Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 22. Jan. 2015 - 5 Sa 89/14

bei uns veröffentlicht am22.01.2015

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neubrandenburg vom 27.03.2014, Aktenzeichen 4 Ca 1125/13, wird das Urteil des Arbeitsgerichts im Tenor zu 2. und 3. aufgehoben und der Antrag der Beklagten auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses abgewiesen.

2. Die Anschluss-Berufung der Beklagten wird abgewiesen.

3. Die Kosten der Berufung und Anschluss-Berufung trägt die Beklagte.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten im Rahmen des Berufungsverfahrens noch um die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag der Beklagten (Berufung der Klägerin) sowie um die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen Kündigung (Anschlussberufung der Beklagten).

2

Die 1964 geborene, verheiratete und zwei Kindern unterhaltspflichtige Klägerin ist seit dem 04.03.2003 bei der beklagten Agrargenossenschaft beschäftigt. Zuletzt war sie Leiterin der Abteilung Tierproduktion und erzielte hier eine Vergütung von 3.528,00 Euro brutto monatlich. Parallel war die Klägerin auch Aufsichtsratsmitglied. Die Klägerin ist auch immer noch Genossin (Mitglied) der Beklagten.

3

Die Beklagte ist eine Genossenschaft, die sich mit der Tierproduktion und Pflanzenproduktion beschäftigt. Sie wird von einem dreiköpfigen Vorstand geleitet. Bei der Beklagten sind regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer im Sinne von § 23 KSchG beschäftigt.

4

In der Zeit vom 05.09.2013 bis 25.09.2013 befand sich die Klägerin auswärts auf Kur. Während dieser Zeit kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit einem Sohn der Klägerin, welcher ebenfalls bei der Beklagten angestellt war. Die Beklagte warf dem Sohn der Klägerin vor, mehrfach zu spät zur Arbeit erschienen zu sein, wobei die Klägerin die Richtigkeit dieses Vorwurfes bestreitet. Jedenfalls erfuhr die Klägerin während ihres Kuraufenthaltes von dieser Kündigung und rief am 24.09.2013 das Vorstandsmitglied Frau H. an. Unstreitig war die Klägerin in diesem Telefonat jedenfalls sehr aufgebracht. Eine gewisse Äußerung der Klägerin in diesem Telefonat ist streitig.

5

Schon in der Zeit vor der Kur der Klägerin hatte sich das Ergebnis der Abteilung Tierproduktion nicht zur Zufriedenheit der Beklagten entwickelt. Seit 2011 war die Milchproduktion rückläufig. Interne Verbesserungsversuche hatten nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Deshalb fand auf Betreiben der Beklagten am 01.10.2013 bei der Beklagten ein Termin mit einem externen Berater statt, der auf dem Gelände der Beklagten eine Besichtigung vornahm und sodann einige Dinge aus seiner Sicht zur Tierproduktion äußerte.

6

Im Anschluss hieran war noch am 01.10.2013 ab 15:00 Uhr zur Auswertung der Äußerungen des Beraters eine Arbeitsberatung angesetzt. Hieran nahmen der Vorstandsvorsitzende H. und die Klägerin teil. Teilnehmer dieses Gesprächs war auch das weitere Vorstandsmitglied Herr B., wobei die Klägerin unbestritten konkretisierte, dass dieser in der ersten Stunde des Gesprächs nicht anwesend war. Der konkrete Inhalt sowie das Klima des Gespräches sind zwischen den Parteien streitig. Dieses Gespräch dauerte jedenfalls etwa 2,5 Stunden. Zum Schluss wurde die Fortsetzung des Gespräches auf den 02.10.2013 vertagt.

7

Am 02.10.2013 fand zunächst eine Sitzung allein des dreiköpfigen Vorstandes der Beklagten statt. Dieser kam für sich zu dem Schluss, dass die Vertrauensbasis für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin zerstört sei.

8

Am selbigen Tag fand ab 12:30 Uhr sodann ein Gespräch zwischen dem Vorstand und der Klägerin statt. Überraschend für die Klägerin teilte Herr H. mit, dass die Beklagte keine Basis für eine weitere Zusammenarbeit sehe und schlug der Klägerin den Abschluss eines Aufhebungsvertrages vor. Wie sich das Gespräch sodann mit Blick auf den Abschluss eines Aufhebungsvertrages entwickelte, ist zwischen den Parteien streitig. Unstreitig ist allein, dass ein Aufhebungsvertrag jedenfalls in Schriftform nicht existiert. Am Ende des Gespräches gab die Klägerin ihre Betriebsschlüssel ab, nachdem sie ausdrücklich hierzu aufgefordert worden war. Streitig sind außerhalb des Themas Aufhebungsvertrag auch etwaige weitere Äußerungen der Klägerin.

9

Am Abend des 02.10.2013 einigte sich die Beklagte mit einem externen Dritten auf den Abschluss eines Arbeitsvertrages als Leiter Tierproduktion beginnend ab dem 01.11.2013.

10

Nachdem die Klägerin zwischenzeitlich einen Anwalt zur Beratung aufgesucht hatte, der ihr empfohlen hatte, ihre Arbeitskraft anzubieten, erschien die Klägerin am 07.10.2013 wieder auf der Arbeit. Herr H. verwies auf die erfolgte Neubesetzung der Stelle. Nach der Behauptung der Beklagten habe die Klägerin sodann eine schriftliche Kündigung verlangt. Nach der Behauptung der Klägerin habe Herr H. gesagt, sie solle mittags wiederkommen, da man ihr eine Kündigung geben wolle. Jedenfalls legte die Beklagte der Klägerin sodann im Tagesverlauf einen Aufhebungsvertrag und ein von der Beklagten angefertigtes Protokoll zum Gespräch vom 02.10.2013 vor. Die Klägerin leistete hier keine Unterschrift.

11

Mit anwaltlichem Schreiben vom 09.10.2013 ließ die Klägerin der Beklagten mitteilen, dass sie nicht das geäußert habe, was sich in dem Protokoll wiederfinde.

12

Mit Schreiben vom 21.10.2013 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin „fristgemäß zum 28.02.2014“. In der Kündigung teilte die Beklagte mit, dass die Kündigung aus betriebsbedingten Gründen erfolge. Die Beklagte verwies auf die von ihr auch im Prozess behaupteten streitigen Äußerungen und Ergebnisse der Gespräche vom 01.10.2013 und 02.10.2013. Die Beklagte sei gezwungen gewesen, einen Nachfolger einzustellen. Die Klägerin werde bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unter Anrechnung von Urlaubsansprüchen freigestellt.

13

Am 04.11.2013 fand eine Generalversammlung der Genossenschaftsmitglieder statt. In dieser Sitzung beschloss eine Mehrheit den Widerruf der Bestellung der Klägerin als Aufsichtsratsmitglied. Hintergrund waren die Ereignisse, wie sie von der Beklagten streitig auch im hiesigen Prozess vorgetragen werden. Vor der entsprechenden Abstimmung ergriff die Klägerin das Wort und schilderte den Ablauf der Ereignisse, wie sie sie für richtig hielt und auch heute hält. Insbesondere erklärte sie, dass sie dasjenige, was der Vorstand behauptet, nicht geäußert habe.

14

Mit Schreiben vom 12.11.2013 teilte Herr H. der Klägerin mit, dass sie freigestellt sei und ihr Geld bis zum 28.02.2014 erhalte.

15

Mit ihrer Klageschrift vom 24.10.2013, eingegangen beim Arbeitsgericht Neubrandenburg am 28.10.2013, wandte sich die Klägerin gegen die Kündigung vom 21.10.2013 und begehrte zudem die vorläufige Weiterbeschäftigung. Im Rahmen einer Klageerweiterung verlangte die Klägerin auch Zahlung von über 8000,00 Euro brutto, bestehend aus der Vergütung für Januar und Februar 2014 sowie eines Differenzbetrages wegen als zu niedrig angesehenen Weihnachtsgeldes 2013. Hilfsweise widerklagend beantragte die Beklagte die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses.

16

Das Arbeitsgericht Neubrandenburg stellte mit Urteil vom 27.03.2014 fest, dass die Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht beendet habe (Tenor zu 1.). Das Arbeitsverhältnis sei zuvor auch nicht durch Aufhebungsvertrag beendet worden. Weiterhin löste es das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung von 26.000,00 Euro zum 28.02.2014 auf (Tenor zu 2. und 3.). Dem Zahlungsantrag der Klägerin gab das Arbeitsgericht statt, dem Weiterbeschäftigungsantrag nicht (vgl. Blatt 83 ff d. A.). Das Urteil wurde am 10.04.2014 der Klägerin und am 11.04.2014 der Beklagten zugestellt.

17

Die Klägerin legte am 05.05.2014 Berufung ein. Das Rechtsmittel beschränkt sich auf die vorgenommene Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Die Begründung erfolgte innerhalb der vom Gericht verlängerten Frist.

18

Die Zustellung der Berufungsbegründung an die Beklagte erfolgte am 09.07.2014. Eingehend am 23.07.2014 erhob die Beklagte Anschlussberufung. Diese beschränkt sich auf die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung.

19

Mit Blick auf die Anschlussberufung der Beklagten verteidigt die Klägerin das arbeitsgerichtliche Urteil insoweit. Die Kündigung könne das Arbeitsverhältnis nicht beenden, weil sich die Ereignisse nicht so, wie von der Beklagten behauptet, zugetragen hätten. Es fehle auch an einem zulässigen Beweisangebot. Zudem sei eine Abmahnung erforderlich gewesen.

20

Die Klägerin meint im Rahmen ihrer eigenen Berufung, der Auflösungsantrag der Beklagten könne nicht zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen. Die gesetzlichen Voraussetzungen lägen nicht vor. Auch das insoweit angegriffene Urteil des Arbeitsgerichts benenne keine Auflösungsgründe, sondern nur eine unterschiedliche Sichtweise der Parteien. Dabei habe das Arbeitsgericht die Ausführungen der Beklagten mehr oder minder als wahr unterstellt. Tatsächlich sei das Arbeitsverhältnis jedoch nicht zerrüttet. Die Klägerin gehe von einer Normalisierung des Verhältnisses nach Rückkehr aus. Soweit die Beklagte der Klägerin nun ergänzend vorhalten möchte, dass sie nicht zur Mitgliederversammlung der Genossenschaft am 13.11.2014 erschienen war, verweist die Klägerin auf eine unstreitige Krankschreibung für diesen Tag und die unstreitige Ansicht, dass keine Teilnahmepflicht besteht.

21

Hinsichtlich des Telefonats am 24.09.2013 bestreitet die Klägerin, jemanden bedroht zu haben.

22

Zum Gespräch am 01.10.2013 bestreitet die Klägerin die von der Beklagten vorgebrachten Behauptungen. Aus ihrer Sicht sei es ein harmonisches Gespräch gewesen. Man habe sich für den 02.10.2013 verabredet, um über die finanzielle Situation der Beklagten zu sprechen.

23

Hinsichtlich des Gespräches am 02.10.2013 bestreitet die Klägerin, mit einem Aufhebungsvertrag einverstanden gewesen zu sein. Sie habe auch niemanden beschimpft oder bedroht. Ein Aufhebungsvertrag sei somit nicht abgeschlossen worden. Mit einer Beendigung zum 31.12.13 sei sie nicht einverstanden gewesen. Die Klägerin verweist auf ihren Widerspruch zum Protokoll vom 09.10.2013. Aus der Abgabe der Schlüssel könne nichts abgeleitet werden, da sie diese nach Aufforderung abgegeben hatte. Zudem scheitere ein etwaiger Aufhebungsvertrag jedenfalls am Schriftformerfordernis.

24

Die Klägerin beantragt:

25

Das Urteil des Arbeitsgerichts Neubrandenburg vom 27.03.2014 wird zu Ziffern 2. und 3. aufgehoben und der Antrag der beklagten Partei auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG wird zurückgewiesen.

26

Die Beklagte beantragt:

27

Die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

28

Im Rahmen der Anschlussberufung beantragt die Beklagte:

29

Das Urteil des Arbeitsgerichts Neubrandenburg vom 27.03.2014, Az. 4 Ca 1125/13, abzuändern, und den Klageantrag zu 1. (Kündigungsschutzklage) abzuweisen.

30

Im Rahmen der Anschlussberufung beantragt die Klägerin:

31

Die Anschlussberufung der Beklagten zurückzuweisen.

32

Die Beklagte meint im Rahmen der Anschlussberufung, dass das Urteil abzuändern sei, da das Arbeitsverhältnis eigentlich schon durch einen mündlichen Aufhebungsvertrag, jedenfalls aber durch eine Kündigung beendet worden sei. Die Beklagte verteidigt hinsichtlich der Auflösung des Arbeitsverhältnisses das arbeitsgerichtliche Urteil.

33

Die Beklagte behauptet, die Klägerin habe Frau H. in dem Telefonat am 24.09.2013 bedroht, indem sie sinngemäß gesagt habe: „Man sieht sich immer zwei mal.“

34

Hinsichtlich des Gespräches am 01.10.2013 behauptet die Beklagte, die Klägerin habe gleich zu Beginn geäußert, dass es ihr keinen Spaß mehr mache, sie könne nicht unter Herrn H. arbeiten, sie habe sich schon nach einer neuen Stelle umgesehen und man habe ihren Sohn schikaniert. In den 2,5 Stunden des Gespräches habe man versucht, die Lage zu klären. Die Klägerin habe ihre Sicht jedoch weiterhin bekräftigt und die Vorstandsmitglieder abgekanzelt. Daraufhin sei die Fortsetzung des Gespräches für den 02.10.2013 vereinbart worden.

35

Bezogen auf das Gespräch vom 02.10.2013 meint die Beklagte, dass hier ein Aufhebungsvertrag zwischen der Beklagten und der Klägerin geschlossen worden sei. Das Arbeitsverhältnis sei somit schon zum 31.12.2013 beendet worden. Nachdem Herr H. der Klägerin den Abschluss eines Aufhebungsvertrages angeboten hatte, sei die Klägerin mit einer Aufhebung zum 31.12.2013 einverstanden gewesen, wenn sie Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld und eine Abfindung von 5.482,50 Euro erhalte. Hiermit sei der Vorstand dann einverstanden gewesen. Die Beklagte behauptet weiter, dass die Klägerin in diesem Zuge sodann auch die Kündigung ihrer Mitgliedschaft bei der beklagten Genossenschaft erklärt habe [wobei unstreitig ist, dass die Klägerin noch heute Mitglied ist]. Nachdem das Gespräch bis hier in ruhig sachlichem Ton verlaufen sei, habe sich die Klägerin sodann - bevor sie den Raum verließ – vor dem Vorstandsvorsitzenden aufgebaut, um ihm abschließend richtig die Meinung zu sagen. In hasserfülltem Ton habe sie Herrn H. wortwörtlich mit folgenden Beschimpfungen überschüttet:

36
- „Unter der Leitung von Deiner Person kann ich nicht arbeiten.“
37
- „Du schikanierst mich und meinen Sohn, weil wir Dir die Meinung sagen.“
38
- „Du suchst im Unternehmen nur Deinen privaten Vorteil und versuchst, Deine Meinung durchzusetzen.“
39
- „Du bist ein schlechter Leiter.“
40
- „Du wirst auch dafür Deine Strafe bekommen.“
41

Dann habe sie sich noch an Herrn B. und Frau H. gewandt und verkündet: „Mit Euch rede ich nicht mehr.“

42

Die Beklagte habe sich darauf gezwungen gesehen, die Stelle der Klägerin sofort neu zu besetzen.

43

Die Beklagte meint, dass der im Gespräch am 02.10.2013 (streitig) geschlossene Aufhebungsvertrag auch ohne Einhaltung der Schriftform zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führe. Dies folge aus den oben behaupteten Äußerungen der Klägerin, von denen sie auch nichts zurückgenommen habe. Zudem sei sie ja mit der Aufhebung einverstanden gewesen und habe auch eine dezidierte Forderung zu Weihnachtsgeld etc. gestellt. Die Abgabe der Schlüssel sei ebenfalls zu beachten. Auch wegen der (streitigen) Beschimpfungen könne sich die Klägerin nicht auf die Schriftform berufen.

44

Die Kündigung vom 21.10.2013 sei nur vorsorglich ausgesprochen worden. Sie sei aus verhaltens- und betriebsbedingten Gründen wirksam. Verhaltensbedingt sei die massive Beschimpfung von Herrn H. der Grund. Es handele sich um ehrverletzende Äußerungen. Aufgrund der Leitungsposition der Klägerin sei ein besonderes Vertrauensverhältnis erforderlich. Eine Abmahnung sei in diesem Fall entbehrlich. Betriebsbedingt sei zu beachten, dass eine Ersatzkraft eingestellt wurde. Die Klägerin habe auch gewusst, dass eine Ersatzkraft eingestellt werden musste.

45

Schließlich sei das Arbeitsverhältnis zu Recht durch das Arbeitsgericht aufgelöst worden. Der Grund seien zunächst die ehrverletzenden Äußerungen der Klägerin vom 01.10.2013 und 02.10.2013, die ohne Anlass und Grund erfolgt seien und die die Klägerin nicht zurückgenommen habe. Zudem habe die Klägerin am 04.11.2013 wahrheitswidrig behauptet, nie das gesagt zu haben, was ihr von der Beklagten vorgehalten wird. Auch die innere Kündigung der Klägerin sei zu beachten. Ebenfalls sei zu berücksichtigen, dass es sich bei der Beklagten um einen kleinen Arbeitgeber handelt, der aus 17 Mitgliedern besteht, von denen neun aktiv arbeiten, wobei es insgesamt 19 Mitarbeiter gibt. Das Verhältnis zum gesamten Vorstand sei irreparabel beschädigt. Die Klägerin hat sich nicht entschuldigt. Bei dieser Lage sei die Besorgnis gerechtfertigt, dass die weitere Zusammenarbeit der Streitparteien gefährdet sei. Die Beklagte ergänzte auch, dass die Klägerin am 13.11.2014 (also im Berufungsverfahren) als einzige nicht zu einer Mitgliederversammlung der Beklagten erschienen war.

46

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Verhandlungsprotokolle sowie das angegriffene Urteil verwiesen.

Entscheidungsgründe

47

Die Anschlussberufung der Beklagten ist unbegründet, da weder ein Aufhebungsvertrag noch eine Kündigung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt haben (nachfolgend I.). Die Berufung der Klägerin ist hingegen begründet. Das Arbeitsverhältnis war nicht gerichtlich aufzulösen (nachfolgend II.).

48

Bei der Prüfung war in der hier vorliegenden Fallkonstellation zu beachten, dass die Anschlussberufung nicht bedingt bezogen auf eine erfolgreiche Hauptberufung der Klägerin erhoben worden war. Sie galt unbedingt neben der Berufung der Klägerin. Da die gerichtliche Auflösung eines Arbeitsverhältnisses gemäß § 9 Abs. 1 KSchG von der vorherigen Feststellung der Unwirksamkeit einer Kündigung abhängig ist und die Anschlussberufung unbedingt erhoben wurde, musste hier die Anschlussberufung der Beklagten (welche die Wirksamkeit einer Kündigung betraf) vor der Berufung der Klägerin (die Auflösung betreffend) geprüft werden.

I.

49

Die zulässige, insbesondere frist- und formgerecht erhobene, Anschlussberufung der Beklagten ist unbegründet.

50

Das Arbeitsgericht hat in seinem Urteil im Ergebnis zu Recht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 21.10.2013 aufgelöst wird.

1.

51

Die von der Klägerin mit Schriftsatz vom 24.10.2013 erhobene Feststellungsklage nach § 4 KSchG ist zulässig.

52

Insbesondere stand der Klägerin hier auch ein Feststellungsinteresse zur Seite.

53

Zwar ist das Feststellungsinteresse für eine Klage nach § 4 KSchG in den meisten Fällen unproblematisch zu bejahen.

a)

54

Im hiesigen Fall war jedoch zu beachten, dass die Kündigung erst zum 28.02.2014 wirken sollte, während die Beklagte davon ausging, dass das Arbeitsverhältnis zuvor schon durch einen ebenfalls streitigen Aufhebungsvertrag zum 31.12.2013 beendet werde. Würde das Arbeitsverhältnis tatsächlich durch Aufhebungsvertrag bereits zum 31.12.2013 sein Ende finden, wäre die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung für das Rechtsverhältnis der Parteien nicht mehr von Interesse. Ein Urteil des Gerichts zu dieser Frage hätte dann nur noch die Wirkung eines Rechtsgutachtens ohne praktische Auswirkung für die Parteien. Ist das Arbeitsverhältnis jedoch nicht durch einen Aufhebungsvertrag vor dem Wirkdatum der Kündigung beendet worden, besteht ein Feststellungsinteresse, ob die sodann folgende Kündigung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geeignet ist.

b)

55

Hier besteht für die Klägerin ein Feststellungsinteresse für eine Kündigungsschutzklage. Denn das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht bereits vor dem 28.02.14 durch einen Aufhebungsvertrag der Parteien beendet worden.

56

Insbesondere ist im Gespräch am 02.10.2013 kein wirksamer Aufhebungsvertrag zustande gekommen. Dabei ist es unerheblich, ob die Parteien vielleicht mündlich Erklärungen abgegeben haben sollten, die auf den Abschluss eines Aufhebungsvertrages gerichtet waren.

(1)

57

Denn der Abschluss eines Aufhebungsvertrages (wie auch der Ausspruch einer Kündigung) bedarf nach § 623 BGB der Schriftform. Es handelt sich hierbei um eine zwingende, nicht durch Parteiwillen abdingbare, gesetzliche Regelung. Die durch Gesetz vorgeschriebene Schriftform wird nach § 126 Abs. 1 BGB dadurch erfüllt, dass die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet wird. Das gesetzliche Schriftformerfordernis hat vor allem Klarstellungs- und Beweisfunktion. Es soll Rechtssicherheit für die Vertragsparteien und eine Beweiserleichterung im Rechtsstreit bewirken. Die eigenhändige Unterschrift stellt darüber hinaus eine eindeutige Verbindung zwischen der Urkunde und dem Aussteller her (Identitätsfunktion). Die Verbindung zwischen Unterschrift und Erklärungstext gewährleistet, dass die Erklärung inhaltlich vom Unterzeichner herrührt (Echtheitsfunktion). Durch die Unterschrift erhält der Empfänger der Erklärung die Möglichkeit zu überprüfen, wer die Erklärung abgegeben hat und ob die Erklärung echt ist (Verifikationsfunktion). Für die Einhaltung der Schriftform ist deshalb erforderlich, dass alle Erklärenden die schriftliche Willenserklärung unterzeichnen (BAG, 28.11.2007, 6 AZR 1108/06).

(2)

58

Im vorliegenden Fall existiert unstreitig keinerlei Urkunde mit den Unterschriften der Parteien. Die Schriftform ist unstreitig nicht erfüllt.

59

Damit existiert kein wirksamer Aufhebungsvertrag.

(3)

60

Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass ein möglicher Aufhebungsvertrag hier auch ohne Schriftform wirksam wäre.

61

Denn bei § 623 BGB handelt es sich um ein klares und eindeutiges Schriftformgebot ohne Ausnahmeregel. Dies gilt auch für die Beklagte.

(4)

62

Der Klägerin ist es auch nicht unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich auf das Schriftformerfordernis zu berufen. § 623 BGB dient dem Schutz vor Übereilung (Warnfunktion) und der Rechtssicherheit (Klarstellungs- und Beweisfunktion). Der Gesetzgeber hat daneben auch eine Entlastung der Gerichte beabsichtigt (BAG, 16.09.2004, 2 AZR 659/03).

63

Ganz ausnahmsweise ist es denkbar, dass sich ein Arbeitnehmer nach § 242 BGB nicht auf das Schriftformgebot berufen kann. Grundsätzlich ist die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Form jedoch zu beachten. Wenn die Formvorschriften des bürgerlichen Rechts nicht ausgehöhlt werden sollen, kann ein Formmangel nur ausnahmsweise nach § 242 BGB als unbeachtlich angesehen werden. Das kann nach der Rechtsprechung des BAG unter dem Gesichtspunkt des Verbots widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) dann der Fall sein, wenn der Erklärungsgegner einen besonderen Grund hatte, auf die Gültigkeit der Erklärung trotz des Formmangels zu vertrauen und der Erklärende sich mit der Berufung auf den Formmangel zu eigenem vorhergehenden Verhalten in Widerspruch setzt (BAG, 16.09.2004, 2 AZR 659/03). So hatte das BAG eine Berufung auf die - vereinbarte - Schriftform als treuwidrig in einem Fall angesehen, in dem der Arbeitnehmer seiner Beendigungsabsicht mit ganz besonderer Verbindlichkeit und Endgültigkeit mehrfach Ausdruck verliehen und damit einen besonderen Vertrauenstatbestand geschaffen hatte (BAG 4. Dezember 1997 - 2 AZR 799/96).

64

Eine solche bzw. von der Wertigkeit ähnliche Konstellation ist hier jedoch nicht im Ansatz erkennbar. Hier hatte noch nicht einmal die Klägerin einen Aufhebungsvertrag ins Spiel gebracht. Dies ist ihr von der Beklagten - für die Klägerin überraschend - angeboten worden. Streitig ist nur der völlig schlichte Umstand, ob sodann mündlich noch in demselben Gespräch eine Einigung erzielt wurde oder nicht. Ein besonderer Vertrauenstatbestand ist nicht im Mindesten erkennbar. Hier hat sich schlicht genau die Situation abgespielt, für die § 623 BGB geschaffen wurde: die Parteien haben sich über einen Aufhebungsvertrag unterhalten und es ist streitig, ob dann mündlich eine Einigung erzielt worden sei.

65

Das BAG fasst den Sinn und Zweck des § 623 BGB zu Recht dahingehend zusammen:„dass die Gerichte der zeitraubenden und oft kaum befriedigend lösbaren Aufgabe enthoben werden sollen, nachträglich die Frage zu klären, ob spontan und oft in Erregung gesprochenen Worten der Ernst rechtserheblicher Willenserklärungen beigemessen werden kann. Diese Aufgabe wäre umso schwerer zu erfüllen, als sie oft die Vernehmung von Zeugen erforderte, die meist sowohl auf Grund von gefühlsmäßigen Bindungen als auch von Rechtsinteressen einer der Parteien zuneigen und deren Wahrnehmung und Erinnerungsvermögen dadurch vorgeprägt ist. Auch um diesen vor Einführung des § 623 BGB vielfach in der Praxis beklagten Misslichkeiten abzuhelfen, ist die Schriftform für Beendigungstatbestände eingeführt worden. Das Gesetz nimmt damit bewusst in Kauf, dass sogar unstreitig im Ernst - aber eben nur mündlich - abgegebene Auflösungserklärungen wirkungslos sind. Dann aber kann die Berufung auf die fehlende Schriftform nicht allein mit der Begründung, die Beendigungserklärung sei ernsthaft gemeint gewesen, für treuwidrig erklärt werden.“ (BAG, 16.09.2004, 2 AZR 659/03).

66

Genau aus diesem Grund ist es unerheblich, wenn die Beklagte behauptet, die Klägerin sei mit der Aufhebung einverstanden gewesen und habe dezidierte Forderungen gestellt. Die Rückgabe der Schlüssel ist ebenfalls nicht relevant, da dies unstreitig von der Beklagten gefordert worden war. Auch die mögliche Äußerung vom Vortage, dass es ihr keinen Spaß mehr mache etc. ändert hieran nichts. Denn daraus ist kein besonderes über § 623 BGB hinausgehendes Vertrauen des Arbeitgebers ableitbar. Fehlender Spaß lässt nicht einmal auf einen Beendigungswillen schließen.

67

Im Ergebnis existiert somit allein aufgrund § 623 BGB kein wirksamer Aufhebungsvertrag. Daher kommt es auch nicht mehr darauf an, ob sich aus dem Vortrag der Beklagten überhaupt ein mündlicher Aufhebungsvertrag ergeben hätte. Denn dazu bedürfte es einer bestimmten, eindeutigen Absprache/Einigung. Die Beklagte sprach auch von einer „dezidierten“ Forderung von Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld und 5.482,50 € Abfindung. Offenbar existiert selbst aus Sicht der Beklagten kein Betrag zu Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld. Ist das „dezidiert“? Kann es eine Einigung gegeben haben, wenn nicht über die Höhe einer Zahlung gesprochen wurde? Gerade im hiesigen Fall war doch sogar noch erstinstanzlich die Zahlung des Weihnachtsgeldes Streitgegenstand. Hinsichtlich der Höhe hatte sich die Beklagte nicht auf eine „dezidiert“ mit der Klägerin vereinbarte Höhe berufen. Vielmehr war der Vortrag, das Weihnachtsgeld zu Recht als Arbeitgeber frei festgelegt zu haben.

2.

68

Die fragliche Kündigung ist rechtsunwirksam, da sie sozial ungerechtfertigt ist (§ 1 Abs. 1, 2 KSchG.

69

Insbesondere ist sie nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung der Klägerin entgegen stehen, oder aber durch im Verhalten der Klägerin liegende Gründe sozial gerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 Abs. 2 KSchG). Dabei ist die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes unstreitig.

a)

70

Zunächst liegen keine dringenden betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung der Klägerin entgegen stehen, vor.

71

Es existieren keine außerbetrieblichen Umstände, wie zum Beispiel Auftragsverlust, Umsatzrückgang oder Ablauf einer Genehmigung etc., die eine Entscheidung der Arbeitgeberin ausgelöst hätten, wonach eine Weiterbeschäftigung der Klägerin nicht mehr möglich wäre.

72

Es existiert auch keine innerbetriebliche Organisationsentscheidung, die zum Wegfall des Arbeitsplatzes oder der Beschäftigungsmöglichkeit der Klägerin geführt hätte. Der Arbeitsplatz besteht unverändert fort.

73

Der einzig vorgebrachte Grund ist die Einstellung eines anderen Arbeitnehmers auf den Arbeitsplatz der Klägerin. Es handelt sich um eine Austauschkündigung. Die Einstellung eines neuen Arbeitnehmers kann nicht die Kündigung des bisherigen Stelleninhabers unter Geltung des KSchG begründen. Dann wäre das KSchG ohne jeden Sinn.

74

Auch die streitigen Äußerungen der Klägerin führen unter dem Gesichtspunkt des Abkehrwillens nicht zu einem betriebsbedingten Kündigungsgrund. Allein der gezeigte Abkehrwille, der Wille sich nach einem anderen Arbeitgeber umschauen zu wollen oder dies auch schon zu tun, rechtfertigt noch nicht eine Kündigung. Jeder Arbeitnehmer ist zunächst frei darin, sich nach aus seiner Sicht potentiell besseren Beschäftigungsmöglichkeiten umzuschauen, ohne seinen Arbeitsplatz zu gefährden.

(1)

75

Eine Ausnahme wäre denkbar, wenn der Arbeitnehmer zugunsten seiner künftigen Beschäftigung oder allgemein aus verlorenem Interesse seine Arbeitspflichten im noch laufenden Arbeitsverhältnis vernachlässigt (vgl. LAG M-V, 05.03.2013, 5 Sa 106/12). Dann läge jedoch ein verhaltensbedingter Grund vor. Im hiesigen Fall sind entsprechende Anhaltspunkte nicht vorgetragen worden.

(2)

76

Auch wäre ein Kündigungsgrund als betriebsbedingter denkbar, wenn der Arbeitnehmer deutlich seinen Abkehrwillen gezeigt hätte, der Arbeitgeber demzufolge deutlich mit einem jederzeitigen Gehen des Arbeitnehmers rechnen musste und der Arbeitgeber deshalb gezwungen war, sich sofort einen gerade auf dem Arbeitsmarkt befindlichen Ersatzarbeitnehmer zu sichern, weil es dem Arbeitgeber aus Arbeitmarktgründen nicht zumutbar gewesen wäre, erst nach Vorliegen der Kündigung des Arbeitnehmers nach einem Nachfolger zu suchen, weil Arbeitnehmer in dem Berufszweig sehr schwer zu finden sind (vgl. zu einer solchen Konstellation BAG, 22.10.1964, 2 AZR 515/63).

77

Eine solche Fallgestaltung liegt jedoch nicht vor. Es kann wiederum unterstellt werden, dass die Klägerin geäußert habe, dass sie sich nach einem neuen Arbeitgeber umschaue, da es ihr keinen Spaß mehr bei der Beklagten mache. Das ist jedoch zunächst nur der bloße, noch nicht kündigungsrelevante Abkehrwille. Es fehlt jedoch ein Vortrag der Beklagten dazu, dass sie sofort handeln musste, weil der tatsächlich eingestellte Nachfolger der quasi einzig bzw. schwer auf dem Markt zu findende Ersatzarbeitnehmer war. Es gibt keinen Vortrag dazu, dass der Arbeitsmarkt für Leiter einer Tierproduktion so knapp besetzt wäre, dass sofort gehandelt werden musste. Dabei hätte auch die mögliche Kündigungsfrist der Klägerin in die Überlegungen mit einbezogen werden müssen. Auch gibt es keinen konkreten Vortrag, dass der tatsächlich eingestellte Nachfolger selbst nur jetzt – später jedoch nicht mehr – zur Verfügung stand. Der Sachverhalt ist somit nicht von einer besonderen Notsituation geprägt.

78

Hinzu kommt ein weiterer Umstand. Nach ständiger Rechtsprechung müssen die Kündigungsvoraussetzungen zum Zeitpunkt des Kündigungszuganges vorliegen. Dies war hier ein unbestimmter Zeitpunkt nach dem 21.10.2013. Zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin nach den streitigen Gesprächen vom 01. und 02.10.2013 jedoch schon am 07.10.2013 wieder zur Arbeit erschienen. Auch hatte sie mit anwaltlichem Schreiben vom 09.10.2013 mitteilen lassen, dass sie die ihr vorgehaltenen Äußerungen nicht getätigt habe, das Unternehmen nicht verlassen wolle und auch nicht von der Wirksamkeit eines Aufhebungsvertrages ausgehe. Jedenfalls in der Zeit ab dem 21.10.2013 wäre dann das Vorliegen eines besonderen Abkehrwillens kaum feststellbar.

79

Auf betriebsbedingte Gründe kann sich die Beklagte somit nicht mit Erfolg berufen.

b)

80

Auch verhaltensbedingte Gründe können die Kündigung nicht rechtfertigen.

81

Allerdings können entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts die verhaltsbedingten Gründe nicht schon deshalb ausgeschlossen werden, weil die schriftliche Kündigung auf betriebsbedingte Gründe verweist. Denn es existiert keine Norm oder auch kein ungeschriebener Rechtsgrundsatz, wonach der Arbeitgeber sich im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses nur auf die Gründe berufen dürfte, die zuvor schon in der schriftlichen Kündigungserklärung enthalten sind. Für eine solche Selbstbindung gibt es keine Rechtsgrundlage. Vielmehr zeigen die Sonderregelungen in § 22 Abs. 3 BBiG oder § 626 Abs. 2 Satz 3 BGB genau das Gegenteil.

82

Verhaltensbedingte Gründe im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG liegen im hiesigen Einzelfall nach Abwägung aller Umstände nicht vor.

