 45, 285, 286; BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 und a.a.O., § 200 Nr. 3 sowie BSG vom 15.05.2012 - B 2 U 31/11 R - ). Kann u.a. der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet (st. Rspr. seit BSGE 6, 70, 72; vgl. u.a. BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 11). Das ist vorliegend der Kläger.
17 
2. Daran orientiert sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig und hat es die Beklagte zu Recht abgelehnt, die Harnblasenkrebserkrankung als Folge einer BK der Nr. 1303 festzustellen. Zwar leidet der Kläger - zwischen den Beteiligten nicht umstritten und nicht zweifelhaft - jedenfalls seit März 2015 an einer Harnblasenkrebserkrankung mit transurethraler Resektion im Klinikum Y. am 01.04.2015 und Nachoperation am 05.05.2015. Er war nach den glaubhaften Darlegungen des Präventionsdienstes der Beklagten während seiner Tätigkeit als Tanklastzugwagenfahrer auch beruflichen Einwirkungen durch Benzoldämpfe ausgesetzt. Benzol ist ein systemisches Kanzerogen. Allerdings wird der Blasenkrebs durch die BK Nr. 1303 der Anlage 1 zur BKV nicht erfasst (vgl. SG Düsseldorf vom 31.10.2006 - S 16 (18) U 15/04 -, Rnr. 10 und SG Hamburg vom 07.04.2006 - S 40 U 409/04 -, Rnr. 48 ). Vielmehr sind die typischen Erkrankungen dieser BK Leukämien und Lymphome, wie der Präventionsdienst der Beklagten und die Gewerbeärztin E. im Ergebnis übereinstimmend und zutreffend ausgeführt haben (vgl. auch Abschnitt II des Merkblatts zur BK Nr. 1303, veröffentlicht in BArbBl. 1964, 30 sowie Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall- und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 1240). Während die Benzolhomologe Toluol, Xylol und Styrol nicht kanzerogen sind, worauf der Präventionsdienst der Beklagten ebenfalls zutreffend hinwiesen hat - Toluol und Xylol wirken neurotoxisch auf das Zentralnervensystem, ebenso Styrol, dessen akute Wirkung in Schleimhautreizungen der oberen Atemwege und der Augen besteht (vgl. Koch in Lauterbach, Unfallversicherung, 4. Aufl., § 9 SGB VII, Anh. IV 1303 erg Erl, S. 247/5 f.) -, ist Benzol als Verursacher von Krebserkrankungen des blutbildenden Systems bekannt. Zwar können nach mehrjährigen Einwirkungen bestimmte Aminoverbindungen des Benzols Schleimhautveränderungen der Harnwege, Blasenpapillome und Blasenkrebs verursachen. In diesem Fall handelt es sich jedoch um Erkrankungen im Sinne der Nr. 1301 der Anlage 1 zur BKV. Dies lässt sich Abschnitt IV des Merkblatts zur BK Nr. 1304 der Anlage 1 zur BKV, veröffentlicht in BArbBl. 1963, 130) entnehmen (vgl. SG Düsseldorf vom 31.10.2006 - S 16 (18) U 15/04 -, Rnr. 10 sowie - im Ergebnis - Schleswig-Holsteinisches LSG vom 24.11.2005 - L 1 U 18/04 - Rnr. 17 und 26 ).
18 
Vor diesem Hintergrund sah sich die Kammer auch nicht gedrängt, von Amts wegen (§ 103 S. 1 SGG) weiteren Beweis etwa durch Einholung schriftlicher Auskünfte der den Kläger behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen oder ein medizinischen Sachverständigengutachtens einzuholen (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 103, Rnr. 4 m.w.N.).
19 
Ohne Erfolg beruft sich der Kläger auf die ärztliche Bescheinigung von Dr. B. vom 21.06.2016. Denn dessen Auffassung eines wahrscheinlichen ursächlichen Zusammenhangs zwischen berufsbedingten Benzoleinwirkungen und dem Auftreten einer Harnblasenkrebserkrankung stimmt mit der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung nicht überein.
20 
3. Aus eben diesen Gründen sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig und musste das Begehren des Klägers erfolglos bleiben.
21 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Absätze 1 und 4 SGG.

Gründe

 
13 
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes; zur Klageart vgl. BSG SozR 4-2700 § 9 Nr. 22, Rnr. 13 m.w.N. und LSG Baden-Württemberg vom 17.03.2016 - L 6 U 1518/14 -, Rnr. 50 ) zulässig, aber nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Zu Recht hat es die Beklagte abgelehnt, die Harnblasenkrebserkrankung des Klägers als Folge einer BK der Nr. 1303 der Anlage 1 zur BKV festzustellen. Hierüber konnte die Kammer gemäß § 105 Abs. 1 S. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung und ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil sie der Auffassung ist, dass die Sache keine besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.
14 
1. Nach § 7 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und BKen. BKen sind nach § 9 Abs. 1 S. 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Eine solche Bezeichnung hat der Verordnungsgeber mit den sogenannten Listenkrankheiten in der Anlage 1 zur BKV vorgenommen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Diese Listenerkrankungen umfassen u.a. nach Nr. 1303 Erkrankungen durch Benzol, seine Homologe oder durch Styrol.
15 
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesozialgerichts (BSG) ist für die Feststellung einer Listen-BK erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) sowie, dass eine Krankheit vorliegt. Des Weiteren muss die Krankheit durch die Einwirkungen verursacht sein (haftungsbegründende Kausalität). Fehlt eine dieser Voraussetzungen, ist die BK nicht anzuerkennen (vgl. BSG SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 5, Rnr. 17 und BSG vom 23.04.2015 - B 2 U 10/14 R -, Rnr. 11 ). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK.
16 
Außerdem müssen wie bei einem Arbeitsunfall auch bei einer BK die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen neben der versicherten Tätigkeit die Dauer und Intensität der schädigenden Einwirkung und die als BK-Folge geltend gemachte Gesundheitsstörung gehören, erwiesen sein (vgl. BSGE 45, 1, 9; 58, 80, 83 und 60, 58 ff. sowie BSG SozR 3-5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2 m.w.N.). Dem gegenüber reicht für den nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht aber die bloße Möglichkeit aus (vgl. BSG SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2109 Nr. 1, Rnr. 12; BSG SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 3101 Nr. 4, Rnr. 16 m.w.N.; BSG SozR 4-2700 § 9 Nr. 14, Rnr. 9 m.w.N. sowie zuletzt BSG vom 23.04.2015 - B 2 U 10/14 R -, Rnr. 11; - B 2 U 20/14 R -, Rnr. 10 und - B 2 U 6/13 R -, Rnr. 10 ). Die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs liegt vor, wenn nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht, d.h. wenn die für den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Gründe zumindest deutlich überwiegen (st. Rspr.; vgl. BSGE 45, 285, 286; BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 und a.a.O., § 200 Nr. 3 sowie BSG vom 15.05.2012 - B 2 U 31/11 R - ). Kann u.a. der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet (st. Rspr. seit BSGE 6, 70, 72; vgl. u.a. BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 11). Das ist vorliegend der Kläger.
17 
2. Daran orientiert sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig und hat es die Beklagte zu Recht abgelehnt, die Harnblasenkrebserkrankung als Folge einer BK der Nr. 1303 festzustellen. Zwar leidet der Kläger - zwischen den Beteiligten nicht umstritten und nicht zweifelhaft - jedenfalls seit März 2015 an einer Harnblasenkrebserkrankung mit transurethraler Resektion im Klinikum Y. am 01.04.2015 und Nachoperation am 05.05.2015. Er war nach den glaubhaften Darlegungen des Präventionsdienstes der Beklagten während seiner Tätigkeit als Tanklastzugwagenfahrer auch beruflichen Einwirkungen durch Benzoldämpfe ausgesetzt. Benzol ist ein systemisches Kanzerogen. Allerdings wird der Blasenkrebs durch die BK Nr. 1303 der Anlage 1 zur BKV nicht erfasst (vgl. SG Düsseldorf vom 31.10.2006 - S 16 (18) U 15/04 -, Rnr. 10 und SG Hamburg vom 07.04.2006 - S 40 U 409/04 -, Rnr. 48 ). Vielmehr sind die typischen Erkrankungen dieser BK Leukämien und Lymphome, wie der Präventionsdienst der Beklagten und die Gewerbeärztin E. im Ergebnis übereinstimmend und zutreffend ausgeführt haben (vgl. auch Abschnitt II des Merkblatts zur BK Nr. 1303, veröffentlicht in BArbBl. 1964, 30 sowie Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall- und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 1240). Während die Benzolhomologe Toluol, Xylol und Styrol nicht kanzerogen sind, worauf der Präventionsdienst der Beklagten ebenfalls zutreffend hinwiesen hat - Toluol und Xylol wirken neurotoxisch auf das Zentralnervensystem, ebenso Styrol, dessen akute Wirkung in Schleimhautreizungen der oberen Atemwege und der Augen besteht (vgl. Koch in Lauterbach, Unfallversicherung, 4. Aufl., § 9 SGB VII, Anh. IV 1303 erg Erl, S. 247/5 f.) -, ist Benzol als Verursacher von Krebserkrankungen des blutbildenden Systems bekannt. Zwar können nach mehrjährigen Einwirkungen bestimmte Aminoverbindungen des Benzols Schleimhautveränderungen der Harnwege, Blasenpapillome und Blasenkrebs verursachen. In diesem Fall handelt es sich jedoch um Erkrankungen im Sinne der Nr. 1301 der Anlage 1 zur BKV. Dies lässt sich Abschnitt IV des Merkblatts zur BK Nr. 1304 der Anlage 1 zur BKV, veröffentlicht in BArbBl. 1963, 130) entnehmen (vgl. SG Düsseldorf vom 31.10.2006 - S 16 (18) U 15/04 -, Rnr. 10 sowie - im Ergebnis - Schleswig-Holsteinisches LSG vom 24.11.2005 - L 1 U 18/04 - Rnr. 17 und 26 ).
18 
Vor diesem Hintergrund sah sich die Kammer auch nicht gedrängt, von Amts wegen (§ 103 S. 1 SGG) weiteren Beweis etwa durch Einholung schriftlicher Auskünfte der den Kläger behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen oder ein medizinischen Sachverständigengutachtens einzuholen (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 103, Rnr. 4 m.w.N.).
19 
Ohne Erfolg beruft sich der Kläger auf die ärztliche Bescheinigung von Dr. B. vom 21.06.2016. Denn dessen Auffassung eines wahrscheinlichen ursächlichen Zusammenhangs zwischen berufsbedingten Benzoleinwirkungen und dem Auftreten einer Harnblasenkrebserkrankung stimmt mit der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung nicht überein.
20 
3. Aus eben diesen Gründen sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig und musste das Begehren des Klägers erfolglos bleiben.
21 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Absätze 1 und 4 SGG.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Sozialgericht Karlsruhe Entscheidung, 08. Aug. 2016 - S 1 U 1231/16

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Referenzen - Gesetze

Sozialgericht Karlsruhe Entscheidung, 08. Aug. 2016 - S 1 U 1231/16 zitiert 11 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 54


(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 103


Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 2 Versicherung kraft Gesetzes


(1) Kraft Gesetzes sind versichert 1. Beschäftigte,2. Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung in Betriebsstätten, Lehrwerkstätten, Schulungskursen und ähnlichen Einrichtungen,3. Personen, die sich Untersuchungen, Prüfungen oder ähnliche

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 105


(1) Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Die

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 6 Freiwillige Versicherung


(1) Auf schriftlichen oder elektronischen Antrag können sich versichern 1. Unternehmer und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner; ausgenommen sind Haushaltsführende, Unternehmer von nicht gewerbsmäßig betriebenen Binnenfisch

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 3 Versicherung kraft Satzung


(1) Die Satzung kann bestimmen, daß und unter welchen Voraussetzungen sich die Versicherung erstreckt auf1.Unternehmer und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,2.Personen, die sich auf der Unternehmensstätte aufhalten; § 2

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 9 Berufskrankheit


(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit

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Sozialgericht Karlsruhe Entscheidung, 08. Aug. 2016 - S 1 U 1231/16 zitiert oder wird zitiert von 6 Urteil(en).

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Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 17. März 2016 - L 6 U 1518/14

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Tenor Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 19. November 2013 aufgehoben und die Klage abgewiesen.Außergerichtliche Kosten des Klägers sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten. Tatbestand   1 Zwischen

Bundessozialgericht Urteil, 23. Apr. 2015 - B 2 U 10/14 R

bei uns veröffentlicht am 23.04.2015

Tenor Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 29. Januar 2014 wird zurückgewiesen.

Bundessozialgericht Urteil, 23. Apr. 2015 - B 2 U 6/13 R

bei uns veröffentlicht am 23.04.2015

Tenor Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 31. Januar 2013 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialge

Bundessozialgericht Urteil, 23. Apr. 2015 - B 2 U 20/14 R

bei uns veröffentlicht am 23.04.2015

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Bundessozialgericht Urteil, 15. Mai 2012 - B 2 U 31/11 R

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Tenor Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. September 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses zurückve

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Urteil, 24. Nov. 2005 - L 1 U 18/04

bei uns veröffentlicht am 24.11.2005

Tenor Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 12. Januar 2004 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsrechtszug nicht zu erstatten. Die Kosten des Gutachtens nach § 109 SGG vom 30

Referenzen

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 19. November 2013 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Klägers sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung einer Gonarthrose als Wie-Berufskrankheit streitig.
Der 1948 geborene Kläger wurde nach dem Hauptschulabschluss ab April 1963 im Betrieb seines Vaters zum Zimmerer und Dachdecker ausgebildet. Anschließend arbeitete er dort, unterbrochen von der Bundeswehrzeit von Juli 1968 bis Dezember 1969, bis November 1974 in abhängiger Beschäftigung. Ab Januar 1975 führte er, nachdem er zwischenzeitlich die Meisterprüfungen in beiden Berufen abgelegt hatte, den Betrieb in selbstständiger Tätigkeit bis Mitte August 2007 weiter; während dieser Zeit war er bei der Beklagten freiwillig versichert.
Der den Kläger behandelnde Hausarzt, der Internist Dr. B., zeigte der Beklagten im August 2007 den Verdacht einer Gonarthrose als Berufskrankheit an. Der Kläger teilte ihr Ende September 2007 mit, die Kniebeschwerden bestünden berufsbedingt. Sie seien erstmals 1995 aufgetreten und hätten seit einem Arbeitsunfall am 29. August 2005 zu dauernd starken Schmerzen geführt. Die Beschwerden würden bei knienden Tätigkeiten auf den Baustellen auftreten.
Der Mitarbeiter des Präventionsdienstes der Beklagten Sch. erstellte Ende Februar 2013 eine Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition, welcher ein von ihm erstelltes Gesprächsprotokoll vom 14. Februar 2013 nach einer persönlichen Unterredung mit dem Kläger an dessen Wohnort einen Tag zuvor zugrunde lag, das diesem übersandt und am 24. Februar 2013 von ihm unterschrieben worden war. Während der Ausbildung seien die Tätigkeiten als Zimmerer und Dachdecker vollzeitig und an ständig wechselnden Arbeitsplätzen ausgeübt worden. Von Anfang an seien während der kalten Jahreszeit keine Mitarbeitenden entlassen worden, vielmehr seien dann Arbeiten in Innenräumen ausgeführt worden. Hierbei habe es sich um die Parkettverlegung und den Dachgeschossausbau im Trockenbau gehandelt.
Der Bereich der Außenarbeiten habe die Zimmerei und Dachdeckerei umfasst. Reine Zimmererarbeiten, wie der Abbund und das ausschließliche Aufrichten von etwa Dachstühlen oder Gauben, seien anfangs nur ausnahmsweise ausgeführt worden. Hölzer seien überwiegend fertig abgebunden bezogen worden. Es habe praktisch immer eine Überschneidung zum Dachdeckerhandwerk bestanden. Es seien Dachstühle aufgerichtet, aber auch die Lattung und Dämmung angebracht worden. Anschließend sei die Eindeckung mit Dachpfannen und Biberschwanzziegeln (jeweils 50 %) erfolgt, bei größeren Gehöften, Scheunen oder Hallendächern seien Wellasbestzementplatten verwendet worden. Flachdächer seien nicht gedeckt worden. Es seien ausschließlich Steildächer bearbeitet worden. Zum Bereich der Innenarbeiten hätten die Parkettverlegung und der Innenausbau im Dachgeschoss gehört. Es seien Stab- und Mosaikparkette im Verhältnis 70 % zu 30 % verlegt worden, daneben Dielen, Ausgleichsschüttungen, Trittschalldämmungen und Estrichelemente. Das Verhältnis der beiden beschriebenen Bereiche, also von Außen- und Innenarbeiten, habe, bezogen auf die Arbeitsschichten, etwa 60 % zu 40 % betragen. Von Montag bis Freitag sei üblicherweise 10 Stunden täglich gearbeitet worden. Je nach Auftragsgröße habe teilweise auch an Samstagen gearbeitet werden müssen. Dies sei etwa an jedem zweiten Samstag der Fall gewesen. Der Kläger sei stets aktiv auf Baustellen tätig gewesen, habe also während der regulären Arbeitszeit keine administrativen Tätigkeiten oder Büroarbeiten ausgeführt. Diese seien an den Wochenenden und nach Feierabend erledigt worden. Der Mitarbeiter des Präventionsdienstes der Beklagten Sch. ging von 240 Arbeitsschichten pro Jahr aus, die zu Grunde zu legen seien. Der Kläger sei zu einer ähnlichen Einschätzung gekommen, wobei er etwa 32 Wochen für die Außen- und 16 Wochen für die Innenarbeiten angenommen habe, woraus sich ein Verhältnis von etwa 2/3 zu 1/3 ergebe. Im Wesentlichen seien die Tätigkeiten über den gesamten Betrachtungszeitraum hinweg vergleichbar gewesen, so dass die einzelnen Beschäftigungsabschnitte einheitlich bewertet werden könnten.
Für die Zeit von April 1963 bis Mitte August 2007 stelle sich die prozentuale Aufsplittung der Einzeltätigkeiten zusammenfassend wie folgt dar: Außenarbeiten, 60 % der Schichten: Steildach einlatten = 10 % der Schichten = 14 Schichten, Steildach dämmen = 50 % der Schichten = 72 Schichten, Steildach eindecken mit Dachpfannen = 10 % der Schichten = 15 Schichten, Steildach eindecken mit Biberschwanzziegeln = 10 % der Schichten = 15 Schichten, Wellplattenmontage = 10 % der Schichten = 14 Schichten und Zimmerei (Abbund und Aufrichten) = 10 % der Schichten = 14 Schichten sowie Innenarbeiten, 40 % der Schichten: Stabparkett verlegen = 21 % der Schichten = 20 Schichten, Mosaikparkett verlegen = 9 % der Schichten = 9 Schichten, schleifen und verkitten = 10 % der Schichten = 10 Schichten, Dielenboden verlegen = 10 % der Schichten = 10 Schichten und Trittschalldämmung verlegen, auch Schüttung, Holzfaserplatten und Estrichelemente = 50 % der Schichten = 47 Schichten.
Nach den Vorgaben der wissenschaftlichen Begründung zur Gonarthrose und aus Erfahrungen bei der Betrachtung der Tätigkeitsmerkmale an Vergleichsarbeitsplätzen ergebe sich, bezogen auf die Gonarthrose, eine Gesamtstundenzahl kniebelastender Tätigkeiten von 32.442 Stunden. Gestützt auf den Report des Instituts für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e. V. (IFA-Report), Ausgabe 1/2010 habe sich eine die Knie betreffende Mindesteinwirkungsdauer von mehr als einer Stunde je Arbeitsschicht ergeben.
Der Beklagten lagen neben dem Vorerkrankungsverzeichnis der Innungskrankenkasse (IKK) Baden-Württemberg (heute: IKK classic), bei welcher der Kläger während seiner selbstständigen Tätigkeit gegen Krankheit freiwillig versichert war, verschiedene medizinische Befundunterlagen vor, insbesondere auch solche, die sich auf das Unfallereignis vom 29. August 2005 beziehen. Damals legte der Kläger den Weg zu einer Baustellenkontrolle bei einem Kunden mit dem Fahrrad zurück, wobei er vom Pedal abrutschte und auf das rechte Knie stürzte. Deswegen stellte die Beklagte mit Bescheid vom 26. September 2006 ein Recht des Klägers auf Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vom Hundert (v. H.) als Gesamtvergütung vom 4. Mai bis 31. Dezember 2006 fest. Als Folgen dieses Arbeitsunfalls wurden ein persistierender bewegungsabhängiger Schmerz im rechten Kniegelenk mit Schwellneigung und Teilriss des hinteren Kreuzbandes rechts bei vorbestehender Gonarthrose anerkannt. Demgegenüber seien in diesem Körperbereich eine viertgradige Knorpelläsion im medialen Kompartment im Bereich des Schienbeines, eine drittgradige Chondromalazie des retropatellaren Gleitlagers, ein nahezu aufgebrauchter Außenmeniskus, zweitgradige Knorpelveränderungen im lateralen Kompartment im Bereich der Tibia und Femurkondylen sowie darüber hinaus eine rheumatische Erkrankung mehrerer Gelenke nicht Folgen dieses Versicherungsfalls. Ein Recht des Klägers auf Rente nach dem 31. Dezember 2006 wurde abgelehnt (Bescheid vom 22. März 2007, Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 2007). Das Klageverfahren S 2 U 3160/07 beim Sozialgericht (SG) Konstanz, welches für den bei Klageerhebung noch in Leutkirch im Allgäu, Landkreis Ravensburg, wohnenden Kläger zuständig war, verlief für ihn erfolglos.
Der Chefarzt der Rheumaambulanz der Rheumaklinik Bad W., Prof. Dr. J., äußerte nach einer klinischen Untersuchung des Klägers am 22. April 2004 zunächst den Verdacht auf eine seronegative rheumatoide Arthritis. Der Kläger habe über seit etwa einem halben Jahr bestehende rezidivierende Gelenkschmerzen in beiden Schulter-, Ellenbogen-, Hüft- und Kniegelenken sowie Händen berichtet. Es habe eine endgradig leicht schmerzhafte Beugung im rechten Kniegelenk ohne Bewegungseinschränkung bestanden. Nach einer Untersuchung am 6. Mai 2004 diagnostizierte er eine seronegative rheumatoide Arthritis (ICD-10 M06.00). Im Vordergrund stünden noch die Beschwerden in den Händen und Knien.
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Nach dem Unfallereignis am 29. August 2005 hatte der Kläger am 6. September 2005 den Arzt für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. L. aufgesucht, der eine Kniegelenkskontusion bei vorbestehender rheumatischer Erkrankung und eine diskrete Gonarthrose diagnostizierte.Es hätten ein deutlicher Kniegelenkserguss und eine endgradige Bewegungseinschränkung bei der Streckung bestanden. Radiologisch hätten eine deutliche Verkalkung der Menisken, eine leichte, medial betonte Gonarthrose und Zeichen einer Retropatellararthrose vorgelegen. Es sei eine Punktion einer 40 ml blutig tingierten Flüssigkeit vorgenommen worden, die eher alt gewesen sei. In seinem Ergänzungsbericht bei Verdacht auf einen Kniebinnenschaden vom 8. September 2005 erwähnte er, der Kläger, der zuvor gejoggt und Fahrrad gefahren sei, habe beruflich eine kniende Tätigkeit ausgeübt. Festgestellt worden seien eine Weichteilschwellung am medialen Bandapparat und in der Kniekehle sowie ein blutig-seröser Erguss.
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Der Radiologe Dr. R. erstellte am 22. September 2005 ein Magnetresonanztomogramm (MRT) des rechten Kniegelenkes. Es seien eine Ruptur des hinteren Kreuzbandes, eine Ruptur des Innenmeniskushinterhorns mit Luxationsstellung nach medial, ein feiner Einriss des Außenmeniskushinterhorns basal, eine mediale Gonarthrose mit dritt- bis viertgradigem Knorpelschaden femoral und tibial, ein deutliches Knochenmarködem in den benachbarten Partien femoral und tibial, ein retropatellarer Knorpelschaden craniomedial sowie ein Status nach Dehnung des Retinaculum patellae mediale mit teils aufgefaserten Strukturen festgestellt worden.
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Nach einer Arthroskopie des rechten Kniegelenkes am 27. September 2005 beschrieb der Chirurg Dr. B. eine Chrondromalazie bis Stadium IV. Es sei eine Meniskusteilresektion vorgenommen und eine Abrasionsarthroplastik eingesetzt worden. Es hätten sich zwei kleine Knorpelglatzen an der Pars media des medialen Tibiaplateaus, ein ausgefranster Lappenriss des Hinterhorns, eine Sklerosierung am medialen Kondylus, ein eingebluteter Synovialüberzug des hinteren Kreuzbandes mit erhaltener Kontinuität sowie retropatellar oberflächlich rasenartige und im Gleitlager pflastersteinartige Veränderungen gefunden.
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Im Auftrag der Beklagten erstattete Dr. B. nach einer ambulanten klinischen und radiologischen Untersuchung des Klägers am 5. Dezember 2005 ein Gutachten. Der Kläger habe bei dem Unfall am 29. August 2005 ein Distorsionstrauma des rechten Kniegelenkes mit Teilruptur des hinteren Kreuzbandes erlitten. Diese Verletzung sei mit großer Wahrscheinlichkeit Folge des Unfallereignisses. Dieses sei geeignet gewesen, zu einer Verletzung des hinteren Kreuzbandes zu führen. Bei der ersten durchgangsärztlichen Untersuchung sei ein blutig-seröser Gelenkerguss punktiert worden, was auf eine frische Schädigung des Kniebinnenraumes hindeute. Bei der Arthroskopie des rechten Kniegelenkes habe sich eine frische Synovialeinblutung des Synovialschlauches des hinteren Kreuzbandes gezeigt. Unfallunabhängig bestünden beim Kläger eine fortgeschrittene Arthrose des medialen Gelenkspaltes mit einer Chondromalazie bis Stadium 4 sowie eine degenerative Innen- und Außenmensikopathie. Somit sei es durch den Unfall zu einer Verschlimmerung einer bereits vorbestehenden Erkrankung des rechten Kniegelenkes gekommen.
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Nach einer Untersuchung Mitte Februar 2006 berichtete Dr. L., beim Kläger bestehe noch immer eine deutliche Schmerzsymptomatik und eine deutliche Ergussneigung im rechten Knie. Dieser habe mehrfach versucht, als Zimmermann tätig zu werden, was fehlgeschlagen sei. Bei der heutigen Vorstellung hätten sich nach wie vor eine endgradige Streckhemmung von etwa 5° und eine Beugehemmung von etwa 15° gezeigt.
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Über den stationären Aufenthalt des Klägers in der Berufsgenossenschaftlichen (BG-) Unfallklinik Murnau vom 24. bis 27. April 2006 berichtete der Ärztliche Direktor Prof. Dr. B. am 26. April 2006, diagnostiziert worden sei eine generalisierte Gonarthrose im Bereich des rechten Kniegelenkes. Am 25. April 2006 seien eine Arthroskopie und Kniegelenkspülung vorgenommen worden. Ein nahezu vollkommen aufgebrauchter Außenmeniskus und eine Pangonarthrose, bei unauffälligen Kreuzbändern, hätten dabei festgestellt werden können. Eine Knietotalendoprothese sei indiziert.
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Dr. L. berichtete nach einer Untersuchung des Klägers Mitte Mai 2006, es bestehe eine Arthrose, die letztendlich einen Kniegelenksersatz erforderlich machen werde. Der Kläger habe berichtet, dass er zwischenzeitlich kurzzeitig beschwerdefrei gewesen sei. Mittlerweile habe sich jedoch erneut ein derzeit nicht punktionswürdiger Gelenkserguss entwickelt. Die Beweglichkeit sei endgradig eingeschränkt gewesen. Schmerzen bestünden ab und an. Der Kläger habe angegeben, am 4. Mai 2006 die Arbeit wieder vollschichtig aufgenommen zu haben.
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Die Leitende Ärztin der Sektion Unfallchirurgie der Oberschwaben-Klinik gGmbH, Dr. St., erstattete im Auftrag der Beklagten ein so genanntes „Erstes Rentengutachten“. Nach einer ambulanten klinischen und radiologischen Untersuchung des Klägers am 1. August 2006 diagnostizierte sie eine Teilruptur des hinteren Kreuzbandes rechts bei bereits zuvor vorhandener Gonarthrose. Vorbestehend seien eine viertgradige Knorpelläsion im medialen Kompartment im Bereich der Tibia, eine drittgradige Chondromalazie des retropatellaren Gleitlagers, eine nahezu aufgebrauchter Außenmeniskus sowie eine zweitgradige Knorpelveränderung im lateralen Kompartment im Bereich der Tibia und der Femurkondylen. Bei der klinischen Untersuchung sei das Gangbild flüssig und der Bandapparat des rechten Kniegelenkes stabil gewesen. Der Schneidersitz habe bei Schmerzhaftigkeit nicht eingenommen werden können. Radiologisch habe eine mediale Gonarthrose festgestellt werden können. Es sei ein persistierender, bewegungsabhängiger Schmerz des rechten Kniegelenkes mit Schwellneigung und teilweiser Ergussbildung verblieben. Vorbestehend sei eine rheumatische Erkrankung mehrerer Gelenke unklarer Genese.
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Der Chefarzt der Abteilung für Unfallchirurgie des Krankenhauses St. E. der Oberschwaben-Klinik gGmbH, Prof. Dr. M., erstellte für die Beklagte ein weiteres Rentengutachten und der Chefarzt der Abteilung Radiologie dieses Krankenhauses, Prof. Dr. St., hierzu ein radiologisches Zusatzgutachten, jeweils nach Untersuchungen des Klägers am 5. Februar 2007. Prof. Dr. M. führte aus, eine verheilte Teilruptur des rechten hinteren Kreuzbandes mit verbliebener geringfügiger hinterer Instabilität sei Folge des Unfallereignisses vom 29. August 2005. Unfallunabhängig bestünde eine schwere Gonarthrose rechts mit schmerzbedingter Bewegungseinschränkung und Bakerzyste. Prof. Dr. St. ging von einer medial betonten Gonarthrose, Kniegelenksbinnenverkalkungen im Bereich des lateralen Gelenkspaltes sowie degenerativen Randkantenausziehungen im Bereich des medialen und lateralen Kniegelenkspaltes, retropatellar sowie im Bereich der Femurkondylen, aus.
19 
Dr. L. teilte der Beklagten im Verwaltungsverfahren zur Feststellung einer Berufskrankheit Anfang Dezember 2007 mit, der Kläger habe sich von Januar bis Juli 2004 in seiner Behandlung befunden, überwiegend wegen eines Karpaltunnelsyndroms, später wegen eines schnellenden Daumens und Fersensporns. Lediglich bei der ersten Inanspruchnahme Mitte Januar 2004 habe er auch von Kniegelenkschmerzen berichtet. Eine weitere Diagnostik und Therapie der Kniegelenksymptomatik sei nicht erfolgt.
20 
Im Verfahren S 2 U 3160/07 beim SG Konstanz ist Dr. K. mit der Erstattung eines orthopädischen Gutachtens beauftragt worden. Nach einer ambulanten klinischen und röntgenologischen Untersuchung des Klägers am 29. April 2008 führte dieser im Gutachten und in einer ergänzenden Stellungnahme Anfang September 2008 aus, Folge des Unfalls vom 29. August 2005 sei insbesondere eine leichte Instabilität des rechten Kniegelenkes nach hinten infolge einer verheilten Teilruptur des rechten hinteren Kreuzbandes. Als unfallunabhängige Gesundheitsstörungen lägen eine aktivierte Arthrosis deformans des rechten und linken Kniegelenkes, eine Chondrokalzinose beider Kniegelenke, ein Teilverlust des Innen- und Außenmeniskus bei durchgeführten arthroskopischen Operationen und degenerativen Vorschäden des Faserknorpels (Meniskus), eine retropatellare Gelenkarthrose sowie offensichtlich bestehende Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises, welche mit einem Basistherapeutikum (Metrotrexat, MTX Hexal, 200 mg pro Woche) behandelt worden seien, vor. Unfallunabhängige Erkrankungen seien also eine drittgradige Gonarthrose rechts mit schmerzhafter Bewegungseinschränkung bei Chondrokalzinose, eine beginnende Gonarthrose links mit Chondrokalzinose und eine Coxa profunda. Ausgeprägte zweit- bis viertgradige Knorpelschäden beträfen den medialen Femurkondylus und das mediale Tibiaplateau. Insbesondere die tibialen Knorpelschäden („Knorpelglatzen“) entsprächen einem Knorpelschaden vierten und somit höchsten Grades, welcher unabhängig vom Unfallereignis vorliege. Wenn aber im Bereich des Tibiaplateaus bereits Knorpelschäden vierten Grades nachweisbar seien, also ein vollständiges Fehlen des hyalinen Knorpels, sei eine graduelle Verschlechterung dieses Befundes zumindest im tibialen Bereich nicht mehr möglich gewesen.
21 
Nach zwei weiteren Arthroskopien des rechten Kniegelenkes am 10. Juni 2008 und 12. Februar 2009, mit zwischenzeitlicher Eröffnung des Kniegelenkes über einen medialen Zugang zum Innenmeniskus (sog. „Payr-Zugang“) am 30. September 2008, diagnostizierte der Chirurg Dr. B. einen Zustand nach tibialer Umstellungsosteotomie Ende September 2008 mit kompletter Bioabrasion medial und retropatellar sowie der Trochlea femoris, mit jetzt ordentlichem Knorpelüberzug. Im Bereich des medialen Femurkondylus bestehe noch ein viertgradiger Knorpelschaden mit einer Größe von 2 x 2 cm. Ferner sei eine Reizsynovitis erkannt worden.
22 
Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstattete Dr. T. A. im Verfahren S 2 U 3160/07 beim SG Konstanz nach dessen ambulanter klinischer und radiologischer Untersuchung am 29. September 2008 ein orthopädisches Gutachten, welches er Ende November 2008 um eine Stellungnahme ergänzte. Es bestehe unter anderem eine fortgeschrittene Arthrose im Bereich des inneren Gelenkspaltes des rechten Kniegelenkes im Sinne einer unfallbedingten deutlichen Verschlimmerung eines vorbestehenden Knorpelschadens. Die zum Unfallzeitpunkt vorhandene dritt- bis viertgradige Knorpelschädigung am inneren Gelenkspalt sei nicht Folge des Unfalls. Bei der im Vergleich zur gesunden linken Seite bestehenden starken Arthrose sei eher von einem unfallbedingten Schaden als von einer schicksalhaften Arthrose auszugehen; insbesondere, weil am gegenseitigen linken Kniegelenk keinerlei Arthrosezeichen dieses Ausmaßes zu sehen gewesen seien. Werde ein verletzter Meniskus entfernt, trete oft eine Früharthrose des betroffenen Gelenkes ein, so dass es wahrscheinlicher sei, dass das Unfallereignis vom 29. August 2005 zuerst die Meniskusverletzung und nachfolgend die Arthrose ausgelöst habe. Hinweise auf Vorerkrankungen der Menisken und Kreuzbänder lägen nicht vor.
23 
Nach einem am 18. April 2009 erstellten MRT des rechten Kniegelenkes und einer röntgenologischen Untersuchung am 20. April 2009 berichtete der Radiologe Dr. H., es sei ein deutlich verschmälerter medialer Gelenkspalt bei ausgeprägter medialer Gonarthrose, welche entzündlich aktiviert gewesen sei, festgestellt worden. Zudem seien eine deutliche Femoropatellararthrose, eine degenerative dritt- bis viertgradige Meniskopathie medial und eine der Patellasehne an der Tuperositas tibiae zu erkennen gewesen. Es hätten deutliche Hinweise auf eine beginnende Pseudarthrose vorgelegen.
24 
Die Radiologin Dr. F. führte nach einer Drei-Phasen-Sklettszintigraphie am 20. April 2009 aus, es habe eine Synovialitis im Bereich des rechten Kniegelenkes vorgelegen. Weiter sei eine Hyperfusion in diesem Körperbereich zu erkennen gewesen.
25 
Nach einer stationären Aufenthalt des Klägers in der orthopädischen Klinik des O.-Hospitals des Klinikums St. vom 1. bis 17. Juni 2009 diagnostizierte der Ärztliche Direktor Prof. Dr. W. unter anderem einen Zustand nach valgisierender Tibiakopfosteotomie mit Korrekturverlust und eine Pseudarthrosenentwicklung sowie eine rheumatoide Arthritis.
26 
In der beratungsärztlichen Stellungnahme von Anfang September 2009 ging der Chirurg Dr. K. nicht vom Vorliegen einer Gonarthrose als Berufskrankheit aus. Wesentliche Ursachen seien eine Chondrokalzinose, eine rheumatoide Arthritis, eine Varusfehlstellung beidseits mit Umstellungsosteotomie rechts und eine Adipositas mit Metabolischem Syndrom. Es liege bei einer Körpergröße von 185 cm ein Körpergewicht von 115 kg vor. Außerdem fehle es an der Beidseitigkeit des Schadensbildes.
27 
Das Regierungspräsidium Stuttgart teilte mit Schreiben von Ende September 2009 mit, von dem Berufskrankheitenfall Kenntnis genommen zu haben. Eine Bearbeitung durch eine Gewerbeärztin oder einen -arzt fände jedoch nicht statt.
28 
Mit Bescheid vom 8. Oktober 2009 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer Gonarthrose als Berufskrankheit ab. Diese Gesundheitsstörung sei seit 1. Juli 2009 als Nr. 2112 in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen worden. Da die Meldung der Erkrankung noch vor diesem Stichtag erfolgt sei, sei über das Vorliegen einer Berufskrankheit im Rahmen von § 9 Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII), also als Wie-Berufskrankheit, entschieden worden. Die Voraussetzungen hierfür lägen allerdings nicht vor. Im Falle des Klägers sei anhand der vorliegenden Röntgenaufnahmen und ärztlichen Befundberichte anlagebedingt eine Varusfehlstellung der Beine und eine rheumatische Arthritis, eine Chondrokalzinose sowie ein deutliches Übergewicht festgestellt worden. Diese Faktoren seien ursächlich für die Gonarthrose. Die berufliche Belastung trete demgegenüber in den Hintergrund. Außerdem wäre bei einer beruflichen Verursachung zu erwarten gewesen, dass beide Knie in gleichem Maße betroffen seien, was vorliegend nicht der Fall sei. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 5. Februar 2010 zurückgewiesen.
29 
Hiergegen hat der Kläger am 23. Februar 2010 beim SG Ulm Klage erhoben, mit der er die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung einer Gonarthrose als Berufskrankheit verfolgt hat.
30 
Das SG Ulm hat Dr. Pf. beauftragt, ein orthopädisch-chirurgisches Gutachten zu erstatten. Nach dessen Ausführungen nach einer ambulanten klinischen, röntgenologischen und optrimetrischen Untersuchung am 2. August 2010, welche um eine Stellungnahme von Ende Oktober 2010 ergänzt worden ist, liege ein ausgeprägter Knorpelschaden des rechten Kniegelenkes mit anhaltenden Reizerscheinungen, einem Belastungsdefizit und einer Bewegungseinschränkung vor. Diese Gonarthrose sei mit Wahrscheinlichkeit und in wesentlicher Weise durch die Berufstätigkeit als Zimmermann verursacht worden. Bei seiner gutachterlichen Untersuchung habe das Hauptproblem in der verminderten Patellamobilität und der sich daraus ergebenden Bewegungseinschränkung und verminderten Kraftentfaltung der Kniestrecker und Hüftbeuger bestanden. Radiologisch habe eine sehr deutliche Randosteophytenbildung am Ober- und Unterrand der Kniescheibe sowie im patellaren Gleitlager vorgelegen. Hieraus habe sich das Bild einer deutlich vermehrten Belastung des patellofemoralen Gelenkes ergeben, was den Beugebelastungen des Klägers im Berufsleben zuzuordnen sei. Das bedeute indes nicht, dass nicht auch das gesamte Kniegelenk mit einbezogen sei. Im Jahre 2004 habe sich bei diesem das typische Bild einer Polyarthritis rheumatica gezeigt, weshalb eine Methotrexat-therapie eingeleitet worden sei. In Bezug auf das rechte Kniegelenk habe sich nun eine lediglich endgradige, leicht schmerzhafte Beugung gezeigt, entsprechend einem Beugebelastungsproblem. Da in sämtlichen nach 2004 erhobenen Befunden eine Polyarthritis, also der Befall vieler Gelenke, nicht mehr erwähnt und auch bei seiner Untersuchung nicht mehr vorhanden gewesen sei, habe sich die Autoaggression, wie sie für die rheumatoide Arthritis ursächlich sei, durch die Methotrexattherapie so zurückgebildet, dass sie keinen Krankheitswert im destruktiven Sinne mehr gehabt habe. Diese Erkrankung scheide somit als konkurrierende Ursache aus. Als Alternativursache komme die Chondrokalzinose, also eine sichtbare Ablagerung von Kalziumpyrophosphat-Dihydrat-Kristallen sowohl im Faserknorpel als auch im hyalinen Knorpel in der Gelenkkapsel sowie in den periartikulären Weichteilstrukturen, ebenfalls nicht in Frage. Hierbei handele es sich um eine idiopathische Erkrankung, die als Präarthrose gewertet werde, allerdings über den Umweg einer ausgelösten Arthritis. Eine solche sei, werde von den Folgen des Unfallereignisses vom 29. August 2005 abgesehen, als nur auf das Kniegelenk bezogene Gonarthritis nirgends beschrieben. Hinzu komme, das radiologisch in gleicher Weise Verkalkungen am linken, beschwerdefreien Kniegelenk zur Darstellung gekommen seien, ohne eine Arthrose hervorgerufen zu haben. Außer in der beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr. K. von Anfang September 2009 habe sich nach keinem der erhobenen Befunde ein Hinweis auf eine deutliche Varusfehlstellung des rechten oder linken Kniegelenkes gezeigt. Anlass für die valgisierende Umstellungsosteotomie sei die Feststellung einer medial betonten Gonarthrose gewesen. In solchen Fällen werde auch bei achsengerechter Stellung der Kniegelenke ein derartiger Eingriff diskutiert. Bei seiner Untersuchung habe er am beschwerdefreien linken Kniegelenk eine über das übliche Maß hinausgehende Varusstellung im Übrigen nicht feststellen können. Soweit sich nach erfolgter Umstellungsosteotomie der Hinweis auf eine Verschiebung der Beinachse um nur 2 cm in zwei Jahren finde, sei dies kein stichhaltiges Gegenargument. Insoweit handele es sich lediglich um eine Befundbeschreibung des Operationsergebnisses. Wenn ein Tatbestand sowohl die Merkmale eines Arbeitsunfalls als auch die einer Listen-Berufskrankheit erfülle, sei die Berufskrankheit vorrangig anzuwenden. Dr. K. habe in seinem Gutachten festgestellt, die degenerativen Veränderungen des rechten Kniegelenkes seien nicht in den ätiopathogenetischen Zusammenhang mit den Unfallfolgen zu stellen, auch nicht im Sinne einer Verschlimmerung. Letzterem stimme er nicht zu. Der Unfall vom 29. August 2005 habe bei dem bis dahin, bezogen auf das rechte Kniegelenk, beschwerdefreien sowie im Übrigen leistungsfähigen und sportlichen Kläger zu einer, wenn auch lang dauernden, aber vorrübergehenden Verschlimmerung geführt, da jetzt ein Zustand vorliege, welcher der schicksalsmäßigen Weiterentwicklung des Leidens, also des berufsbedingten Schadens, entspreche. Dem Übergewicht komme zwar eine multiplikative Bedeutung zu, dieses sei vorliegend jedoch nicht als wesentliche Ursache der Gonarthrose anzusehen.
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Nach der von der Beklagten vorgelegten beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr. K. von September 2010 hat diese eine weitere von ihm von Ende November 2010 übersandt. Wegen der biomechanischen Plausibilität sei bei einem belastungskonformen Schadensbild der vorliegend zu prüfenden Berufskrankheit zu erwarten, dass der Knorpelschaden im Patellofemoralgelenk beginne und sich von dort aus gegebenenfalls in das Kniehauptgelenk ausdehne. Der Knorpelschaden müsse danach in erster Linie und vorauseilend im Patellofemoralgelenk vorhanden sein. Bei einer bereits fortgeschrittenen Gonarthrose, wie vorliegend, müsse anhand früher erhobener Befunde nachgewiesen werden, dass sich der aktuelle Befund mit hinreichender Wahrscheinlichkeit aus einem belastungskonformen Schadensbild heraus entwickelt habe. Dies sei durch das Gutachten von Dr. Pf. nicht belegt und auch nicht weiter diskutiert worden. Bei einem belastungskonformen Schadensbild seien in der R. auch beide Kniegelenke in vergleichbaren Ausmaß betroffen, was vorliegend nicht der Fall sei. Sowohl die rheumatoide Polyarthritis als auch die Chondrokalzinose seien als konkurrierende Ursachen anzusehen, auch wenn sie angeblich aktuell keine Beschwerden verursachten. Die im medialen Gelenkbereich lokalisierte Gonarthrose weise auf eine deutliche Varusfehlbelastung des Kniegelenkes hin, die mitursächlich für die medial betonte Gonarthrose gewesen sei. Bei der Entstehung der Gonarthrose im rechten Kniegelenk komme somit den konkurrierenden Ursachen Polyarthritis, Chondrokalzinose, Übergewicht und Varusfehlstellung die wesentliche Teilursache zu. Auch spreche der fehlende Nachweis, dass sich die jetzige Gonarthrose mit hinreichender Wahrscheinlichkeit aus einem belastungskonformen Schadensbild heraus entwickelt habe, und die fehlende Beidseitigkeit der Kniearthrose gegen das Vorliegen einer Berufskrankheit.
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Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG ist Dr. M. mit der Erstattung eines orthopädisch-chirurgischen Gutachtens beauftragt worden. Nach seinen Ausführungen, die sich auf eine ambulante klinische Untersuchung des Klägers am 3. August 2011 sowie auf Röntgenuntersuchungen des rechten Kniegelenkes am 16. Dezember 2010 und des linken am 16. Februar 2011 stützen, bestünden eine rechtsbetonte beidseitige Femoropatellararthrose mit Funktionsstörungen beim Trepp- und Bergabgehen, Hinknien sowie in die Hocke gehen, eine mediale Gonarthrose nach Innenmeniskusresektion und hinterer Kreuzbandruptur mit einem Zustand nach valgisierender Umstellungsosteotomie, verzögerter Heilung und bleibender Bewegungseinschränkung, Schwellneigung, Muskel- und Kraftminderung sowie Belastungsinsuffizienz, degenerative Wirbelsäulenveränderungen mit Muskelverhärtungen, Bewegungseinschränkung sowie Funktionsdefizit und Fehlstellung, eine rheumatoide Arthritis ohne aktuelle Krankheitsaktivität unter Methotrexattherapie sowie ein chronisches Schmerzsyndrom vom Typ III nach Gerbershagen mit somatischen und psychischen Faktoren. Die Gonarthrose sei als Berufskrankheit anzusehen. Sowohl durch die klinische Untersuchung als auch die radiologische Dokumentation fänden sich beidseits deutliche femoropatellare Schädigungen als Ausdruck des belastungskonformen Schadensbildes. Die Tätigkeit als Zimmermann gehe anders als diejenige etwa eines Estrichlegers mit auch einseitig kniender Tätigkeit sowie schwerem Heben und Tragen und Stemmen von Lasten einher. Auch die Dauer der kniebelastenden Tätigkeiten erfüllten die Voraussetzungen für die zu prüfende Berufskrankheit. Da die rheumatoide Arthritis seit der Diagnosestellung im Jahre 2003 nach adäquater Behandlung weder weitere Gelenkbeschwerden oder -schwellungen hervorgerufen noch wiederholten Behandlungsbedarf erfordert habe, könne diese keinen Einfluss mehr auf die Entwicklung der Gonarthrose genommen haben. Aus empirischen und physiologischen Gründen scheide das Übergewicht des Klägers als wesentliche Ursache für die femoropatellare, aber auch die mediale Gonarthrose aus. Das Kniegelenk weise nahezu keine durch knöcherne Formgebung entstehende Stabilisierung auf, sondern werde durch die beiden Menisken, die Seiten- und Kreuzbänder sowie die Muskulatur stabilisiert. Im November 2010 sei beim Kläger im Rahmen der Rückentrainingtherapie eine Bioimpedanzanalyse durchgeführt worden, die mit 33 % einen hohen Muskelanteil am Gesamtgewicht ausgewiesen habe. Es sei anzunehmen, dass der Kläger zur Zeit seiner Berufstätigkeit noch mehr Muskelmasse aufgewiesen habe. Diese verstärkte Muskulatur bewirke einen Schutz auch der Gelenke. Der Varusfehlstellung komme vorliegend keine maßgebliche Bedeutung zu. Im Jahre 2008 sei beim Kläger eine valgisierende Umstellungsosteotomie zur Entlastung des medialen Gelenkspaltes durchgeführt worden. Im Operationsbericht sei eine Varusstellung von 10° im rechten Kniegelenk erwähnt. Ganzbeinaufnahmen seien nicht angefertigt worden. Auf einer Röntgenaufnahme von April 2008 sei sogar keine varische Beinachse zu erkennen. Eine Beinachsenstellung von 10° werde üblicherweise als leichtgradige Fehlstellung bezeichnet. In einer nach dem Unfallereignis Ende August 2005 durchgeführten Arthroskopie hätten sich bereits deutliche Verschleißerscheinungen femoropatellar sowie kleinflächig auch im inneren Kniegelenkskompartment gezeigt. Wegen der nachgewiesenen deutlichen Einblutung ins Gelenk und in die Gelenkinnenhaut sowie des kernspintomographisch nachgewiesenen so genannten „Bone bruise“ (Knochenquetschung) müsse von einer erheblichen Krafteinwirkung ausgegangen werden. Das Unfallereignis sei somit auf einen bereits vorgealterten und durch schwere berufliche Belastungen in Mitleidenschaft gezogenen Innenmeniskus getroffen und habe diesen richtungsweisend verletzt. Im weiteren Verlauf sei es zu einem Kniegelenkskollaps mit erheblicher Verschlimmerung der Gonarthrose rechts gekommen, wie sie in den weiteren Arthroskopien dokumentiert sei. Auch das hintere Kreuzband habe für die weitere Entwicklung der Gonarthrose eine wichtige Rolle spielen können. In der ersten Arthroskopie sei eine synoviale Einblutung beschrieben worden. Sehr häufig würden Verletzungen des hinteren Kreuzbandes übersehen, da dieses anders als das vordere häufig in Elongation verheile und damit seine stabilisierende Funktion verliere, obwohl es vermeintlich als durchgängig nachweisbar sei. Der Innenmeniskus habe eine Puffer- und Stabilisierungsfunktion für den Gelenkknorpel. Auf diesen wirkten nach einer Verletzung und Teilentfernung höhere Belastungen ein. Die mediale Gonarthrose könne daher auch auf die Innenmeniskusschädigung zurückgeführt werden.
33 
Nachdem die Beklagte von ihrem Mitarbeiter des Präventionsdienstes Sch. die Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition von Ende Februar 2013 hat erstellen lassen, ist Dr. Pf. durch das SG Ulm auch hierzu ergänzend befragt worden, woraufhin dieser ausgeführt hat, die mediale Gonarthrose rechts sei auf eine Innenmeniskusschädigung zurückzuführen. Wie im Falle des Knorpelschadens bestehe auch für diese Beeinträchtigung ein Zusammenhang mit der beruflichen Belastung. Ein belastungskonformes Schadensbild sei gelenkmechanisch vorhanden, da vorliegend auch die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt seien. Die Erhebungen hierzu seien entsprechend dem IFA-Report, Ausgabe 1/2010 durchgeführt worden und hätten eine Gesamtkniebelastung zwischen April 1963 und Mitte August 2007 von 32.442 Stunden ergeben. In der Stellungnahme des Präventionsdienstes der Beklagten sei beschrieben worden, das Dämmen von steilen Dächern habe 50 % der Arbeitsschichten eingenommen. Im Hinblick darauf sei zu beachten, dass dies entweder bei sehr steilen Dächern im Kniestand oder bei weniger steilen Dächern voll kniend durchgeführt werde. Da der Kläger Rechtshänder sei, sei eine vermehrte Belastung des rechten gegenüber dem linken Kniegelenk anzunehmen. Dies komme dadurch zustande, dass durch die linke Hand und den linken Arm diagonal zum rechten Kniegelenk eine Stabilisation erreicht werde sowie mit der rechten Hand und dem rechten Arm die eigentliche Tätigkeit erfolge. Daraus resultiere, dass arbeitstechnisch eindeutig eine vermehrte Belastung des rechten Kniegelenkes stattgefunden haben müsse. Somit habe bereits vor dem Unfall Ende August 2005 ein belastungskonformes Schadensbild am rechten Kniegelenk bestanden, welches durch das Trauma exazerbiert worden sei, infolge dessen sich eine Pangonarthrose entwickelt habe. Vier Wochen nach dem Unfallereignis seien kernspintomographisch eine Läsion des Innenmeniskus sowie degenerative Knorpelveränderungen an der Kniescheibenrückfläche und dem Gleitlager des Oberschenkels festgestellt worden, wie sie durch den Unfall nicht hätten ausgelöst werden können. Sie seien vielmehr als vorbestehend im Sinne der vorliegend zu beurteilenden Berufskrankheit anzusehen. Durch den Sturz vom Fahrrad sei es wegen der Gewalteinwirkung zu einer synovitisch-arthritischen Reaktion und damit zu einer Progression der Arthrose im Sinne einer Verschlimmerung eines vorbestehenden Zustandes gekommen.
34 
In dem beim erstinstanzlichen Gericht anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung am 19. November 2013 hat der Kläger ausschließlich nur noch die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung einer Gonarthrose als Wie-Berufskrankheit verfolgt. Das SG Ulm hat die Beklagte mit Urteil vom selben Tag verpflichtet, beim Kläger eine Gonarthrose rechts als Wie-Berufskrankheit anzuerkennen. Die Klage sei insbesondere nicht mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig, weil die Gonarthrose mittlerweile seit Juli 2009 als Listen-Berufskrankheit aufgenommen worden sei. Hierdurch sei der Anspruch auf Anerkennung als Wie-Berufskrankheit nicht erloschen. Konstitutiv für die Feststellung einer Wie-Berufskrankheit sei nicht der Anerkennungsbescheid der Beklagten, sondern das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für den Eintritt des Versicherungsfalls. Rechtsgrundlage für die Feststellung als Wie-Berufskrankheit sei § 9 Abs. 2 SGB VII. Dessen Tatbestand sei erfüllt, insbesondere lägen beim Kläger die individuellen Voraussetzungen vor. Die Sachverständigen Dr. Pf. und Dr. M. hätten überzeugend dargelegt, dass die berufliche Tätigkeit des Klägers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu der Gonarthrose rechts geführt habe. Aus der Listen-Berufskrankheit nach Nr. 2112 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) ergebe sich eine tatsächliche Vermutung, die auch auf die Gonarthrose als Wie-Berufskrankheit zu übertragen sei. Hierbei handele es sich um keine unzulässige Vorwirkung eines materiellen Gesetzes, da diese nur bei Eingriffen zu Lasten der Versicherten, jedoch nicht zu ihren Gunsten gelte.
35 
Gegen die der Beklagten am 17. März 2014 zugestellte Entscheidung hat diese am 2. April 2014 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg mit der Begründung Berufung eingelegt, eine einseitige berufliche Belastung der Knie sei nicht erwiesen, woraus sich indes einzig die unterschiedlichen Schadensbilder in beiden Kniegelenken erklären ließen. Der Herleitung des SG Ulm aus der Rechtshändigkeit liege kein gesicherter medizinischen Erfahrungssatz zugrunde.
36 
Der Internist Dr. B., welcher den Kläger von 2004 bis 2008 hausärztlich behandelt hat, und die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. B., die diese Funktion nach dem Umzug des Klägers von Leutkirch im Allgäu nach Bopfingen übernommen hat, sind als sachverständige Personen schriftlich befragt worden.
37 
Dr. B. hat mitgeteilt, er habe den Kläger erstmals am 20. Januar 2004 wegen Gelenkbeschwerden behandelt. Betroffen gewesen seien hauptsächlich die Handgelenke. Er habe ihn an den Rheumatologen Prof. Dr. J. überwiesen. Ob zum damaligen Zeitpunkt bereits eine Gonarthrose diagnostiziert worden sei, könne er im Nachhinein nicht mehr nachvollziehen. Von dort sei ihm lediglich die Diagnose einer rheumatoiden Arthritis übermittelt worden, weshalb der Kläger entsprechend medikamentös behandelt worden sei. Aus seinen Unterlagen ergebe sich kein Hinweis für eine Pseudogicht. Ob eine Varusfehlstellung vorgelegen habe, könne er nicht sagen. Zwischen 2004 und 2008 habe beim Kläger eine mäßiggradige Adipositas bestanden. Er hat unter anderem einen Befundbericht des Facharztes für Radiologie Dr. G. nach einem am 14. Dezember 2009 erstellten Computertomogramm des rechten Knies vorgelegt, wonach der Kläger auch über zunehmende Gonalgien links berichtet habe.
38 
Dr. B. hat ausgeführt, sie könne einzig zum Übergewicht des Klägers Angaben machen. Dieser sei 1,90 m groß und habe Anfang Januar 2009 ein Gewicht von 118 kg gehabt, wonach sich eine Adipositas vom Grad I ergeben habe. Sie hat einen Befundbericht des Facharztes für Radiologie Dr. L. nach einer am 21. September 2005 durchgeführten Phlebographie rechts vorgelegt, wonach ein ausgeprägter Kniegelenkserguss und eine Bakerzyste festgestellt worden seien. Des Weiteren hat sie einen Entlassungsbericht von Dr. R., Rehazentrum Bad S.-A., Klinik W. nach einem stationären Aufenthalt des Klägers vom 11. Dezember 2012 bis 8. Januar 2013 übersandt, wonach unter anderem eine Gonalgie, rechts mehr als links, bei femoropatellarer und medialer Gonarthrose (ICD-10 M17.9) diagnostiziert worden sind.
39 
Zudem ist die Beklagte gebeten worden, durch ihren Präventionsdienst berechnen zu lassen, zu welchem Zeitpunkt der Kläger einer beruflichen Gesamtkniebelastung von 13.000 Stunden ausgesetzt gewesen sei, woraufhin der Mitarbeiter Sch. im März 2015 kundtat, dieser Wert sei zum Ende des Jahres 1981, rechnerisch am 23. Dezember 1981, erreicht gewesen.
40 
Nach Beiziehung von bildgebendem Material des rechten und linken Kniegelenkes ist Prof. Dr. Sch. beauftragt worden, ein orthopädisch-chirurgisches Gutachten nach Aktenlage zu erstatten. Nach seinen Ausführungen vom 13. Oktober 2015 liegt beim Kläger im rechten Kniegelenk eine Gonarthrose vom Grad 4 nach dem Kellgren-Lawrence-Score und im linken nach diesem Bewertungsmaßstab keine maßgebliche Erkrankung vor. Diese sonstige posttraumatische Gonarthrose sei nach ICD-10 mit „M17.3“ zu verschlüsseln. Ein beginnender Aufbrauch des rechten Kniegelenkes habe durch das Unfallereignis am 29. August 2005 festgestellt werden können. Eine Gonarthrose im Sinne der fraglichen Berufskrankheit liege nicht vor. Ein Arthrosegrad von mindestens 2 sei im Jahre 2006 radiologisch nur rechtsseitig nach stattgehabtem Unfall nachzuweisen gewesen. Wesentlich für deren Entstehung sei die durch das Unfallereignis im Jahre 2005 erlittene Teilruptur des hinteren Kreuzbandes. Zu diesem Zeitpunkt hätten am rechten Kniegelenk degenerative Veränderungen im Bereich des Innen- und Außenmeniskus sowie eine Knorpelschädigung des medialen Gelenkspaltes bis zur Chondromalazie im Stadium 4 vorgelegen, die bis dahin keine ärztliche Konsultation erforderten. Eine Arthrose sei ein struktureller Schaden eines Gelenkes, beginnend beim Gelenkknorpel, der letztlich zum Versagen des Organs „Gelenk“ führe. Klinische Merkmale der Gonarthrose seien ein Knorpelabbau, ein subchondraler Knochenumbau mit Sklerose, eine subchondrale Zystenbildung, eine Osteophytenbildung im Bereich der beteiligten Knochen, eine Bewegungseinschränkung und Schmerzen. Die Arthrose habe eine multifaktorielle Genese. Systemische Faktoren bedingten die Empfänglichkeit für die Arthrose, lokale biomechanische Faktoren beeinflussten die Lokalisation und Ausprägung. Die Einteilung aufgrund bildgebender Verfahren erfolge nach dem Kellgren-Lawrence-Score in vier Stadien. Grundvoraussetzung sei eine ausreichende berufliche Belastung, die eine plausible zeitliche Korrelation zur Entwicklung der Gonarthrose aufweisen müsse. Der Erkrankung nach einem Grad von mindestens 2 müsse eine ausreichende Exposition von 13.000 Stunden vorausgegangen sein. Ein plausibler Zeitraum werde dann angenommen, wenn zwischen dem Erreichen dieser Mindestbelastung und dem erstmaligem Nachweis der Erkrankung maximal fünf Jahre lägen. Bei einem längeren Zeitraum sei der Ursachenzusammenhang umso unwahrscheinlicher, je größer dieser sei. Nach Auffassung der an der Begutachtungsempfehlung beteiligten Experten sei in aller R. Beidseitigkeit der Veränderungen zu erwarten. Ein Abweichen von mehr als einem Grad nach dem Kellgren-Lawrence-Score im Seitenvergleich könne nur mit einer besonderen Begründung und dem Nachweis einer einseitigen arbeitsbedingten Belastung anerkannt werden. Ein belastungskonformes Schadensbild werde für die zu prüfende Berufskrankheit nicht gefordert. Weiterhin müssten wesentliche konkurrierende Faktoren in Bezug auf die derzeitige Evidenzlage berücksichtigt werden.
41 
Hinsichtlich der arbeitstechnischen Voraussetzungen habe der Kläger von April 1963 bis Mitte August 2007, also über einen Zeitraum von 44 Jahren hinweg, mit Unterbrechungen eine Gesamtbelastung von 32.442 Stunden erfahren. Rechnerisch seien die 13.000 Stunden im Jahre 1981 erreicht gewesen, weshalb formal die arbeitstechnischen Voraussetzungen vorlägen. Der radiologische Nachweis einer Gonarthrose nach dem Kellgren-Lawrence-Score mit einem Grad von mindestens 2 habe erst im Jahre 2006 und nur am rechten Kniegelenk festgestellt werden können. Im linken Kniegelenk liege in Bezug auf die fragliche Berufskrankheit keine maßgebliche Arthrose vor. Zwischen dem Erreichen der Mindestbelastung und dem erstmaligen Nachweis der einseitigen Erkrankung lägen rechnerisch somit 25 Jahre. Aus Plausibilitätsgründen sei eine berufsbedingte Verursachung somit nicht wahrscheinlich, sonst hätte sich die berufliche Belastung früher in einem Schaden realisieren müssen. Auch die Tatsache, dass beim Kläger nur das rechte Kniegelenk betroffen sei und eine einseitige Belastung nicht vorgelegen habe, spreche gegen eine maßgeblichen beruflichen Einfluss. Weiterhin sei gegen eine berufsbedingte Entstehung der Arthrose im rechten Kniegelenk der Umstand zu werten, dass der Kläger vor dem Unfallereignis im Jahre 2005 keinen Arzt in Bezug auf diesen Körperbereich konsultiert habe, was jedoch bei einer beruflichen Verursachung zu fordern sei. Eine Behandlung der Kniegelenke sei erstmalig wegen des Unfallereignisses Ende August 2005 erfolgt, wobei sich der Kläger eine frische Teilruptur des hinteren Kreuzbandes zugezogen habe. Das anschließend angefertigte bildgebende Material zeige degenerative Veränderungen im Bereich des Innen- und Außenmeniskus sowie eine Knorpelschädigung des medialen Gelenkspaltes bis zur Chondromalazie im Stadium 4. Hinweise für einen beginnenden Aufbrauch des rechten Kniegelenkes seien somit lediglich im Rahmen der diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen wegen dieses Unfallereignisses festgestellt worden. Bis zu diesem Zeitpunkt sei dieser symptomfrei verlaufen. Im Fremdbefund zu den sechs Tage nach dem Unfallereignis durchgeführten Röntgenaufnahmen des rechten Kniegelenkes seien eine deutliche Verkalkung der Menisken, eine leichte medial betonte Gonarthrose, Zeichen einer Retropatellararthrose und eine leichte Patelladysplasie beschrieben worden. Zeichen einer Arthrose im Sinne der zu prüfenden Berufskrankheit mit Osteophyten, also Knochennasen, einer definitiven Verschmälerung des Kniegelenkspaltes, einer Sklerose und einer Verformung der Tibia oder des Femurs seien somit zum damaligen Zeitpunkt nicht feststellbar gewesen. Eine Chondrokalzinose gelte nicht als konkurrierender Faktor für die Entstehung einer Gonarthrose. Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis als Ursache seien nach der Literatur nicht belegbar, wohl aber nach klinischer Erfahrung anzunehmen. Die kongenitale tibiofemorale Beinachse sei vorliegend ebenfalls nicht als konkurrierender Faktor anzusehen. Übergewicht gelte zwar als wissenschaftlich gesicherte Alternativursache. Allerdings bestehe für die Adipositas eine epidemiologische Evidenz für ein multiplikatives Zusammenwirken mit den arbeitsbedingten Belastungen. Nach der wissenschaftlichen Begründung sei die zu beurteilende Berufskrankheit bei Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen und des geeigneten Krankheitsbildes auch bei adipösen Menschen anzuerkennen. Nach dem Akteninhalt seien hinsichtlich Körpergröße und -gewicht des Klägers ab 1991 sowie vor dem Unfallereignis im Jahre 2005 Werte zwischen 105 kg und 113 kg dokumentiert. Bei der gutachterlichen Untersuchung durch Dr. Pf. Anfang August 2010 sei das Körpergewicht mit 110 kg festgestellt worden. Eine wesentliche Gewichtszunahme sei somit nach dem Unfall nicht zu objektivieren. In der Zusammenschau der anamnestischen, radiologischen und interaoperativen Befunde seien die Veränderungen im rechten Kniegelenk hauptsächlich durch das Unfallereignis mit verbliebener Instabilität nach stattgehabter Kreuzbandverletzung bedingt.
42 
Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, das Gutachten von Prof. Dr. Sch. bestätige, dass beim Kläger keine Gonarthrose als Berufskrankheit anzuerkennen sei. Der einseitige Binnenschaden im Kniegelenk des Klägers lasse sich nicht mit seiner beruflichen Tätigkeit in Einklang bringen. Auch nach dem IFA-Report, Ausgabe 1/2010 werde lediglich bei der Tätigkeit „Steildach eindecken (Biberschwanz)“ auf eine einseitige Kniebelastung hingewiesen, während bei allen übrigen Dachdeckertätigkeiten, selbst beim Eindecken eines Steildaches (Dachpfanne), ein solcher Hinweis nicht zu finden sei. Im Übrigen sei in diesem IFA-Report zur Tätigkeit des Steildacheindeckens mit Biberschwanzziegeln nur erwähnt, dass einseitiges Knien häufig habe beobachtet werden können. Indes besage dies nicht, ob auch eine ganz überwiegend einseitige Kniebelastung vorgelegen habe. Denn hierbei sei es typisch, dass zur Entlastung immer wieder ein Wechsel zwischen linkem und rechtem Knie stattfinde.
43 
Die Beklagte beantragt,
44 
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 19. November 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
45 
Der Kläger beantragt,
46 
die Berufung zurückzuweisen.
47 
Er trägt im Wesentlichen vor, er habe während seiner beruflichen Tätigkeit ganz überwiegend Steildächer mit Biberschwanzziegeln eingedeckt. Diese hätten bei Arbeiten an mehr als zwanzig Objekten insgesamt mindestens eine Fläche von 5.210 m² umfasst. Hierbei handele es sich allein um die Projekte, welche ihm spontan erinnerlich gewesen seien. Während der Ausbildungs- und sonstigen Arbeitszeit seien noch zahlreiche weitere derartige Dächer eingedeckt worden. Tatsächlich habe es sich um das Doppelte, wenn nicht sogar ein Vielfaches dieser Quadratmeterzahl gehandelt. Prof. Dr. Sch. habe sich nicht eingehend mit dem Gutachten von Dr. Pf. auseinandergesetzt. Er gehe zu Unrecht davon aus, dass er beruflich bedingt keiner einseitigen Belastung des rechten Kniegelenkes ausgesetzt gewesen sei. Dr. Pf. sei mit dem Gutachten von Prof. Dr. Sch. zu konfrontieren und Letzterer ergänzend zu befragen. Lasse sich der Widerspruch zwischen den bisherigen Ausführungen der Sachverständigen nicht auflösen, sei ein Obergutachten einzuholen. Alle bislang diskutierten konkurrierenden Ursachen hätten keinen wesentlichen Einfluss auf die bei ihm vorliegende Gonarthrose gehabt. Insbesondere habe kein maßgebliches Übergewicht vorgelegen. Bei seiner Heirat im Jahre 1979 habe er maximal 80 kg gewogen. Zu einer Gewichtszunahme sei es erst gekommen, als er die berufliche Tätigkeit reduziert und schließlich eingestellt habe, frühestens also im Jahre 2005.
48 
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung am 17. März 2016 ein Lichtbild vorgelegt, welches ihn mit dem linken Knie kniend auf einem Steildach zeigt, das mit Biberschwanzziegeln eingedeckt worden ist. Des Weiteren hat er zur Inaugenscheinnahme Fotos vorgelegt, mit denen er seinen Vortrag bekräftigt hat, während der beruflichen Tätigkeiten kein Übergewicht gehabt, allenfalls Muskelmasse aufgebaut zu haben.
49 
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die Verwaltungsakten der Beklagten (2 Bände), einschließlich derjenigen zu dem Arbeitsunfall am 29. August 2005, verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
50 
Die nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere statthafte Berufung (§ 143, § 144 Abs. 1 SGG) der Beklagten ist begründet. Deren Bescheid vom 8. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Februar 2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Voraussetzungen für die Feststellung einer Gonarthrose als Wie-Berufskrankheit liegen nicht vor. Das SG hätte die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG, zur Klageart vgl. BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 - B 2 U 6/12 R -, SozR 4-2700 § 9 Nr. 22, Rz. 13 m. w. N.) erhobene Klage, die zuletzt ausschließlich darauf gerichtet gewesen ist, die Beklagte zu verpflichten, eine Gonarthrose als Wie-Berufskrankheit festzustellen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Januar 2010 - B 2 U 5/08 R -, SozR 4-2700 § 9 Nr. 17, Rz. 12, wonach nach dem materiellen Recht mit den jeweiligen Listen-Berufskrankheiten und der Wie-Berufskrankheit verschiedene Versicherungsfälle definiert sind, und LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. September 2009 - L 8 U 5884/08 -, juris, Rz. 32 ff. zu einer Teilrücknahme der Klage durch spätere Antragsbeschränkung), daher abweisen müssen.
51 
Die Voraussetzungen für die Feststellung der Gonarthrose des Klägers als Wie-Berufskrankheit liegen nicht vor, da der sachliche Anwendungsbereich nicht eröffnet ist. Darüber hinaus fehlt es am Ursachenzusammenhang zwischen den Einwirkungen durch die versicherten Tätigkeiten im Knien oder eine vergleichbare Kniebelastung und der Gonarthrose im rechten Kniegelenk; im linken liegt keine insoweit maßgebliche Erkrankung vor.
52 
Der geltend gemachten Anspruch richtet sich nach den am 1. Januar 1997 in Kraft getretenen Bestimmungen des SGB VII (Art. 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, BGBl I 1996, S. 1254; § 212 SGB VII), da beim Kläger zwar erstmals 1995 Kniebeschwerden auftraten, wie dies der ihn behandelnde Hausarzt Dr. B. bei der Anzeige des Verdachtes einer Gonarthrose als Berufskrankheit im August 2007 kundgetan hat. Diagnostiziert worden ist eine „diskrete“ Gonarthrose allerdings überhaupt erst durch Dr. L. nach einer klinischen und radiologischen Untersuchung des Klägers am 6. September 2005. Nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand (vgl. hierzu BSG, Urteile vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R -, BSGE 96, 196 <200 f.> und 23. April 2015 - B 2 U 10/14 R -, juris, Rz. 20, zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen), der wegen des für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei der vorliegenden Verpflichtungsklage maßgeblichen Zeitpunktes der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz zu berücksichtigen ist (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 54 Rz. 34), liegt eine durch die versicherte Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastung herbeigeführte Gonarthrose sogar erst vor, wenn chronische Kniegelenksbeschwerden, Funktionsstörungen bei der standardisierten klinisch-orthopädischen Untersuchung und die röntgenologische Diagnose einer Gonarthrose entsprechend einem Grad 2 bis 4 der spezifizierten Klassifikation von Kellgren et al. objektiviert worden sind; als Funktionsstörung muss eine Bewegungseinschränkung in Form einer eingeschränkten Streckung und/oder Beugung im Kniegelenk, ein Kniegelenkserguss, eine Kapselentzündung mit Verdickung oder Verplumpung der Gelenkkontur, eine Krepitation bei der Gelenkbewegung, ein hinkendes Gangbild oder eine Atrophie der Oberschenkelmuskulatur festgestellt sein. Diesen Maßstab legt der Senat aufgrund der Begutachtungsempfehlung für die Berufskrankheit Nr. 2112 (Gonarthrose) der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e. V., Stand: 3. Juni 2014 (im Internet unter „www.dguv.de/medien/inhalt/versicherung/bk/empfehlungen/Begutachtung-BK2112-Stand-20140613.pdf“), zugrunde, welche von einem interdisziplinären Arbeitskreis, zu dem auch der Sachverständige Prof. Dr. Sch. gehört hat, erstellt worden sind. Die Kriterien „chronische Kniegelenksbeschwerden, Funktionsstörungen bei der orthopädischen Untersuchung in Form einer eingeschränkten Streckung oder Beugung im Kniegelenk und die röntgenologische Diagnose einer Gonarthrose entsprechend einem Grad 2 bis 4 der spezifizierten Klassifikation von Kellgren et al.“ ist bereits nach dem Merkblatt zur Berufskrankheit nach Nr. 2112 der Anlage 1 zur BKV (Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 30. Dezember 2009 - IVa 4-45222-2112 -, GMBl 5/6/2010, S. 98 ff.) gefordert worden. Der Sachverständige Prof. Dr. Sch. geht vor diesem Hintergrund von einer objektivierten Gonarthrose im rechten Kniegelenk im Jahre 2006 aus, wohingegen der Senat zu der Überzeugung gelangt ist, dass diese bereits am 22. September 2005 nachgewiesen worden ist. Nach dem im Wege des Urkundenbeweises (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 415 ff. Zivilprozessordnung - ZPO) verwerteten Befundbericht von Dr. R., der infolge eines an diesem Tag erstellten MRT verfasst worden ist, wurden eine mediale Gonarthrose mit dritt- bis viertgradigem Knorpelschaden femoral und tibial, ein deutliches Knochenmarködem in den benachbarten Partien femoral und tibial, ein retropatellarer Knorpelschaden craniomedial sowie ein Status nach Dehnung des Retinaculum patellae mediale mit teils aufgefaserten Strukturen festgestellt. Dr. L. hatte bereits zuvor, am 6. September 2005 und bei bereits bestehenden chronischen Kniegelenksbeschwerden, einen deutlichen Kniegelenkserguss und eine endgradige Bewegungseinschränkung bei der Streckung objektiviert, wobei der Senat zugunsten des Klägers davon ausgeht, dass diese Funktionsstörungen wegen der arthrotischen Veränderungen bestanden haben und nicht auf das Unfallereignis vom 29. August 2005 zurückzuführen gewesen sind. Der Versicherungsfall im Sinne des § 212 SGB VII ist damit jedenfalls weit nach dem 31. Dezember 1996 eingetreten. Offen bleiben kann, ob § 9 Abs. 5 SGB VII entsprechende Anwendung findet. Soweit danach Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für die Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen (vgl. Köhler, in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB VII, Stand: Mai 2011, § 212 Rz. 5; Söhngen, in jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 212 Rz. 11). Auch diese Voraussetzungen lägen frühestens zum Zeitpunkt des Nachweises der Gonarthrose vor.
53 
Nach § 9 Abs. 2 SGB VII haben die Trägerinnen der gesetzlichen Unfallversicherung eine Krankheit, die nicht in der BKV bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII erfüllt sind (sog. „Öffnungsklausel“ für Wie-Berufskrankheiten). Mit § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII hat der Gesetzgeber das "Listensystem" als Grundprinzip des Rechts der Berufskrankheiten der gesetzlichen Unfallversicherung festgelegt. Mit der Einführung der Wie-Berufskrankheit in § 551 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 30. April 1963 (BGBl I S. 241), also der Vorgängervorschrift zu § 9 Abs. 2 SGB VII, wurde eine Ausnahme vom Listenprinzip nur für den Fall zugelassen, dass der Verordnungsgeber wegen der regelmäßig notwendigen mehrjährigen Intervalle zwischen den Anpassungen der BKV an die neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht rechtzeitig tätig wird (vgl. BSG, Urteil vom 25. August 1994 - 2 RU 42/93 -, BSGE 75, 51 <54>). Sinn des § 9 Abs. 2 SGB VII ist es, ausnahmsweise vom Listensystem abweichen zu können, um solche durch die Arbeit verursachten Krankheiten wie eine Berufskrankheit zu entschädigen, die nur deshalb nicht in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen worden sind, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen in ihrer Arbeit bei der letzten Fassung der Liste noch nicht vorhanden waren oder vom Verordnungsgeber nicht hinreichend berücksichtigt wurden (vgl. BSG, Urteil vom 4. August 1981 - 5a/5 RKnU 1/80 -, SozR 2200 § 551 Nr. 18, S. 27). Im Falle des Klägers fehlt es an der sachlichen Anwendungsvoraussetzung der Regelung zur Feststellung einer Wie-Berufskrankheit, denn die Gonarthrose ist in der BKV bezeichnet, die dort bestimmten Voraussetzungen liegen vor und die Feststellung als Listen-Berufskrankheit ist vorliegend nicht grundsätzlich ausgeschlossen.
54 
Die Gonarthrose ist durch die Zweite Verordnung zur Änderung der BKV vom 11. Juni 2009 (BGBl I S. 1273) mit Wirkung zum 1. Juli 2009 als Nr. 2112 in die Liste der Berufskrankheiten (§ 1 BKV i. V. m. Anlage 1) aufgenommen worden. Sie ist bezeichnet als „Gonarthrose durch eine Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastung mit einer kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde pro Schicht“. Die in dieser Listen-Berufskrankheit bestimmten, also dort benannten Voraussetzungen liegen vor. Denn der Kläger war während seiner versicherten beruflichen Tätigkeit von April 1963 bis Juni 1968 und von Januar 1970 bis November 1974 als Beschäftigter nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII sowie aufgrund der freiwilligen Versicherung (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VII) während seiner selbstständigen Tätigkeit von Januar 1975 bis Mitte August 2007 durch eine Tätigkeit im Knien oder eine vergleichbare Kniebelastung einer kumulativen Einwirkungsdauer von 32.442 Stunden ausgesetzt, wobei die Mindesteinwirkungsdauer von einer Stunde je Arbeitsschicht erfüllt war. Hierfür stützt sich der Senat auf die vom Mitarbeiter des Präventionsdienstes der Beklagten Sch. erstellte Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition von Ende Februar 2013, welcher ein von ihm erstelltes Gesprächsprotokoll vom 14. Februar 2013 nach einer persönlichen Unterredung mit dem Kläger an dessen Wohnort einen Tag zuvor zugrunde liegt, das diesem übersandt und am 24. Februar 2013 von ihm unterschrieben worden war. Danach wurden Tätigkeiten als Zimmerer und Dachdecker vollzeitig und an ständig wechselnden Arbeitsplätzen ausgeübt. Von Anfang an wurden während der kalten Jahreszeit keine Mitarbeitenden entlassen, vielmehr führten diese dann Arbeiten in Innenräumen aus. Hierbei handelte es sich um die Parkettverlegung und den Dachgeschossausbau im Trockenbau.Der Bereich der Außenarbeiten umfasste die Zimmerei und Dachdeckerei. Reine Zimmererarbeiten, wie der Abbund und das ausschließliche Aufrichten von etwa Dachstühlen oder Gauben, wurden anfangs nur ausnahmsweise ausgeführt. Hölzer wurden überwiegend fertig abgebunden bezogen. Zum Dachdeckerhandwerk bestanden Überschneidungen. Es wurden Dachstühle aufgerichtet, aber auch die Lattung und Dämmung angebracht. Anschließend erfolgte die Eindeckung mit Dachpfannen und Biberschwanzziegeln (jeweils 50 %), bei größeren Gehöften, Scheunen oder Hallendächern wurden Wellasbestzementplatten verwendet. Flachdächer wurden nicht gedeckt. Es wurden ausschließlich Steildächer bearbeitet. Zum Bereich der Innenarbeiten gehörten die Parkettverlegung und der Innenausbau im Dachgeschoss. Es wurden Stab- und Mosaikparkette im Verhältnis 70 % zu 30 % verlegt, daneben Dielen, Ausgleichsschüttungen, Trittschalldämmungen und Estrichelemente. Das Verhältnis der beiden beschriebenen Bereiche, also von Außen- und Innenarbeiten, betrug, bezogen auf die Arbeitsschichten, etwa 60 % zu 40 %. Von Montag bis Freitag wurde üblicherweise 10 Stunden täglich gearbeitet. An jedem zweiten Samstag wurden die Tätigkeiten auftragsbedingt ebenfalls ausgeübt. Der Kläger war immer aktiv auf den Baustellen tätig, führte also während der regulären Arbeitszeit keine administrativen Tätigkeiten oder Büroarbeiten aus. Diese wurden an den Wochenenden und nach Feierabend erledigt. Der Mitarbeiter des Präventionsdienstes der Beklagten Sch. ist auf dieser Grundlage für den Senat nachvollziehbar von 240 Arbeitsschichten je Zeitjahr ausgegangen. Der Kläger selbst ist damals zu einer nahezu identischen Einschätzung gekommen, wobei er etwa 32 Wochen für die Außen- und 16 Wochen für die Innenarbeiten annahm, woraus sich ein Verhältnis von etwa 2/3 zu 1/3 ergibt. Im Wesentlichen waren die Tätigkeitsinhalte über die Zeit von April 1963 bis Juni 1968 und Januar 1970 bis Mitte August 2007 hinweg vergleichbar, so dass die einzelnen Beschäftigungsabschnitte einheitlich bewertet werden können. Die prozentuale Aufsplittung der Einzeltätigkeiten stellt sich zusammenfassend und gerundet daher wie folgt dar: Außenarbeiten, 60 % der Schichten: Steildach einlatten = 10 % der Schichten = 14 Schichten, Steildach dämmen = 50 % der Schichten = 72 Schichten, Steildach eindecken mit Dachpfannen = 10 % der Schichten = 15 Schichten, Steildach eindecken mit Biberschwanzziegeln = 10 % der Schichten = 15 Schichten, Wellplattenmontage = 10 % der Schichten = 14 Schichten und Zimmerei (Abbund und Aufrichten) = 10 % der Schichten = 14 Schichten sowie Innenarbeiten, 40 % der Schichten: Stabparkett verlegen = 21 % der Schichten = 20 Schichten, Mosaikparkett verlegen = 9 % der Schichten = 9 Schichten, schleifen und verkitten = 10 % der Schichten = 10 Schichten, Dielenboden verlegen = 10 % der Schichten = 10 Schichten und Trittschalldämmung verlegen, auch Schüttung, Holzfaserplatten und Estrichelemente = 50 % der Schichten = 47 Schichten. Hieraus ergibt sich zur Überzeugung des Senats nachvollziehbar eine durch die Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastung kumulative Einwirkungsdauer von 32.442 Stunden. Gestützt auf den IFA-Report, Ausgabe 1/2010 ist hiernach zudem plausibel eine die Knie betreffende Mindesteinwirkungsdauer von sogar mehr als einer Stunde je Arbeitsschicht ermittelt worden.
55 
Die Feststellung als Listen-Berufskrankheit ist vorliegend wegen § 6 Abs. 2 Satz 1 BKV in der Fassung der Zweiten Verordnung zur Änderung der BKV vom 11. Juni 2009 (BGBl I S. 1273) nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Leiden danach Versicherte am 1. Juli 2009 an einer Krankheit unter anderem nach Nr. 2112 der Anlage 1 zur BKV, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 30. September 2002 eingetreten ist. Der Kläger leidet bis heute im rechten Kniegelenk an einer Gonarthrose im Sinne dieser Listen-Berufskrankheit. Der Versicherungsfall ist, wie zuvor ausgeführt, erst am 22. September 2005 eingetreten. Der Kläger ist folglich nach der Stichtagsregelung des § 6 Abs. 2 Satz 1 BKV, bei der es sich um eine unechte Rückwirkung (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 7. Dezember 2010 - 1 BvR 2628/07 -, BVerfGE 128, 90 <107>) beziehungsweise tatbestandliche Rückanknüpfung (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 11. Juli 2013 - 2 BvR 2302/11 u. a. -, juris, Rz. 72) handelt, die Norm also auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt, nicht von der noch möglichen Anerkennung als Listen-Berufskrankheit ausgeschlossen. Damit behält der Vorrang der allgemeinen Regelung des § 9 Abs. 1 SGB VII in Verbindung mit § 1 BKV und der Anlage 1 hierzu, unter Einschluss der Rückwirkungsanordnung, weiter Geltung (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 9. Oktober 2010 - 1 BvR 791/95 -, juris, Rz. 28). Dieser Vorrang kommt zwar trotz des bei der Verpflichtungsklage maßgeblichen Zeitpunktes der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage wegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 22. Oktober 1981 - 1 BvR 1369/79 - BVerfGE 58, 369 zur Auslegung der Regelungen über die Anerkennung von Berufskrankheiten), unter Beachtung des allgemeinen Grundsatzes des Verwaltungsverfahrensrechts, wonach die Trägerinnen der gesetzlichen Unfallversicherung zügig zu entscheiden haben, nicht zum Tragen, wenn von diesen eine Verwaltungsentscheidung zu einer Wie-Berufskrankheit im Hinblick darauf zurückgestellt worden ist, dass eine Änderung der BKV in Sicht ist (BVerfG, a. a. O., Rz. 29), oder sie ein Begehren auf Feststellung als Wie-Berufskrankheit mit dem Hinweis auf eine in Aussicht stehende Änderung der BKV abgelehnt haben (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 23. Juni 2005 - 1 BvR 235/00 -, juris, Rz. 21). Die Beklagte hat indes die Verwaltungsentscheidung über die ihr von Dr. B. im August 2007 angezeigte mögliche Gonarthrose als Berufskrankheit weder im Hinblick darauf zurückgestellt, dass die Zweite Verordnung zur Änderung der BKV vom 11. Juni 2009 (BGBl I S. 1273) in Sicht ist, noch die Ablehnung unter Hinweis auf diese in Aussicht stehende Änderung der BKV abgelehnt. Die Beklagte hat demgegenüber mit dem angefochtenen Bescheid vom 8. Oktober 2009 sogar nach Inkrafttreten der Neuregelungen, abgestellt auf den Zeitpunkt der Meldung der Erkrankung vor dem Stichtag, über die begehrte Feststellung als Wie-Berufskrankheit entschieden und diese mit der Begründung abgelehnt, nicht versicherte Faktoren seien ursächlich für die Gonarthrose gewesen die berufliche Belastung sei in den Hintergrund getreten. Eine unsachgemäße Verzögerung des Verwaltungsverfahrens durch die Beklagte liegt ebenfalls nicht vor. Sie hat nach der hausärztlichen Anzeige der Berufskrankheit sogleich die medizinischen Befundunterlagen, die bis dahin wegen des Arbeitsunfalls vom 29. August 2005, bei dem ebenfalls das rechte Knie betroffen war, vorgelegen haben, zu dem Verfahren wegen der Feststellung einer Berufskrankheit herangezogen, Dr. B. und Dr. L. ergänzend befragt, ein Vorerkrankungsverzeichnis der IKK Baden-Württemberg beigezogen sowie anschließend das nach dem in Bezug auf das Unfallereignis ergangenen Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 2007 angestrengte Klageverfahren beim SG Konstanz, welches mit Urteil vom 24. Juni 2009 endete und in welchem weitere medizinische Beweiserhebungen vorgenommen wurden, abgewartet. Daraufhin hat sie von Dr. K. eine Anfang September 2009 vorgelegte beratungsärztliche Stellungnahme eingeholt und die am Ende dieses Monats eingegangene Mitteilung des Regierungspräsidiums Stuttgart, wonach keine gewerbeärztliche Befassung erfolgen werde, abgewartet, um schließlich, ohne dass der Kläger im gesamten Verfahren auf eine frühere Entscheidung hingewirkt hat, mit Bescheid vom 8. Oktober 2009 über sein Begehren zu entscheiden. Dem steht die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht entgegen. Zwar hat dieses in seinem Urteil vom 27. Juni 2006 (B 2 U 5/05 R -, BSGE 96, 297) nicht mehr an seiner bisherigen Rechtsprechung festgehalten, wonach die Anwendung des § 551 Abs. 2 RVO ausnahmslos dann ausgeschlossen war, wenn der Verordnungsgeber die einschlägige Erkrankung in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen hat (Urteil vom 24. Februar 2000 - B 2 U 43/98 R -, SozR 3-2200 § 551 Nr. 14). Die Einschränkung bezog sich indes auf Versicherungsfälle außerhalb eines Rückwirkungszeitraumes, nicht, wie vorliegend, innerhalb eines solchen liegende. Dem Urteil des BSG vom 2. Dezember 2008 (B 2 KN 1/08 U R -, BSGE 102, 121) lag ein Antrag auf Überprüfung eines Bescheides vom 5. Juli 1996, mit dem die Anerkennung einer Atemwegserkrankung unter anderem als Wie-Berufskrankheit nach § 551 Abs. 2 RVO abgelehnt worden war, im Wege des Zugunstenverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch zugrunde. Maßgeblich in diesem Verfahren war also nach dieser materiell-rechtlichen Regelung insbesondere, ob bei Erlass dieses zu überprüfenden Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt worden war. Zu diesem Zeitpunkt war die Erkrankung aber noch nicht in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen worden, was erst durch die BKV vom 31. Oktober 1997 (BGBl I S. 2623) mit Wirkung zum 1. Dezember 1997 erfolgte. Ein Anwendungsvorrang der Listen-Berufskrankheit stellte sich somit überhaupt nicht. Der in dieser Entscheidung formulierte Rechtssatz, wonach diese BKV erst ab dem Tag ihres Inkrafttretens Rechtswirkungen entfaltet und für die Rechtslage davor, wenn die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Wie-Berufskrankheit vorgelegen haben, aus ihr keine Rechtsfolgen hergeleitet werden können (vgl. auch LSG für das Saarland, Urteil vom 23. Mai 2012 - L 2 U 52/09 WA -, juris, Rz. 28), war demzufolge nicht tragend, soweit er so verstanden werden sollte, dass eine geänderte BKV nur nach ihrem Inkrafttreten eintretende Versicherungsfälle erfasst (vgl. hierzu Römer, a. a. O., Stand: Mai 2015, § 6 BKV, Rz. 9). Damit weicht der Senat nicht von einer Entscheidung des BSG ab.
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Darüber hinaus steht zur Überzeugung des Senats nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit fest, dass es durch die versicherten Tätigkeiten im Knien oder eine vergleichbare Kniebelastung zu einer Einwirkungen auf das rechte Kniegelenk gekommen ist, welche die Gonarthrose im rechten Kniegelenk herbeigeführt hat.
57 
Für die Feststellung einer Wie-Berufskrankheit ist wie bei einer Listen-Berufskrankheit Voraussetzung, dass im Einzelfall eine berufsbedingte Einwirkung die rechtlich wesentliche Ursache einer nicht in der Liste der Berufskrankheiten bezeichneten Krankheit ist (vgl. Urteil des Senats vom 26. März 2015 - L 6 U 1017/13 -, juris, Rz. 50; Römer, in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB VII, Stand: Juli 2015, § 9 Rz. 38a). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 23. April 2015 - B 2 U 10/14 R -, juris, Rz. 11 m. w. N., zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen). Da die R.ung des § 9 Abs. 2 SGB VII keinen Auffangtatbestand und keine allgemeine Härteklausel beinhaltet (BSG, Urteile vom 20. Juli 2010 - B 2 U 19/09 R -, juris, Rz. 19 m. w. N. und 13. Februar 2013 - B 2 U 33/11 R -, SozR 4-2700 § 9 Nr. 21, Rz. 17; vgl. auch BSG, Urteil vom 4. Juni 2002 - B 2 U 20/01 R -, juris, Rz. 20 zu § 551 Abs. 2 RVO), darf die Anerkennung einer Wie-Berufskrankheit darüber hinaus nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der Berufskrankheiten erfüllt sind, der Verordnungsgeber sie also als neue Listen-Berufskrankheit in die BKV einfügen dürfte, aber noch nicht tätig geworden ist (vgl. BT-Drucks 13/2204, S. 77 f.), also der generelle Ursachenzusammenhang gegeben ist (vgl. Römer, a. a. O., Rz. 39). Die Anerkennung einer Wie-Berufskrankheit knüpft an dieselben materiellen Voraussetzungen an, die der Verordnungsgeber auch nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII für die Aufnahme einer Erkrankung in die Liste zu beachten hat.
58 
Dahinstehen kann, ob, wovon das SG Ulm ausgegangen ist, der Listen-Berufskrankheit nach Nr. 2112 der Anlage 1 zur BKV „harte“ Kriterien, die vorliegend im Vollbeweis vorliegen, zu entnehmen sind, und sich hieraus eine tatsächliche Vermutung des Ursachenzusammenhanges ergibt (vgl. BSG, Urteil vom 30. Januar 2007 - B 2 U 15/05 R -, SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 4104 Nr. 2, Rz. 24 zur Berufskrankheit nach Nr. 4104 der Anlage 1 zur BKV), welche auch auf die Gonarthrose als Wie-Berufskrankheit „zu übertragen“ ist (Hessisches LSG, Urteil vom 18. November 2011 - L 9 U 66/07 -, juris, Rz. 40). Denn selbst eine tatsächliche Vermutung ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme erschüttert und der Ursachenzusammenhang nicht nachgewiesen.
59 
Beim Vergleich der radiologischen Befunde liegt beim Kläger nach den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. Sch. im rechten Kniegelenk eine viertgradige Gonarthrose nach Kellgren et al. vor, demgegenüber links keine derartige nach diesem Bewertungsmaßstab maßgebliche Erkrankung. Dieser Sachverständige hat schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, dass bei einer solchen Befundkonstellation ein Ursachenzusammenhang zwischen der beruflichen kniebelastenden Tätigkeit und dieser Erkrankung nur bei einer besonderen Begründung und dem Nachweis einer einseitigen arbeitsbedingten Belastung gegeben ist, wenn also eine asymmetrische, beruflich bedingte Belastung der beiden Kniegelenke vorlag (vgl. Begutachtungsempfehlung für die Berufskrankheit Nr. 2112 der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e. V. vom 3. Juni 2014, S. 8; vgl. auch die Entscheidung des Senats vom 26. November 2015 - L 6 U 2782/15 -, juris, Rz. 48 zu einem asymmetrischen Schadensbild bei der Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV). Davon ist der Senat auch nach den Angaben des Klägers im Berufungsverfahren nicht überzeugt. Zuletzt hat er vorgetragen, er habe während seiner beruflichen Tätigkeit ganz überwiegend Steildächer mit Biberschwanzziegeln eingedeckt, welche insgesamt, bezogen auf mehr als zwanzig benannte Objekte, mindestens eine Fläche von 5.210 m² umfasst hätten. Hierbei habe es sich allein um die Projekte gehandelt, welche ihm spontan erinnerlich gewesen seien. Während der Ausbildungs- und sonstigen Arbeitszeit seien noch zahlreiche weitere derartige Dächer eingedeckt worden. Tatsächlich habe es sich um das Doppelte, wenn nicht sogar ein Vielfaches dieser Quadratmeterzahl gehandelt. Weder nach dem SGG noch nach der ZPO gibt es zwar eine Beweisregelung in dem Sinne, dass frühere Aussagen oder Angaben grundsätzlich einen höheren Beweiswert besitzen als spätere; im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 286 ZPO) sind vielmehr alle Aussagen, Angaben und sonstigen Einlassungen zu würdigen. Gleichwohl kann das Gericht im Rahmen der Gesamtwürdigung den zeitlich früheren Aussagen aufgrund der Gesichtspunkte, dass die Erinnerung hierbei noch frischer war und sie von irgendwelchen Überlegungen, die darauf abzielen, das Klagebegehren zu begünstigen, noch unbeeinflusst waren, einen höheren Beweiswert als den späteren zumessen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2003 - B 2 U 41/02 R -, SozR 4-2700 § 4 Nr. 1, Rz. 12; Urteile des Senats vom 12. August 2014 - L 6 VH 5821/10 ZVW - juris, Rz. 144 und vom 21. Mai 2015 - L 6 U 1053/15 -, juris, Rz. 34). Hiervon geht der Senat vorliegend in Bezug auf die Angaben aus, welche sich nach der Stellungnahme des Mitarbeiters des Präventionsdienstes der Beklagten Sch. zur Arbeitsplatzexposition von Ende Februar 2013 ergeben haben, der ein von ihm erstelltes Gesprächsprotokoll vom 14. Februar 2013 nach einer persönlichen Unterredung mit dem Kläger an dessen Wohnort einen Tag zuvor zugrunde liegt, das diesem übersandt und am 24. Februar 2013 von ihm unterschrieben worden war. Danach nahm die Einzeltätigkeit „Steildach eindecken mit Biberschwanzziegeln“ 10 % der Schichten ein; ausgehend von 240 Arbeitsschichten je Jahr und einer Gewichtung der Außen- zu den Innenarbeiten mit 60 % zu 40 % aufgerundet 15 Schichten. Mit einem Anteil von weniger als 7 % der Jahresarbeitsschichten (15 von 240 Schichten) hatte diese Tätigkeit somit eine nur untergeordnete Bedeutung, wodurch eine einseitig arbeitsbedingte Belastung nicht nachgewiesen ist. Das Abweichen nach dem Kellgren-Lawrence-Score von vier Grad zwischen dem rechten und linken Kniegelenk erklärt sich dadurch nicht. Darüber hinaus bieten Biberschwanzziegel mit steigender Dachneigung gegenüber anderen Dachziegeltypen zwar schlechtere Standbedingungen, weshalb das Eindecken insoweit in weitaus größerem Maße im Knien durchgeführt wird. In den Untersuchungen konnte indes lediglich häufig und nicht immer auch das einbeinige Knien auf der Dachfläche beobachtet werden. Der Kläger hat in Bezug darauf im gesamten Verfahren weder konkrete Angaben zu den Dachneigungen gemacht, bei denen er Biberschwanzziegel eindeckte, noch in welchem Umfang er dabei einseitig rechts kniete. Das von ihm in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Lichtbild zeigt ihn nicht rechts-, sondern linkskniend. Soweit der Sachverständige Dr. Pf. aus dem Umstand der Rechtshändigkeit des Klägers geschlossen hat, dass es hierdurch zu einer vermehrten Belastung des rechten Kniegelenkes gekommen ist, handelt es sich um eine für ihn plausible Erklärung eines möglichen Bewegungsablaufes, ohne dass damit für den Senat der Nachweis erbracht ist, zumal der Kläger selbst den Arbeitsvorgang nie so beschrieben hat und das von ihm in die mündliche Verhandlung mitgebrachte Foto ihn demgegenüber linkskniend zeigt. Die Tätigkeiten als Zimmermann mögen als solche einseitig kniende Arbeitsabläufe enthalten, wie der Sachverständige Dr. M. dargelegt hat. Der konkret beim Kläger nachgewiesene Umfang belegt indes keine überwiegend einseitige, das rechte Kniegelenk belastenden Tätigkeiten.
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Zudem spricht die Zeitspanne zwischen dem Erreichen der kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde je Schicht einerseits sowie dem erstmaligen Nachweis der Gonarthrose nach einem Grad von mindestens 2 nach dem Kellgren-Lawrence-Score gegen einen Zusammenhang zwischen einer Einwirkung aufgrund der beruflichen kniebelastenden Tätigkeit und einer solchen Gonarthrose. Diese arbeitstechnischen Kriterien beruhen auf Erkenntnissen aus epidemiologischen Studien (vgl. hierzu und zum Folgenden BR-Drucks 242/09, S. 17). In der bislang größten zu dieser Thematik durchgeführten Fall-Kontroll-Studie zeigte sich bei einer Belastungsdauer von insgesamt rund 13.000 Stunden ein mehr als verdoppeltes, signifikant erhöhtes Gonarthroserisiko für Personen mit hoher beruflicher Exposition durch eine kniende oder hockende Tätigkeit. Auch für die Voraussetzung der mindestens einstündigen Kniegelenksbelastung je Schicht wurde die Verdoppelungsdosis in epidemiologischen Studien festgestellt. Prof. Dr. Sch. hat in Bezug darauf überzeugend ausgeführt, dass ein plausibler Zeitraum zwischen einer solchen Einwirkungsintensität und dieser Gesundheitsstörung anzunehmen ist, wenn, bei einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde je Schicht, zwischen dem Erreichen der 13.000 Stunden, was beim Kläger rechnerisch Ende 1981 der Fall gewesen ist, und dem erstmaligem Nachweis der Erkrankung maximal fünf Jahre liegen. Bei einem längeren Zeitraum ist der Ursachenzusammenhang umso unwahrscheinlicher, je größer die Spanne ist. Die Erkrankung nach einem Grad von mindestens 2 nach dem Kellgren-Lawrence-Score ist beim Kläger im September 2005 nachgewiesen worden, so dass mittlerweile sogar annähernd 24 Jahre vergangen gewesen sind. Auch aus Plausibilitätsgründen ist eine berufsbedingte Verursachung somit nicht wahrscheinlich, sonst hätte sich die berufliche Belastung früher in einem relevanten Schaden realisieren müssen.
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Dr. Pf. gelangt wie Dr. M. durch Ausschluss möglicher konkurrierender Ursachen zu dem Ergebnis, dass die Gonarthrose mit Wahrscheinlichkeit und in wesentlicher Weise durch die berufliche Tätigkeit des Klägers verursacht worden ist. Beide setzen sich indes darüber hinaus nicht in hinreichendem Maße mit dem deutlich unterschiedlichen Schadensbild im rechten und linken Kniegelenk sowie überhaupt nicht mit der Zeitspanne zwischen dem Erreichen der kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde je Schicht einerseits sowie dem erstmaligen Nachweis der Gonarthrose nach einem Grad von mindestens 2 nach dem Kellgren-Lawrence-Score andererseits auseinander. Beide Gutachten haben den Senat daher nicht überzeugt. Weder musste Dr. Pf. mit dem Gutachten von Prof. Dr. Sch. konfrontiert oder Letzterer ergänzend befragt, noch eine weitere, vom Kläger als Obergutachten bezeichnete Expertise in Auftrag geben werden, welche ohnehin keinen höheren Beweiswert als die bereits eingeholten sachverständigen Meinungen hätte (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 128 Rz. 7e). Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtensergebnisse gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst, welche ureigene Aufgabe eines Tatsachengerichts ist. Eine Verpflichtung zur Einholung eines weiteren Gutachtens besteht auch bei einander widersprechenden Gutachtensergebnissen im Allgemeinen nicht. Vielmehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen. Hält es eines von mehreren Gutachten für überzeugend, wie vorliegend dasjenige von Prof. Dr. Sch., darf es sich diesem anschließen, ohne ein weiteres einzuholen. Bei einer derartigen Fallgestaltung ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum (vgl. BSG, Beschlüsse vom 19. November 2007 - B 5a/5 R 382/06 B -, SozR 4-1500 § 160a Nr. 21, Rz. 8 und 12. Mai 2015 - B 9 SB 93/14 B -, juris, Rz. 6). Als Grund für eine Ausnahme ist zwar ein nicht lösbarer Widerspruch anerkannt, welcher indes nicht darin zu sehen ist, dass unterschiedliche Gutachtensergebnisse vorliegen. Für den Nachweis, dass der Kläger Steildächer mit einer von ihm konkretisierten Gesamtfläche von mindestens 5.210 m² mit Biberschwanzziegeln eindeckte, sind die Sachverständigen ohnehin kein geeignetes Beweismittel.
62 
Mangels hinreichender Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhanges der beruflich bedingten Einwirkungen auf die Knie des Klägers und der Gonarthrose, kommt es an sich von vornherein nicht darauf an, ob beim Kläger mit der Chondrokalzinose, den Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis, der kongenitalen tibiofemoralen Beinachse (Varusstellung), dem Übergewicht oder dem Unfallereignis vom 29. August 2005 konkurrierende Ursachen vorhanden sind, die ihrerseits zu der Gonarthrose geführt haben. Nach der überzeugenden Begründung von Prof. Dr. Sch. gilt eine Chondrokalzinose aber ohnehin nicht als konkurrierender Faktor für die Entstehung einer Gonarthrose. Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis sind zwar nach klinischer Erfahrung anzunehmen, als Ursache nach der Literatur aber derzeit nicht belegbar. Die kongenitale tibiofemorale Beinachse ist ebenfalls nicht als konkurrierender Faktor anzusehen. In dem Bericht von Dr. B. über eine Operation Ende September 2008 ist eine Varusstellung von 10° im rechten Kniegelenk erwähnt. Ganzbeinaufnahmen sind nicht angefertigt worden. Auf einer Röntgenaufnahme von April 2008 ist sogar keine varische Beinachse zu erkennen gewesen. Eine maximale Beinachsenfehlstellung um 10° wird üblicherweise als leichtgradige Fehlstellung bezeichnet, welche kein Ausschlusskriterium in diesem Zusammenhang darstellt (vgl. Urteil des Senats vom 26. November 2015 - L 6 U 2782/15 -, Rz. 50 zur Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV). Übergewicht gilt zwar als wissenschaftlich gesicherte Alternativursache. Allerdings besteht für die Adipositas eine epidemiologische Evidenz für ein multiplikatives Zusammenwirken mit den arbeitsbedingten Belastungen. Nach der wissenschaftlichen Begründung ist die vorliegend zu beurteilende Berufskrankheit bei gegebenen arbeitstechnischen Voraussetzungen und einem geeigneten Krankheitsbild auch bei adipösen Menschen anzuerkennen. Nach dem Akteninhalt sind hinsichtlich Körpergröße und -gewicht des Klägers ab 1991 sowie vor dem Unfallereignis im Jahre 2005 Werte zwischen 105 kg und 113 kg dokumentiert. Bei der gutachterlichen Untersuchung durch Dr. Pf. Anfang August 2010 ist das Körpergewicht mit 110 kg festgestellt worden. Die Behauptung des Klägers im Berufungsverfahren, wonach es erst nach seiner Heirat im Jahre 1979 zu einer Gewichtszunahme gekommen sei, als er die berufliche Tätigkeit reduziert und schließlich eingestellt habe, frühestens also nach dem Unfall im Jahre 2005, was er in der mündlichen Verhandlung mittels Vorlage von Fotos von ihm zu untermauern versucht hat, ist damit allerdings widerlegt. Dr. K. weist zwar in seinen beratungsärztlichen Stellungnahmen von September und November 2010 unter Bezugnahme auf die biomechanische Plausibilität darauf hin, bei einem belastungskonformen Schadensbild der vorliegend zu prüfenden Berufskrankheit sei zu erwarten, dass der Knorpelschaden im Patellofemoralgelenk beginne und sich von dort aus gegebenenfalls in das Kniehauptgelenk ausdehne. Der Knorpelschaden müsse danach in erster Linie und vorauseilend im Patellofemoralgelenk vorhanden sein. Die ursprüngliche Arbeitshypothese des interdisziplinären Arbeitskreises, welcher die Begutachtungsempfehlung für die Berufskrankheit nach Nr. 2112 der Anlage 1 zur BKV erarbeitet hat, nach der mit einem Beginn des Knorpelaufbrauches in erst Linie patellofemoral und in den dorsalen Kniegelenksanteilen sowie mit einem selektiven Aufbrauch der Meniskushinterhörner als möglichem Initialstadium zu rechnen sei, hat sich durch die bislang vorliegenden Forschungsergebnisse indes nicht belegen lassen (vgl. die Empfehlung auf S. 9). Anders als Prof. Dr. Sch., Dr. Pf. und Dr. M. geht der Senat darüber hinaus nur von der Möglichkeit aus, dass die Veränderungen im rechten Kniegelenk, also auch die arthrotischen, hauptsächlich durch das Unfallereignis vom 29. August 2005 mit verbliebener Instabilität nach stattgehabter Kreuzbandverletzung bedingt gewesen sind.
63 
Nach alledem war der Berufung der Beklagten stattzugeben und das erstinstanzliche Urteil aufzuheben.
64 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
65 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Gründe

