Bundesverwaltungsgericht Urteil, 19. Feb. 2015 - 9 C 10/14

ECLI:ECLI:DE:BVerwG:2015:190215U9C10.14.0
19.02.2015

Tatbestand

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Die Klägerin begehrt den Erlass von Gewerbesteuer für das Jahr 2008 in Höhe von 2 160 774 €.

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Die Klägerin wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 7. November 1997 als Leasing-Projektgesellschaft zur Finanzierung eines einzigen Projekts (Erwerb und Vermietung einer Müllverbrennungsanlage) gegründet. Investorin war eine Familienstiftung, die mit der Klägerin einen atypischen stillen Gesellschaftsvertrag schloss und eine Einlage in Höhe von 438 Mio. DM in die stille Gesellschaft leistete. Das Leasing- und Finanzierungskonzept sah eine feste Laufzeit bis zum 31. März 2008 vor. Nach abschreibungsbedingten Verlusten in den Anfangsjahren fiel erst beim planmäßigen Ausscheiden des stillen Gesellschafters im Jahr 2008 ein Gewinn aus Gewerbebetrieb (sog. Exitgewinn) in Höhe von 139 831 991 € an. Diesem Gewinn standen festgestellte Gewerbeverluste in Höhe von 110 134 400 € gegenüber; von ihnen waren aufgrund der sogenannten Mindestbesteuerung gemäß § 10a GewStG - einer Regelung, die erst im Jahre 2004, also während der Laufzeit der o.g. Verträge eingeführt worden war - nur 84 412 278 € anrechenbar. Hiervon ausgehend setzte das zuständige Finanzamt den Gewerbesteuermessbetrag 2008 auf 1 945 671 € und - auf dieser Grundlage - die Beklagte mit Bescheid vom 12. Januar 2010 die Gewerbesteuer 2008 auf 4 669 610,40 € fest. Ohne die Mindestbesteuerung hätte die Gewerbesteuer nur 2 508 836 € betragen.

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Die Klägerin legte Anfang Januar 2010 Einspruch gegen den Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag 2008 ein. Der Einspruch wurde unter Bezugnahme auf ein Parallelverfahren, das ebenfalls eine Projektgesellschaft betraf, zunächst ruhend gestellt. In dem Parallelverfahren hielt der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 20. September 2012 (IV R 36/10 - BFHE 238, 429) die Begrenzung des Verlustabzugs gemäß § 10a GewStG (Mindestbesteuerung) für verfassungsgemäß, wies aber zugleich darauf hin, dass verbleibende Härtefälle in Bezug auf etwaige Definitiveffekte (endgültiger Ausschluss der Möglichkeit der Verlustverrechnung) durch flankierende Billigkeitsmaßnahmen aufgefangen werden könnten. Hierauf gestützt entschloss sich die Klägerin, ihr Begehren zunächst über einen Billigkeitsantrag weiterzuverfolgen; der Einspruch gegen den Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag 2008 ist bis heute unbeschieden geblieben.

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Unter dem 3. April 2013 beantragte die Klägerin bei der Beklagten einen Erlass der Gewerbesteuer 2008 in Höhe von 2 160 774 € wegen des Vorliegens eines Härtefalls; der Betrag entspricht dem durch die Mindestbesteuerung verursachten Differenzbetrag. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 4. Juli 2013 mit der Begründung ab, Raum für eine Billigkeitsmaßnahme nach den §§ 163, 227 AO bleibe nur, sofern Nachteile für den Steuerpflichtigen über das Maß der Nachteile hinausgingen, die bereits im Besteuerungszweck selbst enthalten seien. Solche Nachteile seien weder vorgetragen noch ersichtlich.

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Das Verwaltungsgericht hat der hiergegen gerichteten Klage stattgegeben. In Höhe der Differenz von 2 160 774 € sei bei der Klägerin durch die Mindestbesteuerung gemäß § 10a GewStG eine unzumutbare Definitivbelastung ausgelöst worden, die im Wege einer Billigkeitsentscheidung zu korrigieren sei. Ein Billigkeitserlass sei in Fällen einer Definitivbelastung stets vorzunehmen, es sei denn, der Steuerpflichtige habe durch eigenes Verhalten dazu beigetragen, dass der positive Gewerbeertrag entstanden sei. Dies gelte auch für zeitlich begrenzt angelegte Projektgesellschaften. Von dem Steuerpflichtigen könne nicht verlangt werden, bestehende Verträge nachträglich abzuändern, um den positiven Gewerbeertrag zu vermeiden.

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Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Sprungrevision der Beklagten. Diese macht geltend, der Eintritt einer Definitivbelastung, der einen (mittelbaren) Eingriff in das objektive Nettoprinzip darstelle, sei grundsätzlich durch die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers gerechtfertigt. Der Gesetzgeber habe gerade bei § 10a GewStG diesen Fall im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens berücksichtigt. Zu einer unbilligen Härte könne deshalb nur das Vorliegen weiterer besonderer und im Einzelfall zu prüfender Umstände führen. Der Klägerin sei nach Einführung des § 10a GewStG eine Anpassung ihrer Leasing- und Finanzierungsstruktur möglich gewesen.

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Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 30. Januar 2014 zu ändern und die Klage abzuweisen,

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Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

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Sie bezieht sich zur Begründung im Wesentlichen auf das Urteil des Verwaltungsgerichts.

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Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hält die Revision für begründet. Eine abweichende Festsetzung aus sachlichen Billigkeitsgründen nach § 163 AO müsse hier ausscheiden, denn der Gesetzgeber habe die Mindestbesteuerung in Kenntnis der Tatsache, dass diese unter Umständen zu einem endgültigen Wegfall nicht genutzter Verlustvorträge führen könne, zunächst ins Einkommensteuergesetz und anschließend ins Gewerbesteuergesetz übernommen.

Entscheidungsgründe

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1. Die Sprungrevision der Beklagten ist zulässig. Die Beklagte hat das vom Verwaltungsgericht zugelassene Rechtsmittel ordnungsgemäß eingelegt, insbesondere die schriftliche Zustimmungserklärung der Klägerin zur Einlegung der Sprungrevision frist- und formgerecht vorgelegt (§ 134 Abs. 1 Satz 1 und 3, § 139 VwGO). Die Übermittlung der Zustimmungserklärung an das Gericht per Telefax genügt, unabhängig davon, ob der Revisionskläger die Zustimmungserklärung seinerseits per Telefax oder auf andere Weise empfangen hat. Denn es besteht kein Grund, diesen Übermittlungsweg nicht für die Zustimmungserklärung des Gegners und deren Weiterleitung zuzulassen, nachdem auch die Einlegung der Revision selbst per Telefax zulässig ist (stRspr zu § 161 Abs. 1 SGG, vgl. BSG, Urteile vom 19. März 1997 - 6 RKa 36/95 - NZS 1998, 152, vom 22. April 1998 - B 9 SB 7/97 R - juris Rn. 17 f., vom 13. März 2001 - B 3 KR 12/00 R - BSGE 88, 1 <2 f.>, vom 7. Juli 2011 - B 14 AS 153/10 R - BSGE 108, 289 Rn. 13 und vom 12. Juli 2012 - B 3 KR 18/11 R - BSGE 111, 200 Rn. 8). Soweit der 2. und der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hierzu eine gegenteilige Auffassung vertreten hatten (vgl. Beschlüsse vom 25. August 2005 - 6 C 20.04 - Buchholz 310 § 134 VwGO Nr. 52 Rn. 14 ff., vom 18. Januar 2006 - 6 C 21.05 - Buchholz 310 § 134 VwGO Nr. 53 Rn. 5 ff. und vom 18. September 2008 - 2 C 125.07 - juris Rn. 1, 9), haben sie auf Anfrage des erkennenden Senats mitgeteilt, dass sie daran nicht festhalten.

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2. Die Revision ist auch begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

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Nach § 163 Satz 1 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Persönliche Unbilligkeitsgründe sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die Festsetzung einer Steuer ist aus sachlichen Gründen unbillig, wenn sie zwar dem Wortlaut des Gesetzes entspricht, aber den Wertungen des Gesetzes zuwiderläuft. Das setzt voraus, dass der Gesetzgeber die Grundlagen für die Steuerfestsetzung anders als tatsächlich geschehen geregelt hätte, wenn er die zu beurteilende Frage als regelungsbedürftig erkannt hätte (stRspr, vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 8. Juli 1987 - 1 BvR 623/86 - juris Rn. 5 und vom 13. Dezember 1994 - 2 BvR 89/91 - NVwZ 1995, 989 <990>; BFH, Urteile vom 24. September 1987 - V R 76/78 - BFHE 151, 221 <224>, vom 21. Oktober 2009 - I R 112/08 - juris Rn. 9 und vom 4. Juni 2014 - I R 21/13 - BFHE 246, 130 Rn. 10; BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1982 - 8 C 90.81 - Buchholz 401.0 § 163 AO Nr. 1 S. 3 f.). Auch wenn demnach Härten, die der Gesetzgeber bei der Regelung des gesetzlichen Tatbestands bedacht und in Kauf genommen hat, grundsätzlich keine Billigkeitsmaßnahme rechtfertigen, so ist eine derartige Maßnahme gleichwohl geboten, wenn ohne die begehrte Billigkeitsmaßnahme das Verhalten des Gesetzgebers aus verfassungsrechtlichen Gründen zu beanstanden wäre. Dies ist der Fall, wenn ein Gesetz, das in seinen generalisierenden Wirkungen verfassungsgemäß ist, bei der Steuerfestsetzung im Einzelfall zu Grundrechtsverstößen führt (stRspr, vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 8. Juli 1987 - 1 BvR 623/86 - juris Rn. 5 und vom 3. September 2009 - 1 BvR 2539/07 - NVwZ 2010, 902 <904>; BFH, Urteile vom 27. Mai 2004 - IV R 55/02 - juris Rn. 16, vom 20. September 2012 - IV R 29/10 - BFHE 238, 518 Rn. 21 und vom 17. April 2013 - II R 13/11 - juris Rn. 17). Allgemeine Folgen eines verfassungsgemäßen Gesetzes, die den gesetzgeberischen Planvorstellungen entsprechen und die der Gesetzgeber ersichtlich in Kauf genommen hat, vermögen einen Billigkeitserlass allerdings nicht zu rechtfertigen. Denn Billigkeitsmaßnahmen dürfen nicht die einem gesetzlichen Steuertatbestand innewohnende Wertung des Gesetzgebers generell durchbrechen oder korrigieren, sondern nur einem ungewollten Überhang des gesetzlichen Steuertatbestandes abhelfen. Mit verfassungsrechtlich gebotenen Billigkeitsmaßnahmen darf also nicht die Geltung des ganzen Gesetzes unterlaufen werden. Wenn solche Maßnahmen ein derartiges Ausmaß erreichen müssten, dass sie die allgemeine Geltung des Gesetzes aufhöben, wäre das Gesetz als solches verfassungswidrig (BVerfG, Beschluss vom 5. April 1978 - 1 BvR 117/73 - BVerfGE 48, 102 <116>; Kammerbeschluss vom 3. September 2009 - 1 BvR 2539/07 - NVwZ 2010, 902 <904>).

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Hiervon ausgehend scheidet ein Billigkeitserlass im vorliegenden Fall aus. Die festgesetzte Steuer entspricht nicht nur dem Wortlaut des Gesetzes - hier: den Regelungen zur Mindestbesteuerung nach § 10a GewStG - (a), sondern auch dessen Wertungen, denn der Gesetzgeber hat die von der Klägerin beanstandete Rechtsfolge - den Eintritt eines Definitiveffekts - bei der gebotenen objektiven Betrachtung bewusst in Kauf genommen (b). Billigkeitsmaßnahmen sind auch weder allgemein oder speziell bei Projektgesellschaften zur Vermeidung von Definitiveffekten (c) noch wegen des Fehlens einer Übergangsregelung (d) aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten; denn gegebenenfalls erforderliche Korrekturen kämen angesichts der Komplexität der geregelten Materie einer strukturellen Gesetzesänderung gleich.

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a) Die Beklagte hat mit Bescheid vom 12. Januar 2010 die von der Klägerin für das Jahr 2008 zu entrichtende Gewerbesteuer unter Anwendung der Regelungen des § 10a Satz 1 und 2 GewStG (sog. Mindestbesteuerung) zutreffend in Höhe von 4 669 610,40 € festgesetzt. Nach § 10a Satz 1 und 2 GewStG wird der maßgebende Gewerbeertrag bis zu einem Betrag in Höhe von 1 Mio. € um die Fehlbeträge gekürzt, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume ergeben haben, soweit die Fehlbeträge nicht bei der Ermittlung des Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume berücksichtigt worden sind. Der 1 Mio. € übersteigende maßgebende Gewerbeertrag ist bis zu 60 % um nicht berücksichtigte Fehlbeträge der vorangegangenen Erhebungszeiträume zu kürzen. Zweck der Bestimmung ist eine "Verstetigung" der Einnahmen (vgl. BT-Drs. 15/1518 S. 13). In der Regel führt die Vorschrift, da eine Verlustanrechnung zeitlich unbegrenzt möglich bleibt, lediglich zu einer zeitlichen Streckung des Verlustausgleichs. Aufgrund verschiedener Umstände, etwa im Falle der Beendigung des Unternehmens durch Insolvenz oder Liquidation sowie bei Veränderung der Unternehmer- oder der Unternehmensidentität, kann es aber auch zu einem endgültigen Verfall eines nicht genutzten Verlustvortrags kommen, einer sogenannten Definitivbelastung (vgl. Güroff, GewStG, 8. Aufl. 2014, § 10a Rn. 114; Heuermann, FR 2012, 435 <440>; Fischer, FR 2007, 281 <283 ff.> und Schaumburg/Schaumburg, StuW 2013, 61 <65 f.>). Hiervon typischerweise betroffen sind Start-up-Unternehmen mit Anlaufverlusten, zeitlich begrenzt bestehende Projektgesellschaften (wie die Klägerin) und Unternehmen mit stark schwankenden Einkommen (vgl. zu weiteren Beispielen BFH, Beschluss vom 26. Februar 2014 - I R 59/12 - BFHE 246, 27 Rn. 26).

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b) Die Besteuerung der Klägerin widerspricht hinsichtlich des bei ihr eingetretenen Definitivverlusts nicht den Wertungen des Gesetzes. Denn der Gesetzgeber hat die Regelungen zur Mindestbesteuerung in Kenntnis der Tatsache, dass es in verschiedenen Fallkonstellationen, u.a. bei Leasing-Objektgesellschaften wie der Klägerin, zu solchen Definitivverlusten kommen kann, zunächst durch das Gesetz zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz vom 22. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2840) ins Einkommensteuergesetz (§ 10d EStG) und unmittelbar danach durch das Gesetz zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes und anderer Gesetze vom 23. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2922) ins Gewerbesteuergesetz (§ 10a GewStG) übernommen. Dabei hat er keine Vorsorge gegen den Eintritt von Definitivverlusten getroffen.

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aa) Der Eintritt von Definitivverlusten war zwar nicht als Gesetzgebungsziel beabsichtigt. Vielmehr hat die Bundesregierung im Rahmen der parallel erfolgten Einführung der Mindestbesteuerung in das Einkommensteuergesetz ausdrücklich erklärt, der Gesetzeszweck einer Verstetigung des Steueraufkommens werde "mit der für die Unternehmen am wenigsten belastenden Maßnahme erreicht. Dabei gehen die Verlustvorträge nämlich nicht verloren, ihr Abzug wird lediglich zeitlich gestreckt" (BT-Drs. 15/1665 S. 4).

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bb) Maßgebend für die Auslegung von Gesetzen ist aber nicht die subjektive Vorstellung eines am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten, sondern der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist. Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte. Unter ihnen hat keine einen unbedingten Vorrang vor einer anderen. Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut der Vorschrift (stRpr, vgl. etwa BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 22 BvR 2155/11 - BVerfGE 133, 168 Rn. 66).

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Hiervon ausgehend unterliegt es keinem Zweifel, dass Definitivverluste, wie sie bei der Klägerin aufgrund der planmäßigen Beendigung ihrer Projektgesellschaft entstanden sind, nicht ausgeschlossen werden sollten. Zwar zielt § 10a GewStG - wie aufgezeigt - unmittelbar (nur) auf die zeitlich gestreckte Anrechnung von Verlusten. Die Bestimmung ordnet den etwa eintretenden endgültigen Ausschluss der Verlustnutzungsmöglichkeit nicht selbst an; dieser ergibt sich vielmehr aus hinzutretenden Umständen oder im Zusammenspiel mit anderen Normen (vgl. Desens, FR 2011, 745 <749>). Da der Gesetzgeber aber weder in § 10a GewStG selbst noch in einem anderen Regelungszusammenhang Ausnahmen für solche möglicherweise eintretenden Fälle einer Definitivbelastung vorgesehen hat, kann dem Gewerbesteuerrecht bei der gebotenen objektiven Betrachtung keine Wertung dahin entnommen werden, dass ein endgültiger Wegfall von Verlustvorträgen - stets oder jedenfalls für Projektgesellschaften wie die Klägerin - vermieden werden soll.

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cc) Dass der Gesetzgeber bei Einführung der Mindestbesteuerung die Problematik etwaiger Definitivverluste kannte, zeigt das Gesetzgebungsverfahren (im Ergebnis ebenso BFH, Beschluss vom 26. Februar 2014 - I R 59/12 - BFHE 246, 27 Rn. 33):

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Bereits der Regierungsentwurf eines Gesetzes zum Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen - Steuervergünstigungsabbaugesetz - vom 20. November 2002 hatte sowohl eine Mindestbesteuerung im Einkommen- als auch im Gewerbesteuerrecht vorgesehen (vgl. Art. 1 Nr. 11 des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Änderung des § 10d Abs. 2 Satz 2 EStG sowie Art. 5 Nr. 4 zur Änderung des § 10a Satz 1 GewStG, BR-Drs. 866/02 S. 4 und 20). Der Bundesrat lehnte den Gesetzentwurf mit Beschluss vom 20. Dezember 2002 ab (BR-Drs. 866/02 ). Der federführende Finanzausschuss führte am 15. Januar 2003 eine öffentliche Anhörung durch (vgl. Bericht des Finanzausschusses, BT-Drs. 15/481 S. 3 f.), bei der die Sachverständigen im Wesentlichen die negativen Auswirkungen einer Mindestbesteuerung auf die Liquidität und die Eigenkapitalbasis hervorhoben, daneben aber auch die Gefahr von Definitivverlusten, etwa bei Projektgesellschaften ansprachen (vgl. Finanzausschuss, Protokoll Nr. 7 zur BT-Drs. 15/119 S. 22 f., 27, 34 und 64). Das Gesetz wurde schließlich - nach Einschaltung des Vermittlungsausschusses - am 16. Mai 2003 ohne Regelungen zur Mindestbesteuerung erlassen (BGBl. I S. 660). In einer "Protokollerklärung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz" hielt die Bundesregierung allerdings fest, dass sie bestimmte Maßnahmen, darunter die Neugestaltung des geltenden Verlustverrechnungssystems (§ 2 Abs. 3 und § 10d EStG, § 10a GewStG), spätestens bis zum 1. Januar 2004 abschließen wolle (vgl. Rödder/Schumacher, DStR 2003, 817 <818 f.>).

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Der die vorgenannte Protokollerklärung umsetzende Gesetzentwurf der Bundesregierung begründete die Einführung der Mindestbesteuerung mit dem erheblichen Verlustvortragspotenzial der Unternehmen, das diese vor sich herschöben und der erwünschten Verstetigung der Staatseinnahmen (BT-Drs. 15/1518 S. 13). Der Entwurf sah zunächst einen Sockelbetrag von 100 000 € und einen hälftigen Abzug des Restbetrags vor (BT-Drs. 15/1518 S. 5). Eine zweite öffentliche Anhörung durch den federführenden Finanzausschuss, die am 26. September 2003 stattfand (vgl. BT-Drs. 15/1684), ergab ein ähnliches Bild wie die bereits im Januar 2003 durchgeführte Anhörung: Die meisten Sachverständigen kritisierten die Mindestbesteuerung aus steuersystematischen Gründen, wobei noch deutlicher als in der früheren Anhörung die Gefahr von Definitivverlusten, insbesondere für Projektgesellschaften, hervorgehoben wurde (Finanzausschuss, Protokoll Nr. 15/30 zu BT-Drs. 15/1518 S. 16 f., S. 39 ff.). Nach erneuter Ablehnung durch den Bundesrat führte erst die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zur Anhebung des Sockelbetrags auf 1 Mio. € sowie zur Änderung des Prozentwertes für den Abzug des Restbetrags von 50 auf 60 % (BT-Drs. 15/2243 S. 2).

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Die Entstehungsgeschichte des § 10a GewStG verlief hierzu parallel: Die vorgesehene Regelung sollte ebenfalls der Verstetigung der Steuereinnahmen dienen. Auch hier sah der Regierungsentwurf zunächst einen Sockelbetrag von 100 000 € und einen hälftigen Abzug des Restbetrags vor (BT-Drs. 15/1517 S. 7, 12, 19). Die Anhebung des Sockelbetrags auf 1 Mio. € sowie die Änderung des Prozentwertes für den Abzug des Restbetrags von 50 auf 60 % waren - wie bei § 10d Abs. 2 Satz 2 EStG - erst in der Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses enthalten (BT-Drs. 15/2248 S. 2).

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dd) Dem Gesetzgeber war die Problematik eintretender Definitivverluste somit bekannt. Er hat sich jedoch damit begnügt, ihr allein durch die vom Vermittlungsausschuss vorgeschlagenen Änderungen zu begegnen. Diese bewirken zwar, dass weniger Unternehmen von der Regelung erfasst werden. Hinsichtlich der übrigen Unternehmen, die die im Gesetz genannten Schwellenwerte überschreiten, ändert die vorgenommene Erhöhung der Werte aber nichts an der im Gesetz angelegten Möglichkeit eines endgültigen Untergangs von Verlustvorträgen. Da der Gesetzgeber insoweit keine Ausnahmen, etwa für bestimmte Branchen oder für Anfangsverluste, In-Gang-Setzungs-Verluste oder bei einzelnen Zweckgesellschaften für die Verluste aus einer bestimmten Besteuerungsart (vgl. Finanzausschuss, Protokoll Nr. 7 zur BT-Drs. 15/119 S. 34) vorgesehen hat, hat er die Möglichkeit von Definitivverlusten bewusst in Kauf genommen. Damit muss eine Billigkeitsentscheidung, die allein darauf gestützt wird, dass ein solcher Definitivverlust eintritt, grundsätzlich ausscheiden. Denn die Gewährung eines Billigkeitserlasses käme bei dieser Sachlage einer strukturellen Gesetzeskorrektur außerhalb der gesetzgeberischen Planvorstellung gleich, die gerade nicht Sinn einer Härtefallregelung im Einzelfall ist (ebenso BFH, Beschluss vom 26. Februar 2014 - I R 59/12 - BFHE 246, 27 Rn. 38 m.w.N.).

25

c) Die Billigkeitsmaßnahme ist auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten, um in Einzelfällen aus der unerlässlichen Typisierung resultierende Härten zu mildern, um die Regelung also insgesamt als verfassungsmäßig erscheinen zu lassen (vgl. zu diesem Ansatz BVerfG, Beschluss vom 5. April 1978 - 1 BvR 117/73 - BVerfGE 48, 102 <114>). Selbst wenn man unterstellt, dass der Eintritt von Definitiveffekten verfassungswidrig ist, kann angesichts der Komplexität der hierdurch aufgeworfenen Fragen und der Vielzahl denkbarer Korrekturmöglichkeiten die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes nicht durch Verwaltungsentscheidung im Einzelfall vermieden werden.

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Dagegen spricht bereits, dass das Gesetz keine Kriterien dafür enthält, wann überhaupt eine verfassungsrechtlich nicht mehr hinzunehmende Definitivbelastung vorliegt (vgl. Desens, FR 2011, 745 <750 f.> und Farle/Schmitt, DB 2012, 1746 Fn. 5 und S. 1747). Des Weiteren wäre zu entscheiden, ob sämtliche Fälle einer - noch näher zu definierenden - Definitivbelastung von den Wirkungen der Regelung ausgenommen werden sollen (so etwa Desens, a.a.O.) oder ob Differenzierungen sinnvoll sind, etwa danach, ob der endgültige Wegfall der Verlustvorträge durch den eigenen Willensentschluss des Steuerpflichtigen veranlasst worden und daher weniger schützenswert ist (vgl. zu dieser Unterscheidung etwa BFH, Urteil vom 20. September 2012 - IV R 29/10 - BFHE 238, 518 Rn. 28). In diesem Zusammenhang wäre weiter zu überlegen, ob hierzu Liquidationsfälle wie der vorliegende zählen sollen. Ebenso könnte man - ausgehend von den Sachverständigenanhörungen (s.o.) - auch an Ausnahmen für bestimmte Branchen oder für bestimmte Verlustarten denken oder Sachverhalte aussparen, in denen die Definitivwirkung auf ein Zusammenspiel der Mindestbesteuerung mit einer Regelung zurückzuführen ist, die einen Missbrauch verhindern soll. Schließlich wäre die Frage zu beantworten, in welchem Veranlagungs- oder Erhebungszeitraum der infolge des Definitiveffekts nicht mehr vortragsfähige Verlust zu berücksichtigen ist. In Betracht kämen sowohl das Jahr des Eintritts des Definitiveffekts als auch das frühere Jahr (die früheren Jahre) einer Steuerfestsetzung infolge der Mindestbesteuerung; auch hier sind allerdings Differenzierungen denkbar, etwa danach, auf welche Gründe der Effekt zurückzuführen ist (vgl. zu den vorstehenden Erwägungen BFH, Beschluss vom 26. Februar 2014 - I R 59/12 - BFHE 246, 27 Rn. 41 f.).

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Es liegt auf der Hand, dass die aufgeworfenen Fragen nicht die Verwaltungsbehörde im Rahmen einer Billigkeitsentscheidung im Einzelfall, sondern allein der Gesetzgeber beantworten kann. Denn er muss - bei unterstellter Verfassungswidrigkeit von Definitiveffekten - ein in sich stimmiges Gesamtkonzept zur Mindestbesteuerung entwickeln. Ließe man die von der Klägerin begehrte Korrektur für Projektgesellschaften zu, bestünde die naheliegende Gefahr, dass es angesichts der Vielzahl anderer betroffener Fallgruppen zu verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Ungleichbehandlungen im Gesetzesvollzug käme (so auch BFH, Urteile vom 20. September 2012 - IV R 36/10 - BFHE 238, 429 Rn. 56 und vom 26. Februar 2014 - I R 59/12 - BFHE 246, 27 Rn. 33). Steht wie im vorliegenden Fall eine „normierungsbedürftige Gruppenausnahme“ in Rede, muss ein Steuerdispens ausscheiden (Isensee, in: FS Flume, 1978, S. 129 <146>).

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d) Aus den vorgenannten Gründen kommt eine Billigkeitsentscheidung auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Fehlens einer Übergangsvorschrift in Betracht.

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Die Klägerin sieht eine besondere Härte darin, dass sie - anders als neu zu gründende Projektgesellschaften - bei Einführung der Mindestbesteuerung im Jahre 2004 aufgrund der feststehenden Leasing- und Finanzierungsstruktur nicht auf die geänderte Rechtslage habe reagieren können. Angesichts der zuvor geschilderten Vielzahl an "Korrekturmöglichkeiten" einerseits und der Gefahr von Gleichheitsverstößen durch die Herausnahme bestimmter Fallgruppen andererseits ergibt sich auch unter diesem Aspekt, selbst wenn man die Richtigkeit des klägerischen Vortrags bezüglich fehlender Reaktionsmöglichkeiten unterstellt, kein Ansatz für eine verfassungsrechtlich gebotene Billigkeitsentscheidung. Denn ebenso wie der nachträglich über Billigkeitsmaßnahmen bewirkte generelle Ausschluss von Definitivverlusten wäre auch die Schaffung einer Übergangsregelung für bestimmte schon bestehende Projektgesellschaften angesichts der Vielfalt denkbarer Differenzierungsmöglichkeiten eine mit dem Charakter einer Billigkeitsentscheidung nicht zu vereinbarende strukturelle Gesetzeskorrektur.

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Hiervon abgesehen musste der Gesetzgeber aber auch keine Übergangsregelung vorsehen. Zwar darf der Steuerpflichtige im Hinblick auf die Gewährleistungsfunktion der Rechtsordnung grundsätzlich darauf vertrauen, dass die zum Zeitpunkt des Abschlusses eines steuerrelevanten Geschäftsvorgangs geltende Steuerrechtslage nicht ohne hinreichend gewichtigen Rechtfertigungsgrund rückwirkend geändert wird. Um einen dahingehenden Vertrauensschutz auslösen zu können, bedarf ein Geschäftsvorgang eines erkennbaren und belegbaren gesteigerten Grades der Abgeschlossenheit. Die bloß allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, genießt dagegen keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz (stRspr, vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2012 - 1 BvL 6/07 - BVerfGE 132, 302 Rn. 45, 54, 71 m.w.N.). Unter Berücksichtigung dessen hat der Bundesfinanzhof bereits entschieden, dass die Anwendung des § 10a GewStG auf bestehende Gesellschaften, auch in Bezug auf bisher nicht ausgeglichene Verluste, die vor dem Inkrafttreten der Neuregelung entstanden sind, keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet. Das Vertrauen in den Fortbestand einer bestimmten Ausgestaltung einer Verlustabzugsregelung müsse schon angesichts der Ungewissheit, ob und wann es tatsächlich zur Möglichkeit einer Verlustverrechnung kommt, gegenüber dem Änderungsinteresse des Gesetzgebers zurücktreten. Denn es fehle an einer rechtlichen Verfestigung der wirtschaftlichen Position der Verlustausgleichsmöglichkeit im Augenblick der Gesetzesänderung (BFH, Urteil vom 22. August 2012 - I R 9/11 - BFHE 238, 419 Rn. 11 m.w.N.). Dem schließt sich der Senat an.

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3. Der Umstand, dass der 1. Senat des Bundesfinanzhofs eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dazu eingeholt hat, ob § 10a GewStG mit dem Grundgesetz vereinbar ist (Vorlagebeschluss vom 26. Februar 2014 - I R 59/12 - BFHE 246, 27), gibt dem erkennenden Senat keinen Anlass, den vorliegenden Rechtsstreit entsprechend § 94 VwGO bis zum Abschluss des verfassungsgerichtlichen Verfahrens auszusetzen.

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Der hier anhängige Rechtsstreit betrifft ausschließlich die Frage, ob die festgesetzte Steuer aus Gründen der Billigkeit zu erlassen ist. Die Entscheidung dieses Rechtsstreits hängt nicht von der Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der zugrunde liegenden Steuernorm ab. Die Frage der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes und mithin des auf seiner Grundlage ergangenen Steuerbescheides ist - von den Fällen sich aus unerlässlichen Typisierungen ergebender Billigkeitsmaßnahmen in Einzelfällen abgesehen (vgl. oben unter 2 c) - keine Frage der Billigkeit. Will der von einer Steuerfestsetzung Betroffene die Verfassungswidrigkeit der zugrunde liegenden gesetzlichen Bestimmungen geltend machen, so muss er gegen den Steuerbescheid vorgehen. Allein im Rahmen eines solchen Verfahrens könnte das Bundesverfassungsgericht das Gesetz für mit dem Grundgesetz unvereinbar oder nichtig erklären (stRpr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. April 1978 - 1 BvR 117/73 - BVerfGE 48, 102 <114> und Kammerbeschluss vom 8. Juli 1987 - 1 BvR 623/86 - juris Rn. 3; zur Zweigleisigkeit des Steuerfestsetzungs- und des Erlassverfahrens auch BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1982 - 8 C 90.81 - Buchholz 401.0 § 163 AO Nr. 1 S. 2 f. und Loose, in: Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Stand November 2014, § 163 Rn. 21 m.w.N.) . Der Klägerin steht dieser Weg im Übrigen noch offen, da ihr Einspruch gegen den Gewerbesteuermessbetrag bislang nicht beschieden wurde.

33

4. Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 RsprEinhG für die Einleitung eines Vorlegungsverfahrens an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes gemäß §§ 11 ff. RsprEinhG sind nicht gegeben. Das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 20. September 2012 (IV R 36/10 - BFHE 238, 429), beruht nicht auf der unterschiedlichen Beantwortung einer identischen Rechtsfrage im Sinne von § 2 Abs. 1 RsprEinhG.

34

Nach § 2 Abs. 1 RsprEinhG muss sich die Rechtsfrage auf der Grundlage von Vorschriften stellen, die in ihrem Regelungsgehalt gänzlich übereinstimmen und nach denselben Prinzipien auszulegen sind (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschlüsse vom 6. Februar 1973 - GmS-OGB 1/72 - BVerwGE 41, 363 <365> und vom 12. März 1987 - GmS-OGB 6/86 - BVerwGE 77, 370 <373>). Darüber hinaus muss die Rechtsfrage sowohl für den erkennenden Senat in der anhängigen Sache als auch für den divergierenden Senat in der bereits entschiedenen Sache entscheidungserheblich sein (vgl. BAG, Urteil vom 7. Dezember 2005 - 5 AZR 254/05 - juris Rn. 34; BGH, Beschluss vom 18. Februar 2002 - II ZR 331/00 - NJW 2002, 1207 <1208>; vgl. auch Pietzner, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Anh. § 11 RsprEinhG Rn. 13, Stand Januar 2000).

35

An der letztgenannten Voraussetzung fehlt es hier. Der Bundesfinanzhof hat zwar seine Entscheidung auf die Annahme gestützt, dass besondere Härten, die allein von der durch die Verluststreckung ausgelösten Definitivbelastung herrühren, durch Billigkeitsmaßnahmen - gemeint sind solche nach §§ 163, 227 AO - vermieden werden könnten; die Möglichkeit von Billigkeitsmaßnahmen in besonderen Einzelfällen flankiere die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers (Urteil vom 20. September 2012 - IV R 36/10 - BFHE 238, 429 Rn. 57). Demgegenüber hat der Bundesfinanzhof aber nicht entscheidungstragend darauf abgestellt, dass Definitivbelastungen, die durch die Regelungen zur Mindestbesteuerung entstehen, entweder in allen Fällen überhaupt oder jedenfalls in allen Fällen, in denen eine Projektgesellschaft betroffen ist, durch Billigkeitsmaßnahmen vermieden werden müssen. Gegen eine derartige grundsätzliche Festlegung des Bundesfinanzhofs, die hier auf eine Abweichung in einer Rechtsfrage i.S.d. § 2 Abs. 1 RsprEinhG führen würde, spricht nicht nur der Hinweis auf "besondere Härten" bzw. auf die "Möglichkeit von Billigkeitsmaßnahmen in besonderen Einzelfällen", sondern vor allem der weitere Kontext, in dem die o.g. Aussage steht. Der Bundesfinanzhof erläutert nämlich, es sei nicht zu erkennen, dass "eine Definitivbelastung in allen verbleibenden denkbaren Einzelfällen hätte ausgeschlossen werden können, ohne das System der Mindestbesteuerung insgesamt aufzugeben und ohne zugleich weitere Verletzungen des Gleichheitssatzes zu bewirken" (Urteil vom 20. September 2012 - IV R 36/10 - BFHE 238, 429 Rn. 56). In diesem Zusammenhang erwähnt er ausdrücklich die Fallgruppe, in der die Ursache für die Definitivbelastung darin liegt, dass "ein positiver Gewerbeertrag nur im letzten Jahr der werbenden Tätigkeit entsteht", der Sache nach also die Fallgruppe der Projektgesellschaft. Dieser Fallgruppe stellt er solche Unternehmen gegenüber, in denen es trotz gleichförmiger Ergebnisentwicklung zu einer Definitivbelastung kommt und wendet sich gegen eine Ungleichbehandlung beider Fallgruppen.

36

Dies berücksichtigend kann der Bundesfinanzhof folglich weder gemeint haben, dass generell in allen verbleibenden Einzelfällen einer Definitivbelastung noch dass für sämtliche Projektgesellschaften Billigkeitsmaßnahmen gewährt werden müssen. Vielmehr wollte der Bundesfinanzhof solche Maßnahmen offenbar - im Einklang mit der Rechtsauffassung des erkennenden Senats - auf besonders gelagerte Härtefälle beschränken.

37

Eine Abweichung von zwei weiteren unter demselben Datum ergangenen Urteilen des Bundesfinanzhofs, die sich gleichfalls zu Billigkeitsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Mindestbesteuerung äußern (Urteile vom 20. September 2012 - IV R 29/10 - BFHE 238, 518 Rn. 27 f. sowie - IV R 60/11 - juris Rn. 22 f.), scheidet ebenso mangels Entscheidungserheblichkeit aus; dort war die Unbilligkeit schon aus anderen Gründen verneint worden.

38

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

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1Der maßgebende Gewerbeertrag wird bis zu einem Betrag in Höhe von 1 Million Euro um die Fehlbeträge gekürzt, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume nach den Vorschriften der §§ 7 bis 10 ergeben haben, soweit die Fehlbeträge nicht bei der Ermittlung des Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume berücksichtigt worden sind.2Der 1 Million Euro übersteigende maßgebende Gewerbeertrag ist bis zu 60 Prozent um nach Satz 1 nicht berücksichtigte Fehlbeträge der vorangegangenen Erhebungszeiträume zu kürzen.3Im Fall des § 2 Abs. 2 Satz 2 kann die Organgesellschaft den maßgebenden Gewerbeertrag nicht um Fehlbeträge kürzen, die sich vor dem rechtswirksamen Abschluss des Gewinnabführungsvertrags ergeben haben.4Bei einer Mitunternehmerschaft ist der sich für die Mitunternehmerschaft insgesamt ergebende Fehlbetrag den Mitunternehmern entsprechend dem sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel zuzurechnen; Vorabgewinnanteile sind nicht zu berücksichtigen.5Für den Abzug der den Mitunternehmern zugerechneten Fehlbeträge nach Maßgabe der Sätze 1 und 2 ist der sich für die Mitunternehmerschaft insgesamt ergebende maßgebende Gewerbeertrag sowie der Höchstbetrag nach Satz 1 den Mitunternehmern entsprechend dem sich aus dem Gesellschaftsvertrag für das Abzugsjahr ergebenden allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel zuzurechnen; Vorabgewinnanteile sind nicht zu berücksichtigen.6Die Höhe der vortragsfähigen Fehlbeträge ist gesondert festzustellen.7Vortragsfähige Fehlbeträge sind die nach der Kürzung des maßgebenden Gewerbeertrags nach Satz 1 und 2 zum Schluss des Erhebungszeitraums verbleibenden Fehlbeträge.8Im Fall des § 2 Abs. 5 kann der andere Unternehmer den maßgebenden Gewerbeertrag nicht um die Fehlbeträge kürzen, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags des übergegangenen Unternehmens ergeben haben.9§ 8 Abs. 8 und 9 Satz 5 bis 8 des Körperschaftsteuergesetzes ist entsprechend anzuwenden.10Auf die Fehlbeträge ist § 8c des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend anzuwenden; dies gilt auch für den Fehlbetrag einer Mitunternehmerschaft, soweit dieser

1.
einer Körperschaft unmittelbar oder
2.
einer Mitunternehmerschaft, soweit an dieser eine Körperschaft unmittelbar oder mittelbar über eine oder mehrere Personengesellschaften beteiligt ist,
zuzurechnen ist.11Auf die Fehlbeträge ist § 8d des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend anzuwenden, wenn ein fortführungsgebundener Verlustvortrag nach § 8d des Körperschaftsteuergesetzes gesondert festgestellt worden ist.12Unterbleibt eine Feststellung nach § 8d Absatz 1 Satz 8 des Körperschaftsteuergesetzes, weil keine nicht genutzten Verluste nach § 8c Absatz 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes vorliegen, ist auf Antrag auf die Fehlbeträge § 8d des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend anzuwenden; für die Form und die Frist dieses Antrags gilt § 8d Absatz 1 Satz 5 des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH & Co. KG, die 1993 errichtet wurde. Sie erwarb mit Vertrag vom 24. Oktober 1994 als einzige wesentliche Betriebsgrundlage ein Flugzeug, das sie für den Zeitraum vom 9. Dezember 1994 bis 8. Dezember 2004 an eine X-Gesellschaft vermietete. Gleichzeitig räumte eine ... Limited (Ltd. 1) der Klägerin das Recht ein, das Flugzeug mit einer sechsmonatigen Andienungsfrist zum 9. Dezember 2004 zu einem Verkaufspreis von ... US-Dollar an sie zu veräußern. Außerdem verpflichtete sich die Ltd. 1, der Klägerin die aus dem Verkauf entstehenden Steuerbelastungen einschließlich der Gewerbesteuer zu erstatten.

2

Die Verkaufsoption übte die Klägerin mit Schreiben vom 5. April 2004 aus. Am 30. September 2004 fassten die Gesellschafter der Klägerin den Beschluss, mit Ablauf des 8. Dezember 2004 die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft aufzugeben, diese gleichzeitig aufzulösen und das Flugzeug am 9. Dezember 2004 an eine weitere Limited (Ltd. 2) zu veräußern. In der Folge schlossen die Klägerin, die X-Gesellschaft, die Ltd. 1 und die Ltd. 2 am 4. Oktober 2004 einen Vertrag, in dem u.a. vereinbart wurde, dass die Rechte und Pflichten aus dem mit Ausübung des Andienungsrechts der Klägerin zu Stande gekommenen Kaufvertrag über das Flugzeug von der Ltd. 2 übernommen würden. Außerdem sah der Vertrag vor, dass die X-Gesellschaft das Flugzeug von der Ltd. 2 weiter anmieten und der Klägerin die aus dem Verkauf entstehenden Steuerbelastungen, einschließlich der Gewerbesteuer, erstatten werde.

3

Für das Streitjahr (2004) ermittelte die Klägerin laufende Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von ... € und einen Veräußerungsgewinn in Höhe von ... €. In ihrer Gewerbesteuererklärung erklärte sie einen Gewerbeertrag in Höhe von ... € und beantragte, den zum 31. Dezember 2003 gesondert festgestellten vortragsfähigen Gewerbeverlust in voller Höhe abzuziehen.

4

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte den zum 31. Dezember 2003 festgestellten vortragsfähigen Gewerbeverlust gemäß § 10a Sätze 1 und 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) in der ab 1. Januar 2004 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes und anderer Gesetze vom 23. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2922, BStBl I 2004, 20) --GewStGuaÄndG-- nur beschränkt in Höhe von ... € und setzte mit Bescheid vom 21. Dezember 2005 einen Gewerbesteuermessbetrag von ... € fest.

5

Dagegen erhob die Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage. Sie machte geltend, die --sowohl nach dem Wortlaut der Vorschrift als auch rechnerisch zutreffende-- Anwendung der Mindestbesteuerung sei im Streitfall aus verfassungsrechtlichen Gründen unzulässig. Denn durch die beschränkte Berücksichtigung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts werde ihr der Verlustausgleich in Höhe von ... € endgültig versagt, weil sie ihre Geschäftstätigkeit zum 8. Dezember 2004 aufgegeben habe. Dadurch werde sie in ihren Grundrechten aus dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--) und auf Gewährleistung des Eigentums (Art. 14 GG) verletzt.

6

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Die Anwendung der Mindestbesteuerung nach § 10a GewStG führe zu keiner Verletzung der Besteuerungsgleichheit oder des objektiven Nettoprinzips in seinem verfassungsrechtlich geschützten Kern. Zwar stelle der endgültige Verlust eines Teils des zum 31. Dezember 2003 festgestellten Gewerbeverlustvortrags eine Abweichung vom objektiven Nettoprinzip dar. Dies sei jedenfalls dann durch die Ziele des Gesetzgebers --die Stärkung und Verstetigung der steuerlichen Gemeindefinanzierung (BTDrucks 15/1517, S. 12, S. 19)-- gerechtfertigt, wenn es wie im Streitfall auf der vom Steuerpflichtigen selbst herbeigeführten Abkürzung des zur Verlustverrechnung nutzbaren Zeitraums beruhe. Eine Verletzung des Art. 14 GG durch den Gewerbesteuermessbescheid sei bereits deshalb ausgeschlossen, weil sich die tatsächliche Steuerbelastung erst aus dem Gewerbesteuerbescheid ergebe. Anhaltspunkte dafür, dass der volle Verlustabzug aus Gründen des Vertrauensschutzes geboten sein könnte, ergäben sich weder aus dem Klagevorbringen noch aus dem sonstigen Akteninhalt. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2010, 1914 veröffentlicht.

7

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von Verfahrensrecht sowie der Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 14 GG, des grundrechtlich und rechtsstaatlich gewährleisteten Vertrauensschutzes und des im Wege teleologischer Reduktion verfassungskonform auszulegenden § 10a Satz 2 GewStG.

8

Sie beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Gewerbesteuermessbetrag für 2004 unter Änderung des Gewerbesteuermessbescheids vom 21. Dezember 2005 und der Einspruchsentscheidung vom 29. Januar 2007 unter Berücksichtigung des zum 31. Dezember 2003 gesondert festgestellten vortragsfähigen Gewerbeverlusts in Höhe von ... € auf ... € herabzusetzen.

9

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

10

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten.

Entscheidungsgründe

11

II. Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das angefochtene Urteil beruht nicht auf einem Verfahrensmangel und das FG hat § 10a Sätze 1 und 2 GewStG, Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 14 GG zutreffend angewandt.

12

1. Die Verfahrensrüge, mit der die Klägerin geltend macht, das FG habe die Sachaufklärungspflicht verletzt (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) und den Sachverhalt widersprüchlich gewürdigt, greift nicht durch. Der Senat sieht insoweit von einer Begründung ab (§ 126 Abs. 6 FGO).  

13

2. Der Gewinn aus der Veräußerung des Flugzeugs gehörte zum gewerbesteuerbaren laufenden Gewinn der Klägerin. Davon sind auch die Beteiligten und das FG ausgegangen.

14

a) Die Klägerin unterliegt der Gewerbesteuer selbst dann, wenn ihre Tätigkeit --was der Senat deshalb dahinstehen lassen kann-- nicht alle Merkmale eines Gewerbebetriebs i.S. des § 15 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erfüllen sollte.

15

Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG unterliegt der Gewerbesteuer jeder stehende, im Inland betriebene Gewerbebetrieb. Unter Gewerbebetrieb ist ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des EStG zu verstehen (§ 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG). Neben originär gewerblich tätigen Unternehmen gehören dazu auch gewerblich geprägte Personengesellschaften, deren Tätigkeit infolge der einkommensteuerlichen Fiktion des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG als Gewerbebetrieb gilt, obwohl sie keine originär gewerblichen Einkünfte erzielen. Diese Fiktion gilt auch für Zwecke der Gewerbesteuer (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20. November 2003 IV R 5/02, BFHE 204, 471, BStBl II 2004, 464).

16

Sofern die Klägerin nicht originär gewerblich tätig gewesen sein sollte, erfüllt sie zumindest die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EStG. Ihr einziger persönlich haftender Gesellschafter ist eine Kapitalgesellschaft, und nur diese Gesellschafterin sowie Personen, die nicht Gesellschafter sind, sind zur Geschäftsführung befugt.

17

b) Einzelunternehmen und Mitunternehmerschaften sind sachlich gewerbesteuerpflichtig nur, wenn und solange sie einen Gewerbebetrieb im Sinne des Gewerbesteuerrechts unterhalten. Die sachliche Gewerbesteuerpflicht endet deshalb mit der dauerhaften Einstellung der werbenden Tätigkeit (ständige Rechtsprechung, u.a. BFH-Urteile vom 24. April 1980 IV R 68/77, BFHE 131, 70, BStBl II 1980, 658, unter 1. der Gründe; vom 20. März 1990 VIII R 47/86, BFH/NV 1990, 799, unter 1.a der Gründe; vom 26. Juni 2007 IV R 49/04, BFHE 217, 150, BStBl II 2009, 289, unter II.2.a der Gründe). Auch bei einer gewerblich geprägten Gesellschaft endet die sachliche Gewerbesteuerpflicht mit dem Ende der werbenden Tätigkeit (BFH-Urteil in BFHE 204, 471, BStBl II 2004, 464, unter III.2. der Gründe). Die Rechtsform der beteiligten Mitunternehmer ist ohne Bedeutung (BFH-Urteil vom 5. März 1998 IV R 23/97, BFHE 186, 142, BStBl II 1998, 745, unter 1.b der Gründe). Entgegen der Ansicht des BMF hat die Einfügung des § 7 Satz 2 GewStG zu keiner Änderung dieser rechtlichen Beurteilung geführt (BFH-Urteil vom 30. August 2012 IV R 54/10, Deutsches Steuerrecht 2012, 2180, BFHE 238, 198, unter II.1.d und II.3. der Gründe).

18

c) Gewinne aus der Veräußerung von Wirtschaftsgütern des Anlage- wie auch des Umlaufvermögens können zum gewerbesteuerbaren (laufenden) Gewinn oder zum nicht gewerbesteuerbaren Aufgabegewinn gehören. Maßgeblich ist, ob mit der Veräußerung die bisherige normale Geschäftstätigkeit fortgesetzt wird oder ob die Veräußerung im wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Aufgabe des Betriebs erfolgt (BFH-Urteil in BFHE 217, 150, BStBl II 2009, 289, unter II.2.c cc der Gründe). Der Gewinn aus der Veräußerung eines zum Anlagevermögen zählenden Flugzeugs gehört danach zum gewerbesteuerbaren (laufenden) Gewinn, wenn die Veräußerung Bestandteil eines einheitlichen Geschäftskonzepts der unternehmerischen Tätigkeit ist. Hiervon ist im Streitfall auszugehen, wie zwischen den Beteiligten nicht streitig ist.

19

3. Das FA hat den Gewerbeertrag unter Berücksichtigung des § 10a Sätze 1 und 2 GewStG zutreffend ermittelt. Nach dieser Vorschrift wird der maßgebende Gewerbeertrag bis zu einem Betrag in Höhe von 1 Mio. € um die Fehlbeträge gekürzt, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume nach den Vorschriften der §§ 7 bis 10 GewStG ergeben haben, soweit die Fehlbeträge nicht bei der Ermittlung des Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume berücksichtigt worden sind. Der 1 Mio. € übersteigende maßgebende Gewerbeertrag ist bis zu 60 % um die verbleibenden Fehlbeträge der vorangegangenen Erhebungszeiträume zu kürzen. Die Anwendung der Regelung führt dazu, dass anstelle der gesamten Fehlbeträge aus früheren Erhebungszeiträumen von ... € nur ... € vom maßgebenden Gewerbeertrag des Streitjahres abgezogen werden können. Der angefochtene Bescheid entspricht dieser Rechtslage, worüber zwischen den Beteiligten ebenfalls kein Streit besteht.

20

4. Die Mindestbesteuerung nach § 10a Sätze 1 und 2 GewStG verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG (ebenso BFH-Urteil vom 22. August 2012 I R 9/11, juris, BFHE 238, 419).

21

a) Der Gleichheitssatz gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen.

22

aa) Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Für die Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Differenzierungen kommt es wesentlich darauf an, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG--; vgl. z.B. BVerfG-Beschluss vom 6. Juli 2010  2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268, Rz 35, m.w.N.).

23

bb) Im Bereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum. Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft und die es so als rechtlich gleich qualifiziert, wird hier, insbesondere im Bereich des Einkommensteuerrechts, vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast an der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit. Danach muss im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedrigerer Einkommen angemessen sein muss. Bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands muss die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umgesetzt werden. Ausnahmen von einer solchen folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 126, 268, Rz 36, m.w.N.).

24

cc) Als besondere sachliche Gründe für Ausnahmen von einer folgerichtigen Umsetzung und Konkretisierung steuergesetzlicher Belastungsentscheidungen hat das BVerfG in seiner bisherigen Rechtsprechung vor allem außerfiskalische Förderungs- und Lenkungszwecke sowie Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse anerkannt, nicht jedoch den rein fiskalischen Zweck staatlicher Einnahmenerhöhung (vgl. z.B. BVerfG-Urteil vom 9. Dezember 2008  2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rz 58 ff.). Der Finanzbedarf des Staates oder eine knappe Haushaltslage reichen für sich allein nicht aus, um ungleiche Belastungen durch konkretisierende Ausgestaltung der steuerrechtlichen Grundentscheidungen zu rechtfertigen. Auch wenn der Staat auf Einsparungsmaßnahmen angewiesen ist, muss er auf eine gleichheitsgerechte Verteilung der Lasten achten (BVerfG-Urteil in BVerfGE 122, 210, Rz 61). Besondere ("qualifizierte") Fiskalzwecke können aber als Rechtfertigungsgrund in Betracht kommen (anerkannt z.B. für unerwartete staatliche Mehrausgaben im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung, BVerfG-Beschluss vom 5. Februar 2002  2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93, BVerfGE 105, 17, Rz 89).

25

dd) Als Rechtfertigungsgrund ist insbesondere die Befugnis des Gesetzgebers zur Vereinfachung und Typisierung zu beachten: Jede gesetzliche Regelung muss verallgemeinern. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen ist der Gesetzgeber berechtigt, die Vielzahl der Einzelfälle in dem Gesamtbild zu erfassen, das nach den ihm vorliegenden Erfahrungen die regelungsbedürftigen Sachverhalte zutreffend wiedergibt. Auf dieser Grundlage darf er grundsätzlich generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen.

26

Typisierung bedeutet, bestimmte in wesentlichen Elementen gleich geartete Lebenssachverhalte normativ zusammenzufassen. Besonderheiten, die im Tatsächlichen durchaus bekannt sind, können generalisierend vernachlässigt werden. Der Gesetzgeber darf sich grundsätzlich am Regelfall orientieren und ist nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen. Die gesetzlichen Verallgemeinerungen müssen allerdings von einer möglichst breiten, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließenden Beobachtung ausgehen. Insbesondere darf der Gesetzgeber für eine gesetzliche Typisierung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss realitätsgerecht den typischen Fall als Maßstab zugrunde legen (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 126, 268, Rz 38, m.w.N.).

27

Folge einer Typisierung ist notwendigerweise, dass die Verhältnisse des Einzelfalls unberücksichtigt bleiben. Darin liegende Ungleichbehandlungen sind durch die Typisierungsbefugnis grundsätzlich gerechtfertigt. Ist vorhersehbar, dass in Ausnahmefällen besondere Härten auftreten können, die nicht in zumutbarer Weise durch gesetzliche Sonderregelungen vermeidbar sind, steht dies der Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers nicht entgegen, wenn für deren Behebung im Einzelfall Billigkeitsmaßnahmen zur Verfügung stehen. Bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit von generalisierenden und typisierenden Normen des Steuerrechts fällt insbesondere die Möglichkeit des Steuererlasses zur Milderung unbilliger Härten ins Gewicht (BVerfG-Beschluss vom 5. April 1978  1 BvR 117/73, BVerfGE 48, 102; BFH-Urteile vom 6. Februar 1976 III R 24/71, BFHE 118, 151; vom 23. März 1998 II R 41/96, BFHE 185, 270, BStBl II 1998, 396; vom 27. Mai 2004 IV R 55/02, BFH/NV 2004, 1555).

28

ee) Die für die Lastengleichheit im Gewerbesteuerrecht maßgebliche finanzielle Leistungsfähigkeit ist grundsätzlich nach dem objektiven Nettoprinzip zu bemessen.

29

(1) Das objektive Nettoprinzip gilt auch für die Gewerbesteuer, weil die Gewerbesteuer im Hinblick auf die Bemessung des Gewerbeertrags nach den Vorschriften des EStG und des Körperschaftsteuergesetzes --KStG-- (§ 7 Satz 1 GewStG) ebenso wie die Einkommensteuer und die Körperschaftsteuer an die Ertragskraft des Unternehmens anknüpft (BVerfG-Beschluss vom 15. Januar 2008  1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1, Rz 112 ff.). Danach unterliegt im Bereich der Unternehmensbesteuerung grundsätzlich nur das Nettoeinkommen der Besteuerung. Betriebsausgaben müssen folglich grundsätzlich steuerlich abziehbar sein (BVerfG-Beschluss vom 12. Oktober 2010  1 BvL 12/07, BVerfGE 127, 224, Rz 57).

30

(2) Allerdings bedingt der Charakter der Gewerbesteuer als Objektsteuer Einschränkungen des objektiven Nettoprinzips.

31

(a) Das Objektsteuerprinzip liegt verschiedenen Regelungen des geltenden GewStG zugrunde. Hierzu gehören etwa die Hinzurechnung von Betriebsausgaben nach § 8 GewStG und die Kürzung von Betriebseinnahmen nach § 9 GewStG. Auch das Erfordernis der Unternehmensidentität für den Verlustausgleich nach § 10a GewStG ist eine Ausprägung des Objektsteuercharakters der Gewerbesteuer. Unternehmensidentität bedeutet, dass der im Anrechnungsjahr bestehende Gewerbebetrieb identisch sein muss mit dem Gewerbebetrieb, in dem der Verlust entstanden ist (u.a. BFH-Urteile vom 12. Januar 1978 IV R 26/73, BFHE 124, 348, BStBl II 1978, 348; vom 14. September 1993 VIII R 84/90, BFHE 174, 233, BStBl II 1994, 764; R 10a.2 Satz 1 der Gewerbesteuer-Richtlinien 2009).

32

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH folgt aus dem Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer für solche Gewerbebetriebe, deren Tätigkeit nicht nach § 2 Abs. 2 GewStG stets und in vollem Umfang als Gewerbebetrieb gilt, dass nur der auf den laufenden Betrieb entfallende, durch eigene gewerbliche Leistungen entstandene Gewinn der Gewerbesteuer unterliegt (s. oben unter II.2.b). Nicht zu berücksichtigen sind daher Verluste, die vor Aufnahme der werbenden Tätigkeit entstanden sind, oder die nicht dem laufenden Betrieb, sondern dessen Aufgabe oder Veräußerung zuzuordnen sind (u.a. BFH-Urteil in BFHE 217, 150, BStBl II 2009, 289, unter II.2. der Gründe), auch wenn sie die Leistungsfähigkeit des Gewerbetreibenden vermindern. Ebenso wenig sind entsprechende Gewinne in die Ermittlung des Gewerbeertrags einzubeziehen, obschon sie die Leistungsfähigkeit des Gewerbetreibenden vergrößern.

33

(b) Das der Gewerbeertragsbesteuerung zugrunde liegende gesetzgeberische Konzept hat von Beginn an die Möglichkeit einer Definitivbelastung mit Gewerbesteuer auch bei periodenübergreifend überwiegenden Verlusten nicht ausgeschlossen.