(1)

83

Als kündigungsrelevantes Verhalten kommen Handlungsweisen in Betracht, die dem Arbeitnehmer vorwerfbar, von ihm steuerbar sind. Die fragliche Verhaltensweise kann die Verletzung von Hauptleistungspflichten wie auch Nebenpflichten betreffen. Das Handeln des Arbeitnehmers muss zu einer Störung der Vertragsbeziehung geführt haben. Dabei ist auch zu beachten, dass für eine Kündigung nicht erforderlich ist, dass das Verhalten ein strafrechtlich relevantes Maß erreicht. Andererseits führen strafrechtlich relevante Handlungsweisen auch nicht zwingend zu einem arbeitsrechtlichen Kündigungsgrund. Vertragsverletzungen sind in einem weiteren Schritt für eine Kündigung unter Geltung des KSchG nur dann relevant, wenn der Arbeitgeber daraus schließen kann, der Vertrag werde auch in Zukunft gestört. Notwendig ist somit eine negative Prognose. Die verhaltensbedingte Kündigung ist somit keine rückblickende Strafe für ein abgeschlossenes Verhalten. Die anzustellende negative Prognose ist nicht allein ohne Tatsachengrundlage durch Überlegungen zu einer zukünftigen Entwicklung ins Blaue hinein zu ermitteln. Die Vertragsstörung muss vielmehr konkret so geartet sein, dass daraus geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde auch in Zukunft seine Vertragspflichten nicht ordnungsgemäß erfüllen. Liegt kein gravierender Verstoß vor, so ist eine negative Prognose in der Regel gegeben, wenn der Arbeitnehmer nach einer vorherigen Abmahnung den Vertrag noch einmal in ähnlicher Weise verletzt hat. Aus dieser Wiederholungshandlung wäre dann der Schluss auch für die zukünftige Entwicklung zu ziehen. Der Ausspruch einer Abmahnung hat daher bei einer verhaltensbedingten Kündigung eine erhebliche Bedeutung. Die Abmahnung dient der Objektivierung der negativen Prognose. Eine Abmahnung ist nur ausnahmsweise entbehrlich: wenn der Arbeitnehmer durch gewisse Verhaltensweise zu erkennen gegeben hat, sein Verhalten in Zukunft auch ohne Abmahnung nicht verändern zu wollen oder aber wenn die Vertragsverletzung so schwerwiegend ist, dass eine Hinnahme durch die belastete Vertragspartei offensichtlich – und für den Handelnden erkennbar – ausgeschlossen ist. Schließlich ist eine umfassende Abwägung der Interessen des Arbeitnehmers wie auch des Arbeitgebers vorzunehmen.

(2)

84

Unter Berücksichtigung vorgenannter Maßstabe tragen die arbeitgeberseitig vorgetragenen Tatsachen nicht den Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung. Dabei kann auch zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass ihre Behauptungen zu den von der Klägerin geäußerten Aussagen am 01.10.2013 und 02.10.2013 und auch 24.09.2013 wahr sind. In der Summe können sie eine Kündigung im hiesigen Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände nicht tragen.

85

Die Äußerungen vom 01.10.2013 sind schon mit Blick auf eine Vertragsverletzung kaum von Relevanz. Vielleicht mag der Vorwurf, ihr Sohn werde schikaniert, etwas drastisch formuliert gewesen sein. Letztlich steckt dahinter jedoch die unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit zulässige Ansicht, der Sohn sei im Zuge der Kündigung falsch behandelt worden. Soweit die Beklagte davon sprach, der Vorstand sei abgekanzelt worden, handelt es sich um eine pauschale und unsubstantiierte Behauptung, die einer Prüfung durch das Gericht nicht zugänglich ist. Greifbare Tatsachen enthält diese Behauptung nicht.

86

Die hier als wahr unterstellten wörtlichen Zitate vom 02.10.2013 sind allerdings schon von höherem Gewicht. Sie enthalten Vorwürfe und in gewisser Weise Herabsetzungen der Vorstandsmitglieder, insbesondere des Vorsitzenden, die über das vernünftigerweise zu erwartende Maß einer Kommunikation hinausgehen. Hier kann - ohne nähere Prüfung - wiederum das Ergebnis einer zurechenbaren Vertragsverletzung unterstellt werden.

87

Die Kündigung scheitert aber daran, dass das Gericht mit Blick auf die Schwere der Pflichtverletzung ohne vorherige Abmahnung nicht zu einer negativen Prognose gerät und auch die Interessenabwägung zugunsten der Klägerin verläuft.

88

Vorliegend war eine Abmahnung nicht entbehrlich. Es ist nicht ersichtlich und nicht konkret behauptet worden, dass in Zukunft auch ohne Abmahnung mit gleichartigen Verstößen zu rechnen wäre. Auch handelt es sich nicht um besonders schwerwiegende Pflichtverletzungen. Bei der Äußerung, unter Herrn H. nicht arbeiten zu können, handelt es sich vielleicht um eine deutliche Meinungsäußerung, nicht völlig zufrieden zu sein. Von einem Arbeitnehmer kann jedoch nicht erwartet werden, immer einer Meinung mit seinem Vorgesetzten zu sein. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich diese Ansicht der Klägerin in der praktischen Arbeitsausführung ausgewirkt hätte. Auch die Äußerung zum Schikanieren ihrer Person und ihres Sohnes enthält keine besonders schwerwiegende Pflichtverletzung. Es handelt sich um eine völlig pauschale Meinungsäußerung. Falsche objektive Tatsachen einer Schikanierungshandlung werden nicht aufgestellt. Gerade im Streitgespräch wird das Wort Schikanieren nicht immer von jeder Person korrekt im eigentlichen Wortsinn gebraucht. Man muss auch berücksichtigen, dass die Klägerin den Vorwurf des Schikanierens nicht völlig aus der Luft gegriffen aufstellte. Beachtet man, dass ihrem Sohn erst vor wenigen Tagen während ihrer Abwesenheit gekündigt worden war und der Klägerin unmittelbar vor den streitigen Äußerungen überraschend eröffnet worden war, sich mit einem Aufhebungsvertrag von ihr trennen zu wollen, kann die Wahl des Begriffes Schikanieren nicht als besonders schwere Pflichtverletzung gesehen werden. Auch die Äußerung zum privaten Vorteil ist nicht besonders schwerwiegend. Auch hier handelt es sich um eine völlig pauschale, nicht greifbare Aussage. Diebstähle, Unterschlagungen und ähnliche Tathandlungen werden nicht unterstellt. Gegebenenfalls wird die Pauschalität des Vorwurfes durch den zweiten Teilsatz etwas aufgeklärt: Der Vorstandsvorsitzende wolle seine Meinung durchsetzen. In diesem Vorwurf kann jedoch keine schwere Pflichtverletzung gesehen werden. Entspricht es nicht sogar der menschlichen Natur – jedenfalls bei einer Führungsperson -, die eigene Meinung durchsetzen zu wollen? Die weitere Äußerung, der Vorstandsvorsitzende sei ein schlechter Leiter, kann eigentlich kaum als Pflichtverletzung angesehen werden. Die Äußerung mag undiplomatisch sein. Jedenfalls ist es der Klägerin nicht verwehrt, schlicht die Meinung zu äußern, der Chef sei ein schlechter Leiter. Sie muss keine Meinung auf der Linie des Vorgesetzten haben. Das Wort „schlecht“ ist auch nicht übermäßig überzogen. Das Gegenteil wäre guter Leiter. Die Klägerin könnte theoretisch auch eine neutrale Meinung haben. Wenn die Klägerin nun aber meint, Herr H. sei das Gegenteil von gut, muss sie im Rahmen der Meinungsfreiheit auch das schlichte Wort schlecht nutzen. Schließlich ist die Äußerung, auch er werde seine Strafe erhalten, nicht besonders schwerwiegend. Eine konkrete oder auch nur im Ansatz zu beachtende Drohung ist hierin nicht enthalten. Es handelt sich um eine schlichte inhaltsleere Redewendung in einem Streitgespräch. Dieses gilt im Übrigen auch für die Äußerung im Telefonat vom 24.09.2013. Schließlich ist der abschließende Satz, mit den Vorstandsmitgliedern nicht mehr reden zu wollen, maximal als leichte Pflichtverletzung anzusehen. Sie fügt sich ein als Reaktion auf die zutage getretenen unterschiedlichen Sichtweisen, die in dem Angebot eines Aufhebungsvertrages mündeten. Einzeln wie auch in der Summe machen die als wahr unterstellten Äußerungen eine Abmahnung nicht entbehrlich.

89

Im Rahmen der notwendigen Interessenabwägung wäre wiederum das eher geringe Gewicht der Pflichtverletzungen zu beachten. Von Bedeutung wäre ebenfalls, dass die Klägerin sich in einer besonderen emotionalen Situation befand, die durch die Kündigung des Sohnes und dem Ansinnen eines Aufhebungsvertrages ausgelöst war. Die Situation war ohnehin schon etwas angespannt, da die Milchproduktion in der letzten Zeit nicht mehr optimal verlief und die Klägerin und der Vorstand hierzu wohl unterschiedliche Ansichten hatten und sogar ein externer Berater hinzugezogen worden war. Auch war zugunsten der Klägerin anzuführen, dass das Arbeitsverhältnis bereits über 10 Jahre beanstandungsfrei verlaufen war. Von besonderem Gewicht ist hier zudem, dass die Klägerin selbst auch Genossenschaftsmitglied ist, es sich um eine kleine Genossenschaft handelt und die Klägerin jedenfalls mit Teilen des Vorstandes zuvor etwas näher verbunden war. Kennen sich die Parteien jedoch nicht nur durch das Arbeitsverhältnis, sondern auch privat und zudem aufgrund der Mitgliedschaft in der Genossenschaft, sind etwas drastischere Ausdruckweisen noch eher hinzunehmen. Auch war zu beachten, dass die Situation offenbar durch das Problem der Milchproduktion und die unterschiedlichen Ansichten hierzu mit ausgelöst worden war. Als Mitglied in der Genossenschaft hatte die Klägerin somit nicht nur die Position der Arbeitnehmerin, sondern vertrat auch eigene Mitgliedsinteressen. Bei den Äußerungen der Klägerin waren somit kaum trennbar ein Arbeitsverhältnisses, das Mitgliedschaftsverhältnis und die (teils) privaten Verbindung überlagert.

90

In der Gesamtschau war eine verhaltensbedingte Kündigung somit nicht gerechtfertigt.

c)

91

Im Ergebnis hat das Arbeitsgericht Neubrandenburg daher zu Recht dem Feststellungsantrag der Klägerin im Rahmen des Urteilstenors zu 1. stattgegeben. Die Anschlussberufung der Beklagten war daher zurückzuweisen.

II.

92

Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet.

93

Mit ihrer Berufung wandte sich die Klägerin allein insoweit gegen das arbeitsgerichtliche Urteil, als dass dort im Tenor zu 2. und 3. die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung ausgesprochen wurde.

94

Gemessen am vorgetragenen Sach- und Streitstand lagen die Voraussetzungen für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitgebers nicht vor. Das angegriffene Urteil war deshalb insoweit abzuändern.

95

Die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses bestimmt sich nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG. Gemäß vorgenannter Norm ist das Arbeitsverhältnis der Parteien auf Antrag des Arbeitgebers aufzulösen und der Arbeitgeber zur Zahlung einer Abfindung zu verurteilen, wenn Gründe vorliegen, die einen den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen.

1.

96

Aus der teilweisen Verweisung auf § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG durch die ersten 3 Wörter des Satzes 2 folgt eine weitere Voraussetzung: Das Gericht muss zunächst festgestellt haben, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung aufgelöst ist. Notwendig ist somit zunächst eine erfolgreiche Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers. Nur in diesem Fall ist die Möglichkeit der gerichtlichen Auflösung überhaupt eröffnet. Dabei gilt im Fall des Auflösungsantrages des Arbeitgebers (anders als beim arbeitnehmerseitigen Antrag), dass sich die Unwirksamkeit der Kündigung ausschließlich aus der Sozialwidrigkeit der Kündigung ergeben darf. Diese Vorschaltvoraussetzung für den Auflösungsantrag der Beklagten ist hier erfüllt. Auf die obigen Ausführungen unter I. kann verwiesen werden.

2.

97

Allerdings kommt die Kammer zu dem Schluss, dass hier entgegen der gesetzlichen Vorgabe keine Gründe vorliegen, die einen den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen.

98

Zu den Voraussetzungen eines Auflösungsantrages des Arbeitgebers nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG führt das BAG (23.10.2008, 2 AZR 483/07, Rz. 71 zitiert nach juris) abstrakt aus: „Nach der Grundkonzeption des Kündigungsschutzgesetzes führt eine Sozialwidrigkeit der Kündigung zu deren Rechtsunwirksamkeit und zum Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Das Kündigungsschutzgesetz ist vorrangig ein Bestandsschutz- und kein Abfindungsgesetz. Dieser Grundsatz wird bei einem Auflösungsantrag des Arbeitgebers durch § 9 KSchG unter der Voraussetzung durchbrochen, dass eine Vertrauensgrundlage für eine sinnvolle Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr besteht. Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses kommt hiernach nur ausnahmsweise in Betracht. An die Auflösungsgründe sind strenge Anforderungen zu stellen (st. Rspr., statt vieler Senat 2. Juni 2005 - 2 AZR 234/04 - AP KSchG 1969 § 9 Nr. 51 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 51 mwN). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu erwarten ist, ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz. Im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag ist zu fragen, ob in Zukunft noch mit einer den Betriebszwecken dienenden weiteren Zusammenarbeit der Parteien zu rechnen ist. Als Auflösungsgründe für den Arbeitgeber gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG kommen solche Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen zwar nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Auch kann die bloße Weigerung von Arbeitskollegen, mit einem Arbeitnehmer zusammenzuarbeiten, die Auflösung nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG genauso wenig rechtfertigen, wie es dem Arbeitgeber gestattet sein kann, sich auf Auflösungsgründe zu berufen, die von ihm selbst oder von Personen, für die er einzustehen hat, provoziert worden sind. Umstände, die nicht geeignet sind, die Kündigung sozial zu rechtfertigen, können aber zur Begründung des Auflösungsantrags herangezogen werden, jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber sich noch auf zusätzliche Tatsachen beruft.“

99

Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer an. Von besonderem Interesse ist in diesem Fall die Eigenschaft des KSchG als Bestandschutzgesetz. Konnten gewisse Tatsachen den Ausspruch einer Kündigung nicht rechtfertigen, besteht das Arbeitsverhältnis fort. Dann können jedoch schlicht dieselben Umstände nicht alternativ zur erfolglosen Kündigung die Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen – selbst wenn der Arbeitgeber intensiv der Meinung ist, das Arbeitsverhältnis eben aus diesen Gründen nicht mehr fortsetzen zu können. Die Folge des § 1 Abs. 1 und 2 KSchG ist der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, weil die entsprechenden Gründe nun gerade nicht die Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. Zwar kann sich der Arbeitgeber „auch“ auf Tatsachen berufen, die er schon für die erfolglose Kündigung vorgebracht hat. „Er muss in diesen Fällen allerdings zusätzlich greifbare Tatsachen dafür vortragen, dass der Kündigungssachverhalt, obwohl er die Kündigung nicht rechtfertigt, gleichwohl so beschaffen ist, dass er eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit nicht erwarten lässt. … Dabei dürfen nur solche Tatsachen berücksichtigt werden, die der darlegungspflichtige Arbeitgeber vorgetragen oder aufgegriffen hat“ (BAG, 02.06.2005, 2 AZR 234/04). Auch im Urteil vom 22.02.2010 zum Az. 2 AZR 554/08 urteilte das BAG, dass ein Arbeitgeber Sachverhalte, die er schon erfolglos für die Kündigung benannt hatte, für den Auflösungsantrag jedenfalls dann heranziehen darf, wenn sich der Arbeitgeber noch auf weitere Tatsachen beruft.

100

„Als Auflösungsgrund grundsätzlich geeignet sind Beleidigungen oder persönliche Angriffe des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, Vorgesetzte und Kollegen. Auch bewusst wahrheitswidrig aufgestellte Tatsachenbehauptungen können - etwa wenn sie den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen - die Rechte eines Arbeitgebers in gravierender Weise verletzen und eine gedeihliche künftige Zusammenarbeit in Frage stellen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22). Der Arbeitnehmer kann sich dafür nicht auf sein Recht zur freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen. Falsche Tatsachenbehauptungen sind nicht vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG umfasst (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19). Äußerungen, die ein Werturteil enthalten, fallen hingegen in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 18; 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21). In diesem Fall ist das Grundrecht der Meinungsfreiheit gegen die betroffenen Grundrechte des Arbeitgebers abzuwägen und mit diesen in ein ausgeglichenes Verhältnis zu bringen. Im Rahmen der Abwägung fällt die Richtigkeit des Tatsachengehalts, der dem Werturteil zugrunde liegt, ins Gewicht (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19; 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1). Meinungsäußerungen, die auf einer gesicherten Tatsachenbasis beruhen, hat der Arbeitgeber eher hinzunehmen, als solche, bei denen sich der Arbeitnehmer auf unzutreffende Tatsachen stützt. Arbeitnehmer dürfen unternehmensöffentlich Kritik am Arbeitgeber und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich ggf. auch überspitzt oder polemisch äußern (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 14, BAGE 138, 312). Die Meinungsfreiheit muss jedoch regelmäßig dann zurücktreten, wenn sich das in der Äußerung enthaltene Werturteil als Formalbeleidigung oder Schmähkritik erweist.“ (BAG 29.08.2013, 2 AZR 419/12, Rz 35, 36, zitiert nach juris).

101

Unter Berücksichtigung dieser abstrakten Ausführungen des BAG, denen sich die Kammer anschließt, kommt das Berufungsgericht bei Abwägung aller Einzelumstände zu dem Schluss, die die Voraussetzungen für eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht erreicht sind.

a)

102

Dabei ist zunächst von Gewicht, dass die Beklagte sich zur Begründung des Auflösungsantrages vor allem auf die Äußerungen vom 01. und 02.10.2013 beruft. Das waren jedoch schon genau die Tatsachen, die auch die Kernelemente des verhaltensbedingten Kündigungsgrundes bilden sollten und nicht zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Rahmen einer Kündigung geeignet waren. Die Grundaussage des Kündigungsschutzgesetzes als Bestandsschutzgesetz ist somit, dass gerade diese Äußerungen zunächst allein für sich nicht zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen sollen. Dies gilt dann auch für die gerichtliche Auflösung. Es müssen also nach der Rechtsprechung des BAG zusätzliche Tatsachen hinzukommen, die den Auflösungsantrag rechtfertigen sollen. Dann können auch die vorgebrachten Kündigungsgründe wieder in die Gesamtabwägung einbezogen werden.

b)

103

Hier hat sich die Beklagte zusätzlich auf die Ereignisse vom 04.11.2013 gestützt. Am 04.11.2013 fand eine Generalversammlung der Mitglieder der Genossenschaft statt, die letztlich den Widerruf der Bestellung der Klägerin als Aufsichtsratsmitglied beschloss (§ 36 Abs. 3 Genossenschaftsgesetz). Für den in Frage stehenden Widerruf der Bestellung waren vom Vorstand offenbar (auch) die streitigen Behauptungen zu Gesprächen vorgebracht worden, wie sie auch hier mit Blick auf den Aufhebungsvertrag und die Kündigung vorgetragen wurden. Daraufhin verteidigte sich die Klägerin in der Generalversammlung wie auch im hiesigen Prozess mit dem Vorbringen, die streitigen Äußerungen nicht getätigt zu haben. Die Beklagte geht nun davon aus, dass das Arbeitsverhältnis aufzulösen sei, weil die Klägerin selbst in der Generalversammlung von ihren (streitigen) Äußerungen nicht zurückgetreten sei und letztlich der Vorstand als Lügner dastehe, wenn die Klägerin behaupte, nicht das geäußert zu haben, was der Vorstand behauptet. Die Vorgänge des 04.11.2013 sind insoweit unstreitig.

104

Diese Vorgänge - auch in Verbindung mit den streitigen Äußerungen aus der Zeit vor der Kündigung – lassen eine gerichtliche Auflösung nicht zu. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin am 04.11.2013 keine besondere, verwerfliche Verhaltensweise an den Tag gelegt hat, so dass ausnahmsweise das Arbeitsverhältnis aufgelöst werden müsste. Die Sache wird auch zu verkürzt betrachtet, wenn die Beklagte meint, die Klägerin habe den Vorstand als Lügner dargestellt. Dabei ist zu beachten, dass am 04.11.2013 nicht irgendeine Generalversammlung stattgefunden hat, in dem die Klägerin unabhängig von den bisherigen Ereignissen sich in besonderem Maße abfällig oder beleidigend gegenüber dem Vorstand geäußert hätte. Die Ereignisse vom 04.11.2013 lassen sich vielmehr nicht von den vorherigen Ereignissen trennen. Hintergrund der Sitzung war die vom Vorstand initiierte Abberufung der Klägerin als Aufsichtsratsmitglied in der Folge der ausgesprochenen Kündigung und des behaupteten Aufhebungsvertrages. Der Vorstand musste hierzu der Generalversammlung Gesprächsinhalte schildern, wie sie sich aus seiner Sicht ereignet hatten. Wenn sich die Klägerin dann jedoch verteidigt und die Gespräche aus ihrer Sicht wiedergibt, so hat sie doch in der Sitzung am 04.11.2013 nichts anderes getan, als sie auch hier im Kündigungsschutzprozess getan hat: Sie hat als Reaktion auf Vorwürfe der Gegenseite Gesprächsinhalte aus ihrer Sicht dargestellt. Im Kündigungsschutzprozess und allgemein in jedem Rechtsstaat ist es aber eine zulässige Verhaltensweise einer Partei, sich gegenüber Vorwürfen zu verteidigen und die eigene Sicht der Dinge darzustellen. Es ist auch völlig unstreitig, dass die Klägerin sowohl im Kündigungsschutzprozess wie auch in der Sitzung vom 04.11.2013 keine überzogene Ausdrucksweise benutzt oder über die sachliche Verteidigungsrede hinaus neue Vorwürfe erhoben oder Schmähkritik etc. geäußert hätte.

105

Für Äußerungen in Gerichtsprozessen, insbesondere Kündigungsschutzprozessen, ist anerkannt, dass Erklärungen des Arbeitnehmers durch ein berechtigtes Interesse gedeckt sein können. Die Parteien dürfen schon im Hinblick auf das rechtliche Gehör alles vortragen, was als rechts-, einwendungs- und einredebegründender Umstand prozeßerheblich sein kann. Anerkannt ist dabei auch, dass selbst starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte genutzt werden dürfen, um die eigene Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn man es vorsichtiger hätte formulieren können (vgl. BAG, 24.03.2011, 2 AZR 674/09). Diese Rechtsprechung des BAG scheint die Beklagte anzuerkennen, wenn sie der Klägerin nicht vorhält, sich im Kündigungsschutzprozess auf die gleiche Weise verteidigt zu haben, wie am 04.11.2013. Anderenfalls hätte als Auflösungsgrund auch das Verhalten im Prozeß vorgebracht werden können. Denn auch hier hatte die Klägerin eine andere Sicht auf die Tatsachen und die daraus folgenden Rechtsfolgen. Auch hier hätte man meinen können, der Vorstand stehe durch die Verteidigungshandlung der Klägerin wie ein Lügner da.

106

Wenn der Klägerin diese Verteidigungshandlungen sogar in einem Kündigungsschutzprozess unter Beteilung des Gerichts als unschädliche Handlungen zustehen, so ist nicht nachzuvollziehen, weshalb dieses Verhalten nicht auch außerhalb des Prozesses zulässig sein sollte. Die Kündigungsschutzklage war bereits am 28.10.2013 erhoben worden. Die Beklagte kann nicht verlangen, dass die Klägerin zwar im zeitlich parallelen Kündigungsschutzprozess ihre Sicht der Dinge äußern darf, sich aber außerhalb des Prozesses gegenteilig äußern muss, um keine Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu riskieren. Von der Klägerin kann nicht verlangt werden, dass sie auf der Generalversammlung alle Vorwürfe des Vorstandes bestätigt, um sich dann widersprüchlich hierzu bei Gericht verteidigen zu dürfen. Die Äußerungen der Klägerin am 04.11.2013 können daher ebenso wenig die Auflösung rechtfertigen, wie das gleichartige Verteidigungsverhalten im Kündigungsschutzprozess.

107

Auch waren hier nur mündliche Äußerungen im Streit, die von den Parteien in der Erregung des Gespräches unterschiedlich aufgefasst bzw. im Gedächtnis gespeichert werden können. Gerade aus solchen Gründen war u. a. auch der § 623 BGB geschaffen worden, weil der Gesetzgeber erkannt hat, dass Parteien gewisse Gespräche unterschiedlich wahrnehmen können. Der abweichende Vortrag der Klägerin betrifft hier somit nicht solch eindeutige Tatsachen wie: Wurde am Tag X vom Vorstand an die Klägerin ein Briefumschlag mit 500,00 Euro übergeben, wozu es keine unterschiedlichen Ansichten geben kann.

108

Dabei ist auch zu beachten, dass sich die Klägerin am 04.11.2013 nicht ohne Not zu den Vorgängen am 01. und 02.10.2013 geäußert hat. Es stand hier vielmehr auch ihre Abberufung als Aufsichtsratsmitglied auf dem Spiel. Auch deshalb ist von der Wahrnehmung berechtigter Interessen auszugehen. Hinzu kommt der Umstand, dass die Handlung vom 04.11.2013 insoweit auch keinen unmittelbaren Bezug zum Arbeitsverhältnis hatte. Es ging nicht um das Verhältnis zwischen Arbeitgeber () und Arbeitnehmer. Hier ging es um das Rechtsverhältnis der Klägerin als Aufsichtsratsmitglied. Dies ist ein Rechtsverhältnis, welches (- die Wahlvorschriften in Genossenschaftsgesetz zeigen es -) gegenüber der Generalversammlung, also den Mitgliedern der Genossenschaft besteht, wobei hinzu kommt, dass die Klägerin als Mitglied insoweit wiederum auch selbst betroffen war. Die Verbindung dieses Verhaltens zum Arbeitsverhältnis besteht daher nur mittelbar.

c)

109

Auch bei Betrachtung des Ereignisses vom 04.11.2013 zusammen mit den Ereignissen vor der Kündigung ergibt sich kein Auflösungsgrund. Es ist nicht erkennbar, dass eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit nicht zu erwarten wäre. Die Beklagte behauptet dies zwar vehement. Mit dieser puren Behauptung wird allerdings nur der Beendigungswille des Arbeitsgebers unterstrichen. Die vorgebrachten Tatsachen rechtfertigen dies jedoch nicht. Das Verhalten vom 04.11.2013 stellt sich als Wahrnehmung berechtigter Interessen dar und die Äußerungen der Klägerin vor der Kündigung sind nicht von einem derartig schweren Gewicht, dass eine Auflösung nötig wäre. Sie konnten schon nicht die Kündigung rechtfertigen. Dabei ist auch hier bei der Gesamtabwägung wieder zu beachten, dass die wiederum als wahr unterstellten Äußerungen letztlich auch durch die Kündigung des Sohnes und das überraschende Ansinnen der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses mit ausgelöst worden waren. Auch ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin als Mitglied der Genossenschaften ebenfalls eigene, besondere Interessen hatte, so dass die Äußerungen der Klägerin nicht nur im Lichte ihrer Arbeitnehmereigenschaft zu sehen sind. Auch vor diesem Hintergrund und dem Umstand, dass in der Landwirtschaft wie auch in der Bauwirtschaft ohnehin nicht dieselbe Ausdruckweise wie etwa in einer Bank üblich ist, ist das Verhalten der Klägerin hinzunehmen.

110

Aus dem Fehlen der Klägerin aufgrund Krankschreibung bei der Mitgliederversammlung am 13.11.2014 kann für den hiesigen Fall offensichtlich nichts zugunsten der Beklagten abgeleitet werden.

3.

111

Im Ergebnis bestand somit kein Auflösungsgrund. Das Arbeitsgerichtliche Urteil war insoweit abzuändern.

III.

112

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

113

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben. Das Berufungsgericht hat bestehende Rechtssätze des BAG im Rahmen der Einzelabwägung auf den Einzelfall angewandt.

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Tenor 1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 20. August 2009 - 16 Sa 1644/08 - aufgehoben, soweit es die Berufung des Klägers gegen das U

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(1) Die Vorschriften des Ersten und Zweiten Abschnitts gelten für Betriebe und Verwaltungen des privaten und des öffentlichen Rechts, vorbehaltlich der Vorschriften des § 24 für die Seeschiffahrts-, Binnenschiffahrts- und Luftverkehrsbetriebe. Die Vorschriften des Ersten Abschnitts gelten mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 und des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 nicht für Betriebe und Verwaltungen, in denen in der Regel fünf oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt werden. In Betrieben und Verwaltungen, in denen in der Regel zehn oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt werden, gelten die Vorschriften des Ersten Abschnitts mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 und des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 nicht für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nach dem 31. Dezember 2003 begonnen hat; diese Arbeitnehmer sind bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nach Satz 2 bis zur Beschäftigung von in der Regel zehn Arbeitnehmern nicht zu berücksichtigen. Bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nach den Sätzen 2 und 3 sind teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden mit 0,5 und nicht mehr als 30 Stunden mit 0,75 zu berücksichtigen.

(2) Die Vorschriften des Dritten Abschnitts gelten für Betriebe und Verwaltungen des privaten Rechts sowie für Betriebe, die von einer öffentlichen Verwaltung geführt werden, soweit sie wirtschaftliche Zwecke verfolgen.

(1) Stellt das Gericht fest, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, so hat das Gericht auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen. Die gleiche Entscheidung hat das Gericht auf Antrag des Arbeitgebers zu treffen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber können den Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz stellen.

(2) Das Gericht hat für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Zeitpunkt festzusetzen, an dem es bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte.

Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Im Falle des § 2 ist die Klage auf Feststellung zu erheben, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist. Hat der Arbeitnehmer Einspruch beim Betriebsrat eingelegt (§ 3), so soll er der Klage die Stellungnahme des Betriebsrats beifügen. Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer ab.

Die Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch Kündigung oder Auflösungsvertrag bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform; die elektronische Form ist ausgeschlossen.

(1) Ist durch Gesetz schriftliche Form vorgeschrieben, so muss die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet werden.

(2) Bei einem Vertrag muss die Unterzeichnung der Parteien auf derselben Urkunde erfolgen. Werden über den Vertrag mehrere gleichlautende Urkunden aufgenommen, so genügt es, wenn jede Partei die für die andere Partei bestimmte Urkunde unterzeichnet.

(3) Die schriftliche Form kann durch die elektronische Form ersetzt werden, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.

(4) Die schriftliche Form wird durch die notarielle Beurkundung ersetzt.

Die Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch Kündigung oder Auflösungsvertrag bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform; die elektronische Form ist ausgeschlossen.

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Die Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch Kündigung oder Auflösungsvertrag bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform; die elektronische Form ist ausgeschlossen.

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Die Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch Kündigung oder Auflösungsvertrag bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform; die elektronische Form ist ausgeschlossen.

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

Tenor

1. Die Berufung wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug inzwischen nur noch um die Frage, ob die arbeitgeberseitige außerordentliche und hilfsweise ordentliche Kündigung vom 22. August 2011 das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet hat.

2

Der Kläger steht seit dem 1. April 2010 in einem Arbeitsverhältnis zu der Beklagten als Abteilungsleiter Reha-Technik zu einem monatlichen Bruttogehalt von 5.500,00 Euro. Außerdem steht ihm ein Dienstwagen, den er auch privat nutzen darf, zur Verfügung. Der zwischen den Parteien vereinbarte Arbeitsvertrag vom 19. Januar 2010, wegen dessen Wortlaut und Inhalt im Einzelnen auf Blatt 5 bis 7 der Akte Bezug genommen wird, lautet auszugsweise:

3

„§ 1 Tätigkeitsgebiet

1.

4

Der Mitarbeiter wird mit Wirkung ab dem 01. April 2010 als leitender Angestellter für den Aufgabenbereich Leitung, Entwicklung und Controlling im Sanitätsfachhandel, Orthopädietechnik, Schuhorthopädietechnik, Rehatechnik sowie der dazugehörenden Kostenstellen, im Einzugsbereich Mecklenburg / Vorpommern beschäftigt.

5.

5

Direkter Vorgesetzter des Mitarbeiters ist der Geschäftsführer der Gesellschaft.

6

§ 2 Prokura

7

Dem Mitarbeiter kann nach einer Einarbeitungszeit von 6 Monaten Prokura in Form der Gesamtprokura erteilt werden. … Erfolgt keine Erteilung der Prokura, durch die Gesellschafterversammlung, entsteht ersatzweise, ohne dass dies einer neuen gesonderten Vereinbarung bedarf, ein reguläres unbefristetes Arbeitsverhältnis. Es gelten somit die Rechte und Pflichten aus dem Vertrag, ohne Prokura. …

8

§ 9 Kündigung

1.

9

Der Dienstvertrag kann von jeder Partei mit einer Frist von 1 Monat gekündigt werden. Nach einer Vertragsdauer von 1 Jahre verlängert sich die Kündigungsfrist auf 2 Monate und nach 2 Jahren auf 3 Monate zum Quartalsende.
…“

10

Von der in § 2 des Arbeitsvertrages vorgesehenen Möglichkeit der Erteilung einer Prokura an den Kläger ist kein Gebrauch gemacht worden, der Kläger ist weder zur Vertretung der Beklagten noch zur Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern befugt.

11

Im Frühjahr 2011 hatte es in direktem Kontakt zwischen dem Kläger und dem Alleingesellschafter der Beklagten, dem Vater des Geschäftsführers der Beklagten, Gespräche darüber gegeben, ob man die Geschäftsführerposition dem Kläger übertragen solle. Die Gespräche endeten ohne Einvernehmen.

12

Ebenfalls in der ersten Jahreshälfte 2011 ist der Dienstwagen des Klägers auch von weiteren Mitgliedern der Familie des Klägers benutzt worden. Zwischen den Parteien herrscht Streit, ob der Kläger mit dieser Gestattung Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis verletzt hat.

13

Unter dem Datum des 13. Juli 2011 erhielt der Kläger eine "personenbedingte Abmahnung", die der Kläger mit seiner am 22. August 2011 bei Gericht eingegangenen Klage angegriffen hat. Hier wird ihm vorgeworfen, er habe sich nicht mit dem nötigen Nachdruck und zusätzlich verspätet darum bemüht von seinem untergebenen Mitarbeiter Herrn K. in Erfahrung zu bringen, ob dessen Arbeitsunfähigkeit auf ein schuldhaftes Verhalten Dritter zurückgeführt werden könne.

14

Der Kläger hatte sich bereits Ende Mai 2011 auf eine in der O.-Zeitung ausgeschriebenen Position des Geschäftsführers der städtischen "A. gGmbH" beworben. Da er zu den aussichtsreichen Kandidaten gehört hatte, wurde der Kläger gebeten, sich bei der Bürgerschaft der Hansestadt vorzustellen. Am 22. August 2011 hat sich der Kläger in der Bürgerschaft vorgestellt, worüber die Presse am Folgetag berichtet hatte. Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt auf Grund einer Krankschreibung, die für die Zeit vom 8. August 2011 bis zum 24. August 2011 reichte, arbeitsbefreit.