 
50 
Die nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere statthafte Berufung (§ 143, § 144 Abs. 1 SGG) der Beklagten ist begründet. Deren Bescheid vom 8. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Februar 2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Voraussetzungen für die Feststellung einer Gonarthrose als Wie-Berufskrankheit liegen nicht vor. Das SG hätte die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG, zur Klageart vgl. BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 - B 2 U 6/12 R -, SozR 4-2700 § 9 Nr. 22, Rz. 13 m. w. N.) erhobene Klage, die zuletzt ausschließlich darauf gerichtet gewesen ist, die Beklagte zu verpflichten, eine Gonarthrose als Wie-Berufskrankheit festzustellen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Januar 2010 - B 2 U 5/08 R -, SozR 4-2700 § 9 Nr. 17, Rz. 12, wonach nach dem materiellen Recht mit den jeweiligen Listen-Berufskrankheiten und der Wie-Berufskrankheit verschiedene Versicherungsfälle definiert sind, und LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. September 2009 - L 8 U 5884/08 -, juris, Rz. 32 ff. zu einer Teilrücknahme der Klage durch spätere Antragsbeschränkung), daher abweisen müssen.
51 
Die Voraussetzungen für die Feststellung der Gonarthrose des Klägers als Wie-Berufskrankheit liegen nicht vor, da der sachliche Anwendungsbereich nicht eröffnet ist. Darüber hinaus fehlt es am Ursachenzusammenhang zwischen den Einwirkungen durch die versicherten Tätigkeiten im Knien oder eine vergleichbare Kniebelastung und der Gonarthrose im rechten Kniegelenk; im linken liegt keine insoweit maßgebliche Erkrankung vor.
52 
Der geltend gemachten Anspruch richtet sich nach den am 1. Januar 1997 in Kraft getretenen Bestimmungen des SGB VII (Art. 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, BGBl I 1996, S. 1254; § 212 SGB VII), da beim Kläger zwar erstmals 1995 Kniebeschwerden auftraten, wie dies der ihn behandelnde Hausarzt Dr. B. bei der Anzeige des Verdachtes einer Gonarthrose als Berufskrankheit im August 2007 kundgetan hat. Diagnostiziert worden ist eine „diskrete“ Gonarthrose allerdings überhaupt erst durch Dr. L. nach einer klinischen und radiologischen Untersuchung des Klägers am 6. September 2005. Nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand (vgl. hierzu BSG, Urteile vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R -, BSGE 96, 196 <200 f.> und 23. April 2015 - B 2 U 10/14 R -, juris, Rz. 20, zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen), der wegen des für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei der vorliegenden Verpflichtungsklage maßgeblichen Zeitpunktes der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz zu berücksichtigen ist (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 54 Rz. 34), liegt eine durch die versicherte Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastung herbeigeführte Gonarthrose sogar erst vor, wenn chronische Kniegelenksbeschwerden, Funktionsstörungen bei der standardisierten klinisch-orthopädischen Untersuchung und die röntgenologische Diagnose einer Gonarthrose entsprechend einem Grad 2 bis 4 der spezifizierten Klassifikation von Kellgren et al. objektiviert worden sind; als Funktionsstörung muss eine Bewegungseinschränkung in Form einer eingeschränkten Streckung und/oder Beugung im Kniegelenk, ein Kniegelenkserguss, eine Kapselentzündung mit Verdickung oder Verplumpung der Gelenkkontur, eine Krepitation bei der Gelenkbewegung, ein hinkendes Gangbild oder eine Atrophie der Oberschenkelmuskulatur festgestellt sein. Diesen Maßstab legt der Senat aufgrund der Begutachtungsempfehlung für die Berufskrankheit Nr. 2112 (Gonarthrose) der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e. V., Stand: 3. Juni 2014 (im Internet unter „www.dguv.de/medien/inhalt/versicherung/bk/empfehlungen/Begutachtung-BK2112-Stand-20140613.pdf“), zugrunde, welche von einem interdisziplinären Arbeitskreis, zu dem auch der Sachverständige Prof. Dr. Sch. gehört hat, erstellt worden sind. Die Kriterien „chronische Kniegelenksbeschwerden, Funktionsstörungen bei der orthopädischen Untersuchung in Form einer eingeschränkten Streckung oder Beugung im Kniegelenk und die röntgenologische Diagnose einer Gonarthrose entsprechend einem Grad 2 bis 4 der spezifizierten Klassifikation von Kellgren et al.“ ist bereits nach dem Merkblatt zur Berufskrankheit nach Nr. 2112 der Anlage 1 zur BKV (Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 30. Dezember 2009 - IVa 4-45222-2112 -, GMBl 5/6/2010, S. 98 ff.) gefordert worden. Der Sachverständige Prof. Dr. Sch. geht vor diesem Hintergrund von einer objektivierten Gonarthrose im rechten Kniegelenk im Jahre 2006 aus, wohingegen der Senat zu der Überzeugung gelangt ist, dass diese bereits am 22. September 2005 nachgewiesen worden ist. Nach dem im Wege des Urkundenbeweises (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 415 ff. Zivilprozessordnung - ZPO) verwerteten Befundbericht von Dr. R., der infolge eines an diesem Tag erstellten MRT verfasst worden ist, wurden eine mediale Gonarthrose mit dritt- bis viertgradigem Knorpelschaden femoral und tibial, ein deutliches Knochenmarködem in den benachbarten Partien femoral und tibial, ein retropatellarer Knorpelschaden craniomedial sowie ein Status nach Dehnung des Retinaculum patellae mediale mit teils aufgefaserten Strukturen festgestellt. Dr. L. hatte bereits zuvor, am 6. September 2005 und bei bereits bestehenden chronischen Kniegelenksbeschwerden, einen deutlichen Kniegelenkserguss und eine endgradige Bewegungseinschränkung bei der Streckung objektiviert, wobei der Senat zugunsten des Klägers davon ausgeht, dass diese Funktionsstörungen wegen der arthrotischen Veränderungen bestanden haben und nicht auf das Unfallereignis vom 29. August 2005 zurückzuführen gewesen sind. Der Versicherungsfall im Sinne des § 212 SGB VII ist damit jedenfalls weit nach dem 31. Dezember 1996 eingetreten. Offen bleiben kann, ob § 9 Abs. 5 SGB VII entsprechende Anwendung findet. Soweit danach Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für die Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen (vgl. Köhler, in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB VII, Stand: Mai 2011, § 212 Rz. 5; Söhngen, in jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 212 Rz. 11). Auch diese Voraussetzungen lägen frühestens zum Zeitpunkt des Nachweises der Gonarthrose vor.
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Nach § 9 Abs. 2 SGB VII haben die Trägerinnen der gesetzlichen Unfallversicherung eine Krankheit, die nicht in der BKV bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII erfüllt sind (sog. „Öffnungsklausel“ für Wie-Berufskrankheiten). Mit § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII hat der Gesetzgeber das "Listensystem" als Grundprinzip des Rechts der Berufskrankheiten der gesetzlichen Unfallversicherung festgelegt. Mit der Einführung der Wie-Berufskrankheit in § 551 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 30. April 1963 (BGBl I S. 241), also der Vorgängervorschrift zu § 9 Abs. 2 SGB VII, wurde eine Ausnahme vom Listenprinzip nur für den Fall zugelassen, dass der Verordnungsgeber wegen der regelmäßig notwendigen mehrjährigen Intervalle zwischen den Anpassungen der BKV an die neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht rechtzeitig tätig wird (vgl. BSG, Urteil vom 25. August 1994 - 2 RU 42/93 -, BSGE 75, 51 <54>). Sinn des § 9 Abs. 2 SGB VII ist es, ausnahmsweise vom Listensystem abweichen zu können, um solche durch die Arbeit verursachten Krankheiten wie eine Berufskrankheit zu entschädigen, die nur deshalb nicht in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen worden sind, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen in ihrer Arbeit bei der letzten Fassung der Liste noch nicht vorhanden waren oder vom Verordnungsgeber nicht hinreichend berücksichtigt wurden (vgl. BSG, Urteil vom 4. August 1981 - 5a/5 RKnU 1/80 -, SozR 2200 § 551 Nr. 18, S. 27). Im Falle des Klägers fehlt es an der sachlichen Anwendungsvoraussetzung der Regelung zur Feststellung einer Wie-Berufskrankheit, denn die Gonarthrose ist in der BKV bezeichnet, die dort bestimmten Voraussetzungen liegen vor und die Feststellung als Listen-Berufskrankheit ist vorliegend nicht grundsätzlich ausgeschlossen.
54 
Die Gonarthrose ist durch die Zweite Verordnung zur Änderung der BKV vom 11. Juni 2009 (BGBl I S. 1273) mit Wirkung zum 1. Juli 2009 als Nr. 2112 in die Liste der Berufskrankheiten (§ 1 BKV i. V. m. Anlage 1) aufgenommen worden. Sie ist bezeichnet als „Gonarthrose durch eine Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastung mit einer kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde pro Schicht“. Die in dieser Listen-Berufskrankheit bestimmten, also dort benannten Voraussetzungen liegen vor. Denn der Kläger war während seiner versicherten beruflichen Tätigkeit von April 1963 bis Juni 1968 und von Januar 1970 bis November 1974 als Beschäftigter nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII sowie aufgrund der freiwilligen Versicherung (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VII) während seiner selbstständigen Tätigkeit von Januar 1975 bis Mitte August 2007 durch eine Tätigkeit im Knien oder eine vergleichbare Kniebelastung einer kumulativen Einwirkungsdauer von 32.442 Stunden ausgesetzt, wobei die Mindesteinwirkungsdauer von einer Stunde je Arbeitsschicht erfüllt war. Hierfür stützt sich der Senat auf die vom Mitarbeiter des Präventionsdienstes der Beklagten Sch. erstellte Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition von Ende Februar 2013, welcher ein von ihm erstelltes Gesprächsprotokoll vom 14. Februar 2013 nach einer persönlichen Unterredung mit dem Kläger an dessen Wohnort einen Tag zuvor zugrunde liegt, das diesem übersandt und am 24. Februar 2013 von ihm unterschrieben worden war. Danach wurden Tätigkeiten als Zimmerer und Dachdecker vollzeitig und an ständig wechselnden Arbeitsplätzen ausgeübt. Von Anfang an wurden während der kalten Jahreszeit keine Mitarbeitenden entlassen, vielmehr führten diese dann Arbeiten in Innenräumen aus. Hierbei handelte es sich um die Parkettverlegung und den Dachgeschossausbau im Trockenbau.Der Bereich der Außenarbeiten umfasste die Zimmerei und Dachdeckerei. Reine Zimmererarbeiten, wie der Abbund und das ausschließliche Aufrichten von etwa Dachstühlen oder Gauben, wurden anfangs nur ausnahmsweise ausgeführt. Hölzer wurden überwiegend fertig abgebunden bezogen. Zum Dachdeckerhandwerk bestanden Überschneidungen. Es wurden Dachstühle aufgerichtet, aber auch die Lattung und Dämmung angebracht. Anschließend erfolgte die Eindeckung mit Dachpfannen und Biberschwanzziegeln (jeweils 50 %), bei größeren Gehöften, Scheunen oder Hallendächern wurden Wellasbestzementplatten verwendet. Flachdächer wurden nicht gedeckt. Es wurden ausschließlich Steildächer bearbeitet. Zum Bereich der Innenarbeiten gehörten die Parkettverlegung und der Innenausbau im Dachgeschoss. Es wurden Stab- und Mosaikparkette im Verhältnis 70 % zu 30 % verlegt, daneben Dielen, Ausgleichsschüttungen, Trittschalldämmungen und Estrichelemente. Das Verhältnis der beiden beschriebenen Bereiche, also von Außen- und Innenarbeiten, betrug, bezogen auf die Arbeitsschichten, etwa 60 % zu 40 %. Von Montag bis Freitag wurde üblicherweise 10 Stunden täglich gearbeitet. An jedem zweiten Samstag wurden die Tätigkeiten auftragsbedingt ebenfalls ausgeübt. Der Kläger war immer aktiv auf den Baustellen tätig, führte also während der regulären Arbeitszeit keine administrativen Tätigkeiten oder Büroarbeiten aus. Diese wurden an den Wochenenden und nach Feierabend erledigt. Der Mitarbeiter des Präventionsdienstes der Beklagten Sch. ist auf dieser Grundlage für den Senat nachvollziehbar von 240 Arbeitsschichten je Zeitjahr ausgegangen. Der Kläger selbst ist damals zu einer nahezu identischen Einschätzung gekommen, wobei er etwa 32 Wochen für die Außen- und 16 Wochen für die Innenarbeiten annahm, woraus sich ein Verhältnis von etwa 2/3 zu 1/3 ergibt. Im Wesentlichen waren die Tätigkeitsinhalte über die Zeit von April 1963 bis Juni 1968 und Januar 1970 bis Mitte August 2007 hinweg vergleichbar, so dass die einzelnen Beschäftigungsabschnitte einheitlich bewertet werden können. Die prozentuale Aufsplittung der Einzeltätigkeiten stellt sich zusammenfassend und gerundet daher wie folgt dar: Außenarbeiten, 60 % der Schichten: Steildach einlatten = 10 % der Schichten = 14 Schichten, Steildach dämmen = 50 % der Schichten = 72 Schichten, Steildach eindecken mit Dachpfannen = 10 % der Schichten = 15 Schichten, Steildach eindecken mit Biberschwanzziegeln = 10 % der Schichten = 15 Schichten, Wellplattenmontage = 10 % der Schichten = 14 Schichten und Zimmerei (Abbund und Aufrichten) = 10 % der Schichten = 14 Schichten sowie Innenarbeiten, 40 % der Schichten: Stabparkett verlegen = 21 % der Schichten = 20 Schichten, Mosaikparkett verlegen = 9 % der Schichten = 9 Schichten, schleifen und verkitten = 10 % der Schichten = 10 Schichten, Dielenboden verlegen = 10 % der Schichten = 10 Schichten und Trittschalldämmung verlegen, auch Schüttung, Holzfaserplatten und Estrichelemente = 50 % der Schichten = 47 Schichten. Hieraus ergibt sich zur Überzeugung des Senats nachvollziehbar eine durch die Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastung kumulative Einwirkungsdauer von 32.442 Stunden. Gestützt auf den IFA-Report, Ausgabe 1/2010 ist hiernach zudem plausibel eine die Knie betreffende Mindesteinwirkungsdauer von sogar mehr als einer Stunde je Arbeitsschicht ermittelt worden.
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Die Feststellung als Listen-Berufskrankheit ist vorliegend wegen § 6 Abs. 2 Satz 1 BKV in der Fassung der Zweiten Verordnung zur Änderung der BKV vom 11. Juni 2009 (BGBl I S. 1273) nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Leiden danach Versicherte am 1. Juli 2009 an einer Krankheit unter anderem nach Nr. 2112 der Anlage 1 zur BKV, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 30. September 2002 eingetreten ist. Der Kläger leidet bis heute im rechten Kniegelenk an einer Gonarthrose im Sinne dieser Listen-Berufskrankheit. Der Versicherungsfall ist, wie zuvor ausgeführt, erst am 22. September 2005 eingetreten. Der Kläger ist folglich nach der Stichtagsregelung des § 6 Abs. 2 Satz 1 BKV, bei der es sich um eine unechte Rückwirkung (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 7. Dezember 2010 - 1 BvR 2628/07 -, BVerfGE 128, 90 <107>) beziehungsweise tatbestandliche Rückanknüpfung (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 11. Juli 2013 - 2 BvR 2302/11 u. a. -, juris, Rz. 72) handelt, die Norm also auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt, nicht von der noch möglichen Anerkennung als Listen-Berufskrankheit ausgeschlossen. Damit behält der Vorrang der allgemeinen Regelung des § 9 Abs. 1 SGB VII in Verbindung mit § 1 BKV und der Anlage 1 hierzu, unter Einschluss der Rückwirkungsanordnung, weiter Geltung (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 9. Oktober 2010 - 1 BvR 791/95 -, juris, Rz. 28). Dieser Vorrang kommt zwar trotz des bei der Verpflichtungsklage maßgeblichen Zeitpunktes der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage wegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 22. Oktober 1981 - 1 BvR 1369/79 - BVerfGE 58, 369 zur Auslegung der Regelungen über die Anerkennung von Berufskrankheiten), unter Beachtung des allgemeinen Grundsatzes des Verwaltungsverfahrensrechts, wonach die Trägerinnen der gesetzlichen Unfallversicherung zügig zu entscheiden haben, nicht zum Tragen, wenn von diesen eine Verwaltungsentscheidung zu einer Wie-Berufskrankheit im Hinblick darauf zurückgestellt worden ist, dass eine Änderung der BKV in Sicht ist (BVerfG, a. a. O., Rz. 29), oder sie ein Begehren auf Feststellung als Wie-Berufskrankheit mit dem Hinweis auf eine in Aussicht stehende Änderung der BKV abgelehnt haben (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 23. Juni 2005 - 1 BvR 235/00 -, juris, Rz. 21). Die Beklagte hat indes die Verwaltungsentscheidung über die ihr von Dr. B. im August 2007 angezeigte mögliche Gonarthrose als Berufskrankheit weder im Hinblick darauf zurückgestellt, dass die Zweite Verordnung zur Änderung der BKV vom 11. Juni 2009 (BGBl I S. 1273) in Sicht ist, noch die Ablehnung unter Hinweis auf diese in Aussicht stehende Änderung der BKV abgelehnt. Die Beklagte hat demgegenüber mit dem angefochtenen Bescheid vom 8. Oktober 2009 sogar nach Inkrafttreten der Neuregelungen, abgestellt auf den Zeitpunkt der Meldung der Erkrankung vor dem Stichtag, über die begehrte Feststellung als Wie-Berufskrankheit entschieden und diese mit der Begründung abgelehnt, nicht versicherte Faktoren seien ursächlich für die Gonarthrose gewesen die berufliche Belastung sei in den Hintergrund getreten. Eine unsachgemäße Verzögerung des Verwaltungsverfahrens durch die Beklagte liegt ebenfalls nicht vor. Sie hat nach der hausärztlichen Anzeige der Berufskrankheit sogleich die medizinischen Befundunterlagen, die bis dahin wegen des Arbeitsunfalls vom 29. August 2005, bei dem ebenfalls das rechte Knie betroffen war, vorgelegen haben, zu dem Verfahren wegen der Feststellung einer Berufskrankheit herangezogen, Dr. B. und Dr. L. ergänzend befragt, ein Vorerkrankungsverzeichnis der IKK Baden-Württemberg beigezogen sowie anschließend das nach dem in Bezug auf das Unfallereignis ergangenen Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 2007 angestrengte Klageverfahren beim SG Konstanz, welches mit Urteil vom 24. Juni 2009 endete und in welchem weitere medizinische Beweiserhebungen vorgenommen wurden, abgewartet. Daraufhin hat sie von Dr. K. eine Anfang September 2009 vorgelegte beratungsärztliche Stellungnahme eingeholt und die am Ende dieses Monats eingegangene Mitteilung des Regierungspräsidiums Stuttgart, wonach keine gewerbeärztliche Befassung erfolgen werde, abgewartet, um schließlich, ohne dass der Kläger im gesamten Verfahren auf eine frühere Entscheidung hingewirkt hat, mit Bescheid vom 8. Oktober 2009 über sein Begehren zu entscheiden. Dem steht die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht entgegen. Zwar hat dieses in seinem Urteil vom 27. Juni 2006 (B 2 U 5/05 R -, BSGE 96, 297) nicht mehr an seiner bisherigen Rechtsprechung festgehalten, wonach die Anwendung des § 551 Abs. 2 RVO ausnahmslos dann ausgeschlossen war, wenn der Verordnungsgeber die einschlägige Erkrankung in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen hat (Urteil vom 24. Februar 2000 - B 2 U 43/98 R -, SozR 3-2200 § 551 Nr. 14). Die Einschränkung bezog sich indes auf Versicherungsfälle außerhalb eines Rückwirkungszeitraumes, nicht, wie vorliegend, innerhalb eines solchen liegende. Dem Urteil des BSG vom 2. Dezember 2008 (B 2 KN 1/08 U R -, BSGE 102, 121) lag ein Antrag auf Überprüfung eines Bescheides vom 5. Juli 1996, mit dem die Anerkennung einer Atemwegserkrankung unter anderem als Wie-Berufskrankheit nach § 551 Abs. 2 RVO abgelehnt worden war, im Wege des Zugunstenverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch zugrunde. Maßgeblich in diesem Verfahren war also nach dieser materiell-rechtlichen Regelung insbesondere, ob bei Erlass dieses zu überprüfenden Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt worden war. Zu diesem Zeitpunkt war die Erkrankung aber noch nicht in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen worden, was erst durch die BKV vom 31. Oktober 1997 (BGBl I S. 2623) mit Wirkung zum 1. Dezember 1997 erfolgte. Ein Anwendungsvorrang der Listen-Berufskrankheit stellte sich somit überhaupt nicht. Der in dieser Entscheidung formulierte Rechtssatz, wonach diese BKV erst ab dem Tag ihres Inkrafttretens Rechtswirkungen entfaltet und für die Rechtslage davor, wenn die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Wie-Berufskrankheit vorgelegen haben, aus ihr keine Rechtsfolgen hergeleitet werden können (vgl. auch LSG für das Saarland, Urteil vom 23. Mai 2012 - L 2 U 52/09 WA -, juris, Rz. 28), war demzufolge nicht tragend, soweit er so verstanden werden sollte, dass eine geänderte BKV nur nach ihrem Inkrafttreten eintretende Versicherungsfälle erfasst (vgl. hierzu Römer, a. a. O., Stand: Mai 2015, § 6 BKV, Rz. 9). Damit weicht der Senat nicht von einer Entscheidung des BSG ab.
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Darüber hinaus steht zur Überzeugung des Senats nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit fest, dass es durch die versicherten Tätigkeiten im Knien oder eine vergleichbare Kniebelastung zu einer Einwirkungen auf das rechte Kniegelenk gekommen ist, welche die Gonarthrose im rechten Kniegelenk herbeigeführt hat.
57 
Für die Feststellung einer Wie-Berufskrankheit ist wie bei einer Listen-Berufskrankheit Voraussetzung, dass im Einzelfall eine berufsbedingte Einwirkung die rechtlich wesentliche Ursache einer nicht in der Liste der Berufskrankheiten bezeichneten Krankheit ist (vgl. Urteil des Senats vom 26. März 2015 - L 6 U 1017/13 -, juris, Rz. 50; Römer, in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB VII, Stand: Juli 2015, § 9 Rz. 38a). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 23. April 2015 - B 2 U 10/14 R -, juris, Rz. 11 m. w. N., zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen). Da die R.ung des § 9 Abs. 2 SGB VII keinen Auffangtatbestand und keine allgemeine Härteklausel beinhaltet (BSG, Urteile vom 20. Juli 2010 - B 2 U 19/09 R -, juris, Rz. 19 m. w. N. und 13. Februar 2013 - B 2 U 33/11 R -, SozR 4-2700 § 9 Nr. 21, Rz. 17; vgl. auch BSG, Urteil vom 4. Juni 2002 - B 2 U 20/01 R -, juris, Rz. 20 zu § 551 Abs. 2 RVO), darf die Anerkennung einer Wie-Berufskrankheit darüber hinaus nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der Berufskrankheiten erfüllt sind, der Verordnungsgeber sie also als neue Listen-Berufskrankheit in die BKV einfügen dürfte, aber noch nicht tätig geworden ist (vgl. BT-Drucks 13/2204, S. 77 f.), also der generelle Ursachenzusammenhang gegeben ist (vgl. Römer, a. a. O., Rz. 39). Die Anerkennung einer Wie-Berufskrankheit knüpft an dieselben materiellen Voraussetzungen an, die der Verordnungsgeber auch nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII für die Aufnahme einer Erkrankung in die Liste zu beachten hat.
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Dahinstehen kann, ob, wovon das SG Ulm ausgegangen ist, der Listen-Berufskrankheit nach Nr. 2112 der Anlage 1 zur BKV „harte“ Kriterien, die vorliegend im Vollbeweis vorliegen, zu entnehmen sind, und sich hieraus eine tatsächliche Vermutung des Ursachenzusammenhanges ergibt (vgl. BSG, Urteil vom 30. Januar 2007 - B 2 U 15/05 R -, SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 4104 Nr. 2, Rz. 24 zur Berufskrankheit nach Nr. 4104 der Anlage 1 zur BKV), welche auch auf die Gonarthrose als Wie-Berufskrankheit „zu übertragen“ ist (Hessisches LSG, Urteil vom 18. November 2011 - L 9 U 66/07 -, juris, Rz. 40). Denn selbst eine tatsächliche Vermutung ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme erschüttert und der Ursachenzusammenhang nicht nachgewiesen.
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Beim Vergleich der radiologischen Befunde liegt beim Kläger nach den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. Sch. im rechten Kniegelenk eine viertgradige Gonarthrose nach Kellgren et al. vor, demgegenüber links keine derartige nach diesem Bewertungsmaßstab maßgebliche Erkrankung. Dieser Sachverständige hat schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, dass bei einer solchen Befundkonstellation ein Ursachenzusammenhang zwischen der beruflichen kniebelastenden Tätigkeit und dieser Erkrankung nur bei einer besonderen Begründung und dem Nachweis einer einseitigen arbeitsbedingten Belastung gegeben ist, wenn also eine asymmetrische, beruflich bedingte Belastung der beiden Kniegelenke vorlag (vgl. Begutachtungsempfehlung für die Berufskrankheit Nr. 2112 der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e. V. vom 3. Juni 2014, S. 8; vgl. auch die Entscheidung des Senats vom 26. November 2015 - L 6 U 2782/15 -, juris, Rz. 48 zu einem asymmetrischen Schadensbild bei der Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV). Davon ist der Senat auch nach den Angaben des Klägers im Berufungsverfahren nicht überzeugt. Zuletzt hat er vorgetragen, er habe während seiner beruflichen Tätigkeit ganz überwiegend Steildächer mit Biberschwanzziegeln eingedeckt, welche insgesamt, bezogen auf mehr als zwanzig benannte Objekte, mindestens eine Fläche von 5.210 m² umfasst hätten. Hierbei habe es sich allein um die Projekte gehandelt, welche ihm spontan erinnerlich gewesen seien. Während der Ausbildungs- und sonstigen Arbeitszeit seien noch zahlreiche weitere derartige Dächer eingedeckt worden. Tatsächlich habe es sich um das Doppelte, wenn nicht sogar ein Vielfaches dieser Quadratmeterzahl gehandelt. Weder nach dem SGG noch nach der ZPO gibt es zwar eine Beweisregelung in dem Sinne, dass frühere Aussagen oder Angaben grundsätzlich einen höheren Beweiswert besitzen als spätere; im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 286 ZPO) sind vielmehr alle Aussagen, Angaben und sonstigen Einlassungen zu würdigen. Gleichwohl kann das Gericht im Rahmen der Gesamtwürdigung den zeitlich früheren Aussagen aufgrund der Gesichtspunkte, dass die Erinnerung hierbei noch frischer war und sie von irgendwelchen Überlegungen, die darauf abzielen, das Klagebegehren zu begünstigen, noch unbeeinflusst waren, einen höheren Beweiswert als den späteren zumessen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2003 - B 2 U 41/02 R -, SozR 4-2700 § 4 Nr. 1, Rz. 12; Urteile des Senats vom 12. August 2014 - L 6 VH 5821/10 ZVW - juris, Rz. 144 und vom 21. Mai 2015 - L 6 U 1053/15 -, juris, Rz. 34). Hiervon geht der Senat vorliegend in Bezug auf die Angaben aus, welche sich nach der Stellungnahme des Mitarbeiters des Präventionsdienstes der Beklagten Sch. zur Arbeitsplatzexposition von Ende Februar 2013 ergeben haben, der ein von ihm erstelltes Gesprächsprotokoll vom 14. Februar 2013 nach einer persönlichen Unterredung mit dem Kläger an dessen Wohnort einen Tag zuvor zugrunde liegt, das diesem übersandt und am 24. Februar 2013 von ihm unterschrieben worden war. Danach nahm die Einzeltätigkeit „Steildach eindecken mit Biberschwanzziegeln“ 10 % der Schichten ein; ausgehend von 240 Arbeitsschichten je Jahr und einer Gewichtung der Außen- zu den Innenarbeiten mit 60 % zu 40 % aufgerundet 15 Schichten. Mit einem Anteil von weniger als 7 % der Jahresarbeitsschichten (15 von 240 Schichten) hatte diese Tätigkeit somit eine nur untergeordnete Bedeutung, wodurch eine einseitig arbeitsbedingte Belastung nicht nachgewiesen ist. Das Abweichen nach dem Kellgren-Lawrence-Score von vier Grad zwischen dem rechten und linken Kniegelenk erklärt sich dadurch nicht. Darüber hinaus bieten Biberschwanzziegel mit steigender Dachneigung gegenüber anderen Dachziegeltypen zwar schlechtere Standbedingungen, weshalb das Eindecken insoweit in weitaus größerem Maße im Knien durchgeführt wird. In den Untersuchungen konnte indes lediglich häufig und nicht immer auch das einbeinige Knien auf der Dachfläche beobachtet werden. Der Kläger hat in Bezug darauf im gesamten Verfahren weder konkrete Angaben zu den Dachneigungen gemacht, bei denen er Biberschwanzziegel eindeckte, noch in welchem Umfang er dabei einseitig rechts kniete. Das von ihm in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Lichtbild zeigt ihn nicht rechts-, sondern linkskniend. Soweit der Sachverständige Dr. Pf. aus dem Umstand der Rechtshändigkeit des Klägers geschlossen hat, dass es hierdurch zu einer vermehrten Belastung des rechten Kniegelenkes gekommen ist, handelt es sich um eine für ihn plausible Erklärung eines möglichen Bewegungsablaufes, ohne dass damit für den Senat der Nachweis erbracht ist, zumal der Kläger selbst den Arbeitsvorgang nie so beschrieben hat und das von ihm in die mündliche Verhandlung mitgebrachte Foto ihn demgegenüber linkskniend zeigt. Die Tätigkeiten als Zimmermann mögen als solche einseitig kniende Arbeitsabläufe enthalten, wie der Sachverständige Dr. M. dargelegt hat. Der konkret beim Kläger nachgewiesene Umfang belegt indes keine überwiegend einseitige, das rechte Kniegelenk belastenden Tätigkeiten.
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Zudem spricht die Zeitspanne zwischen dem Erreichen der kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde je Schicht einerseits sowie dem erstmaligen Nachweis der Gonarthrose nach einem Grad von mindestens 2 nach dem Kellgren-Lawrence-Score gegen einen Zusammenhang zwischen einer Einwirkung aufgrund der beruflichen kniebelastenden Tätigkeit und einer solchen Gonarthrose. Diese arbeitstechnischen Kriterien beruhen auf Erkenntnissen aus epidemiologischen Studien (vgl. hierzu und zum Folgenden BR-Drucks 242/09, S. 17). In der bislang größten zu dieser Thematik durchgeführten Fall-Kontroll-Studie zeigte sich bei einer Belastungsdauer von insgesamt rund 13.000 Stunden ein mehr als verdoppeltes, signifikant erhöhtes Gonarthroserisiko für Personen mit hoher beruflicher Exposition durch eine kniende oder hockende Tätigkeit. Auch für die Voraussetzung der mindestens einstündigen Kniegelenksbelastung je Schicht wurde die Verdoppelungsdosis in epidemiologischen Studien festgestellt. Prof. Dr. Sch. hat in Bezug darauf überzeugend ausgeführt, dass ein plausibler Zeitraum zwischen einer solchen Einwirkungsintensität und dieser Gesundheitsstörung anzunehmen ist, wenn, bei einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde je Schicht, zwischen dem Erreichen der 13.000 Stunden, was beim Kläger rechnerisch Ende 1981 der Fall gewesen ist, und dem erstmaligem Nachweis der Erkrankung maximal fünf Jahre liegen. Bei einem längeren Zeitraum ist der Ursachenzusammenhang umso unwahrscheinlicher, je größer die Spanne ist. Die Erkrankung nach einem Grad von mindestens 2 nach dem Kellgren-Lawrence-Score ist beim Kläger im September 2005 nachgewiesen worden, so dass mittlerweile sogar annähernd 24 Jahre vergangen gewesen sind. Auch aus Plausibilitätsgründen ist eine berufsbedingte Verursachung somit nicht wahrscheinlich, sonst hätte sich die berufliche Belastung früher in einem relevanten Schaden realisieren müssen.
61 
Dr. Pf. gelangt wie Dr. M. durch Ausschluss möglicher konkurrierender Ursachen zu dem Ergebnis, dass die Gonarthrose mit Wahrscheinlichkeit und in wesentlicher Weise durch die berufliche Tätigkeit des Klägers verursacht worden ist. Beide setzen sich indes darüber hinaus nicht in hinreichendem Maße mit dem deutlich unterschiedlichen Schadensbild im rechten und linken Kniegelenk sowie überhaupt nicht mit der Zeitspanne zwischen dem Erreichen der kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde je Schicht einerseits sowie dem erstmaligen Nachweis der Gonarthrose nach einem Grad von mindestens 2 nach dem Kellgren-Lawrence-Score andererseits auseinander. Beide Gutachten haben den Senat daher nicht überzeugt. Weder musste Dr. Pf. mit dem Gutachten von Prof. Dr. Sch. konfrontiert oder Letzterer ergänzend befragt, noch eine weitere, vom Kläger als Obergutachten bezeichnete Expertise in Auftrag geben werden, welche ohnehin keinen höheren Beweiswert als die bereits eingeholten sachverständigen Meinungen hätte (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 128 Rz. 7e). Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtensergebnisse gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst, welche ureigene Aufgabe eines Tatsachengerichts ist. Eine Verpflichtung zur Einholung eines weiteren Gutachtens besteht auch bei einander widersprechenden Gutachtensergebnissen im Allgemeinen nicht. Vielmehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen. Hält es eines von mehreren Gutachten für überzeugend, wie vorliegend dasjenige von Prof. Dr. Sch., darf es sich diesem anschließen, ohne ein weiteres einzuholen. Bei einer derartigen Fallgestaltung ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum (vgl. BSG, Beschlüsse vom 19. November 2007 - B 5a/5 R 382/06 B -, SozR 4-1500 § 160a Nr. 21, Rz. 8 und 12. Mai 2015 - B 9 SB 93/14 B -, juris, Rz. 6). Als Grund für eine Ausnahme ist zwar ein nicht lösbarer Widerspruch anerkannt, welcher indes nicht darin zu sehen ist, dass unterschiedliche Gutachtensergebnisse vorliegen. Für den Nachweis, dass der Kläger Steildächer mit einer von ihm konkretisierten Gesamtfläche von mindestens 5.210 m² mit Biberschwanzziegeln eindeckte, sind die Sachverständigen ohnehin kein geeignetes Beweismittel.
62 
Mangels hinreichender Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhanges der beruflich bedingten Einwirkungen auf die Knie des Klägers und der Gonarthrose, kommt es an sich von vornherein nicht darauf an, ob beim Kläger mit der Chondrokalzinose, den Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis, der kongenitalen tibiofemoralen Beinachse (Varusstellung), dem Übergewicht oder dem Unfallereignis vom 29. August 2005 konkurrierende Ursachen vorhanden sind, die ihrerseits zu der Gonarthrose geführt haben. Nach der überzeugenden Begründung von Prof. Dr. Sch. gilt eine Chondrokalzinose aber ohnehin nicht als konkurrierender Faktor für die Entstehung einer Gonarthrose. Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis sind zwar nach klinischer Erfahrung anzunehmen, als Ursache nach der Literatur aber derzeit nicht belegbar. Die kongenitale tibiofemorale Beinachse ist ebenfalls nicht als konkurrierender Faktor anzusehen. In dem Bericht von Dr. B. über eine Operation Ende September 2008 ist eine Varusstellung von 10° im rechten Kniegelenk erwähnt. Ganzbeinaufnahmen sind nicht angefertigt worden. Auf einer Röntgenaufnahme von April 2008 ist sogar keine varische Beinachse zu erkennen gewesen. Eine maximale Beinachsenfehlstellung um 10° wird üblicherweise als leichtgradige Fehlstellung bezeichnet, welche kein Ausschlusskriterium in diesem Zusammenhang darstellt (vgl. Urteil des Senats vom 26. November 2015 - L 6 U 2782/15 -, Rz. 50 zur Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV). Übergewicht gilt zwar als wissenschaftlich gesicherte Alternativursache. Allerdings besteht für die Adipositas eine epidemiologische Evidenz für ein multiplikatives Zusammenwirken mit den arbeitsbedingten Belastungen. Nach der wissenschaftlichen Begründung ist die vorliegend zu beurteilende Berufskrankheit bei gegebenen arbeitstechnischen Voraussetzungen und einem geeigneten Krankheitsbild auch bei adipösen Menschen anzuerkennen. Nach dem Akteninhalt sind hinsichtlich Körpergröße und -gewicht des Klägers ab 1991 sowie vor dem Unfallereignis im Jahre 2005 Werte zwischen 105 kg und 113 kg dokumentiert. Bei der gutachterlichen Untersuchung durch Dr. Pf. Anfang August 2010 ist das Körpergewicht mit 110 kg festgestellt worden. Die Behauptung des Klägers im Berufungsverfahren, wonach es erst nach seiner Heirat im Jahre 1979 zu einer Gewichtszunahme gekommen sei, als er die berufliche Tätigkeit reduziert und schließlich eingestellt habe, frühestens also nach dem Unfall im Jahre 2005, was er in der mündlichen Verhandlung mittels Vorlage von Fotos von ihm zu untermauern versucht hat, ist damit allerdings widerlegt. Dr. K. weist zwar in seinen beratungsärztlichen Stellungnahmen von September und November 2010 unter Bezugnahme auf die biomechanische Plausibilität darauf hin, bei einem belastungskonformen Schadensbild der vorliegend zu prüfenden Berufskrankheit sei zu erwarten, dass der Knorpelschaden im Patellofemoralgelenk beginne und sich von dort aus gegebenenfalls in das Kniehauptgelenk ausdehne. Der Knorpelschaden müsse danach in erster Linie und vorauseilend im Patellofemoralgelenk vorhanden sein. Die ursprüngliche Arbeitshypothese des interdisziplinären Arbeitskreises, welcher die Begutachtungsempfehlung für die Berufskrankheit nach Nr. 2112 der Anlage 1 zur BKV erarbeitet hat, nach der mit einem Beginn des Knorpelaufbrauches in erst Linie patellofemoral und in den dorsalen Kniegelenksanteilen sowie mit einem selektiven Aufbrauch der Meniskushinterhörner als möglichem Initialstadium zu rechnen sei, hat sich durch die bislang vorliegenden Forschungsergebnisse indes nicht belegen lassen (vgl. die Empfehlung auf S. 9). Anders als Prof. Dr. Sch., Dr. Pf. und Dr. M. geht der Senat darüber hinaus nur von der Möglichkeit aus, dass die Veränderungen im rechten Kniegelenk, also auch die arthrotischen, hauptsächlich durch das Unfallereignis vom 29. August 2005 mit verbliebener Instabilität nach stattgehabter Kreuzbandverletzung bedingt gewesen sind.
63 
Nach alledem war der Berufung der Beklagten stattzugeben und das erstinstanzliche Urteil aufzuheben.
64 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
65 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

(1) Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Die Vorschriften über Urteile gelten entsprechend.

(2) Die Beteiligten können innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids das Rechtsmittel einlegen, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Ist die Berufung nicht gegeben, kann mündliche Verhandlung beantragt werden. Wird sowohl ein Rechtsmittel eingelegt als auch mündliche Verhandlung beantragt, findet mündliche Verhandlung statt.

(3) Der Gerichtsbescheid wirkt als Urteil; wird rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt, gilt er als nicht ergangen.

(4) Wird mündliche Verhandlung beantragt, kann das Gericht in dem Urteil von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Gerichtsbescheids folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.

(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, daß die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind. In der Rechtsverordnung kann ferner bestimmt werden, inwieweit Versicherte in Unternehmen der Seefahrt auch in der Zeit gegen Berufskrankheiten versichert sind, in der sie an Land beurlaubt sind.

(1a) Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ein Ärztlicher Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten gebildet. Der Sachverständigenbeirat ist ein wissenschaftliches Gremium, das das Bundesministerium bei der Prüfung der medizinischen Erkenntnisse zur Bezeichnung neuer und zur Erarbeitung wissenschaftlicher Stellungnahmen zu bestehenden Berufskrankheiten unterstützt. Bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wird eine Geschäftsstelle eingerichtet, die den Sachverständigenbeirat bei der Erfüllung seiner Arbeit organisatorisch und wissenschaftlich, insbesondere durch die Erstellung systematischer Reviews, unterstützt. Das Nähere über die Stellung und die Organisation des Sachverständigenbeirats und der Geschäftsstelle regelt die Bundesregierung in der Rechtsverordnung nach Absatz 1.

(2) Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind.

(2a) Krankheiten, die bei Versicherten vor der Bezeichnung als Berufskrankheiten bereits entstanden waren, sind rückwirkend frühestens anzuerkennen

1.
in den Fällen des Absatzes 1 als Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die Bezeichnung in Kraft getreten ist,
2.
in den Fällen des Absatzes 2 wie eine Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorgelegen haben; hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten eine Empfehlung für die Bezeichnung einer neuen Berufskrankheit beschlossen, ist für die Anerkennung maßgebend der Tag der Beschlussfassung.

(3) Erkranken Versicherte, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach Absatz 1 genannten Berufskrankheit ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, wird vermutet, daß diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist.

(3a) Der Unfallversicherungsträger erhebt alle Beweise, die zur Ermittlung des Sachverhalts erforderlich sind. Dabei hat er neben den in § 21 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Beweismitteln auch Erkenntnisse zu berücksichtigen, die er oder ein anderer Unfallversicherungsträger an vergleichbaren Arbeitsplätzen oder zu vergleichbaren Tätigkeiten gewonnen hat. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Ermittlungen zu den Einwirkungen während der versicherten Tätigkeit dadurch erschwert sind, dass der Arbeitsplatz des Versicherten nicht mehr oder nur in veränderter Gestaltung vorhanden ist. Die Unfallversicherungsträger sollen zur Erfüllung der Aufgaben nach den Sätzen 2 und 3 einzeln oder gemeinsam tätigkeitsbezogene Expositionskataster erstellen. Grundlage für diese Kataster können die Ergebnisse aus systematischen Erhebungen, aus Ermittlungen in Einzelfällen sowie aus Forschungsvorhaben sein. Die Unfallversicherungsträger können außerdem Erhebungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen durchführen.

(4) Besteht für Versicherte, bei denen eine Berufskrankheit anerkannt wurde, die Gefahr, dass bei der Fortsetzung der versicherten Tätigkeit die Krankheit wiederauflebt oder sich verschlimmert und lässt sich diese Gefahr nicht durch andere geeignete Mittel beseitigen, haben die Unfallversicherungsträger darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen. Die Versicherten sind von den Unfallversicherungsträgern über die mit der Tätigkeit verbundenen Gefahren und mögliche Schutzmaßnahmen umfassend aufzuklären. Zur Verhütung einer Gefahr nach Satz 1 sind die Versicherten verpflichtet, an individualpräventiven Maßnahmen der Unfallversicherungsträger teilzunehmen und an Maßnahmen zur Verhaltensprävention mitzuwirken; die §§ 60 bis 65a des Ersten Buches gelten entsprechend. Pflichten der Unternehmer und Versicherten nach dem Zweiten Kapitel und nach arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften bleiben hiervon unberührt. Kommen Versicherte ihrer Teilnahme- oder Mitwirkungspflicht nach Satz 3 nicht nach, können die Unfallversicherungsträger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder die Leistung einer danach erstmals festzusetzenden Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit oder den Anteil einer Rente, der auf eine danach eingetretene wesentliche Änderung im Sinne des § 73 Absatz 3 zurückgeht, bis zur Nachholung der Teilnahme oder Mitwirkung ganz oder teilweise versagen. Dies setzt voraus, dass infolge der fehlenden Teilnahme oder Mitwirkung der Versicherten die Teilhabeleistungen erforderlich geworden sind oder die Erwerbsminderung oder die wesentliche Änderung eingetreten ist; § 66 Absatz 3 und § 67 des Ersten Buches gelten entsprechend.

(5) Soweit Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen.

(6) Die Bundesregierung regelt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates

1.
Voraussetzungen, Art und Umfang von Leistungen zur Verhütung des Entstehens, der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens von Berufskrankheiten,
2.
die Mitwirkung der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen bei der Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind; dabei kann bestimmt werden, daß die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen berechtigt sind, Zusammenhangsgutachten zu erstellen sowie zur Vorbereitung ihrer Gutachten Versicherte zu untersuchen oder auf Kosten der Unfallversicherungsträger andere Ärzte mit der Vornahme der Untersuchungen zu beauftragen,
3.
die von den Unfallversicherungsträgern für die Tätigkeit der Stellen nach Nummer 2 zu entrichtenden Gebühren; diese Gebühren richten sich nach dem für die Begutachtung erforderlichen Aufwand und den dadurch entstehenden Kosten.

(7) Die Unfallversicherungsträger haben die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständige Stelle über den Ausgang des Berufskrankheitenverfahrens zu unterrichten, soweit ihre Entscheidung von der gutachterlichen Stellungnahme der zuständigen Stelle abweicht.

(8) Die Unfallversicherungsträger wirken bei der Gewinnung neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse insbesondere zur Fortentwicklung des Berufskrankheitenrechts mit; sie sollen durch eigene Forschung oder durch Beteiligung an fremden Forschungsvorhaben dazu beitragen, den Ursachenzusammenhang zwischen Erkrankungshäufigkeiten in einer bestimmten Personengruppe und gesundheitsschädlichen Einwirkungen im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit aufzuklären. Die Verbände der Unfallversicherungsträger veröffentlichen jährlich einen gemeinsamen Bericht über ihre Forschungsaktivitäten und die Forschungsaktivitäten der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Bericht erstreckt sich auf die Themen der Forschungsvorhaben, die Höhe der aufgewendeten Mittel sowie die Zuwendungsempfänger und Forschungsnehmer externer Projekte.

(9) Die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen dürfen zur Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind, Daten verarbeiten sowie zur Vorbereitung von Gutachten Versicherte untersuchen, soweit dies im Rahmen ihrer Mitwirkung nach Absatz 6 Nr. 2 erforderlich ist; sie dürfen diese Daten insbesondere an den zuständigen Unfallversicherungsträger übermitteln. Die erhobenen Daten dürfen auch zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren gespeichert, verändert, genutzt, übermittelt oder in der Verarbeitung eingeschränkt werden. Soweit die in Satz 1 genannten Stellen andere Ärzte mit der Vornahme von Untersuchungen beauftragen, ist die Übermittlung von Daten zwischen diesen Stellen und den beauftragten Ärzten zulässig, soweit dies im Rahmen des Untersuchungsauftrages erforderlich ist.

(1) Kraft Gesetzes sind versichert

1.
Beschäftigte,
2.
Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung in Betriebsstätten, Lehrwerkstätten, Schulungskursen und ähnlichen Einrichtungen,
3.
Personen, die sich Untersuchungen, Prüfungen oder ähnlichen Maßnahmen unterziehen, die aufgrund von Rechtsvorschriften zur Aufnahme einer versicherten Tätigkeit oder infolge einer abgeschlossenen versicherten Tätigkeit erforderlich sind, soweit diese Maßnahmen vom Unternehmen oder einer Behörde veranlaßt worden sind,
4.
behinderte Menschen, die in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen, bei einem anderen Leistungsanbieter nach § 60 des Neunten Buches oder in Blindenwerkstätten im Sinne des § 226 des Neunten Buches oder für diese Einrichtungen in Heimarbeit tätig sind,
5.
Personen, die
a)
Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens sind und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
b)
im landwirtschaftlichen Unternehmen nicht nur vorübergehend mitarbeitende Familienangehörige sind,
c)
in landwirtschaftlichen Unternehmen in der Rechtsform von Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften regelmäßig wie Unternehmer selbständig tätig sind,
d)
ehrenamtlich in Unternehmen tätig sind, die unmittelbar der Sicherung, Überwachung oder Förderung der Landwirtschaft überwiegend dienen,
e)
ehrenamtlich in den Berufsverbänden der Landwirtschaft tätig sind,
wenn für das Unternehmen die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft zuständig ist.
6.
Hausgewerbetreibende und Zwischenmeister sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
7.
selbständig tätige Küstenschiffer und Küstenfischer, die zur Besatzung ihres Fahrzeugs gehören oder als Küstenfischer ohne Fahrzeug fischen und regelmäßig nicht mehr als vier Arbeitnehmer beschäftigen, sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
8.
a)
Kinder während des Besuchs von Tageseinrichtungen, deren Träger für den Betrieb der Einrichtungen der Erlaubnis nach § 45 des Achten Buches oder einer Erlaubnis aufgrund einer entsprechenden landesrechtlichen Regelung bedürfen, während der Betreuung durch geeignete Tagespflegepersonen im Sinne von § 23 des Achten Buches sowie während der Teilnahme an vorschulischen Sprachförderungskursen, wenn die Teilnahme auf Grund landesrechtlicher Regelungen erfolgt,
b)
Schüler während des Besuchs von allgemein- oder berufsbildenden Schulen und während der Teilnahme an unmittelbar vor oder nach dem Unterricht von der Schule oder im Zusammenwirken mit ihr durchgeführten Betreuungsmaßnahmen,
c)
Studierende während der Aus- und Fortbildung an Hochschulen,
9.
Personen, die selbständig oder unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege tätig sind,
10.
Personen, die
a)
für Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts oder deren Verbände oder Arbeitsgemeinschaften, für die in den Nummern 2 und 8 genannten Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen Fällen mit schriftlicher Genehmigung von Gebietskörperschaften ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
b)
für öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften und deren Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen Fällen mit schriftlicher Genehmigung von öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
11.
Personen, die
a)
von einer Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts zur Unterstützung einer Diensthandlung herangezogen werden,
b)
von einer dazu berechtigten öffentlichen Stelle als Zeugen zur Beweiserhebung herangezogen werden,
12.
Personen, die in Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen oder im Zivilschutz unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen dieser Unternehmen einschließlich der satzungsmäßigen Veranstaltungen, die der Nachwuchsförderung dienen, teilnehmen,
13.
Personen, die
a)
bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten oder einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retten,
b)
Blut oder körpereigene Organe, Organteile oder Gewebe spenden oder bei denen Voruntersuchungen oder Nachsorgemaßnahmen anlässlich der Spende vorgenommen werden,
c)
sich bei der Verfolgung oder Festnahme einer Person, die einer Straftat verdächtig ist oder zum Schutz eines widerrechtlich Angegriffenen persönlich einsetzen,
d)
Tätigkeiten als Notärztin oder Notarzt im Rettungsdienst ausüben, wenn diese Tätigkeiten neben
aa)
einer Beschäftigung mit einem Umfang von regelmäßig mindestens 15 Stunden wöchentlich außerhalb des Rettungsdienstes oder
bb)
einer Tätigkeit als zugelassener Vertragsarzt oder als Arzt in privater Niederlassung
ausgeübt werden,
14.
Personen, die
a)
nach den Vorschriften des Zweiten oder des Dritten Buches der Meldepflicht unterliegen, wenn sie einer besonderen, an sie im Einzelfall gerichteten Aufforderung der Bundesagentur für Arbeit, des nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Zweiten Buches zuständigen Trägers oder eines nach § 6a des Zweiten Buches zugelassenen kommunalen Trägers nachkommen, diese oder eine andere Stelle aufzusuchen,
b)
an einer Maßnahme teilnehmen, wenn die Person selbst oder die Maßnahme über die Bundesagentur für Arbeit, einen nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Zweiten Buches zuständigen Träger oder einen nach § 6a des Zweiten Buches zugelassenen kommunalen Träger gefördert wird,
15.
Personen, die
a)
auf Kosten einer Krankenkasse oder eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der landwirtschaftlichen Alterskasse stationäre oder teilstationäre Behandlung oder stationäre, teilstationäre oder ambulante Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhalten,
b)
zur Vorbereitung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auf Aufforderung eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit einen dieser Träger oder eine andere Stelle aufsuchen,
c)
auf Kosten eines Unfallversicherungsträgers an vorbeugenden Maßnahmen nach § 3 der Berufskrankheiten-Verordnung teilnehmen,
d)
auf Kosten eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung, der landwirtschaftlichen Alterskasse oder eines Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung an Präventionsmaßnahmen teilnehmen,
16.
Personen, die bei der Schaffung öffentlich geförderten Wohnraums im Sinne des Zweiten Wohnungsbaugesetzes oder im Rahmen der sozialen Wohnraumförderung bei der Schaffung von Wohnraum im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 des Wohnraumförderungsgesetzes oder entsprechender landesrechtlicher Regelungen im Rahmen der Selbsthilfe tätig sind,
17.
Pflegepersonen im Sinne des § 19 Satz 1 und 2 des Elften Buches bei der Pflege eines Pflegebedürftigen mit mindestens Pflegegrad 2 im Sinne der §§ 14 und 15 Absatz 3 des Elften Buches; die versicherte Tätigkeit umfasst pflegerische Maßnahmen in den in § 14 Absatz 2 des Elften Buches genannten Bereichen sowie Hilfen bei der Haushaltsführung nach § 18 Absatz 5a Satz 3 Nummer 2 des Elften Buches.