34

(aa) Die vor Inkrafttreten des reichseinheitlichen GewStG bestehenden GewStG der Länder erlaubten einen gewerbesteuerlichen Verlustvor- oder -rücktrag nicht (vgl. Übersicht über die GewStG der Länder, RStBl 1937, 699). Der Reichsfinanzhof (RFH) verneinte die Anwendbarkeit der im KStG bzw. EStG vorgesehenen Möglichkeit zur Berücksichtigung einer Unterbilanz bzw. eines Verlustvortrags bei der Ermittlung des Gewerbeertrags unter Hinweis auf den Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer, die als eine Art von Beitrag aufgefasst werden könne (RFH-Urteil vom 10. Juli 1935 IV A 33/35, RFHE 38, 120, zum Oldenburgischen GewStG). Zur Begründung hat er ausgeführt, bereits das preußische Oberverwaltungsgericht habe in ständiger Rechtsprechung als (gewerbesteuerlichen) Ertrag den Inbegriff dessen angesehen, was innerhalb einer gewissen Periode an Geldwerten, Gütern und Nutzungen durch objektiven Gewerbebetrieb hervorgebracht werde und damit in ständiger Rechtsprechung die Anrechnung von Verlusten aus Vorjahren auf spätere Gewinnjahre für unvereinbar gehalten. Durch die Anrechnung von Verlusten aus früheren Geschäftsjahren auf spätere Ertragsjahre würde ein Merkmal in die Gewerbesteuer hineingetragen, das dem Objektsteuercharakter offensichtlich widerspreche und überdies mit dem der Gewerbesteuer zugrunde liegenden steuerpolitischen Zweckgedanken nicht in Einklang zu bringen sei, wonach diese eine Art Gegenleistung für die den Gemeinden durch die Gewerbebetriebe verursachten Lasten darstellen solle. Die Berücksichtigung von Vorjahresverlusten in späteren Ertragsjahren könne dazu führen, dass es in diesen Jahren an der entsprechenden Gegenleistung für die durch den Gewerbebetrieb verursachten Lasten fehle, trotzdem in diesen Jahren Ertrag vorhanden sei; dieser Ausfall im Gemeindefinanzbedarf müsse dann auf andere Steuerpflichtige umgelegt werden.

35

(bb) Das Gewerbesteuerrahmengesetz (GewStRG) vom 1. Dezember 1930 (RGBl I 1930, 537) räumte in § 12 Nr. 3 die Möglichkeit eines zweijährigen Verlustvortrags für buchführende Unternehmungen ein (vgl. Orth, Interperiodische Verlust-Kompensation im Gewerbesteuerrecht, Studien zum Finanz- und Steuerrecht, Bd. 4, 1980, S. 24, S. 82). Allerdings hat es sich nicht durchsetzen können und wurde nur von den Ländern Mecklenburg und Oldenburg übernommen (RStBl 1937, 693). Die Neufassung des GewStRG vom 30. Juni 1935 (RGBl I 1935, 830) sah keinerlei Möglichkeit zur Verrechnung von Gewerbeverlusten vor.

36

(cc) Auch unter Geltung des GewStG vom 1. Dezember 1936 (RGBl I 1936, 979) bestand zunächst keine Möglichkeit, Gewerbeverluste auszugleichen. Mit Runderlass vom 14. Juli 1939 L 1460-1/39 III (RStBl 1939, 849) ließ das Reichsfinanzministerium nach Einführung eines entsprechenden Verlustvortrags bei der Einkommensteuer auch für die Gewerbesteuer einen zweijährigen Verlustvortrag zu, der --möglicherweise gedanklich an die Berücksichtigung einer Unterbilanz anknüpfend-- nur für buchführende Gewerbebetriebe galt. Für andere Gewerbebetriebe bestand weiterhin keine Möglichkeit zum Verlustausgleich. Als Rechtsgrundlage der Regelung wurden zunächst nachträglich § 19 der Dritten Verordnung zur Durchführung des Gewerbesteuergesetzes vom 31. Januar 1940 (RGBl I 1940, 284) und später § 10a GewStG eingeführt (durch Gesetz zur Änderung des Gewerbesteuerrechts vom 27. Dezember 1951, BGBl I 1951, 996). Dabei wurde der Verlustvortrag von einer ordnungsgemäßen Buchführung abhängig gemacht und zunächst auf drei Jahre, später auf fünf Jahre ausgedehnt (Gesetz zur Neuordnung von Steuern vom 16. Dezember 1954, BGBl I 1954, 373). Ab 1975 entfielen die Erforderlichkeit einer ordnungsmäßigen Buchführung (Einführungsgesetz zum Einkommensteuerreformgesetz vom 21. Dezember 1974, BGBl I 1974, 3656) sowie die Beschränkung auf buchführende Betriebe (rückwirkend durch das Steuerbereinigungsgesetz 1986 vom 19. Dezember 1985, BGBl I 1985, 2436). Ab 1985 entfiel auch die zeitliche Begrenzung des Verlustvortrags (Steuerreformgesetz 1990 vom 25. Juli 1988, BGBl I 1988, 1093).

37

(c) Die Möglichkeit eines Verlustrücktrags bestand bei der Gewerbesteuer zu keinem Zeitpunkt. Der Gesetzgeber hat dabei dem Interesse der Gemeinden an einer funktionierenden Haushaltspolitik Vorrang vor dem wirtschaftlichen Interesse der betroffenen Gewerbebetriebe eingeräumt.

38

(aa) Im Zusammenhang mit der Einführung eines Verlustrücktrags bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer wurde eine solche Maßnahme auch für die Gewerbesteuer geprüft, jedoch abgelehnt, weil "die Gemeinden hierdurch in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten kommen könnten. Denn --anders als beim Verlustvortrag-- könnte ein Verlustrücktrag dazu führen, dass insbesondere kleinere Gemeinden bei einer Rückzahlung vereinnahmter und bereits im Haushalt verplanter Gewerbesteuern in größte Schwierigkeiten kommen würden" (BTDrucks 7/4604, S. 3; BTDrucks 7/4705, S. 3; ähnlich BRDrucks 828/1/74, zu I 2; kritisch Orth, Interperiodische Verlust-Kompensation im Gewerbesteuerrecht, a.a.O., S. 230 ff.).

39

(bb) Der BFH hat das Fehlen eines Verlustrücktrags verfassungsrechtlich nicht beanstandet (Urteil vom 31. Juli 1990 I R 62/86, BFHE 161, 570, BStBl II 1990, 1083). Die Regelung sei systemgerecht innerhalb der Rechtsordnung. Als zusätzliche Rechtfertigung könne der Gesichtspunkt des kommunalen Selbstverwaltungsrechts herangezogen werden (BFH-Urteil in BFHE 161, 570, BStBl II 1990, 1083, unter II.A.1.d bb der Gründe). Einer Substanzgefährdung der betroffenen Unternehmen könne durch die angemessene Entrichtung von Vorauszahlungen oder die Bildung einer angemessenen Rückstellung für die Gewerbesteuerschuld aus dem Gewinnjahr hinreichend begegnet werden; dennoch eintretende Gefährdungen hätten ihre Ursache nicht in der Gewerbesteuer für den vorangegangenen Erhebungszeitraum, sondern in den zwischenzeitlich im Betrieb erwirtschafteten Verlusten (BFH-Urteil in BFHE 161, 570, BStBl II 1990, 1083, unter II.A.1.d dd der Gründe).

40

(3) Das BVerfG hat bisher offengelassen, ob das objektive Nettoprinzip Verfassungsrang hat (aus neuerer Zeit etwa BVerfG-Beschluss in BVerfGE 126, 268, Rz 40). Jedenfalls kann der Gesetzgeber dieses Prinzip beim Vorliegen gewichtiger Gründe durchbrechen und sich dabei generalisierender, typisierender und pauschalierender Regelungen bedienen. Hiernach entfaltet schon das einfach-rechtliche objektive Nettoprinzip Bedeutung vor allem im Zusammenhang mit den Anforderungen an hinreichende Folgerichtigkeit bei der näheren Ausgestaltung der gesetzgeberischen Grundentscheidungen. Die Beschränkung des steuerlichen Zugriffs nach Maßgabe des objektiven Nettoprinzips gehört zu diesen Grundentscheidungen, so dass Ausnahmen von der folgerichtigen Umsetzung der mit dem objektiven Nettoprinzip getroffenen Belastungsentscheidung eines besonderen, sachlich rechtfertigenden Grundes bedürfen (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 126, 268, Rz 40, m.w.N.).

41

b) Nach den vorstehenden Maßstäben ist ein von § 10a Sätze 1 und 2 GewStG ggf. ausgehender Verstoß gegen den Gleichheitssatz nach Überzeugung des erkennenden Senats zumindest gerechtfertigt. Damit schließt sich der Senat der Auffassung des I. Senats des BFH in dessen Urteil vom 22. August 2012 I R 9/11 zur Mindestbesteuerung nach § 10d EStG und § 10a Sätze 1 und 2 GewStG an. Er nimmt ergänzend zu den nachfolgenden Ausführungen auf das Urteil des I. Senats mit seiner umfassenden Darstellung der in Schrifttum und Rechtsprechung vertretenen Auffassungen Bezug.

42

aa) Die Einführung der Mindestbesteuerung bedeutet zunächst insoweit eine Änderung der Konzeption des GewStG, als bisher Verluste bis zur Höhe späterer Gewinne desselben Betriebs immer vollständig abgezogen werden konnten. Die Festsetzung eines Gewerbesteuermessbetrags war ausgeschlossen, soweit nach dem Verlust insgesamt kein den Verlust übersteigender Gewerbeertrag erzielt wurde. Nach § 10a Sätze 1 und 2 GewStG ist die Festsetzung eines Gewerbesteuermessbetrags nicht mehr in jedem Fall ausgeschlossen.

43

Zu dieser Änderung des Besteuerungskonzepts und damit der Belastungsgrundentscheidung war der Gesetzgeber befugt. Sie beruht auf einem sachlichen Grund, der in der Verstetigung des Aufkommens öffentlicher Haushalte, insbesondere kommunaler Haushalte zu sehen ist. Zur Erreichung dieses Ziels ist das gewählte System der Mindestbesteuerung geeignet, denn die Verhinderung einer sofortigen Verrechnung hoher Verluste mit hohen Gewerbeerträgen kann eine Aufkommensglättung bewirken. Von der Änderung der Belastungsgrundentscheidung sind alle Steuersubjekte der Gewerbesteuer in gleicher Weise betroffen. Der Gleichheitssatz ist insoweit nicht verletzt, so dass es in diesem Zusammenhang keines besonderen Rechtfertigungsgrunds (etwa in Gestalt eines qualifizierten Fiskalzwecks, vgl. Desens, Finanz-Rundschau 2011, 745, 749) bedürfte.

44

bb) Nach dem gesetzgeberischen Plan soll § 10a Sätze 1 und 2 GewStG nicht zu einem endgültigen Wegfall von ausgleichsfähigen Fehlbeträgen aus vorangegangenen Erhebungszeiträumen führen. Die Regelung beinhaltet danach keine Beschränkung des Abzugs der während der Dauer der unternehmerischen Tätigkeit entstandenen Betriebsausgaben. Insoweit verstößt § 10a Sätze 1 und 2 GewStG nicht gegen das objektive Nettoprinzip. Zu einer Verletzung des objektiven Nettoprinzips kann es nur mittelbar dann kommen, wenn die zeitliche Hinauszögerung des Verlustabzugs im Ergebnis zur Folge hat, dass der ansonsten abziehbare Verlust überhaupt nicht mehr abgezogen werden kann. Verluste setzen sich aus verschiedenen Bestandteilen zusammen, die zu einem geminderten Betriebsvermögen führen. Sie ergeben sich aus einem Überschuss der Betriebsausgaben über die Betriebseinnahmen und beinhalten auch vom objektiven Nettoprinzip geschützte Betriebsausgaben.

45

Zins- und Liquiditätsnachteile, die durch einen zeitlich hinausgeschobenen Abzug von Betriebsausgaben eintreten, verletzen das objektive Nettoprinzip grundsätzlich nicht. Eine Ausnahme wird davon allenfalls dann zu machen sein, wenn die zeitliche Verzögerung den Betriebsausgabenabzug für den Steuerpflichtigen wirtschaftlich wertlos macht, weil der Zinsnachteil die durch den Abzug ausgelöste Steuerminderung nahezu aufwiegt. Von einer derartigen Entwertung des Abzugs kann nach der Ausgestaltung des § 10a Sätze 1 und 2 GewStG nicht die Rede sein, denn Sockelbetrag und prozentualer Zusatzabzug sichern in jedem Erhebungszeitraum erhebliche Abzugsbeträge, die einerseits zu einer sofortigen Steuerminderung führen und andererseits den Abbau auch größerer Verlustvorträge in einem überschaubaren Zeitraum regelmäßig ermöglichen sollten.

46

cc) Die mittelbar durch eine steuergesetzliche Regelung eintretende Verletzung des objektiven Nettoprinzips bedarf in ähnlicher Weise einer Rechtfertigung wie eine vom Gesetz gezielt vorgenommene Verletzung. Unbeabsichtigte wie beabsichtigte Eingriffe in das objektive Nettoprinzip können aber durch die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers gerechtfertigt sein.

47

Den Anforderungen, die an die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers zu stellen sind, genügt die gewerbesteuerliche Mindestbesteuerung nach § 10a Sätze 1 und 2 GewStG.

48

(1) Für die Streckung des Verlustabzugs konnte generalisierend an die Höhe des im Erhebungszeitraum erzielten Gewerbeertrags angeknüpft werden. Dabei ist durch die Verknüpfung eines statischen (Sockelbetrag) und eines dynamischen (prozentualer Abzug) Elements sichergestellt, dass kein Steuerpflichtiger in einem Erhebungszeitraum mit positivem Gewerbeertrag vollständig vom Verlustabzug ausgeschlossen ist und der Verlustabzug zugleich unter Beachtung des Erfordernisses vertikaler Gleichheit vorgenommen werden kann. Soweit es durch die Streckung nicht zu einem endgültigen Wegfall von Verlustvorträgen kommt, musste der Gesetzgeber im Rahmen der Typisierung keine weiteren Kriterien berücksichtigen.

49

(2) Anders verhält es sich allerdings mit den vorhersehbaren Fällen, in denen die Streckung zugleich zu einem endgültigen Untergang des Verlustvortrags führt.

50

(a) Es war abzusehen, dass es unter zwei Voraussetzungen zu einer durch die Streckung veranlassten definitiven Belastung mit Gewerbesteuer kommen kann. Einerseits kann die Verrechnung des gestreckten Verlustbetrags unmöglich werden, wenn in den auf den beschränkten Abzug eines Verlustvortrags folgenden Erhebungszeiträumen keine weiteren positiven Gewerbeerträge erzielt werden. Andererseits kann der Ergebnisverlauf eines Unternehmens so strukturiert sein, dass ein positiver Gewerbeertrag nur im letzten Jahr der werbenden Tätigkeit erzielt wird und die in den Vorjahren aufgelaufenen Verlustvorträge wegen der Abzugsbeschränkung nicht vollständig von dem positiven Gewerbeertrag des letzten Jahres abgezogen werden können. Diese Fälle der unbeabsichtigten Verletzung des objektiven Nettoprinzips durften bei einer Typisierung nicht außer Acht gelassen werden.

51

(b) Die Gesetzesmaterialien lassen erkennen, dass die an der Gesetzgebung beteiligten Organe Fälle der Definitivbesteuerung infolge der Mindeststeuer erkannt und bei der Ausgestaltung des Gesetzes berücksichtigt haben.

52

Am 26. September 2003 führte der Finanzausschuss des Deutschen Bundestages eine öffentliche Anhörung zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz (StVergAbGProtUmsG) durch, deren Gegenstand auch die Mindeststeuer war (im Einzelnen Wortprotokoll des Finanzausschusses, Nr. 15/30). Dabei legten Sachverständige dar, dass die Gesetzesbegründung, wonach es nur um eine Streckung und nicht um endgültige Verluste gehe, "klar nicht richtig" sei. In zyklischen Branchen müsste in Gewinnphasen der Gewinn immer doppelt so hoch sein wie die vorhergehenden Verluste, was unrealistisch sei (Wortprotokoll, Nr. 15/30, S. 3). Die Mindestbesteuerung führe letztendlich zu einer Substanzbesteuerung (Wortprotokoll, Nr. 15/30, S. 4). Insbesondere bei "Start-ups", die immaterielle Wirtschaftsgüter produzierten, bei Projektgesellschaften in der Bauwirtschaft und bei der Errichtung großer Anlagen (z.B. Stahlwerk) könne es zu einer dauerhaften Substanzbesteuerung kommen (Wortprotokoll, Nr. 15/30, S. 16 f. sowie S. 39 bis 41). Das führe zu einer extremen Gefährdung des Mittelstandes und der "Start-ups"; zu deren Schutz müsse der Sockelbetrag mindestens verzehnfacht werden (Wortprotokoll, Nr. 15/30, S. 39).

53

(3) Die gegenüber dem Gesetzentwurf geäußerten Bedenken haben offensichtlich zur Folge gehabt, dass der Sockelbetrag von 100.000 € auf 1 Mio. € verzehnfacht und der Prozentsatz für den Restbetrag von 50 auf 60 % angehoben worden ist. Der erkennende Senat kann anhand des ihm zugänglichen Zahlenmaterials nicht sicher erkennen, ob der Gesetzgeber davon ausgehen durfte, mit den vorgenommenen Anpassungen bezogen auf die Zahl der betroffenen Fälle und die Höhe der definitiv anfallenden Steuer im typischen Anwendungsfall der Mindeststeuer keine besonders belastende Definitivbesteuerung zu bewirken.

54

Einer genaueren Prüfung dieser Frage bedarf es jedoch nicht.

55

(a) Bereits der Umfang der Anpassung spricht dafür, dass eine große Zahl kritischer Fälle nun von einer Definitivbesteuerung verschont bleibt. Dies wird auch dadurch gestützt, dass die Anpassung im Umfang dem entspricht, was im Rahmen der Anhörung sachverständig geäußert wurde. Zu berücksichtigen ist dabei zudem, dass wegen der besonderen Ausgestaltung der Gewerbesteuer als Objektsteuer Verlustvorträge häufiger als bei der Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer bereits ungeachtet der Wirkungen von § 10a Sätze 1 und 2 GewStG untergehen.

56

(b) Es ist nicht zu erkennen, dass durch eine gesetzliche Regelung eine Definitivbelastung in allen verbleibenden denkbaren Einzelfällen hätte ausgeschlossen werden können, ohne das System der Mindestbesteuerung insgesamt aufzugeben und ohne zugleich weitere Verletzungen des Gleichheitssatzes zu bewirken. Kommt es zur Definitivbelastung, weil einem beschränkten Verlustabzug keine weiteren positiven Gewerbeerträge folgen, lässt sich im Jahr der Mindestbesteuerung nicht erkennen, ob und aus welchen Gründen kein weiteres Potenzial für die Verrechnung des gestreckten Verlusts entstehen wird. Würde sich rückwirkend die beschränkte Verlustverrechnung als Ursache für die Definitivbelastung erweisen, könnte die Belastung nur durch eine Korrektur der seinerzeitigen Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags beseitigt werden. Dies käme aber einem Verlustrücktrag nahe, der in dem System der Gewerbesteuer bewusst nicht vorgesehen ist. Wäre Ursache für die Definitivbelastung der Umstand, dass ein positiver Gewerbeertrag nur im letzten Jahr der werbenden Tätigkeit entsteht, würde eine Ausnahme von der Abzugsbeschränkung für derartige Fälle zu einer Ungleichbehandlung mit solchen Unternehmen führen, in denen es trotz gleichförmiger Ergebnisentwicklung zu einer Definitivbelastung kommt.

57

(c) Unter diesen Umständen durfte der Gesetzgeber sich darauf verlassen, dass in den nach Anhebung des Sockelbetrags und des Prozentsatzes für den zusätzlich abziehbaren Betrag nun zahlenmäßig deutlich reduzierten Fällen besondere Härten, die allein von der durch die Verluststreckung ausgelösten Definitivbelastung herrühren, durch Billigkeitsmaßnahmen vermieden werden können. Die Möglichkeit von Billigkeitsmaßnahmen in besonderen Einzelfällen flankiert die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers und gestattet ihm, eine typisierende Regelung zu treffen, bei der Unsicherheiten über Zahl und Intensität der von der typisierenden Regelung nachteilig betroffenen Fälle mit zumutbarem Aufwand nicht beseitigt werden können.

58

5. Die Mindestbesteuerung nach § 10a Sätze 1 und 2 GewStG verletzt auch keine verfassungsrechtlich geschützten Freiheitsrechte.

59

Der Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG ist allerdings betroffen, weil die Gewährleistung des Art. 14 Abs. 1 GG den Grundrechtsträger auch dann schützt, wenn Steuerpflichten --wie im Einkommen- und Gewerbesteuerrecht-- an den Hinzuerwerb von Eigentum anknüpfen (BVerfG-Beschluss vom 18. Januar 2006  2 BvR 2194/99, BVerfGE 115, 97, Rz 33 ff.). Der Eingriff in das Grundrecht ist aber als Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG gerechtfertigt (ebenso FG Hamburg, Urteil vom 2. November 2011  1 K 208/10, EFG 2012, 434, unter I.2.b der Gründe).

60

Die sich aus den Grundsätzen des Verhältnismäßigkeitsprinzips ergebenden Obergrenzen für die Steuerbelastung werden nicht überschritten. Maßgeblich für die Frage der Übermaßbesteuerung ist der im betroffenen Erhebungszeitraum erzielte Gewerbeertrag. § 10a Sätze 1 und 2 GewStG beschränkt zwar die Berücksichtigung der vortragsfähigen Fehlbeträge und kann sich damit auf die Höhe der Gewerbesteuer auswirken. Eine Übermaßbelastung scheidet jedoch aus. Selbst wenn im Erhebungszeitraum ein den Sockelbetrag von 1 Mio. € übersteigender positiver Gewerbeertrag erwirtschaftet wurde, werden lediglich 40 % des übersteigenden, im Erhebungszeitraum erwirtschafteten Gewerbeertrags zur Gewerbesteuer herangezogen.

61

6. Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, dass die Einführung der Mindestbesteuerung nicht mit einer Übergangsregelung versehen ist.

62

a) Die Einfügung der Sätze 1 und 2 in § 10a GewStG durch das GewStGuaÄndG wurde nicht mit einer besonderen Anwendungsregelung in § 36 GewStG verbunden. Die Neuregelung trat am 1. Januar 2004 in Kraft (Art. 4 GewStGuaÄndG). Nach der Generalklausel des § 36 Abs. 1 GewStG in seiner damaligen, durch das StVergAbGProtUmsG vom 22. Dezember 2003 (BStBl II 2003, 2840) geschaffenen Fassung galt die Mindestbesteuerung gemäß § 10a Sätze 1 und 2 GewStG erstmals für den gesamten Erhebungszeitraum 2004.

63

Die Anwendung des § 10a Sätze 1 und 2 GewStG im Erhebungszeitraum 2004 bedeutet, dass vortragsfähige Verluste aus vorhergehenden Erhebungszeiträumen erstmals im Jahr 2004 nur noch in den neu gezogenen Grenzen abgezogen werden konnten. Im Hinblick auf die bei Inkrafttreten der Neuregelung bestehenden Verlustvorträge ist dies als eine tatbestandliche Rückanknüpfung anzusehen. Diese ist nicht grundsätzlich unzulässig. Nach der jüngsten Rechtsprechung des BVerfG muss der Gesetzgeber aber, soweit er für künftige Rechtsfolgen an zurückliegende Sachverhalte anknüpft, dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maß Rechnung tragen. Die Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden, und das Vertrauen des Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage sind abzuwägen (BVerfG-Beschlüsse vom 7. Juli 2010  2 BvL 1/03, 2 BvL 57/06, 2 BvL 58/06, BVerfGE 127, 31; 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BVerfGE 127, 1; 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, BVerfGE 127, 61).

64

b) Die Erstreckung der Mindestbesteuerung auf bereits aufgelaufene Verlustvorträge war hier erklärtes Ziel des Gesetzgebers, denn die Streckung der Verlustvorträge sollte sofort haushaltswirksam werden (s. BTDrucks 15/1517, S. 15). Eine Übergangsregelung kam aus der Sicht des Gesetzgebers deshalb nicht in Frage.

65

Schutzwürdiges Vertrauen der Steuerpflichtigen wurde dadurch nicht enttäuscht. Denn der Verlustvortrag beinhaltet noch keine geschützte Vermögensposition, weil ein vorgetragener Verlust erst dann und nur in dem Umfang für den Steuerpflichtigen günstige Wirkungen entfalten kann, wenn und soweit später Gewinne erzielt werden, die mit den Verlusten ausgeglichen werden können und zudem über ggf. zu gewährende Freibeträge hinausgehen. Danach genießen weder die Erwartung, den Verlust in einem bestimmten Zeitraum abziehen zu können, noch die Hoffnung darauf, bis zum Ende der Steuerpflicht alle Verlustvorträge verrechnen zu können, einen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz. Sie stehen dem Interesse des Gesetzgebers an einer sofortigen Streckung der Verrechnung bereits aufgelaufener Verluste nicht entgegen, und zwar auch nicht unter dem Aspekt, dass die Verluststreckung zugleich das Risiko einer endgültig ausfallenden Verlustverrechnung erhöht (ebenso BFH-Urteil vom 22. August 2012 I R 9/11, m.w.N.).

66

7. Ist § 10a Sätze 1 und 2 GewStG danach bereits in seiner allgemeinen Grundsätzen folgenden Auslegung als mit der Verfassung vereinbar zu beurteilen, bleibt kein Raum für eine von der Klägerin begehrte verfassungskonforme Auslegung.

67

Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG ist ein Gesetz nicht verfassungswidrig, wenn eine Auslegung möglich ist, die im Einklang mit dem GG steht, und das Gesetz bei dieser Auslegung sinnvoll bleibt (erstmals BVerfG-Beschluss vom 7. Mai 1953  1 BvL 104/52, BVerfGE 2, 266, Leitsatz 4). Lassen der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen und deren Sinn und Zweck mehrere Deutungen zu, von denen eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt, so ist diese geboten (z.B. BVerfG-Beschluss vom 9. August 1978  2 BvR 831/76, BVerfGE 49, 148, unter B.I.2.b der Gründe). Art. 20 Abs. 3 GG verpflichtet die Gerichte, "nach Gesetz und Recht" zu entscheiden. Eine bestimmte Auslegungsmethode (oder gar eine reine Wortinterpretation) schreibt die Verfassung nicht vor. Eine Rechtsfortbildung "praeter legem" bedarf zwar sorgfältiger Begründung, ist jedoch nicht von vornherein ausgeschlossen (BVerfG-Beschluss vom 30. März 1993  1 BvR 1045/89, 1 BvR 1381/90, 1 BvL 11/90, BVerfGE 88, 145, unter C.II.1. der Gründe).  

68

Eine verfassungskonforme Auslegung kommt danach nur in Betracht, wenn von mehreren Auslegungsmöglichkeiten eine zur Verfassungswidrigkeit führen würde. In seiner vom Senat vertretenen Auslegung ist § 10a Sätze 1 und 2 GewStG indessen nach den vorstehenden Erwägungen mit der Verfassung vereinbar (ebenso BFH-Urteil vom 22. August 2012 I R 9/11). Für eine verfassungskonforme Auslegung besteht demgemäß insoweit kein Anlass.

69

8. Das angefochtene Urteil entspricht den vorstehend erläuterten Grundsätzen. Die Revision der Klägerin hat daher keinen Erfolg.

1Der maßgebende Gewerbeertrag wird bis zu einem Betrag in Höhe von 1 Million Euro um die Fehlbeträge gekürzt, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume nach den Vorschriften der §§ 7 bis 10 ergeben haben, soweit die Fehlbeträge nicht bei der Ermittlung des Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume berücksichtigt worden sind.2Der 1 Million Euro übersteigende maßgebende Gewerbeertrag ist bis zu 60 Prozent um nach Satz 1 nicht berücksichtigte Fehlbeträge der vorangegangenen Erhebungszeiträume zu kürzen.3Im Fall des § 2 Abs. 2 Satz 2 kann die Organgesellschaft den maßgebenden Gewerbeertrag nicht um Fehlbeträge kürzen, die sich vor dem rechtswirksamen Abschluss des Gewinnabführungsvertrags ergeben haben.4Bei einer Mitunternehmerschaft ist der sich für die Mitunternehmerschaft insgesamt ergebende Fehlbetrag den Mitunternehmern entsprechend dem sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel zuzurechnen; Vorabgewinnanteile sind nicht zu berücksichtigen.5Für den Abzug der den Mitunternehmern zugerechneten Fehlbeträge nach Maßgabe der Sätze 1 und 2 ist der sich für die Mitunternehmerschaft insgesamt ergebende maßgebende Gewerbeertrag sowie der Höchstbetrag nach Satz 1 den Mitunternehmern entsprechend dem sich aus dem Gesellschaftsvertrag für das Abzugsjahr ergebenden allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel zuzurechnen; Vorabgewinnanteile sind nicht zu berücksichtigen.6Die Höhe der vortragsfähigen Fehlbeträge ist gesondert festzustellen.7Vortragsfähige Fehlbeträge sind die nach der Kürzung des maßgebenden Gewerbeertrags nach Satz 1 und 2 zum Schluss des Erhebungszeitraums verbleibenden Fehlbeträge.8Im Fall des § 2 Abs. 5 kann der andere Unternehmer den maßgebenden Gewerbeertrag nicht um die Fehlbeträge kürzen, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags des übergegangenen Unternehmens ergeben haben.9§ 8 Abs. 8 und 9 Satz 5 bis 8 des Körperschaftsteuergesetzes ist entsprechend anzuwenden.10Auf die Fehlbeträge ist § 8c des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend anzuwenden; dies gilt auch für den Fehlbetrag einer Mitunternehmerschaft, soweit dieser

1.
einer Körperschaft unmittelbar oder
2.
einer Mitunternehmerschaft, soweit an dieser eine Körperschaft unmittelbar oder mittelbar über eine oder mehrere Personengesellschaften beteiligt ist,
zuzurechnen ist.11Auf die Fehlbeträge ist § 8d des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend anzuwenden, wenn ein fortführungsgebundener Verlustvortrag nach § 8d des Körperschaftsteuergesetzes gesondert festgestellt worden ist.12Unterbleibt eine Feststellung nach § 8d Absatz 1 Satz 8 des Körperschaftsteuergesetzes, weil keine nicht genutzten Verluste nach § 8c Absatz 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes vorliegen, ist auf Antrag auf die Fehlbeträge § 8d des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend anzuwenden; für die Form und die Frist dieses Antrags gilt § 8d Absatz 1 Satz 5 des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend.

(1) Steuern können niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, können bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Mit Zustimmung des Steuerpflichtigen kann bei Steuern vom Einkommen zugelassen werden, dass einzelne Besteuerungsgrundlagen, soweit sie die Steuer erhöhen, bei der Steuerfestsetzung erst zu einer späteren Zeit und, soweit sie die Steuer mindern, schon zu einer früheren Zeit berücksichtigt werden.

(2) Eine Billigkeitsmaßnahme nach Absatz 1 kann mit der Steuerfestsetzung verbunden werden, für die sie von Bedeutung ist.

(3) Eine Billigkeitsmaßnahme nach Absatz 1 steht in den Fällen des Absatzes 2 stets unter Vorbehalt des Widerrufs, wenn sie

1.
von der Finanzbehörde nicht ausdrücklich als eigenständige Billigkeitsentscheidung ausgesprochen worden ist,
2.
mit einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 verbunden ist oder
3.
mit einer vorläufigen Steuerfestsetzung nach § 165 verbunden ist und der Grund der Vorläufigkeit auch für die Entscheidung nach Absatz 1 von Bedeutung ist.
In den Fällen von Satz 1 Nummer 1 entfällt der Vorbehalt des Widerrufs, wenn die Festsetzungsfrist für die Steuerfestsetzung abläuft, für die die Billigkeitsmaßnahme Grundlagenbescheid ist. In den Fällen von Satz 1 Nummer 2 entfällt der Vorbehalt des Widerrufs mit Aufhebung oder Entfallen des Vorbehalts der Nachprüfung der Steuerfestsetzung, für die die Billigkeitsmaßnahme Grundlagenbescheid ist. In den Fällen von Satz 1 Nummer 3 entfällt der Vorbehalt des Widerrufs mit Eintritt der Endgültigkeit der Steuerfestsetzung, für die die Billigkeitsmaßnahme Grundlagenbescheid ist.

(4) Ist eine Billigkeitsmaßnahme nach Absatz 1, die nach Absatz 3 unter Vorbehalt des Widerrufs steht, rechtswidrig, ist sie mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. § 130 Absatz 3 Satz 1 gilt in diesem Fall nicht.

Die Finanzbehörden können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden.

1Der maßgebende Gewerbeertrag wird bis zu einem Betrag in Höhe von 1 Million Euro um die Fehlbeträge gekürzt, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume nach den Vorschriften der §§ 7 bis 10 ergeben haben, soweit die Fehlbeträge nicht bei der Ermittlung des Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume berücksichtigt worden sind.2Der 1 Million Euro übersteigende maßgebende Gewerbeertrag ist bis zu 60 Prozent um nach Satz 1 nicht berücksichtigte Fehlbeträge der vorangegangenen Erhebungszeiträume zu kürzen.3Im Fall des § 2 Abs. 2 Satz 2 kann die Organgesellschaft den maßgebenden Gewerbeertrag nicht um Fehlbeträge kürzen, die sich vor dem rechtswirksamen Abschluss des Gewinnabführungsvertrags ergeben haben.4Bei einer Mitunternehmerschaft ist der sich für die Mitunternehmerschaft insgesamt ergebende Fehlbetrag den Mitunternehmern entsprechend dem sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel zuzurechnen; Vorabgewinnanteile sind nicht zu berücksichtigen.5Für den Abzug der den Mitunternehmern zugerechneten Fehlbeträge nach Maßgabe der Sätze 1 und 2 ist der sich für die Mitunternehmerschaft insgesamt ergebende maßgebende Gewerbeertrag sowie der Höchstbetrag nach Satz 1 den Mitunternehmern entsprechend dem sich aus dem Gesellschaftsvertrag für das Abzugsjahr ergebenden allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel zuzurechnen; Vorabgewinnanteile sind nicht zu berücksichtigen.6Die Höhe der vortragsfähigen Fehlbeträge ist gesondert festzustellen.7Vortragsfähige Fehlbeträge sind die nach der Kürzung des maßgebenden Gewerbeertrags nach Satz 1 und 2 zum Schluss des Erhebungszeitraums verbleibenden Fehlbeträge.8Im Fall des § 2 Abs. 5 kann der andere Unternehmer den maßgebenden Gewerbeertrag nicht um die Fehlbeträge kürzen, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags des übergegangenen Unternehmens ergeben haben.9§ 8 Abs. 8 und 9 Satz 5 bis 8 des Körperschaftsteuergesetzes ist entsprechend anzuwenden.10Auf die Fehlbeträge ist § 8c des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend anzuwenden; dies gilt auch für den Fehlbetrag einer Mitunternehmerschaft, soweit dieser

1.
einer Körperschaft unmittelbar oder
2.
einer Mitunternehmerschaft, soweit an dieser eine Körperschaft unmittelbar oder mittelbar über eine oder mehrere Personengesellschaften beteiligt ist,
zuzurechnen ist.11Auf die Fehlbeträge ist § 8d des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend anzuwenden, wenn ein fortführungsgebundener Verlustvortrag nach § 8d des Körperschaftsteuergesetzes gesondert festgestellt worden ist.12Unterbleibt eine Feststellung nach § 8d Absatz 1 Satz 8 des Körperschaftsteuergesetzes, weil keine nicht genutzten Verluste nach § 8c Absatz 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes vorliegen, ist auf Antrag auf die Fehlbeträge § 8d des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend anzuwenden; für die Form und die Frist dieses Antrags gilt § 8d Absatz 1 Satz 5 des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend.

(1) Steuern können niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, können bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Mit Zustimmung des Steuerpflichtigen kann bei Steuern vom Einkommen zugelassen werden, dass einzelne Besteuerungsgrundlagen, soweit sie die Steuer erhöhen, bei der Steuerfestsetzung erst zu einer späteren Zeit und, soweit sie die Steuer mindern, schon zu einer früheren Zeit berücksichtigt werden.

(2) Eine Billigkeitsmaßnahme nach Absatz 1 kann mit der Steuerfestsetzung verbunden werden, für die sie von Bedeutung ist.

(3) Eine Billigkeitsmaßnahme nach Absatz 1 steht in den Fällen des Absatzes 2 stets unter Vorbehalt des Widerrufs, wenn sie

1.
von der Finanzbehörde nicht ausdrücklich als eigenständige Billigkeitsentscheidung ausgesprochen worden ist,
2.
mit einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 verbunden ist oder
3.
mit einer vorläufigen Steuerfestsetzung nach § 165 verbunden ist und der Grund der Vorläufigkeit auch für die Entscheidung nach Absatz 1 von Bedeutung ist.
In den Fällen von Satz 1 Nummer 1 entfällt der Vorbehalt des Widerrufs, wenn die Festsetzungsfrist für die Steuerfestsetzung abläuft, für die die Billigkeitsmaßnahme Grundlagenbescheid ist. In den Fällen von Satz 1 Nummer 2 entfällt der Vorbehalt des Widerrufs mit Aufhebung oder Entfallen des Vorbehalts der Nachprüfung der Steuerfestsetzung, für die die Billigkeitsmaßnahme Grundlagenbescheid ist. In den Fällen von Satz 1 Nummer 3 entfällt der Vorbehalt des Widerrufs mit Eintritt der Endgültigkeit der Steuerfestsetzung, für die die Billigkeitsmaßnahme Grundlagenbescheid ist.

(4) Ist eine Billigkeitsmaßnahme nach Absatz 1, die nach Absatz 3 unter Vorbehalt des Widerrufs steht, rechtswidrig, ist sie mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. § 130 Absatz 3 Satz 1 gilt in diesem Fall nicht.

(1) Gegen das Urteil eines Verwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 2) steht den Beteiligten die Revision unter Übergehung der Berufungsinstanz zu, wenn der Kläger und der Beklagte der Einlegung der Sprungrevision schriftlich zustimmen und wenn sie von dem Verwaltungsgericht im Urteil oder auf Antrag durch Beschluß zugelassen wird. Der Antrag ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich zu stellen. Die Zustimmung zu der Einlegung der Sprungrevision ist dem Antrag oder, wenn die Revision im Urteil zugelassen ist, der Revisionsschrift beizufügen.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 vorliegen. Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Die Ablehnung der Zulassung ist unanfechtbar.

(3) Lehnt das Verwaltungsgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluß ab, beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Frist für den Antrag auf Zulassung der Berufung von neuem, sofern der Antrag in der gesetzlichen Frist und Form gestellt und die Zustimmungserklärung beigefügt war. Läßt das Verwaltungsgericht die Revision durch Beschluß zu, beginnt der Lauf der Revisionsfrist mit der Zustellung dieser Entscheidung.

(4) Die Revision kann nicht auf Mängel des Verfahrens gestützt werden.

(5) Die Einlegung der Revision und die Zustimmung gelten als Verzicht auf die Berufung, wenn das Verwaltungsgericht die Revision zugelassen hat.

(1) Die Revision ist bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision nach § 134 Abs. 3 Satz 2 schriftlich einzulegen. Die Revisionsfrist ist auch gewahrt, wenn die Revision innerhalb der Frist bei dem Bundesverwaltungsgericht eingelegt wird. Die Revision muß das angefochtene Urteil bezeichnen.

(2) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision abgeholfen oder läßt das Bundesverwaltungsgericht die Revision zu, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt, wenn nicht das Bundesverwaltungsgericht das angefochtene Urteil nach § 133 Abs. 6 aufhebt; der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht. Darauf ist in dem Beschluß hinzuweisen.

(3) Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision nach § 134 Abs. 3 Satz 2 zu begründen; im Falle des Absatzes 2 beträgt die Begründungsfrist einen Monat nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muß einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen angeben, die den Mangel ergeben.

(1) Gegen das Urteil eines Sozialgerichts steht den Beteiligten die Revision unter Übergehung der Berufungsinstanz zu, wenn der Gegner schriftlich zustimmt und wenn sie von dem Sozialgericht im Urteil oder auf Antrag durch Beschluß zugelassen wird. Der Antrag ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich zu stellen. Die Zustimmung des Gegners ist dem Antrag oder, wenn die Revision im Urteil zugelassen ist, der Revisionsschrift beizufügen.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 vorliegen. Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden. Die Ablehnung der Zulassung ist unanfechtbar.

(3) Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluß ab, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist oder der Frist für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung von neuem, sofern der Antrag in der gesetzlichen Form und Frist gestellt und die Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt war. Läßt das Sozialgericht die Revision durch Beschluß zu, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(4) Die Revision kann nicht auf Mängel des Verfahrens gestützt werden.

(5) Die Einlegung der Revision und die Zustimmung des Gegners gelten als Verzicht auf die Berufung, wenn das Sozialgericht die Revision zugelassen hat.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 9. August 2010 aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Erstattungsforderung.

2

Die am 14.7.1989 geborene Klägerin bezog von dem beklagten Grundsicherungsträger zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Schwester seit dem 1.1.2005 laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Die Anträge auf Gewährung von Leistungen stellte durchgehend die Mutter. Ab August 2005 bezog die Klägerin monatliche Unterhaltsleistungen von dem getrennt lebenden Vater. Eine Mitteilung gegenüber dem Beklagten erfolgte insoweit nicht.

3

Im Januar 2007 erfuhr der Beklagte von den Unterhaltszahlungen und hob mit an die Mutter gerichtetem Bescheid vom 28.6.2007 die für den Zeitraum 1.8.2005 bis 31.7.2006 ergangenen Bewilligungen "für Sie und Ihre Kinder" auf. Die Gesamtüberzahlung in Höhe von 2539,65 Euro war nach den einzelnen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft und jeweils nach Regelleistung und Kosten für Unterkunft und Heizung aufgeschlüsselt. Für die Klägerin ergab sich ein Gesamtbetrag von 1820,90 Euro (1292,85 Euro Regelleistung und 528,05 Euro Leistungen für Unterkunft und Heizung). Außerdem wurde darauf hingewiesen, dass der Bescheid, soweit er die Kinder betreffe, an die Mutter als gesetzliche Vertreterin ergehe, und die Erstattung der zu Unrecht gezahlten Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 2539,65 Euro gefordert. Auf den Widerspruch der Klägerin reduzierte der Beklagte die Erstattungssumme durch einen unmittelbar an die zwischenzeitlich volljährig gewordene Klägerin versandten Bescheid vom 1.10.2008 auf 1770,99 Euro und wies den Widerspruch im Übrigen zurück (Widerspruchsbescheid vom 18.11.2008).

4

Die hiergegen gerichtete Klage hat die Klägerin hinsichtlich der Aufhebung der Bewilligungsbescheide zurückgenommen und der Beklagte hat die Erstattungssumme in einem Erörterungstermin am 7.1.2010 auf 1043,51 Euro reduziert. Die gegen das Erstattungsverlangen gerichtete Klage hat die Klägerin fortgeführt und zugleich "die Einrede des § 1629a BGB" erhoben. Das Sozialgericht (SG) Dortmund hat die Klage abgewiesen und zugleich die Sprungrevision zugelassen (Urteil vom 9.8.2010). Der auf § 50 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gestützte Erstattungsbescheid sei rechtmäßig. § 1629a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) stehe dem nicht entgegen. Ob diese Vorschrift ohnehin erst im Vollstreckungsverfahren Berücksichtigung finden könne, könne dahinstehen. Vielmehr sei diese Norm im Sozialrecht von vornherein nicht anwendbar. Insbesondere beschränke sich der in § 61 Satz 2 SGB X enthaltene Verweis auf die ergänzende Anwendung der Vorschriften des BGB auf öffentlich-rechtliche Verträge und dies bedeute im Umkehrschluss, dass die Vorschriften des BGB im Bereich des SGB X nicht allgemein anwendbar seien. Eine entsprechende Anwendung des § 1629a BGB scheide aus, weil es an einer mit dem Zivilrecht vergleichbaren Interessenlage fehle und für die Anwendung dieser Vorschrift kein Bedürfnis bestehe. Bei der Aufhebung eines begünstigenden Verwaltungsaktes gemäß §§ 45 ff SGB X habe die Behörde bereits die unterschiedlichen öffentlichen und privaten Interessen abzuwägen. Etwas anderes folge auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten. Selbst wenn man von einer Anwendbarkeit des § 1629a BGB ausgehe, stehe seiner Anwendung im konkreten Fall doch § 1629a Abs 2 Alt 2 BGB entgegen, wonach die Haftungsbeschränkung nicht für Verbindlichkeiten aus Rechtsgeschäften gelte, die alleine der Befriedigung der persönlichen Bedürfnisse des Minderjährigen dienten. Bei den nunmehr zurückgeforderten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes handele es sich um solche Verbindlichkeiten.

5

In ihrer fristgerecht unter Beifügung einer Zustimmungserklärung des Beklagten in elektronischer Form eingelegten Sprungrevision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 1629a BGB sowie § 50 SGB X. Ergänzend beruft sie sich auf ein Schreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) vom 23.7.2009 an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages, in dem ausgeführt wird, dass die Gefahr einer Überschuldung Minderjähriger durch die Rückforderung von Leistungen nach dem SGB II im Hinblick auf § 1629a BGB nicht gesehen werde. Diese Norm begründe ein Leistungsverweigerungsrecht für das dann volljährige Kind gegenüber dem Gläubiger. Der Erstattungsanspruch bestünde weiterhin, müsse aber nicht mehr erfüllt werden. Die Bundesregierung gehe davon aus, dass die Grundsicherungsstellen gemäß § 14 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) entsprechend beraten. Die Klägerin ist allerdings der Ansicht, dass es ihr möglich sein müsse, diesen Einwand bereits außerhalb des Vollstreckungsverfahrens geltend zu machen.

6

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 9. August 2010 sowie den Erstattungsbescheid des Beklagten vom 28. Juni 2007 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 1. Oktober 2008 und des Widerspruchsbescheides vom 18. November 2008 sowie des Teilanerkenntnisses des Beklagten vom 7. Januar 2010 aufzuheben.

7

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Er verteidigt das angefochtene Urteil und weist nur ergänzend darauf hin, dass § 1629a BGB erst im Vollstreckungsverfahren Anwendung finden könne. Die Rechtmäßigkeit des zugrunde liegenden Bescheids bleibe hiervon unberührt.

Entscheidungsgründe

9

Die Sprungrevision der Klägerin ist zulässig (hierzu A.) und im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung an das Landessozialgericht (LSG) begründet (vgl § 170 Abs 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz; hierzu B.).

10

A. Die Klägerin hat die Sprungrevision form- und fristgerecht eingelegt.

11

Die Revision ist nach § 164 Abs 1 Satz 1 iVm § 65a SGG mittels eines elektronischen Dokuments mit qualifizierter elektronischer Signatur formgerecht erhoben worden(vgl § 65a Abs 1 Satz 3 SGG iVm § 2 Abs 3 der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundessozialgericht, BGBl I 2006, 3219; vgl grundlegend BFHE 215, 47 zur "Funktionsäquivalenz" der Signatur zur eigenhändigen Unterschrift).

12

Die für die Sprungrevision geltenden Formerfordernisse sind erfüllt (vgl § 161 Abs 1 SGG): Das SG hat die Sprungrevision in seinem Urteil zugelassen und die Zustimmungserklärung des Revisionsbeklagten ist innerhalb der Revisionsfrist beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen. Denn der Revisionsschrift der Klägerin war eine Erklärung des Beklagten beigefügt, nach der er sich damit einverstanden erklärt, dass "die Sprungrevision eingelegt und zugelassen wird".

13

Dass die Zustimmungserklärung des Beklagten nicht im Original übersandt wurde, sondern in elektronischer Form als Anhang im pdf-Format zu der in elektronischer Form ordnungsgemäß übersandten Revisionsschrift, steht dem in § 161 Abs 1 Satz 1 SGG enthaltenen Schriftlichkeitserfordernis nicht entgegen. Dass das Schriftformerfordernis für die Zustimmungserklärung erfüllt ist, wenn der Revisionskläger die ihm per Telefax zugeleitete Zustimmung des Gegners seinerseits per Fax an das Gericht weiterleitet, entspricht der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl nur BSG SozR 3-1500 § 161 Nr 13; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 161 RdNr 4a). Denn angesichts der auch bei "Originalen" möglichen Fälschungen ist für die Erfüllung des Formerfordernisses entscheidend, dass aus der Erklärung die Zustimmung zur Einlegung der Sprungrevision mit der Folge einer Übergehung der Berufungsinstanz, die Person des Erklärenden und dessen Wille, die Erklärung in den Verkehr zu bringen, entnommen werden kann.

14

Diese Voraussetzungen sind auch gewahrt, wenn ein Beteiligter die ihm als Telefax zugesandte Zustimmungserklärung eines anderen Beteiligten einscannt und in eine pdf-Datei umwandelt, um sie als elektronische Datei im Rahmen seiner elektronischen Aktenbearbeitung und Kommunikation mit dem Gericht weiterverwenden zu können. Aus der Einfügung des § 65a SGG durch das Justizkommunikationsgesetz vom 22.3.2005 (BGBl I 837) und der damit begründeten Zulässigkeit der Übermittlung von elektronischen Dokumenten an die Gerichte kann nur hergeleitet werden, dass die Übermittlung eines eingescanntes Dokumentes als Anhang einer den Anforderungen des § 65a SGG genügenden Revisionsschrift dem Schriftformerfordernis genügt. Die Möglichkeit, als Anlage ein eingescanntes Dokument zu versenden, ohne dabei mit verfahrensrechtlich vorgegebenen Formerfordernissen in Konflikt zu kommen, ist die notwendige Folge dieser technischen Möglichkeit und des mit dem Gesetz verfolgten Zweckes, auch in Gerichtsverfahren elektronische Dokumente als Äquivalent zur Papierform rechtswirksam zu verwenden (Gesetzesbegründung zum Justizkommunikationsgesetz, BT-Drucks 15/4067 S 24).

15

B. Die Revision ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung an das LSG begründet (§ 170 Abs 4 Satz 1 SGG). Ob die angefochtene Entscheidung mit revisiblem Recht vereinbar ist (vgl § 162 SGG)kann aufgrund des vom SG festgestellten Sachverhalts (vgl § 163 SGG) nicht abschließend geprüft werden.

16

Mangels fehlender Feststellungen kann nicht beurteilt werden, ob der hier noch alleine streitgegenständliche und auf § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II iVm § 50 SGB X beruhende Erstattungsbescheid vom 28.6.2007 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 1.10.2008 und des Widerspruchsbescheides vom 18.11.2008 sowie des Teilanerkenntnisses des Beklagten vom 7.1.2010 formell rechtmäßig ist; insbesondere ob die nach § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II iVm § 24 Abs 1 SGB X erforderliche Anhörung stattgefunden hat oder ein entsprechender Verfahrensmangel geheilt worden ist(s I.). Allerdings steht der materiellen Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts nicht bereits seine mangelnde Bestimmtheit entgegen (s II.). Während die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 50 SGB X im vorliegenden Fall grundsätzlich vorliegen(s III.), konnte aber ebenfalls nicht abschließend entschieden werden, ob die Haftung der Klägerin hier gemäß des entsprechend anwendbaren § 1629a BGB begrenzt ist und der Erstattungsbescheid bereits deshalb (ggf teilweise) aufzuheben ist(s IV.).

17

I. Der Rechtsstreit unterliegt bereits deshalb der Zurückverweisung, weil der Senat auf der Grundlage der Feststellungen des SG die formelle Rechtmäßigkeit des Erstattungsbescheides nicht abschließend prüfen kann. Insbesondere fehlt es an Feststellungen zu der Frage, ob vor Erlass des Erstattungsbescheides eine Anhörung der Klägerin gemäß § 24 Abs 1 SGB X stattgefunden hat.

18

Auch wenn die Erstattung entsprechend der Forderung des § 50 Abs 3 Satz 2 SGB X mit der (hier gemäß § 77 SGG bindend gewordenen) Aufhebung verbunden worden ist, ändert dies nichts daran, dass es sich bei dem Erstattungsverlangen um einen eigenständigen Verwaltungsakt nach § 31 SGB X handelt, der seinerseits in die Rechte der Klägerin eingegriffen hat und deshalb vor seinem Erlass eine entsprechende Anhörung voraussetzt(vgl BSG SozR 1300 § 45 Nr 12).

19

1. Die Voraussetzungen für eine Ausnahme von diesem Anhörungserfordernis sind nicht gegeben. Ein Fall des Ausnahmekatalogs des § 24 Abs 2 SGB X liegt bereits tatbestandlich nicht vor. Insbesondere wurden nicht lediglich einkommensabhängige Leistungen an geänderte Verhältnisse angepasst (§ 24 Abs 2 Nr 5 SGB X), weil die Behörde auf der Grundlage des § 50 SGB X für die Vergangenheit Leistungen erstattet verlangt.

20

Der Anwendungsbereich des § 24 SGB X ist für den vorliegenden Fall ebenfalls nicht - etwa im Sinne einer teleologischen Reduktion(vgl hierzu BSG SozR 4-1300 § 24 Nr 1) - eingeschränkt (vgl Thieme in Wannagat, SGB X, Stand 2001, § 24 RdNr 6). Eine solche Einschränkung ergibt sich insbesondere nicht aus dem Umstand, dass die Erstattung nach § 50 Abs 1 SGB X ohnehin akzessorisch zu der hier bestandskräftigen Aufhebung ist, weil es sich bei § 24 Abs 2 SGB X um einen abschließenden Ausnahmekatalog handelt, wie sich aus der rechtsstaatlichen Bedeutung der Anhörung und dem Vergleich mit § 28 Abs 2 Verwaltungsverfahrensgesetz ergibt, der eine Generalklausel mit Beispielen enthält(stRspr BSGE 44, 207 = SozR 1200 § 34 Nr 2; BSG SozR 1200 § 34 Nr 14; Vogelgesang in Hauck/Noftz, SGB X, Stand 2011, § 24 RdNr 10). Dass es nicht darauf ankommt, ob die Anhörung die Entscheidung in der Sache hätte beeinflussen können, folgt auch aus § 42 Satz 2 SGB X.

21

2. Das LSG wird zu klären haben, ob bislang eine Anhörung gemäß § 24 Abs 1 SGB X stattgefunden hat oder ob, sollte dies nicht der Fall gewesen sein, im Widerspruchs- oder Klageverfahren gemäß § 41 Abs 2 SGB X eine Heilung dieses Verfahrensmangels stattgefunden hat.

22

a) Dabei wird das LSG zu berücksichtigen haben, dass, solange die Klägerin minderjährig war, die vor dem Erlass des Erstattungsbescheides erforderliche Anhörung gegenüber einem vertretungsberechtigten Erziehungsberechtigten zu erfolgen hatte. Auf die Frage, ob § 38 SGB II für das Aufhebungs- und Erstattungsverfahren überhaupt Anwendung finden kann(vgl hierzu Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 38 RdNr 2, 23b), kommt es deswegen nicht an.

23

Die Vertretungsmacht, die hier die Notwendigkeit einer Anhörung der Erziehungsberechtigten begründet, folgt aus der elterlichen Sorge (§ 1629 Abs 1 Satz 1 BGB). Dabei lässt sich den Feststellungen des SG bereits nicht entnehmen, ob abweichend von der gemäß § 1629 Abs 1 Satz 2 BGB grundsätzlich gemeinschaftlichen Vertretung des Kindes hier eine alleinige Vertretung durch die Mutter nach § 1629 Abs 1 Satz 3 BGB in Betracht kommt(vgl hierzu BSGE 104, 48 = SozR 4-1500 § 71 Nr 2). Im Rahmen der Anhörung braucht dieser Frage allerdings nicht nachgegangen zu werden, weil die Anhörung eines Elternteils insoweit ausreichend ist.

24

Obwohl nach § 24 Abs 1 SGB X "der Beteiligte"(vgl § 12 SGB X) anzuhören ist, gilt dies nicht für den Fall, dass der Beteiligte sozialrechtlich nicht handlungsfähig ist (vgl § 11 Abs 1 SGB X). Dann ist sein gesetzlicher Vertreter anzuhören (vgl nur Mutschler in Kasseler Komm, SGB X, Stand 2011, § 24 RdNr 10). Dem steht § 36 SGB I als öffentlich-rechtliche Ausnahme nach § 11 Abs 1 Nr 2 SGB X(von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 11 RdNr 7) nicht entgegen, weil es sich beim Aufhebungs- und Erstattungsverfahren um ein eigenständiges Verwaltungsverfahren handelt, das nicht auf die Gewährung von Sozialleistungen gerichtet ist und deswegen von § 36 Abs 1 Satz 1 SGB I, der erkennbar auf den rechtlichen Vorteil für den Minderjährigen abstellt, nicht umfasst ist(vgl Didong in: jurisPK-SGB I, § 36 RdNr 16; Mrozynski, SGB I, 4. Aufl 2010, § 36 RdNr 15; Udsching/Link, SGb 2007, 513, 516).

25

Für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten gegenüber Minderjährigen hat der Senat unter Heranziehung des Zustellungsrechts des Bundes bereits entschieden, dass die Bekanntgabe gegenüber einem gesetzlichen Vertreter genügt (BSGE 102, 76 = SozR 4-4200 § 9 Nr 7, RdNr 21 unter Berufung auf § 6 Abs 3 VwZG; vgl auch Udsching/Link, SGb 2007, 513, 516). Dies gilt entsprechend auch für die Anhörung. Dagegen spricht nicht, dass § 6 Abs 3 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) letztlich der in § 1629 Abs 1 Satz 2 Halbs 2 BGB geregelten Empfangsvertretung als Fall der "passiven" Stellvertretung entspricht(vgl zu § 6 Abs 3 VwZG: Sadler, VwVG/VwZG, 7. Aufl 2010, § 6 RdNr 20; Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG/VwZG, 9. Aufl 2011, § 6 VwZG RdNr 4; vgl zu § 1629 Abs 1 Satz 2 Halbs 2 BGB; Diederichsen in Palandt, BGB, 70. Aufl 2011, § 1629 RdNr 15). Denn das in § 24 Abs 1 SGB X geregelte Anhörungserfordernis dient in erster Linie dem Schutz vor Überraschungsentscheidungen. Zudem soll es das Vertrauensverhältnis zwischen dem Bürger und der Sozialverwaltung stärken (vgl BT-Drucks 7/868 S 28). Es erfüllt damit seinen Zweck, ohne dass es ein aktives Tun des Anzuhörenden bzw seines Vertreters voraussetzt. Im Übrigen erschiene es widersprüchlich, wenn zwar die mit der Gefahr der Bestandskraft einhergehende Bekanntgabe eines Bescheides an nur einen Elternteil erfolgen dürfte, nicht aber die vor dem Erlass des Bescheides notwendige Anhörung.