15

Daraufhin hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum Kläger unter dem Datum des 22. August 2011, dem Kläger zugegangen am Folgetag, außerordentlich und hilfsweise ordentlich gekündigt (Kopie der Kündigung ist als Anlage K 6 zur Akte gereicht worden, hier Blatt 28). Diese Kündigung greift der Kläger mit seiner am 26. August 2011 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klageerweiterung zu seiner Abmahnungsklage an. Dabei hatte er auch noch Zahlungsansprüche für die Zeit vor Ausspruch der Kündigung geltend gemacht.

16

Das Arbeitsgericht hat der Klage in vollem Umfang mit seinem Urteil vom 7. Februar 2012 entsprochen. Auf dieses Urteil wird wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes vor dem Arbeitsgericht Bezug genommen.

17

Das Urteil ist der Beklagten am 2. April 2012 zugestellt worden. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten vom 30. April 2012 ist beim Landesarbeitsgericht per FAX am 2. Mai 2012 eingegangen und nach einem hier am 29. Mai 2012 eingegangenen und bewilligten Fristverlängerungsantrag innerhalb der verlängerten Frist begründet worden.

18

Der Beklagte hat im Berufungsrechtszug nur noch die Abweisung des Abmahnungsentfernungsantrages, des Kündigungsschutz- und des Weiterbeschäftigungsantrages begehrt; in dem weiteren Punkt der Zahlung ist das arbeitsgerichtliche Urteil in Rechtskraft erwachsen. Im weiteren Verlauf des Berufungsrechtszuges hat sich der Kläger von dem streitigen Arbeitsverhältnis im März 2012 nach § 12 KSchG losgesagt. Dementsprechend haben die Parteien den Streit um die Berechtigung der Abmahnung und die Weiterbeschäftigung in der Hauptsache für erledigt erklärt, so dass nur noch in Streit steht, ob das Arbeitsverhältnis durch die streitige Kündigung oder erst durch die Lossagung des Klägers mit Ablauf des 13. März 2012 beendet wurde.

19

Die Beklagte hält daran fest, dass die Kündigung vom 22. August 2011 das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet hat. Ihr lägen sowohl personen- als auch verhaltensbedingte und auch betriebsbedingte Gründe zugrunde.

20

Zur Kündigung trägt die Beklagte vor, der Kläger sei leitender Angestellter im Sinne des § 14 Absatz 2 KSchG. Im Einzelnen sei die Kündigung damit begründet, dass das dem Kläger zur persönlichen Privatnutzung zur Verfügung gestellte Fahrzeug von der "gesamten Familie des Klägers ohne Zustimmung der Beklagten auch während der beruflichen Abwesenheit des Klägers" genutzt worden sei. Da der Kläger "fortgesetzt und gravierend" gegen seine vertraglichen Pflichten verstoßen habe, sei das Vertrauensverhältnis zwischen dem Geschäftsführer und dem nicht geschäftsführenden Alleingesellschafter einerseits und dem Kläger andererseits nachhaltig und endgültig zerstört.

21

Die Bewerbung des Klägers um die Position des Geschäftsführers der "A. gGmbH" stelle ein illoyales Verhalten dar, dass die Kündigung ebenfalls begründe. Des Weiteren habe der Kläger sich im Frühjahr des Jahres 2011 ohne Aufforderung bei dem Alleingesellschafter der Beklagten um die Geschäftsführerposition derselben beworben. Zudem sei der Kläger seinen Aufgaben als leitender Angestellter nicht nachgekommen, da er diesen nicht gewachsen sei. Die Zusammenarbeit mit anderen leitenden Mitarbeitern der Beklagten habe sich als "äußerst schwierig" gestaltet.

22

Schließlich trägt die Beklagte vor, die Kündigung des Klägers liege auch in einer unternehmerischen Entscheidung begründet. Hierzu beruft sie sich auf einen von ihr vorgetragenen Beschluss vom 22. August 2011, nach dem die unternehmerische Entscheidung getroffen worden sei, den Bereich Sanitätsfachhandel, Orthopädietechnik, Schuhorthopädietechnik und Reha-Technik direkt dem Geschäftsführer der Beklagten zu unterstellen und die Position eines leitenden Angestellten für diesen Bereich abzuschaffen. Die Beklagte trägt hierzu vor, eine derartige unternehmerische Entscheidung habe nicht der Zustimmung des Alleingesellschafters der Beklagten bedurft, sie habe auch durch den Geschäftsführer der Beklagten allein getroffen werden dürfen.

23

Die Beklagte beantragt,

24

unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils in Punkt 2 die Klage insoweit abzuweisen.

25

Der Kläger beantragt,

26

die Berufung zurückzuweisen.

27

Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam. Hierzu bestreitet er das Vorliegen von Gründen. Darüber hinaus trägt er vor, er sei kein leitender Angestellter im Sinne des § 14 KSchG. Der Kläger bestreitet zudem den Vortrag der Beklagten, er habe seiner Familie die Nutzung des ihm überlassenen Kraftfahrzeuges gestattet. Er habe lediglich in zwei Fällen seiner Tochter das Führen das Fahrzeuges gestattet, wobei er sich einmal von ihr zu einer ambulanten Darmspiegelung habe fahren lassen, ein anderes Mal habe seine Tochter in einem Einkaufszentrum Blumen für ihren bevorstehenden Geburtstag abgeholt.

28

Der Kläger ist der Ansicht, die Wahrnehmung des Vorstellungstermins bei der Bürgerschaft der Hansestadt A-Stadt am 22. August 2011 stelle keinen Kündigungsgrund dar. Hintergrund der Krankschreibung sei der Umstand gewesen, dass der Kläger sich im rechten Arm einen Nerv eingeklemmt habe und diesen Arm nicht habe bewegen können, was sich weder auf den kurzzeitigen Vorstellungstermin in der Bürgerschaft, noch auf die Verpflichtung, alles zu unterlassen, was einer schnellen Genesung zuwiderlaufe, auswirke.

29

Soweit die Beklagte dem Kläger vorwerfe, er habe sich im Frühjahr 2011 bei ihrem Alleingesellschafter um die Geschäftsführerposition beworben, und hierbei "Bedingungen" gestellt, sei dies nicht zutreffend und würde im Übrigen keine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung darstellen. Darüber hinaus bestreitet der Kläger, "seinen Aufgaben nicht gewachsen" zu sein und dass die Zusammenarbeit mit anderen Mitarbeitern sich als "äußerst schwierig" gestalte, dieser Vortrag sei unsubstantiiert und nicht einfassungsfähig.

30

Der Kläger bestreitet die von der Beklagten vorgetragene unternehmerische Entscheidung zum Wegfall seines Arbeitsplatzes sowie den Wegfall eines Beschäftigungsbedarfs. Auch dieser Vortrag der Beklagten sei unkonkret.

31

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrages der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf die überreichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

32

Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat mit zutreffenden Erwägungen, denen sich das Berufungsgericht ausdrücklich anschließt, der Kündigungsschutzklage entsprochen. Das Berufungsvorbringen rechtfertigt eine andere Entscheidung nicht.

I.

33

Soweit die Kündigung vom 22. August 2011 als eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen wurde, mangelt es an einem wichtigen Grund zur Kündigung im Sinne von § 626 BGB.

34

Nach § 626 Absatz 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden – hier der Beklagten – unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung nicht zugemutet werden kann. Das kann hier nicht festgestellt werden.

35

§ 626 Absatz 1 BGB ist nur erfüllt, wenn ein Anlass zur Kündigung vorliegt, der an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund darzustellen, wenn es keine mildere Alternative zu der Kündigung zur Behebung des Problems gibt und wenn im Rahmen der abschließenden Interessenabwägung kein Überwiegen der für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses streitenden Interessen festgestellt werden kann.

36

Vorliegend mangelt es bereits an einem Grund, der an sich geeignet wäre, die Kündigung zu rechtfertigen. Selbst wenn man einzelne klägerische Verfehlungen als grundsätzlich zur Begründung der Kündigung geeignet ansehen würde, scheitert die Kündigung an dem Umstand, dass es auch andere Lösungen gegeben hätte, die das Problem der Beklagten ohne Ausspruch einer Kündigung behoben hätten.

1.

37

Nach der Lage des Rechtsstreits zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht hat der Kläger sich durch seine Vorstellung in der Bürgerschaft der Hansestadt A-Stadt während seiner Arbeitsunfähigkeit am 22. August 2011 nicht pflichtwidrig verhalten.

38

Ein arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer hat während seiner Ausfallzeit durch sein eigenes Verhalten dafür Sorge zu tragen, dass er die Phase der Arbeitsunfähigkeit möglichst zügig überwindet. Das bedeutet aber nicht, dass er stets nur das Bett zu hüten hat, oder jedenfalls die eigene Wohnung nicht verlassen sollte. Vielmehr ist auf die je vorliegende Krankheit abzustellen, um ermessen zu können, welche Tätigkeiten einem Arbeitnehmer während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit untersagt sind.

39

Im vorliegenden Falle hat der Kläger, was von der Beklagten nicht bestritten wurde, während der hier streitigen Arbeitsunfähigkeit an einer Einschränkung der Bewegungsfähigkeit seines rechten Arms gelitten, die auf einen eingeklemmten Nerv zurückzuführen war. Der Kläger trägt ohne Widerspruch der Beklagten vor, ärztlicherseits sei ihm nur angeraten worden, den rechten Arm nicht zu belasten. Damit ist nicht erkennbar, weshalb es dem Kläger verboten sein sollte, sich in der Bürgerschaft der Hansestadt während der Arbeitsunfähigkeit für den von ihm angestrebten Posten vorzustellen.

40

In Vorbereitung der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht hatte der Kammervorsitzende angemerkt, dass möglicherweise der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wegen des öffentlichen Auftritts des Klägers während seiner Krankschreibung erschüttert sein könnte. Ob die dafür vorliegenden Indizien ausreichen, kann für das Urteil dahinstehen, denn der Kläger hat daraufhin seine Behauptung der Erkrankung unter Hinweis auf die medizinischen Ursachen aufrechterhalten und den ihn behandelnden Arzt von seiner ärztlichen Schweigepflicht entbunden. Die insoweit beweisbelastete Beklagte hat diese Chance nicht genutzt, um den Nachweis zu führen, dass tatsächlich gar keine Arbeitsunfähigkeit vorgelegen habe.

41

Der Auftritt des Klägers in der Bürgerschaft während seiner Arbeitsunfähigkeit kann daher weder als genesungswidriges Verhalten noch als Arbeitsverweigerung gewertet werden.

2.

42

Der Auftritt des Klägers in der Bürgerschaft und die damit in Zusammenhang stehenden Umstände können die Kündigung auch nicht unter anderen Gesichtspunkten rechtfertigen.

43

Da der Auftritt des Klägers in der Bürgerschaft dem Umstand geschuldet war, dass sich der Kläger auf eine andere Stelle in leitender Position beworben hatte, hat das Gericht auch geprüft, ob die Kündigung unter dem Gesichtspunkt des Abkehrwillens begründet sein könnte. Die Voraussetzungen für eine Kündigung wegen des Willens des Arbeitsnehmers zur Abkehr vom Arbeitsverhältnis liegen jedoch nicht vor.

44

Ein von einem Arbeitnehmer gezeigter Abkehrwille rechtfertigt nicht ohne weiteres die Kündigung. Solange der Arbeitnehmer seine vertraglichen Pflichten erfüllt, kann es ihm grundsätzlich nicht vorgeworfen werden, dass er sich nach einem anderen Arbeitsfeld umschaut. Artikel 12 Grundgesetz (GG) gewährt dem Arbeitnehmer die freie Arbeitsplatzwahl (Preis in Staudinger § 626 BGB Randnummer 126). Eine Kündigung kann daher allenfalls dann gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer seine Pflichten im alten Arbeitsverhältnis zu Gunsten seiner zukünftigen Tätigkeit vernachlässigt (BAG 26. Juni 2008 – 2 AZR 190/07 – NZA 2008, 1415) oder wenn der Arbeitgeber die Chance hat, für den abkehrwilligen Arbeitnehmer eine andere Person einzustellen (BAG 22. Oktober 1964 - 2 AZR 515/63 - AP Nr. 16 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung).

45

Beides liegt hier nicht vor.

a)

46

Die Beklagte hat keine Umstände vorgetragen, aus denen das Gericht schließen könnte, der Kläger habe seine Pflichten im Verhältnis zur Beklagten aus Anlass der Umschau nach einem neuen Arbeitgeber vernachlässigt.

47

Soweit die Beklagte dies aus dem vom Kläger vorgelegten Mail-Verkehr (Anlage K 3, hier Blatt 9 ff) folgern will, ist diese Folgerung nicht schlüssig. Die Beklagte wirft dem Kläger vor, er habe dienstliche Mails an seine private Mailadresse übermittelt und damit zum Ausdruck gebracht, dass er sich innerlich bereits von der Beklagten verabschiedet habe. Es ist sicherlich nicht korrekt, dienstliche Mails ohne Genehmigung oder jedenfalls ohne Unterrichtung des Arbeitgebers zu eigenen Zwecken zu nutzen. Allerdings darf bei der Bewertung dieses Versäumnisses nicht der Zusammenhang außer Acht gelassen werden. Denn der Kläger hat die auf sein Privatkonto kopierten Mails an seinen Prozessbevollmächtigten zur Vorbereitung der Abmahnungsklage weitergeleitet. Denn aus diesen Mails hat die Beklagte abgeleitet, dass sich der Kläger in der Angelegenheit des Kollegen K. nicht ausreichend bemüht habe. Der Rechtsanwalt benötigte diese Unterlagen also, um den Kläger überhaupt zu verstehen und um die klägerischen Argumente in der Klageschrift verarbeiten zu können. Eine innere Verabschiedung des Klägers aus dem Arbeitsverhältnis lässt sich daraus nicht schließen. Schon gar nicht ergibt sich daraus ein eigenständiger Kündigungsgrund, denn schon durch den Ausspruch der Abmahnung musste die Beklagte damit rechnen, dass die ihr zu Grunde liegenden Dokumente dann auch letztlich beim Gericht landen werden.

b)

48

Da die Beklagte im Rechtsstreit die Behauptung aufgestellt hat, sie habe die Stelle des Klägers gestrichen, kommt auch die Kündigung wegen der Chance, eine Nachfolgekraft einstellen zu können, nicht in Betracht.

3.

49

Die weiteren Pflichtverletzungen, die die Beklagte dem Kläger vorwirft, können hier unberücksichtigt bleiben, weil ihnen Geschehnisse zu Grunde liegen, die schon so weit in der Vergangenheit zurückliegen, dass die Kündigung schon an der zweiwöchigen Kündigungserklärungsfrist aus § 626 Absatz 2 BGB scheitert.

II.

50

Auch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 22. August 2011 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ist aufgrund der Anzahl der bei der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer und der Dauer der Zusammenarbeit der Parteien nach §§ 1, 23 KSchG das Kündigungsschutzgesetz anwendbar. Eine Kündigung bedarf danach einer sozialen Rechtfertigung. Keiner der von der Beklagten vorgetragenen Gesichtspunkte ist geeignet, die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum Kläger sozial zu rechtfertigen.

1.

51

Das Landesarbeitsgericht ist nicht in der Lage festzustellen, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer weiteren Beschäftigung des Klägers bei der Beklagten entgegenstehen (§ 1 Absatz 2 KSchG), bedingt ist.

52

Mit der Beklagten geht das Gericht davon aus, dass Arbeitsplätze in einem Betrieb dadurch in Wegfall geraten können, dass sich der Arbeitgeber ein neues Betriebskonzept überlegt und der Vergleich des derzeitigen mit dem zukünftigen Betriebskonzept die Entbehrlichkeit des einen oder anderen Arbeitnehmers ergibt.

53

Mit der Beklagten geht das Berufungsgericht im Weiteren davon aus, dass es grundsätzlich allein Sache des Arbeitgebers ist zu entscheiden, mit welchem Betriebskonzept er meint, seine Betriebsziele am besten erreichen zu können. Das Gericht kann diese nicht auf ihre Klugheit oder Effizienz oder auf sonstige Kriterien überprüfen. Es muss von dem geplanten Betriebskonzept ausgehen und kann lediglich prüfen, ob es sich überhaupt umsetzten lässt und ob es auch tatsächlich umgesetzt wird.

54

Von diesen Grundsätzen hat die Rechtsprechung allerdings dann eine Ausnahme gemacht, wenn sich die Umsetzung des neuen Betriebskonzepts praktisch in der Kündigung eines Arbeitnehmers erschöpft. Denn würde man auch hier jedes beliebige Betriebskonzept ungeprüft hinnehmen, so gäbe es für den gekündigten Arbeitnehmer keinerlei Schutz mehr vor nicht betriebsbedingten Kündigungen.

55

Daher kann in Fällen, in denen die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers und sein Kündigungsentschluss praktisch deckungsgleich sind, die ansonsten berechtigte Vermutung, die fragliche Entscheidung sei aus sachlichen Gründen erfolgt, nicht unbesehen greifen. Da die Kündigung nach dem Gesetz an das Vorliegen von Gründen gebunden ist, die außerhalb ihrer selbst liegen, muss der Arbeitgeber in solchen Fällen seine Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und zeitlichen Nachhaltigkeit verdeutlichen (BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 124/11 - DB 2012, 2402 = NZA 2012, 1223; BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09 - AP Nr. 186 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 165; BAG 17. Juni 1999 - 2 AZR 522/98 - BAGE 92, 61 = AP Nr. 102 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung). Daran fehlt es, wenn die Kündigung zu einer rechtswidrigen Überforderung oder Benachteiligung des im Betrieb verbleibenden Personals führen würde oder die zugrundeliegende unternehmerische Entscheidung lediglich Vorwand dafür wäre, bestimmte Arbeitnehmer aus dem Betrieb zu drängen, obwohl Beschäftigungsbedarf und Beschäftigungsmöglichkeiten objektiv fortbestehen und etwa nur der Inhalt des Arbeitsvertrags als zu belastend angesehen wird (BAG 24. Mai 2012 aaO; BAG 23. Februar 2012 - 2 AZR 548/10 - NZA 2012, 852).

56

Dieser erweiterten Vortragslast ist die Beklagte nicht nachgekommen.

a)

57

Die Beklagte argumentiert, die Arbeiten, die bisher dem Kläger oblegen hätten, werde zukünftig der Geschäftsführer der Beklagten wahrnehmen. Wenn man davon ausgeht, dass der Kläger zur Erledigung seiner Arbeiten ungefähr 40 Stunden in der Woche benötigt hat und wenn man weiter davon ausgeht, dass auch der Geschäftsführer schon bisher mit seiner Führungsaufgabe zeitlich ganz gut ausgelastet war, ist nicht ersichtlich, wie die bisher vom Kläger erledigten Arbeiten zukünftig ohne Überlastung einzelner Beschäftigter erledigt werden sollten. Die Beklagte sei daran erinnert, dass die Einstellung des Klägers nach ihrem eigenen Vortrag der Entlastung der Geschäftsführung dienen sollte, deren Überlastung nach der Entlassung des Klägers nunmehr wohl wieder eintritt.

58

Selbst wenn man den Vortrag der Beklagten dahin deutet, dass man den Kläger eingestellt habe, um das Geschäftsfeld der Reha-Technik auszubauen, und man sich nun nach Scheitern dieses Projekts zukünftig auf das Verwalten des Ist-Zustandes beschränken werde, muss das Gericht davon ausgehen, dass auch dafür erhebliche Arbeitszeit aufgewendet werden muss. Die Beklagte hat es jedenfalls verabsäumt, dem Gericht näher zu erläutern, in welchem Umfang bisher vom Kläger erledigte Arbeiten zukünftig gar nicht mehr anfallen, so dass eine seriöse Subsumtion unter die Merkmale des Gesetzes nicht möglich ist.

b)

59

Das Gericht konnte unabhängig davon sich aber auch nicht die Überzeugung bilden, dass die Beklagte das neue Betriebskonzept auf Dauer ihrer Geschäftstätigkeit zu Grunde legen werde.

60

Das Misstrauen hatte der Kammervorsitzende bereits vorbereitend formuliert. Wegen des engen zeitlichen Zusammenhangs der Kündigungserklärung mit dem Auftritt des Klägers während seiner Arbeitsunfähigkeit in der Bürgerschaft drängt sich der Gedanke auf, dass die Kündigung im Kern in der Verärgerung der Beklagten über diesen Schritt begründet ist. Dem ist die Beklagte allein mit dem Argument entgegen getreten, die organisatorischen Veränderungen in der Abteilung Reha-Technik seien bereits im Juni 2011 geplant worden.

61

Dieser Hinweis reicht nicht aus, um das Misstrauen zu zerstreuen. Denn es sind keine Gründe vorgetragen worden, die die Entscheidung als irgendwie nachvollziehbar oder wirtschaftlich vernünftig erscheinen lassen. Im Gegenteil, da nach dem Verständnis der Beklagten das Versagen des bisherigen Betriebskonzepts hinsichtlich der Abteilung Reha-Technik vor allem ein Versagen des Klägers ist, liegt es eigentlich nahe, alles beim Alten zu belassen und lediglich einen fähigeren Arbeitnehmer für die klägerische Position zu finden. Es sind auch keinerlei wirtschaftliche Rahmendaten mitgeteilt, die es nahelegen könnten, auf dem Gebiet der Reha-Technik einen eher abwartenden Kurs zu fahren. Auch betriebswirtschaftlich Überlegungen sind allenfalls oberflächlich angedeutet. Das Gericht weiß nicht, ob man sagen kann, die Abteilung mache Verluste, was es vielleicht nachvollziehbar machen würde, sie zu verkleinern.

2.

62

Die ordentliche Kündigung ist auch nicht aus verhaltensbedingten Gründen gerechtfertigt.

63

Ähnlich wie die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund nach § 626 BGB (siehe oben unter I.) setzt eine wirksame verhaltensbedingte Kündigung nach § 1 Absatz 2 KSchG eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers voraus, die an sich geeignet ist, die Kündigung sozial zu rechtfertigen. Außerdem muss auch die ordentliche Kündigung das letzte Mittel sein, um auf das aufgetretene Problem zu reagieren, sinnvolle mildere Mittel, die das Problem auch behoben hätten, führen zur Unwirksamkeit der Kündigung. Und schließlich gibt es auch bei der verhaltensbedingten Kündigung eine abschließende Interessenabwägung, die – allerdings nur in Ausnahmefällen – zu einem Überwiegen der Arbeitnehmerinteressen führen kann.

64

Gemessen an diesem Maßstab trägt keiner der von der Beklagten vorgetragenen Gründe die ausgesprochene Kündigung.

a)

65

Die leitende Stellung des Klägers im Unternehmen der Beklagten macht den konkreten Vortrag tragfähiger Kündigungsgründe nicht entbehrlich. Das ergibt sich im Umkehrschluss aus § 14 Absatz 2 KSchG. Denn dort ist für die dort näher bezeichneten Führungskräfte – wobei zweifelhaft ist, ob der Kläger überhaupt dazu zu rechnen ist – einzig die Besonderheit geregelt, dass der Arbeitgeber jederzeit auf die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung nach §§ 9, 10 KSchG antragen kann. Weitere kündigungsschutzrechtliche Besonderheiten sind für Führungskräfte nicht vorgesehen.

66

Insbesondere ist der Verlust des Vertrauens der Führungskräfte auf Seiten der Beklagten in den Kläger kein Grund, der für sich allein geeignet wäre, die Kündigung sozial zu rechtfertigen. Die hier interessierende verhaltensbedingte Kündigung setzt immer bei einer Pflichtverletzung des Arbeitnehmers an. Erst wenn diese ein kündigungsrelevantes Niveau erreicht, prüft man im Rahmen der Abschätzung der Folgen des Fehlverhaltens, welche betrieblichen Auswirkungen dieses Fehlverhalten hatte. Dazu gehört dann auch die Abschätzung der Folgen des Fehlverhaltens für das Vertrauen des Arbeitgebers in den Arbeitnehmer. Ohne kündigungsrelevantes Fehlverhalten des Arbeitnehmers ist das Vertrauen des Arbeitgebers in seinen Arbeitnehmer kündigungsrechtlich ohne Bedeutung.

b)

67

Bereits oben unter I. wurde festgestellt, dass der Kläger mit seinem Auftritt in der Bürgerschaft nicht gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen hat. Demnach können diese Umstände auch nicht die ordentliche Kündigung sozial rechtfertigen.

68

Auch der Umstand, dass der Kläger die Beklagte nicht vorab über den Termin in der Bürgerschaft unterrichtet hat, stellt sich nicht als Pflichtverletzung dar. Es gibt keine arbeitsvertragliche Pflicht des Arbeitnehmers, seinen Arbeitgeber davon zu unterrichten, wenn er sich anderweitig beworben hat.

c)

69

Die der Abmahnung vom 13. Juli 2011 zu Grunde liegenden Vorwürfe können die Kündigung ebenfalls nicht rechtfertigen.

70

Dem Kläger wird dort vorgeworfen, er habe sich nicht rechtzeitig darum gekümmert, aufzuklären, ob den Ausfallzeiten des ihm untergebenen Herrn K. schuldhafte Handlungen Dritter zu Grunde liegen. Der Kläger hat sich damit verteidigt, dass sich Herr K. geweigert habe, weitere Auskünfte zu erteilen und damit, dass er später dann Herrn K. auch nochmals schriftlich aufgefordert habe, die erbetenden Auskünfte zu erteilen. Dem ist die Beklagte nicht mehr substantiiert entgegen getreten, so dass nicht festgestellt werden kann, dass eine erhebliche Pflichtverletzung vorliegt.

71

Im Übrigen hätte die von der Beklagten gesehene Pflichtverletzung nicht das Gewicht, eine Kündigung zu rechtfertigen. Daher hat die Beklagte auf den Vorfall richtigerweise auch nur mit einer Abmahnung und nicht mit Kündigung reagiert. Daran muss sie sich nunmehr festhalten lassen.

d)

72

Die Kündigung ist auch nicht wegen der von der Beklagten behaupteten Schlechtleistungen des Klägers im operativen Geschäft sozial gerechtfertigt.

73

Insoweit ist unstreitig, dass der Kläger im Betrieb dafür zuständig war, alle Verordnungen aus dem Bereich der Reha-Versorgung in der Unternehmens-IT zu erfassen und das Notwendige zu veranlassen, damit die Verordnungen erfüllt werden können. In diesem Zusammenhang wird dem Kläger vorgeworfen, er habe ihm übergebene Verordnungen nicht zeitnah in die IT aufgenommen. Außerdem wird ihm vorgeworfen, dass wegen seines Versagens einzelne Verordnungen nicht zeitnah abgearbeitet worden sind. Letztlich wird ihm in diesem Zusammenhang auch noch vorgeworfen, dass er die getätigten Geschäfte nur unzureichend dokumentiert habe, so dass sie inzwischen teilweise nicht mehr nachvollziehbar seien.

74

Diese Vorwürfe sind nicht geeignet, eine verhaltensbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen. Wenn der Arbeitgeber mit der Art und Weise der Erledigung der dem Arbeitnehmer übertragenen Aufgaben nicht zufrieden ist, muss er den Arbeitnehmer durch konkrete Anweisungen, notfalls sogar durch den Ausspruch von Abmahnungen dazu anhalten, so zu arbeiten, wie der Arbeitgeber sich das wünscht. Die Kündigung scheitert schon daran, dass die behaupteten Verfehlungen nicht zuvor schon abgemahnt waren.

e)

75

Die Kündigung lässt sich auch nicht dadurch rechtfertigen, dass sich der Kläger im Frühjahr 2011 an den Gesellschafter der Beklagten gewandt hatte und sich dort anerboten hatte, die Geschäftsführung der Beklagten zu übernehmen.

76

Dieses Verhalten mag gegenüber dem Geschäftsführer der Beklagten illoyal gewesen sein, gegenüber der Beklagten ist eine Pflichtwidrigkeit des Verhaltens nicht zu erkennen.

f)

77

Soweit die Beklagte dem Kläger vorwirft, er habe den ihm zur Privatnutzung zur Verfügung gestellten PKW durch die gesamte Familie nutzen lassen, ist dieser Vorwurf nicht geeignet, die Kündigung zu tragen. Es ist schon nicht erkennbar, dass es dem Kläger verboten war, Mitgliedern seiner Familie den Wagen zu überlassen. Darauf hatte sich bereits das Arbeitsgericht gestützt, ohne dass die Beklagte im Berufungsrechtszug dazu weiter vorgetragen hat.

78

Zum anderen musste der Kläger nicht damit rechnen, dass die Beklagte ein solches Fehlverhalten – wenn sich denn nachweisen ließe, dass das Weitergeben des Wagens nicht erlaubt war – ohne Weiteres zum Anlass einer Kündigung nehmen werde. Auch insoweit wäre es also erforderlich gewesen, ein vergleichbares Fehlverhalten abzumahnen, bevor man zu dem Mittel der Kündigung greift.

III.

79

Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte, da ihr Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben ist.

80

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 72 ArbGG) liegen nicht vor.

(1) Während der Probezeit kann das Berufsausbildungsverhältnis jederzeit ohne Einhalten einer Kündigungsfrist gekündigt werden.

(2) Nach der Probezeit kann das Berufsausbildungsverhältnis nur gekündigt werden

1.
aus einem wichtigen Grund ohne Einhalten einer Kündigungsfrist,
2.
von Auszubildenden mit einer Kündigungsfrist von vier Wochen, wenn sie die Berufsausbildung aufgeben oder sich für eine andere Berufstätigkeit ausbilden lassen wollen.

(3) Die Kündigung muss schriftlich und in den Fällen des Absatzes 2 unter Angabe der Kündigungsgründe erfolgen.

(4) Eine Kündigung aus einem wichtigen Grund ist unwirksam, wenn die ihr zugrunde liegenden Tatsachen dem zur Kündigung Berechtigten länger als zwei Wochen bekannt sind. Ist ein vorgesehenes Güteverfahren vor einer außergerichtlichen Stelle eingeleitet, so wird bis zu dessen Beendigung der Lauf dieser Frist gehemmt.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

(1) Stellt das Gericht fest, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, so hat das Gericht auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen. Die gleiche Entscheidung hat das Gericht auf Antrag des Arbeitgebers zu treffen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber können den Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz stellen.

(2) Das Gericht hat für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Zeitpunkt festzusetzen, an dem es bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte.

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 7. April 2011 - 11 Sa 58/11 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Die 1956 geborene Klägerin war seit Mai 1982 bei der Beklagten - einer Bank für Privatkunden - als Kundenbetreuerin tätig. Seit Dezember 2006 war sie in einer Filiale in R eingesetzt. Die Zweigstelle gehört zum Vertriebsbereich D, für den ein Betriebsrat gewählt ist. Die regelmäßige Arbeitszeit der Klägerin betrug zuletzt 15 Wochenstunden.

3

Im Jahr 2009 mahnte die Beklagte die Klägerin dreimal ab. Zwei Abmahnungen wurden zwischenzeitlich - in einem Fall nach gerichtlicher Entscheidung, im anderen Fall aufgrund eines Vergleichs - aus deren Personalakte entfernt. Die dritte Abmahnung wurde von der Klägerin nicht gerichtlich angegriffen.

4

Am 17. März 2010 war die Klägerin an der Kasse eingesetzt, als zwei Kunden - wohl ein Ehepaar - die R Filiale betraten. Diese wollten ein aktuelles Festgeldangebot nutzen und wandten sich für eine Beratung an die Kundenbetreuerin K. Im Verlauf des Gesprächs kam es zu Unstimmigkeiten. Die Kundenbetreuerin hatte wegen einer ungewöhnlichen Farbschattierung Zweifel an der Echtheit eines der beiden Personalausweise, die ihr zu Identifikationszwecken vorgelegt wurden. Gegen 13:00 bis 13:10 Uhr setzte der Filialleiter die Betreuung der Kunden fort und bat diese in sein Büro. Die Mitarbeiterin K trat ihre Mittagspause an und begab sich zunächst in einen angrenzenden Sozialraum. Dort traf sie die Klägerin und eine andere Kollegin an. Nachdem Frau K ihre Arbeit wieder aufgenommen hatte, übergab ihr der Filialleiter Unterlagen aus dem Kundengespräch zur weiteren Bearbeitung. Beigefügt waren Fotokopien von zwei Ausweisdokumenten, die den Vermerk trugen, das Original habe vorgelegen.

5

Mit Schreiben vom 22. März 2010 wandte sich die Klägerin unter dem Betreff „Meldung eines Verstoßes gegen Sicherheitsrichtlinien“ an die „Zentrale Revision“ der Beklagten. Sie teilte - auszugsweise - Folgendes mit:

        

„...   

        

ich zeige Ihnen hiermit einen schweren und vorsätzlichen Verstoß gegen die Sicherheitsrichtlinien der T und ggfls. gegen gesetzliche Richtlinien an.

        

Datum:

Mittwoch, 17.03.2010

        

Ort:   

Filiale R

        

Verursacher:

Filialleiter …

        

Tathergang:

        

... An dem besagten Tage war ich an der Kasse eingesetzt. …

        

… Dabei stellte sich heraus, dass der Kunde statt eines Bundespersonalausweises nur eine Kopie davon mit bei sich hatte. Als die Kollegin dies bemängelte, übernahm der Zweigstellenleiter diesen Fall und bat den Kunden in einen separaten Raum. … Dabei kam es zu dem eklatanten Verstoß gegen die Sicherheitsregel: Der Kunde konnte keinen gültigen Personalausweis vorlegen: Er hatte wohl eine Fotokopie bei der Hand.

        

Der Zweigstellenleiter kopierte die Kopie und soll eigenhändig den Vermerk aufgeschrieben haben, das Original habe vorgelegen.

        

Letzteres durch Aussage der mit dem Fall befassten Kollegin.

        

Es obliegt Ihnen, die Schwere des Vergehens zusammen mit der erschwerenden Vorsätzlichkeit zu werten.

        

Zeugnis zur möglicherweise notwendigen Befragung: Kollegin … K“

6

Am 7. April 2010 wurde die Klägerin vom Personalreferenten der Beklagten zu dem Vorfall befragt. Sie sollte sich ua. dazu äußern, ob und inwieweit sie von der Kasse aus habe erkennen können, dass es sich um einen „falschen“ Ausweis gehandelt habe. Sie gab an, diese Beobachtung habe ihre Kollegin gemacht. Die gleichfalls befragte Mitarbeiterin K führte in einer schriftlichen Stellungnahme vom 16. April 2010 aus, der männliche Kunde habe auf ihre Bitte, sich zu legitimieren, verärgert und „offensichtlich ertappt“ reagiert. Auf ihren Versuch, die Ausweise zu kontrollieren, sei sie von beiden Kunden „in lautem, unverschämten Ton“ „angepöbelt“ worden. Dem Filialleiter, der daraufhin das Beratungsgespräch fortgeführt habe, seien die Papiere ebenfalls auffällig vorgekommen.

7

Am 30. April 2010 hörte die Beklagte den Filialleiter, der in der Zeit vom 23. März 2010 bis zum 12. April 2010 urlaubsabwesend war, zu den Vorwürfen an. Dieser erklärte, er habe die Ausweise unter einer im Kassenbereich angebrachten UV-Lampe überprüft. Dabei und bei der Datenaufnahme im Kundensystem habe er keine Unregelmäßigkeiten feststellen können.