(1a) Versichert sind auch Personen, die nach Erfüllung der Schulpflicht auf der Grundlage einer schriftlichen Vereinbarung im Dienst eines geeigneten Trägers im Umfang von durchschnittlich mindestens acht Wochenstunden und für die Dauer von mindestens sechs Monaten als Freiwillige einen Freiwilligendienst aller Generationen unentgeltlich leisten. Als Träger des Freiwilligendienstes aller Generationen geeignet sind inländische juristische Personen des öffentlichen Rechts oder unter § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes fallende Einrichtungen zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger oder kirchlicher Zwecke (§§ 52 bis 54 der Abgabenordnung), wenn sie die Haftpflichtversicherung und eine kontinuierliche Begleitung der Freiwilligen und deren Fort- und Weiterbildung im Umfang von mindestens durchschnittlich 60 Stunden je Jahr sicherstellen. Die Träger haben fortlaufende Aufzeichnungen zu führen über die bei ihnen nach Satz 1 tätigen Personen, die Art und den Umfang der Tätigkeiten und die Einsatzorte. Die Aufzeichnungen sind mindestens fünf Jahre lang aufzubewahren.

(2) Ferner sind Personen versichert, die wie nach Absatz 1 Nr. 1 Versicherte tätig werden. Satz 1 gilt auch für Personen, die während einer aufgrund eines Gesetzes angeordneten Freiheitsentziehung oder aufgrund einer strafrichterlichen, staatsanwaltlichen oder jugendbehördlichen Anordnung wie Beschäftigte tätig werden.

(3) Absatz 1 Nr. 1 gilt auch für

1.
Personen, die im Ausland bei einer amtlichen Vertretung des Bundes oder der Länder oder bei deren Leitern, Mitgliedern oder Bediensteten beschäftigt und in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 4 Absatz 1 Satz 2 des Sechsten Buches pflichtversichert sind,
2.
Personen, die
a)
im Sinne des Entwicklungshelfer-Gesetzes Entwicklungsdienst oder Vorbereitungsdienst leisten,
b)
einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst „weltwärts” im Sinne der Richtlinie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vom 1. August 2007 (BAnz. 2008 S. 1297) leisten,
c)
einen Internationalen Jugendfreiwilligendienst im Sinne der Richtlinie Internationaler Jugendfreiwilligendienst des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 20. Dezember 2010 (GMBl S. 1778) leisten,
3.
Personen, die
a)
eine Tätigkeit bei einer zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Organisation ausüben und deren Beschäftigungsverhältnis im öffentlichen Dienst während dieser Zeit ruht,
b)
als Lehrkräfte vom Auswärtigen Amt durch das Bundesverwaltungsamt an Schulen im Ausland vermittelt worden sind oder
c)
für ihre Tätigkeit bei internationalen Einsätzen zur zivilen Krisenprävention als Sekundierte nach dem Sekundierungsgesetz abgesichert werden.
Die Versicherung nach Satz 1 Nummer 3 Buchstabe a und c erstreckt sich auch auf Unfälle oder Krankheiten, die infolge einer Verschleppung oder einer Gefangenschaft eintreten oder darauf beruhen, dass der Versicherte aus sonstigen mit seiner Tätigkeit zusammenhängenden Gründen, die er nicht zu vertreten hat, dem Einflussbereich seines Arbeitgebers oder der für die Durchführung seines Einsatzes verantwortlichen Einrichtung entzogen ist. Gleiches gilt, wenn Unfälle oder Krankheiten auf gesundheitsschädigende oder sonst vom Inland wesentlich abweichende Verhältnisse bei der Tätigkeit oder dem Einsatz im Ausland zurückzuführen sind. Soweit die Absätze 1 bis 2 weder eine Beschäftigung noch eine selbständige Tätigkeit voraussetzen, gelten sie abweichend von § 3 Nr. 2 des Vierten Buches für alle Personen, die die in diesen Absätzen genannten Tätigkeiten im Inland ausüben; § 4 des Vierten Buches gilt entsprechend. Absatz 1 Nr. 13 gilt auch für Personen, die im Ausland tätig werden, wenn sie im Inland ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

(4) Familienangehörige im Sinne des Absatzes 1 Nr. 5 Buchstabe b sind

1.
Verwandte bis zum dritten Grade,
2.
Verschwägerte bis zum zweiten Grade,
3.
Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 2 des Ersten Buches)
der Unternehmer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner.

(1) Die Satzung kann bestimmen, daß und unter welchen Voraussetzungen sich die Versicherung erstreckt auf

1.
Unternehmer und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
2.
Personen, die sich auf der Unternehmensstätte aufhalten; § 2 Absatz 3 Satz 4 erster Halbsatz gilt entsprechend,
3.
Personen, die
a)
im Ausland bei einer staatlichen deutschen Einrichtung beschäftigt werden,
b)
im Ausland von einer staatlichen deutschen Einrichtung anderen Staaten zur Arbeitsleistung zur Verfügung gestellt werden;
Versicherungsschutz besteht nur, soweit die Personen nach dem Recht des Beschäftigungsstaates nicht unfallversichert sind,
4.
ehrenamtlich Tätige und bürgerschaftlich Engagierte,
5.
Kinder und Jugendliche während der Teilnahme an Sprachförderungskursen, wenn die Teilnahme auf Grund landesrechtlicher Regelungen erfolgt.

(2) Absatz 1 gilt nicht für

1.
Haushaltsführende,
2.
Unternehmer von nicht gewerbsmäßig betriebenen Binnenfischereien oder Imkereien und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
3.
Personen, die aufgrund einer vom Fischerei- oder Jagdausübungsberechtigten erteilten Erlaubnis als Fischerei- oder Jagdgast fischen oder jagen,
4.
Reeder, die nicht zur Besatzung des Fahrzeugs gehören, und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner.

(1) Auf schriftlichen oder elektronischen Antrag können sich versichern

1.
Unternehmer und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner; ausgenommen sind Haushaltsführende, Unternehmer von nicht gewerbsmäßig betriebenen Binnenfischereien, von nicht gewerbsmäßig betriebenen Unternehmen nach § 123 Abs. 1 Nr. 2 und ihre Ehegatten oder Lebenspartner sowie Fischerei- und Jagdgäste,
2.
Personen, die in Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften regelmäßig wie Unternehmer selbständig tätig sind,
3.
gewählte oder beauftragte Ehrenamtsträger in gemeinnützigen Organisationen,
4.
Personen, die in Verbandsgremien und Kommissionen für Arbeitgeberorganisationen und Gewerkschaften sowie anderen selbständigen Arbeitnehmervereinigungen mit sozial- oder berufspolitischer Zielsetzung (sonstige Arbeitnehmervereinigungen) ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
5.
Personen, die ehrenamtlich für Parteien im Sinne des Parteiengesetzes tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen.
In den Fällen des Satzes 1 Nummer 3 kann auch die Organisation, für die die Ehrenamtsträger tätig sind, oder ein Verband, in dem die Organisation Mitglied ist, den Antrag stellen; eine namentliche Bezeichnung der Versicherten ist in diesen Fällen nicht erforderlich. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 4 und 5 gilt Satz 2 entsprechend.

(2) Die Versicherung beginnt mit dem Tag, der dem Eingang des Antrags folgt. Die Versicherung erlischt, wenn der Beitrag oder Beitragsvorschuß binnen zwei Monaten nach Fälligkeit nicht gezahlt worden ist. Eine Neuanmeldung bleibt so lange unwirksam, bis der rückständige Beitrag oder Beitragsvorschuß entrichtet worden ist.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 29. Januar 2014 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr 2108 (BK 2108) der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).

2

Der im Jahre 1958 geborene Kläger absolvierte bis Mai 1977 eine Ausbildung zum Baufacharbeiter. Im Anschluss war er bis einschließlich 1997 als Eisenflechter und Zimmerer tätig. Diese Tätigkeiten gab er aufgrund einer Erkrankung seiner Wirbelsäule 1998 auf. Zu diesem Zeitpunkt bestand beim Kläger eine Chondrose Grad III mit Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 und eine altersuntypische Chondrose Grad I im Segment L4/L5.

3

Mit Bescheid vom 5.4.2006 und Widerspruchsbescheid vom 26.7.2006 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Gewährung von Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Die Wirbelsäulenerkrankung könne nicht als BK anerkannt werden, weil insbesondere die medizinischen Voraussetzungen für eine BK 2108 nicht vorlägen. Da in allen Wirbelsäulenabschnitten Verschleißerscheinungen bestünden, spreche das Schadensbild gegen eine berufliche Verursachung.

4

Das SG Chemnitz hat die Klagen mit Urteil vom 6.4.2011 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, beim Kläger bestehe zwar eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule bei L4/L5. Die Voraussetzungen für eine Anerkennung als BK lägen jedoch nach den Konsensempfehlungen (U. Bolm-Audorff et al, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheiten 2005/3, S 211, 214 ff) nicht vor. Das Sächsische LSG hat mit Urteil vom 29.1.2014 das Urteil des SG sowie die Bescheide der Beklagten aufgehoben und festgestellt, dass bei dem Kläger eine BK 2108 vorliege. Zur Begründung hat es ua ausgeführt, die bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule sei wesentlich durch die berufliche Einwirkung verursacht. Entsprechend den Konsensempfehlungen liege eine ausreichende Exposition für die Anerkennung einer BK 2108 vor. Der Ursachenzusammenhang zwischen dieser Belastung und der Wirbelsäulenerkrankung des Klägers sei zu bejahen. Konkurrierende Ursachen seien nicht ersichtlich. Das bei Aufgabe der beruflichen Tätigkeit bestehende Schadensbild entspreche der Konstellation B2 der Konsensempfehlungen, bei deren Vorliegen die Verursachung hinreichend wahrscheinlich sei. Es liege zum einen eine besonders intensive Belastung im Sinne des zweiten Zusatzkriteriums dieser Konstellation vor, weil im Hinblick auf die Entscheidung des BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - auf die Hälfte des Richtwertes von 25 Meganewtonstunden (MNh) nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) für die Lebensdosis für Männer in weniger als 10 Jahren und damit auf 12,5 MNh abzustellen sei. Dieser Wert sei in dem 10-Jahreszeitraum vom 1.6.1977 bis 31.5.1987 mit rund 15 MNh erreicht worden. Zum anderen bestehe beim Kläger auch eine Höhenminderung und ein Prolaps an mehreren Bandscheiben im Sinne des ersten Zusatzkriteriums der Konstellation B2 der Konsensempfehlungen, weil dieses Zusatzkriterium auch bei einem lediglich bisegmentalen Bandscheibenschaden erfüllt sei.

5

Die Beklagte rügt mit der vom Senat zugelassenen Revision die Verletzung des § 9 SGB VII iVm Nr 2108 der Anlage 1 zur BKV. Das Vorliegen einer BK 2108 könne nicht auf die Konstellation B2 der Konsensempfehlungen gestützt werden, weil der erforderliche wissenschaftliche Konsens nicht mehr vorliege. Divergierende Entscheidungen der LSGe zur Höhe des Richtwertes für die Lebensdosis als Indiz für eine besonders intensive Belastung im Sinne des zweiten Zusatzkriteriums zur Konstellation B2 der Konsensempfehlungen zeigten, dass hinsichtlich ihrer Anwendung nicht mehr von einem einheitlichen Meinungsstand ausgegangen werden könne. Die Konsensempfehlungen könnten deshalb nicht mehr als aktueller Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse betrachtet und die Anerkennung einer BK 2108 nicht mehr auf sie gestützt werden. Auch seien die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 2108 nicht gegeben.

6

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 29. Januar 2014 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 6. April 2011 zurückzuweisen.

7

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Er hält das Urteil des LSG für zutreffend. Das LSG habe seiner Entscheidung den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zum Ursachenzusammenhang bei einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule zugrunde gelegt. Dieser sei weiterhin den Konsensempfehlungen zur BK 2108 zu entnehmen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide der Beklagten das Vorliegen einer BK 2108 festgestellt.

10

Die erhobenen Klagen sind als Anfechtungsklage gegen die ablehnenden Entscheidungen verbunden mit der auf Feststellung einer BK gerichteten Feststellungsklage zulässig. Der Übergang im Berufungsverfahren von der zunächst erhobenen Verpflichtungs- auf eine Feststellungsklage war nach § 99 Abs 3 SGG zulässig(vgl BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - UV-Recht Aktuell 2012, 42 = NZS 2012, 151).

11

Der Rechtsstreit richtet sich nach den Vorschriften des SGB VII (§ 212 SGB VII),weil der Versicherungsfall erst nach Inkrafttreten des SGB VII eingetreten ist. Rechtsgrundlage für die Anerkennung der streitigen BK ist § 9 Abs 1 SGB VII iVm Nr 2108 der Anlage 1 zur BKV vom 31.10.1997 (BGBl I 2623), die lautet: "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können". Nach § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind BKen nur diejenigen Krankheiten, die durch die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als solche bezeichnet sind (sog Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist für die Feststellung einer Listen-BK erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) sowie, dass eine Krankheit vorliegt (dazu unter A). Des Weiteren muss die Krankheit durch die Einwirkungen verursacht sein (haftungsbegründende Kausalität; dazu unter B). Schließlich ist Anerkennungsvoraussetzung, dass der Versicherte deshalb seine Tätigkeit aufgeben musste sowie alle gefährdenden Tätigkeiten unterlässt (dazu unter C). Fehlt eine dieser Voraussetzungen, ist die BK nicht anzuerkennen (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 17). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK. Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 12; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4, RdNr 16 mwN; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 9/08 R - BSGE 103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr 14, RdNr 9 mwN; zuletzt BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - UV-Recht Aktuell 2012, 412; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - NZS 2012, 151; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 14). Diese Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 2108 sind hier erfüllt.

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A.1. Der Kläger war im Anschluss an seine Ausbildung zum Baufacharbeiter von September 1975 bis Mai 1977 bis einschließlich 1997 und auch darüber hinaus als Eisenflechter und Zimmerer beschäftigt. Er war damit "Versicherter" iS von § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII.

13

2. Nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) unterlag der Kläger während seiner versicherten Tätigkeit im Zeitraum vom 1.9.1975 bis 30.6.1998 einer kumulativen Einwirkungsbelastung in Form von Hebe- und Tragevorgängen von 31 MNh (zur Bestimmung des Ausmaßes der beruflichen Einwirkungen bei der BK 2108 vgl auch BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 17 f, sowie zur Feststellung der tatbestandlich vorausgesetzten Einwirkung in Form von Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 20/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

14

3. Diese Belastungen erfolgten - wie der Tatbestand der Nr 2108 voraussetzt - auch langjährig, nämlich von September 1975 bis jedenfalls Ende 1997 und damit 22 Jahre. Langjährig bedeutet, dass zehn Berufsjahre als im Durchschnitt untere Grenze der belastenden Tätigkeit zu fordern sind (so wörtlich das aktuelle Merkblatt 2108, BArbBl 2006, Heft 10, S 30, Abschnitt IV; vgl zum Merkmal "langjährig" bei der BK 2109 BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 15; s zur BK 2108 bereits BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 10; BSG vom 22.6.2004 - B 2 U 22/03 R - USK 2004-101; vgl auch: Römer in Hauck/Noftz, SGB VII, Anh zu K § 9 Anl zu BKV BK Nr 2108 - 2110 RdNr 7 mwN; "mindestens 10 Jahre" fordern Ricke in Kasseler Kommentar, Stand 5/2014, § 9 SGB VII RdNr 42; Mehrtens/Brandenburg, BKV, Stand 12/2013, M 2108 Anm 2.2.2).

15

4. Nach den weiteren Feststellungen des LSG litt der Kläger im Juli 1998 an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule. Es lag eine Chondrose Grad III mit Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 sowie eine Chondrose Grad I im Segment L4/L5 vor.

16

B. Im Ergebnis zu Recht hat das LSG den Ursachenzusammenhang zwischen gefährdenden Einwirkungen und der Bandscheibenerkrankung des Klägers bejaht. Für die Anerkennung einer BK ist neben der Kausalität zwischen versicherter Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen (Einwirkungskausalität) ein Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkungen und der Erkrankung erforderlich. Für die BK 2108 bedeutet dies, dass die Lendenwirbelsäulenerkrankung des Klägers durch langjähriges schweres Heben und Tragen bzw Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit verursacht worden sein muss. Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung gilt im Berufskrankheitenrecht, wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung, die Theorie der wesentlichen Bedingung (s zum Arbeitsunfall die Entscheidungen des erkennenden Senats vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 34 ff sowie BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37; zu BKen s BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - UV-Recht Aktuell 2012, 412; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 13 sowie - B 2 U 26/04 R - UV-Recht Aktuell 2006, 497), die zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie beruht, nach der jedes Ereignis (jede Bedingung) Ursache eines Erfolgs ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Steht die versicherte Tätigkeit als eine der Wirkursachen fest, muss auf der zweiten Stufe die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr sein. Die Wesentlichkeit der Wirkursache ist zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen (zur Theorie der wesentlichen Bedingung: zuletzt eingehend BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37 f sowie BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1, RdNr 28 ff).

17

1. Vorliegend hat das LSG unter Zugrundelegung des bindend festgestellten Einwirkungswerts iHv 31 MNh ausgehend vom MDD zutreffend angenommen, dass die versicherten Einwirkungen durch schweres Heben und Tragen ausreichten, um einen Bandscheibenschaden zu verursachen. Mit der Heranziehung des MDD zur Bestimmung der für eine Krankheitsverursachung erforderlichen Belastungsdosis folgt das LSG der Rechtsprechung des erkennenden Senats, der seit 2003 (BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 11 ff; BSG vom 19.8.2003 - B 2 U 1/02 R - USK 2003-219; BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 18 und zuletzt BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - UV-Recht Aktuell 2009, 295) dieses Modell als eine geeignete Grundlage zur Konkretisierung der im Text der BK 2108 mit den unbestimmten Rechtsbegriffen "langjähriges" Heben und Tragen "schwerer" Lasten oder "langjährige" Tätigkeit in "extremer Rumpfbeugehaltung" nur ungenau und allenfalls nur richtungsweisend umschriebenen Einwirkungen angesehen hat. Die aufgrund einer retrospektiven Belastungsermittlung für risikobehaftete Tätigkeitsfelder ermittelten Werte, insbesondere die Richtwerte für die Gesamtbelastungsdosis des MDD, sind nicht als Grenzwerte, sondern als Orientierungswerte oder -vorschläge zu verstehen (s zur Handhabung der hälftigen Orientierungswerte als Mindestbelastungswerte BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - UV-Recht Aktuell 2009, 295; BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 25; sowie BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R und B 2 U 20/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Für Männer legt das MDD als Gesamtbelastungsdosis den Wert von 25 MNh fest, der hier mit 31 MNh erheblich überschritten war. Es kommt daher im hier zu entscheidenden Fall nicht darauf an, ob bereits ein geringerer, ggf hälftiger Wert dieses Orientierungswertes ausreichen würde, um von einem erhöhten Erkrankungsrisiko auszugehen und deshalb auf einzelfallbezogene medizinische Ermittlungen nicht mehr verzichtet werden kann (vgl für Männer BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 25). Deshalb muss hier auch nicht entschieden werden, ob aufgrund der mittlerweile vorliegenden Ergebnisse der DWS-Richtwertestudie (DWS II; "Erweiterte Auswertung der Deutschen Wirbelsäulenstudie mit dem Ziel der Ableitung geeigneter Richtwerte", Kurztitel: "DWS-Richtwerteableitung", veröffentlicht unter http://www.dguv.de/ifa/Forschung/Projektverzeichnis/FF-FB_0155A.jsp) eine weitere Absenkung der Orientierungswerte angezeigt ist. Der Senat weist aber in diesem Zusammenhang darauf hin, dass gemäß § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII generelle Voraussetzung für die Einführung eines BK-Tatbestandes die gruppenspezifische Risikoerhöhung gegenüber der Gesamtbevölkerung ist, deren Erreichen jedenfalls bei Werten iHv 3 MNh bedenklich erscheint(s nur Kranig, Was schadet den Bandscheiben?, DGUV Forum 2013, Nr 6, S 27, 31; vgl auch LSG Baden-Württemberg vom 25.9.2008 - L 10 U 5965/06 - Breith 2009, 307, RdNr 34 ff).

18

2. Das LSG hat auch in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise den erforderlichen Ursachenzusammenhang zwischen gefährdenden Einwirkungen im Sinne der BK 2108 und der Bandscheibenerkrankung des Klägers bejaht. Während die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK zum einen das Vorhandensein der tatbestandlich vorausgesetzten Einwirkungen und zum anderen die Kausalität zwischen diesen Einwirkungen und einer Erkrankung beinhalten, betreffen die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen ebenfalls zwei Aspekte der Anerkennungsvoraussetzungen, nämlich zum einen das Vorliegen der tatbestandlich vorausgesetzten Krankheit und zum anderen das Vorliegen eines Schadensbildes, welches mit der rechtlich-wesentlichen Verursachung dieser Krankheit durch die beruflichen Einwirkungen zumindest im Einklang steht (Bieresborn, Die Umsetzung der BK 2108 aus sozialrechtlicher Sicht, in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann , Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule" , Frankfurt 2014, S 193, 194, 199). Aus dem Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen kann angesichts der multifaktoriellen Entstehung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 26) nicht automatisch auf das Bestehen der Anspruchsvoraussetzungen der BK 2108 geschlossen werden; vielmehr müssen medizinische Kriterien hinzukommen (BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 19; BSG vom 30.1.2007 - B 2 U 15/05 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4104 Nr 2, RdNr 23; vgl BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 7/05 R - UV-Recht Aktuell 2006, 510 zur BK nach Nr 4302 der Anlage zur BKV; BSG vom 7.9.2004 - B 2 U 34/03 R - USK 2004-107).

19

Zutreffend hat das Berufungsgericht bei der Bestimmung des maßgeblichen aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands sowohl die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 zugrunde gelegt (dazu unter a) als auch das festgestellte Schadensbild diesen Erkenntnissen zugeordnet, mit dem Ergebnis, dass ein belastungskonformes Schadensbild im Sinne der sog Konstellation B2 der Konsensempfehlungen vorliegt (dazu unter b).

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a) Nicht zu beanstanden ist, dass das LSG die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 (U. Bolm-Audorff et al, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheit 2005/3, S 211, 216 ff, 228 ff) zugrunde gelegt hat. Diese bilden nach Überzeugung des Senats weiterhin den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand ab. Die naturwissenschaftliche Kausalitätsprüfung ist zwar eine der Bindung fähige tatsächliche Feststellung der Instanzgerichte (vgl Heinz in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 163 RdNr 9), jedoch sind nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats die die einzelnen Tatbestandsmerkmale der jeweiligen BK unterfütternden allgemeinen (generellen) Tatsachen, die für alle einschlägigen BK-Fälle gleichermaßen von Bedeutung sind, anhand des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands auch revisionsrechtlich überprüfbar (grundlegend: BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 5/05 R - BSGE 96, 297 = SozR 4-5671 § 6 Nr 2, RdNr 19 sowie BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 23; s auch BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 23; s zur älteren Senatsrechtsprechung, wonach diesbezügliche Feststellungen dem Anwendungsbereich des § 163 SGG zugerechnet wurden: BSG vom 2.5.2001 - B 2 U 16/00 R - SozR 3-2200 § 551 Nr 16 S 83 = SozR 3-2700 § 9 Nr 4 = SozR 3-5670 Anl 1 Nr 2108 Nr 4, Juris RdNr 28; BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 15, jeweils mwN). Dies muss zunächst jedenfalls immer dann gelten, wenn diese zulässig gerügt werden (vgl hierzu BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Eine Bindung besteht allerdings nicht, wenn das LSG von einem offenkundig falschen medizinischen Erfahrungssatz ausgegangen ist (vgl BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - UV-Recht Aktuell 2010, 418). Inwieweit in der Rechtsprechung anderer Senate des BSG (zur Überprüfung sog "genereller Tatsachen" in der sonstigen Rechtsprechung des BSG vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 163 RdNr 7 sowie speziell im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung BSG vom 16.6.1999 - B 1 KR 4/98 R - BSGE 84, 90, 94 = SozR 3-1500 § 163 Nr 7, Juris RdNr 17 sowie BSG vom 12.8.2009 - B 3 KR 10/07 R - BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 27 und zuletzt BSG vom 12.9.2012 - B 3 KR 10/12 R - BSGE 112, 15 = SozR 4-2500 § 137 Nr 1, RdNr 55; s zu "Rechtstatsachen" BSG vom 25.10.1994 - 3/1 RK 57/93 - SozR 3-1500 § 163 Nr 5, Juris RdNr 27, zu "allgemeinkundigen Tatsachen historischer Natur" BSG vom 7.2.1985 - 9a RV 5/83 - BSGE 58, 38, 42 = SozR 3100 § 5 Nr 7, Juris RdNr 17 sowie zu "gerichtskundigen Tatsachen" BSG vom 27.1.1977 - 7 RAr 16/75 - BSGE 43, 124, 127 = SozR 4100 § 41 Nr 28, Juris RdNr 30) eine solche Überprüfung genereller Tatsachen erfolgt, kann hier dahinstehen. Denn jedenfalls im Bereich des Rechts der BKen hat das BSG aufgrund der in den Normtexten der jeweiligen BKen in der Anlage zur BKV regelmäßig vertypisierten wissenschaftlichen Aussagen die Existenz der einschlägigen Erfahrungssätze selbst festzustellen. Das über das Vorliegen von BKen befindende Gericht muss sich folglich Klarheit darüber verschaffen, welches in der streitigen Frage der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ist. Die heranzuziehenden Quellen, Fachbücher, Standardwerke, Merkblätter des zuständigen Ministeriums, Begründungen des Sachverständigenbeirats, Konsensempfehlungen etc hat das Gericht eigenständig kritisch zu würdigen und auf ihre Aktualität hin - ggf durch Sachverständige - zu überprüfen (vgl BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 100/12 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 24 RdNr 18; BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 68 f; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 20; vgl auch BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 20; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17 mwN).

21

Hierbei ist zunächst die Zugrundelegung der Konsensempfehlungen durch das LSG als Orientierungshilfe bei der Beurteilung, ob der Bandscheibenschaden des Klägers nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand durch die festgestellten beruflichen Einwirkungen verursacht wurde, revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Denn die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 sind nach wie vor eine hinreichende Grundlage für die Bestimmung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands, wie der Senat zuletzt 2009 klargestellt hat (BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - UV-Recht Aktuell 2010, 418). Seitdem wurden zwar in Folge der Veröffentlichung der DWS II Fachaufsätze publiziert, die Zweifel an den Aussagen auch der Konsensempfehlungen äußern. Weder aus der DWS II noch den sonstigen Veröffentlichungen ist jedoch zu entnehmen, dass die Erkenntnisse der Konsensarbeitsgruppe aus dem Jahre 2005 gerade hinsichtlich der hier zugrunde gelegten Befundkonstellation inzwischen veraltet sein könnten. Sofern vertreten wird, dass inzwischen die Ergebnisse der DWS II die wesentlichen Grundannahmen aus den Konsenskriterien widerlegten, etwa weil die bisher angenommenen Einwirkungsgrößen zu hoch seien, die Lokalisation und Häufigkeit der Verteilung von Bandscheibenschäden zu 96% mit denen der Normalbevölkerung identisch sei, die Auswertungen der DWS II keine deutliche Abhängigkeit der Begleitspondylose von der MDD-Gesamtbelastungsdosis gezeigt habe oder Schäden an der HWS keine Aussagekraft zur Verursachung von LWS-Schäden hätten (M. Kentner und K. Frank, Kommentar zur DWS-Richtwertestudie und Implikationen hinsichtlich BK 2108 - Biomechanik vs. Pathophysiologie, zur Veröffentlichung in ASUMed 8/2015 vorgesehen; Linhardt/Grifka, Auswirkungen der Deutschen Wirbelsäulenstudie auf die Berufskrankheit der Lendenwirbelsäule , MedSach 111 <2015>, 20, 21; Bergmann, Bolm-Audorff, Ditchen, Ellegast, Haerting, Kersten, Jäger, Skölziger, Kuß, Morfeld, Schäfer, Seidler, Luttmann, Lumbaler Bandscheibenvorfall mit Radikulärsyndrom und fortgeschrittene Osteochondrose, ZblArbeitsmed 2014, 233), handelt es sich erkennbar um wissenschaftliche Einzelmeinungen.

22

Die zitierten Publikationen setzen sich zum einen jeweils inhaltlich nicht mit der grundsätzlichen Kritik an der angewandten Methodik der Nachuntersuchung auseinander (s nur Grosser, Ergebnisse der Konsensarbeitsgruppe zur Begutachtung der BK 2108 - Status quo und Konsequenzen aus der DWS, in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann, Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule" , Frankfurt 2014, S 84 ; Zagrodnik, Fragliche Belastungsdosis, DGUV Forum 2014, Nr 7/8, S 10 ff), zum anderen schöpfen sie ihre Kritik an den Aussagen der Konsensempfehlungen alleine aus den Ergebnissen der DWS II und wenden sich im Wesentlichen gegen die Bestimmung und Höhe der Einwirkungsgrößen, nicht aber gegen die Grundaussage der Konsensempfehlungen, dass Bandscheibenschäden aufgrund beruflich erworbener Druckbelastungs-Dosen entstehen können. Der Senat verkennt nicht, dass ein wissenschaftlicher Erkenntnisstand auch dadurch erschüttert werden kann, dass grundlegende und fundierte Zweifel seitens der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler diesem den Boden entziehen, ohne dass sich diese in ihrer Mehrheit auf einen neuen Konsens geeinigt hätten. Einzelne Gegenstimmen sind demgegenüber nicht geeignet, einen einmal gebildeten und sich in schriftlichen Beurteilungskriterien manifestierenden wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu erschüttern, solange nicht die daran beteiligten Autoren in ihrer Mehrheit diesen Konsens in wesentlichen Punkten aufkündigen oder eine (zumindest teilweise) personell anders zusammengesetzte große Mehrheit der mit dieser Materie befassten Fachwissenschaftler diesem Konsens entgegentritt.

23

b) Nicht zu beanstanden ist im Rahmen des soeben aufgezeigten Prüfumfangs die Aussage des LSG, dass bei dem Kläger die Konstellation B2 der Konsensempfehlungen vorliegt, für die diese eine Anerkennungsempfehlung aussprechen. So wie der erkennende Senat im Recht der BKen nicht gehindert ist, den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu Verursachungszusammenhängen festzustellen, ist er ebenso wenig gehindert, die korrekte Zuordnung des Sachverhalts seitens des Berufungsgerichts unter diesen einschlägigen Erkenntnisstand zu überprüfen. Dies gilt umso mehr, wenn dieser in Konsensempfehlungen verdichtet ist. Bei diesen handelt es sich freilich nicht um einen normativen Text oder ein antizipiertes Sachverständigengutachten, weil die Konsensempfehlungen weder vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber erlassen, noch von unabhängigen und der Neutralität verpflichteten Autoren verfasst wurden (P. Becker, ASUMed 2009, 592, 595). Daher sind sie für Verwaltung, Gerichte oder Gutachter auch nicht unmittelbar verbindlich (Siefert, ASR 2011, 45, 48) und es verbietet sich deren Auslegung unter strikter Anwendung der Regeln der juristischen Methodenlehre (vgl Bieresborn, Die Umsetzung der BK 2108 aus sozialrechtlicher Sicht aaO, S 199).Konsensempfehlungen dienen lediglich zur Erleichterung der Beurteilung im Einzelfall, um typische Befundkonstellationen im Hinblick auf die Kausalbeziehungen unter Zugrundelegung des aktuell wissenschaftlichen Erkenntnisstands einordnen zu können (Duell, Kranig, Palfner, BK-Begutachtungsempfehlungen - Wissen von Experten für Experten, DGUV Forum 2012, Nr 4 S 14, 16). Andererseits muss bei diesem Erkenntnisvorgang überprüfbar bleiben, ob das LSG nach allgemeinem Verständnis den von ihm festgestellten Sachverhalt (noch) vertretbar den in den Konsensempfehlungen aufgeführten Kategorien zugeordnet hat.

24

Für sämtliche Befundkonstellationen wird in den Konsensempfehlungen vorausgesetzt, dass die (gesicherte) bandscheibenbedingte Erkrankung nach ihrer Lokalisation die Segmente L5/S1 und/oder L4/L5 betrifft und eine Ausprägung als Chondrose Grad II oder höher und/oder als Vorfall hat. Sofern zusätzlich eine Begleitspondylose besteht (Befundkonstellation B1), gilt der Zusammenhang als wahrscheinlich. Liegt hingegen - wie hier nach den bindenden Feststellungen des LSG - keine Begleitspondylose vor, so wird der Zusammenhang nach den Konsensempfehlungen ua dann als wahrscheinlich betrachtet, wenn eine Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben besteht (Befundkonstellation "B2", 1. Spiegelstrich - 1. Zusatzkriterium - 1. Alt). Alternativ müssen bei nur monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 im Magnetresonanztomogramm in mindestens zwei angrenzenden Segmenten "black discs" vorliegen (Befundkonstellation "B2", 1. Spiegelstrich - 1. Zusatzkriterium - 2. Alt). Als weitere Alternativen genügt für die Konstellation B2 entweder das Bestehen einer besonders intensiven Belastung, wobei hierfür als "Anhaltspunkt" das Erreichen des "Richtwertes für die Lebensdosis" in weniger als 10 Jahren (Befundkonstellation "B2", 2. Spiegelstrich - 2. Zusatzkriterium) gilt, oder eines besonderen Gefährdungspotenzials durch hohe Belastungsspitzen, wofür als "Anhaltspunkt" das Erreichen der Hälfte des "MDD-Tagesdosis-Richtwertes" durch hohe Belastungsspitzen (Frauen ab 4 1/2 kN, Männer ab 6 kN) (Befundkonstellation "B2", 3. Spiegelstrich - 3. Zusatzkriterium) verlangt wird.

25

Das LSG ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass beim Kläger die Befundkonstellation "B2" - 2. Zusatzkriterium - das Erreichen des "Richtwertes für die Lebensdosis" in weniger als 10 Jahren - vorlag, bei der der Ursachenzusammenhang hinreichend wahrscheinlich ist. Es hat für den erkennenden Senat bindend festgestellt, dass eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule in Form einer Chondrose Grad III mit Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 sowie eine Chondrose Grad I im Segment L4/L5 ohne Begleitspondylose und keine konkurrierenden Ursachen vorlagen, sowie dass der Kläger im Zeitraum vom 1.6.1977 bis 31.5.1987 Belastungen von 15 MNh ausgesetzt war. Damit erreichte der Kläger also in weniger als 10 Jahren zwar nicht den Orientierungswert für Männer nach dem MDD iHv 25 MNh, überschritt jedoch mit 15 MNh die Hälfte dieses Wertes von 12,5 MNh.

26

Das LSG ist weiter davon ausgegangen, dass beim Kläger wegen dieses Überschreitens der hälftigen MDD-Dosis in Höhe von 12,5 MNh in weniger als 10 Jahren die für den Kausalzusammenhang der Befundkonstellation "B2" - 2. Zusatzkriterium - erforderliche besonders intensive Belastung vorlag. Den Konsensempfehlungen hat das LSG mithin den generellen wissenschaftlichen Erfahrungssatz entnommen, dass für die bei der Befundkonstellation "B2" - 2. Zusatzkriterium - erforderliche besonders intensive Belastung bei Männern das Erreichen der hälftigen MDD-Dosis iHv 25 MNh, nämlich des Wertes von 12,5 MNh in weniger als 10 Jahren genügt. Dieser Erfahrungssatz ist jedenfalls nicht offenkundig falsch. Der vom LSG aufgestellte allgemeine Erfahrungssatz kann vom Revisionsgericht zwar in den oben aufgezeigten Grenzen überprüft werden, denn die Feststellungen des LSG zum aktuellen medizinischen Erkenntnisstand im Recht der BKen unterliegen nicht von vornherein der in § 163 SGG angeordneten Bindung des Revisionsgerichts an tatrichterliche Feststellungen(vgl zB BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7).

27

Der Senat konnte aber im Rahmen seiner hierzu durchgeführten Überprüfung nicht zu der Erkenntnis gelangen, dass der vom LSG zugrunde gelegte Erfahrungssatz hinsichtlich der erforderlichen besonders intensiven Belastung des 2. Zusatzkriteriums der Konstellation B2 in der Wissenschaft allgemein angegriffen wird und deshalb offenkundig nicht dem aktuellen Erkenntnisstand entspricht. Der Wortlaut der Konsensempfehlungen selbst verlangt jedenfalls in der Befundkonstellation "B2" - 2. Zusatzkriterium - nur das Erreichen des "Richtwertes für die Lebensdosis" in weniger als 10 Jahren, ohne dort konkret die "MDD-Lebensdosis" wie im 3. Zusatzkriterium zu erwähnen. Auch in der wissenschaftlichen Literatur wird (Seidler und Bolm-Audorff in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann, BK 2108, S 135, 138) teilweise auf die Hälfte des MDD-Richtwerts und damit für Männer auf eine Belastung von 12,5 MNh abgestellt. Allein dass auch eine andere Auffassung vertreten wird (für den Wert von 25 MNh wohl Grosser in: Grosser ua, BK 2108, S 83, 102) und die LSGe hier jeweils zu unterschiedlichen Einschätzungen gelangen (vgl LSG Niedersachsen-Bremen vom 19.2.2010 - L 14 U 78/06 - und vom 25.5.2011 - L 3 U 28/07; LSG Berlin-Brandenburg vom 6.5.2010 - L 3 U 19/06 - und vom 19.1.2012 - L 2 U 24/09 ZVW - sowie Bayerisches LSG vom 31.1.2013 - L 17 U 244/06), reicht nicht dafür aus, die Feststellungen des LSG zum aktuellen medizinischen Erkenntnisstand als offensichtlich fehlerhaft in Frage zu stellen.

28

Ein medizinischer Erfahrungssatz entspricht in der Regel dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand, wenn er von allen oder den meisten in dem entsprechenden Fachgebiet Kundigen vertreten wird. Er kann aber auch dann den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen, wenn er nicht von allen im jeweiligen Erkenntnissystem Handelnden geteilt wird und auch abweichende Auffassungen vertreten werden. Ein Erkenntnisstand kann sich fortlaufend verändern (vgl hierzu Hase, Sozialrecht und die Integration gesellschaftlichen Wissens, in Masuch ua , Grundlagen und Herausforderungen des Sozialstaats, 2014, S 423, 429 ff). Deshalb kann allein aus dem Vorliegen unterschiedlicher Auffassungen bei den im entsprechenden Fachgebiet Kundigen nicht geschlossen werden, dass ein Erfahrungssatz falsch ist oder nicht mehr dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entspricht. Für den Senat war danach nicht erkennbar, dass der vom LSG zugrunde gelegte wissenschaftliche Erfahrungssatz hinsichtlich der besonders intensiven Belastung bei dem 2. Zusatzkriterium der Konstellation B2 offenkundig falsch ist oder in der Wissenschaft allgemein angegriffen wird. Dies ist auch dem Vorbringen der Revision nicht zu entnehmen. Sie stützt sich lediglich darauf, dass die Konsensempfehlungen im Ganzen und hinsichtlich der Befundkonstellation "B2" - 2. Zusatzkriterium - im Besonderen aufgrund der dargestellten divergierenden Auffassungen keine hinlänglich zuverlässige Grundlage mehr für die Bestimmung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands seien. Dies ist jedoch - wie oben ausgeführt - hinsichtlich der Konsensempfehlungen insgesamt unzutreffend. Der Senat sieht sich nach seinen eigenen Erkenntnissen jedenfalls auch nicht veranlasst, diesen vom LSG zugrunde gelegten wissenschaftlichen Erfahrungssatz zu korrigieren.

29

Insofern besteht zwar aufgrund des durchaus kontroversen Stands der wissenschaftlichen Erkenntnisse im konkreten Anwendungsfall der BK 2108 die auch von der Beklagten beschriebene Gefahr, dass Tatsachengerichte zur Feststellung unterschiedlicher Erfahrungssätze gelangen können, die dann jeweils revisionsrechtlich - in den aufgezeigten Grenzen - akzeptiert werden müssten. Dieses Ergebnis ist jedoch zum einen die logische Folge der den Gerichten nur eingeschränkt eröffneten Möglichkeiten, sich den tatsächlichen aktuellen medizinischen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu verschaffen. Die damit verbundene Rechtsunsicherheit ist aber zum anderen zumindest partiell auch Folge des Normtatbestands der BK 2108, dessen Reform der Senat bereits mehrfach angemahnt hat (vgl insbesondere BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 28 ff). Der Senat hat bereits im Jahre 2007 (aaO) betont, dass eine gleichmäßige Rechtsanwendung nur gewährleistet ist, wenn sich die zur Definition einer BK verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe mit Hilfe des von den Gerichten feststellbaren wissenschaftlichen Erkenntnisstands hinreichend konkretisieren lassen. Eine rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechende Handhabung der BK-Tatbestände und insbesondere des Tatbestands der BK 2108 ist nicht mehr möglich, wenn sich eine tragfähige wissenschaftliche Grundlage für die Beurteilung der jeweils zu untersuchenden Ursachenzusammenhänge im Prozess nicht mehr ermitteln lässt, sei es, weil einschlägige Forschungsergebnisse überhaupt fehlen oder weil sie keine allgemein akzeptierten Erkenntnisse (mehr) liefern (so bereits BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 8 ff). Der Senat hat hierbei auch darauf hingewiesen, dass der Verordnungsgeber mittels ggf erst zu schaffender oder besser auszustattender Fachgremien den wissenschaftlichen Erkenntnisstand über Ursachenzusammenhänge zwischen beruflichen Einwirkungen und der Entstehung von Krankheiten umfassend ermitteln kann (allgemein zu den Problemen der Feststellung des Stands der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft im BK-Recht auch für den Verordnungsgeber vgl Spellbrink, SR 2014, 140, 144 ff). Es ist allerdings nicht ersichtlich, dass sich der Verordnungsgeber in den letzten Jahren dieser Aufgabe gestellt und etwa im Rahmen seiner gesetzlichen Ermächtigung (§ 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII) abstrakt-generelle Voraussetzungen der BK 2108 zB in Form von Dosiswerten diskutiert hätte. Auf die Angabe solcher "Grenzwerte" oder anderer Präzisierungen hat der Verordnungsgeber bei der BK 2108 bislang gerade verzichtet, woraus sich ein Großteil der auch im vorliegenden Fall erheblichen Anwendungsprobleme der Norm erklärt. Ob der erkennende Senat diese Anwendungsprobleme bei der BK 2108 auch in Zukunft als rechtsstaatlich noch tolerierbar betrachten kann, wird hier ausdrücklich offengelassen.

30

Da mithin bereits revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist, dass das 2. Zusatzkriterium der Befundkonstellation "B2" vorliegt, kann hier dahinstehen, ob für die Befundkonstellation "B2", 1. Spiegelstrich - 1. Zusatzkriterium - 1. Alt als "Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben" auch ein bisegmentaler Befund ausreichen würde (so Sächsisches LSG vom 21.6.2010 - L 2 U 170/08 LW - und LSG Sachsen-Anhalt Urteil vom 11.7.2013 - L 6 U 59/11; Seidler und Bolm-Audorff in Grosser ua BK 2108, S 134, 138; anders Hessisches LSG Urteil vom 18.8.2009 - L 3 U 202/04 - und vom 27.3.2012 - L 3 U 81/11; Bayerisches LSG Urteil vom 31.1.2013 - L 17 U 244/06 ; Grosser in: Grosser ua BK 2108, S 83, 101), was das LSG ebenfalls angenommen hat.

31

C. Schließlich ist auch die weitere Voraussetzung der Aufgabe der die Wirbelsäule belastenden Tätigkeit für die Anerkennung einer BK 2108 erfüllt. Nach den bindenden Feststellungen des LSG war der Kläger nur bis Juni 1998 in seiner versicherten Tätigkeit Belastungen der Wirbelsäule ausgesetzt und gab sämtliche wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten im Juli 1998 auf.

32

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 Abs 1 SGG.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. Mai 2014 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr 2108 (BK 2108) der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).

2

Der im Jahre 1953 geborene Kläger absolvierte bis Juli 1972 eine Lehre zum Kfz-Mechaniker und arbeitete in diesem Beruf anschließend bis Januar 1979. Danach war er bis zum 15.9.2008 als Schlosser mit der Instandsetzung eines Maschinenparks und der Wartung von Maschinen befasst. Seit 1.10.2008 erhält der Kläger eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit unter Zugrundelegung des Beginns einer Arbeitsunfähigkeit wegen Lumboischialgien am 15.9.2008als Leistungsfall. Im Februar 2009 beantragte der Kläger die Anerkennung einer BK 2108. Die Beklagte lehnte das Vorliegen einer BK 2108 und eines Anspruchs auf Leistungen ab, der Widerspruch blieb erfolglos (Bescheid vom 7.12.2009; Widerspruchsbescheid vom 15.3.2010). Das SG hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 3.1.2011 abgewiesen.

3

Das LSG hat auf die Berufung des Klägers nach Durchführung medizinischer Ermittlungen den Gerichtsbescheid aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide verurteilt, das Vorliegen einer BK 2108 anzuerkennen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger sei während seiner versicherten Tätigkeit Belastungen durch Heben von Lasten iHv insgesamt 9,71 Meganewtonstunden (MNh) ausgesetzt gewesen. Darüber hinaus seien Belastungen in extremer Rumpfbeugehaltung im Umfang von zumindest 8,83 MNh zu berücksichtigen. Eine relevante Belastung im Sinne der BK 2108 sei auch bei einem Beugewinkel von 90 Grad oder etwas weniger gegeben, zumal das Referenzdosismodell der Deutschen Wirbelsäulenstudie (DWS) II bereits Rumpfbeugehaltungen ab 45 Grad einbeziehe. Es ergebe sich weder aus dem Wortlaut der BK 2108 noch aus dem Merkblatt, dass Beugewinkel von ca 90 Grad allenfalls im Bergbau zu finden sowie belastende Tätigkeiten nur zu berücksichtigen seien, sofern sie unter Zwang vorgenommen würden. Der Kläger habe jeweils 3 bis 4 Minuten in extremer Rumpfbeugehaltung gearbeitet, womit er insgesamt 30 bis 45 Minuten in einzelnen Arbeitsschichten Belastungen durch extreme Rumpfbeugehaltungen unterlegen, sowie die Mindestschichtanzahl iHv 60 Schichten mit relevanter Wirbelsäulenbelastung pro Jahr erfüllt sei. Mit der Gesamtbelastungsdosis von zumindest 18,54 MNh liege er nicht nur weit über dem in der DWS II offenbar angenommenen Schwellenwert von 7 MNh für Männer, sondern auch über dem vom BSG in seinem Urteil vom 30.10.2007 (B 2 U 4/06 R) vorgeschlagenen Orientierungswert von 12,5 MNh. Beim Kläger bestehe eine bandscheibenbedingte Erkrankung in Form eines chronischen degenerativen Lumbalsyndroms mit pseudoradikulärer Lumboischialgie, die unter Berücksichtigung des späten Manifestationszeitpunktes der Erkrankung, des altersvorauseilenden Verschleißes an der Lendenwirbelsäule (LWS), des Verteilungsmusters der Veränderungen unter Mitbeteiligung der Segmente L3/L4 und L1/L2 bei gleichzeitiger Schwerpunktbildung im beruflich meist belasteten Wirbelsäulenabschnitt sowie mit der eindeutigen Akzentuierung der Umformung im Lendenkreuzbeinübergang im Vergleich zur nicht belasteten Wirbelsäule jedenfalls mitursächlich auf die berufliche Exposition bei der versicherten Tätigkeit kausal zurückzuführen sei. Es liege eine altersüberschreitende Chondrose Grad II im "Segment L 5/5" sowie vom Grad III im Segment L5/S1 vor. Das Schadensbild sei mit schwächer ausgeprägten Bandscheibenschäden an der Halswirbelsäule (HWS) der Konstellation B4 der Konsensempfehlungen (U. Bolm-Audorff et al, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma Berufskrankheit 2005/3, S 211, 214 ff) zuzuordnen, bei der ein Zusammenhang mit den beruflichen Einwirkungen im Sinne der BK 2108 wahrscheinlich sei. Der Aufgabezwang für die exponierende Tätigkeit sei ab dem 15.9.2008 gesichert.

4

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 9 SGB VII iVm der BK 2108. Zur Begründung führt sie aus, eine Lebensbelastungsdosis des Klägers in Höhe von 18,5 MNh liege nicht vor. Das LSG setze die sog arbeitstechnischen Voraussetzungen in dem Tatbestandsmerkmal "Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung" zu niedrig an. Zum einen müssten hierfür Arbeiten mit einer Rumpfbeuge von mindestens 90 Grad in einer Zwangshaltung erfolgen, zum anderen genüge ein zeitlicher Umfang von wöchentlich 30 bis 45 Minuten keinesfalls den Anforderungen der Regelmäßigkeit, die ca 60 Arbeitsschichten voraussetze. Die vom BSG abgesenkte Gesamtbelastungsdosis von 12,5 MNh für Männer stelle keinen Orientierungswert, sondern ein Ausschlusskriterium dar. Wenn dieser Wert überschritten werde, habe dies keine positive Indizwirkung. Es hätte eine Einzelfallprüfung durchgeführt werden müssen, während das LSG sich mit dem Überschreiten von 12,5 MNh und der Einordnung des Krankheitsbildes in die Kategorie B4 der Konsensempfehlungen zufrieden gegeben habe. Die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 seien zudem durch die BSG-Entscheidung vom 30.10.2007 überholt und nicht mehr durch die daran beteiligten Wissenschaftler und Ärzte autorisiert. Es sei ungewiss, ob die Autoren ihre Konsensempfehlung überhaupt abgegeben hätten, wenn von deutlich niedrigeren beruflichen Belastungen als 25 MNh auszugehen sei.

5

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. Mai 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Zu Recht hat das LSG auf die Berufung den die Klage abweisenden Gerichtsbescheid des SG aufgehoben und das Vorliegen einer BK 2108 festgestellt.

9

Die erhobenen Klagen sind als Anfechtungsklage gegen die ablehnenden Entscheidungen verbunden mit der auf Feststellung einer BK gerichteten Feststellungsklage zulässig (BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - NZS 2012, 151 ff RdNr 10).

10

Der erhobene Anspruch beurteilt sich gemäß § 212 SGB VII nach den Vorschriften des SGB VII, weil nicht ersichtlich ist, dass der Versicherungsfall bereits vor dem Inkrafttreten des SGB VII am 1.1.1997 (Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz vom 7.8.1996, BGBl I 1254) eingetreten sein könnte. Rechtsgrundlage für die Anerkennung der streitigen BK ist § 9 Abs 1 SGB VII iVm Nr 2108 der Anlage 1 zur BKV vom 31.10.1997 (BGBl I 2623), die lautet: "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können". Nach § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind BKen nur diejenigen Krankheiten, die von der Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als solche bezeichnet sind (sog Listen-BK) und die der Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist für die Feststellung einer Listen-BK erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang; dazu unter A.) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität, dazu unter B.) und diese Einwirkungen eine Krankheit (dazu unter C.) verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität, dazu unter D.). Schließlich ist Anerkennungsvoraussetzung, dass der Versicherte deshalb seine Tätigkeit aufgeben musste sowie alle gefährdenden Tätigkeiten unterlässt (dazu unter E.). Fehlt eine dieser Voraussetzungen, ist die BK nicht anzuerkennen (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 17). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK. Die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 12; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4, RdNr 16 mwN; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 9/08 R - BSGE 103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr 14, RdNr 9 mwN; zuletzt BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - UV-Recht Aktuell 2012, 412; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - NZS 2012, 151; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 14).

11

A. Nach den bindenden Feststellungen des LSG absolvierte der Kläger von August 1968 bis Juni 1972 eine Lehre als Kfz-Mechaniker und arbeitete anschließend in diesem Beruf bis Januar 1979. Seitdem war er als Bau- und Instandhaltungsschlosser bis zum Eintritt dauerhafter Arbeitsunfähigkeit am 15.9.2008 tätig. Den Feststellungen lässt sich gerade noch hinreichend entnehmen, dass diese Tätigkeiten im Rahmen eines Arbeitsvertrags erfolgten und der Kläger damit als Beschäftigter iS von § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII versichert war.

12

B. Der Kläger unterlag im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit auch den nach dem Tatbestand der BK 2108 vorausgesetzten Einwirkungen. Danach muss der Versicherte aufgrund einer versicherten Tätigkeit entweder langjährig schwer gehoben und getragen oder in extremer Rumpfbeugehaltung gearbeitet haben, ansonsten ist der Tatbestand der BK 2108 nicht erfüllt (zur Bestimmung des Ausmaßes der beruflichen Einwirkungen bei der BK 2108 vgl auch BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/08 R - juris RdNr 23; BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 16 f). Dies zu überprüfen war der Senat trotz des Inhalts der angefochtenen Bescheide nicht gehindert (dazu unter 1.). Die danach tatbestandlich alternativ vorausgesetzten Einwirkungen in Form des schweren Hebens und Tragens (dazu unter 2.) bzw von Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung (dazu unter 3.) liegen beim Kläger beide vor. Sie erfolgten zudem langjährig (dazu unter 4.).

13

1. Der Senat ist zunächst nicht gehindert, sowohl die Subsumtion der seitens des LSG festgestellten Einwirkungen unter den Tatbestand der BK 2108, als auch deren Geeignetheit zur Erzeugung eines Bandscheibenschadens zu überprüfen (vgl zur BK 2109 BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 15 ff), obwohl die Beklagte im Rahmen der Begründung des Verwaltungsakts vom 7.12.2009 das Vorliegen der "arbeitstechnischen Voraussetzungen" bejaht hat. Diese Aussage der Beklagten nimmt nicht an der Bindungswirkung des Verwaltungsakts (§ 77 SGG) teil, weil in dem Bescheid durch bindenden Verfügungssatz (Regelung) alleine das Nichtbestehen der BK 2108 sowie von Ansprüchen auf Leistungen geregelt wurde (vgl BSG vom 20.11.1996 - 3 RK 5/96 - BSGE 79, 261, 265; vgl BSG vom 6.2.1958 - 8 RV 449/56 - BSGE 6, 288, 291; BSG vom 21.1.1959 - 11/8 RV 181/57 - BSGE 9, 80, 84; BSG vom 24.2.1960 - 9 RV 286/56 - BSGE 12, 25, 26). Zwar kann auch einem Satz aus der Begründung eines Verwaltungsakts die Bedeutung einer bindenden Feststellung zukommen (BSG vom 3.4.2014 - B 2 U 25/12 R - BSGE 115, 256 = SozR 4-2700 § 136 Nr 6, RdNr 16; BSG vom 20.11.1996 - 3 RK 5/96 - BSGE 79, 261, 265; BSGE 66, 168, 173 = SozR 3-2400 § 7 Nr 1; s zum Verbot der Schlechterstellung - reformatio in peius - BSG vom 20.2.1956 - 10 RV 75/55 - BSGE 2, 225, 228 f; BSG vom 20.4.1961 - 4 RJ 217/59 - BSGE 14, 154, 158; BSG vom 23.4.1964 - 9/11 RV 318/62 - SozR Nr 44 zu § 77 SGG). Bei den sog "arbeitstechnischen Voraussetzungen" handelt es sich aber nur um ein Element der Anspruchsprüfung einer BK, das zwei miteinander in Zusammenhang stehende Aspekte umfasst: das Vorhandensein der tatbestandlich vorausgesetzten Einwirkungen und die potentielle Kausalität zwischen diesen Einwirkungen und einer Erkrankung (vgl Bieresborn, Die Umsetzung der BK 2108 aus sozialrechtlicher Sicht, in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann , Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule" , Frankfurt 2014, S 179, 193; s auch BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Somit kommt der Feststellung des Vorliegens der arbeitstechnischen Voraussetzungen im Rahmen der Bescheidbegründung, die nicht als selbständiger Verfügungssatz formuliert ist, nicht die Eigenschaft einer bindenden Regelung zu, sondern nur die eines seitens des Gerichts vollständig überprüfbaren Elements der Anspruchsprüfung (s zur Überprüfbarkeit von Berechnungselementen beim Höhenstreit betr das Arbeitslosengeld: BSG vom 18.8.2005 - B 7a AL 4/05 R - SozR 4-1500 § 95 Nr 1 RdNr 13).

14

2. Nach den insoweit unangegriffenen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) unterlag der Kläger im Zeitraum seiner versicherten Tätigkeit Belastungen durch Heben und Tragen von Lasten in Höhe von insgesamt 9,71 MNh (BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 13/05 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 9, SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 4, RdNr 10).

15

3. Darüber hinaus hat das LSG ebenfalls bindend festgestellt, dass der Kläger ca einmal in der Woche Tätigkeiten in Form des Wechsels von Schaufeln und Blechen in einem zeitlichen Umfang von etwa 30 bis 45 Minuten verrichtet hat. Diese Arbeiten erfolgten mit einer Rumpfbeuge von ca 90 Grad. Da es sich hierbei um Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung gehandelt habe, sei der Kläger dadurch einer weiteren Belastung iHv 8,83 MNh ausgesetzt gewesen. Die Subsumtion dieser weiteren Belastung unter den Tatbestand der BK 2108 seitens des LSG ist nicht zu beanstanden. Auch das Tatbestandsmerkmal der BK 2108 "Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung" wird nicht anhand exakter numerischer Einwirkungsgrößen definiert (vgl zu dem insoweit vergleichbaren Problem bei BK 2109 BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 14 sowie zur BK 2108 BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - juris RdNr 23 ff), so dass es grundsätzlich Aufgabe der Versicherungsträger und Gerichte ist, unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien (vgl zu den Motiven bei der Aufnahme der BK 2108 in die BKV die amtliche Begründung: BR-Drucks 773/92, S 7) sowie anhand der Vorgaben des vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung herausgegebenen Merkblatts für die ärztliche Untersuchung zur BK 2108 (BArbBl 10/2006, S 30 ff), die für diese BK vorausgesetzten beruflichen Einwirkungen näher zu konkretisieren, wenn es auch Aufgabe des Verordnungsgebers ist, eine dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechende und für den Rechtsanwender handhabbare gesetzliche Grundlage zu schaffen, die dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot genügt (vgl hierzu insb das Urteil des Senats vom 23.4.2015 - B 2 U 10/14 R; BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 28). Den Merkblättern kommt zwar keine rechtliche Verbindlichkeit zu (BSG vom 12.4.2005 - B 2 U 6/04 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 5 RdNr 15), sie sind jedoch als Interpretationshilfe und zur Ermittlung des aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstands heranzuziehen (BSG vom 18.8.2004 - B 8 KN 1/03 U R - BSGE 93, 149 = SozR 4-5670 Anl 1 Nr 2402 Nr 1 RdNr 17 mwN).

16

Hinsichtlich der Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung nennt das Merkblatt (BArbBl 10/2006, S 30 ff) Arbeiten in Bodenhöhe oder unter der Standfläche, bei denen es zu einer Beugung des Oberkörpers aus der aufrechten Körperhaltung um ca 90 Grad oder mehr kommt. Ferner zählen danach Arbeiten in Arbeitsräumen dazu, die niedriger als ca 100 cm sind und somit andauernde Zwangshaltungen mit Arbeiten im Knien, Hocken, im Fersensitz oder gebeugter bzw verdrehter Körperhaltung bedingen. Beispielhaft werden unter Nennung weiterer wissenschaftlicher Quellen Berufsgruppen, bei denen solche Tätigkeiten vorkommen, aufgeführt. Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung im Sinne der BK 2108 erfordern - unter Zugrundelegung des Merkblatts als maßgebliche Erkenntnisquelle bzw Interpretationshilfe - weder eine Zwangshaltung (dazu unter a) noch eine Rumpfbeuge von mindestens 90 Grad oder mehr (dazu unter b).

17

a) Sofern die Revision nur solche Tätigkeiten für berücksichtigungsfähig hält, die in einer "Zwangshaltung", also ohne Möglichkeit des Aufrichtens, ausgeübt werden, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Das Erfordernis einer solchen Zwangshaltung lässt sich weder den Materialien noch dem Merkblatt zur BK 2108, weiteren wissenschaftlichen Veröffentlichungen noch sonstigen Hinweisen zur Auslegung des Tatbestands der BK 2108 entnehmen (BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 19). Lediglich beispielhaft werden im Merkblatt Tätigkeiten im Bergbau genannt, ohne dass diese Aufzählung erkennbar abschließend ist und eine Zwangshaltung zwingend vorausgesetzt wird.

18

b) Ebenso wenig ist der Revision darin zu folgen, dass sich nur Tätigkeiten mit einer Rumpfbeuge von mindestens 90 Grad in die Berechnung einbeziehen ließen. Auch Tätigkeiten mit einer etwas weniger als 90 Grad ausgeprägten Rumpfbeuge sind zum einen mit dem Wortlaut des Verordnungstextes, der eine "extreme" und somit eine das Maß der im Alltag gewöhnlich vorkommenden überschreitende Rumpfbeugehaltung verlangt, vereinbar. Sofern das BSG in einer älteren Entscheidung ausgeführt hat, dass unter einer extremen Rumpfbeugehaltung iS der BK Nr 2108 der Anlage 1 zur BKV eine Beugung des Oberkörpers aus der aufrechten Haltung um mehr als 90 Grad zu verstehen sei (BSG vom 1.7.1997 - 2 BU 106/97 - juris RdNr 7) und sich dieser Auffassung das BVerwG angeschlossen hat (BVerwG vom 16.4.2013 - 2 B 150/11 - juris RdNr 7), liegt diesen Entscheidungen offensichtlich das mittlerweile veraltete Merkblatt zur BK 2108 aus dem Jahre 1993 (BArbBl 3/1993, S 50) zugrunde. Der Senat hat bereits an anderer Stelle klargestellt, dass Grundlage der Beurteilung eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung einer BK stets der im Entscheidungszeitpunkt aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand zu sein hat (BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - juris RdNr 14; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 9/08 R - BSGE 103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr 14, SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2103 Nr 1, RdNr 15; BSG vom 27.6 2006 - B 2 U 5/05 R - BSGE 96, 297 = SozR 4-5671 § 6 Nr 2, SozR 4-2700 § 9 Nr 6, RdNr 17; s zum Arbeitsunfall: BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44, RdNr 61).

19

Dies gilt insbesondere bei der Auslegung unbestimmter, die erforderliche Einwirkung bezeichnender Rechtsbegriffe, sofern im Rahmen der möglichen Wortbedeutung die Geeignetheit zur Verursachung des Gesundheitsschadens zu bestimmen ist. Das aktuelle Merkblatt zur BK 2108 (BArbBl 10/2006, S 30 ff) verlangt aber lediglich eine Rumpfbeuge von "ca 90 Grad". Hierbei handelt es sich um einen mittleren Schätzwert, bei dem Abweichungen nach oben und unten gleich verteilt sind (vgl zur Dosis "in der Regel 100 Feinstaubjahre" der BK 4111: BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3, SozR 4-2700 § 9 Nr 20, RdNr 19). Im vorliegenden Fall kommt es mithin nicht darauf an, ob eine Rumpfbeuge von 45 Grad - wie sie in der DWS-Folgestudie bereits als wirbelsäulenschädigend dargestellt wird - mit der möglichen Wortbedeutung des Attributs "extrem" vereinbar wäre (vgl zum Problem der Mindestbelastung bei Heben und Tragen durch Frauen das Senatsurteil vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

20

4. Die wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten erfolgten darüber hinaus - wie tatbestandlich vorausgesetzt - langjährig. Langjährig bedeutet, dass zehn Berufsjahre als die im Durchschnitt untere Grenze der belastenden Tätigkeit zu fordern sind (so wörtlich das aktuelle Merkblatt 2108 BArbBl 2006, Heft 10, S 30, Abschnitt IV; vgl zum Merkmal "langjährig" bei der BK 2109 BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 15; s zur BK 2108 bereits BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 10; BSG vom 22.6.2004 - B 2 U 22/03 R - juris RdNr 25; vgl auch: Römer in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand 8/2012, Anh zu K § 9 Anl zu BKV BK Nr 2108 - 2110 RdNr 7 mwN; "mindestens 10 Jahre" fordern Ricke in Kasseler Kommentar, Stand 7/2014, § 9 SGB VII RdNr 42; Mehrtens/Brandenburg, BKV, Stand 12/2013, M 2108 Anm 2.2.2.). Auch dieses Merkmal erfüllt der Kläger bei ca 30 Jahren festgestellter wirbelsäulenbelasteter Tätigkeit.

21

Das LSG hat davon ausgehend zu Recht angenommen, dass beim Kläger die Anforderungen an die tatbestandlich vorausgesetzte berufliche Exposition iS der BK 2108 erfüllt sind (BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 21).

22

C. Beim Kläger besteht nach den Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) auch eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS in Form eines chronischen degenerativen Lumbalsyndroms mit pseudoradikulärer Lumboischialgie an vier Lendenbandscheiben mit einer altersüberschreitenden Chondrose Grad III im Segment L5/S1 unter Mitbeteiligung der Segmente L3/L4 und L1/L2 mit Akzentuierung der Umformung im Lendenkreuzbeinübergang. Damit liegt ein dreisegmentaler Schaden der LWS vor. Die zusätzliche Feststellung einer Chondrose Grad II in einem ersichtlich nicht existierenden "Segment L5/5" ist für die Bejahung des erforderlichen Gesundheitsschadens unerheblich. Darüber hinaus existieren demgegenüber schwächer ausgeprägte Bandscheibenschäden an der HWS.

23

D. Die Beurteilung des LSG, dass die festgestellten LWS-Schäden rechtlich wesentlich durch die versicherten Einwirkungen verursacht wurden, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Für die Anerkennung einer BK ist neben der Kausalität zwischen versicherter Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen (Einwirkungskausalität) ein Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkungen einerseits und der Erkrankung andererseits erforderlich. Für die umstrittene BK 2108 bedeutet dies, dass die LWS-Erkrankung des Klägers durch langjähriges schweres Heben und Tragen bzw Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit verursacht worden sein muss. Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung gilt im Berufskrankheitenrecht, wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung, die Theorie der wesentlichen Bedingung (s zum Arbeitsunfall die Entscheidungen des erkennenden Senats vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 34 ff sowie BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37; zu BKen s BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - juris RdNr 32; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 13 sowie - B 2 U 26/04 R - juris RdNr 17), die zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie beruht, nach der jedes Ereignis (jede Bedingung) Ursache eines Erfolges ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Steht die versicherte Tätigkeit als eine der Wirkursachen fest, muss auf der zweiten Stufe die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestands fallenden Gefahr sein. Die Wesentlichkeit der Wirkursache ist zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen (zur Theorie der wesentlichen Bedingung: zuletzt eingehend BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37 f sowie BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1, RdNr 28 ff). Vorliegend hat das LSG zu Recht sowohl die (sonstigen) arbeitstechnischen (dazu unter 1.) als auch arbeitsmedizinischen Voraussetzungen (dazu unter 2.) bejaht.

24

1. Unter Zugrundelegung der bindend festgestellten Einwirkungs-Werte iHv 9,71 MNh durch Heben und Tragen von Lasten sowie 8,83 MNh durch Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung ist das LSG in durch das Revisionsgericht nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen auch im Hinblick auf die generelle Eignung der festgestellten Einwirkung zur Krankheitsverursachung im Sinne einer BK 2108 im Falle des Klägers gegeben sind. Die Belastungen der unterschiedlichen Einwirkungsformen "schweres Heben und Tragen" einerseits sowie "Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung" hat das LSG zu Recht addiert (dazu unter a). Zutreffend hat das LSG für die Berechnung der in der Höhe und Intensität zur Erzeugung des Bandscheibenschadens genügenden Einwirkungsbelastung das Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) zugrunde gelegt (dazu unter b). Darüber hinaus erfolgten diese Belastungen auch regelmäßig (dazu unter c). Einer Mindest-Tagesdosis bedurfte es hingegen nicht (dazu unter d).

25

a) Zutreffend hat das LSG eine kumulative Einwirkungs-Belastung iHv 18,54 MNh zugrunde gelegt. Die vom LSG vorgenommene Addition der Belastungen durch Heben und Tragen einerseits sowie Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung andererseits in zeitlicher wie in physischer Hinsicht ist nicht zu beanstanden (s Merkblatt vom 21.9.2006 - BArbBl 2006, Heft 10, S 30, 33 aE). Angesichts der auf dasselbe Zielorgan wirkenden Belastungen, für die der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand feststehende Dosis-Wirkungsbeziehungen annimmt, geht der Senat davon aus, dass diese zusammenzurechnen sind (s zur Addition von Hebe- und Tragebelastung einerseits und Schwingungsbelastung andererseits BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 9/05 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 8 RdNr 21).

26

b) Mit der Heranziehung des MDD zur Bestimmung der für eine Krankheitsverursachung erforderlichen Belastungsdosis folgt das LSG der Rechtsprechung des erkennenden Senats, der seit 2003 (BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23, 27 f = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 10; BSG vom 19.8.2003 - B 2 U 1/02 R - USK 2003-219 RdNr 15; BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 18 und zuletzt BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - juris RdNr 25) dieses Modell als eine geeignete Grundlage zur Konkretisierung der im Text der Nr 2108 Anl BKV mit den unbestimmten Rechtsbegriffen "langjähriges" Heben und Tragen "schwerer" Lasten oder "langjährige" Tätigkeit in "extremer Rumpfbeugehaltung" nur ungenau umschriebenen Einwirkungen angesehen hat. Die aufgrund einer retrospektiven Belastungsermittlung für risikobehaftete Tätigkeitsfelder ermittelten Werte, insbesondere die Richtwerte für die Gesamtbelastungsdosis des MDD sind indes nicht als Grenzwerte, sondern als Orientierungswerte oder -vorschläge zu verstehen (s zur Handhabung der hälftigen Orientierungswerte als Mindestbelastungswerte BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - juris RdNr 31; BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 25; sowie die Urteile vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R und B 2 U 10/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Orientierungswerte sind andererseits keine unverbindlichen Größen, die beliebig unterschritten werden können. Ihre Funktion besteht in dem hier interessierenden Zusammenhang darin, zumindest die Größenordnung festzulegen, ab der die wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten als potentiell gesundheitsschädlich einzustufen sind. Die Mindestbelastungswerte müssen naturgemäß niedriger angesetzt werden, weil sie ihrer Funktion als Ausschlusskriterium auch noch in besonders gelagerten Fällen, etwa beim Zusammenwirken des Hebens und Tragens mit anderen schädlichen Einwirkungen, gerecht werden müssen. Werden die Orientierungswerte jedoch so deutlich unterschritten, dass das Gefährdungsniveau nicht annähernd erreicht wird, so ist das Vorliegen einer BK 2108 zu verneinen, ohne dass es weiterer Feststellungen zum Krankheitsbild und zum medizinischen Kausalzusammenhang im Einzelfall bedarf (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 19).

27

Der Senat hat deshalb in der soeben genannten Entscheidung seine frühere Rechtsprechung auf der Grundlage der Erkenntnisse der "Deutschen Wirbelsäulenstudie" (www.dguv.de/inhalt/leistungen/versschutz/bk/wirbelsaeule/index.html) weiterentwickelt und entschieden, dass das MDD in seiner Funktion als Konkretisierung des Ausmaßes der für die BK 2108 erforderlichen beruflichen Einwirkung derzeit nicht durch ein anderes gleichermaßen geeignetes Modell ersetzt werden kann. Der Senat hat indes im Lichte der Erkenntnisse der Ergebnisse der DWS I das MDD in mehreren Punkten modifiziert und insbesondere als unteren Grenzwert, bei dessen Unterschreitung nach gegenwärtigem Wissensstand ein Kausalzusammenhang zwischen beruflichen Einwirkungen und bandscheibenbedingter Erkrankung der LWS ausgeschlossen und deshalb auf einzelfallbezogene medizinische Ermittlungen verzichtet werden kann, die Hälfte des im MDD vorgeschlagenen Orientierungswertes für die Gesamtbelastungsdosis bei Männern von 25 MNh, also 12,5 MNh, angenommen (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 25).

28

Das LSG hat insoweit zur Berechnung der erforderlichen Mindestbelastungsdosis das MDD zutreffend unter Berücksichtigung der Modifikationen, die dieses durch die Rechtsprechung des Senats erfahren hat, angewandt (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 22; BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - juris RdNr 29 ff). Mit einer festgestellten Gesamtbelastungsdosis iHv 18,5 MNh wurde vorliegend der genannte untere Grenzwert erheblich überschritten. Es kommt daher nicht darauf an, ob eine weitere Absenkung im Lichte der Ergebnisse der DWS-Richtwertestudie (DWS II) (korrekte Bezeichnung des Forschungsvorhabens: "Erweiterte Auswertung der Deutschen Wirbelsäulenstudie mit dem Ziel der Ableitung geeigneter Richtwerte", Kurztitel: "DWS-Richtwerteableitung", veröffentlicht unter http://www.dguv.de/ifa/Forschung/Projektverzeichnis/FF-FB_0155A.jsp) angezeigt ist oder mit den Voraussetzungen des § 9 Abs 1 SGB VII unvereinbar wäre(vgl zur Mindestbelastungsdosis bei Frauen Urteil vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

29

c) Auch die erforderliche Regelmäßigkeit der wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten, die sich als Element der arbeitstechnischen Voraussetzungen dem Merkblatt 2006 (BArbBl 2006, S 30 ff Abschnitt IV) entnehmen lässt, ist gegeben. Hierbei reicht es entgegen der Auffassung der Revision aus, dass diese in der ganz überwiegenden Anzahl - mindestens 60 - der Arbeitsschichten erfolgten, ohne dass eine genaue Zeitgrenze pro Arbeitsschicht genannt werden kann (s Merkblatt BArbBl 10/2006, S 30 ff Abschnitt IV aE; vgl BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 15 zur BK 2109). Hintergrund ist, dass bei nicht regelmäßiger Belastung den Bandscheiben genügend Zeit zur Regeneration bleibt und deshalb keine Ursächlichkeit zwischen Druckbelastung und Schädigung besteht (vgl hierzu das Urteil des Senats vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Den Feststellungen des LSG lässt sich gerade noch hinreichend entnehmen, dass der Kläger in mindestens 60 Schichten im Jahr einer relevanten Wirbelsäulenbelastung ausgesetzt war. Auch insoweit ist die vom LSG vorgenommene Addition der Belastungen durch das Heben und Tragen schwerer Lasten und der Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung in zeitlicher wie in physischer Hinsicht - wie bereits dargelegt - nicht zu beanstanden.

30

d) Wie der Senat ebenfalls bereits entschieden hat, lässt sich das Erfordernis des Erreichens einer Mindesttagesdosis anhand des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands nicht begründen. Wie bei der Belastungsdauer können geringere oder fehlende Einwirkungen in einer Arbeitsschicht durch stärkere oder länger dauernde Belastungen in anderen Schichten ausgeglichen werden. Daher ist es nach wie vor nicht zu beanstanden, alle Hebe- und Tragebelastungen, die die Mindestbelastung von 2700 N bei Männern erreichen, entsprechend dem quadratischen Ansatz zu berechnen und aufzuaddieren (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 24; Römer in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand 8/2012, Anh zu K § 9 Anl zu BKV BK Nr 2108 - 2110 RdNr 11a, sowie zur BK 2109: BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 15). Dementsprechend steht es der Verursachung der Erkrankung durch die wirbelsäulenbelastende Tätigkeit auch nicht entgegen, dass sich die Gesamtbelastungsdosis über 40 Jahre akkumuliert hat.

31

2. Schließlich hat das LSG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise das Vorliegen der arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für die Bejahung des Ursachenzusammenhangs zwischen den gefährdenden Einwirkungen im Sinne der BK 2108 und der Bandscheibenerkrankung des Klägers bejaht. Die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen betreffen zwei Aspekte der Anerkennungsvoraussetzungen, nämlich zum einen das Vorliegen der tatbestandlich vorausgesetzten Krankheit, zum anderen das Vorliegen eines Schadensbildes, welches mit der rechtlich-wesentlichen Verursachung dieser Krankheit durch die beruflichen Einwirkungen zumindest im Einklang steht (Bieresborn, Die Umsetzung der BK 2108 aus sozialrechtlicher Sicht, in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann , Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule" , Frankfurt 2014, S 179, 193, 199). Aus dem Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen kann angesichts der multifaktoriellen Entstehung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS nicht automatisch auf das Bestehen der Anspruchsvoraussetzungen der BK 2108 geschlossen werden; vielmehr müssen medizinische Kriterien hinzukommen (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 26; BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 19; BSG vom 30.1.2007 - B 2 U 15/05 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4104 Nr 2 RdNr 23; vgl BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 7/05 R - juris RdNr 16 zur BK nach Nr 4302 der Anlage zur BKV; BSG vom 7.9.2004 - B 2 U 34/03 R - juris RdNr 22).

32

Das Berufungsgericht hat zutreffend den wesentlichen Ursachenzusammenhang zwischen den gefährdenden Einwirkungen im Sinne der BK 2108 und der Bandscheibenerkrankung des Klägers unter Anwendung der arbeitsmedizinischen Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 (U. Bolm-Audorff et al, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheit 2005/3, S 211, 214 ff, 228 ff) bejaht. Die Konsensempfehlungen sind nach wie vor eine geeignete Grundlage, um den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand bezüglich bandscheibenbedingter Erkrankungen der LWS zu bestimmen (dazu unter a). Sie können auch dann angewandt werden, wenn der MDD-Orientierungswert für die Gesamtbelastungsdosis nicht erreicht wurde (dazu unter b). Das LSG hat schließlich in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise das von ihm bindend festgestellte Schadensbild unter Berücksichtigung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands als belastungskonform angesehen (dazu unter c).

33

a) Nicht zu beanstanden ist, dass das LSG die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 zugrunde gelegt hat. Diese bilden zur Überzeugung des Senats weiterhin den aktuellen Erkenntnisstand ab. Die naturwissenschaftliche Kausalitätsprüfung ist zwar eine der Bindung fähige tatsächliche Feststellung der Instanzgerichte (vgl Heinz in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 163 RdNr 9), jedoch sind nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats die die einzelnen Tatbestandsmerkmale der jeweiligen BK unterfütternden allgemeinen (generellen) Tatsachen, die für alle einschlägigen BK-Fälle gleichermaßen von Bedeutung sind, anhand des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands auch revisionsrechtlich überprüfbar (grundlegend: BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 5/05 R - BSGE 96, 297 = SozR 4-5671 § 6 Nr 2, RdNr 19 sowie BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 23; s auch BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 23; s zur älteren Senatsrechtsprechung, wonach diesbezügliche Feststellungen dem Anwendungsbereich des § 163 SGG zugerechnet wurden: BSG vom 2.5.2001 - B 2 U 16/00 R - SozR 3-2200 § 551 Nr 16 S 83 = SozR 3-2700 § 9 Nr 4 = SozR 3-5670 Anl 1 Nr 2108 Nr 4 RdNr 28; BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 22, jeweils mwN). Dies muss zunächst jedenfalls immer dann gelten, wenn diese - wie hier - zulässig gerügt werden (vgl BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - juris RdNr 14; s zur Problematik der Überprüfung von allgemeinen Tatsachen auf ihre offensichtliche Unrichtigkeit auch das Urteil des Senats vom 23.4.2015 - B 2 U 10/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Inwieweit in der Rechtsprechung anderer Senate des BSG (zur Überprüfung sog "genereller Tatsachen" in der sonstigen Rechtsprechung des BSG vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 163 RdNr 7 sowie speziell im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung BSG vom 16.6.1999 - B 1 KR 4/98 R - BSGE 84, 90, 94 = SozR 3-1500 § 163 Nr 7, RdNr 17 sowie BSG vom 12.8.2009 - B 3 KR 10/07 R - BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 135 Nr 4, RdNr 27 und zuletzt BSG vom 12.9.2012 - B 3 KR 10/12 R - BSGE 112, 15, 37 = SozR 4-2500 § 137 Nr 1 RdNr 55; s zu "Rechtstatsachen" BSG vom 25.10.1994 - 3/1 RK 57/93 - SozR 3-1500 § 163 Nr 5, juris RdNr 27, zu "allgemeinkundigen Tatsachen historischer Natur" BSG vom 7.2.1985 - 9a RV 5/83 - BSGE 58, 38, 42 = SozR 3100 § 5 Nr 7, RdNr 17 sowie zu "gerichtskundigen Tatsachen" BSG vom 27.1.1977 - 7 RAr 16/75 - BSGE 43, 124, 127 = SozR 4100 § 41 Nr 28 RdNr 30) eine solche Überprüfung genereller Tatsachen erfolgt, kann hier dahinstehen. Denn jedenfalls im Bereich des Rechts der BKen hat das BSG aufgrund der in den Normtexten der jeweiligen BKen in der Anlage zur BKV regelmäßig vertypisierten wissenschaftlichen Aussagen die Existenz der einschlägigen Erfahrungssätze selbst festzustellen. Das über das Vorliegen von BKen befindende Gericht muss sich folglich Klarheit darüber verschaffen, welches in der streitigen Frage der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ist. Die heranzuziehenden Quellen - Fachbücher, Standardwerke, Merkblätter des zuständigen Ministeriums, Begründungen des Sachverständigenbeirats, Konsensempfehlungen etc - hat das jeweilige Gericht eigenständig kritisch zu würdigen und auf ihre Aktualität hin zu überprüfen (vgl BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 100/12 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 24 RdNr 18; BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 68 f; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 20; vgl auch BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 20; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17 mwN).