26

b) Im Hinblick auf die mögliche Heilung einer unterlassenen Anhörung, wird das LSG zu berücksichtigen haben, dass die Nachholung der Anhörung nach § 41 Abs 2 SGB X im Gerichtsverfahren ein eingeständiges, nicht notwendigerweise förmliches Verwaltungsverfahren - ggf unter Aussetzung des Gerichtsverfahrens - voraussetzt, das auch die Erklärung der Behörde umfasst, sie halte nach erneuter Prüfung unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Anhörung am bisher erlassenen Verwaltungsakt fest(ausführlich BSG vom 9.11.2010 - B 4 AS 37/09 R - SozR 4-1300 § 41 Nr 2 mwN, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen).

27

c) Sollte das LSG zu dem Ergebnis kommen, dass vor Erlass des Erstattungsbescheides eine Anhörung nicht stattgefunden hat und dieser Verfahrensmangel bislang nicht geheilt worden ist - auch nicht im Rahmen des von der Klägerin durchgeführten Widerspruchsverfahrens oder des Erörterungstermins -, wird es zu beachten haben, dass jedenfalls im jetzt durchzuführenden Berufungsverfahren keine Heilung mehr in Betracht kommt.

28

Nach § 41 Abs 2 SGB X erfährt die Möglichkeit der Heilung insofern eine zeitliche Grenze, als die Anhörung nach § 41 Abs 1 Nr 3 SGB X nur bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden kann. Entsprechend der mit § 41 Abs 2 SGB X korrespondierenden Vorschrift des § 114 Abs 2 Satz 2 SGG(vgl BSG SozR 3-2600 § 243 Nr 9: "funktionale Einheit") ist diese Vorschrift nicht mehr anwendbar, nachdem erstmals die letzte Tatsacheninstanz abgeschlossen wurde. Im Falle der Sprungrevision wird die zeitliche Grenze damit durch den Erlass des erstinstanzlichen Urteils gesetzt (vgl allgemein Steinwedel in Kasseler Komm, SGB X, Stand 2011, § 41 RdNr 23, 27; offen gelassen von: BSG vom 2.6.2004 - B 7 AL 58/03 R - BSGE 93, 51 = SozR 4-4100 § 115 Nr 1, RdNr 9 = Juris RdNr 17; BSG vom 16.12.2008 - B 4 AS 48/07 R - Juris RdNr 19).

29

Gegen die Heilung eines Verfahrensmangels durch Nachholung im Gerichtsverfahren im Rahmen eines wiedereröffneten Berufungsverfahrens nach einer Zurückverweisung spricht entscheidend, dass diese von einem Verfahrensmangel des LSG - nämlich fehlenden Feststellungen zur Anhörung - abhängig ist. Denn eine Zurückverweisung kommt nur in Betracht, wenn das LSG keine Feststellungen zur Anhörung getroffen hat. Hat das LSG hingegen festgestellt, dass keine Anhörung erfolgt ist, besteht kein Grund für eine Zurückverweisung. Das Letztere muss ebenfalls gelten, wenn das LSG keine Feststellungen getroffen hat und diese fehlenden Feststellungen des LSG in Verbindung mit einer Aufklärungsrüge eines Beteiligten zu entsprechenden Ermittlungen und Feststellungen des Revisionsgerichts führen. Für eine Verschlechterung der Rechtsposition des klagenden Adressaten eines Verwaltungsakts, in dem der beklagten Behörde eine weitere Gelegenheit zur Heilung ihres Verfahrensfehlers eingeräumt wird, wenn es im anschließenden gerichtlichen Verfahren zu einem Verfahrensmangel des angerufenen Gerichts gekommen ist, der von der Behörde erfolgreich gerügt wird, ist keine Rechtsgrundlage ersichtlich. Dagegen spricht vielmehr der Ausnahmecharakter des § 114 Abs 2 Satz 2 SGG, nachdem der vergleichbare § 94 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung aufgehoben wurde(vgl Berchtold in Festschrift 50 Jahre BSG, 2004, 97, 115 f sowie BSG vom 16.12.2008 - B 4 AS 48/07 R - RdNr 19; BSG vom 31.10.2002 - B 4 RA 43/01 R - Juris RdNr 17).

30

II. Der angefochtene Erstattungsbescheid vom 28.6.2007 war (noch) inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs 1 SGB X).

31

Das Bestimmtheitserfordernis als materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung verlangt zum einen, dass der Verfügungssatz eines Verwaltungsaktes nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzen muss, sein Verhalten daran auszurichten (näher BSGE 105, 194 = SozR 4-4200 § 31 Nr 2, RdNr 13 mwN). Zum anderen muss der Verwaltungsakt eine geeignete Grundlage für seine zwangsweise Durchsetzung bilden (BVerwGE 123, 261, 283).

32

1. Bedenken gegenüber der hinreichenden Bestimmtheit des mit dem inzwischen bestandskräftig gewordenen Aufhebungsbescheides verbundenen Erstattungsbescheides ergeben sich nicht bereits daraus, dass der Adressat des Erstattungsverlangens nicht hinreichend erkennbar wäre.

33

Zwar könnten sich deswegen Zweifel an der hinreichenden Bestimmtheit ergeben, weil der Erstattungsbescheid vom 28.6.2007 alleine an die Mutter der seinerzeit noch minderjährigen Klägerin gerichtet war. Auch wird die Mutter entsprechend dieser Adressierung an verschiedenen Stellen des Bescheides direkt angesprochen, wenn es etwa heißt, es bestünde gegen diese eine Gesamtforderung in Höhe von 2539,65 Euro und dieser Betrag sei von ihr gemäß § 50 SGB X zu erstatten. Entscheidend ist allerdings, dass sich aus dem Bescheid mit hinreichender Deutlichkeit ergibt, dass der zurückzuzahlende Gesamtbetrag das Ergebnis einer Addition von insgesamt drei Aufhebungs- und Rückforderungsentscheidungen ist, die sich jeweils an die einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft richten. So heißt es im Rahmen der hier noch streitgegenständlichen Erstattungsregelung, es "wurden Ihnen und Ihren Kindern [...] Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 2539,65 Euro zu Unrecht gezahlt". Die (individuelle) Aufschlüsselung der überzahlten Leistungen ist Bestandteil der Aufhebungsentscheidung, vor deren Hintergrund auch die Erstattungsregelung zu sehen ist, weil der Beklagte, entsprechend der Vorgabe des § 50 Abs 3 Satz 2 SGB X, beide Entscheidungen verbunden hat(vgl auch BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 27 RdNr 13).

34

Dass der Beklagte bei Erlass des Erstattungsbescheides nicht davon ausging, die Mutter der Klägerin sei (Gesamt-)Schuldnerin der Rückforderungssumme, ergibt sich dabei insbesondere aus der Formulierung: "Soweit der Bescheid Ihre Kinder betrifft, ergeht er an Sie als gesetzlichen Vertreter." Vor dem Hintergrund der fehlenden sozialrechtlichen Handlungsfähigkeit der Klägerin und ihrer Schwester zum damaligen Zeitpunkt war es konsequent, die Erfüllung der Rückzahlungsverpflichtung alleine von einem Elternteil zu verlangen, ohne dass dadurch die eigentlichen Bescheidadressaten nicht mehr erkennbar wären.

35

2. Weitergehende Bedenken gegenüber der Bestimmtheit des Erstattungsbescheides bestehen nicht. Es bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung, ob die zum Arbeitsförderungsrecht ergangene Rechtsprechung des BSG, wonach ein Aufhebungsbescheid dann nicht hinreichend bestimmt iS des § 33 SGB X ist, wenn er nur eine Teilaufhebung für einen Gesamtzeitraum in Höhe eines Gesamtbetrags ohne Konkretisierung dieses Betrags für die einzelnen Wochen enthält(BSGE 93, 51 = SozR 4-4100 § 115 Nr 1, RdNr 10; SozR 3-1500 § 128 Nr 15 S 32 f), auf das SGB II, eventuell modifiziert um das hier grundsätzlich geltende Monatsprinzip, zu übertragen ist.

36

Zumindest für den hier noch streitgegenständlichen Erstattungsverwaltungsakt lässt sich die Notwendigkeit einer solchen Differenzierung der gesetzlichen Regelung des § 50 SGB X nicht entnehmen(so auch Krasney in Kasseler Komm, SGB X, Stand 2011, § 33 RdNr 7; Sächsisches LSG vom 18.9.2008 - L 3 AS 40/08 - Juris RdNr 60). § 50 Abs 3 Satz 1 SGB X fordert lediglich, die "zu erstattende Leistung" festzusetzen. Weitergehende Differenzierungsanforderungen dürften nicht zuletzt der eigentlichen Zielvorgabe der Bestimmtheitsanforderung, nämlich eine eindeutige Vollstreckungsgrundlage zu schaffen und dem Betroffenen das von ihm erwartete Verhalten klar vor Augen zu führen, eher abträglich sein.

37

3. Der Erstattungsbescheid ist auch nicht deshalb zu unbestimmt, weil er in der Gestalt, die er durch den Änderungsbescheid vom 1.10.2008 und den Widerspruchsbescheid vom 18.11.2008 erfahren hat, im Rahmen der Festsetzung der zu erstattenden Leistung nicht mehr zwischen dem der Klägerin bewilligten Sozialgeld und den Leistungen für Unterkunft und Heizung unterschied. Soweit teilweise vertreten wird, ein Aufhebungs- und wohl auch ein Erstattungsbescheid seien nur dann hinreichend bestimmt, wenn sie - spiegelbildlich zur Bewilligung - die aufgehobenen Leistungen nach Leistungsarten unterschieden, insbesondere also deutlich machten, ob es sich um Leistungen für Unterkunft und Heizung oder um die Regelleistung handele (so LSG Rheinland-Pfalz vom 30.3.2010 - L 3 AS 138/08 - Juris RdNr 54 ff), folgt dem der Senat jedenfalls für die Festsetzung der zu erstattenden Leistung nach § 50 SGB X nicht. Gegen die Notwendigkeit weiterer Differenzierungen im Rahmen der isolierten Rückforderung spricht die im Grundsatz bestehende Akzessorietät des Erstattungsverwaltungsakts zum Ergebnis der Aufhebungsentscheidung. Die Vorschrift des § 40 Abs 2 Satz 1 SGB II, wonach abweichend von § 50 SGB X unter bestimmten Umständen ein Teil der Unterkunftskosten von der Erstattung ausgenommen bleibt, steht dem nicht entgegen. Dies betrifft allenfalls die Begründung des Verwaltungsakts, nicht aber die hinreichende Bestimmtheit seines Verfügungssatzes.

38

III. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X liegen vor. Soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, sind bereits erbrachte Leistungen nach dieser Vorschrift zu erstatten. Hier ist der Aufhebungsbescheid vom 28.6.2007 durch die Rücknahme der Klage bereits bestandskräftig geworden (vgl § 77 SGG).

39

Zutreffend hat sich der Beklagte im Hinblick auf die Rückforderung zudem an die Klägerin gewandt. Ausgehend von der Annahme, dass das SGB II keinen Anspruch einer Bedarfsgemeinschaft als solcher kennt, sondern dass Anspruchsinhaber grundsätzlich jeweils alle einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft sind (grundlegend BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 12), können auch in der Rückforderungskonstellation nur von demjenigen Leistungen verlangt werden, dem sie zuvor bewilligt worden waren (vgl nur BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 7 RdNr 15; Udsching/Link, SGb 2007, 513, 514). Ein Erstattungsanspruch etwa gegen die gesetzlichen Vertreter des Leistungsempfängers scheidet auch dann aus, wenn diese die Überzahlung durch Verletzung ihrer Mitteilungspflichten hinsichtlich ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse verursacht haben (so zur Rechtslage nach dem Bundessozialhilfegesetz bereits BVerwG, NZS 1992, 156; FEVS 43, 324). Die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegenüber dem Vertreter nach § 34 SGB II wird davon nicht berührt.

40

IV. Eine abschließende Entscheidung der von der Revision aufgeworfenen Frage, ob § 1629a BGB bereits zur Rechtswidrigkeit des Erstattungsbescheides führt, ist nicht möglich. Entgegen der Ansicht des SG ist § 1629a BGB auch im Rahmen der Rückforderung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II entsprechend anwendbar(dazu unter 1.), und zwar bereits im Erstattungs- und nicht erst im Vollstreckungsverfahren (dazu unter 2.). Dem steht auch § 1629a Abs 2 Alt 2 BGB nicht entgegen(dazu unter 3.). Jedoch hat das SG, von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent, keine Feststellungen zur Höhe des Vermögens der Klägerin bei Eintritt der Volljährigkeit getroffen.

41

1. Dem Erstattungsanspruch des Beklagten gegen die Revisionsklägerin gemäß § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X kann die Beschränkung der Minderjährigenhaftung entgegenstehen.

42

In seinem Beschluss vom 13.5.1986 (1 BvR 1542/84 - BVerfGE 72, 155 = NJW 1986, 1859) hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ua ausgeführt: Das als Schutzgut des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 Grundgesetz (GG) anerkannte Recht auf Selbstbestimmung wird berührt, wenn Eltern ihre minderjährigen Kinder kraft der ihnen zustehenden gesetzlichen Vertretungsmacht (§ 1629 Abs 1 BGB) finanziell verpflichten können. Hierdurch können in erheblichem Maße die Grundbedingungen freier Entfaltung und Entwicklung und damit nicht nur einzelne Ausformungen allgemeiner Handlungsfreiheit, sondern die engere persönliche Lebenssphäre junger Menschen betroffen werden. Es ist verfassungsrechtlich noch hinnehmbar, wenn sich die Haftung des Minderjährigen bei einem ererbten und fortgeführten Handelsgeschäft auf das im Wege der Erbfolge erworbene Vermögen beschränkt. Nichts anderes kann für die finanziellen Folgen gelten, die Minderjährigen als Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft über die Vertretungsregelung für Bedarfsgemeinschaften nach § 38 SGB II aufgebürdet werden.

43

Der Gesetzgeber ist der vom BVerfG in dem Beschluss vom 13.5.1986 (aaO) formulierten Aufforderung, in Wahrnehmung seiner Wächteramtes (Art 6 Abs 2 Satz 2 GG) Regelungen zu treffen, die verhindern, dass der volljährig Gewordene nicht mehr als nur eine scheinbare Freiheit erreicht, nachgekommen und hat durch das Minderjährigenhaftungsbeschränkungsgesetz vom 25.8.1998 ( BGBl I 2487) § 1629a BGB geschaffen. Danach ist die Haftung des ehemaligen Minderjährigen und nun volljährig Gewordenen für Verbindlichkeiten, die Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht mit Wirkung für den Minderjährigen begründet haben, beschränkt auf den Bestand des Vermögens des Minderjährigen bei Eintritt der Volljährigkeit. Diese in Ausführung der verfassungsrechtlichen Vorgaben erfolgte gesetzgeberische Entscheidung gilt mangels anderer Anhaltspunkte für die "Minderjährigenhaftung" im SGB II entsprechend.

44

Hierfür spricht auch die Gesetzesbegründung zur Neufassung des § 34a SGB II "Ersatzansprüche für rechtswidrig erhaltene Leistungen" durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 (BGBl I 453 - RBEG), in der ausgeführt wird: "Die Regelung des neuen § 34a trägt damit dem praktischen Bedürfnis nach Inanspruchnahme des Verursachers Rechnung, da insbesondere bei Leistungsgewährung an minderjährige Kinder auch ein Anspruch gegenüber den gesetzlichen Vertretern bestehen kann. ... Im Übrigen gilt bei Eintritt der Volljährigkeit zugunsten der Schuldner § 1629a BGB, so dass insoweit eine Beschränkung auf das bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandene Vermögen gegeben sein kann." (BT-Drucks 17/3404 S 113). Dies deckt sich mit der von der Klägerin zur Akte gereichten Antwort des BMAS an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages, wonach vor dem Hintergrund der Regelung des § 1629a BGB eine Gefahr des überschuldeten Eintritts in die Volljährigkeit nicht gesehen werde und dementsprechend kein Tätigwerden des Gesetzgebers erforderlich sei.

45

2. Entgegen der Ansicht des Beklagten kann diese entsprechende Geltung der Haftungsbeschränkung gemäß § 1629a BGB nicht erst im Verwaltungsvollstreckungsverfahren Anwendung finden(so aber für das Steuerfestsetzungsverfahren BFHE 203, 5), weil schon der Erstattungsbescheid aus den aufgezeigten Gründen gegen das höherrangige Verfassungsrecht verstößt.

46

Es ist kein Grund dafür ersichtlich, warum ein (verfassungswidriger) Erstattungsbescheid gegenüber einem volljährig Gewordenen zunächst bestandskräftig werden sollte, bevor diesem die Möglichkeit gegeben werden soll, seine Haftungsbeschränkung, die zu diesem Zeitpunkt bereits "entscheidungsreif" wäre, geltend zu machen. Abgesehen von den durch das Vollstreckungsverfahren entstehenden weiteren (unnötigen) Kosten erscheint es auch unter Praktikabilitätsgesichtspunkten geboten, die ggf schwierige Feststellung des Vermögens bei Eintritt der Volljährigkeit möglichst zeitnah zu bestimmen.

47

Sollte - wie vorliegend - der Schuldner bei Erlass des Erstattungsbescheides noch nicht volljährig sein, ist der Erstattungsbescheid zum Zeitpunkt seines Erlasses zunächst rechtmäßig. Dies entspricht der § 1629a BGB zugrunde liegenden unbeschränkten Haftung des Minderjährigen bis zum Eintritt der Volljährigkeit(vgl nur Diederichsen in Palandt, BGB, 70. Aufl 2011, § 1629a BGB RdNr 8; kritisch hierzu K. Schmidt, Festschrift für Derleder, 2005, S 601, 607). Soweit aber bei Eintritt der Volljährigkeit das an diesem Tag bestehende pfändbare Vermögen hinter den (unter § 1629a BGB fallenden) Verbindlichkeiten zurückbleibt, kommt die Haftungsbeschränkung zum Zuge. In diesem Fall besteht gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB X ein Anspruch auf Aufhebung des Erstattungsbescheides.

48

Tritt - wie in diesem Verfahren - die Volljährigkeit nach Erlass des ursprünglichen Erstattungsbescheides, aber noch vor Abschluss des Widerspruchsverfahrens ein, ist zu beachten, dass bei (reinen) Anfechtungsklagen der maßgebende Zeitpunkt in der Regel die Sach- und Rechtslage bei Erlass der letzten behördlichen Entscheidung ist (vgl nur Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl 2008, § 54 RdNr 33 mwN). Sollten die Voraussetzungen des § 1629a BGB gegeben sein, was mangels Feststellungen des SG zur Vermögenslage der Klägerin bei Eintritt der Volljährigkeit nicht beurteilt werden kann, wäre der Erstattungsbescheid von Anfang an rechtswidrig.

49

3. Der Haftungsbeschränkung der Klägerin steht vorliegend nicht entgegen, dass die Haftungsbeschränkung nicht für Rechtsgeschäfte aus der Befriedigung persönlicher Bedürfnisse gilt (§ 1629a Abs 2 Alt 2 BGB). Denn diese Regelung zielt entsprechend dem Begriff "persönliche Bedürfnisse" nicht auf das durch das SGB II abgedeckte Existenzminimum, sondern auf Kleingeschäfte des täglichen Lebens seitens des Minderjährigen oder größere altersgerechte Anschaffungen wie ein Fahrrad oder einen Computer ab (vgl auch Gesetzesbegründung zum RBEG, BT-Drucks 17/3404 S 113).

50

Nach der Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des MHbeG sollen mit dieser Ausnahme von der Haftungsbegrenzung nicht nur Kleingeschäfte des täglichen Lebens (zB Kauf von Nahrungsmitteln oder Schulutensilien), sondern auch größere Geschäfte erfasst werden, die für Minderjährige der jeweiligen Altersstufe typisch oder jedenfalls nicht ungewöhnlich sind (zB Kauf eines Fahrrades oder Computers). In beiden Fällen bedürfe der Minderjährige keines Schutzes, weil ihm der Gegenwert des Geschäfts unmittelbar zugute komme und keine "unzumutbaren" finanziellen Belastungen im Sinne der Entscheidung des BVerfG (BVerfGE 72, 155, 173) in Rede stünden (BT-Drucks 13/5624 S 13, ebenso: Diederichsen in Palandt, BGB, 70. Aufl 2011, § 1629a RdNr 11).

51

Auch wenn die dem Minderjährigen gewährten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes den (im Sinne der Existenzsicherung) verstandenen "persönlichen Bedürfnissen" des Kindes dienten, sind diese von der Ausnahmeregelung nicht mit umfasst. Auf den Fall, dass grundsätzlich alle "persönlichen Bedürfnisse" des Kindes durch staatliche Fürsorgeleistungen sichergestellt werden müssen, weil die Leistungsfähigkeit der Eltern als Unterhaltsverpflichtete nicht genügt, zielt die Ausnahmeregelung erkennbar nicht ab. Zudem ist in diesen Fällen gerade nicht mehr der (generalisierte) Schluss zulässig, dass durch die Rückforderung keine unzumutbaren finanziellen Belastungen entstehen. Allein diese Grundannahme rechtfertigt aber die Anwendung dieser Ausnahmeregelung, ohne dass es im Rahmen der Rückforderung von SGB II-Leistungen überzeugen würde, eine summenmäßige Begrenzung einzuführen, ab der die auf dem Fehlverhalten der (grundsätzlich ebenfalls ersatzpflichtigen) Eltern beruhende Schuldenlast "unzumutbar" wäre (für eine teleologische Reduktion des § 1629a Abs 2 Alt 2 BGB für den Fall, dass dem Minderjährigen erhebliche finanzielle Belastungen drohten, Huber in Münchener Komm, BGB, 5. Aufl 2008, § 1629a RdNr 28).

52

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 16. August 2011 geändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 388,79 Euro nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15. Oktober 2010 zu zahlen.

Die Widerklage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz tragen beide Beteiligte jeweils zur Hälfte; die Kosten der Revisionsinstanz trägt die Beklagte.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 688,79 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Streitig ist ein Anspruch der klagenden Krankenkasse gegen die beklagte Gesellschaft als Trägerin des Kreiskrankenhauses G. auf Erstattung von Behandlungskosten in Höhe eines Teilbetrages von 388,79 Euro, den die Klägerin aus einer ihrer Ansicht nach gebotenen Fallzusammenführung nach § 8 Abs 5 S 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) ableitet.

2

In dem Krankenhaus wurde der bei der Klägerin versicherte Patient S. wegen eines linksseitigen Leistenbruchs zunächst vom 23. bis zum 24.12.2009 und sodann vom 28.12.2009 bis zum 5.1.2010 vollstationär behandelt. Für die erste Behandlung mit der Hauptdiagnose gemäß ICD K 40.90 (Hernia inguinalis, einseitig oder ohne Seitenangabe, ohne Einklemmung und ohne Gangrän, nicht als Rezidivhernie bezeichnet) setzte die Beklagte nach dem auf Diagnosis Related Groups (DRGs; diagnosebezogene Fallgruppen) basierenden Fallpauschalen-Katalog der G-DRG-Version 2009 die DRG G 24 Z (Eingriffe bei Bauchwandhernien, Nabelhernien und anderen Hernien, Alter > 0 Jahre oder beidseitige Eingriffe bei Leisten- und Schenkelhernien, Alter > 0 Jahre und < 56 Jahre oder Eingriffe bei Leisten- und Schenkelhernien, Alter > 55 Jahre) mit einer Vergütung von 1528,96 Euro an (Rechnung vom 29.12.2009). Die wegen eines Hämatoms notwendig gewordene zweite Behandlung mit der Hauptdiagnose gemäß ICD T 81.0 (Blutung und Hämatom als Komplikation eines Eingriffs, anderenorts nicht klassifiziert) wurde auf der Basis der DRG X 62 Z (Vergiftungen/toxische Wirkungen von Drogen, Medikamenten und anderen Substanzen oder Folgen einer medizinischen Behandlung) mit 1727,95 Euro berechnet (Rechnung vom 6.1.2010). Die Klägerin beglich zunächst beide Rechnungen nach Abzug der vom Versicherten zu leistenden Zuzahlungen von 10 Euro pro Tag des Aufenthalts gemäß § 39 Abs 4 iVm § 61 S 2 SGB V (20 bzw 90 Euro) in Höhe von 1508,96 Euro und 1637,95 Euro, vertrat aber nach Einholung einer Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 22.2.2010 die Auffassung, nach § 2 Abs 3 der Fallpauschalenvereinbarung für das Jahr 2009 (FPV 2009) müssten beide Behandlungsfälle zu einem Fall zusammengeführt werden, weil die Zweitbehandlung der Beseitigung einer auf die Erstbehandlung zurückzuführenden typischen Komplikation gedient habe und die Wiederaufnahme noch innerhalb der oberen Grenzverweildauer (8 Tage) der DRG G 24 Z erfolgt sei. Bei der Fallzusammenführung hätte dem Krankenhaus nach der Hauptdiagnose ICD K 40.90 und der Nebendiagnose ICD T 81.0 auf der Basis der DRG G 24 Z eine Gesamtvergütung von 2758,12 Euro zugestanden. Daraus ergebe sich eine Überzahlung von 388,79 Euro (1508,96 + 1637,95 = 3146,91 Euro, abzüglich berechtigter 2758,12 Euro = 388,79 Euro), die einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch auslöse.

3

Im Klageverfahren hat die Klägerin den Erstattungsanspruch anfangs irrtümlich auf 1848,78 Euro beziffert (Klageschrift vom 14.10.2010), ihn dann aber auf 388,79 Euro reduziert (Schriftsatz vom 27.12.2010). Die Beklagte tritt dem Erstattungsbegehren entgegen: Eine Fallzusammenführung sei nach der zum 1.1.2008 vereinbarten Änderung der entsprechenden Regelung (vgl § 2 Abs 3 FPV 2009, ebenso schon § 2 Abs 3 FPV 2008) nur noch möglich, wenn die Wiederaufnahme eines Patienten auf einer Komplikation beruhe, die in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses falle. Dies scheide bei Komplikationen aus, die sich erst nach abgeschlossener Erstbehandlung des Patienten und dessen Entlassung aus dem Krankenhaus gezeigt hätten und auf einem unvermeidbaren, schicksalhaften Verlauf beruhten. Nur bei Komplikationen, die auf Fehlern bei der ärztlichen Behandlung oder Pflege im Krankenhaus basierten und deshalb für das Krankenhaus vermeidbar seien, komme eine Fallzusammenführung in Betracht. Demgegenüber meint die Klägerin, eine Fallzusammenführung scheide nur aus, wenn die Komplikation auf einem unvernünftigen Verhalten ("mangelnde Compliance") des Patienten oder einer Behandlung durch einen anderen Arzt, zB den Hausarzt, beruhe. Zeige sich dagegen - wie hier - noch vor Ablauf der oberen Grenzverweildauer eine Komplikation, die typischerweise bei einer bestimmten Krankheit oder einem konkreten Eingriff auftrete und praktisch unvermeidbar sei, falle die Komplikation in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses.

4

Das SG hat die Zahlungsklage abgewiesen (Urteil vom 16.8.2011). Es ist der Rechtsauffassung der Beklagten gefolgt und hat die Fallzusammenführung abgelehnt, weil nach dem von ihm eingeholten medizinischen Gutachten des Sachverständigen Dr. K. vom 6.4.2011 die Ursache für die zu dem ausgeprägten Hämatom führende Nachblutung nicht feststellbar und deshalb eine fehlerhafte Durchführung des Eingriffs vom 23.12.2009 nicht nachzuweisen sei. Daher sei von einem schicksalshaften Verlauf auszugehen, sodass die zur Wiederaufnahme in das Krankenhaus zwingende Komplikation nicht in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses falle. Die für den Fall der Abweisung der Zahlungsklage erhobene Widerklage auf Zahlung der Aufwandspauschale von 300 Euro nach § 275 Abs 1c S 3 SGB V sei begründet, weil der Prüfauftrag der Klägerin an den MDK nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages geführt habe.

5

Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (§ 8 Abs 5 KHEntgG iVm § 2 Abs 3 FPV 2009, § 275 Abs 1c SGB V). Sie hält die Fallzusammenführung nach wie vor für rechtmäßig und beantragt,

        

das Urteil des SG Köln vom 16.8.2011 zu ändern und die Beklagte unter Abweisung der Widerklage zu verurteilen, an sie 388,79 Euro nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.10.2010 zu zahlen.

6

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil, hält die Revision bezüglich der Widerklage bereits für unzulässig und beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7

Die Sprungrevision der Klägerin ist zulässig und begründet. Das SG hat den geltend gemachten Erstattungsanspruch der Klägerin zu Unrecht als unbegründet erachtet. Der Klägerin steht ein Erstattungsanspruch über 388,79 Euro zu, weil die Beklagte zu einer Fallzusammenführung nach § 8 Abs 5 KHEntgG iVm § 2 Abs 3 FPV 2009 verpflichtet gewesen wäre, die zu einer Gesamtvergütung für beide Krankenhausbehandlungen von nur 2758,12 Euro geführt hätte. Die Widerklage der Beklagten war abzuweisen.

8

1. Die Sprungrevision ist zulässig (§ 161 SGG). Die Klägerin hat die vom SG in dem Urteil vom 16.8.2011 zugelassene Sprungrevision am 17.10.2011 eingelegt. Damit hat sie die einmonatige Frist zur Revisionseinlegung (§ 164 Abs 1 SGG) gewahrt, weil ihr das Urteil des SG am 22.9.2011 zugestellt worden war. Die von der Klägerin gewählte Revisionseinlegung durch Telefax wahrt die Schriftform (§ 164 Abs 1 SGG), weil die auf dem Original-Schriftsatz vom 13.10.2011 enthaltene Unterschrift einer dazu befugten Mitarbeiterin mit Befähigung zum Richteramt (§ 73 Abs 4 SGG) durch das Telefax wiedergegeben wird (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 151 RdNr 3a - 3d mwN). Dass der Original-Schriftsatz nicht per Post nachgesandt worden ist, ist unerheblich, weil die Übermittlung per Telefax ausreicht (Leitherer, aaO, § 151 RdNr 3d am Ende). Die erforderliche Zustimmung der Beklagten zur Einlegung der Sprungrevision (§ 161 Abs 1 S 3 SGG) liegt vor, weil dem Telefax der Klägerin die Zustimmungserklärung vom 14.10.2011 beigefügt war. Dabei reicht es aus, dass die Zustimmungserklärung der Beklagten mittels eines die Unterschrift ihres Prozessbevollmächtigten wiedergebenden Telefaxes an die Klägerin übermittelt und dieses Telefax ebenfalls in Form eines - von der Klägerin veranlassten - Telefaxes dem BSG zugeleitet worden ist (Leitherer, aaO, § 161 RdNr 4a mwN; BSG SozR 3-1500 § 161 Nr 13).

9

2. Die Sprungrevision der Klägerin erfasst nicht nur ihr Klagebegehren, also den Erstattungsanspruch, sondern auch die Widerklage. Schon durch den Antrag im Revisionsschriftsatz vom 13.10.2011 auf vollständige Aufhebung des SG-Urteils wird auch der Ausspruch erfasst, die Klägerin werde auf die Widerklage hin verurteilt, an die Beklagte 300 Euro nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Der zusätzliche Antrag, die Widerklage abzuweisen, stellt sich insoweit nur als Klarstellung des von vornherein mit der Revision beabsichtigten Überprüfungsbegehrens dar. Der Einwand der Beklagten, das Revisionsbegehren der Klägerin sei durch die Nichterwähnung der Widerklage in der Fassung des Antrages vom 13.10.2011 auf das Klagebegehren beschränkt und die "Erweiterung" des Revisionsbegehrens auf die Abweisung der Widerklage in der Revisionsbegründung vom 20.10.2011 damit unzulässig, ist schon von daher unbegründet.

10

Selbst wenn aber in dem Schriftsatz der Klägerin vom 13.10.2011 eine nur beschränkte Einlegung der Revision gesehen werden könnte, ist zu berücksichtigen, dass die Revisionsbegründung vom 20.10.2011 noch innerhalb der am 22.9.2011 beginnenden und am 24.10.2011 (Montag) ablaufenden einmonatigen Revisionseinlegungsfrist beim BSG eingegangen ist, nämlich am 24.10.2011. Es wäre dann von einer noch fristgerecht erfolgten Erweiterung der Revision auszugehen.

11

3. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt. Eines Vorverfahrens iS von § 78 SGG bedurfte es nicht, weil die Klage zu Recht als allgemeine Leistungsklage(§ 54 Abs 5 SGG) erhoben worden ist. Da sich der Krankenhausträger und die Krankenkasse bei der Frage, wie die stationäre Behandlung eines gesetzlich gegen Krankheit Versicherten zu vergüten ist, im Gleichordnungsverhältnis gegenüberstehen, kommt eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht. Es war auch keine Klagefrist zu beachten (stRspr, vgl zB BSGE 90, 1 f = SozR 3-2500 § 112 Nr 3; BSGE 100, 164 = SozR 4-2500 § 39 Nr 12, RdNr 10; BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr 13, RdNr 9; BSGE 104, 15 = SozR 4-2500 § 109 Nr 17, RdNr 12).

12

4. Rechtsgrundlage des von der Beklagten abgerechneten und von der Klägerin durch Zahlung erfüllten Vergütungsanspruchs aus der Ende 2009/Anfang 2010 erfolgten stationären Behandlung des Versicherten S. ist § 109 Abs 4 S 3 SGB V(idF des Fallpauschalengesetzes vom 23.4.2002, BGBl I, 1412) iVm § 7 S 1 Nr 1 und § 9 Abs 1 S 1 Nr 1 KHEntgG(jeweils idF des 2. Fallpauschalenänderungsgesetzes vom 15.12.2004, BGBl I 3429) sowie § 17b KHG(idF der 9. Zuständigkeitsanpassungsverordnung vom 31.10.2006, BGBl I 2407) iVm der Anlage 1 Teil a) des Fallpauschalen-Katalogs der G-DRG-Version 2009 sowie der zwischen der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen eV und den Krankenkassen bzw ihren Verbänden geschlossene Vertrag nach § 112 Abs 2 Nr 1 SGB V über die Allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung (KBV-NRW) vom 6.12.1996 sowie die Pflegesatzvereinbarung der Beteiligten für das Jahr 2009. Obgleich der Versicherte erst am 5.1.2010 wieder aus dem Krankenhaus entlassen worden ist, richtet sich der Vergütungsanspruch noch nach dem Fallpauschalen-Katalog der G-DRG-Version 2009, weil gemäß § 1 Abs 1 S 1 FPV 2009 die Fallpauschalen nach dem am Tag der voll- oder teilstationären Aufnahme geltenden Fallpauschalen-Katalog und den dazu gehörenden Abrechnungsregeln abzurechnen sind. Hier fand die Erstaufnahme am 23.12.2009 und die Wiederaufnahme am 28.12.2009 statt. Die Frage der Fallzusammenführung richtet sich nach § 8 Abs 5 KHEntgG iVm § 2 Abs 3 FPV 2009.

13

Nach § 109 Abs 4 S 3 SGB V entsteht die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus(§ 108 SGB V) durchgeführt wird und iS des § 39 Abs 1 S 2 SGB V erforderlich ist. Der Behandlungspflicht zugelassener Krankenhäuser (§ 109 Abs 4 S 2 SGB V) steht ein Vergütungsanspruch gegenüber, der auf der Grundlage der gesetzlichen Ermächtigung in den §§ 16, 17 KHG in der Pflegesatzvereinbarung zwischen Krankenhausträger und Krankenkasse festgelegt wird(BSGE 86, 166, 168 = SozR 3-2500 § 112 Nr 1; BSGE 90, 1, 2 = SozR 3-2500 § 112 Nr 3). Hiernach hat die Beklagte für die beiden Behandlungen des Versicherten S. Vergütungen in Höhe von 1508,96 Euro und 1637,95 Euro berechnet, hätte dafür aber nur einen Behandlungsfall mit einer Gesamtvergütung von 2758,12 Euro in Ansatz bringen dürfen.

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5. Rechtsgrundlage der von der Klägerin mit Schreiben vom 23.2.2010 geltend gemachten Forderung auf Rückzahlung des überzahlten Betrages von 388,79 Euro ist ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch (BSGE 93, 137 = SozR 4-2500 § 137c Nr 2, RdNr 9 f; BSGE 69, 158, 160 = SozR 3-1300 § 113 Nr 1).

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Der im öffentlichen Recht auch ohne ausdrückliche Normierung seit langem anerkannte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch (vgl nur BSGE 16, 151, 156 = SozR Nr 1 zu § 28 BVG mwN zur älteren Rspr und Literatur), der aus allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts, insbesondere aus dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung hergeleitet wird (BSGE 102, 10 = SozR 4-2500 § 264 Nr 2, RdNr 27), setzt voraus, dass im Rahmen eines öffentlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht oder sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen vorgenommen worden sind (BSGE 16, 151, 156 = SozR Nr 1 zu § 28 BVG; BSGE 69, 158, 160 = SozR 3-1300 § 113 Nr 1; BSGE 93, 137 = SozR 4-2500 § 137c Nr 2, RdNr 8; BSG SozR 4-2500 § 264 Nr 3 RdNr 15). Seine Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfolgen entsprechen zwar, soweit sie nicht spezialgesetzlich geregelt sind, denen des zivilrechtlichen Bereicherungsanspruchs nach den §§ 812 ff BGB(vgl BSGE 102, 10 = SozR 4-2500 § 264 Nr 2, RdNr 27 mwN zu Rspr des BVerwG). Es scheidet aber ein Rückgriff auf die zivilrechtlichen Normen aus, soweit der vom öffentlichen Recht selbstständig entwickelte Erstattungsanspruch reicht (vgl BSGE 38, 46, 47 = SozR 2200 § 1409 Nr 1). Dies gilt namentlich für die Nichtanwendbarkeit der bereicherungsrechtlichen Vorschriften, denen öffentlich-rechtliche Wertungszusammenhänge entgegenstehen (vgl zB zur Nichtanwendbarkeit des § 818 Abs 3 BGB bei der Rückforderung von Berufsausbildungsbeihilfe wegen des Vorrangs von § 152 Abs 3 AFG aF BSGE 45, 38, 47 = SozR 4100 § 40 Nr 17 S 54, mwN; vgl auch BVerwGE 71, 85, 88; 112, 351, 353 f).

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6. Die Klägerin hat die Kostenrechnungen der Beklagten vom 29.12.2009 und 6.1.2010 für die beiden stationären Aufenthalte des Versicherten S. in Höhe eines Teilbetrages von 388,79 Euro ohne Rechtsgrund beglichen. Die Beklagte hätte nach § 8 Abs 5 KHEntgG iVm § 2 Abs 3 FPV 2009 beide Behandlungsfälle zu einem Fall mit einer Gesamtvergütung von 2758,12 Euro zusammenfassen müssen; daraus ergibt sich die Überzahlung von 388,79 Euro.

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a) § 8 Abs 5 KHEntgG(idF des 2. Fallpauschalenänderungsgesetzes) lautet seit dem 21.12.2004: "Werden Patientinnen oder Patienten, für die eine Fallpauschale abrechenbar ist, wegen einer Komplikation im Zusammenhang mit der durchgeführten Leistung innerhalb der oberen Grenzverweildauer wieder aufgenommen, hat das Krankenhaus eine Zusammenfassung der Falldaten zu einem Fall und eine Neueinstufung in eine Fallpauschale vorzunehmen. Näheres oder Abweichendes regeln die Vertragsparteien nach § 17b Abs 2 Satz 1 KHG oder eine Rechtsverordnung nach § 17 Abs 7 KHG." Diese Fassung der Vorschrift ist auf die Abrechnungen der um die Jahreswende 2009/2010 erfolgten beiden Krankenhausaufenthalte des Versicherten S. anzuwenden. Aufgrund der Ermächtigung in § 8 Abs 5 S 2 KHEntgG haben die damaligen Spitzenverbände der Krankenkassen, der Verband der Privaten Krankenversicherung und die Deutsche Krankenhausgesellschaft als Selbstverwaltungspartner nach § 17b Abs 2 KHG am 21.9.2007 die zum 1.1.2008 in Kraft getretene FPV 2008 vereinbart, um eine verbesserte Handhabung der Regelungen zur Fallzusammenführung bei Wiederaufnahme wegen Komplikationen zu erreichen. Die insoweit maßgebliche Regelung des § 2 Abs 3 FPV 2008 ist unverändert in die hier einschlägige FPV 2009 übernommen worden.

18

§ 2 Abs 3 FPV 2009 lautet: "Werden Patienten oder Patientinnen, für die eine Fallpauschale abrechenbar ist, wegen einer in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallenden Komplikation im Zusammenhang mit der durchgeführten Leistung innerhalb der oberen Grenzverweildauer, bemessen nach der Zahl der Kalendertage ab dem Aufnahmedatum des ersten unter diese Vorschrift zur Zusammenfassung fallenden Aufenthalts, wieder aufgenommen, hat das Krankenhaus eine Zusammenfassung der Falldaten zu einem Fall und eine Neueinstufung in eine Fallpauschale vorzunehmen. Eine Zusammenfassung und Neueinstufung wird nicht vorgenommen bei unvermeidbaren Nebenwirkungen von Chemotherapien und Strahlentherapien im Rahmen onkologischer Behandlungen. Die Absätze 1 und 2 gehen den Vorgaben nach den Sätzen 1 und 2 vor. Die Sätze 1 und 2 ergänzen die Vorgaben nach § 8 Abs. 5 des Krankenhausentgeltgesetzes."

19

b) Zur Auslegung dieser Vorschriften ist die historische Entwicklung des Rechts zur Fallzusammenführung bedeutsam.

20

aa) Vor der Einführung des DRG-Systems sah bereits die Bundespflegesatzverordnung eine solche Regelung vor. Bis zum 31.12.2003 galt nach § 14 Abs 2 S 5 BPflV ein Sanktionsmechanismus, wonach tagesgleiche Pflegesätze für die Kalendertage innerhalb der Grenzverweildauer der Fallpauschale(§ 11 BPflV)nicht berechnet werden durften, sofern ein Fallpauschalenpatient wegen Komplikationen in dasselbe Krankenhaus wieder aufgenommen wurde. Hintergrund dieser Regelung war nach der Gesetzesbegründung (BR-Drucks 381/94, S 35), dass insbesondere bei Fallpauschalenpatienten, die nach sehr kurzer Verweildauer entlassen werden, zusätzlich tagesgleiche Pflegesätze abgerechnet wurden, wenn die bereits mit der Fallpauschale bezahlte Verweildauer noch nicht abgelaufen ist. Dies sollte nach Möglichkeit verhindert werden.

21

bb) Für das DRG-System hat der Gesetzgeber die Fallzusammenführung wegen Komplikationen in § 8 Abs 5 KHEntgG geregelt. In seiner Ursprungsfassung sah der Satz 1 dieser Vorschrift vor: "Wird ein Patient wegen Komplikationen wieder in dasselbe Krankenhaus aufgenommen, für den zuvor eine Fallpauschale berechnet wurde, darf für die Kalendertage innerhalb der Grenzverweildauer dieser Fallpauschale die Fallpauschale nicht erneut berechnet werden." Die Fassung durch das Fallpauschalenänderungsgesetz vom 17.7.2003 (BGBl I 1461), in Kraft ab 22.7.2003, lautete: "Wird ein Patient, für den zuvor eine Fallpauschale berechnet wurde, im Zeitraum von der Entlassung bis zur Grenzverweildauer der abgerechneten Fallpauschale wegen einer Komplikation im Zusammenhang mit der durchgeführten Leistung wieder in dasselbe Krankenhaus aufgenommen, darf eine Fallpauschale nicht erneut berechnet werden." Seit dem 21.12.2004 gilt die bereits zitierte Fassung des 2. Fallpauschalenänderungsgesetzes. Dabei ist der Begriff der Komplikation stets unverändert geblieben. Er umfasst negative Folgen einer medizinischen Behandlung wie zB Nachblutungen, Hämatome, Thrombosen, Infektionen und auch deren unerwünschte Nebenwirkungen (van der Ploeg, NZS 2011, 808, 809).

22

c) Mit der Umstellung auf das DRG-System wurde also zunächst vorgesehen, dass für die Kalendertage innerhalb der Grenzverweildauer einer abgerechneten Fallpauschale diese Fallpauschale nicht erneut berechnet werden durfte, sofern ein Patient wegen Komplikationen wieder in dasselbe Krankenhaus aufgenommen wurde. Bei Anwendung dieser Regelung ist es im Jahr 2003 zu erheblichen Problemen gekommen, da die Norm von Krankenhaus- und Kostenträgerseite unterschiedlich ausgelegt wurde. Zum 22.7.2003 wurde die Vorschrift insoweit geändert, als nunmehr ausdrücklich nur auf "Komplikationen in Zusammenhang mit der durchgeführten Leistung" abgestellt wurde, um den Anwendungsbereich der Regelung zur Fallzusammenführung einzugrenzen. Dies wurde durch die zum 21.12.2004 in Kraft getretene neue Fassung der Vorschrift bekräftigt. Dennoch bestanden in der Folgezeit zwischen den Leistungserbringern und der Kostenträgerseite weiterhin erhebliche Auslegungsunterschiede. Diese Differenzen sollten über den Weg der vertraglichen Abweichungsmöglichkeit nach § 8 Abs 5 S 2 KHEntgG endgültig durch die FPV für das Jahr 2008 beseitigt werden, indem in § 2 Abs 3 FPV 2008 nicht mehr nur, wie bis dahin, auf "Komplikationen im Zusammenhang mit der durchgeführten Leistung" abgestellt wurde, sondern zusätzlich gefordert wurde, dass die zur Wiederaufnahme führende Komplikation "in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses" fallen muss.

23

d) Daraus ergeben sich folgende Konsequenzen: In den Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallen unstreitig alle Komplikationen, die auf irgendwie geartete Fehler und Mängel bei der ärztlichen Behandlung oder bei der Pflege im Krankenhaus zurückzuführen sind. Nicht in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallen unstreitig alle Komplikationen, die zwar auch im Zusammenhang mit der durchgeführten Leistung des Krankenhauses stehen, aber maßgeblich erst durch ein hinzukommendes weisungswidriges oder sonstwie unvernünftiges Verhalten des Versicherten nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus, durch ein Behandlungsverhalten des ambulant weiterbehandelnden Arztes, zB des Hausarztes, oder durch ein sonstiges, nicht vom Krankenhaus zu beeinflussendes Ereignis wie zB einen Verkehrsunfall hervorgerufen worden sind. Streitig geblieben ist trotz der Neufassung der FPV zum 1.1.2008, ob all jene Komplikationen, die bei bestimmten Krankheiten bzw Eingriffen typischerweise oder auch nur in Ausnahmefällen auftreten und nicht (bzw nicht beweisbar) auf ein irgendwie geartetes fehlerhaftes Verhalten der Krankenhausärzte oder des Pflegepersonals zurückzuführen sind, also unvermeidbar erscheinen und einem schicksalhaften Verlauf entsprechen, in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallen - so die Ansicht der Krankenkassen (ebenso van der Ploeg, NZS 2011, 808) - oder dem Verantwortungsbereich der Kostenpflichtigen, also der Krankenkassen und der Versicherten zuzurechnen sind - so die Auffassung der Krankenhausträger (ebenso Leber, Das Krankenhaus 2011, 1010). Diese Streitfrage ist zugunsten der Krankenkassen und der Versicherten zu entscheiden, weil sowohl nach dem Wortlaut als auch nach Sinn und Zweck der Vergütungsregelungen für stationäre Behandlungen diese unvermeidbaren Komplikationen in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallen, sofern sie vor Ablauf der oberen Grenzverweildauer zur Wiederaufnahme des Versicherten führen.

24

7. a) Vergütungsregelungen sind grundsätzlich streng nach ihrem Wortlaut auszulegen; nur so sind sie für die routinemäßige Anwendung in zahlreichen Behandlungsfällen handhabbar (vgl allgemein zur Funktion von Vergütungsregelungen: BSG SozR 3-5565 § 14 Nr 2; BSG SozR 3-5565 § 15 Nr 1; BSG SozR 4-2500 § 109 Nr 11 RdNr 18). Da das DRG-basierte Vergütungssystem vom Gesetzgeber als jährlich weiterzuentwickelndes (§ 17b Abs 2 S 1 KHG) und damit "lernendes" System angelegt ist, sind bei zutage tretenden Unrichtigkeiten, Unbilligkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese Mängel mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (BSGE 107, 140 = SozR 4-2500 § 109 Nr 21, RdNr 18 mwN). Der Begriff "Verantwortungsbereich" knüpft an die Begriffe "Verantwortung" und "verantworten" an. Im hier maßgeblichen Zusammenhang der rechtlichen (also nicht der politischen, moralischen, sozialen oder religiösen) Verantwortung bedeutet der Begriff die (gesetzliche oder vertragliche) Verpflichtung, für "etwas Geschehenes" einzustehen (vgl Duden, Deutsches Universal-Wörterbuch, 5. Aufl 2003, Stichworte "Verantwortung" und "verantworten"), und zwar unabhängig davon, ob das "Geschehene" auf einem vorwerfbaren Verhalten des Verantwortungsträgers beruht oder für ihn unvermeidbar ist. Beide Alternativen fallen in die "Risikosphäre" des Verantwortungsträgers und damit in seinen Verantwortungsbereich (ebenso van der Ploeg, NZS 2011, 808, 809). Die von der Beklagten vertretene Rechtsauffassung liefe dagegen auf eine Gleichsetzung der Begriffe Verantwortung und Schuld hinaus. Dies kann nicht gemeint sein, weil das Vorliegen von Schuld voraussetzt, dass der Verantwortungsträger oder die für ihn handelnde Person vorsätzlich oder fahrlässig gegen Rechtsnormen, vertragliche Verpflichtungen oder - hier von besonderem Interesse - gegen medizinische oder pflegerische Standards bzw Leitlinien verstoßen hat. Darum geht es vorliegend aber nicht, sondern vielmehr um die Frage, ob jemanden die Verantwortung für eine negative Folge auch dann treffen kann, wenn zwar korrekt gehandelt worden ist, daraus aber gleichwohl eine negative Folge erwachsen ist. Deshalb schließt sich der Senat der Rechtsauffassung der Klägerin an.

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b) Bestätigt wird diese am Wortlaut orientierte Auslegung des § 2 Abs 3 FPV 2008/2009 durch den Sinn und Zweck der Regelung. Ziel der Fallzusammenführung ist es, im Hinblick auf mögliche Komplikationen zu frühe Entlassungen der Patienten zu vermeiden, zumindest keinen finanziellen Anreiz in diese Richtung zu geben. Da mit der Fallpauschale die Behandlung eines Patienten bis zur festgelegten oberen Grenzverweildauer vergütet wird, muss das Krankenhaus auch bei der Wiederaufnahme eines Patienten wegen einer Komplikation in diesem Zeitraum seine Leistungen grundsätzlich ohne Abrechnung eines zweiten Behandlungsfalls erbringen, kann dann aber die Gesamtleistung durch die Fallzusammenführung regelmäßig nach einer anderen, höher vergüteten DRG abrechnen. Das Krankenhaus trägt somit das Risiko von innerhalb der oberen Grenzverweildauer auftretenden Komplikationen (vgl die Begründung zu § 8 Abs 5 S 1 KHEntgG, BT-Drucks 15/994, S 22),soweit sie nicht auf das Verhalten des Versicherten oder Dritter zurückzuführen sind. Stellt sich folglich ein konkreter stationärer Behandlungsbedarf als spezifische Folge einer Erkrankung bzw deren Behandlung dar, auf die sich der Behandlungsauftrag des Krankenhauses bereits während des vorangegangenen Krankenhausaufenthalts erstreckt hat, und erfolgt wegen dieser Komplikation noch innerhalb der oberen Grenzverweildauer die Wiederaufnahme des Versicherten, so bleibt das Krankenhaus aufgrund desselben Behandlungsauftrags auch für die weitere Krankenhausbehandlung verantwortlich und hat Anspruch auf eine einheitliche Vergütung. Wenn die nach Beginn der Behandlung eingetretenen Komplikationen bis zum Ablauf der oberen Grenzverweildauer auftreten und Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit begründen, kann es keinen Unterschied machen, ob der Patient sich ununterbrochen in der Klinik aufgehalten hat oder ob das Krankenhaus ihn zwischenzeitlich entlassen hatte. Denn mit dem Eintritt der Komplikation verwirklicht sich gerade das spezifische Gesundheitsrisiko des Behandlungsfalles, das zu bekämpfen das Krankenhaus gegen Zahlung der Fallpauschale beauftragt worden ist.

26

Trifft dies schon auf Fälle unvorhersehbarer, atypischer Komplikationen zu, so muss es für absehbare, behandlungstypische Nebenwirkungen erst recht gelten. Nur wenn die erneute Einweisung in dasselbe Krankenhaus auf Umständen beruht, die mit der früheren Behandlung in keinerlei Zusammenhang im Sinne direkter oder gemeinsamer Ursächlichkeit stehen, handelt es sich um einen neuen Behandlungsfall, der zur Abrechnung einer weiteren Fallpauschale berechtigt.

27

c) Das Krankenhaus wird durch die Anwendung dieser Regelung nicht ungerechtfertigt aus Gründen benachteiligt, die außerhalb seiner Verantwortung liegen. Die Verantwortung des Krankenhauses wird durch den Auftrag zur Behandlung der Erkrankung bestimmt, welche die Veranlassung für den (ersten) Krankenhausaufenthalt gegeben oder auf die sich die Behandlung sonst erstreckt hat. Auf ein Verschulden hinsichtlich der erneuten Behandlungsbedürftigkeit kommt es dabei nicht an. Ungerechtfertigt wäre es vielmehr, einen zusammenhängenden Krankheits- und Behandlungsfall innerhalb der oberen Grenzverweildauer in zwei Behandlungsfälle aufzuspalten und dem Krankenhaus so einen Anreiz zu bieten, durch die - mehr oder weniger zufällige oder sogar willkürliche - zwischenzeitliche Entlassung des Patienten eine weitere Fallpauschale geltend zu machen, obwohl der ursprüngliche Behandlungsfall im Ganzen betrachtet noch nicht abgeschlossen war.

28

d) Die grundsätzliche Zuordnung der unvermeidbaren Komplikationen zum Verantwortungsbereich der Krankenhäuser wird bestätigt durch die ebenfalls zum 1.1.2008 in die FPV aufgenommene Regelung des § 2 Abs 3 S 2, wonach eine Fallzusammenführung und Neueinstufung nicht vorgenommen wird bei unvermeidbaren Nebenwirkungen von Chemotherapien und Strahlentherapien im Rahmen onkologischer Behandlungen. Diese Zusatzregelung wäre überflüssig, wenn unvermeidbare Komplikationen, zu denen nach den Internationalen Klassifikationen der Krankheiten (ICD 10, vgl dort Nr Y 57.9) auch typische Nebenwirkungen von Arzneimitteltherapien und deren Folgen gehören können (van der Ploeg, NZS 2011, 808), ohnehin nicht in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallen würden.

29

8. Der Anspruch auf Zahlung von Zinsen auf den Betrag von 388,79 Euro in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 15.10.2010 beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 15 Abs 1 KBV-NRW iVm § 1 Diskonsatz-Überleitungsgesetz(DÜG = Art 1 EuroEG).

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a) Zwar gilt die Bestimmung des § 15 Abs 1 KBV-NRW ihrem Wortlaut nach nur für Vergütungsforderungen des Krankenhauses. Die Rechnungen sind danach innerhalb von 15 Kalendertagen nach Eingang bei der Krankenkasse zu bezahlen; bei Überschreitung des Zahlungsziels kann das Krankenhaus Verzugszinsen in Höhe von 2 % über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank ab dem auf den Fälligkeitstag folgenden Tag verlangen. Für die Verzinsung von Erstattungsforderungen der Krankenkassen findet sich im KBV-NRW keine eigenständige Regelung. Dies beruht möglicherweise darauf, dass nach § 15 Abs 4 KBV-NRW für Erstattungsforderungen der Krankenkassen eine weitgehende Verrechnungsregelung getroffen worden ist. Die Vorschrift lautet: "Beanstandungen rechnerischer oder sachlicher Art können auch nach Bezahlung der Rechnung geltend gemacht werden. Bei Beanstandungen rechnerischer Art sowie nach Rücknahme der Kostenzusage und falls eine Abrechnung auf vom Krankenhaus zu vertretenden unzutreffenden Angaben beruht, können überzahlte Beträge verrechnet werden." Beim Streit um eine nachträglich durchzuführende Fallzusammenführung nach § 8 Abs 5 KHEntgG iVm § 2 Abs 3 FPV 2008/2009 geht es indes um eine Beanstandung sachlicher Art durch die Krankenkasse, die keine Verrechnungsmöglichkeit nach dieser Vorschrift auslöst, weil die Voraussetzungen der drei dort genannten Varianten nicht erfüllt sind. Da die Krankenkassen für die in § 15 Abs 4 KBV-NRW nicht genannten Arten der Beanstandungen also auf die klageweise Durchsetzung ihrer Erstattungsansprüche angewiesen sind und es mit Blick auf die Gleichordnung von Krankenhausträgern und Krankenkassen und einen fairen Ausgleich ihrer Interessen keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Vertragspartner des KBV-NRW für diese Erstattungsansprüche eine Verzinsung bewusst ausschließen wollten, kann die Regelungslücke in ergänzender Vertragsauslegung(vgl Palandt/Ellenberger, BGB, 71. Aufl 2012, § 157 RdNr 3-4) durch die analoge Anwendung des § 15 Abs 1 KBV-NRW geschlossen werden. Der erkennende Senat ist zur eigenständigen Auslegung dieses nur im Bezirk des LSG Nordrhein-Westfalen geltenden und daher grundsätzlich dem irrevisiblen Recht zugehörenden Landesvertrages (§ 162 SGG) befugt, weil das SG den KBV-NRW nicht selbst angewandt und ausgelegt hat (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 162 RdNr 5-5a, 7b mwN). Die Möglichkeit, über § 69 Abs 1 S 3 SGB V zu einer entsprechenden Anwendung der §§ 286, 288 BGB zu gelangen, scheidet aus, weil dies zu einem Verzugszinssatz von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank führen würde(vgl § 288 Abs 1 BGB; ein Zinssatz von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 288 Abs 2 BGB wäre nicht gerechtfertigt, weil eine Forderung aus einem Erstattungsanspruch keine "Entgeltforderung" iS dieser Vorschrift darstellt, vgl Palandt/Grüneberg, aaO, § 288 RdNr 8); die Krankenkassen wären insoweit hinsichtlich der Zinshöhe besser gestellt als die Krankenhäuser, was nach dem Prinzip der Ausgewogenheiten der beiderseitigen Rechte und Pflichten nicht zu rechtfertigen wäre.