8

Am 24. Juni 2010 unterhielten sich zwei Vertreter der Beklagten - darunter der Personalreferent - mit der Klägerin über das sich stetig verschlechternde Arbeitsklima in der Filiale. Dabei kam erneut die Anzeige vom 22. März 2010 zur Sprache. Diesbezüglich wurde ein weiteres Personalgespräch für den 13. Juli 2010 verabredet. Am 25. Juni 2010 fasste die Mitarbeiterin K auf Bitten der Beklagten nochmals die Vorgänge vom 17. März 2010 zusammen. Sie gab an, nach „Übernahme“ der Kunden durch den Filialleiter - „aufgeregt und erschrocken darüber“, dass dieser ihr in einer „so kniffligen Situation“ in den Rücken gefallen sei - „in die Küche“ gelaufen zu sein. Gegenüber ihren dort bereits anwesenden Kolleginnen - darunter die Klägerin - habe sie geäußert, die Kunden seien ihr „auf Anhieb komisch“ vorgekommen. Einer der Ausweise habe „so komisch“ ausgesehen als wäre er nicht echt; sie habe diesen nicht geprüft und wisse auch nicht, ob der Filialleiter, der die Kunden jetzt bediene, „das noch mache“. Sie habe nichts mehr mit dem Fall zu tun.

9

Am 26. Juni 2010 erhielt die Klägerin eine förmliche Einladung mit Tagesordnung zu dem anstehenden Gespräch. Mit E-Mail vom 28. Juni 2010 schrieb sie dem Personalreferenten, die Frage nach ihrer Motivation für die Anzeige vom 22. März 2010 habe in ihr „tiefste Zweifel“ ausgelöst. Das sei doch ihre „heiligste Pflicht“ gewesen. Sie habe eigentlich „Anerkennung für Pflichterfüllung … erwartet“. Sie habe bereits vorgehabt nachzufragen, ob die Sache nicht verfolgt würde oder „im Sande verlaufen sei“. Dies werde sie nunmehr „in Richtung Geschäftsführung/Zentralrevision“ erfragen.

10

Die Beklagte zog daraufhin das Personalgespräch auf den 2. Juli 2010 vor. An ihm nahmen neben einer weiteren Person der Personaldirektor der Beklagten, der Direktor „Human Resources Arbeitsrecht und Mitbestimmung“ und ein Mitglied des Betriebsrats teil. Der Klägerin wurde unter Fristsetzung aufgegeben, sich abschließend schriftlich zu dem Geschehen am 17. März 2010 zu äußern. Nach Eingang der Erklärung wollte die Beklagte über mögliche „arbeitsrechtliche Konsequenzen“ entscheiden. Die am 4. Juli 2010 verfasste und an die vorgenannten Direktoren der Beklagten adressierte Stellungnahme der Klägerin ging am 5. Juli 2010 auf einem allgemein zugänglichen Faxgerät der Filiale R ein. Parallel leitete die Klägerin die Erklärung allen Gesprächsteilnehmern vom 2. Juli 2010 und der Geschäftsleitung der Beklagten zu. Ihrer Kollegin K und einer weiteren Filialmitarbeiterin überreichte sie jeweils eine Abschrift. Inhaltlich verwahrte sie sich gegen den Vorwurf, in ihrer Anzeige falsche Angaben gemacht zu haben. Sie führte aus, eine bankinterne Überprüfung des verdächtigen Ausweises sei während ihrer Anwesenheit unterblieben. Weiter schrieb sie: „Obwohl Sie die Ankündigung eines Verfahrens wegen ‚übler Nachrede‘ wohl eher als Drohung verstanden wissen wollten, bin ich mit einem Strafverfahren nach § 186 StGB mehr als einverstanden. … Ich bedanke mich für den … vorgeschlagenen Weg der externen Klärungsmöglichkeit und erwarte nunmehr Ihre angekündigte Anzeige wegen übler Nachrede innerhalb eines angemessenen Zeitraums …“

11

Die Beklagte forderte die Klägerin auf, die Behauptung, ihr sei mit einer Strafanzeige gedroht worden, unter Richtigstellung des Sachverhalts zu widerrufen. Mit E-Mail vom 6. Juli 2010 erklärte diese, die Worte „üble Nachrede“ seien von Vertretern der Beklagten in den Raum gestellt worden. In Ermangelung eines gemeinsamen Gesprächsprotokolls sei sie aber bereit, einzelne Darstellungen in der Sache oder der Tendenz nach zu revidieren, falls der Beklagten diese als falsch erschienen.

12

Am Folgetag stellte die Beklagte die Klägerin von der Arbeitsleistung frei. Mit Schreiben vom 14. Juli 2010 kündigte sie das Arbeitsverhältnis - nach Anhörung des Betriebsrats und mit dessen Zustimmung - außerordentlich fristlos, hilfsweise außerordentlich mit „sozialer Auslauffrist“ zum 31. März 2011.

13

Die Klägerin hat fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat geltend gemacht, die Kündigungen seien unwirksam. Sie habe nicht bewusst falsche Anschuldigungen gegen den Filialleiter erhoben. Vielmehr habe sie über einen Vorfall berichtet, den die Beklagte bis zuletzt nicht vollständig aufgeklärt habe. Etwas anderes sei auch nicht ihrer im Vorprozess abgegebenen Erklärung zu entnehmen, sie habe „schon einige Filialleiter der Beklagten kommen und gehen sehen“ und werde auch den derzeitigen „aussitzen“. Sie habe sich durch die in kurzer zeitlicher Folge erteilten Abmahnungen unberechtigt angegriffen gefühlt und überreagiert. Ebenso wenig sei die Kündigung wegen ihres Verhaltens im Zusammenhang mit der Stellungnahme vom 4. Juli 2010 gerechtfertigt. Während des Gesprächs am 2. Juli 2010 habe sie den Eindruck gewonnen, die Beklagte beabsichtige, sie wegen vermeintlich übler Nachrede anzuzeigen. Sie sei weiterhin bereit, die Aussage, ihr sei ein Strafverfahren „angedroht“ worden, zu korrigieren.

14

Die Klägerin hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 14. Juli 2010 weder mit sofortiger Wirkung noch zum 31. März 2011 aufgelöst worden ist.

15

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund zur Kündigung iSd. § 626 Abs. 1 BGB liege vor. Die Klägerin habe den Filialleiter im Schreiben vom 22. März 2010 sinngemäß eines Verstoßes gegen das Geldwäschegesetz bezichtigt. Dabei habe sie den Eindruck vermittelt, der beschriebene „Tathergang“ sei Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung, obwohl die Anschuldigungen tatsächlich auf reinen Mutmaßungen beruhten. Am 7. April 2010 habe sie erklärt, mit Sicherheit ausschließen zu können, dass der Filialleiter die Ausweise vorschriftsmäßig geprüft habe. Dabei sei ihr bewusst gewesen, dass auch ihre als Zeugin benannte Kollegin den Vorfall nicht durchgängig beobachtet habe. In den nachfolgenden Gesprächen habe sie unverändert an ihrem Standpunkt festgehalten. Erstmals mit ihrer Stellungnahme vom 4. Juli 2010 habe sie ihre Behauptungen auf die Zeit ihrer Anwesenheit beschränkt. Allerdings habe sie zugleich unzutreffend und wider besseres Wissen behauptet, ihr sei in dem vorausgegangenen Personalgespräch durch Vertreter der Beklagten mit einer Strafanzeige gedroht worden. Einer Abmahnung habe es nicht bedurft. Die Klägerin habe ihre Vertragspflichten grob verletzt. Ihre falschen Anschuldigungen habe sie gegenüber einem sich stetig vergrößernden Empfängerkreis wiederholt bzw. publik gemacht und keine Einsicht gezeigt. Damit habe sie das Ansehen des Filialleiters beschädigt und nachhaltig den Betriebsfrieden gestört. Ein Festhalten an dem Arbeitsverhältnis sei ihr - der Beklagten - unzumutbar. Die Anhörung des Betriebsrats sei ordnungsgemäß erfolgt. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt.

16

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte weiterhin, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

17

Die Revision ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung vom 14. Juli 2010 weder mit sofortiger Wirkung noch mit Ablauf einer der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist aufgelöst worden.

18

I. Die fristlose Kündigung ist gemäß § 626 Abs. 1 BGB iVm. § 17 Ziff. 3 Abs. 1 Alt. 1 Manteltarifvertrag für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken (MTV) unwirksam. Dies hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei erkannt.

19

1. Dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien zufolge fanden auf das Arbeitsverhältnis die jeweils geltenden Tarifverträge für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken Anwendung. Gemäß § 17 Ziff. 3 Abs. 1 Alt. 1 MTV (in der maßgebenden, ab 22. April 2009 geltenden Fassung) sind Arbeitnehmer, die ihr 50. Lebensjahr bereits vollendet haben und dem Betrieb mindestens zehn Jahre ununterbrochen angehören - vorbehaltlich im Streitfall nicht einschlägiger Ausnahmetatbestände - nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes kündbar. Die Regelung, deren persönliche Voraussetzungen die Klägerin im Kündigungszeitpunkt erfüllte, nimmt auf § 626 BGB Bezug(vgl. zu § 17 Ziff. 3 Abs. 1 MTV in der ab 1. Oktober 1997 geltenden Fassung: BAG 10. Oktober 2002 - 2 AZR 418/01 - zu B I 1 der Gründe, EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 1; allgemein zur Bedeutung des Begriffs „wichtiger Grund“ in Tarifverträgen: bspw. BAG 28. Oktober 2010 - 2 AZR 688/09 - Rn. 31, AP KSchG 1969 § 2 Nr. 148 = EzA KSchG § 2 Nr. 80; 12. Januar 2006 - 2 AZR 242/05 - Rn. 24, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 13 = EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 9).

20

2. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Bei ordentlicher Unkündbarkeit des Arbeitnehmers ist für die Beurteilung, ob ein Grund zur fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses vorliegt, auf den Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist abzustellen (BAG 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 34, BAGE 118, 104). Aus § 17 Ziff. 3 Abs. 1 Alt. 1 MTV ergeben sich insoweit keine Besonderheiten.

21

3. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der (fiktiven) Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 38, NZA 2013, 143; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 14, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, BAGE 134, 349).

22

4. Einen in diesem Sinne die fristlose Kündigung „an sich“ rechtfertigenden Grund stellen ua. grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen dar, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 534/08 - Rn. 17 mwN, AP BGB § 626 Nr. 226 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 29). Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen über seinen Arbeitgeber oder Vorgesetzte bzw. Kollegen aufstellt, insbesondere wenn die Erklärungen den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen. Der Arbeitnehmer kann sich für ein solches Verhalten regelmäßig nicht auf sein Recht zur freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen. Das Grundrecht ist nicht schrankenlos gewährleistet (vgl. BAG 7. Dezember 2006 - 2 AZR 400/05 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 55 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 70). Die Meinungsfreiheit wird durch das Recht der persönlichen Ehre gemäß Art. 5 Abs. 2 GG beschränkt und muss mit diesem in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden. Zwar dürfen Arbeitnehmer - auch unternehmensöffentlich - Kritik am Arbeitgeber, ihren Vorgesetzten und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich dabei auch überspitzt äußern. In grobem Maße unsachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Position eines Vorgesetzten führen können, muss der Arbeitgeber aber nicht hinnehmen (vgl. BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 534/08 - aaO; 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 198 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 13; 10. Oktober 2002 - 2 AZR 418/01 - zu B I 3 a der Gründe, EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 1; zur ordentlichen Kündigung: 12. Januar 2006 - 2 AZR 21/05 - Rn. 45, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 53 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 67).

23

5. Von diesen Grundsätzen geht auch das Landesarbeitsgericht aus. Seine Auffassung, das Verhalten der Klägerin stelle schon keinen die fristlose Kündigung rechtfertigenden Grund „an sich“ dar, ist revisionsrechtlich zumindest insoweit nicht zu beanstanden, wie es davon ausgeht, die Klägerin habe weder im Zusammenhang mit dem Schreiben vom 22. März 2010 noch im Rahmen ihrer Stellungnahme zum Personalgespräch vom 2. Juli 2010 bewusst falsche Tatsachenbehauptungen aufgestellt.

24

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, dem Schreiben vom 22. März 2010 sei unschwer zu entnehmen, dass die Anschuldigungen nicht durchgängig auf eigener Wahrnehmung der Klägerin beruhten. Das gelte insbesondere für die durch Fettdruck hervorgehobene Behauptung, hinsichtlich derer die Klägerin auf das Zeugnis der „mit dem Fall befassten Kollegin“ verwiesen habe. Spätestens aufgrund der anschließenden Befragungen habe der Beklagten klar sein müssen, dass weder die Klägerin noch die benannte Kollegin aus eigener Wahrnehmung hätten angeben können, der Filialleiter habe die erforderliche Kontrolle nicht vorgenommen. Verbleibende Zweifel habe die Beklagte durch eine persönliche Gegenüberstellung der Klägerin und des Filialleiters ausräumen können, was unterblieben sei. Unabhängig davon habe die Beklagte nicht dargetan, dass die Anschuldigungen, was die behaupteten Versäumnisse des Filialleiters im Rahmen der Legitimationsprüfung anbelange, unrichtig seien. Eine mögliche und zumutbare Befragung der Kunden sei nicht erfolgt. Was die Äußerungen der Klägerin im Rahmen ihrer Stellungnahme vom 4. Juli 2010 betreffe, sei nicht auszuschließen, dass sie die ihr gemachten Vorhaltungen als - konkludente - Drohung mit der Erstattung einer Strafanzeige missverstanden habe.

25

b) Die dieser Würdigung zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen sind nach § 286 ZPO nur daraufhin überprüfbar, ob das Berufungsgericht von den zutreffenden Beurteilungsmaßstäben ausgegangen ist, die wesentlichen Umstände berücksichtigt und keine Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt hat(vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 16 mwN, AP BGB § 626 Nr. 234 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 35; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33). Gemessen daran zeigt die Beklagte keinen revisionsrechtlich relevanten Rechtsfehler auf.

26

aa) Soweit die Wertung des Landesarbeitsgerichts auf einer Auslegung der Erklärungen im Schreiben vom 22. März 2010 beruht, ist diese möglich. Die Klägerin beschrieb in ihrer „Anzeige“ einen Sachverhalt, für den sie sich im maßgebenden Punkt - dem behaupteten Verstoß gegen Sicherheitsrichtlinien bei der Legitimationsprüfung von Ausweispapieren - auf die Aussage einer Arbeitskollegin berief. Außerdem überließ sie es ausdrücklich weiteren Ermittlungen der Beklagten, die „Schwere des Vergehens zusammen mit der erschwerenden Vorsätzlichkeit zu werten“. Das lässt nicht - schon gar nicht zwingend - den Schluss zu, die Klägerin habe behaupten wollen, ihre Angaben beruhten insgesamt auf eigener Wahrnehmung. Ebenso wenig ist dem Schreiben mit der gebotenen Eindeutigkeit zu entnehmen, die Klägerin habe bewusst den - falschen - Eindruck erweckt oder erwecken wollen, unmittelbare Wahrnehmungen ihrer Kollegin K wiederzugeben. Gegen eine solche Interpretation als einzig mögliche Deutung spricht, dass die Klägerin für eine „möglicherweise notwendige“ Befragung auf das Zeugnis der betreffenden Mitarbeiterin verwies. Ein verständiger Empfänger der „Anzeige“ musste angesichts dieser Angaben in Rechnung stellen, dass die Klägerin lediglich Umstände beschrieb, die sie zwar nicht selbst kannte, von denen sie aber annahm, sie aufgrund greifbarer Anhaltspunkte vermuten zu dürfen.

27

bb) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einschließlich der ihr zugrunde liegenden Auslegung lässt, anders als die Revision meint, nicht den Inhalt der nachfolgend geführten Personalgespräche außer Acht. Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass die Klägerin bei den Unterredungen am 7. April 2010, am 24. Juni 2010 und am 2. Juli 2010 jeweils an ihrer Anschuldigung festgehalten hat, der Filialleiter habe die Ausweise nicht wie vorgeschrieben überprüft. Auch dies ist kein evidentes, vernünftige Zweifel ausschließendes Indiz dafür, dass die Klägerin behaupten wollte, sie selbst habe dies beobachtet. Trotz der allgemein gehaltenen Formulierung kann den Umständen nach nicht ausgeschlossen werden, dass sie ihre Aussage in der Annahme, dies sei der Beklagten klar, stillschweigend auf Zeiten ihrer Anwesenheit im Verkaufsraum der Filiale bezogen hat. Dafür sprechen jedenfalls ihre klarstellenden Ausführungen in der Stellungnahme vom 4. Juli 2010. Überdies konnte die Klägerin davon ausgehen, dass der Beklagten ihr zeitweiliger Aufenthalt im Sozialraum bzw. der Küche bekannt war. Selbst wenn die Erklärung so zu verstehen sein sollte, die Klägerin habe behaupten wollen, der Filialleiter habe die fragliche Prüfung zu keiner Zeit, auch nicht während der Zeit ihrer Abwesenheit vom Arbeitsplatz vorgenommen, folgte daraus nicht - zumindest nicht zwingend -, dass sie bewusst über den Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung oder den der Beobachtungen ihrer Kollegin zu täuschen versucht hätte. Ebenso gut kann es sein, dass sie - im Sinne einer wertenden Schlussfolgerung - auf der Grundlage der Angaben ihrer Kollegin zum äußeren Erscheinungsbild der Ausweise und dem Verhalten der Kunden zu dem Ergebnis gelangt ist, die vorgeschriebene Überprüfung der Ausweise könne nicht wirklich stattgefunden haben.

28

cc) Die Beklagte zeigt keinen materiellen Rechtsfehler auf, soweit sie sich gegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts wendet, sie habe den Wahrheitsgehalt der Anschuldigungen nicht hinreichend aufgeklärt, sodass nicht davon ausgegangen werden könne, die Behauptungen der Klägerin seien unwahr. Damit hat das Landesarbeitsgericht weder grundlegend die Darlegungs- und Beweislast verkannt, noch hat es überzogene Anforderungen an den Vortrag der Beklagten gestellt. Diese ist für den Kündigungsgrund darlegungs- und beweispflichtig (vgl. BAG 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 23 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 65 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 79). Das schließt die Darlegungslast für das Fehlen von Umständen ein, die den Arbeitnehmer entlasten (zur Darlegungslast bezüglich behaupteter Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe: BAG 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - aaO; 18. September 2008 - 2 AZR 1039/06 - EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 13). Es war somit grundsätzlich Sache der Beklagten, die Unwahrheit der Behauptungen der Klägerin darzutun, dh. aufzuzeigen, dass eine hinreichende Legitimationsprüfung stattgefunden hat. Ob etwas anderes zu gelten hätte, wenn es an Anhaltspunkten für ein - mögliches - pflichtwidriges Verhalten des Filialleiters gänzlich gefehlt hätte, kann dahinstehen. So liegt der vorliegende Fall nicht. Die Klägerin hat ihre Vorwürfe nicht vollkommen „aus der Luft gegriffen“. Vielmehr stritten gewisse, wenngleich nicht zwingende Verdachtsmomente dafür, dass es sich bei einem der beiden Ausweispapiere nicht um ein echtes Dokument handelte. Wenn das Landesarbeitsgericht unter diesen Umständen angenommen hat, die Erklärung des Filialleiters, er habe die Ausweise unter der UV-Lampe im Kassenbereich geprüft, sei für sich genommen noch kein ausreichendes Indiz für die Einhaltung der Sicherheitsrichtlinien, ist dies jedenfalls vertretbar. Dies gilt umso mehr, als die Beklagte es unterlassen hat, ihre Aufklärungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Eine solche Möglichkeit bestand objektiv in der Befragung der Kunden, von denen die Papiere stammten. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte auch bei vorsichtig formulierter Nachfrage mit einer konkreten Gefährdung der Geschäftsbeziehung hätte rechnen müssen und ihr deshalb eine weitere Aufklärung unzumutbar gewesen wäre, sind weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Da sich schon aus dem Unterlassen einer Nachfrage bei den Kunden ergibt, dass die Beklagte ihre Informationsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft hat, kann dahinstehen, ob überdies eine persönliche „Gegenüberstellung“ der Klägerin und des Filialleiters angezeigt war, wie das Landesarbeitsgericht gemeint hat.

29

dd) Die Beklagte bringt vor, das Landesarbeitsgericht habe auf der Grundlage seiner Feststellungen nicht davon ausgehen dürfen, die Behauptung der Klägerin, ihr sei im Personalgespräch am 2. Juli 2010 mit einer Strafanzeige gedroht worden, beruhe auf einem Missverständnis. Insbesondere böten die Erklärungen der Klägerin in der E-Mail vom 6. Juli 2010 dafür keinen genügenden Anhaltspunkt. Damit zeigt die Beklagte keinen revisiblen Rechtsfehler auf. Sie will nur ihre eigene Bewertung der fraglichen individuellen Äußerungen an die Stelle einer zumindest vertretbaren Würdigung des Landesarbeitsgerichts setzen.

30

ee) Mit ihren Verfahrensrügen dringt die Revision nicht durch.

31

(1) Soweit die Beklagte geltend macht, das Landesarbeitsgericht habe sie ausdrücklich darauf hinweisen müssen, dass es von der Zumutbarkeit einer Befragung des Kundenehepaars ausgehe, ist ihr Angriff unzulässig. Wird gerügt, das Berufungsgericht sei seiner richterlichen Hinweispflicht (§ 139 ZPO)nicht nachgekommen, muss der Rechtsmittelführer ua. im Einzelnen angeben, wie er auf einen entsprechenden Hinweis reagiert hätte. Der zunächst unterbliebene Vortrag muss nachgeholt werden. Mit der Verfahrensrüge muss er für die erforderliche Schlüssigkeit bzw. Substantiierung seines Vortrags sorgen (BAG 25. April 2006 - 3 AZR 78/05 - Rn. 39, AP BetrAVG § 7 Nr. 111 = EzA BetrAVG § 2 Nr. 27). Darüber hinaus muss er die Entscheidungserheblichkeit der Verletzung der Hinweispflicht dartun (BAG 14. März 2005 - 1 AZN 1002/04 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 114, 67). Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung nicht gerecht. Die Beklagte legt nicht dar, welchen - erheblichen - Vortrag sie im Hinblick auf den vermissten Hinweis hin geleistet und zu welchem entscheidungserheblichen Gesichtspunkt sie die Kunden als Zeugen benannt hätte.

32

(2) Die Beklagte beanstandet weiter, das Landesarbeitsgericht habe es ohne Begründung unterlassen, ihren unter I 2.1 bis 2.4 der Revisionsbegründung näher bezeichneten Beweisangeboten nachzugehen. Dadurch habe es ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt und gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG) verstoßen. Das trifft nicht zu.

33

(a) Die Rüge ist unzulässig, soweit die Beklagte meint, die Vernehmung einer weiteren namentlich genannten Filialmitarbeiterin hätte „zur Widerlegung der falschen Behauptungen der Klägerin beitragen können“. Es fehlt an der Darlegung, im Hinblick auf welche Tatsachen sie sich in welchem Schriftsatz auf das Zeugnis der betreffenden Arbeitnehmerin berufen hatte (zu den Anforderungen an die Rüge des Übergehens eines Beweisantritts: vgl. BAG 24. April 2008 - 8 AZR 347/07 - Rn. 20, AP BGB § 611 Haftung des Arbeitgebers Nr. 42 = EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 8). Entsprechendes gilt für die Rüge, das Landesarbeitsgericht habe es versäumt, die Teilnehmer des Gesprächs vom 2. Juli 2010 (nicht: 2011) zum Inhalt der Äußerungen ihrer Vertreter zu hören. Die Beklagte zeigt nicht auf, wo genau ihr vermeintlich übergangener Beweisantritt in den vorinstanzlichen Schriftsätzen zu finden sein soll und auf welchen dort gehaltenen Vortrag er sich bezieht.

34

(b) Die weiteren Angriffe der Revision sind - ihre Zulässigkeit unterstellt - unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat unterstellt, dass die Klägerin noch im Gespräch vom 2. Juli 2010 an ihren Anschuldigungen gegenüber dem Filialleiter festgehalten hat. Den Inhalt der Stellungnahmen der Mitarbeiterin K hat es für unstreitig erachtet. Es brauchte deshalb den vermeintlich übergangenen Beweisantritten nicht nachzugehen.

35

(3) Dem Berufungsurteil sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen wäre, die Klägerin habe objektiv die Möglichkeit gehabt zu beobachten, ob der Filialleiter eine Überprüfung der Echtheit der Personalausweise mittels UV-Lampe vorgenommen habe. Ebenso wenig enthält es tatbestandliche Feststellungen, die den Ausführungen der Beklagten zu einem Aufenthalt der Klägerin und ihrer Kolleginnen im Sozialraum während der Mittagspause widersprechen. Soweit die Beklagte beanstandet, entgegen den Feststellungen im Berufungsurteil habe ihr Filialleiter seinen Urlaub nicht am 23. März 2010, sondern bereits am 22. März 2010 angetreten, fehlt es an der Darlegung, wo genau der betreffende Vortrag zu finden sein soll. Darüber hinaus fehlt es - auch unter Berücksichtigung der offenbar postalisch erfolgten Übermittlung der „Anzeige“ der Klägerin vom 22. März 2010 - an der Darlegung, inwieweit der Zeitpunkt des Urlaubsantritts entscheidungserheblich war. Aus diesen Gründen greift auch die Erwägung der Beklagten nicht, bei Urteilszustellung binnen der Dreimonatsfrist des § 320 Abs. 2 Satz 3 ZPO wäre ein Antrag auf Tatbestandsberichtigung möglich gewesen.

36

6. Das Landesarbeitsgericht hat nicht näher geprüft, ob die Klägerin, auch wenn sie nicht bewusst falsche Tatsachenbehauptungen aufgestellt haben mag, ihre arbeitsvertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB)dadurch verletzt hat, dass sie ihre Anschuldigungen nicht vorsichtiger vorgebracht, sondern ohne weitere Prüfung die rechtliche Schlussfolgerung eines „schweren und vorsätzlichen Verstoßes“ gegen Sicherheitsrichtlinien und ggf. „gesetzliche Richtlinien“ gezogen hat. Ebenso wenig hat es sich auf der ersten Prüfungsstufe des wichtigen Grundes mit der Frage befasst, ob die Klägerin ihre „Anzeige“ in der vorrangigen Absicht erstattet hat, ihrem Vorgesetzten zu schaden oder sich an diesem für die aus ihrer Sicht unberechtigten Abmahnungen zu rächen. Für eine solche Motivation könnte der Umstand sprechen, dass sie nicht das Gespräch mit dem Filialleiter gesucht hat. Überdies lassen ihre Ausführungen in der E-Mail vom 28. Juni 2010 eine erhebliche Belastungstendenz erkennen. Es erscheint nicht ausgeschlossen, in einem solchen Verhalten „an sich“ einen wichtigen Grund zur Kündigung zu erkennen.

37

a) Im Fall der Erstattung von Anzeigen bei Strafverfolgungsbehörden oder anderen zuständigen Stellen („Whistleblowing“) ist eine vertragswidrige Pflichtverletzung nicht stets schon dann zu verneinen, wenn der Arbeitnehmer die Anzeige erstattet, ohne dabei wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben zu machen (BAG 7. Dezember 2006 - 2 AZR 400/05 - Rn. 18, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 55 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 70; 3. Juli 2003 - 2 AZR 235/02 - zu II 3 b der Gründe, BAGE 107, 36). Eine Anzeige kann unabhängig vom Nachweis der mitgeteilten Verfehlung und ihrer Strafbarkeit ein Grund zur Kündigung sein, wenn sie sich als eine unverhältnismäßige Reaktion auf das Verhalten des Arbeitgebers oder eines seiner Repräsentanten darstellt. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, nach der Strafanzeigen gegen den Arbeitgeber mit dem Ziel, Missstände in Unternehmen oder Institutionen offenzulegen, grundsätzlich in den Anwendungsbereich des Art. 10 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten fallen(EGMR 21. Juli 2011 - 28274/08 - [Heinisch] Rn. 63 ff., AP BGB § 626 Nr. 235 = EzA BGB 2002 § 626 Anzeige gegen Arbeitgeber Nr. 1), schließt eine solche Bewertung nicht generell aus.

38

b) Es spricht einiges dafür, diese Grundsätze sinngemäß auf den Bereich innerbetrieblicher „Anzeigen“ zu übertragen. Auch unterhalb der Schwelle eines strafbaren Verhaltens muss ein Arbeitnehmer bei der Mitteilung vermeintlicher Missstände im Betrieb angemessen auf Persönlichkeitsrechte seiner Arbeitskollegen und Vorgesetzten Rücksicht nehmen. Das folgt schon aus dem berechtigten Interesse des Arbeitgebers an der Wahrung des Betriebsfriedens.

39

c) Die damit zusammenhängenden tatsächlichen und rechtlichen Fragen bedürfen im Streitfall keiner vertieften Erörterung. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die fristlose Kündigung erweise sich zumindest im Rahmen einer ggf. vorzunehmenden Einzelfallbeurteilung und Interessenabwägung als nicht gerechtfertigt. Das hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

40

aa) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (st. Rspr., zuletzt bspw. BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 43, NZA 2013, 143; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 26, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36).

41

bb) Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - aaO; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33). Als mildere Mittel gegenüber der außerordentlichen Kündigung sind - neben der hier ausgeschlossenen ordentlichen Kündigung - auch Abmahnung und Versetzung anzusehen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO; 30. Mai 1978 - 2 AZR 630/76 - BAGE 30, 309). Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung künftiger Störungen - zu erreichen. Einer Abmahnung bedarf es demnach nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 186/11 - Rn. 22 mwN, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 40; 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 35 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 37).

42

cc) Dem Berufungsgericht kommt bei der Einzelfallprüfung und Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 16, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 39; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 29, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 17, BAGE 134, 349). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist dann möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 33, aaO). Daran gemessen liegt kein Abwägungsfehler des Landesarbeitsgerichts vor. Es hat die Kündigung - hinsichtlich beider Kündigungssachverhalte - als unverhältnismäßig angesehen. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, die Klägerin vorrangig abzumahnen. Damit hat das Landesarbeitsgericht seinen Beurteilungsspielraum nicht verletzt. Die in Rede stehenden Pflichtverletzungen der Klägerin wiegen nicht so schwer, dass eine Abmahnung entbehrlich gewesen wäre. Ebenso wenig liegen Umstände vor, die zu der Annahme berechtigten, auch ohne Abmahnung sei von einer negativen Zukunftsprognose auszugehen.

43

(1) Den Nachweis falscher Tatsachenbehauptungen hat die Beklagte nicht geführt. Die Anschuldigungen der Klägerin betreffend ein pflichtwidriges Verhalten des Filialleiters mögen auf „dürftigen“ Verdachtsmomenten beruht haben. Gleichwohl hat die Klägerin sie nicht „ins Blaue hinein“ erhoben. Ihre Pflicht zur Diskretion hat sie zumindest insofern gewahrt, als sie sich an die „Zentrale Revision“ der Beklagten gewandt hat. Selbst wenn die Klägerin - weil sie eine Pflichtverletzung allenfalls vermuten konnte - lediglich einen Verdacht hätte äußern dürfen, musste sie doch ihre Bedenken gegen ein ordnungsgemäßes Verhalten des Filialleiters nicht vollkommen zurückstellen. Einer damit möglicherweise verbundenen Pflichtverletzung der Klägerin hätte mit einer Abmahnung erfolgversprechend begegnet werden können. Das gilt auch dann, wenn der „Anzeige“ sachfremde Motive der Klägerin zugrunde gelegen haben sollten. Daraus folgt für sich genommen nicht, dass sie sich eine Abmahnung nicht hätte zur Warnung gereichen lassen, um künftig zurückhaltender vorzugehen und ggf. genauer zwischen eigenen Beobachtungen und subjektiven Schlussfolgerungen zu unterscheiden. Dies vermag der Senat, sollte das Landesarbeitsgericht diesen Aspekt bei seiner Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht genügend berücksichtigt haben, selbst zu entscheiden.

44

(2) Eine Abmahnung war auch nicht mit Blick auf die Behauptung der Klägerin entbehrlich, ihr sei im Personalgespräch vom 2. Juli 2010 eine Strafanzeige wegen übler Nachrede angedroht worden. Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass die Klägerin das ihr von den Vorinstanzen zugutegehaltene Missverständnis bei genauerer Prüfung hätte vermeiden können. Ihr Irrtum wäre auch dann nicht bedeutungslos (vgl. dazu BAG 14. Februar 1996 - 2 AZR 274/95 - zu II 4 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 26 = EzA BGB § 626 nF Nr. 160). Überdies hat die Klägerin mit ihrer E-Mail vom 6. Juli 2010 eine gewisse Einsicht gezeigt. Dass das Arbeitsverhältnis vor diesem Hintergrund durch das in Rede stehende Fehlverhalten so stark belastet wäre, dass eine Wiederherstellung des Vertrauens in ein künftig redliches Vorgehen der Klägerin selbst nach einer Abmahnung ausgeschlossen erschiene, ist nicht erkennbar.

45

(3) Dieser Bewertung steht nicht entgegen, dass die Klägerin ihre Stellungnahme vom 4. Juli 2010 Personen zugänglich gemacht hat, die an dem vorhergehenden Personalgespräch nicht beteiligt waren. Unabhängig davon, ob darin eine Pflichtverletzung liegt, steht auch dies einem Abmahnungserfordernis nicht entgegen. Die Beklagte beruft sich auf eine tiefgreifende Störung des Betriebsfriedens. Den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zufolge hat sie es aber versäumt aufzuzeigen, dass eine entsprechende Störung tatsächlich eingetreten wäre. Dessen hätte es bedurft, da die Darlegung der bloßen Möglichkeit einer Störung eine verhaltensbedingte Kündigung nicht zu rechtfertigen vermag (vgl. BAG 12. Mai 2011 - 2 AZR 479/09 - Rn. 71 mwN, AP BGB § 123 Nr. 69 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 10). Soweit die Beklagte demgegenüber geltend macht, das Landesarbeitsgericht habe Vorbringen übergangen, zeigt sie nicht auf, wo genau sie welchen entscheidungserheblichen Vortrag zu einer konkreten Störung des Betriebsfriedens geleistet haben will. Soweit sie einen richterlichen Hinweis vermisst, fehlt es an der Darlegung, was sie hierauf Entscheidungserhebliches vorgetragen hätte. Schon aus diesen Gründen bleiben ihre Verfahrensrügen erfolglos.

46

(4) Eine einschlägige Abmahnung liegt nicht vor. Die in der Personalakte verbliebene Abmahnung aus dem Jahr 2009 hatte - soweit ersichtlich - ein verspätetes Erscheinen der Klägerin zu einem Personalgespräch zum Gegenstand.

47

(5) Erweist sich die Kündigung wegen Fehlens einer Abmahnung als unverhältnismäßig, kann offenbleiben, ob die Beklagte vorrangig auch eine Versetzung der Klägerin hätte in Betracht ziehen müssen, wie das Landesarbeitsgericht gemeint hat. Einer Auseinandersetzung mit den hiergegen gerichteten Revisionsrügen bedarf es nicht.