34

Hierbei ist zunächst die Zugrundelegung der Konsensempfehlungen durch das LSG als Orientierungshilfe bei der Beurteilung, ob der Bandscheibenschaden des Klägers nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand durch die festgestellten beruflichen Einwirkungen verursacht wurde, revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Denn die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 sind nach wie vor eine hinreichende Grundlage für die Bestimmung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands, wie der Senat zuletzt 2009 klargestellt hat (BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - juris RdNr 15). Seitdem wurden zwar in Folge der Veröffentlichung der DWS II Fachaufsätze publiziert, die Zweifel an den Aussagen auch der Konsensempfehlungen äußern. Weder der DWS II noch den sonstigen Veröffentlichungen ist jedoch zu entnehmen, dass die Erkenntnisse der Konsensarbeitsgruppe aus dem Jahre 2005 gerade hinsichtlich der hier zugrunde gelegten Befundkonstellation inzwischen veraltet sein könnten. Sofern vertreten wird, dass inzwischen die Ergebnisse der DWS II die wesentlichen Grundannahmen aus den Konsenskriterien widerlegten, etwa weil die bisher angenommenen Einwirkungsgrößen zu hoch seien, die Lokalisation und Häufigkeit der Verteilung von Bandscheibenschäden zu 96% mit denen der Normalbevölkerung identisch sei, die Auswertungen der DWS II keine deutliche Abhängigkeit der Begleitspondylose von der MDD-Gesamtbelastungsdosis gezeigt habe oder Schäden an der HWS keine Aussagekraft zur Verursachung von LWS-Schäden hätten (M. Kentner und K. Frank, Kommentar zur DWS-Richtwertestudie und Implikationen hinsichtlich BK 2108 - Biomechanik vs. Pathophysiologie, Manuskript, erscheint in ASUMed 8/2015; Linhardt/Grifka, Auswirkungen der Deutschen Wirbelsäulenstudie auf die Berufskrankheit der Lendenwirbelsäule , MedSach 111 <2015>, 20, 21; Bergmann, Bolm-Audorff, Ditchen, Ellegast, Haerting, Kersten, Jäger, Skölziger, Kuß, Morfeld, Schäfer, Seidler, Luttmann, Lumbaler Bandscheibenvorfall mit Radikulärsyndrom und fortgeschrittene Osteochondrose, ZblArbeitsmed 2014, 233 - 238) handelt es sich erkennbar um wissenschaftliche Einzelmeinungen.

35

Die zitierten Publikationen setzen sich zum einen jeweils inhaltlich nicht mit der grundsätzlichen Kritik an der angewandten Methodik der Nachuntersuchung auseinander (s nur Grosser, Ergebnisse der Konsensusarbeitsgruppe zur Begutachtung der BK 2108 - Status quo und Konsequenzen aus der DWS, in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann, Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule" , Frankfurt 2014, S 84 - 104; Zagrodnik, Fragliche Belastungsdosis, DGUV Forum 2014, Nr 7/8 S 10 - 13), zum anderen schöpfen sie ihre Kritik an den Aussagen der Konsensempfehlungen alleine aus den Ergebnissen der DWS II, und wenden sich im Wesentlichen gegen die Bestimmung und Höhe der Einwirkungsgrößen, nicht aber gegen die Grundaussage der Konsensempfehlungen, dass Bandscheibenschäden aufgrund beruflich erworbener Druckbelastungs-Dosen entstehen können. Der Senat verkennt nicht, dass ein wissenschaftlicher Erkenntnisstand auch dadurch erschüttert werden kann, dass grundlegende und fundierte Zweifel seitens der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler diesem den Boden entziehen, ohne dass sich diese in ihrer Mehrheit auf einen neuen Konsens geeinigt hätten. Einzelne Gegenstimmen sind demgegenüber nicht geeignet, einen einmal gebildeten und sich in schriftlichen Beurteilungskriterien manifestierenden wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu erschüttern, solange nicht die daran beteiligten Autoren in ihrer Mehrheit diesen Konsens in wesentlichen Punkten aufkündigen oder eine (zumindest teilweise) personell anders zusammengesetzte große Mehrheit der mit dieser Materie befassten Fachwissenschaftler diesem Konsens entgegentritt.

36

Dem Senat liegen im Rahmen seiner eigenen Ermittlungen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass die Konstellation B4 der Konsensempfehlungen nicht mehr dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entspricht. Zwar wird hierzu kritisch geäußert, aus Schäden an der HWS könnten keine Aussagen über die Verursachung von Schäden an der LWS durch Druck abgeleitet werden (M. Kentner und K. Frank, Kommentar zur DWS-Richtwertestudie und Implikationen hinsichtlich BK 2108 - Biomechanik vs. Pathophysiologie, Manuskript, erscheint in ASUMed 8/2015). Dies vermag jedoch den Aussagewert der Befundkonstellation B4 nach Überzeugung des Senats nicht zu erschüttern, weil die Konsensempfehlungen gerade davon ausgehen, dass kein belastungstypisches, sondern nur ein belastungskonformes Schadensbild existiert. Damit können bestimmte Befundkonstellationen, in denen andere anatomisch nicht in gleichem Maße druckbelastete Segmente wie die der LWS genauso oder stärker geschädigt sind, den Verursachungszusammenhang nicht ausschließen, sie können allenfalls den Verdacht erzeugen, dass die Schäden der LWS wesentlich auf anlagebedingten Faktoren beruhen.

37

b) Entgegen der Revision ist auch nicht zu beanstanden, dass sich das LSG auf die Aussagen der Konsensempfehlungen stützt, obwohl nach seinen eigenen Feststellungen die nach dem MDD für Männer geforderte Gesamtbelastungsdosis iHv 25 MNh durch den Kläger mit 18,54 MNh nicht erreicht wurde. So wie der erkennende Senat im Recht der BKen nicht gehindert ist, den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu Verursachungszusammenhängen festzustellen, ist er ebenso wenig gehindert, die korrekte Zuordnung des Sachverhalts seitens des Berufungsgerichts unter diesen einschlägigen Erkenntnisstand zu überprüfen. Dies gilt umso mehr, wenn dieser in Konsensempfehlungen verdichtet ist. Bei diesen handelt es sich freilich nicht um einen normativen Text oder ein antizipiertes Sachverständigengutachten, weil die Konsensempfehlungen weder vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber erlassen, noch von unabhängigen und der Neutralität verpflichteten Autoren verfasst wurden (P. Becker, ASUMed 2009, 592, 595). Daher sind sie für Verwaltung, Gerichte oder Gutachter auch nicht unmittelbar verbindlich (Siefert, ASR 2011, 45, 48) und es verbietet sich deren Auslegung unter strikter Anwendung der Regeln der juristischen Methodenlehre (vgl Bieresborn, Die Umsetzung der BK 2108 aus sozialrechtlicher Sicht aaO, S 199). Konsensempfehlungen dienen lediglich zur Erleichterung der Beurteilung im Einzelfall, um typische Befundkonstellationen im Hinblick auf die Kausalbeziehungen unter Zugrundelegung des aktuell wissenschaftlichen Erkenntnisstands einordnen zu können (Duell, Kranig, Palfner, BK-Begutachtungsempfehlungen - Wissen von Experten für Experten, DGUV Forum 2012, Nr 4 S 14, 16). Andererseits muss bei diesem Erkenntnisvorgang überprüfbar bleiben, ob das LSG nach allgemeinem Verständnis den von ihm festgestellten Sachverhalt (noch) vertretbar den in den Konsensempfehlungen aufgeführten Kategorien zugeordnet hat.

38

Nicht zu beanstanden ist im Rahmen des soeben aufgezeigten Prüfumfangs jedenfalls die Aussage des LSG, dass die Konsensempfehlungen bereits bei einem Gesamtbelastungswert von 18,54 MNh Anwendung finden können. Den Konsensempfehlungen selbst lässt sich das Erreichen der MDD-Gesamtbelastungsdosiswerte von 25 MNh jedenfalls nicht als Anwendungsvoraussetzung entnehmen. So nehmen die Konsensempfehlungen nur an wenigen Stellen Bezug auf das MDD. Auf dessen Orientierungswert wird sogar nur an einer Stelle verwiesen, nämlich als Alternative 3 der Konstellation B2, die vorliegend allerdings unerheblich ist, weil sich das LSG zur Anerkennung auf die Alternative 1 in Verbindung mit der Konstellation B4 bezogen hat. Soweit die Konsensempfehlungen unter 1.4 "Zusammenhangsbeurteilung" eine "ausreichende berufliche Belastung" fordern, lässt sich dieser Formulierung nicht entnehmen, dass damit das Erreichen des MDD-Orientierungswertes zur Gesamtbelastungsdosis vorausgesetzt wird. So führen die Autoren der Konsensempfehlungen im Vorspann aus, dass zum Zeitpunkt der Initiierung ihres Projekts die zentrale Frage der Expositionsbeurteilung ebenso wenig gelöst war, wie die der Begutachtung. Erklärtes Ziel ihrer Tätigkeit war die Formulierung konkretisierter Begutachtungskriterien, obwohl konkrete Forschungsergebnisse aus dem Parallelprojekt der DWS, mit dem die Dosis-Wirkungsbeziehungen zwischen beruflichen Belastungen und der Entstehung von bandscheibenbedingten Wirbelsäulenerkrankungen in einer Fallkontrollstudie einer besseren epidemiologischen Klärung zugeführt werden sollten, erst zu einem späteren Zeitpunkt erwartet wurden. Bereits dies spricht dagegen, dass die Konsensempfehlungen die Werte des MDD als Anwendungsbedingung voraussetzen.Vielmehr überlassen sie erkennbar die Beurteilung der ausreichenden Belastungen dem jeweiligen Gutachter, an den diese "Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung" adressiert sind. Jedenfalls folgt hieraus, dass die vom LSG vorgenommene "Interpretation" des Einstiegswerts der Konsensempfehlungen nicht offensichtlich falsch ist (zum Prüfansatz vgl insoweit das Urteil des Senats vom 23.4.2015 - B 2 U 10/14 R).

39

c) Es ist ferner nicht zu beanstanden, dass das LSG das Vorliegen der Konstellation B4 der Konsensempfehlungen bejaht hat. Für sämtliche B-Konstellationen wird vorausgesetzt, dass die (gesicherte) bandscheibenbedingte Erkrankung nach ihrer Lokalisation die Segmente L5/S1 und/oder L4/L5 betrifft und eine Ausprägung als Chondrose Grad II oder höher und/oder Vorfall hat. Sofern zusätzlich eine Begleitspondylose besteht (Befundkonstellation B1) gilt der Zusammenhang als wahrscheinlich. Liegt hingegen keine Begleitspondylose vor, so wird nach der ersten Alternative der Befundkonstellation B2 der Zusammenhang dann als wahrscheinlich betrachtet, wenn eine Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben besteht.

40

Nach den bindenden Feststellungen des LSG bestehen beim Kläger Erkrankungen in Form einer altersüberschreitenden Chondrose Grad III im Segment L5/S1 unter Mitbeteiligung der Segmente L3/L4 und L1/L2 mit Akzentuierung der Umformung im Lendenkreuzbeinübergang. Damit liegt nach den nicht mit beachtlichen Rügen angegriffenen Feststellungen des LSG ein jedenfalls drei- und damit mehrsegmentaler Schaden der LWS und damit die Voraussetzungen der B2-Konstellation in der 1. Alternative des ersten Spiegelstrichs vor. Es kommt mithin nicht darauf an, ob auch eine weitere Alternative der B2-Konstellation gegeben ist. Auch die in der auf der B2-Konstellation aufbauenden B4-Konstellation vorausgesetzten schwächer ausgeprägten Bandscheibenschäden an der HWS sind nach den Feststellungen des LSG gegeben. Bei der B4-Konstellation ist nach den Konsensempfehlungen der Zusammenhang wahrscheinlich, weshalb die darauf gestützte Feststellung des Vorliegens einer BK 2108 revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden ist, weil gerade insoweit (betreffend die Konstellation B4) wie ausgeführt - keine wissenschaftlich beachtliche Kritik geübt wird, die die Anwendbarkeit dieser Konstellation insgesamt in Zweifel ziehen könnte (vgl zu den Grenzen der revisionsgerichtlichen Erkenntnismöglichkeiten bei der Zugrundelegung der Konsensempfehlungen Senatsurteile vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R sowie B 2 U 10/14 R -, beide zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

41

E. Schließlich hat der Kläger nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts auch sämtliche wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten unterlassen, weshalb die Revision der Beklagten insgesamt zurückzuweisen war.

42

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 31. Januar 2013 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr 2108 (BK 2108) der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).

2

Die 1947 geborene Klägerin war seit 1986 als Beschäftigte einer Garten- und Landschaftsbau GmbH tätig, wobei sie insbesondere bei Anpflanzungsarbeiten im Autobahnbau Bäume und Solitärsträucher mit Ballen mit einem Gewicht von 20 bis 50 kg, manchmal 70 kg, bewegen musste. Im Jahre 2003 beantragte sie bei der Beklagten die Anerkennung einer BK 2108 und gab an, dass sie ihre Tätigkeit wegen Rückenbeschwerden im Sommer 2002 habe aufgeben müssen. Durch Bescheid vom 7.9.2004 stellte die Beklagte fest, dass keine BK nach Nr 2108 der BK-Liste vorliege. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14.12.2004). Durch Urteil vom 19.6.2006 hat das SG die Klage abgewiesen.

3

Das LSG hat nach Durchführung arbeitstechnischer und medizinischer Ermittlungen die Berufung der Klägerin durch Urteil vom 31.1.2013 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klägerin zwar im Zeitraum zwischen 1986 und 2002 einer kumulativen Belastung von 18,5 Meganewtonstunden (MNh), also mehr als dem Lebensdosisrichtwert nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) für Frauen von 17 MNh, ausgesetzt gewesen sei, weshalb die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt seien. Die Klägerin leide auch an einer monosegmentalen bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS in Form eines Bandscheibenprolapses im Segment L5/S1. Es bestehe jedoch keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass diese Erkrankung der LWS durch die Berufstätigkeit zumindest als wesentliche Teilursache hervorgerufen worden sei. Die Spondylose übersteige im Nativröntgenbild entsprechend Ziffer 1.2 A der Konsensempfehlungen (U. Bolm-Audorff et al, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheit 2005/3 S 211, 214 ff) nicht das alterstypische Maß. Daneben liege eine beginnende Chondrose der HWS geringer als an der LWS vor. Damit sei die Konstellation B3 der Konsensempfehlungen gegeben, weil ein monosegmentaler Befund ohne Begleitspondylose vorliege, keine konkurrierenden Ursachenfaktoren ersichtlich seien und keines der in der Konstellation B2 genannten Zusatzkriterien erfüllt sei. Für ein besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen iS der B2-Konstellation ergäben sich aus den Berechnungen des Präventionsdienstes der Beklagten keinerlei Anhaltspunkte. Bei der Klägerin liege auch das weitere Zusatzkriterium der B2-Konstellation der besonders intensiven Belastung mit Erreichen des Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren nicht vor. Unter Zugrundelegung ihrer eigenen Angaben sei eine Belastung iHv maximal 8,42 MNh in einem Zeitraum von zehn Jahren, dh iHv 49,53 % des nach dem MDD angenommenen Richtwertes für die Lebensdosis bei Frauen, nachgewiesen. Die B2-Konstellation sei vom Wortlaut her eindeutig und lasse es nicht zu, einen halbierten Bezugswert statt den in den Konsensempfehlungen bezeichneten Bezugswert von 17 MNh für Frauen zugrunde zu legen. Dass sich ein Konsens dahingehend gebildet hätte, bei monosegmentalen Schadensbildern von Zusatzkriterien abzusehen, sei nicht ersichtlich. Nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft spreche bei der Konstellation B3 deutlich mehr gegen als für einen Zusammenhang zwischen beruflicher Belastung und bandscheibenbedingter Erkrankung der Wirbelsäule.

4

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision eine Verletzung des § 9 Abs 1 SGB VII iVm Nr 2108 der Anlage 1 zur BKV. Die Auffassung des LSG, bei der Konstellation B3 des sog Konsensmodells spreche nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft mehr gegen als für einen Zusammenhang zwischen beruflicher Belastung und bandscheibenbedingter Erkrankung der Wirbelsäule, sei rechtsfehlerhaft. Aus dem Konsensmodell ließen sich für die Konstellation B3 gerade keine Schlussfolgerungen ableiten. Es treffe nicht zu, dass bei einer Reduzierung der Anforderungen an eine besonders intensive Belastung auf die Hälfte des Dosiswertes das Konsensmodell seinen Sinn verliere. Das BSG habe die Dosiswerte halbiert, um den Erkenntnissen der Wirbelsäulenforschung Rechnung zu tragen. Diese habe zu dem Ergebnis geführt, dass bandscheibenbedingte Erkrankungen der Wirbelsäule auch bei Unterschreitung der im MDD vorgeschlagenen Orientierungswerte beruflich verursacht sein könnten. Die Ergebnisse der Deutschen Wirbelsäulen-Studie deuteten darauf hin, dass auch unterhalb des Orientierungswertes nach dem MDD ein erhöhtes Risiko für bandscheibenbedingte Erkrankungen bestehen könnte. Es biete sich an, die Reduzierung des Dosiswerts um die Hälfte im Sinne der Rechtsprechung des BSG aus dem Jahre 2007 auch hier zu übernehmen.

5

Die Klägerin beantragt,

        

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 31. Januar 2013 sowie das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 19. Juni 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 7. September 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2004 aufzuheben und festzustellen, dass bei der Klägerin seit dem 12. März 2003 eine Berufskrankheit nach der Nr 2108 der Anlage 1 zur BKV besteht.

6

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

7

Eine Übertragung der Rechtsprechung des BSG zur Halbierung des Richtwertes für die Gesamtbelastungsdosis auf das Kriterium der Konstellation B2 der Konsensvereinbarungen würde diese insgesamt infrage stellen. Selbst bei einer Halbierung des Richtwertes für die Gesamtbelastungsdosis und einer Übertragung auf das zweitbenannte Kriterium der Konstellation B2 werde dieser Wert durch die Klägerin mit 8,42 MNh nicht erreicht. Anhaltspunkte für ein besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen im Sinne des drittbenannten Kriteriums seien nicht festgestellt worden. Zwar bestehe bei Vorliegen der Konstellation B3 bezüglich der Zusammenhangsbeurteilung kein Konsens, jedoch stimme das Ergebnis des LSG mit der überwiegenden Meinung der Teilnehmer der Arbeitsgruppe sowie der Rechtsprechung überein.

Entscheidungsgründe

8

Die statthafte und zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG), weil die vom LSG festgestellten Tatsachen für eine abschließende Entscheidung durch den Senat nicht ausreichen. Weder lässt sich danach beurteilen, ob der isolierte Bandscheibenvorfall der Klägerin unter Zugrundelegung des neuesten Standes der medizinischen Wissenschaft ohne die in der Konstellation B2 genannten Zusatzkriterien durch schweres Heben- und Tragen verursacht wurde, noch ob die erforderliche Regelmäßigkeit der Einwirkungen gegeben ist.

9

Die erhobenen Klagen sind als Anfechtungsklage gegen die ablehnenden Entscheidungen verbunden mit der auf Feststellung einer BK gerichteten Feststellungsklage zulässig (BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - NZS 2012, 151 ff RdNr 10).

10

Der erhobene Anspruch beurteilt sich gemäß § 212 SGB VII nach den Vorschriften des SGB VII, weil nicht ersichtlich ist, dass der Versicherungsfall bereits vor dem Inkrafttreten des SGB VII am 1.1.1997 (Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz vom 7.8.1996, BGBl I 1254) eingetreten sein könnte. Rechtsgrundlage für die Anerkennung der streitigen BK ist § 9 Abs 1 SGB VII iVm Nr 2108 der Anlage 1 zur BKV vom 31.10.1997 (BGBl I 2623), die lautet: "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können". Nach § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind BKen nur diejenigen Krankheiten, die durch die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als solche bezeichnet sind (sog Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist für die Feststellung einer Listen-BK erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) sowie dass eine Krankheit vorliegt (dazu unter A.). Des Weiteren muss die Krankheit durch die Einwirkungen verursacht worden sein (haftungsbegründende Kausalität ). Schließlich ist Anerkennungsvoraussetzung, dass der Versicherte deshalb seine Tätigkeit aufgeben musste sowie alle gefährdenden Tätigkeiten unterlässt. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, ist die BK nicht anzuerkennen (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 17). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK. Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 12; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4, RdNr 16 mwN; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 9/08 R - BSGE 103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr 14, RdNr 9 mwN; zuletzt BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - UV-Recht Aktuell 2012, 412; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - NZS 2012, 151; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 14).

11

A.1. Die Klägerin war vom 1.8.1986 bis Sommer 2002 in einer Firma für Garten- und Landschaftsbau als Arbeitnehmerin tätig. Sie war damit als "Beschäftigte" iS von § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII versichert.

12

2. Nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) unterlag die Klägerin in diesem Zeitraum bei der Ausübung der Beschäftigung einer kumulativen Einwirkungs-Belastung in Form von Hebe- und Tragevorgängen iHv 18,5 MNh (vgl zur Feststellung der tatbestandlich vorausgesetzten Einwirkung in Form von Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 20/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

13

3. Diese Belastungen erfolgten - wie der Tatbestand der BK 2108 voraussetzt - auch langjährig, nämlich von 1986 bis 2002 und damit 16 Jahre. Langjährig bedeutet, dass zehn Berufsjahre als im Durchschnitt untere Grenze der belastenden Tätigkeit zu fordern sind (so wörtlich das aktuelle Merkblatt 2108, BArbBl 2006, Heft 10, S 30, Abschnitt IV; vgl zum Merkmal "langjährig" bei der BK 2109 BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 15; s zur BK 2108 bereits BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 10; BSG vom 22.6.2004 - B 2 U 22/03 R - juris RdNr 25; vgl auch: Römer in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand 08/2012, Anh zu K § 9 Anl zu BKV BK Nr 2108 - 2110 RdNr 7 mwN; Ricke in Kasseler Kommentar, Stand 5/2014, § 9 SGB VII RdNr 42; Mehrtens/Brandenburg, BKV, Stand 12/13, M 2108 Anm 2.2.2).

14

4. Nach den weiteren Feststellungen des LSG leidet die Klägerin an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS. Bei ihr liegt im Segment L5/S1 ein altersuntypischer Befund in Form eines Bandscheibenprolapses vor. Darüber hinaus sind keine altersuntypischen Veränderungen auch nicht in Form einer Spondylose vorhanden. An die Feststellung dieses monosegmentalen Befundes ist der Senat mangels zulässiger Rügen gebunden (§ 163 SGG).

15

B. Der Senat kann hingegen mangels hinreichender Tatsachengrundlage nicht entscheiden, ob das LSG zu Recht den Ursachenzusammenhang zwischen gefährdenden Einwirkungen iS der BK 2108 und der Bandscheibenerkrankung der Klägerin verneint hat. Für die Anerkennung einer BK ist neben der Kausalität zwischen versicherter Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen (Einwirkungskausalität) ein Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkungen und der Erkrankung erforderlich. Für die umstrittene BK 2108 bedeutet dies, dass die Lendenwirbelsäulenerkrankung der Klägerin durch langjähriges schweres Heben und Tragen bzw Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung im Rahmen ihrer versicherten Tätigkeit verursacht worden sein muss. Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung gilt im Berufskrankheitenrecht, wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung, die Theorie der wesentlichen Bedingung (siehe zum Arbeitsunfall die Entscheidungen des erkennenden Senats vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 34 ff sowie BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37; zu BKen s BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - juris RdNr 32; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 13 sowie - B 2 U 26/04 R - juris RdNr 17), die zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie beruht, nach der jedes Ereignis (jede Bedingung) Ursache eines Erfolges ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Steht die versicherte Tätigkeit als eine der Wirkursachen fest, muss auf der zweiten Stufe die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr sein. Die Wesentlichkeit der Wirkursache ist zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen (zur Theorie der wesentlichen Bedingung: zuletzt eingehend BSG, vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37 f sowie BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1, RdNr 28 ff).

16

Vorliegend ist das LSG in durch das Revisionsgericht nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass die Klägerin einer in der Höhe zur Erzeugung des Bandscheibenschadens genügenden Einwirkungsbelastung unterlag (dazu unter 1). Mangels ausreichender Feststellungen kann der Senat jedoch nicht entscheiden, ob die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für eine positive Kausalitätsbeurteilung gegeben sind (dazu unter 2.). Ebenso wenig kann der Senat aufgrund der Feststellungen entscheiden, ob die erforderliche Regelmäßigkeit der wirbelsäulenbelastenden Tätigkeit vorliegt (dazu unter 3).

17

1. Unter Zugrundelegung des bindend festgestellten Einwirkungs-Wertes iHv 18,5 MNh ist das LSG ausgehend vom MDD zutreffend davon ausgegangen, dass die versicherten Einwirkungen durch schweres Heben und Tragen, denen die Klägerin unterlag, in der Höhe ausreichten, um einen Bandscheibenschaden zu verursachen. Mit der Heranziehung des MDD zur Bestimmung der für eine Krankheitsverursachung erforderlichen Belastungsdosis folgt das LSG der Rechtsprechung des erkennenden Senats, der seit 2003 (BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 11 ff; BSG vom 19.8.2003 - B 2 U 1/02 R - USK 2003-219 RdNr 15; BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 18 und zuletzt BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - juris RdNr 25) dieses Modell als eine geeignete Grundlage zur Konkretisierung der im Text der BK 2108 mit den unbestimmten Rechtsbegriffen "langjähriges" Heben und Tragen "schwerer" Lasten oder "langjährige" Tätigkeit in "extremer Rumpfbeugehaltung" nur ungenau und allenfalls nur richtungsweisend umschriebenen Einwirkungen angesehen hat. Die auf Grund einer retrospektiven Belastungsermittlung für risikobehaftete Tätigkeitsfelder ermittelten Werte, insbesondere die Richtwerte für die Gesamtbelastungsdosis des MDD sind nicht als Grenzwerte, sondern als Orientierungswerte oder -vorschläge zu verstehen (s zur Handhabung der hälftigen Orientierungswerte als Mindestbelastungswerte BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - juris RdNr 31; BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 25; sowie die Urteile vom 23.4.2015 - B 2 U 20/14 R und B 2 U 10/14 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Für Frauen legt das MDD als Gesamtbelastungsdosis 17 MNh fest, die mit den bindend festgestellten 18,5 MNh sogar überschritten werden, sodass es im hier zu entscheidenden Fall nicht darauf ankommt, ob bereits ein geringerer, ggf hälftiger Wert dieses Orientierungswertes ausreichen würde, um von einem erhöhten Erkrankungsrisiko auszugehen und deshalb auf einzelfallbezogene medizinische Ermittlungen nicht mehr verzichtet werden kann (vgl für Männer BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 25). Es kommt deshalb auch nicht drauf an, ob aufgrund der mittlerweile vorliegenden Ergebnisse der DWS-Richtwertestudie (DWS II; "Erweiterte Auswertung der Deutschen Wirbelsäulenstudie mit dem Ziel der Ableitung geeigneter Richtwerte", Kurztitel: "DWS-Richtwerteableitung", veröffentlicht unter http://www.dguv.de/ifa/Forschung/Projektverzeichnis/ FF-FB_0155A.jsp) eine weitere Absenkung der Orientierungswerte angezeigt ist. Der Senat weist aber in diesem Zusammenhang darauf hin, dass gemäß § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII generelle Voraussetzung für die Einführung eines BK-Tatbestandes die gruppenspezifische Risikoerhöhung gegenüber der Gesamtbevölkerung ist, deren Annahme jedenfalls bei Werten iHv 3 MNh bedenklich erscheint(s nur Kranig, Was schadet den Bandscheiben?, DGUV Forum 2013, Nr 6 S 27, 31; vgl auch LSG Baden-Württemberg vom 25.9.2008 - L 10 U 5965/06 - Breith 2009, 307, RdNr 34 ff).

18

2. Der Senat kann allerdings nicht entscheiden, ob die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für die Bejahung des erforderlichen Ursachenzusammenhangs zwischen gefährdenden Einwirkungen iS der BK 2108 und der Bandscheibenerkrankung der Klägerin, die das Berufungsgericht verneint hat, vorliegen, weil hierfür die Feststellungen des LSG nicht ausreichen. Während die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK zum einen das Vorhandensein der tatbestandlich vorausgesetzten Einwirkungen, zum anderen die potentielle Kausalität zwischen diesen Einwirkungen und einer Erkrankung beinhalten, betreffen die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen ebenfalls zwei Aspekte der Anerkennungsvoraussetzungen, nämlich zum einen das Vorliegen der tatbestandlich vorausgesetzten Krankheit, zum anderen das Vorliegen eines Schadensbildes, welches mit der rechtlich-wesentlichen Verursachung dieser Krankheit durch die beruflichen Einwirkungen zumindest im Einklang steht (Bieresborn, Die Umsetzung der BK 2108 aus sozialrechtlicher Sicht, in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann , Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule" , Frankfurt 2014, S 179, 193, 199). Aus dem Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen kann angesichts der multifaktoriellen Entstehung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 26) nicht automatisch auf das Bestehen der Anspruchsvoraussetzungen der BK 2108 geschlossen werden; vielmehr müssen medizinische Kriterien hinzukommen (BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 19; BSG vom 30.1.2007 - B 2 U 15/05 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4104 Nr 2, RdNr 23; vgl BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 7/05 R - juris RdNr 16 zur BK nach Nr 4302 der Anlage zur BKV; BSG vom 7.9.2004 - B 2 U 34/03 R - juris RdNr 22).

19

Das Berufungsgericht hat in nicht zu beanstandender Weise bei der Bestimmung des maßgeblichen aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands sowohl die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 zugrunde gelegt (dazu unter a) als auch das festgestellte Schadensbild diesen Erkenntnissen zugeordnet, mit dem Ergebnis, dass ein belastungskonformes Schadensbild iS der Konsensempfehlungen nicht vorliegt (dazu unter b). Hingegen ist die Aussage des Berufungsgerichts, in Fällen der B3-Konstellation spreche mehr gegen als für eine Verursachung durch die spezifischen beruflichen Einwirkungen iS der BK 2108 nicht haltbar (dazu unter c). Ob bei der festgestellten Befundkonstellation ein Anspruch auf Anerkennung einer BK 2108 besteht, kann der Senat mangels hinreichender Feststellungen dazu, ob nach dem neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisstand Umstände vorliegen, die ausnahmsweise trotz Fehlens der B2-Zusatzkriterien der Konsensempfehlungen den Verursachungszusammenhang zwischen beruflichen Einwirkungen und LWS-Schaden stützen, nicht entscheiden, weshalb der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen ist (dazu unter d).

20

a) Nicht zu beanstanden ist, dass das LSG die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 (U. Bolm-Audorff et al, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheit 2005/3, S 211, 216 ff, 228 ff) zugrunde gelegt hat. Diese bilden nach Überzeugung des Senats weiterhin den aktuellen Erkenntnisstand ab.Die naturwissenschaftliche Kausalitätsprüfung ist zwar eine der Bindung fähige tatsächliche Feststellung der Instanzgerichte (vgl Heinz in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 163 RdNr 9), jedoch sind nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats die die einzelnen Tatbestandsmerkmale der jeweiligen BK unterfütternden allgemeinen (generellen) Tatsachen, die für alle einschlägigen BK-Fälle gleichermaßen von Bedeutung sind, anhand des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands auch revisionsrechtlich überprüfbar (grundlegend: BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 5/05 R - BSGE 96, 297 = SozR 4-5671 § 6 Nr 2, RdNr 19 sowie BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 23; s auch BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 23; s zur älteren Senatsrechtsprechung, wonach diesbezügliche Feststellungen dem Anwendungsbereich des § 163 SGG zugerechnet wurden: BSG vom 2.5.2001 - B 2 U 16/00 R - SozR 3-2200 § 551 Nr 16 S 83 = SozR 3-2700 § 9 Nr 4 = SozR 3-5670 Anl 1 Nr 2108 Nr 4, juris RdNr 28; BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 15, jeweils mwN). Dies muss zunächst jedenfalls immer dann gelten, wenn diese - wie hier - zulässig gerügt werden (vgl BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - juris RdNr 15; s zur Problematik der Überprüfung von allgemeinen Tatsachen auf ihre offensichtliche Unrichtigkeit auch das Urteil des Senats vom 23.4.2015 - B 2 U 10/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Inwieweit in der Rechtsprechung anderer Senate des BSG (zur Überprüfung sog "genereller Tatsachen" in der sonstigen Rechtsprechung des BSG vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 163 RdNr 7 sowie speziell im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung BSG vom 16.6.1999 - B 1 KR 4/98 R - BSGE 84, 90, 94 = SozR 3-1500 § 163 Nr 7, juris RdNr 17 sowie BSG vom 12.8.2009 - B 3 KR 10/07 R - BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 27 und zuletzt BSG vom 12.9.2012 - B 3 KR 10/12 R - BSGE 112, 15 = SozR 4-2500 § 137 Nr 1, RdNr 55; s zu "Rechtstatsachen" BSG vom 25.10.1994 - 3/1 RK 57/93 - SozR 3-1500 § 163 Nr 5, juris RdNr 27, zu "allgemeinkundigen Tatsachen historischer Natur" BSG vom 7.2.1985 - 9a RV 5/83 - BSGE 58, 38, 42 = SozR 3100 § 5 Nr 7, juris RdNr 17 sowie zu "gerichtskundigen Tatsachen" BSG vom 27.1.1977 - 7 RAr 16/75 - BSGE 43, 124, 127 = SozR 4100 § 41 Nr 28, juris RdNr 30) eine solche Überprüfung genereller Tatsachen erfolgt, kann hier dahinstehen. Denn jedenfalls im Bereich des Rechts der BKen hat das BSG aufgrund der in den Normtexten der jeweiligen BKen in der Anlage zur BKV regelmäßig vertypisierten wissenschaftlichen Aussagen die Existenz der einschlägigen Erfahrungssätze selbst festzustellen. Das über das Vorliegen von BKen befindende Gericht muss sich folglich Klarheit darüber verschaffen, welches in der streitigen Frage der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ist. Die heranzuziehenden Quellen, Fachbücher, Standardwerke, Merkblätter des zuständigen Ministeriums, Begründungen des Sachverständigenbeirats, Konsensempfehlungen etc hat das jeweilige Gericht eigenständig kritisch zu würdigen und auf ihre Aktualität hin ggf durch Sachverständige zu überprüfen (vgl BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 100/12 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 24 RdNr 18; BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 68 f; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 20; vgl auch BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 20; Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17 mwN).

21

Hierbei ist zunächst die Zugrundelegung der Konsensempfehlungen durch das LSG als Orientierungshilfe bei der Beurteilung, ob der Bandscheibenschaden der Klägerin nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand durch die festgestellten beruflichen Einwirkungen verursacht wurde, revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Denn die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 sind nach wie vor eine hinreichende Grundlage für die Bestimmung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands, wie der Senat zuletzt 2009 klargestellt hat (BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - juris RdNr 15). Seitdem wurden zwar in Folge der Veröffentlichung der DWS II Fachaufsätze publiziert, die Zweifel an den Aussagen auch der Konsensempfehlungen äußern. Weder aus der DWS II noch den sonstigen Veröffentlichungen ist jedoch zu entnehmen, dass die Erkenntnisse der Konsensarbeitsgruppe aus dem Jahre 2005 gerade hinsichtlich der hier zugrunde gelegten Befundkonstellation inzwischen veraltet sein könnten. Sofern vertreten wird, dass inzwischen die Ergebnisse der DWS II die wesentlichen Grundannahmen aus den Konsenskriterien widerlegten, etwa weil die bisher angenommenen Einwirkungsgrößen zu hoch seien, die Lokalisation und Häufigkeit der Verteilung von Bandscheibenschäden zu 96 % mit denen der Normalbevölkerung identisch sei, die Auswertungen der DWS II keine deutliche Abhängigkeit der Begleitspondylose von der MDD-Gesamtbelastungsdosis gezeigt habe oder Schäden an der HWS keine Aussagekraft zur Verursachung von LWS-Schäden hätten (M. Kentner und K. Frank, Kommentar zur DWS-Richtwertestudie und Implikationen hinsichtlich BK 2108 - Biomechanik vs. Pathophysiologie, Manuskript, erscheint in ASUMed 8/2015); Linhardt/Grifka, Auswirkungen der Deutschen Wirbelsäulenstudie auf die Berufskrankheit der Lendenwirbelsäule , MedSach 111 <2015>, 20, 21; Bergmann, Bolm-Audorff, Ditchen, Ellegast, Haerting, Kersten, Jäger, Skölziger, Kuß, Morfeld, Schäfer, Seidler, Luttmann, Lumbaler Bandscheibenvorfall mit Radikulärsyndrom und fortgeschrittene Osteochondrose, ZblArbeitsmed 2014, 233 - 238) handelt es sich erkennbar um wissenschaftliche Einzelmeinungen.

22

Die zitierten Publikationen setzen sich zum einen jeweils inhaltlich nicht mit der grundsätzlichen Kritik an der angewandten Methodik der Nachuntersuchung auseinander (s nur Grosser, Ergebnisse der Konsensusarbeitsgruppe zur Begutachtung der BK 2108 - Status quo und Konsequenzen aus der DWS, in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann, Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule" , Frankfurt 2014, S 84 - 104; Zagrodnik, Fragliche Belastungsdosis, DGUV Forum 2014, Nr 7/8 S 10 - 13), zum anderen schöpfen sie ihre Kritik an den Aussagen der Konsensempfehlungen alleine aus den Ergebnissen der DWS II, und wenden sich im Wesentlichen gegen die Bestimmung und Höhe der Einwirkungsgrößen, nicht aber gegen die Grundaussage der Konsensempfehlungen, dass Bandscheibenschäden aufgrund beruflich erworbener Druckbelastungs-Dosen entstehen können. Der Senat verkennt nicht, dass ein wissenschaftlicher Erkenntnisstand auch dadurch erschüttert werden kann, dass grundlegende und fundierte Zweifel seitens der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler diesem den Boden entziehen, ohne dass sich diese in ihrer Mehrheit auf einen neuen Konsens geeinigt hätten. Einzelne Gegenstimmen sind demgegenüber nicht geeignet, einen einmal gebildeten und sich in schriftlichen Beurteilungskriterien manifestierenden wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu erschüttern, solange nicht die daran beteiligten Autoren in ihrer Mehrheit diesen Konsens in wesentlichen Punkten aufkündigen oder eine (zumindest teilweise) personell anders zusammengesetzte große Mehrheit von mit dieser Materie befassten Fachwissenschaftlern diesem Konsens entgegentritt.

23

b) Sofern das LSG davon ausgeht, dass bei der Klägerin keine Befundkonstellation besteht, für die die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 eine Anerkennungsempfehlung aussprechen, ist dies ebenfalls nicht zu beanstanden. So wie der erkennende Senat im Recht der BKen nicht gehindert ist, den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu Verursachungszusammenhängen festzustellen, ist er ebenso wenig gehindert, die korrekte Zuordnung des Sachverhalts seitens des Berufungsgerichts unter diesen einschlägigen Erkenntnisstand zu überprüfen. Dies gilt umso mehr, wenn dieser in Konsensempfehlungen verdichtet ist. Bei diesen handelt es sich freilich nicht um einen normativen Text oder ein antizipiertes Sachverständigengutachten, weil die Konsensempfehlungen weder vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber erlassen noch von unabhängigen und der Neutralität verpflichteten Autoren verfasst wurden (P. Becker, ASUMed 2009, 592, 595). Daher sind sie für Verwaltung, Gerichte oder Gutachter auch nicht unmittelbar verbindlich (Siefert, ASR 2011, 45, 48) und es verbietet sich deren Auslegung unter strikter Anwendung der Regeln der juristischen Methodenlehre (vgl Bieresborn, Die Umsetzung der BK 2108 aus sozialrechtlicher Sicht aaO; S 199).Konsensempfehlungen dienen lediglich zur Erleichterung der Beurteilung im Einzelfall, um typische Befundkonstellationen im Hinblick auf die Kausalbeziehungen unter Zugrundelegung des aktuell wissenschaftlichen Erkenntnisstandes einordnen zu können (Duell, Kranig, Palfner, BK-Begutachtungsempfehlungen - Wissen von Experten für Experten, DGUV Forum 2012, Nr 4 S 14, 16). Andererseits muss bei diesem Erkenntnisvorgang überprüfbar bleiben, ob das LSG nach allgemeinem Verständnis den von ihm festgestellten Sachverhalt (noch) vertretbar den in den Konsensempfehlungen aufgeführten Kategorien zugeordnet hat.

24

Nicht zu beanstanden ist im Rahmen des soeben aufgezeigten Prüfumfangs jedenfalls die Aussage des LSG, dass bei der Klägerin keine Befundkonstellation besteht, für die die Konsensempfehlungen eine Anerkennungsempfehlung aussprechen. Für sämtliche B-Konstellationen wird dort vorausgesetzt, dass die (gesicherte) bandscheibenbedingte Erkrankung nach ihrer Lokalisation die Segmente L5/S1 und/oder L4/L5 betrifft und eine Ausprägung als Chondrose Grad II oder höher und/oder als Vorfall hat. Sofern zusätzlich eine Begleitspondylose besteht (Befundkonstellation B1) gilt der Zusammenhang als wahrscheinlich. Liegt hingegen - wie hier nach den bindenden Feststellungen des LSG - keine Begleitspondylose vor, so wird der Zusammenhang nach den Konsensempfehlungen ua dann als wahrscheinlich betrachtet, wenn eine Höhenminderung und/oder ein Prolaps an mehreren Bandscheiben besteht (Befundkonstellation "B2" 1. Spiegelstrich 1. Alt). Alternativ müssen bei nur monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 im MRT in mindestens zwei angrenzenden Segmenten "black discs" vorliegen (Befundkonstellation "B2" 1. Spiegelstrich, 2. Alt). Als weitere Alternativen genügt für die Konstellation B2 entweder das Bestehen einer besonders intensiven Belastung, wobei hierfür als "Anhaltspunkt" das Erreichen des "Richtwertes für die Lebensdosis" in weniger als 10 Jahren (Befundkonstellation "B2" 2. Spiegelstrich), oder ein besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen, wofür als "Anhaltspunkt" das Erreichen der Hälfte des "MDD-Tagesdosis-Richtwertes" durch hohe Belastungsspitzen (Frauen ab 4 1/2 kN) verlangt wird (Befundkonstellation "B2" 3. Spiegelstrich). Nach den bindenden, weil nicht mit zulässigen Rügen angegriffenen Feststellungen des LSG liegen die tatsächlichen Voraussetzungen keiner dieser Alternativen der Befundkonstellation B2 vor. Insbesondere hat das LSG bei fehlender Begleitspondylose lediglich einen - keinesfalls ausreichenden - monosegmentalen Befund sowie das Fehlen von black discs in zwei benachbarten Segmenten festgestellt. Es kommt daher für den vorliegenden Fall nicht darauf an, ob als "Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben" (Befundkonstellation "B2" 1. Spiegelstrich, 1. Alt) auch ein bisegmentaler Befund ausreichen würde (so LSG Sachsen vom 21.6.2010 - L 2 U 170/08 LW - juris, das Gegenstand des Urteils des erkennenden Senats vom 23.4.2015 - B 2 U 10/14 R - ist; anders Hessisches LSG vom 27.3.2012 - L 3 U 81/11 - juris). Auch kommt es im vorliegenden Fall nicht darauf an, ob im Rahmen der Anwendung der Befundkonstellation B2 2. Spiegelstrich für die dort erwähnte "Lebensdosis" das Erreichen der hälftigen MDD-Dosis genügt (vgl ebenfalls das Urteil des erkennenden Senats vom 23.4.2015 - B 2 U 10/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, in dem der Senat im Ergebnis die dahingehende Interpretation der Konsensempfehlungen durch das LSG als nicht offensichtlich falsch angesehen hat).

25

Das LSG hat freilich im vorliegenden Fall für den Senat bindend (§ 163 SGG) eine Belastung durch schweres Heben und Tragen innerhalb von 10 Jahren von maximal 8,42 MNh und damit nur iHv 49,53 % des nach dem MDD angenommenen Richtwertes für die Lebensdosis bei Frauen festgestellt, womit selbst der hälftige MDD-Wert nicht erreicht wurde. Anhaltspunkte dafür, dass auf Grundlage des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands die rechtlich wesentliche Verursachung eines monosegmentalen Bandscheibenprolaps im Segment L5/S1 durch die in der BK 2108 genannten Einwirkungen bei Erreichen einer Gesamtbelastungsdosis iHv 8,42 MNh in einem Zeitraum von 10 Jahren ohne die sonstigen Zusatzerfordernisse der B2-Konstellation als hinreichend wahrscheinlich angenommen werden könnte, sind dem Senat nicht bekannt. Das LSG ist jedenfalls diesbezüglich bei Anwendung der Konsensempfehlungen weder von einem erkennbar falschen medizinischen Erfahrungssatz ausgegangen, noch hat es einen dem Senat bekannten oder vorgetragenen vorhandenen Erfahrungssatz nicht angewandt, als es unter Zugrundelegung der B3-Konstellation das Vorliegen einer mit einer Anerkennungsempfehlung konsentierten Befundkonstellation nach den Konsensempfehlungen verneint hat (vgl hierzu insbesondere das Urteil des Senats vom 23.4.2015 - B 2 U 10/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, sowie BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 27).

26

c) Soweit die Klägerin allerdings geltend macht, das LSG habe bei der Ablehnung des Ursachenzusammenhangs die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) überschritten, weil es davon ausgegangen ist, bei Vorliegen der Konstellation B3 spreche deutlich mehr gegen als für den Zusammenhang zwischen beruflicher Belastung und bandscheibenbedingter Erkrankung, hat sie zulässig und zutreffend die Anwendung eines nicht existierenden Erfahrungssatzes gerügt. Ein solcher Erfahrungssatz, wie ihn das LSG angenommen hat, ist nicht allgemeinkundig oder dem Senat gerichtsbekannt. Soweit weder eine Begleitspondylose noch eines der zuvor genannten Zusatzkriterien der Konstellation B2 vorliegen und keine konkurrierenden Faktoren erkennbar sind, war die Einschätzung des Zusammenhangs durch die Arbeitsgruppenteilnehmer der Konsensarbeitsgruppe offensichtlich unterschiedlich und es wurde folglich auch keine Anerkennungsempfehlung ausgesprochen (U. Bolm-Audorff et al, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheit 2005/3, S 211, 221 f).Dieser fehlende Konsens in der Arbeitsgruppe kann aber nicht so gedeutet werden, dass damit eine Anerkennung des Verursachungszusammenhangs im Einzelfall unmöglich wäre. Zwar wird die Schlussfolgerung des LSG häufig zutreffen, jedoch ist die vom LSG zugrunde gelegte generelle Aussage wissenschaftlich nicht belegt, so dass es im Einzelfall nicht ausgeschlossen und dementsprechend jeweils erst im Rahmen der Amtsermittlung festzustellen ist, ob individuelle, dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechende Umstände vorliegen, die im konkreten Einzelfall den Ursachenzusammenhang als hinreichend wahrscheinlich erscheinen lassen(BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 52). Dies lässt sich anhand der tatsächlichen Feststellungen des LSG indes nicht beurteilen, das - von seiner Rechtsansicht her konsequent - die Ermittlungen bereits mit der Bejahung der Konstellation B3 beendet hat. Das LSG wird daher erst zu ermitteln haben, ob es einen nach dem neuesten Stand der medizinischen Wissenschaft anerkannten Erfahrungssatz gibt, nach dem isolierte Bandscheibenvorfälle ohne die in der Konstellation B2 genannten Zusatzkriterien durch schweres Heben und Tragen verursacht werden können.

27

3. Für den Fall, dass ein solcher Erfahrungssatz feststellbar ist, wird das LSG auch weitere Feststellungen dazu treffen müssen, ob die erforderliche Regelmäßigkeit der Einwirkungen gegeben ist. Die von der Klägerin während ihrer Berufstätigkeit ausgeführten Hebe- und Tragevorgänge erfolgten in der Regel bei saisonbedingten Anpflanzungstätigkeiten, ohne dass sich der zeitliche Umfang bzw die Häufigkeit dieser Tätigkeiten den Urteilsgründen entnehmen lässt. Die Regelmäßigkeit der Einwirkung durch Heben und Tragen bzw Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung ist kein geschriebenes Tatbestandsmerkmal der BK 2108, sondern lässt sich als Bestandteil der arbeitstechnischen Voraussetzungen dem Merkblatt 2006 (BArbBl 2006 Nr 10, S 30 ff, Abschnitt IV) entnehmen. Hintergrund ist, dass bei nicht regelmäßiger Belastung den Bandscheiben genügend Zeit zur Regeneration bleibt und deshalb keine Ursächlichkeit zwischen Druckbelastung und Schädigung besteht. Hierfür reicht es aber aus, dass die wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten in der ganz überwiegenden Anzahl der Arbeitsschichten erfolgten, ohne dass eine genaue Zeitgrenze pro Arbeitsschicht genannt werden kann. Vorausgesetzt wird, dass der Betroffene mindestens 60 Schichten im Jahr mit relevanter Wirbelsäulenbelastung ausgesetzt war. Wie bei der Belastungsdauer können geringere oder fehlende Einwirkungen in einer Arbeitsschicht durch stärkere oder länger dauernde Belastungen in anderen Schichten ausgeglichen werden (zum Verzicht auf eine Mindesttagesdosis bei BK 2108 auch BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 24; Römer in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand 08/2012, Anh zu K § 9 Anl zu BKV BK Nr 2108 - 2110 RdNr 11a, sowie zur BK 2109: BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 15). In tatsächlicher Hinsicht hat das LSG insoweit nur festgestellt, dass die wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten im genannten Umfang insbesondere bei Anpflanzungsarbeiten an der Autobahn erfolgt sind. Insoweit wird das LSG ggf die Feststellung nachzuholen haben, ob diese Anpflanzungsarbeiten mindestens 60 Schichten umfassten, oder ob die Klägerin weitere diesen Kriterien entsprechende wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten ausführte.

28

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. September 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger unter Anerkennung einer "mittelgradigen depressiven Störung" als Unfallfolge ab 1.3.1998 Verletztenrente nach einer MdE um 30 vH zu zahlen ist.

2

Der Kläger war ab August 1995 als Gepäckabfertiger bei der damaligen Flughafen AG beschäftigt. Am 13.1.1997 wurde er bei der Ausübung der Beschäftigung zwischen einem Containertransporter sowie einem Gepäckcontainer-Anhänger eingeklemmt. Dadurch wurden sein dritter Finger links und sein Kniegelenk links gequetscht. Folgen dieser Verletzungen lagen über den 18.7.1997 hinaus nicht mehr vor.

3

Der Kläger wurde wegen des Unfalls zunächst ambulant, wegen anhaltender Beschwerden im linken Kniegelenk ab April 1997 in einer Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik stationär behandelt. Danach wurde eine Arbeitserprobung durchgeführt, die wegen gesundheitlicher Beschwerden abgebrochen wurde.

4

Anschließend fand eine Vielzahl von Behandlungen statt, die bis November 1999 überwiegend durch Durchgangsärzte erfolgten und im Auftrag und zulasten der Beklagten durchgeführt wurden. Diese Maßnahmen zur Diagnose und zur Heilbehandlung waren aber rückwirkend betrachtet nur zum Teil durch die Unfallfolgen bedingt. Zum anderen Teil beruhten sie auf unfallunabhängigen Vorschäden am linken Kniegelenk.

5

Der Kläger befand sich unter der Diagnose einer chronifizierten Depression ab März 1998 bei einer Diplom-Psychologin und ab April 1998 bei einem Psychiater in Behandlung. Vom 8.9. bis 3.10.1998 fand eine stationäre Behandlung in einer Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie statt, wo eine Angstneurose mit Panikattacken sowie eine Störung der Impulskontrolle diagnostiziert wurden.

6

Die Beklagte bewilligte dem Kläger einen ersten Vorschuss auf die voraussichtlich zu zahlende Verletztenrente (Vorschussbescheid vom 8.9.1998). Weitere Vorschusszahlungen folgten. Die Beklagte lehnte zunächst dennoch die "Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung über den 18.7.1997 hinaus" ab (Bescheid vom 27.9.2002). Den hiergegen vom Kläger erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 11.3.2005 zurück. Später bewilligte und zahlte die Beklagte dem Kläger rückwirkend und durchgängig vom Unfalltag bis zum 30.9.2002 Verletztengeld.

7

Das SG Gießen hat die Beklagte durch Urteil vom 3.7.2008 verurteilt, dem Kläger unter Anerkennung einer mittelgradigen depressiven Störung als Folge des Arbeitsunfalls ab 19.7.1997 Verletztenrente nach einer MdE um 30 vH zu zahlen.

8

Das Hessische LSG hat der Berufung der Beklagten insoweit stattgegeben, als die Verletztenrente erst am 1.3.1998 beginne, und sie im Übrigen zurückgewiesen (Urteil vom 26.9.2011). Bei dem Kläger liege eine dauerhafte psychische Erkrankung im Sinne einer chronifizierten depressiven Episode vor. Diese sei in "rechtlich-wesentlichem Umfang" durch den Verlauf der Heilbehandlung der unmittelbaren körperlichen Verletzungen aufgrund des Arbeitsunfalls verursacht worden. Die Heilbehandlung sei zwar rückwirkend betrachtet durch erhebliche degenerative Vorschäden bedingt gewesen. Für die Zurechnung mittelbarer Unfallfolgen komme es aber nicht darauf an, dass die Maßnahmen der Heilbehandlung von der Beklagten angeordnet worden seien. Vielmehr reiche es für die Zurechnung im Rahmen des § 11 Abs 1 SGB VII aus, wenn der Unfallversicherungsträger oder der ihm rechtlich zuzuordnende Durchgangsarzt bei seinem Handeln den objektivierbaren Anschein oder den Rechtsschein gesetzt habe, dass die Behandlung oder Untersuchung zur berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung oder zur Untersuchung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls angeordnet werde und der Versicherte der Auffassung sein könne, dass die Heilbehandlung geeignet sei, die Unfallfolgen zu bessern oder zu beseitigen.

9

Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und rügt die Verletzung der §§ 11 Abs 1, 56 Abs 1, 72 Abs 1 sowie 74 Abs 2 SGB VII. Das LSG habe durch seine Auslegung § 11 Abs 1 SGB VII verletzt, da als Ursache der Erkrankung letztlich nicht die Durchführung einer Heilbehandlung oder eine Untersuchung zur Klärung des Versicherungsfalls gesehen werde, sondern vielmehr die Art und Weise des Ablaufs der Heilbehandlung, die - jedenfalls aus Sicht des Klägers - zu Problemen geführt habe. Die Zurechnung zu den Unfallfolgen dürfe nicht aufgrund der subjektiven Einschätzung des Klägers erfolgen, weil dieser die Maßnahmen aus seiner Sicht für undurchschaubar halte und sich durch Zuständigkeitsfragen zwischen Ärzten oder Trägern belastet fühle. Unsicherheiten, die aus dem Wechsel der behandelnden Ärzte oder deren Diagnosestellung herrührten, seien aber durch § 11 SGB VII nicht geschützt. Das LSG habe auch weder festgestellt, dass die Maßnahmen zulasten des Unfallversicherungsträgers angeordnet worden seien, noch festgestellt, dass es sich um die Behandlung von Unfallfolgen gehandelt habe, noch dass diese durchgangsärztlich zu ihren Lasten angeordnet worden seien. Darüber hinaus verletze die Festlegung des Rentenbeginns durch das LSG §§ 72 Abs 1, 74 Abs 2 SGB VII, da dem Kläger rückwirkend bis einschließlich 30.9.2002 Verletztengeld gezahlt worden sei. Das Urteil beruhe zudem auf Verfahrensfehlern (Verletzung von §§ 62, 103 SGG).

10

Die Beklagte beantragt,

        

die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. September 2011 und des Sozialgerichts Gießen vom 3. Juli 2008 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

11

Der Kläger beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

12

Er hält das Urteil des LSG für zutreffend. Insbesondere handele es sich bei der diagnostizierten mittelgradigen Depression um eine mittelbare Unfallfolge iS des § 11 SGB VII.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision der Beklagten ist zulässig und im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung des angefochtenen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung durch das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

14

In dem Rechtsstreit wegen Feststellung einer Unfallfolge und Zahlung einer Verletztenrente nach einer MdE um 30 vH (1.) kann der Senat auf der Grundlage der vom LSG getroffenen Feststellungen nicht entscheiden, ob und ggf welche psychischen Gesundheitsstörungen gemäß § 8 Abs 1 SGB VII unmittelbar durch den Arbeitsunfall wesentlich verursacht worden sind (2. a>) oder ob und ggf welche psychischen Gesundheitsstörungen als mittelbare Unfallfolgen iSd § 11 Abs 1 SGB VII festzustellen sind (2. b>). Es kann auch nicht abschließend beurteilt werden, ob ein Anspruch auf Verletztenrente iSd § 56 Abs 1 SGB VII besteht (3. a>). Soweit das LSG erneut zu dem Ergebnis gelangen sollte, dass ein Anspruch auf Verletztenrente gegeben ist, kann ein solcher gemäß § 72 Abs 1 SGB VII nicht für Zeiten vor dem 1.10.2002 bestehen (3. b>).

15

1. Die Beklagte wendet sich mit der Revision gegen das Urteil des LSG, mit dem dieses die Berufung gegen das den Anfechtungsklagen wegen der ablehnenden Verwaltungsakte in den Bescheiden der Beklagten (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG), den Klagen auf Feststellung einer chronifizierten depressiven Episode als Unfallfolge (§ 55 Abs 1 Nr 3 SGG) sowie auf Zahlung einer Verletztenrente (§ 54 Abs 4 SGG)nach einer MdE um 30 vH stattgebende Urteil des SG im Wesentlichen bestätigt hat. Der Senat kann nicht abschließend entscheiden, ob das LSG Bundesrecht verletzt hat, da dessen tatsächliche Feststellungen keine abschließende Beurteilung der geltend gemachten Ansprüche erlauben.

16

Die Beklagte hat (spätestens) in dem angefochtenen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides festgestellt, dass der Kläger am 13.1.1997 einen Arbeitsunfall mit den Gesundheitserstschäden am dritten Finger links und am Kniegelenk links erlitten hat. Daher richten sich dessen Anfechtungsklagen gegen die Ablehnung eines Anspruchs auf Feststellung einer chronifizierten depressiven Episode als Unfallfolge und die Ablehnung eines Rechts auf Verletztenrente.

17

Mit der Feststellungsklage nach § 55 Abs 1 Nr 3 SGG kann der Kläger den behaupteten materiellen Anspruch auf Feststellung der Unfallfolge durchsetzen, ohne dass er daran durch seine Befugnis zur Erhebung einer Verpflichtungsklage gehindert wäre. Denn er kann zwischen beiden Rechtsschutzformen wählen, weil sie, soweit um Ansprüche auf Feststellung von Unfallfolgen (oder Versicherungsfällen) gestritten wird, grundsätzlich gleich rechtsschutzintensiv sind (vgl BSG Urteil vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274, RdNr 12 f). Für das Begehren auf Verletztenrente hat er die Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs 4 SGG zulässig mit der unechten Leistungsklage auf Gewährung einer Verletztenrente kombiniert.

18

2. Nach § 102 SGB VII haben die Versicherten gegen den zuständigen Unfallversicherungsträger einen Anspruch auf Feststellung einer Unfallfolge (oder eines Versicherungsfalls), wenn ein Gesundheitsschaden durch den Gesundheitserstschaden eines Versicherungsfalls oder infolge der Erfüllung eines Tatbestandes des § 11 SGB VII rechtlich wesentlich verursacht wird. Der Gesundheitsschaden muss sicher feststehen (Vollbeweis) und durch Einordnung in eines der gängigen Diagnosesysteme (zB ICD-10, DSM IV) unter Verwendung der dortigen Schlüssel exakt bezeichnet werden.

19

a) Es steht schon nicht sicher fest, welche Gesundheitsstörung bei dem Kläger genau vorliegt.

20

Zwar steht aufgrund der Feststellungen des LSG fest, dass auf "orthopädisch/chirurgischem und neurologischem" Fachgebiet über den 18.7.1997 hinaus keine Folgen des Arbeitsunfalls vom 13.1.1997 vorliegen. Das LSG hat aber nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit festgestellt, welche psychische Gesundheitsstörung beim Kläger vorliegt, denn die Bezeichnung der Erkran-kung im Tenor weicht von derjenigen in den Gründen ab. Nach den Gründen der Entscheidung liegt beim Kläger eine mittelgradige depressive Episode nach "F 33.1" des ICD-10 vor. Im Tenor hat das LSG dagegen als Unfallfolge eine "mittelgradige depressive Störung" festgestellt.

21

b) Der Senat kann auch nicht abschließend beurteilen, ob eine ggf vorliegende mittelgradige depressive Episode iSv F 33.1 ICD-10 "infolge" des Versicherungsfalls besteht.

22

Das LSG hat nicht geprüft, ob die psychische Gesundheitsstörung eine solche iSd § 8 Abs 1 SGB VII ist. Das wäre anzunehmen, wenn sie unmittelbar durch den beim Versicherungsfall ausgelösten Gesundheitserstschaden verursacht worden ist. Die genau zu bezeichnende Gesundheitsstörung ist also als Unfallfolge festzustellen, wenn im wieder eröffneten Berufungsverfahren festzustellen ist, dass zwischen dem beim Arbeitsunfall vom 13.1.1997 eingetretenen Erstschaden und der psychischen Gesundheitsstörung ein unmittelbarer und rechtlich wesentlicher Ursachenzusammenhang besteht (haftungsausfüllende Kausalität).

23

c) Der Senat kann schon mangels Klarheit über das Vorliegen einer unmittelbaren Unfallfolge auch nicht abschließend entscheiden, ob die psychische Störung dem Versicherungsfall vom 13.1.1997 nach § 11 SGB VII als mittelbare Unfallfolge zuzurechnen ist. Das wird das LSG bei Verneinung einer unmittelbaren Unfallfolge aber zu prüfen haben.

24

Nach § 11 Abs 1 Nr 1 und 3 SGB VII sind Folgen eines Versicherungsfalls auch solche Gesundheitsschäden oder der Tod eines Versicherten, die durch die Durchführung einer Heilbehandlung nach dem SGB VII oder durch Maßnahmen wesentlich verursacht wurden, welche zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls angeordnet wurden. Diese Vorschrift regelt, dass auch solche Gesundheitsschäden, die durch die Erfüllung der in ihr umschriebenen Tatbestände wesentlich verursacht werden, dem Versicherungsfall rechtlich zugerechnet werden. Diese mittelbaren Folgen müssen - anders als nach § 8 Abs 1 SGB VII - nicht durch den Gesundheitserstschaden verursacht worden sein(vgl BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 mwN).

25

Mit dieser Entscheidung hat der Senat seine Rechtsprechung zum früheren Recht fortgeführt. Bereits für die Bejahung des nach § 555 Abs 1 RVO erforderlichen ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Arbeitsunfall und der Heilbehandlung genügte es, dass der Verletzte, der einen Arbeitsunfall erlitten hat, von seinem Standpunkt aus der Auffassung sein konnte, dass die Heilbehandlung, zu deren Durchführung er sich begeben hat, geeignet ist, der Beseitigung oder Besserung der durch den Arbeitsunfall verursachten Gesundheitsstörungen zu dienen. Schon zu jener Vorschrift hat das BSG entschieden, dass es nicht erforderlich ist, dass die Heilbehandlung wegen Folgen des Arbeitsunfalls objektiv geboten war (BSG vom 24.6.1981 - 2 RU 87/80 - BSGE 52, 57, 58 = SozR 2200 § 555 Nr 5).

26

Hieran ist mit der Maßgabe festzuhalten, dass § 11 Abs 1 SGB VII nun darauf abstellt, dass die Mitwirkung an einer vom Träger angeordneten ärztlichen Maßnahme sich auch dann als versichert erweist, wenn sich später herausstellt, dass in Wirklichkeit kein Versicherungsfall vorlag. Allerdings setzt die Zurechnung eines Gesundheitsschadens, der rechtlich wesentlich durch eine iSv § 11 Abs 1 SGB VII vom Unfallversicherungsträger angeordnete Maßnahme verursacht wurde, die bisherige Rechtsprechung eingrenzend voraus, dass der Träger oder seine Leistungserbringer gegenüber dem durch die Verrichtung einer bestimmten versicherten Tätigkeit Versicherten durch (festgestellte) Handlungen den Anschein begründet haben, die Behandlungs- oder Untersuchungsmaßnahme erfolge zur Behandlung von Unfallfolgen (oder zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalles oder einer Unfallfolge). Hieran hält der Senat auch im Hinblick auf die an seiner Rechtsprechung geäußerte Kritik (vgl Gundolf Wagner in juris PraxisReport 9/12 Anm 2) fest (wie der Senat wohl auch Krasney, in Becker ua, Kommentar zum SGB VII, § 11 RdNr 15; aA auch Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 11 RdNr 3; G. Wagner in jurisPK-SGB VII, § 11 RdNr 15; Holtstraeter in K/S/W, Kommentar zum Sozialrecht, § 11 SGB VII RdNr 2; Rapp in LPK-SGB VII, § 11 RdNr 1; Schmitt, SGB VII, 4. Aufl 2009, § 11 RdNr 4; Schwerdtfeger in Lauterbach, UV-SGB VII, Stand April 2007, § 11 SGB VII RdNr 4).

27

Auch die Prüfung des Ursachenzusammenhangs zwischen einer Gesundheitsstörung und einer der nach § 11 Abs 1 SGB VII tatbestandlichen Maßnahmen erfolgt nach der Theorie der wesentlichen Bedingung. Dabei ist auf einer ersten Prüfungsstufe zu fragen, ob der Versicherungsfall eine naturwissenschaftlich-philosophische Bedingung für den Eintritt der Gesundheitsstörung ist. Dabei ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nach den einschlägigen Erfahrungssätzen nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (aa). Wenn festzustellen ist, dass der Versicherungsfall eine (von möglicherweise vielen) Bedingungen für den Erfolg - hier die psychische Störung - ist, ist auf der ersten Prüfungsstufe weiter zu fragen, ob es für den Eintritt des Erfolgs noch andere Ursachen iS der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie gibt (bb); das können Bedingungen aus dem nicht versicherten Lebensbereich wie zB Vorerkrankungen, Anlagen, nicht versicherte Betätigungen oder Verhaltensweisen sein (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 15). Erst wenn sowohl der Versicherungsfall als auch andere Umstände als Ursachen des Gesundheitsschadens feststehen, ist auf einer zweiten Prüfungsstufe rechtlich wertend zu entscheiden, welche der positiv festzustellenden adäquaten Ursachen für die Gesundheitsstörung die rechtlich "Wesentliche" ist (cc). Dasselbe gilt für die Frage, ob eine MdE vorliegt und im Wesentlichen durch Unfallfolgen verursacht wurde.

28

aa) Der Senat kann nicht entscheiden, ob die Erkrankung des Klägers eine mittelbare Unfallfolge nach § 11 Abs 1 Nr 1 oder Nr 3 SGB VII ist oder keine Unfallfolge war.

29

Ob sich eine medizinische Maßnahme als Durchführung einer Heilbehandlung (§ 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII) oder als Maßnahme zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls (§ 11 Abs 1 Nr 3 SGB VII)durch die Beklagte darstellt, beurteilt sich danach, wie der Versicherte ein der Beklagten zuzurechnendes Verhalten bei verständiger Würdigung der objektiven Gegebenheiten zum Zeitpunkt ihrer Durchführung verstehen kann und darf (vgl BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274, RdNr 43).

30

Ob der Kläger zum Zeitpunkt der jeweiligen ärztlichen Behandlungen diese nach den objektiven Gegebenheiten als solche der Beklagten verstehen musste, steht nicht sicher fest. Für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 11 Abs 1 SGB VII spricht zwar, dass die fraglichen Maßnahmen durch D-Ärzte und BG-Kliniken veranlasst wurden und die Beklagte deren Kosten trug. Das LSG hat aber nicht mit der gebotenen Deutlichkeit festgestellt, dass die verschiedenen von Ärzten veranlassten Maßnahmen sich nicht nur nach der subjektiven Wahrnehmung des Klägers zur Zeit ihrer Erbringung, sondern auch nach den objektiven Gegebenheiten für den Kläger als Heilbehandlung der Beklagten oder als deren Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls darstellten.

31

bb) Das LSG hat auch keine hinreichenden Feststellungen dazu getroffen, ob und ggf welche anderen Ursachen als der Versicherungsfall das Vorliegen der psychischen Erkrankung naturwissenschaftlich-philosophisch verursacht haben.

32

Aus dem Fehlen solcher Feststellungen kann andererseits nicht gefolgert werden, dass die Verwirklichung eines Tatbestands nach § 11 Abs 1 Nr 1 und 3 SGB VII die einzige Ursache der bestehenden Gesundheitsstörung war. Denn das LSG hat bei der Abwägung der Beiträge, die verschiedene Ursachen für das Entstehen der MdE haben, also auf der (zweiten) Stufe zur Prüfung der "Wesentlichkeit" von (verschiedenen) Ursachen, Vorerkrankungen des Klägers auf psychischem Gebiet sowie das Bestehen weiterer, nicht mit dem Arbeitsunfall in Verbindung stehender Faktoren, zB familiäre Probleme, bejaht. Ohne (ausdrückliche) Feststellung dazu, ob und inwieweit diese nicht dem versicherten Risiko zuzurechnenden Ursachen naturwissenschaftlich-philosophisch wirksam geworden sind, ist das LSG sogleich in die rechtliche Wertung eingetreten und hat den Versicherungsfall als die wesentliche Ursache für das Bestehen der Erkrankung bezeichnet.

33

cc) Falls bei erneuter Prüfung des Klagebegehrens festgestellt werden sollte, dass für die Erkrankung sowohl der Versicherungsfall als auch andere Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne vorliegen, ist nach der Theorie der wesentlichen Bedingung (zweite Stufe) zu prüfen, ob der Versicherungsfall die psychische Störung "wesentlich" verursacht hat. Unter Berücksichtigung der verschiedenen nach Erfahrungssätzen notwendigen oder hinreichenden Ursachen ist abzuwägen, welche von ihnen die rechtlich Wesentliche ist.

34

Bei der Überzeugungsbildung des Tatsachengerichts genügt für die Feststellung des naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachenzusammenhangs der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit (stRspr BSG vom 2.2.1978 - 8 RU 66/77 - BSGE 45, 285, 287 = SozR 2200 § 548 Nr 38 S 105 f; BSG vom 30.4.1985 - 2 RU 43/84 - BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr 1 S 3 f). Dieser ist erfüllt, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht; allein die Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs genügt dagegen nicht (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 20; BSG vom 18.1.2011 - B 2 U 5/10 R - SozR 4-2700 § 200 Nr 3).

35

3. a) Aus den gleichen Gründen kann der Senat nicht entscheiden, ob der Kläger einen Anspruch auf Verletztenrente hat.

36

Gemäß § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls - hier des anerkannten Arbeitsunfalls vom 13.1.1997 - über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vH gemindert (MdE) ist, Anspruch auf Rente. Die Höhe der Rente richtet sich ua nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs 2 Satz 1 SGB VII).

37

Auch insoweit wird das LSG zu prüfen haben, ob eine MdE "infolge" des Arbeitsunfalls besteht. Hierfür gelten die oben zu 2. dargelegten Grundsätze entsprechend.

38

b) Sollte das LSG in dem erneuten Berufungsverfahren einen Anspruch auf Verletztenrente nach § 56 Abs 1 SGB VII bejahen, wird zu beachten sein, dass dieser erst am Tag nach Erlöschen des dem Kläger bewilligten Rechts auf Verletztengeld beginnen kann.

39

Zwar kann der Anspruch auf Verletztenrente - anders als das LSG meint - grundsätzlich bereits am Tag nach dem Versicherungsfall beginnen, wenn bereits zu diesem Zeitpunkt feststeht, dass eine MdE über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus vorliegen wird (zB bei Verlust eines Körperteils) und ein gesetzlich vorrangiger Anspruch nicht besteht.

40

Hier hat das LSG seine Entscheidung aber unter Verletzung von § 72 Abs 1 Nr 1 SGB VII getroffen. Nach dieser Vorschrift beginnt ein Rentenanspruch erst, nachdem der Anspruch auf Verletztengeld geendet hat. Renten werden danach an Versicherte erst von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem der Anspruch auf Verletztengeld geendet hat. Nach dem Wortlaut der Vorschrift kommt es nicht darauf an, ob Verletztengeld gezahlt worden ist, sondern darauf, ob ein Anspruch auf diese Leistung bestand. Die Regelung verfolgt den Zweck, Doppelleistungen aus dem System der GUV, insbesondere den zeitgleichen Bezug von Verletztengeld und Verletztenrente, zu vermeiden.

41

Für die vom Kläger geführte Anfechtungs- und Leistungsklage wegen Verletztenrente ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich. Zu diesem Zeitpunkt stand und steht zwischen den Beteiligten durch Verwaltungsakt bindend fest, dass der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Verletztengeld vom Unfalltag durchgehend bis 30.9.2002 hat. Eine mögliche Verletztenrente (§ 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII) kann daher erst nach dem 30.9.2002, also nach dem Ende des Zeitraums beginnen, für den Verletztengeld zustand (§ 72 Abs 1 Nr 1 SGB VII; § 74 Abs 2 SGB VII ist nicht anwendbar, da der Anspruch auf Verletztengeld nicht aufgrund einer erneuten Arbeitsunfähigkeit infolge Wiedererkrankung eingetreten ist; siehe dazu Kranig in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 74 RdNr 13).

42

4. Da das Urteil des LSG aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen worden ist, bedarf es keiner Entscheidung mehr über die Frage, ob die Beklagte zulässige und begründete Verfahrensrügen gegen das Urteil des LSG erhoben hat.

43

5. Das LSG hat mit der im wiedereröffneten Berufungsverfahren zu treffenden Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden. Dabei wird ggf zu berücksichtigen sein, dass dem Kläger eine Verletztenrente nicht - wie begehrt - ab Juli 1997, sondern erst ab 1.10.2002 zusteht.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 12. Januar 2004 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsrechtszug nicht zu erstatten.

Die Kosten des Gutachtens nach § 109 SGG vom 30. Mai 2005 werden nicht von der Staatskasse übernommen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, die Harnblasenkrebserkrankung des Klägers als Berufskrankheit anzuerkennen und zu entschädigen.

2

Der im Jahre 1942 geborene Kläger zeigte der Beklagten seine Erkrankung im Dezember 1999 an und führte sie auf den langjährigen Umgang mit krebserregenden Stoffen als Tankstellenverwalter seit März 1973 zurück.

3

Im Feststellungsverfahren zog die Beklagte medizinische Befundberichte über den Kläger bei, u. a. einen Bericht vom 16. Januar 2000 der urologischen Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses A., in dem der Kläger operiert worden war. Hierin führt der Chefarzt Prof. Dr. G. zur Vorgeschichte aus, der Kläger habe seit 30 Jahren ca. ein Päckchen Zigaretten pro Tag geraucht.

4

Der Kläger gab laut Ermittlungsbericht des Technischen Aufsichtsdienstes vom 17. Januar 2000 an, von April 1973 bis Januar 1981 sei er überwiegend im Werkstattbereich der von ihm damals gepachteten Tankstelle tätig gewesen und habe alle Pflege- und Wartungsarbeiten, Kleinreparaturen und Reifenwechsel ausgeführt, u. a. auch Lackierarbeiten, letztere in einem Umfang von zwei Fahrzeugen pro Monat, wobei er ca. vier Stunden pro Fahrzeug benötigt habe. Von Januar 1981 bis September 1991 führte der Kläger nach seinen Angaben in einem anderen von ihm gepachteten Tankstellenbetrieb Lackierarbeiten an ca. zehn Fahrzeugen pro Jahr durch, außerdem in größerem Umfang Entwachsungsarbeiten (ca. sechs Autos pro Tag). Seit August 1991 erledigte der Kläger ausschließlich Verwaltungsarbeiten.

5

Zum Zigarettenkonsum gab er gegenüber dem Technischen Aufsichtsdienst an, in den letzten 10 bis 15 Jahren zehn Zigaretten pro Tag bis zu seiner Operation geraucht zu haben.

6

Die Beklagte holte eine gewerbeärztliche Stellungnahme ein und lehnte mit Bescheid vom 27. März 2000 die Gewährung von Leistungen ab. Die Voraussetzungen für die Anerkennung als Berufskrankheit Nr. 1303 (Erkrankung durch Benzol oder seine Homologe) oder Nr. 1301 (Schleimhautveränderungen, Krebs und andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine) der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) lägen nicht vor. Es fehle am rechtlich wesentlichen Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und Erkrankung. Nach den heutigen wissenschaftlichen und arbeitsmedizinischen Erkenntnissen sei Benzol nicht als Ursache für Blasenkrebs bekannt. Benzol schädige vornehmlich die Blutbildungsorgane. Die Verursachung durch aromatische Amine scheide aus, da eine berufliche Einwirkung kanzerogener aromatischer Amine nicht wahrscheinlich gemacht werden könne.

7

Mit dem hiergegen gerichteten Widerspruch brachte der Kläger seine Erkrankung weiterhin in einen Zusammenhang mit aromatischen Aminen und bezog sich insoweit auf Forschungsergebnisse, bei denen im Tierversuch eine Harnblasenkarzinogenese nachgewiesen worden sei.

8

Mit Bescheid vom 26. Oktober 2000 wies die Beklagte den Widerspruch des Kläger als unbegründet zurück. Experimentelle und epidemiologische Studien aus 1994 und 1997 hätten die in einer Studie aus 1990 angenommene Erhöhung des Blasenkrebsrisikos nach Benzolexposition nicht bestätigt. Den gefährdeten Beruf des Spritzlackierers habe der Kläger angesichts des nicht nennenswerten Umfangs an Lackierarbeiten nicht ausgeübt.

9

Am 9. November 2000 hat der Kläger Klage erhoben. Die Beklagte habe nicht hinreichend aufgeklärt, inwieweit er im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit gegenüber Benzol, seinen Homologen oder Styrol ausgesetzt gewesen sei. Es gebe eine Reihe von Studien, die auf ein nachhaltig erhöhtes Risiko für Harnwegkrebs durch Exposition mit diesen Stoffen hindeuteten.

10

Der Kläger hat beantragt,

11

den Bescheid der Beklagten vom 27. März 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2000 aufzuheben, die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Anerkennung seiner Harnblasenerkrankung als BK 1303 oder Nr. 1301 der Anlage zur BKV, hilfsweise wie eine BK, Verletztenrente nach einer MdE um 100 v. H. nach Maßgabe des Gesetzes zu gewähren.

12

Die Beklagte hat beantragt,

13

die Klage abzuweisen.

14

Zur Begründung hat sie auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden verwiesen.

15

Das Sozialgericht hat Zeugen- und Sachverständigenbeweis erhoben.

16

Es hat zunächst das schriftliche Gutachten des leitenden Arztes der II. Medizinischen Abteilung (Hämatologie und internistische Onkologie) des Allgemeinen Krankenhaus A. Dr. B. vom 23. Oktober 2002 eingeholt. Ferner hat das Gericht über den angegebenen Umfang der Lackierarbeiten bzw. die Angaben zum Tabakkonsum Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen W. und B. Schließlich hat es ein arbeitsmedizinisches Gutachten nach Aktenlage von Prof. Dr. Dr. R. vom 20. Oktober 2003 eingeholt.