31

b) Die Klägerin kann somit einen Zinsanspruch in analoger Anwendung des § 15 Abs 1 KBV-NRW geltend machen, und zwar in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz. Zum 1.1.1999 ist der Diskontsatz der Deutschen Bundesbank, auf den § 15 Abs 1 S 4 KBV-NRW noch Bezug nimmt, vom Gesetzgeber generell durch den Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank ersetzt worden(§ 1 DÜG). Verzug ist nach § 15 Abs 1 S 4 KBV-NRW iVm §§ 286, 288 BGB am 15.10.2010 eingetreten, weil die Beklagte die Frist zur Erfüllung des Erstattungsanspruchs, die bis zum 14.10.2010 gesetzt war, hat verstreichen lassen, ohne der Mahnung Folge zu leisten.

32

9. Da der Prüfauftrag der Klägerin an den MDK somit zu einer Absenkung der zu zahlenden Vergütung geführt hat, kann die Beklagte nicht die Aufwandspauschale nach § 275 Abs 1c S 3 SGB V verlangen. Der Ausspruch des SG zur Widerklage war deshalb aufzuheben.

33

10. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 1 VwGO. Sie berücksichtigt, dass die Klägerin den Erstattungsanspruch in erster Instanz zunächst zu hoch angesetzt hatte und die Klage erst nach der Teilrücknahme in vollem Umfang begründet war.

34

11. Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 3, § 45 Abs 1 und § 47 Abs 1 S 1, Abs 2 S 1 GKG. Die Streitwerte aus der Klage (388,79 Euro) und der Widerklage (300 Euro) waren zusammenzurechnen, obwohl die Widerklage erstinstanzlich nur für den Fall der Abweisung der Klage - also als Eventualwiderklage - erhoben worden ist. Obgleich es zweitinstanzlich nicht zu dieser prozessualen Bedingung gekommen ist, weil die Klage erfolgreich war, musste der erkennende Senat im Revisionsverfahren auch über die Widerklage entscheiden, weil diese uneingeschränkter Streitgegenstand der Revision war, nachdem das SG über die Eventualwiderklage - nach seiner Rechtsauffassung folgerichtig - materiell entschieden hatte, die Beteiligten im Revisionsverfahren widerstreitende Anträge zur Widerklage gestellt haben und der Ausspruch des SG über die Verurteilung der Klägerin zur Zahlung der Aufwandspauschale nebst Zinsen nach dem Erfolg der Klage beseitigt werden musste.

                 

(1) Gegen das Urteil eines Verwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 2) steht den Beteiligten die Revision unter Übergehung der Berufungsinstanz zu, wenn der Kläger und der Beklagte der Einlegung der Sprungrevision schriftlich zustimmen und wenn sie von dem Verwaltungsgericht im Urteil oder auf Antrag durch Beschluß zugelassen wird. Der Antrag ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich zu stellen. Die Zustimmung zu der Einlegung der Sprungrevision ist dem Antrag oder, wenn die Revision im Urteil zugelassen ist, der Revisionsschrift beizufügen.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 vorliegen. Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Die Ablehnung der Zulassung ist unanfechtbar.

(3) Lehnt das Verwaltungsgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluß ab, beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Frist für den Antrag auf Zulassung der Berufung von neuem, sofern der Antrag in der gesetzlichen Frist und Form gestellt und die Zustimmungserklärung beigefügt war. Läßt das Verwaltungsgericht die Revision durch Beschluß zu, beginnt der Lauf der Revisionsfrist mit der Zustellung dieser Entscheidung.

(4) Die Revision kann nicht auf Mängel des Verfahrens gestützt werden.

(5) Die Einlegung der Revision und die Zustimmung gelten als Verzicht auf die Berufung, wenn das Verwaltungsgericht die Revision zugelassen hat.

(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil auf der Verletzung

1.
von Bundesrecht oder
2.
einer Vorschrift des Verwaltungsverfahrensgesetzes eines Landes, die ihrem Wortlaut nach mit dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes übereinstimmt,
beruht.

(2) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

(3) Wird die Revision auf Verfahrensmängel gestützt und liegt nicht zugleich eine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 vor, so ist nur über die geltend gemachten Verfahrensmängel zu entscheiden. Im übrigen ist das Bundesverwaltungsgericht an die geltend gemachten Revisionsgründe nicht gebunden.

(1) Steuern können niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, können bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Mit Zustimmung des Steuerpflichtigen kann bei Steuern vom Einkommen zugelassen werden, dass einzelne Besteuerungsgrundlagen, soweit sie die Steuer erhöhen, bei der Steuerfestsetzung erst zu einer späteren Zeit und, soweit sie die Steuer mindern, schon zu einer früheren Zeit berücksichtigt werden.

(2) Eine Billigkeitsmaßnahme nach Absatz 1 kann mit der Steuerfestsetzung verbunden werden, für die sie von Bedeutung ist.

(3) Eine Billigkeitsmaßnahme nach Absatz 1 steht in den Fällen des Absatzes 2 stets unter Vorbehalt des Widerrufs, wenn sie

1.
von der Finanzbehörde nicht ausdrücklich als eigenständige Billigkeitsentscheidung ausgesprochen worden ist,
2.
mit einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 verbunden ist oder
3.
mit einer vorläufigen Steuerfestsetzung nach § 165 verbunden ist und der Grund der Vorläufigkeit auch für die Entscheidung nach Absatz 1 von Bedeutung ist.
In den Fällen von Satz 1 Nummer 1 entfällt der Vorbehalt des Widerrufs, wenn die Festsetzungsfrist für die Steuerfestsetzung abläuft, für die die Billigkeitsmaßnahme Grundlagenbescheid ist. In den Fällen von Satz 1 Nummer 2 entfällt der Vorbehalt des Widerrufs mit Aufhebung oder Entfallen des Vorbehalts der Nachprüfung der Steuerfestsetzung, für die die Billigkeitsmaßnahme Grundlagenbescheid ist. In den Fällen von Satz 1 Nummer 3 entfällt der Vorbehalt des Widerrufs mit Eintritt der Endgültigkeit der Steuerfestsetzung, für die die Billigkeitsmaßnahme Grundlagenbescheid ist.

(4) Ist eine Billigkeitsmaßnahme nach Absatz 1, die nach Absatz 3 unter Vorbehalt des Widerrufs steht, rechtswidrig, ist sie mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. § 130 Absatz 3 Satz 1 gilt in diesem Fall nicht.

Tatbestand

1

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob eine abweichende Steuerfestsetzung oder ein Steuererlass gemäß §§ 163, 227 der Abgabenordnung (AO) vorzunehmen ist, weil die auf der Hinzurechnung gezahlter Pachtzinsen gemäß § 8 Nr. 1 Buchst. e des Gewerbesteuergesetzes 2002 i.d.F. des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 vom 14. August 2007 (BGBl I 2007, 1912, BStBl I 2007, 630) und des Jahressteuergesetzes 2008 vom 20. Dezember 2007 (BGBl I 2007, 3150, BStBl I 2008, 218) --GewStG 2002 n.F.-- beruhende Besteuerung zu unbilligen Ergebnissen führt.

2

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, pachtete von einem Dritten für zunächst 20 Jahre zwei Hotels. Diese betrieb sie allerdings nicht selbst, sondern überließ die Gebäude einem anderen Unternehmen im Wege der Unterpacht zur Nutzung. Aus ihrer Tätigkeit als Zwischenverpächterin erzielte sie im Streitjahr 2008 einen Gewinn aus Gewerbebetrieb in Höhe von 105.395 €. Die Körperschaftsteuer wurde zunächst auf 15.809 € und schließlich in Folge eines Verlustrücktrags aus 2009 auf 0 € festgesetzt. Bei der Ermittlung des Gewerbeertrags berücksichtigte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) u.a. Hinzurechnungen wegen geleisteter Pachtzahlungen in Höhe von 522.790 € und setzte schließlich den Gewerbesteuermessbetrag mit 21.927,50 € und die Gewerbesteuer mit 89.901,70 € fest. Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb ebenso erfolglos wie der parallel gestellte und ebenfalls im Einspruchsverfahren weiter verfolgte Antrag, die Gewerbe- und Körperschaftsteuer 2008 aus Billigkeitsgründen abweichend auf insgesamt 67.000 € festzusetzen bzw. in Höhe von 39.579 € zu erlassen. Während das Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg mit dem angegriffenen Urteil die gegen den Gewerbesteuermessbescheid gerichtete Anfechtungsklage als unbegründet abwies, gab es dem im Wege der Verpflichtungsklage verfolgten Billigkeitsbegehren teilweise statt. Das Urteil vom 30. Januar 2013  12 K 12197/10 ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2013, 1062 abgedruckt.

3

Mit seiner Revision rügt das FA eine Verletzung des § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. §§ 163, 227 AO. Das FG habe zu Unrecht einen Ermessensfehler beanstandet. Die Steuererhebung bei den von der streitigen Hinzurechnungsvorschrift besonders betroffenen gewerblichen Zwischenvermietern oder -verpächtern sei nicht sachlich unbillig.

4

Das FA beantragt sinngemäß, das FG-Urteil, soweit es die Verpflichtung zur Neubescheidung des Erlassantrages ausspricht, aufzuheben und die Verpflichtungsklage abzuweisen.

5

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

6

Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

7

II. Die Revision ist begründet und führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO zur teilweisen Aufhebung des FG-Urteils und zur Abweisung der Verpflichtungsklage. Die Entscheidung des FG verletzt § 102 FGO. Das FA hat den Billigkeitsantrag der Klägerin ermessensfehlerfrei abgelehnt.

8

1. Nach § 163 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Unter denselben Voraussetzungen können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder teilweise erlassen werden (§ 227 AO). Die Entscheidung über den Erlass von Steuern i.S. der §§ 163, 227 AO ist eine Ermessensentscheidung (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 6. Juni 1991 V R 102/86, BFH/NV 1992, 787).

9

Soweit die Behörden ermächtigt sind, nach ihrem Ermessen zu entscheiden, hat sich die gerichtliche Prüfung darauf zu beschränken, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (§ 102 FGO).

10

Die Festsetzung einer Steuer ist aus sachlichen Gründen unbillig, wenn sie zwar dem Wortlaut des Gesetzes entspricht, aber den Wertungen des Gesetzes zuwiderläuft. Das setzt voraus, dass der Gesetzgeber die Grundlagen für die Steuerfestsetzung anders als tatsächlich geschehen geregelt hätte, wenn er die zu beurteilende Frage als regelungsbedürftig erkannt hätte. Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt dagegen keine Billigkeitsmaßnahme (Senatsurteil vom 21. Oktober 2009 I R 112/08, BFH/NV 2010, 606, m.w.N.).

11

2. Bei Beachtung dieser Grundsätze hätte das FG der Klage nicht teilweise stattgeben dürfen. Denn die Besteuerung der Klägerin läuft den Wertungen des Gesetzgebers nicht zuwider. Persönliche Unbilligkeitsgründe sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

12

a) Bei den Hinzurechnungen gemäß § 8 GewStG 2002 n.F. handelt es sich der Sache nach um Betriebsausgabenabzugsbeschränkungen (vgl. nur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 13. Mai 1969  1 BvR 25/65, BVerfGE 26, 1; Blümich/Hofmeister, § 8 GewStG Rz 21), die dazu führen können, dass im Falle eines niedrigen körperschaftsteuerrechtlichen Gewinns oder eines Verlusts Gewerbesteuer zu zahlen ist, die den körperschaftsteuerrechtlichen Gewinn aufzehrt oder im Falle des Verlusts sogar die Vermögenssubstanz des Unternehmens angreift. Es handelt sich hierbei um eine Belastungsfolge, die im gesetzgeberischen Konzept einer ertragsorientierten Objektsteuer (vgl. dazu BVerfG-Beschluss vom 15. Januar 2008  1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1, m.w.N.) angelegt ist. Wäre der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass die beschriebenen Hinzurechnungsfolgen nicht hinnehmbar sind, dann hätte es nahe gelegen, der Berechnung des Gewerbesteuermessbetrags lediglich den nach ertragsteuerrechtlichen Grundsätzen ermittelten Gewinn zugrunde zu legen und auf Hinzurechnungen und Kürzungen generell zu verzichten. Dies hätte dem Prinzip der Gewerbesteuer als Objektsteuer aber widersprochen (BFH-Urteil vom 5. Juli 1973 IV R 215/71, BFHE 110, 50, BStBl II 1973, 739). Die durch die Hinzurechnungen bewirkten Besteuerungsfolgen entsprechen damit im Regelfall den gesetzgeberischen Wertungen und können nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung grundsätzlich keinen Erlass der Gewerbesteuer wegen sachlicher Unbilligkeit rechtfertigen  (Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. August 1977 VII B 40/77, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1978, 70; BFH-Urteile in BFHE 110, 50, BStBl II 1973, 739; vom 21. April 1977 IV R 161-162/75, BFHE 122, 141, BStBl II 1977, 512, zur Substanzbesteuerung durch Erhebung der Lohnsummensteuer; BFH-Beschluss vom 5. April 2005 IV B 96/03, BFH/NV 2005, 1564).

13

An dieser Rechtsprechung ist auch für die durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 geschaffene Rechtslage festzuhalten. Mit diesem Gesetz wurden die den Steuertypus prägenden Hinzurechnungen zwar strukturell vereinheitlicht und ausgebaut (Senatsbeschluss vom 16. Oktober 2012 I B 128/12, BFHE 238, 452, BStBl II 2013, 30; BTDrucks 16/4841, 79). Was die Problematik der drohenden Substanzbesteuerung angeht, ist aber eine grundsätzliche Änderung der Rechtslage, die Einfluss auf die Anwendung der §§ 163, 227 AO haben könnte, nicht eingetreten. Dies gilt insbesondere auch für den neu geschaffenen Hinzurechnungstatbestand des § 8 Nr. 1 Buchst. e GewStG 2002 n.F. Auch dieser Tatbestand dient der Verwirklichung des Objektsteuerprinzips und kann, wie die anderen Hinzurechnungen, in ertragsschwachen Phasen eines Unternehmens zur Substanzbesteuerung führen.

14

b) Losgelöst von den Umständen des konkreten Einzelfalls kann die Tätigkeit als gewerblicher Zwischenvermieter als solche nicht zu einem Steuererlass wegen sachlicher Unbilligkeit führen. Der Senat hat in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erwogen, ob die Sonderkonstellation gewerblicher Zwischenvermieter ggf. durch einen Billigkeitserweis zu bewältigen ist (Senatsbeschluss in BFHE 238, 452, BStBl II 2013, 30). Diese Überlegung ist dahin zu präzisieren, dass die Besonderheiten, die diese Tätigkeit objektiv prägen, für sich genommen nicht geeignet sind, eine hohe Gewerbesteuerbelastung als sachlich unbillig bewerten zu können. Es müssen daher weitere konkrete Umstände hinzutreten, die nach Lage des einzelnen Falls zu besonderen Besteuerungshärten führen.

15

aa) Gewerbliche Zwischenvermieter --also Steuerpflichtige, deren unternehmerische Tätigkeit sich im Wesentlichen auf die Tätigkeit des An- und Weitervermietens von Immobilien beschränkt-- sind im Wesentlichen aus zwei Gründen besonderen Belastungen durch die Hinzurechnungsvorschriften ausgesetzt. Zum einen unterliegt nach ihrem Geschäftsmodell der wesentliche Teil ihrer betrieblichen Aufwendungen, gewissermaßen ihr gesamter "Wareneinsatz", durch die Hinzurechnung der gezahlten Grundstücksmieten oder -pachten (§ 8 Nr. 1 Buchst. e GewStG 2002 n.F.) einer Abzugsbeschränkung. Zum anderen lassen die besonderen Verhältnisse ihres Marktes häufig keine auskömmlichen Gewinne zu (niedrige Margen, allgemein steigende Mietpreise beeinflussen die Einnahmen- und Ausgabenseite gleichermaßen u.ä., vgl. Grünwald/Friz, Deutsches Steuerrecht 2012, 2106). Damit unterscheiden sich gewerbliche Zwischenvermieter im Kern aber nicht von solchen anderen Betrieben, die mit hohem Fremdkapitaleinsatz arbeiten und ertragsschwach sind. Alle Unternehmen, die ihre Geschäftstätigkeit zum wesentlichen Teil --z.B. mit Schulden i.S. des § 8 Nr. 1 Buchst. a GewStG 2002 n.F.-- fremdfinanzieren und höhere Preise und damit höhere Gewinne auf ihrem Markt nicht durchsetzen können, werden von den verschiedenen Hinzurechnungstatbeständen empfindlich getroffen (vgl. Blümich/Hofmeister, § 8 GewStG Rz 22). Auch die Ertragsschwäche dieser Unternehmen ist selbstverständlich nicht Folge eines "freiwilligen Gewinnverzichts", sondern beruht regelmäßig auf den speziellen Strukturen des jeweiligen Marktes und den dort herrschenden konjunkturellen Verhältnissen, die im Ergebnis der Durchsetzung nennenswert höherer Gewinnmargen oder der Senkung der Kosten entgegenstehen. Die Situation speziell der Klägerin stellt sich im Vergleich zu einem Verlustbetrieb sogar deutlich günstiger dar, weil die langfristig angelegten Pachtverträge immerhin zu einem dauerhaften "Rohgewinn" führen. Die Anwendung der Hinzurechnungsvorschriften und der etwaige Erlass von auf deren Anwendung beruhenden Steuern können auf die vielfältigen Gewinneinflussfaktoren grundsätzlich keine Rücksicht nehmen. Die aus der Kombination von Ertragsschwäche und Hinzurechnungshöhe resultierenden besonderen Gewerbesteuerlasten sind bei einer Objektsteuer unvermeidlich angelegt und grundsätzlich nicht durch einen Billigkeitserlass zu korrigieren.

16

Eine Sonderstellung der gewerblichen Zwischenvermietung kann schließlich entgegen der Auffassung des FG auch nicht daraus hergeleitet werden, dass der Gesetzgeber für Leasinggesellschaften mit § 19 Abs. 3 Nr. 4 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung (GewStDV 2002) i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2009 vom 19. Dezember 2008 (BGBl I 2008, 2794, BStBl I 2009, 74; jetzt § 19 Abs. 4 GewStDV 2002 i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 8. April 2010, BGBl I 2010, 386, BStBl I 2010, 334) eine spezielle Begünstigungsnorm geschaffen hat. Denn diese beruht darauf, dass Leasinggesellschaften --im Unterschied zu gewerblichen Zwischenvermietern-- der eingeschränkten Kreditaufsicht unterworfen wurden und sie bei der Finanzierung von Unternehmensinvestitionen im Wettbewerb mit Kreditinstituten stehen, die ebenfalls der Aufsicht unterliegen und von Hinzurechnungen gemäß § 8 Nr. 1 Buchst. a GewStG 2002 n.F. weitgehend verschont werden (zu Einzelheiten vgl. BTDrucks 16/11108, 32; Blümich/Hofmeister, § 8 GewStG Rz 102a und 105).

17

bb) Damit sind entgegen der Auffassung des FG auch bei gewerblichen Zwischenvermietern Billigkeitsmaßnahmen nicht schon wegen dieser besonderen Art der Geschäftstätigkeit, sondern nur nach Lage des einzelnen Falls (vgl. Wortlaut der §§ 163, 227 AO) anhand der von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zu erwägen. Unter dem vorliegend streitigen Aspekt der Unbilligkeit besteht die Besonderheit der gewerblichen Zwischenvermietung demnach allein darin, dass der Inhaber des Betriebs wegen seiner hohen Hinzurechnungsbelastung diese allgemein geltenden Kriterien in seinem konkreten Einzelfall möglicherweise eher erfüllen wird als ein anderer Unternehmer.

18

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist ein Steuererlass im Einzelfall geboten, wenn die Gewerbesteuer bei einer über mehrere Jahre andauernden Verlustperiode nicht aus dem Ertrag des Unternehmens, sondern aus dessen Substanz geleistet werden muss und dies im Zusammenwirken mit anderen Steuerarten zu existenzgefährdenden oder existenzvernichtenden Härten führt (vgl. BVerfG-Entscheidung vom 21. Dezember 1966  1 BvR 33/64, BVerfGE 21, 54; BVerfG-Beschluss vom 1. Juni 1978  1 BvR 364/78, HFR 1978, 340, jeweils zur Substanzbesteuerung durch Erhebung der Lohnsummensteuer; BFH-Urteile in BFHE 110, 50, BStBl II 1973, 739; in BFHE 122, 141, BStBl II 1977, 512; BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 1564; vgl. auch BVerfG-Beschluss vom 5. April 1978  1 BvR 117/73, BVerfGE 48, 102, zur Milderung von Typisierungshärten durch Erlass von Steuern im Einzelfall). Dieser Rechtsprechung schließt sich der Senat an. Ob und unter welchen einzelnen Voraussetzungen ein Billigkeitserlass zur Vermeidung einer Übermaßbesteuerung auch dann geboten sein kann, wenn kontinuierlich erzielte Gewinne jeweils durch die Gewerbesteuer aufgezehrt werden, bedarf keiner Entscheidung, weil ein solcher Fall vorliegend nicht zur Beurteilung ansteht (s. nachfolgend unter II.2.c der Gründe dieses Urteils). Ein Billigkeitserlass scheidet jedenfalls dann aus, wenn ein Unternehmen in einem einzelnen Jahr einen Verlust oder nur einen geringen Gewinn erwirtschaftet und in Folge von Hinzurechnungen --oder anderer ertragsunabhängiger gewerbesteuerrechtlicher Elemente (z.B. Lohnsummensteuer)-- trotz Verlusts überhaupt Gewerbesteuer zahlen muss oder die Zahllast die Höhe des Gewinns übersteigt. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist die Besteuerung in einem solchen Fall nicht unverhältnismäßig und verstößt deshalb weder gegen die Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes --GG--) noch die Berufsfreiheit (Art. 12 GG; BVerfG-Entscheidung in BVerfGE 26, 1; BVerfG-Beschluss in HFR 1978, 340; BFH-Urteile in BFHE 110, 50, BStBl II 1973, 739, und in BFHE 122, 141, BStBl II 1977, 512). Wollte man dies anders sehen und einen Gewerbesteuererlass bereits bei einer punktuellen Substanzbesteuerung als verfassungsrechtlich geboten erachten, dann müsste der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Gewerbesteuer unter faktischem Verzicht auf Hinzurechnungen und andere objektsteuertypische Elemente den ertragsteuerlichen Gewinn zur alleinigen Richtgröße erheben. Die Entscheidung des BVerfG, wonach die Gewerbesteuer als solche in ihrer Grundstruktur (ertragsorientierte Objektsteuer) und herkömmlichen Ausgestaltung verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 120, 1), wäre damit obsolet. Auch der von der Klägerin während des Billigkeitsverfahrens ins Feld geführte Halbteilungsgrundsatz, wonach die Körperschaft- und Gewerbesteuerbelastung auf 50 % des Ergebnisses der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit zu beschränken sei, gebietet einen Teilerlass der Gewerbesteuer nicht, weil sich aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 GG keine allgemein verbindliche, absolute Belastungsobergrenze in der Nähe einer hälftigen Teilung ("Halbteilungsgrundsatz") ableiten lässt (BVerfG-Beschluss vom 18. Januar 2006  2 BvR 2194/99, BVerfGE 115, 97). Gibt es eine solche Grenze aber nicht, dann kann sie auch kein Maßstab für eine Billigkeitsentscheidung sein.

19

c) Die Ablehnung des Erlassantrages durch das FA ist danach nicht zu beanstanden. Eine sachliche Unbilligkeit der Besteuerung ist nicht gegeben. Die Klägerin befand sich nicht in einer anhaltenden Verlustphase. Sie erzielte vielmehr einen namhaften Gewinn, der nahezu ausreichte, um die Gewerbe- und Körperschaftsteuer des Streitjahres --selbst ohne Berücksichtigung des Verlustrücktrags aus dem Jahr 2009 und den dadurch bewirkten Wegfall der Körperschaftsteuerbelastung-- zahlen zu können. Eine Existenzgefährdung wurde im Antrag lediglich pauschal behauptet, aber nicht substantiiert dargelegt. Ferner ist nicht geltend gemacht, dass die vom FG festgestellte vorzeitige Beendigung der Verpachtung zur Jahresmitte 2009 etwas mit der damaligen Steuerrechtslage zu tun hatte.

(1) Steuern können niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, können bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Mit Zustimmung des Steuerpflichtigen kann bei Steuern vom Einkommen zugelassen werden, dass einzelne Besteuerungsgrundlagen, soweit sie die Steuer erhöhen, bei der Steuerfestsetzung erst zu einer späteren Zeit und, soweit sie die Steuer mindern, schon zu einer früheren Zeit berücksichtigt werden.

(2) Eine Billigkeitsmaßnahme nach Absatz 1 kann mit der Steuerfestsetzung verbunden werden, für die sie von Bedeutung ist.

(3) Eine Billigkeitsmaßnahme nach Absatz 1 steht in den Fällen des Absatzes 2 stets unter Vorbehalt des Widerrufs, wenn sie

1.
von der Finanzbehörde nicht ausdrücklich als eigenständige Billigkeitsentscheidung ausgesprochen worden ist,
2.
mit einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 verbunden ist oder
3.
mit einer vorläufigen Steuerfestsetzung nach § 165 verbunden ist und der Grund der Vorläufigkeit auch für die Entscheidung nach Absatz 1 von Bedeutung ist.
In den Fällen von Satz 1 Nummer 1 entfällt der Vorbehalt des Widerrufs, wenn die Festsetzungsfrist für die Steuerfestsetzung abläuft, für die die Billigkeitsmaßnahme Grundlagenbescheid ist. In den Fällen von Satz 1 Nummer 2 entfällt der Vorbehalt des Widerrufs mit Aufhebung oder Entfallen des Vorbehalts der Nachprüfung der Steuerfestsetzung, für die die Billigkeitsmaßnahme Grundlagenbescheid ist. In den Fällen von Satz 1 Nummer 3 entfällt der Vorbehalt des Widerrufs mit Eintritt der Endgültigkeit der Steuerfestsetzung, für die die Billigkeitsmaßnahme Grundlagenbescheid ist.

(4) Ist eine Billigkeitsmaßnahme nach Absatz 1, die nach Absatz 3 unter Vorbehalt des Widerrufs steht, rechtswidrig, ist sie mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. § 130 Absatz 3 Satz 1 gilt in diesem Fall nicht.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH & Co. KG, die mit notariellem Vertrag vom 16. September 1999 errichtet wurde und ein bestimmtes Grundstück in Berlin entwickeln sollte. Nachdem sich dieses Projekt nicht durchführen ließ, wurde "der Erwerb, die Entwicklung, die Vermietung, die Verwaltung und die Veräußerung von Immobilien jeder Art" zum Zweck der Klägerin erklärt; der Gesellschaftsvertrag wurde mit Vereinbarung vom 13. Februar 2002 entsprechend neu gefasst. In diesem Zusammenhang kam es auch zum Wechsel von Gesellschaftern. Komplementärin war von Anfang an eine nicht an Kapital, Vermögen und Ergebnis beteiligte GmbH. Neben der C-AG trat am 13. Februar 2002 die A-Bank der Klägerin als Kommanditistin bei. Diese wandelte ihre Kapitaleinlage mit Vereinbarung vom 23. Dezember 2002 in ein Mezzanine-Darlehen um und verkaufte gleichzeitig ihren Gesellschaftsanteil an die C-AG. Mit Beschluss vom 22. Dezember 2004 wurde die Klägerin aufgelöst; Liquidatorin ist die C-AG.

2

Mit Kaufvertrag vom 26. Oktober 2001 erwarb die Klägerin das Grundstück X. Sie plante, die aufstehenden Gebäude zu modernisieren und das Objekt anschließend zu verkaufen.

3

Nachdem sich Ende 2003 das Scheitern des Plans abgezeichnet hatte, schloss die Klägerin am 17. Februar 2004 einen Aufhebungsvertrag, durch den der Grundstückskauf mit sofortiger Wirkung rückabgewickelt wurde. Danach verfügte sie nicht mehr über Aktivvermögen. Um die Insolvenz zu vermeiden, bat die Klägerin mit Schreiben vom 20. Februar 2004 die A-Bank als Gläubigerin um einen Forderungsverzicht. Am 2. Juli 2004 verzichtete die A-Bank (mit Besserungsabrede) auf sämtliche Forderungen gegen die Klägerin. Außerdem verzichteten weitere Gläubiger, darunter die C-AG, auf ihre Forderungen. Die Klägerin buchte die Verbindlichkeiten im Erhebungszeitraum 2004 gewinnerhöhend aus. Hierdurch ergab sich für 2004 ein Jahresüberschuss von 1.862.924 €.

4

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) stellte zum 31. Dezember 2003 einen vortragsfähigen Gewerbeverlust in Höhe von 2.656.561 € fest. Für das Streitjahr 2004 ging das FA von einem Gewinn aus Gewerbebetrieb in Höhe von 1.862.924 € aus. Davon zog es einen Gewerbeverlust in Höhe von 1.517.754 € ab. Diesen Betrag ermittelte das FA nach § 10a Sätze 1 und 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) in der ab 1. Januar 2004 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes und anderer Gesetze vom 23. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2922, BStBl I 2004, 20) in der Weise, dass es den festgestellten vortragsfähigen Gewerbeverlust bis zur Höhe von 1 Mio. € in voller Höhe sowie von dem übersteigenden Betrag (862.924 €) 60 % (= 517.754 €) berücksichtigte. Danach verblieb ein gerundeter Gewerbeertrag von 345.100 €, woraus sich ein Gewerbesteuermessbetrag von 14.830 € und eine festgesetzte Gewerbesteuer für 2004 in Höhe von 60.803 € ergaben. Außerdem stellte das FA den vortragsfähigen Gewerbeverlust zum 31. Dezember 2004 mit 1.138.807 € fest.

5

Gegen die Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag 2004 und die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes zum 31. Dezember 2004 legte die Klägerin Einspruch ein und rügte einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot. Gleichzeitig beantragte sie sinngemäß, die Gewerbesteuer für 2004 gemäß § 163 der Abgabenordnung (AO) auf 0 € festzusetzen bzw. nach § 227 AO zu erlassen.

6

Das FA lehnte eine Billigkeitsmaßnahme ab. Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein.

7

Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück. Die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags und der Gewerbesteuer stehe im Einklang mit der Regelung des § 10a GewStG. Eine Billigkeitsfestsetzung nach § 163 AO komme nicht in Betracht. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 31. März 2004 X R 25/03 (BFH/NV 2004, 1212), das die Nichtberücksichtigung von Verlusten nach § 10d des Einkommensteuergesetzes (EStG) betreffe, sei die Erhebung einer Steuer unbillig, wenn sie im Einzelfall nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes nicht zu rechtfertigen sei und dessen Wertungen zuwiderlaufe. Der Gesetzgeber habe die mit der Beschränkung des Verlustabzugs verbundenen Härten ersichtlich in Kauf genommen, so dass eine Billigkeitsmaßnahme die generelle Geltungsanordnung des Steuergesetzes unterlaufen würde. Die Grundsätze des BFH-Urteils in BFH/NV 2004, 1212 ließen sich auf die Neuregelung des § 10a GewStG zum 1. Januar 2004 und die damit verbundene Einführung der Mindestbesteuerung übertragen.

8

Mit der daraufhin erhobenen Klage begehrte die Klägerin, den Gewerbesteuermessbetrag bzw. die Gewerbesteuer aus sachlichen Billigkeitsgründen nach § 163 AO auf 0 € festzusetzen oder die Gewerbesteuer nach § 227 AO zu erlassen. Das Finanzgericht (FG) hob die Einspruchsentscheidung auf und verpflichtete das FA, den Antrag der Klägerin auf Billigkeitsfestsetzung nach § 163 Satz 1 AO bzw. Billigkeitserlass nach § 227 AO bezüglich des Gewerbesteuermessbetrags 2004 und der Gewerbesteuer 2004 neu zu bescheiden. Das FA habe bei seiner Ermessensentscheidung nicht hinreichend berücksichtigt, dass im Streitfall bereits am Ende des Erhebungszeitraums 2004 und damit auch bei der Wirksamkeit des Gewerbesteuermess- und Gewerbesteuerbescheids 2004 erkennbar gewesen sei, dass der Verlustausgleich von gerundet 345.100 € aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen sein werde. Die Beteiligten seien übereinstimmend davon ausgegangen, dass die Klägerin ihre Tätigkeit nicht mehr aufnehmen werde und eine Entstehung von künftigen Gewinnen ausgeschlossen sei. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2010, 1576 veröffentlicht.

9

Dagegen richtet sich die Revision des FA. Der Umstand, dass die Klägerin die wirtschaftliche Tätigkeit beendet habe und der Gewerbeverlust endgültig untergehe, könne zwar im Rahmen der Billigkeitsentscheidung in Betracht gezogen werden. Aufgrund der Gesetzesfassung des § 10a GewStG sei davon auszugehen, dass es dem Willen des Gesetzgebers entspreche, dass ein vortragsfähiger Gewerbeverlust bei Beendigung eines Unternehmens nicht mehr genutzt werden könne und dass es ggf. im Jahr der Beendigung der gewerblichen Tätigkeit aufgrund der Mindestbesteuerung zur Festsetzung eines Gewerbesteuermessbetrags und von Gewerbesteuer kommen könne. Der Gesetzgeber habe von seiner weitgehenden Befugnis zur Vereinfachung und Typisierung Gebrauch gemacht und keine Sonderregelung für den Fall eines endgültigen Untergangs des bei Anwendung der Mindestbesteuerung verbleibenden Verlustvortrags vorgesehen. Zwar treffe es zu, dass im vorliegenden Fall bei Aufgabe des Gewerbebetriebs im Ergebnis ein wirtschaftlich nicht entstandener Totalgewinn versteuert werden müsse. Der Gesetzgeber sei jedoch nicht verpflichtet, einseitig zu Gunsten des Nettoprinzips den Wertungswiderspruch zwischen dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung und dem Grundsatz des Nettoprinzips zu lösen (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 22. Juli 1991  1 BvR 313/88, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1992, 423). Der Grundsatz der Rechtssicherheit müsse der Forderung nach Gerechtigkeit im Einzelfall allenfalls dann weichen, wenn ihm angesichts der Besonderheiten des vom Gesetzgeber geregelten Sachverhalts jede Tauglichkeit abzusprechen wäre. Das sei vorliegend nicht der Fall.

10

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

11

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

12

Im Streitfall führe die Mindestbesteuerung endgültig zum Ausschluss des Verlustausgleichs. Dies habe bereits im Verlustabzugsjahr festgestanden, denn der Gewinn erhöhende Forderungsverzicht seitens der Gläubiger sei gerade zu dem Zweck erfolgt, der Klägerin die geordnete Liquidation zu ermöglichen. Mindestbesteuerung und Ausschluss des Verlustabzugs stünden damit im ursächlichen Zusammenhang. Der BFH habe an der Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG verfassungsrechtliche Zweifel geäußert, wenn die spätere Verlustverrechnung endgültig ausgeschlossen sei (BFH-Beschluss vom 26. August 2010 I B 49/10, BFHE 230, 445, BStBl II 2011, 826). Solche Bedenken äußere auch das Hessische FG im Hinblick auf § 10a Satz 2 GewStG, wenn dessen Anwendung gegen das objektive Nettoprinzip verstoße (Beschluss vom 26. Juli 2010  8 V 938/10, EFG 2010, 1811). Diese Erwägungen müssten auch im Billigkeitsverfahren gelten. Vorliegend komme verschärfend hinzu, dass der steuerbelastete Ertrag nicht auf einem erwirtschafteten Gewinn, sondern auf einem reinen Buchgewinn beruhe.

13

Das Bundesministerium der Finanzen ist dem Verfahren beigetreten.

14

Es führt aus, § 227 AO stelle keine Ermächtigung zur Korrektur des Gesetzes dar. Die Billigkeitsmaßnahme dürfe nicht auf Erwägungen gestützt werden, die die vorgesehene Besteuerung allgemein oder für bestimmte Fallgruppen außer Kraft setzen würde. Ein Erlass wegen sachlicher Unbilligkeit sei nur insoweit durch die Vorschrift gedeckt, wie angenommen werden könne, der Gesetzgeber würde die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage --hätte er sie geregelt-- im Sinne des vorgesehenen Erlasses entscheiden (vgl. BFH-Urteil vom 23. März 1998 II R 41/96, BFHE 185, 270, BStBl II 1998, 396).

15

Der Umstand, dass im Streitfall eine volle Verrechnung der festgestellten Fehlbeträge unterbleibe, sei unmittelbare Folge der Änderung des § 10a GewStG. Es sei nicht Sache der Finanzverwaltung, diese gesetzgeberische Folge mittels Billigkeitsregelungen zu unterlaufen. Die Besteuerung widerspreche auch nicht dem Willen des Gesetzgebers. Dieser sei sich bei der Abfassung des Gesetzes bewusst gewesen, dass es im Einzelfall zur nicht vollständigen Verrechnung festgestellter Fehlbeträge kommen könne (BTDrucks 15/481, S. 5, rechte Spalte, zweiter Absatz). Die Anhebung des Sockelbetrags in der endgültig Gesetz gewordenen Fassung und die Diskussion um den Prozentsatz einer möglichen Verlustverrechnung zeigten, dass dem Gesetzgeber die Wirkung der Einschränkungen bewusst gewesen sei; eine Regelungslücke liege deshalb nicht vor.

16

Eine Billigkeitsmaßnahme sei nicht von Verfassungs wegen geboten. Der Gesetzgeber sei nicht verpflichtet, den Wertungswiderspruch zwischen dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung und dem Nettoprinzip einseitig zu Gunsten des Nettoprinzips zu lösen (BVerfG-Beschluss in HFR 1992, 423). In Fällen, in denen ein Fehlbetrag nicht vollständig verrechenbar sei, könne ein Verfassungsverstoß nicht einseitig auf das Gebot des objektiven Nettoprinzips gestützt werden.

Entscheidungsgründe

17

II. Die Revision des FA ist begründet. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Klage abgewiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass das FA die Voraussetzungen der §§ 163 Satz 1, 227 AO ermessensfehlerhaft verneint habe, weil es nicht hinreichend berücksichtigt habe, dass die Klägerin ihre wirtschaftliche Tätigkeit beendet habe und damit der vortragsfähige Gewerbeverlust endgültig untergehe.

18

1. Nach § 163 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, können bei der Festsetzung der Steuern unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Nach § 227 AO können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.

19

a) Der Zweck der §§ 163, 227 AO liegt darin, sachlichen und persönlichen Besonderheiten des Einzelfalles, die der Gesetzgeber in der Besteuerungsnorm nicht berücksichtigt hat, durch eine nicht den Steuerbescheid selbst ändernde Korrektur des Steuerbetrags insoweit Rechnung zu tragen, als sie die steuerliche Belastung als unbillig erscheinen lassen (BFH-Urteile vom 26. Mai 1994 IV R 51/93, BFHE 174, 482, BStBl II 1994, 833, unter 1. der Gründe; vom 4. Juli 1972 VII R 103/69, BFHE 106, 268, BStBl II 1972, 806).

20

b) Die Erlassentscheidung ist eine Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung (§ 5 AO), die gemäß § 102 FGO i.V.m. § 121 FGO grundsätzlich nur eingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung unterliegt (Beschluss des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). Stellt das Gericht eine Ermessensüberschreitung oder einen Ermessensfehler fest, ist es grundsätzlich auf die Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung beschränkt. Nur wenn der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeengt ist, dass nur eine Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt (sog. Ermessensreduzierung auf Null), ist es befugt, seine Entscheidung an die Stelle der Ermessensentscheidung der Verwaltungsbehörde zu setzen und eine Verpflichtung zum Erlass auszusprechen (BFH-Urteile vom 6. September 2011 VIII R 55/10, BFH/NV 2012, 269, unter II.1. der Gründe, m.w.N.; vom 26. Oktober 1994 X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297, unter II.2. der Gründe, m.w.N.).

21

c) Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer Steuer, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Steuer als unbillig erscheint. So verhält es sich, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage --wenn er sie als regelungsbedürftig erkannt hätte-- im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 174, 482, BStBl II 1994, 833, unter 2. der Gründe, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 12. September 2007 X B 18/03, BFH/NV 2008, 102, unter II.5.b der Gründe, m.w.N.). Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt dagegen keine Billigkeitsmaßnahme (BFH-Urteile vom 7. Oktober 2010 V R 17/09, BFH/NV 2011, 865, unter II.2. der Gründe; vom 4. Februar 2010 II R 25/08, BFHE 228, 130, BStBl II 2010, 663, jeweils m.w.N.). Bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit von generalisierenden und typisierenden Normen des Steuerrechts fällt allerdings die Möglichkeit des Steuererlasses zur Milderung unbilliger Härten besonders ins Gewicht (BVerfG-Beschluss vom 5. April 1978  1 BvR 117/73, BVerfGE 48, 102; BFH-Urteile vom 6. Februar 1976 III R 24/71, BFHE 118, 151; in BFHE 185, 270, BStBl II 1998, 396; vom 27. Mai 2004 IV R 55/02, BFH/NV 2004, 1555). Deshalb ist im Rahmen einer Billigkeitsentscheidung zu berücksichtigen, ob die vom Gesetzgeber gewählte Typisierung gerade deshalb für zulässig erachtet wird, weil im Zusammenhang mit der Anwendung des typisierenden Gesetzes auftretende Härten durch Billigkeitsmaßnahmen beseitigt werden können. Das ist etwa dann der Fall, wenn der Gesetzgeber Zahl und Intensität der von der typisierenden Regelung nachteilig betroffenen Fälle mit zumutbarem Aufwand nicht ermitteln kann. Die Billigkeitsmaßnahme erweist sich in diesem Zusammenhang als eine flankierende Maßnahme zur Typisierung (vgl. BFH-Urteil vom 20. September 2012 IV R 36/10, BFHE 234, 542).

22

d) Die Billigkeitsprüfung muss sich je nach Fallgestaltung nicht nur auf allgemeine Rechtsgrundsätze und verfassungsmäßige Wertungen erstrecken; sie verlangt vielmehr eine Gesamtbeurteilung aller Normen, die für die Verwirklichung des in Frage stehenden Steueranspruchs im konkreten Fall maßgeblich sind (BFH-Urteil in BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297, unter II.4. der Gründe, m.w.N.). In eine solche Würdigung müssen nicht nur die Vorschriften einbezogen werden, aus denen der Anspruch dem Grunde und der Höhe nach hergeleitet wird, sondern auch die Regelungen, die im zu entscheidenden Fall für die Konkretisierung des materiellen Rechts und seine verfahrensrechtliche Durchsetzung sorgen. Nur auf diese Weise lassen sich Wertungswidersprüche aufdecken und im Billigkeitswege beseitigen, die bei isolierter Betrachtungsweise als typischer Nebeneffekt der Anwendung einzelner steuerrechtlicher Normen hinnehmbar erscheinen, insgesamt aber in ihrem Zusammenwirken in einem atypischen Einzelfall eine Rechtslage herbeiführen, welche die Durchsetzung des Steueranspruchs als sachlich unbillig erscheinen lässt (BFH-Urteil in BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297, unter II.4. der Gründe).

23

e) Grundsätzlich kann im Rahmen der Prüfung, ob eine sachliche Unbilligkeit vorliegt, die Richtigkeit eines unanfechtbar gewordenen Steuerbescheids nicht mehr untersucht werden. Eine Ausnahme hat die Rechtsprechung für die Einwendungen zugelassen, die sich im konkreten Steuerrechtsverhältnis aus den Grundsätzen von Treu und Glauben ergeben (BFH-Urteile vom 31. Oktober 1990 I R 3/86, BFHE 163, 478, BStBl II 1991, 610, unter II.B.3. der Gründe; vom 10. Juni 1975 VIII R 50/72, BFHE 116, 103, BStBl II 1975, 789). Die Verdrängung gesetzten Rechts durch den Grundsatz von Treu und Glauben kann jedoch nur in Betracht kommen, wenn das Vertrauen des Steuerpflichtigen in ein bestimmtes Verhalten der Verwaltung nach allgemeinem Rechtsgefühl in einem so hohen Maß schutzwürdig ist, dass demgegenüber die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zurücktreten (BFH-Urteile in BFHE 163, 478, BStBl II 1991, 610, unter II.B.3.a der Gründe; vom 5. Februar 1980 VII R 101/77, BFHE 130, 90, unter 2. der Gründe).

24

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen war dem FA nicht aufzugeben, eine erneute Prüfung der Billigkeitsgründe vorzunehmen. Selbst wenn das FA die Bedeutung der endgültigen Nichtverwertbarkeit der Verluste und der dadurch eintretenden Verletzung des objektiven Nettoprinzips nicht ausreichend bei seinen Ermessenserwägungen berücksichtigt haben sollte, wie das FG meint, konnte doch keine andere Entscheidung als die vom FA getroffene ergehen, da eine Unbilligkeit im Streitfall nicht vorlag.

25

a) Der Antrag der Klägerin auf Erlass einer Billigkeitsmaßnahme ist allerdings nicht bereits deshalb zurückzuweisen, weil sie davon abgesehen hat, Klage auch gegen die Festsetzungsverwaltungsakte zu erheben. Sie durfte sich darauf beschränken, nur die Entscheidung des FA über die beantragten Billigkeitsmaßnahmen mit der Klage anzugreifen.

26

Zwar kann sich ein Steuerpflichtiger grundsätzlich nicht auf die sachliche Unbilligkeit einer Steuerfestsetzung berufen, wenn er zuvor nicht alle Rechtsmittel gegen die Steuerfestsetzung ausgeschöpft hat. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH können bestandskräftig festgesetzte Steuern im Billigkeitsverfahren u.a. nur dann sachlich überprüft werden, wenn es dem Steuerpflichtigen nicht möglich oder nicht zumutbar war, sich gegen die Fehlerhaftigkeit der Festsetzung rechtzeitig zu wehren (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 30. April 1981 VI R 169/78, BFHE 133, 255, BStB1 II 1981, 611; vom 11. August 1987 VII R 121/84, BFHE 150, 502, BStB1 II 1988, 512; vom 29. Mai 2008 V R 45/06, BFH/NV 2008, 1889).

27

Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht, wenn der Steuerpflichtige sich darauf beruft, von einer von ihm grundsätzlich als verfassungskonform angesehenen typisierenden Norm unverhältnismäßig nachteilig betroffen zu sein. Hält der Steuerpflichtige die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers in Bezug auf die in Frage stehende Norm für gegeben, sieht er die Besteuerung aber in seinem Einzelfall als unbillig an, weil er von der Typisierung unverhältnismäßig nachteilig betroffen wird, ist ihm die Anfechtung der Steuerfestsetzung nicht zuzumuten. Er kann sich vielmehr darauf beschränken, lediglich eine Billigkeitsmaßnahme zu beantragen.

28

b) Im Streitfall kann offenbleiben, in welchen Fällen allgemein die Festsetzung eines Gewerbesteuermessbetrags trotz vortragsfähiger Verluste mindestens in Höhe des Gewerbeertrags zu einer auch durch die allgemeine Typisierungsbefugnis nicht mehr gedeckten unverhältnismäßigen Belastung eines einzelnen Steuerpflichtigen durch § 10a Sätze 1 und 2 GewStG führen kann und inwieweit die fehlende Möglichkeit zur künftigen Verrechnung gestreckter vortragsfähiger Verluste wegen der Einstellung der werbenden Tätigkeit auf Besonderheiten des Gewerbesteuerrechts beruht, die eine unverhältnismäßige Belastung des Steuerpflichtigen ausgeschlossen erscheinen lassen. Die Festsetzungen eines Gewerbesteuermessbetrags und der Gewerbesteuer gegenüber der Klägerin sind nämlich bereits deshalb nicht unbillig, weil die Klägerin durch ihr eigenes Verhalten dazu beigetragen hat, dass ein Gewerbeertrag entstanden ist, der nach § 10a Sätze 1 und 2 GewStG nicht vollständig mit vortragsfähigen Verlusten verrechnet werden konnte.

29

Der positive Gewerbeertrag im streitigen Erhebungszeitraum beruht ausschließlich darauf, dass Gläubiger der Klägerin auf ihre Forderungen gegenüber der Klägerin verzichtet haben. Der Verzicht wurde auf Betreiben der Klägerin erklärt, obwohl die Forderungen angesichts der Mittellosigkeit der Klägerin ohnehin schon wertlos geworden waren. Wäre der Verzicht nicht erklärt worden, hätte die Klägerin künftig keinen Gewinn mehr erzielt. Auch der Ausfall von gegen die Klägerin gerichteten Forderungen in einem Insolvenzverfahren hätte keine Gewinnauswirkung gehabt. Weder für den streitigen Erhebungszeitraum noch für spätere Erhebungszeiträume wären danach Gewerbesteuermessbeträge festzusetzen gewesen.

30

Anhaltspunkte dafür, dass es ohne Initiative der Klägerin zu dem Forderungsverzicht hätte kommen können, sind nicht ersichtlich. Die Klägerin hat deshalb selbst die Ursache für das Eintreten der Mindestbesteuerung gesetzt, obwohl sie die Besteuerungsfolgen kennen musste. Unter diesem Aspekt kann die Besteuerung nicht als unbillig angesehen werden.

31

3. Die Ablehnung einer Billigkeitsmaßnahme durch das FA ist danach im Streitfall nicht zu beanstanden. Das FG ist von anderen Maßstäben ausgegangen. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO).

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Alleinerbe seines am 2. August 2002 verstorbenen Groß- und Adoptivvaters. Zum Nachlass gehörte u.a. eine Kommanditbeteiligung des Erblassers an der C-GmbH & Co. KG (C-KG). Die C-KG war Inhaberin eines Erbbaurechts an einem Grundstück mit aufstehender Hotelanlage. Der Erblasser war Eigentümer des mit dem Erbbaurecht belasteten Grundstücks. Anfang 1993 vermietete der Erblasser der C-KG weitere Grundstücksflächen zum Zwecke des Betriebs eines Golfplatzes.

2

Die Ansprüche des Erblassers gegenüber der C-KG auf Erbpachtzinsen für das Hotelgrundstück, auf Zahlung der Pachten für den Golfplatz und auf Provisionen für übernommene Bürgschaften wurden auf einem Verrechnungskonto des Erblassers verbucht. Das Guthaben auf diesem Konto belief sich ausweislich der Bilanz zum 31. Dezember 2001 auf 711.517,46 €. Nach dem Tod des Erblassers wurde für die C-KG ein Notgeschäftsführer bestellt. Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der C-KG wurde am 12. November 2002 eröffnet und am 23. Januar 2006 mangels kostendeckender Masse eingestellt.

3

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) setzte mit Bescheid vom 9. Dezember 2003 die Erbschaftsteuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung auf 2.601.346 € fest. Im Anschluss an eine Außenprüfung setzte das FA die Erbschaftsteuer mit Bescheid vom 4. Mai 2006 auf 2.711.232 € fest. Es vertrat dabei u.a. die Auffassung, dass die Forderung des Erblassers gegenüber der C-KG als Sonderbetriebsvermögen mit dem Nennwert zu erfassen sei.

4

Auf den Einspruch des Klägers setzte das FA die Erbschaftsteuer wegen geänderter Grundbesitzwerte durch Einspruchsentscheidung vom 2. Juni 2008 auf 2.466.796 € herab und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Die dagegen erhobene Klage hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) gab ihr insoweit statt, als es eine bislang vom FA nicht berücksichtigte Bürgschaftsverpflichtung als Nachlassverbindlichkeit anerkannte. Im Übrigen, also insbesondere wegen des Ansatzes der Gesellschafterforderung, wies es die Klage ab. Die vom Bundesfinanzhof (BFH) unter dem Aktenzeichen II R 12/11 entschiedene Revision hatte im Ergebnis keinen Erfolg.

5

Zeitgleich mit dem Einspruch beantragte der Kläger die abweichende Festsetzung der Erbschaftsteuer aus Billigkeitsgründen (§ 163 der Abgabenordnung --AO--). Den Antrag lehnte das FA mit Bescheid vom 30. Juni 2010 ab. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren eingelegte Klage wies das FG ab. Zur Begründung führte es aus, der Gesetzgeber habe Härten und Friktionen, die sich aus der Berücksichtigung der Steuerbilanzwerte bei der Bewertung für Zwecke der Erbschaftsteuer ergeben könnten, im Interesse der Steuervereinfachung bewusst in Kauf genommen.

6

Dagegen richtet sich die Revision. Der Kläger vertritt die Ansicht, aus dem Gedanken der Steuervereinfachung könne nicht entnommen werden, dass unstreitig zu hohe Wertansätze uneingeschränkt beibehalten werden müssten. Der Gesetzgeber habe vielmehr die tatsächliche Bereicherung des Erben besteuern wollen. Es widerspreche dem Willen des Gesetzgebers, Vermögenswerte mit fiktiven, im Todeszeitpunkt nicht vorhandenen Beträgen in Ansatz zu bringen.

7

Der Kläger beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des ablehnenden Bescheids vom 30. Juni 2010, der Einspruchsentscheidung vom 19. Juli 2010 und der Vorentscheidung, die Erbschaftsteuer aus Gründen der Billigkeit gemäß § 163 AO unter Berücksichtigung der Wertlosigkeit der Gesellschafterforderung auf 2.138.517 € herabzusetzen.

8

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Zutreffend hat das FG einen Anspruch des Klägers auf eine abweichende Festsetzung der Erbschaftsteuer aus Billigkeitsgründen verneint.

10

1. Nach § 163 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen bei der Festsetzung der Steuern unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.

11

a) Der Zweck des § 163 AO liegt darin, sachlichen und persönlichen Besonderheiten des Einzelfalles, die der Gesetzgeber in der Besteuerungsnorm nicht berücksichtigt hat, durch eine nicht den Steuerbescheid selbst ändernde Korrektur des Steuerbetrags insoweit Rechnung zu tragen, als sie die steuerliche Belastung als unbillig erscheinen lassen (BFH-Urteil vom 20. September 2012 IV R 29/10, BFHE 238, 518, m.w.N.).

12

b) Die Entscheidung über die abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen ist eine Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung (§ 5 AO), die gemäß § 102 FGO gegebenenfalls i.V.m. § 121 Satz 1 FGO nur eingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung unterliegt (Beschluss des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). Stellt das Gericht eine Ermessensüberschreitung oder einen Ermessensfehler fest, ist es grundsätzlich auf die Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung beschränkt. Nur wenn der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeengt ist, dass nur eine Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt (sog. Ermessensreduzierung auf Null), ist es befugt, seine Entscheidung an die Stelle der Ermessensentscheidung der Verwaltungsbehörde zu setzen und eine Verpflichtung zum Erlass auszusprechen (BFH-Urteile vom 6. September 2011 VIII R 55/10, BFH/NV 2012, 269; in BFHE 238, 518, und vom 6. November 2012 VII R 72/11, BFHE 239, 15, BStBl II 2013, 141).

13

c) Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer Steuer, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Steuer als unbillig erscheint. So verhält es sich, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage --wenn er sie als regelungsbedürftig erkannt hätte-- im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 238, 518, m.w.N.; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 227 AO Rz 40). Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt dagegen keine Billigkeitsmaßnahme (BFH-Urteile vom 4. Februar 2010 II R 25/08, BFHE 228, 130, BStBl II 2010, 663, und vom 7. Oktober 2010 V R 17/09, BFH/NV 2011, 865, jeweils m.w.N.).

14

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das FA ermessensfehlerfrei angenommen, dass die Erbschaftsteuer nicht wegen sachlicher Unbilligkeit niedriger festzusetzen ist, weil das in der Steuerbilanz ausgewiesene Guthaben auf dem Verrechnungskonto des Erblassers wertlos war. Ein Gesetzesüberhang liegt insoweit nicht vor.

15

a) Nach § 12 Abs. 5 Satz 2 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) in der im Streitjahr geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 27. Februar 1997 (BGBl I 1997, 378, BStBl I 1997, 298) --a.F.-- sind die §§ 95 bis 99, 103, 104 und 109 Abs. 1 und 2 und § 137 des Bewertungsgesetzes (BewG) in der damaligen Fassung (a.F.) für die Bewertung des Betriebsvermögens zu Erbschaftsteuerzwecken entsprechend anzuwenden; maßgebend für die Bewertung sind die Verhältnisse zur Zeit der Entstehung der Steuer (§ 12 Abs. 5 Satz 1 ErbStG a.F.). Nach § 109 Abs. 1 BewG a.F. sind bei bilanzierenden Steuerpflichtigen die zu dem Gewerbebetrieb gehörenden Wirtschaftsgüter mit den Steuerbilanzwerten anzusetzen.

16

b) Mit der Übernahme der Steuerbilanzwerte wollte der Gesetzgeber u.a. eine eigene Wertermittlung für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer entbehrlich machen (vgl. BTDrucks 12/1108 S. 72; Götz in Gürsching/Stenger, Bewertungsrecht, § 12 ErbStG bis 2008 Rz 72; Viskorf in Viskorf/Glier/Hübner/ Knobel/Schuck, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, 2. Aufl., § 12 ErbStG Rz 38). Der Gesetzgeber hat aus Gründen der Steuervereinfachung ausdrücklich in Kauf genommen, dass die nach ertragsteuerrechtlichen Grundsätzen anzusetzenden Aktiv- und Passivposten der Steuerbilanz auch der Höhe nach für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer übernommen werden (BTDrucks 12/1108 S. 36). Der durch die Übernahme der zutreffenden Steuerbilanzwerte beabsichtigte Vereinfachungszweck schließt es aus, im Einzelfall andere, realitätsnahe Werte anzusetzen. Anderenfalls müsste allein aus erbschaft- und schenkungsteuerlichen Gründen eine vom Gesetzgeber ausdrücklich nicht gewünschte Bewertung der einzelnen Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens erfolgen. Selbst dann, wenn ein einzelnes Wirtschaftsgut in der Steuerbilanz zu hoch bewertet worden ist, bedeutet dies nicht automatisch, dass der Wertansatz für das Betriebsvermögen insgesamt zu hoch ausfällt. Einzelnen zu hoch bewerteten Wirtschaftsgütern stehen nämlich in aller Regel in der Steuerbilanz aufgrund von Abschreibungen etc. im Verhältnis zum Verkehrswert zu niedrig bewertete Wirtschaftsgüter gegenüber. Dies alles hat der Gesetzgeber erkannt und aus Vereinfachungsgründen allein auf den zutreffenden Wertansatz in der Steuerbilanz abgestellt.