48

II. Die hilfsweise zum 31. März 2011 erklärte außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist ist gleichfalls unwirksam. Auch insoweit fehlt es an einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB iVm. § 17 Ziff. 3 Abs. 1 MTV. Das Landesarbeitsgericht geht fehlerfrei davon aus, dass es dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entsprochen hätte, die Klägerin vor Ausspruch einer Kündigung abzumahnen. Ohne eine solche Warnung war es der Beklagten nicht - weder bis zum Ablauf einer (fiktiven) ordentlichen Kündigungsfrist noch auf Dauer - unzumutbar, das Arbeitsverhältnis mit ihr fortzusetzen. Schon aus diesem Grund kann auch eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist keinen Bestand haben (zur Problematik: vgl. BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 343/11 - Rn. 18, 20, NZA 2013, 224).

49

III. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Berger    

        

    Rinck    

        

    Rachor    

        

        

        

    Gans    

        

    Pitsch    

                 

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Tenor

Das Urteil des Oberlandesgerichts München vom 1. März 2011 - 18 U 2992/10 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidung wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht München zurückverwiesen.

...

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen ein zivilgerichtliches Urteil, durch das dem Beschwerdeführer eine Äußerung untersagt wird. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seines Grundrechts auf Meinungsfreiheit.

I.

2

1. Der Beschwerdeführer und Beklagte des Ausgangsverfahrens besteht aus etwa 40 Mitgliedern und verteilt in unregelmäßigen Abständen per E-mail, auch an ca. 40 Nicht-Mitglieder, das Mitgliedermagazin "Tacheles". Das Magazin ist überschrieben mit den Worten: "Tacheles reden: Direkt die unverblümte Wahrheit sagen, jemandem ohne Zurückhaltung ungeschminkt die Meinung sagen."

3

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, die Focus Magazin Verlag GmbH, veröffentlichte in der Ausgabe 22/2009 vom 25. Mai 2009 des von ihr verlegten Magazins "Focus" eine Titelgeschichte zum Thema Implantologie. Auf dem Titelblatt hieß es: "Große Focus-Ärzteliste - 115 empfohlene Spezialisten". In dem Artikel war diese Liste abgedruckt, die unter anderem den Zahnarzt B. aus K. enthielt, der auch Vizepräsident der Bayerischen Landeszahnärztekammer ist. Die Liste war Ergebnis einer Recherche, bei der unter anderem ein an Zahnärzte verschickter Fragebogen verwandt wurde. In dem Fragebogen wurde unter anderem darauf hingewiesen, dass im Rahmen einer neuen Firmenkooperation mit dem Gesundheitsportal www.jameda.de auch angeboten werden könne, die Leistungen der Zahnärzte auf Wunsch patientengerecht im Internet zu präsentieren.

4

In dem Focus-Artikel heißt es auf Seite 66:

5

Rund 7000 Implantologen hat Focus in Zusammenarbeit mit der deutschen Gesellschaft für Implantologie, der deutschen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, der deutschen Gesellschaft für zahnärztliche Implantologie, der deutschen Gesellschaft für orale Implantologie, dem Berufsverband deutscher Oralchirurgen, dem Bundesverband der implantologisch tätigen Zahnärzte in Europa, sowie der Bundeszahnärztekammer angeschrieben. Redakteure ermittelten aus den über 6400 Empfehlungen anhand von Interviews und der Angaben aus den wissenschaftlichen Fragebögen die bundesweiten Top-Ärzte für Implantologie unter den Zahnärzten, Oralchirurgen und Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen.

6

Die Ausgabe 3/09 vom 24. Juni 2009 des Mitgliedermagazins "Tacheles" beschäftigt sich mit dieser Focus-Ärzteliste. Unter anderem heißt es dort:

7

BLZK-Vize [Bayerische Landeszahnärztekammer] in Werbeaffäre verstrickt

8

Der Vizepräsident der BLZK, seines Zeichens auch Vorsitzender eines Implantologen-Verbandes, steht auf einer Focus-Liste der 115 angeblich besten Implantologen Deutschlands. Die Redaktion rief wohl im Vorfeld bei vielen Zahnärzten an und bot einen Platz auf dieser Liste - unter welchen Voraussetzungen auch immer - an. Der BLZK-Vize behauptet, dass seine Teilnahme an der ganzen Aktion im Vorfeld mit der BZÄK  [Bundeszahnärztekammer] abgesprochen gewesen sei. Dem widerspricht nun der Präsident der BLZK: "…die BZÄK hat damit nichts zu tun, außer, dass sie dem Focus bestimmte "Berufsbezeichnungen" und Begriffe erklärt hat, bzw. auf einschlägige Internetseiten verwiesen hat. Dabei war der BZÄK nicht bekannt, dass der Focus den jetzt veröffentlichten Artikel plant". … Wir meinen: ein hochrangiger Standesvertreter, der seine eigenen wirtschaftlichen Interessen und die Interessen seines Fachverbandes vor das Wohl der von ihm vertretenen bayerischen Zahnärzte stellt, sollte zum Rücktritt aufgefordert werden.

9

Die Klägerin ist der Auffassung, dieser Artikel behaupte, dass Voraussetzung für die Aufnahme in die Ärzteliste eine entgeltliche Leistung gewesen sei. Eine derartige Behauptung verletze sie in ihrem Unternehmenspersönlichkeitsrecht. Sie begehrt Unterlassung der Äußerung:

10

Die Redaktion rief wohl im Vorfeld bei vielen Zahnärzten an und bot einen Platz auf dieser Liste - unter welchen Voraussetzungen auch immer - an.

11

2. Das Landgericht Passau wies die Klage ab. Es qualifiziert die Äußerung im Gesamtzusammenhang als Meinungsäußerung. Eine konkrete Aussage, dass die Aufnahme in die Ärzteliste nur entgeltlich erfolge, lasse sich aus der angegriffenen Passage nicht herauslesen. Durch die sich aus dem Fragebogen ergebende Verquickung von redaktioneller Arbeit mit mittelbar verfolgtem wirtschaftlichem Interesse einer Beteiligungsgesellschaft sei die Äußerung des Beklagten von der Meinungsfreiheit gedeckt.

12

3. Auf die Berufung der Klägerin hob das Oberlandesgericht das Urteil mit angegriffenem Urteil auf und verurteilte den Beschwerdeführer zur Unterlassung der streitgegenständlichen Äußerung. Es qualifiziert die Äußerung als Tatsachenbehauptung, deren Wahrheit der beweisbelastete Beschwerdeführer nicht bewiesen habe. Die Äußerung verunglimpfe die Klägerin, so dass sie in ihrem "allgemeinen Persönlichkeitsrecht" verletzt sei. Die Äußerung sei "ins Blaue hinein" getätigt. Der Beschwerdeführer könne sich nicht auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 193 StGB berufen, weil er bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht habe davon ausgehen können, dass die Behauptung richtig gewesen sei. Denn nach dem eigenen Vorbringen des Beschwerdeführers hätten seine Recherchen ergeben, dass die telefonischen Angebote nicht von der Klägerin ausgegangen seien, sondern von einer beauftragten Vermittlungsagentur.

13

Das Oberlandesgericht ließ die Revision nicht zu und setzte den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 6.000 € fest.

14

4. In seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seines Grundrechts auf Meinungs- und Pressefreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG. Das Oberlandesgericht habe die Textpassage zu Unrecht als Tatsachenbehauptung eingeordnet. Dass es sich vielmehr um eine Meinungsäußerung handele, ergebe sich aus dem Gesamtzusammenhang. Das Oberlandesgericht interpretiere hier eine völlig harmlose Textpassage in einem Mitgliederforum, das gerade einmal an 40 bis 80 Personen versandt werde, und in dem es üblich sei, Meinungen auszutauschen beziehungsweise Kritik zu üben, als "Angriff auf die Integrität" der Klägerin.

15

5. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens hat sich zu der Verfassungsbeschwerde geäußert und hält sie für unbegründet. Die Bayerische Staatsregierung hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

II.

16

Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).

17

Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

18

1. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten, ohne ausdrücklich zwischen Werturteil und Tatsachenbehauptung zu unterscheiden (vgl. BVerfGE 85, 23 <31>). Tatsachenbehauptungen werden durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit charakterisiert (vgl. BVerfGE 94, 1 <8>) und sind der Überprüfung mit Mitteln des Beweises zugänglich. Meinungen sind im Unterschied zu Tatsachenbehauptungen durch das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt (vgl. BVerfGE 85, 1 <14>).

19

Die Behauptung einer Tatsache fällt in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit, soweit sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen ist (vgl. BVerfGE 94, 1 <7>). Daher endet der Schutz der Meinungsfreiheit für Tatsachenbehauptungen erst dort, wo sie zu der verfassungsrechtlich vorausgesetzten Meinungsbildung nichts beitragen können. Das Bundesverfassungsgericht geht deswegen davon aus, dass die erwiesen oder bewusst unwahre Tatsachenbehauptung nicht vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG umfasst wird. Wahre Aussagen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind. Das gilt auch für Äußerungen, in denen tatsächliche und wertende Elemente einander durchdringen. Bei der Abwägung fällt dann die Richtigkeit des tatsächlichen Äußerungsgehalts, der dem Werturteil zugrunde liegt, ins Gewicht (vgl. BVerfGE 94, 1 <8>). Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind verkannt, wenn eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung oder Schmähkritik eingestuft wird mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen sind (vgl. BVerfGE 85, 1 <14>).

20

Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat (vgl. BVerfGE 93, 266 <295 f.>). Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht und von den erkennbaren Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt. Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird den Anforderungen an eine tragfähige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht (vgl. BVerfGE 54, 129 <137>; 93, 266 <295>; 94, 1 <9>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 12. Mai 2009 - 1 BvR 2272/04 -, NJW 2009, S. 3016 - "durchgeknallter Staatsanwalt").

21

Die Einstufung einer Äußerung als Werturteil oder Tatsachenbehauptung durch die Fachgerichte wird wegen ihrer Bedeutung für den Schutzumfang des Grundrechts sowie für die Abwägung mit kollidierenden Rechtsgütern vom Bundesverfassungsgericht nachgeprüft (vgl. BVerfGE 94, 1 <8 f.>).

22

2. Gemessen hieran begegnet es durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, dass das Oberlandesgericht die streitgegenständliche Textpassage aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit herausfallen lassen hat.

23

Das Oberlandesgericht verengt seine Urteilsbegründung auf die Frage des Wahrheitsgehalts der Aussage, ob die Redaktion des "Focus" selbst oder aber eine Vermittlungsagentur bei Zahnärzten angerufen habe. Dies betrifft zwar isoliert eine Tatsachenfrage, die dem Beweis zugänglich ist. Jedoch wird diese Fokussierung auf die Frage, wer genau angerufen hat, dem Rechtstreit nicht gerecht. Denn Gegenstand des von der Klägerin geführten Verfahrens ist nach ihrem den Streitgegenstand bestimmenden Antrag die Frage, ob sie dadurch in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt wird, dass der Beschwerdeführer behauptet, sie habe die Listenplätze entgeltlich angeboten. Insoweit aber hätte es ausgehend von der in Streit stehenden Äußerung einer genaueren Deutungsanalyse bedurft, deren Anforderungen die angegriffene Entscheidung nicht erfüllt. Das Oberlandesgericht hätte prüfen müssen, ob eine solche Aussage dem Text überhaupt zu entnehmen ist, und, falls dies der Fall ist, ob dem eine Tatsachenbehauptung oder ein Werturteil zugrunde liegt. Es hätte sich auch mit der Gesamtaussage des Artikels (Kritik am Vizepräsidenten der Bayerischen Landeszahnärztekammer) beschäftigen und dabei das Anliegen des Magazins "Tacheles" (Bewertung von Sachverhalten mit Bezug zur Berufstätigkeit der Zahnärzteschaft) und die Intention der beanstandeten Äußerung (Kritik an der Zusammensetzung der Ärzteliste) berücksichtigen müssen. Es ist jedenfalls nicht aus sich heraus erkennbar, dass es für die Deutung der streitgegenständlichen Äußerung bei gebotener Gesamtsicht entscheidend auf den konkret Anrufenden ankommt. Sofern das Oberlandesgericht die Frage als maßgeblich ansieht, ob die Redaktion selbst oder aber eine Agentur die Anrufe getätigt hat, müsste es folglich darlegen, warum hieraus die von der Klägerin gerügte Aussage folgt und dies eine Verletzung deren Persönlichkeitsrechts begründet. Hierbei kommt ohnehin allenfalls eine Verletzung ihres Unternehmenspersönlichkeitsrechts in Betracht. Der Entscheidung des Oberlandesgerichts ist zu alledem jedoch nichts zu entnehmen.

24

3. Das besondere Gewicht der Grundrechtsverletzung ist durch die Verkennung des durch die Meinungsfreiheit gewährten Schutzes indiziert (vgl. BVerfGE 90, 22 <25>).

25

4. Die angegriffene Entscheidung beruht auf den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Fehlern. Es ist nicht auszuschließen, dass das Oberlandesgericht bei erneuter Befassung zu einer anderen Entscheidung in der Sache kommen wird.

26

5. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.

27

6. Die Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit für die Verfassungsbeschwerdeverfahren beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG.

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Tenor

Das Urteil des Oberlandesgerichts München vom 1. März 2011 - 18 U 2992/10 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidung wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht München zurückverwiesen.

...

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen ein zivilgerichtliches Urteil, durch das dem Beschwerdeführer eine Äußerung untersagt wird. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seines Grundrechts auf Meinungsfreiheit.

I.

2

1. Der Beschwerdeführer und Beklagte des Ausgangsverfahrens besteht aus etwa 40 Mitgliedern und verteilt in unregelmäßigen Abständen per E-mail, auch an ca. 40 Nicht-Mitglieder, das Mitgliedermagazin "Tacheles". Das Magazin ist überschrieben mit den Worten: "Tacheles reden: Direkt die unverblümte Wahrheit sagen, jemandem ohne Zurückhaltung ungeschminkt die Meinung sagen."

3

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, die Focus Magazin Verlag GmbH, veröffentlichte in der Ausgabe 22/2009 vom 25. Mai 2009 des von ihr verlegten Magazins "Focus" eine Titelgeschichte zum Thema Implantologie. Auf dem Titelblatt hieß es: "Große Focus-Ärzteliste - 115 empfohlene Spezialisten". In dem Artikel war diese Liste abgedruckt, die unter anderem den Zahnarzt B. aus K. enthielt, der auch Vizepräsident der Bayerischen Landeszahnärztekammer ist. Die Liste war Ergebnis einer Recherche, bei der unter anderem ein an Zahnärzte verschickter Fragebogen verwandt wurde. In dem Fragebogen wurde unter anderem darauf hingewiesen, dass im Rahmen einer neuen Firmenkooperation mit dem Gesundheitsportal www.jameda.de auch angeboten werden könne, die Leistungen der Zahnärzte auf Wunsch patientengerecht im Internet zu präsentieren.

4

In dem Focus-Artikel heißt es auf Seite 66:

5

Rund 7000 Implantologen hat Focus in Zusammenarbeit mit der deutschen Gesellschaft für Implantologie, der deutschen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, der deutschen Gesellschaft für zahnärztliche Implantologie, der deutschen Gesellschaft für orale Implantologie, dem Berufsverband deutscher Oralchirurgen, dem Bundesverband der implantologisch tätigen Zahnärzte in Europa, sowie der Bundeszahnärztekammer angeschrieben. Redakteure ermittelten aus den über 6400 Empfehlungen anhand von Interviews und der Angaben aus den wissenschaftlichen Fragebögen die bundesweiten Top-Ärzte für Implantologie unter den Zahnärzten, Oralchirurgen und Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen.

6

Die Ausgabe 3/09 vom 24. Juni 2009 des Mitgliedermagazins "Tacheles" beschäftigt sich mit dieser Focus-Ärzteliste. Unter anderem heißt es dort:

7

BLZK-Vize [Bayerische Landeszahnärztekammer] in Werbeaffäre verstrickt

8

Der Vizepräsident der BLZK, seines Zeichens auch Vorsitzender eines Implantologen-Verbandes, steht auf einer Focus-Liste der 115 angeblich besten Implantologen Deutschlands. Die Redaktion rief wohl im Vorfeld bei vielen Zahnärzten an und bot einen Platz auf dieser Liste - unter welchen Voraussetzungen auch immer - an. Der BLZK-Vize behauptet, dass seine Teilnahme an der ganzen Aktion im Vorfeld mit der BZÄK  [Bundeszahnärztekammer] abgesprochen gewesen sei. Dem widerspricht nun der Präsident der BLZK: "…die BZÄK hat damit nichts zu tun, außer, dass sie dem Focus bestimmte "Berufsbezeichnungen" und Begriffe erklärt hat, bzw. auf einschlägige Internetseiten verwiesen hat. Dabei war der BZÄK nicht bekannt, dass der Focus den jetzt veröffentlichten Artikel plant". … Wir meinen: ein hochrangiger Standesvertreter, der seine eigenen wirtschaftlichen Interessen und die Interessen seines Fachverbandes vor das Wohl der von ihm vertretenen bayerischen Zahnärzte stellt, sollte zum Rücktritt aufgefordert werden.

9

Die Klägerin ist der Auffassung, dieser Artikel behaupte, dass Voraussetzung für die Aufnahme in die Ärzteliste eine entgeltliche Leistung gewesen sei. Eine derartige Behauptung verletze sie in ihrem Unternehmenspersönlichkeitsrecht. Sie begehrt Unterlassung der Äußerung:

10

Die Redaktion rief wohl im Vorfeld bei vielen Zahnärzten an und bot einen Platz auf dieser Liste - unter welchen Voraussetzungen auch immer - an.

11

2. Das Landgericht Passau wies die Klage ab. Es qualifiziert die Äußerung im Gesamtzusammenhang als Meinungsäußerung. Eine konkrete Aussage, dass die Aufnahme in die Ärzteliste nur entgeltlich erfolge, lasse sich aus der angegriffenen Passage nicht herauslesen. Durch die sich aus dem Fragebogen ergebende Verquickung von redaktioneller Arbeit mit mittelbar verfolgtem wirtschaftlichem Interesse einer Beteiligungsgesellschaft sei die Äußerung des Beklagten von der Meinungsfreiheit gedeckt.

12

3. Auf die Berufung der Klägerin hob das Oberlandesgericht das Urteil mit angegriffenem Urteil auf und verurteilte den Beschwerdeführer zur Unterlassung der streitgegenständlichen Äußerung. Es qualifiziert die Äußerung als Tatsachenbehauptung, deren Wahrheit der beweisbelastete Beschwerdeführer nicht bewiesen habe. Die Äußerung verunglimpfe die Klägerin, so dass sie in ihrem "allgemeinen Persönlichkeitsrecht" verletzt sei. Die Äußerung sei "ins Blaue hinein" getätigt. Der Beschwerdeführer könne sich nicht auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 193 StGB berufen, weil er bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht habe davon ausgehen können, dass die Behauptung richtig gewesen sei. Denn nach dem eigenen Vorbringen des Beschwerdeführers hätten seine Recherchen ergeben, dass die telefonischen Angebote nicht von der Klägerin ausgegangen seien, sondern von einer beauftragten Vermittlungsagentur.

13

Das Oberlandesgericht ließ die Revision nicht zu und setzte den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 6.000 € fest.

14

4. In seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seines Grundrechts auf Meinungs- und Pressefreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG. Das Oberlandesgericht habe die Textpassage zu Unrecht als Tatsachenbehauptung eingeordnet. Dass es sich vielmehr um eine Meinungsäußerung handele, ergebe sich aus dem Gesamtzusammenhang. Das Oberlandesgericht interpretiere hier eine völlig harmlose Textpassage in einem Mitgliederforum, das gerade einmal an 40 bis 80 Personen versandt werde, und in dem es üblich sei, Meinungen auszutauschen beziehungsweise Kritik zu üben, als "Angriff auf die Integrität" der Klägerin.

15

5. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens hat sich zu der Verfassungsbeschwerde geäußert und hält sie für unbegründet. Die Bayerische Staatsregierung hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

II.

16

Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).

17

Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

18

1. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten, ohne ausdrücklich zwischen Werturteil und Tatsachenbehauptung zu unterscheiden (vgl. BVerfGE 85, 23 <31>). Tatsachenbehauptungen werden durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit charakterisiert (vgl. BVerfGE 94, 1 <8>) und sind der Überprüfung mit Mitteln des Beweises zugänglich. Meinungen sind im Unterschied zu Tatsachenbehauptungen durch das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt (vgl. BVerfGE 85, 1 <14>).

19

Die Behauptung einer Tatsache fällt in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit, soweit sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen ist (vgl. BVerfGE 94, 1 <7>). Daher endet der Schutz der Meinungsfreiheit für Tatsachenbehauptungen erst dort, wo sie zu der verfassungsrechtlich vorausgesetzten Meinungsbildung nichts beitragen können. Das Bundesverfassungsgericht geht deswegen davon aus, dass die erwiesen oder bewusst unwahre Tatsachenbehauptung nicht vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG umfasst wird. Wahre Aussagen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind. Das gilt auch für Äußerungen, in denen tatsächliche und wertende Elemente einander durchdringen. Bei der Abwägung fällt dann die Richtigkeit des tatsächlichen Äußerungsgehalts, der dem Werturteil zugrunde liegt, ins Gewicht (vgl. BVerfGE 94, 1 <8>). Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind verkannt, wenn eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung oder Schmähkritik eingestuft wird mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen sind (vgl. BVerfGE 85, 1 <14>).

20

Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat (vgl. BVerfGE 93, 266 <295 f.>). Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht und von den erkennbaren Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt. Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird den Anforderungen an eine tragfähige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht (vgl. BVerfGE 54, 129 <137>; 93, 266 <295>; 94, 1 <9>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 12. Mai 2009 - 1 BvR 2272/04 -, NJW 2009, S. 3016 - "durchgeknallter Staatsanwalt").

21

Die Einstufung einer Äußerung als Werturteil oder Tatsachenbehauptung durch die Fachgerichte wird wegen ihrer Bedeutung für den Schutzumfang des Grundrechts sowie für die Abwägung mit kollidierenden Rechtsgütern vom Bundesverfassungsgericht nachgeprüft (vgl. BVerfGE 94, 1 <8 f.>).

22

2. Gemessen hieran begegnet es durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, dass das Oberlandesgericht die streitgegenständliche Textpassage aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit herausfallen lassen hat.

23

Das Oberlandesgericht verengt seine Urteilsbegründung auf die Frage des Wahrheitsgehalts der Aussage, ob die Redaktion des "Focus" selbst oder aber eine Vermittlungsagentur bei Zahnärzten angerufen habe. Dies betrifft zwar isoliert eine Tatsachenfrage, die dem Beweis zugänglich ist. Jedoch wird diese Fokussierung auf die Frage, wer genau angerufen hat, dem Rechtstreit nicht gerecht. Denn Gegenstand des von der Klägerin geführten Verfahrens ist nach ihrem den Streitgegenstand bestimmenden Antrag die Frage, ob sie dadurch in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt wird, dass der Beschwerdeführer behauptet, sie habe die Listenplätze entgeltlich angeboten. Insoweit aber hätte es ausgehend von der in Streit stehenden Äußerung einer genaueren Deutungsanalyse bedurft, deren Anforderungen die angegriffene Entscheidung nicht erfüllt. Das Oberlandesgericht hätte prüfen müssen, ob eine solche Aussage dem Text überhaupt zu entnehmen ist, und, falls dies der Fall ist, ob dem eine Tatsachenbehauptung oder ein Werturteil zugrunde liegt. Es hätte sich auch mit der Gesamtaussage des Artikels (Kritik am Vizepräsidenten der Bayerischen Landeszahnärztekammer) beschäftigen und dabei das Anliegen des Magazins "Tacheles" (Bewertung von Sachverhalten mit Bezug zur Berufstätigkeit der Zahnärzteschaft) und die Intention der beanstandeten Äußerung (Kritik an der Zusammensetzung der Ärzteliste) berücksichtigen müssen. Es ist jedenfalls nicht aus sich heraus erkennbar, dass es für die Deutung der streitgegenständlichen Äußerung bei gebotener Gesamtsicht entscheidend auf den konkret Anrufenden ankommt. Sofern das Oberlandesgericht die Frage als maßgeblich ansieht, ob die Redaktion selbst oder aber eine Agentur die Anrufe getätigt hat, müsste es folglich darlegen, warum hieraus die von der Klägerin gerügte Aussage folgt und dies eine Verletzung deren Persönlichkeitsrechts begründet. Hierbei kommt ohnehin allenfalls eine Verletzung ihres Unternehmenspersönlichkeitsrechts in Betracht. Der Entscheidung des Oberlandesgerichts ist zu alledem jedoch nichts zu entnehmen.

24

3. Das besondere Gewicht der Grundrechtsverletzung ist durch die Verkennung des durch die Meinungsfreiheit gewährten Schutzes indiziert (vgl. BVerfGE 90, 22 <25>).

25

4. Die angegriffene Entscheidung beruht auf den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Fehlern. Es ist nicht auszuschließen, dass das Oberlandesgericht bei erneuter Befassung zu einer anderen Entscheidung in der Sache kommen wird.

26

5. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.

27

6. Die Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit für die Verfassungsbeschwerdeverfahren beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 7. April 2011 - 11 Sa 58/11 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Die 1956 geborene Klägerin war seit Mai 1982 bei der Beklagten - einer Bank für Privatkunden - als Kundenbetreuerin tätig. Seit Dezember 2006 war sie in einer Filiale in R eingesetzt. Die Zweigstelle gehört zum Vertriebsbereich D, für den ein Betriebsrat gewählt ist. Die regelmäßige Arbeitszeit der Klägerin betrug zuletzt 15 Wochenstunden.

3

Im Jahr 2009 mahnte die Beklagte die Klägerin dreimal ab. Zwei Abmahnungen wurden zwischenzeitlich - in einem Fall nach gerichtlicher Entscheidung, im anderen Fall aufgrund eines Vergleichs - aus deren Personalakte entfernt. Die dritte Abmahnung wurde von der Klägerin nicht gerichtlich angegriffen.

4

Am 17. März 2010 war die Klägerin an der Kasse eingesetzt, als zwei Kunden - wohl ein Ehepaar - die R Filiale betraten. Diese wollten ein aktuelles Festgeldangebot nutzen und wandten sich für eine Beratung an die Kundenbetreuerin K. Im Verlauf des Gesprächs kam es zu Unstimmigkeiten. Die Kundenbetreuerin hatte wegen einer ungewöhnlichen Farbschattierung Zweifel an der Echtheit eines der beiden Personalausweise, die ihr zu Identifikationszwecken vorgelegt wurden. Gegen 13:00 bis 13:10 Uhr setzte der Filialleiter die Betreuung der Kunden fort und bat diese in sein Büro. Die Mitarbeiterin K trat ihre Mittagspause an und begab sich zunächst in einen angrenzenden Sozialraum. Dort traf sie die Klägerin und eine andere Kollegin an. Nachdem Frau K ihre Arbeit wieder aufgenommen hatte, übergab ihr der Filialleiter Unterlagen aus dem Kundengespräch zur weiteren Bearbeitung. Beigefügt waren Fotokopien von zwei Ausweisdokumenten, die den Vermerk trugen, das Original habe vorgelegen.

5

Mit Schreiben vom 22. März 2010 wandte sich die Klägerin unter dem Betreff „Meldung eines Verstoßes gegen Sicherheitsrichtlinien“ an die „Zentrale Revision“ der Beklagten. Sie teilte - auszugsweise - Folgendes mit:

        

„...   

        

ich zeige Ihnen hiermit einen schweren und vorsätzlichen Verstoß gegen die Sicherheitsrichtlinien der T und ggfls. gegen gesetzliche Richtlinien an.

        

Datum:

Mittwoch, 17.03.2010

        

Ort:   

Filiale R

        

Verursacher:

Filialleiter …

        

Tathergang:

        

... An dem besagten Tage war ich an der Kasse eingesetzt. …

        

… Dabei stellte sich heraus, dass der Kunde statt eines Bundespersonalausweises nur eine Kopie davon mit bei sich hatte. Als die Kollegin dies bemängelte, übernahm der Zweigstellenleiter diesen Fall und bat den Kunden in einen separaten Raum. … Dabei kam es zu dem eklatanten Verstoß gegen die Sicherheitsregel: Der Kunde konnte keinen gültigen Personalausweis vorlegen: Er hatte wohl eine Fotokopie bei der Hand.

        

Der Zweigstellenleiter kopierte die Kopie und soll eigenhändig den Vermerk aufgeschrieben haben, das Original habe vorgelegen.

        

Letzteres durch Aussage der mit dem Fall befassten Kollegin.

        

Es obliegt Ihnen, die Schwere des Vergehens zusammen mit der erschwerenden Vorsätzlichkeit zu werten.

        

Zeugnis zur möglicherweise notwendigen Befragung: Kollegin … K“

6

Am 7. April 2010 wurde die Klägerin vom Personalreferenten der Beklagten zu dem Vorfall befragt. Sie sollte sich ua. dazu äußern, ob und inwieweit sie von der Kasse aus habe erkennen können, dass es sich um einen „falschen“ Ausweis gehandelt habe. Sie gab an, diese Beobachtung habe ihre Kollegin gemacht. Die gleichfalls befragte Mitarbeiterin K führte in einer schriftlichen Stellungnahme vom 16. April 2010 aus, der männliche Kunde habe auf ihre Bitte, sich zu legitimieren, verärgert und „offensichtlich ertappt“ reagiert. Auf ihren Versuch, die Ausweise zu kontrollieren, sei sie von beiden Kunden „in lautem, unverschämten Ton“ „angepöbelt“ worden. Dem Filialleiter, der daraufhin das Beratungsgespräch fortgeführt habe, seien die Papiere ebenfalls auffällig vorgekommen.

7

Am 30. April 2010 hörte die Beklagte den Filialleiter, der in der Zeit vom 23. März 2010 bis zum 12. April 2010 urlaubsabwesend war, zu den Vorwürfen an. Dieser erklärte, er habe die Ausweise unter einer im Kassenbereich angebrachten UV-Lampe überprüft. Dabei und bei der Datenaufnahme im Kundensystem habe er keine Unregelmäßigkeiten feststellen können.

8

Am 24. Juni 2010 unterhielten sich zwei Vertreter der Beklagten - darunter der Personalreferent - mit der Klägerin über das sich stetig verschlechternde Arbeitsklima in der Filiale. Dabei kam erneut die Anzeige vom 22. März 2010 zur Sprache. Diesbezüglich wurde ein weiteres Personalgespräch für den 13. Juli 2010 verabredet. Am 25. Juni 2010 fasste die Mitarbeiterin K auf Bitten der Beklagten nochmals die Vorgänge vom 17. März 2010 zusammen. Sie gab an, nach „Übernahme“ der Kunden durch den Filialleiter - „aufgeregt und erschrocken darüber“, dass dieser ihr in einer „so kniffligen Situation“ in den Rücken gefallen sei - „in die Küche“ gelaufen zu sein. Gegenüber ihren dort bereits anwesenden Kolleginnen - darunter die Klägerin - habe sie geäußert, die Kunden seien ihr „auf Anhieb komisch“ vorgekommen. Einer der Ausweise habe „so komisch“ ausgesehen als wäre er nicht echt; sie habe diesen nicht geprüft und wisse auch nicht, ob der Filialleiter, der die Kunden jetzt bediene, „das noch mache“. Sie habe nichts mehr mit dem Fall zu tun.

9

Am 26. Juni 2010 erhielt die Klägerin eine förmliche Einladung mit Tagesordnung zu dem anstehenden Gespräch. Mit E-Mail vom 28. Juni 2010 schrieb sie dem Personalreferenten, die Frage nach ihrer Motivation für die Anzeige vom 22. März 2010 habe in ihr „tiefste Zweifel“ ausgelöst. Das sei doch ihre „heiligste Pflicht“ gewesen. Sie habe eigentlich „Anerkennung für Pflichterfüllung … erwartet“. Sie habe bereits vorgehabt nachzufragen, ob die Sache nicht verfolgt würde oder „im Sande verlaufen sei“. Dies werde sie nunmehr „in Richtung Geschäftsführung/Zentralrevision“ erfragen.

10

Die Beklagte zog daraufhin das Personalgespräch auf den 2. Juli 2010 vor. An ihm nahmen neben einer weiteren Person der Personaldirektor der Beklagten, der Direktor „Human Resources Arbeitsrecht und Mitbestimmung“ und ein Mitglied des Betriebsrats teil. Der Klägerin wurde unter Fristsetzung aufgegeben, sich abschließend schriftlich zu dem Geschehen am 17. März 2010 zu äußern. Nach Eingang der Erklärung wollte die Beklagte über mögliche „arbeitsrechtliche Konsequenzen“ entscheiden. Die am 4. Juli 2010 verfasste und an die vorgenannten Direktoren der Beklagten adressierte Stellungnahme der Klägerin ging am 5. Juli 2010 auf einem allgemein zugänglichen Faxgerät der Filiale R ein. Parallel leitete die Klägerin die Erklärung allen Gesprächsteilnehmern vom 2. Juli 2010 und der Geschäftsleitung der Beklagten zu. Ihrer Kollegin K und einer weiteren Filialmitarbeiterin überreichte sie jeweils eine Abschrift. Inhaltlich verwahrte sie sich gegen den Vorwurf, in ihrer Anzeige falsche Angaben gemacht zu haben. Sie führte aus, eine bankinterne Überprüfung des verdächtigen Ausweises sei während ihrer Anwesenheit unterblieben. Weiter schrieb sie: „Obwohl Sie die Ankündigung eines Verfahrens wegen ‚übler Nachrede‘ wohl eher als Drohung verstanden wissen wollten, bin ich mit einem Strafverfahren nach § 186 StGB mehr als einverstanden. … Ich bedanke mich für den … vorgeschlagenen Weg der externen Klärungsmöglichkeit und erwarte nunmehr Ihre angekündigte Anzeige wegen übler Nachrede innerhalb eines angemessenen Zeitraums …“

11

Die Beklagte forderte die Klägerin auf, die Behauptung, ihr sei mit einer Strafanzeige gedroht worden, unter Richtigstellung des Sachverhalts zu widerrufen. Mit E-Mail vom 6. Juli 2010 erklärte diese, die Worte „üble Nachrede“ seien von Vertretern der Beklagten in den Raum gestellt worden. In Ermangelung eines gemeinsamen Gesprächsprotokolls sei sie aber bereit, einzelne Darstellungen in der Sache oder der Tendenz nach zu revidieren, falls der Beklagten diese als falsch erschienen.

12

Am Folgetag stellte die Beklagte die Klägerin von der Arbeitsleistung frei. Mit Schreiben vom 14. Juli 2010 kündigte sie das Arbeitsverhältnis - nach Anhörung des Betriebsrats und mit dessen Zustimmung - außerordentlich fristlos, hilfsweise außerordentlich mit „sozialer Auslauffrist“ zum 31. März 2011.

13

Die Klägerin hat fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat geltend gemacht, die Kündigungen seien unwirksam. Sie habe nicht bewusst falsche Anschuldigungen gegen den Filialleiter erhoben. Vielmehr habe sie über einen Vorfall berichtet, den die Beklagte bis zuletzt nicht vollständig aufgeklärt habe. Etwas anderes sei auch nicht ihrer im Vorprozess abgegebenen Erklärung zu entnehmen, sie habe „schon einige Filialleiter der Beklagten kommen und gehen sehen“ und werde auch den derzeitigen „aussitzen“. Sie habe sich durch die in kurzer zeitlicher Folge erteilten Abmahnungen unberechtigt angegriffen gefühlt und überreagiert. Ebenso wenig sei die Kündigung wegen ihres Verhaltens im Zusammenhang mit der Stellungnahme vom 4. Juli 2010 gerechtfertigt. Während des Gesprächs am 2. Juli 2010 habe sie den Eindruck gewonnen, die Beklagte beabsichtige, sie wegen vermeintlich übler Nachrede anzuzeigen. Sie sei weiterhin bereit, die Aussage, ihr sei ein Strafverfahren „angedroht“ worden, zu korrigieren.