17

Mit Urteil vom 12. Januar 2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Die form- und fristgerecht erhobene Klage sei zulässig, jedoch nicht begründet. Die Beklagte habe zu Recht die Anerkennung als Berufskrankheit nach der Ziff. 1301 der Anlage zur BKV abgelehnt, weil sich eine berufliche Einwirkung kanzerogener aromatischer Amine nicht feststellen lasse. Dabei habe es die Kammer dahingestellt lassen können, in welchem Umfang der Kläger in dem Zeitraum von April 1973 bis 1986 tatsächlich Lackierarbeiten an Fahrzeugen durchgeführt habe. Denn es gebe keine definitiven Hinweise dafür, dass der Kläger hierbei Lacke verwendet habe, die aromatische Nitroverbindungen enthielten. Nitrofarben bzw. Nitrolacke würden nur deshalb so bezeichnet, weil sie als Bindemittel zu einem großen Teil Nitrocellulose enthalten, nicht wegen ihres Gehaltes an Nitrofarbstoffen. Nitrofarbstoffe würden nicht für Autolacke bzw. -farben verwendet, sondern gelangten im Bereich der Färbung von Naturfasern, Wolle, Seide, Kosmetika und vereinzelt auch bei Lebensmitteln zum Einsatz. Auch Azofarbstoffe gelangten nicht als Bestandteil von Autolacken zum Einsatz, weil sie nicht ausreichend lichtstabil seien. Eine berufliche Exposition gegenüber aromatischen Aminen sei weder direkt noch indirekt (metabolisch) zu sichern und im Metier des Tankstellenpächters erfahrungsgemäß auch nicht zu erwarten. Die Anerkennung der Harnblasenerkrankung des Klägers als Berufskrankheit Nr. 1301 der Anlage zur BKV könne daher nicht erfolgen. Es ergäben sich auch aus epidemiologischer und arbeitsmedizinisch-toxikologischer Sicht keine konsistenten Hinweise für ein vermehrtes Vorkommen von Urothelkarzinomen der Blase nach berufsbedingter Exposition gegenüber Benzol, seinen Homologen oder Styrol. Die vom Kläger in das Verfahren eingebrachten einzelnen Publikationen stellten Mitteilungen dar, die keinesfalls geeignet seien, ein erhöhtes Blasenkrebsrisiko durch Benzol oder gar seine Homologe (Toluol, Xylole) bzw. Styrol zu belegen. In den zitierten Untersuchungen handele es sich in allen Fällen um eine Kombinationsbelastung gegenüber den verschiedensten chemischen Substanzen bzw. Verbindungsgruppen. Auch der Sachverständigenbeirat "Berufskrankheiten" beim Bundesminister für Arbeit habe in den letzten Jahren keine Veranlassung gesehen, sich mit dem Thema "Benzol-Harnblasenkarzinom" zu befassen. Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse hierzu lägen nicht vor. Aus diesem Grunde könne die Erkrankung des Klägers auch nicht als Berufskrankheit Nr. 1303 der Anlage zur BKV anerkannt und entschädigt werden. Die Feststellungen auf medizinischem Fachgebiet treffe das Gericht aufgrund der überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. R. Die gegenteilige Auffassung des Sachverständigen Dr. B. resultiere erkennbar aus dem Irrtum, dass sich eine Exposition des Klägers gegenüber aromatischen Aminen aufgrund der Verwendung von Nitrofarbstoffen sichern ließe. Diese Annahme werde jedoch durch das Gutachten von Prof. Dr. Dr. R. widerlegt. Ihm räume die Kammer hinsichtlich der Beurteilung der in Streit stehenden Zusammenhangsfragen auch eine größere Kompetenz ein, da dieser Facharzt für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin sei. Seine Auffassung werde zudem durch die ergänzende Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten im Gerichtsverfahren inhaltlich voll bestätigt.

18

Gegen dieses ihm am 2. Februar 2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 2. März 2004 Berufung eingelegt. Er verweist auf das nach seiner Ansicht zutreffende Gutachten von Dr. B.

19

Der Kläger beantragt,

20

das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 12. Januar 2004 aufzuheben, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27. März 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2000 zu verurteilen, ihm unter Anerkennung seiner Harnblasenerkrankung als BK 1303 oder Nr. 1301 der Anlage 1 zur BKV, hilfsweise wie eine Berufskrankheit, Verletztenrente nach einer MdE um 100 v. H. nach Maßgabe des Gesetzes zu gewähren.

21

Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils,

22

die Berufung zurückzuweisen.

23

Der Senat hat gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten des Urologen Priv.-Doz. Dr. M. F., Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Urologie der Universitätsklinik H., vom 30. Mai 2005 eingeholt.

24

Die den Kläger betreffende Verwaltungsakten sowie die Gerichtsakte haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen. Auf ihren Inhalt wird wegen weiterer Einzelheiten verwiesen.

Entscheidungsgründe

25

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

26

Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verletztenrente wegen des bei ihm aufgetretenen Blasenkrebses. Die Voraussetzungen einer Berufskrankheit gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII in Verbindung mit Nr. 1301 bzw. 1303 der Anlage l zur BKVO sind nicht erfüllt. Der Senat weist die Berufung aus den Gründen des erstinstanzlichen Urteils zurück und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

27

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auch die Beweisaufnahme im Berufungsverfahren kein dem Kläger günstiges Ergebnis erbracht hat. Nach den darin zitierten Untersuchungsergebnissen kann ein Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit des Klägers und dem Auftreten des Harnblasenkrebses selbst dann nicht wahrscheinlich gemacht werden, wenn der Kläger tatsächlich in größerem Umfang als zunächst angegeben Autos lackiert haben sollte. Von einem höheren Risiko betroffen sind vielmehr nur Berufsgruppen, die mit wasserlöslichen Azo-Farbstoffen arbeiten, da nur diese harnblasengängig sind. Insoweit hat sich das Gutachten ausführlich mit einer Anzahl neuerer epidemiologischer Studien zum Auftreten von Harnblasenkrebs insbesondere bei Personen mit beruflicher Exposition gegen Ölprodukte und gegen aromatische Amine befasst. Während bei der ersten Personengruppe kein signifikant erhöhtes Risiko festgestellt werden konnte, wurden aus der zweiten Gruppe lediglich Arbeiter aus der Textil- und Lederindustrie als gefährdet eingestuft, die einen intensiven Kontakt mit (wasserlöslichen) aromatischen Aminen über die Haut oder über dem Atmung haben. Diese Gutachtenergebnisse überzeugen den Senat in vollem Umfang; sie stehen im Einklang mit dem Vorgutachten von Prof. Dr. Dr. R. und ergänzen es. Der Senat sieht das Gutachten auf neuestem wissenschaftlichen Stand stehend, in sich widerspruchsfrei und insgesamt als völlig überzeugend an.

28

Gibt es demnach auch in der neueren Forschung keine Hinweise auf eine erhöhte berufsspezifische Gefährdung des Klägers, so kommt auch eine Anerkennung seiner Erkrankung wie eine Berufskrankheit (§ 9 Abs. 2 SGB VII) nicht in Betracht.

29

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

30

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.


Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 19. November 2013 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Klägers sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung einer Gonarthrose als Wie-Berufskrankheit streitig.
Der 1948 geborene Kläger wurde nach dem Hauptschulabschluss ab April 1963 im Betrieb seines Vaters zum Zimmerer und Dachdecker ausgebildet. Anschließend arbeitete er dort, unterbrochen von der Bundeswehrzeit von Juli 1968 bis Dezember 1969, bis November 1974 in abhängiger Beschäftigung. Ab Januar 1975 führte er, nachdem er zwischenzeitlich die Meisterprüfungen in beiden Berufen abgelegt hatte, den Betrieb in selbstständiger Tätigkeit bis Mitte August 2007 weiter; während dieser Zeit war er bei der Beklagten freiwillig versichert.
Der den Kläger behandelnde Hausarzt, der Internist Dr. B., zeigte der Beklagten im August 2007 den Verdacht einer Gonarthrose als Berufskrankheit an. Der Kläger teilte ihr Ende September 2007 mit, die Kniebeschwerden bestünden berufsbedingt. Sie seien erstmals 1995 aufgetreten und hätten seit einem Arbeitsunfall am 29. August 2005 zu dauernd starken Schmerzen geführt. Die Beschwerden würden bei knienden Tätigkeiten auf den Baustellen auftreten.
Der Mitarbeiter des Präventionsdienstes der Beklagten Sch. erstellte Ende Februar 2013 eine Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition, welcher ein von ihm erstelltes Gesprächsprotokoll vom 14. Februar 2013 nach einer persönlichen Unterredung mit dem Kläger an dessen Wohnort einen Tag zuvor zugrunde lag, das diesem übersandt und am 24. Februar 2013 von ihm unterschrieben worden war. Während der Ausbildung seien die Tätigkeiten als Zimmerer und Dachdecker vollzeitig und an ständig wechselnden Arbeitsplätzen ausgeübt worden. Von Anfang an seien während der kalten Jahreszeit keine Mitarbeitenden entlassen worden, vielmehr seien dann Arbeiten in Innenräumen ausgeführt worden. Hierbei habe es sich um die Parkettverlegung und den Dachgeschossausbau im Trockenbau gehandelt.
Der Bereich der Außenarbeiten habe die Zimmerei und Dachdeckerei umfasst. Reine Zimmererarbeiten, wie der Abbund und das ausschließliche Aufrichten von etwa Dachstühlen oder Gauben, seien anfangs nur ausnahmsweise ausgeführt worden. Hölzer seien überwiegend fertig abgebunden bezogen worden. Es habe praktisch immer eine Überschneidung zum Dachdeckerhandwerk bestanden. Es seien Dachstühle aufgerichtet, aber auch die Lattung und Dämmung angebracht worden. Anschließend sei die Eindeckung mit Dachpfannen und Biberschwanzziegeln (jeweils 50 %) erfolgt, bei größeren Gehöften, Scheunen oder Hallendächern seien Wellasbestzementplatten verwendet worden. Flachdächer seien nicht gedeckt worden. Es seien ausschließlich Steildächer bearbeitet worden. Zum Bereich der Innenarbeiten hätten die Parkettverlegung und der Innenausbau im Dachgeschoss gehört. Es seien Stab- und Mosaikparkette im Verhältnis 70 % zu 30 % verlegt worden, daneben Dielen, Ausgleichsschüttungen, Trittschalldämmungen und Estrichelemente. Das Verhältnis der beiden beschriebenen Bereiche, also von Außen- und Innenarbeiten, habe, bezogen auf die Arbeitsschichten, etwa 60 % zu 40 % betragen. Von Montag bis Freitag sei üblicherweise 10 Stunden täglich gearbeitet worden. Je nach Auftragsgröße habe teilweise auch an Samstagen gearbeitet werden müssen. Dies sei etwa an jedem zweiten Samstag der Fall gewesen. Der Kläger sei stets aktiv auf Baustellen tätig gewesen, habe also während der regulären Arbeitszeit keine administrativen Tätigkeiten oder Büroarbeiten ausgeführt. Diese seien an den Wochenenden und nach Feierabend erledigt worden. Der Mitarbeiter des Präventionsdienstes der Beklagten Sch. ging von 240 Arbeitsschichten pro Jahr aus, die zu Grunde zu legen seien. Der Kläger sei zu einer ähnlichen Einschätzung gekommen, wobei er etwa 32 Wochen für die Außen- und 16 Wochen für die Innenarbeiten angenommen habe, woraus sich ein Verhältnis von etwa 2/3 zu 1/3 ergebe. Im Wesentlichen seien die Tätigkeiten über den gesamten Betrachtungszeitraum hinweg vergleichbar gewesen, so dass die einzelnen Beschäftigungsabschnitte einheitlich bewertet werden könnten.
Für die Zeit von April 1963 bis Mitte August 2007 stelle sich die prozentuale Aufsplittung der Einzeltätigkeiten zusammenfassend wie folgt dar: Außenarbeiten, 60 % der Schichten: Steildach einlatten = 10 % der Schichten = 14 Schichten, Steildach dämmen = 50 % der Schichten = 72 Schichten, Steildach eindecken mit Dachpfannen = 10 % der Schichten = 15 Schichten, Steildach eindecken mit Biberschwanzziegeln = 10 % der Schichten = 15 Schichten, Wellplattenmontage = 10 % der Schichten = 14 Schichten und Zimmerei (Abbund und Aufrichten) = 10 % der Schichten = 14 Schichten sowie Innenarbeiten, 40 % der Schichten: Stabparkett verlegen = 21 % der Schichten = 20 Schichten, Mosaikparkett verlegen = 9 % der Schichten = 9 Schichten, schleifen und verkitten = 10 % der Schichten = 10 Schichten, Dielenboden verlegen = 10 % der Schichten = 10 Schichten und Trittschalldämmung verlegen, auch Schüttung, Holzfaserplatten und Estrichelemente = 50 % der Schichten = 47 Schichten.
Nach den Vorgaben der wissenschaftlichen Begründung zur Gonarthrose und aus Erfahrungen bei der Betrachtung der Tätigkeitsmerkmale an Vergleichsarbeitsplätzen ergebe sich, bezogen auf die Gonarthrose, eine Gesamtstundenzahl kniebelastender Tätigkeiten von 32.442 Stunden. Gestützt auf den Report des Instituts für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e. V. (IFA-Report), Ausgabe 1/2010 habe sich eine die Knie betreffende Mindesteinwirkungsdauer von mehr als einer Stunde je Arbeitsschicht ergeben.
Der Beklagten lagen neben dem Vorerkrankungsverzeichnis der Innungskrankenkasse (IKK) Baden-Württemberg (heute: IKK classic), bei welcher der Kläger während seiner selbstständigen Tätigkeit gegen Krankheit freiwillig versichert war, verschiedene medizinische Befundunterlagen vor, insbesondere auch solche, die sich auf das Unfallereignis vom 29. August 2005 beziehen. Damals legte der Kläger den Weg zu einer Baustellenkontrolle bei einem Kunden mit dem Fahrrad zurück, wobei er vom Pedal abrutschte und auf das rechte Knie stürzte. Deswegen stellte die Beklagte mit Bescheid vom 26. September 2006 ein Recht des Klägers auf Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vom Hundert (v. H.) als Gesamtvergütung vom 4. Mai bis 31. Dezember 2006 fest. Als Folgen dieses Arbeitsunfalls wurden ein persistierender bewegungsabhängiger Schmerz im rechten Kniegelenk mit Schwellneigung und Teilriss des hinteren Kreuzbandes rechts bei vorbestehender Gonarthrose anerkannt. Demgegenüber seien in diesem Körperbereich eine viertgradige Knorpelläsion im medialen Kompartment im Bereich des Schienbeines, eine drittgradige Chondromalazie des retropatellaren Gleitlagers, ein nahezu aufgebrauchter Außenmeniskus, zweitgradige Knorpelveränderungen im lateralen Kompartment im Bereich der Tibia und Femurkondylen sowie darüber hinaus eine rheumatische Erkrankung mehrerer Gelenke nicht Folgen dieses Versicherungsfalls. Ein Recht des Klägers auf Rente nach dem 31. Dezember 2006 wurde abgelehnt (Bescheid vom 22. März 2007, Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 2007). Das Klageverfahren S 2 U 3160/07 beim Sozialgericht (SG) Konstanz, welches für den bei Klageerhebung noch in Leutkirch im Allgäu, Landkreis Ravensburg, wohnenden Kläger zuständig war, verlief für ihn erfolglos.
Der Chefarzt der Rheumaambulanz der Rheumaklinik Bad W., Prof. Dr. J., äußerte nach einer klinischen Untersuchung des Klägers am 22. April 2004 zunächst den Verdacht auf eine seronegative rheumatoide Arthritis. Der Kläger habe über seit etwa einem halben Jahr bestehende rezidivierende Gelenkschmerzen in beiden Schulter-, Ellenbogen-, Hüft- und Kniegelenken sowie Händen berichtet. Es habe eine endgradig leicht schmerzhafte Beugung im rechten Kniegelenk ohne Bewegungseinschränkung bestanden. Nach einer Untersuchung am 6. Mai 2004 diagnostizierte er eine seronegative rheumatoide Arthritis (ICD-10 M06.00). Im Vordergrund stünden noch die Beschwerden in den Händen und Knien.
10 
Nach dem Unfallereignis am 29. August 2005 hatte der Kläger am 6. September 2005 den Arzt für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. L. aufgesucht, der eine Kniegelenkskontusion bei vorbestehender rheumatischer Erkrankung und eine diskrete Gonarthrose diagnostizierte.Es hätten ein deutlicher Kniegelenkserguss und eine endgradige Bewegungseinschränkung bei der Streckung bestanden. Radiologisch hätten eine deutliche Verkalkung der Menisken, eine leichte, medial betonte Gonarthrose und Zeichen einer Retropatellararthrose vorgelegen. Es sei eine Punktion einer 40 ml blutig tingierten Flüssigkeit vorgenommen worden, die eher alt gewesen sei. In seinem Ergänzungsbericht bei Verdacht auf einen Kniebinnenschaden vom 8. September 2005 erwähnte er, der Kläger, der zuvor gejoggt und Fahrrad gefahren sei, habe beruflich eine kniende Tätigkeit ausgeübt. Festgestellt worden seien eine Weichteilschwellung am medialen Bandapparat und in der Kniekehle sowie ein blutig-seröser Erguss.
11 
Der Radiologe Dr. R. erstellte am 22. September 2005 ein Magnetresonanztomogramm (MRT) des rechten Kniegelenkes. Es seien eine Ruptur des hinteren Kreuzbandes, eine Ruptur des Innenmeniskushinterhorns mit Luxationsstellung nach medial, ein feiner Einriss des Außenmeniskushinterhorns basal, eine mediale Gonarthrose mit dritt- bis viertgradigem Knorpelschaden femoral und tibial, ein deutliches Knochenmarködem in den benachbarten Partien femoral und tibial, ein retropatellarer Knorpelschaden craniomedial sowie ein Status nach Dehnung des Retinaculum patellae mediale mit teils aufgefaserten Strukturen festgestellt worden.
12 
Nach einer Arthroskopie des rechten Kniegelenkes am 27. September 2005 beschrieb der Chirurg Dr. B. eine Chrondromalazie bis Stadium IV. Es sei eine Meniskusteilresektion vorgenommen und eine Abrasionsarthroplastik eingesetzt worden. Es hätten sich zwei kleine Knorpelglatzen an der Pars media des medialen Tibiaplateaus, ein ausgefranster Lappenriss des Hinterhorns, eine Sklerosierung am medialen Kondylus, ein eingebluteter Synovialüberzug des hinteren Kreuzbandes mit erhaltener Kontinuität sowie retropatellar oberflächlich rasenartige und im Gleitlager pflastersteinartige Veränderungen gefunden.
13 
Im Auftrag der Beklagten erstattete Dr. B. nach einer ambulanten klinischen und radiologischen Untersuchung des Klägers am 5. Dezember 2005 ein Gutachten. Der Kläger habe bei dem Unfall am 29. August 2005 ein Distorsionstrauma des rechten Kniegelenkes mit Teilruptur des hinteren Kreuzbandes erlitten. Diese Verletzung sei mit großer Wahrscheinlichkeit Folge des Unfallereignisses. Dieses sei geeignet gewesen, zu einer Verletzung des hinteren Kreuzbandes zu führen. Bei der ersten durchgangsärztlichen Untersuchung sei ein blutig-seröser Gelenkerguss punktiert worden, was auf eine frische Schädigung des Kniebinnenraumes hindeute. Bei der Arthroskopie des rechten Kniegelenkes habe sich eine frische Synovialeinblutung des Synovialschlauches des hinteren Kreuzbandes gezeigt. Unfallunabhängig bestünden beim Kläger eine fortgeschrittene Arthrose des medialen Gelenkspaltes mit einer Chondromalazie bis Stadium 4 sowie eine degenerative Innen- und Außenmensikopathie. Somit sei es durch den Unfall zu einer Verschlimmerung einer bereits vorbestehenden Erkrankung des rechten Kniegelenkes gekommen.
14 
Nach einer Untersuchung Mitte Februar 2006 berichtete Dr. L., beim Kläger bestehe noch immer eine deutliche Schmerzsymptomatik und eine deutliche Ergussneigung im rechten Knie. Dieser habe mehrfach versucht, als Zimmermann tätig zu werden, was fehlgeschlagen sei. Bei der heutigen Vorstellung hätten sich nach wie vor eine endgradige Streckhemmung von etwa 5° und eine Beugehemmung von etwa 15° gezeigt.
15 
Über den stationären Aufenthalt des Klägers in der Berufsgenossenschaftlichen (BG-) Unfallklinik Murnau vom 24. bis 27. April 2006 berichtete der Ärztliche Direktor Prof. Dr. B. am 26. April 2006, diagnostiziert worden sei eine generalisierte Gonarthrose im Bereich des rechten Kniegelenkes. Am 25. April 2006 seien eine Arthroskopie und Kniegelenkspülung vorgenommen worden. Ein nahezu vollkommen aufgebrauchter Außenmeniskus und eine Pangonarthrose, bei unauffälligen Kreuzbändern, hätten dabei festgestellt werden können. Eine Knietotalendoprothese sei indiziert.
16 
Dr. L. berichtete nach einer Untersuchung des Klägers Mitte Mai 2006, es bestehe eine Arthrose, die letztendlich einen Kniegelenksersatz erforderlich machen werde. Der Kläger habe berichtet, dass er zwischenzeitlich kurzzeitig beschwerdefrei gewesen sei. Mittlerweile habe sich jedoch erneut ein derzeit nicht punktionswürdiger Gelenkserguss entwickelt. Die Beweglichkeit sei endgradig eingeschränkt gewesen. Schmerzen bestünden ab und an. Der Kläger habe angegeben, am 4. Mai 2006 die Arbeit wieder vollschichtig aufgenommen zu haben.
17 
Die Leitende Ärztin der Sektion Unfallchirurgie der Oberschwaben-Klinik gGmbH, Dr. St., erstattete im Auftrag der Beklagten ein so genanntes „Erstes Rentengutachten“. Nach einer ambulanten klinischen und radiologischen Untersuchung des Klägers am 1. August 2006 diagnostizierte sie eine Teilruptur des hinteren Kreuzbandes rechts bei bereits zuvor vorhandener Gonarthrose. Vorbestehend seien eine viertgradige Knorpelläsion im medialen Kompartment im Bereich der Tibia, eine drittgradige Chondromalazie des retropatellaren Gleitlagers, eine nahezu aufgebrauchter Außenmeniskus sowie eine zweitgradige Knorpelveränderung im lateralen Kompartment im Bereich der Tibia und der Femurkondylen. Bei der klinischen Untersuchung sei das Gangbild flüssig und der Bandapparat des rechten Kniegelenkes stabil gewesen. Der Schneidersitz habe bei Schmerzhaftigkeit nicht eingenommen werden können. Radiologisch habe eine mediale Gonarthrose festgestellt werden können. Es sei ein persistierender, bewegungsabhängiger Schmerz des rechten Kniegelenkes mit Schwellneigung und teilweiser Ergussbildung verblieben. Vorbestehend sei eine rheumatische Erkrankung mehrerer Gelenke unklarer Genese.
18 
Der Chefarzt der Abteilung für Unfallchirurgie des Krankenhauses St. E. der Oberschwaben-Klinik gGmbH, Prof. Dr. M., erstellte für die Beklagte ein weiteres Rentengutachten und der Chefarzt der Abteilung Radiologie dieses Krankenhauses, Prof. Dr. St., hierzu ein radiologisches Zusatzgutachten, jeweils nach Untersuchungen des Klägers am 5. Februar 2007. Prof. Dr. M. führte aus, eine verheilte Teilruptur des rechten hinteren Kreuzbandes mit verbliebener geringfügiger hinterer Instabilität sei Folge des Unfallereignisses vom 29. August 2005. Unfallunabhängig bestünde eine schwere Gonarthrose rechts mit schmerzbedingter Bewegungseinschränkung und Bakerzyste. Prof. Dr. St. ging von einer medial betonten Gonarthrose, Kniegelenksbinnenverkalkungen im Bereich des lateralen Gelenkspaltes sowie degenerativen Randkantenausziehungen im Bereich des medialen und lateralen Kniegelenkspaltes, retropatellar sowie im Bereich der Femurkondylen, aus.
19 
Dr. L. teilte der Beklagten im Verwaltungsverfahren zur Feststellung einer Berufskrankheit Anfang Dezember 2007 mit, der Kläger habe sich von Januar bis Juli 2004 in seiner Behandlung befunden, überwiegend wegen eines Karpaltunnelsyndroms, später wegen eines schnellenden Daumens und Fersensporns. Lediglich bei der ersten Inanspruchnahme Mitte Januar 2004 habe er auch von Kniegelenkschmerzen berichtet. Eine weitere Diagnostik und Therapie der Kniegelenksymptomatik sei nicht erfolgt.
20 
Im Verfahren S 2 U 3160/07 beim SG Konstanz ist Dr. K. mit der Erstattung eines orthopädischen Gutachtens beauftragt worden. Nach einer ambulanten klinischen und röntgenologischen Untersuchung des Klägers am 29. April 2008 führte dieser im Gutachten und in einer ergänzenden Stellungnahme Anfang September 2008 aus, Folge des Unfalls vom 29. August 2005 sei insbesondere eine leichte Instabilität des rechten Kniegelenkes nach hinten infolge einer verheilten Teilruptur des rechten hinteren Kreuzbandes. Als unfallunabhängige Gesundheitsstörungen lägen eine aktivierte Arthrosis deformans des rechten und linken Kniegelenkes, eine Chondrokalzinose beider Kniegelenke, ein Teilverlust des Innen- und Außenmeniskus bei durchgeführten arthroskopischen Operationen und degenerativen Vorschäden des Faserknorpels (Meniskus), eine retropatellare Gelenkarthrose sowie offensichtlich bestehende Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises, welche mit einem Basistherapeutikum (Metrotrexat, MTX Hexal, 200 mg pro Woche) behandelt worden seien, vor. Unfallunabhängige Erkrankungen seien also eine drittgradige Gonarthrose rechts mit schmerzhafter Bewegungseinschränkung bei Chondrokalzinose, eine beginnende Gonarthrose links mit Chondrokalzinose und eine Coxa profunda. Ausgeprägte zweit- bis viertgradige Knorpelschäden beträfen den medialen Femurkondylus und das mediale Tibiaplateau. Insbesondere die tibialen Knorpelschäden („Knorpelglatzen“) entsprächen einem Knorpelschaden vierten und somit höchsten Grades, welcher unabhängig vom Unfallereignis vorliege. Wenn aber im Bereich des Tibiaplateaus bereits Knorpelschäden vierten Grades nachweisbar seien, also ein vollständiges Fehlen des hyalinen Knorpels, sei eine graduelle Verschlechterung dieses Befundes zumindest im tibialen Bereich nicht mehr möglich gewesen.
21 
Nach zwei weiteren Arthroskopien des rechten Kniegelenkes am 10. Juni 2008 und 12. Februar 2009, mit zwischenzeitlicher Eröffnung des Kniegelenkes über einen medialen Zugang zum Innenmeniskus (sog. „Payr-Zugang“) am 30. September 2008, diagnostizierte der Chirurg Dr. B. einen Zustand nach tibialer Umstellungsosteotomie Ende September 2008 mit kompletter Bioabrasion medial und retropatellar sowie der Trochlea femoris, mit jetzt ordentlichem Knorpelüberzug. Im Bereich des medialen Femurkondylus bestehe noch ein viertgradiger Knorpelschaden mit einer Größe von 2 x 2 cm. Ferner sei eine Reizsynovitis erkannt worden.
22 
Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstattete Dr. T. A. im Verfahren S 2 U 3160/07 beim SG Konstanz nach dessen ambulanter klinischer und radiologischer Untersuchung am 29. September 2008 ein orthopädisches Gutachten, welches er Ende November 2008 um eine Stellungnahme ergänzte. Es bestehe unter anderem eine fortgeschrittene Arthrose im Bereich des inneren Gelenkspaltes des rechten Kniegelenkes im Sinne einer unfallbedingten deutlichen Verschlimmerung eines vorbestehenden Knorpelschadens. Die zum Unfallzeitpunkt vorhandene dritt- bis viertgradige Knorpelschädigung am inneren Gelenkspalt sei nicht Folge des Unfalls. Bei der im Vergleich zur gesunden linken Seite bestehenden starken Arthrose sei eher von einem unfallbedingten Schaden als von einer schicksalhaften Arthrose auszugehen; insbesondere, weil am gegenseitigen linken Kniegelenk keinerlei Arthrosezeichen dieses Ausmaßes zu sehen gewesen seien. Werde ein verletzter Meniskus entfernt, trete oft eine Früharthrose des betroffenen Gelenkes ein, so dass es wahrscheinlicher sei, dass das Unfallereignis vom 29. August 2005 zuerst die Meniskusverletzung und nachfolgend die Arthrose ausgelöst habe. Hinweise auf Vorerkrankungen der Menisken und Kreuzbänder lägen nicht vor.
23 
Nach einem am 18. April 2009 erstellten MRT des rechten Kniegelenkes und einer röntgenologischen Untersuchung am 20. April 2009 berichtete der Radiologe Dr. H., es sei ein deutlich verschmälerter medialer Gelenkspalt bei ausgeprägter medialer Gonarthrose, welche entzündlich aktiviert gewesen sei, festgestellt worden. Zudem seien eine deutliche Femoropatellararthrose, eine degenerative dritt- bis viertgradige Meniskopathie medial und eine der Patellasehne an der Tuperositas tibiae zu erkennen gewesen. Es hätten deutliche Hinweise auf eine beginnende Pseudarthrose vorgelegen.
24 
Die Radiologin Dr. F. führte nach einer Drei-Phasen-Sklettszintigraphie am 20. April 2009 aus, es habe eine Synovialitis im Bereich des rechten Kniegelenkes vorgelegen. Weiter sei eine Hyperfusion in diesem Körperbereich zu erkennen gewesen.
25 
Nach einer stationären Aufenthalt des Klägers in der orthopädischen Klinik des O.-Hospitals des Klinikums St. vom 1. bis 17. Juni 2009 diagnostizierte der Ärztliche Direktor Prof. Dr. W. unter anderem einen Zustand nach valgisierender Tibiakopfosteotomie mit Korrekturverlust und eine Pseudarthrosenentwicklung sowie eine rheumatoide Arthritis.
26 
In der beratungsärztlichen Stellungnahme von Anfang September 2009 ging der Chirurg Dr. K. nicht vom Vorliegen einer Gonarthrose als Berufskrankheit aus. Wesentliche Ursachen seien eine Chondrokalzinose, eine rheumatoide Arthritis, eine Varusfehlstellung beidseits mit Umstellungsosteotomie rechts und eine Adipositas mit Metabolischem Syndrom. Es liege bei einer Körpergröße von 185 cm ein Körpergewicht von 115 kg vor. Außerdem fehle es an der Beidseitigkeit des Schadensbildes.
27 
Das Regierungspräsidium Stuttgart teilte mit Schreiben von Ende September 2009 mit, von dem Berufskrankheitenfall Kenntnis genommen zu haben. Eine Bearbeitung durch eine Gewerbeärztin oder einen -arzt fände jedoch nicht statt.
28 
Mit Bescheid vom 8. Oktober 2009 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer Gonarthrose als Berufskrankheit ab. Diese Gesundheitsstörung sei seit 1. Juli 2009 als Nr. 2112 in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen worden. Da die Meldung der Erkrankung noch vor diesem Stichtag erfolgt sei, sei über das Vorliegen einer Berufskrankheit im Rahmen von § 9 Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII), also als Wie-Berufskrankheit, entschieden worden. Die Voraussetzungen hierfür lägen allerdings nicht vor. Im Falle des Klägers sei anhand der vorliegenden Röntgenaufnahmen und ärztlichen Befundberichte anlagebedingt eine Varusfehlstellung der Beine und eine rheumatische Arthritis, eine Chondrokalzinose sowie ein deutliches Übergewicht festgestellt worden. Diese Faktoren seien ursächlich für die Gonarthrose. Die berufliche Belastung trete demgegenüber in den Hintergrund. Außerdem wäre bei einer beruflichen Verursachung zu erwarten gewesen, dass beide Knie in gleichem Maße betroffen seien, was vorliegend nicht der Fall sei. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 5. Februar 2010 zurückgewiesen.
29 
Hiergegen hat der Kläger am 23. Februar 2010 beim SG Ulm Klage erhoben, mit der er die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung einer Gonarthrose als Berufskrankheit verfolgt hat.
30 
Das SG Ulm hat Dr. Pf. beauftragt, ein orthopädisch-chirurgisches Gutachten zu erstatten. Nach dessen Ausführungen nach einer ambulanten klinischen, röntgenologischen und optrimetrischen Untersuchung am 2. August 2010, welche um eine Stellungnahme von Ende Oktober 2010 ergänzt worden ist, liege ein ausgeprägter Knorpelschaden des rechten Kniegelenkes mit anhaltenden Reizerscheinungen, einem Belastungsdefizit und einer Bewegungseinschränkung vor. Diese Gonarthrose sei mit Wahrscheinlichkeit und in wesentlicher Weise durch die Berufstätigkeit als Zimmermann verursacht worden. Bei seiner gutachterlichen Untersuchung habe das Hauptproblem in der verminderten Patellamobilität und der sich daraus ergebenden Bewegungseinschränkung und verminderten Kraftentfaltung der Kniestrecker und Hüftbeuger bestanden. Radiologisch habe eine sehr deutliche Randosteophytenbildung am Ober- und Unterrand der Kniescheibe sowie im patellaren Gleitlager vorgelegen. Hieraus habe sich das Bild einer deutlich vermehrten Belastung des patellofemoralen Gelenkes ergeben, was den Beugebelastungen des Klägers im Berufsleben zuzuordnen sei. Das bedeute indes nicht, dass nicht auch das gesamte Kniegelenk mit einbezogen sei. Im Jahre 2004 habe sich bei diesem das typische Bild einer Polyarthritis rheumatica gezeigt, weshalb eine Methotrexat-therapie eingeleitet worden sei. In Bezug auf das rechte Kniegelenk habe sich nun eine lediglich endgradige, leicht schmerzhafte Beugung gezeigt, entsprechend einem Beugebelastungsproblem. Da in sämtlichen nach 2004 erhobenen Befunden eine Polyarthritis, also der Befall vieler Gelenke, nicht mehr erwähnt und auch bei seiner Untersuchung nicht mehr vorhanden gewesen sei, habe sich die Autoaggression, wie sie für die rheumatoide Arthritis ursächlich sei, durch die Methotrexattherapie so zurückgebildet, dass sie keinen Krankheitswert im destruktiven Sinne mehr gehabt habe. Diese Erkrankung scheide somit als konkurrierende Ursache aus. Als Alternativursache komme die Chondrokalzinose, also eine sichtbare Ablagerung von Kalziumpyrophosphat-Dihydrat-Kristallen sowohl im Faserknorpel als auch im hyalinen Knorpel in der Gelenkkapsel sowie in den periartikulären Weichteilstrukturen, ebenfalls nicht in Frage. Hierbei handele es sich um eine idiopathische Erkrankung, die als Präarthrose gewertet werde, allerdings über den Umweg einer ausgelösten Arthritis. Eine solche sei, werde von den Folgen des Unfallereignisses vom 29. August 2005 abgesehen, als nur auf das Kniegelenk bezogene Gonarthritis nirgends beschrieben. Hinzu komme, das radiologisch in gleicher Weise Verkalkungen am linken, beschwerdefreien Kniegelenk zur Darstellung gekommen seien, ohne eine Arthrose hervorgerufen zu haben. Außer in der beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr. K. von Anfang September 2009 habe sich nach keinem der erhobenen Befunde ein Hinweis auf eine deutliche Varusfehlstellung des rechten oder linken Kniegelenkes gezeigt. Anlass für die valgisierende Umstellungsosteotomie sei die Feststellung einer medial betonten Gonarthrose gewesen. In solchen Fällen werde auch bei achsengerechter Stellung der Kniegelenke ein derartiger Eingriff diskutiert. Bei seiner Untersuchung habe er am beschwerdefreien linken Kniegelenk eine über das übliche Maß hinausgehende Varusstellung im Übrigen nicht feststellen können. Soweit sich nach erfolgter Umstellungsosteotomie der Hinweis auf eine Verschiebung der Beinachse um nur 2 cm in zwei Jahren finde, sei dies kein stichhaltiges Gegenargument. Insoweit handele es sich lediglich um eine Befundbeschreibung des Operationsergebnisses. Wenn ein Tatbestand sowohl die Merkmale eines Arbeitsunfalls als auch die einer Listen-Berufskrankheit erfülle, sei die Berufskrankheit vorrangig anzuwenden. Dr. K. habe in seinem Gutachten festgestellt, die degenerativen Veränderungen des rechten Kniegelenkes seien nicht in den ätiopathogenetischen Zusammenhang mit den Unfallfolgen zu stellen, auch nicht im Sinne einer Verschlimmerung. Letzterem stimme er nicht zu. Der Unfall vom 29. August 2005 habe bei dem bis dahin, bezogen auf das rechte Kniegelenk, beschwerdefreien sowie im Übrigen leistungsfähigen und sportlichen Kläger zu einer, wenn auch lang dauernden, aber vorrübergehenden Verschlimmerung geführt, da jetzt ein Zustand vorliege, welcher der schicksalsmäßigen Weiterentwicklung des Leidens, also des berufsbedingten Schadens, entspreche. Dem Übergewicht komme zwar eine multiplikative Bedeutung zu, dieses sei vorliegend jedoch nicht als wesentliche Ursache der Gonarthrose anzusehen.
31 
Nach der von der Beklagten vorgelegten beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr. K. von September 2010 hat diese eine weitere von ihm von Ende November 2010 übersandt. Wegen der biomechanischen Plausibilität sei bei einem belastungskonformen Schadensbild der vorliegend zu prüfenden Berufskrankheit zu erwarten, dass der Knorpelschaden im Patellofemoralgelenk beginne und sich von dort aus gegebenenfalls in das Kniehauptgelenk ausdehne. Der Knorpelschaden müsse danach in erster Linie und vorauseilend im Patellofemoralgelenk vorhanden sein. Bei einer bereits fortgeschrittenen Gonarthrose, wie vorliegend, müsse anhand früher erhobener Befunde nachgewiesen werden, dass sich der aktuelle Befund mit hinreichender Wahrscheinlichkeit aus einem belastungskonformen Schadensbild heraus entwickelt habe. Dies sei durch das Gutachten von Dr. Pf. nicht belegt und auch nicht weiter diskutiert worden. Bei einem belastungskonformen Schadensbild seien in der R. auch beide Kniegelenke in vergleichbaren Ausmaß betroffen, was vorliegend nicht der Fall sei. Sowohl die rheumatoide Polyarthritis als auch die Chondrokalzinose seien als konkurrierende Ursachen anzusehen, auch wenn sie angeblich aktuell keine Beschwerden verursachten. Die im medialen Gelenkbereich lokalisierte Gonarthrose weise auf eine deutliche Varusfehlbelastung des Kniegelenkes hin, die mitursächlich für die medial betonte Gonarthrose gewesen sei. Bei der Entstehung der Gonarthrose im rechten Kniegelenk komme somit den konkurrierenden Ursachen Polyarthritis, Chondrokalzinose, Übergewicht und Varusfehlstellung die wesentliche Teilursache zu. Auch spreche der fehlende Nachweis, dass sich die jetzige Gonarthrose mit hinreichender Wahrscheinlichkeit aus einem belastungskonformen Schadensbild heraus entwickelt habe, und die fehlende Beidseitigkeit der Kniearthrose gegen das Vorliegen einer Berufskrankheit.
32 
Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG ist Dr. M. mit der Erstattung eines orthopädisch-chirurgischen Gutachtens beauftragt worden. Nach seinen Ausführungen, die sich auf eine ambulante klinische Untersuchung des Klägers am 3. August 2011 sowie auf Röntgenuntersuchungen des rechten Kniegelenkes am 16. Dezember 2010 und des linken am 16. Februar 2011 stützen, bestünden eine rechtsbetonte beidseitige Femoropatellararthrose mit Funktionsstörungen beim Trepp- und Bergabgehen, Hinknien sowie in die Hocke gehen, eine mediale Gonarthrose nach Innenmeniskusresektion und hinterer Kreuzbandruptur mit einem Zustand nach valgisierender Umstellungsosteotomie, verzögerter Heilung und bleibender Bewegungseinschränkung, Schwellneigung, Muskel- und Kraftminderung sowie Belastungsinsuffizienz, degenerative Wirbelsäulenveränderungen mit Muskelverhärtungen, Bewegungseinschränkung sowie Funktionsdefizit und Fehlstellung, eine rheumatoide Arthritis ohne aktuelle Krankheitsaktivität unter Methotrexattherapie sowie ein chronisches Schmerzsyndrom vom Typ III nach Gerbershagen mit somatischen und psychischen Faktoren. Die Gonarthrose sei als Berufskrankheit anzusehen. Sowohl durch die klinische Untersuchung als auch die radiologische Dokumentation fänden sich beidseits deutliche femoropatellare Schädigungen als Ausdruck des belastungskonformen Schadensbildes. Die Tätigkeit als Zimmermann gehe anders als diejenige etwa eines Estrichlegers mit auch einseitig kniender Tätigkeit sowie schwerem Heben und Tragen und Stemmen von Lasten einher. Auch die Dauer der kniebelastenden Tätigkeiten erfüllten die Voraussetzungen für die zu prüfende Berufskrankheit. Da die rheumatoide Arthritis seit der Diagnosestellung im Jahre 2003 nach adäquater Behandlung weder weitere Gelenkbeschwerden oder -schwellungen hervorgerufen noch wiederholten Behandlungsbedarf erfordert habe, könne diese keinen Einfluss mehr auf die Entwicklung der Gonarthrose genommen haben. Aus empirischen und physiologischen Gründen scheide das Übergewicht des Klägers als wesentliche Ursache für die femoropatellare, aber auch die mediale Gonarthrose aus. Das Kniegelenk weise nahezu keine durch knöcherne Formgebung entstehende Stabilisierung auf, sondern werde durch die beiden Menisken, die Seiten- und Kreuzbänder sowie die Muskulatur stabilisiert. Im November 2010 sei beim Kläger im Rahmen der Rückentrainingtherapie eine Bioimpedanzanalyse durchgeführt worden, die mit 33 % einen hohen Muskelanteil am Gesamtgewicht ausgewiesen habe. Es sei anzunehmen, dass der Kläger zur Zeit seiner Berufstätigkeit noch mehr Muskelmasse aufgewiesen habe. Diese verstärkte Muskulatur bewirke einen Schutz auch der Gelenke. Der Varusfehlstellung komme vorliegend keine maßgebliche Bedeutung zu. Im Jahre 2008 sei beim Kläger eine valgisierende Umstellungsosteotomie zur Entlastung des medialen Gelenkspaltes durchgeführt worden. Im Operationsbericht sei eine Varusstellung von 10° im rechten Kniegelenk erwähnt. Ganzbeinaufnahmen seien nicht angefertigt worden. Auf einer Röntgenaufnahme von April 2008 sei sogar keine varische Beinachse zu erkennen. Eine Beinachsenstellung von 10° werde üblicherweise als leichtgradige Fehlstellung bezeichnet. In einer nach dem Unfallereignis Ende August 2005 durchgeführten Arthroskopie hätten sich bereits deutliche Verschleißerscheinungen femoropatellar sowie kleinflächig auch im inneren Kniegelenkskompartment gezeigt. Wegen der nachgewiesenen deutlichen Einblutung ins Gelenk und in die Gelenkinnenhaut sowie des kernspintomographisch nachgewiesenen so genannten „Bone bruise“ (Knochenquetschung) müsse von einer erheblichen Krafteinwirkung ausgegangen werden. Das Unfallereignis sei somit auf einen bereits vorgealterten und durch schwere berufliche Belastungen in Mitleidenschaft gezogenen Innenmeniskus getroffen und habe diesen richtungsweisend verletzt. Im weiteren Verlauf sei es zu einem Kniegelenkskollaps mit erheblicher Verschlimmerung der Gonarthrose rechts gekommen, wie sie in den weiteren Arthroskopien dokumentiert sei. Auch das hintere Kreuzband habe für die weitere Entwicklung der Gonarthrose eine wichtige Rolle spielen können. In der ersten Arthroskopie sei eine synoviale Einblutung beschrieben worden. Sehr häufig würden Verletzungen des hinteren Kreuzbandes übersehen, da dieses anders als das vordere häufig in Elongation verheile und damit seine stabilisierende Funktion verliere, obwohl es vermeintlich als durchgängig nachweisbar sei. Der Innenmeniskus habe eine Puffer- und Stabilisierungsfunktion für den Gelenkknorpel. Auf diesen wirkten nach einer Verletzung und Teilentfernung höhere Belastungen ein. Die mediale Gonarthrose könne daher auch auf die Innenmeniskusschädigung zurückgeführt werden.
33 
Nachdem die Beklagte von ihrem Mitarbeiter des Präventionsdienstes Sch. die Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition von Ende Februar 2013 hat erstellen lassen, ist Dr. Pf. durch das SG Ulm auch hierzu ergänzend befragt worden, woraufhin dieser ausgeführt hat, die mediale Gonarthrose rechts sei auf eine Innenmeniskusschädigung zurückzuführen. Wie im Falle des Knorpelschadens bestehe auch für diese Beeinträchtigung ein Zusammenhang mit der beruflichen Belastung. Ein belastungskonformes Schadensbild sei gelenkmechanisch vorhanden, da vorliegend auch die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt seien. Die Erhebungen hierzu seien entsprechend dem IFA-Report, Ausgabe 1/2010 durchgeführt worden und hätten eine Gesamtkniebelastung zwischen April 1963 und Mitte August 2007 von 32.442 Stunden ergeben. In der Stellungnahme des Präventionsdienstes der Beklagten sei beschrieben worden, das Dämmen von steilen Dächern habe 50 % der Arbeitsschichten eingenommen. Im Hinblick darauf sei zu beachten, dass dies entweder bei sehr steilen Dächern im Kniestand oder bei weniger steilen Dächern voll kniend durchgeführt werde. Da der Kläger Rechtshänder sei, sei eine vermehrte Belastung des rechten gegenüber dem linken Kniegelenk anzunehmen. Dies komme dadurch zustande, dass durch die linke Hand und den linken Arm diagonal zum rechten Kniegelenk eine Stabilisation erreicht werde sowie mit der rechten Hand und dem rechten Arm die eigentliche Tätigkeit erfolge. Daraus resultiere, dass arbeitstechnisch eindeutig eine vermehrte Belastung des rechten Kniegelenkes stattgefunden haben müsse. Somit habe bereits vor dem Unfall Ende August 2005 ein belastungskonformes Schadensbild am rechten Kniegelenk bestanden, welches durch das Trauma exazerbiert worden sei, infolge dessen sich eine Pangonarthrose entwickelt habe. Vier Wochen nach dem Unfallereignis seien kernspintomographisch eine Läsion des Innenmeniskus sowie degenerative Knorpelveränderungen an der Kniescheibenrückfläche und dem Gleitlager des Oberschenkels festgestellt worden, wie sie durch den Unfall nicht hätten ausgelöst werden können. Sie seien vielmehr als vorbestehend im Sinne der vorliegend zu beurteilenden Berufskrankheit anzusehen. Durch den Sturz vom Fahrrad sei es wegen der Gewalteinwirkung zu einer synovitisch-arthritischen Reaktion und damit zu einer Progression der Arthrose im Sinne einer Verschlimmerung eines vorbestehenden Zustandes gekommen.
34 
In dem beim erstinstanzlichen Gericht anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung am 19. November 2013 hat der Kläger ausschließlich nur noch die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung einer Gonarthrose als Wie-Berufskrankheit verfolgt. Das SG Ulm hat die Beklagte mit Urteil vom selben Tag verpflichtet, beim Kläger eine Gonarthrose rechts als Wie-Berufskrankheit anzuerkennen. Die Klage sei insbesondere nicht mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig, weil die Gonarthrose mittlerweile seit Juli 2009 als Listen-Berufskrankheit aufgenommen worden sei. Hierdurch sei der Anspruch auf Anerkennung als Wie-Berufskrankheit nicht erloschen. Konstitutiv für die Feststellung einer Wie-Berufskrankheit sei nicht der Anerkennungsbescheid der Beklagten, sondern das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für den Eintritt des Versicherungsfalls. Rechtsgrundlage für die Feststellung als Wie-Berufskrankheit sei § 9 Abs. 2 SGB VII. Dessen Tatbestand sei erfüllt, insbesondere lägen beim Kläger die individuellen Voraussetzungen vor. Die Sachverständigen Dr. Pf. und Dr. M. hätten überzeugend dargelegt, dass die berufliche Tätigkeit des Klägers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu der Gonarthrose rechts geführt habe. Aus der Listen-Berufskrankheit nach Nr. 2112 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) ergebe sich eine tatsächliche Vermutung, die auch auf die Gonarthrose als Wie-Berufskrankheit zu übertragen sei. Hierbei handele es sich um keine unzulässige Vorwirkung eines materiellen Gesetzes, da diese nur bei Eingriffen zu Lasten der Versicherten, jedoch nicht zu ihren Gunsten gelte.
35 
Gegen die der Beklagten am 17. März 2014 zugestellte Entscheidung hat diese am 2. April 2014 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg mit der Begründung Berufung eingelegt, eine einseitige berufliche Belastung der Knie sei nicht erwiesen, woraus sich indes einzig die unterschiedlichen Schadensbilder in beiden Kniegelenken erklären ließen. Der Herleitung des SG Ulm aus der Rechtshändigkeit liege kein gesicherter medizinischen Erfahrungssatz zugrunde.
36 
Der Internist Dr. B., welcher den Kläger von 2004 bis 2008 hausärztlich behandelt hat, und die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. B., die diese Funktion nach dem Umzug des Klägers von Leutkirch im Allgäu nach Bopfingen übernommen hat, sind als sachverständige Personen schriftlich befragt worden.
37 
Dr. B. hat mitgeteilt, er habe den Kläger erstmals am 20. Januar 2004 wegen Gelenkbeschwerden behandelt. Betroffen gewesen seien hauptsächlich die Handgelenke. Er habe ihn an den Rheumatologen Prof. Dr. J. überwiesen. Ob zum damaligen Zeitpunkt bereits eine Gonarthrose diagnostiziert worden sei, könne er im Nachhinein nicht mehr nachvollziehen. Von dort sei ihm lediglich die Diagnose einer rheumatoiden Arthritis übermittelt worden, weshalb der Kläger entsprechend medikamentös behandelt worden sei. Aus seinen Unterlagen ergebe sich kein Hinweis für eine Pseudogicht. Ob eine Varusfehlstellung vorgelegen habe, könne er nicht sagen. Zwischen 2004 und 2008 habe beim Kläger eine mäßiggradige Adipositas bestanden. Er hat unter anderem einen Befundbericht des Facharztes für Radiologie Dr. G. nach einem am 14. Dezember 2009 erstellten Computertomogramm des rechten Knies vorgelegt, wonach der Kläger auch über zunehmende Gonalgien links berichtet habe.
38 
Dr. B. hat ausgeführt, sie könne einzig zum Übergewicht des Klägers Angaben machen. Dieser sei 1,90 m groß und habe Anfang Januar 2009 ein Gewicht von 118 kg gehabt, wonach sich eine Adipositas vom Grad I ergeben habe. Sie hat einen Befundbericht des Facharztes für Radiologie Dr. L. nach einer am 21. September 2005 durchgeführten Phlebographie rechts vorgelegt, wonach ein ausgeprägter Kniegelenkserguss und eine Bakerzyste festgestellt worden seien. Des Weiteren hat sie einen Entlassungsbericht von Dr. R., Rehazentrum Bad S.-A., Klinik W. nach einem stationären Aufenthalt des Klägers vom 11. Dezember 2012 bis 8. Januar 2013 übersandt, wonach unter anderem eine Gonalgie, rechts mehr als links, bei femoropatellarer und medialer Gonarthrose (ICD-10 M17.9) diagnostiziert worden sind.
39 
Zudem ist die Beklagte gebeten worden, durch ihren Präventionsdienst berechnen zu lassen, zu welchem Zeitpunkt der Kläger einer beruflichen Gesamtkniebelastung von 13.000 Stunden ausgesetzt gewesen sei, woraufhin der Mitarbeiter Sch. im März 2015 kundtat, dieser Wert sei zum Ende des Jahres 1981, rechnerisch am 23. Dezember 1981, erreicht gewesen.
40 
Nach Beiziehung von bildgebendem Material des rechten und linken Kniegelenkes ist Prof. Dr. Sch. beauftragt worden, ein orthopädisch-chirurgisches Gutachten nach Aktenlage zu erstatten. Nach seinen Ausführungen vom 13. Oktober 2015 liegt beim Kläger im rechten Kniegelenk eine Gonarthrose vom Grad 4 nach dem Kellgren-Lawrence-Score und im linken nach diesem Bewertungsmaßstab keine maßgebliche Erkrankung vor. Diese sonstige posttraumatische Gonarthrose sei nach ICD-10 mit „M17.3“ zu verschlüsseln. Ein beginnender Aufbrauch des rechten Kniegelenkes habe durch das Unfallereignis am 29. August 2005 festgestellt werden können. Eine Gonarthrose im Sinne der fraglichen Berufskrankheit liege nicht vor. Ein Arthrosegrad von mindestens 2 sei im Jahre 2006 radiologisch nur rechtsseitig nach stattgehabtem Unfall nachzuweisen gewesen. Wesentlich für deren Entstehung sei die durch das Unfallereignis im Jahre 2005 erlittene Teilruptur des hinteren Kreuzbandes. Zu diesem Zeitpunkt hätten am rechten Kniegelenk degenerative Veränderungen im Bereich des Innen- und Außenmeniskus sowie eine Knorpelschädigung des medialen Gelenkspaltes bis zur Chondromalazie im Stadium 4 vorgelegen, die bis dahin keine ärztliche Konsultation erforderten. Eine Arthrose sei ein struktureller Schaden eines Gelenkes, beginnend beim Gelenkknorpel, der letztlich zum Versagen des Organs „Gelenk“ führe. Klinische Merkmale der Gonarthrose seien ein Knorpelabbau, ein subchondraler Knochenumbau mit Sklerose, eine subchondrale Zystenbildung, eine Osteophytenbildung im Bereich der beteiligten Knochen, eine Bewegungseinschränkung und Schmerzen. Die Arthrose habe eine multifaktorielle Genese. Systemische Faktoren bedingten die Empfänglichkeit für die Arthrose, lokale biomechanische Faktoren beeinflussten die Lokalisation und Ausprägung. Die Einteilung aufgrund bildgebender Verfahren erfolge nach dem Kellgren-Lawrence-Score in vier Stadien. Grundvoraussetzung sei eine ausreichende berufliche Belastung, die eine plausible zeitliche Korrelation zur Entwicklung der Gonarthrose aufweisen müsse. Der Erkrankung nach einem Grad von mindestens 2 müsse eine ausreichende Exposition von 13.000 Stunden vorausgegangen sein. Ein plausibler Zeitraum werde dann angenommen, wenn zwischen dem Erreichen dieser Mindestbelastung und dem erstmaligem Nachweis der Erkrankung maximal fünf Jahre lägen. Bei einem längeren Zeitraum sei der Ursachenzusammenhang umso unwahrscheinlicher, je größer dieser sei. Nach Auffassung der an der Begutachtungsempfehlung beteiligten Experten sei in aller R. Beidseitigkeit der Veränderungen zu erwarten. Ein Abweichen von mehr als einem Grad nach dem Kellgren-Lawrence-Score im Seitenvergleich könne nur mit einer besonderen Begründung und dem Nachweis einer einseitigen arbeitsbedingten Belastung anerkannt werden. Ein belastungskonformes Schadensbild werde für die zu prüfende Berufskrankheit nicht gefordert. Weiterhin müssten wesentliche konkurrierende Faktoren in Bezug auf die derzeitige Evidenzlage berücksichtigt werden.
41 
Hinsichtlich der arbeitstechnischen Voraussetzungen habe der Kläger von April 1963 bis Mitte August 2007, also über einen Zeitraum von 44 Jahren hinweg, mit Unterbrechungen eine Gesamtbelastung von 32.442 Stunden erfahren. Rechnerisch seien die 13.000 Stunden im Jahre 1981 erreicht gewesen, weshalb formal die arbeitstechnischen Voraussetzungen vorlägen. Der radiologische Nachweis einer Gonarthrose nach dem Kellgren-Lawrence-Score mit einem Grad von mindestens 2 habe erst im Jahre 2006 und nur am rechten Kniegelenk festgestellt werden können. Im linken Kniegelenk liege in Bezug auf die fragliche Berufskrankheit keine maßgebliche Arthrose vor. Zwischen dem Erreichen der Mindestbelastung und dem erstmaligen Nachweis der einseitigen Erkrankung lägen rechnerisch somit 25 Jahre. Aus Plausibilitätsgründen sei eine berufsbedingte Verursachung somit nicht wahrscheinlich, sonst hätte sich die berufliche Belastung früher in einem Schaden realisieren müssen. Auch die Tatsache, dass beim Kläger nur das rechte Kniegelenk betroffen sei und eine einseitige Belastung nicht vorgelegen habe, spreche gegen eine maßgeblichen beruflichen Einfluss. Weiterhin sei gegen eine berufsbedingte Entstehung der Arthrose im rechten Kniegelenk der Umstand zu werten, dass der Kläger vor dem Unfallereignis im Jahre 2005 keinen Arzt in Bezug auf diesen Körperbereich konsultiert habe, was jedoch bei einer beruflichen Verursachung zu fordern sei. Eine Behandlung der Kniegelenke sei erstmalig wegen des Unfallereignisses Ende August 2005 erfolgt, wobei sich der Kläger eine frische Teilruptur des hinteren Kreuzbandes zugezogen habe. Das anschließend angefertigte bildgebende Material zeige degenerative Veränderungen im Bereich des Innen- und Außenmeniskus sowie eine Knorpelschädigung des medialen Gelenkspaltes bis zur Chondromalazie im Stadium 4. Hinweise für einen beginnenden Aufbrauch des rechten Kniegelenkes seien somit lediglich im Rahmen der diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen wegen dieses Unfallereignisses festgestellt worden. Bis zu diesem Zeitpunkt sei dieser symptomfrei verlaufen. Im Fremdbefund zu den sechs Tage nach dem Unfallereignis durchgeführten Röntgenaufnahmen des rechten Kniegelenkes seien eine deutliche Verkalkung der Menisken, eine leichte medial betonte Gonarthrose, Zeichen einer Retropatellararthrose und eine leichte Patelladysplasie beschrieben worden. Zeichen einer Arthrose im Sinne der zu prüfenden Berufskrankheit mit Osteophyten, also Knochennasen, einer definitiven Verschmälerung des Kniegelenkspaltes, einer Sklerose und einer Verformung der Tibia oder des Femurs seien somit zum damaligen Zeitpunkt nicht feststellbar gewesen. Eine Chondrokalzinose gelte nicht als konkurrierender Faktor für die Entstehung einer Gonarthrose. Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis als Ursache seien nach der Literatur nicht belegbar, wohl aber nach klinischer Erfahrung anzunehmen. Die kongenitale tibiofemorale Beinachse sei vorliegend ebenfalls nicht als konkurrierender Faktor anzusehen. Übergewicht gelte zwar als wissenschaftlich gesicherte Alternativursache. Allerdings bestehe für die Adipositas eine epidemiologische Evidenz für ein multiplikatives Zusammenwirken mit den arbeitsbedingten Belastungen. Nach der wissenschaftlichen Begründung sei die zu beurteilende Berufskrankheit bei Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen und des geeigneten Krankheitsbildes auch bei adipösen Menschen anzuerkennen. Nach dem Akteninhalt seien hinsichtlich Körpergröße und -gewicht des Klägers ab 1991 sowie vor dem Unfallereignis im Jahre 2005 Werte zwischen 105 kg und 113 kg dokumentiert. Bei der gutachterlichen Untersuchung durch Dr. Pf. Anfang August 2010 sei das Körpergewicht mit 110 kg festgestellt worden. Eine wesentliche Gewichtszunahme sei somit nach dem Unfall nicht zu objektivieren. In der Zusammenschau der anamnestischen, radiologischen und interaoperativen Befunde seien die Veränderungen im rechten Kniegelenk hauptsächlich durch das Unfallereignis mit verbliebener Instabilität nach stattgehabter Kreuzbandverletzung bedingt.
42 
Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, das Gutachten von Prof. Dr. Sch. bestätige, dass beim Kläger keine Gonarthrose als Berufskrankheit anzuerkennen sei. Der einseitige Binnenschaden im Kniegelenk des Klägers lasse sich nicht mit seiner beruflichen Tätigkeit in Einklang bringen. Auch nach dem IFA-Report, Ausgabe 1/2010 werde lediglich bei der Tätigkeit „Steildach eindecken (Biberschwanz)“ auf eine einseitige Kniebelastung hingewiesen, während bei allen übrigen Dachdeckertätigkeiten, selbst beim Eindecken eines Steildaches (Dachpfanne), ein solcher Hinweis nicht zu finden sei. Im Übrigen sei in diesem IFA-Report zur Tätigkeit des Steildacheindeckens mit Biberschwanzziegeln nur erwähnt, dass einseitiges Knien häufig habe beobachtet werden können. Indes besage dies nicht, ob auch eine ganz überwiegend einseitige Kniebelastung vorgelegen habe. Denn hierbei sei es typisch, dass zur Entlastung immer wieder ein Wechsel zwischen linkem und rechtem Knie stattfinde.
43 
Die Beklagte beantragt,
44 
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 19. November 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
45 
Der Kläger beantragt,
46 
die Berufung zurückzuweisen.
47 
Er trägt im Wesentlichen vor, er habe während seiner beruflichen Tätigkeit ganz überwiegend Steildächer mit Biberschwanzziegeln eingedeckt. Diese hätten bei Arbeiten an mehr als zwanzig Objekten insgesamt mindestens eine Fläche von 5.210 m² umfasst. Hierbei handele es sich allein um die Projekte, welche ihm spontan erinnerlich gewesen seien. Während der Ausbildungs- und sonstigen Arbeitszeit seien noch zahlreiche weitere derartige Dächer eingedeckt worden. Tatsächlich habe es sich um das Doppelte, wenn nicht sogar ein Vielfaches dieser Quadratmeterzahl gehandelt. Prof. Dr. Sch. habe sich nicht eingehend mit dem Gutachten von Dr. Pf. auseinandergesetzt. Er gehe zu Unrecht davon aus, dass er beruflich bedingt keiner einseitigen Belastung des rechten Kniegelenkes ausgesetzt gewesen sei. Dr. Pf. sei mit dem Gutachten von Prof. Dr. Sch. zu konfrontieren und Letzterer ergänzend zu befragen. Lasse sich der Widerspruch zwischen den bisherigen Ausführungen der Sachverständigen nicht auflösen, sei ein Obergutachten einzuholen. Alle bislang diskutierten konkurrierenden Ursachen hätten keinen wesentlichen Einfluss auf die bei ihm vorliegende Gonarthrose gehabt. Insbesondere habe kein maßgebliches Übergewicht vorgelegen. Bei seiner Heirat im Jahre 1979 habe er maximal 80 kg gewogen. Zu einer Gewichtszunahme sei es erst gekommen, als er die berufliche Tätigkeit reduziert und schließlich eingestellt habe, frühestens also im Jahre 2005.
48 
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung am 17. März 2016 ein Lichtbild vorgelegt, welches ihn mit dem linken Knie kniend auf einem Steildach zeigt, das mit Biberschwanzziegeln eingedeckt worden ist. Des Weiteren hat er zur Inaugenscheinnahme Fotos vorgelegt, mit denen er seinen Vortrag bekräftigt hat, während der beruflichen Tätigkeiten kein Übergewicht gehabt, allenfalls Muskelmasse aufgebaut zu haben.
49 
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die Verwaltungsakten der Beklagten (2 Bände), einschließlich derjenigen zu dem Arbeitsunfall am 29. August 2005, verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
50 
Die nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere statthafte Berufung (§ 143, § 144 Abs. 1 SGG) der Beklagten ist begründet. Deren Bescheid vom 8. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Februar 2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Voraussetzungen für die Feststellung einer Gonarthrose als Wie-Berufskrankheit liegen nicht vor. Das SG hätte die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG, zur Klageart vgl. BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 - B 2 U 6/12 R -, SozR 4-2700 § 9 Nr. 22, Rz. 13 m. w. N.) erhobene Klage, die zuletzt ausschließlich darauf gerichtet gewesen ist, die Beklagte zu verpflichten, eine Gonarthrose als Wie-Berufskrankheit festzustellen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Januar 2010 - B 2 U 5/08 R -, SozR 4-2700 § 9 Nr. 17, Rz. 12, wonach nach dem materiellen Recht mit den jeweiligen Listen-Berufskrankheiten und der Wie-Berufskrankheit verschiedene Versicherungsfälle definiert sind, und LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. September 2009 - L 8 U 5884/08 -, juris, Rz. 32 ff. zu einer Teilrücknahme der Klage durch spätere Antragsbeschränkung), daher abweisen müssen.
51 
Die Voraussetzungen für die Feststellung der Gonarthrose des Klägers als Wie-Berufskrankheit liegen nicht vor, da der sachliche Anwendungsbereich nicht eröffnet ist. Darüber hinaus fehlt es am Ursachenzusammenhang zwischen den Einwirkungen durch die versicherten Tätigkeiten im Knien oder eine vergleichbare Kniebelastung und der Gonarthrose im rechten Kniegelenk; im linken liegt keine insoweit maßgebliche Erkrankung vor.
52 
Der geltend gemachten Anspruch richtet sich nach den am 1. Januar 1997 in Kraft getretenen Bestimmungen des SGB VII (Art. 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, BGBl I 1996, S. 1254; § 212 SGB VII), da beim Kläger zwar erstmals 1995 Kniebeschwerden auftraten, wie dies der ihn behandelnde Hausarzt Dr. B. bei der Anzeige des Verdachtes einer Gonarthrose als Berufskrankheit im August 2007 kundgetan hat. Diagnostiziert worden ist eine „diskrete“ Gonarthrose allerdings überhaupt erst durch Dr. L. nach einer klinischen und radiologischen Untersuchung des Klägers am 6. September 2005. Nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand (vgl. hierzu BSG, Urteile vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R -, BSGE 96, 196 <200 f.> und 23. April 2015 - B 2 U 10/14 R -, juris, Rz. 20, zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen), der wegen des für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei der vorliegenden Verpflichtungsklage maßgeblichen Zeitpunktes der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz zu berücksichtigen ist (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 54 Rz. 34), liegt eine durch die versicherte Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastung herbeigeführte Gonarthrose sogar erst vor, wenn chronische Kniegelenksbeschwerden, Funktionsstörungen bei der standardisierten klinisch-orthopädischen Untersuchung und die röntgenologische Diagnose einer Gonarthrose entsprechend einem Grad 2 bis 4 der spezifizierten Klassifikation von Kellgren et al. objektiviert worden sind; als Funktionsstörung muss eine Bewegungseinschränkung in Form einer eingeschränkten Streckung und/oder Beugung im Kniegelenk, ein Kniegelenkserguss, eine Kapselentzündung mit Verdickung oder Verplumpung der Gelenkkontur, eine Krepitation bei der Gelenkbewegung, ein hinkendes Gangbild oder eine Atrophie der Oberschenkelmuskulatur festgestellt sein. Diesen Maßstab legt der Senat aufgrund der Begutachtungsempfehlung für die Berufskrankheit Nr. 2112 (Gonarthrose) der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e. V., Stand: 3. Juni 2014 (im Internet unter „www.dguv.de/medien/inhalt/versicherung/bk/empfehlungen/Begutachtung-BK2112-Stand-20140613.pdf“), zugrunde, welche von einem interdisziplinären Arbeitskreis, zu dem auch der Sachverständige Prof. Dr. Sch. gehört hat, erstellt worden sind. Die Kriterien „chronische Kniegelenksbeschwerden, Funktionsstörungen bei der orthopädischen Untersuchung in Form einer eingeschränkten Streckung oder Beugung im Kniegelenk und die röntgenologische Diagnose einer Gonarthrose entsprechend einem Grad 2 bis 4 der spezifizierten Klassifikation von Kellgren et al.“ ist bereits nach dem Merkblatt zur Berufskrankheit nach Nr. 2112 der Anlage 1 zur BKV (Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 30. Dezember 2009 - IVa 4-45222-2112 -, GMBl 5/6/2010, S. 98 ff.) gefordert worden. Der Sachverständige Prof. Dr. Sch. geht vor diesem Hintergrund von einer objektivierten Gonarthrose im rechten Kniegelenk im Jahre 2006 aus, wohingegen der Senat zu der Überzeugung gelangt ist, dass diese bereits am 22. September 2005 nachgewiesen worden ist. Nach dem im Wege des Urkundenbeweises (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 415 ff. Zivilprozessordnung - ZPO) verwerteten Befundbericht von Dr. R., der infolge eines an diesem Tag erstellten MRT verfasst worden ist, wurden eine mediale Gonarthrose mit dritt- bis viertgradigem Knorpelschaden femoral und tibial, ein deutliches Knochenmarködem in den benachbarten Partien femoral und tibial, ein retropatellarer Knorpelschaden craniomedial sowie ein Status nach Dehnung des Retinaculum patellae mediale mit teils aufgefaserten Strukturen festgestellt. Dr. L. hatte bereits zuvor, am 6. September 2005 und bei bereits bestehenden chronischen Kniegelenksbeschwerden, einen deutlichen Kniegelenkserguss und eine endgradige Bewegungseinschränkung bei der Streckung objektiviert, wobei der Senat zugunsten des Klägers davon ausgeht, dass diese Funktionsstörungen wegen der arthrotischen Veränderungen bestanden haben und nicht auf das Unfallereignis vom 29. August 2005 zurückzuführen gewesen sind. Der Versicherungsfall im Sinne des § 212 SGB VII ist damit jedenfalls weit nach dem 31. Dezember 1996 eingetreten. Offen bleiben kann, ob § 9 Abs. 5 SGB VII entsprechende Anwendung findet. Soweit danach Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für die Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen (vgl. Köhler, in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB VII, Stand: Mai 2011, § 212 Rz. 5; Söhngen, in jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 212 Rz. 11). Auch diese Voraussetzungen lägen frühestens zum Zeitpunkt des Nachweises der Gonarthrose vor.
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Nach § 9 Abs. 2 SGB VII haben die Trägerinnen der gesetzlichen Unfallversicherung eine Krankheit, die nicht in der BKV bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII erfüllt sind (sog. „Öffnungsklausel“ für Wie-Berufskrankheiten). Mit § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII hat der Gesetzgeber das "Listensystem" als Grundprinzip des Rechts der Berufskrankheiten der gesetzlichen Unfallversicherung festgelegt. Mit der Einführung der Wie-Berufskrankheit in § 551 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 30. April 1963 (BGBl I S. 241), also der Vorgängervorschrift zu § 9 Abs. 2 SGB VII, wurde eine Ausnahme vom Listenprinzip nur für den Fall zugelassen, dass der Verordnungsgeber wegen der regelmäßig notwendigen mehrjährigen Intervalle zwischen den Anpassungen der BKV an die neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht rechtzeitig tätig wird (vgl. BSG, Urteil vom 25. August 1994 - 2 RU 42/93 -, BSGE 75, 51 <54>). Sinn des § 9 Abs. 2 SGB VII ist es, ausnahmsweise vom Listensystem abweichen zu können, um solche durch die Arbeit verursachten Krankheiten wie eine Berufskrankheit zu entschädigen, die nur deshalb nicht in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen worden sind, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen in ihrer Arbeit bei der letzten Fassung der Liste noch nicht vorhanden waren oder vom Verordnungsgeber nicht hinreichend berücksichtigt wurden (vgl. BSG, Urteil vom 4. August 1981 - 5a/5 RKnU 1/80 -, SozR 2200 § 551 Nr. 18, S. 27). Im Falle des Klägers fehlt es an der sachlichen Anwendungsvoraussetzung der Regelung zur Feststellung einer Wie-Berufskrankheit, denn die Gonarthrose ist in der BKV bezeichnet, die dort bestimmten Voraussetzungen liegen vor und die Feststellung als Listen-Berufskrankheit ist vorliegend nicht grundsätzlich ausgeschlossen.
54 
Die Gonarthrose ist durch die Zweite Verordnung zur Änderung der BKV vom 11. Juni 2009 (BGBl I S. 1273) mit Wirkung zum 1. Juli 2009 als Nr. 2112 in die Liste der Berufskrankheiten (§ 1 BKV i. V. m. Anlage 1) aufgenommen worden. Sie ist bezeichnet als „Gonarthrose durch eine Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastung mit einer kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde pro Schicht“. Die in dieser Listen-Berufskrankheit bestimmten, also dort benannten Voraussetzungen liegen vor. Denn der Kläger war während seiner versicherten beruflichen Tätigkeit von April 1963 bis Juni 1968 und von Januar 1970 bis November 1974 als Beschäftigter nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII sowie aufgrund der freiwilligen Versicherung (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VII) während seiner selbstständigen Tätigkeit von Januar 1975 bis Mitte August 2007 durch eine Tätigkeit im Knien oder eine vergleichbare Kniebelastung einer kumulativen Einwirkungsdauer von 32.442 Stunden ausgesetzt, wobei die Mindesteinwirkungsdauer von einer Stunde je Arbeitsschicht erfüllt war. Hierfür stützt sich der Senat auf die vom Mitarbeiter des Präventionsdienstes der Beklagten Sch. erstellte Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition von Ende Februar 2013, welcher ein von ihm erstelltes Gesprächsprotokoll vom 14. Februar 2013 nach einer persönlichen Unterredung mit dem Kläger an dessen Wohnort einen Tag zuvor zugrunde liegt, das diesem übersandt und am 24. Februar 2013 von ihm unterschrieben worden war. Danach wurden Tätigkeiten als Zimmerer und Dachdecker vollzeitig und an ständig wechselnden Arbeitsplätzen ausgeübt. Von Anfang an wurden während der kalten Jahreszeit keine Mitarbeitenden entlassen, vielmehr führten diese dann Arbeiten in Innenräumen aus. Hierbei handelte es sich um die Parkettverlegung und den Dachgeschossausbau im Trockenbau.Der Bereich der Außenarbeiten umfasste die Zimmerei und Dachdeckerei. Reine Zimmererarbeiten, wie der Abbund und das ausschließliche Aufrichten von etwa Dachstühlen oder Gauben, wurden anfangs nur ausnahmsweise ausgeführt. Hölzer wurden überwiegend fertig abgebunden bezogen. Zum Dachdeckerhandwerk bestanden Überschneidungen. Es wurden Dachstühle aufgerichtet, aber auch die Lattung und Dämmung angebracht. Anschließend erfolgte die Eindeckung mit Dachpfannen und Biberschwanzziegeln (jeweils 50 %), bei größeren Gehöften, Scheunen oder Hallendächern wurden Wellasbestzementplatten verwendet. Flachdächer wurden nicht gedeckt. Es wurden ausschließlich Steildächer bearbeitet. Zum Bereich der Innenarbeiten gehörten die Parkettverlegung und der Innenausbau im Dachgeschoss. Es wurden Stab- und Mosaikparkette im Verhältnis 70 % zu 30 % verlegt, daneben Dielen, Ausgleichsschüttungen, Trittschalldämmungen und Estrichelemente. Das Verhältnis der beiden beschriebenen Bereiche, also von Außen- und Innenarbeiten, betrug, bezogen auf die Arbeitsschichten, etwa 60 % zu 40 %. Von Montag bis Freitag wurde üblicherweise 10 Stunden täglich gearbeitet. An jedem zweiten Samstag wurden die Tätigkeiten auftragsbedingt ebenfalls ausgeübt. Der Kläger war immer aktiv auf den Baustellen tätig, führte also während der regulären Arbeitszeit keine administrativen Tätigkeiten oder Büroarbeiten aus. Diese wurden an den Wochenenden und nach Feierabend erledigt. Der Mitarbeiter des Präventionsdienstes der Beklagten Sch. ist auf dieser Grundlage für den Senat nachvollziehbar von 240 Arbeitsschichten je Zeitjahr ausgegangen. Der Kläger selbst ist damals zu einer nahezu identischen Einschätzung gekommen, wobei er etwa 32 Wochen für die Außen- und 16 Wochen für die Innenarbeiten annahm, woraus sich ein Verhältnis von etwa 2/3 zu 1/3 ergibt. Im Wesentlichen waren die Tätigkeitsinhalte über die Zeit von April 1963 bis Juni 1968 und Januar 1970 bis Mitte August 2007 hinweg vergleichbar, so dass die einzelnen Beschäftigungsabschnitte einheitlich bewertet werden können. Die prozentuale Aufsplittung der Einzeltätigkeiten stellt sich zusammenfassend und gerundet daher wie folgt dar: Außenarbeiten, 60 % der Schichten: Steildach einlatten = 10 % der Schichten = 14 Schichten, Steildach dämmen = 50 % der Schichten = 72 Schichten, Steildach eindecken mit Dachpfannen = 10 % der Schichten = 15 Schichten, Steildach eindecken mit Biberschwanzziegeln = 10 % der Schichten = 15 Schichten, Wellplattenmontage = 10 % der Schichten = 14 Schichten und Zimmerei (Abbund und Aufrichten) = 10 % der Schichten = 14 Schichten sowie Innenarbeiten, 40 % der Schichten: Stabparkett verlegen = 21 % der Schichten = 20 Schichten, Mosaikparkett verlegen = 9 % der Schichten = 9 Schichten, schleifen und verkitten = 10 % der Schichten = 10 Schichten, Dielenboden verlegen = 10 % der Schichten = 10 Schichten und Trittschalldämmung verlegen, auch Schüttung, Holzfaserplatten und Estrichelemente = 50 % der Schichten = 47 Schichten. Hieraus ergibt sich zur Überzeugung des Senats nachvollziehbar eine durch die Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastung kumulative Einwirkungsdauer von 32.442 Stunden. Gestützt auf den IFA-Report, Ausgabe 1/2010 ist hiernach zudem plausibel eine die Knie betreffende Mindesteinwirkungsdauer von sogar mehr als einer Stunde je Arbeitsschicht ermittelt worden.
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Die Feststellung als Listen-Berufskrankheit ist vorliegend wegen § 6 Abs. 2 Satz 1 BKV in der Fassung der Zweiten Verordnung zur Änderung der BKV vom 11. Juni 2009 (BGBl I S. 1273) nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Leiden danach Versicherte am 1. Juli 2009 an einer Krankheit unter anderem nach Nr. 2112 der Anlage 1 zur BKV, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 30. September 2002 eingetreten ist. Der Kläger leidet bis heute im rechten Kniegelenk an einer Gonarthrose im Sinne dieser Listen-Berufskrankheit. Der Versicherungsfall ist, wie zuvor ausgeführt, erst am 22. September 2005 eingetreten. Der Kläger ist folglich nach der Stichtagsregelung des § 6 Abs. 2 Satz 1 BKV, bei der es sich um eine unechte Rückwirkung (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 7. Dezember 2010 - 1 BvR 2628/07 -, BVerfGE 128, 90 <107>) beziehungsweise tatbestandliche Rückanknüpfung (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 11. Juli 2013 - 2 BvR 2302/11 u. a. -, juris, Rz. 72) handelt, die Norm also auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt, nicht von der noch möglichen Anerkennung als Listen-Berufskrankheit ausgeschlossen. Damit behält der Vorrang der allgemeinen Regelung des § 9 Abs. 1 SGB VII in Verbindung mit § 1 BKV und der Anlage 1 hierzu, unter Einschluss der Rückwirkungsanordnung, weiter Geltung (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 9. Oktober 2010 - 1 BvR 791/95 -, juris, Rz. 28). Dieser Vorrang kommt zwar trotz des bei der Verpflichtungsklage maßgeblichen Zeitpunktes der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage wegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 22. Oktober 1981 - 1 BvR 1369/79 - BVerfGE 58, 369 zur Auslegung der Regelungen über die Anerkennung von Berufskrankheiten), unter Beachtung des allgemeinen Grundsatzes des Verwaltungsverfahrensrechts, wonach die Trägerinnen der gesetzlichen Unfallversicherung zügig zu entscheiden haben, nicht zum Tragen, wenn von diesen eine Verwaltungsentscheidung zu einer Wie-Berufskrankheit im Hinblick darauf zurückgestellt worden ist, dass eine Änderung der BKV in Sicht ist (BVerfG, a. a. O., Rz. 29), oder sie ein Begehren auf Feststellung als Wie-Berufskrankheit mit dem Hinweis auf eine in Aussicht stehende Änderung der BKV abgelehnt haben (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 23. Juni 2005 - 1 BvR 235/00 -, juris, Rz. 21). Die Beklagte hat indes die Verwaltungsentscheidung über die ihr von Dr. B. im August 2007 angezeigte mögliche Gonarthrose als Berufskrankheit weder im Hinblick darauf zurückgestellt, dass die Zweite Verordnung zur Änderung der BKV vom 11. Juni 2009 (BGBl I S. 1273) in Sicht ist, noch die Ablehnung unter Hinweis auf diese in Aussicht stehende Änderung der BKV abgelehnt. Die Beklagte hat demgegenüber mit dem angefochtenen Bescheid vom 8. Oktober 2009 sogar nach Inkrafttreten der Neuregelungen, abgestellt auf den Zeitpunkt der Meldung der Erkrankung vor dem Stichtag, über die begehrte Feststellung als Wie-Berufskrankheit entschieden und diese mit der Begründung abgelehnt, nicht versicherte Faktoren seien ursächlich für die Gonarthrose gewesen die berufliche Belastung sei in den Hintergrund getreten. Eine unsachgemäße Verzögerung des Verwaltungsverfahrens durch die Beklagte liegt ebenfalls nicht vor. Sie hat nach der hausärztlichen Anzeige der Berufskrankheit sogleich die medizinischen Befundunterlagen, die bis dahin wegen des Arbeitsunfalls vom 29. August 2005, bei dem ebenfalls das rechte Knie betroffen war, vorgelegen haben, zu dem Verfahren wegen der Feststellung einer Berufskrankheit herangezogen, Dr. B. und Dr. L. ergänzend befragt, ein Vorerkrankungsverzeichnis der IKK Baden-Württemberg beigezogen sowie anschließend das nach dem in Bezug auf das Unfallereignis ergangenen Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 2007 angestrengte Klageverfahren beim SG Konstanz, welches mit Urteil vom 24. Juni 2009 endete und in welchem weitere medizinische Beweiserhebungen vorgenommen wurden, abgewartet. Daraufhin hat sie von Dr. K. eine Anfang September 2009 vorgelegte beratungsärztliche Stellungnahme eingeholt und die am Ende dieses Monats eingegangene Mitteilung des Regierungspräsidiums Stuttgart, wonach keine gewerbeärztliche Befassung erfolgen werde, abgewartet, um schließlich, ohne dass der Kläger im gesamten Verfahren auf eine frühere Entscheidung hingewirkt hat, mit Bescheid vom 8. Oktober 2009 über sein Begehren zu entscheiden. Dem steht die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht entgegen. Zwar hat dieses in seinem Urteil vom 27. Juni 2006 (B 2 U 5/05 R -, BSGE 96, 297) nicht mehr an seiner bisherigen Rechtsprechung festgehalten, wonach die Anwendung des § 551 Abs. 2 RVO ausnahmslos dann ausgeschlossen war, wenn der Verordnungsgeber die einschlägige Erkrankung in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen hat (Urteil vom 24. Februar 2000 - B 2 U 43/98 R -, SozR 3-2200 § 551 Nr. 14). Die Einschränkung bezog sich indes auf Versicherungsfälle außerhalb eines Rückwirkungszeitraumes, nicht, wie vorliegend, innerhalb eines solchen liegende. Dem Urteil des BSG vom 2. Dezember 2008 (B 2 KN 1/08 U R -, BSGE 102, 121) lag ein Antrag auf Überprüfung eines Bescheides vom 5. Juli 1996, mit dem die Anerkennung einer Atemwegserkrankung unter anderem als Wie-Berufskrankheit nach § 551 Abs. 2 RVO abgelehnt worden war, im Wege des Zugunstenverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch zugrunde. Maßgeblich in diesem Verfahren war also nach dieser materiell-rechtlichen Regelung insbesondere, ob bei Erlass dieses zu überprüfenden Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt worden war. Zu diesem Zeitpunkt war die Erkrankung aber noch nicht in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen worden, was erst durch die BKV vom 31. Oktober 1997 (BGBl I S. 2623) mit Wirkung zum 1. Dezember 1997 erfolgte. Ein Anwendungsvorrang der Listen-Berufskrankheit stellte sich somit überhaupt nicht. Der in dieser Entscheidung formulierte Rechtssatz, wonach diese BKV erst ab dem Tag ihres Inkrafttretens Rechtswirkungen entfaltet und für die Rechtslage davor, wenn die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Wie-Berufskrankheit vorgelegen haben, aus ihr keine Rechtsfolgen hergeleitet werden können (vgl. auch LSG für das Saarland, Urteil vom 23. Mai 2012 - L 2 U 52/09 WA -, juris, Rz. 28), war demzufolge nicht tragend, soweit er so verstanden werden sollte, dass eine geänderte BKV nur nach ihrem Inkrafttreten eintretende Versicherungsfälle erfasst (vgl. hierzu Römer, a. a. O., Stand: Mai 2015, § 6 BKV, Rz. 9). Damit weicht der Senat nicht von einer Entscheidung des BSG ab.
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Darüber hinaus steht zur Überzeugung des Senats nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit fest, dass es durch die versicherten Tätigkeiten im Knien oder eine vergleichbare Kniebelastung zu einer Einwirkungen auf das rechte Kniegelenk gekommen ist, welche die Gonarthrose im rechten Kniegelenk herbeigeführt hat.
57 
Für die Feststellung einer Wie-Berufskrankheit ist wie bei einer Listen-Berufskrankheit Voraussetzung, dass im Einzelfall eine berufsbedingte Einwirkung die rechtlich wesentliche Ursache einer nicht in der Liste der Berufskrankheiten bezeichneten Krankheit ist (vgl. Urteil des Senats vom 26. März 2015 - L 6 U 1017/13 -, juris, Rz. 50; Römer, in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB VII, Stand: Juli 2015, § 9 Rz. 38a). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 23. April 2015 - B 2 U 10/14 R -, juris, Rz. 11 m. w. N., zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen). Da die R.ung des § 9 Abs. 2 SGB VII keinen Auffangtatbestand und keine allgemeine Härteklausel beinhaltet (BSG, Urteile vom 20. Juli 2010 - B 2 U 19/09 R -, juris, Rz. 19 m. w. N. und 13. Februar 2013 - B 2 U 33/11 R -, SozR 4-2700 § 9 Nr. 21, Rz. 17; vgl. auch BSG, Urteil vom 4. Juni 2002 - B 2 U 20/01 R -, juris, Rz. 20 zu § 551 Abs. 2 RVO), darf die Anerkennung einer Wie-Berufskrankheit darüber hinaus nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der Berufskrankheiten erfüllt sind, der Verordnungsgeber sie also als neue Listen-Berufskrankheit in die BKV einfügen dürfte, aber noch nicht tätig geworden ist (vgl. BT-Drucks 13/2204, S. 77 f.), also der generelle Ursachenzusammenhang gegeben ist (vgl. Römer, a. a. O., Rz. 39). Die Anerkennung einer Wie-Berufskrankheit knüpft an dieselben materiellen Voraussetzungen an, die der Verordnungsgeber auch nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII für die Aufnahme einer Erkrankung in die Liste zu beachten hat.
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Dahinstehen kann, ob, wovon das SG Ulm ausgegangen ist, der Listen-Berufskrankheit nach Nr. 2112 der Anlage 1 zur BKV „harte“ Kriterien, die vorliegend im Vollbeweis vorliegen, zu entnehmen sind, und sich hieraus eine tatsächliche Vermutung des Ursachenzusammenhanges ergibt (vgl. BSG, Urteil vom 30. Januar 2007 - B 2 U 15/05 R -, SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 4104 Nr. 2, Rz. 24 zur Berufskrankheit nach Nr. 4104 der Anlage 1 zur BKV), welche auch auf die Gonarthrose als Wie-Berufskrankheit „zu übertragen“ ist (Hessisches LSG, Urteil vom 18. November 2011 - L 9 U 66/07 -, juris, Rz. 40). Denn selbst eine tatsächliche Vermutung ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme erschüttert und der Ursachenzusammenhang nicht nachgewiesen.
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Beim Vergleich der radiologischen Befunde liegt beim Kläger nach den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. Sch. im rechten Kniegelenk eine viertgradige Gonarthrose nach Kellgren et al. vor, demgegenüber links keine derartige nach diesem Bewertungsmaßstab maßgebliche Erkrankung. Dieser Sachverständige hat schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, dass bei einer solchen Befundkonstellation ein Ursachenzusammenhang zwischen der beruflichen kniebelastenden Tätigkeit und dieser Erkrankung nur bei einer besonderen Begründung und dem Nachweis einer einseitigen arbeitsbedingten Belastung gegeben ist, wenn also eine asymmetrische, beruflich bedingte Belastung der beiden Kniegelenke vorlag (vgl. Begutachtungsempfehlung für die Berufskrankheit Nr. 2112 der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e. V. vom 3. Juni 2014, S. 8; vgl. auch die Entscheidung des Senats vom 26. November 2015 - L 6 U 2782/15 -, juris, Rz. 48 zu einem asymmetrischen Schadensbild bei der Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV). Davon ist der Senat auch nach den Angaben des Klägers im Berufungsverfahren nicht überzeugt. Zuletzt hat er vorgetragen, er habe während seiner beruflichen Tätigkeit ganz überwiegend Steildächer mit Biberschwanzziegeln eingedeckt, welche insgesamt, bezogen auf mehr als zwanzig benannte Objekte, mindestens eine Fläche von 5.210 m² umfasst hätten. Hierbei habe es sich allein um die Projekte gehandelt, welche ihm spontan erinnerlich gewesen seien. Während der Ausbildungs- und sonstigen Arbeitszeit seien noch zahlreiche weitere derartige Dächer eingedeckt worden. Tatsächlich habe es sich um das Doppelte, wenn nicht sogar ein Vielfaches dieser Quadratmeterzahl gehandelt. Weder nach dem SGG noch nach der ZPO gibt es zwar eine Beweisregelung in dem Sinne, dass frühere Aussagen oder Angaben grundsätzlich einen höheren Beweiswert besitzen als spätere; im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 286 ZPO) sind vielmehr alle Aussagen, Angaben und sonstigen Einlassungen zu würdigen. Gleichwohl kann das Gericht im Rahmen der Gesamtwürdigung den zeitlich früheren Aussagen aufgrund der Gesichtspunkte, dass die Erinnerung hierbei noch frischer war und sie von irgendwelchen Überlegungen, die darauf abzielen, das Klagebegehren zu begünstigen, noch unbeeinflusst waren, einen höheren Beweiswert als den späteren zumessen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2003 - B 2 U 41/02 R -, SozR 4-2700 § 4 Nr. 1, Rz. 12; Urteile des Senats vom 12. August 2014 - L 6 VH 5821/10 ZVW - juris, Rz. 144 und vom 21. Mai 2015 - L 6 U 1053/15 -, juris, Rz. 34). Hiervon geht der Senat vorliegend in Bezug auf die Angaben aus, welche sich nach der Stellungnahme des Mitarbeiters des Präventionsdienstes der Beklagten Sch. zur Arbeitsplatzexposition von Ende Februar 2013 ergeben haben, der ein von ihm erstelltes Gesprächsprotokoll vom 14. Februar 2013 nach einer persönlichen Unterredung mit dem Kläger an dessen Wohnort einen Tag zuvor zugrunde liegt, das diesem übersandt und am 24. Februar 2013 von ihm unterschrieben worden war. Danach nahm die Einzeltätigkeit „Steildach eindecken mit Biberschwanzziegeln“ 10 % der Schichten ein; ausgehend von 240 Arbeitsschichten je Jahr und einer Gewichtung der Außen- zu den Innenarbeiten mit 60 % zu 40 % aufgerundet 15 Schichten. Mit einem Anteil von weniger als 7 % der Jahresarbeitsschichten (15 von 240 Schichten) hatte diese Tätigkeit somit eine nur untergeordnete Bedeutung, wodurch eine einseitig arbeitsbedingte Belastung nicht nachgewiesen ist. Das Abweichen nach dem Kellgren-Lawrence-Score von vier Grad zwischen dem rechten und linken Kniegelenk erklärt sich dadurch nicht. Darüber hinaus bieten Biberschwanzziegel mit steigender Dachneigung gegenüber anderen Dachziegeltypen zwar schlechtere Standbedingungen, weshalb das Eindecken insoweit in weitaus größerem Maße im Knien durchgeführt wird. In den Untersuchungen konnte indes lediglich häufig und nicht immer auch das einbeinige Knien auf der Dachfläche beobachtet werden. Der Kläger hat in Bezug darauf im gesamten Verfahren weder konkrete Angaben zu den Dachneigungen gemacht, bei denen er Biberschwanzziegel eindeckte, noch in welchem Umfang er dabei einseitig rechts kniete. Das von ihm in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Lichtbild zeigt ihn nicht rechts-, sondern linkskniend. Soweit der Sachverständige Dr. Pf. aus dem Umstand der Rechtshändigkeit des Klägers geschlossen hat, dass es hierdurch zu einer vermehrten Belastung des rechten Kniegelenkes gekommen ist, handelt es sich um eine für ihn plausible Erklärung eines möglichen Bewegungsablaufes, ohne dass damit für den Senat der Nachweis erbracht ist, zumal der Kläger selbst den Arbeitsvorgang nie so beschrieben hat und das von ihm in die mündliche Verhandlung mitgebrachte Foto ihn demgegenüber linkskniend zeigt. Die Tätigkeiten als Zimmermann mögen als solche einseitig kniende Arbeitsabläufe enthalten, wie der Sachverständige Dr. M. dargelegt hat. Der konkret beim Kläger nachgewiesene Umfang belegt indes keine überwiegend einseitige, das rechte Kniegelenk belastenden Tätigkeiten.
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Zudem spricht die Zeitspanne zwischen dem Erreichen der kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde je Schicht einerseits sowie dem erstmaligen Nachweis der Gonarthrose nach einem Grad von mindestens 2 nach dem Kellgren-Lawrence-Score gegen einen Zusammenhang zwischen einer Einwirkung aufgrund der beruflichen kniebelastenden Tätigkeit und einer solchen Gonarthrose. Diese arbeitstechnischen Kriterien beruhen auf Erkenntnissen aus epidemiologischen Studien (vgl. hierzu und zum Folgenden BR-Drucks 242/09, S. 17). In der bislang größten zu dieser Thematik durchgeführten Fall-Kontroll-Studie zeigte sich bei einer Belastungsdauer von insgesamt rund 13.000 Stunden ein mehr als verdoppeltes, signifikant erhöhtes Gonarthroserisiko für Personen mit hoher beruflicher Exposition durch eine kniende oder hockende Tätigkeit. Auch für die Voraussetzung der mindestens einstündigen Kniegelenksbelastung je Schicht wurde die Verdoppelungsdosis in epidemiologischen Studien festgestellt. Prof. Dr. Sch. hat in Bezug darauf überzeugend ausgeführt, dass ein plausibler Zeitraum zwischen einer solchen Einwirkungsintensität und dieser Gesundheitsstörung anzunehmen ist, wenn, bei einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde je Schicht, zwischen dem Erreichen der 13.000 Stunden, was beim Kläger rechnerisch Ende 1981 der Fall gewesen ist, und dem erstmaligem Nachweis der Erkrankung maximal fünf Jahre liegen. Bei einem längeren Zeitraum ist der Ursachenzusammenhang umso unwahrscheinlicher, je größer die Spanne ist. Die Erkrankung nach einem Grad von mindestens 2 nach dem Kellgren-Lawrence-Score ist beim Kläger im September 2005 nachgewiesen worden, so dass mittlerweile sogar annähernd 24 Jahre vergangen gewesen sind. Auch aus Plausibilitätsgründen ist eine berufsbedingte Verursachung somit nicht wahrscheinlich, sonst hätte sich die berufliche Belastung früher in einem relevanten Schaden realisieren müssen.
61 
Dr. Pf. gelangt wie Dr. M. durch Ausschluss möglicher konkurrierender Ursachen zu dem Ergebnis, dass die Gonarthrose mit Wahrscheinlichkeit und in wesentlicher Weise durch die berufliche Tätigkeit des Klägers verursacht worden ist. Beide setzen sich indes darüber hinaus nicht in hinreichendem Maße mit dem deutlich unterschiedlichen Schadensbild im rechten und linken Kniegelenk sowie überhaupt nicht mit der Zeitspanne zwischen dem Erreichen der kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde je Schicht einerseits sowie dem erstmaligen Nachweis der Gonarthrose nach einem Grad von mindestens 2 nach dem Kellgren-Lawrence-Score andererseits auseinander. Beide Gutachten haben den Senat daher nicht überzeugt. Weder musste Dr. Pf. mit dem Gutachten von Prof. Dr. Sch. konfrontiert oder Letzterer ergänzend befragt, noch eine weitere, vom Kläger als Obergutachten bezeichnete Expertise in Auftrag geben werden, welche ohnehin keinen höheren Beweiswert als die bereits eingeholten sachverständigen Meinungen hätte (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 128 Rz. 7e). Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtensergebnisse gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst, welche ureigene Aufgabe eines Tatsachengerichts ist. Eine Verpflichtung zur Einholung eines weiteren Gutachtens besteht auch bei einander widersprechenden Gutachtensergebnissen im Allgemeinen nicht. Vielmehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen. Hält es eines von mehreren Gutachten für überzeugend, wie vorliegend dasjenige von Prof. Dr. Sch., darf es sich diesem anschließen, ohne ein weiteres einzuholen. Bei einer derartigen Fallgestaltung ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum (vgl. BSG, Beschlüsse vom 19. November 2007 - B 5a/5 R 382/06 B -, SozR 4-1500 § 160a Nr. 21, Rz. 8 und 12. Mai 2015 - B 9 SB 93/14 B -, juris, Rz. 6). Als Grund für eine Ausnahme ist zwar ein nicht lösbarer Widerspruch anerkannt, welcher indes nicht darin zu sehen ist, dass unterschiedliche Gutachtensergebnisse vorliegen. Für den Nachweis, dass der Kläger Steildächer mit einer von ihm konkretisierten Gesamtfläche von mindestens 5.210 m² mit Biberschwanzziegeln eindeckte, sind die Sachverständigen ohnehin kein geeignetes Beweismittel.
62 
Mangels hinreichender Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhanges der beruflich bedingten Einwirkungen auf die Knie des Klägers und der Gonarthrose, kommt es an sich von vornherein nicht darauf an, ob beim Kläger mit der Chondrokalzinose, den Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis, der kongenitalen tibiofemoralen Beinachse (Varusstellung), dem Übergewicht oder dem Unfallereignis vom 29. August 2005 konkurrierende Ursachen vorhanden sind, die ihrerseits zu der Gonarthrose geführt haben. Nach der überzeugenden Begründung von Prof. Dr. Sch. gilt eine Chondrokalzinose aber ohnehin nicht als konkurrierender Faktor für die Entstehung einer Gonarthrose. Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis sind zwar nach klinischer Erfahrung anzunehmen, als Ursache nach der Literatur aber derzeit nicht belegbar. Die kongenitale tibiofemorale Beinachse ist ebenfalls nicht als konkurrierender Faktor anzusehen. In dem Bericht von Dr. B. über eine Operation Ende September 2008 ist eine Varusstellung von 10° im rechten Kniegelenk erwähnt. Ganzbeinaufnahmen sind nicht angefertigt worden. Auf einer Röntgenaufnahme von April 2008 ist sogar keine varische Beinachse zu erkennen gewesen. Eine maximale Beinachsenfehlstellung um 10° wird üblicherweise als leichtgradige Fehlstellung bezeichnet, welche kein Ausschlusskriterium in diesem Zusammenhang darstellt (vgl. Urteil des Senats vom 26. November 2015 - L 6 U 2782/15 -, Rz. 50 zur Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV). Übergewicht gilt zwar als wissenschaftlich gesicherte Alternativursache. Allerdings besteht für die Adipositas eine epidemiologische Evidenz für ein multiplikatives Zusammenwirken mit den arbeitsbedingten Belastungen. Nach der wissenschaftlichen Begründung ist die vorliegend zu beurteilende Berufskrankheit bei gegebenen arbeitstechnischen Voraussetzungen und einem geeigneten Krankheitsbild auch bei adipösen Menschen anzuerkennen. Nach dem Akteninhalt sind hinsichtlich Körpergröße und -gewicht des Klägers ab 1991 sowie vor dem Unfallereignis im Jahre 2005 Werte zwischen 105 kg und 113 kg dokumentiert. Bei der gutachterlichen Untersuchung durch Dr. Pf. Anfang August 2010 ist das Körpergewicht mit 110 kg festgestellt worden. Die Behauptung des Klägers im Berufungsverfahren, wonach es erst nach seiner Heirat im Jahre 1979 zu einer Gewichtszunahme gekommen sei, als er die berufliche Tätigkeit reduziert und schließlich eingestellt habe, frühestens also nach dem Unfall im Jahre 2005, was er in der mündlichen Verhandlung mittels Vorlage von Fotos von ihm zu untermauern versucht hat, ist damit allerdings widerlegt. Dr. K. weist zwar in seinen beratungsärztlichen Stellungnahmen von September und November 2010 unter Bezugnahme auf die biomechanische Plausibilität darauf hin, bei einem belastungskonformen Schadensbild der vorliegend zu prüfenden Berufskrankheit sei zu erwarten, dass der Knorpelschaden im Patellofemoralgelenk beginne und sich von dort aus gegebenenfalls in das Kniehauptgelenk ausdehne. Der Knorpelschaden müsse danach in erster Linie und vorauseilend im Patellofemoralgelenk vorhanden sein. Die ursprüngliche Arbeitshypothese des interdisziplinären Arbeitskreises, welcher die Begutachtungsempfehlung für die Berufskrankheit nach Nr. 2112 der Anlage 1 zur BKV erarbeitet hat, nach der mit einem Beginn des Knorpelaufbrauches in erst Linie patellofemoral und in den dorsalen Kniegelenksanteilen sowie mit einem selektiven Aufbrauch der Meniskushinterhörner als möglichem Initialstadium zu rechnen sei, hat sich durch die bislang vorliegenden Forschungsergebnisse indes nicht belegen lassen (vgl. die Empfehlung auf S. 9). Anders als Prof. Dr. Sch., Dr. Pf. und Dr. M. geht der Senat darüber hinaus nur von der Möglichkeit aus, dass die Veränderungen im rechten Kniegelenk, also auch die arthrotischen, hauptsächlich durch das Unfallereignis vom 29. August 2005 mit verbliebener Instabilität nach stattgehabter Kreuzbandverletzung bedingt gewesen sind.
63 
Nach alledem war der Berufung der Beklagten stattzugeben und das erstinstanzliche Urteil aufzuheben.
64 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
65 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Gründe