17

c) Aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 7. November 2006  1 BvL 10/02 (BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192) folgt nichts anderes. Zwar hat das BVerfG aufgrund der Anknüpfung an die unterschiedliche Bewertung einzelner Wirtschaftsgüter die Unvereinbarkeit der Tarifvorschrift des § 19 Abs. 1 ErbStG a.F. mit dem Grundgesetz festgestellt, aber deren weitere Anwendung für einen Übergangszeitraum zugelassen. Billigkeitsmaßnahmen können daher nicht auf die Verfassungswidrigkeit des § 19 Abs. 1 ErbStG a.F. gestützt werden. Unabhängig davon kann es in Einzelfällen geboten sein, durch eine Billigkeitsentscheidung einen verfassungskonformen Zustand herbeizuführen (vgl. Loose, a.a.O, § 227 AO Rz 77, m.w.N.). Der Streitfall bietet jedoch keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Bewertung des Betriebsvermögens aufgrund der Anknüpfung an die Steuerbilanzwerte insgesamt, also nicht nur in Bezug auf die auf den Kläger übergegangene Forderung des Erblassers gegen die C-KG, in einem solchen Ausmaß von den tatsächlichen Werten abweicht, dass ausnahmsweise ein Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen geboten erscheint, um einen verfassungskonformen Zustand im Einzelfall herbeizuführen. Das verfassungsmäßige Übermaßverbot ist erst dann verletzt, wenn die Folgen einer schematisierenden Belastung extrem über das normale Maß hinausgehen, das der Schematisierung zugrunde liegt, oder die Folgen auch unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Planvorstellungen durch den gebotenen Anlass nicht mehr gerechtfertigt sind (vgl. BVerfG-Beschluss vom 5. April 1978  1 BvR 117/73, BVerfGE 48, 102, 116, BStBl II 1978, 441; BFH-Urteil vom 5. Mai 2004 II R 45/01, BFHE 204, 570, BStBl II 2004, 1036, zum Übermaßverbot bei der typisierenden Bewertung von Erbbaurechten). Dies trifft hier nicht zu.

1Der maßgebende Gewerbeertrag wird bis zu einem Betrag in Höhe von 1 Million Euro um die Fehlbeträge gekürzt, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume nach den Vorschriften der §§ 7 bis 10 ergeben haben, soweit die Fehlbeträge nicht bei der Ermittlung des Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume berücksichtigt worden sind.2Der 1 Million Euro übersteigende maßgebende Gewerbeertrag ist bis zu 60 Prozent um nach Satz 1 nicht berücksichtigte Fehlbeträge der vorangegangenen Erhebungszeiträume zu kürzen.3Im Fall des § 2 Abs. 2 Satz 2 kann die Organgesellschaft den maßgebenden Gewerbeertrag nicht um Fehlbeträge kürzen, die sich vor dem rechtswirksamen Abschluss des Gewinnabführungsvertrags ergeben haben.4Bei einer Mitunternehmerschaft ist der sich für die Mitunternehmerschaft insgesamt ergebende Fehlbetrag den Mitunternehmern entsprechend dem sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel zuzurechnen; Vorabgewinnanteile sind nicht zu berücksichtigen.5Für den Abzug der den Mitunternehmern zugerechneten Fehlbeträge nach Maßgabe der Sätze 1 und 2 ist der sich für die Mitunternehmerschaft insgesamt ergebende maßgebende Gewerbeertrag sowie der Höchstbetrag nach Satz 1 den Mitunternehmern entsprechend dem sich aus dem Gesellschaftsvertrag für das Abzugsjahr ergebenden allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel zuzurechnen; Vorabgewinnanteile sind nicht zu berücksichtigen.6Die Höhe der vortragsfähigen Fehlbeträge ist gesondert festzustellen.7Vortragsfähige Fehlbeträge sind die nach der Kürzung des maßgebenden Gewerbeertrags nach Satz 1 und 2 zum Schluss des Erhebungszeitraums verbleibenden Fehlbeträge.8Im Fall des § 2 Abs. 5 kann der andere Unternehmer den maßgebenden Gewerbeertrag nicht um die Fehlbeträge kürzen, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags des übergegangenen Unternehmens ergeben haben.9§ 8 Abs. 8 und 9 Satz 5 bis 8 des Körperschaftsteuergesetzes ist entsprechend anzuwenden.10Auf die Fehlbeträge ist § 8c des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend anzuwenden; dies gilt auch für den Fehlbetrag einer Mitunternehmerschaft, soweit dieser

1.
einer Körperschaft unmittelbar oder
2.
einer Mitunternehmerschaft, soweit an dieser eine Körperschaft unmittelbar oder mittelbar über eine oder mehrere Personengesellschaften beteiligt ist,
zuzurechnen ist.11Auf die Fehlbeträge ist § 8d des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend anzuwenden, wenn ein fortführungsgebundener Verlustvortrag nach § 8d des Körperschaftsteuergesetzes gesondert festgestellt worden ist.12Unterbleibt eine Feststellung nach § 8d Absatz 1 Satz 8 des Körperschaftsteuergesetzes, weil keine nicht genutzten Verluste nach § 8c Absatz 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes vorliegen, ist auf Antrag auf die Fehlbeträge § 8d des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend anzuwenden; für die Form und die Frist dieses Antrags gilt § 8d Absatz 1 Satz 5 des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend.

(1)1Negative Einkünfte, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen werden, sind bis zu einem Betrag von 10 000 000 Euro, bei Ehegatten, die nach den §§ 26, 26b zusammenveranlagt werden, bis zu einem Betrag von 20 000 000 Euro vom Gesamtbetrag der Einkünfte des unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraums vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen abzuziehen (Verlustrücktrag).2Soweit ein Ausgleich der negativen Einkünfte nach Satz 1 nicht möglich ist, sind diese vom Gesamtbetrag der Einkünfte des zweiten dem Veranlagungszeitraum vorangegangenen Veranlagungszeitraums vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen abzuziehen.3Dabei wird der Gesamtbetrag der Einkünfte des unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraums und des zweiten dem Veranlagungszeitraum vorangegangenen Veranlagungszeitraums um die Begünstigungsbeträge nach § 34a Absatz 3 Satz 1 gemindert.4Ist für den unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraum oder den zweiten dem Veranlagungszeitraum vorangegangenen Veranlagungszeitraum bereits ein Steuerbescheid erlassen worden, so ist er insoweit zu ändern, als der Verlustrücktrag zu gewähren oder zu berichtigen ist.5Das gilt auch dann, wenn der Steuerbescheid unanfechtbar geworden ist; die Festsetzungsfrist endet insoweit nicht, bevor die Festsetzungsfrist für den Veranlagungszeitraum abgelaufen ist, in dem die negativen Einkünfte nicht ausgeglichen werden.6Auf Antrag des Steuerpflichtigen ist von der Anwendung des Verlustrücktrags nach den Sätzen 1 und 2 insgesamt abzusehen.

(2)1Nicht ausgeglichene negative Einkünfte, die nicht nach Absatz 1 abgezogen worden sind, sind in den folgenden Veranlagungszeiträumen bis zu einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 1 Million Euro unbeschränkt, darüber hinaus bis zu 60 Prozent des 1 Million Euro übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen abzuziehen (Verlustvortrag).2Bei Ehegatten, die nach den §§ 26, 26b zusammenveranlagt werden, tritt an die Stelle des Betrags von 1 Million Euro ein Betrag von 2 Millionen Euro.3Der Abzug ist nur insoweit zulässig, als die Verluste nicht nach Absatz 1 abgezogen worden sind und in den vorangegangenen Veranlagungszeiträumen nicht nach Satz 1 und 2 abgezogen werden konnten.

(3) (weggefallen)

(4)1Der am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibende Verlustvortrag ist gesondert festzustellen.2Verbleibender Verlustvortrag sind die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte, vermindert um die nach Absatz 1 abgezogenen und die nach Absatz 2 abziehbaren Beträge und vermehrt um den auf den Schluss des vorangegangenen Veranlagungszeitraums festgestellten verbleibenden Verlustvortrag.3Zuständig für die Feststellung ist das für die Besteuerung zuständige Finanzamt.4Bei der Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags sind die Besteuerungsgrundlagen so zu berücksichtigen, wie sie den Steuerfestsetzungen des Veranlagungszeitraums, auf dessen Schluss der verbleibende Verlustvortrag festgestellt wird, und des Veranlagungszeitraums, in dem ein Verlustrücktrag vorgenommen werden kann, zu Grunde gelegt worden sind; § 171 Absatz 10, § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und § 351 Absatz 2 der Abgabenordnung sowie § 42 der Finanzgerichtsordnung gelten entsprechend.5Die Besteuerungsgrundlagen dürfen bei der Feststellung nur insoweit abweichend von Satz 4 berücksichtigt werden, wie die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung der Steuerbescheide ausschließlich mangels Auswirkung auf die Höhe der festzusetzenden Steuer unterbleibt.6Die Feststellungsfrist endet nicht, bevor die Festsetzungsfrist für den Veranlagungszeitraum abgelaufen ist, auf dessen Schluss der verbleibende Verlustvortrag gesondert festzustellen ist; § 181 Absatz 5 der Abgabenordnung ist nur anzuwenden, wenn die zuständige Finanzbehörde die Feststellung des Verlustvortrags pflichtwidrig unterlassen hat.

1Der maßgebende Gewerbeertrag wird bis zu einem Betrag in Höhe von 1 Million Euro um die Fehlbeträge gekürzt, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume nach den Vorschriften der §§ 7 bis 10 ergeben haben, soweit die Fehlbeträge nicht bei der Ermittlung des Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume berücksichtigt worden sind.2Der 1 Million Euro übersteigende maßgebende Gewerbeertrag ist bis zu 60 Prozent um nach Satz 1 nicht berücksichtigte Fehlbeträge der vorangegangenen Erhebungszeiträume zu kürzen.3Im Fall des § 2 Abs. 2 Satz 2 kann die Organgesellschaft den maßgebenden Gewerbeertrag nicht um Fehlbeträge kürzen, die sich vor dem rechtswirksamen Abschluss des Gewinnabführungsvertrags ergeben haben.4Bei einer Mitunternehmerschaft ist der sich für die Mitunternehmerschaft insgesamt ergebende Fehlbetrag den Mitunternehmern entsprechend dem sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel zuzurechnen; Vorabgewinnanteile sind nicht zu berücksichtigen.5Für den Abzug der den Mitunternehmern zugerechneten Fehlbeträge nach Maßgabe der Sätze 1 und 2 ist der sich für die Mitunternehmerschaft insgesamt ergebende maßgebende Gewerbeertrag sowie der Höchstbetrag nach Satz 1 den Mitunternehmern entsprechend dem sich aus dem Gesellschaftsvertrag für das Abzugsjahr ergebenden allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel zuzurechnen; Vorabgewinnanteile sind nicht zu berücksichtigen.6Die Höhe der vortragsfähigen Fehlbeträge ist gesondert festzustellen.7Vortragsfähige Fehlbeträge sind die nach der Kürzung des maßgebenden Gewerbeertrags nach Satz 1 und 2 zum Schluss des Erhebungszeitraums verbleibenden Fehlbeträge.8Im Fall des § 2 Abs. 5 kann der andere Unternehmer den maßgebenden Gewerbeertrag nicht um die Fehlbeträge kürzen, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags des übergegangenen Unternehmens ergeben haben.9§ 8 Abs. 8 und 9 Satz 5 bis 8 des Körperschaftsteuergesetzes ist entsprechend anzuwenden.10Auf die Fehlbeträge ist § 8c des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend anzuwenden; dies gilt auch für den Fehlbetrag einer Mitunternehmerschaft, soweit dieser

1.
einer Körperschaft unmittelbar oder
2.
einer Mitunternehmerschaft, soweit an dieser eine Körperschaft unmittelbar oder mittelbar über eine oder mehrere Personengesellschaften beteiligt ist,
zuzurechnen ist.11Auf die Fehlbeträge ist § 8d des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend anzuwenden, wenn ein fortführungsgebundener Verlustvortrag nach § 8d des Körperschaftsteuergesetzes gesondert festgestellt worden ist.12Unterbleibt eine Feststellung nach § 8d Absatz 1 Satz 8 des Körperschaftsteuergesetzes, weil keine nicht genutzten Verluste nach § 8c Absatz 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes vorliegen, ist auf Antrag auf die Fehlbeträge § 8d des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend anzuwenden; für die Form und die Frist dieses Antrags gilt § 8d Absatz 1 Satz 5 des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend.

A. 

Die Beschwerdeführer wenden sich gegen ihre strafgerichtliche Verurteilung im Anschluss an eine Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten. Mittelbar richten sich die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. und II. zudem gegen die Vorschrift des § 257c StPO, die durch das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 (BGBl I S. 2353) - im Folgenden: Verständigungsgesetz - in die Strafprozessordnung eingefügt wurde und seither die rechtliche Grundlage für die Verständigung bildet. 

I. 

1. Die Praxis urteilsbezogener Verständigungen hat sich - feststellbar jedenfalls seit den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts - als Instrument zur Bewältigung von Strafverfahren herausgebildet, ohne dass es dafür eine ausdrückliche Rechtsgrundlage gegeben hätte. Es handelt sich hierbei um Absprachen zwischen dem Gericht, der Staatsanwaltschaft sowie der Verteidigung und dem Angeklagten, nach denen das Gericht dem Angeklagten für den Fall eines Geständnisses eine bestimmte Strafe oder jedenfalls eine Strafobergrenze zusagt. Solche Verständigungen wurden häufig außerhalb der Hauptverhandlung getroffen. Bei Abgabe des Geständnisses wurde sodann in der Regel auf eine weitere Beweisaufnahme verzichtet, so dass die Verständigung zu einer wesentlichen Verfahrensabkürzung führte. In den meisten Fällen wurde gegen ein Urteil, das auf einer solchen Verständigung beruhte, kein Rechtsmittel eingelegt, oftmals wurde sogar ausdrücklich auf Rechtsmittel verzichtet (vgl. zur Entwicklung der Verständigungspraxis Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl. 2012, Einl. Rn. 119 ff.). 

2. Eine wesentliche Ursache für die hohe praktische Bedeutung von Verständigungen wird in der stetig wachsenden Arbeitsbelastung der Strafjustiz gesehen, die bereits an die Grenze der Überlastung heranreiche (vgl. eingehend Krey/Windgätter, in: Festschrift für Hans Achenbach, 2011, S. 233 ff.). Neben der zunehmenden Komplexität der Fallgestaltungen infolge des wirtschaftlichen und technischen Fortschritts sowie der Globalisierung, die auch in neuen Formen grenzüberschreitender Kriminalität in Erscheinung tritt, trägt der Bundesgesetzgeber durch eine immer stärkere strafrechtliche Durchdringung vieler Lebensbereiche zu dieser Entwicklung bei. Die Regelungsdichte des materiellen Strafrechts ist in den vergangenen Jahrzehnten beständig gestiegen; dies gilt besonders für das Wirtschafts- und das Nebenstrafrecht (vgl. etwa Braun, AnwBl 2000, S. 222 <225>; Theile, MSchrKrim 2010, S. 147 <149 f.>; Krey/Windgätter, a.a.O., S. 249). Gleichzeitig bringt die zunehmende Differenzierung und Komplizierung des Strafprozessrechts immer höhere Anforderungen mit sich. So ist etwa die Rechtsprechung zu den Beweisverwertungsverboten für die tatrichterliche Praxis mittlerweile kaum noch überschaubar (vgl. Gössel, in: Festschrift für Reinhard Böttcher, 2007, S. 79 <80>; Krey/Windgätter, a.a.O., S. 242 ff.). Zudem bieten extensiv einsetzbare Verfahrensrechte der Verteidigung zahlreiche Möglichkeiten, den Fortgang des Verfahrens zu erschweren; vor allem Ablehnungsgesuche und Beweisanträge sowie das Fragerecht können zu diesem Zweck missbraucht werden (vgl. Gössel, a.a.O., S. 81; Krey/Windgätter, a.a.O., S. 238 ff.). Unterdessen sehen sich die Tatgerichte durch das Beschleunigungsgebot in Haftsachen einem immer stärkeren Druck ausgesetzt, die Verfahrensdauer trotz aller prozessualen Schwierigkeiten zu verkürzen. Dass die Bewertung richterlicher Arbeit und die Festsetzung der Arbeitspensen nicht unwesentlich nach quantitativen Gesichtspunkten erfolgt, schafft zusätzliche Anreize für eine möglichst rasche Verfahrenserledigung auch unter Inkaufnahme inhaltlicher Defizite. Der steigenden Belastung der Strafjustiz haben die Länder nicht durch eine entsprechende personelle und sachliche Ausstattung Rechnung getragen; vielmehr ist auch die Justiz immer wieder von Sparmaßnahmen betroffen (vgl. Krey/Windgätter, a.a.O., S. 235). 
 
3. Das Bundesverfassungsgericht prüfte 1987 in einer Kammerentscheidung (Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Januar 1987 - 2 BvR 1133/86 -, NJW 1987, S. 2662 f.) die Zulässigkeit von Verständigungen im Strafprozess unter den Gesichtspunkten eines fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens, der Gewährleistung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege und des Schuldprinzips. Diese Grundsätze verböten nicht, außerhalb der Hauptverhandlung eine Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten über Stand und Aussichten der Verhandlung herbeizuführen, der schon das Strafrecht Grenzen setze. Sie schlössen es aber aus, die Handhabung der richterlichen Aufklärungspflicht, die rechtliche Subsumtion und die Grundsätze der Strafzumessung in einer Hauptverhandlung, die letztlich mit einem Urteil zur Schuldfrage abschließen solle, ins Belieben oder zur freien Disposition der Verfahrensbeteiligten und des Gerichts zu stellen. Dem Gericht und der Staatsanwaltschaft sei es deshalb untersagt, sich auf einen „Vergleich“ im Gewande des Urteils, auf einen „Handel mit der Gerechtigkeit“ einzulassen. Das Gericht dürfe sich also beispielsweise nicht mit einem Geständnis des Angeklagten begnügen, das dieser gegen die Zusage oder das In-Aussicht-Stellen einer Strafmilderung abgelegt habe, obwohl es sich beim gegebenen Verfahrensstand mit Blick auf das Ziel der Wahrheitserforschung und der schuldangemessenen, gerechten Ahndung der Tat zu weiterer Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen. Das Gericht müsse es sich auch versagen, den Angeklagten auf eine in Betracht kommende geständnisbedingte Strafmilderung hinzuweisen, mit der es den Boden schuldangemessenen Strafens verließe. Darüber hinaus sei die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung des Angeklagten vor beachtenswerter Beeinträchtigung geschützt, was seinen Ausdruck auch in der Bestimmung des § 136a StPO finde. Der Angeklagte dürfe infolgedessen nicht durch ein gesetzlich nicht vorgesehenes Vorteilsversprechen oder durch Täuschung zu einem Geständnis gedrängt werden. Das schließe jedoch eine Belehrung oder einen konkreten Hinweis auf die Beweislage oder die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses nicht aus, wenn dies im Stand der Hauptverhandlung eine sachliche Grundlage finde. Nach diesen Maßstäben gelangte die Kammer im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass die Verständigung bei der im damaligen Ausgangsverfahren gegebenen besonderen Sachverhaltsgestaltung - der anwaltlich verteidigte Angeklagte hatte von sich aus eine Verständigung angeregt, als die Beweisaufnahme bereits vor ihrem Abschluss stand - keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken begegne. 

4. Nachdem der Bundesgerichtshof gegenüber Verständigungen (in dessen früherer Terminologie: „Absprachen“) außerhalb der Hauptverhandlung anfänglich eine ablehnende Haltung eingenommen hatte (vgl. etwa BGHSt 37, 298 <304 f.>; BGH, Beschlüsse vom 19. Oktober 1993 - 1 StR 662/93 -, NJW 1994, S. 1293 f., und vom 25. Oktober 1995 - 2 StR 529/95 -, wistra 1996, S. 68; BGHSt 42, 46 <48>), wurden Verständigungen innerhalb der Hauptverhandlung zunächst durch den 4. Strafsenat und sodann durch den Großen Senat für Strafsachen grundsätzlich gebilligt. 

a) In seiner Leitentscheidung vom 28. August 1997 (BGHSt 43, 195 ff.) erklärte der 4. Strafsenat - trotz ausdrücklicher Anerkennung der Vergleichsfeindlichkeit des Strafverfahrens und des Verbots einer Disposition über den staatlichen Strafanspruch - in der Hauptverhandlung getroffene Verständigungen für grundsätzlich zulässig und sprach zudem aus, dass sie - sofern nach den von ihm aufgestellten Vorgaben zustande gekommen - für das Gericht verbindlich seien. Unter folgenden Voraussetzungen könne eine Verständigung getroffen werden: Der Schuldspruch dürfe nicht Gegenstand der Verständigung sein. Ein verständigungsbasiertes Geständnis müsse auf seine Glaubhaftigkeit überprüft werden; sich hierzu aufdrängende Beweiserhebungen dürften nicht unterbleiben. Die freie Willensentschließung des Angeklagten müsse gewahrt bleiben; insbesondere dürfe er nicht durch Drohung mit einer höheren Strafe oder durch Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils zu einem Geständnis gedrängt werden. Die Vereinbarung eines Rechtsmittelverzichts sei unzulässig. Die Verständigung selbst müsse in öffentlicher Hauptverhandlung erfolgen; Vorgespräche außerhalb der Hauptverhandlung seien aber möglich. In die Verständigung seien alle Verfahrensbeteiligten einzubeziehen. Das Ergebnis der Verständigung sei im Protokoll niederzulegen. Eine bestimmte Strafe dürfe das Gericht nicht zusagen; unbedenklich sei aber die Zusage einer Strafobergrenze. Von dieser dürfe nur abgewichen werden, wenn sich neue schwerwiegende Umstände zu Lasten des Angeklagten ergäben; auf eine beabsichtigte Abweichung sei in der Hauptverhandlung hinzuweisen. Der Strafausspruch dürfe den Boden schuldangemessenen Strafens nicht verlassen. 
 
b) Der Große Senat für Strafsachen hielt in seinem Beschluss vom 3. März 2005 (BGHSt 50, 40 ff.) an den vom 4. Strafsenat aufgestellten Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Verständigungen fest und präzisierte diese dahingehend, dass die Differenz zwischen der verständigungsgemäßen und der bei einem „streitigen Verfahren“ zu erwartenden Sanktion nicht unangemessen groß sein („Sanktionsschere“) und das Gericht nicht nur wegen neuer Erkenntnisse von seiner Zusage abweichen dürfe, sondern - nach entsprechendem Hinweis - auch dann, wenn schon bei der Verständigung vorhandene relevante tatsächliche oder rechtliche Aspekte übersehen worden seien. Der nach einer Verständigung erklärte Rechtsmittelverzicht sei grundsätzlich unwirksam; die Unwirksamkeit entfalle jedoch, wenn der Rechtsmittelberechtigte darüber belehrt worden sei, dass er ungeachtet der Verständigung in seiner Entscheidung frei sei, Rechtsmittel einzulegen (qualifizierte Belehrung). Die grundsätzliche Billigung der Verständigung begründete der Große Strafsenat mit der Notwendigkeit, trotz knapper Ressourcen die Funktionstüchtigkeit der Strafjustiz zu gewährleisten, und mit Hinweisen auf den Beschleunigungsgrundsatz, die Prozessökonomie sowie den Zeugen- und Opferschutz. Allerdings sei die Strafprozessordnung in ihrer geltenden Form am Leitbild der materiellen Wahrheit orientiert, die vom Gericht in der Hauptverhandlung von Amts wegen zu ermitteln und der Disposition der Verfahrensbeteiligten weitgehend entzogen sei. Die Praxis der Verständigungen sei daher kaum ohne Bruch in das gegenwärtige System einzupassen. Aus diesem Grund appellierte der Große Senat für Strafsachen an den Gesetzgeber, die Zulässigkeit und, bejahendenfalls, die wesentlichen rechtlichen Voraussetzungen und Begrenzungen von Verständigungen im Strafprozess gesetzlich zu regeln. 

5. Dieser Forderung nach einer gesetzlichen Regelung hat der Gesetzgeber mit dem Verständigungsgesetz Rechnung getragen. Das darin enthaltene Regelungskonzept geht ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs (vgl. BTDrucks 16/12310, S. 8) in seinem Grundansatz davon aus, dass für die Verständigung im Strafverfahren keine neue - dem deutschen Strafprozess bislang unbekannte - Form einer konsensualen Verfahrenserledigung eingeführt werden sollte, die die Rolle des Gerichts, insbesondere seine Verpflichtung zur Ermittlung der materiellen Wahrheit, zurückdrängen würde. Die Grundsätze des Strafverfahrens sollten vielmehr weiterhin Geltung behalten, namentlich, dass eine Verständigung unter Beachtung aller maßgeblichen Verfahrensregeln einschließlich der Überzeugung des Gerichts vom festgestellten Sachverhalt und der Glaubhaftigkeit eines Geständnisses stattfinden müsse, die Grundsätze des fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs, nicht zuletzt auch die Transparenz der Hauptverhandlung und die Unterrichtung der Öffentlichkeit in der Hauptverhandlung gewahrt sein müssten, und dass insbesondere der Boden schuldangemessenen Strafens nicht verlassen werden dürfe. 

Die zentrale Bestimmung des gesetzgeberischen Regelungskonzepts in § 257c StPO hat folgenden Wortlaut:

§ 257c
(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt. 
(2) Gegenstand dieser Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein. 
(3) Das Gericht gibt bekannt, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. Es kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes zustimmen. 
(4) Die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Gleiches gilt, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist. Das Geständnis des Angeklagten darf in diesen Fällen nicht verwertet werden. Das Gericht hat eine Abweichung unverzüglich mitzuteilen. 

(5) Der Angeklagte ist über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichtes von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren. 

Die Vorschrift erlaubt dem Gericht ausdrücklich eine Verständigung über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens nach den darin genannten Maßgaben; sie stellt außerdem klar, dass die Pflicht des Gerichts zur Sachverhaltsaufklärung (§ 244 Abs. 2 StPO) unberührt bleibt. Hierdurch soll in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs die Beachtung der rechtsstaatlichen Anforderungen an das Strafverfahren gewährleistet und insbesondere die Schuldangemessenheit der Strafe sichergestellt werden (vgl. BTDrucks 16/12310, S. 9). 

Außerdem wurden Vorschriften eingeführt, die es der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren sowie dem Gericht vor und nach Eröffnung des Hauptverfahrens sowie in der Hauptverhandlung ausdrücklich erlauben, „den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten zu erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern“ (§§ 160b, 202a, 212, 257b StPO). Der wesentliche Inhalt einer solchen Erörterung ist jeweils aktenkundig zu machen; der Inhalt einer in der Hauptverhandlung durchgeführten Erörterung ist in das Protokoll aufzunehmen (§ 273 Abs. 1 Satz 2 StPO). 

§ 160b
Die Staatsanwaltschaft kann den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern. Der wesentliche Inhalt dieser Erörterung ist aktenkundig zu machen. 

§ 202a
Erwägt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, kann es den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern. Der wesentliche Inhalt dieser Erörterung ist aktenkundig zu machen. 

§ 212
Nach Eröffnung des Hauptverfahrens gilt § 202a entsprechend. 

§ 257b
Das Gericht kann in der Hauptverhandlung den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern. 

§ 273
(1) […] In das Protokoll muss auch der wesentliche Ablauf und Inhalt einer Erörterung nach § 257b aufgenommen werden. […] 
Flankiert werden diese Regelungen durch weitere neue Vorschriften, die die Transparenz der Verständigung und die Möglichkeit einer Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht gewährleisten sollen. Nach § 243 Abs. 4 StPO ist in der Hauptverhandlung mitzuteilen, ob - und falls ja mit welchem Inhalt - außerhalb der Hauptverhandlung Erörterungen des Verfahrensstandes zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten stattgefunden haben, in denen die Möglichkeit einer Verständigung nach § 257c StPO thematisiert wurde:

§ 243
[…] (4) Der Vorsitzende teilt mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Diese Pflicht gilt auch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben. […] 
Ist dem Urteil eine Verständigung nach § 257c StPO vorausgegangen, muss dies in den schriftlichen Urteilsgründen angegeben werden (§ 267 Abs. 3 Satz 5, Abs. 4 Satz 2 StPO). 

Die in § 273 StPO enthaltenen Vorschriften über die Protokollierung der Hauptverhandlung wurden wie folgt erweitert:

§ 273
[…] (1a) Das Protokoll muss auch den wesentlichen Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis einer Verständigung nach § 257c wiedergeben. Gleiches gilt für die Beachtung der in § 243 Absatz 4, § 257c Absatz 4 Satz 4 und Absatz 5 vorgeschriebenen Mitteilungen und Belehrungen. Hat eine Verständigung nicht stattgefunden, ist auch dies im Protokoll zu vermerken. […] 
Ist dem Urteil eine Verständigung nach § 257c StPO vorausgegangen, ist ein Rechtsmittelverzicht ausgeschlossen (§ 302 Abs. 1 Satz 2 StPO). In diesem Fall ist der Angeklagte darüber zu belehren, dass er in jedem Fall frei in seiner Entscheidung ist, ein Rechtsmittel einzulegen (§ 35a Satz 3 StPO). 

6. Das Regelungskonzept des Gesetzgebers ist teils auf Zustimmung (vgl. etwa Jahn/Müller, NJW 2009, S. 2625 ff.) gestoßen, teils aber auch auf scharfe Kritik (vgl. etwa Meyer-Goßner, ZRP 2009, S. 107 ff.; Bittmann, wistra 2009, S. 414 ff.; Fezer, NStZ 2010, S. 177 ff.). Nach verbreiteter Ansicht entsprechen die gesetzlichen Vorschriften über die Verständigung nicht den Bedürfnissen der Praxis. So werden die Protokollierungs- und Belehrungspflichten sowie der generelle Ausschluss eines Rechtsmittelverzichts als Erschwerung der richterlichen Tätigkeit und damit als Rückschritt gegenüber der früheren Rechtslage empfunden; der mit der Verständigung angestrebte Entlastungseffekt werde dadurch jedenfalls teilweise wieder zunichte gemacht (vgl. Polomski, DRiZ 2011, S. 315 f.). Ferner wird die Auffassung vertreten, § 257c StPO regele nur die „förmliche“ Verständigung, weshalb für „informelle“ Absprachen oder „Gentlemen‘s Agreements“ außerhalb der Hauptverhandlung weder die gesetzlichen Protokollierungs- und Belehrungspflichten noch der Ausschluss eines Rechtsmittelverzichts gälten (vgl. Peglau, jurisPR-StrafR 4/2012 Anm. 1; Niemöller, StV 2012, S. 387 <388 f.>; ders., in: Niemöller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, 2010, § 273 Rn. 16, § 302 Rn. 5; Bittmann, a.a.O., S. 416 Fn. 25). 

II. 

1. a) Der Beschwerdeführer zu I. wurde als einer von vier Angeklagten durch das Landgericht München II mit Urteil vom 9. März 2010 wegen gemeinschaftlichen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges in 259 tatmehrheitlichen Fällen in Tateinheit mit vier Fällen der Beihilfe zum vorsätzlichen unerlaubten Betreiben eines Bankgeschäfts zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Der Verurteilung ging eine Verständigung voraus. Unmittelbar nach Anklageverlesung und Belehrung der Angeklagten war die Hauptverhandlung für ein Rechtsgespräch unterbrochen worden. Anschließend gaben die Verteidiger für ihre Mandanten jeweils eine Erklärung ab, und die Angeklagten erklärten sich zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen. Der Vorsitzende schlug die Erteilung eines Hinweises vor, wonach das Gericht in voller Besetzung das Verfahren gemäß § 257b StPO mit den Verteidigern und dem Vertreter der Staatsanwaltschaft ausführlich erörtert habe. Unter Berücksichtigung der vorläufigen rechtlichen Bewer- tung, der Vorstrafen und eines angekündigten Geständnisses der Angeklagten rege die Kammer an, dass sich die Verfahrensbeteiligten dahingehend verständigten, dass der Beschwerdeführer zu I. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als sechs Jahren und die drei Mitangeklagten zu Gesamtfreiheitsstrafen von nicht mehr als fünf Jahren und sechs Monaten, zwei Jahren und vier Jahren verurteilt würden. Für den Fall einer Verurteilung in dieser Größenordnung habe die Staatsanwaltschaft angekündigt, ein dort noch anhängiges Ermittlungsverfahren zu einem weiteren Tatkomplex im Wesentlichen nach § 154 Abs. 1 StPOeinzustellen. Eine Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO erfolgte nicht. Die Angeklagten, die Verteidiger und der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft erklärten sich mit dem Vorschlag des Gerichts einverstanden. Im Anschluss machten die Angeklagten jeweils Angaben zur Sache, wobei der Beschwerdeführer zu I. auch Fragen beantwortete. Sämtliche polizeilichen Zeugenvernehmungsprotokolle wurden gemäß § 249 Abs. 2, § 251 Abs. 1 Satz 1 StPO im Selbstleseverfahren eingeführt und die entsprechenden Zeugen abgeladen. In der Folge vernahm die Kammer noch mehrere Polizeibeamte und Behördenmitarbeiter als Zeugen. Unterlagen wurden teils in Augenschein genommen oder verlesen, teils im Selbstleseverfahren eingeführt. 

b) Mit seiner Revision beanstandete der Beschwerdeführer zu I. den Verstoß gegen die Belehrungspflicht des § 257c Abs. 5 StPO und erhob die Sachrüge. Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision mit Beschluss vom 8. Oktober 2010 gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet. In Bezug auf den Belehrungsfehler verwies der Bundesgerichtshof auf eine frühere Entscheidung (Beschluss vom 17. August 2010 - 4 StR 228/10 -), in der er die Rüge eines Verstoßes gegen § 257c Abs. 5 StPO mit der Erwägung zurückgewiesen hatte, das Urteil beruhe nicht auf dem Fehler, weil die Strafkammer die im Rahmen der Verständigung angekündigte Strafobergrenze eingehalten habe. 

2. a) Die Beschwerdeführer zu II. wurden durch das Landgericht München II mit Urteil vom 27. April 2010 wegen gemeinschaftlichen gewerbsmäßigen Betruges in 27 tatmehrheitlichen Fällen jeweils in Tateinheit mit vorsätzlichem gemeinschaftlichen unerlaubten Betreiben eines Bankgeschäfts zu Gesamtfreiheitsstrafen von drei Jahren und sechs Monaten (Beschwerdeführer zu II. 1)) und drei Jahren und vier Monaten (Beschwerdeführer zu II. 2)) verurteilt. Der Verurteilung ging eine Verständigung voraus. Zu Beginn der Hauptverhandlung hatte der Verteidiger des Beschwerdeführers zu II. 2) ein Rechtsgespräch angeregt, für das die Verhandlung unterbrochen wurde. In der Pause führten die Verteidiger, das Gericht und der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft Verständigungsgespräche. Nach Fortsetzung der Hauptverhandlung stellte das Gericht fest, das Verfahren gemäß § 257b StPO mit allen Verfahrensbeteiligten ausführlich erörtert zu haben. Die Kammer habe darauf hingewiesen, dass nach Aktenlage und vorbehaltlich des Ergebnisses der Hauptverhandlung und der Beweisaufnahme ein Schuldspruch wegen 27 Fällen des Betruges in besonders schwerem Fall jeweils in Tateinheit mit dem vorsätzlichen gemeinschaftlichen unerlaubten Betreiben eines Bankgeschäfts in Betracht komme. Unter Berücksichtigung dieser Bewertung sowie eines angekündigten Geständnisses rege die Kammer an, dass sich die Verfahrensbeteiligten dahingehend verständigten, dass der Beschwerdeführer zu II. 1) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als drei Jahren und sechs Monaten verurteilt werde und der Beschwerdeführer zu II. 2) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als drei Jahren und vier Monaten. Eine Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO erfolgte nicht. Dem Vorschlag stimmten die Beschwerdeführer zu II., ihre Verteidiger und die Staatsanwaltschaft ausdrücklich zu. Auf die Einvernahme von Zeugen - mit Ausnahme des ermittelnden Polizeibeamten - wurde allseits verzichtet. Die Verteidiger gaben Erklärungen zur Sache ab, die sich die Beschwerdeführer zu II. jeweils zu eigen machten. Die Feststellungen im Urteil beruhen ausschließlich auf diesen Erklärungen und auf den Angaben des ermittelnden Polizeibeamten sowie den im Wege des Selbstleseverfahrens in die Hauptverhandlung eingeführten Ergebnissen einer von der Polizei in Form von Fragebögen durchgeführten schriftlichen Zeugenbefragung. 

b) Mit ihrer Revision beanstandeten die Beschwerdeführer zu II. den Verstoß gegen die Belehrungspflicht des § 257c Abs. 5 StPO und erhoben die Sachrüge. Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision mit Beschluss vom 2. November 2010 gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet. Zu dem Belehrungsmangel führte er aus, dass eine der von § 257c Abs. 4 StPO erfassten Fallgestaltungen, über deren Rechtsfolgen vorab zu belehren sei, nicht vorliege. Die verhängten Strafen überstiegen auch nicht die vom Gericht jeweils zugesicherte Höhe. Konkrete, fallbezogene Gründe, die für die auch nur entfernte Möglichkeit sprächen, dass sich der aufgezeigte Verfahrensmangel auf das Prozessverhalten der Angeklagten ausgewirkt haben könnte, so dass letztlich ein für sie günstigeres Urteil nicht auszuschließen wäre, seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. 

3. a) Der Beschwerdeführer zu III. wurde als einer von zwei Angeklagten durch das Landgericht Berlin mit Urteil vom 15. März 2011 wegen zweier Fälle des schweren Raubes und wegen Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Verurteilung ging eine Verständigung voraus. Der Vorsitzende hatte die Angeklagten nach Verlesung der Anklageschrift darauf hingewiesen, dass es hinsichtlich der Raubtaten im Wesentlichen drei Möglichkeiten gebe. Die erste sei ein Freispruch, die zweite eine Verurteilung wegen eines oder zweier Fälle des schweren Raubes mit jeweils einer Mindestfreiheitsstrafe von drei Jahren nach streitiger Beweisaufnahme. In der zweitgenannten Konstellation - so die Urteilsgründe - „verspüre“ die Kammer angesichts dessen, dass es sich um Taten handele, die die Angeklagten als Polizeibeamte im Dienst begangen hätten, „wenig Neigung“ zur Annahme von minder schweren Fällen. Die dritte Möglichkeit schließlich sei hinsichtlich der Konsequenzen ein Mittelweg: Falls die Angeklagten sich zu Geständnissen, die eine Beweisaufnahme überflüssig machen, entschlössen, könne dieser Umstand bei der Gesamtabwägung, ob minder schwere Fälle vorliegen, eine entscheidende Rolle spielen und letztlich den Ausschlag zugunsten der Angeklagten geben. In diesem Fall seien Gesamtfreiheitsstrafen zu erwarten, deren Vollstreckung die Kammer zur Bewährung aussetzen könne. Während einer 85-minütigen Verhandlungspause hatten die Angeklagten Gelegenheit, über den Vorschlag des Gerichts nachzudenken und ihn mit ihren Verteidigern zu beraten. Der Vorsitzende mahnte derweil zur Eile. Nach dem Vortrag des Beschwerdeführers zu III. warnte ihn sein Verteidiger zudem vor der Möglichkeit einer „Saalverhaftung“, wenn er der vorgeschlagenen Verständigung nicht nähertrete. Nach der Verhandlungspause erklärten die Angeklagten und die Staatsanwaltschaft ihre Zustimmung zu dem Vorschlag des Gerichts, was entsprechend zu Protokoll genommen wurde. Nach allgemeiner und besonderer Belehrung gemäß § 257c Abs. 4 und 5 StPO legten die Angeklagten Geständnisse in Form einer schlichten Bestätigung des Anklagesatzes ab. Anschließend erklärten die Verteidiger jeweils, dass Fragen zur Sache nicht beantwortet würden. Auf die Vernehmung von Zeugen wurde allseits verzichtet. Nach den Plädoyers und dem letzten Wort der Angeklagten zog sich die Kammer zur Beratung zurück, trat sodann aber noch einmal in die Beweisaufnahme ein, um die Angeklagten zu fragen, ob sie bei den Taten ihre Dienstwaffen bei sich geführt hätten und ob diese geladen gewesen seien, was die Angeklagten bejahten. Die Feststellungen im Urteil beruhen ausschließlich auf den Erklärungen der Angeklagten und entsprechen weitgehend dem Anklagesatz. 

b) Mit seiner Revision machte der Beschwerdeführer zu III. im Wege der Verfahrensrüge Verstöße gegen § 244 Abs. 2 StPO und gegen § 136a StPO geltend und erhob daneben die Sachrüge. Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision auf Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 349 Abs. 2 StPOals unbegründet und bemerkte lediglich ergänzend, dass er der Revision jenseits der vom Generalbundesanwalt zutreffend als unzulässig bewerteten Verfahrensrügen eine noch zulässig erhobene Beanstandung der Anwendung von § 257c StPO entnehme. Diese greife in der Sache aber nicht durch. Das Landgericht habe den Angeklagten vor Augen halten dürfen, dass im Verurteilungsfall nur unter der Voraussetzung eines Geständnisses der Strafrahmen des § 250 Abs. 3 StGB (minder schwerer Fall) eröffnet sein könne. Eine Drohung mit einer willkürlich bemessenen „Sanktionsschere“ liege deshalb nicht vor. Zu allen darüber hinausgehenden Behauptungen unzulässigen Drucks fehle es schon an ausreichendem Revisionsvortrag. Abgesehen davon sei insoweit ersichtlich nichts erwiesen. 

III. 

1. Die Beschwerdeführer zu I. und zu II. rügen eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Selbstbelastungsfreiheit und des fairen Verfahrens sowie dem Schuldprinzip, ferner Verstöße gegen Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 GG, Art. 19 Abs. 4 sowie Art. 101 Abs. 1 GG durch das Unterlassen der von § 257c Abs. 5 StPO verlangten Belehrung vor Zustandekommen der Verständigung. Hilfsweise rügen sie die Verfassungswidrigkeit des § 257c StPOwegen Verstoßes insbesondere gegen das Schuldprinzip und das Rechtsstaatsgebot. 

a) Die Möglichkeit einer Beeinflussung des Verfahrensausgangs durch eine Verständigung übe mittelbar Druck auf den Angeklagten aus, ein Geständnis abzulegen. Eine freiverantwortliche, auf autonomer Einschätzung des damit verbundenen Risikos beruhende Entscheidung über die Abgabe eines Geständnisses setze voraus, dass der Angeklagte wisse, dass sich das Gericht über § 257c Abs. 4 StPOwieder von der Verständigung lösen könne. Die Gerichte hätten diese Aufgabe, die der Gesetzgeber der Belehrungspflicht zugewiesen habe, übersehen und § 257c Abs. 5 StPO unter Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG zu einer reinen Ordnungsvorschrift entwertet. Käme nämlich - worauf die Revisionsentscheidung hinauslaufe - ein Verstoß gegen § 257c Abs. 5 StPO nur bei einer Abweichung des Gerichts von der Verständigung zum Tragen, so bliebe ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht letztlich in allen Fällen ohne Konsequenz, da bei einer Abweichung von der Verständigung das Geständnis schon wegen § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO nicht verwertbar sei. Auch aus tatsächlicher Sicht überzeuge die Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht, da niemand wissen könne, ob bei ordnungsgemäßer Belehrung die Verständigung überhaupt zustande gekommen wäre. 

b) Die Vorschrift des § 257c StPO verstoße gegen das Schuldprinzip und das aus Rechtsstaatsgebot und Gleichheitssatz folgende Legalitätsprinzip, die beide die Ermittlung des wahren Sachverhalts verlangten. Das Bemühen um Gewährleistung einer - trotz der Verständigung - schuldangemessenen Strafe sei mit dem zugleich verfolgten Anliegen einer Verfahrensverkürzung unvereinbar. Dieser innere Widerspruch präge die gesamte Diskussion zu § 257c StPO. Die gesetzliche Regelung sei nicht geeignet, die Realität der Verständigungspraxis zu beeinflussen. Eine wirksame revisionsgerichtliche Kontrolle von Verständigungen sei nicht möglich. Die Verständigung laufe darauf hinaus, der gerichtlichen Entscheidung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens zugrundezulegen; dieses sei aber gerade nicht zur Findung der materiellen Wahrheit, sondern lediglich zu einer Verdachtsklärung bestimmt. Die Schöffen, die den Akteninhalt nicht kennten, seien für ihre Überzeugungsbildung auf den Inbegriff der Hauptverhandlung angewiesen. Im Falle eines Scheiterns der Verständigung sei die Neutralität des Richters im weiteren Verlauf des Verfahrens gefährdet. Dass dem unverteidigten Angeklagten faktisch die Möglichkeit einer Verständigung verschlossen bleibe, verstoße gegen den Gleichheitssatz. 

2. Der Beschwerdeführer zu III. rügt eine Verletzung seiner Grundrechte auf effektiven Rechtsschutz und ein faires Verfahren gemäß Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 GG. Der Bundesgerichtshof habe die Anforderungen an die Zulässigkeit von Verfahrensrügen in der Revision überspannt. Ferner verstoße die vom Landgericht angedrohte „Sanktionsschere“ gegen das Recht auf ein faires Verfahren. Schließlich habe das Landgericht seine Aufklärungspflicht verletzt, weil es das Geständnis nicht auf seinen Wahrheitsgehalt überprüft habe. 

IV. 

1. Die Bundesregierung vertritt die Auffassung, die durch das Verständigungsgesetz eingeführten Vorschriften seien mit dem Grundgesetz vereinbar. Durch die Verständigung werde nicht ermöglicht, dass sich die Verfahrensbeteiligten ohne Ermittlung des wahren Sachverhalts auf ein bestimmtes Ergebnis einigten. § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO stelle vielmehr klar, dass der Amtsermittlungsgrundsatz auch im Falle einer Verständigung unberührt bleibe. Entsprechendes gelte für die Strafzumessung, die sich weiterhin nach § 46 StGB bestimme. Der Angeklagte könne unabhängig vom Vorliegen einer Verständigung frei entscheiden, ob er sich geständig einlassen wolle oder nicht. § 257c StPO lasse daher die Selbstbelastungsfreiheit unberührt. Auch die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege werde durch die gesetzliche Regelung nicht beeinträchtigt. Vielmehr könne eine geständige Einlassung zu einer weniger umfangreichen Beweisaufnahme führen. Auch könnten Verständigungen eine Verbesserung des Opferschutzes bewirken, wenn ein Geständnis die Vernehmung von Opferzeugen in der Hauptverhandlung entbehrlich mache. 

2. Die Bayerische Staatsregierung, die sich zu den Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. und zu II. geäußert hat, hält diese für unbegründet. Ein Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren liege nicht vor. Zum einen habe sich das Gericht an die zugesagten Strafobergrenzen gehalten, zum anderen mache die bloß abstrakte Möglichkeit, dass die Beschwerdeführer bei ordnungsgemäßer Belehrung von der Verständigung insgesamt Abstand genommen hätten, das Verfahren nicht unfair. § 257c StPO verletze weder das Schuldprinzip noch den Legalitätsgrundsatz. Die nunmehr gesetzlich vorgesehene Möglichkeit, ein Ermittlungs- oder Strafverfahren durch Einräumung von inneren und äußeren Umständen im Rahmen einer Verständigung abzukürzen, werde der Tatsache gerecht, dass dem Angeklagten aufgrund seiner Subjektqualität auch zugetraut werden müsse, Entscheidungen eigenverantwortlich zu treffen. Außerdem lasse § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO die Amtsaufklärungspflicht unberührt. 

3. Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat Stellungnahmen der Vorsitzenden des 1., 3., 4. und 5. Strafsenats vorgelegt. 

a) Der Vorsitzende des 1. Strafsenats führt aus, eine frühe Einbeziehung des Angeklagten und seines Verteidigers in die Überlegungen zur Strafzumessung bis hin zu einer Verständigung stärke die Stellung des Angeklagten als Subjekt. An der Bedeutung eines Geständnisses für die Strafzumessung habe sich durch § 257c StPO nichts geändert. Seien die zur Wahrheitsfindung erforderlichen Tatsachen nach Überzeugung des Gerichts durch ein Geständnis umfassend erwiesen, komme einer weiteren Beweisaufnahme keine Bedeutung mehr zu. Sie werde von § 244 Abs. 2 StPO nicht gefordert und sei zur Vermeidung unnötiger Belastung des Angeklagten, der Tatopfer sowie zum effektiven Einsatz der Ressource Recht zu vermeiden. Eine überdurchschnittliche Fehlerquote könne der Senat bei dem Verständigungsverfahren gemäß § 257c StPO nicht konstatieren. Von den im Jahr 2011 beim 1. Strafsenat anhängig gewordenen 650 Revisionsverfahren habe dem Urteil nur in 34 Fällen (ca. 5 %) eine Verständigung zugrunde gelegen. Nur in drei Fällen habe es Anlass zu Kritik gegeben: In zwei Fällen habe eine unzulässige Vereinbarung über den Schuldspruch vorgelegen, im dritten Fall eine unvertretbare Nichtberücksichtigung eines besonders schweren Falles. 

b) Die Vorsitzenden des 3. und 4. Strafsenats verweisen auf Entscheidungen ihrer Senate. Der Vorsitzende des 5. Strafsenats verweist ebenfalls auf Entscheidungen seines Senats und teilt mit, die von seinem Strafsenat bislang entschiedenen Fälle ließen aus seiner Sicht noch keine generelle Beurteilung der Normanwendung durch die Tatgerichte aus der in diesem Bereich ohnehin eingeschränkten Sicht des Revisionsgerichts zu. Der Senat hege bislang keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 257c StPO.
 
4. Der Generalbundesanwalt hält § 257c StPO für grundsätzlich verfassungskonform. Die Norm ersetze nicht die bisherige Struktur des Strafprozesses durch ein adversatorisches Verfahren, sondern füge sich entsprechend dem Willen des Gesetzgebers in das bestehende System ein. Sie verletze weder das Schuldprinzip noch das Recht auf ein faires Verfahren. Die Unschuldsvermutung und die Selbstbelastungsfreiheit blieben ebenso unangetastet wie der Gleichheitssatz. Zwar führe die gesetzliche Zulassung von Verständigungen zu Spannungen mit zahlreichen Verfahrensmaximen des Strafprozesses. In Anbetracht des Gestaltungsermessens des Gesetzgebers folge hieraus aber nicht die Verfassungswidrigkeit der Norm. Erheblich für die Verfassungsmäßigkeit der Verständigung spreche, dass sie besonders geeignet sei, den - in seiner Bedeutung im Verhältnis zum Ideal der Wahrheitsfindung zuletzt deutlich aufgewerteten - Zweck der Herstellung von Rechtsfrieden zu erreichen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Verständigung auch auf einer angemessenen Einbeziehung und Interessenwahrung des Opfers beruhe. Eine Legitimation der Verständigung lasse sich teilweise auch aus dem Prinzip der Disponibilität von Rechten ableiten. Die Rechtsordnung gewähre dem Angeklagten in weitem Umfang die Möglichkeit, auf Verfahrensrechte zu verzichten und die Art seines Verteidigungsverhaltens autonom zu bestimmen. Anführen lasse sich für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Verständigungen ferner, dass diese Erledigungsart auf dem durchweg als modern und zeitgemäß empfundenen Gebot eines offenen und kommunikativen Verhandlungsstils aufbaue. 

Ungeachtet dessen entfalte die gesetzliche Verankerung der Verständigung eine erhebliche Sogwirkung in Richtung auf strukturelle Veränderungen des Strafprozesses. Die Anerkennung und Ausbreitung quasi-vertraglicher Erledigungsformen habe sich in mehreren Stufen mit bislang ungebrochen expansiver Tendenz vollzogen. Rechtsprechung und Gesetzgebung hätten die normative Kraft des Faktischen nur nachholend bestätigen können, wobei gegenläufige, auf eine Kanalisierung der Verständigungspraxis gerichtete Bestrebungen bislang nicht in der Lage gewesen seien, die Dynamik der Entwicklung aufzuhalten. Ein wesentliches Motiv für die gewachsene Zahl von Verständigungen sei die in den vergangenen Jahrzehnten gestiegene Arbeitsbelastung der Justiz, mit der deren sachliche und personelle Ausstattung nicht Schritt gehalten habe. Angesichts dessen beziehe die Verständigung als Gegenmodell zur Durchführung einer aufwendigen streitigen Hauptverhandlung einen wesentlichen Teil ihrer Attraktivität aus der Möglichkeit für alle Beteiligten, das Verfahren drastisch abzukürzen, es möglichst weiterer rechtlicher Kontrolle zu entziehen und so über die Einsparung von Arbeitsaufwand im konkreten Fall die jeweiligen Erledigungsquoten - beim Verteidiger zudem mit positiven ökonomischen Folgen - zu erhöhen. 

Zur Sicherung der Verfassungskonformität sei daher einer weiteren Expansion von Formen der Verständigung im Strafprozess Einhalt zu gebieten. Dieser Erledigungsart könne im strafprozessualen System nach dem Willen des Gesetzgebers nur eine ergänzende Funktion zukommen. Sie dürfe nicht zum Regelfall des Strafverfahrens werden. Um den mit ihr verbundenen mittelbaren Gefährdungen verfassungsrechtlich geschützter Verfahrensprinzipien auf Dauer entgegenzuwirken, bedürften Anwendungsbereich und Voraussetzungen des § 257c StPO in Fortführung bereits vorhandener Ansätze in der fachgerichtlichen Rechtsprechung einer einschränkenden Auslegung. Ferner seien die im Gesetz angelegten Restriktionspotenziale über die bisherige Rechtsanwendung hinaus weiter auszuschöpfen und weitere flankierende Maßnahmen geboten. 

Vor diesem Hintergrund hält der Generalbundesanwalt die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. und II. für unbegründet. Die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Beruhensprüfung hinsichtlich des Belehrungsmangels sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu III. erachtet der Generalbundesanwalt dagegen auf der Grundlage der von ihm als notwendig erachteten verfassungskonformen Auslegung des § 257c StPOals nicht aussichtslos. Es fehle bereits an der plausiblen Darlegung der Eignung des Falles für eine Verständigung, auf die die Strafkammer vorschnell ausgewichen sei. Zudem habe das Landgericht das erkennbar auf eine reine Bestätigung der Anklage beschränkte Geständnis keiner weiteren Überprüfung unterzogen. Schließlich gehe die Verständigung auf ein verfassungsrechtlich bedenkliches Aufzeigen von Alternativstrafen zurück. 