14

Die Klägerin hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 14. Juli 2010 weder mit sofortiger Wirkung noch zum 31. März 2011 aufgelöst worden ist.

15

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund zur Kündigung iSd. § 626 Abs. 1 BGB liege vor. Die Klägerin habe den Filialleiter im Schreiben vom 22. März 2010 sinngemäß eines Verstoßes gegen das Geldwäschegesetz bezichtigt. Dabei habe sie den Eindruck vermittelt, der beschriebene „Tathergang“ sei Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung, obwohl die Anschuldigungen tatsächlich auf reinen Mutmaßungen beruhten. Am 7. April 2010 habe sie erklärt, mit Sicherheit ausschließen zu können, dass der Filialleiter die Ausweise vorschriftsmäßig geprüft habe. Dabei sei ihr bewusst gewesen, dass auch ihre als Zeugin benannte Kollegin den Vorfall nicht durchgängig beobachtet habe. In den nachfolgenden Gesprächen habe sie unverändert an ihrem Standpunkt festgehalten. Erstmals mit ihrer Stellungnahme vom 4. Juli 2010 habe sie ihre Behauptungen auf die Zeit ihrer Anwesenheit beschränkt. Allerdings habe sie zugleich unzutreffend und wider besseres Wissen behauptet, ihr sei in dem vorausgegangenen Personalgespräch durch Vertreter der Beklagten mit einer Strafanzeige gedroht worden. Einer Abmahnung habe es nicht bedurft. Die Klägerin habe ihre Vertragspflichten grob verletzt. Ihre falschen Anschuldigungen habe sie gegenüber einem sich stetig vergrößernden Empfängerkreis wiederholt bzw. publik gemacht und keine Einsicht gezeigt. Damit habe sie das Ansehen des Filialleiters beschädigt und nachhaltig den Betriebsfrieden gestört. Ein Festhalten an dem Arbeitsverhältnis sei ihr - der Beklagten - unzumutbar. Die Anhörung des Betriebsrats sei ordnungsgemäß erfolgt. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt.

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Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte weiterhin, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung vom 14. Juli 2010 weder mit sofortiger Wirkung noch mit Ablauf einer der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist aufgelöst worden.

18

I. Die fristlose Kündigung ist gemäß § 626 Abs. 1 BGB iVm. § 17 Ziff. 3 Abs. 1 Alt. 1 Manteltarifvertrag für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken (MTV) unwirksam. Dies hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei erkannt.

19

1. Dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien zufolge fanden auf das Arbeitsverhältnis die jeweils geltenden Tarifverträge für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken Anwendung. Gemäß § 17 Ziff. 3 Abs. 1 Alt. 1 MTV (in der maßgebenden, ab 22. April 2009 geltenden Fassung) sind Arbeitnehmer, die ihr 50. Lebensjahr bereits vollendet haben und dem Betrieb mindestens zehn Jahre ununterbrochen angehören - vorbehaltlich im Streitfall nicht einschlägiger Ausnahmetatbestände - nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes kündbar. Die Regelung, deren persönliche Voraussetzungen die Klägerin im Kündigungszeitpunkt erfüllte, nimmt auf § 626 BGB Bezug(vgl. zu § 17 Ziff. 3 Abs. 1 MTV in der ab 1. Oktober 1997 geltenden Fassung: BAG 10. Oktober 2002 - 2 AZR 418/01 - zu B I 1 der Gründe, EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 1; allgemein zur Bedeutung des Begriffs „wichtiger Grund“ in Tarifverträgen: bspw. BAG 28. Oktober 2010 - 2 AZR 688/09 - Rn. 31, AP KSchG 1969 § 2 Nr. 148 = EzA KSchG § 2 Nr. 80; 12. Januar 2006 - 2 AZR 242/05 - Rn. 24, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 13 = EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 9).

20

2. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Bei ordentlicher Unkündbarkeit des Arbeitnehmers ist für die Beurteilung, ob ein Grund zur fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses vorliegt, auf den Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist abzustellen (BAG 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 34, BAGE 118, 104). Aus § 17 Ziff. 3 Abs. 1 Alt. 1 MTV ergeben sich insoweit keine Besonderheiten.

21

3. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der (fiktiven) Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 38, NZA 2013, 143; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 14, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, BAGE 134, 349).

22

4. Einen in diesem Sinne die fristlose Kündigung „an sich“ rechtfertigenden Grund stellen ua. grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen dar, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 534/08 - Rn. 17 mwN, AP BGB § 626 Nr. 226 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 29). Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen über seinen Arbeitgeber oder Vorgesetzte bzw. Kollegen aufstellt, insbesondere wenn die Erklärungen den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen. Der Arbeitnehmer kann sich für ein solches Verhalten regelmäßig nicht auf sein Recht zur freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen. Das Grundrecht ist nicht schrankenlos gewährleistet (vgl. BAG 7. Dezember 2006 - 2 AZR 400/05 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 55 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 70). Die Meinungsfreiheit wird durch das Recht der persönlichen Ehre gemäß Art. 5 Abs. 2 GG beschränkt und muss mit diesem in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden. Zwar dürfen Arbeitnehmer - auch unternehmensöffentlich - Kritik am Arbeitgeber, ihren Vorgesetzten und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich dabei auch überspitzt äußern. In grobem Maße unsachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Position eines Vorgesetzten führen können, muss der Arbeitgeber aber nicht hinnehmen (vgl. BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 534/08 - aaO; 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 198 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 13; 10. Oktober 2002 - 2 AZR 418/01 - zu B I 3 a der Gründe, EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 1; zur ordentlichen Kündigung: 12. Januar 2006 - 2 AZR 21/05 - Rn. 45, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 53 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 67).

23

5. Von diesen Grundsätzen geht auch das Landesarbeitsgericht aus. Seine Auffassung, das Verhalten der Klägerin stelle schon keinen die fristlose Kündigung rechtfertigenden Grund „an sich“ dar, ist revisionsrechtlich zumindest insoweit nicht zu beanstanden, wie es davon ausgeht, die Klägerin habe weder im Zusammenhang mit dem Schreiben vom 22. März 2010 noch im Rahmen ihrer Stellungnahme zum Personalgespräch vom 2. Juli 2010 bewusst falsche Tatsachenbehauptungen aufgestellt.

24

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, dem Schreiben vom 22. März 2010 sei unschwer zu entnehmen, dass die Anschuldigungen nicht durchgängig auf eigener Wahrnehmung der Klägerin beruhten. Das gelte insbesondere für die durch Fettdruck hervorgehobene Behauptung, hinsichtlich derer die Klägerin auf das Zeugnis der „mit dem Fall befassten Kollegin“ verwiesen habe. Spätestens aufgrund der anschließenden Befragungen habe der Beklagten klar sein müssen, dass weder die Klägerin noch die benannte Kollegin aus eigener Wahrnehmung hätten angeben können, der Filialleiter habe die erforderliche Kontrolle nicht vorgenommen. Verbleibende Zweifel habe die Beklagte durch eine persönliche Gegenüberstellung der Klägerin und des Filialleiters ausräumen können, was unterblieben sei. Unabhängig davon habe die Beklagte nicht dargetan, dass die Anschuldigungen, was die behaupteten Versäumnisse des Filialleiters im Rahmen der Legitimationsprüfung anbelange, unrichtig seien. Eine mögliche und zumutbare Befragung der Kunden sei nicht erfolgt. Was die Äußerungen der Klägerin im Rahmen ihrer Stellungnahme vom 4. Juli 2010 betreffe, sei nicht auszuschließen, dass sie die ihr gemachten Vorhaltungen als - konkludente - Drohung mit der Erstattung einer Strafanzeige missverstanden habe.

25

b) Die dieser Würdigung zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen sind nach § 286 ZPO nur daraufhin überprüfbar, ob das Berufungsgericht von den zutreffenden Beurteilungsmaßstäben ausgegangen ist, die wesentlichen Umstände berücksichtigt und keine Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt hat(vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 16 mwN, AP BGB § 626 Nr. 234 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 35; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33). Gemessen daran zeigt die Beklagte keinen revisionsrechtlich relevanten Rechtsfehler auf.

26

aa) Soweit die Wertung des Landesarbeitsgerichts auf einer Auslegung der Erklärungen im Schreiben vom 22. März 2010 beruht, ist diese möglich. Die Klägerin beschrieb in ihrer „Anzeige“ einen Sachverhalt, für den sie sich im maßgebenden Punkt - dem behaupteten Verstoß gegen Sicherheitsrichtlinien bei der Legitimationsprüfung von Ausweispapieren - auf die Aussage einer Arbeitskollegin berief. Außerdem überließ sie es ausdrücklich weiteren Ermittlungen der Beklagten, die „Schwere des Vergehens zusammen mit der erschwerenden Vorsätzlichkeit zu werten“. Das lässt nicht - schon gar nicht zwingend - den Schluss zu, die Klägerin habe behaupten wollen, ihre Angaben beruhten insgesamt auf eigener Wahrnehmung. Ebenso wenig ist dem Schreiben mit der gebotenen Eindeutigkeit zu entnehmen, die Klägerin habe bewusst den - falschen - Eindruck erweckt oder erwecken wollen, unmittelbare Wahrnehmungen ihrer Kollegin K wiederzugeben. Gegen eine solche Interpretation als einzig mögliche Deutung spricht, dass die Klägerin für eine „möglicherweise notwendige“ Befragung auf das Zeugnis der betreffenden Mitarbeiterin verwies. Ein verständiger Empfänger der „Anzeige“ musste angesichts dieser Angaben in Rechnung stellen, dass die Klägerin lediglich Umstände beschrieb, die sie zwar nicht selbst kannte, von denen sie aber annahm, sie aufgrund greifbarer Anhaltspunkte vermuten zu dürfen.

27

bb) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einschließlich der ihr zugrunde liegenden Auslegung lässt, anders als die Revision meint, nicht den Inhalt der nachfolgend geführten Personalgespräche außer Acht. Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass die Klägerin bei den Unterredungen am 7. April 2010, am 24. Juni 2010 und am 2. Juli 2010 jeweils an ihrer Anschuldigung festgehalten hat, der Filialleiter habe die Ausweise nicht wie vorgeschrieben überprüft. Auch dies ist kein evidentes, vernünftige Zweifel ausschließendes Indiz dafür, dass die Klägerin behaupten wollte, sie selbst habe dies beobachtet. Trotz der allgemein gehaltenen Formulierung kann den Umständen nach nicht ausgeschlossen werden, dass sie ihre Aussage in der Annahme, dies sei der Beklagten klar, stillschweigend auf Zeiten ihrer Anwesenheit im Verkaufsraum der Filiale bezogen hat. Dafür sprechen jedenfalls ihre klarstellenden Ausführungen in der Stellungnahme vom 4. Juli 2010. Überdies konnte die Klägerin davon ausgehen, dass der Beklagten ihr zeitweiliger Aufenthalt im Sozialraum bzw. der Küche bekannt war. Selbst wenn die Erklärung so zu verstehen sein sollte, die Klägerin habe behaupten wollen, der Filialleiter habe die fragliche Prüfung zu keiner Zeit, auch nicht während der Zeit ihrer Abwesenheit vom Arbeitsplatz vorgenommen, folgte daraus nicht - zumindest nicht zwingend -, dass sie bewusst über den Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung oder den der Beobachtungen ihrer Kollegin zu täuschen versucht hätte. Ebenso gut kann es sein, dass sie - im Sinne einer wertenden Schlussfolgerung - auf der Grundlage der Angaben ihrer Kollegin zum äußeren Erscheinungsbild der Ausweise und dem Verhalten der Kunden zu dem Ergebnis gelangt ist, die vorgeschriebene Überprüfung der Ausweise könne nicht wirklich stattgefunden haben.

28

cc) Die Beklagte zeigt keinen materiellen Rechtsfehler auf, soweit sie sich gegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts wendet, sie habe den Wahrheitsgehalt der Anschuldigungen nicht hinreichend aufgeklärt, sodass nicht davon ausgegangen werden könne, die Behauptungen der Klägerin seien unwahr. Damit hat das Landesarbeitsgericht weder grundlegend die Darlegungs- und Beweislast verkannt, noch hat es überzogene Anforderungen an den Vortrag der Beklagten gestellt. Diese ist für den Kündigungsgrund darlegungs- und beweispflichtig (vgl. BAG 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 23 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 65 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 79). Das schließt die Darlegungslast für das Fehlen von Umständen ein, die den Arbeitnehmer entlasten (zur Darlegungslast bezüglich behaupteter Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe: BAG 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - aaO; 18. September 2008 - 2 AZR 1039/06 - EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 13). Es war somit grundsätzlich Sache der Beklagten, die Unwahrheit der Behauptungen der Klägerin darzutun, dh. aufzuzeigen, dass eine hinreichende Legitimationsprüfung stattgefunden hat. Ob etwas anderes zu gelten hätte, wenn es an Anhaltspunkten für ein - mögliches - pflichtwidriges Verhalten des Filialleiters gänzlich gefehlt hätte, kann dahinstehen. So liegt der vorliegende Fall nicht. Die Klägerin hat ihre Vorwürfe nicht vollkommen „aus der Luft gegriffen“. Vielmehr stritten gewisse, wenngleich nicht zwingende Verdachtsmomente dafür, dass es sich bei einem der beiden Ausweispapiere nicht um ein echtes Dokument handelte. Wenn das Landesarbeitsgericht unter diesen Umständen angenommen hat, die Erklärung des Filialleiters, er habe die Ausweise unter der UV-Lampe im Kassenbereich geprüft, sei für sich genommen noch kein ausreichendes Indiz für die Einhaltung der Sicherheitsrichtlinien, ist dies jedenfalls vertretbar. Dies gilt umso mehr, als die Beklagte es unterlassen hat, ihre Aufklärungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Eine solche Möglichkeit bestand objektiv in der Befragung der Kunden, von denen die Papiere stammten. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte auch bei vorsichtig formulierter Nachfrage mit einer konkreten Gefährdung der Geschäftsbeziehung hätte rechnen müssen und ihr deshalb eine weitere Aufklärung unzumutbar gewesen wäre, sind weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Da sich schon aus dem Unterlassen einer Nachfrage bei den Kunden ergibt, dass die Beklagte ihre Informationsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft hat, kann dahinstehen, ob überdies eine persönliche „Gegenüberstellung“ der Klägerin und des Filialleiters angezeigt war, wie das Landesarbeitsgericht gemeint hat.

29

dd) Die Beklagte bringt vor, das Landesarbeitsgericht habe auf der Grundlage seiner Feststellungen nicht davon ausgehen dürfen, die Behauptung der Klägerin, ihr sei im Personalgespräch am 2. Juli 2010 mit einer Strafanzeige gedroht worden, beruhe auf einem Missverständnis. Insbesondere böten die Erklärungen der Klägerin in der E-Mail vom 6. Juli 2010 dafür keinen genügenden Anhaltspunkt. Damit zeigt die Beklagte keinen revisiblen Rechtsfehler auf. Sie will nur ihre eigene Bewertung der fraglichen individuellen Äußerungen an die Stelle einer zumindest vertretbaren Würdigung des Landesarbeitsgerichts setzen.

30

ee) Mit ihren Verfahrensrügen dringt die Revision nicht durch.

31

(1) Soweit die Beklagte geltend macht, das Landesarbeitsgericht habe sie ausdrücklich darauf hinweisen müssen, dass es von der Zumutbarkeit einer Befragung des Kundenehepaars ausgehe, ist ihr Angriff unzulässig. Wird gerügt, das Berufungsgericht sei seiner richterlichen Hinweispflicht (§ 139 ZPO)nicht nachgekommen, muss der Rechtsmittelführer ua. im Einzelnen angeben, wie er auf einen entsprechenden Hinweis reagiert hätte. Der zunächst unterbliebene Vortrag muss nachgeholt werden. Mit der Verfahrensrüge muss er für die erforderliche Schlüssigkeit bzw. Substantiierung seines Vortrags sorgen (BAG 25. April 2006 - 3 AZR 78/05 - Rn. 39, AP BetrAVG § 7 Nr. 111 = EzA BetrAVG § 2 Nr. 27). Darüber hinaus muss er die Entscheidungserheblichkeit der Verletzung der Hinweispflicht dartun (BAG 14. März 2005 - 1 AZN 1002/04 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 114, 67). Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung nicht gerecht. Die Beklagte legt nicht dar, welchen - erheblichen - Vortrag sie im Hinblick auf den vermissten Hinweis hin geleistet und zu welchem entscheidungserheblichen Gesichtspunkt sie die Kunden als Zeugen benannt hätte.

32

(2) Die Beklagte beanstandet weiter, das Landesarbeitsgericht habe es ohne Begründung unterlassen, ihren unter I 2.1 bis 2.4 der Revisionsbegründung näher bezeichneten Beweisangeboten nachzugehen. Dadurch habe es ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt und gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG) verstoßen. Das trifft nicht zu.

33

(a) Die Rüge ist unzulässig, soweit die Beklagte meint, die Vernehmung einer weiteren namentlich genannten Filialmitarbeiterin hätte „zur Widerlegung der falschen Behauptungen der Klägerin beitragen können“. Es fehlt an der Darlegung, im Hinblick auf welche Tatsachen sie sich in welchem Schriftsatz auf das Zeugnis der betreffenden Arbeitnehmerin berufen hatte (zu den Anforderungen an die Rüge des Übergehens eines Beweisantritts: vgl. BAG 24. April 2008 - 8 AZR 347/07 - Rn. 20, AP BGB § 611 Haftung des Arbeitgebers Nr. 42 = EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 8). Entsprechendes gilt für die Rüge, das Landesarbeitsgericht habe es versäumt, die Teilnehmer des Gesprächs vom 2. Juli 2010 (nicht: 2011) zum Inhalt der Äußerungen ihrer Vertreter zu hören. Die Beklagte zeigt nicht auf, wo genau ihr vermeintlich übergangener Beweisantritt in den vorinstanzlichen Schriftsätzen zu finden sein soll und auf welchen dort gehaltenen Vortrag er sich bezieht.

34

(b) Die weiteren Angriffe der Revision sind - ihre Zulässigkeit unterstellt - unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat unterstellt, dass die Klägerin noch im Gespräch vom 2. Juli 2010 an ihren Anschuldigungen gegenüber dem Filialleiter festgehalten hat. Den Inhalt der Stellungnahmen der Mitarbeiterin K hat es für unstreitig erachtet. Es brauchte deshalb den vermeintlich übergangenen Beweisantritten nicht nachzugehen.

35

(3) Dem Berufungsurteil sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen wäre, die Klägerin habe objektiv die Möglichkeit gehabt zu beobachten, ob der Filialleiter eine Überprüfung der Echtheit der Personalausweise mittels UV-Lampe vorgenommen habe. Ebenso wenig enthält es tatbestandliche Feststellungen, die den Ausführungen der Beklagten zu einem Aufenthalt der Klägerin und ihrer Kolleginnen im Sozialraum während der Mittagspause widersprechen. Soweit die Beklagte beanstandet, entgegen den Feststellungen im Berufungsurteil habe ihr Filialleiter seinen Urlaub nicht am 23. März 2010, sondern bereits am 22. März 2010 angetreten, fehlt es an der Darlegung, wo genau der betreffende Vortrag zu finden sein soll. Darüber hinaus fehlt es - auch unter Berücksichtigung der offenbar postalisch erfolgten Übermittlung der „Anzeige“ der Klägerin vom 22. März 2010 - an der Darlegung, inwieweit der Zeitpunkt des Urlaubsantritts entscheidungserheblich war. Aus diesen Gründen greift auch die Erwägung der Beklagten nicht, bei Urteilszustellung binnen der Dreimonatsfrist des § 320 Abs. 2 Satz 3 ZPO wäre ein Antrag auf Tatbestandsberichtigung möglich gewesen.

36

6. Das Landesarbeitsgericht hat nicht näher geprüft, ob die Klägerin, auch wenn sie nicht bewusst falsche Tatsachenbehauptungen aufgestellt haben mag, ihre arbeitsvertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB)dadurch verletzt hat, dass sie ihre Anschuldigungen nicht vorsichtiger vorgebracht, sondern ohne weitere Prüfung die rechtliche Schlussfolgerung eines „schweren und vorsätzlichen Verstoßes“ gegen Sicherheitsrichtlinien und ggf. „gesetzliche Richtlinien“ gezogen hat. Ebenso wenig hat es sich auf der ersten Prüfungsstufe des wichtigen Grundes mit der Frage befasst, ob die Klägerin ihre „Anzeige“ in der vorrangigen Absicht erstattet hat, ihrem Vorgesetzten zu schaden oder sich an diesem für die aus ihrer Sicht unberechtigten Abmahnungen zu rächen. Für eine solche Motivation könnte der Umstand sprechen, dass sie nicht das Gespräch mit dem Filialleiter gesucht hat. Überdies lassen ihre Ausführungen in der E-Mail vom 28. Juni 2010 eine erhebliche Belastungstendenz erkennen. Es erscheint nicht ausgeschlossen, in einem solchen Verhalten „an sich“ einen wichtigen Grund zur Kündigung zu erkennen.

37

a) Im Fall der Erstattung von Anzeigen bei Strafverfolgungsbehörden oder anderen zuständigen Stellen („Whistleblowing“) ist eine vertragswidrige Pflichtverletzung nicht stets schon dann zu verneinen, wenn der Arbeitnehmer die Anzeige erstattet, ohne dabei wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben zu machen (BAG 7. Dezember 2006 - 2 AZR 400/05 - Rn. 18, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 55 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 70; 3. Juli 2003 - 2 AZR 235/02 - zu II 3 b der Gründe, BAGE 107, 36). Eine Anzeige kann unabhängig vom Nachweis der mitgeteilten Verfehlung und ihrer Strafbarkeit ein Grund zur Kündigung sein, wenn sie sich als eine unverhältnismäßige Reaktion auf das Verhalten des Arbeitgebers oder eines seiner Repräsentanten darstellt. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, nach der Strafanzeigen gegen den Arbeitgeber mit dem Ziel, Missstände in Unternehmen oder Institutionen offenzulegen, grundsätzlich in den Anwendungsbereich des Art. 10 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten fallen(EGMR 21. Juli 2011 - 28274/08 - [Heinisch] Rn. 63 ff., AP BGB § 626 Nr. 235 = EzA BGB 2002 § 626 Anzeige gegen Arbeitgeber Nr. 1), schließt eine solche Bewertung nicht generell aus.

38

b) Es spricht einiges dafür, diese Grundsätze sinngemäß auf den Bereich innerbetrieblicher „Anzeigen“ zu übertragen. Auch unterhalb der Schwelle eines strafbaren Verhaltens muss ein Arbeitnehmer bei der Mitteilung vermeintlicher Missstände im Betrieb angemessen auf Persönlichkeitsrechte seiner Arbeitskollegen und Vorgesetzten Rücksicht nehmen. Das folgt schon aus dem berechtigten Interesse des Arbeitgebers an der Wahrung des Betriebsfriedens.

39

c) Die damit zusammenhängenden tatsächlichen und rechtlichen Fragen bedürfen im Streitfall keiner vertieften Erörterung. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die fristlose Kündigung erweise sich zumindest im Rahmen einer ggf. vorzunehmenden Einzelfallbeurteilung und Interessenabwägung als nicht gerechtfertigt. Das hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

40

aa) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (st. Rspr., zuletzt bspw. BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 43, NZA 2013, 143; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 26, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36).

41

bb) Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - aaO; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33). Als mildere Mittel gegenüber der außerordentlichen Kündigung sind - neben der hier ausgeschlossenen ordentlichen Kündigung - auch Abmahnung und Versetzung anzusehen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO; 30. Mai 1978 - 2 AZR 630/76 - BAGE 30, 309). Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung künftiger Störungen - zu erreichen. Einer Abmahnung bedarf es demnach nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 186/11 - Rn. 22 mwN, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 40; 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 35 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 37).

42

cc) Dem Berufungsgericht kommt bei der Einzelfallprüfung und Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 16, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 39; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 29, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 17, BAGE 134, 349). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist dann möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 33, aaO). Daran gemessen liegt kein Abwägungsfehler des Landesarbeitsgerichts vor. Es hat die Kündigung - hinsichtlich beider Kündigungssachverhalte - als unverhältnismäßig angesehen. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, die Klägerin vorrangig abzumahnen. Damit hat das Landesarbeitsgericht seinen Beurteilungsspielraum nicht verletzt. Die in Rede stehenden Pflichtverletzungen der Klägerin wiegen nicht so schwer, dass eine Abmahnung entbehrlich gewesen wäre. Ebenso wenig liegen Umstände vor, die zu der Annahme berechtigten, auch ohne Abmahnung sei von einer negativen Zukunftsprognose auszugehen.

43

(1) Den Nachweis falscher Tatsachenbehauptungen hat die Beklagte nicht geführt. Die Anschuldigungen der Klägerin betreffend ein pflichtwidriges Verhalten des Filialleiters mögen auf „dürftigen“ Verdachtsmomenten beruht haben. Gleichwohl hat die Klägerin sie nicht „ins Blaue hinein“ erhoben. Ihre Pflicht zur Diskretion hat sie zumindest insofern gewahrt, als sie sich an die „Zentrale Revision“ der Beklagten gewandt hat. Selbst wenn die Klägerin - weil sie eine Pflichtverletzung allenfalls vermuten konnte - lediglich einen Verdacht hätte äußern dürfen, musste sie doch ihre Bedenken gegen ein ordnungsgemäßes Verhalten des Filialleiters nicht vollkommen zurückstellen. Einer damit möglicherweise verbundenen Pflichtverletzung der Klägerin hätte mit einer Abmahnung erfolgversprechend begegnet werden können. Das gilt auch dann, wenn der „Anzeige“ sachfremde Motive der Klägerin zugrunde gelegen haben sollten. Daraus folgt für sich genommen nicht, dass sie sich eine Abmahnung nicht hätte zur Warnung gereichen lassen, um künftig zurückhaltender vorzugehen und ggf. genauer zwischen eigenen Beobachtungen und subjektiven Schlussfolgerungen zu unterscheiden. Dies vermag der Senat, sollte das Landesarbeitsgericht diesen Aspekt bei seiner Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht genügend berücksichtigt haben, selbst zu entscheiden.

44

(2) Eine Abmahnung war auch nicht mit Blick auf die Behauptung der Klägerin entbehrlich, ihr sei im Personalgespräch vom 2. Juli 2010 eine Strafanzeige wegen übler Nachrede angedroht worden. Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass die Klägerin das ihr von den Vorinstanzen zugutegehaltene Missverständnis bei genauerer Prüfung hätte vermeiden können. Ihr Irrtum wäre auch dann nicht bedeutungslos (vgl. dazu BAG 14. Februar 1996 - 2 AZR 274/95 - zu II 4 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 26 = EzA BGB § 626 nF Nr. 160). Überdies hat die Klägerin mit ihrer E-Mail vom 6. Juli 2010 eine gewisse Einsicht gezeigt. Dass das Arbeitsverhältnis vor diesem Hintergrund durch das in Rede stehende Fehlverhalten so stark belastet wäre, dass eine Wiederherstellung des Vertrauens in ein künftig redliches Vorgehen der Klägerin selbst nach einer Abmahnung ausgeschlossen erschiene, ist nicht erkennbar.

45

(3) Dieser Bewertung steht nicht entgegen, dass die Klägerin ihre Stellungnahme vom 4. Juli 2010 Personen zugänglich gemacht hat, die an dem vorhergehenden Personalgespräch nicht beteiligt waren. Unabhängig davon, ob darin eine Pflichtverletzung liegt, steht auch dies einem Abmahnungserfordernis nicht entgegen. Die Beklagte beruft sich auf eine tiefgreifende Störung des Betriebsfriedens. Den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zufolge hat sie es aber versäumt aufzuzeigen, dass eine entsprechende Störung tatsächlich eingetreten wäre. Dessen hätte es bedurft, da die Darlegung der bloßen Möglichkeit einer Störung eine verhaltensbedingte Kündigung nicht zu rechtfertigen vermag (vgl. BAG 12. Mai 2011 - 2 AZR 479/09 - Rn. 71 mwN, AP BGB § 123 Nr. 69 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 10). Soweit die Beklagte demgegenüber geltend macht, das Landesarbeitsgericht habe Vorbringen übergangen, zeigt sie nicht auf, wo genau sie welchen entscheidungserheblichen Vortrag zu einer konkreten Störung des Betriebsfriedens geleistet haben will. Soweit sie einen richterlichen Hinweis vermisst, fehlt es an der Darlegung, was sie hierauf Entscheidungserhebliches vorgetragen hätte. Schon aus diesen Gründen bleiben ihre Verfahrensrügen erfolglos.

46

(4) Eine einschlägige Abmahnung liegt nicht vor. Die in der Personalakte verbliebene Abmahnung aus dem Jahr 2009 hatte - soweit ersichtlich - ein verspätetes Erscheinen der Klägerin zu einem Personalgespräch zum Gegenstand.

47

(5) Erweist sich die Kündigung wegen Fehlens einer Abmahnung als unverhältnismäßig, kann offenbleiben, ob die Beklagte vorrangig auch eine Versetzung der Klägerin hätte in Betracht ziehen müssen, wie das Landesarbeitsgericht gemeint hat. Einer Auseinandersetzung mit den hiergegen gerichteten Revisionsrügen bedarf es nicht.

48

II. Die hilfsweise zum 31. März 2011 erklärte außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist ist gleichfalls unwirksam. Auch insoweit fehlt es an einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB iVm. § 17 Ziff. 3 Abs. 1 MTV. Das Landesarbeitsgericht geht fehlerfrei davon aus, dass es dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entsprochen hätte, die Klägerin vor Ausspruch einer Kündigung abzumahnen. Ohne eine solche Warnung war es der Beklagten nicht - weder bis zum Ablauf einer (fiktiven) ordentlichen Kündigungsfrist noch auf Dauer - unzumutbar, das Arbeitsverhältnis mit ihr fortzusetzen. Schon aus diesem Grund kann auch eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist keinen Bestand haben (zur Problematik: vgl. BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 343/11 - Rn. 18, 20, NZA 2013, 224).

49

III. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Berger    

        

    Rinck    

        

    Rachor    

        

        

        

    Gans    

        

    Pitsch    

                 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 3. Dezember 2009 - 5 Sa 739/09 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung.

2

Der im Jahr 1957 geborene Kläger ist verheiratet und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Er war seit dem 1. Oktober 1979 als Rettungsassistent bei dem Beklagten beschäftigt. Sein Bruttomonatsentgelt betrug zuletzt 3.110,66 Euro. Er ist mit einem Grad von 70 schwerbehindert.

3

Aufgrund seiner Schwerbehinderung war der Kläger längere Zeit arbeitsunfähig. Seit September 2006 führten die Parteien Gespräche über die Möglichkeit, ihn in anderer Weise einzusetzen. Dabei kam es am 4. Januar 2008 zu einem Gespräch zwischen dem Kläger und dem Personalleiter. Dessen genauer Verlauf ist streitig. Etwa neun Monate später - am 1. Oktober 2008 - sandte der Kläger an den Beklagten zu Händen des Personalleiters ein Schreiben, in dem es hieß:

        

„ … Des weiteren möchte ich nun noch einmal auf unser oben genanntes Personalgespräch eingehen, insbesondere auf die von Ihnen getätigte Aussage: ‚Wir wollen nur gesunde und voll einsetzbare Mitarbeiter.’ Diese Aussage ist in meinen Augen vergleichbar mit Ansichten und Verfahrensweisen aus dem Dritten Reich und gehört eigentlich auf die Titelseiten der Tageszeitungen sowie in weiteren Medien!“

4

Mit Schreiben vom 1. Oktober 2008 hörte der Beklagte die Mitarbeitervertretung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung an. Mit Schreiben vom 13. Oktober 2008 beantragte er beim Integrationsamt die Zustimmung zu einer solchen Kündigung. Am 28. Oktober 2008 stimmte das Integrationsamt einer außerordentlichen Kündigung des Klägers zu. Es teilte dies dem Beklagten mündlich noch am selben Tage sowie mit Schreiben vom selben Tage auch schriftlich mit.

5

Mit Schreiben vom 28. Oktober 2008, dem Kläger einen Tag später zugegangen, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos.

6

Der Kläger wies die Kündigung mit Schreiben vom 4. November 2008 mangels Vollmacht zurück. Zudem hat er rechtzeitig Klage erhoben und die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sei nicht gegeben. Im Übrigen sei der Unterzeichner des Kündigungsschreibens zum Ausspruch der Kündigung nicht berechtigt gewesen.

7

Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse - beantragt

        

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 28. Oktober 2008 nicht beendet worden ist.

8

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Ansicht vertreten, das Schreiben des Klägers vom 1. Oktober 2008 stelle eine grobe Beleidigung dar. Die darin behauptete Äußerung des Personalleiters habe dieser außerdem nicht von sich gegeben.

9

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte sein Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision ist unbegründet. Für die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 28. Oktober 2008 fehlt es an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB(I.). Die unwirksame außerordentliche Kündigung kann nicht nach § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden(II.). Keiner Entscheidung bedarf, ob die Kündigung zudem nach § 174 Satz 1 BGB unwirksam ist.

11

I. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, für die Kündigung des Beklagten vom 28. Oktober 2008 fehle es an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

12

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220).

13

2. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Äußerungen des Klägers im Schreiben vom 1. Oktober 2008 seien „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

14

a) Grobe Beleidigungen des Arbeitgebers, seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen stellen einen erheblichen Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme dar (§ 241 Abs. 2 BGB) und sind „an sich“ geeignet, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I 2 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 198 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 13; 24. Juni 2004 - 2 AZR 63/03 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 49 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 65; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 117; Däubler in Kittner/Däubler/Zwanziger KSchR 8. Aufl. Art. 5 GG Rn. 10; APS/Dörner Kündigungsrecht 3. Aufl. § 626 BGB Rn. 226; Preis in Stahlhacke/Preis/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 10. Aufl. Rn. 648; HaKo/Fiebig 3. Aufl. § 1 Rn. 416). Die Gleichsetzung noch so umstrittener betrieblicher Vorgänge mit dem nationalsozialistischen Terrorsystem und ein Vergleich von Handlungen des Arbeitgebers oder der für ihn handelnden Menschen mit den vom Nationalsozialismus geförderten Verbrechen bzw. den Menschen, die diese Verbrechen begingen, kann eine grobe Beleidigung der damit angesprochenen Personen darstellen. Darin liegt zugleich eine Verharmlosung des in der Zeit des Nationalsozialismus begangenen Unrechts und eine Verhöhnung seiner Opfer (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I der Gründe, aaO; 9. August 1990 - 2 AZR 623/89 - RzK I 5i 63).