 
50 
Die nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere statthafte Berufung (§ 143, § 144 Abs. 1 SGG) der Beklagten ist begründet. Deren Bescheid vom 8. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Februar 2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Voraussetzungen für die Feststellung einer Gonarthrose als Wie-Berufskrankheit liegen nicht vor. Das SG hätte die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG, zur Klageart vgl. BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 - B 2 U 6/12 R -, SozR 4-2700 § 9 Nr. 22, Rz. 13 m. w. N.) erhobene Klage, die zuletzt ausschließlich darauf gerichtet gewesen ist, die Beklagte zu verpflichten, eine Gonarthrose als Wie-Berufskrankheit festzustellen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Januar 2010 - B 2 U 5/08 R -, SozR 4-2700 § 9 Nr. 17, Rz. 12, wonach nach dem materiellen Recht mit den jeweiligen Listen-Berufskrankheiten und der Wie-Berufskrankheit verschiedene Versicherungsfälle definiert sind, und LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. September 2009 - L 8 U 5884/08 -, juris, Rz. 32 ff. zu einer Teilrücknahme der Klage durch spätere Antragsbeschränkung), daher abweisen müssen.
51 
Die Voraussetzungen für die Feststellung der Gonarthrose des Klägers als Wie-Berufskrankheit liegen nicht vor, da der sachliche Anwendungsbereich nicht eröffnet ist. Darüber hinaus fehlt es am Ursachenzusammenhang zwischen den Einwirkungen durch die versicherten Tätigkeiten im Knien oder eine vergleichbare Kniebelastung und der Gonarthrose im rechten Kniegelenk; im linken liegt keine insoweit maßgebliche Erkrankung vor.
52 
Der geltend gemachten Anspruch richtet sich nach den am 1. Januar 1997 in Kraft getretenen Bestimmungen des SGB VII (Art. 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, BGBl I 1996, S. 1254; § 212 SGB VII), da beim Kläger zwar erstmals 1995 Kniebeschwerden auftraten, wie dies der ihn behandelnde Hausarzt Dr. B. bei der Anzeige des Verdachtes einer Gonarthrose als Berufskrankheit im August 2007 kundgetan hat. Diagnostiziert worden ist eine „diskrete“ Gonarthrose allerdings überhaupt erst durch Dr. L. nach einer klinischen und radiologischen Untersuchung des Klägers am 6. September 2005. Nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand (vgl. hierzu BSG, Urteile vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R -, BSGE 96, 196 <200 f.> und 23. April 2015 - B 2 U 10/14 R -, juris, Rz. 20, zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen), der wegen des für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei der vorliegenden Verpflichtungsklage maßgeblichen Zeitpunktes der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz zu berücksichtigen ist (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 54 Rz. 34), liegt eine durch die versicherte Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastung herbeigeführte Gonarthrose sogar erst vor, wenn chronische Kniegelenksbeschwerden, Funktionsstörungen bei der standardisierten klinisch-orthopädischen Untersuchung und die röntgenologische Diagnose einer Gonarthrose entsprechend einem Grad 2 bis 4 der spezifizierten Klassifikation von Kellgren et al. objektiviert worden sind; als Funktionsstörung muss eine Bewegungseinschränkung in Form einer eingeschränkten Streckung und/oder Beugung im Kniegelenk, ein Kniegelenkserguss, eine Kapselentzündung mit Verdickung oder Verplumpung der Gelenkkontur, eine Krepitation bei der Gelenkbewegung, ein hinkendes Gangbild oder eine Atrophie der Oberschenkelmuskulatur festgestellt sein. Diesen Maßstab legt der Senat aufgrund der Begutachtungsempfehlung für die Berufskrankheit Nr. 2112 (Gonarthrose) der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e. V., Stand: 3. Juni 2014 (im Internet unter „www.dguv.de/medien/inhalt/versicherung/bk/empfehlungen/Begutachtung-BK2112-Stand-20140613.pdf“), zugrunde, welche von einem interdisziplinären Arbeitskreis, zu dem auch der Sachverständige Prof. Dr. Sch. gehört hat, erstellt worden sind. Die Kriterien „chronische Kniegelenksbeschwerden, Funktionsstörungen bei der orthopädischen Untersuchung in Form einer eingeschränkten Streckung oder Beugung im Kniegelenk und die röntgenologische Diagnose einer Gonarthrose entsprechend einem Grad 2 bis 4 der spezifizierten Klassifikation von Kellgren et al.“ ist bereits nach dem Merkblatt zur Berufskrankheit nach Nr. 2112 der Anlage 1 zur BKV (Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 30. Dezember 2009 - IVa 4-45222-2112 -, GMBl 5/6/2010, S. 98 ff.) gefordert worden. Der Sachverständige Prof. Dr. Sch. geht vor diesem Hintergrund von einer objektivierten Gonarthrose im rechten Kniegelenk im Jahre 2006 aus, wohingegen der Senat zu der Überzeugung gelangt ist, dass diese bereits am 22. September 2005 nachgewiesen worden ist. Nach dem im Wege des Urkundenbeweises (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 415 ff. Zivilprozessordnung - ZPO) verwerteten Befundbericht von Dr. R., der infolge eines an diesem Tag erstellten MRT verfasst worden ist, wurden eine mediale Gonarthrose mit dritt- bis viertgradigem Knorpelschaden femoral und tibial, ein deutliches Knochenmarködem in den benachbarten Partien femoral und tibial, ein retropatellarer Knorpelschaden craniomedial sowie ein Status nach Dehnung des Retinaculum patellae mediale mit teils aufgefaserten Strukturen festgestellt. Dr. L. hatte bereits zuvor, am 6. September 2005 und bei bereits bestehenden chronischen Kniegelenksbeschwerden, einen deutlichen Kniegelenkserguss und eine endgradige Bewegungseinschränkung bei der Streckung objektiviert, wobei der Senat zugunsten des Klägers davon ausgeht, dass diese Funktionsstörungen wegen der arthrotischen Veränderungen bestanden haben und nicht auf das Unfallereignis vom 29. August 2005 zurückzuführen gewesen sind. Der Versicherungsfall im Sinne des § 212 SGB VII ist damit jedenfalls weit nach dem 31. Dezember 1996 eingetreten. Offen bleiben kann, ob § 9 Abs. 5 SGB VII entsprechende Anwendung findet. Soweit danach Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für die Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen (vgl. Köhler, in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB VII, Stand: Mai 2011, § 212 Rz. 5; Söhngen, in jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 212 Rz. 11). Auch diese Voraussetzungen lägen frühestens zum Zeitpunkt des Nachweises der Gonarthrose vor.
53 
Nach § 9 Abs. 2 SGB VII haben die Trägerinnen der gesetzlichen Unfallversicherung eine Krankheit, die nicht in der BKV bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII erfüllt sind (sog. „Öffnungsklausel“ für Wie-Berufskrankheiten). Mit § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII hat der Gesetzgeber das "Listensystem" als Grundprinzip des Rechts der Berufskrankheiten der gesetzlichen Unfallversicherung festgelegt. Mit der Einführung der Wie-Berufskrankheit in § 551 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 30. April 1963 (BGBl I S. 241), also der Vorgängervorschrift zu § 9 Abs. 2 SGB VII, wurde eine Ausnahme vom Listenprinzip nur für den Fall zugelassen, dass der Verordnungsgeber wegen der regelmäßig notwendigen mehrjährigen Intervalle zwischen den Anpassungen der BKV an die neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht rechtzeitig tätig wird (vgl. BSG, Urteil vom 25. August 1994 - 2 RU 42/93 -, BSGE 75, 51 <54>). Sinn des § 9 Abs. 2 SGB VII ist es, ausnahmsweise vom Listensystem abweichen zu können, um solche durch die Arbeit verursachten Krankheiten wie eine Berufskrankheit zu entschädigen, die nur deshalb nicht in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen worden sind, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen in ihrer Arbeit bei der letzten Fassung der Liste noch nicht vorhanden waren oder vom Verordnungsgeber nicht hinreichend berücksichtigt wurden (vgl. BSG, Urteil vom 4. August 1981 - 5a/5 RKnU 1/80 -, SozR 2200 § 551 Nr. 18, S. 27). Im Falle des Klägers fehlt es an der sachlichen Anwendungsvoraussetzung der Regelung zur Feststellung einer Wie-Berufskrankheit, denn die Gonarthrose ist in der BKV bezeichnet, die dort bestimmten Voraussetzungen liegen vor und die Feststellung als Listen-Berufskrankheit ist vorliegend nicht grundsätzlich ausgeschlossen.
54 
Die Gonarthrose ist durch die Zweite Verordnung zur Änderung der BKV vom 11. Juni 2009 (BGBl I S. 1273) mit Wirkung zum 1. Juli 2009 als Nr. 2112 in die Liste der Berufskrankheiten (§ 1 BKV i. V. m. Anlage 1) aufgenommen worden. Sie ist bezeichnet als „Gonarthrose durch eine Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastung mit einer kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde pro Schicht“. Die in dieser Listen-Berufskrankheit bestimmten, also dort benannten Voraussetzungen liegen vor. Denn der Kläger war während seiner versicherten beruflichen Tätigkeit von April 1963 bis Juni 1968 und von Januar 1970 bis November 1974 als Beschäftigter nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII sowie aufgrund der freiwilligen Versicherung (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VII) während seiner selbstständigen Tätigkeit von Januar 1975 bis Mitte August 2007 durch eine Tätigkeit im Knien oder eine vergleichbare Kniebelastung einer kumulativen Einwirkungsdauer von 32.442 Stunden ausgesetzt, wobei die Mindesteinwirkungsdauer von einer Stunde je Arbeitsschicht erfüllt war. Hierfür stützt sich der Senat auf die vom Mitarbeiter des Präventionsdienstes der Beklagten Sch. erstellte Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition von Ende Februar 2013, welcher ein von ihm erstelltes Gesprächsprotokoll vom 14. Februar 2013 nach einer persönlichen Unterredung mit dem Kläger an dessen Wohnort einen Tag zuvor zugrunde liegt, das diesem übersandt und am 24. Februar 2013 von ihm unterschrieben worden war. Danach wurden Tätigkeiten als Zimmerer und Dachdecker vollzeitig und an ständig wechselnden Arbeitsplätzen ausgeübt. Von Anfang an wurden während der kalten Jahreszeit keine Mitarbeitenden entlassen, vielmehr führten diese dann Arbeiten in Innenräumen aus. Hierbei handelte es sich um die Parkettverlegung und den Dachgeschossausbau im Trockenbau.Der Bereich der Außenarbeiten umfasste die Zimmerei und Dachdeckerei. Reine Zimmererarbeiten, wie der Abbund und das ausschließliche Aufrichten von etwa Dachstühlen oder Gauben, wurden anfangs nur ausnahmsweise ausgeführt. Hölzer wurden überwiegend fertig abgebunden bezogen. Zum Dachdeckerhandwerk bestanden Überschneidungen. Es wurden Dachstühle aufgerichtet, aber auch die Lattung und Dämmung angebracht. Anschließend erfolgte die Eindeckung mit Dachpfannen und Biberschwanzziegeln (jeweils 50 %), bei größeren Gehöften, Scheunen oder Hallendächern wurden Wellasbestzementplatten verwendet. Flachdächer wurden nicht gedeckt. Es wurden ausschließlich Steildächer bearbeitet. Zum Bereich der Innenarbeiten gehörten die Parkettverlegung und der Innenausbau im Dachgeschoss. Es wurden Stab- und Mosaikparkette im Verhältnis 70 % zu 30 % verlegt, daneben Dielen, Ausgleichsschüttungen, Trittschalldämmungen und Estrichelemente. Das Verhältnis der beiden beschriebenen Bereiche, also von Außen- und Innenarbeiten, betrug, bezogen auf die Arbeitsschichten, etwa 60 % zu 40 %. Von Montag bis Freitag wurde üblicherweise 10 Stunden täglich gearbeitet. An jedem zweiten Samstag wurden die Tätigkeiten auftragsbedingt ebenfalls ausgeübt. Der Kläger war immer aktiv auf den Baustellen tätig, führte also während der regulären Arbeitszeit keine administrativen Tätigkeiten oder Büroarbeiten aus. Diese wurden an den Wochenenden und nach Feierabend erledigt. Der Mitarbeiter des Präventionsdienstes der Beklagten Sch. ist auf dieser Grundlage für den Senat nachvollziehbar von 240 Arbeitsschichten je Zeitjahr ausgegangen. Der Kläger selbst ist damals zu einer nahezu identischen Einschätzung gekommen, wobei er etwa 32 Wochen für die Außen- und 16 Wochen für die Innenarbeiten annahm, woraus sich ein Verhältnis von etwa 2/3 zu 1/3 ergibt. Im Wesentlichen waren die Tätigkeitsinhalte über die Zeit von April 1963 bis Juni 1968 und Januar 1970 bis Mitte August 2007 hinweg vergleichbar, so dass die einzelnen Beschäftigungsabschnitte einheitlich bewertet werden können. Die prozentuale Aufsplittung der Einzeltätigkeiten stellt sich zusammenfassend und gerundet daher wie folgt dar: Außenarbeiten, 60 % der Schichten: Steildach einlatten = 10 % der Schichten = 14 Schichten, Steildach dämmen = 50 % der Schichten = 72 Schichten, Steildach eindecken mit Dachpfannen = 10 % der Schichten = 15 Schichten, Steildach eindecken mit Biberschwanzziegeln = 10 % der Schichten = 15 Schichten, Wellplattenmontage = 10 % der Schichten = 14 Schichten und Zimmerei (Abbund und Aufrichten) = 10 % der Schichten = 14 Schichten sowie Innenarbeiten, 40 % der Schichten: Stabparkett verlegen = 21 % der Schichten = 20 Schichten, Mosaikparkett verlegen = 9 % der Schichten = 9 Schichten, schleifen und verkitten = 10 % der Schichten = 10 Schichten, Dielenboden verlegen = 10 % der Schichten = 10 Schichten und Trittschalldämmung verlegen, auch Schüttung, Holzfaserplatten und Estrichelemente = 50 % der Schichten = 47 Schichten. Hieraus ergibt sich zur Überzeugung des Senats nachvollziehbar eine durch die Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastung kumulative Einwirkungsdauer von 32.442 Stunden. Gestützt auf den IFA-Report, Ausgabe 1/2010 ist hiernach zudem plausibel eine die Knie betreffende Mindesteinwirkungsdauer von sogar mehr als einer Stunde je Arbeitsschicht ermittelt worden.
55 
Die Feststellung als Listen-Berufskrankheit ist vorliegend wegen § 6 Abs. 2 Satz 1 BKV in der Fassung der Zweiten Verordnung zur Änderung der BKV vom 11. Juni 2009 (BGBl I S. 1273) nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Leiden danach Versicherte am 1. Juli 2009 an einer Krankheit unter anderem nach Nr. 2112 der Anlage 1 zur BKV, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 30. September 2002 eingetreten ist. Der Kläger leidet bis heute im rechten Kniegelenk an einer Gonarthrose im Sinne dieser Listen-Berufskrankheit. Der Versicherungsfall ist, wie zuvor ausgeführt, erst am 22. September 2005 eingetreten. Der Kläger ist folglich nach der Stichtagsregelung des § 6 Abs. 2 Satz 1 BKV, bei der es sich um eine unechte Rückwirkung (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 7. Dezember 2010 - 1 BvR 2628/07 -, BVerfGE 128, 90 <107>) beziehungsweise tatbestandliche Rückanknüpfung (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 11. Juli 2013 - 2 BvR 2302/11 u. a. -, juris, Rz. 72) handelt, die Norm also auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt, nicht von der noch möglichen Anerkennung als Listen-Berufskrankheit ausgeschlossen. Damit behält der Vorrang der allgemeinen Regelung des § 9 Abs. 1 SGB VII in Verbindung mit § 1 BKV und der Anlage 1 hierzu, unter Einschluss der Rückwirkungsanordnung, weiter Geltung (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 9. Oktober 2010 - 1 BvR 791/95 -, juris, Rz. 28). Dieser Vorrang kommt zwar trotz des bei der Verpflichtungsklage maßgeblichen Zeitpunktes der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage wegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 22. Oktober 1981 - 1 BvR 1369/79 - BVerfGE 58, 369 zur Auslegung der Regelungen über die Anerkennung von Berufskrankheiten), unter Beachtung des allgemeinen Grundsatzes des Verwaltungsverfahrensrechts, wonach die Trägerinnen der gesetzlichen Unfallversicherung zügig zu entscheiden haben, nicht zum Tragen, wenn von diesen eine Verwaltungsentscheidung zu einer Wie-Berufskrankheit im Hinblick darauf zurückgestellt worden ist, dass eine Änderung der BKV in Sicht ist (BVerfG, a. a. O., Rz. 29), oder sie ein Begehren auf Feststellung als Wie-Berufskrankheit mit dem Hinweis auf eine in Aussicht stehende Änderung der BKV abgelehnt haben (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 23. Juni 2005 - 1 BvR 235/00 -, juris, Rz. 21). Die Beklagte hat indes die Verwaltungsentscheidung über die ihr von Dr. B. im August 2007 angezeigte mögliche Gonarthrose als Berufskrankheit weder im Hinblick darauf zurückgestellt, dass die Zweite Verordnung zur Änderung der BKV vom 11. Juni 2009 (BGBl I S. 1273) in Sicht ist, noch die Ablehnung unter Hinweis auf diese in Aussicht stehende Änderung der BKV abgelehnt. Die Beklagte hat demgegenüber mit dem angefochtenen Bescheid vom 8. Oktober 2009 sogar nach Inkrafttreten der Neuregelungen, abgestellt auf den Zeitpunkt der Meldung der Erkrankung vor dem Stichtag, über die begehrte Feststellung als Wie-Berufskrankheit entschieden und diese mit der Begründung abgelehnt, nicht versicherte Faktoren seien ursächlich für die Gonarthrose gewesen die berufliche Belastung sei in den Hintergrund getreten. Eine unsachgemäße Verzögerung des Verwaltungsverfahrens durch die Beklagte liegt ebenfalls nicht vor. Sie hat nach der hausärztlichen Anzeige der Berufskrankheit sogleich die medizinischen Befundunterlagen, die bis dahin wegen des Arbeitsunfalls vom 29. August 2005, bei dem ebenfalls das rechte Knie betroffen war, vorgelegen haben, zu dem Verfahren wegen der Feststellung einer Berufskrankheit herangezogen, Dr. B. und Dr. L. ergänzend befragt, ein Vorerkrankungsverzeichnis der IKK Baden-Württemberg beigezogen sowie anschließend das nach dem in Bezug auf das Unfallereignis ergangenen Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 2007 angestrengte Klageverfahren beim SG Konstanz, welches mit Urteil vom 24. Juni 2009 endete und in welchem weitere medizinische Beweiserhebungen vorgenommen wurden, abgewartet. Daraufhin hat sie von Dr. K. eine Anfang September 2009 vorgelegte beratungsärztliche Stellungnahme eingeholt und die am Ende dieses Monats eingegangene Mitteilung des Regierungspräsidiums Stuttgart, wonach keine gewerbeärztliche Befassung erfolgen werde, abgewartet, um schließlich, ohne dass der Kläger im gesamten Verfahren auf eine frühere Entscheidung hingewirkt hat, mit Bescheid vom 8. Oktober 2009 über sein Begehren zu entscheiden. Dem steht die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht entgegen. Zwar hat dieses in seinem Urteil vom 27. Juni 2006 (B 2 U 5/05 R -, BSGE 96, 297) nicht mehr an seiner bisherigen Rechtsprechung festgehalten, wonach die Anwendung des § 551 Abs. 2 RVO ausnahmslos dann ausgeschlossen war, wenn der Verordnungsgeber die einschlägige Erkrankung in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen hat (Urteil vom 24. Februar 2000 - B 2 U 43/98 R -, SozR 3-2200 § 551 Nr. 14). Die Einschränkung bezog sich indes auf Versicherungsfälle außerhalb eines Rückwirkungszeitraumes, nicht, wie vorliegend, innerhalb eines solchen liegende. Dem Urteil des BSG vom 2. Dezember 2008 (B 2 KN 1/08 U R -, BSGE 102, 121) lag ein Antrag auf Überprüfung eines Bescheides vom 5. Juli 1996, mit dem die Anerkennung einer Atemwegserkrankung unter anderem als Wie-Berufskrankheit nach § 551 Abs. 2 RVO abgelehnt worden war, im Wege des Zugunstenverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch zugrunde. Maßgeblich in diesem Verfahren war also nach dieser materiell-rechtlichen Regelung insbesondere, ob bei Erlass dieses zu überprüfenden Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt worden war. Zu diesem Zeitpunkt war die Erkrankung aber noch nicht in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen worden, was erst durch die BKV vom 31. Oktober 1997 (BGBl I S. 2623) mit Wirkung zum 1. Dezember 1997 erfolgte. Ein Anwendungsvorrang der Listen-Berufskrankheit stellte sich somit überhaupt nicht. Der in dieser Entscheidung formulierte Rechtssatz, wonach diese BKV erst ab dem Tag ihres Inkrafttretens Rechtswirkungen entfaltet und für die Rechtslage davor, wenn die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Wie-Berufskrankheit vorgelegen haben, aus ihr keine Rechtsfolgen hergeleitet werden können (vgl. auch LSG für das Saarland, Urteil vom 23. Mai 2012 - L 2 U 52/09 WA -, juris, Rz. 28), war demzufolge nicht tragend, soweit er so verstanden werden sollte, dass eine geänderte BKV nur nach ihrem Inkrafttreten eintretende Versicherungsfälle erfasst (vgl. hierzu Römer, a. a. O., Stand: Mai 2015, § 6 BKV, Rz. 9). Damit weicht der Senat nicht von einer Entscheidung des BSG ab.
56 
Darüber hinaus steht zur Überzeugung des Senats nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit fest, dass es durch die versicherten Tätigkeiten im Knien oder eine vergleichbare Kniebelastung zu einer Einwirkungen auf das rechte Kniegelenk gekommen ist, welche die Gonarthrose im rechten Kniegelenk herbeigeführt hat.
57 
Für die Feststellung einer Wie-Berufskrankheit ist wie bei einer Listen-Berufskrankheit Voraussetzung, dass im Einzelfall eine berufsbedingte Einwirkung die rechtlich wesentliche Ursache einer nicht in der Liste der Berufskrankheiten bezeichneten Krankheit ist (vgl. Urteil des Senats vom 26. März 2015 - L 6 U 1017/13 -, juris, Rz. 50; Römer, in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB VII, Stand: Juli 2015, § 9 Rz. 38a). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 23. April 2015 - B 2 U 10/14 R -, juris, Rz. 11 m. w. N., zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen). Da die R.ung des § 9 Abs. 2 SGB VII keinen Auffangtatbestand und keine allgemeine Härteklausel beinhaltet (BSG, Urteile vom 20. Juli 2010 - B 2 U 19/09 R -, juris, Rz. 19 m. w. N. und 13. Februar 2013 - B 2 U 33/11 R -, SozR 4-2700 § 9 Nr. 21, Rz. 17; vgl. auch BSG, Urteil vom 4. Juni 2002 - B 2 U 20/01 R -, juris, Rz. 20 zu § 551 Abs. 2 RVO), darf die Anerkennung einer Wie-Berufskrankheit darüber hinaus nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der Berufskrankheiten erfüllt sind, der Verordnungsgeber sie also als neue Listen-Berufskrankheit in die BKV einfügen dürfte, aber noch nicht tätig geworden ist (vgl. BT-Drucks 13/2204, S. 77 f.), also der generelle Ursachenzusammenhang gegeben ist (vgl. Römer, a. a. O., Rz. 39). Die Anerkennung einer Wie-Berufskrankheit knüpft an dieselben materiellen Voraussetzungen an, die der Verordnungsgeber auch nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII für die Aufnahme einer Erkrankung in die Liste zu beachten hat.
58 
Dahinstehen kann, ob, wovon das SG Ulm ausgegangen ist, der Listen-Berufskrankheit nach Nr. 2112 der Anlage 1 zur BKV „harte“ Kriterien, die vorliegend im Vollbeweis vorliegen, zu entnehmen sind, und sich hieraus eine tatsächliche Vermutung des Ursachenzusammenhanges ergibt (vgl. BSG, Urteil vom 30. Januar 2007 - B 2 U 15/05 R -, SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 4104 Nr. 2, Rz. 24 zur Berufskrankheit nach Nr. 4104 der Anlage 1 zur BKV), welche auch auf die Gonarthrose als Wie-Berufskrankheit „zu übertragen“ ist (Hessisches LSG, Urteil vom 18. November 2011 - L 9 U 66/07 -, juris, Rz. 40). Denn selbst eine tatsächliche Vermutung ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme erschüttert und der Ursachenzusammenhang nicht nachgewiesen.
59 
Beim Vergleich der radiologischen Befunde liegt beim Kläger nach den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. Sch. im rechten Kniegelenk eine viertgradige Gonarthrose nach Kellgren et al. vor, demgegenüber links keine derartige nach diesem Bewertungsmaßstab maßgebliche Erkrankung. Dieser Sachverständige hat schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, dass bei einer solchen Befundkonstellation ein Ursachenzusammenhang zwischen der beruflichen kniebelastenden Tätigkeit und dieser Erkrankung nur bei einer besonderen Begründung und dem Nachweis einer einseitigen arbeitsbedingten Belastung gegeben ist, wenn also eine asymmetrische, beruflich bedingte Belastung der beiden Kniegelenke vorlag (vgl. Begutachtungsempfehlung für die Berufskrankheit Nr. 2112 der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e. V. vom 3. Juni 2014, S. 8; vgl. auch die Entscheidung des Senats vom 26. November 2015 - L 6 U 2782/15 -, juris, Rz. 48 zu einem asymmetrischen Schadensbild bei der Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV). Davon ist der Senat auch nach den Angaben des Klägers im Berufungsverfahren nicht überzeugt. Zuletzt hat er vorgetragen, er habe während seiner beruflichen Tätigkeit ganz überwiegend Steildächer mit Biberschwanzziegeln eingedeckt, welche insgesamt, bezogen auf mehr als zwanzig benannte Objekte, mindestens eine Fläche von 5.210 m² umfasst hätten. Hierbei habe es sich allein um die Projekte gehandelt, welche ihm spontan erinnerlich gewesen seien. Während der Ausbildungs- und sonstigen Arbeitszeit seien noch zahlreiche weitere derartige Dächer eingedeckt worden. Tatsächlich habe es sich um das Doppelte, wenn nicht sogar ein Vielfaches dieser Quadratmeterzahl gehandelt. Weder nach dem SGG noch nach der ZPO gibt es zwar eine Beweisregelung in dem Sinne, dass frühere Aussagen oder Angaben grundsätzlich einen höheren Beweiswert besitzen als spätere; im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 286 ZPO) sind vielmehr alle Aussagen, Angaben und sonstigen Einlassungen zu würdigen. Gleichwohl kann das Gericht im Rahmen der Gesamtwürdigung den zeitlich früheren Aussagen aufgrund der Gesichtspunkte, dass die Erinnerung hierbei noch frischer war und sie von irgendwelchen Überlegungen, die darauf abzielen, das Klagebegehren zu begünstigen, noch unbeeinflusst waren, einen höheren Beweiswert als den späteren zumessen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2003 - B 2 U 41/02 R -, SozR 4-2700 § 4 Nr. 1, Rz. 12; Urteile des Senats vom 12. August 2014 - L 6 VH 5821/10 ZVW - juris, Rz. 144 und vom 21. Mai 2015 - L 6 U 1053/15 -, juris, Rz. 34). Hiervon geht der Senat vorliegend in Bezug auf die Angaben aus, welche sich nach der Stellungnahme des Mitarbeiters des Präventionsdienstes der Beklagten Sch. zur Arbeitsplatzexposition von Ende Februar 2013 ergeben haben, der ein von ihm erstelltes Gesprächsprotokoll vom 14. Februar 2013 nach einer persönlichen Unterredung mit dem Kläger an dessen Wohnort einen Tag zuvor zugrunde liegt, das diesem übersandt und am 24. Februar 2013 von ihm unterschrieben worden war. Danach nahm die Einzeltätigkeit „Steildach eindecken mit Biberschwanzziegeln“ 10 % der Schichten ein; ausgehend von 240 Arbeitsschichten je Jahr und einer Gewichtung der Außen- zu den Innenarbeiten mit 60 % zu 40 % aufgerundet 15 Schichten. Mit einem Anteil von weniger als 7 % der Jahresarbeitsschichten (15 von 240 Schichten) hatte diese Tätigkeit somit eine nur untergeordnete Bedeutung, wodurch eine einseitig arbeitsbedingte Belastung nicht nachgewiesen ist. Das Abweichen nach dem Kellgren-Lawrence-Score von vier Grad zwischen dem rechten und linken Kniegelenk erklärt sich dadurch nicht. Darüber hinaus bieten Biberschwanzziegel mit steigender Dachneigung gegenüber anderen Dachziegeltypen zwar schlechtere Standbedingungen, weshalb das Eindecken insoweit in weitaus größerem Maße im Knien durchgeführt wird. In den Untersuchungen konnte indes lediglich häufig und nicht immer auch das einbeinige Knien auf der Dachfläche beobachtet werden. Der Kläger hat in Bezug darauf im gesamten Verfahren weder konkrete Angaben zu den Dachneigungen gemacht, bei denen er Biberschwanzziegel eindeckte, noch in welchem Umfang er dabei einseitig rechts kniete. Das von ihm in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Lichtbild zeigt ihn nicht rechts-, sondern linkskniend. Soweit der Sachverständige Dr. Pf. aus dem Umstand der Rechtshändigkeit des Klägers geschlossen hat, dass es hierdurch zu einer vermehrten Belastung des rechten Kniegelenkes gekommen ist, handelt es sich um eine für ihn plausible Erklärung eines möglichen Bewegungsablaufes, ohne dass damit für den Senat der Nachweis erbracht ist, zumal der Kläger selbst den Arbeitsvorgang nie so beschrieben hat und das von ihm in die mündliche Verhandlung mitgebrachte Foto ihn demgegenüber linkskniend zeigt. Die Tätigkeiten als Zimmermann mögen als solche einseitig kniende Arbeitsabläufe enthalten, wie der Sachverständige Dr. M. dargelegt hat. Der konkret beim Kläger nachgewiesene Umfang belegt indes keine überwiegend einseitige, das rechte Kniegelenk belastenden Tätigkeiten.
60 
Zudem spricht die Zeitspanne zwischen dem Erreichen der kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde je Schicht einerseits sowie dem erstmaligen Nachweis der Gonarthrose nach einem Grad von mindestens 2 nach dem Kellgren-Lawrence-Score gegen einen Zusammenhang zwischen einer Einwirkung aufgrund der beruflichen kniebelastenden Tätigkeit und einer solchen Gonarthrose. Diese arbeitstechnischen Kriterien beruhen auf Erkenntnissen aus epidemiologischen Studien (vgl. hierzu und zum Folgenden BR-Drucks 242/09, S. 17). In der bislang größten zu dieser Thematik durchgeführten Fall-Kontroll-Studie zeigte sich bei einer Belastungsdauer von insgesamt rund 13.000 Stunden ein mehr als verdoppeltes, signifikant erhöhtes Gonarthroserisiko für Personen mit hoher beruflicher Exposition durch eine kniende oder hockende Tätigkeit. Auch für die Voraussetzung der mindestens einstündigen Kniegelenksbelastung je Schicht wurde die Verdoppelungsdosis in epidemiologischen Studien festgestellt. Prof. Dr. Sch. hat in Bezug darauf überzeugend ausgeführt, dass ein plausibler Zeitraum zwischen einer solchen Einwirkungsintensität und dieser Gesundheitsstörung anzunehmen ist, wenn, bei einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde je Schicht, zwischen dem Erreichen der 13.000 Stunden, was beim Kläger rechnerisch Ende 1981 der Fall gewesen ist, und dem erstmaligem Nachweis der Erkrankung maximal fünf Jahre liegen. Bei einem längeren Zeitraum ist der Ursachenzusammenhang umso unwahrscheinlicher, je größer die Spanne ist. Die Erkrankung nach einem Grad von mindestens 2 nach dem Kellgren-Lawrence-Score ist beim Kläger im September 2005 nachgewiesen worden, so dass mittlerweile sogar annähernd 24 Jahre vergangen gewesen sind. Auch aus Plausibilitätsgründen ist eine berufsbedingte Verursachung somit nicht wahrscheinlich, sonst hätte sich die berufliche Belastung früher in einem relevanten Schaden realisieren müssen.
61 
Dr. Pf. gelangt wie Dr. M. durch Ausschluss möglicher konkurrierender Ursachen zu dem Ergebnis, dass die Gonarthrose mit Wahrscheinlichkeit und in wesentlicher Weise durch die berufliche Tätigkeit des Klägers verursacht worden ist. Beide setzen sich indes darüber hinaus nicht in hinreichendem Maße mit dem deutlich unterschiedlichen Schadensbild im rechten und linken Kniegelenk sowie überhaupt nicht mit der Zeitspanne zwischen dem Erreichen der kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde je Schicht einerseits sowie dem erstmaligen Nachweis der Gonarthrose nach einem Grad von mindestens 2 nach dem Kellgren-Lawrence-Score andererseits auseinander. Beide Gutachten haben den Senat daher nicht überzeugt. Weder musste Dr. Pf. mit dem Gutachten von Prof. Dr. Sch. konfrontiert oder Letzterer ergänzend befragt, noch eine weitere, vom Kläger als Obergutachten bezeichnete Expertise in Auftrag geben werden, welche ohnehin keinen höheren Beweiswert als die bereits eingeholten sachverständigen Meinungen hätte (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 128 Rz. 7e). Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtensergebnisse gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst, welche ureigene Aufgabe eines Tatsachengerichts ist. Eine Verpflichtung zur Einholung eines weiteren Gutachtens besteht auch bei einander widersprechenden Gutachtensergebnissen im Allgemeinen nicht. Vielmehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen. Hält es eines von mehreren Gutachten für überzeugend, wie vorliegend dasjenige von Prof. Dr. Sch., darf es sich diesem anschließen, ohne ein weiteres einzuholen. Bei einer derartigen Fallgestaltung ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum (vgl. BSG, Beschlüsse vom 19. November 2007 - B 5a/5 R 382/06 B -, SozR 4-1500 § 160a Nr. 21, Rz. 8 und 12. Mai 2015 - B 9 SB 93/14 B -, juris, Rz. 6). Als Grund für eine Ausnahme ist zwar ein nicht lösbarer Widerspruch anerkannt, welcher indes nicht darin zu sehen ist, dass unterschiedliche Gutachtensergebnisse vorliegen. Für den Nachweis, dass der Kläger Steildächer mit einer von ihm konkretisierten Gesamtfläche von mindestens 5.210 m² mit Biberschwanzziegeln eindeckte, sind die Sachverständigen ohnehin kein geeignetes Beweismittel.
62 
Mangels hinreichender Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhanges der beruflich bedingten Einwirkungen auf die Knie des Klägers und der Gonarthrose, kommt es an sich von vornherein nicht darauf an, ob beim Kläger mit der Chondrokalzinose, den Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis, der kongenitalen tibiofemoralen Beinachse (Varusstellung), dem Übergewicht oder dem Unfallereignis vom 29. August 2005 konkurrierende Ursachen vorhanden sind, die ihrerseits zu der Gonarthrose geführt haben. Nach der überzeugenden Begründung von Prof. Dr. Sch. gilt eine Chondrokalzinose aber ohnehin nicht als konkurrierender Faktor für die Entstehung einer Gonarthrose. Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis sind zwar nach klinischer Erfahrung anzunehmen, als Ursache nach der Literatur aber derzeit nicht belegbar. Die kongenitale tibiofemorale Beinachse ist ebenfalls nicht als konkurrierender Faktor anzusehen. In dem Bericht von Dr. B. über eine Operation Ende September 2008 ist eine Varusstellung von 10° im rechten Kniegelenk erwähnt. Ganzbeinaufnahmen sind nicht angefertigt worden. Auf einer Röntgenaufnahme von April 2008 ist sogar keine varische Beinachse zu erkennen gewesen. Eine maximale Beinachsenfehlstellung um 10° wird üblicherweise als leichtgradige Fehlstellung bezeichnet, welche kein Ausschlusskriterium in diesem Zusammenhang darstellt (vgl. Urteil des Senats vom 26. November 2015 - L 6 U 2782/15 -, Rz. 50 zur Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV). Übergewicht gilt zwar als wissenschaftlich gesicherte Alternativursache. Allerdings besteht für die Adipositas eine epidemiologische Evidenz für ein multiplikatives Zusammenwirken mit den arbeitsbedingten Belastungen. Nach der wissenschaftlichen Begründung ist die vorliegend zu beurteilende Berufskrankheit bei gegebenen arbeitstechnischen Voraussetzungen und einem geeigneten Krankheitsbild auch bei adipösen Menschen anzuerkennen. Nach dem Akteninhalt sind hinsichtlich Körpergröße und -gewicht des Klägers ab 1991 sowie vor dem Unfallereignis im Jahre 2005 Werte zwischen 105 kg und 113 kg dokumentiert. Bei der gutachterlichen Untersuchung durch Dr. Pf. Anfang August 2010 ist das Körpergewicht mit 110 kg festgestellt worden. Die Behauptung des Klägers im Berufungsverfahren, wonach es erst nach seiner Heirat im Jahre 1979 zu einer Gewichtszunahme gekommen sei, als er die berufliche Tätigkeit reduziert und schließlich eingestellt habe, frühestens also nach dem Unfall im Jahre 2005, was er in der mündlichen Verhandlung mittels Vorlage von Fotos von ihm zu untermauern versucht hat, ist damit allerdings widerlegt. Dr. K. weist zwar in seinen beratungsärztlichen Stellungnahmen von September und November 2010 unter Bezugnahme auf die biomechanische Plausibilität darauf hin, bei einem belastungskonformen Schadensbild der vorliegend zu prüfenden Berufskrankheit sei zu erwarten, dass der Knorpelschaden im Patellofemoralgelenk beginne und sich von dort aus gegebenenfalls in das Kniehauptgelenk ausdehne. Der Knorpelschaden müsse danach in erster Linie und vorauseilend im Patellofemoralgelenk vorhanden sein. Die ursprüngliche Arbeitshypothese des interdisziplinären Arbeitskreises, welcher die Begutachtungsempfehlung für die Berufskrankheit nach Nr. 2112 der Anlage 1 zur BKV erarbeitet hat, nach der mit einem Beginn des Knorpelaufbrauches in erst Linie patellofemoral und in den dorsalen Kniegelenksanteilen sowie mit einem selektiven Aufbrauch der Meniskushinterhörner als möglichem Initialstadium zu rechnen sei, hat sich durch die bislang vorliegenden Forschungsergebnisse indes nicht belegen lassen (vgl. die Empfehlung auf S. 9). Anders als Prof. Dr. Sch., Dr. Pf. und Dr. M. geht der Senat darüber hinaus nur von der Möglichkeit aus, dass die Veränderungen im rechten Kniegelenk, also auch die arthrotischen, hauptsächlich durch das Unfallereignis vom 29. August 2005 mit verbliebener Instabilität nach stattgehabter Kreuzbandverletzung bedingt gewesen sind.
63 
Nach alledem war der Berufung der Beklagten stattzugeben und das erstinstanzliche Urteil aufzuheben.
64 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
65 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

(1) Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Die Vorschriften über Urteile gelten entsprechend.

(2) Die Beteiligten können innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids das Rechtsmittel einlegen, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Ist die Berufung nicht gegeben, kann mündliche Verhandlung beantragt werden. Wird sowohl ein Rechtsmittel eingelegt als auch mündliche Verhandlung beantragt, findet mündliche Verhandlung statt.

(3) Der Gerichtsbescheid wirkt als Urteil; wird rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt, gilt er als nicht ergangen.

(4) Wird mündliche Verhandlung beantragt, kann das Gericht in dem Urteil von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Gerichtsbescheids folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.

(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, daß die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind. In der Rechtsverordnung kann ferner bestimmt werden, inwieweit Versicherte in Unternehmen der Seefahrt auch in der Zeit gegen Berufskrankheiten versichert sind, in der sie an Land beurlaubt sind.

(1a) Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ein Ärztlicher Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten gebildet. Der Sachverständigenbeirat ist ein wissenschaftliches Gremium, das das Bundesministerium bei der Prüfung der medizinischen Erkenntnisse zur Bezeichnung neuer und zur Erarbeitung wissenschaftlicher Stellungnahmen zu bestehenden Berufskrankheiten unterstützt. Bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wird eine Geschäftsstelle eingerichtet, die den Sachverständigenbeirat bei der Erfüllung seiner Arbeit organisatorisch und wissenschaftlich, insbesondere durch die Erstellung systematischer Reviews, unterstützt. Das Nähere über die Stellung und die Organisation des Sachverständigenbeirats und der Geschäftsstelle regelt die Bundesregierung in der Rechtsverordnung nach Absatz 1.

(2) Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind.

(2a) Krankheiten, die bei Versicherten vor der Bezeichnung als Berufskrankheiten bereits entstanden waren, sind rückwirkend frühestens anzuerkennen

1.
in den Fällen des Absatzes 1 als Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die Bezeichnung in Kraft getreten ist,
2.
in den Fällen des Absatzes 2 wie eine Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorgelegen haben; hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten eine Empfehlung für die Bezeichnung einer neuen Berufskrankheit beschlossen, ist für die Anerkennung maßgebend der Tag der Beschlussfassung.

(3) Erkranken Versicherte, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach Absatz 1 genannten Berufskrankheit ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, wird vermutet, daß diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist.

(3a) Der Unfallversicherungsträger erhebt alle Beweise, die zur Ermittlung des Sachverhalts erforderlich sind. Dabei hat er neben den in § 21 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Beweismitteln auch Erkenntnisse zu berücksichtigen, die er oder ein anderer Unfallversicherungsträger an vergleichbaren Arbeitsplätzen oder zu vergleichbaren Tätigkeiten gewonnen hat. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Ermittlungen zu den Einwirkungen während der versicherten Tätigkeit dadurch erschwert sind, dass der Arbeitsplatz des Versicherten nicht mehr oder nur in veränderter Gestaltung vorhanden ist. Die Unfallversicherungsträger sollen zur Erfüllung der Aufgaben nach den Sätzen 2 und 3 einzeln oder gemeinsam tätigkeitsbezogene Expositionskataster erstellen. Grundlage für diese Kataster können die Ergebnisse aus systematischen Erhebungen, aus Ermittlungen in Einzelfällen sowie aus Forschungsvorhaben sein. Die Unfallversicherungsträger können außerdem Erhebungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen durchführen.

(4) Besteht für Versicherte, bei denen eine Berufskrankheit anerkannt wurde, die Gefahr, dass bei der Fortsetzung der versicherten Tätigkeit die Krankheit wiederauflebt oder sich verschlimmert und lässt sich diese Gefahr nicht durch andere geeignete Mittel beseitigen, haben die Unfallversicherungsträger darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen. Die Versicherten sind von den Unfallversicherungsträgern über die mit der Tätigkeit verbundenen Gefahren und mögliche Schutzmaßnahmen umfassend aufzuklären. Zur Verhütung einer Gefahr nach Satz 1 sind die Versicherten verpflichtet, an individualpräventiven Maßnahmen der Unfallversicherungsträger teilzunehmen und an Maßnahmen zur Verhaltensprävention mitzuwirken; die §§ 60 bis 65a des Ersten Buches gelten entsprechend. Pflichten der Unternehmer und Versicherten nach dem Zweiten Kapitel und nach arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften bleiben hiervon unberührt. Kommen Versicherte ihrer Teilnahme- oder Mitwirkungspflicht nach Satz 3 nicht nach, können die Unfallversicherungsträger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder die Leistung einer danach erstmals festzusetzenden Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit oder den Anteil einer Rente, der auf eine danach eingetretene wesentliche Änderung im Sinne des § 73 Absatz 3 zurückgeht, bis zur Nachholung der Teilnahme oder Mitwirkung ganz oder teilweise versagen. Dies setzt voraus, dass infolge der fehlenden Teilnahme oder Mitwirkung der Versicherten die Teilhabeleistungen erforderlich geworden sind oder die Erwerbsminderung oder die wesentliche Änderung eingetreten ist; § 66 Absatz 3 und § 67 des Ersten Buches gelten entsprechend.

(5) Soweit Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen.

(6) Die Bundesregierung regelt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates

1.
Voraussetzungen, Art und Umfang von Leistungen zur Verhütung des Entstehens, der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens von Berufskrankheiten,
2.
die Mitwirkung der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen bei der Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind; dabei kann bestimmt werden, daß die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen berechtigt sind, Zusammenhangsgutachten zu erstellen sowie zur Vorbereitung ihrer Gutachten Versicherte zu untersuchen oder auf Kosten der Unfallversicherungsträger andere Ärzte mit der Vornahme der Untersuchungen zu beauftragen,
3.
die von den Unfallversicherungsträgern für die Tätigkeit der Stellen nach Nummer 2 zu entrichtenden Gebühren; diese Gebühren richten sich nach dem für die Begutachtung erforderlichen Aufwand und den dadurch entstehenden Kosten.

(7) Die Unfallversicherungsträger haben die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständige Stelle über den Ausgang des Berufskrankheitenverfahrens zu unterrichten, soweit ihre Entscheidung von der gutachterlichen Stellungnahme der zuständigen Stelle abweicht.

(8) Die Unfallversicherungsträger wirken bei der Gewinnung neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse insbesondere zur Fortentwicklung des Berufskrankheitenrechts mit; sie sollen durch eigene Forschung oder durch Beteiligung an fremden Forschungsvorhaben dazu beitragen, den Ursachenzusammenhang zwischen Erkrankungshäufigkeiten in einer bestimmten Personengruppe und gesundheitsschädlichen Einwirkungen im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit aufzuklären. Die Verbände der Unfallversicherungsträger veröffentlichen jährlich einen gemeinsamen Bericht über ihre Forschungsaktivitäten und die Forschungsaktivitäten der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Bericht erstreckt sich auf die Themen der Forschungsvorhaben, die Höhe der aufgewendeten Mittel sowie die Zuwendungsempfänger und Forschungsnehmer externer Projekte.

(9) Die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen dürfen zur Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind, Daten verarbeiten sowie zur Vorbereitung von Gutachten Versicherte untersuchen, soweit dies im Rahmen ihrer Mitwirkung nach Absatz 6 Nr. 2 erforderlich ist; sie dürfen diese Daten insbesondere an den zuständigen Unfallversicherungsträger übermitteln. Die erhobenen Daten dürfen auch zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren gespeichert, verändert, genutzt, übermittelt oder in der Verarbeitung eingeschränkt werden. Soweit die in Satz 1 genannten Stellen andere Ärzte mit der Vornahme von Untersuchungen beauftragen, ist die Übermittlung von Daten zwischen diesen Stellen und den beauftragten Ärzten zulässig, soweit dies im Rahmen des Untersuchungsauftrages erforderlich ist.

(1) Kraft Gesetzes sind versichert

1.
Beschäftigte,
2.
Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung in Betriebsstätten, Lehrwerkstätten, Schulungskursen und ähnlichen Einrichtungen,
3.
Personen, die sich Untersuchungen, Prüfungen oder ähnlichen Maßnahmen unterziehen, die aufgrund von Rechtsvorschriften zur Aufnahme einer versicherten Tätigkeit oder infolge einer abgeschlossenen versicherten Tätigkeit erforderlich sind, soweit diese Maßnahmen vom Unternehmen oder einer Behörde veranlaßt worden sind,
4.
behinderte Menschen, die in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen, bei einem anderen Leistungsanbieter nach § 60 des Neunten Buches oder in Blindenwerkstätten im Sinne des § 226 des Neunten Buches oder für diese Einrichtungen in Heimarbeit tätig sind,
5.
Personen, die
a)
Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens sind und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
b)
im landwirtschaftlichen Unternehmen nicht nur vorübergehend mitarbeitende Familienangehörige sind,
c)
in landwirtschaftlichen Unternehmen in der Rechtsform von Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften regelmäßig wie Unternehmer selbständig tätig sind,
d)
ehrenamtlich in Unternehmen tätig sind, die unmittelbar der Sicherung, Überwachung oder Förderung der Landwirtschaft überwiegend dienen,
e)
ehrenamtlich in den Berufsverbänden der Landwirtschaft tätig sind,
wenn für das Unternehmen die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft zuständig ist.
6.
Hausgewerbetreibende und Zwischenmeister sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
7.
selbständig tätige Küstenschiffer und Küstenfischer, die zur Besatzung ihres Fahrzeugs gehören oder als Küstenfischer ohne Fahrzeug fischen und regelmäßig nicht mehr als vier Arbeitnehmer beschäftigen, sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
8.
a)
Kinder während des Besuchs von Tageseinrichtungen, deren Träger für den Betrieb der Einrichtungen der Erlaubnis nach § 45 des Achten Buches oder einer Erlaubnis aufgrund einer entsprechenden landesrechtlichen Regelung bedürfen, während der Betreuung durch geeignete Tagespflegepersonen im Sinne von § 23 des Achten Buches sowie während der Teilnahme an vorschulischen Sprachförderungskursen, wenn die Teilnahme auf Grund landesrechtlicher Regelungen erfolgt,
b)
Schüler während des Besuchs von allgemein- oder berufsbildenden Schulen und während der Teilnahme an unmittelbar vor oder nach dem Unterricht von der Schule oder im Zusammenwirken mit ihr durchgeführten Betreuungsmaßnahmen,
c)
Studierende während der Aus- und Fortbildung an Hochschulen,
9.
Personen, die selbständig oder unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege tätig sind,
10.
Personen, die
a)
für Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts oder deren Verbände oder Arbeitsgemeinschaften, für die in den Nummern 2 und 8 genannten Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen Fällen mit schriftlicher Genehmigung von Gebietskörperschaften ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
b)
für öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften und deren Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen Fällen mit schriftlicher Genehmigung von öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
11.
Personen, die
a)
von einer Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts zur Unterstützung einer Diensthandlung herangezogen werden,
b)
von einer dazu berechtigten öffentlichen Stelle als Zeugen zur Beweiserhebung herangezogen werden,
12.
Personen, die in Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen oder im Zivilschutz unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen dieser Unternehmen einschließlich der satzungsmäßigen Veranstaltungen, die der Nachwuchsförderung dienen, teilnehmen,
13.
Personen, die
a)
bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten oder einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retten,
b)
Blut oder körpereigene Organe, Organteile oder Gewebe spenden oder bei denen Voruntersuchungen oder Nachsorgemaßnahmen anlässlich der Spende vorgenommen werden,
c)
sich bei der Verfolgung oder Festnahme einer Person, die einer Straftat verdächtig ist oder zum Schutz eines widerrechtlich Angegriffenen persönlich einsetzen,
d)
Tätigkeiten als Notärztin oder Notarzt im Rettungsdienst ausüben, wenn diese Tätigkeiten neben
aa)
einer Beschäftigung mit einem Umfang von regelmäßig mindestens 15 Stunden wöchentlich außerhalb des Rettungsdienstes oder
bb)
einer Tätigkeit als zugelassener Vertragsarzt oder als Arzt in privater Niederlassung
ausgeübt werden,
14.
Personen, die
a)
nach den Vorschriften des Zweiten oder des Dritten Buches der Meldepflicht unterliegen, wenn sie einer besonderen, an sie im Einzelfall gerichteten Aufforderung der Bundesagentur für Arbeit, des nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Zweiten Buches zuständigen Trägers oder eines nach § 6a des Zweiten Buches zugelassenen kommunalen Trägers nachkommen, diese oder eine andere Stelle aufzusuchen,
b)
an einer Maßnahme teilnehmen, wenn die Person selbst oder die Maßnahme über die Bundesagentur für Arbeit, einen nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Zweiten Buches zuständigen Träger oder einen nach § 6a des Zweiten Buches zugelassenen kommunalen Träger gefördert wird,
15.
Personen, die
a)
auf Kosten einer Krankenkasse oder eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der landwirtschaftlichen Alterskasse stationäre oder teilstationäre Behandlung oder stationäre, teilstationäre oder ambulante Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhalten,
b)
zur Vorbereitung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auf Aufforderung eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit einen dieser Träger oder eine andere Stelle aufsuchen,
c)
auf Kosten eines Unfallversicherungsträgers an vorbeugenden Maßnahmen nach § 3 der Berufskrankheiten-Verordnung teilnehmen,
d)
auf Kosten eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung, der landwirtschaftlichen Alterskasse oder eines Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung an Präventionsmaßnahmen teilnehmen,
16.
Personen, die bei der Schaffung öffentlich geförderten Wohnraums im Sinne des Zweiten Wohnungsbaugesetzes oder im Rahmen der sozialen Wohnraumförderung bei der Schaffung von Wohnraum im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 des Wohnraumförderungsgesetzes oder entsprechender landesrechtlicher Regelungen im Rahmen der Selbsthilfe tätig sind,
17.
Pflegepersonen im Sinne des § 19 Satz 1 und 2 des Elften Buches bei der Pflege eines Pflegebedürftigen mit mindestens Pflegegrad 2 im Sinne der §§ 14 und 15 Absatz 3 des Elften Buches; die versicherte Tätigkeit umfasst pflegerische Maßnahmen in den in § 14 Absatz 2 des Elften Buches genannten Bereichen sowie Hilfen bei der Haushaltsführung nach § 18 Absatz 5a Satz 3 Nummer 2 des Elften Buches.

(1a) Versichert sind auch Personen, die nach Erfüllung der Schulpflicht auf der Grundlage einer schriftlichen Vereinbarung im Dienst eines geeigneten Trägers im Umfang von durchschnittlich mindestens acht Wochenstunden und für die Dauer von mindestens sechs Monaten als Freiwillige einen Freiwilligendienst aller Generationen unentgeltlich leisten. Als Träger des Freiwilligendienstes aller Generationen geeignet sind inländische juristische Personen des öffentlichen Rechts oder unter § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes fallende Einrichtungen zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger oder kirchlicher Zwecke (§§ 52 bis 54 der Abgabenordnung), wenn sie die Haftpflichtversicherung und eine kontinuierliche Begleitung der Freiwilligen und deren Fort- und Weiterbildung im Umfang von mindestens durchschnittlich 60 Stunden je Jahr sicherstellen. Die Träger haben fortlaufende Aufzeichnungen zu führen über die bei ihnen nach Satz 1 tätigen Personen, die Art und den Umfang der Tätigkeiten und die Einsatzorte. Die Aufzeichnungen sind mindestens fünf Jahre lang aufzubewahren.

(2) Ferner sind Personen versichert, die wie nach Absatz 1 Nr. 1 Versicherte tätig werden. Satz 1 gilt auch für Personen, die während einer aufgrund eines Gesetzes angeordneten Freiheitsentziehung oder aufgrund einer strafrichterlichen, staatsanwaltlichen oder jugendbehördlichen Anordnung wie Beschäftigte tätig werden.

(3) Absatz 1 Nr. 1 gilt auch für

1.
Personen, die im Ausland bei einer amtlichen Vertretung des Bundes oder der Länder oder bei deren Leitern, Mitgliedern oder Bediensteten beschäftigt und in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 4 Absatz 1 Satz 2 des Sechsten Buches pflichtversichert sind,
2.
Personen, die
a)
im Sinne des Entwicklungshelfer-Gesetzes Entwicklungsdienst oder Vorbereitungsdienst leisten,
b)
einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst „weltwärts” im Sinne der Richtlinie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vom 1. August 2007 (BAnz. 2008 S. 1297) leisten,
c)
einen Internationalen Jugendfreiwilligendienst im Sinne der Richtlinie Internationaler Jugendfreiwilligendienst des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 20. Dezember 2010 (GMBl S. 1778) leisten,
3.
Personen, die
a)
eine Tätigkeit bei einer zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Organisation ausüben und deren Beschäftigungsverhältnis im öffentlichen Dienst während dieser Zeit ruht,
b)
als Lehrkräfte vom Auswärtigen Amt durch das Bundesverwaltungsamt an Schulen im Ausland vermittelt worden sind oder
c)
für ihre Tätigkeit bei internationalen Einsätzen zur zivilen Krisenprävention als Sekundierte nach dem Sekundierungsgesetz abgesichert werden.
Die Versicherung nach Satz 1 Nummer 3 Buchstabe a und c erstreckt sich auch auf Unfälle oder Krankheiten, die infolge einer Verschleppung oder einer Gefangenschaft eintreten oder darauf beruhen, dass der Versicherte aus sonstigen mit seiner Tätigkeit zusammenhängenden Gründen, die er nicht zu vertreten hat, dem Einflussbereich seines Arbeitgebers oder der für die Durchführung seines Einsatzes verantwortlichen Einrichtung entzogen ist. Gleiches gilt, wenn Unfälle oder Krankheiten auf gesundheitsschädigende oder sonst vom Inland wesentlich abweichende Verhältnisse bei der Tätigkeit oder dem Einsatz im Ausland zurückzuführen sind. Soweit die Absätze 1 bis 2 weder eine Beschäftigung noch eine selbständige Tätigkeit voraussetzen, gelten sie abweichend von § 3 Nr. 2 des Vierten Buches für alle Personen, die die in diesen Absätzen genannten Tätigkeiten im Inland ausüben; § 4 des Vierten Buches gilt entsprechend. Absatz 1 Nr. 13 gilt auch für Personen, die im Ausland tätig werden, wenn sie im Inland ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

(4) Familienangehörige im Sinne des Absatzes 1 Nr. 5 Buchstabe b sind

1.
Verwandte bis zum dritten Grade,
2.
Verschwägerte bis zum zweiten Grade,
3.
Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 2 des Ersten Buches)
der Unternehmer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner.

(1) Die Satzung kann bestimmen, daß und unter welchen Voraussetzungen sich die Versicherung erstreckt auf

1.
Unternehmer und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
2.
Personen, die sich auf der Unternehmensstätte aufhalten; § 2 Absatz 3 Satz 4 erster Halbsatz gilt entsprechend,
3.
Personen, die
a)
im Ausland bei einer staatlichen deutschen Einrichtung beschäftigt werden,
b)
im Ausland von einer staatlichen deutschen Einrichtung anderen Staaten zur Arbeitsleistung zur Verfügung gestellt werden;
Versicherungsschutz besteht nur, soweit die Personen nach dem Recht des Beschäftigungsstaates nicht unfallversichert sind,
4.
ehrenamtlich Tätige und bürgerschaftlich Engagierte,
5.
Kinder und Jugendliche während der Teilnahme an Sprachförderungskursen, wenn die Teilnahme auf Grund landesrechtlicher Regelungen erfolgt.

(2) Absatz 1 gilt nicht für

1.
Haushaltsführende,
2.
Unternehmer von nicht gewerbsmäßig betriebenen Binnenfischereien oder Imkereien und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
3.
Personen, die aufgrund einer vom Fischerei- oder Jagdausübungsberechtigten erteilten Erlaubnis als Fischerei- oder Jagdgast fischen oder jagen,
4.
Reeder, die nicht zur Besatzung des Fahrzeugs gehören, und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner.