5. Der Senat hat ferner Stellungnahmen des Deutschen Richterbundes, des Deutschen Anwaltvereins und der Bundesrechtsanwaltskammer eingeholt. 
a) Der Deutsche Richterbund vertritt die Auffassung, das Verständigungsgesetz habe zwar einen erheblichen Gewinn an Rechtssicherheit gebracht; gleichwohl habe sich die gesetzliche Regelung aus Sicht der Praxis nicht uneingeschränkt bewährt. Das Risiko, dass eine Verständigung auch und gerade wegen des erwünschten Beschleunigungseffekts einen Verzicht auf gründliche und umfassende Sachaufklärung zur Folge haben könne, sei unübersehbar. Die Verkürzung der Hauptverhandlung führe außerdem dazu, dass der - in der Praxis in aller Regel von der Polizei erstellte - schriftliche Inhalt der Akten an Bedeutung gewinne. Die Justiz drohe die gebotene Kontrolle über die polizeilichen Ermittlungsergebnisse zu verlieren. Hinzu komme, dass es für alle Verfahrensbeteiligten verführerisch sei, sich die oft notwendige Erfassung, Auswertung und Beurteilung umfangreicher elektronisch gespeicherter Beweismittel durch eine Verständigung zu ersparen unter Inkaufnahme und im Bewusstsein des Umstandes, dadurch nur einen kleinen Teil des Beweisstoffes zur Kenntnis zu nehmen. Nicht von der Hand zu weisen sei die Gefahr, dass gerade bei Verfahren großen Umfangs das zu einem frühen Zeitpunkt aus echter Reue abgegebene Geständnis im Vergleich zu dem im Hinblick auf eine mögliche Verständigung taktisch zurückgehaltenen Geständnis entwertet werde. Damit verbunden sei die bedenkliche Tendenz, „kleine“, häufig unverteidigte Straftäter härter zu bestrafen, während die Justiz in Großverfahren aus Mangel an Mitteln immer nachgiebiger werde. Die in vielen Ländern unzureichende Personalausstattung der Justiz führe in der Kombination mit weiteren ungünstigen Rahmenbedingungen des deutschen Strafprozesses, deren Verbesserung bislang nicht gelungen sei, immer wieder zu Hauptverhandlungen, die der Öffentlichkeit nicht als dem hohen Gerechtigkeitsanspruch der deutschen Justiz entsprechend vermittelt werden könnten. Dadurch leide das Ansehen der Rechtspflege insgesamt. Hinzu komme, dass das Verständigungsverfahren zahlreiche noch offene Probleme aufweise. So würden die Öffentlichkeits- und Protokollierungspflichten teilweise als Belastung empfunden; zugleich würden vielfältige Hinweis- und Fürsorgepflichten des Tatrichters die Handhabung des § 257c StPO erschweren. Auch die umfangreichen Belehrungspflichten des § 257c Abs. 5 StPO hätten sich als wenig praxistauglich erwiesen. Der Ausschluss des Verzichts auf Rechtsmittel stehe im Widerspruch zu der Erwartung der Praxis, mit der ausgehandelten Verständigung eine rasche Rechtskraft des Ergebnisses zu erreichen. Die Verlockung, „es so zu machen wie früher“ und eine unzulässige „informelle“ Absprache außerhalb des § 257c StPO zu treffen, erscheine daher evident. Nicht zu unterschätzen sei zudem die Gefahr, dass sich Gerichte, Staatsanwaltschaften und Verteidiger dergestalt an Absprachen gewöhnten, dass die Beendigung des Verfahrens auf diese Weise zum Regelfall werde. Die Warnungen vor einem „schleichend eingeläuteten Systemwechsel“ seien ernst zu nehmen. Dem Zeitgeist folgend versuche der Gesetzgeber, unter dem Deckmantel der Förderung eines offenen und kommunikativen Verhandlungsstils Versäumnisse bei der Ausgestaltung und Praktikabilität des formellen und materiellen Rechts zu kompensieren. Der Gesetzgeber sei jedoch verpflichtet, die prozessualen Rahmenbedingungen so auszugestalten, dass die Justiz ihrem gesetzlichen Strafverfolgungsauftrag gerecht werden könne, ohne sich auf Verhandlungen mit dem Angeklagten zulasten der materiellen Wahrheit und der Gerechtigkeit einlassen zu müssen. Um dem verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebot Genüge zu tun und die Handlungsfähigkeit der Justiz zu gewährleisten, kämen etwa eine Neuordnung des Ablehnungsrechts, die Befristung von Beweisanträgen, eine Neufassung des § 265 Abs. 3 StPO, Erleichterungen bei Beweistransfers aus dem Ermittlungsverfahren in die Hauptverhandlung (etwa bei der Einführung von Urkunden) und eine Änderung des § 273 Abs. 3 StPO in Betracht. 

b) Der Deutsche Anwaltverein hält die Anwendung des § 257c StPO durch die Gerichte in den Ausgangsverfahren für verfassungswidrig und die Verfassungsbeschwerden daher für begründet. Insbesondere verstoße die Verletzung der Belehrungspflicht aus § 257c Abs. 5 StPO gegen das Recht auf ein faires Verfahren, da bei fehlender Belehrung die Willensfreiheit des Angeklagten im Zeitpunkt der Entscheidung über den Abschluss der Verständigung nicht gegeben sei. Zudem bestünden an der Verfassungsmäßigkeit des § 257c StPO erhebliche Zweifel. Der Aufklärungsgrundsatz und das Schuldprinzip stünden dem mit § 257c StPO verfolgten Ziel einer Verfahrensverkürzung und -vereinfachung strukturell entgegen. Eine „Bändigung der Verständigung“ sei durch die gesetzliche Regelung nicht geglückt. Dieser Befund werde durch Erfahrungsberichte von Mitgliedern des Strafrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins bestätigt. In einem Fall habe etwa der Vorsitzende einer Strafkammer im Gespräch mit dem Verteidiger geäußert, dass das Urteil, das aufgrund der Verständigung zustande kommen sollte, einer revisionsgerichtlichen Überprüfung vermutlich nicht standhalten würde. Dieses Risiko würde er aber eingehen, weil er davon ausgehe, dass sich alle Beteiligten an die Verständigung halten und daher keine Revision eingelegt werde. In einem anderen Fall habe die Kammer für die Abgabe umfassender Geständnisse im Sinne der Anklage eine Strafe im bewährungsfähigen Bereich in Aussicht gestellt, obwohl sich der Sachverhalt in der Hauptverhandlung anders dargestellt habe. Da für die Angeklagten die Freiheit wichtiger gewesen sei als die Wahrheit, seien entsprechende, die Anklage bestätigende Geständnisse abgegeben worden. Die Gefahr falscher Geständnisse habe durch das Verständigungsgesetz eher zugenommen. Benachteiligt werde der Angeklagte, der schon früh im Ermittlungsverfahren gestanden habe, da er für eine Verständigung nichts mehr anzubieten habe. Die Förmlichkeiten und Beschränkungen des gesetzlich vorgesehenen Verständigungsverfahrens würden in der Praxis überwiegend umgangen. Die Revisionsgerichte ließen die Möglichkeiten zur „Domestizierung“ der Verständigung ungenutzt. 

c) Die Bundesrechtsanwaltskammer hält § 257c StPO für verfassungsgemäß. Die Vorschrift stehe im Spannungsverhältnis zwischen den Verpflichtungen zur Ermittlung des wahren Sachverhalts und zur Bestimmung der schuldangemessenen Strafe als Elementen des Schuldprinzips, dem Grundsatz des fairen Verfahrens und dem Gebot wirksamer Strafrechtspflege. Die gesetzliche Regelung sei ausgerichtet auf einen praktisch konkordanten Ausgleich zwischen diesen Grundsätzen. Sie schaffe im Vergleich zur früheren Rechtslage ein beträchtliches Maß an Rechtssicherheit. Tragende Prinzipien eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens seien nicht verletzt. Dies gelte insbesondere für den Amtsermittlungsgrundsatz, die Grundsätze der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit und das Gebot bestmöglicher Sachaufklärung. Das generell mit der Verurteilung auf der Grundlage eines Geständnisses verbundene Risiko eines Fehlurteils werde durch die gesetzlichen Verständigungsregelungen nicht signifikant erhöht. Dass der Bundesgerichtshof dazu neige, bei Verstößen gegen die formellen Voraussetzungen einer Verständigung, namentlich die Dokumentations-, Mitteilungs- und Belehrungspflichten, ein Beruhen des Urteils auszuschließen, sei der vom Gesetzgeber angestrebten Transparenz des mit einer Verständigung verbundenen Geschehens allerdings nicht förderlich. Die Eindämmung „informeller“ Absprachen werde dadurch erschwert. Im Ergebnis sei ein struktureller Mangel des Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren derzeit nicht erkennbar. Die Bundesrechtsanwaltskammer hält die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. und II. für unbegründet. Die unterbliebene Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO habe das Verfahren nicht insgesamt unfair gemacht, da das Gericht letztlich von der Verständigung nicht abgewichen sei. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu III. hält die Bundesrechtsanwaltskammer dagegen für begründet. Insbesondere habe das Landgericht seine Aufklärungspflicht verletzt, indem es sich mit einem Formalgeständnis begnügt habe. Zudem sei dem Geständnis ein Aufzeigen von Alternativstrafen vorausgegangen. Dies stelle einen Verstoß gegen das Schuldprinzip dar. 

V. 

Der Senat hat den Sachverständigen Prof. Dr. Altenhain, Universitätsprofessor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, mit der Durchführung einer repräsentativen empirischen Untersuchung zur Praxis der Verständigung im Strafverfahren beauftragt. Zu diesem Zweck hat der Sachverständige im Zeitraum zwischen dem 17. April und 24. August 2012 insgesamt 190 mit Strafsachen befasste Richterinnen und Richter des Landes Nordrhein-Westfalen befragt, von denen 117 als Strafrichter oder Vorsitzende eines Schöffengerichts und 73 als Vorsitzende einer Strafkammer tätig waren. Als Kontrollgruppe wurden daneben 68 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie 76 Fachanwältinnen und Fachanwälte für Strafrecht befragt. 

Nach Einschätzung der befragten Richter wurden im Kalenderjahr 2011 17,9 % der Strafverfahren an Amtsgerichten und 23 % der Strafverfahren an Landgerichten durch Absprachen erledigt. Auf die Frage, in wieviel Prozent der Fälle nach ihrer Einschätzung in der gerichtlichen Praxis die gesetzlichen Vorschriften zur Verständigung verletzt würde, gaben etwas mehr als die Hälfte der Richter an, dass dies in mehr als der Hälfte aller Verfahren mit Absprachen der Fall sein dürfte. So gaben 58,9 % der befragten Richter an, mehr als die Hälfte ihrer Absprachen „informell“, also ohne Anwendung des § 257c StPOdurchgeführt zu haben, 26,7 % gaben an, immer so vorgegangen zu sein. 33 % der befragten Richter gaben an, außerhalb der Hauptverhandlung Absprachen geführt zu haben, ohne dass dies in der Hauptverhandlung offengelegt wurde, während 41,8 % der Staatsanwälte und 74,7 % der Verteidiger angaben, dies schon erlebt zu haben. Die Offenlegungspflicht wird von einem nicht unbeachtlichen Teil der Richter als überflüssiger Formalismus empfunden. Die Regelung zum sogenannten Negativattest (§ 273 Abs. 1a Satz 3 StPO) bleibt in der Praxis oft unbeachtet. 54,4 % der befragten Richter gaben an, eine nicht erfolgte Verständigung für im Protokoll nicht erwähnenswert zu halten. 46,7 % der befragten Richter weisen entgegen § 267 Abs. 3 Satz 5 StPO nicht in den Urteilsgründen auf eine dem Urteil vorausgegangene Verständigung hin. Sehr häufiger Inhalt von Absprachen ist die Einstellung beziehungsweise Beschränkung des Verfahrens nach §§ 154, 154a StPO; in diesem Zusammenhang wird auch die Einstellung anderer, nicht in die Anklage einbezogener Verfahren im Rahmen sogenannter „Gesamtlösungen“ immer wieder thematisiert. (Im Rahmen einer von G. Schöch durchgeführten anonymisierten empirischen Erhebung zur Absprachepraxis in München sind sogar „Familienlösungen“ bekanntgeworden, bei denen etwa der Mann eine höhere Freiheitsstrafe erhält und im Gegenzug die Frau eine Bewährungsstrafe, um zu Hause die Kinder versorgen zu können, oder die zukünftigen Strafen von Familienangehörigen in anderen Verfahren gleich mit abgesprochen werden [vgl. G. Schöch, Urteilsabsprachen in der Strafrechtspraxis, 2007, S. 147]). Teilweise werden ausweislich der Studie von Prof. Dr. Altenhain durch § 257c Abs. 2 StPO ausdrücklich ausgeschlossene Inhalte wie etwa der Schuldspruch in die Absprache aufgenommen. Während 61,7 % der Richter angaben, die Glaubhaftigkeit von im Anschluss an eine Absprache abgelegten Geständnissen immer zu überprüfen, räumten 38,3 % der Richter ein, die Glaubhaftigkeit des Geständnisses nicht immer, sondern nur häufig, manchmal, selten oder nie zu überprüfen. 35,3 % der befragten Richter haben nach eigenem Bekunden dem Angeklagten oder seinem Verteidiger in Verständigungsgesprächen neben der Strafobergrenze beziehungsweise dem bestimmten Strafmaß für den Fall einer Kooperation schon einmal eine zweite Strafe für den Fall einer „streitigen“ Hauptverhandlung genannt, 16 % gaben an, typischerweise so vorzugehen. Die Einlegung eines Rechtsmittels nach einer Absprache ist sehr selten. Nach Auskunft von 27,4 % der Richter wurde sogar bei Verständigungen gemäß § 257c StPO - entgegen § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO - ausdrücklich auf Rechtsmittel verzichtet. Von den Richtern gaben 14,7 % an, dass bei ihnen nach einer Absprache „immer“ auf Rechtsmittel verzichtet werde; bei 56,6 % geschah dies „häufig“ (Staatsanwälte: 5,6 % bzw. 64,8 %; Verteidiger: 5,6 % bzw. 76,1 %). Nicht weniger als 16,4 % der Richter und 30,9 % der Staatsanwälte erklärten, sich im Rahmen einer Absprache schon auf eine ihrer Ansicht nach zu milde Strafe eingelassen zu haben.

Demgegenüber haben sich von den Verteidigern 30,3 % nach eigener Auskunft schon auf eine ihrer Ansicht nach zu hohe Strafe im Wege der Absprache eingelassen. Der „Strafrabatt“ im Anschluss an ein absprachegemäß abgelegtes Geständnis liegt nach Angaben der Befragten zumeist zwischen 25 % und 33,3 % der wahrscheinlich zu erwartenden Strafe nach „streitiger“ Verhandlung. 

VI. 

Mit Beschlüssen vom 22. Mai 2012 und vom 21. Juni 2012 hat die 1. Kammer des Zweiten Senats auf Antrag der sich zu dieser Zeit in Strafhaft befindenden Beschwerdeführer zu I. und II. die Vollstreckung aus den angegriffenen Urteilen des Landgerichts München II bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerden, längstens für sechs Monate, einstweilen ausgesetzt. Mit Beschlüssen vom 22. Oktober 2012 und vom 5. Dezember 2012 hat der Senat auf Antrag der Beschwerdeführer zu I. und II. die einstweiligen Anordnungen wiederholt. 

VII. 

In der mündlichen Verhandlung hat der Senat Prof. Dr. Altenhain zu dessen im Auftrag des Senats angefertigter empirischer Studie über die Praxis der Verständigung im Strafverfahren gehört, zu den Erfahrungen und Einschätzungen bei den Tat- und Revisionsgerichten den Präsidenten des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Tolksdorf, Generalbundesanwalt Range, Vorsitzenden Richter am Landgericht Marburg Dr. Paul, Vorsitzenden Richter am Landgericht Hildesheim Pohl, Vorsitzenden Richter am Landgericht Hamburg Dr. Tully und Vorsitzenden Richter am Landgericht Freiburg im Breisgau i.R. Royen. Prof. Dr. Frisch, Direktor der Abteilung 1 des Instituts für Strafrecht und Strafprozessrecht der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, hat sich zum Schuldprinzip und dessen Bedeutung für die Legitimation staatlichen Strafens im Rechtsstaat und die Erfüllung der freiheitssichernden Funktion des Strafrechts sowie zur Vereinbarkeit der Verständigungspraxis und des § 257c StPO mit dem Schuldprinzip geäußert. Die Bevollmächtigten der Beschwerdeführer sowie Vertreter der Bundesregierung, des Deutschen Richterbundes, des Deutschen Anwaltvereins und der Bundesrechtsanwaltskammer haben ihren schriftlichen Vortrag ergänzt und vertieft. Zur Verfassungsmäßigkeit von Verständigungen im Strafprozess hat ferner ein Vertreter der Neuen Richtervereinigung Stellung genommen. 

B. 

Die Verfassungsbeschwerden sind begründet, soweit sie sich gegen die angegriffenen Entscheidungen richten; im Übrigen haben sie keinen Erfolg. 

I. 

1. Das Strafrecht beruht auf dem Schuldgrundsatz (BVerfGE 123, 267 <413>), der den gesamten Bereich staatlichen Strafens beherrscht. Der Schuldgrundsatz hat Verfassungsrang; er ist in der Garantie der Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG) sowie im Rechtsstaatsprinzip verankert (vgl. BVerfGE 45, 187 <259 f.>; 86, 288 <313>; 95, 96 <140>; 120, 224 <253 f.>; 130, 1 <26>). 
a) Der Grundsatz „Keine Strafe ohne Schuld“ (nulla poena sine culpa) setzt die Eigenverantwortung des Menschen voraus, der sein Handeln selbst bestimmt und sich kraft seiner Willensfreiheit zwischen Recht und Unrecht entscheiden kann. Dem Schutz der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG liegt die Vorstellung vom Menschen als einem geistig-sittlichen Wesen zugrunde, das darauf angelegt ist, sich in Freiheit selbst zu bestimmen und zu entfalten (vgl. BVerfGE 45, 187 <227>; 123, 267 <413>). Auf dem Gebiet der Strafrechtspflege bestimmt Art. 1 Abs. 1 GG die Auffassung vom Wesen der Strafe und das Verhältnis von Schuld und Sühne (vgl. BVerfGE 95, 96 <140>) sowie den Grundsatz, dass jede Strafe Schuld voraussetzt (vgl. BVerfGE 57, 250 <275>; 80, 367 <378>; 90, 145 <173>; 123, 267 <413>). Die Strafe ist im Gegensatz zur reinen Präventionsmaßnahme dadurch gekennzeichnet, dass sie - wenn nicht ausschließlich, so doch auch - auf gerechte Vergeltung für ein rechtlich verbotenes Verhalten abzielt. Mit der Strafe wird dem Täter ein sozialethisches Fehlverhalten vorgeworfen (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 95, 96 <140>; 110, 1 <13>). Eine solche strafrechtliche Reaktion wäre ohne Feststellung der individuellen Vorwerfbarkeit mit der Garantie der Menschenwürde und dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 95, 96 <140>). 

b) Das Rechtsstaatsprinzip ist eines der elementaren Prinzipien des Grundgesetzes (BVerfGE 20, 323 <331>). Es sichert den Gebrauch der Freiheitsrechte, indem es Rechtssicherheit gewährt, die Staatsgewalt an das Gesetz bindet und Vertrauen schützt (BVerfGE 95, 96 <130>). Das Rechtsstaatsprinzip umfasst als eine der Leitideen des Grundgesetzes auch die Forderung nach materieller Gerechtigkeit (vgl. BVerfGE 7, 89 <92>; 7, 194 <196>; 45, 187 <246>; 74, 129 <152>; 122, 248 <272>) und schließt den Grundsatz der Rechtsgleichheit als eines der grundlegenden Gerechtigkeitspostulate ein (vgl. BVerfGE 84, 90 <121>). Für den Bereich des Strafrechts werden diese rechtsstaatlichen Anliegen auch im Schuldgrundsatz aufgenommen (BVerfGE 95, 96 <130 f.>). Gemessen an der Idee der Gerechtigkeit müssen Straftatbestand und Rechtsfolge sachgerecht aufeinander abgestimmt sein (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 25, 269 <286>; 27, 18 <29>; 50, 205 <214 f.>; 120, 224 <241>; stRspr). Die Strafe muss in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Verschulden des Täters stehen (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 45, 187 <228>; 50, 5 <12>; 73, 206 <253>; 86, 288 <313>; 96, 245 <249>; 109, 133 <171>; 110, 1 <13>; 120, 224 <254>). In diesem Sinne hat die Strafe die Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein (vgl. BVerfGE 45, 187 <253 f.>; 109, 133 <173>; 120, 224 <253 f.>). 

2. Aufgabe des Strafprozesses ist es, den Strafanspruch des Staates um des Schutzes der Rechtsgüter Einzelner und der Allgemeinheit willen in einem justizförmigen Verfahren durchzusetzen und dem mit Strafe Bedrohten eine wirksame Sicherung seiner Grundrechte zu gewährleisten. Der Strafprozess hat das aus der Würde des Menschen als eigenverantwortlich handelnder Person und dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Prinzip, dass keine Strafe ohne Schuld verhängt werden darf (vgl. BVerfGE 80, 244 <255>; 95, 96 <140>), zu sichern und entsprechende verfahrensrechtliche Vorkehrungen bereitzustellen. Zentrales Anliegen des Strafprozesses ist die Ermittlung des wahren Sachverhalts, ohne den sich das materielle Schuldprinzip nicht verwirklichen lässt (vgl. BVerfGE 57, 250 <275>; 118, 212 <231>; 122, 248 <270>; 130, 1 <26>). Dem Täter müssen Tat und Schuld prozessordnungsgemäß nachgewiesen werden (vgl. BVerfGE 9, 167 <169>; 74, 358 <371>). Bis zum Nachweis der Schuld wird seine Unschuld vermutet (vgl. BVerfGE 35, 311 <320>; 74, 358 <371>). 

a) Der Staat ist von Verfassungs wegen gehalten, eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann (vgl. BVerfGE 33, 367 <383>; 46, 214 <222>; 122, 248 <272>; 130, 1 <26>). Der Schutz elementarer Rechtsgüter durch Strafrecht und seine Durchsetzung im Verfahren sind Verfassungsaufgaben (vgl. BVerfGE 107, 104 <118 f.>; 113, 29 <54>). Das erfordert, dass Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten, also schuldangemessenen Bestrafung zugeführt werden (vgl. BVerfGE 33, 367 <383>; 46, 214 <222>; 122, 248 <272 f.>; 129, 208 <260>). Die verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten, umfasst auch die Pflicht, die Durchführung eingeleiteter Strafverfahren und die Vollstreckung rechtskräftig erkannter (Freiheits-)Strafen sicherzustellen. Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, die Pflicht des Staates, die Sicherheit seiner Bürger und deren Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der staatlichen Institutionen zu schützen, und der Anspruch aller in Strafverfahren Beschuldigten auf Gleichbehandlung erfordern grundsätzlich, dass der Strafanspruch durchgesetzt, also auch eingeleitete Verfahren fortgesetzt und rechtskräftig verhängte Strafen vollstreckt werden (BVerfGE 46, 214 <222 f.>; 49, 24 <54>; 51, 324 <344>). 

b) Bei alledem darf der Beschuldigte im Rechtsstaat des Grundgesetzes nicht bloßes Objekt des Strafverfahrens sein; ihm muss die Möglichkeit gegeben werden, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen (vgl. BVerfGE 65, 171 <174 f.>; 66, 313 <318>). 

aa) Als ein unverzichtbares Element der Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens gewährleistet das Recht auf ein faires Verfahren dem Beschuldigten, prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde wahrnehmen und Übergriffe der staatlichen Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können (vgl. BVerfGE 38, 105 <111>; 122, 248 <271 f.>). Dies bedeutet allerdings nicht, dass im Strafverfahren - unter dem Gesichtspunkt der „Waffengleichheit“ (vgl. BVerfGE 110, 226 <253>) - in der Rollenverteilung begründete verfahrensspezifische Unterschiede in den Handlungsmöglichkeiten von Staatsanwaltschaft und Verteidigung in jeder Beziehung ausgeglichen werden müssten (vgl. BVerfGE 63, 45 <67>; 63, 380 <392 f.>; 122, 248 <272>); vielmehr sind angesichts der besonderen, zur Objektivität verpflichtenden Stellung der Staatsanwaltschaft Differenzierungen möglich. Die Bestimmung der verfahrensrechtlichen Befugnisse und Hilfestellungen, die dem Beschuldigten nach dem Grundsatz des fairen Verfahrens im Einzelnen einzuräumen und die Festlegung, wie diese auszugestalten sind, ist in erster Linie dem Gesetzgeber und sodann - in den vom Gesetz gezogenen Grenzen - den Gerichten bei der ihnen obliegenden Rechtsauslegung und -anwendung aufgegeben. Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren liegt erst dann vor, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht - auch in seiner Auslegung und Anwendung durch die Gerichte - ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde (vgl. BVerfGE 57, 250 <276>; 64, 135 <145 f.>; 122, 248 <272>). Im Rahmen dieser Gesamtschau sind auch die Erfordernisse einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege in den Blick zu nehmen (vgl. BVerfGE 47, 239 <250>; 80, 367 <375>; 122, 248 <272>). Verfahrensgestaltungen, die den Erfordernissen einer wirksamen Strafrechtspflege dienen, verletzen daher nicht schon dann den grundrechtlichen Anspruch auf ein faires Strafverfahren, wenn verfahrensrechtliche Positionen des Angeklagten oder Beschuldigten dabei eine Zurücksetzung zugunsten einer wirksameren Strafrechtspflege erfahren (BVerfGE 122, 248 <273>). Das Beschleunigungsgebot ist bei der Konkretisierung des Rechts auf ein faires Verfahren ebenfalls zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 41, 246 <250>; 63, 45 <68 f.>; 122, 248 <273>), denn unnötige Verfahrensverzögerungen stellen nicht nur die Effektivität des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 60, 253 <269>; 88, 118 <124>; 93, 1 <13>) und die Zwecke der Kriminalstrafe in Frage, sondern beeinträchtigen, da die Beweisgrundlage durch Zeitablauf verfälscht werden kann, auch die Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Pflicht zur bestmöglichen Erforschung der materiellen Wahrheit (vgl. BVerfGE 57, 250 <280>; 122, 248 <273>; 130, 1 <27>). 

bb) Die Aussagefreiheit des Beschuldigten und das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung (nemo tenetur se ipsum accusare) sind notwendiger Ausdruck einer auf dem Leitgedanken der Achtung der Menschenwürde beruhenden rechtsstaatlichen Grundhaltung (vgl. BVerfGE 38, 105 <113 f.>; 55, 144 <150 f.>; 56, 37 <43>). Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit ist im Rechtsstaatsprinzip verankert und hat Verfassungsrang (vgl. BVerfGE 38, 105 <113 f.>; 55, 144 <150 f.>; 56, 37 <43>; 110, 1 <31>). Er umfasst das Recht auf Aussage- und Entschließungsfreiheit innerhalb des Strafverfahrens. Dazu gehört, dass im Rahmen des Strafverfahrens niemand gezwungen werden darf, sich durch seine eigene Aussage einer Straftat zu bezichtigen oder zu seiner Überführung aktiv beizutragen (vgl. BVerfGE 56, 37 <49>; 109, 279 <324>). Der Beschuldigte muss frei von Zwang eigenverantwortlich entscheiden können, ob und gegebenenfalls inwieweit er im Strafverfahren mitwirkt (vgl. BVerfGE 38, 105 <113>; 56, 37 <43>). Dies setzt voraus, dass er über seine Aussagefreiheit in Kenntnis gesetzt wird. 

cc) Die Unschuldsvermutung hat als besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips ebenfalls Verfassungsrang (BVerfGE 74, 358 <371>). Sie verbietet zum einen, im konkreten Strafverfahren ohne prozessordnungsgemäßen - nicht notwendiger Weise rechtskräftigen - Schuldnachweis Maßnahmen gegen den Beschuldigten zu verhängen, die in ihrer Wirkung einer Strafe gleichkommen, und ihn verfahrensbezogen als schuldig zu behandeln; zum anderen verlangt sie den rechtskräftigen Nachweis der Schuld, bevor diese dem Verurteilten im Rechtsverkehr allgemein vorgehalten werden darf (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 74, 358 <371>). Als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips enthält die Unschuldsvermutung - wie auch das Recht des Beschuldigten auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren - allerdings keine in allen Einzelheiten bestimmten Ge- und Verbote; ihre Auswirkungen auf das Verfahrensrecht bedürfen vielmehr der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten. Dies ist in erster Linie Sache des Gesetzgebers (BVerfGE 74, 358 <371 f.>; vgl. auch BVerfGE 7, 89 <92 f.>; 57, 250 <275 f.>; 65, 283 <291>). 

3. Das Grundgesetz gewährleistet den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens, vor einem unabhängigen und unparteilichen Richter zu stehen, der die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber allen Verfahrensbeteiligten und dem Verfahrensgegenstand bietet (vgl. BVerfGE 4, 412 <416>; 21, 139 <145 f.>; 23, 321 <325>; 82, 286 <298>; 89, 28 <36>). Neben der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit des Richters (Art. 97 Abs.1 und 2 GG) ist es wesentliches Kennzeichen der Rechtsprechung im Sinne des Grundgesetzes, dass die richterliche Tätigkeit von einem „nicht beteiligten Dritten“ ausgeübt wird (vgl. BVerfGE 3, 377 <381>; 4, 331 <346>; 21, 139 <145>; 27, 312 <322>; 48, 300 <316>; 87, 68 <85>; 103, 111 <140>). Diese Vorstellung von neutraler Amtsführung ist mit den Begriffen „Richter“ und „Gericht“ untrennbar verknüpft (vgl. BVerfGE 4, 331 <346>; 60, 175 <214>; 103, 111 <140>). Die richterliche Tätigkeit erfordert daher unbedingte Neutralität gegenüber den Verfahrensbeteiligten (BVerfGE 21, 139 <146>; 103, 111 <140>). Das Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gewährt deshalb nicht nur einen Anspruch auf den sich aus dem Gerichtsverfassungsgesetz, den Prozessordnungen sowie den Geschäftsverteilungs- und Besetzungsregelungen des Gerichts ergebenden Richter (vgl. BVerfGE 89, 28 <36>), sondern garantiert auch, dass der Betroffene nicht vor einem Richter steht, der aufgrund persönlicher oder sachlicher Beziehungen zu den Verfahrensbeteiligten oder zum Streitgegenstand die gebotene Neutralität vermissen lässt (BVerfGE 21, 139 <146>; 89, 28 <36>). Dieses Verlangen nach Unvoreingenommenheit und Neutralität des Richters ist zugleich ein Gebot der Rechtsstaatlichkeit (vgl. BVerfGE 3, 377 <381>; 37, 57 <65>). 

4. Das im Rechtsstaatsprinzip und dem allgemeinen Freiheitsrecht verankerte Recht auf ein faires Strafverfahren umfasst das Recht des Beschuldigten, sich von einem Anwalt seiner Wahl und seines Vertrauens verteidigen zu lassen (BVerfGE 66, 313 <318 f.>; 110, 226 <253>). Wenngleich das Recht auf ein faires Verfahren keine in allen Einzelheiten bestimmten Gebote und Verbote enthält, sondern der Konkretisierung durch den Gesetzgeber je nach den sachlichen Gegebenheiten bedarf, untersagt es jedenfalls eine Ausgestaltung des Strafverfahrens, bei der rechtsstaatlich unverzichtbare Erfordernisse nicht mehr gewahrt sind (BVerfGE 57, 250 <276>; 122, 248 <272>). Angesichts der besonderen Bedeutung, die dem Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten zukommt (vgl. BVerfGE 110, 226 <254>), verbietet es sich, im Strafprozess Verfahrensweisen vorzusehen, die - etwa aufgrund der Schaffung sachwidriger Anreize - erwarten lassen, dass dieses Vertrauen unterlaufen und damit das Recht auf eine effektive Verteidigung entwertet wird. 

II. 

Nach diesen Maßstäben kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung der Verständigung im Strafverfahren nicht festgestellt werden. Der Gesetzgeber hat Verständigungen im Strafprozess lediglich in einem begrenzten Rahmen zugelassen und sein Regelungskonzept mit spezifischen Schutzmechanismen versehen, die bei der gebotenen präzisierenden Auslegung und Anwendung erwarten lassen, dass die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Strafprozesses erfüllt werden (1. und 2.). Eine das Verständigungsgesetz in nicht unerheblichem Umfang vernachlässigende Praxis belegt derzeit noch kein verfassungsrechtlich relevantes Regelungsdefizit (3.). Der Gesetzgeber ist allerdings gehalten, die Wirksamkeit der zur Wahrung eines verfassungskonformen Strafverfahrens vorgesehenen Vorkehrungen zu beobachten und erforderlichenfalls erneut über die Zulässigkeit sowie die Bedingungen von Verständigungen zu entscheiden (4.). 

1. Das Verständigungsgesetz statuiert nach dem in seinem Wortlaut und Normgefüge zum Ausdruck kommenden objektivierten Willen des Gesetzgebers (a) kein neues, „konsensuales“ Verfahrensmodell. Vielmehr integriert es die von ihm zugelassene Verständigung mit dem Ziel in das geltende Strafprozessrechtssystem, weiterhin ein der Erforschung der materiellen Wahrheit und der Findung einer gerechten, schuldangemessenen Strafe verpflichtetes Strafverfahren sicherzustellen. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich klargestellt, dass eine Verständigung als solche niemals alleinige Urteilsgrundlage sein kann, sondern das Gericht weiterhin an die in § 244 Abs. 2 StPO niedergelegte Amtsaufklärungspflicht gebunden ist und die rechtliche Würdigung nicht der Disposition der Beteiligten an einer Verständigung unterliegt (b). Das Verständigungsgesetz regelt die Zulässigkeit einer Verständigung im Strafverfahren abschließend; es untersagt damit die beschönigend als „informell“ bezeichneten Vorgehensweisen bei einer Verständigung (c). Der Gesetzgeber hat sein Regelungskonzept mit spezifischen Schutzmechanismen versehen, die eine vollständige Transparenz und Dokumentation des zu einer Verständigung führenden Geschehens sicherstellen und so die vom Gesetzgeber als erforderlich bewertete vollumfängliche Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit, die Staatsanwaltschaft und das Rechtsmittelgericht ermöglichen sollen (d). Schließlich gewährleistet das Gesetz über eine Einschränkung der Bindungswirkung einer Verständigung die Neutralität des Gerichts und sieht mit der Pflicht zur Belehrung des Angeklagten über diese Einschränkung eine dessen Belangen dienende Sicherung vor (e). 

a) Maßgebend für die Auslegung von Gesetzen ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist (vgl. BVerfGE 1, 299 <312>; 11, 126 <130 f.>; 105, 135 <157>; stRspr). Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Unter ihnen hat keine einen unbedingten Vorrang vor einer anderen (vgl. BVerfGE 11, 126 <130>; 105, 135 <157>). Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut der Vorschrift. Er gibt allerdings nicht immer hinreichende Hinweise auf den Willen des Gesetzgebers. Unter Umständen wird erst im Zusammenhang mit Sinn und Zweck des Gesetzes oder anderen Auslegungsgesichtspunkten die im Wortlaut ausgedrückte, vom Gesetzgeber verfolgte Regelungskonzeption deutlich, der sich der Richter nicht entgegenstellen darf (vgl. BVerfGE 122, 248 <283> - abw. M.). Dessen Aufgabe beschränkt sich darauf, die intendierte Regelungskonzeption bezogen auf den konkreten Fall - auch unter gewandelten Bedingungen - möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfGE 96, 375 <394 f.>). In keinem Fall darf richterliche Rechtsfindung das gesetzgeberische Ziel der Norm in einem wesentlichen Punkt verfehlen oder verfälschen oder an die Stelle der Regelungskonzeption des Gesetzgebers gar eine eigene treten lassen (vgl. BVerfGE 78, 20 <24> m.w.N.). Für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption dem Gesetz zugrunde liegt, kommt daneben den Gesetzesmaterialien und der Systematik des Gesetzes eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu. Die Eindeutigkeit der im Wege der Auslegung gewonnenen gesetzgeberischen Grundentscheidung wird nicht notwendig dadurch relativiert, dass der Wortlaut der einschlägigen Norm auch andere Deutungsmöglichkeiten eröffnet, soweit diese Deutungen offensichtlich eher fern liegen. Anderenfalls wäre es für den Gesetzgeber angesichts der Schwierigkeit, textlich Eindeutigkeit herzustellen, nahezu unmöglich, sein Regelungsanliegen gegenüber der Rechtsprechung über einen längeren Zeitraum durchzusetzen (vgl. BVerfGE 122, 248 <284> - abw. M.).  

b) Der Gesetzgeber hat eine gesetzliche Regelung der Verständigung im Strafverfahren als notwendig erachtet, weil das in der Praxis entstandene und dort bedeutsame, aber stets umstritten gebliebene Institut der Verständigung zur Herstellung von Rechtssicherheit und der Gewährleistung einer gleichmäßigen Rechtsanwendung dringend klarer gesetzlicher Vorgaben bedürfe. Dabei war dem Gesetzgeber bewusst, dass sich auf das Urteil bezogene Verständigungen des Gerichts mit den Verfahrensbeteiligten nicht ohne Weiteres mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben für das Strafverfahren, insbesondere hinsichtlich der Erforschung der materiellen Wahrheit, der Schuldangemessenheit der Strafe und der Verfahrensfairness, würden in Einklang bringen lassen (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 1). Dementsprechend war es ausdrücklich sein zentrales Ziel, die Verständigung in einer den verfassungsrechtlichen Vorgaben gerecht werdenden Weise in das geltende Strafverfahrensrecht zu integrieren, ohne die den Strafprozess dominierenden Grundsätze der richterlichen Sachverhaltsaufklärung und Überzeugungsbildung anzutasten. Die Auslegung und Anwendung des Verständigungsgesetzes hat sich zuvörderst an diesem gesetzgeberischen Konzept zu orientieren. Das gilt auch für das Bundesverfassungsgericht, das dann, wenn eine präzisierende Auslegung eines Gesetzes möglich ist, diese seiner Prüfung zugrunde zu legen hat (vgl. zur Bestimmtheit von Strafnormen BVerfGE 126, 170 <196 f.>; siehe auch BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. Dezember 2012 - 1 BvR 1509/10 -). Der Gesetzgeber wollte zwar eine offene, kommunikative Verhandlungsführung des Gerichts stärken, aber gerade kein neues, „konsensuales“ Verfahrensmodell einführen. Vielmehr war es sein erklärtes Regelungsziel, weiterhin ein Strafverfahren sicherzustellen, das dem fundamentalen und verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz der Wahrheitsermittlung sowie der Findung einer gerechten, schuldangemessenen Strafe verpflichtet ist (vgl. dazu Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 1, 8 f.), weshalb auch in der Verständigungssituation das Maß der Schuldangemessenheit weder über- noch unterschritten werden darf (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Oktober 2010 - 1 StR 400/10 -, NStZ 2011, S. 592 <594>, und vom 5. Mai 2011 - 1 StR 116/11 -, juris, Rn. 23; Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2013, § 257c Rn. 44). Um diese Aufgabenstellung zu verwirklichen, hat der Gesetzgeber nicht nur den zulässigen Inhalt von Verständigungen und das Verständigungsverfahren „umfassend“ normieren wollen, sondern einen Schwerpunkt seines Regelungskonzepts in der Herstellung von Transparenz, Öffentlichkeit und einer vollständigen Dokumentation des mit einer Verständigung verbundenen Geschehens gesehen, die wiederum die von ihm als erforderlich bewertete „vollumfängliche“ Rechtsmittelkontrolle ermöglichen und wirksam ausgestalten soll (vgl. nur Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 1, 8 f., 12, 15, sowie Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrats, BTDrucks 16/12310, S. 22). Das Verlangen nach umfassender Transparenz des Verständigungsgeschehens kennzeichnet die gesetzliche Regelung insgesamt (ebenso BGH, Urteil vom 29. November 2011 - 1 StR 287/11 -, NStZ 2012, S. 347 <348>, und Beschluss vom 22. Februar 2012 - 1 StR 349/11 -, StV 2012, S. 649 <652>). Hiernach muss sich eine Verständigung unter allen Umständen „im Lichte der öffentlichen Hauptverhandlung offenbaren“ (BTDrucks 16/12310, S. 12). 

aa) Als Ausdruck des gesetzgeberischen Willens, Möglichkeiten einer Verständigung in das geltende Strafprozessrechtssystem zu integrieren, ist vor allem die Klarstellung des § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO zu verstehen, die in § 244 Abs. 2 StPO niedergelegte Pflicht des Gerichts zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen bleibe „unberührt“. Der Wortlaut von § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO ist eindeutig; die Norm schließt jede Disposition über Gegenstand und Umfang der dem Gericht von Amts wegen obliegenden Pflicht zur Aufklärung des mit der Anklage vorgeworfenen Geschehens aus. Damit wird hervorgehoben, dass eine Verständigung niemals als solche die Grundlage eines Urteils bilden kann, sondern weiterhin allein und ausschließlich die - ausreichend fundierte - Überzeugung des Gerichts von dem von ihm festzustellenden Sachverhalt maßgeblich bleibt (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 13). Dem Gesetzgeber waren die Besonderheiten des aufgrund einer Verständigung abgegebenen Geständnisses, insbesondere dessen erhöhte Fehleranfälligkeit infolge der Anreiz- und Verlockungssituation, in der sich der Angeklagte wie auch sein Verteidiger befinden können, und demzufolge die Gefahr von „Falschgeständnissen“, bewusst, und er hat deshalb die Geltung der Amtsaufklärungspflicht des § 244 Abs. 2 StPO ausdrücklich klargestellt. Dementsprechend bleibt das nach § 244 Abs. 2 StPO erforderliche Maß an Beweiserhebung stets insoweit unberührt, als ein wirksamer Verzicht auf (weitere) Beweisanträge und Beweiserhebungen sich nicht außerhalb dessen bewegen kann, was durch die unverändert geltende Sachaufklärungspflicht des Gerichtes bestimmt ist (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 13; siehe auch BGH, Beschluss vom 31. Januar 2012 - 3 StR 285/11 -, StV 2012, S. 653 <654>; BGH, Beschluss vom 7. Februar 2012 - 3 StR 335/11 -, juris, Rn. 5). 

Die Regelung des § 257c Abs. 4 Satz 1 StPO, nach der die Bindung des Gerichts an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist, baut auf der Amtsaufklärungspflicht des § 244 Abs. 2 StPO auf und bestätigt die dargelegte Grundentscheidung des Gesetzgebers. Entsprechendes gilt für das die Zulässigkeit von Verständigungen nach § 257c Abs. 1 Satz 1 StPObeschränkende Kriterium der „geeigneten Fälle“, mit dem der Gesetzgeber nicht nur die Anwendung der Verständigung im Jugendstrafverfahren mit Blick auf den dieses beherrschenden Erziehungsgedanken einschränken, sondern vor allem auch sicherstellen wollte, dass das Gericht nicht vorschnell auf eine Verständigung ausweicht, ohne zuvor pflichtgemäß die Anklage tatsächlich und rechtlich überprüft zu haben (vgl. Begründung zum Regierungsentwurf, BTDrucks 16/12310, S. 10, 13; siehe auch BGHSt 50, 40 <49>, sowie BGH, Beschlüsse vom 20. April 2004 - 5 StR 11/04 -, juris, Rn. 14 ff., und vom 9. Juni 2004 - 5 StR 579/03 -, juris, Rn. 13 ff.). 

Aufgrund des klarstellenden Hinweises auf § 244 Abs. 2 StPO durch § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO bedurfte es auch keiner zusätzlichen ausdrücklichen Festlegung der an ein Geständnis zu stellenden „Qualitätsanforderungen“. Vielmehr genügt dieser Hinweis, um einerseits zu verdeutlichen, dass auch in der Verständigungssituation ein bloßes inhaltsleeres Formalgeständnis - vor allem, wenn die Beantwortung von Fragen zum Sachverhalt verweigert wird - oder gar die nicht einmal ein Geständnis darstellende schlichte Erklärung, der Anklage nicht entgegenzutreten, allein keine taugliche Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung sein können. Andererseits hat es der Gesetzgeber damit den Gerichten ermöglicht, den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung zu tragen. 

Vor dem Hintergrund des Regelungsziels, die Grundsätze der Amtsaufklärungspflicht des Gerichts und der richterlichen Überzeugungsbildung unangetastet zu lassen, kann § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO zudem nur so verstanden werden, dass das verständigungsbasierte Geständnis zwingend auf seine Richtigkeit zu überprüfen ist. Diese Überprüfung hat sich - unter zusätzlicher Berücksichtigung des Grundanliegens des Gesetzgebers, Verständigungen transparent und kontrollierbar zu machen - durch Beweiserhebung in der Hauptverhandlung (vgl. § 261 StPO) zu vollziehen. Freilich kann dies nicht bedeuten, dass die Überprüfung eines verständigungsbasierten Geständnisses strengeren Anforderungen unterliegt als sie an eine Beweisaufnahme in der nach herkömmlicher Verfahrensweise geführten Hauptverhandlung nach Abgabe eines Geständnisses zu stellen wären; so bleiben etwa Vorhalte oder das Selbstleseverfahren nach den allgemeinen Regeln möglich. Es genügt jedoch nicht, das verständigungsbasierte Geständnis durch einen bloßen Abgleich mit der Aktenlage zu überprüfen (anders noch BGHSt 50, 40 <49>, in diese Richtung auch Schmitt, StraFo 2012, S. 386 <387 f.>), da dies keine hinreichende Grundlage für die erforderliche Überzeugungsbildung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung (§ 261 StPO) darstellt und mit einem solchen Verständnis dem Transparenzanliegen des Verständigungsgesetzes und der Ermöglichung einer wirksamen Kontrolle verständigungsbasierter Urteile gerade nicht Rechnung getragen werden könnte. 

Dieses Verständnis des § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass hiernach der Raum für Verständigungen - insbesondere mit Blick auf das Ausmaß der ermöglichten Verfahrensabkürzung - spürbar eingeengt wird. Diese Wirkung ist nicht etwa Ausdruck einer unauflösbaren inneren Widersprüchlichkeit der Norm, sondern achtet das ausdrückliche Ziel des Gesetzgebers, die Verständigung mit den Grundsätzen der Amtsaufklärung nach § 244 Abs. 2 StPO und der richterlichen Überzeugungsbildung in Einklang zu bringen. Die Beschränkung des praktischen Anwendungsbereichs von Verständigungen ist die zwangsläufige Konsequenz der Einfügung von Verständigungsmöglichkeiten in das System des geltenden Strafprozessrechts. 

bb) Nach dem Regelungsziel des Gesetzgebers, weiterhin ein der Wahrheitserforschung und der Findung einer gerechten, schuldangemessenen Strafe verpflichtetes Strafverfahren sicherzustellen, bleiben nicht nur die tatsächlichen Feststellungen, sondern auch deren rechtliche Würdigung der Disposition der an einer Verständigung Beteiligten entzogen (ebenso BGH, Urteil vom 21. Juni 2012 - 4 StR 623/11 -, juris, Rn. 16). Unmittelbaren Ausdruck findet das gesetzliche Regelungsanliegen in § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO, der den zulässigen Gegenstand von Verständigungen ausdrücklich auf die „Rechtsfolgen“ beschränkt, ferner in dem von § 257c Abs. 2 Satz 3 StPO ausgesprochenen Verbot einer Verständigung über den Schuldspruch und dem Wegfall der Bindungswirkung einer Verständigung unter den Voraussetzungen des § 257c Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO

Aus § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO folgt unter Berücksichtigung der Systematik und von Sinn und Zweck des gesetzlichen Regelungskonzepts insbesondere, dass eine Strafrahmenverschiebung nicht Gegenstand einer Verständigung sein darf, und zwar auch dann nicht, wenn sie sich auf Sonderstrafrahmen für besonders schwere oder minder schwere Fälle im Vergleich zum Regelstrafrahmen bezieht. Zwar handelt es sich bei diesen Sonderstrafrahmen nach herrschender Meinung (vgl. BGHSt 23, 254 <256>; 26, 104 <105>; Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, Vor §§ 38 ff., Rn. 47; Theune, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl. 2007, Vor §§ 46 ff. Rn. 18) um gesetzliche Strafzumessungsregeln, die mit Ausnahme von § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht in den Urteilstenor aufzunehmen sind. Allerdings weist die Regelungstechnik der besonders schweren und minder schweren Fälle eine spezifische Nähe zu Qualifikations- und Privilegierungstatbeständen auf. Wesentliche Unterschiede zwischen diesen Regelungsbereichen sind im Hinblick auf die Schuldangemessenheit des Strafens nicht zu erkennen. So werden die Regelbeispiele besonders schwerer Fälle als „tatbestandsähnlich“ angesehen (vgl. BGHSt 33, 370 <374>; BGH, Beschluss vom 21. Oktober 1997 - 5 StR 328/97 -, NStZ 1998, S. 91 <92>; Urteil vom 7. August 2001 - 1 StR 470/00 -, NStZ 2001, S. 642 <643>; Beschluss vom 28. Juli 2010 - 1 StR 332/10 -, NStZ 2011, S. 167). Die Regelungstechnik unterfällt auch dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGE 45, 363 <371>) sowie dem Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. April 2004 - 3 StR 113/04-, NStZ-RR 2004, S. 262, und vom 20. Juli 2004 - 3 StR 231/04 -, NStZ-RR 2005, S. 373 <374>). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Fall besonders schwer, wenn er sich nach dem Gewicht von Unrecht und Schuld vom Durchschnitt vorkommender Fälle so abhebt, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten ist (vgl. BGHSt 28, 318, <319 f.>; BGH, Urteil vom 26. Juni 1991 - 3 StR 145/91 -, NStZ 1991, S. 529 <530>); für das Vorliegen eines minder schweren Falls ist zu prüfen, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in einem so erheblichen Maß abweicht, dass die Anwendung des milderen Strafrahmens geboten erscheint (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2000 - 5 StR 349/00 -, NJW 2000, S. 3580; Urteil vom 13. Februar 2003 - 3 StR 349/02 -, NJW 2003, S. 1679 <1680>; Beschluss vom 26. August 2008 - 3 StR 316/08 -, NStZ 2009, S. 37). Auch die Sonderstrafrahmen sind daher - wie jeder Strafrahmen - Ausdruck des Unwert- und Schuldgehalts, den der Gesetzgeber einem unter Strafe gestellten Verhalten beigemessen hat. Mit der Normierung von Sonderstrafrahmen bringt der Gesetzgeber - nicht anders als bei Qualifikationen und Privilegierungen - zum Ausdruck, innerhalb eines Deliktstypus eine Differenzierung schon auf der Ebene der Strafrahmenwahl für geboten zu erachten. Bei umfassender Würdigung des dem Verständigungsgesetz zugrundeliegenden Regelungskonzepts kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, der Gesetzgeber habe diese Bewertung für den Fall einer Verständigung aufgeben und den Begriff der „Rechtsfolge“ in § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO auch auf Strafrahmenverschiebungen ausdehnen wollen. 
c) Mit den Vorschriften des Verständigungsgesetzes hat die Zulassung von Verständigungen im Strafverfahren eine abschließende Regelung erfahren. Außerhalb des gesetzlichen Regelungskonzepts erfolgende sogenannte informelle Absprachen sind unzulässig. 

aa) Bereits aus dem Wortlaut von § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO, der Verständigungen nur „nach Maßgabe der folgenden Absätze“ zulässt, folgt, dass jegliche sonstigen „informellen“ Absprachen, Vereinbarungen und „Gentlemen‘s Agreements“ untersagt sind. Damit wird das Ziel der gesetzlichen Regelung, der Verständigung zur Herstellung von Rechtssicherheit und der Gewährleistung einer gleichmäßigen Rechtsanwendung durch ein „umfassendes und differenziertes Regelungskonzept“ (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 7 f., 9) klare Vorgaben zu setzen, verwirklicht. Hätte die Regelung keinen abschließenden Charakter, könnten die vom Gesetzgeber als erforderlich erachteten flankierenden Vorschriften, die Transparenz und Öffentlichkeit des mit einer Verständigung verbundenen Geschehens sichern, die ihnen zur Ermöglichung einer wirksamen Kontrolle von Verständigungen zugedachte Funktion von vornherein nicht wirksam erfüllen. Hierin liegt aber gerade ein zentrales Anliegen des Gesetzgebers. So ist im Gesetzgebungsverfahren die in der Stellungnahme des Bundesrats kritisierte Regelung des sogenannten „Negativattests“ in § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO mit dem Argument verteidigt worden, dass mit ihrer Streichung „eine wichtige Regelung entfiele, die dazu dienen soll, mit höchst möglicher Gewissheit und in der Revision überprüfbar das Geschehen in der Hauptverhandlung zu dokumentieren und auszuschließen, dass ‚stillschweigend‘ und ohne Beachtung der gesetzlichen Förmlichkeiten eine Verständigung stattgefunden hat“ (Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrats, BTDrucks 16/12310, S. 22). Schließlich findet sich in dem Anliegen, eine „vollumfängliche“ Kontrolle durch das Rechtsmittelgericht zu gewährleisten, eine Bestätigung des abschließenden Charakters des gesetzlichen Regelungskonzepts. Diese Kontrolle soll nämlich gerade „einen unterstützenden Beitrag dazu leisten, dass Verständigungen in erster Instanz wirklich so ablaufen, wie es den Vorgaben des Gesetzgebers entspricht“ (Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 9). 

In Anbetracht der strikten Bindung jeglicher Ausübung hoheitlicher Gewalt an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) bedurfte die Absicht des Gesetzgebers, nur solche Verständigungen zuzulassen, die sich innerhalb des vom Gesetz gezogenen Rahmens bewegen, keiner weiteren ausdrücklichen Hervorhebung. 

bb) Aus dem gesetzlichen Regelungskonzept zum Inhalt, zum Zustandekommen und zu den Folgen einer Verständigung folgt unter anderem, dass ein wirksamer Rechtsmittelverzicht auch dann ausgeschlossen ist, wenn sich die Beteiligten unter Verstoß gegen die gesetzlichen Vorschriften verständigt haben (vgl. dazu bereits BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 5. März 2012 - 2 BvR 1464/11 -, juris, Rn. 21 ff.; ebenso etwa Jahn/Müller, NJW 2009, S. 2625 <2630>; Schmitt, StraFo 2012, S. 386 <393>). Eine solche Verständigung unterliegt zudem der Protokollierungspflicht nach § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO. Sollte in letzterem Fall ein Negativattest nach § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO erteilt werden, wäre dieses falsch und könnte den Tatbestand der Falschbeurkundung im Amt (§ 348 StGB) erfüllen. 

cc) Ebenso wenig können etwaige Zusagen der Staatsanwaltschaft, andere bei ihr anhängige Ermittlungsverfahren - etwa nach § 154 Abs. 1 StPO - einzustellen, eine Bindungswirkung oder ein schutzwürdiges Vertrauen auslösen (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 13; anders noch zur Rechtslage vor dem Verständigungsgesetz BGHSt 37, 10 <13 f.>). Aus dem Wortlaut von § 257c Abs. 1 und 2 StPO folgt, dass sich Verständigungen ausschließlich auf das „zugrundeliegende Erkenntnisverfahren“ beziehen dürfen, also sogenannte „Gesamtlösungen“ unter Einbeziehung anderer Verfahren und nicht in der Kompetenz des Gerichts liegende Zusagen unzulässig sind (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2010 - 2 StR 354/10 -, wistra 2011, S. 28; siehe auch Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2013, § 257c Rn. 34; Schmitt, StraFo 2012, S. 386 <387>). Nur dieses Verständnis entspricht dem Ziel des Gesetzgebers, Verständigungen transparent und kontrollierbar zu machen. Bei Einbeziehung anderer, nicht den Gegenstand der Hauptverhandlung bildender Verfahren ist insoweit eine wirksame Kontrolle der Verständigung - insbesondere durch die Öffentlichkeit - nicht gewährleistet. 

d) Einen Schwerpunkt des Regelungskonzeptes des Verständigungsgesetzes bildet die Gewährleistung der vom Gesetzgeber ausdrücklich als „erforderlich“ bewerteten Transparenz und Dokumentation des mit einer Verständigung verbundenen Geschehens als Voraussetzung einer effektiven Kontrolle durch die Öffentlichkeit, die Staatsanwaltschaft und das Rechtsmittelgericht (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 1, 8 f.). Zur Erreichung dieses Ziels hat der Gesetzgeber spezifische, das Regelungskonzept prägende Schutzmechanismen vorgesehen. 

aa) In der Konzeption des Gesetzgebers kommt der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung eine zentrale Bedeutung zu. Mit dem Gebot, die mit einer Verständigung verbundenen Vorgänge umfassend in die Hauptverhandlung einzubeziehen, gewährleistet der Gesetzgeber nicht nur vollständige Transparenz; er legt zugleich besonderes Gewicht auf die Kontrollfunktion der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung und bekräftigt damit, dass auch im Fall der Verständigung der Inbegriff der Hauptverhandlung die Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung bleibt (§ 261 StPO). 
(1) (a) Dem Gesetzgeber kam es maßgeblich darauf an, die Transparenz der strafgerichtlichen Hauptverhandlung und die Unterrichtung der Öffentlichkeit in der Hauptverhandlung gerade im Falle einer Verständigung zu bewahren; die Verständigung müsse sich „im Lichte der öffentlichen Hauptverhandlung offenbaren“ (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 8, 12). Dementsprechend hat das Verständigungsgesetz umfassende Transparenz- und Dokumentationspflichten mit Bezug auf die Hauptverhandlung statuiert. Sie zielen darauf, nicht nur die Verständigung selbst, also den formalen Verständigungsakt des § 257c Abs. 3 StPO, sondern darüber hinausgehend auch die zu einer Verständigung führenden Vorgespräche in die Hauptverhandlung einzuführen. Zwar ist nach der Begründung des Regierungsentwurfs die „Vorbereitung“ einer Verständigung auch außerhalb der Hauptverhandlung möglich. Gegenstand einer Erörterung im Vorfeld der Hauptverhandlung kann es danach auch sein, Möglichkeit und Umstände einer Verständigung zu besprechen (vgl. BTDrucks 16/12310, S. 9, 12). Für alle Erörterungen außerhalb der Hauptverhandlung verlangt § 243 Abs. 4 StPO eine Mitteilung deren „wesentlichen Inhalts“. Diese Mitteilung ist gemäß § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO zu protokollieren. Demgegenüber sind hinsichtlich der Verständigung selbst gemäß § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO der wesentliche Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis wiederzugeben. Die Protokollierungspflicht hinsichtlich der Verständigung geht also über die Protokollierung der nach § 243 Abs. 4 StPO vorgeschriebenen Mitteilung hinaus. Dem liegt zugrunde, dass die Verständigung als solche nach § 257c Abs. 1 StPO nur in der Hauptverhandlung erfolgen kann. Die im Vergleich zur Verständigung selbst reduzierte Pflicht zur Dokumentation der Gespräche zur Vorbereitung einer Verständigung außerhalb der Hauptverhandlung gemäß § 273 Abs. 1a Satz 2, § 243 Abs. 4 StPO fügt sich in das vom Gesetzgeber verfolgte Konzept der Stärkung der Transparenz und Dokumentation ein, weil die Verständigung selbst erst in der Hauptverhandlung stattfinden kann und § 273 Abs. 1a Satz 1 StPOdie Dokumentation der wesentlichen Abläufe, des Inhalts und des Ergebnisses dieser Verständigung gebietet. Alle wesentlichen Elemente einer Verständigung, zu denen angesichts des vom Gesetzgeber verfolgten Konzepts auch außerhalb der Hauptverhandlung geführte Vorgespräche zählen, sind zum Gegenstand der Erörterung in der Hauptverhandlung zu machen und unterliegen der Protokollierungspflicht nach § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO

(b) Hinsichtlich des Inhalts möglicher Erörterungen des Gerichts mit den Verfahrensbeteiligten und der dabei bestehenden Transparenz- und Dokumentationspflichten ist zu unterscheiden: 

(aa) Möglich sind Gespräche, die ausschließlich der Organisation sowie der verfahrenstechnischen Vorbereitung und Durchführung der Hauptverhandlung dienen, etwa die Abstimmung der Verhandlungstermine. Mangels eines Bezugs auf das Verfahrensergebnis sind diese Gespräche dem Regelungskonzept des Verständigungsgesetzes vorgelagert und von ihm nicht betroffen. Sie unterliegen deshalb nicht der Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 StPO

(bb) In Betracht kommen weiterhin Gespräche, die als Vorbereitung einer Verständigung verstanden werden können und über deren wesentlichen Inhalt deshalb nach § 243 Abs. 4 StPO in der Hauptverhandlung zu informieren ist. Die Mitteilungspflicht greift ein, sobald bei im Vorfeld oder neben der Hauptverhandlung geführten Gesprächen ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände (vgl. BTDrucks 16/12310, S. 12) einer Verständigung im Raum stehen. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn Fragen des prozessualen Verhaltens in Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht werden und damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung naheliegt. Im Zweifel wird in der Hauptverhandlung zu informieren sein. Zum mitzuteilenden Inhalt solcher Erörterungen gehört, welche Standpunkte von den einzelnen Gesprächsteilnehmern vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 - 3 StR 287/10 -, juris; siehe auch Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl. 2012, § 243 Rn. 18a; Altenhain/Haimerl, JZ 2010, S. 327 <336>; Schlothauer/Weider, StV 2009, S. 600 <603>). Fehlt im Hauptverhandlungsprotokoll der nach § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO vorgeschriebene Hinweis auf eine Mitteilung nach § 243 Abs. 4 StPO, ergibt sich daraus lediglich, dass eine solche Mitteilung in der Hauptverhandlung unterblieben ist, nicht aber, dass es keine Erörterungen außerhalb der Hauptverhandlung gegeben hat, weil diese Tatsache nicht von der negativen Beweiskraft des Protokolls (§ 274 StPO) umfasst ist (a.A. ohne nähere Begründung Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl. 2012, § 243 Rn. 18a a.E.). 