15

b) Ob der Sinn einer Meinungsäußerung vom Berufungsgericht zutreffend erfasst worden ist, ist vom Revisionsgericht uneingeschränkt zu überprüfen (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I 1 der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 198 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 13 ). Hierbei ist das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG zu beachten(BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I 2 b der Gründe, aaO ). Für die Ermittlung des Aussagegehalts einer schriftlichen Äußerung ist darauf abzustellen, wie sie vom Empfänger verstanden werden muss. Dabei ist eine isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils regelmäßig nicht zulässig. Vielmehr sind auch der sprachliche Kontext und die sonstigen erkennbaren Begleitumstände zu berücksichtigen (vgl. BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 3 der Gründe, NJW 2000, 3421 ).

16

c) Das Landesarbeitsgericht hat dem Schreiben vom 1. Oktober 2008 die Aussage entnommen, der Kläger vergleiche die - streitige - Bemerkung des damaligen Personalleiters mit Vorgehensweisen des nationalsozialistischen Unrechtsregimes. Es hat angenommen, diese Erklärung könne nicht mehr als eine lediglich überspitzte oder polemische Kritik gewertet werden. Sie sei daher nicht vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Dem ist im Ergebnis zuzustimmen.

17

aa) Allerdings macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Erklärung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht, die diese jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll (vgl. BVerfG 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - zu C III 2 der Gründe, BVerfGE 93, 266; BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 4 a der Gründe, NJW 2000, 3421 ).

18

bb) So liegt der Fall hier. Zwar hat der Kläger an einer - streitigen - Bemerkung des Personalleiters in einem konkreten Gespräch Kritik geübt. Aus dessen Sicht als des Empfängers des Schreibens konnte der Vergleich mit Ansichten und Verfahrensweisen im Dritten Reich aber nicht mehr einer sachlichen Auseinandersetzung, sondern nur einer persönlichen Herabwürdigung dienen. Der Kläger hatte das Schreiben erst Monate nach dem fraglichen Gespräch und zudem unter Hinweis auf eine mögliche Veröffentlichung der betreffenden Bemerkung an den Personalleiter geschickt.

19

3. Das Landesarbeitsgericht ist ferner ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, die fristlose Kündigung sei bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen nicht gerechtfertigt.

20

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32). Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, aaO; 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, AP BGB § 626 Nr. 227 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 30).

21

b) Die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf dürfen bei der Interessenabwägung im Rahmen der Prüfung des wichtigen Grundes iSv. § 626 Abs. 1 BGB berücksichtigt werden. Dies verstößt nicht gegen das Gebot einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts (vgl. dazu EuGH 19. Januar 2010 - C-555/07 - [Kücükdeveci] Rn. 48, Slg. 2010, I-365; 5. Oktober 2004 - C-397/01 bis C-403/01 - [Pfeiffer ua.] Rn. 114, Slg. 2004, I-8835). Entgegen der Auffassung des Beklagten liegt darin keine unzulässige Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer wegen des Alters iSv. Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/EG, ABl. L 303, S. 16; vgl. auch Art. 21 Abs. 1 EU-GRCharta). Dies kann der Senat selbst beurteilen. Einer Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV bedarf es nicht. Es stellen sich keine noch nicht geklärten Fragen der Auslegung von Unionsrecht.

22

aa) Werden die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf im Rahmen der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB berücksichtigt, handelt es sich bei ihnen um Entlassungsbedingungen iSv. Art. 3 Abs. 1 Buchst. c RL 2000/78/EG.

23

bb) Diese knüpfen nicht iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. a RL 2000/78/EG unmittelbar benachteiligend an das in Art. 1 RL 2000/78/EG genannte Merkmal „Alter“ an. Zwischen der Dauer der Betriebszugehörigkeit und dem Alter besteht kein zwingender Zusammenhang, ein jüngerer Arbeitnehmer kann länger beschäftigt sein als ein älterer (vgl. Kamanabrou RdA 2007, 199, 206; v. Medem Kündigungsschutz und Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz 2008 S. 499).

24

cc) Es liegt auch keine mittelbare Diskriminierung wegen des Alters iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG vor.

25

(1) Dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren stellen nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG eine mittelbare Diskriminierung dar, wenn sie geeignet sind, Personen wegen eines in Art. 1 RL 2000/78/EG genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise zu benachteiligen, es sei denn - so Unterabs. i der Regelung -, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

26

(2) Es kann dahinstehen, ob bei einer verhaltensbedingten Kündigung die Berücksichtigung der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreien Verlaufs bei der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB überhaupt geeignet ist, jüngere Arbeitnehmer gegenüber älteren in diesem Sinne in besonderer Weise zu benachteiligen. Selbst wenn eine solche mittelbare Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer vorläge, wäre sie durch ein legitimes Ziel und verhältnismäßige Mittel zu seiner Durchsetzung iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG gerechtfertigt. Eine mittelbare Diskriminierung ist damit schon tatbestandlich nicht gegeben (so im Ergebnis auch v. Medem aaO S. 595; Thüsing/Laux/Lembke/Jacobs/Wege KSchG 2. Aufl. § 626 BGB Rn. 48; aA Schrader/Straube ArbR 2009, 7, 9). Auf mögliche Rechtfertigungsgründe nach Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG kommt es nicht an.

27

(a) Art. 2 Abs. 2 RL 2000/78/EG unterscheidet zwischen Diskriminierungen, die unmittelbar auf den in Art. 1 RL 2000/78/EG angeführten Merkmalen beruhen, und mittelbaren Diskriminierungen. Während eine unmittelbar auf dem Merkmal des Alters beruhende Ungleichbehandlung nur nach Maßgabe von Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG gerechtfertigt werden kann, stellen diejenigen Vorschriften, Kriterien oder Verfahren, die mittelbare Diskriminierungen bewirken können, nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG schon keine Diskriminierung dar, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind (EuGH 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Concern England] Rn. 59, Slg. 2009, I-1569; vgl. auch BAG 18. August 2009 - 1 ABR 47/08 - Rn. 31, BAGE 131, 342; Kamanabrou RdA 2007, 199, 206). Bewirken die Vorschriften, Kriterien oder Verfahren wegen des Vorliegens eines sachlichen Rechtfertigungsgrundes nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG schon keine Diskriminierung, bedarf es keines Rückgriffs auf Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG(EuGH 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Concern England] Rn. 66, aaO). Das rechtmäßige Ziel, das eine mittelbare Diskriminierung ausschließt, muss demnach nicht zugleich ein legitimes Ziel iSd. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG insbesondere aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung sein. Es schließt andere von der Rechtsordnung anerkannte Gründe für die Verwendung des neutralen Kriteriums ein ( BAG 18. August 2009 - 1 ABR 47/08 - aaO). Die Richtlinie ist insofern klar verständlich und bedarf keiner weiteren Auslegung. Dem steht das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 26. September 2000 (- C-322/98 - [Kachelmann], Slg. 2000, I-7505) nicht entgegen. Darin prüft der Gerichtshof zwar die objektive Rechtfertigung einer Frauen mittelbar benachteiligenden Maßnahme des nationalen Gesetzgebers durch ein legitimes sozialpolitisches Ziel. Dem ist aber nicht zu entnehmen, zur Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung durch eine Rechtsnorm oder durch ihre Auslegung von Seiten der Gerichte komme auch unter Geltung von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG nur die Berücksichtigung eines sozialpolitischen, nicht eines anderen rechtmäßigen Ziels in Betracht (aA wohl ErfK/Schlachter 11. Aufl. § 3 AGG Rn. 9). Das Urteil betraf die Auslegung von Art. 5 Abs. 1 der am 14. August 2009 außer Kraft getretenen Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 (RL 76/207/EWG, ABl. L 39, S. 40). Diese enthielt keine Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78/EG entsprechende Definition der mittelbaren Diskriminierung.

28

(b) Die Kriterien der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreien Verlaufs verfolgen im Rahmen der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB ein iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG rechtmäßiges Ziel. Es besteht in der Herstellung eines angemessenen Ausgleichs zwischen dem jeweils nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers und dem Beendigungsinteresse des Arbeitgebers. Beide Gesichtspunkte sind für die erforderliche Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls unter der Fragestellung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar ist, von objektiver Bedeutung.

29

(c) Die Berücksichtigung der beiden Gesichtspunkte bei der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB ist als Mittel zur Erreichung des Ziels eines adäquaten, befriedigenden Grundrechte-Ausgleichs erforderlich und angemessen iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG.

30

(aa) Die Berücksichtigung einer längeren unbeanstandeten Beschäftigungsdauer ist erforderlich, um dem von § 626 Abs. 1 BGB vorgegebenen Prinzip der Einzelfallprüfung Rechnung zu tragen. Ohne dieses Kriterium bliebe ein maßgeblicher Umstand für die Beurteilung der Zumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung unberücksichtigt. Diese hängt auch bei erheblichen Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers ua. davon ab, ob es sich um einen erstmaligen Pflichtverstoß nach einer langjährigen beanstandungsfreien Beschäftigung handelt oder ob der Verstoß bereits nach kurzer Beschäftigungsdauer oder nach zwar längerwährender, aber nicht unbeanstandeter Betriebszugehörigkeit auftrat. Ob ggf. das beeinträchtigte Vertrauensverhältnis wiederhergestellt werden kann, hängt bei objektiver Betrachtung auch davon ab, ob sich das in den Arbeitnehmer gesetzte Vertrauen bereits eine längere Zeit bewährt hatte (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 47, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32). Ein Pflichtverstoß kann weniger schwer wiegen, wenn es sich um das erstmalige Versagen nach einer längeren Zeit beanstandungsfrei erwiesener Betriebstreue handelt.

31

(bb) Das Kriterium der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreien Verlaufs ist auch angemessen iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG. Es ist nur eines von mehreren Abwägungskriterien im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung. Es wirkt damit nicht absolut, sondern nur relativ zugunsten des gekündigten Arbeitnehmers. Dadurch ist gewährleistet, dass es nur in dem für einen billigen Ausgleich der Interessen erforderlichen Maß das Ergebnis ihrer Abwägung beeinflusst. Selbst eine langjährige beanstandungsfreie Tätigkeit gibt nicht etwa notwendig den Ausschlag zu Gunsten des Arbeitnehmers. Die Pflichtverletzung kann so schwer wiegen, dass eine Wiederherstellung des Vertrauens auch nach einer solchen Zeit ausgeschlossen erscheint (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 23; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 27, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33). Dementsprechend belastet eine Berücksichtigung der Dauer des Arbeitsverhältnisses und seines ungestörten Verlaufs jüngere Arbeitnehmer nicht unangemessen. Zu ihren Gunsten können andere Einzelfallumstände den Ausschlag bei der Interessenabwägung geben. Im Übrigen hat es jeder Arbeitnehmer, auch der mit erst kürzerer Betriebszugehörigkeit, in der Hand, sich keine Pflichtverstöße zuschulden kommen zu lassen, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.

32

c) Danach hält die Interessenabwägung durch das Landesarbeitsgericht einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

33

aa) Dieses hat zugunsten des Klägers darauf abgestellt, dass es sich bei seiner Pflichtverletzung um eine erstmalige Verfehlung dieser Art nach 29 Jahren Betriebszugehörigkeit gehandelt habe. Auch habe der Kläger den Beklagten und dessen Arbeitsmethoden nicht etwa generell mit dem Unrechtsregime des Nationalsozialismus verglichen. Überdies sei eine Wiederholungsgefahr nicht feststellbar.

34

bb) Dies lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Zwar wiegt auch die Gleichsetzung einer einzelnen Äußerung eines Repräsentanten des Beklagten mit Vorgehensweisen während des Nationalsozialismus schwer. Das Ausmaß der Pflichtwidrigkeit ist aber geringer, als wenn der gesamte Betrieb des Beklagten mit solchen Verfahrensweisen verglichen worden wäre. Dass das Landesarbeitsgericht unter diesen Umständen das Interesse des Klägers an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses höher gewichtet hat als das Beendigungsinteresse des Beklagten, hält sich im Rahmen seines Beurteilungsspielraums.

35

cc) Ob das Lebensalter des Klägers sowie weitere Umstände zu seinen Gunsten bei der Interessenabwägung hätten berücksichtigt werden dürfen, bedarf keiner Entscheidung. Das Landesarbeitsgericht hat hierauf nicht ausschlaggebend abgestellt.

36

II. Eine Umdeutung der unwirksamen außerordentlichen Kündigung in eine ordentliche Kündigung nach § 140 BGB ist, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, zumindest aus formalen Gründen nicht möglich. Es fehlt an der auch für eine ordentliche Kündigung erforderlichen vorherigen Zustimmung des Integrationsamts nach § 85 SGB IX. Dieses hat lediglich der außerordentlichen Kündigung zugestimmt. Darin ist weder eine Zustimmung zur ordentlichen Kündigung konkludent enthalten, noch kann seine Entscheidung nach § 43 Abs. 1 SGB X in eine Zustimmung zur ordentlichen Kündigung umgedeutet werden(vgl. zu §§ 18, 19 und 21 SchwbG: BAG 16. Oktober 1991 - 2 AZR 197/91 - zu III 3 der Gründe, RzK I 6b 12).

37

III. Als unterlegene Partei hat der Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

        

        

    Jan Eulen    

        

    Sieg    

                 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Teilanerkenntnis- und Schlussurteil des Landesarbeitsgerichts München vom 5. Juli 2011 - 9 Sa 1174/10 - im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, wie es die Berufung des Klägers gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts München vom 13. Juli 2010 - 14 Ca 17608/09 - als unbegründet zurückgewiesen hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über einen Auflösungsantrag der Beklagten.

2

Die Beklagte ist ein Unternehmen im Bereich IT-Beratung und Systemintegration. Der Kläger ist bei ihr seit 2006 als Diplominformatiker/Softwareentwickler tätig. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. In ihrem Betrieb besteht ein Betriebsrat.

3

Am 13. Mai 2009 mahnte die Beklagte den Kläger ab, nachdem dieser die Teilnahme an einer Veranstaltung, die der Überprüfung seines Kenntnisstands in der Programmiersprache Java dienen sollte, verweigert hatte. Dagegen hat sich der Kläger - erfolglos - mit einer in einem Vorprozess erhobenen Klage gewandt.

4

Am 2. November 2009 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Klägers wegen Arbeitsverweigerung und Schlechterfüllung seiner Arbeitspflicht an. Der Betriebsrat widersprach der Kündigung. Mit Schreiben vom 12. November 2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich verhaltensbedingt zum 31. Dezember 2009.

5

Am 2. Dezember 2009 mahnte die Beklagte den Kläger ab, weil ein am 20. November 2009 übergebenes Programmierergebnis trotz Nachbearbeitung zahlreiche Fehler aufgewiesen habe. Am 11. Dezember 2009 erteilte sie ihm eine weitere Abmahnung wegen Nichtbefolgung von Arbeitsanweisungen.

6

Am 7. Dezember 2009 hörte sie den Kläger zum dringenden Verdacht des Arbeitszeitbetrugs an, nachdem dieser für den 4. Dezember 2009 unterschiedliche Angaben zu seinen Arbeitszeiten gemacht hatte.

7

Mit Schreiben vom 18. Dezember 2009 kündigte sie das Arbeitsverhältnis nach Anhörung des Betriebsrats wegen Schlechtleistung außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31. März 2010. Gleichzeitig stellte sie den Kläger von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei. Mit zwei Schreiben vom 28. Dezember 2009 kündigte sie das Arbeitsverhältnis - ebenfalls nach vorheriger Anhörung des Betriebsrats - wegen Schlechtleistung und Arbeitszeitbetrugs außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31. März 2010.

8

Am 1. Februar 2010 reichte der Kläger beim Arbeitsgericht München einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Beklagte ein. Dem Gesuch, mit dem er die vorläufige Zahlung von Arbeitsentgelt begehrte, fügte der Kläger eine eidesstattliche Versicherung bei. Dort heißt es:

        

„Seit 12.11.2009 werde ich mit insgesamt 7 (!) Arbeitgeberkündigungen bombardiert, denen der Betriebsrat jeweils widersprochen hat, soweit er angehört wurde.“

9

Im Termin übergab der Kläger eine weitere eidesstattliche Versicherung. Darin berichtigte er seine früheren Angaben dahingehend, dass der Betriebsrat den Kündigungen vom 28. Dezember 2009 nicht widersprochen habe.

10

Mit Schreiben vom 15. Februar 2010 und vom 26. Februar 2010 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut fristlos, hilfsweise ordentlich. Unter dem 22. März 2010 kündigte sie ein weiteres Mal fristlos.

11

Der Kläger bewarb sich als Kandidat für die Betriebsratswahl am 23. April 2010. Zusammen mit den übrigen Bewerbern seiner Liste verfasste und veröffentlichte er einen Wahlaufruf folgenden Inhalts:

        

„Wir danken

        

zunächst allen, die es uns mit ihrer Unterschrift möglich gemacht haben, zu dieser Wahl anzutreten. Lange war nicht klar, ob wir die nötige Zahl an Stützunterschriften zusammenbekommen würden, weil die Geschäftsführung versucht hat, uns mit Hausverboten am Sammeln der Unterschriften zu hindern und viele angesprochene Kolleginnen und Kollegen aus Angst vor persönlichen Nachteilen nicht unterschreiben wollten.

        

…       

        

Wir fordern,

        

dass die Einschüchterungen unverzüglich aufhören.

        

…       

        

Die Mobbing-Praxis, mit Hilfe von erfundenen Sachverhalten, willkürlichen Abmahnungen, und mit deren Hilfe ebensolche Kündigungen vorzubereiten und auszusprechen, muss endlich ein Ende finden! Bei der Neuorganisation des Bereichs T wurde mehrfach so vorgegangen, das ist völlig inakzeptabel! Wer sich weigert, einen Auflösungsvertrag zu unterschreiben, wird nach dem Prinzip ‚Wer nicht hört, muss fühlen‘ bestraft.

        

…       

        

Wir fordern deshalb,

        

…       

        

Schluss mit der Demütigung von Mitarbeiter/innen durch vertragsfremde Beschäftigung und untergeordnete Hilfstätigkeiten!“

12

Das Ergebnis der Betriebsratswahl wurde am 29. April 2010 bekannt gegeben. Der Kläger wurde nicht in den Betriebsrat gewählt.

13

Gegen die im Jahr 2009 erklärten Kündigungen hat sich der Kläger mit seiner vorliegenden Klage gewandt. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise

das Arbeitsverhältnis der Parteien gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, jedoch 7.667,00 Euro brutto nicht übersteigen sollte, zum 31. Dezember 2009 aufzulösen.

14

Die Beklagte hat zur Begründung ihres - sich auf die ordentliche Kündigung vom 12. November 2009 beziehenden - Auflösungsantrags vorgebracht, aufgrund zahlreicher Pflichtverletzungen des Klägers sei eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit zwischen den Parteien in Zukunft nicht mehr zu erwarten. Dessen falscher Vortrag im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung und die unzutreffende eidesstattliche Versicherung stellten einen Versuch des Prozessbetrugs dar. Der Kläger habe die Unrichtigkeit seiner Angaben zumindest billigend in Kauf genommen und dadurch das in seine Integrität gesetzte Vertrauen erheblich erschüttert. Ein weiterer Auflösungsgrund liege in den betriebsöffentlichen Beleidigungen und unwahren Tatsachenbehauptungen, die in dem Aufruf zur Betriebsratswahl 2010 enthalten seien. Der Kläger habe sich von den Aussagen trotz entsprechender Aufforderung nicht distanziert. Er verfüge auch nicht über die für eine gedeihliche Zusammenarbeit notwendige kritische Rollendistanz. Er werfe ihr grundlos „Mobbing“ vor, sehe selbst in einem von ihr in zweiter Instanz - erfolgreich - angebrachten Antrag auf Fristverlängerung und Verlegung eines Kammertermins einen Angriff auf seine wirtschaftliche Existenz und akzeptiere nicht einmal Weisungen, deren Berechtigung - wie im Fall der Weisung, die der Abmahnung vom 13. Mai 2009 zugrunde gelegen habe - rechtskräftig festgestellt sei.

15

Der Kläger hat beantragt, den Auflösungsantrag abzuweisen. Der Auflösung des Arbeitsverhältnisses stehe bereits sein Sonderkündigungsschutz als Wahlbewerber entgegen. Auch seien keine Auflösungsgründe gegeben. Er sei weiterhin bereit, sich voll und ganz für das Unternehmen und die Belegschaft einzusetzen. Dies komme insbesondere durch seine Kandidatur bei der Betriebsratswahl 2010 zum Ausdruck. Der in diesem Zusammenhang verfasste Wahlaufruf stelle die Personalpolitik der Beklagten lediglich pointiert und wahrheitsgetreu dar. Im einstweiligen Verfügungsverfahren habe er alle Angaben nach bestem Wissen und Gewissen gemacht. Unrichtigkeiten in seiner ursprünglichen eidesstattlichen Erklärung seien auf Missverständnisse zurückzuführen, die mit Sprachschwierigkeiten zusammenhingen.

16

Das Arbeitsgericht hat durch Teilurteil festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die ordentliche Kündigung vom 12. November 2009, noch durch die fristlosen Kündigungen vom 18. und 28. Dezember 2009 aufgelöst worden ist. Zugleich hat es das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31. Dezember 2009 aufgelöst und die Beklagte zur Zahlung einer Abfindung in Höhe von 20.051,46 Euro brutto verurteilt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufungen beider Parteien zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter, den Auflösungsantrag abzuweisen. Im Übrigen ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts rechtskräftig.

Entscheidungsgründe

17

Die Revision des Klägers ist begründet. Auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen durfte das Landesarbeitsgericht dem Auflösungsantrag der Beklagten nicht stattgeben. Das angefochtene Urteil war in diesem Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Senat kann nicht abschließend entscheiden. Der relevante Sachverhalt ist noch nicht hinreichend festgestellt (§ 563 Abs. 3 ZPO).

18

I. Das Kündigungsschutzgesetz lässt die Auflösung des Arbeitsverhältnisses bei Sozialwidrigkeit der Kündigung nur ausnahmsweise zu. Es ist nach seiner Konzeption ein Bestandsschutz- und kein Abfindungsgesetz (BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 41, BAGE 140, 47; 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 20). An die Auflösungsgründe sind deshalb strenge Anforderungen zu stellen.

19

1. Auflösungsgründe iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG können solche Umstände sein, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Entscheidend ist, ob die objektive Lage die Besorgnis rechtfertigt, dass die weitere gedeihliche Zusammenarbeit gefährdet ist (BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 42, BAGE 140, 47; 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 21, jeweils mwN).

20

2. Die Begründetheit eines Auflösungsantrags ist grundsätzlich nach den Umständen zu beurteilen, die im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz vorlagen. Auf deren Grundlage ist zu fragen, ob in der Zukunft eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zu erwarten ist (BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 41, BAGE 140, 47; 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 20). Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Arbeitsverhältnis nach dem gemäß § 9 Abs. 2 KSchG festzusetzenden Zeitpunkt, jedoch vor Erlass des (Berufungs-)Urteils bereits geendet hat. In einem solchen Fall ist das Gericht zwar nicht an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses gehindert. Für die nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG anzustellende Zukunftsprognose ist aber nur der Zeitraum bis zum Eintritt der anderweitigen Beendigung zu berücksichtigen(BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 554/08 - Rn. 22 ff.).

21

3. Die Würdigung, ob die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt ist, obliegt in erster Linie dem Tatsachengericht. Das Revisionsgericht kann aber nachprüfen, ob das Berufungsgericht die Voraussetzungen für den Auflösungsantrag zutreffend erkannt und bei Prüfung der vorgetragenen Auflösungsgründe alle wesentlichen Umstände vollständig und widerspruchsfrei berücksichtigt und gewürdigt hat (BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 43, BAGE 140, 47; 23. Februar 2010 - 2 AZR 554/08 - Rn. 33).

22

II. Einer solchen Prüfung hält die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht stand.

23

1. Das Landesarbeitsgericht nimmt mit Recht an, die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses sei nicht von vornherein deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger zwischenzeitlich besonderen Kündigungsschutz gemäß § 15 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 KSchG erlangt habe. Der Sonderkündigungsschutz führt, anders als die Revision meint, auch nicht dazu, dass Auflösungsgründe, die im geschützten Zeitraum entstanden sind, das Gewicht eines Kündigungsgrundes iSv. § 626 BGB erreichen müssten.

24

a) Nach § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG kann das Arbeitsverhältnis eines Wahlbewerbers in der Zeit von der Aufstellung des Wahlvorschlags bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses nur aus wichtigem Grund und zudem nur unter Einhaltung des besonderen Verfahrens nach § 103 BetrVG gekündigt werden. Gemäß § 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG kann das Arbeitsverhältnis des nicht gewählten Bewerbers bis zum Ablauf von sechs Monaten nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses weiterhin nur aus wichtigem Grund gekündigt werden.

25

b) Die Regelungen schließen zugleich eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG auf Antrag des Arbeitgebers im Zusammenhang mit einer Kündigung aus, die in dem geschützten Zeitraum erklärt wird. Stellt das Gericht fest, dass eine in diesem Zeitraum erklärte außerordentliche Kündigung unwirksam ist, steht die Möglichkeit, eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu beantragen, nach § 13 Abs. 1 Satz 3 KSchG ohnehin ausschließlich dem Arbeitnehmer zu. Der Arbeitgeber kann die Auflösung des Arbeitsverhältnisses lediglich im Zusammenhang mit einer unwirksamen ordentlichen Kündigung und auch insoweit nur beantragen, wenn die Kündigung nicht aus anderen Gründen als der Sozialwidrigkeit unwirksam ist (vgl. BAG 30. September 2010 - 2 AZR 160/09 - Rn. 13; 28. August 2008 - 2 AZR 63/07 - Rn. 27, BAGE 127, 329). Das wiederum ist während des Bestehens des Sonderkündigungsschutzes wegen § 15 Abs. 1, Abs. 3 KSchG stets der Fall.

26

c) Hat der Arbeitgeber vor Eintritt des Sonderkündigungsschutzes eine - sozial nicht gerechtfertigte - ordentliche Kündigung erklärt und hierauf bezogen einen Auflösungsantrag gestellt und hat der Sonderkündigungsschutz im Zeitpunkt der Entscheidung über den Auflösungsantrag bereits wieder geendet, kommt eine - entsprechende - Anwendung von § 15 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 KSchG, § 103 BetrVG nicht in Betracht. Ob etwas anderes zu gelten hat, wenn der Sonderkündigungsschutz zu dem nach § 9 Abs. 2 KSchG festzusetzenden Auflösungszeitpunkt, also bei Ablauf der Kündigungsfrist - hier dem 31. Dezember 2009 -, schon bestand, bedarf keiner Entscheidung. Dafür gibt es im Streitfall keinen Anhaltspunkt. Zwar ist der genaue Zeitpunkt, zu dem der Wahlvorschlag für den Kläger aufgestellt war (zu den Voraussetzungen: vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 299/11 - Rn. 12 mwN), nicht festgestellt. Das Landesarbeitsgericht ist aber erkennbar davon ausgegangen, dass der Kläger erst im Jahre 2010 Sonderkündigungsschutz als Wahlbewerber erlangt hat. Etwas anderes hat auch keine der Parteien geltend gemacht.

27

aa) Soweit der Senat für einen Arbeitnehmer, der in den Personalrat gewählt worden war, entschieden hat, einem Auflösungsantrag, der auf einen nach der Wahl entstandenen Sachverhalt gestützt werde, könne nur stattgegeben werden, wenn dieser Sachverhalt geeignet sei, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung abzugeben (BAG 7. Dezember 1972 - 2 AZR 235/72 - zu IX der Gründe, BAGE 24, 468; ebenso APS/Biebl 4. Aufl. § 9 KSchG Rn. 58; vHH/L/Linck 15. Aufl. § 9 Rn. 61; aA HaKo-KSchG/Fiebig 4. Aufl. § 9 Rn. 85; Hertzfeld NZA-RR 2012, 1), betraf dies - anders als hier - den Fall, dass der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Auflösungsantrag noch Mandatsträger war. Auf eine solche Konstellation bezieht sich auch die im Schrifttum für den Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes vertretene Auffassung, dass außerdem der Betriebsrat der Auflösung zugestimmt haben müsse, da andernfalls § 103 BetrVG umgangen werde(ErfK/Kiel 13. Aufl. § 9 KSchG Rn. 18; KR/Spilger 10. Aufl. § 9 KSchG Rn. 62; SES/Schwarze KSchG § 9 Rn. 64).

28

bb) Im Streitfall konnte eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht zur Umgehung von § 15 Abs. 3 KSchG und § 103 BetrVG führen. Es bedurfte daher weder eines Sachverhalts, der zugleich geeignet gewesen wäre, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung abzugeben, noch einer Zustimmung des Betriebsrats. Dies gilt auch, soweit der Auflösungsantrag auf während der Zeit des Sonderkündigungsschutzes entstandene Sachverhalte gestützt wird.

29

(1) Der besondere Kündigungsschutz des § 15 KSchG soll die Unabhängigkeit von Funktionsträgern gewährleisten. Er soll sicherstellen, dass sie ihre betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben ohne Furcht vor Repressalien seitens des Arbeitgebers ausführen können. Darüber hinaus dient er der Kontinuität der Arbeit der jeweiligen Arbeitnehmervertretung (BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 343/11 - Rn. 13; KR/Etzel 10. Aufl. § 15 KSchG Rn. 9, 10; vHH/L/v. Hoyningen-Huene 15. Aufl. § 15 Rn. 1). In diesem Zusammenhang soll § 15 Abs. 3 KSchG die Durchführung der Wahl erleichtern. Insbesondere sollen Arbeitgeber daran gehindert werden, nicht genehme Arbeitnehmer von der Wahl auszuschließen (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 299/11 - Rn. 13; 7. Juli 2011 - 2 AZR 377/10 - Rn. 22). Die - zeitlich befristete - Ausdehnung des Sonderkündigungsschutzes nach § 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG über den Zeitpunkt der Bekanntgabe des Wahlergebnisses hinaus soll die „Abkühlung“ eventuell während der Wahl aufgetretener Kontroversen ermöglichen(BT-Drucks. VI/1786 S. 60).

30

(2) Hier hatte der Sonderkündigungsschutz des Klägers bei Entscheidung über den Auflösungsantrag bereits wieder geendet. Er hatte zudem zum Zeitpunkt des möglichen Auflösungstermins noch nicht bestanden. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses konnte daher weder die Tätigkeit des Klägers als Wahlbewerber noch die Kontinuität des betriebsverfassungsrechtlichen Organs beeinträchtigen.

31

(3) Der von § 15 Abs. 3 KSchG bezweckte Schutz der Unabhängigkeit des Wahlbewerbers verlangt in Fällen wie dem vorliegenden auch nicht danach, während der Zeit des Sonderkündigungsschutzes entstandene Sachverhalte entweder gar nicht oder nur dann als Auflösungsgrund zu berücksichtigen, wenn sie geeignet wären, einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB abzugeben.

32

(a) Der Amts- bzw. Funktionsträger iSd. § 15 KSchG ist außerhalb des Schutzzeitraums in kündigungsschutzrechtlicher Hinsicht jedem anderen Arbeitnehmer ohne betriebsverfassungsrechtliches Mandat gleichgestellt. Nach Ablauf des Nachwirkungszeitraums kann eine ordentliche Kündigung deshalb auch auf solche Pflichtverletzungen gestützt werden, die der Arbeitnehmer während der Schutzfrist begangen hat. Das gilt uneingeschränkt jedenfalls für Handlungen, die in keinem Zusammenhang zur Wahlbewerbung stehen (vgl. BAG 13. Juni 1996 - 2 AZR 431/95 - zu II 1 e der Gründe). Für die Heranziehung entsprechender Sachverhalte als Auflösungsgrund kann nichts anderes gelten.

33

(b) Stehen die behaupteten Tatsachen, die die Auflösung begründen sollen, mit der Kandidatur in Verbindung, ist der Arbeitnehmer hinreichend geschützt, wenn dieser Aspekt bei der materiellen Bewertung des geltend gemachten Auflösungsgrundes angemessen Berücksichtigung findet. Wirkt sich der fragliche Umstand etwa - wie bei der Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten des Wahlbewerbers - ausschließlich im kollektiven Bereich aus, liegt von vornherein kein tragfähiger Auflösungsgrund iSd. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG vor. Im anderen Fall muss berücksichtigt werden, dass Arbeitnehmer durch die Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Funktionen leichter mit ihren arbeitsvertraglichen Pflichten in Konflikt geraten können. Es bedarf deshalb im Rahmen von § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG einer genauen Prüfung, welche Bedeutung das im geschützten Zeitraum eingetretene Ereignis nach dem Auslaufen des Sonderkündigungsschutzes für die zukünftige gedeihliche Zusammenarbeit der Arbeitsvertragsparteien tatsächlich hat.

34

2. Auch ausgehend von diesem rechtlichen Rahmen durfte das Landesarbeitsgericht auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen nicht annehmen, eine gedeihliche Zusammenarbeit der Parteien sei nicht mehr zu erwarten. Das gilt unabhängig von der Frage, ob das Gericht in Anbetracht der zum 31. März 2010 erklärten ordentlichen Kündigungen vom 28. Dezember 2009 und weiterer, dem Kläger nach dem in Rede stehenden Auflösungstermin zugegangener Kündigungen vom richtigen Prognosezeitraum ausgegangen ist.

35

a) Als Auflösungsgrund grundsätzlich geeignet sind Beleidigungen oder persönliche Angriffe des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, Vorgesetzte und Kollegen. Auch bewusst wahrheitswidrig aufgestellte Tatsachenbehauptungen können - etwa wenn sie den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen - die Rechte eines Arbeitgebers in gravierender Weise verletzen und eine gedeihliche künftige Zusammenarbeit in Frage stellen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22). Der Arbeitnehmer kann sich dafür nicht auf sein Recht zur freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen. Falsche Tatsachenbehauptungen sind nicht vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG umfasst(BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19). Äußerungen, die ein Werturteil enthalten, fallen hingegen in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 18; 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21). In diesem Fall ist das Grundrecht der Meinungsfreiheit gegen die betroffenen Grundrechte des Arbeitgebers abzuwägen und mit diesen in ein ausgeglichenes Verhältnis zu bringen. Im Rahmen der Abwägung fällt die Richtigkeit des Tatsachengehalts, der dem Werturteil zugrunde liegt, ins Gewicht (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19; 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1). Meinungsäußerungen, die auf einer gesicherten Tatsachenbasis beruhen, hat der Arbeitgeber eher hinzunehmen, als solche, bei denen sich der Arbeitnehmer auf unzutreffende Tatsachen stützt.

36

b) Arbeitnehmer dürfen unternehmensöffentlich Kritik am Arbeitgeber und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich ggf. auch überspitzt oder polemisch äußern (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 14, BAGE 138, 312). Die Meinungsfreiheit muss jedoch regelmäßig dann zurücktreten, wenn sich das in der Äußerung enthaltene Werturteil als Formalbeleidigung oder Schmähkritik erweist (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 23; 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - zu C III 2 der Gründe, BVerfGE 93, 266). Das gilt auch bei der Teilnahme an einer Betriebsratswahl. Der Arbeitgeber muss nicht deshalb Beleidigungen oder Schmähungen hinnehmen, weil ein Arbeitnehmer damit Stimmen für seine Kandidatur gewinnen will (ähnlich BAG 17. Februar 2000 - 2 AZR 927/98 - zu II 3 b der Gründe). Allerdings macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Erklärung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung im Vordergrund steht, die den Betroffenen jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll (vgl. BVerfG 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - aaO; BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 17, aaO; BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 4 a der Gründe).