(1) Auf schriftlichen oder elektronischen Antrag können sich versichern

1.
Unternehmer und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner; ausgenommen sind Haushaltsführende, Unternehmer von nicht gewerbsmäßig betriebenen Binnenfischereien, von nicht gewerbsmäßig betriebenen Unternehmen nach § 123 Abs. 1 Nr. 2 und ihre Ehegatten oder Lebenspartner sowie Fischerei- und Jagdgäste,
2.
Personen, die in Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften regelmäßig wie Unternehmer selbständig tätig sind,
3.
gewählte oder beauftragte Ehrenamtsträger in gemeinnützigen Organisationen,
4.
Personen, die in Verbandsgremien und Kommissionen für Arbeitgeberorganisationen und Gewerkschaften sowie anderen selbständigen Arbeitnehmervereinigungen mit sozial- oder berufspolitischer Zielsetzung (sonstige Arbeitnehmervereinigungen) ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
5.
Personen, die ehrenamtlich für Parteien im Sinne des Parteiengesetzes tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen.
In den Fällen des Satzes 1 Nummer 3 kann auch die Organisation, für die die Ehrenamtsträger tätig sind, oder ein Verband, in dem die Organisation Mitglied ist, den Antrag stellen; eine namentliche Bezeichnung der Versicherten ist in diesen Fällen nicht erforderlich. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 4 und 5 gilt Satz 2 entsprechend.

(2) Die Versicherung beginnt mit dem Tag, der dem Eingang des Antrags folgt. Die Versicherung erlischt, wenn der Beitrag oder Beitragsvorschuß binnen zwei Monaten nach Fälligkeit nicht gezahlt worden ist. Eine Neuanmeldung bleibt so lange unwirksam, bis der rückständige Beitrag oder Beitragsvorschuß entrichtet worden ist.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 29. Januar 2014 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr 2108 (BK 2108) der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).

2

Der im Jahre 1958 geborene Kläger absolvierte bis Mai 1977 eine Ausbildung zum Baufacharbeiter. Im Anschluss war er bis einschließlich 1997 als Eisenflechter und Zimmerer tätig. Diese Tätigkeiten gab er aufgrund einer Erkrankung seiner Wirbelsäule 1998 auf. Zu diesem Zeitpunkt bestand beim Kläger eine Chondrose Grad III mit Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 und eine altersuntypische Chondrose Grad I im Segment L4/L5.

3

Mit Bescheid vom 5.4.2006 und Widerspruchsbescheid vom 26.7.2006 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Gewährung von Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Die Wirbelsäulenerkrankung könne nicht als BK anerkannt werden, weil insbesondere die medizinischen Voraussetzungen für eine BK 2108 nicht vorlägen. Da in allen Wirbelsäulenabschnitten Verschleißerscheinungen bestünden, spreche das Schadensbild gegen eine berufliche Verursachung.

4

Das SG Chemnitz hat die Klagen mit Urteil vom 6.4.2011 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, beim Kläger bestehe zwar eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule bei L4/L5. Die Voraussetzungen für eine Anerkennung als BK lägen jedoch nach den Konsensempfehlungen (U. Bolm-Audorff et al, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheiten 2005/3, S 211, 214 ff) nicht vor. Das Sächsische LSG hat mit Urteil vom 29.1.2014 das Urteil des SG sowie die Bescheide der Beklagten aufgehoben und festgestellt, dass bei dem Kläger eine BK 2108 vorliege. Zur Begründung hat es ua ausgeführt, die bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule sei wesentlich durch die berufliche Einwirkung verursacht. Entsprechend den Konsensempfehlungen liege eine ausreichende Exposition für die Anerkennung einer BK 2108 vor. Der Ursachenzusammenhang zwischen dieser Belastung und der Wirbelsäulenerkrankung des Klägers sei zu bejahen. Konkurrierende Ursachen seien nicht ersichtlich. Das bei Aufgabe der beruflichen Tätigkeit bestehende Schadensbild entspreche der Konstellation B2 der Konsensempfehlungen, bei deren Vorliegen die Verursachung hinreichend wahrscheinlich sei. Es liege zum einen eine besonders intensive Belastung im Sinne des zweiten Zusatzkriteriums dieser Konstellation vor, weil im Hinblick auf die Entscheidung des BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - auf die Hälfte des Richtwertes von 25 Meganewtonstunden (MNh) nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) für die Lebensdosis für Männer in weniger als 10 Jahren und damit auf 12,5 MNh abzustellen sei. Dieser Wert sei in dem 10-Jahreszeitraum vom 1.6.1977 bis 31.5.1987 mit rund 15 MNh erreicht worden. Zum anderen bestehe beim Kläger auch eine Höhenminderung und ein Prolaps an mehreren Bandscheiben im Sinne des ersten Zusatzkriteriums der Konstellation B2 der Konsensempfehlungen, weil dieses Zusatzkriterium auch bei einem lediglich bisegmentalen Bandscheibenschaden erfüllt sei.

5

Die Beklagte rügt mit der vom Senat zugelassenen Revision die Verletzung des § 9 SGB VII iVm Nr 2108 der Anlage 1 zur BKV. Das Vorliegen einer BK 2108 könne nicht auf die Konstellation B2 der Konsensempfehlungen gestützt werden, weil der erforderliche wissenschaftliche Konsens nicht mehr vorliege. Divergierende Entscheidungen der LSGe zur Höhe des Richtwertes für die Lebensdosis als Indiz für eine besonders intensive Belastung im Sinne des zweiten Zusatzkriteriums zur Konstellation B2 der Konsensempfehlungen zeigten, dass hinsichtlich ihrer Anwendung nicht mehr von einem einheitlichen Meinungsstand ausgegangen werden könne. Die Konsensempfehlungen könnten deshalb nicht mehr als aktueller Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse betrachtet und die Anerkennung einer BK 2108 nicht mehr auf sie gestützt werden. Auch seien die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 2108 nicht gegeben.

6

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 29. Januar 2014 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 6. April 2011 zurückzuweisen.

7

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Er hält das Urteil des LSG für zutreffend. Das LSG habe seiner Entscheidung den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zum Ursachenzusammenhang bei einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule zugrunde gelegt. Dieser sei weiterhin den Konsensempfehlungen zur BK 2108 zu entnehmen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide der Beklagten das Vorliegen einer BK 2108 festgestellt.

10

Die erhobenen Klagen sind als Anfechtungsklage gegen die ablehnenden Entscheidungen verbunden mit der auf Feststellung einer BK gerichteten Feststellungsklage zulässig. Der Übergang im Berufungsverfahren von der zunächst erhobenen Verpflichtungs- auf eine Feststellungsklage war nach § 99 Abs 3 SGG zulässig(vgl BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - UV-Recht Aktuell 2012, 42 = NZS 2012, 151).

11

Der Rechtsstreit richtet sich nach den Vorschriften des SGB VII (§ 212 SGB VII),weil der Versicherungsfall erst nach Inkrafttreten des SGB VII eingetreten ist. Rechtsgrundlage für die Anerkennung der streitigen BK ist § 9 Abs 1 SGB VII iVm Nr 2108 der Anlage 1 zur BKV vom 31.10.1997 (BGBl I 2623), die lautet: "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können". Nach § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind BKen nur diejenigen Krankheiten, die durch die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als solche bezeichnet sind (sog Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist für die Feststellung einer Listen-BK erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) sowie, dass eine Krankheit vorliegt (dazu unter A). Des Weiteren muss die Krankheit durch die Einwirkungen verursacht sein (haftungsbegründende Kausalität; dazu unter B). Schließlich ist Anerkennungsvoraussetzung, dass der Versicherte deshalb seine Tätigkeit aufgeben musste sowie alle gefährdenden Tätigkeiten unterlässt (dazu unter C). Fehlt eine dieser Voraussetzungen, ist die BK nicht anzuerkennen (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 17). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK. Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 12; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4, RdNr 16 mwN; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 9/08 R - BSGE 103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr 14, RdNr 9 mwN; zuletzt BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - UV-Recht Aktuell 2012, 412; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - NZS 2012, 151; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 14). Diese Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 2108 sind hier erfüllt.

12

A.1. Der Kläger war im Anschluss an seine Ausbildung zum Baufacharbeiter von September 1975 bis Mai 1977 bis einschließlich 1997 und auch darüber hinaus als Eisenflechter und Zimmerer beschäftigt. Er war damit "Versicherter" iS von § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII.

13

2. Nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) unterlag der Kläger während seiner versicherten Tätigkeit im Zeitraum vom 1.9.1975 bis 30.6.1998 einer kumulativen Einwirkungsbelastung in Form von Hebe- und Tragevorgängen von 31 MNh (zur Bestimmung des Ausmaßes der beruflichen Einwirkungen bei der BK 2108 vgl auch BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 17 f, sowie zur Feststellung der tatbestandlich vorausgesetzten Einwirkung in Form von Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 20/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

14

3. Diese Belastungen erfolgten - wie der Tatbestand der Nr 2108 voraussetzt - auch langjährig, nämlich von September 1975 bis jedenfalls Ende 1997 und damit 22 Jahre. Langjährig bedeutet, dass zehn Berufsjahre als im Durchschnitt untere Grenze der belastenden Tätigkeit zu fordern sind (so wörtlich das aktuelle Merkblatt 2108, BArbBl 2006, Heft 10, S 30, Abschnitt IV; vgl zum Merkmal "langjährig" bei der BK 2109 BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 15; s zur BK 2108 bereits BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 10; BSG vom 22.6.2004 - B 2 U 22/03 R - USK 2004-101; vgl auch: Römer in Hauck/Noftz, SGB VII, Anh zu K § 9 Anl zu BKV BK Nr 2108 - 2110 RdNr 7 mwN; "mindestens 10 Jahre" fordern Ricke in Kasseler Kommentar, Stand 5/2014, § 9 SGB VII RdNr 42; Mehrtens/Brandenburg, BKV, Stand 12/2013, M 2108 Anm 2.2.2).

15

4. Nach den weiteren Feststellungen des LSG litt der Kläger im Juli 1998 an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule. Es lag eine Chondrose Grad III mit Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 sowie eine Chondrose Grad I im Segment L4/L5 vor.

16

B. Im Ergebnis zu Recht hat das LSG den Ursachenzusammenhang zwischen gefährdenden Einwirkungen und der Bandscheibenerkrankung des Klägers bejaht. Für die Anerkennung einer BK ist neben der Kausalität zwischen versicherter Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen (Einwirkungskausalität) ein Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkungen und der Erkrankung erforderlich. Für die BK 2108 bedeutet dies, dass die Lendenwirbelsäulenerkrankung des Klägers durch langjähriges schweres Heben und Tragen bzw Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit verursacht worden sein muss. Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung gilt im Berufskrankheitenrecht, wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung, die Theorie der wesentlichen Bedingung (s zum Arbeitsunfall die Entscheidungen des erkennenden Senats vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 34 ff sowie BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37; zu BKen s BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - UV-Recht Aktuell 2012, 412; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 13 sowie - B 2 U 26/04 R - UV-Recht Aktuell 2006, 497), die zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie beruht, nach der jedes Ereignis (jede Bedingung) Ursache eines Erfolgs ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Steht die versicherte Tätigkeit als eine der Wirkursachen fest, muss auf der zweiten Stufe die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr sein. Die Wesentlichkeit der Wirkursache ist zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen (zur Theorie der wesentlichen Bedingung: zuletzt eingehend BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37 f sowie BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1, RdNr 28 ff).

17

1. Vorliegend hat das LSG unter Zugrundelegung des bindend festgestellten Einwirkungswerts iHv 31 MNh ausgehend vom MDD zutreffend angenommen, dass die versicherten Einwirkungen durch schweres Heben und Tragen ausreichten, um einen Bandscheibenschaden zu verursachen. Mit der Heranziehung des MDD zur Bestimmung der für eine Krankheitsverursachung erforderlichen Belastungsdosis folgt das LSG der Rechtsprechung des erkennenden Senats, der seit 2003 (BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 11 ff; BSG vom 19.8.2003 - B 2 U 1/02 R - USK 2003-219; BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 18 und zuletzt BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - UV-Recht Aktuell 2009, 295) dieses Modell als eine geeignete Grundlage zur Konkretisierung der im Text der BK 2108 mit den unbestimmten Rechtsbegriffen "langjähriges" Heben und Tragen "schwerer" Lasten oder "langjährige" Tätigkeit in "extremer Rumpfbeugehaltung" nur ungenau und allenfalls nur richtungsweisend umschriebenen Einwirkungen angesehen hat. Die aufgrund einer retrospektiven Belastungsermittlung für risikobehaftete Tätigkeitsfelder ermittelten Werte, insbesondere die Richtwerte für die Gesamtbelastungsdosis des MDD, sind nicht als Grenzwerte, sondern als Orientierungswerte oder -vorschläge zu verstehen (s zur Handhabung der hälftigen Orientierungswerte als Mindestbelastungswerte BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - UV-Recht Aktuell 2009, 295; BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 25; sowie BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R und B 2 U 20/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Für Männer legt das MDD als Gesamtbelastungsdosis den Wert von 25 MNh fest, der hier mit 31 MNh erheblich überschritten war. Es kommt daher im hier zu entscheidenden Fall nicht darauf an, ob bereits ein geringerer, ggf hälftiger Wert dieses Orientierungswertes ausreichen würde, um von einem erhöhten Erkrankungsrisiko auszugehen und deshalb auf einzelfallbezogene medizinische Ermittlungen nicht mehr verzichtet werden kann (vgl für Männer BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 25). Deshalb muss hier auch nicht entschieden werden, ob aufgrund der mittlerweile vorliegenden Ergebnisse der DWS-Richtwertestudie (DWS II; "Erweiterte Auswertung der Deutschen Wirbelsäulenstudie mit dem Ziel der Ableitung geeigneter Richtwerte", Kurztitel: "DWS-Richtwerteableitung", veröffentlicht unter http://www.dguv.de/ifa/Forschung/Projektverzeichnis/FF-FB_0155A.jsp) eine weitere Absenkung der Orientierungswerte angezeigt ist. Der Senat weist aber in diesem Zusammenhang darauf hin, dass gemäß § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII generelle Voraussetzung für die Einführung eines BK-Tatbestandes die gruppenspezifische Risikoerhöhung gegenüber der Gesamtbevölkerung ist, deren Erreichen jedenfalls bei Werten iHv 3 MNh bedenklich erscheint(s nur Kranig, Was schadet den Bandscheiben?, DGUV Forum 2013, Nr 6, S 27, 31; vgl auch LSG Baden-Württemberg vom 25.9.2008 - L 10 U 5965/06 - Breith 2009, 307, RdNr 34 ff).

18

2. Das LSG hat auch in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise den erforderlichen Ursachenzusammenhang zwischen gefährdenden Einwirkungen im Sinne der BK 2108 und der Bandscheibenerkrankung des Klägers bejaht. Während die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK zum einen das Vorhandensein der tatbestandlich vorausgesetzten Einwirkungen und zum anderen die Kausalität zwischen diesen Einwirkungen und einer Erkrankung beinhalten, betreffen die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen ebenfalls zwei Aspekte der Anerkennungsvoraussetzungen, nämlich zum einen das Vorliegen der tatbestandlich vorausgesetzten Krankheit und zum anderen das Vorliegen eines Schadensbildes, welches mit der rechtlich-wesentlichen Verursachung dieser Krankheit durch die beruflichen Einwirkungen zumindest im Einklang steht (Bieresborn, Die Umsetzung der BK 2108 aus sozialrechtlicher Sicht, in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann , Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule" , Frankfurt 2014, S 193, 194, 199). Aus dem Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen kann angesichts der multifaktoriellen Entstehung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 26) nicht automatisch auf das Bestehen der Anspruchsvoraussetzungen der BK 2108 geschlossen werden; vielmehr müssen medizinische Kriterien hinzukommen (BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 19; BSG vom 30.1.2007 - B 2 U 15/05 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4104 Nr 2, RdNr 23; vgl BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 7/05 R - UV-Recht Aktuell 2006, 510 zur BK nach Nr 4302 der Anlage zur BKV; BSG vom 7.9.2004 - B 2 U 34/03 R - USK 2004-107).

19

Zutreffend hat das Berufungsgericht bei der Bestimmung des maßgeblichen aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands sowohl die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 zugrunde gelegt (dazu unter a) als auch das festgestellte Schadensbild diesen Erkenntnissen zugeordnet, mit dem Ergebnis, dass ein belastungskonformes Schadensbild im Sinne der sog Konstellation B2 der Konsensempfehlungen vorliegt (dazu unter b).

20

a) Nicht zu beanstanden ist, dass das LSG die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 (U. Bolm-Audorff et al, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheit 2005/3, S 211, 216 ff, 228 ff) zugrunde gelegt hat. Diese bilden nach Überzeugung des Senats weiterhin den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand ab. Die naturwissenschaftliche Kausalitätsprüfung ist zwar eine der Bindung fähige tatsächliche Feststellung der Instanzgerichte (vgl Heinz in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 163 RdNr 9), jedoch sind nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats die die einzelnen Tatbestandsmerkmale der jeweiligen BK unterfütternden allgemeinen (generellen) Tatsachen, die für alle einschlägigen BK-Fälle gleichermaßen von Bedeutung sind, anhand des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands auch revisionsrechtlich überprüfbar (grundlegend: BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 5/05 R - BSGE 96, 297 = SozR 4-5671 § 6 Nr 2, RdNr 19 sowie BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 23; s auch BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 23; s zur älteren Senatsrechtsprechung, wonach diesbezügliche Feststellungen dem Anwendungsbereich des § 163 SGG zugerechnet wurden: BSG vom 2.5.2001 - B 2 U 16/00 R - SozR 3-2200 § 551 Nr 16 S 83 = SozR 3-2700 § 9 Nr 4 = SozR 3-5670 Anl 1 Nr 2108 Nr 4, Juris RdNr 28; BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 15, jeweils mwN). Dies muss zunächst jedenfalls immer dann gelten, wenn diese zulässig gerügt werden (vgl hierzu BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Eine Bindung besteht allerdings nicht, wenn das LSG von einem offenkundig falschen medizinischen Erfahrungssatz ausgegangen ist (vgl BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - UV-Recht Aktuell 2010, 418). Inwieweit in der Rechtsprechung anderer Senate des BSG (zur Überprüfung sog "genereller Tatsachen" in der sonstigen Rechtsprechung des BSG vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 163 RdNr 7 sowie speziell im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung BSG vom 16.6.1999 - B 1 KR 4/98 R - BSGE 84, 90, 94 = SozR 3-1500 § 163 Nr 7, Juris RdNr 17 sowie BSG vom 12.8.2009 - B 3 KR 10/07 R - BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 27 und zuletzt BSG vom 12.9.2012 - B 3 KR 10/12 R - BSGE 112, 15 = SozR 4-2500 § 137 Nr 1, RdNr 55; s zu "Rechtstatsachen" BSG vom 25.10.1994 - 3/1 RK 57/93 - SozR 3-1500 § 163 Nr 5, Juris RdNr 27, zu "allgemeinkundigen Tatsachen historischer Natur" BSG vom 7.2.1985 - 9a RV 5/83 - BSGE 58, 38, 42 = SozR 3100 § 5 Nr 7, Juris RdNr 17 sowie zu "gerichtskundigen Tatsachen" BSG vom 27.1.1977 - 7 RAr 16/75 - BSGE 43, 124, 127 = SozR 4100 § 41 Nr 28, Juris RdNr 30) eine solche Überprüfung genereller Tatsachen erfolgt, kann hier dahinstehen. Denn jedenfalls im Bereich des Rechts der BKen hat das BSG aufgrund der in den Normtexten der jeweiligen BKen in der Anlage zur BKV regelmäßig vertypisierten wissenschaftlichen Aussagen die Existenz der einschlägigen Erfahrungssätze selbst festzustellen. Das über das Vorliegen von BKen befindende Gericht muss sich folglich Klarheit darüber verschaffen, welches in der streitigen Frage der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ist. Die heranzuziehenden Quellen, Fachbücher, Standardwerke, Merkblätter des zuständigen Ministeriums, Begründungen des Sachverständigenbeirats, Konsensempfehlungen etc hat das Gericht eigenständig kritisch zu würdigen und auf ihre Aktualität hin - ggf durch Sachverständige - zu überprüfen (vgl BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 100/12 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 24 RdNr 18; BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 68 f; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 20; vgl auch BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 20; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17 mwN).

21

Hierbei ist zunächst die Zugrundelegung der Konsensempfehlungen durch das LSG als Orientierungshilfe bei der Beurteilung, ob der Bandscheibenschaden des Klägers nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand durch die festgestellten beruflichen Einwirkungen verursacht wurde, revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Denn die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 sind nach wie vor eine hinreichende Grundlage für die Bestimmung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands, wie der Senat zuletzt 2009 klargestellt hat (BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - UV-Recht Aktuell 2010, 418). Seitdem wurden zwar in Folge der Veröffentlichung der DWS II Fachaufsätze publiziert, die Zweifel an den Aussagen auch der Konsensempfehlungen äußern. Weder aus der DWS II noch den sonstigen Veröffentlichungen ist jedoch zu entnehmen, dass die Erkenntnisse der Konsensarbeitsgruppe aus dem Jahre 2005 gerade hinsichtlich der hier zugrunde gelegten Befundkonstellation inzwischen veraltet sein könnten. Sofern vertreten wird, dass inzwischen die Ergebnisse der DWS II die wesentlichen Grundannahmen aus den Konsenskriterien widerlegten, etwa weil die bisher angenommenen Einwirkungsgrößen zu hoch seien, die Lokalisation und Häufigkeit der Verteilung von Bandscheibenschäden zu 96% mit denen der Normalbevölkerung identisch sei, die Auswertungen der DWS II keine deutliche Abhängigkeit der Begleitspondylose von der MDD-Gesamtbelastungsdosis gezeigt habe oder Schäden an der HWS keine Aussagekraft zur Verursachung von LWS-Schäden hätten (M. Kentner und K. Frank, Kommentar zur DWS-Richtwertestudie und Implikationen hinsichtlich BK 2108 - Biomechanik vs. Pathophysiologie, zur Veröffentlichung in ASUMed 8/2015 vorgesehen; Linhardt/Grifka, Auswirkungen der Deutschen Wirbelsäulenstudie auf die Berufskrankheit der Lendenwirbelsäule , MedSach 111 <2015>, 20, 21; Bergmann, Bolm-Audorff, Ditchen, Ellegast, Haerting, Kersten, Jäger, Skölziger, Kuß, Morfeld, Schäfer, Seidler, Luttmann, Lumbaler Bandscheibenvorfall mit Radikulärsyndrom und fortgeschrittene Osteochondrose, ZblArbeitsmed 2014, 233), handelt es sich erkennbar um wissenschaftliche Einzelmeinungen.

22

Die zitierten Publikationen setzen sich zum einen jeweils inhaltlich nicht mit der grundsätzlichen Kritik an der angewandten Methodik der Nachuntersuchung auseinander (s nur Grosser, Ergebnisse der Konsensarbeitsgruppe zur Begutachtung der BK 2108 - Status quo und Konsequenzen aus der DWS, in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann, Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule" , Frankfurt 2014, S 84 ; Zagrodnik, Fragliche Belastungsdosis, DGUV Forum 2014, Nr 7/8, S 10 ff), zum anderen schöpfen sie ihre Kritik an den Aussagen der Konsensempfehlungen alleine aus den Ergebnissen der DWS II und wenden sich im Wesentlichen gegen die Bestimmung und Höhe der Einwirkungsgrößen, nicht aber gegen die Grundaussage der Konsensempfehlungen, dass Bandscheibenschäden aufgrund beruflich erworbener Druckbelastungs-Dosen entstehen können. Der Senat verkennt nicht, dass ein wissenschaftlicher Erkenntnisstand auch dadurch erschüttert werden kann, dass grundlegende und fundierte Zweifel seitens der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler diesem den Boden entziehen, ohne dass sich diese in ihrer Mehrheit auf einen neuen Konsens geeinigt hätten. Einzelne Gegenstimmen sind demgegenüber nicht geeignet, einen einmal gebildeten und sich in schriftlichen Beurteilungskriterien manifestierenden wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu erschüttern, solange nicht die daran beteiligten Autoren in ihrer Mehrheit diesen Konsens in wesentlichen Punkten aufkündigen oder eine (zumindest teilweise) personell anders zusammengesetzte große Mehrheit der mit dieser Materie befassten Fachwissenschaftler diesem Konsens entgegentritt.

23

b) Nicht zu beanstanden ist im Rahmen des soeben aufgezeigten Prüfumfangs die Aussage des LSG, dass bei dem Kläger die Konstellation B2 der Konsensempfehlungen vorliegt, für die diese eine Anerkennungsempfehlung aussprechen. So wie der erkennende Senat im Recht der BKen nicht gehindert ist, den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu Verursachungszusammenhängen festzustellen, ist er ebenso wenig gehindert, die korrekte Zuordnung des Sachverhalts seitens des Berufungsgerichts unter diesen einschlägigen Erkenntnisstand zu überprüfen. Dies gilt umso mehr, wenn dieser in Konsensempfehlungen verdichtet ist. Bei diesen handelt es sich freilich nicht um einen normativen Text oder ein antizipiertes Sachverständigengutachten, weil die Konsensempfehlungen weder vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber erlassen, noch von unabhängigen und der Neutralität verpflichteten Autoren verfasst wurden (P. Becker, ASUMed 2009, 592, 595). Daher sind sie für Verwaltung, Gerichte oder Gutachter auch nicht unmittelbar verbindlich (Siefert, ASR 2011, 45, 48) und es verbietet sich deren Auslegung unter strikter Anwendung der Regeln der juristischen Methodenlehre (vgl Bieresborn, Die Umsetzung der BK 2108 aus sozialrechtlicher Sicht aaO, S 199).Konsensempfehlungen dienen lediglich zur Erleichterung der Beurteilung im Einzelfall, um typische Befundkonstellationen im Hinblick auf die Kausalbeziehungen unter Zugrundelegung des aktuell wissenschaftlichen Erkenntnisstands einordnen zu können (Duell, Kranig, Palfner, BK-Begutachtungsempfehlungen - Wissen von Experten für Experten, DGUV Forum 2012, Nr 4 S 14, 16). Andererseits muss bei diesem Erkenntnisvorgang überprüfbar bleiben, ob das LSG nach allgemeinem Verständnis den von ihm festgestellten Sachverhalt (noch) vertretbar den in den Konsensempfehlungen aufgeführten Kategorien zugeordnet hat.

24

Für sämtliche Befundkonstellationen wird in den Konsensempfehlungen vorausgesetzt, dass die (gesicherte) bandscheibenbedingte Erkrankung nach ihrer Lokalisation die Segmente L5/S1 und/oder L4/L5 betrifft und eine Ausprägung als Chondrose Grad II oder höher und/oder als Vorfall hat. Sofern zusätzlich eine Begleitspondylose besteht (Befundkonstellation B1), gilt der Zusammenhang als wahrscheinlich. Liegt hingegen - wie hier nach den bindenden Feststellungen des LSG - keine Begleitspondylose vor, so wird der Zusammenhang nach den Konsensempfehlungen ua dann als wahrscheinlich betrachtet, wenn eine Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben besteht (Befundkonstellation "B2", 1. Spiegelstrich - 1. Zusatzkriterium - 1. Alt). Alternativ müssen bei nur monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 im Magnetresonanztomogramm in mindestens zwei angrenzenden Segmenten "black discs" vorliegen (Befundkonstellation "B2", 1. Spiegelstrich - 1. Zusatzkriterium - 2. Alt). Als weitere Alternativen genügt für die Konstellation B2 entweder das Bestehen einer besonders intensiven Belastung, wobei hierfür als "Anhaltspunkt" das Erreichen des "Richtwertes für die Lebensdosis" in weniger als 10 Jahren (Befundkonstellation "B2", 2. Spiegelstrich - 2. Zusatzkriterium) gilt, oder eines besonderen Gefährdungspotenzials durch hohe Belastungsspitzen, wofür als "Anhaltspunkt" das Erreichen der Hälfte des "MDD-Tagesdosis-Richtwertes" durch hohe Belastungsspitzen (Frauen ab 4 1/2 kN, Männer ab 6 kN) (Befundkonstellation "B2", 3. Spiegelstrich - 3. Zusatzkriterium) verlangt wird.

25

Das LSG ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass beim Kläger die Befundkonstellation "B2" - 2. Zusatzkriterium - das Erreichen des "Richtwertes für die Lebensdosis" in weniger als 10 Jahren - vorlag, bei der der Ursachenzusammenhang hinreichend wahrscheinlich ist. Es hat für den erkennenden Senat bindend festgestellt, dass eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule in Form einer Chondrose Grad III mit Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 sowie eine Chondrose Grad I im Segment L4/L5 ohne Begleitspondylose und keine konkurrierenden Ursachen vorlagen, sowie dass der Kläger im Zeitraum vom 1.6.1977 bis 31.5.1987 Belastungen von 15 MNh ausgesetzt war. Damit erreichte der Kläger also in weniger als 10 Jahren zwar nicht den Orientierungswert für Männer nach dem MDD iHv 25 MNh, überschritt jedoch mit 15 MNh die Hälfte dieses Wertes von 12,5 MNh.

26

Das LSG ist weiter davon ausgegangen, dass beim Kläger wegen dieses Überschreitens der hälftigen MDD-Dosis in Höhe von 12,5 MNh in weniger als 10 Jahren die für den Kausalzusammenhang der Befundkonstellation "B2" - 2. Zusatzkriterium - erforderliche besonders intensive Belastung vorlag. Den Konsensempfehlungen hat das LSG mithin den generellen wissenschaftlichen Erfahrungssatz entnommen, dass für die bei der Befundkonstellation "B2" - 2. Zusatzkriterium - erforderliche besonders intensive Belastung bei Männern das Erreichen der hälftigen MDD-Dosis iHv 25 MNh, nämlich des Wertes von 12,5 MNh in weniger als 10 Jahren genügt. Dieser Erfahrungssatz ist jedenfalls nicht offenkundig falsch. Der vom LSG aufgestellte allgemeine Erfahrungssatz kann vom Revisionsgericht zwar in den oben aufgezeigten Grenzen überprüft werden, denn die Feststellungen des LSG zum aktuellen medizinischen Erkenntnisstand im Recht der BKen unterliegen nicht von vornherein der in § 163 SGG angeordneten Bindung des Revisionsgerichts an tatrichterliche Feststellungen(vgl zB BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7).

27

Der Senat konnte aber im Rahmen seiner hierzu durchgeführten Überprüfung nicht zu der Erkenntnis gelangen, dass der vom LSG zugrunde gelegte Erfahrungssatz hinsichtlich der erforderlichen besonders intensiven Belastung des 2. Zusatzkriteriums der Konstellation B2 in der Wissenschaft allgemein angegriffen wird und deshalb offenkundig nicht dem aktuellen Erkenntnisstand entspricht. Der Wortlaut der Konsensempfehlungen selbst verlangt jedenfalls in der Befundkonstellation "B2" - 2. Zusatzkriterium - nur das Erreichen des "Richtwertes für die Lebensdosis" in weniger als 10 Jahren, ohne dort konkret die "MDD-Lebensdosis" wie im 3. Zusatzkriterium zu erwähnen. Auch in der wissenschaftlichen Literatur wird (Seidler und Bolm-Audorff in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann, BK 2108, S 135, 138) teilweise auf die Hälfte des MDD-Richtwerts und damit für Männer auf eine Belastung von 12,5 MNh abgestellt. Allein dass auch eine andere Auffassung vertreten wird (für den Wert von 25 MNh wohl Grosser in: Grosser ua, BK 2108, S 83, 102) und die LSGe hier jeweils zu unterschiedlichen Einschätzungen gelangen (vgl LSG Niedersachsen-Bremen vom 19.2.2010 - L 14 U 78/06 - und vom 25.5.2011 - L 3 U 28/07; LSG Berlin-Brandenburg vom 6.5.2010 - L 3 U 19/06 - und vom 19.1.2012 - L 2 U 24/09 ZVW - sowie Bayerisches LSG vom 31.1.2013 - L 17 U 244/06), reicht nicht dafür aus, die Feststellungen des LSG zum aktuellen medizinischen Erkenntnisstand als offensichtlich fehlerhaft in Frage zu stellen.

28

Ein medizinischer Erfahrungssatz entspricht in der Regel dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand, wenn er von allen oder den meisten in dem entsprechenden Fachgebiet Kundigen vertreten wird. Er kann aber auch dann den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen, wenn er nicht von allen im jeweiligen Erkenntnissystem Handelnden geteilt wird und auch abweichende Auffassungen vertreten werden. Ein Erkenntnisstand kann sich fortlaufend verändern (vgl hierzu Hase, Sozialrecht und die Integration gesellschaftlichen Wissens, in Masuch ua , Grundlagen und Herausforderungen des Sozialstaats, 2014, S 423, 429 ff). Deshalb kann allein aus dem Vorliegen unterschiedlicher Auffassungen bei den im entsprechenden Fachgebiet Kundigen nicht geschlossen werden, dass ein Erfahrungssatz falsch ist oder nicht mehr dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entspricht. Für den Senat war danach nicht erkennbar, dass der vom LSG zugrunde gelegte wissenschaftliche Erfahrungssatz hinsichtlich der besonders intensiven Belastung bei dem 2. Zusatzkriterium der Konstellation B2 offenkundig falsch ist oder in der Wissenschaft allgemein angegriffen wird. Dies ist auch dem Vorbringen der Revision nicht zu entnehmen. Sie stützt sich lediglich darauf, dass die Konsensempfehlungen im Ganzen und hinsichtlich der Befundkonstellation "B2" - 2. Zusatzkriterium - im Besonderen aufgrund der dargestellten divergierenden Auffassungen keine hinlänglich zuverlässige Grundlage mehr für die Bestimmung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands seien. Dies ist jedoch - wie oben ausgeführt - hinsichtlich der Konsensempfehlungen insgesamt unzutreffend. Der Senat sieht sich nach seinen eigenen Erkenntnissen jedenfalls auch nicht veranlasst, diesen vom LSG zugrunde gelegten wissenschaftlichen Erfahrungssatz zu korrigieren.

29

Insofern besteht zwar aufgrund des durchaus kontroversen Stands der wissenschaftlichen Erkenntnisse im konkreten Anwendungsfall der BK 2108 die auch von der Beklagten beschriebene Gefahr, dass Tatsachengerichte zur Feststellung unterschiedlicher Erfahrungssätze gelangen können, die dann jeweils revisionsrechtlich - in den aufgezeigten Grenzen - akzeptiert werden müssten. Dieses Ergebnis ist jedoch zum einen die logische Folge der den Gerichten nur eingeschränkt eröffneten Möglichkeiten, sich den tatsächlichen aktuellen medizinischen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu verschaffen. Die damit verbundene Rechtsunsicherheit ist aber zum anderen zumindest partiell auch Folge des Normtatbestands der BK 2108, dessen Reform der Senat bereits mehrfach angemahnt hat (vgl insbesondere BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 28 ff). Der Senat hat bereits im Jahre 2007 (aaO) betont, dass eine gleichmäßige Rechtsanwendung nur gewährleistet ist, wenn sich die zur Definition einer BK verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe mit Hilfe des von den Gerichten feststellbaren wissenschaftlichen Erkenntnisstands hinreichend konkretisieren lassen. Eine rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechende Handhabung der BK-Tatbestände und insbesondere des Tatbestands der BK 2108 ist nicht mehr möglich, wenn sich eine tragfähige wissenschaftliche Grundlage für die Beurteilung der jeweils zu untersuchenden Ursachenzusammenhänge im Prozess nicht mehr ermitteln lässt, sei es, weil einschlägige Forschungsergebnisse überhaupt fehlen oder weil sie keine allgemein akzeptierten Erkenntnisse (mehr) liefern (so bereits BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 8 ff). Der Senat hat hierbei auch darauf hingewiesen, dass der Verordnungsgeber mittels ggf erst zu schaffender oder besser auszustattender Fachgremien den wissenschaftlichen Erkenntnisstand über Ursachenzusammenhänge zwischen beruflichen Einwirkungen und der Entstehung von Krankheiten umfassend ermitteln kann (allgemein zu den Problemen der Feststellung des Stands der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft im BK-Recht auch für den Verordnungsgeber vgl Spellbrink, SR 2014, 140, 144 ff). Es ist allerdings nicht ersichtlich, dass sich der Verordnungsgeber in den letzten Jahren dieser Aufgabe gestellt und etwa im Rahmen seiner gesetzlichen Ermächtigung (§ 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII) abstrakt-generelle Voraussetzungen der BK 2108 zB in Form von Dosiswerten diskutiert hätte. Auf die Angabe solcher "Grenzwerte" oder anderer Präzisierungen hat der Verordnungsgeber bei der BK 2108 bislang gerade verzichtet, woraus sich ein Großteil der auch im vorliegenden Fall erheblichen Anwendungsprobleme der Norm erklärt. Ob der erkennende Senat diese Anwendungsprobleme bei der BK 2108 auch in Zukunft als rechtsstaatlich noch tolerierbar betrachten kann, wird hier ausdrücklich offengelassen.

30

Da mithin bereits revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist, dass das 2. Zusatzkriterium der Befundkonstellation "B2" vorliegt, kann hier dahinstehen, ob für die Befundkonstellation "B2", 1. Spiegelstrich - 1. Zusatzkriterium - 1. Alt als "Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben" auch ein bisegmentaler Befund ausreichen würde (so Sächsisches LSG vom 21.6.2010 - L 2 U 170/08 LW - und LSG Sachsen-Anhalt Urteil vom 11.7.2013 - L 6 U 59/11; Seidler und Bolm-Audorff in Grosser ua BK 2108, S 134, 138; anders Hessisches LSG Urteil vom 18.8.2009 - L 3 U 202/04 - und vom 27.3.2012 - L 3 U 81/11; Bayerisches LSG Urteil vom 31.1.2013 - L 17 U 244/06 ; Grosser in: Grosser ua BK 2108, S 83, 101), was das LSG ebenfalls angenommen hat.

31

C. Schließlich ist auch die weitere Voraussetzung der Aufgabe der die Wirbelsäule belastenden Tätigkeit für die Anerkennung einer BK 2108 erfüllt. Nach den bindenden Feststellungen des LSG war der Kläger nur bis Juni 1998 in seiner versicherten Tätigkeit Belastungen der Wirbelsäule ausgesetzt und gab sämtliche wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten im Juli 1998 auf.

32

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 Abs 1 SGG.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. Mai 2014 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr 2108 (BK 2108) der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).

2

Der im Jahre 1953 geborene Kläger absolvierte bis Juli 1972 eine Lehre zum Kfz-Mechaniker und arbeitete in diesem Beruf anschließend bis Januar 1979. Danach war er bis zum 15.9.2008 als Schlosser mit der Instandsetzung eines Maschinenparks und der Wartung von Maschinen befasst. Seit 1.10.2008 erhält der Kläger eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit unter Zugrundelegung des Beginns einer Arbeitsunfähigkeit wegen Lumboischialgien am 15.9.2008als Leistungsfall. Im Februar 2009 beantragte der Kläger die Anerkennung einer BK 2108. Die Beklagte lehnte das Vorliegen einer BK 2108 und eines Anspruchs auf Leistungen ab, der Widerspruch blieb erfolglos (Bescheid vom 7.12.2009; Widerspruchsbescheid vom 15.3.2010). Das SG hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 3.1.2011 abgewiesen.

3

Das LSG hat auf die Berufung des Klägers nach Durchführung medizinischer Ermittlungen den Gerichtsbescheid aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide verurteilt, das Vorliegen einer BK 2108 anzuerkennen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger sei während seiner versicherten Tätigkeit Belastungen durch Heben von Lasten iHv insgesamt 9,71 Meganewtonstunden (MNh) ausgesetzt gewesen. Darüber hinaus seien Belastungen in extremer Rumpfbeugehaltung im Umfang von zumindest 8,83 MNh zu berücksichtigen. Eine relevante Belastung im Sinne der BK 2108 sei auch bei einem Beugewinkel von 90 Grad oder etwas weniger gegeben, zumal das Referenzdosismodell der Deutschen Wirbelsäulenstudie (DWS) II bereits Rumpfbeugehaltungen ab 45 Grad einbeziehe. Es ergebe sich weder aus dem Wortlaut der BK 2108 noch aus dem Merkblatt, dass Beugewinkel von ca 90 Grad allenfalls im Bergbau zu finden sowie belastende Tätigkeiten nur zu berücksichtigen seien, sofern sie unter Zwang vorgenommen würden. Der Kläger habe jeweils 3 bis 4 Minuten in extremer Rumpfbeugehaltung gearbeitet, womit er insgesamt 30 bis 45 Minuten in einzelnen Arbeitsschichten Belastungen durch extreme Rumpfbeugehaltungen unterlegen, sowie die Mindestschichtanzahl iHv 60 Schichten mit relevanter Wirbelsäulenbelastung pro Jahr erfüllt sei. Mit der Gesamtbelastungsdosis von zumindest 18,54 MNh liege er nicht nur weit über dem in der DWS II offenbar angenommenen Schwellenwert von 7 MNh für Männer, sondern auch über dem vom BSG in seinem Urteil vom 30.10.2007 (B 2 U 4/06 R) vorgeschlagenen Orientierungswert von 12,5 MNh. Beim Kläger bestehe eine bandscheibenbedingte Erkrankung in Form eines chronischen degenerativen Lumbalsyndroms mit pseudoradikulärer Lumboischialgie, die unter Berücksichtigung des späten Manifestationszeitpunktes der Erkrankung, des altersvorauseilenden Verschleißes an der Lendenwirbelsäule (LWS), des Verteilungsmusters der Veränderungen unter Mitbeteiligung der Segmente L3/L4 und L1/L2 bei gleichzeitiger Schwerpunktbildung im beruflich meist belasteten Wirbelsäulenabschnitt sowie mit der eindeutigen Akzentuierung der Umformung im Lendenkreuzbeinübergang im Vergleich zur nicht belasteten Wirbelsäule jedenfalls mitursächlich auf die berufliche Exposition bei der versicherten Tätigkeit kausal zurückzuführen sei. Es liege eine altersüberschreitende Chondrose Grad II im "Segment L 5/5" sowie vom Grad III im Segment L5/S1 vor. Das Schadensbild sei mit schwächer ausgeprägten Bandscheibenschäden an der Halswirbelsäule (HWS) der Konstellation B4 der Konsensempfehlungen (U. Bolm-Audorff et al, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma Berufskrankheit 2005/3, S 211, 214 ff) zuzuordnen, bei der ein Zusammenhang mit den beruflichen Einwirkungen im Sinne der BK 2108 wahrscheinlich sei. Der Aufgabezwang für die exponierende Tätigkeit sei ab dem 15.9.2008 gesichert.

4

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 9 SGB VII iVm der BK 2108. Zur Begründung führt sie aus, eine Lebensbelastungsdosis des Klägers in Höhe von 18,5 MNh liege nicht vor. Das LSG setze die sog arbeitstechnischen Voraussetzungen in dem Tatbestandsmerkmal "Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung" zu niedrig an. Zum einen müssten hierfür Arbeiten mit einer Rumpfbeuge von mindestens 90 Grad in einer Zwangshaltung erfolgen, zum anderen genüge ein zeitlicher Umfang von wöchentlich 30 bis 45 Minuten keinesfalls den Anforderungen der Regelmäßigkeit, die ca 60 Arbeitsschichten voraussetze. Die vom BSG abgesenkte Gesamtbelastungsdosis von 12,5 MNh für Männer stelle keinen Orientierungswert, sondern ein Ausschlusskriterium dar. Wenn dieser Wert überschritten werde, habe dies keine positive Indizwirkung. Es hätte eine Einzelfallprüfung durchgeführt werden müssen, während das LSG sich mit dem Überschreiten von 12,5 MNh und der Einordnung des Krankheitsbildes in die Kategorie B4 der Konsensempfehlungen zufrieden gegeben habe. Die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 seien zudem durch die BSG-Entscheidung vom 30.10.2007 überholt und nicht mehr durch die daran beteiligten Wissenschaftler und Ärzte autorisiert. Es sei ungewiss, ob die Autoren ihre Konsensempfehlung überhaupt abgegeben hätten, wenn von deutlich niedrigeren beruflichen Belastungen als 25 MNh auszugehen sei.

5

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. Mai 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Zu Recht hat das LSG auf die Berufung den die Klage abweisenden Gerichtsbescheid des SG aufgehoben und das Vorliegen einer BK 2108 festgestellt.

9

Die erhobenen Klagen sind als Anfechtungsklage gegen die ablehnenden Entscheidungen verbunden mit der auf Feststellung einer BK gerichteten Feststellungsklage zulässig (BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - NZS 2012, 151 ff RdNr 10).

10

Der erhobene Anspruch beurteilt sich gemäß § 212 SGB VII nach den Vorschriften des SGB VII, weil nicht ersichtlich ist, dass der Versicherungsfall bereits vor dem Inkrafttreten des SGB VII am 1.1.1997 (Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz vom 7.8.1996, BGBl I 1254) eingetreten sein könnte. Rechtsgrundlage für die Anerkennung der streitigen BK ist § 9 Abs 1 SGB VII iVm Nr 2108 der Anlage 1 zur BKV vom 31.10.1997 (BGBl I 2623), die lautet: "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können". Nach § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind BKen nur diejenigen Krankheiten, die von der Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als solche bezeichnet sind (sog Listen-BK) und die der Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist für die Feststellung einer Listen-BK erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang; dazu unter A.) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität, dazu unter B.) und diese Einwirkungen eine Krankheit (dazu unter C.) verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität, dazu unter D.). Schließlich ist Anerkennungsvoraussetzung, dass der Versicherte deshalb seine Tätigkeit aufgeben musste sowie alle gefährdenden Tätigkeiten unterlässt (dazu unter E.). Fehlt eine dieser Voraussetzungen, ist die BK nicht anzuerkennen (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 17). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK. Die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 12; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4, RdNr 16 mwN; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 9/08 R - BSGE 103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr 14, RdNr 9 mwN; zuletzt BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - UV-Recht Aktuell 2012, 412; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - NZS 2012, 151; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 14).

11

A. Nach den bindenden Feststellungen des LSG absolvierte der Kläger von August 1968 bis Juni 1972 eine Lehre als Kfz-Mechaniker und arbeitete anschließend in diesem Beruf bis Januar 1979. Seitdem war er als Bau- und Instandhaltungsschlosser bis zum Eintritt dauerhafter Arbeitsunfähigkeit am 15.9.2008 tätig. Den Feststellungen lässt sich gerade noch hinreichend entnehmen, dass diese Tätigkeiten im Rahmen eines Arbeitsvertrags erfolgten und der Kläger damit als Beschäftigter iS von § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII versichert war.

12

B. Der Kläger unterlag im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit auch den nach dem Tatbestand der BK 2108 vorausgesetzten Einwirkungen. Danach muss der Versicherte aufgrund einer versicherten Tätigkeit entweder langjährig schwer gehoben und getragen oder in extremer Rumpfbeugehaltung gearbeitet haben, ansonsten ist der Tatbestand der BK 2108 nicht erfüllt (zur Bestimmung des Ausmaßes der beruflichen Einwirkungen bei der BK 2108 vgl auch BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/08 R - juris RdNr 23; BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 16 f). Dies zu überprüfen war der Senat trotz des Inhalts der angefochtenen Bescheide nicht gehindert (dazu unter 1.). Die danach tatbestandlich alternativ vorausgesetzten Einwirkungen in Form des schweren Hebens und Tragens (dazu unter 2.) bzw von Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung (dazu unter 3.) liegen beim Kläger beide vor. Sie erfolgten zudem langjährig (dazu unter 4.).

13

1. Der Senat ist zunächst nicht gehindert, sowohl die Subsumtion der seitens des LSG festgestellten Einwirkungen unter den Tatbestand der BK 2108, als auch deren Geeignetheit zur Erzeugung eines Bandscheibenschadens zu überprüfen (vgl zur BK 2109 BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 15 ff), obwohl die Beklagte im Rahmen der Begründung des Verwaltungsakts vom 7.12.2009 das Vorliegen der "arbeitstechnischen Voraussetzungen" bejaht hat. Diese Aussage der Beklagten nimmt nicht an der Bindungswirkung des Verwaltungsakts (§ 77 SGG) teil, weil in dem Bescheid durch bindenden Verfügungssatz (Regelung) alleine das Nichtbestehen der BK 2108 sowie von Ansprüchen auf Leistungen geregelt wurde (vgl BSG vom 20.11.1996 - 3 RK 5/96 - BSGE 79, 261, 265; vgl BSG vom 6.2.1958 - 8 RV 449/56 - BSGE 6, 288, 291; BSG vom 21.1.1959 - 11/8 RV 181/57 - BSGE 9, 80, 84; BSG vom 24.2.1960 - 9 RV 286/56 - BSGE 12, 25, 26). Zwar kann auch einem Satz aus der Begründung eines Verwaltungsakts die Bedeutung einer bindenden Feststellung zukommen (BSG vom 3.4.2014 - B 2 U 25/12 R - BSGE 115, 256 = SozR 4-2700 § 136 Nr 6, RdNr 16; BSG vom 20.11.1996 - 3 RK 5/96 - BSGE 79, 261, 265; BSGE 66, 168, 173 = SozR 3-2400 § 7 Nr 1; s zum Verbot der Schlechterstellung - reformatio in peius - BSG vom 20.2.1956 - 10 RV 75/55 - BSGE 2, 225, 228 f; BSG vom 20.4.1961 - 4 RJ 217/59 - BSGE 14, 154, 158; BSG vom 23.4.1964 - 9/11 RV 318/62 - SozR Nr 44 zu § 77 SGG). Bei den sog "arbeitstechnischen Voraussetzungen" handelt es sich aber nur um ein Element der Anspruchsprüfung einer BK, das zwei miteinander in Zusammenhang stehende Aspekte umfasst: das Vorhandensein der tatbestandlich vorausgesetzten Einwirkungen und die potentielle Kausalität zwischen diesen Einwirkungen und einer Erkrankung (vgl Bieresborn, Die Umsetzung der BK 2108 aus sozialrechtlicher Sicht, in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann , Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule" , Frankfurt 2014, S 179, 193; s auch BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Somit kommt der Feststellung des Vorliegens der arbeitstechnischen Voraussetzungen im Rahmen der Bescheidbegründung, die nicht als selbständiger Verfügungssatz formuliert ist, nicht die Eigenschaft einer bindenden Regelung zu, sondern nur die eines seitens des Gerichts vollständig überprüfbaren Elements der Anspruchsprüfung (s zur Überprüfbarkeit von Berechnungselementen beim Höhenstreit betr das Arbeitslosengeld: BSG vom 18.8.2005 - B 7a AL 4/05 R - SozR 4-1500 § 95 Nr 1 RdNr 13).

14

2. Nach den insoweit unangegriffenen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) unterlag der Kläger im Zeitraum seiner versicherten Tätigkeit Belastungen durch Heben und Tragen von Lasten in Höhe von insgesamt 9,71 MNh (BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 13/05 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 9, SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 4, RdNr 10).

15

3. Darüber hinaus hat das LSG ebenfalls bindend festgestellt, dass der Kläger ca einmal in der Woche Tätigkeiten in Form des Wechsels von Schaufeln und Blechen in einem zeitlichen Umfang von etwa 30 bis 45 Minuten verrichtet hat. Diese Arbeiten erfolgten mit einer Rumpfbeuge von ca 90 Grad. Da es sich hierbei um Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung gehandelt habe, sei der Kläger dadurch einer weiteren Belastung iHv 8,83 MNh ausgesetzt gewesen. Die Subsumtion dieser weiteren Belastung unter den Tatbestand der BK 2108 seitens des LSG ist nicht zu beanstanden. Auch das Tatbestandsmerkmal der BK 2108 "Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung" wird nicht anhand exakter numerischer Einwirkungsgrößen definiert (vgl zu dem insoweit vergleichbaren Problem bei BK 2109 BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 14 sowie zur BK 2108 BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - juris RdNr 23 ff), so dass es grundsätzlich Aufgabe der Versicherungsträger und Gerichte ist, unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien (vgl zu den Motiven bei der Aufnahme der BK 2108 in die BKV die amtliche Begründung: BR-Drucks 773/92, S 7) sowie anhand der Vorgaben des vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung herausgegebenen Merkblatts für die ärztliche Untersuchung zur BK 2108 (BArbBl 10/2006, S 30 ff), die für diese BK vorausgesetzten beruflichen Einwirkungen näher zu konkretisieren, wenn es auch Aufgabe des Verordnungsgebers ist, eine dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechende und für den Rechtsanwender handhabbare gesetzliche Grundlage zu schaffen, die dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot genügt (vgl hierzu insb das Urteil des Senats vom 23.4.2015 - B 2 U 10/14 R; BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 28). Den Merkblättern kommt zwar keine rechtliche Verbindlichkeit zu (BSG vom 12.4.2005 - B 2 U 6/04 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 5 RdNr 15), sie sind jedoch als Interpretationshilfe und zur Ermittlung des aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstands heranzuziehen (BSG vom 18.8.2004 - B 8 KN 1/03 U R - BSGE 93, 149 = SozR 4-5670 Anl 1 Nr 2402 Nr 1 RdNr 17 mwN).

16

Hinsichtlich der Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung nennt das Merkblatt (BArbBl 10/2006, S 30 ff) Arbeiten in Bodenhöhe oder unter der Standfläche, bei denen es zu einer Beugung des Oberkörpers aus der aufrechten Körperhaltung um ca 90 Grad oder mehr kommt. Ferner zählen danach Arbeiten in Arbeitsräumen dazu, die niedriger als ca 100 cm sind und somit andauernde Zwangshaltungen mit Arbeiten im Knien, Hocken, im Fersensitz oder gebeugter bzw verdrehter Körperhaltung bedingen. Beispielhaft werden unter Nennung weiterer wissenschaftlicher Quellen Berufsgruppen, bei denen solche Tätigkeiten vorkommen, aufgeführt. Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung im Sinne der BK 2108 erfordern - unter Zugrundelegung des Merkblatts als maßgebliche Erkenntnisquelle bzw Interpretationshilfe - weder eine Zwangshaltung (dazu unter a) noch eine Rumpfbeuge von mindestens 90 Grad oder mehr (dazu unter b).

17

a) Sofern die Revision nur solche Tätigkeiten für berücksichtigungsfähig hält, die in einer "Zwangshaltung", also ohne Möglichkeit des Aufrichtens, ausgeübt werden, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Das Erfordernis einer solchen Zwangshaltung lässt sich weder den Materialien noch dem Merkblatt zur BK 2108, weiteren wissenschaftlichen Veröffentlichungen noch sonstigen Hinweisen zur Auslegung des Tatbestands der BK 2108 entnehmen (BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 19). Lediglich beispielhaft werden im Merkblatt Tätigkeiten im Bergbau genannt, ohne dass diese Aufzählung erkennbar abschließend ist und eine Zwangshaltung zwingend vorausgesetzt wird.

18

b) Ebenso wenig ist der Revision darin zu folgen, dass sich nur Tätigkeiten mit einer Rumpfbeuge von mindestens 90 Grad in die Berechnung einbeziehen ließen. Auch Tätigkeiten mit einer etwas weniger als 90 Grad ausgeprägten Rumpfbeuge sind zum einen mit dem Wortlaut des Verordnungstextes, der eine "extreme" und somit eine das Maß der im Alltag gewöhnlich vorkommenden überschreitende Rumpfbeugehaltung verlangt, vereinbar. Sofern das BSG in einer älteren Entscheidung ausgeführt hat, dass unter einer extremen Rumpfbeugehaltung iS der BK Nr 2108 der Anlage 1 zur BKV eine Beugung des Oberkörpers aus der aufrechten Haltung um mehr als 90 Grad zu verstehen sei (BSG vom 1.7.1997 - 2 BU 106/97 - juris RdNr 7) und sich dieser Auffassung das BVerwG angeschlossen hat (BVerwG vom 16.4.2013 - 2 B 150/11 - juris RdNr 7), liegt diesen Entscheidungen offensichtlich das mittlerweile veraltete Merkblatt zur BK 2108 aus dem Jahre 1993 (BArbBl 3/1993, S 50) zugrunde. Der Senat hat bereits an anderer Stelle klargestellt, dass Grundlage der Beurteilung eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung einer BK stets der im Entscheidungszeitpunkt aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand zu sein hat (BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - juris RdNr 14; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 9/08 R - BSGE 103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr 14, SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2103 Nr 1, RdNr 15; BSG vom 27.6 2006 - B 2 U 5/05 R - BSGE 96, 297 = SozR 4-5671 § 6 Nr 2, SozR 4-2700 § 9 Nr 6, RdNr 17; s zum Arbeitsunfall: BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44, RdNr 61).

19

Dies gilt insbesondere bei der Auslegung unbestimmter, die erforderliche Einwirkung bezeichnender Rechtsbegriffe, sofern im Rahmen der möglichen Wortbedeutung die Geeignetheit zur Verursachung des Gesundheitsschadens zu bestimmen ist. Das aktuelle Merkblatt zur BK 2108 (BArbBl 10/2006, S 30 ff) verlangt aber lediglich eine Rumpfbeuge von "ca 90 Grad". Hierbei handelt es sich um einen mittleren Schätzwert, bei dem Abweichungen nach oben und unten gleich verteilt sind (vgl zur Dosis "in der Regel 100 Feinstaubjahre" der BK 4111: BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3, SozR 4-2700 § 9 Nr 20, RdNr 19). Im vorliegenden Fall kommt es mithin nicht darauf an, ob eine Rumpfbeuge von 45 Grad - wie sie in der DWS-Folgestudie bereits als wirbelsäulenschädigend dargestellt wird - mit der möglichen Wortbedeutung des Attributs "extrem" vereinbar wäre (vgl zum Problem der Mindestbelastung bei Heben und Tragen durch Frauen das Senatsurteil vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

20

4. Die wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten erfolgten darüber hinaus - wie tatbestandlich vorausgesetzt - langjährig. Langjährig bedeutet, dass zehn Berufsjahre als die im Durchschnitt untere Grenze der belastenden Tätigkeit zu fordern sind (so wörtlich das aktuelle Merkblatt 2108 BArbBl 2006, Heft 10, S 30, Abschnitt IV; vgl zum Merkmal "langjährig" bei der BK 2109 BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 15; s zur BK 2108 bereits BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 10; BSG vom 22.6.2004 - B 2 U 22/03 R - juris RdNr 25; vgl auch: Römer in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand 8/2012, Anh zu K § 9 Anl zu BKV BK Nr 2108 - 2110 RdNr 7 mwN; "mindestens 10 Jahre" fordern Ricke in Kasseler Kommentar, Stand 7/2014, § 9 SGB VII RdNr 42; Mehrtens/Brandenburg, BKV, Stand 12/2013, M 2108 Anm 2.2.2.). Auch dieses Merkmal erfüllt der Kläger bei ca 30 Jahren festgestellter wirbelsäulenbelasteter Tätigkeit.

21

Das LSG hat davon ausgehend zu Recht angenommen, dass beim Kläger die Anforderungen an die tatbestandlich vorausgesetzte berufliche Exposition iS der BK 2108 erfüllt sind (BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 21).

22

C. Beim Kläger besteht nach den Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) auch eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS in Form eines chronischen degenerativen Lumbalsyndroms mit pseudoradikulärer Lumboischialgie an vier Lendenbandscheiben mit einer altersüberschreitenden Chondrose Grad III im Segment L5/S1 unter Mitbeteiligung der Segmente L3/L4 und L1/L2 mit Akzentuierung der Umformung im Lendenkreuzbeinübergang. Damit liegt ein dreisegmentaler Schaden der LWS vor. Die zusätzliche Feststellung einer Chondrose Grad II in einem ersichtlich nicht existierenden "Segment L5/5" ist für die Bejahung des erforderlichen Gesundheitsschadens unerheblich. Darüber hinaus existieren demgegenüber schwächer ausgeprägte Bandscheibenschäden an der HWS.

23

D. Die Beurteilung des LSG, dass die festgestellten LWS-Schäden rechtlich wesentlich durch die versicherten Einwirkungen verursacht wurden, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Für die Anerkennung einer BK ist neben der Kausalität zwischen versicherter Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen (Einwirkungskausalität) ein Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkungen einerseits und der Erkrankung andererseits erforderlich. Für die umstrittene BK 2108 bedeutet dies, dass die LWS-Erkrankung des Klägers durch langjähriges schweres Heben und Tragen bzw Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit verursacht worden sein muss. Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung gilt im Berufskrankheitenrecht, wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung, die Theorie der wesentlichen Bedingung (s zum Arbeitsunfall die Entscheidungen des erkennenden Senats vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 34 ff sowie BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37; zu BKen s BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - juris RdNr 32; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 13 sowie - B 2 U 26/04 R - juris RdNr 17), die zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie beruht, nach der jedes Ereignis (jede Bedingung) Ursache eines Erfolges ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Steht die versicherte Tätigkeit als eine der Wirkursachen fest, muss auf der zweiten Stufe die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestands fallenden Gefahr sein. Die Wesentlichkeit der Wirkursache ist zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen (zur Theorie der wesentlichen Bedingung: zuletzt eingehend BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37 f sowie BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1, RdNr 28 ff). Vorliegend hat das LSG zu Recht sowohl die (sonstigen) arbeitstechnischen (dazu unter 1.) als auch arbeitsmedizinischen Voraussetzungen (dazu unter 2.) bejaht.

24

1. Unter Zugrundelegung der bindend festgestellten Einwirkungs-Werte iHv 9,71 MNh durch Heben und Tragen von Lasten sowie 8,83 MNh durch Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung ist das LSG in durch das Revisionsgericht nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen auch im Hinblick auf die generelle Eignung der festgestellten Einwirkung zur Krankheitsverursachung im Sinne einer BK 2108 im Falle des Klägers gegeben sind. Die Belastungen der unterschiedlichen Einwirkungsformen "schweres Heben und Tragen" einerseits sowie "Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung" hat das LSG zu Recht addiert (dazu unter a). Zutreffend hat das LSG für die Berechnung der in der Höhe und Intensität zur Erzeugung des Bandscheibenschadens genügenden Einwirkungsbelastung das Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) zugrunde gelegt (dazu unter b). Darüber hinaus erfolgten diese Belastungen auch regelmäßig (dazu unter c). Einer Mindest-Tagesdosis bedurfte es hingegen nicht (dazu unter d).

25

a) Zutreffend hat das LSG eine kumulative Einwirkungs-Belastung iHv 18,54 MNh zugrunde gelegt. Die vom LSG vorgenommene Addition der Belastungen durch Heben und Tragen einerseits sowie Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung andererseits in zeitlicher wie in physischer Hinsicht ist nicht zu beanstanden (s Merkblatt vom 21.9.2006 - BArbBl 2006, Heft 10, S 30, 33 aE). Angesichts der auf dasselbe Zielorgan wirkenden Belastungen, für die der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand feststehende Dosis-Wirkungsbeziehungen annimmt, geht der Senat davon aus, dass diese zusammenzurechnen sind (s zur Addition von Hebe- und Tragebelastung einerseits und Schwingungsbelastung andererseits BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 9/05 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 8 RdNr 21).

26

b) Mit der Heranziehung des MDD zur Bestimmung der für eine Krankheitsverursachung erforderlichen Belastungsdosis folgt das LSG der Rechtsprechung des erkennenden Senats, der seit 2003 (BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23, 27 f = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 10; BSG vom 19.8.2003 - B 2 U 1/02 R - USK 2003-219 RdNr 15; BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 18 und zuletzt BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - juris RdNr 25) dieses Modell als eine geeignete Grundlage zur Konkretisierung der im Text der Nr 2108 Anl BKV mit den unbestimmten Rechtsbegriffen "langjähriges" Heben und Tragen "schwerer" Lasten oder "langjährige" Tätigkeit in "extremer Rumpfbeugehaltung" nur ungenau umschriebenen Einwirkungen angesehen hat. Die aufgrund einer retrospektiven Belastungsermittlung für risikobehaftete Tätigkeitsfelder ermittelten Werte, insbesondere die Richtwerte für die Gesamtbelastungsdosis des MDD sind indes nicht als Grenzwerte, sondern als Orientierungswerte oder -vorschläge zu verstehen (s zur Handhabung der hälftigen Orientierungswerte als Mindestbelastungswerte BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - juris RdNr 31; BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 25; sowie die Urteile vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R und B 2 U 10/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Orientierungswerte sind andererseits keine unverbindlichen Größen, die beliebig unterschritten werden können. Ihre Funktion besteht in dem hier interessierenden Zusammenhang darin, zumindest die Größenordnung festzulegen, ab der die wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten als potentiell gesundheitsschädlich einzustufen sind. Die Mindestbelastungswerte müssen naturgemäß niedriger angesetzt werden, weil sie ihrer Funktion als Ausschlusskriterium auch noch in besonders gelagerten Fällen, etwa beim Zusammenwirken des Hebens und Tragens mit anderen schädlichen Einwirkungen, gerecht werden müssen. Werden die Orientierungswerte jedoch so deutlich unterschritten, dass das Gefährdungsniveau nicht annähernd erreicht wird, so ist das Vorliegen einer BK 2108 zu verneinen, ohne dass es weiterer Feststellungen zum Krankheitsbild und zum medizinischen Kausalzusammenhang im Einzelfall bedarf (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 19).

27

Der Senat hat deshalb in der soeben genannten Entscheidung seine frühere Rechtsprechung auf der Grundlage der Erkenntnisse der "Deutschen Wirbelsäulenstudie" (www.dguv.de/inhalt/leistungen/versschutz/bk/wirbelsaeule/index.html) weiterentwickelt und entschieden, dass das MDD in seiner Funktion als Konkretisierung des Ausmaßes der für die BK 2108 erforderlichen beruflichen Einwirkung derzeit nicht durch ein anderes gleichermaßen geeignetes Modell ersetzt werden kann. Der Senat hat indes im Lichte der Erkenntnisse der Ergebnisse der DWS I das MDD in mehreren Punkten modifiziert und insbesondere als unteren Grenzwert, bei dessen Unterschreitung nach gegenwärtigem Wissensstand ein Kausalzusammenhang zwischen beruflichen Einwirkungen und bandscheibenbedingter Erkrankung der LWS ausgeschlossen und deshalb auf einzelfallbezogene medizinische Ermittlungen verzichtet werden kann, die Hälfte des im MDD vorgeschlagenen Orientierungswertes für die Gesamtbelastungsdosis bei Männern von 25 MNh, also 12,5 MNh, angenommen (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 25).

28

Das LSG hat insoweit zur Berechnung der erforderlichen Mindestbelastungsdosis das MDD zutreffend unter Berücksichtigung der Modifikationen, die dieses durch die Rechtsprechung des Senats erfahren hat, angewandt (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 22; BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - juris RdNr 29 ff). Mit einer festgestellten Gesamtbelastungsdosis iHv 18,5 MNh wurde vorliegend der genannte untere Grenzwert erheblich überschritten. Es kommt daher nicht darauf an, ob eine weitere Absenkung im Lichte der Ergebnisse der DWS-Richtwertestudie (DWS II) (korrekte Bezeichnung des Forschungsvorhabens: "Erweiterte Auswertung der Deutschen Wirbelsäulenstudie mit dem Ziel der Ableitung geeigneter Richtwerte", Kurztitel: "DWS-Richtwerteableitung", veröffentlicht unter http://www.dguv.de/ifa/Forschung/Projektverzeichnis/FF-FB_0155A.jsp) angezeigt ist oder mit den Voraussetzungen des § 9 Abs 1 SGB VII unvereinbar wäre(vgl zur Mindestbelastungsdosis bei Frauen Urteil vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

29

c) Auch die erforderliche Regelmäßigkeit der wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten, die sich als Element der arbeitstechnischen Voraussetzungen dem Merkblatt 2006 (BArbBl 2006, S 30 ff Abschnitt IV) entnehmen lässt, ist gegeben. Hierbei reicht es entgegen der Auffassung der Revision aus, dass diese in der ganz überwiegenden Anzahl - mindestens 60 - der Arbeitsschichten erfolgten, ohne dass eine genaue Zeitgrenze pro Arbeitsschicht genannt werden kann (s Merkblatt BArbBl 10/2006, S 30 ff Abschnitt IV aE; vgl BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 15 zur BK 2109). Hintergrund ist, dass bei nicht regelmäßiger Belastung den Bandscheiben genügend Zeit zur Regeneration bleibt und deshalb keine Ursächlichkeit zwischen Druckbelastung und Schädigung besteht (vgl hierzu das Urteil des Senats vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Den Feststellungen des LSG lässt sich gerade noch hinreichend entnehmen, dass der Kläger in mindestens 60 Schichten im Jahr einer relevanten Wirbelsäulenbelastung ausgesetzt war. Auch insoweit ist die vom LSG vorgenommene Addition der Belastungen durch das Heben und Tragen schwerer Lasten und der Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung in zeitlicher wie in physischer Hinsicht - wie bereits dargelegt - nicht zu beanstanden.

30

d) Wie der Senat ebenfalls bereits entschieden hat, lässt sich das Erfordernis des Erreichens einer Mindesttagesdosis anhand des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands nicht begründen. Wie bei der Belastungsdauer können geringere oder fehlende Einwirkungen in einer Arbeitsschicht durch stärkere oder länger dauernde Belastungen in anderen Schichten ausgeglichen werden. Daher ist es nach wie vor nicht zu beanstanden, alle Hebe- und Tragebelastungen, die die Mindestbelastung von 2700 N bei Männern erreichen, entsprechend dem quadratischen Ansatz zu berechnen und aufzuaddieren (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 24; Römer in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand 8/2012, Anh zu K § 9 Anl zu BKV BK Nr 2108 - 2110 RdNr 11a, sowie zur BK 2109: BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 15). Dementsprechend steht es der Verursachung der Erkrankung durch die wirbelsäulenbelastende Tätigkeit auch nicht entgegen, dass sich die Gesamtbelastungsdosis über 40 Jahre akkumuliert hat.

31

2. Schließlich hat das LSG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise das Vorliegen der arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für die Bejahung des Ursachenzusammenhangs zwischen den gefährdenden Einwirkungen im Sinne der BK 2108 und der Bandscheibenerkrankung des Klägers bejaht. Die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen betreffen zwei Aspekte der Anerkennungsvoraussetzungen, nämlich zum einen das Vorliegen der tatbestandlich vorausgesetzten Krankheit, zum anderen das Vorliegen eines Schadensbildes, welches mit der rechtlich-wesentlichen Verursachung dieser Krankheit durch die beruflichen Einwirkungen zumindest im Einklang steht (Bieresborn, Die Umsetzung der BK 2108 aus sozialrechtlicher Sicht, in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann , Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule" , Frankfurt 2014, S 179, 193, 199). Aus dem Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen kann angesichts der multifaktoriellen Entstehung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS nicht automatisch auf das Bestehen der Anspruchsvoraussetzungen der BK 2108 geschlossen werden; vielmehr müssen medizinische Kriterien hinzukommen (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 26; BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 19; BSG vom 30.1.2007 - B 2 U 15/05 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4104 Nr 2 RdNr 23; vgl BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 7/05 R - juris RdNr 16 zur BK nach Nr 4302 der Anlage zur BKV; BSG vom 7.9.2004 - B 2 U 34/03 R - juris RdNr 22).

32

Das Berufungsgericht hat zutreffend den wesentlichen Ursachenzusammenhang zwischen den gefährdenden Einwirkungen im Sinne der BK 2108 und der Bandscheibenerkrankung des Klägers unter Anwendung der arbeitsmedizinischen Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 (U. Bolm-Audorff et al, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheit 2005/3, S 211, 214 ff, 228 ff) bejaht. Die Konsensempfehlungen sind nach wie vor eine geeignete Grundlage, um den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand bezüglich bandscheibenbedingter Erkrankungen der LWS zu bestimmen (dazu unter a). Sie können auch dann angewandt werden, wenn der MDD-Orientierungswert für die Gesamtbelastungsdosis nicht erreicht wurde (dazu unter b). Das LSG hat schließlich in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise das von ihm bindend festgestellte Schadensbild unter Berücksichtigung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands als belastungskonform angesehen (dazu unter c).

33

a) Nicht zu beanstanden ist, dass das LSG die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 zugrunde gelegt hat. Diese bilden zur Überzeugung des Senats weiterhin den aktuellen Erkenntnisstand ab. Die naturwissenschaftliche Kausalitätsprüfung ist zwar eine der Bindung fähige tatsächliche Feststellung der Instanzgerichte (vgl Heinz in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 163 RdNr 9), jedoch sind nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats die die einzelnen Tatbestandsmerkmale der jeweiligen BK unterfütternden allgemeinen (generellen) Tatsachen, die für alle einschlägigen BK-Fälle gleichermaßen von Bedeutung sind, anhand des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands auch revisionsrechtlich überprüfbar (grundlegend: BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 5/05 R - BSGE 96, 297 = SozR 4-5671 § 6 Nr 2, RdNr 19 sowie BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 23; s auch BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 23; s zur älteren Senatsrechtsprechung, wonach diesbezügliche Feststellungen dem Anwendungsbereich des § 163 SGG zugerechnet wurden: BSG vom 2.5.2001 - B 2 U 16/00 R - SozR 3-2200 § 551 Nr 16 S 83 = SozR 3-2700 § 9 Nr 4 = SozR 3-5670 Anl 1 Nr 2108 Nr 4 RdNr 28; BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 22, jeweils mwN). Dies muss zunächst jedenfalls immer dann gelten, wenn diese - wie hier - zulässig gerügt werden (vgl BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - juris RdNr 14; s zur Problematik der Überprüfung von allgemeinen Tatsachen auf ihre offensichtliche Unrichtigkeit auch das Urteil des Senats vom 23.4.2015 - B 2 U 10/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Inwieweit in der Rechtsprechung anderer Senate des BSG (zur Überprüfung sog "genereller Tatsachen" in der sonstigen Rechtsprechung des BSG vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 163 RdNr 7 sowie speziell im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung BSG vom 16.6.1999 - B 1 KR 4/98 R - BSGE 84, 90, 94 = SozR 3-1500 § 163 Nr 7, RdNr 17 sowie BSG vom 12.8.2009 - B 3 KR 10/07 R - BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 135 Nr 4, RdNr 27 und zuletzt BSG vom 12.9.2012 - B 3 KR 10/12 R - BSGE 112, 15, 37 = SozR 4-2500 § 137 Nr 1 RdNr 55; s zu "Rechtstatsachen" BSG vom 25.10.1994 - 3/1 RK 57/93 - SozR 3-1500 § 163 Nr 5, juris RdNr 27, zu "allgemeinkundigen Tatsachen historischer Natur" BSG vom 7.2.1985 - 9a RV 5/83 - BSGE 58, 38, 42 = SozR 3100 § 5 Nr 7, RdNr 17 sowie zu "gerichtskundigen Tatsachen" BSG vom 27.1.1977 - 7 RAr 16/75 - BSGE 43, 124, 127 = SozR 4100 § 41 Nr 28 RdNr 30) eine solche Überprüfung genereller Tatsachen erfolgt, kann hier dahinstehen. Denn jedenfalls im Bereich des Rechts der BKen hat das BSG aufgrund der in den Normtexten der jeweiligen BKen in der Anlage zur BKV regelmäßig vertypisierten wissenschaftlichen Aussagen die Existenz der einschlägigen Erfahrungssätze selbst festzustellen. Das über das Vorliegen von BKen befindende Gericht muss sich folglich Klarheit darüber verschaffen, welches in der streitigen Frage der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ist. Die heranzuziehenden Quellen - Fachbücher, Standardwerke, Merkblätter des zuständigen Ministeriums, Begründungen des Sachverständigenbeirats, Konsensempfehlungen etc - hat das jeweilige Gericht eigenständig kritisch zu würdigen und auf ihre Aktualität hin zu überprüfen (vgl BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 100/12 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 24 RdNr 18; BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 68 f; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 20; vgl auch BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 20; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17 mwN).

34

Hierbei ist zunächst die Zugrundelegung der Konsensempfehlungen durch das LSG als Orientierungshilfe bei der Beurteilung, ob der Bandscheibenschaden des Klägers nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand durch die festgestellten beruflichen Einwirkungen verursacht wurde, revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Denn die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 sind nach wie vor eine hinreichende Grundlage für die Bestimmung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands, wie der Senat zuletzt 2009 klargestellt hat (BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - juris RdNr 15). Seitdem wurden zwar in Folge der Veröffentlichung der DWS II Fachaufsätze publiziert, die Zweifel an den Aussagen auch der Konsensempfehlungen äußern. Weder der DWS II noch den sonstigen Veröffentlichungen ist jedoch zu entnehmen, dass die Erkenntnisse der Konsensarbeitsgruppe aus dem Jahre 2005 gerade hinsichtlich der hier zugrunde gelegten Befundkonstellation inzwischen veraltet sein könnten. Sofern vertreten wird, dass inzwischen die Ergebnisse der DWS II die wesentlichen Grundannahmen aus den Konsenskriterien widerlegten, etwa weil die bisher angenommenen Einwirkungsgrößen zu hoch seien, die Lokalisation und Häufigkeit der Verteilung von Bandscheibenschäden zu 96% mit denen der Normalbevölkerung identisch sei, die Auswertungen der DWS II keine deutliche Abhängigkeit der Begleitspondylose von der MDD-Gesamtbelastungsdosis gezeigt habe oder Schäden an der HWS keine Aussagekraft zur Verursachung von LWS-Schäden hätten (M. Kentner und K. Frank, Kommentar zur DWS-Richtwertestudie und Implikationen hinsichtlich BK 2108 - Biomechanik vs. Pathophysiologie, Manuskript, erscheint in ASUMed 8/2015; Linhardt/Grifka, Auswirkungen der Deutschen Wirbelsäulenstudie auf die Berufskrankheit der Lendenwirbelsäule , MedSach 111 <2015>, 20, 21; Bergmann, Bolm-Audorff, Ditchen, Ellegast, Haerting, Kersten, Jäger, Skölziger, Kuß, Morfeld, Schäfer, Seidler, Luttmann, Lumbaler Bandscheibenvorfall mit Radikulärsyndrom und fortgeschrittene Osteochondrose, ZblArbeitsmed 2014, 233 - 238) handelt es sich erkennbar um wissenschaftliche Einzelmeinungen.

35

Die zitierten Publikationen setzen sich zum einen jeweils inhaltlich nicht mit der grundsätzlichen Kritik an der angewandten Methodik der Nachuntersuchung auseinander (s nur Grosser, Ergebnisse der Konsensusarbeitsgruppe zur Begutachtung der BK 2108 - Status quo und Konsequenzen aus der DWS, in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann, Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule" , Frankfurt 2014, S 84 - 104; Zagrodnik, Fragliche Belastungsdosis, DGUV Forum 2014, Nr 7/8 S 10 - 13), zum anderen schöpfen sie ihre Kritik an den Aussagen der Konsensempfehlungen alleine aus den Ergebnissen der DWS II, und wenden sich im Wesentlichen gegen die Bestimmung und Höhe der Einwirkungsgrößen, nicht aber gegen die Grundaussage der Konsensempfehlungen, dass Bandscheibenschäden aufgrund beruflich erworbener Druckbelastungs-Dosen entstehen können. Der Senat verkennt nicht, dass ein wissenschaftlicher Erkenntnisstand auch dadurch erschüttert werden kann, dass grundlegende und fundierte Zweifel seitens der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler diesem den Boden entziehen, ohne dass sich diese in ihrer Mehrheit auf einen neuen Konsens geeinigt hätten. Einzelne Gegenstimmen sind demgegenüber nicht geeignet, einen einmal gebildeten und sich in schriftlichen Beurteilungskriterien manifestierenden wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu erschüttern, solange nicht die daran beteiligten Autoren in ihrer Mehrheit diesen Konsens in wesentlichen Punkten aufkündigen oder eine (zumindest teilweise) personell anders zusammengesetzte große Mehrheit der mit dieser Materie befassten Fachwissenschaftler diesem Konsens entgegentritt.

36

Dem Senat liegen im Rahmen seiner eigenen Ermittlungen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass die Konstellation B4 der Konsensempfehlungen nicht mehr dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entspricht. Zwar wird hierzu kritisch geäußert, aus Schäden an der HWS könnten keine Aussagen über die Verursachung von Schäden an der LWS durch Druck abgeleitet werden (M. Kentner und K. Frank, Kommentar zur DWS-Richtwertestudie und Implikationen hinsichtlich BK 2108 - Biomechanik vs. Pathophysiologie, Manuskript, erscheint in ASUMed 8/2015). Dies vermag jedoch den Aussagewert der Befundkonstellation B4 nach Überzeugung des Senats nicht zu erschüttern, weil die Konsensempfehlungen gerade davon ausgehen, dass kein belastungstypisches, sondern nur ein belastungskonformes Schadensbild existiert. Damit können bestimmte Befundkonstellationen, in denen andere anatomisch nicht in gleichem Maße druckbelastete Segmente wie die der LWS genauso oder stärker geschädigt sind, den Verursachungszusammenhang nicht ausschließen, sie können allenfalls den Verdacht erzeugen, dass die Schäden der LWS wesentlich auf anlagebedingten Faktoren beruhen.