(cc) Die Verständigung selbst hat zwingend in der Hauptverhandlung stattzufinden, wo die vom Gesetzgeber verlangte Protokollierung nach § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO und damit eine Voraussetzung vollumfänglicher Kontrolle gewährleistet ist. Zum „wesentlichen Ablauf und Inhalt“ im Sinne dieser Norm gehört nach Sinn und Zweck der Dokumentationspflicht insbesondere, wer die Anregung zu den Gesprächen gab und welchen Inhalt die einzelnen „Diskussionsbeiträge“ aller Verfahrensbeteiligten sowie der Richter hatten, insbesondere von welchem Sachverhalt sie hierbei ausgingen und welche Ergebnisvorstellungen sie äußerten (vgl. Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2013, § 257c Rn. 71). 

(2) Darüber hinaus folgt aus dem Ziel des Gesetzgebers, die Verständigung in das Licht der öffentlichen Hauptverhandlung zu stellen, dass er der Kontrollfunktion der Öffentlichkeit besondere Bedeutung beigemessen hat. 

Der in § 169 GVG niedergelegte Öffentlichkeitsgrundsatz soll eine Kontrolle der Justiz durch die am Verfahren nicht beteiligte Öffentlichkeit ermöglichen und ist Ausdruck der demokratischen Idee. Die mit der Möglichkeit einer Beobachtung der Hauptverhandlung durch die Allgemeinheit verbundene öffentliche Kontrolle der Justiz, die historisch als unverzichtbares Institut zur Verhinderung obrigkeitlicher Willkür eingeführt wurde (vgl. zum Ganzen Wickern, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, Vor § 169 GVG Rn. 2 ff. m.w.N.), erhält als demokratisches Gebot durch die gesetzliche Zulassung der in eine vertrauliche Atmosphäre drängenden Verständigungen zusätzliches Gewicht. Dem hat der Gesetzgeber durch die Mitteilungspflicht in § 243 Abs. 4 StPO Rechnung getragen (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 12). 
Die Öffentlichkeit kann ihre Kontrollfunktion nur ausüben, wenn sie die Informationen erhält, die zur Beurteilung der Angemessenheit einer etwaigen Verständigung erforderlich sind. Nur so bleibt der gerichtliche Entscheidungsprozess transparent und die Rechtsprechung auch in Verständigungsfällen für die Allgemeinheit durchschaubar. Dies ist notwendig, damit das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Fähigkeit des Staates, mittels einer wirksamen Strafverfolgung öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten (vgl. zu dieser Aufgabe des Öffentlichkeitsgrundsatzes Wickern, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, Vor § 169 GVG Rn. 2 ff.) und Gerechtigkeit im Einzelfall sowie eine gleichmäßige Behandlung aller zu garantieren, uneingeschränkt aufrechterhalten werden kann. 

(3) Die Einbeziehung des zu einer Verständigung führenden Geschehens in die öffentliche Hauptverhandlung hat auch die Aufgabe, deren Funktion als alleinige Grundlage richterlicher Überzeugungsbildung zu wahren. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll diese Funktion der öffentlichen Hauptverhandlung unberührt bleiben. In den Materialien wird ausdrücklich hervorgehoben, dass die Überzeugung des Gerichts von dem festzustellenden Sachverhalt stets erforderlich bleibt und eine Verständigung als solche niemals die Grundlage eines Urteils bilden kann (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 8, 13). Das Gericht bildet sich seine Überzeugung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung (vgl. § 261 StPO). Dieser Grundsatz ist nicht zuletzt im Hinblick auf die während der Hauptverhandlung das Richteramt in vollem Umfang und mit gleichem Stimmrecht wie die Berufsrichter ausübenden Schöffen (§§ 30, 77 Abs. 1 GVG) von Bedeutung. Da aus § 257c Abs. 4 StPO folgt, dass der Gesetzgeber der Verständigung eine - wenn auch nur eingeschränkte - Bindungswirkung für das Gericht beigemessen hat, musste er zugleich gewährleisten, dass die Schöffen in das zu einer Verständigung führende Geschehen, soweit es in der Hauptverhandlung stattfindet, unmittelbar eingebunden und im Übrigen nach § 243 Abs. 4 StPO umfassend über dieses unterrichtet sind. Anderenfalls wäre ihnen eine verantwortbare Entscheidung über die Verständigung - insbesondere die damit verbundene Zusage einer Strafobergrenze und Ankündigung einer Strafuntergrenze - und über den Inhalt des nach einer Verständigung oder nach dem Scheitern von Verständigungsbemühungen ergehenden Urteils nicht möglich. Dementsprechend ermöglicht § 257c StPO es ausschließlich „dem Gericht“ - nicht nur dem Vorsitzenden oder nur den Berufsrichtern -, eine Verständigung mit den Verfahrensbeteiligten herbeizuführen. Damit ist es ausgeschlossen, dass ohne eine Beteiligung der Schöffen Strafgrenzen mit der Bindungswirkung des § 257c Abs. 4 StPO in Aussicht gestellt werden. 

bb) Mit dem Erfordernis ihrer Zustimmung zu einer Verständigung weist der Gesetzgeber der Staatsanwaltschaft eine aktive Rolle bei der Verwirklichung seines Ziels zu, eine wirksame Kontrolle von Verständigungen zu gewährleisten. 

Ihr ist die Aufgabe zugewiesen, an der Sicherung der Gesetzmäßigkeit des Verfahrensablaufs und -ergebnisses mitzuwirken. Mit ihrer Verpflichtung zur Objektivität (§ 160 Abs. 2 StPO) ist sie Garantin für Rechtsstaatlichkeit und gesetzmäßige Verfahrensabläufe; als Vertreterin der Anklage gewährleistet sie eine effektive Strafrechtspflege (vgl. Kühne, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2006, Einl. J Rn. 42). Diese Bedeutung der Staatsanwaltschaft ist nicht auf die erstinstanzliche Hauptverhandlung beschränkt, sondern setzt sich in ihrer Aufgabenstellung im Rechtsmittelverfahren fort (vgl. § 296 Abs. 2, § 301 StPO). Ihren Niederschlag hat diese Stellung der Staatsanwaltschaft in den Bestimmungen der Nr. 127 Abs. 1 Satz 1 und Nr. 147 Abs. 1 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) gefunden. 

In der Verständigungssituation kommt der Kontrolle durch die Staatsanwaltschaft herausgehobene Bedeutung zu, weil sich Angeklagter und Gericht hinsichtlich des möglichen Verfahrensergebnisses einer - wenngleich eingeschränkten - Bindung unterwerfen. Die Einbindung der Staatsanwaltschaft in die Verständigung hat damit vor allem den Zweck, deren Gesetzmäßigkeit zu sichern (vgl. auch BGH, Beschluss vom 5. Mai 2011 - 1 StR 116/11 -, juris, Rn. 23 f.; BGH, Beschluss vom 12. Juli 2011 - 1 StR 274/11 -, StV 2011, S. 645 f.; BGH, Urteil vom 9. November 2011 - 1 StR 302/11 -, juris, Rn. 45). Dem Verständigungsgesetz liegt die Erwartung zugrunde, dass die Staatsanwaltschaft - entsprechend ihrer Rolle als „Wächter des Gesetzes“ (vgl. hierzu Promemoria der Staats- und Justiz-Minister von Savigny und Uhden über die Einführung der Staats-Anwaltschaft im Kriminal-Prozesse vom 23. März 1846, abgedruckt bei Otto, Die Preußische Staatsanwaltschaft, 1899, S. 40 ff.) - sich gesetzwidrigen Vorgehensweisen im Zusammenhang mit Verständigungen verweigert. Weisungsgebundenheit und Berichtspflichten ermöglichen es, einheitliche Standards für die Erteilung der Zustimmung zu Verständigungen sowie für die Ausübung der Rechtsmittelbefugnis aufzustellen und durchzusetzen. Die Staatsanwaltschaft ist nicht nur gehalten, ihre Zustimmung zu einer gesetzwidrigen Verständigung zu versagen. Sie hat darüber hinaus gegen Urteile, die - beispielsweise von der Staatsanwaltschaft zunächst unerkannt - auf solchen Verständigungen beruhen, Rechtsmittel einzulegen. In Anbetracht der hohen Bedeutung, die der Gesetzgeber der Wahrung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an den Strafprozess auch in Verständigungsfällen beigemessen hat, werden Verstöße gegen die Vorgaben des Verständigungsgesetzes in der Regel von wesentlicher Bedeutung (vgl. auch Nr. 147 Abs. 1 Satz 1 RiStBV) und deshalb durch die Staatsanwaltschaft einer revisionsgerichtlichen Kontrolle zuzuführen sein. Auch kann es angezeigt sein, dass sich die Generalstaatsanwaltschaften dieser Aufgabe in besonderer Weise annehmen. 

cc) Schließlich verfolgen die in dem Regelungskonzept des Verständigungsgesetzes vorgesehenen Schutzmechanismen das Ziel, eine wirksame „vollumfängliche“ Kontrolle verständigungsbasierter Urteile durch das Rechtsmittelgericht zu ermöglichen. 

(1) Diese Kontrolle soll dazu beitragen, dass „Verständigungen in erster Instanz wirklich so ablaufen, wie es den Vorgaben des Gesetzgebers entspricht“ (Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 9). Hiernach verzichtete der Gesetzgeber darauf, nach vorangegangener Verständigung Rechtsmittel auszuschließen oder einzuschränken, um die Verständigung in einer insbesondere mit dem Gebot schuldangemessenen Strafens und der daraus folgenden Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit in Einklang stehenden Weise in das geltende Strafverfahren integrieren zu können (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 1 f., 8 f.; siehe auch Stellungnahme der Bundesregierung zum Gesetzentwurf des Bundesrats, BTDrucks 16/4197, S. 12). Mit dieser Zielsetzung grenzt sich das Regelungskonzept des Verständigungsgesetzes ausdrücklich von dem vom Bundesrat vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Absprachen im Strafverfahren (BTDrucks 16/4197) ab, der die Rechtsmittelmöglichkeiten gegen ein verständigungsbasiertes Urteil durch einen Ausschluss der Berufung sowie eine Beschränkung der Revision auf im Zusammenhang mit der Verständigung stehende Verfahrensfehler und die Revisionsgründe des § 338 StPO wesentlich einschränken wollte (vgl. Gesetzentwurf und Begründung des Bundesrats, BTDrucks 16/4197, S. 5 f., 7, 11 sowie die Stellungnahme der Bundesregierung, BTDrucks 16/4197, S. 12). Die im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehene Möglichkeit eines Rechtsmittelverzichts nach gesonderter qualifizierter Belehrung hat der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages verworfen, um sicherzustellen, dass sich die Berechtigten in Ruhe und ohne Druck überlegen können, ob sie Rechtsmittel einlegen wollen (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 6, 15 sowie Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks 16/13095, S. 7, 10). In bewusster Abkehr von den Entwürfen schränkt das Verständigungsgesetz die Rechtsmittelmöglichkeiten gegen verständigungsbasierte Urteile nicht ein, sondern schließt - über die dem Regelungskonzept weitgehend zugrundeliegende Entscheidung des Großen Strafsenats des Bundesgerichtshofs (BGHSt 50, 40 ff.) hinausgehend - einen Rechtsmittelverzicht nach einer Verständigung generell aus (§ 302 Abs. 1 Satz 2 StPO) und sichert die Ermöglichung einer Rechtsmittelkontrolle durch das Erfordernis einer qualifizierten Belehrung noch zusätzlich ab. 

(2) Die Wirksamkeit der Kontrolle soll durch umfassende Transparenz- und Dokumentationspflichten sichergestellt werden. Diese Schutzmechanismen können nicht als bloße Ordnungsvorschriften verstanden werden. Die Gewährleistung einer „vollumfänglichen“ Kontrolle verständigungsbasierter Urteile setzt umfassende Transparenz des Verständigungsgeschehens in der öffentlichen Hauptverhandlung sowie eine vollständige Dokumentation im Verhandlungsprotokoll voraus. Dementsprechend kommt im Wortlaut der Normen, in der Systematik des Regelungskonzepts und in den Materialien unmissverständlich zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber eine Verständigung nur bei Wahrung der Transparenz- und Dokumentationspflichten für zulässig hält. Das gesetzliche Regelungskonzept ist damit als eine untrennbare Einheit aus Zulassung und inhaltlicher Beschränkung von Verständigungen bei gleichzeitiger Einhegung durch die Mitteilungs-, Belehrungs- und Dokumentationspflichten zu begreifen. Dabei dienen die Verfahrensnormen in gleicher Weise wie die den zulässigen Inhalt von Verständigungen beschränkenden Vorschriften und der Verweis des § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO auf § 244 Abs. 2 StPO dem Ziel, die mit einer urteilsbezogenen Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten verbundenen Risiken für die Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an den Strafprozess zu minimieren. Die Vorschriften zur Transparenz des Verständigungsgeschehens in der öffentlichen Hauptverhandlung, zu dessen Dokumentation und zur Ermöglichung einer wirksamen Kontrolle auch durch das Rechtsmittelgericht zählen zum Kern des gesetzlichen Regelungskonzepts. 

(3) Ein Verstoß gegen die Transparenz- und Dokumentationspflichten führt deshalb grundsätzlich zur Rechtswidrigkeit einer gleichwohl getroffenen Verständigung. Hält sich das Gericht an eine solche gesetzwidrige Verständigung, wird ein Beruhen des Urteils auf diesem Gesetzesverstoß regelmäßig schon deshalb nicht auszuschließen sein, weil die Verständigung, auf der das Urteil beruht, ihrerseits mit einem Gesetzesverstoß behaftet ist. Diese Auslegung entspricht der Funktion dieser Vorschriften im Konzept des Verständigungsgesetzes. Dass Verstöße gegen die verfahrensrechtlichen Sicherungen der Verständigung nicht den absoluten Revisionsgründen zugeordnet worden sind, steht einer Auslegung des § 337 Abs. 1 StPO nicht entgegen, derzufolge das Revisionsgericht ein Beruhen des Urteils auf einem Verstoß gegen Transparenz- und Dokumentationspflichten - die nach dem Willen des Gesetzgebers gerade zum Kern des dem Verständigungsgesetz zugrunde liegenden Schutzkonzepts gehören - nur in besonderen Ausnahmefällen wird ausschließen können (vgl. zur Verletzung von § 258 Abs. 2 und 3 StPOBGHSt 21, 288<290>; 22, 278 <280 f.>). 

(4) Kommt eine Verständigung nicht zustande und fehlt es an der gebotenen Negativmitteilung nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 - 3 StR 287/10 -, wistra 2011, S. 72 f. = StV 2011, S. 72 f.) oder dem vorgeschriebenen Negativattest nach § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO, wird nach Sinn und Zweck des gesetzlichen Schutzkonzepts ein Beruhen des Urteils auf einem Verstoß gegen § 257c StPO grundsätzlich ebenfalls nicht auszuschließen sein (str., im Ergebnis wie hier Kirsch, StraFo 2010, S. 96 <100>; Schlothauer, StV 2011, S. 205 <206>; in der Tendenz auch Schmitt, StraFo 2012, S. 386 <390>; anders BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2010 - 1 StR 400/10 -, NStZ 2011, S. 592 <593> zu § 243 Abs. 4 StPO), sofern nicht ausnahmsweise zweifelsfrei feststeht, dass es keinerlei Gespräche gegeben hat, in denen die Möglichkeit einer Verständigung im Raum stand (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 30. August 2011 - 32 Ss 87/11 -, juris, Rn. 11, 13). Bei einem Verstoß gegen Transparenz- und Dokumentationspflichten wird sich nämlich in den meisten Fällen nicht sicher ausschließen lassen, dass das Urteil auf eine gesetzwidrige „informelle“ Absprache oder diesbezügliche Gesprächsbemühungen zurückgeht.

e) Aus der in § 257c Abs. 4 StPO getroffenen Regelung ergibt sich zwar einerseits, dass das Gericht (nur) an eine nach den Vorgaben des Gesetzes entsprechende Verständigung grundsätzlich gebunden ist. Andererseits stellt die Regelung zugleich klar, dass die Bindungswirkung entfällt, wenn das Gericht nach Zustandekommen der Verständigung zu der Überzeugung gelangt, dass der nach § 257c Abs. 3 Satz 2 StPO in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht (mehr) tat- und schuldangemessen ist. Die Bestimmung des § 257c Abs. 4 StPO ist somit Ausdruck des gesetzgeberischen Willens, die richterliche Überzeugungsbildung unangetastet zu lassen. Mit dem Verwertungsverbot des § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO ist dort zudem eine dem Schutz des Angeklagten dienende Vorschrift enthalten, der im Vertrauen auf den Bestand einer Verständigung ein Geständnis abgegeben und damit von seinem Recht, sich nicht zur Sache einzulassen, keinen Gebrauch gemacht und der Verurteilung eine Grundlage verschafft hat. Mit dem Ziel, dem Angeklagten überhaupt eine autonome Entscheidung über das für ihn mit einer Mitwirkung an einer Verständigung verbundene Risiko zu ermöglichen, sieht schließlich § 257c Abs. 5 StPO vor, dass der Angeklagte vor der Verständigung über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichts von dem in Aussicht gestellten Ergebnis zu belehren ist. Hiermit wollte der Gesetzgeber die Fairness des Verständigungsverfahrens sichern und - wie sein Hinweis auf das Ziel der Ermöglichung einer autonomen Einschätzung (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 15) bestätigt - zugleich die Autonomie des Angeklagten im weiten Umfang schützen. Der Angeklagte sieht sich durch die Aussicht, mit der Verständigung eine das Gericht bindende Zusage einer Strafobergrenze zu erreichen und so Einfluss auf den Verfahrensausgang zu nehmen, einer besonderen Anreiz- und Verlockungssituation ausgesetzt. Der hiermit einhergehenden Gefährdung der Selbstbelastungsfreiheit soll unter anderem durch die Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO Rechnung getragen werden. Bei einem Verstoß gegen die Belehrungspflicht wird daher im Rahmen der revisionsgerichtlichen Prüfung regelmäßig davon auszugehen sein, dass das Geständnis und damit auch das Urteil auf dem Unterlassen der Belehrung beruht. Ein Beruhen wird nur dann verneint werden können, wenn sich feststellen lässt, dass der Angeklagte das Geständnis auch bei ordnungsgemäßer Belehrung abgegeben hätte (vgl. zu dem in seiner Bedeutung für die Selbstbelastungsfreiheit ähnlich gelagerten Verstoß gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPOBGHSt 38, 214<226 f.>). Nur so ist gewährleistet, dass die Schutzfunktion der Belehrungspflicht ihre vorgesehene Wirkung entfaltet. 

2. Das Verständigungsgesetz ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Dieses schließt Verständigungen im Strafprozess nicht schlechthin aus (a). Der Gesetzgeber hat ausreichende Vorkehrungen getroffen, um zu gewährleisten, dass sich Verständigungen im Rahmen der verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Strafverfahren halten (b).

a) Verständigungen im Strafprozess berühren die verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Strafverfahren (aa), der Gesetzgeber ist aber nicht gehindert, Verständigungen mit den zur Sicherung der Verfassungsmäßigkeit gebotenen Vorkehrungen zuzulassen (bb). 
aa) Der Strafprozess hat das Schuldprinzip zu verwirklichen und darf sich von dem ihm vorgegebenen Ziel der bestmöglichen Erforschung der materiellen Wahrheit und der Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch ein unabhängiges und neutrales Gericht nicht entfernen. Das Fehlen eines nicht an den sachlichen Verfahrenszielen orientierten eigenen Interesses des Gerichts am Verfahrensausgang bildet im Zusammenwirken mit seiner Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) die Grundlage für die bestmögliche Ermittlung des wahren Sachverhaltes und die richtige Anwendung des materiellen Rechts auf den festgestellten Sachverhalt. Dabei trägt das Gebot einer schuldangemessenen Bestrafung auch im Einzelfall dem Verlangen nach Rechtsgleichheit als einem der grundlegenden Gerechtigkeitspostulate Rechnung. Das Maß der verwirklichten Schuld legitimiert die Differenzierung in den Rechtsfolgen und sichert so zugleich die gebotene Gleichbehandlung der Beschuldigten im Strafverfahren. 
(1) Das verfassungsrechtliche Schuldprinzip steht nicht zur Disposition des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 123, 267 <413>). Dies schließt es nicht aus, den Strafverfolgungsbehörden Möglichkeiten zu einem Absehen von der Strafverfolgung zu eröffnen, namentlich in Fällen geringfügiger Kriminalität, in denen der Rechtsfrieden nicht ernsthaft beeinträchtigt und eine Kriminalstrafe zum Schuldausgleich nicht zwingend geboten ist, so dass ein öffentliches Interesse an einem Schuldspruch nicht besteht oder durch die Erfüllung von Auflagen oder/und Weisungen beseitigt werden kann. Solche Ausnahmen dürfen die Geltungskraft des Schuldprinzips nicht in Frage stellen und bedürfen stets einer gesetzlichen Regelung, wie sie der Gesetzgeber etwa in den §§ 153 ff. StPO getroffen hat. Als Ausnahmen von der verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zur Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs sind sie fest zu umgrenzen und bedürfen jeweils einer eigenständigen Legitimation (vgl. zu Beschränkungen der Sachverhaltsaufklärung BVerfGE 33, 367 <382 f.>; 46, 214 <222 f.>; 49, 24 <54>; 51, 324 <344>; 129, 208 <260>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. August 2000 - 1 BvR 77/96 -, NStZ 2001, S. 43 <44>). 

(2) Als unerlässliche Voraussetzung der Verwirklichung des Schuldprinzips unterliegt auch die Pflicht zur bestmöglichen Erforschung der materiellen Wahrheit nicht der Disposition des Gesetzgebers. Sie ist das bestimmende Ziel, von dem sich der Strafprozess nicht entfernen darf. Allerdings ist es Sache des Gesetzgebers, darüber zu befinden, auf welchen Wegen und mit welchen Mitteln er die Verwirklichung des Schuldprinzips gewährleistet. Es ist dem Gesetzgeber auch nicht versagt, unter Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze für Fälle einfach gelagerter und eindeutiger Sachverhalte - etwa bei einer sich mit den Ermittlungsergebnissen deckenden geständigen Einlassung schon im Ermittlungsverfahren oder bei einem auf frischer Tat angetroffenen Beschuldigten - ein vereinfachtes Verfahren zur Gewinnung der richterlichen Überzeugung von Schuld oder Unschuld des Angeschuldigten und der hieraus zu ziehenden Folgen ohne das Erfordernis einer öffentlichen Hauptverhandlung mit ihrer formalisierten Beweisaufnahme einzurichten, wie es die Strafprozessordnung mit dem Strafbefehlsverfahren gemäß § 407 Abs. 1 und 2 StPO vorsieht (vgl. dazu Gössel, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2009, Vor § 407 Rn. 25 f. m.w.N.). Ermöglichen es die in der Akte befindlichen Unterlagen und Beweismittel dem Richter, sich die Überzeugung von der Richtigkeit des dem Angeschuldigten zur Last gelegten Sachverhalts zu bilden, ist eine öffentliche Hauptverhandlung zur Gewinnung einer tragfähigen Grundlage für die Schuldfeststellung, die rechtliche Beurteilung und die Strafzumessung von Verfassungs wegen nicht zwingend geboten, sofern es der Angeschuldigte in der Hand hat, durch einfache Erklärung die Durchführung einer öffentlichen Hauptverhandlung zu erzwingen (vgl. BVerfGE 25, 158 <164 f.>; BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Februar 1995 - 2 BvR 1950/94 -, NJW 1995, S. 2545 <2546> und vom 4. Juli 2002 - 2 BvR 2168/00 -, NJW 2002, S. 3534 m.w.N.). 
(3) Das im Grundgesetz verankerte Schuldprinzip und die mit ihm verbundene Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit sowie der Grundsatz des fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens, die Unschuldsvermutung und die Neutralitätspflicht des Gerichts schließen es jedoch aus, die Handhabung der Wahrheitserforschung, die rechtliche Subsumtion und die Grundsätze der Strafzumessung in der Hauptverhandlung, die letztlich mit einem Urteil zur Schuldfrage abschließen soll, zur freien Disposition der Verfahrensbeteiligten und des Gerichts zu stellen. Dem Gericht muss es untersagt bleiben, im Wege vertragsähnlicher Vereinbarungen mit den Verfahrensbeteiligten über die Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit zu verfügen und sich von dem Gebot schuldangemessenen Strafens zu lösen. Es ist Gericht und Staatsanwaltschaft untersagt, sich auf einen „Vergleich“ im Gewande des Urteils, auf einen „Handel mit der Gerechtigkeit“ einzulassen (vgl. schon BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Januar 1987 - 2 BvR 1133/86 -, NJW 1987, S. 2662 <2663>) und mit dem Angeklagten einen bestimmten Schuldspruch oder auch nur eine konkrete Strafe zu vereinbaren. Der Rechtsanwendungspraxis ist es untersagt, das vom Gesetzgeber normierte Strafverfahren in einer Weise zu gestalten, die auf solche vertragsähnliche Erledigungsformen hinausläuft. 

Demgegenüber steht das Grundgesetz unverbindlichen Erörterungen der Beurteilung der Sach- und Rechtslage zwischen dem Gericht und den Verfahrensbeteiligten nicht entgegen. Eine offene, kommunikative Verhandlungsführung kann der Verfahrensförderung dienlich sein und ist daher heute selbstverständliche Anforderung an eine sachgerechte Prozessleitung. So begegnen etwa Rechtsgespräche und Hinweise auf die vorläufige Beurteilung der Beweislage oder die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Solche Formen der kommunikativen Verhandlungsführung stellen insbesondere nicht die Unvoreingenommenheit des Gerichts in Frage, solange sie transparent bleiben und kein Verfahrensbeteiligter hiervon ausgeschlossen ist. 

bb) Verständigungen zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten über Stand und Aussichten der Hauptverhandlung, die dem Angeklagten für den Fall eines Geständnisses eine Strafobergrenze zusagen und eine Strafuntergrenze ankündigen, tragen das Risiko in sich, dass die verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht in vollem Umfang beachtet werden. Gleichwohl ist es dem Gesetzgeber in Anbetracht seiner Gestaltungsmacht von Verfassungs wegen nicht schlechthin verwehrt, zur Verfahrensvereinfachung Verständigungen zuzulassen. Er muss jedoch zugleich durch hinreichende Vorkehrungen sicherstellen, dass die verfassungsrechtlichen Anforderungen gewahrt bleiben. Die Wirksamkeit der vorgesehenen Schutzmechanismen hat der Gesetzgeber fortwährend zu überprüfen. Ergibt sich, dass sie unvollständig oder ungeeignet sind, hat er insoweit nachzubessern und erforderlichenfalls seine Entscheidung für die Zulässigkeit strafprozessualer Absprachen zu revidieren (vgl. BVerfGE 110, 141 <158> m.w.N.). 

b) Das Verständigungsgesetz sichert die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben in ausreichender Weise. 

aa) Nach § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO dürfen Gegenstand einer Verständigung nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrunde liegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. § 257c Abs. 2 Satz 3 StPO schließt den Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung als Gegenstand einer Verständigung aus. Das Verständigungsgesetz entbindet das Gericht auch nicht von der Beachtung der Strafzumessungsregeln, wenn es in § 257c Abs. 3 Satz 2 StPO das Gericht ermächtigt, bei der Bekanntgabe des möglichen Inhalts einer Verständigung unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe anzugeben. Damit sind nicht nur, wie vom Schuldgrundsatz gefordert, Verständigungen über den Schuldspruch wirksam ausgeschlossen, sondern es ist auch sichergestellt, dass die aus dem Gebot schuldangemessenen Strafens folgenden Grundsätze der Strafzumessung nicht zur Disposition der Verfahrensbeteiligten stehen. Dem Gericht ist es nicht gestattet, im Wege der Verständigung seine Wertungen an die Stelle derjenigen des Strafgesetzgebers zu setzen. Dabei ist zu beachten, dass eine maßgebliche Bedeutung insoweit den gesetzlichen Strafrahmen zukommt, die mit ihren nach Straftat und Strafhöhe gestaffelten Sanktionen die Abstufung der verschiedenen Straftaten nach ihrem Unrechtsgehalt erst zum Ausdruck bringen (vgl. BVerfGE 27, 18 <29>). Tatbestand und Rechtsfolge sind wechselseitig aufeinander bezogen und müssen - gemessen an der Idee der Gerechtigkeit - sachgerecht aufeinander abgestimmt sein. Einerseits richtet sich die Strafhöhe nach dem normativ festgelegten Wert des verletzten Rechtsgutes und der Schuld des Täters. Andererseits lässt sich das Gewicht einer Straftat, der ihr in der verbindlichen Wertung des Gesetzgebers beigemessene Unwertgehalt, in aller Regel erst aus der Höhe der angedrohten Strafe entnehmen. Insofern ist auch die Strafandrohung für die Charakterisierung, Bewertung und Auslegung des Straftatbestandes von entscheidender Bedeutung (BVerfGE 25, 269 <286>; 27, 18 <29>). Erst von einer differenzierenden Bewertung des Unwertgehaltes der verschiedenen Straftaten her wird die Abstufung der strafrechtlichen Sanktionen verständlich und sachlich gerechtfertigt (BVerfGE 27, 18 <29>). Innerhalb eines Deliktstypus kommt die differenzierende Bewertung des Unwertgehaltes vor allem durch Qualifikations- und Privilegierungstatbestände zum Ausdruck. Aber auch die Sonderstrafrahmen für besonders schwere und minder schwere Fälle nehmen an dieser Abstufung teil, auch wenn es sich hierbei nach überwiegender Auffassung um Strafzumessungsregeln handelt (Nachweise siehe oben unter B. II. 1. b) bb)). Diese Regelungstechnik ist dem Gesetzgeber nicht verwehrt (vgl. BVerfGK 14, 177 <182>). Wenn er jedoch mit der Einführung solcher Sonderstrafrahmen zum Ausdruck gebracht hat, eine Differenzierung schon bei der Strafandrohung für erforderlich zu halten, ist diese Bewertung für die Rechtsanwendung bindend. 

bb) Das Verständigungsgesetz wahrt den Schuldgrundsatz auch insoweit, als eine Verfahrensverkürzung um den Preis der Erforschung der materiellen Wahrheit ausgeschlossen ist. Wie dargestellt, enthebt die Möglichkeit einer Verständigung das Gericht nicht von der Pflicht zur Sachverhaltsermittlung von Amts wegen. Ein Geständnis darf nicht zur „Handelsware“ werden und kann als Grundlage der Zusage einer Strafobergrenze nur akzeptiert werden, wenn es - aus sich heraus oder aufgrund der Beantwortung von Fragen - überprüfbar ist. Das im Zusammenhang mit der Zusage einer Strafobergrenze abgegebene Geständnis in der - die Grundlage der richterlichen Überzeugung über Schuld oder Unschuld und die daran zu knüpfenden Folgen bildenden - Hauptverhandlung ist auf seine Richtigkeit zu überprüfen, denn eine solche Zusage kann den Angeklagten zur Abgabe eines (teilweise) falschen Geständnisses veranlassen. 

cc) Mit den Bestimmungen zum Entfallen der Bindung des Gerichts an eine Verständigung (§ 257c Abs. 4 StPO) hat der Gesetzgeber ferner die aus dem Schuldprinzip, der Pflicht des Gerichts zur Erforschung der materiellen Wahrheit und seiner Neutralitätspflicht sowie der Unschuldsvermutung zu ziehenden Konsequenzen für die Grenzen der richterlichen Selbstbindung an gegebene Zusagen konkretisiert. Es ist gewährleistet, dass die der Verständigung beigemessene Bindung entfällt, wenn sich im Laufe der Hauptverhandlung der in Aussicht gestellte eingegrenzte Strafrahmen als nicht (mehr) tat- oder schuldangemessen erweist. 

dd) Der insbesondere im Grundsatz der Verfahrensfairness verankerten Forderung, dass der Angeklagte autonom darüber entscheiden kann, ob er den Schutz der Selbstbelastungsfreiheit aufgibt, sich auf eine Verständigung einlässt und mit einem Geständnis sich seines Schweigerechts begibt, genügt das Verständigungsgesetz ebenfalls. Das Strafverfahrensrecht trägt dem Anliegen, die Entscheidungsfreiheit des Angeklagten zu wahren, bereits generell in allen Verfahrensstadien Rechnung. So haben Belehrungspflichten sowie die Freiheit von Willensentschließung und Willensbetätigung in den allgemeinen Vorschriften der §§ 136, 136a StPO und - beispielsweise - für das Ermittlungsverfahren in § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO sowie für die Hauptverhandlung in § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO ihren Niederschlag gefunden. Wenn diese Sicherungen schon bei der Entscheidungsfindung über allgemeines Aussageverhalten greifen, so haben sie eine umso größere Bedeutung, wenn es um die Frage eines Schuldeingeständnisses geht, vor allem in der für eine Verständigung typischen Anreiz- und Verlockungssituation (vgl. oben B. II. 1. e)). Vor diesem Hintergrund kommt der in § 257c Abs. 5 StPOvorgesehenen Belehrung über die Reichweite der Bindungswirkung und die Folgen eines Scheiterns der Verständigung besondere Bedeutung zu, der auch revisionsrechtlich Rechnung zu tragen ist. 

Von ebenso hohem Gewicht ist, dass der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit es dem Gericht verbietet, dem Angeklagten eine geständnisbedingte Strafmilderung in Aussicht zu stellen, mit der es den Boden schuldangemessenen Strafens verließe. Der Angeklagte darf infolgedessen nicht durch ein gesetzlich nicht vorgesehenes Vorteilsversprechen, aber auch nicht durch Täuschung oder Drohung zu einem Geständnis gedrängt werden. Letzteres hat in § 136a StPO bereits seinen Ausdruck gefunden (vgl. BVerfG, Vorprüfungsausschuss, Beschluss vom 19. Oktober 1983 - 2 BvR 859/83 -, NStZ 1984, S. 82; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Januar 1987 - 2 BvR 1133/86 -, NJW 1987, S. 2662 <2663>). Erst recht greift dieses Schutzgebot zugunsten eines Angeklagten, mit dessen Geständnis in der Hauptverhandlung der Ausgang des Verfahrens steht oder fällt. 
ee) Das Verständigungsgesetz trifft umfangreiche Vorkehrungen dahin, dass das maßgebliche Verständigungsgeschehen in die Hauptverhandlung einbezogen und dokumentiert wird, und gibt mit der in § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO vorgesehenen Abhängigkeit der Verständigung von der Zustimmung der Staatsanwaltschaft dieser ein Mittel zur Wahrung rechtsstaatlicher Standards in die Hand, zu der die effektiv zu handhabende Überprüfung durch Rechtsmittel hinzutritt (vgl. oben B. II. 1. d)). Der Gesetzgeber begegnet damit der mit der Möglichkeit der Verfahrensverkürzung durch eine Verständigung einhergehenden Gefahr einer Motivationsverschiebung bei dem erkennenden Gericht und trägt dem mit der Zusage einer wesentlichen Strafmilderung für den Fall eines Geständnisses verbundenen Anreiz für den Angeklagten Rechnung, ein (teilweise) falsches Geständnis abzulegen. Zugleich wirkt er dem Risiko entgegen, dass sich ein möglicher Interessengleichlauf von Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung zum Nachteil des Angeklagten auswirkt. Die verfahrensrechtlichen Sicherungen lassen jedenfalls in ihrem Zusammenwirken erwarten, dass die mit Verständigungen verbundenen rechtsstaatlichen Risiken beherrscht werden. Dabei kann unentschieden bleiben, ob bestimmte Vorkehrungen von Verfassungs wegen unverzichtbar sind, solange ein ausreichendes Gewährleistungsniveau verwirklicht wird. 

ff) Schließlich hat der Gesetzgeber eindeutig entschieden, dass auf das Strafurteil bezogene „informelle“ Absprachen unzulässig sind. Ausweislich des § 257c Abs. 1 StPO sind Verständigungen über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens nur nach Maßgabe der folgenden Absätze zulässig. Intransparente, unkontrollierbare „Deals“ sind im Strafprozess wegen der mit ihnen verbundenen Gefährdung des Schuldprinzips, der darin verankerten Wahrheitserforschungspflicht und des dem Rechtsstaatsprinzip innewohnenden Prinzips des fairen Verfahrens bereits von Verfassungs wegen untersagt, und der Gesetzgeber hat derartige Vorgehensweisen in unmissverständlicher Weise verworfen. 

3. Der in erheblichem Maße defizitäre Vollzug des Verständigungsgesetzes führt derzeit nicht zur Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung. 

a) Die repräsentative empirische Erhebung von Prof. Dr. Altenhain, die Anhörung der Auskunftspersonen in der mündlichen Verhandlung, aber auch die schriftlichen Stellungnahmen zu den Verfassungsbeschwerden und die vorliegende obergerichtliche Rechtsprechung zeigen zwar, dass Gerichte, Staatsanwaltschaften und Verteidigung in einer hohen Zahl von Fällen die gesetzlichen Vorgaben missachten und die Rechtsmittelgerichte der ihnen zugewiesenen Aufgabe der Kontrolle der Verständigungspraxis nicht immer in genügendem Maße nachgekommen sind. Aus diesem empirischen Befund kann jedoch derzeit noch nicht auf ein in der Norm selbst angelegtes und daher zu deren Verfassungswidrigkeit führendes Versagen der zur Gewährleistung der verfassungsrechtlichen Vorgaben normierten Schutzmechanismen geschlossen werden. 

b) Eine gesetzliche Regelung, gegen die in der Rechtsanwendungspraxis in verfassungswidriger Weise verstoßen wird, verletzt nur dann auch selbst das Grundgesetz, wenn die verfassungswidrige Praxis auf die Vorschrift selbst zurückzuführen, mithin Ausdruck eines strukturbedingt zu dieser Praxis führenden normativen Regelungsdefizits ist. Ein solches Defizit kann im vorliegenden Zusammenhang nicht schon darin gesehen werden, dass der Gesetzgeber urteilsbezogene Verständigungen, welche sich durch ihre Grundstruktur für die Verwirklichung des Schuldprinzips als gefährlich erweisen, überhaupt gestattet hat. Dies ließe unberücksichtigt, dass er ihre Zulassung an umfangreiche flankierende Schutzmechanismen gekoppelt hat, die die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an den Strafprozess sicherstellen sollen (vgl. auch BVerfGE 81, 123 <129 f.>; 83, 24 <31>; 118, 212 <231 f.>). Verfassungswidrig wäre das gesetzliche Regelungskonzept nur, wenn die vorgesehenen Schutzmechanismen in einer Weise lückenhaft oder sonst unzureichend wären, die eine gegen das Grundgesetz verstoßende „informelle“ Absprachepraxis fördert, das Vollzugsdefizit also durch die Struktur der Norm determiniert wäre. 

c) Ein strukturelles Regelungsdefizit kann gegenwärtig nicht festgestellt werden. Die Gründe für den erheblichen, keineswegs auf Einzelfälle beschränkten Vollzugsmangel sind vielschichtig und finden sich nach gegenwärtiger Erkenntnis nicht in einer Schutzlücke der gesetzlichen Regelung. Die gesetzliche Regelung traf auf Rahmenbedingungen, die von immer komplexer werdenden Lebenssachverhalten, einer stetigen Ausweitung des materiellen Strafrechts sowie immer differenzierteren Anforderungen an den Ablauf des Strafverfahrens geprägt sind, und hatte die schwierige Aufgabe, eine zuvor über drei Jahrzehnte in der Praxis entstandene und dort längst verfestigte Entwicklung in geordnete Bahnen zu lenken. Im Vergleich zu der lang andauernden und - wie auch die Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zeigt - immer weiter um sich greifenden Praxis jedenfalls gesetzlich nicht geregelter Absprachen ist der Zeitraum der bisherigen Geltungsdauer der gesetzlichen Schutzmechanismen noch sehr kurz, was dafür spricht, dass die Durchsetzung der strikt umgrenzten und stark formalisierten Verständigungsform entsprechend dem gesetzlichen Regelungskonzept noch nicht abgeschlossen ist und insbesondere die hohe Bedeutung der Schutzmechanismen von der Praxis noch nicht vollständig verinnerlicht wurde. Hierfür spricht auch, dass in der Literatur Stellungnahmen anzutreffen sind, die dahin verstanden werden können, dass die gesetzliche Regelung nicht abschließend sei und die Schutzmechanismen insbesondere des § 273 Abs. 1a und des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO nicht für „informelle“ Vorgehensweisen außerhalb der Vorgaben des § 257c StPO gälten (vgl. etwa Peglau, jurisPR-StrafR 4/2012 Anm. 1; Niemöller, StV 2012, S. 387 <388 f.>; ders., in: Niemöller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, 2010, § 273 Rn. 16, § 302 Rn. 5; Bittmann, wistra 2009, S. 414 <416>; Kirsch, StraFo 2010, S. 96 <101>). Hinzu kommt die nicht selten anzutreffende Bewertung gerade der Schutzmechanismen als „praxisuntauglich“, welche die Sicherung der verfassungsrechtlichen Vorgaben als zentrale Aufgabenstellung des Strafverfahrensrechts übergeht. Dies verkennt, dass im Rechtsstaat des Grundgesetzes das Recht die Praxis bestimmt und nicht die Praxis das Recht. 
d) Weder das Ergebnis der empirischen Erhebung noch die in den Verfassungsbeschwerdeverfahren abgegebenen Stellungnahmen zwingen zu der Annahme, dass es strukturelle Mängel des gesetzlichen Regelungskonzepts sind, die zu dem bisherigen Vollzugsdefizit geführt haben könnten. Als Hauptgrund für die Nichtbeachtung der gesetzlichen Regelungen wird in der empirischen Untersuchung vielmehr eine „fehlende Praxistauglichkeit“ der Vorschriften genannt. Dabei werden als praxisuntauglich oftmals die Begrenzung des zulässigen Inhalts von Verständigungen, die Transparenz- und Dokumentationspflichten - hier vor allem das Negativattest des § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO - sowie das Verbot eines Rechtsmittelverzichts angeführt, also gerade diejenigen Vorschriften, die die Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben gewährleisten sollen. So gaben viele Verteidiger in der Befragung an, die gesetzliche Regelung widerspreche dem „Wesen des Deals“; dieser sei informell. Auch dies spricht für ein bisher nur unzureichend ausgeprägtes Bewusstsein, dass es Verständigungen ohne die Einhaltung der Anforderungen des Verständigungsgesetzes nicht geben darf. Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung stützen daher nicht die Annahme eines im gesetzlichen Regelungskonzept verankerten strukturellen Defizits, sondern sprechen für interessengeleitete Missverständnisse und Bestrebungen, die gesetzliche Regelung wegen ihrer - als unpraktisch empfundenen - Schutzmechanismen zu umgehen. 

4. Auch wenn derzeit aus dem defizitären Vollzug des Verständigungsgesetzes nicht auf eine Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung geschlossen werden kann, muss der Gesetzgeber die weitere Entwicklung sorgfältig im Auge behalten. Sollte sich die gerichtliche Praxis weiterhin in erheblichem Umfang über die gesetzlichen Regelungen hinwegsetzen und sollten die materiellen und prozeduralen Vorkehrungen des Verständigungsgesetzes nicht ausreichen, um das festgestellte Vollzugsdefizit zu beseitigen und dadurch die an eine Verständigung im Strafverfahren zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen zu erfüllen, muss der Gesetzgeber der Fehlentwicklung durch geeignete Maßnahmen entgegenwirken (vgl. zu Beobachtungs- und Nachbesserungspflichten des Gesetzgebers BVerfGE 25, 1 <12 f.>; 49, 89 <130>; 95, 267 <314>; 110, 141 <158, 166>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. November 2009 - 1 BvR 213/08 -, GRUR 2010, S. 332 <334>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 27. Januar 2011 - 1 BvR 3222/09 -, NJW 2011, S. 1578 <1582>). Unterbliebe dies, träte ein verfassungswidriger Zustand ein. 

5. Das Normgefüge des Verständigungsgesetzes gestattet nach der hier zugrunde gelegten Auslegung des einfachen Rechts keine Verfahrensweise im Strafprozess, die den verfassungsrechtlichen Vorgaben widerspräche. Die durch das Verständigungsgesetz eingeführten Vorschriften sind deshalb weder für unvereinbar mit dem Grundgesetz zu erklären noch besteht Anlass, sie im Wege einer verfassungskonformen Auslegung einzugrenzen. Damit ist der Anwendungsbereich von § 79 BVerfGGnicht eröffnet. 

III.  

Die mit den Verfassungsbeschwerden angefochtenen fachgerichtlichen Entscheidungen sind mit den Vorgaben des Grundgesetzes für eine Verständigung im Strafprozess nicht zu vereinbaren. 

1. Die von den Beschwerdeführern zu I. und II. angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts München II und des Bundesgerichtshofs verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren und verstoßen gegen die Selbstbelastungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG). Im Anschluss an die in beiden Fällen unterbliebene Belehrung der Angeklagten über die Voraussetzungen und Folgen des Wegfalls der Bindung an eine Verständigung (§ 257c Abs. 5 StPO) hat der Bundesgerichtshof im Rahmen der Prüfung, ob die Urteile des Landgerichts München II auf dem Gesetzesverstoß beruhen, die grundlegende Bedeutung der Belehrungspflicht nach § 257c Abs. 5 StPOfür die Fairness des Verfahrens und die Selbstbelastungsfreiheit verkannt. 

a) Eine Verständigung ist regelmäßig nur dann mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens zu vereinbaren, wenn der Angeklagte vor ihrem Zustandekommen über deren nur eingeschränkte Bindungswirkung für das Gericht belehrt worden ist. Die Belehrungspflicht verliert nicht deshalb an Bedeutung oder wird gar obsolet, weil eine Lösung des Gerichts von der Verständigung nach § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO das infolge der Verständigung abgegebene Geständnis unverwertbar macht. Denn die Belehrung hat sicherzustellen, dass der Angeklagte vor dem Eingehen einer Verständigung, deren Bestandteil das Geständnis ist, vollumfänglich über die Tragweite seiner Mitwirkung an der Verständigung informiert ist (vgl. auch Begründung zum Regierungsentwurf, BTDrucks 16/12310, S. 15). Nur so ist gewährleistet, dass er autonom darüber entscheiden kann, ob er von seiner Freiheit, die Aussage zu verweigern, (weiterhin) Gebrauch macht oder sich auf eine Verständigung einlässt. 

Zwar muss der Angeklagte unabhängig von der Möglichkeit einer Verständigung darüber befinden, ob und gegebenenfalls wie er sich zur Sache einlässt. Mit der Aussicht auf eine Verständigung wird jedoch eine verfahrensrechtliche Situation geschaffen, in der es dem Angeklagten in die Hand gegeben wird, durch sein Verhalten spezifischen Einfluss auf das Ergebnis des Prozesses zu nehmen. Anders als in einer nach der herkömmlichen Verfahrensweise geführten Hauptverhandlung kann er nämlich mit einem Geständnis die das Gericht grundsätzlich bindende Zusage einer Strafobergrenze und damit Sicherheit über den Ausgang des Verfahrens erreichen. Damit ist aus der Perspektive des Angeklagten das Festhalten an der Freiheit von Selbstbelastung nur noch um den Preis der Aufgabe der Gelegenheit zu einer das Gericht bindenden Verständigung und damit einer (vermeintlich) sicheren Strafobergrenze zu erlangen. Die Erwartung der Bindung des Gerichts bildet dementsprechend Anlass und Grundlage der Entscheidung des Angeklagten über sein prozessuales Mitwirken; damit entsteht eine wesentlich stärkere Anreiz- und Verführungssituation als es - mangels Erwartung einer festen Strafobergrenze - etwa in der Situation von § 136 Abs. 1 oder § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO der Fall ist. Der Angeklagte muss deshalb wissen, dass die Bindung keine absolute ist, sondern unter bestimmten Voraussetzungen - die er ebenfalls kennen muss - entfällt. Nur so ist es ihm möglich, Tragweite und Risiken der Mitwirkung an einer Verständigung autonom einzuschätzen. Die in § 257c Abs. 5 StPO verankerte Belehrungspflicht ist aus diesem Grund keine bloße Ordnungsvorschrift, sondern eine zentrale rechtsstaatliche Sicherung des Grundsatzes des fairen Verfahrens und der Selbstbelastungsfreiheit. 

b) Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs verkennen diese besondere Funktion des § 257c Abs. 5 StPO. Eine Verständigung ohne vorherige Belehrung nach dieser Vorschrift verletzt den Angeklagten grundsätzlich in seinem Recht auf ein faires Verfahren und in seiner Selbstbelastungsfreiheit. Bleibt die unter Verstoß gegen die Belehrungspflicht zustande gekommene Verständigung bestehen und fließt das auf der Verständigung basierende Geständnis in das Urteil ein, beruht dieses auf der mit dem Verstoß einhergehenden Grundrechtsverletzung, es sei denn eine Ursächlichkeit des Belehrungsfehlers für das Geständnis kann ausgeschlossen werden, weil der Angeklagte dieses auch bei ordnungsgemäßer Belehrung abgegeben hätte. Hierzu müssen vom Revisionsgericht konkrete Feststellungen getroffen werden. Soweit der Bundesgerichtshof in beiden Fällen damit argumentiert, dass ein Entfallen der Bindung des Gerichts an die Verständigung nach § 257c Abs. 4 StPO nicht eingetreten sei, führt dies im Hinblick auf die Frage, ob die Urteile gerade wegen der Verwertung des nach einem Belehrungsmangel abgegebenen Geständnisses auf einer Verletzung der Autonomie des Angeklagten beruhen, nicht weiter. Wenn der Bundesgerichtshof im Fall der Beschwerdeführer zu II. ein Beruhen des Urteils auf dem Verstoß gegen § 257c Abs. 5 StPO darüber hinaus mit der Erwägung verneint, konkrete, fallbezogene Gründe, die für die auch nur entfernte Möglichkeit sprächen, dass sich der aufgezeigte Verfahrensmangel auf das Prozessverhalten der Angeklagten ausgewirkt haben könnte, seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, verkennt er die grundlegende Bedeutung des § 257c Abs. 5 StPO für den Grundsatz des fairen Verfahrens und die Selbstbelastungsfreiheit des Angeklagten. Es ist nicht auszuschließen, dass der Bundesgerichtshof bei Anwendung des oben genannten Maßstabs in beiden Fällen zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre. Aus diesem Grund sind die angegriffenen Beschlüsse des Bundesgerichtshofs aufzuheben und die Sachen an diesen zurückzuverweisen. 

2. Die von dem Beschwerdeführer zu III. angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts Berlin und des Bundesgerichtshofs verletzen den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG

a) Das Urteil des Landgerichts Berlin verstößt schon deshalb gegen den verfassungsrechtlichen Schuldgrundsatz und die darin verankerte Pflicht zur bestmöglichen Erforschung der materiellen Wahrheit, weil das Landgericht ein unter weitgehender Weigerung, Fragen zu beantworten, abgegebenes inhaltsleeres Formalgeständnis als Grundlage einer Verurteilung akzeptiert hat, ohne es - abgesehen von einer, dann auch beantworteten Frage zum Mitführen und Ladezustand der Dienstwaffen - durch eine weitere, auf eigenständige Spezifizierung seitens des Angeklagten zielende Beweiserhebung in der Hauptverhandlung zu überprüfen. Ein Geständnis, das sich in einer Bezugnahme auf die Anklage erschöpft, ist als Grundlage einer Verständigung bereits deshalb ungeeignet, weil es keine Grundlage für eine Überprüfung seiner Glaubhaftigkeit (§ 257c Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 244 Abs. 2 StPO) bietet. Darüber hinaus beruht das angegriffene Urteil auf einer Verständigung, die infolge der Kopplung eines Geständnisses „im Sinne der Anklage“ an den Verzicht auf die Stellung von Beweisanträgen „zur Schuldfrage“ unzulässig über den Schuldspruch disponiert und zudem eine Strafrahmenverschiebung zum Gegenstand hat. Deshalb stellt sich das Urteil als ein vom Grundgesetz untersagter „Handel mit der Gerechtigkeit“ dar. 
Hinzu kommt, dass dieser „Handel mit der Gerechtigkeit“ auf einer verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbaren Beeinträchtigung der Selbstbelastungsfreiheit des Beschwerdeführers beruht. Dabei kommt es nicht darauf an, ob für den Fall einer Verurteilung ohne vorherige Verständigung für jede der beiden angeklagten schweren Raubtaten eine Mindeststrafe von drei Jahren in Aussicht gestellt wurde - so die dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden der Strafkammer im Revisionsverfahren - oder ob eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren im Raum stand, wie der Beschwerdeführer vorträgt. Entscheidend ist die vor dem Gebot schuldangemessenen Strafens nicht zu rechtfertigende Spannweite zwischen der zugesagten Strafobergrenze für den Fall einer Verständigung auf der einen Seite und der für den Fall einer Verurteilung in einer nach herkömmlicher Verfahrensweise geführten Hauptverhandlung im Raum stehenden Straferwartung auf der anderen Seite. Die Frage, wann die Grenze zu einer verfassungswidrigen Beeinträchtigung der Selbstbelastungsfreiheit überschritten ist, entzieht sich zwar einer exakten mathematischen Berechnung. Im vorliegenden Fall ist diese Grenze jedoch deutlich überschritten, nachdem eine schon für sich gesehen übermäßige Differenz zwischen den beiden Strafgrenzen noch zusätzlich mit der Zusage einer Strafaussetzung zur Bewährung verbunden wurde, die überhaupt nur aufgrund der ebenfalls zugesagten Strafrahmenverschiebung zu einem minder schweren Fall (§ 250 Abs. 3 StGB) möglich war. 

b) Das Urteil des Landgerichts Berlin ist aus diesen Gründen aufzuheben; gleiches gilt für den Beschluss des Bundesgerichtshofs, mit dem die Grundrechtsverletzung perpetuiert worden ist. Die Sache ist an das Landgericht Berlin zurückzuverweisen. 

C. 

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 und Abs. 3 BVerfGG.
 

1Der maßgebende Gewerbeertrag wird bis zu einem Betrag in Höhe von 1 Million Euro um die Fehlbeträge gekürzt, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume nach den Vorschriften der §§ 7 bis 10 ergeben haben, soweit die Fehlbeträge nicht bei der Ermittlung des Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume berücksichtigt worden sind.2Der 1 Million Euro übersteigende maßgebende Gewerbeertrag ist bis zu 60 Prozent um nach Satz 1 nicht berücksichtigte Fehlbeträge der vorangegangenen Erhebungszeiträume zu kürzen.3Im Fall des § 2 Abs. 2 Satz 2 kann die Organgesellschaft den maßgebenden Gewerbeertrag nicht um Fehlbeträge kürzen, die sich vor dem rechtswirksamen Abschluss des Gewinnabführungsvertrags ergeben haben.4Bei einer Mitunternehmerschaft ist der sich für die Mitunternehmerschaft insgesamt ergebende Fehlbetrag den Mitunternehmern entsprechend dem sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel zuzurechnen; Vorabgewinnanteile sind nicht zu berücksichtigen.5Für den Abzug der den Mitunternehmern zugerechneten Fehlbeträge nach Maßgabe der Sätze 1 und 2 ist der sich für die Mitunternehmerschaft insgesamt ergebende maßgebende Gewerbeertrag sowie der Höchstbetrag nach Satz 1 den Mitunternehmern entsprechend dem sich aus dem Gesellschaftsvertrag für das Abzugsjahr ergebenden allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel zuzurechnen; Vorabgewinnanteile sind nicht zu berücksichtigen.6Die Höhe der vortragsfähigen Fehlbeträge ist gesondert festzustellen.7Vortragsfähige Fehlbeträge sind die nach der Kürzung des maßgebenden Gewerbeertrags nach Satz 1 und 2 zum Schluss des Erhebungszeitraums verbleibenden Fehlbeträge.8Im Fall des § 2 Abs. 5 kann der andere Unternehmer den maßgebenden Gewerbeertrag nicht um die Fehlbeträge kürzen, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags des übergegangenen Unternehmens ergeben haben.9§ 8 Abs. 8 und 9 Satz 5 bis 8 des Körperschaftsteuergesetzes ist entsprechend anzuwenden.10Auf die Fehlbeträge ist § 8c des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend anzuwenden; dies gilt auch für den Fehlbetrag einer Mitunternehmerschaft, soweit dieser

1.
einer Körperschaft unmittelbar oder
2.
einer Mitunternehmerschaft, soweit an dieser eine Körperschaft unmittelbar oder mittelbar über eine oder mehrere Personengesellschaften beteiligt ist,
zuzurechnen ist.11Auf die Fehlbeträge ist § 8d des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend anzuwenden, wenn ein fortführungsgebundener Verlustvortrag nach § 8d des Körperschaftsteuergesetzes gesondert festgestellt worden ist.12Unterbleibt eine Feststellung nach § 8d Absatz 1 Satz 8 des Körperschaftsteuergesetzes, weil keine nicht genutzten Verluste nach § 8c Absatz 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes vorliegen, ist auf Antrag auf die Fehlbeträge § 8d des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend anzuwenden; für die Form und die Frist dieses Antrags gilt § 8d Absatz 1 Satz 5 des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend.

(1)1Negative Einkünfte, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen werden, sind bis zu einem Betrag von 10 000 000 Euro, bei Ehegatten, die nach den §§ 26, 26b zusammenveranlagt werden, bis zu einem Betrag von 20 000 000 Euro vom Gesamtbetrag der Einkünfte des unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraums vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen abzuziehen (Verlustrücktrag).2Soweit ein Ausgleich der negativen Einkünfte nach Satz 1 nicht möglich ist, sind diese vom Gesamtbetrag der Einkünfte des zweiten dem Veranlagungszeitraum vorangegangenen Veranlagungszeitraums vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen abzuziehen.3Dabei wird der Gesamtbetrag der Einkünfte des unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraums und des zweiten dem Veranlagungszeitraum vorangegangenen Veranlagungszeitraums um die Begünstigungsbeträge nach § 34a Absatz 3 Satz 1 gemindert.4Ist für den unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraum oder den zweiten dem Veranlagungszeitraum vorangegangenen Veranlagungszeitraum bereits ein Steuerbescheid erlassen worden, so ist er insoweit zu ändern, als der Verlustrücktrag zu gewähren oder zu berichtigen ist.5Das gilt auch dann, wenn der Steuerbescheid unanfechtbar geworden ist; die Festsetzungsfrist endet insoweit nicht, bevor die Festsetzungsfrist für den Veranlagungszeitraum abgelaufen ist, in dem die negativen Einkünfte nicht ausgeglichen werden.6Auf Antrag des Steuerpflichtigen ist von der Anwendung des Verlustrücktrags nach den Sätzen 1 und 2 insgesamt abzusehen.