37

c) Soweit in einem laufenden Gerichtsverfahren - etwa im Kündigungsschutzprozess - Erklärungen abgegeben werden, ist zu berücksichtigen, dass diese durch ein berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers gedeckt sein können (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 22; 9. September 2010 - 2 AZR 482/09 - Rn. 12). Parteien dürfen zur Verteidigung von Rechten schon im Hinblick auf den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) alles vortragen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann (BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe). Ein Prozessbeteiligter darf auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt vorsichtiger hätte formulieren können. Dies gilt allerdings nur in den Grenzen der Wahrheitspflicht. Parteien dürfen nicht leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufstellen, deren Unhaltbarkeit ohne Weiteres auf der Hand liegt (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - aaO mwN).

38

d) Gemessen daran trägt die bisherige Begründung des Berufungsurteils die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht.

39

aa) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe mit dem Wahlaufruf unzutreffende Behauptungen im Betrieb verbreitet, welche das „Unternehmenspersönlichkeitsrecht“ der Beklagten verletzten. Er habe damit seine gegenüber der Beklagten bestehenden Pflichten zur Rücksichtnahme in einem Umfang verletzt, der eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit nicht mehr erwarten lasse. Bei dieser Würdigung hat das Landesarbeitsgericht die Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit verkannt.

40

(1) Für die Frage, ob und in welcher Weise in Fällen wie diesem die betroffenen Interessen in einen angemessenen Ausgleich zu bringen sind, ist maßgebend, ob die fragliche Äußerung als Werturteil oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist. Während für Werturteile die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage kennzeichnend ist, werden Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit charakterisiert. Anders als Werturteile sind Tatsachenbehauptungen daher grundsätzlich dem Beweis zugänglich (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21; 13. April 1994 - 1 BvR 23/94 - zu B II 1 b der Gründe, BVerfGE 90, 241). Ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Meinungsäußerung oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist, beurteilt sich entscheidend nach dem Gesamtkontext, in dem sie steht (zum Ganzen: BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 18).

41

(2) Danach handelt es sich bei der im Wahlaufruf - sinngemäß - enthaltenen Aussage, die Beklagte betreibe „Mobbing“, indem sie auf der Grundlage erfundener Sachverhalte willkürliche Abmahnungen und Kündigungen ausspreche, nicht um eine unwahre Tatsachenbehauptung. Die Vorwürfe des „Mobbings“ und der „Willkür“ als solche sind erkennbar das Ergebnis einer wertenden Betrachtung. Der Hinweis, die Beklagte spreche Abmahnungen und Kündigungen „auf der Basis erfundener Sachverhalte“ aus, stellt keine - isolierte - Tatsachenbehauptung dar. Die Äußerung bildet lediglich die tatsächliche Grundlage für das Werturteil und ist daher mit der Meinungsäußerung untrennbar verbunden. Die im Wahlaufruf enthaltenen Äußerungen fallen damit sämtlich in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG und hätten mit den ggf. betroffenen Grundrechten der Beklagten - insbesondere Art. 12 Abs. 1 GG(vgl. BVerfG 8. September 2010 - 1 BvR 1890/08 - Rn. 25 mwN) - in ein angemessenes Verhältnis gebracht werden müssen. Dies hat das Landesarbeitsgericht - aus seiner Sicht folgerichtig - unterlassen.

42

(3) Die Meinungsfreiheit des Klägers muss nicht deshalb zurücktreten, weil die Inhalte des Wahlaufrufs als bloße Diffamierung anzusehen wären. Bei den Äußerungen stand nicht eine Schmähung oder Beleidigung der Beklagten oder ihrer Repräsentanten, sondern die - wenngleich überspitzte und polemische - Darstellung der betrieblichen Verhältnisse zum Zwecke des laufenden Betriebsratswahlkampfs im Vordergrund. Etwas anderes gilt auch nicht deshalb, weil der Kläger nach dem Ende des Wahlkampfs an seinen Äußerungen festgehalten hat. Damit hat er - anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat - nicht seine Meinungsäußerung in der Betriebsöffentlichkeit aufrechterhalten, sondern im Rahmen des Rechtsstreits seinen Standpunkt - bezogen auf ein in der Vergangenheit liegendes Verhalten - verteidigt und damit berechtigte eigene Interessen wahrgenommen.

43

bb) Auch die Berücksichtigung der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung als Auflösungsgrund ist nicht frei von Rechtsfehlern. Das Landesarbeitsgericht hat den vorgetragenen Sachverhalt nicht vollständig gewürdigt. Es hat die - unstreitige - Tatsache, dass der Kläger seine Versicherung bereits wenige Tage später korrigierte, nicht in seine Erwägungen einbezogen. Hätte es diesen Umstand berücksichtigt, hätte es nicht ohne Weiteres annehmen können, der Kläger werde es auch in Zukunft „mit der Wahrheit nicht so genau nehmen“.

44

cc) Soweit das Landesarbeitsgericht einen Auflösungsgrund in der mangelnden Bereitschaft des Klägers erblickt hat zu akzeptieren, dass die Beklagte ihm am 13. Mai 2009 eine - wie durch rechtskräftiges Urteil bestätigt - rechtmäßige Weisung erteilt habe, ist nicht erkennbar, von welchen Tatsachen es dabei ausgegangen ist. Dass der Kläger die entsprechende Weisung auch nach Abschluss des wegen der Entfernung der Abmahnung aus seiner Personalakte geführten Rechtsstreits nicht befolgt hätte, hat es nicht festgestellt. Aus einem möglichen Fehlen der inneren Akzeptanz auf Seiten des Klägers ergeben sich - soweit ersichtlich - keine negativen Auswirkungen für die weitere Zusammenarbeit.

45

dd) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, eine gedeihliche Zusammenarbeit der Parteien sei deshalb nicht zu erwarten, weil sich der Kläger selbst durch Terminverlegungsanträge des Prozessbevollmächtigten der Beklagten angegriffen fühle und dieser unterstelle, sie dienten nur dazu, ihn auf unzulässige Weise unter Druck zu setzen und ihn existenziell zu ruinieren, hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Das gilt gleichermaßen für die Annahme, der Kläger sei, wie der wiederholte Vorwurf des „Mobbings“ zeige, nicht in der Lage, „das Handeln des Arbeitgebers in einem auch nur halbwegs objektiven Licht zu sehen“. Das Landesarbeitsgericht hat außer Acht gelassen, dass die Äußerungen im Rahmen eines kontrovers geführten Rechtsstreits gefallen sind. In einem solchen „Kampf um das Recht“ war dem Kläger auch die Behauptung möglicherweise ehrverletzender Tatsachen erlaubt, soweit es aus seiner Sicht darauf ankommen konnte (vgl. BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe; BAG 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 29). Das war hier der Fall. Der Kläger wollte auf diese Weise ersichtlich nur seine subjektive Wahrnehmung schildern, um seiner Rechtsauffassung besonderen Nachdruck zu verleihen.

46

III. Ob die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 KSchG gerechtfertigt ist, steht noch nicht fest. Es fehlt an den erforderlichen Feststellungen. Die Sache war deshalb an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

47

1. Das Landesarbeitsgericht hat hinsichtlich der Äußerungen im Wahlaufruf keine Abwägung zwischen dem Grundrecht des Klägers auf freie Meinungsäußerung und betroffenen Grundrechten der Beklagten oder ihrer Repräsentanten vorgenommen. Dies hat es nachzuholen. Dabei wird es genau prüfen müssen, in welchen eigenen Rechtspositionen sich die Beklagte als verletzt sieht und ob diese grundrechtlichen Schutz genießen (vgl. dazu BVerfG 8. September 2010 - 1 BvR 1890/08 - Rn. 25). Bei dieser Abwägung wird auch der Wahrheitsgehalt der Tatsachen zu ermitteln sein, die der Meinungsäußerung nach dem Vorbringen des Klägers zugrunde liegen. Dabei sind - anders als das Landesarbeitsgericht bislang angenommen hat - nicht nur ganze „Sachverhaltskomplexe“ zu berücksichtigen. Auch wenn sich - ggf. nach einer Beweisaufnahme - nur einzelne Tatsachen als unzutreffend herausstellen sollten, auf die die Beklagte Abmahnungen und/oder Kündigungen gestützt hat, wäre dies im Rahmen der Gesamtabwägung zugunsten des Klägers zu gewichten.

48

2. Für die Würdigung, ob die Äußerungen im Wahlaufruf geeignet sind, die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen, wird das Landesarbeitsgericht zudem zu prüfen haben, ob die Gefahr einer Wiederholung besteht. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen ist eine solche nicht erkennbar. Die Betriebsratswahl ist abgeschlossen, der Kläger hat die Funktion des Wahlbewerbers nicht mehr inne. Dass künftig dennoch mit gleichen oder ähnlichen Meinungsäußerungen zu rechnen ist, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt.

49

3. Sollte das Landesarbeitsgericht in der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung auch unter Berücksichtigung ihrer nachträglichen Korrektur weiterhin einen möglichen Auflösungsgrund sehen, wird es noch festzustellen haben, ob dem Kläger insoweit Vorsatz oder Fahrlässigkeit zur Last zu legen ist. Diese Unterscheidung ist entscheidungserheblich. Fahrlässigkeit wird die Beklagte in diesem Zusammenhang eher hinzunehmen haben als Vorsatz.

50

4. Gelangt das Landesarbeitsgericht - ggf. unter Einbeziehung weiteren Sachvortrags der Beklagten - erneut zu dem Ergebnis, es lägen „an sich“ geeignete Auflösungsgründe vor, wird es zu prüfen haben, von welchem Prognosezeitraum auszugehen ist. Zwar steht - soweit ersichtlich - nicht rechtskräftig fest, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund einer der weiteren Kündigungen der Beklagten nach dem 31. Dezember 2009 geendet hat. Darauf kommt es aber nicht an. Ist der Eintritt einer anderweitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwar möglich, steht er aber nicht mit Gewissheit fest, muss das zur Entscheidung über den Auflösungsantrag berufene Gericht ggf. eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit eines solchen Eintritts treffen und daran die Prüfung nach § 9 KSchG ausrichten(vgl. BAG 11. Juli 2013 - 2 AZR 241/12 - Rn. 18; 27. April 2006 - 2 AZR 360/05 - Rn. 29, BAGE 118, 95). Stellt sich heraus, dass das Arbeitsverhältnis aller Wahrscheinlichkeit nach vor dem Termin der mündlichen Verhandlung geendet hätte, sind bei der nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG vorzunehmenden Gesamtabwägung auch nur die Auflösungstatsachen zu berücksichtigen, die im maßgebenden Beurteilungszeitraum eingetreten sind.

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

    Rinck    

        

        

        

    Wolf    

        

    Torsten Falke    

                 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 20. August 2009 - 16 Sa 1644/08 - aufgehoben, soweit es die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Detmold vom 3. September 2008 - 1 Ca 1700/07 - zurückgewiesen hat.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten in der Revision noch über einen Auflösungsantrag der beklagten Arbeitgeberin.

2

Der 1949 geborene, verheiratete Kläger ist seit 1971 bei der Beklagten, zuletzt als kaufmännischer Leiter, gegen ein monatliches Bruttogehalt von 6.410,37 Euro beschäftigt. Als Minderheitsgesellschafter hält er 24 vH der Geschäftsanteile der Beklagten.

3

Die Beklagte befasst sich vornehmlich mit der Planung und Herstellung verkehrstechnischer Anlagen. An ihrem Sitz in D beschäftigt sie regelmäßig etwa 120 Arbeitnehmer. Mehrheitsgesellschafter mit 76 vH der Geschäftsanteile und zugleich alleiniger Geschäftsführer der Beklagten war ursprünglich der ältere Bruder des Klägers R. Im November 2005 wurde der jüngere Bruder K zum weiteren Geschäftsführer bestellt. Der Kläger, dem gleichfalls die Bestellung zum - dritten - Geschäftsführer angetragen worden war, hatte eine gemeinsame Geschäftsführung mit seinem Bruder K ausdrücklich abgelehnt. Nach dem Tod von R im Oktober 2006 rückte dessen Witwe als Erbin in die Stellung der Mehrheitsgesellschafterin ein. Die Geschäfte der Beklagten führte fortan der jüngere Bruder des Klägers alleine.

4

Bereits im Oktober 1990 hatten der Kläger und sein Bruder R eine weitere GmbH mit Sitz in G gegründet, deren Geschäftsgegenstand mit dem der Beklagten identisch ist. Im November 2002 trat R seine Geschäftsanteile an den Kläger ab. Der Sitz dieser Gesellschaft wurde anschließend - bei gleichzeitiger Umfirmierung - nach D verlegt.

5

Beginnend ab Oktober 2005 rügte die Beklagte eine Reihe von Pflichtverletzungen des Klägers. Unter anderem warf sie ihm vor, er betreibe mit dem anderen Unternehmen Konkurrenztätigkeit und nutze einen Teil seiner regulären Arbeitszeit sowie ihre Betriebsmittel für jenes Unternehmen. Darüber hinaus hielt sie ihm vor, den Vertrag über die Stromversorgung für eine Kirmesveranstaltung - den „W“ - eigenmächtig gekündigt zu haben. Eine ordnungsgemäße Abrechnung des Projekts sei nicht erfolgt. Der Kläger bestritt dies.

6

Im Juni 2007 machte der Kläger in seiner Eigenschaft als Gesellschafter der Beklagten Auskunfts- und Einsichtsrechte nach § 51a GmbHG geltend. Im August 2007 stellte ihn die Beklagte von der Erbringung seiner Arbeitsleistung frei. Im September 2007 beantragte er, eine Gesellschafterversammlung zu den Tagesordnungspunkten „Abberufung des Geschäftsführers“ der Beklagten und Kündigung von dessen Anstellungsvertrag einzuberufen. Zur Begründung führte er an, der Geschäftsführer - K - habe kurz nach dem Tod von R zulasten der Beklagten die Zahlung eines Betrags von 53.000,00 Euro als Tantieme an sich selbst veranlasst. Ein Rechtsgrund hierfür habe nicht bestanden.

7

Mit Schreiben vom 12. Oktober 2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 30. Juni 2008. Dagegen erhob der Kläger - fristgerecht - Kündigungsschutzklage.

8

Ende Oktober 2007 lehnte die Gesellschafterversammlung die Anträge des Klägers auf Abberufung des Geschäftsführers und Kündigung des Anstellungsvertrags ab. Die hiergegen erhobene Nichtigkeitsklage wies das Landgericht D mit Urteil vom 10. April 2008 ab. Eine Entscheidung über eine dagegen gerichtete Berufung des Klägers lag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht noch nicht vor.

9

Mit seiner Kündigungsschutzklage hat der Kläger geltend gemacht, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Die Beklagte hat beantragt, die Kündigungsschutzklage abzuweisen, hilfsweise

        

das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen.

10

Sie hat die Auffassung vertreten, dem Auflösungsantrag sei ohne Weiteres stattzugeben, da der Kläger leitender Angestellter sei. Er habe selbständig Arbeitnehmer eingestellt und entlassen. Unabhängig davon lägen Gründe iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG vor. Ihr Geschäftsführer K und der Kläger kommunizierten schon seit längerer Zeit nur noch schriftlich miteinander. Im Kündigungsrechtsstreit habe der Kläger dem Geschäftsführer ohne jegliche Substanz „Mobbing-Attacken“ gegenüber ehemaligen Mitarbeitern und gegenüber seiner - des Klägers - kurzzeitig im Betrieb mitarbeitenden Tochter vorgeworfen. Außerdem habe er sich hartnäckig geweigert, Unstimmigkeiten bei der Abrechnung des Projekts „W“ aufzuklären. In einem weiteren Rechtsstreit, mit dem er Zahlungsansprüche aus dem Arbeitsverhältnis geltend mache, habe er sie - die Beklagte - zu Unrecht der Verleumdung bezichtigt. Außerdem sei durch das Vorgehen des Klägers im parallel geführten Zivilprozess um die Abberufung ihres Geschäftsführers das Vertrauensverhältnis restlos zerstört. Der Kläger habe seinen Antrag auf den vollkommen haltlosen Vorwurf gestützt, K habe mit der Tantiemezahlung im Jahr 2006 eine - strafbare - Untreuehandlung zu ihrem Nachteil begangen.

11

Der Kläger hat beantragt, den Auflösungsantrag zurückzuweisen. Es fehle an einer hinreichenden Begründung des Antrags, die auch nicht entbehrlich sei. Für die Spannungen zwischen ihm und seinem Bruder K sei er nicht verantwortlich. Schon vor längerer Zeit habe sein Bruder veranlasst, eine Verbindungstür zwischen ihren beiden Büros zu verschließen und sei dazu übergegangen, ihm Anweisungen nur noch schriftlich zu erteilen. Im Jahr 2007 habe er ihm grundlos Einsicht in betriebswirtschaftliche Auswertungen verweigert. Mit seinem Vorgehen im Zivilprozess habe er lediglich ihm zustehende Rechte als Gesellschafter wahrgenommen.

12

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben und auf den Antrag der Beklagten das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung von 115.380,00 Euro zum 30. Juni 2008 aufgelöst. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht nur für den Kläger zugelassenen Revision begehrt dieser weiterhin, den Auflösungsantrag zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision ist begründet. Mit der bisherigen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht dem Auflösungsantrag nicht stattgeben. Dies führt, da der Senat mangels ausreichender Feststellungen nicht abschließend beurteilen kann, ob Auflösungsgründe iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG vorliegen, zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht(§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

14

I. Zwischen den Parteien besteht kein Streit darüber, dass der Kläger trotz seiner Stellung als Gesellschafter der Beklagten Arbeitnehmer im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes ist. Dafür spricht im Übrigen, dass der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit als kaufmännischer Leiter dem Weisungsrecht des Geschäftsführers der Beklagten aus § 106 Satz 1 GewO unterstand(vgl. BAG 6. Mai 1998 - 5 AZR 612/97 - zu I 2 a der Gründe, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 95 = EzA BGB § 611 Arbeitnehmerbegriff Nr. 68). Er verfügte mit einem Geschäfts- und dementsprechenden Stimmrechtsanteil von 24 vH auch nicht über eine sog. Sperrminorität, aufgrund derer er als Kapitaleigner auf die Geschäftsführung hätte bestimmenden Einfluss nehmen können (vgl. BAG 6. Mai 1998 - 5 AZR 612/07 - aaO).

15

II. Der Auflösungsantrag der Beklagten bedurfte nach § 9 KSchG der Begründung. Der Kläger ist kein leitender Angestellter iSv. § 14 Abs. 2 KSchG.

16

1. Gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 KSchG ist § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG auf Geschäftsführer, Betriebsleiter und ähnliche leitende Angestellte, soweit diese zur selbständigen Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt sind, mit der Maßgabe anzuwenden, dass der Auflösungsantrag des Arbeitgebers keiner Begründung bedarf. Dabei muss die Befugnis zur eigenverantwortlichen Einstellung oder Entlassung ebenso wie bei den leitenden Angestellten iSv. § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BetrVG eine bedeutende Anzahl von Arbeitnehmern erfassen. Ein nur eng umgrenzter Personenkreis genügt nicht (BAG 10. Oktober 2002 - 2 AZR 598/01 - zu D II 1 der Gründe mwN, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 123 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 122). Die Personalkompetenz muss einen wesentlichen Teil der Tätigkeit des Angestellten ausmachen (BAG 10. Oktober 2002 - 2 AZR 598/01 - aaO, mwN).

17

2. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Zwar hat der Kläger, jedenfalls bis zum Tod von R, in Einzelfällen Personalgespräche geführt, schriftliche Arbeitsverträge unterzeichnet und Arbeitnehmer der Beklagten entlassen. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts lag allerdings das Letztentscheidungsrecht über die Durchführung dieser Maßnahmen bei dem früheren Geschäftsführer der Beklagten. Eine iSv. § 14 Abs. 2 Satz 2 KSchG hinreichende Personalkompetenz ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger - wie von der Beklagten geltend gemacht - seine eigenen Kinder ohne Absprache mit der Geschäftsführung eingestellt haben mag.

18

III. Ob für die Beklagte Auflösungsgründe iSv. § 9 KSchG vorliegen, steht noch nicht fest.

19

1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG hat das Gericht nach - wie im Streitfall - erfolgreicher Kündigungsschutzklage auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis aufzulösen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen.

20

a) Das Kündigungsschutzgesetz lässt die Auflösung des Arbeitsverhältnisses trotz Sozialwidrigkeit der Kündigung nur ausnahmsweise zu. Es ist nach seiner Konzeption ein Bestandsschutz- und kein Abfindungsgesetz. Deshalb sind an die Auflösungsgründe strenge Anforderungen zu stellen (BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 554/08 - Rn. 22, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 61 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 58; 23. Juni 2005 - 2 AZR 256/04 - zu II 2 a der Gründe, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 52 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 52). Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist derjenige der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht (BAG 8. Oktober 2009 - 2 AZR 682/08 - Rn. 14 mwN, EzA KSchG § 9 nF Nr. 57). Von diesem Standpunkt aus ist zu fragen, ob in der Zukunft eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zu erwarten ist (BAG 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 43, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163).

21

b) Auflösungsgründe iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG können solche Umstände sein, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Entscheidend ist, ob die objektive Lage die Besorgnis rechtfertigt, dass die weitere gedeihliche Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer gefährdet ist (BAG 8. Oktober 2009 - 2 AZR 682/08 - Rn. 15, EzA KSchG § 9 nF Nr. 57; 7. März 2002 - 2 AZR 158/01 - zu B II 2 b der Gründe, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 42 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 45). In diesem Sinne als Auflösungsgrund geeignet sind etwa Beleidigungen, sonstige ehrverletzende Äußerungen oder persönliche Angriffe des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen (BAG 9. September 2010 - 2 AZR 482/09 - Rn.11 mwN, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 64 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 60).

22

c) Zu berücksichtigen ist aber auch, dass gerade Erklärungen in laufenden Gerichtsverfahren - etwa dem Kündigungsschutzprozess selbst - durch ein berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers gedeckt sein können (BAG 9. September 2010 - 2 AZR 482/09 - Rn. 12 mwN, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 64 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 60). Darüber hinaus ist mit Blick auf eine prozessuale Auseinandersetzung zu berücksichtigen, dass Parteien zur Verteidigung von Rechten schon im Hinblick auf das rechtliche Gehör (Art. 103 GG) alles vortragen dürfen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann (BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe, NJW 1991, 2074). Anerkannt ist, dass ein Verfahrensbeteiligter auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen darf, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt vorsichtiger hätte formulieren können. Das gilt allerdings nur in den Grenzen der Wahrheitspflicht. Auch dürfen die Parteien nicht leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufstellen, deren Unhaltbarkeit ohne Weiteres auf der Hand liegt (BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - aaO; BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 554/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 61 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 58).

23

2. Daran gemessen trägt die bisherige Begründung des Berufungsurteils die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht.

24

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe die Vertrauensbasis für eine weitere Zusammenarbeit der Parteien durch sein Vorgehen in dem parallel geführten Zivilprozess zerstört. Zur Begründung seines Abberufungsantrags habe er dem Geschäftsführer der Beklagten eine „strafbare Untreuehandlung“ zu deren Nachteil vorgeworfen. Damit habe er „über das Ziel hinausgeschossen“. Die Äußerung sei ehrverletzend. Der Kläger hätte bei der Verfolgung seiner Rechte als Gesellschafter Rücksicht auf das ebenfalls bestehende Arbeitverhältnis nehmen und das nötige Augenmaß aufbringen müssen. Stattdessen habe er trotz der wohlbegründeten, seine Klage abweisenden Entscheidung seinen Antrag weiter verfolgt, was geeignet gewesen sei, die Spannungen zwischen ihm und dem Geschäftsführer der Beklagten weiter zu verschärfen.

25

b) Diese Würdigung hält einer Überprüfung schon deshalb nicht stand, weil es an tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts fehlt, die den Schluss zuließen, der Vorwurf einer „strafbaren Untreuehandlung“ sei ehrverletzend.

26

Der in Rede stehende Vorwurf, dessen Schwerpunkt ersichtlich auf einer Tatsachenbehauptung liegt, kann zwar grundsätzlich bei Nichterweislichkeit seiner Wahrheit als ehrverletzend angesehen werden. Allerdings hat das Landesarbeitsgericht die Behauptung nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft. Es hat sich nicht mit den Einzelheiten des Vorbringens des Klägers im Zivilprozess befasst, hierzu auch gar keine Feststellungen getroffen. Es hat sich vielmehr mit dem Hinweis begnügt, das Vorgehen des Geschäftsführers - nämlich die Auszahlung der Tantieme ohne zugrundeliegenden Gesellschafterbeschluss - bedeute „nicht gleich“, dass er eine Straftat begangen habe und auch nicht, dass er für die Beklagte untragbar geworden sei. Diese Ausführungen haben im Hinblick auf die Berechtigung der Behauptungen des Klägers keinen Aussagewert. Darüber hinaus bleibt auch die Stoßrichtung des „Vorwurfs einer strafbaren Untreuehandlung“ unklar. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe damit den Geschäftsführer der Beklagten einer Straftat bezichtigt. Denkbar erscheint aber auch, dass der Kläger lediglich darauf abheben wollte, das Verhalten erfülle objektiv die Voraussetzungen des Untreuetatbestands (§ 266 Abs. 1 StGB). Das stünde jedenfalls im Einklang mit der Darstellung des (streitigen) Klägervortrags im Tatbestand des zwischenzeitlich im Zivilprozess ergangenen und von der Beklagten in das Revisionsverfahren eingeführten Berufungsurteils. Danach hat der Kläger bezogen auf die Tantiemezahlung vorgetragen, der Geschäftsführer der Beklagten habe seine Pflichten als Geschäftsführer objektiv grob verletzt und den objektiven Tatbestand einer Untreue verwirklicht.

27

Sollte die Anschuldigung des Klägers zutreffen, brauchte er sich nicht damit zu begnügen, das Verhalten des Geschäftsführers allgemein als „erhebliche Pflichtverletzung“ darzustellen. Er durfte seine Auffassung zu deren Qualität auch dadurch zum Ausdruck bringen, dass er die Tantiemezahlung - zumal innerprozessual im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung - unter strafrechtlichen Aspekten würdigte.

28

c) Selbst unterstellt, der Kläger hätte den Geschäftsführer objektiv wahrheitswidrig bezichtigt, sich einer Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB)zum Nachteil der Beklagten schuldig gemacht zu haben, läge darin kein Auflösungsgrund. Die gegenteilige Würdigung des Landesarbeitsgerichts berücksichtigt nicht ausreichend, dass das Vorgehen des Klägers im Zivilprozess durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen im Sinne von § 193 StGB gedeckt war. Jedenfalls hat die für das Vorliegen von Auflösungsgründen darlegungs- und beweispflichtige Beklagte keine Umstände dargetan, die den vom Kläger ausdrücklich geltend gemachten Rechtfertigungsgrund ausschlössen.

29

aa) Der Kläger hat in dem parallel geführten Zivilverfahren vorrangig eigene Rechte als Mitgesellschafter der Beklagten wahrgenommen. In einem solchen „Kampf um das Recht“ war ihm grundsätzlich auch die Behauptung ehrverletzender Tatsachen erlaubt, soweit es aus seiner Sicht hierauf ankommen konnte (vgl. BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe, NJW 1991, 2074). Letzteres war hier der Fall. Der Kläger wollte mit dem „Vorwurf einer strafbaren Untreuehandlung“ ersichtlich die Schwere der angeführten Pflichtverletzung des Geschäftsführers verdeutlichen.

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bb) Allerdings könnte sich der Kläger dann nicht auf eine Rechtfertigung seines Vorgehens unter dem Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen berufen, wenn die Unhaltbarkeit des Vorwurfs auf der Hand gelegen hätte oder er selbst nicht von der Richtigkeit seiner Behauptungen überzeugt gewesen wäre (Fischer StGB 58. Aufl. § 193 Rn. 19, 28 mwN). Dafür bietet indes das Vorbringen der Beklagten - auch unter Einbeziehung des Urteils des Landgerichts D vom 10. April 2008, auf das sich die Beklagte zur Darlegung eines überzogenen Vorgehens des Klägers gegen ihren Geschäftsführer maßgeblich stützt - keinen genügenden Anknüpfungspunkt.

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(1) Das Landgericht hat in seinem Urteil ausdrücklich dahinstehen lassen, ob die umstrittene Tantiemezahlung - insbesondere im strafrechtlichen Sinne - als Untreuehandlung zu qualifizieren ist. Es ist davon ausgegangen, auch unabhängig von einer etwaigen Strafbarkeit habe der Geschäftsführer seine ihm gegenüber der Beklagten obliegenden Pflichten erheblich verletzt, indem er es versäumt habe, eine Entscheidung der Gesellschafterversammlung über die Tantiemezahlung herbeizuführen. Seine Auffassung, trotz der Schwere der Pflichtverletzung seien die beantragte Abberufung des Geschäftsführers und die Kündigung des Anstellungsvertrags nicht gerechtfertigt, hat es im Wesentlichen auf die - aus seiner Sicht nicht substantiiert bestrittene - Behauptung der Beklagten gestützt, der frühere Mehrheitsgesellschafter R habe dem jetzigen Geschäftsführer noch zu Lebzeiten die Tantieme zugesagt. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass es sich bei der Beklagten um ein reines Familienunternehmen handele und weitere Umstände, die eine Untragbarkeit oder Ungeeignetheit des Geschäftsführers begründen könnten, nicht ersichtlich seien.

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(2) Lag aber nach gesellschaftsrechtlichen Maßstäben eine erhebliche Pflichtverletzung des Geschäftsführers mit finanziell nachteiligen Wirkungen für die Beklagte vor, kann nicht davon die Rede sein, der Kläger habe den Vorwurf einer strafrechtlich relevanten Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht seines Bruders quasi „aus der Luft gegriffen“ und ohne jeden berechtigten Anlass erhoben. Ein anders Bild ergibt sich - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht aus dem im Zivilprozess zwischenzeitlich ergangenen Urteil des Oberlandesgerichts H vom 7. Juli 2009, mit dem dieses die Berufung des Klägers gegen das landgerichtliche Urteil zurückgewiesen hat. Auch das Oberlandesgericht hat ausweislich der Gründe seiner Entscheidung angenommen, der Geschäftsführer der Beklagten habe - jedenfalls was eine Tantiemezahlung in Höhe von 50.000,00 Euro anbelange - gegen seine Geschäftsführerpflichten verstoßen. Soweit es gleichwohl davon ausgegangen ist, die Pflichtverletzung erreiche nicht das für eine Abberufung und Kündigung des Anstellungsvertrags erforderliche Gewicht, hat es dies - nach Beweisaufnahme - ua. damit begründet, dass dem Geschäftsführer die Tantieme durch den früheren Mehrheitsgesellschafter R noch zu dessen Lebzeiten zugesagt worden sei. Die Durchführung einer Beweisaufnahme im Berufungsverfahren spricht aber deutlich dafür, dass der Vortrag des Klägers zum Gewicht der festgestellten Pflichtverletzung schlüssig war, mag auch aus Sicht der Zivilgerichte die strafrechtliche Würdigung des Geschehens für die gesellschaftsrechtliche Bewertung der Pflichtverletzung nicht entscheidend gewesen sein. Die Beklagte hat im Hinblick auf ihren Auflösungsantrag auch nicht etwa behauptet, der Kläger habe die Vereinbarungen zwischen seinen Brüdern positiv gekannt und dahingehenden Vortrag im Zivilrechtsstreit wider besseres Wissen bestritten.

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cc) Der Kläger musste sich - anders als das Landesarbeitsgericht offenbar meint - auch nicht deshalb einer strafrechtlichen Bewertung des Geschehens um die Tantiemezahlung enthalten oder aber von der Durchführung des Berufungsverfahrens im Zivilprozess absehen, weil er zugleich Arbeitnehmer der Beklagten war. Es stand ihm frei, im Rahmen einer zulässigen Interessenwahrnehmung den Rechtsweg auszuschöpfen. Wollte man dies anders sehen, müsste der Arbeitnehmer von der Erhebung aus seiner Sicht berechtigter gesellschaftsrechtlicher Forderungen absehen, nur um keinen Grund für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu setzen. Ein solcher Rechtsverzicht kann ihm schon nach dem Rechtsgedanken des Maßregelungsverbots (§ 612a BGB) nicht abverlangt werden (ähnlich BAG 9. Februar 1995 - 2 AZR 389/94 - zu II 6 der Gründe, EzA KSchG § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 12). Der Schutz, den die gesetzlichen Kündigungsvorschriften - auch über § 9 KSchG - gewähren, ist auch nicht deshalb ein geringerer, weil der Arbeitnehmer zugleich Gesellschafter des Unternehmens ist.

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dd) Die Beklagte hat auch keine konkreten Anhaltspunkte benannt, die den Schluss zuließen, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch die gesellschaftsrechtliche Auseinandersetzung zusätzlich nachteilig belastet worden. Der Kläger hat seinen „Vorwurf einer strafbaren Untreuehandlung“ - soweit ersichtlich -, ausschließlich innerhalb der zuständigen Gremien und im anschließenden zivilgerichtlichen Verfahren angebracht und damit in der Tendenz gezeigt, dass er zwischen seiner Stellung als Arbeitnehmer der Beklagten und der eines Gesellschafters der Beklagten zu trennen weiß. Zudem kommunizierten er und der Geschäftsführer - unstreitig - bereits vor Einleitung des Kündigungsschutzprozesses nur noch schriftlich miteinander. Das mag, auch unter Berücksichtigung der herausgehobenen Stellung des Klägers als kaufmännischer Leiter, einer sachgerechten Zusammenarbeit zwischen ihm und dem Geschäftsführer nicht zuträglich gewesen sein. Doch muss berücksichtigt werden, dass sich die Parteien grundsätzlich auf diese Situation eingestellt hatten. So hat der Geschäftsführer der Beklagten dem Kläger - unstreitig - mit Notiz vom 16. November 2006 mitgeteilt, er „akzeptiere dies“, womit er auf die aus seiner Sicht fehlende Bereitschaft seines Bruders abhob, in geschäftlichen Angelegenheiten ein persönliches Gespräch zu führen. Dass die Kommunikation der Parteien auf dieser „Kompromissebene“ durch das gesellschaftsrechtliche Vorgehen des Klägers zusätzlich erschwert wurde, kann nicht ohne Weiteres angenommen werden. Dagegen spricht auch die finanzielle Beteiligung des Klägers am Unternehmen der Beklagten und das ihm insoweit zu unterstellende Interesse an deren wirtschaftlichem Erfolg.

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3. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die Beklagte hat sich auf weitere Umstände berufen, die aus ihrer Sicht einer den Betriebszwecken dienlichen Zusammenarbeit der Parteien entgegenstehen. Ob diese ihr - entweder einzeln, oder aber in ihrer Gesamtschau - einen Grund zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses gaben, kann der Senat nicht abschließend beurteilen, weil es an Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zu dem jeweils zugrunde liegenden Sachverhalt fehlt. Dies bedingt die Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Berger    

        

        

        

    Th. Gans    

        

    Pitsch    

                 

Die Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch Kündigung oder Auflösungsvertrag bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform; die elektronische Form ist ausgeschlossen.

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.