37

b) Entgegen der Revision ist auch nicht zu beanstanden, dass sich das LSG auf die Aussagen der Konsensempfehlungen stützt, obwohl nach seinen eigenen Feststellungen die nach dem MDD für Männer geforderte Gesamtbelastungsdosis iHv 25 MNh durch den Kläger mit 18,54 MNh nicht erreicht wurde. So wie der erkennende Senat im Recht der BKen nicht gehindert ist, den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu Verursachungszusammenhängen festzustellen, ist er ebenso wenig gehindert, die korrekte Zuordnung des Sachverhalts seitens des Berufungsgerichts unter diesen einschlägigen Erkenntnisstand zu überprüfen. Dies gilt umso mehr, wenn dieser in Konsensempfehlungen verdichtet ist. Bei diesen handelt es sich freilich nicht um einen normativen Text oder ein antizipiertes Sachverständigengutachten, weil die Konsensempfehlungen weder vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber erlassen, noch von unabhängigen und der Neutralität verpflichteten Autoren verfasst wurden (P. Becker, ASUMed 2009, 592, 595). Daher sind sie für Verwaltung, Gerichte oder Gutachter auch nicht unmittelbar verbindlich (Siefert, ASR 2011, 45, 48) und es verbietet sich deren Auslegung unter strikter Anwendung der Regeln der juristischen Methodenlehre (vgl Bieresborn, Die Umsetzung der BK 2108 aus sozialrechtlicher Sicht aaO, S 199). Konsensempfehlungen dienen lediglich zur Erleichterung der Beurteilung im Einzelfall, um typische Befundkonstellationen im Hinblick auf die Kausalbeziehungen unter Zugrundelegung des aktuell wissenschaftlichen Erkenntnisstands einordnen zu können (Duell, Kranig, Palfner, BK-Begutachtungsempfehlungen - Wissen von Experten für Experten, DGUV Forum 2012, Nr 4 S 14, 16). Andererseits muss bei diesem Erkenntnisvorgang überprüfbar bleiben, ob das LSG nach allgemeinem Verständnis den von ihm festgestellten Sachverhalt (noch) vertretbar den in den Konsensempfehlungen aufgeführten Kategorien zugeordnet hat.

38

Nicht zu beanstanden ist im Rahmen des soeben aufgezeigten Prüfumfangs jedenfalls die Aussage des LSG, dass die Konsensempfehlungen bereits bei einem Gesamtbelastungswert von 18,54 MNh Anwendung finden können. Den Konsensempfehlungen selbst lässt sich das Erreichen der MDD-Gesamtbelastungsdosiswerte von 25 MNh jedenfalls nicht als Anwendungsvoraussetzung entnehmen. So nehmen die Konsensempfehlungen nur an wenigen Stellen Bezug auf das MDD. Auf dessen Orientierungswert wird sogar nur an einer Stelle verwiesen, nämlich als Alternative 3 der Konstellation B2, die vorliegend allerdings unerheblich ist, weil sich das LSG zur Anerkennung auf die Alternative 1 in Verbindung mit der Konstellation B4 bezogen hat. Soweit die Konsensempfehlungen unter 1.4 "Zusammenhangsbeurteilung" eine "ausreichende berufliche Belastung" fordern, lässt sich dieser Formulierung nicht entnehmen, dass damit das Erreichen des MDD-Orientierungswertes zur Gesamtbelastungsdosis vorausgesetzt wird. So führen die Autoren der Konsensempfehlungen im Vorspann aus, dass zum Zeitpunkt der Initiierung ihres Projekts die zentrale Frage der Expositionsbeurteilung ebenso wenig gelöst war, wie die der Begutachtung. Erklärtes Ziel ihrer Tätigkeit war die Formulierung konkretisierter Begutachtungskriterien, obwohl konkrete Forschungsergebnisse aus dem Parallelprojekt der DWS, mit dem die Dosis-Wirkungsbeziehungen zwischen beruflichen Belastungen und der Entstehung von bandscheibenbedingten Wirbelsäulenerkrankungen in einer Fallkontrollstudie einer besseren epidemiologischen Klärung zugeführt werden sollten, erst zu einem späteren Zeitpunkt erwartet wurden. Bereits dies spricht dagegen, dass die Konsensempfehlungen die Werte des MDD als Anwendungsbedingung voraussetzen.Vielmehr überlassen sie erkennbar die Beurteilung der ausreichenden Belastungen dem jeweiligen Gutachter, an den diese "Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung" adressiert sind. Jedenfalls folgt hieraus, dass die vom LSG vorgenommene "Interpretation" des Einstiegswerts der Konsensempfehlungen nicht offensichtlich falsch ist (zum Prüfansatz vgl insoweit das Urteil des Senats vom 23.4.2015 - B 2 U 10/14 R).

39

c) Es ist ferner nicht zu beanstanden, dass das LSG das Vorliegen der Konstellation B4 der Konsensempfehlungen bejaht hat. Für sämtliche B-Konstellationen wird vorausgesetzt, dass die (gesicherte) bandscheibenbedingte Erkrankung nach ihrer Lokalisation die Segmente L5/S1 und/oder L4/L5 betrifft und eine Ausprägung als Chondrose Grad II oder höher und/oder Vorfall hat. Sofern zusätzlich eine Begleitspondylose besteht (Befundkonstellation B1) gilt der Zusammenhang als wahrscheinlich. Liegt hingegen keine Begleitspondylose vor, so wird nach der ersten Alternative der Befundkonstellation B2 der Zusammenhang dann als wahrscheinlich betrachtet, wenn eine Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben besteht.

40

Nach den bindenden Feststellungen des LSG bestehen beim Kläger Erkrankungen in Form einer altersüberschreitenden Chondrose Grad III im Segment L5/S1 unter Mitbeteiligung der Segmente L3/L4 und L1/L2 mit Akzentuierung der Umformung im Lendenkreuzbeinübergang. Damit liegt nach den nicht mit beachtlichen Rügen angegriffenen Feststellungen des LSG ein jedenfalls drei- und damit mehrsegmentaler Schaden der LWS und damit die Voraussetzungen der B2-Konstellation in der 1. Alternative des ersten Spiegelstrichs vor. Es kommt mithin nicht darauf an, ob auch eine weitere Alternative der B2-Konstellation gegeben ist. Auch die in der auf der B2-Konstellation aufbauenden B4-Konstellation vorausgesetzten schwächer ausgeprägten Bandscheibenschäden an der HWS sind nach den Feststellungen des LSG gegeben. Bei der B4-Konstellation ist nach den Konsensempfehlungen der Zusammenhang wahrscheinlich, weshalb die darauf gestützte Feststellung des Vorliegens einer BK 2108 revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden ist, weil gerade insoweit (betreffend die Konstellation B4) wie ausgeführt - keine wissenschaftlich beachtliche Kritik geübt wird, die die Anwendbarkeit dieser Konstellation insgesamt in Zweifel ziehen könnte (vgl zu den Grenzen der revisionsgerichtlichen Erkenntnismöglichkeiten bei der Zugrundelegung der Konsensempfehlungen Senatsurteile vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R sowie B 2 U 10/14 R -, beide zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

41

E. Schließlich hat der Kläger nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts auch sämtliche wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten unterlassen, weshalb die Revision der Beklagten insgesamt zurückzuweisen war.

42

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 31. Januar 2013 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr 2108 (BK 2108) der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).

2

Die 1947 geborene Klägerin war seit 1986 als Beschäftigte einer Garten- und Landschaftsbau GmbH tätig, wobei sie insbesondere bei Anpflanzungsarbeiten im Autobahnbau Bäume und Solitärsträucher mit Ballen mit einem Gewicht von 20 bis 50 kg, manchmal 70 kg, bewegen musste. Im Jahre 2003 beantragte sie bei der Beklagten die Anerkennung einer BK 2108 und gab an, dass sie ihre Tätigkeit wegen Rückenbeschwerden im Sommer 2002 habe aufgeben müssen. Durch Bescheid vom 7.9.2004 stellte die Beklagte fest, dass keine BK nach Nr 2108 der BK-Liste vorliege. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14.12.2004). Durch Urteil vom 19.6.2006 hat das SG die Klage abgewiesen.

3

Das LSG hat nach Durchführung arbeitstechnischer und medizinischer Ermittlungen die Berufung der Klägerin durch Urteil vom 31.1.2013 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klägerin zwar im Zeitraum zwischen 1986 und 2002 einer kumulativen Belastung von 18,5 Meganewtonstunden (MNh), also mehr als dem Lebensdosisrichtwert nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) für Frauen von 17 MNh, ausgesetzt gewesen sei, weshalb die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt seien. Die Klägerin leide auch an einer monosegmentalen bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS in Form eines Bandscheibenprolapses im Segment L5/S1. Es bestehe jedoch keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass diese Erkrankung der LWS durch die Berufstätigkeit zumindest als wesentliche Teilursache hervorgerufen worden sei. Die Spondylose übersteige im Nativröntgenbild entsprechend Ziffer 1.2 A der Konsensempfehlungen (U. Bolm-Audorff et al, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheit 2005/3 S 211, 214 ff) nicht das alterstypische Maß. Daneben liege eine beginnende Chondrose der HWS geringer als an der LWS vor. Damit sei die Konstellation B3 der Konsensempfehlungen gegeben, weil ein monosegmentaler Befund ohne Begleitspondylose vorliege, keine konkurrierenden Ursachenfaktoren ersichtlich seien und keines der in der Konstellation B2 genannten Zusatzkriterien erfüllt sei. Für ein besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen iS der B2-Konstellation ergäben sich aus den Berechnungen des Präventionsdienstes der Beklagten keinerlei Anhaltspunkte. Bei der Klägerin liege auch das weitere Zusatzkriterium der B2-Konstellation der besonders intensiven Belastung mit Erreichen des Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren nicht vor. Unter Zugrundelegung ihrer eigenen Angaben sei eine Belastung iHv maximal 8,42 MNh in einem Zeitraum von zehn Jahren, dh iHv 49,53 % des nach dem MDD angenommenen Richtwertes für die Lebensdosis bei Frauen, nachgewiesen. Die B2-Konstellation sei vom Wortlaut her eindeutig und lasse es nicht zu, einen halbierten Bezugswert statt den in den Konsensempfehlungen bezeichneten Bezugswert von 17 MNh für Frauen zugrunde zu legen. Dass sich ein Konsens dahingehend gebildet hätte, bei monosegmentalen Schadensbildern von Zusatzkriterien abzusehen, sei nicht ersichtlich. Nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft spreche bei der Konstellation B3 deutlich mehr gegen als für einen Zusammenhang zwischen beruflicher Belastung und bandscheibenbedingter Erkrankung der Wirbelsäule.

4

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision eine Verletzung des § 9 Abs 1 SGB VII iVm Nr 2108 der Anlage 1 zur BKV. Die Auffassung des LSG, bei der Konstellation B3 des sog Konsensmodells spreche nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft mehr gegen als für einen Zusammenhang zwischen beruflicher Belastung und bandscheibenbedingter Erkrankung der Wirbelsäule, sei rechtsfehlerhaft. Aus dem Konsensmodell ließen sich für die Konstellation B3 gerade keine Schlussfolgerungen ableiten. Es treffe nicht zu, dass bei einer Reduzierung der Anforderungen an eine besonders intensive Belastung auf die Hälfte des Dosiswertes das Konsensmodell seinen Sinn verliere. Das BSG habe die Dosiswerte halbiert, um den Erkenntnissen der Wirbelsäulenforschung Rechnung zu tragen. Diese habe zu dem Ergebnis geführt, dass bandscheibenbedingte Erkrankungen der Wirbelsäule auch bei Unterschreitung der im MDD vorgeschlagenen Orientierungswerte beruflich verursacht sein könnten. Die Ergebnisse der Deutschen Wirbelsäulen-Studie deuteten darauf hin, dass auch unterhalb des Orientierungswertes nach dem MDD ein erhöhtes Risiko für bandscheibenbedingte Erkrankungen bestehen könnte. Es biete sich an, die Reduzierung des Dosiswerts um die Hälfte im Sinne der Rechtsprechung des BSG aus dem Jahre 2007 auch hier zu übernehmen.

5

Die Klägerin beantragt,

        

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 31. Januar 2013 sowie das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 19. Juni 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 7. September 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2004 aufzuheben und festzustellen, dass bei der Klägerin seit dem 12. März 2003 eine Berufskrankheit nach der Nr 2108 der Anlage 1 zur BKV besteht.

6

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

7

Eine Übertragung der Rechtsprechung des BSG zur Halbierung des Richtwertes für die Gesamtbelastungsdosis auf das Kriterium der Konstellation B2 der Konsensvereinbarungen würde diese insgesamt infrage stellen. Selbst bei einer Halbierung des Richtwertes für die Gesamtbelastungsdosis und einer Übertragung auf das zweitbenannte Kriterium der Konstellation B2 werde dieser Wert durch die Klägerin mit 8,42 MNh nicht erreicht. Anhaltspunkte für ein besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen im Sinne des drittbenannten Kriteriums seien nicht festgestellt worden. Zwar bestehe bei Vorliegen der Konstellation B3 bezüglich der Zusammenhangsbeurteilung kein Konsens, jedoch stimme das Ergebnis des LSG mit der überwiegenden Meinung der Teilnehmer der Arbeitsgruppe sowie der Rechtsprechung überein.

Entscheidungsgründe

8

Die statthafte und zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG), weil die vom LSG festgestellten Tatsachen für eine abschließende Entscheidung durch den Senat nicht ausreichen. Weder lässt sich danach beurteilen, ob der isolierte Bandscheibenvorfall der Klägerin unter Zugrundelegung des neuesten Standes der medizinischen Wissenschaft ohne die in der Konstellation B2 genannten Zusatzkriterien durch schweres Heben- und Tragen verursacht wurde, noch ob die erforderliche Regelmäßigkeit der Einwirkungen gegeben ist.

9

Die erhobenen Klagen sind als Anfechtungsklage gegen die ablehnenden Entscheidungen verbunden mit der auf Feststellung einer BK gerichteten Feststellungsklage zulässig (BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - NZS 2012, 151 ff RdNr 10).

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Der erhobene Anspruch beurteilt sich gemäß § 212 SGB VII nach den Vorschriften des SGB VII, weil nicht ersichtlich ist, dass der Versicherungsfall bereits vor dem Inkrafttreten des SGB VII am 1.1.1997 (Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz vom 7.8.1996, BGBl I 1254) eingetreten sein könnte. Rechtsgrundlage für die Anerkennung der streitigen BK ist § 9 Abs 1 SGB VII iVm Nr 2108 der Anlage 1 zur BKV vom 31.10.1997 (BGBl I 2623), die lautet: "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können". Nach § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind BKen nur diejenigen Krankheiten, die durch die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als solche bezeichnet sind (sog Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist für die Feststellung einer Listen-BK erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) sowie dass eine Krankheit vorliegt (dazu unter A.). Des Weiteren muss die Krankheit durch die Einwirkungen verursacht worden sein (haftungsbegründende Kausalität ). Schließlich ist Anerkennungsvoraussetzung, dass der Versicherte deshalb seine Tätigkeit aufgeben musste sowie alle gefährdenden Tätigkeiten unterlässt. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, ist die BK nicht anzuerkennen (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 17). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK. Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 12; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4, RdNr 16 mwN; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 9/08 R - BSGE 103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr 14, RdNr 9 mwN; zuletzt BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - UV-Recht Aktuell 2012, 412; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - NZS 2012, 151; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 14).

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A.1. Die Klägerin war vom 1.8.1986 bis Sommer 2002 in einer Firma für Garten- und Landschaftsbau als Arbeitnehmerin tätig. Sie war damit als "Beschäftigte" iS von § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII versichert.

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2. Nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) unterlag die Klägerin in diesem Zeitraum bei der Ausübung der Beschäftigung einer kumulativen Einwirkungs-Belastung in Form von Hebe- und Tragevorgängen iHv 18,5 MNh (vgl zur Feststellung der tatbestandlich vorausgesetzten Einwirkung in Form von Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 20/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

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3. Diese Belastungen erfolgten - wie der Tatbestand der BK 2108 voraussetzt - auch langjährig, nämlich von 1986 bis 2002 und damit 16 Jahre. Langjährig bedeutet, dass zehn Berufsjahre als im Durchschnitt untere Grenze der belastenden Tätigkeit zu fordern sind (so wörtlich das aktuelle Merkblatt 2108, BArbBl 2006, Heft 10, S 30, Abschnitt IV; vgl zum Merkmal "langjährig" bei der BK 2109 BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 15; s zur BK 2108 bereits BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 10; BSG vom 22.6.2004 - B 2 U 22/03 R - juris RdNr 25; vgl auch: Römer in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand 08/2012, Anh zu K § 9 Anl zu BKV BK Nr 2108 - 2110 RdNr 7 mwN; Ricke in Kasseler Kommentar, Stand 5/2014, § 9 SGB VII RdNr 42; Mehrtens/Brandenburg, BKV, Stand 12/13, M 2108 Anm 2.2.2).

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4. Nach den weiteren Feststellungen des LSG leidet die Klägerin an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS. Bei ihr liegt im Segment L5/S1 ein altersuntypischer Befund in Form eines Bandscheibenprolapses vor. Darüber hinaus sind keine altersuntypischen Veränderungen auch nicht in Form einer Spondylose vorhanden. An die Feststellung dieses monosegmentalen Befundes ist der Senat mangels zulässiger Rügen gebunden (§ 163 SGG).

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B. Der Senat kann hingegen mangels hinreichender Tatsachengrundlage nicht entscheiden, ob das LSG zu Recht den Ursachenzusammenhang zwischen gefährdenden Einwirkungen iS der BK 2108 und der Bandscheibenerkrankung der Klägerin verneint hat. Für die Anerkennung einer BK ist neben der Kausalität zwischen versicherter Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen (Einwirkungskausalität) ein Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkungen und der Erkrankung erforderlich. Für die umstrittene BK 2108 bedeutet dies, dass die Lendenwirbelsäulenerkrankung der Klägerin durch langjähriges schweres Heben und Tragen bzw Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung im Rahmen ihrer versicherten Tätigkeit verursacht worden sein muss. Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung gilt im Berufskrankheitenrecht, wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung, die Theorie der wesentlichen Bedingung (siehe zum Arbeitsunfall die Entscheidungen des erkennenden Senats vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 34 ff sowie BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37; zu BKen s BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - juris RdNr 32; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 13 sowie - B 2 U 26/04 R - juris RdNr 17), die zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie beruht, nach der jedes Ereignis (jede Bedingung) Ursache eines Erfolges ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Steht die versicherte Tätigkeit als eine der Wirkursachen fest, muss auf der zweiten Stufe die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr sein. Die Wesentlichkeit der Wirkursache ist zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen (zur Theorie der wesentlichen Bedingung: zuletzt eingehend BSG, vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37 f sowie BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1, RdNr 28 ff).

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Vorliegend ist das LSG in durch das Revisionsgericht nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass die Klägerin einer in der Höhe zur Erzeugung des Bandscheibenschadens genügenden Einwirkungsbelastung unterlag (dazu unter 1). Mangels ausreichender Feststellungen kann der Senat jedoch nicht entscheiden, ob die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für eine positive Kausalitätsbeurteilung gegeben sind (dazu unter 2.). Ebenso wenig kann der Senat aufgrund der Feststellungen entscheiden, ob die erforderliche Regelmäßigkeit der wirbelsäulenbelastenden Tätigkeit vorliegt (dazu unter 3).

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1. Unter Zugrundelegung des bindend festgestellten Einwirkungs-Wertes iHv 18,5 MNh ist das LSG ausgehend vom MDD zutreffend davon ausgegangen, dass die versicherten Einwirkungen durch schweres Heben und Tragen, denen die Klägerin unterlag, in der Höhe ausreichten, um einen Bandscheibenschaden zu verursachen. Mit der Heranziehung des MDD zur Bestimmung der für eine Krankheitsverursachung erforderlichen Belastungsdosis folgt das LSG der Rechtsprechung des erkennenden Senats, der seit 2003 (BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 11 ff; BSG vom 19.8.2003 - B 2 U 1/02 R - USK 2003-219 RdNr 15; BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 18 und zuletzt BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - juris RdNr 25) dieses Modell als eine geeignete Grundlage zur Konkretisierung der im Text der BK 2108 mit den unbestimmten Rechtsbegriffen "langjähriges" Heben und Tragen "schwerer" Lasten oder "langjährige" Tätigkeit in "extremer Rumpfbeugehaltung" nur ungenau und allenfalls nur richtungsweisend umschriebenen Einwirkungen angesehen hat. Die auf Grund einer retrospektiven Belastungsermittlung für risikobehaftete Tätigkeitsfelder ermittelten Werte, insbesondere die Richtwerte für die Gesamtbelastungsdosis des MDD sind nicht als Grenzwerte, sondern als Orientierungswerte oder -vorschläge zu verstehen (s zur Handhabung der hälftigen Orientierungswerte als Mindestbelastungswerte BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - juris RdNr 31; BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 25; sowie die Urteile vom 23.4.2015 - B 2 U 20/14 R und B 2 U 10/14 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Für Frauen legt das MDD als Gesamtbelastungsdosis 17 MNh fest, die mit den bindend festgestellten 18,5 MNh sogar überschritten werden, sodass es im hier zu entscheidenden Fall nicht darauf ankommt, ob bereits ein geringerer, ggf hälftiger Wert dieses Orientierungswertes ausreichen würde, um von einem erhöhten Erkrankungsrisiko auszugehen und deshalb auf einzelfallbezogene medizinische Ermittlungen nicht mehr verzichtet werden kann (vgl für Männer BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 25). Es kommt deshalb auch nicht drauf an, ob aufgrund der mittlerweile vorliegenden Ergebnisse der DWS-Richtwertestudie (DWS II; "Erweiterte Auswertung der Deutschen Wirbelsäulenstudie mit dem Ziel der Ableitung geeigneter Richtwerte", Kurztitel: "DWS-Richtwerteableitung", veröffentlicht unter http://www.dguv.de/ifa/Forschung/Projektverzeichnis/ FF-FB_0155A.jsp) eine weitere Absenkung der Orientierungswerte angezeigt ist. Der Senat weist aber in diesem Zusammenhang darauf hin, dass gemäß § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII generelle Voraussetzung für die Einführung eines BK-Tatbestandes die gruppenspezifische Risikoerhöhung gegenüber der Gesamtbevölkerung ist, deren Annahme jedenfalls bei Werten iHv 3 MNh bedenklich erscheint(s nur Kranig, Was schadet den Bandscheiben?, DGUV Forum 2013, Nr 6 S 27, 31; vgl auch LSG Baden-Württemberg vom 25.9.2008 - L 10 U 5965/06 - Breith 2009, 307, RdNr 34 ff).

18

2. Der Senat kann allerdings nicht entscheiden, ob die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für die Bejahung des erforderlichen Ursachenzusammenhangs zwischen gefährdenden Einwirkungen iS der BK 2108 und der Bandscheibenerkrankung der Klägerin, die das Berufungsgericht verneint hat, vorliegen, weil hierfür die Feststellungen des LSG nicht ausreichen. Während die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK zum einen das Vorhandensein der tatbestandlich vorausgesetzten Einwirkungen, zum anderen die potentielle Kausalität zwischen diesen Einwirkungen und einer Erkrankung beinhalten, betreffen die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen ebenfalls zwei Aspekte der Anerkennungsvoraussetzungen, nämlich zum einen das Vorliegen der tatbestandlich vorausgesetzten Krankheit, zum anderen das Vorliegen eines Schadensbildes, welches mit der rechtlich-wesentlichen Verursachung dieser Krankheit durch die beruflichen Einwirkungen zumindest im Einklang steht (Bieresborn, Die Umsetzung der BK 2108 aus sozialrechtlicher Sicht, in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann , Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule" , Frankfurt 2014, S 179, 193, 199). Aus dem Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen kann angesichts der multifaktoriellen Entstehung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 26) nicht automatisch auf das Bestehen der Anspruchsvoraussetzungen der BK 2108 geschlossen werden; vielmehr müssen medizinische Kriterien hinzukommen (BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 19; BSG vom 30.1.2007 - B 2 U 15/05 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4104 Nr 2, RdNr 23; vgl BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 7/05 R - juris RdNr 16 zur BK nach Nr 4302 der Anlage zur BKV; BSG vom 7.9.2004 - B 2 U 34/03 R - juris RdNr 22).

19

Das Berufungsgericht hat in nicht zu beanstandender Weise bei der Bestimmung des maßgeblichen aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands sowohl die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 zugrunde gelegt (dazu unter a) als auch das festgestellte Schadensbild diesen Erkenntnissen zugeordnet, mit dem Ergebnis, dass ein belastungskonformes Schadensbild iS der Konsensempfehlungen nicht vorliegt (dazu unter b). Hingegen ist die Aussage des Berufungsgerichts, in Fällen der B3-Konstellation spreche mehr gegen als für eine Verursachung durch die spezifischen beruflichen Einwirkungen iS der BK 2108 nicht haltbar (dazu unter c). Ob bei der festgestellten Befundkonstellation ein Anspruch auf Anerkennung einer BK 2108 besteht, kann der Senat mangels hinreichender Feststellungen dazu, ob nach dem neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisstand Umstände vorliegen, die ausnahmsweise trotz Fehlens der B2-Zusatzkriterien der Konsensempfehlungen den Verursachungszusammenhang zwischen beruflichen Einwirkungen und LWS-Schaden stützen, nicht entscheiden, weshalb der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen ist (dazu unter d).

20

a) Nicht zu beanstanden ist, dass das LSG die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 (U. Bolm-Audorff et al, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheit 2005/3, S 211, 216 ff, 228 ff) zugrunde gelegt hat. Diese bilden nach Überzeugung des Senats weiterhin den aktuellen Erkenntnisstand ab.Die naturwissenschaftliche Kausalitätsprüfung ist zwar eine der Bindung fähige tatsächliche Feststellung der Instanzgerichte (vgl Heinz in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 163 RdNr 9), jedoch sind nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats die die einzelnen Tatbestandsmerkmale der jeweiligen BK unterfütternden allgemeinen (generellen) Tatsachen, die für alle einschlägigen BK-Fälle gleichermaßen von Bedeutung sind, anhand des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands auch revisionsrechtlich überprüfbar (grundlegend: BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 5/05 R - BSGE 96, 297 = SozR 4-5671 § 6 Nr 2, RdNr 19 sowie BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 23; s auch BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 23; s zur älteren Senatsrechtsprechung, wonach diesbezügliche Feststellungen dem Anwendungsbereich des § 163 SGG zugerechnet wurden: BSG vom 2.5.2001 - B 2 U 16/00 R - SozR 3-2200 § 551 Nr 16 S 83 = SozR 3-2700 § 9 Nr 4 = SozR 3-5670 Anl 1 Nr 2108 Nr 4, juris RdNr 28; BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 15, jeweils mwN). Dies muss zunächst jedenfalls immer dann gelten, wenn diese - wie hier - zulässig gerügt werden (vgl BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - juris RdNr 15; s zur Problematik der Überprüfung von allgemeinen Tatsachen auf ihre offensichtliche Unrichtigkeit auch das Urteil des Senats vom 23.4.2015 - B 2 U 10/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Inwieweit in der Rechtsprechung anderer Senate des BSG (zur Überprüfung sog "genereller Tatsachen" in der sonstigen Rechtsprechung des BSG vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 163 RdNr 7 sowie speziell im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung BSG vom 16.6.1999 - B 1 KR 4/98 R - BSGE 84, 90, 94 = SozR 3-1500 § 163 Nr 7, juris RdNr 17 sowie BSG vom 12.8.2009 - B 3 KR 10/07 R - BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 27 und zuletzt BSG vom 12.9.2012 - B 3 KR 10/12 R - BSGE 112, 15 = SozR 4-2500 § 137 Nr 1, RdNr 55; s zu "Rechtstatsachen" BSG vom 25.10.1994 - 3/1 RK 57/93 - SozR 3-1500 § 163 Nr 5, juris RdNr 27, zu "allgemeinkundigen Tatsachen historischer Natur" BSG vom 7.2.1985 - 9a RV 5/83 - BSGE 58, 38, 42 = SozR 3100 § 5 Nr 7, juris RdNr 17 sowie zu "gerichtskundigen Tatsachen" BSG vom 27.1.1977 - 7 RAr 16/75 - BSGE 43, 124, 127 = SozR 4100 § 41 Nr 28, juris RdNr 30) eine solche Überprüfung genereller Tatsachen erfolgt, kann hier dahinstehen. Denn jedenfalls im Bereich des Rechts der BKen hat das BSG aufgrund der in den Normtexten der jeweiligen BKen in der Anlage zur BKV regelmäßig vertypisierten wissenschaftlichen Aussagen die Existenz der einschlägigen Erfahrungssätze selbst festzustellen. Das über das Vorliegen von BKen befindende Gericht muss sich folglich Klarheit darüber verschaffen, welches in der streitigen Frage der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ist. Die heranzuziehenden Quellen, Fachbücher, Standardwerke, Merkblätter des zuständigen Ministeriums, Begründungen des Sachverständigenbeirats, Konsensempfehlungen etc hat das jeweilige Gericht eigenständig kritisch zu würdigen und auf ihre Aktualität hin ggf durch Sachverständige zu überprüfen (vgl BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 100/12 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 24 RdNr 18; BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 68 f; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 20; vgl auch BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 20; Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17 mwN).

21

Hierbei ist zunächst die Zugrundelegung der Konsensempfehlungen durch das LSG als Orientierungshilfe bei der Beurteilung, ob der Bandscheibenschaden der Klägerin nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand durch die festgestellten beruflichen Einwirkungen verursacht wurde, revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Denn die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 sind nach wie vor eine hinreichende Grundlage für die Bestimmung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands, wie der Senat zuletzt 2009 klargestellt hat (BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - juris RdNr 15). Seitdem wurden zwar in Folge der Veröffentlichung der DWS II Fachaufsätze publiziert, die Zweifel an den Aussagen auch der Konsensempfehlungen äußern. Weder aus der DWS II noch den sonstigen Veröffentlichungen ist jedoch zu entnehmen, dass die Erkenntnisse der Konsensarbeitsgruppe aus dem Jahre 2005 gerade hinsichtlich der hier zugrunde gelegten Befundkonstellation inzwischen veraltet sein könnten. Sofern vertreten wird, dass inzwischen die Ergebnisse der DWS II die wesentlichen Grundannahmen aus den Konsenskriterien widerlegten, etwa weil die bisher angenommenen Einwirkungsgrößen zu hoch seien, die Lokalisation und Häufigkeit der Verteilung von Bandscheibenschäden zu 96 % mit denen der Normalbevölkerung identisch sei, die Auswertungen der DWS II keine deutliche Abhängigkeit der Begleitspondylose von der MDD-Gesamtbelastungsdosis gezeigt habe oder Schäden an der HWS keine Aussagekraft zur Verursachung von LWS-Schäden hätten (M. Kentner und K. Frank, Kommentar zur DWS-Richtwertestudie und Implikationen hinsichtlich BK 2108 - Biomechanik vs. Pathophysiologie, Manuskript, erscheint in ASUMed 8/2015); Linhardt/Grifka, Auswirkungen der Deutschen Wirbelsäulenstudie auf die Berufskrankheit der Lendenwirbelsäule , MedSach 111 <2015>, 20, 21; Bergmann, Bolm-Audorff, Ditchen, Ellegast, Haerting, Kersten, Jäger, Skölziger, Kuß, Morfeld, Schäfer, Seidler, Luttmann, Lumbaler Bandscheibenvorfall mit Radikulärsyndrom und fortgeschrittene Osteochondrose, ZblArbeitsmed 2014, 233 - 238) handelt es sich erkennbar um wissenschaftliche Einzelmeinungen.

22

Die zitierten Publikationen setzen sich zum einen jeweils inhaltlich nicht mit der grundsätzlichen Kritik an der angewandten Methodik der Nachuntersuchung auseinander (s nur Grosser, Ergebnisse der Konsensusarbeitsgruppe zur Begutachtung der BK 2108 - Status quo und Konsequenzen aus der DWS, in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann, Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule" , Frankfurt 2014, S 84 - 104; Zagrodnik, Fragliche Belastungsdosis, DGUV Forum 2014, Nr 7/8 S 10 - 13), zum anderen schöpfen sie ihre Kritik an den Aussagen der Konsensempfehlungen alleine aus den Ergebnissen der DWS II, und wenden sich im Wesentlichen gegen die Bestimmung und Höhe der Einwirkungsgrößen, nicht aber gegen die Grundaussage der Konsensempfehlungen, dass Bandscheibenschäden aufgrund beruflich erworbener Druckbelastungs-Dosen entstehen können. Der Senat verkennt nicht, dass ein wissenschaftlicher Erkenntnisstand auch dadurch erschüttert werden kann, dass grundlegende und fundierte Zweifel seitens der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler diesem den Boden entziehen, ohne dass sich diese in ihrer Mehrheit auf einen neuen Konsens geeinigt hätten. Einzelne Gegenstimmen sind demgegenüber nicht geeignet, einen einmal gebildeten und sich in schriftlichen Beurteilungskriterien manifestierenden wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu erschüttern, solange nicht die daran beteiligten Autoren in ihrer Mehrheit diesen Konsens in wesentlichen Punkten aufkündigen oder eine (zumindest teilweise) personell anders zusammengesetzte große Mehrheit von mit dieser Materie befassten Fachwissenschaftlern diesem Konsens entgegentritt.

23

b) Sofern das LSG davon ausgeht, dass bei der Klägerin keine Befundkonstellation besteht, für die die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 eine Anerkennungsempfehlung aussprechen, ist dies ebenfalls nicht zu beanstanden. So wie der erkennende Senat im Recht der BKen nicht gehindert ist, den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu Verursachungszusammenhängen festzustellen, ist er ebenso wenig gehindert, die korrekte Zuordnung des Sachverhalts seitens des Berufungsgerichts unter diesen einschlägigen Erkenntnisstand zu überprüfen. Dies gilt umso mehr, wenn dieser in Konsensempfehlungen verdichtet ist. Bei diesen handelt es sich freilich nicht um einen normativen Text oder ein antizipiertes Sachverständigengutachten, weil die Konsensempfehlungen weder vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber erlassen noch von unabhängigen und der Neutralität verpflichteten Autoren verfasst wurden (P. Becker, ASUMed 2009, 592, 595). Daher sind sie für Verwaltung, Gerichte oder Gutachter auch nicht unmittelbar verbindlich (Siefert, ASR 2011, 45, 48) und es verbietet sich deren Auslegung unter strikter Anwendung der Regeln der juristischen Methodenlehre (vgl Bieresborn, Die Umsetzung der BK 2108 aus sozialrechtlicher Sicht aaO; S 199).Konsensempfehlungen dienen lediglich zur Erleichterung der Beurteilung im Einzelfall, um typische Befundkonstellationen im Hinblick auf die Kausalbeziehungen unter Zugrundelegung des aktuell wissenschaftlichen Erkenntnisstandes einordnen zu können (Duell, Kranig, Palfner, BK-Begutachtungsempfehlungen - Wissen von Experten für Experten, DGUV Forum 2012, Nr 4 S 14, 16). Andererseits muss bei diesem Erkenntnisvorgang überprüfbar bleiben, ob das LSG nach allgemeinem Verständnis den von ihm festgestellten Sachverhalt (noch) vertretbar den in den Konsensempfehlungen aufgeführten Kategorien zugeordnet hat.

24

Nicht zu beanstanden ist im Rahmen des soeben aufgezeigten Prüfumfangs jedenfalls die Aussage des LSG, dass bei der Klägerin keine Befundkonstellation besteht, für die die Konsensempfehlungen eine Anerkennungsempfehlung aussprechen. Für sämtliche B-Konstellationen wird dort vorausgesetzt, dass die (gesicherte) bandscheibenbedingte Erkrankung nach ihrer Lokalisation die Segmente L5/S1 und/oder L4/L5 betrifft und eine Ausprägung als Chondrose Grad II oder höher und/oder als Vorfall hat. Sofern zusätzlich eine Begleitspondylose besteht (Befundkonstellation B1) gilt der Zusammenhang als wahrscheinlich. Liegt hingegen - wie hier nach den bindenden Feststellungen des LSG - keine Begleitspondylose vor, so wird der Zusammenhang nach den Konsensempfehlungen ua dann als wahrscheinlich betrachtet, wenn eine Höhenminderung und/oder ein Prolaps an mehreren Bandscheiben besteht (Befundkonstellation "B2" 1. Spiegelstrich 1. Alt). Alternativ müssen bei nur monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 im MRT in mindestens zwei angrenzenden Segmenten "black discs" vorliegen (Befundkonstellation "B2" 1. Spiegelstrich, 2. Alt). Als weitere Alternativen genügt für die Konstellation B2 entweder das Bestehen einer besonders intensiven Belastung, wobei hierfür als "Anhaltspunkt" das Erreichen des "Richtwertes für die Lebensdosis" in weniger als 10 Jahren (Befundkonstellation "B2" 2. Spiegelstrich), oder ein besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen, wofür als "Anhaltspunkt" das Erreichen der Hälfte des "MDD-Tagesdosis-Richtwertes" durch hohe Belastungsspitzen (Frauen ab 4 1/2 kN) verlangt wird (Befundkonstellation "B2" 3. Spiegelstrich). Nach den bindenden, weil nicht mit zulässigen Rügen angegriffenen Feststellungen des LSG liegen die tatsächlichen Voraussetzungen keiner dieser Alternativen der Befundkonstellation B2 vor. Insbesondere hat das LSG bei fehlender Begleitspondylose lediglich einen - keinesfalls ausreichenden - monosegmentalen Befund sowie das Fehlen von black discs in zwei benachbarten Segmenten festgestellt. Es kommt daher für den vorliegenden Fall nicht darauf an, ob als "Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben" (Befundkonstellation "B2" 1. Spiegelstrich, 1. Alt) auch ein bisegmentaler Befund ausreichen würde (so LSG Sachsen vom 21.6.2010 - L 2 U 170/08 LW - juris, das Gegenstand des Urteils des erkennenden Senats vom 23.4.2015 - B 2 U 10/14 R - ist; anders Hessisches LSG vom 27.3.2012 - L 3 U 81/11 - juris). Auch kommt es im vorliegenden Fall nicht darauf an, ob im Rahmen der Anwendung der Befundkonstellation B2 2. Spiegelstrich für die dort erwähnte "Lebensdosis" das Erreichen der hälftigen MDD-Dosis genügt (vgl ebenfalls das Urteil des erkennenden Senats vom 23.4.2015 - B 2 U 10/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, in dem der Senat im Ergebnis die dahingehende Interpretation der Konsensempfehlungen durch das LSG als nicht offensichtlich falsch angesehen hat).

25

Das LSG hat freilich im vorliegenden Fall für den Senat bindend (§ 163 SGG) eine Belastung durch schweres Heben und Tragen innerhalb von 10 Jahren von maximal 8,42 MNh und damit nur iHv 49,53 % des nach dem MDD angenommenen Richtwertes für die Lebensdosis bei Frauen festgestellt, womit selbst der hälftige MDD-Wert nicht erreicht wurde. Anhaltspunkte dafür, dass auf Grundlage des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands die rechtlich wesentliche Verursachung eines monosegmentalen Bandscheibenprolaps im Segment L5/S1 durch die in der BK 2108 genannten Einwirkungen bei Erreichen einer Gesamtbelastungsdosis iHv 8,42 MNh in einem Zeitraum von 10 Jahren ohne die sonstigen Zusatzerfordernisse der B2-Konstellation als hinreichend wahrscheinlich angenommen werden könnte, sind dem Senat nicht bekannt. Das LSG ist jedenfalls diesbezüglich bei Anwendung der Konsensempfehlungen weder von einem erkennbar falschen medizinischen Erfahrungssatz ausgegangen, noch hat es einen dem Senat bekannten oder vorgetragenen vorhandenen Erfahrungssatz nicht angewandt, als es unter Zugrundelegung der B3-Konstellation das Vorliegen einer mit einer Anerkennungsempfehlung konsentierten Befundkonstellation nach den Konsensempfehlungen verneint hat (vgl hierzu insbesondere das Urteil des Senats vom 23.4.2015 - B 2 U 10/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, sowie BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 27).

26

c) Soweit die Klägerin allerdings geltend macht, das LSG habe bei der Ablehnung des Ursachenzusammenhangs die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) überschritten, weil es davon ausgegangen ist, bei Vorliegen der Konstellation B3 spreche deutlich mehr gegen als für den Zusammenhang zwischen beruflicher Belastung und bandscheibenbedingter Erkrankung, hat sie zulässig und zutreffend die Anwendung eines nicht existierenden Erfahrungssatzes gerügt. Ein solcher Erfahrungssatz, wie ihn das LSG angenommen hat, ist nicht allgemeinkundig oder dem Senat gerichtsbekannt. Soweit weder eine Begleitspondylose noch eines der zuvor genannten Zusatzkriterien der Konstellation B2 vorliegen und keine konkurrierenden Faktoren erkennbar sind, war die Einschätzung des Zusammenhangs durch die Arbeitsgruppenteilnehmer der Konsensarbeitsgruppe offensichtlich unterschiedlich und es wurde folglich auch keine Anerkennungsempfehlung ausgesprochen (U. Bolm-Audorff et al, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheit 2005/3, S 211, 221 f).Dieser fehlende Konsens in der Arbeitsgruppe kann aber nicht so gedeutet werden, dass damit eine Anerkennung des Verursachungszusammenhangs im Einzelfall unmöglich wäre. Zwar wird die Schlussfolgerung des LSG häufig zutreffen, jedoch ist die vom LSG zugrunde gelegte generelle Aussage wissenschaftlich nicht belegt, so dass es im Einzelfall nicht ausgeschlossen und dementsprechend jeweils erst im Rahmen der Amtsermittlung festzustellen ist, ob individuelle, dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechende Umstände vorliegen, die im konkreten Einzelfall den Ursachenzusammenhang als hinreichend wahrscheinlich erscheinen lassen(BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 52). Dies lässt sich anhand der tatsächlichen Feststellungen des LSG indes nicht beurteilen, das - von seiner Rechtsansicht her konsequent - die Ermittlungen bereits mit der Bejahung der Konstellation B3 beendet hat. Das LSG wird daher erst zu ermitteln haben, ob es einen nach dem neuesten Stand der medizinischen Wissenschaft anerkannten Erfahrungssatz gibt, nach dem isolierte Bandscheibenvorfälle ohne die in der Konstellation B2 genannten Zusatzkriterien durch schweres Heben und Tragen verursacht werden können.

27

3. Für den Fall, dass ein solcher Erfahrungssatz feststellbar ist, wird das LSG auch weitere Feststellungen dazu treffen müssen, ob die erforderliche Regelmäßigkeit der Einwirkungen gegeben ist. Die von der Klägerin während ihrer Berufstätigkeit ausgeführten Hebe- und Tragevorgänge erfolgten in der Regel bei saisonbedingten Anpflanzungstätigkeiten, ohne dass sich der zeitliche Umfang bzw die Häufigkeit dieser Tätigkeiten den Urteilsgründen entnehmen lässt. Die Regelmäßigkeit der Einwirkung durch Heben und Tragen bzw Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung ist kein geschriebenes Tatbestandsmerkmal der BK 2108, sondern lässt sich als Bestandteil der arbeitstechnischen Voraussetzungen dem Merkblatt 2006 (BArbBl 2006 Nr 10, S 30 ff, Abschnitt IV) entnehmen. Hintergrund ist, dass bei nicht regelmäßiger Belastung den Bandscheiben genügend Zeit zur Regeneration bleibt und deshalb keine Ursächlichkeit zwischen Druckbelastung und Schädigung besteht. Hierfür reicht es aber aus, dass die wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten in der ganz überwiegenden Anzahl der Arbeitsschichten erfolgten, ohne dass eine genaue Zeitgrenze pro Arbeitsschicht genannt werden kann. Vorausgesetzt wird, dass der Betroffene mindestens 60 Schichten im Jahr mit relevanter Wirbelsäulenbelastung ausgesetzt war. Wie bei der Belastungsdauer können geringere oder fehlende Einwirkungen in einer Arbeitsschicht durch stärkere oder länger dauernde Belastungen in anderen Schichten ausgeglichen werden (zum Verzicht auf eine Mindesttagesdosis bei BK 2108 auch BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 24; Römer in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand 08/2012, Anh zu K § 9 Anl zu BKV BK Nr 2108 - 2110 RdNr 11a, sowie zur BK 2109: BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 15). In tatsächlicher Hinsicht hat das LSG insoweit nur festgestellt, dass die wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten im genannten Umfang insbesondere bei Anpflanzungsarbeiten an der Autobahn erfolgt sind. Insoweit wird das LSG ggf die Feststellung nachzuholen haben, ob diese Anpflanzungsarbeiten mindestens 60 Schichten umfassten, oder ob die Klägerin weitere diesen Kriterien entsprechende wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten ausführte.

28

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. September 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger unter Anerkennung einer "mittelgradigen depressiven Störung" als Unfallfolge ab 1.3.1998 Verletztenrente nach einer MdE um 30 vH zu zahlen ist.

2

Der Kläger war ab August 1995 als Gepäckabfertiger bei der damaligen Flughafen AG beschäftigt. Am 13.1.1997 wurde er bei der Ausübung der Beschäftigung zwischen einem Containertransporter sowie einem Gepäckcontainer-Anhänger eingeklemmt. Dadurch wurden sein dritter Finger links und sein Kniegelenk links gequetscht. Folgen dieser Verletzungen lagen über den 18.7.1997 hinaus nicht mehr vor.

3

Der Kläger wurde wegen des Unfalls zunächst ambulant, wegen anhaltender Beschwerden im linken Kniegelenk ab April 1997 in einer Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik stationär behandelt. Danach wurde eine Arbeitserprobung durchgeführt, die wegen gesundheitlicher Beschwerden abgebrochen wurde.

4

Anschließend fand eine Vielzahl von Behandlungen statt, die bis November 1999 überwiegend durch Durchgangsärzte erfolgten und im Auftrag und zulasten der Beklagten durchgeführt wurden. Diese Maßnahmen zur Diagnose und zur Heilbehandlung waren aber rückwirkend betrachtet nur zum Teil durch die Unfallfolgen bedingt. Zum anderen Teil beruhten sie auf unfallunabhängigen Vorschäden am linken Kniegelenk.

5

Der Kläger befand sich unter der Diagnose einer chronifizierten Depression ab März 1998 bei einer Diplom-Psychologin und ab April 1998 bei einem Psychiater in Behandlung. Vom 8.9. bis 3.10.1998 fand eine stationäre Behandlung in einer Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie statt, wo eine Angstneurose mit Panikattacken sowie eine Störung der Impulskontrolle diagnostiziert wurden.

6

Die Beklagte bewilligte dem Kläger einen ersten Vorschuss auf die voraussichtlich zu zahlende Verletztenrente (Vorschussbescheid vom 8.9.1998). Weitere Vorschusszahlungen folgten. Die Beklagte lehnte zunächst dennoch die "Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung über den 18.7.1997 hinaus" ab (Bescheid vom 27.9.2002). Den hiergegen vom Kläger erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 11.3.2005 zurück. Später bewilligte und zahlte die Beklagte dem Kläger rückwirkend und durchgängig vom Unfalltag bis zum 30.9.2002 Verletztengeld.

7

Das SG Gießen hat die Beklagte durch Urteil vom 3.7.2008 verurteilt, dem Kläger unter Anerkennung einer mittelgradigen depressiven Störung als Folge des Arbeitsunfalls ab 19.7.1997 Verletztenrente nach einer MdE um 30 vH zu zahlen.

8

Das Hessische LSG hat der Berufung der Beklagten insoweit stattgegeben, als die Verletztenrente erst am 1.3.1998 beginne, und sie im Übrigen zurückgewiesen (Urteil vom 26.9.2011). Bei dem Kläger liege eine dauerhafte psychische Erkrankung im Sinne einer chronifizierten depressiven Episode vor. Diese sei in "rechtlich-wesentlichem Umfang" durch den Verlauf der Heilbehandlung der unmittelbaren körperlichen Verletzungen aufgrund des Arbeitsunfalls verursacht worden. Die Heilbehandlung sei zwar rückwirkend betrachtet durch erhebliche degenerative Vorschäden bedingt gewesen. Für die Zurechnung mittelbarer Unfallfolgen komme es aber nicht darauf an, dass die Maßnahmen der Heilbehandlung von der Beklagten angeordnet worden seien. Vielmehr reiche es für die Zurechnung im Rahmen des § 11 Abs 1 SGB VII aus, wenn der Unfallversicherungsträger oder der ihm rechtlich zuzuordnende Durchgangsarzt bei seinem Handeln den objektivierbaren Anschein oder den Rechtsschein gesetzt habe, dass die Behandlung oder Untersuchung zur berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung oder zur Untersuchung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls angeordnet werde und der Versicherte der Auffassung sein könne, dass die Heilbehandlung geeignet sei, die Unfallfolgen zu bessern oder zu beseitigen.

9

Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und rügt die Verletzung der §§ 11 Abs 1, 56 Abs 1, 72 Abs 1 sowie 74 Abs 2 SGB VII. Das LSG habe durch seine Auslegung § 11 Abs 1 SGB VII verletzt, da als Ursache der Erkrankung letztlich nicht die Durchführung einer Heilbehandlung oder eine Untersuchung zur Klärung des Versicherungsfalls gesehen werde, sondern vielmehr die Art und Weise des Ablaufs der Heilbehandlung, die - jedenfalls aus Sicht des Klägers - zu Problemen geführt habe. Die Zurechnung zu den Unfallfolgen dürfe nicht aufgrund der subjektiven Einschätzung des Klägers erfolgen, weil dieser die Maßnahmen aus seiner Sicht für undurchschaubar halte und sich durch Zuständigkeitsfragen zwischen Ärzten oder Trägern belastet fühle. Unsicherheiten, die aus dem Wechsel der behandelnden Ärzte oder deren Diagnosestellung herrührten, seien aber durch § 11 SGB VII nicht geschützt. Das LSG habe auch weder festgestellt, dass die Maßnahmen zulasten des Unfallversicherungsträgers angeordnet worden seien, noch festgestellt, dass es sich um die Behandlung von Unfallfolgen gehandelt habe, noch dass diese durchgangsärztlich zu ihren Lasten angeordnet worden seien. Darüber hinaus verletze die Festlegung des Rentenbeginns durch das LSG §§ 72 Abs 1, 74 Abs 2 SGB VII, da dem Kläger rückwirkend bis einschließlich 30.9.2002 Verletztengeld gezahlt worden sei. Das Urteil beruhe zudem auf Verfahrensfehlern (Verletzung von §§ 62, 103 SGG).

10

Die Beklagte beantragt,

        

die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. September 2011 und des Sozialgerichts Gießen vom 3. Juli 2008 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

11

Der Kläger beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

12

Er hält das Urteil des LSG für zutreffend. Insbesondere handele es sich bei der diagnostizierten mittelgradigen Depression um eine mittelbare Unfallfolge iS des § 11 SGB VII.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision der Beklagten ist zulässig und im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung des angefochtenen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung durch das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

14

In dem Rechtsstreit wegen Feststellung einer Unfallfolge und Zahlung einer Verletztenrente nach einer MdE um 30 vH (1.) kann der Senat auf der Grundlage der vom LSG getroffenen Feststellungen nicht entscheiden, ob und ggf welche psychischen Gesundheitsstörungen gemäß § 8 Abs 1 SGB VII unmittelbar durch den Arbeitsunfall wesentlich verursacht worden sind (2. a>) oder ob und ggf welche psychischen Gesundheitsstörungen als mittelbare Unfallfolgen iSd § 11 Abs 1 SGB VII festzustellen sind (2. b>). Es kann auch nicht abschließend beurteilt werden, ob ein Anspruch auf Verletztenrente iSd § 56 Abs 1 SGB VII besteht (3. a>). Soweit das LSG erneut zu dem Ergebnis gelangen sollte, dass ein Anspruch auf Verletztenrente gegeben ist, kann ein solcher gemäß § 72 Abs 1 SGB VII nicht für Zeiten vor dem 1.10.2002 bestehen (3. b>).

15

1. Die Beklagte wendet sich mit der Revision gegen das Urteil des LSG, mit dem dieses die Berufung gegen das den Anfechtungsklagen wegen der ablehnenden Verwaltungsakte in den Bescheiden der Beklagten (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG), den Klagen auf Feststellung einer chronifizierten depressiven Episode als Unfallfolge (§ 55 Abs 1 Nr 3 SGG) sowie auf Zahlung einer Verletztenrente (§ 54 Abs 4 SGG)nach einer MdE um 30 vH stattgebende Urteil des SG im Wesentlichen bestätigt hat. Der Senat kann nicht abschließend entscheiden, ob das LSG Bundesrecht verletzt hat, da dessen tatsächliche Feststellungen keine abschließende Beurteilung der geltend gemachten Ansprüche erlauben.

16

Die Beklagte hat (spätestens) in dem angefochtenen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides festgestellt, dass der Kläger am 13.1.1997 einen Arbeitsunfall mit den Gesundheitserstschäden am dritten Finger links und am Kniegelenk links erlitten hat. Daher richten sich dessen Anfechtungsklagen gegen die Ablehnung eines Anspruchs auf Feststellung einer chronifizierten depressiven Episode als Unfallfolge und die Ablehnung eines Rechts auf Verletztenrente.

17

Mit der Feststellungsklage nach § 55 Abs 1 Nr 3 SGG kann der Kläger den behaupteten materiellen Anspruch auf Feststellung der Unfallfolge durchsetzen, ohne dass er daran durch seine Befugnis zur Erhebung einer Verpflichtungsklage gehindert wäre. Denn er kann zwischen beiden Rechtsschutzformen wählen, weil sie, soweit um Ansprüche auf Feststellung von Unfallfolgen (oder Versicherungsfällen) gestritten wird, grundsätzlich gleich rechtsschutzintensiv sind (vgl BSG Urteil vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274, RdNr 12 f). Für das Begehren auf Verletztenrente hat er die Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs 4 SGG zulässig mit der unechten Leistungsklage auf Gewährung einer Verletztenrente kombiniert.

18

2. Nach § 102 SGB VII haben die Versicherten gegen den zuständigen Unfallversicherungsträger einen Anspruch auf Feststellung einer Unfallfolge (oder eines Versicherungsfalls), wenn ein Gesundheitsschaden durch den Gesundheitserstschaden eines Versicherungsfalls oder infolge der Erfüllung eines Tatbestandes des § 11 SGB VII rechtlich wesentlich verursacht wird. Der Gesundheitsschaden muss sicher feststehen (Vollbeweis) und durch Einordnung in eines der gängigen Diagnosesysteme (zB ICD-10, DSM IV) unter Verwendung der dortigen Schlüssel exakt bezeichnet werden.

19

a) Es steht schon nicht sicher fest, welche Gesundheitsstörung bei dem Kläger genau vorliegt.

20

Zwar steht aufgrund der Feststellungen des LSG fest, dass auf "orthopädisch/chirurgischem und neurologischem" Fachgebiet über den 18.7.1997 hinaus keine Folgen des Arbeitsunfalls vom 13.1.1997 vorliegen. Das LSG hat aber nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit festgestellt, welche psychische Gesundheitsstörung beim Kläger vorliegt, denn die Bezeichnung der Erkran-kung im Tenor weicht von derjenigen in den Gründen ab. Nach den Gründen der Entscheidung liegt beim Kläger eine mittelgradige depressive Episode nach "F 33.1" des ICD-10 vor. Im Tenor hat das LSG dagegen als Unfallfolge eine "mittelgradige depressive Störung" festgestellt.

21

b) Der Senat kann auch nicht abschließend beurteilen, ob eine ggf vorliegende mittelgradige depressive Episode iSv F 33.1 ICD-10 "infolge" des Versicherungsfalls besteht.

22

Das LSG hat nicht geprüft, ob die psychische Gesundheitsstörung eine solche iSd § 8 Abs 1 SGB VII ist. Das wäre anzunehmen, wenn sie unmittelbar durch den beim Versicherungsfall ausgelösten Gesundheitserstschaden verursacht worden ist. Die genau zu bezeichnende Gesundheitsstörung ist also als Unfallfolge festzustellen, wenn im wieder eröffneten Berufungsverfahren festzustellen ist, dass zwischen dem beim Arbeitsunfall vom 13.1.1997 eingetretenen Erstschaden und der psychischen Gesundheitsstörung ein unmittelbarer und rechtlich wesentlicher Ursachenzusammenhang besteht (haftungsausfüllende Kausalität).

23

c) Der Senat kann schon mangels Klarheit über das Vorliegen einer unmittelbaren Unfallfolge auch nicht abschließend entscheiden, ob die psychische Störung dem Versicherungsfall vom 13.1.1997 nach § 11 SGB VII als mittelbare Unfallfolge zuzurechnen ist. Das wird das LSG bei Verneinung einer unmittelbaren Unfallfolge aber zu prüfen haben.

24

Nach § 11 Abs 1 Nr 1 und 3 SGB VII sind Folgen eines Versicherungsfalls auch solche Gesundheitsschäden oder der Tod eines Versicherten, die durch die Durchführung einer Heilbehandlung nach dem SGB VII oder durch Maßnahmen wesentlich verursacht wurden, welche zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls angeordnet wurden. Diese Vorschrift regelt, dass auch solche Gesundheitsschäden, die durch die Erfüllung der in ihr umschriebenen Tatbestände wesentlich verursacht werden, dem Versicherungsfall rechtlich zugerechnet werden. Diese mittelbaren Folgen müssen - anders als nach § 8 Abs 1 SGB VII - nicht durch den Gesundheitserstschaden verursacht worden sein(vgl BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 mwN).

25

Mit dieser Entscheidung hat der Senat seine Rechtsprechung zum früheren Recht fortgeführt. Bereits für die Bejahung des nach § 555 Abs 1 RVO erforderlichen ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Arbeitsunfall und der Heilbehandlung genügte es, dass der Verletzte, der einen Arbeitsunfall erlitten hat, von seinem Standpunkt aus der Auffassung sein konnte, dass die Heilbehandlung, zu deren Durchführung er sich begeben hat, geeignet ist, der Beseitigung oder Besserung der durch den Arbeitsunfall verursachten Gesundheitsstörungen zu dienen. Schon zu jener Vorschrift hat das BSG entschieden, dass es nicht erforderlich ist, dass die Heilbehandlung wegen Folgen des Arbeitsunfalls objektiv geboten war (BSG vom 24.6.1981 - 2 RU 87/80 - BSGE 52, 57, 58 = SozR 2200 § 555 Nr 5).

26

Hieran ist mit der Maßgabe festzuhalten, dass § 11 Abs 1 SGB VII nun darauf abstellt, dass die Mitwirkung an einer vom Träger angeordneten ärztlichen Maßnahme sich auch dann als versichert erweist, wenn sich später herausstellt, dass in Wirklichkeit kein Versicherungsfall vorlag. Allerdings setzt die Zurechnung eines Gesundheitsschadens, der rechtlich wesentlich durch eine iSv § 11 Abs 1 SGB VII vom Unfallversicherungsträger angeordnete Maßnahme verursacht wurde, die bisherige Rechtsprechung eingrenzend voraus, dass der Träger oder seine Leistungserbringer gegenüber dem durch die Verrichtung einer bestimmten versicherten Tätigkeit Versicherten durch (festgestellte) Handlungen den Anschein begründet haben, die Behandlungs- oder Untersuchungsmaßnahme erfolge zur Behandlung von Unfallfolgen (oder zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalles oder einer Unfallfolge). Hieran hält der Senat auch im Hinblick auf die an seiner Rechtsprechung geäußerte Kritik (vgl Gundolf Wagner in juris PraxisReport 9/12 Anm 2) fest (wie der Senat wohl auch Krasney, in Becker ua, Kommentar zum SGB VII, § 11 RdNr 15; aA auch Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 11 RdNr 3; G. Wagner in jurisPK-SGB VII, § 11 RdNr 15; Holtstraeter in K/S/W, Kommentar zum Sozialrecht, § 11 SGB VII RdNr 2; Rapp in LPK-SGB VII, § 11 RdNr 1; Schmitt, SGB VII, 4. Aufl 2009, § 11 RdNr 4; Schwerdtfeger in Lauterbach, UV-SGB VII, Stand April 2007, § 11 SGB VII RdNr 4).

27

Auch die Prüfung des Ursachenzusammenhangs zwischen einer Gesundheitsstörung und einer der nach § 11 Abs 1 SGB VII tatbestandlichen Maßnahmen erfolgt nach der Theorie der wesentlichen Bedingung. Dabei ist auf einer ersten Prüfungsstufe zu fragen, ob der Versicherungsfall eine naturwissenschaftlich-philosophische Bedingung für den Eintritt der Gesundheitsstörung ist. Dabei ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nach den einschlägigen Erfahrungssätzen nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (aa). Wenn festzustellen ist, dass der Versicherungsfall eine (von möglicherweise vielen) Bedingungen für den Erfolg - hier die psychische Störung - ist, ist auf der ersten Prüfungsstufe weiter zu fragen, ob es für den Eintritt des Erfolgs noch andere Ursachen iS der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie gibt (bb); das können Bedingungen aus dem nicht versicherten Lebensbereich wie zB Vorerkrankungen, Anlagen, nicht versicherte Betätigungen oder Verhaltensweisen sein (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 15). Erst wenn sowohl der Versicherungsfall als auch andere Umstände als Ursachen des Gesundheitsschadens feststehen, ist auf einer zweiten Prüfungsstufe rechtlich wertend zu entscheiden, welche der positiv festzustellenden adäquaten Ursachen für die Gesundheitsstörung die rechtlich "Wesentliche" ist (cc). Dasselbe gilt für die Frage, ob eine MdE vorliegt und im Wesentlichen durch Unfallfolgen verursacht wurde.

28

aa) Der Senat kann nicht entscheiden, ob die Erkrankung des Klägers eine mittelbare Unfallfolge nach § 11 Abs 1 Nr 1 oder Nr 3 SGB VII ist oder keine Unfallfolge war.

29

Ob sich eine medizinische Maßnahme als Durchführung einer Heilbehandlung (§ 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII) oder als Maßnahme zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls (§ 11 Abs 1 Nr 3 SGB VII)durch die Beklagte darstellt, beurteilt sich danach, wie der Versicherte ein der Beklagten zuzurechnendes Verhalten bei verständiger Würdigung der objektiven Gegebenheiten zum Zeitpunkt ihrer Durchführung verstehen kann und darf (vgl BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274, RdNr 43).

30

Ob der Kläger zum Zeitpunkt der jeweiligen ärztlichen Behandlungen diese nach den objektiven Gegebenheiten als solche der Beklagten verstehen musste, steht nicht sicher fest. Für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 11 Abs 1 SGB VII spricht zwar, dass die fraglichen Maßnahmen durch D-Ärzte und BG-Kliniken veranlasst wurden und die Beklagte deren Kosten trug. Das LSG hat aber nicht mit der gebotenen Deutlichkeit festgestellt, dass die verschiedenen von Ärzten veranlassten Maßnahmen sich nicht nur nach der subjektiven Wahrnehmung des Klägers zur Zeit ihrer Erbringung, sondern auch nach den objektiven Gegebenheiten für den Kläger als Heilbehandlung der Beklagten oder als deren Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls darstellten.

31

bb) Das LSG hat auch keine hinreichenden Feststellungen dazu getroffen, ob und ggf welche anderen Ursachen als der Versicherungsfall das Vorliegen der psychischen Erkrankung naturwissenschaftlich-philosophisch verursacht haben.

32

Aus dem Fehlen solcher Feststellungen kann andererseits nicht gefolgert werden, dass die Verwirklichung eines Tatbestands nach § 11 Abs 1 Nr 1 und 3 SGB VII die einzige Ursache der bestehenden Gesundheitsstörung war. Denn das LSG hat bei der Abwägung der Beiträge, die verschiedene Ursachen für das Entstehen der MdE haben, also auf der (zweiten) Stufe zur Prüfung der "Wesentlichkeit" von (verschiedenen) Ursachen, Vorerkrankungen des Klägers auf psychischem Gebiet sowie das Bestehen weiterer, nicht mit dem Arbeitsunfall in Verbindung stehender Faktoren, zB familiäre Probleme, bejaht. Ohne (ausdrückliche) Feststellung dazu, ob und inwieweit diese nicht dem versicherten Risiko zuzurechnenden Ursachen naturwissenschaftlich-philosophisch wirksam geworden sind, ist das LSG sogleich in die rechtliche Wertung eingetreten und hat den Versicherungsfall als die wesentliche Ursache für das Bestehen der Erkrankung bezeichnet.

33

cc) Falls bei erneuter Prüfung des Klagebegehrens festgestellt werden sollte, dass für die Erkrankung sowohl der Versicherungsfall als auch andere Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne vorliegen, ist nach der Theorie der wesentlichen Bedingung (zweite Stufe) zu prüfen, ob der Versicherungsfall die psychische Störung "wesentlich" verursacht hat. Unter Berücksichtigung der verschiedenen nach Erfahrungssätzen notwendigen oder hinreichenden Ursachen ist abzuwägen, welche von ihnen die rechtlich Wesentliche ist.

34

Bei der Überzeugungsbildung des Tatsachengerichts genügt für die Feststellung des naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachenzusammenhangs der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit (stRspr BSG vom 2.2.1978 - 8 RU 66/77 - BSGE 45, 285, 287 = SozR 2200 § 548 Nr 38 S 105 f; BSG vom 30.4.1985 - 2 RU 43/84 - BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr 1 S 3 f). Dieser ist erfüllt, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht; allein die Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs genügt dagegen nicht (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 20; BSG vom 18.1.2011 - B 2 U 5/10 R - SozR 4-2700 § 200 Nr 3).

35

3. a) Aus den gleichen Gründen kann der Senat nicht entscheiden, ob der Kläger einen Anspruch auf Verletztenrente hat.

36

Gemäß § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls - hier des anerkannten Arbeitsunfalls vom 13.1.1997 - über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vH gemindert (MdE) ist, Anspruch auf Rente. Die Höhe der Rente richtet sich ua nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs 2 Satz 1 SGB VII).

37

Auch insoweit wird das LSG zu prüfen haben, ob eine MdE "infolge" des Arbeitsunfalls besteht. Hierfür gelten die oben zu 2. dargelegten Grundsätze entsprechend.

38

b) Sollte das LSG in dem erneuten Berufungsverfahren einen Anspruch auf Verletztenrente nach § 56 Abs 1 SGB VII bejahen, wird zu beachten sein, dass dieser erst am Tag nach Erlöschen des dem Kläger bewilligten Rechts auf Verletztengeld beginnen kann.

39

Zwar kann der Anspruch auf Verletztenrente - anders als das LSG meint - grundsätzlich bereits am Tag nach dem Versicherungsfall beginnen, wenn bereits zu diesem Zeitpunkt feststeht, dass eine MdE über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus vorliegen wird (zB bei Verlust eines Körperteils) und ein gesetzlich vorrangiger Anspruch nicht besteht.

40

Hier hat das LSG seine Entscheidung aber unter Verletzung von § 72 Abs 1 Nr 1 SGB VII getroffen. Nach dieser Vorschrift beginnt ein Rentenanspruch erst, nachdem der Anspruch auf Verletztengeld geendet hat. Renten werden danach an Versicherte erst von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem der Anspruch auf Verletztengeld geendet hat. Nach dem Wortlaut der Vorschrift kommt es nicht darauf an, ob Verletztengeld gezahlt worden ist, sondern darauf, ob ein Anspruch auf diese Leistung bestand. Die Regelung verfolgt den Zweck, Doppelleistungen aus dem System der GUV, insbesondere den zeitgleichen Bezug von Verletztengeld und Verletztenrente, zu vermeiden.

41

Für die vom Kläger geführte Anfechtungs- und Leistungsklage wegen Verletztenrente ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich. Zu diesem Zeitpunkt stand und steht zwischen den Beteiligten durch Verwaltungsakt bindend fest, dass der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Verletztengeld vom Unfalltag durchgehend bis 30.9.2002 hat. Eine mögliche Verletztenrente (§ 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII) kann daher erst nach dem 30.9.2002, also nach dem Ende des Zeitraums beginnen, für den Verletztengeld zustand (§ 72 Abs 1 Nr 1 SGB VII; § 74 Abs 2 SGB VII ist nicht anwendbar, da der Anspruch auf Verletztengeld nicht aufgrund einer erneuten Arbeitsunfähigkeit infolge Wiedererkrankung eingetreten ist; siehe dazu Kranig in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 74 RdNr 13).

42

4. Da das Urteil des LSG aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen worden ist, bedarf es keiner Entscheidung mehr über die Frage, ob die Beklagte zulässige und begründete Verfahrensrügen gegen das Urteil des LSG erhoben hat.

43

5. Das LSG hat mit der im wiedereröffneten Berufungsverfahren zu treffenden Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden. Dabei wird ggf zu berücksichtigen sein, dass dem Kläger eine Verletztenrente nicht - wie begehrt - ab Juli 1997, sondern erst ab 1.10.2002 zusteht.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 12. Januar 2004 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsrechtszug nicht zu erstatten.

Die Kosten des Gutachtens nach § 109 SGG vom 30. Mai 2005 werden nicht von der Staatskasse übernommen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, die Harnblasenkrebserkrankung des Klägers als Berufskrankheit anzuerkennen und zu entschädigen.

2

Der im Jahre 1942 geborene Kläger zeigte der Beklagten seine Erkrankung im Dezember 1999 an und führte sie auf den langjährigen Umgang mit krebserregenden Stoffen als Tankstellenverwalter seit März 1973 zurück.

3

Im Feststellungsverfahren zog die Beklagte medizinische Befundberichte über den Kläger bei, u. a. einen Bericht vom 16. Januar 2000 der urologischen Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses A., in dem der Kläger operiert worden war. Hierin führt der Chefarzt Prof. Dr. G. zur Vorgeschichte aus, der Kläger habe seit 30 Jahren ca. ein Päckchen Zigaretten pro Tag geraucht.

4

Der Kläger gab laut Ermittlungsbericht des Technischen Aufsichtsdienstes vom 17. Januar 2000 an, von April 1973 bis Januar 1981 sei er überwiegend im Werkstattbereich der von ihm damals gepachteten Tankstelle tätig gewesen und habe alle Pflege- und Wartungsarbeiten, Kleinreparaturen und Reifenwechsel ausgeführt, u. a. auch Lackierarbeiten, letztere in einem Umfang von zwei Fahrzeugen pro Monat, wobei er ca. vier Stunden pro Fahrzeug benötigt habe. Von Januar 1981 bis September 1991 führte der Kläger nach seinen Angaben in einem anderen von ihm gepachteten Tankstellenbetrieb Lackierarbeiten an ca. zehn Fahrzeugen pro Jahr durch, außerdem in größerem Umfang Entwachsungsarbeiten (ca. sechs Autos pro Tag). Seit August 1991 erledigte der Kläger ausschließlich Verwaltungsarbeiten.

5

Zum Zigarettenkonsum gab er gegenüber dem Technischen Aufsichtsdienst an, in den letzten 10 bis 15 Jahren zehn Zigaretten pro Tag bis zu seiner Operation geraucht zu haben.

6

Die Beklagte holte eine gewerbeärztliche Stellungnahme ein und lehnte mit Bescheid vom 27. März 2000 die Gewährung von Leistungen ab. Die Voraussetzungen für die Anerkennung als Berufskrankheit Nr. 1303 (Erkrankung durch Benzol oder seine Homologe) oder Nr. 1301 (Schleimhautveränderungen, Krebs und andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine) der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) lägen nicht vor. Es fehle am rechtlich wesentlichen Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und Erkrankung. Nach den heutigen wissenschaftlichen und arbeitsmedizinischen Erkenntnissen sei Benzol nicht als Ursache für Blasenkrebs bekannt. Benzol schädige vornehmlich die Blutbildungsorgane. Die Verursachung durch aromatische Amine scheide aus, da eine berufliche Einwirkung kanzerogener aromatischer Amine nicht wahrscheinlich gemacht werden könne.

7

Mit dem hiergegen gerichteten Widerspruch brachte der Kläger seine Erkrankung weiterhin in einen Zusammenhang mit aromatischen Aminen und bezog sich insoweit auf Forschungsergebnisse, bei denen im Tierversuch eine Harnblasenkarzinogenese nachgewiesen worden sei.

8

Mit Bescheid vom 26. Oktober 2000 wies die Beklagte den Widerspruch des Kläger als unbegründet zurück. Experimentelle und epidemiologische Studien aus 1994 und 1997 hätten die in einer Studie aus 1990 angenommene Erhöhung des Blasenkrebsrisikos nach Benzolexposition nicht bestätigt. Den gefährdeten Beruf des Spritzlackierers habe der Kläger angesichts des nicht nennenswerten Umfangs an Lackierarbeiten nicht ausgeübt.

9

Am 9. November 2000 hat der Kläger Klage erhoben. Die Beklagte habe nicht hinreichend aufgeklärt, inwieweit er im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit gegenüber Benzol, seinen Homologen oder Styrol ausgesetzt gewesen sei. Es gebe eine Reihe von Studien, die auf ein nachhaltig erhöhtes Risiko für Harnwegkrebs durch Exposition mit diesen Stoffen hindeuteten.

10

Der Kläger hat beantragt,

11

den Bescheid der Beklagten vom 27. März 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2000 aufzuheben, die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Anerkennung seiner Harnblasenerkrankung als BK 1303 oder Nr. 1301 der Anlage zur BKV, hilfsweise wie eine BK, Verletztenrente nach einer MdE um 100 v. H. nach Maßgabe des Gesetzes zu gewähren.

12

Die Beklagte hat beantragt,

13

die Klage abzuweisen.

14

Zur Begründung hat sie auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden verwiesen.

15

Das Sozialgericht hat Zeugen- und Sachverständigenbeweis erhoben.

16

Es hat zunächst das schriftliche Gutachten des leitenden Arztes der II. Medizinischen Abteilung (Hämatologie und internistische Onkologie) des Allgemeinen Krankenhaus A. Dr. B. vom 23. Oktober 2002 eingeholt. Ferner hat das Gericht über den angegebenen Umfang der Lackierarbeiten bzw. die Angaben zum Tabakkonsum Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen W. und B. Schließlich hat es ein arbeitsmedizinisches Gutachten nach Aktenlage von Prof. Dr. Dr. R. vom 20. Oktober 2003 eingeholt.

17

Mit Urteil vom 12. Januar 2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Die form- und fristgerecht erhobene Klage sei zulässig, jedoch nicht begründet. Die Beklagte habe zu Recht die Anerkennung als Berufskrankheit nach der Ziff. 1301 der Anlage zur BKV abgelehnt, weil sich eine berufliche Einwirkung kanzerogener aromatischer Amine nicht feststellen lasse. Dabei habe es die Kammer dahingestellt lassen können, in welchem Umfang der Kläger in dem Zeitraum von April 1973 bis 1986 tatsächlich Lackierarbeiten an Fahrzeugen durchgeführt habe. Denn es gebe keine definitiven Hinweise dafür, dass der Kläger hierbei Lacke verwendet habe, die aromatische Nitroverbindungen enthielten. Nitrofarben bzw. Nitrolacke würden nur deshalb so bezeichnet, weil sie als Bindemittel zu einem großen Teil Nitrocellulose enthalten, nicht wegen ihres Gehaltes an Nitrofarbstoffen. Nitrofarbstoffe würden nicht für Autolacke bzw. -farben verwendet, sondern gelangten im Bereich der Färbung von Naturfasern, Wolle, Seide, Kosmetika und vereinzelt auch bei Lebensmitteln zum Einsatz. Auch Azofarbstoffe gelangten nicht als Bestandteil von Autolacken zum Einsatz, weil sie nicht ausreichend lichtstabil seien. Eine berufliche Exposition gegenüber aromatischen Aminen sei weder direkt noch indirekt (metabolisch) zu sichern und im Metier des Tankstellenpächters erfahrungsgemäß auch nicht zu erwarten. Die Anerkennung der Harnblasenerkrankung des Klägers als Berufskrankheit Nr. 1301 der Anlage zur BKV könne daher nicht erfolgen. Es ergäben sich auch aus epidemiologischer und arbeitsmedizinisch-toxikologischer Sicht keine konsistenten Hinweise für ein vermehrtes Vorkommen von Urothelkarzinomen der Blase nach berufsbedingter Exposition gegenüber Benzol, seinen Homologen oder Styrol. Die vom Kläger in das Verfahren eingebrachten einzelnen Publikationen stellten Mitteilungen dar, die keinesfalls geeignet seien, ein erhöhtes Blasenkrebsrisiko durch Benzol oder gar seine Homologe (Toluol, Xylole) bzw. Styrol zu belegen. In den zitierten Untersuchungen handele es sich in allen Fällen um eine Kombinationsbelastung gegenüber den verschiedensten chemischen Substanzen bzw. Verbindungsgruppen. Auch der Sachverständigenbeirat "Berufskrankheiten" beim Bundesminister für Arbeit habe in den letzten Jahren keine Veranlassung gesehen, sich mit dem Thema "Benzol-Harnblasenkarzinom" zu befassen. Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse hierzu lägen nicht vor. Aus diesem Grunde könne die Erkrankung des Klägers auch nicht als Berufskrankheit Nr. 1303 der Anlage zur BKV anerkannt und entschädigt werden. Die Feststellungen auf medizinischem Fachgebiet treffe das Gericht aufgrund der überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. R. Die gegenteilige Auffassung des Sachverständigen Dr. B. resultiere erkennbar aus dem Irrtum, dass sich eine Exposition des Klägers gegenüber aromatischen Aminen aufgrund der Verwendung von Nitrofarbstoffen sichern ließe. Diese Annahme werde jedoch durch das Gutachten von Prof. Dr. Dr. R. widerlegt. Ihm räume die Kammer hinsichtlich der Beurteilung der in Streit stehenden Zusammenhangsfragen auch eine größere Kompetenz ein, da dieser Facharzt für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin sei. Seine Auffassung werde zudem durch die ergänzende Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten im Gerichtsverfahren inhaltlich voll bestätigt.

18

Gegen dieses ihm am 2. Februar 2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 2. März 2004 Berufung eingelegt. Er verweist auf das nach seiner Ansicht zutreffende Gutachten von Dr. B.

19

Der Kläger beantragt,

20

das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 12. Januar 2004 aufzuheben, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27. März 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2000 zu verurteilen, ihm unter Anerkennung seiner Harnblasenerkrankung als BK 1303 oder Nr. 1301 der Anlage 1 zur BKV, hilfsweise wie eine Berufskrankheit, Verletztenrente nach einer MdE um 100 v. H. nach Maßgabe des Gesetzes zu gewähren.

21

Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils,

22

die Berufung zurückzuweisen.

23

Der Senat hat gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten des Urologen Priv.-Doz. Dr. M. F., Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Urologie der Universitätsklinik H., vom 30. Mai 2005 eingeholt.

24

Die den Kläger betreffende Verwaltungsakten sowie die Gerichtsakte haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen. Auf ihren Inhalt wird wegen weiterer Einzelheiten verwiesen.

Entscheidungsgründe

25

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

26

Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verletztenrente wegen des bei ihm aufgetretenen Blasenkrebses. Die Voraussetzungen einer Berufskrankheit gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII in Verbindung mit Nr. 1301 bzw. 1303 der Anlage l zur BKVO sind nicht erfüllt. Der Senat weist die Berufung aus den Gründen des erstinstanzlichen Urteils zurück und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

27

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auch die Beweisaufnahme im Berufungsverfahren kein dem Kläger günstiges Ergebnis erbracht hat. Nach den darin zitierten Untersuchungsergebnissen kann ein Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit des Klägers und dem Auftreten des Harnblasenkrebses selbst dann nicht wahrscheinlich gemacht werden, wenn der Kläger tatsächlich in größerem Umfang als zunächst angegeben Autos lackiert haben sollte. Von einem höheren Risiko betroffen sind vielmehr nur Berufsgruppen, die mit wasserlöslichen Azo-Farbstoffen arbeiten, da nur diese harnblasengängig sind. Insoweit hat sich das Gutachten ausführlich mit einer Anzahl neuerer epidemiologischer Studien zum Auftreten von Harnblasenkrebs insbesondere bei Personen mit beruflicher Exposition gegen Ölprodukte und gegen aromatische Amine befasst. Während bei der ersten Personengruppe kein signifikant erhöhtes Risiko festgestellt werden konnte, wurden aus der zweiten Gruppe lediglich Arbeiter aus der Textil- und Lederindustrie als gefährdet eingestuft, die einen intensiven Kontakt mit (wasserlöslichen) aromatischen Aminen über die Haut oder über dem Atmung haben. Diese Gutachtenergebnisse überzeugen den Senat in vollem Umfang; sie stehen im Einklang mit dem Vorgutachten von Prof. Dr. Dr. R. und ergänzen es. Der Senat sieht das Gutachten auf neuestem wissenschaftlichen Stand stehend, in sich widerspruchsfrei und insgesamt als völlig überzeugend an.

28

Gibt es demnach auch in der neueren Forschung keine Hinweise auf eine erhöhte berufsspezifische Gefährdung des Klägers, so kommt auch eine Anerkennung seiner Erkrankung wie eine Berufskrankheit (§ 9 Abs. 2 SGB VII) nicht in Betracht.

29

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

30

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.


Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.