(2)1Nicht ausgeglichene negative Einkünfte, die nicht nach Absatz 1 abgezogen worden sind, sind in den folgenden Veranlagungszeiträumen bis zu einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 1 Million Euro unbeschränkt, darüber hinaus bis zu 60 Prozent des 1 Million Euro übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen abzuziehen (Verlustvortrag).2Bei Ehegatten, die nach den §§ 26, 26b zusammenveranlagt werden, tritt an die Stelle des Betrags von 1 Million Euro ein Betrag von 2 Millionen Euro.3Der Abzug ist nur insoweit zulässig, als die Verluste nicht nach Absatz 1 abgezogen worden sind und in den vorangegangenen Veranlagungszeiträumen nicht nach Satz 1 und 2 abgezogen werden konnten.

(3) (weggefallen)

(4)1Der am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibende Verlustvortrag ist gesondert festzustellen.2Verbleibender Verlustvortrag sind die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte, vermindert um die nach Absatz 1 abgezogenen und die nach Absatz 2 abziehbaren Beträge und vermehrt um den auf den Schluss des vorangegangenen Veranlagungszeitraums festgestellten verbleibenden Verlustvortrag.3Zuständig für die Feststellung ist das für die Besteuerung zuständige Finanzamt.4Bei der Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags sind die Besteuerungsgrundlagen so zu berücksichtigen, wie sie den Steuerfestsetzungen des Veranlagungszeitraums, auf dessen Schluss der verbleibende Verlustvortrag festgestellt wird, und des Veranlagungszeitraums, in dem ein Verlustrücktrag vorgenommen werden kann, zu Grunde gelegt worden sind; § 171 Absatz 10, § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und § 351 Absatz 2 der Abgabenordnung sowie § 42 der Finanzgerichtsordnung gelten entsprechend.5Die Besteuerungsgrundlagen dürfen bei der Feststellung nur insoweit abweichend von Satz 4 berücksichtigt werden, wie die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung der Steuerbescheide ausschließlich mangels Auswirkung auf die Höhe der festzusetzenden Steuer unterbleibt.6Die Feststellungsfrist endet nicht, bevor die Festsetzungsfrist für den Veranlagungszeitraum abgelaufen ist, auf dessen Schluss der verbleibende Verlustvortrag gesondert festzustellen ist; § 181 Absatz 5 der Abgabenordnung ist nur anzuwenden, wenn die zuständige Finanzbehörde die Feststellung des Verlustvortrags pflichtwidrig unterlassen hat.

1Der maßgebende Gewerbeertrag wird bis zu einem Betrag in Höhe von 1 Million Euro um die Fehlbeträge gekürzt, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume nach den Vorschriften der §§ 7 bis 10 ergeben haben, soweit die Fehlbeträge nicht bei der Ermittlung des Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume berücksichtigt worden sind.2Der 1 Million Euro übersteigende maßgebende Gewerbeertrag ist bis zu 60 Prozent um nach Satz 1 nicht berücksichtigte Fehlbeträge der vorangegangenen Erhebungszeiträume zu kürzen.3Im Fall des § 2 Abs. 2 Satz 2 kann die Organgesellschaft den maßgebenden Gewerbeertrag nicht um Fehlbeträge kürzen, die sich vor dem rechtswirksamen Abschluss des Gewinnabführungsvertrags ergeben haben.4Bei einer Mitunternehmerschaft ist der sich für die Mitunternehmerschaft insgesamt ergebende Fehlbetrag den Mitunternehmern entsprechend dem sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel zuzurechnen; Vorabgewinnanteile sind nicht zu berücksichtigen.5Für den Abzug der den Mitunternehmern zugerechneten Fehlbeträge nach Maßgabe der Sätze 1 und 2 ist der sich für die Mitunternehmerschaft insgesamt ergebende maßgebende Gewerbeertrag sowie der Höchstbetrag nach Satz 1 den Mitunternehmern entsprechend dem sich aus dem Gesellschaftsvertrag für das Abzugsjahr ergebenden allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel zuzurechnen; Vorabgewinnanteile sind nicht zu berücksichtigen.6Die Höhe der vortragsfähigen Fehlbeträge ist gesondert festzustellen.7Vortragsfähige Fehlbeträge sind die nach der Kürzung des maßgebenden Gewerbeertrags nach Satz 1 und 2 zum Schluss des Erhebungszeitraums verbleibenden Fehlbeträge.8Im Fall des § 2 Abs. 5 kann der andere Unternehmer den maßgebenden Gewerbeertrag nicht um die Fehlbeträge kürzen, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags des übergegangenen Unternehmens ergeben haben.9§ 8 Abs. 8 und 9 Satz 5 bis 8 des Körperschaftsteuergesetzes ist entsprechend anzuwenden.10Auf die Fehlbeträge ist § 8c des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend anzuwenden; dies gilt auch für den Fehlbetrag einer Mitunternehmerschaft, soweit dieser

1.
einer Körperschaft unmittelbar oder
2.
einer Mitunternehmerschaft, soweit an dieser eine Körperschaft unmittelbar oder mittelbar über eine oder mehrere Personengesellschaften beteiligt ist,
zuzurechnen ist.11Auf die Fehlbeträge ist § 8d des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend anzuwenden, wenn ein fortführungsgebundener Verlustvortrag nach § 8d des Körperschaftsteuergesetzes gesondert festgestellt worden ist.12Unterbleibt eine Feststellung nach § 8d Absatz 1 Satz 8 des Körperschaftsteuergesetzes, weil keine nicht genutzten Verluste nach § 8c Absatz 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes vorliegen, ist auf Antrag auf die Fehlbeträge § 8d des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend anzuwenden; für die Form und die Frist dieses Antrags gilt § 8d Absatz 1 Satz 5 des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend.

(1)1Der Einkommensteuer unterliegen

1.
Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft,
2.
Einkünfte aus Gewerbebetrieb,
3.
Einkünfte aus selbständiger Arbeit,
4.
Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit,
5.
Einkünfte aus Kapitalvermögen,
6.
Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung,
7.
sonstige Einkünfte im Sinne des § 22,
die der Steuerpflichtige während seiner unbeschränkten Einkommensteuerpflicht oder als inländische Einkünfte während seiner beschränkten Einkommensteuerpflicht erzielt.2Zu welcher Einkunftsart die Einkünfte im einzelnen Fall gehören, bestimmt sich nach den §§ 13 bis 24.

(2)1Einkünfte sind

1.
bei Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbständiger Arbeit der Gewinn (§§ 4 bis 7k und 13a),
2.
bei den anderen Einkunftsarten der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten (§§ 8 bis 9a).
2Bei Einkünften aus Kapitalvermögen tritt § 20 Absatz 9 vorbehaltlich der Regelung in § 32d Absatz 2 an die Stelle der §§ 9 und 9a.

(3) Die Summe der Einkünfte, vermindert um den Altersentlastungsbetrag, den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende und den Abzug nach § 13 Absatz 3, ist der Gesamtbetrag der Einkünfte.

(4) Der Gesamtbetrag der Einkünfte, vermindert um die Sonderausgaben und die außergewöhnlichen Belastungen, ist das Einkommen.

(5)1Das Einkommen, vermindert um die Freibeträge nach § 32 Absatz 6 und um die sonstigen vom Einkommen abzuziehenden Beträge, ist das zu versteuernde Einkommen; dieses bildet die Bemessungsgrundlage für die tarifliche Einkommensteuer.2Knüpfen andere Gesetze an den Begriff des zu versteuernden Einkommens an, ist für deren Zweck das Einkommen in allen Fällen des § 32 um die Freibeträge nach § 32 Absatz 6 zu vermindern.

(5a)1Knüpfen außersteuerliche Rechtsnormen an die in den vorstehenden Absätzen definierten Begriffe (Einkünfte, Summe der Einkünfte, Gesamtbetrag der Einkünfte, Einkommen, zu versteuerndes Einkommen) an, erhöhen sich für deren Zwecke diese Größen um die nach § 32d Absatz 1 und nach § 43 Absatz 5 zu besteuernden Beträge sowie um die nach § 3 Nummer 40 steuerfreien Beträge und mindern sich um die nach § 3c Absatz 2 nicht abziehbaren Beträge.2Knüpfen außersteuerliche Rechtsnormen an die in den Absätzen 1 bis 3 genannten Begriffe (Einkünfte, Summe der Einkünfte, Gesamtbetrag der Einkünfte) an, mindern sich für deren Zwecke diese Größen um die nach § 10 Absatz 1 Nummer 5 abziehbaren Kinderbetreuungskosten.

(5b) Soweit Rechtsnormen dieses Gesetzes an die in den vorstehenden Absätzen definierten Begriffe (Einkünfte, Summe der Einkünfte, Gesamtbetrag der Einkünfte, Einkommen, zu versteuerndes Einkommen) anknüpfen, sind Kapitalerträge nach § 32d Absatz 1 und § 43 Absatz 5 nicht einzubeziehen.

(6)1Die tarifliche Einkommensteuer, vermindert um den Unterschiedsbetrag nach § 32c Absatz 1 Satz 2, die anzurechnenden ausländischen Steuern und die Steuerermäßigungen, vermehrt um die Steuer nach § 32d Absatz 3 und 4, die Steuer nach § 34c Absatz 5 und den Zuschlag nach § 3 Absatz 4 Satz 2 des Forstschäden-Ausgleichsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. August 1985 (BGBl. I S. 1756), das zuletzt durch Artikel 412 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung, ist die festzusetzende Einkommensteuer.2Wurde der Gesamtbetrag der Einkünfte in den Fällen des § 10a Absatz 2 um Sonderausgaben nach § 10a Absatz 1 gemindert, ist für die Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer der Anspruch auf Zulage nach Abschnitt XI der tariflichen Einkommensteuer hinzuzurechnen; bei der Ermittlung der dem Steuerpflichtigen zustehenden Zulage bleibt die Erhöhung der Grundzulage nach § 84 Satz 2 außer Betracht.3Wird das Einkommen in den Fällen des § 31 um die Freibeträge nach § 32 Absatz 6 gemindert, ist der Anspruch auf Kindergeld nach Abschnitt X der tariflichen Einkommensteuer hinzuzurechnen; nicht jedoch für Kalendermonate, in denen durch Bescheid der Familienkasse ein Anspruch auf Kindergeld festgesetzt, aber wegen § 70 Absatz 1 Satz 2 nicht ausgezahlt wurde.

(7)1Die Einkommensteuer ist eine Jahressteuer.2Die Grundlagen für ihre Festsetzung sind jeweils für ein Kalenderjahr zu ermitteln.3Besteht während eines Kalenderjahres sowohl unbeschränkte als auch beschränkte Einkommensteuerpflicht, so sind die während der beschränkten Einkommensteuerpflicht erzielten inländischen Einkünfte in eine Veranlagung zur unbeschränkten Einkommensteuerpflicht einzubeziehen.

(8) Die Regelungen dieses Gesetzes zu Ehegatten und Ehen sind auch auf Lebenspartner und Lebenspartnerschaften anzuwenden.

(1)1Negative Einkünfte, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen werden, sind bis zu einem Betrag von 10 000 000 Euro, bei Ehegatten, die nach den §§ 26, 26b zusammenveranlagt werden, bis zu einem Betrag von 20 000 000 Euro vom Gesamtbetrag der Einkünfte des unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraums vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen abzuziehen (Verlustrücktrag).2Soweit ein Ausgleich der negativen Einkünfte nach Satz 1 nicht möglich ist, sind diese vom Gesamtbetrag der Einkünfte des zweiten dem Veranlagungszeitraum vorangegangenen Veranlagungszeitraums vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen abzuziehen.3Dabei wird der Gesamtbetrag der Einkünfte des unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraums und des zweiten dem Veranlagungszeitraum vorangegangenen Veranlagungszeitraums um die Begünstigungsbeträge nach § 34a Absatz 3 Satz 1 gemindert.4Ist für den unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraum oder den zweiten dem Veranlagungszeitraum vorangegangenen Veranlagungszeitraum bereits ein Steuerbescheid erlassen worden, so ist er insoweit zu ändern, als der Verlustrücktrag zu gewähren oder zu berichtigen ist.5Das gilt auch dann, wenn der Steuerbescheid unanfechtbar geworden ist; die Festsetzungsfrist endet insoweit nicht, bevor die Festsetzungsfrist für den Veranlagungszeitraum abgelaufen ist, in dem die negativen Einkünfte nicht ausgeglichen werden.6Auf Antrag des Steuerpflichtigen ist von der Anwendung des Verlustrücktrags nach den Sätzen 1 und 2 insgesamt abzusehen.

(2)1Nicht ausgeglichene negative Einkünfte, die nicht nach Absatz 1 abgezogen worden sind, sind in den folgenden Veranlagungszeiträumen bis zu einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 1 Million Euro unbeschränkt, darüber hinaus bis zu 60 Prozent des 1 Million Euro übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen abzuziehen (Verlustvortrag).2Bei Ehegatten, die nach den §§ 26, 26b zusammenveranlagt werden, tritt an die Stelle des Betrags von 1 Million Euro ein Betrag von 2 Millionen Euro.3Der Abzug ist nur insoweit zulässig, als die Verluste nicht nach Absatz 1 abgezogen worden sind und in den vorangegangenen Veranlagungszeiträumen nicht nach Satz 1 und 2 abgezogen werden konnten.

(3) (weggefallen)

(4)1Der am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibende Verlustvortrag ist gesondert festzustellen.2Verbleibender Verlustvortrag sind die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte, vermindert um die nach Absatz 1 abgezogenen und die nach Absatz 2 abziehbaren Beträge und vermehrt um den auf den Schluss des vorangegangenen Veranlagungszeitraums festgestellten verbleibenden Verlustvortrag.3Zuständig für die Feststellung ist das für die Besteuerung zuständige Finanzamt.4Bei der Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags sind die Besteuerungsgrundlagen so zu berücksichtigen, wie sie den Steuerfestsetzungen des Veranlagungszeitraums, auf dessen Schluss der verbleibende Verlustvortrag festgestellt wird, und des Veranlagungszeitraums, in dem ein Verlustrücktrag vorgenommen werden kann, zu Grunde gelegt worden sind; § 171 Absatz 10, § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und § 351 Absatz 2 der Abgabenordnung sowie § 42 der Finanzgerichtsordnung gelten entsprechend.5Die Besteuerungsgrundlagen dürfen bei der Feststellung nur insoweit abweichend von Satz 4 berücksichtigt werden, wie die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung der Steuerbescheide ausschließlich mangels Auswirkung auf die Höhe der festzusetzenden Steuer unterbleibt.6Die Feststellungsfrist endet nicht, bevor die Festsetzungsfrist für den Veranlagungszeitraum abgelaufen ist, auf dessen Schluss der verbleibende Verlustvortrag gesondert festzustellen ist; § 181 Absatz 5 der Abgabenordnung ist nur anzuwenden, wenn die zuständige Finanzbehörde die Feststellung des Verlustvortrags pflichtwidrig unterlassen hat.

1Der maßgebende Gewerbeertrag wird bis zu einem Betrag in Höhe von 1 Million Euro um die Fehlbeträge gekürzt, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume nach den Vorschriften der §§ 7 bis 10 ergeben haben, soweit die Fehlbeträge nicht bei der Ermittlung des Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume berücksichtigt worden sind.2Der 1 Million Euro übersteigende maßgebende Gewerbeertrag ist bis zu 60 Prozent um nach Satz 1 nicht berücksichtigte Fehlbeträge der vorangegangenen Erhebungszeiträume zu kürzen.3Im Fall des § 2 Abs. 2 Satz 2 kann die Organgesellschaft den maßgebenden Gewerbeertrag nicht um Fehlbeträge kürzen, die sich vor dem rechtswirksamen Abschluss des Gewinnabführungsvertrags ergeben haben.4Bei einer Mitunternehmerschaft ist der sich für die Mitunternehmerschaft insgesamt ergebende Fehlbetrag den Mitunternehmern entsprechend dem sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel zuzurechnen; Vorabgewinnanteile sind nicht zu berücksichtigen.5Für den Abzug der den Mitunternehmern zugerechneten Fehlbeträge nach Maßgabe der Sätze 1 und 2 ist der sich für die Mitunternehmerschaft insgesamt ergebende maßgebende Gewerbeertrag sowie der Höchstbetrag nach Satz 1 den Mitunternehmern entsprechend dem sich aus dem Gesellschaftsvertrag für das Abzugsjahr ergebenden allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel zuzurechnen; Vorabgewinnanteile sind nicht zu berücksichtigen.6Die Höhe der vortragsfähigen Fehlbeträge ist gesondert festzustellen.7Vortragsfähige Fehlbeträge sind die nach der Kürzung des maßgebenden Gewerbeertrags nach Satz 1 und 2 zum Schluss des Erhebungszeitraums verbleibenden Fehlbeträge.8Im Fall des § 2 Abs. 5 kann der andere Unternehmer den maßgebenden Gewerbeertrag nicht um die Fehlbeträge kürzen, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags des übergegangenen Unternehmens ergeben haben.9§ 8 Abs. 8 und 9 Satz 5 bis 8 des Körperschaftsteuergesetzes ist entsprechend anzuwenden.10Auf die Fehlbeträge ist § 8c des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend anzuwenden; dies gilt auch für den Fehlbetrag einer Mitunternehmerschaft, soweit dieser

1.
einer Körperschaft unmittelbar oder
2.
einer Mitunternehmerschaft, soweit an dieser eine Körperschaft unmittelbar oder mittelbar über eine oder mehrere Personengesellschaften beteiligt ist,
zuzurechnen ist.11Auf die Fehlbeträge ist § 8d des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend anzuwenden, wenn ein fortführungsgebundener Verlustvortrag nach § 8d des Körperschaftsteuergesetzes gesondert festgestellt worden ist.12Unterbleibt eine Feststellung nach § 8d Absatz 1 Satz 8 des Körperschaftsteuergesetzes, weil keine nicht genutzten Verluste nach § 8c Absatz 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes vorliegen, ist auf Antrag auf die Fehlbeträge § 8d des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend anzuwenden; für die Form und die Frist dieses Antrags gilt § 8d Absatz 1 Satz 5 des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend.

(1)1Negative Einkünfte, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen werden, sind bis zu einem Betrag von 10 000 000 Euro, bei Ehegatten, die nach den §§ 26, 26b zusammenveranlagt werden, bis zu einem Betrag von 20 000 000 Euro vom Gesamtbetrag der Einkünfte des unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraums vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen abzuziehen (Verlustrücktrag).2Soweit ein Ausgleich der negativen Einkünfte nach Satz 1 nicht möglich ist, sind diese vom Gesamtbetrag der Einkünfte des zweiten dem Veranlagungszeitraum vorangegangenen Veranlagungszeitraums vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen abzuziehen.3Dabei wird der Gesamtbetrag der Einkünfte des unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraums und des zweiten dem Veranlagungszeitraum vorangegangenen Veranlagungszeitraums um die Begünstigungsbeträge nach § 34a Absatz 3 Satz 1 gemindert.4Ist für den unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraum oder den zweiten dem Veranlagungszeitraum vorangegangenen Veranlagungszeitraum bereits ein Steuerbescheid erlassen worden, so ist er insoweit zu ändern, als der Verlustrücktrag zu gewähren oder zu berichtigen ist.5Das gilt auch dann, wenn der Steuerbescheid unanfechtbar geworden ist; die Festsetzungsfrist endet insoweit nicht, bevor die Festsetzungsfrist für den Veranlagungszeitraum abgelaufen ist, in dem die negativen Einkünfte nicht ausgeglichen werden.6Auf Antrag des Steuerpflichtigen ist von der Anwendung des Verlustrücktrags nach den Sätzen 1 und 2 insgesamt abzusehen.

(2)1Nicht ausgeglichene negative Einkünfte, die nicht nach Absatz 1 abgezogen worden sind, sind in den folgenden Veranlagungszeiträumen bis zu einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 1 Million Euro unbeschränkt, darüber hinaus bis zu 60 Prozent des 1 Million Euro übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen abzuziehen (Verlustvortrag).2Bei Ehegatten, die nach den §§ 26, 26b zusammenveranlagt werden, tritt an die Stelle des Betrags von 1 Million Euro ein Betrag von 2 Millionen Euro.3Der Abzug ist nur insoweit zulässig, als die Verluste nicht nach Absatz 1 abgezogen worden sind und in den vorangegangenen Veranlagungszeiträumen nicht nach Satz 1 und 2 abgezogen werden konnten.

(3) (weggefallen)

(4)1Der am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibende Verlustvortrag ist gesondert festzustellen.2Verbleibender Verlustvortrag sind die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte, vermindert um die nach Absatz 1 abgezogenen und die nach Absatz 2 abziehbaren Beträge und vermehrt um den auf den Schluss des vorangegangenen Veranlagungszeitraums festgestellten verbleibenden Verlustvortrag.3Zuständig für die Feststellung ist das für die Besteuerung zuständige Finanzamt.4Bei der Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags sind die Besteuerungsgrundlagen so zu berücksichtigen, wie sie den Steuerfestsetzungen des Veranlagungszeitraums, auf dessen Schluss der verbleibende Verlustvortrag festgestellt wird, und des Veranlagungszeitraums, in dem ein Verlustrücktrag vorgenommen werden kann, zu Grunde gelegt worden sind; § 171 Absatz 10, § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und § 351 Absatz 2 der Abgabenordnung sowie § 42 der Finanzgerichtsordnung gelten entsprechend.5Die Besteuerungsgrundlagen dürfen bei der Feststellung nur insoweit abweichend von Satz 4 berücksichtigt werden, wie die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung der Steuerbescheide ausschließlich mangels Auswirkung auf die Höhe der festzusetzenden Steuer unterbleibt.6Die Feststellungsfrist endet nicht, bevor die Festsetzungsfrist für den Veranlagungszeitraum abgelaufen ist, auf dessen Schluss der verbleibende Verlustvortrag gesondert festzustellen ist; § 181 Absatz 5 der Abgabenordnung ist nur anzuwenden, wenn die zuständige Finanzbehörde die Feststellung des Verlustvortrags pflichtwidrig unterlassen hat.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH & Co. KG, die mit notariellem Vertrag vom 16. September 1999 errichtet wurde und ein bestimmtes Grundstück in Berlin entwickeln sollte. Nachdem sich dieses Projekt nicht durchführen ließ, wurde "der Erwerb, die Entwicklung, die Vermietung, die Verwaltung und die Veräußerung von Immobilien jeder Art" zum Zweck der Klägerin erklärt; der Gesellschaftsvertrag wurde mit Vereinbarung vom 13. Februar 2002 entsprechend neu gefasst. In diesem Zusammenhang kam es auch zum Wechsel von Gesellschaftern. Komplementärin war von Anfang an eine nicht an Kapital, Vermögen und Ergebnis beteiligte GmbH. Neben der C-AG trat am 13. Februar 2002 die A-Bank der Klägerin als Kommanditistin bei. Diese wandelte ihre Kapitaleinlage mit Vereinbarung vom 23. Dezember 2002 in ein Mezzanine-Darlehen um und verkaufte gleichzeitig ihren Gesellschaftsanteil an die C-AG. Mit Beschluss vom 22. Dezember 2004 wurde die Klägerin aufgelöst; Liquidatorin ist die C-AG.

2

Mit Kaufvertrag vom 26. Oktober 2001 erwarb die Klägerin das Grundstück X. Sie plante, die aufstehenden Gebäude zu modernisieren und das Objekt anschließend zu verkaufen.

3

Nachdem sich Ende 2003 das Scheitern des Plans abgezeichnet hatte, schloss die Klägerin am 17. Februar 2004 einen Aufhebungsvertrag, durch den der Grundstückskauf mit sofortiger Wirkung rückabgewickelt wurde. Danach verfügte sie nicht mehr über Aktivvermögen. Um die Insolvenz zu vermeiden, bat die Klägerin mit Schreiben vom 20. Februar 2004 die A-Bank als Gläubigerin um einen Forderungsverzicht. Am 2. Juli 2004 verzichtete die A-Bank (mit Besserungsabrede) auf sämtliche Forderungen gegen die Klägerin. Außerdem verzichteten weitere Gläubiger, darunter die C-AG, auf ihre Forderungen. Die Klägerin buchte die Verbindlichkeiten im Erhebungszeitraum 2004 gewinnerhöhend aus. Hierdurch ergab sich für 2004 ein Jahresüberschuss von 1.862.924 €.

4

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) stellte zum 31. Dezember 2003 einen vortragsfähigen Gewerbeverlust in Höhe von 2.656.561 € fest. Für das Streitjahr 2004 ging das FA von einem Gewinn aus Gewerbebetrieb in Höhe von 1.862.924 € aus. Davon zog es einen Gewerbeverlust in Höhe von 1.517.754 € ab. Diesen Betrag ermittelte das FA nach § 10a Sätze 1 und 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) in der ab 1. Januar 2004 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes und anderer Gesetze vom 23. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2922, BStBl I 2004, 20) in der Weise, dass es den festgestellten vortragsfähigen Gewerbeverlust bis zur Höhe von 1 Mio. € in voller Höhe sowie von dem übersteigenden Betrag (862.924 €) 60 % (= 517.754 €) berücksichtigte. Danach verblieb ein gerundeter Gewerbeertrag von 345.100 €, woraus sich ein Gewerbesteuermessbetrag von 14.830 € und eine festgesetzte Gewerbesteuer für 2004 in Höhe von 60.803 € ergaben. Außerdem stellte das FA den vortragsfähigen Gewerbeverlust zum 31. Dezember 2004 mit 1.138.807 € fest.

5

Gegen die Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag 2004 und die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes zum 31. Dezember 2004 legte die Klägerin Einspruch ein und rügte einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot. Gleichzeitig beantragte sie sinngemäß, die Gewerbesteuer für 2004 gemäß § 163 der Abgabenordnung (AO) auf 0 € festzusetzen bzw. nach § 227 AO zu erlassen.

6

Das FA lehnte eine Billigkeitsmaßnahme ab. Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein.

7

Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück. Die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags und der Gewerbesteuer stehe im Einklang mit der Regelung des § 10a GewStG. Eine Billigkeitsfestsetzung nach § 163 AO komme nicht in Betracht. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 31. März 2004 X R 25/03 (BFH/NV 2004, 1212), das die Nichtberücksichtigung von Verlusten nach § 10d des Einkommensteuergesetzes (EStG) betreffe, sei die Erhebung einer Steuer unbillig, wenn sie im Einzelfall nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes nicht zu rechtfertigen sei und dessen Wertungen zuwiderlaufe. Der Gesetzgeber habe die mit der Beschränkung des Verlustabzugs verbundenen Härten ersichtlich in Kauf genommen, so dass eine Billigkeitsmaßnahme die generelle Geltungsanordnung des Steuergesetzes unterlaufen würde. Die Grundsätze des BFH-Urteils in BFH/NV 2004, 1212 ließen sich auf die Neuregelung des § 10a GewStG zum 1. Januar 2004 und die damit verbundene Einführung der Mindestbesteuerung übertragen.

8

Mit der daraufhin erhobenen Klage begehrte die Klägerin, den Gewerbesteuermessbetrag bzw. die Gewerbesteuer aus sachlichen Billigkeitsgründen nach § 163 AO auf 0 € festzusetzen oder die Gewerbesteuer nach § 227 AO zu erlassen. Das Finanzgericht (FG) hob die Einspruchsentscheidung auf und verpflichtete das FA, den Antrag der Klägerin auf Billigkeitsfestsetzung nach § 163 Satz 1 AO bzw. Billigkeitserlass nach § 227 AO bezüglich des Gewerbesteuermessbetrags 2004 und der Gewerbesteuer 2004 neu zu bescheiden. Das FA habe bei seiner Ermessensentscheidung nicht hinreichend berücksichtigt, dass im Streitfall bereits am Ende des Erhebungszeitraums 2004 und damit auch bei der Wirksamkeit des Gewerbesteuermess- und Gewerbesteuerbescheids 2004 erkennbar gewesen sei, dass der Verlustausgleich von gerundet 345.100 € aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen sein werde. Die Beteiligten seien übereinstimmend davon ausgegangen, dass die Klägerin ihre Tätigkeit nicht mehr aufnehmen werde und eine Entstehung von künftigen Gewinnen ausgeschlossen sei. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2010, 1576 veröffentlicht.

9

Dagegen richtet sich die Revision des FA. Der Umstand, dass die Klägerin die wirtschaftliche Tätigkeit beendet habe und der Gewerbeverlust endgültig untergehe, könne zwar im Rahmen der Billigkeitsentscheidung in Betracht gezogen werden. Aufgrund der Gesetzesfassung des § 10a GewStG sei davon auszugehen, dass es dem Willen des Gesetzgebers entspreche, dass ein vortragsfähiger Gewerbeverlust bei Beendigung eines Unternehmens nicht mehr genutzt werden könne und dass es ggf. im Jahr der Beendigung der gewerblichen Tätigkeit aufgrund der Mindestbesteuerung zur Festsetzung eines Gewerbesteuermessbetrags und von Gewerbesteuer kommen könne. Der Gesetzgeber habe von seiner weitgehenden Befugnis zur Vereinfachung und Typisierung Gebrauch gemacht und keine Sonderregelung für den Fall eines endgültigen Untergangs des bei Anwendung der Mindestbesteuerung verbleibenden Verlustvortrags vorgesehen. Zwar treffe es zu, dass im vorliegenden Fall bei Aufgabe des Gewerbebetriebs im Ergebnis ein wirtschaftlich nicht entstandener Totalgewinn versteuert werden müsse. Der Gesetzgeber sei jedoch nicht verpflichtet, einseitig zu Gunsten des Nettoprinzips den Wertungswiderspruch zwischen dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung und dem Grundsatz des Nettoprinzips zu lösen (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 22. Juli 1991  1 BvR 313/88, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1992, 423). Der Grundsatz der Rechtssicherheit müsse der Forderung nach Gerechtigkeit im Einzelfall allenfalls dann weichen, wenn ihm angesichts der Besonderheiten des vom Gesetzgeber geregelten Sachverhalts jede Tauglichkeit abzusprechen wäre. Das sei vorliegend nicht der Fall.

10

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

11

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

12

Im Streitfall führe die Mindestbesteuerung endgültig zum Ausschluss des Verlustausgleichs. Dies habe bereits im Verlustabzugsjahr festgestanden, denn der Gewinn erhöhende Forderungsverzicht seitens der Gläubiger sei gerade zu dem Zweck erfolgt, der Klägerin die geordnete Liquidation zu ermöglichen. Mindestbesteuerung und Ausschluss des Verlustabzugs stünden damit im ursächlichen Zusammenhang. Der BFH habe an der Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG verfassungsrechtliche Zweifel geäußert, wenn die spätere Verlustverrechnung endgültig ausgeschlossen sei (BFH-Beschluss vom 26. August 2010 I B 49/10, BFHE 230, 445, BStBl II 2011, 826). Solche Bedenken äußere auch das Hessische FG im Hinblick auf § 10a Satz 2 GewStG, wenn dessen Anwendung gegen das objektive Nettoprinzip verstoße (Beschluss vom 26. Juli 2010  8 V 938/10, EFG 2010, 1811). Diese Erwägungen müssten auch im Billigkeitsverfahren gelten. Vorliegend komme verschärfend hinzu, dass der steuerbelastete Ertrag nicht auf einem erwirtschafteten Gewinn, sondern auf einem reinen Buchgewinn beruhe.

13

Das Bundesministerium der Finanzen ist dem Verfahren beigetreten.

14

Es führt aus, § 227 AO stelle keine Ermächtigung zur Korrektur des Gesetzes dar. Die Billigkeitsmaßnahme dürfe nicht auf Erwägungen gestützt werden, die die vorgesehene Besteuerung allgemein oder für bestimmte Fallgruppen außer Kraft setzen würde. Ein Erlass wegen sachlicher Unbilligkeit sei nur insoweit durch die Vorschrift gedeckt, wie angenommen werden könne, der Gesetzgeber würde die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage --hätte er sie geregelt-- im Sinne des vorgesehenen Erlasses entscheiden (vgl. BFH-Urteil vom 23. März 1998 II R 41/96, BFHE 185, 270, BStBl II 1998, 396).

15

Der Umstand, dass im Streitfall eine volle Verrechnung der festgestellten Fehlbeträge unterbleibe, sei unmittelbare Folge der Änderung des § 10a GewStG. Es sei nicht Sache der Finanzverwaltung, diese gesetzgeberische Folge mittels Billigkeitsregelungen zu unterlaufen. Die Besteuerung widerspreche auch nicht dem Willen des Gesetzgebers. Dieser sei sich bei der Abfassung des Gesetzes bewusst gewesen, dass es im Einzelfall zur nicht vollständigen Verrechnung festgestellter Fehlbeträge kommen könne (BTDrucks 15/481, S. 5, rechte Spalte, zweiter Absatz). Die Anhebung des Sockelbetrags in der endgültig Gesetz gewordenen Fassung und die Diskussion um den Prozentsatz einer möglichen Verlustverrechnung zeigten, dass dem Gesetzgeber die Wirkung der Einschränkungen bewusst gewesen sei; eine Regelungslücke liege deshalb nicht vor.

16

Eine Billigkeitsmaßnahme sei nicht von Verfassungs wegen geboten. Der Gesetzgeber sei nicht verpflichtet, den Wertungswiderspruch zwischen dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung und dem Nettoprinzip einseitig zu Gunsten des Nettoprinzips zu lösen (BVerfG-Beschluss in HFR 1992, 423). In Fällen, in denen ein Fehlbetrag nicht vollständig verrechenbar sei, könne ein Verfassungsverstoß nicht einseitig auf das Gebot des objektiven Nettoprinzips gestützt werden.

Entscheidungsgründe

17

II. Die Revision des FA ist begründet. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Klage abgewiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass das FA die Voraussetzungen der §§ 163 Satz 1, 227 AO ermessensfehlerhaft verneint habe, weil es nicht hinreichend berücksichtigt habe, dass die Klägerin ihre wirtschaftliche Tätigkeit beendet habe und damit der vortragsfähige Gewerbeverlust endgültig untergehe.

18

1. Nach § 163 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, können bei der Festsetzung der Steuern unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Nach § 227 AO können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.

19

a) Der Zweck der §§ 163, 227 AO liegt darin, sachlichen und persönlichen Besonderheiten des Einzelfalles, die der Gesetzgeber in der Besteuerungsnorm nicht berücksichtigt hat, durch eine nicht den Steuerbescheid selbst ändernde Korrektur des Steuerbetrags insoweit Rechnung zu tragen, als sie die steuerliche Belastung als unbillig erscheinen lassen (BFH-Urteile vom 26. Mai 1994 IV R 51/93, BFHE 174, 482, BStBl II 1994, 833, unter 1. der Gründe; vom 4. Juli 1972 VII R 103/69, BFHE 106, 268, BStBl II 1972, 806).

20

b) Die Erlassentscheidung ist eine Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung (§ 5 AO), die gemäß § 102 FGO i.V.m. § 121 FGO grundsätzlich nur eingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung unterliegt (Beschluss des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). Stellt das Gericht eine Ermessensüberschreitung oder einen Ermessensfehler fest, ist es grundsätzlich auf die Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung beschränkt. Nur wenn der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeengt ist, dass nur eine Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt (sog. Ermessensreduzierung auf Null), ist es befugt, seine Entscheidung an die Stelle der Ermessensentscheidung der Verwaltungsbehörde zu setzen und eine Verpflichtung zum Erlass auszusprechen (BFH-Urteile vom 6. September 2011 VIII R 55/10, BFH/NV 2012, 269, unter II.1. der Gründe, m.w.N.; vom 26. Oktober 1994 X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297, unter II.2. der Gründe, m.w.N.).

21

c) Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer Steuer, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Steuer als unbillig erscheint. So verhält es sich, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage --wenn er sie als regelungsbedürftig erkannt hätte-- im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 174, 482, BStBl II 1994, 833, unter 2. der Gründe, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 12. September 2007 X B 18/03, BFH/NV 2008, 102, unter II.5.b der Gründe, m.w.N.). Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt dagegen keine Billigkeitsmaßnahme (BFH-Urteile vom 7. Oktober 2010 V R 17/09, BFH/NV 2011, 865, unter II.2. der Gründe; vom 4. Februar 2010 II R 25/08, BFHE 228, 130, BStBl II 2010, 663, jeweils m.w.N.). Bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit von generalisierenden und typisierenden Normen des Steuerrechts fällt allerdings die Möglichkeit des Steuererlasses zur Milderung unbilliger Härten besonders ins Gewicht (BVerfG-Beschluss vom 5. April 1978  1 BvR 117/73, BVerfGE 48, 102; BFH-Urteile vom 6. Februar 1976 III R 24/71, BFHE 118, 151; in BFHE 185, 270, BStBl II 1998, 396; vom 27. Mai 2004 IV R 55/02, BFH/NV 2004, 1555). Deshalb ist im Rahmen einer Billigkeitsentscheidung zu berücksichtigen, ob die vom Gesetzgeber gewählte Typisierung gerade deshalb für zulässig erachtet wird, weil im Zusammenhang mit der Anwendung des typisierenden Gesetzes auftretende Härten durch Billigkeitsmaßnahmen beseitigt werden können. Das ist etwa dann der Fall, wenn der Gesetzgeber Zahl und Intensität der von der typisierenden Regelung nachteilig betroffenen Fälle mit zumutbarem Aufwand nicht ermitteln kann. Die Billigkeitsmaßnahme erweist sich in diesem Zusammenhang als eine flankierende Maßnahme zur Typisierung (vgl. BFH-Urteil vom 20. September 2012 IV R 36/10, BFHE 234, 542).

22

d) Die Billigkeitsprüfung muss sich je nach Fallgestaltung nicht nur auf allgemeine Rechtsgrundsätze und verfassungsmäßige Wertungen erstrecken; sie verlangt vielmehr eine Gesamtbeurteilung aller Normen, die für die Verwirklichung des in Frage stehenden Steueranspruchs im konkreten Fall maßgeblich sind (BFH-Urteil in BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297, unter II.4. der Gründe, m.w.N.). In eine solche Würdigung müssen nicht nur die Vorschriften einbezogen werden, aus denen der Anspruch dem Grunde und der Höhe nach hergeleitet wird, sondern auch die Regelungen, die im zu entscheidenden Fall für die Konkretisierung des materiellen Rechts und seine verfahrensrechtliche Durchsetzung sorgen. Nur auf diese Weise lassen sich Wertungswidersprüche aufdecken und im Billigkeitswege beseitigen, die bei isolierter Betrachtungsweise als typischer Nebeneffekt der Anwendung einzelner steuerrechtlicher Normen hinnehmbar erscheinen, insgesamt aber in ihrem Zusammenwirken in einem atypischen Einzelfall eine Rechtslage herbeiführen, welche die Durchsetzung des Steueranspruchs als sachlich unbillig erscheinen lässt (BFH-Urteil in BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297, unter II.4. der Gründe).

23

e) Grundsätzlich kann im Rahmen der Prüfung, ob eine sachliche Unbilligkeit vorliegt, die Richtigkeit eines unanfechtbar gewordenen Steuerbescheids nicht mehr untersucht werden. Eine Ausnahme hat die Rechtsprechung für die Einwendungen zugelassen, die sich im konkreten Steuerrechtsverhältnis aus den Grundsätzen von Treu und Glauben ergeben (BFH-Urteile vom 31. Oktober 1990 I R 3/86, BFHE 163, 478, BStBl II 1991, 610, unter II.B.3. der Gründe; vom 10. Juni 1975 VIII R 50/72, BFHE 116, 103, BStBl II 1975, 789). Die Verdrängung gesetzten Rechts durch den Grundsatz von Treu und Glauben kann jedoch nur in Betracht kommen, wenn das Vertrauen des Steuerpflichtigen in ein bestimmtes Verhalten der Verwaltung nach allgemeinem Rechtsgefühl in einem so hohen Maß schutzwürdig ist, dass demgegenüber die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zurücktreten (BFH-Urteile in BFHE 163, 478, BStBl II 1991, 610, unter II.B.3.a der Gründe; vom 5. Februar 1980 VII R 101/77, BFHE 130, 90, unter 2. der Gründe).

24

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen war dem FA nicht aufzugeben, eine erneute Prüfung der Billigkeitsgründe vorzunehmen. Selbst wenn das FA die Bedeutung der endgültigen Nichtverwertbarkeit der Verluste und der dadurch eintretenden Verletzung des objektiven Nettoprinzips nicht ausreichend bei seinen Ermessenserwägungen berücksichtigt haben sollte, wie das FG meint, konnte doch keine andere Entscheidung als die vom FA getroffene ergehen, da eine Unbilligkeit im Streitfall nicht vorlag.

25

a) Der Antrag der Klägerin auf Erlass einer Billigkeitsmaßnahme ist allerdings nicht bereits deshalb zurückzuweisen, weil sie davon abgesehen hat, Klage auch gegen die Festsetzungsverwaltungsakte zu erheben. Sie durfte sich darauf beschränken, nur die Entscheidung des FA über die beantragten Billigkeitsmaßnahmen mit der Klage anzugreifen.

26

Zwar kann sich ein Steuerpflichtiger grundsätzlich nicht auf die sachliche Unbilligkeit einer Steuerfestsetzung berufen, wenn er zuvor nicht alle Rechtsmittel gegen die Steuerfestsetzung ausgeschöpft hat. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH können bestandskräftig festgesetzte Steuern im Billigkeitsverfahren u.a. nur dann sachlich überprüft werden, wenn es dem Steuerpflichtigen nicht möglich oder nicht zumutbar war, sich gegen die Fehlerhaftigkeit der Festsetzung rechtzeitig zu wehren (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 30. April 1981 VI R 169/78, BFHE 133, 255, BStB1 II 1981, 611; vom 11. August 1987 VII R 121/84, BFHE 150, 502, BStB1 II 1988, 512; vom 29. Mai 2008 V R 45/06, BFH/NV 2008, 1889).

27

Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht, wenn der Steuerpflichtige sich darauf beruft, von einer von ihm grundsätzlich als verfassungskonform angesehenen typisierenden Norm unverhältnismäßig nachteilig betroffen zu sein. Hält der Steuerpflichtige die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers in Bezug auf die in Frage stehende Norm für gegeben, sieht er die Besteuerung aber in seinem Einzelfall als unbillig an, weil er von der Typisierung unverhältnismäßig nachteilig betroffen wird, ist ihm die Anfechtung der Steuerfestsetzung nicht zuzumuten. Er kann sich vielmehr darauf beschränken, lediglich eine Billigkeitsmaßnahme zu beantragen.

28

b) Im Streitfall kann offenbleiben, in welchen Fällen allgemein die Festsetzung eines Gewerbesteuermessbetrags trotz vortragsfähiger Verluste mindestens in Höhe des Gewerbeertrags zu einer auch durch die allgemeine Typisierungsbefugnis nicht mehr gedeckten unverhältnismäßigen Belastung eines einzelnen Steuerpflichtigen durch § 10a Sätze 1 und 2 GewStG führen kann und inwieweit die fehlende Möglichkeit zur künftigen Verrechnung gestreckter vortragsfähiger Verluste wegen der Einstellung der werbenden Tätigkeit auf Besonderheiten des Gewerbesteuerrechts beruht, die eine unverhältnismäßige Belastung des Steuerpflichtigen ausgeschlossen erscheinen lassen. Die Festsetzungen eines Gewerbesteuermessbetrags und der Gewerbesteuer gegenüber der Klägerin sind nämlich bereits deshalb nicht unbillig, weil die Klägerin durch ihr eigenes Verhalten dazu beigetragen hat, dass ein Gewerbeertrag entstanden ist, der nach § 10a Sätze 1 und 2 GewStG nicht vollständig mit vortragsfähigen Verlusten verrechnet werden konnte.

29

Der positive Gewerbeertrag im streitigen Erhebungszeitraum beruht ausschließlich darauf, dass Gläubiger der Klägerin auf ihre Forderungen gegenüber der Klägerin verzichtet haben. Der Verzicht wurde auf Betreiben der Klägerin erklärt, obwohl die Forderungen angesichts der Mittellosigkeit der Klägerin ohnehin schon wertlos geworden waren. Wäre der Verzicht nicht erklärt worden, hätte die Klägerin künftig keinen Gewinn mehr erzielt. Auch der Ausfall von gegen die Klägerin gerichteten Forderungen in einem Insolvenzverfahren hätte keine Gewinnauswirkung gehabt. Weder für den streitigen Erhebungszeitraum noch für spätere Erhebungszeiträume wären danach Gewerbesteuermessbeträge festzusetzen gewesen.

30

Anhaltspunkte dafür, dass es ohne Initiative der Klägerin zu dem Forderungsverzicht hätte kommen können, sind nicht ersichtlich. Die Klägerin hat deshalb selbst die Ursache für das Eintreten der Mindestbesteuerung gesetzt, obwohl sie die Besteuerungsfolgen kennen musste. Unter diesem Aspekt kann die Besteuerung nicht als unbillig angesehen werden.

31

3. Die Ablehnung einer Billigkeitsmaßnahme durch das FA ist danach im Streitfall nicht zu beanstanden. Das FG ist von anderen Maßstäben ausgegangen. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO).

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH & Co. KG, die 1993 errichtet wurde. Sie erwarb mit Vertrag vom 24. Oktober 1994 als einzige wesentliche Betriebsgrundlage ein Flugzeug, das sie für den Zeitraum vom 9. Dezember 1994 bis 8. Dezember 2004 an eine X-Gesellschaft vermietete. Gleichzeitig räumte eine ... Limited (Ltd. 1) der Klägerin das Recht ein, das Flugzeug mit einer sechsmonatigen Andienungsfrist zum 9. Dezember 2004 zu einem Verkaufspreis von ... US-Dollar an sie zu veräußern. Außerdem verpflichtete sich die Ltd. 1, der Klägerin die aus dem Verkauf entstehenden Steuerbelastungen einschließlich der Gewerbesteuer zu erstatten.

2

Die Verkaufsoption übte die Klägerin mit Schreiben vom 5. April 2004 aus. Am 30. September 2004 fassten die Gesellschafter der Klägerin den Beschluss, mit Ablauf des 8. Dezember 2004 die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft aufzugeben, diese gleichzeitig aufzulösen und das Flugzeug am 9. Dezember 2004 an eine weitere Limited (Ltd. 2) zu veräußern. In der Folge schlossen die Klägerin, die X-Gesellschaft, die Ltd. 1 und die Ltd. 2 am 4. Oktober 2004 einen Vertrag, in dem u.a. vereinbart wurde, dass die Rechte und Pflichten aus dem mit Ausübung des Andienungsrechts der Klägerin zu Stande gekommenen Kaufvertrag über das Flugzeug von der Ltd. 2 übernommen würden. Außerdem sah der Vertrag vor, dass die X-Gesellschaft das Flugzeug von der Ltd. 2 weiter anmieten und der Klägerin die aus dem Verkauf entstehenden Steuerbelastungen, einschließlich der Gewerbesteuer, erstatten werde.

3

Für das Streitjahr (2004) ermittelte die Klägerin laufende Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von ... € und einen Veräußerungsgewinn in Höhe von ... €. In ihrer Gewerbesteuererklärung erklärte sie einen Gewerbeertrag in Höhe von ... € und beantragte, den zum 31. Dezember 2003 gesondert festgestellten vortragsfähigen Gewerbeverlust in voller Höhe abzuziehen.

4

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte den zum 31. Dezember 2003 festgestellten vortragsfähigen Gewerbeverlust gemäß § 10a Sätze 1 und 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) in der ab 1. Januar 2004 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes und anderer Gesetze vom 23. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2922, BStBl I 2004, 20) --GewStGuaÄndG-- nur beschränkt in Höhe von ... € und setzte mit Bescheid vom 21. Dezember 2005 einen Gewerbesteuermessbetrag von ... € fest.

5

Dagegen erhob die Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage. Sie machte geltend, die --sowohl nach dem Wortlaut der Vorschrift als auch rechnerisch zutreffende-- Anwendung der Mindestbesteuerung sei im Streitfall aus verfassungsrechtlichen Gründen unzulässig. Denn durch die beschränkte Berücksichtigung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts werde ihr der Verlustausgleich in Höhe von ... € endgültig versagt, weil sie ihre Geschäftstätigkeit zum 8. Dezember 2004 aufgegeben habe. Dadurch werde sie in ihren Grundrechten aus dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--) und auf Gewährleistung des Eigentums (Art. 14 GG) verletzt.

6

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Die Anwendung der Mindestbesteuerung nach § 10a GewStG führe zu keiner Verletzung der Besteuerungsgleichheit oder des objektiven Nettoprinzips in seinem verfassungsrechtlich geschützten Kern. Zwar stelle der endgültige Verlust eines Teils des zum 31. Dezember 2003 festgestellten Gewerbeverlustvortrags eine Abweichung vom objektiven Nettoprinzip dar. Dies sei jedenfalls dann durch die Ziele des Gesetzgebers --die Stärkung und Verstetigung der steuerlichen Gemeindefinanzierung (BTDrucks 15/1517, S. 12, S. 19)-- gerechtfertigt, wenn es wie im Streitfall auf der vom Steuerpflichtigen selbst herbeigeführten Abkürzung des zur Verlustverrechnung nutzbaren Zeitraums beruhe. Eine Verletzung des Art. 14 GG durch den Gewerbesteuermessbescheid sei bereits deshalb ausgeschlossen, weil sich die tatsächliche Steuerbelastung erst aus dem Gewerbesteuerbescheid ergebe. Anhaltspunkte dafür, dass der volle Verlustabzug aus Gründen des Vertrauensschutzes geboten sein könnte, ergäben sich weder aus dem Klagevorbringen noch aus dem sonstigen Akteninhalt. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2010, 1914 veröffentlicht.

7

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von Verfahrensrecht sowie der Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 14 GG, des grundrechtlich und rechtsstaatlich gewährleisteten Vertrauensschutzes und des im Wege teleologischer Reduktion verfassungskonform auszulegenden § 10a Satz 2 GewStG.

8

Sie beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Gewerbesteuermessbetrag für 2004 unter Änderung des Gewerbesteuermessbescheids vom 21. Dezember 2005 und der Einspruchsentscheidung vom 29. Januar 2007 unter Berücksichtigung des zum 31. Dezember 2003 gesondert festgestellten vortragsfähigen Gewerbeverlusts in Höhe von ... € auf ... € herabzusetzen.

9

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

10

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten.

Entscheidungsgründe

11

II. Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das angefochtene Urteil beruht nicht auf einem Verfahrensmangel und das FG hat § 10a Sätze 1 und 2 GewStG, Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 14 GG zutreffend angewandt.

12

1. Die Verfahrensrüge, mit der die Klägerin geltend macht, das FG habe die Sachaufklärungspflicht verletzt (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) und den Sachverhalt widersprüchlich gewürdigt, greift nicht durch. Der Senat sieht insoweit von einer Begründung ab (§ 126 Abs. 6 FGO).  

13

2. Der Gewinn aus der Veräußerung des Flugzeugs gehörte zum gewerbesteuerbaren laufenden Gewinn der Klägerin. Davon sind auch die Beteiligten und das FG ausgegangen.

14

a) Die Klägerin unterliegt der Gewerbesteuer selbst dann, wenn ihre Tätigkeit --was der Senat deshalb dahinstehen lassen kann-- nicht alle Merkmale eines Gewerbebetriebs i.S. des § 15 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erfüllen sollte.

15

Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG unterliegt der Gewerbesteuer jeder stehende, im Inland betriebene Gewerbebetrieb. Unter Gewerbebetrieb ist ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des EStG zu verstehen (§ 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG). Neben originär gewerblich tätigen Unternehmen gehören dazu auch gewerblich geprägte Personengesellschaften, deren Tätigkeit infolge der einkommensteuerlichen Fiktion des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG als Gewerbebetrieb gilt, obwohl sie keine originär gewerblichen Einkünfte erzielen. Diese Fiktion gilt auch für Zwecke der Gewerbesteuer (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20. November 2003 IV R 5/02, BFHE 204, 471, BStBl II 2004, 464).

16

Sofern die Klägerin nicht originär gewerblich tätig gewesen sein sollte, erfüllt sie zumindest die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EStG. Ihr einziger persönlich haftender Gesellschafter ist eine Kapitalgesellschaft, und nur diese Gesellschafterin sowie Personen, die nicht Gesellschafter sind, sind zur Geschäftsführung befugt.

17

b) Einzelunternehmen und Mitunternehmerschaften sind sachlich gewerbesteuerpflichtig nur, wenn und solange sie einen Gewerbebetrieb im Sinne des Gewerbesteuerrechts unterhalten. Die sachliche Gewerbesteuerpflicht endet deshalb mit der dauerhaften Einstellung der werbenden Tätigkeit (ständige Rechtsprechung, u.a. BFH-Urteile vom 24. April 1980 IV R 68/77, BFHE 131, 70, BStBl II 1980, 658, unter 1. der Gründe; vom 20. März 1990 VIII R 47/86, BFH/NV 1990, 799, unter 1.a der Gründe; vom 26. Juni 2007 IV R 49/04, BFHE 217, 150, BStBl II 2009, 289, unter II.2.a der Gründe). Auch bei einer gewerblich geprägten Gesellschaft endet die sachliche Gewerbesteuerpflicht mit dem Ende der werbenden Tätigkeit (BFH-Urteil in BFHE 204, 471, BStBl II 2004, 464, unter III.2. der Gründe). Die Rechtsform der beteiligten Mitunternehmer ist ohne Bedeutung (BFH-Urteil vom 5. März 1998 IV R 23/97, BFHE 186, 142, BStBl II 1998, 745, unter 1.b der Gründe). Entgegen der Ansicht des BMF hat die Einfügung des § 7 Satz 2 GewStG zu keiner Änderung dieser rechtlichen Beurteilung geführt (BFH-Urteil vom 30. August 2012 IV R 54/10, Deutsches Steuerrecht 2012, 2180, BFHE 238, 198, unter II.1.d und II.3. der Gründe).

18

c) Gewinne aus der Veräußerung von Wirtschaftsgütern des Anlage- wie auch des Umlaufvermögens können zum gewerbesteuerbaren (laufenden) Gewinn oder zum nicht gewerbesteuerbaren Aufgabegewinn gehören. Maßgeblich ist, ob mit der Veräußerung die bisherige normale Geschäftstätigkeit fortgesetzt wird oder ob die Veräußerung im wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Aufgabe des Betriebs erfolgt (BFH-Urteil in BFHE 217, 150, BStBl II 2009, 289, unter II.2.c cc der Gründe). Der Gewinn aus der Veräußerung eines zum Anlagevermögen zählenden Flugzeugs gehört danach zum gewerbesteuerbaren (laufenden) Gewinn, wenn die Veräußerung Bestandteil eines einheitlichen Geschäftskonzepts der unternehmerischen Tätigkeit ist. Hiervon ist im Streitfall auszugehen, wie zwischen den Beteiligten nicht streitig ist.

19

3. Das FA hat den Gewerbeertrag unter Berücksichtigung des § 10a Sätze 1 und 2 GewStG zutreffend ermittelt. Nach dieser Vorschrift wird der maßgebende Gewerbeertrag bis zu einem Betrag in Höhe von 1 Mio. € um die Fehlbeträge gekürzt, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume nach den Vorschriften der §§ 7 bis 10 GewStG ergeben haben, soweit die Fehlbeträge nicht bei der Ermittlung des Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume berücksichtigt worden sind. Der 1 Mio. € übersteigende maßgebende Gewerbeertrag ist bis zu 60 % um die verbleibenden Fehlbeträge der vorangegangenen Erhebungszeiträume zu kürzen. Die Anwendung der Regelung führt dazu, dass anstelle der gesamten Fehlbeträge aus früheren Erhebungszeiträumen von ... € nur ... € vom maßgebenden Gewerbeertrag des Streitjahres abgezogen werden können. Der angefochtene Bescheid entspricht dieser Rechtslage, worüber zwischen den Beteiligten ebenfalls kein Streit besteht.

20

4. Die Mindestbesteuerung nach § 10a Sätze 1 und 2 GewStG verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG (ebenso BFH-Urteil vom 22. August 2012 I R 9/11, juris, BFHE 238, 419).

21

a) Der Gleichheitssatz gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen.

22

aa) Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Für die Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Differenzierungen kommt es wesentlich darauf an, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG--; vgl. z.B. BVerfG-Beschluss vom 6. Juli 2010  2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268, Rz 35, m.w.N.).

23

bb) Im Bereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum. Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft und die es so als rechtlich gleich qualifiziert, wird hier, insbesondere im Bereich des Einkommensteuerrechts, vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast an der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit. Danach muss im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedrigerer Einkommen angemessen sein muss. Bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands muss die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umgesetzt werden. Ausnahmen von einer solchen folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 126, 268, Rz 36, m.w.N.).

24

cc) Als besondere sachliche Gründe für Ausnahmen von einer folgerichtigen Umsetzung und Konkretisierung steuergesetzlicher Belastungsentscheidungen hat das BVerfG in seiner bisherigen Rechtsprechung vor allem außerfiskalische Förderungs- und Lenkungszwecke sowie Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse anerkannt, nicht jedoch den rein fiskalischen Zweck staatlicher Einnahmenerhöhung (vgl. z.B. BVerfG-Urteil vom 9. Dezember 2008  2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rz 58 ff.). Der Finanzbedarf des Staates oder eine knappe Haushaltslage reichen für sich allein nicht aus, um ungleiche Belastungen durch konkretisierende Ausgestaltung der steuerrechtlichen Grundentscheidungen zu rechtfertigen. Auch wenn der Staat auf Einsparungsmaßnahmen angewiesen ist, muss er auf eine gleichheitsgerechte Verteilung der Lasten achten (BVerfG-Urteil in BVerfGE 122, 210, Rz 61). Besondere ("qualifizierte") Fiskalzwecke können aber als Rechtfertigungsgrund in Betracht kommen (anerkannt z.B. für unerwartete staatliche Mehrausgaben im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung, BVerfG-Beschluss vom 5. Februar 2002  2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93, BVerfGE 105, 17, Rz 89).

25

dd) Als Rechtfertigungsgrund ist insbesondere die Befugnis des Gesetzgebers zur Vereinfachung und Typisierung zu beachten: Jede gesetzliche Regelung muss verallgemeinern. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen ist der Gesetzgeber berechtigt, die Vielzahl der Einzelfälle in dem Gesamtbild zu erfassen, das nach den ihm vorliegenden Erfahrungen die regelungsbedürftigen Sachverhalte zutreffend wiedergibt. Auf dieser Grundlage darf er grundsätzlich generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen.

26

Typisierung bedeutet, bestimmte in wesentlichen Elementen gleich geartete Lebenssachverhalte normativ zusammenzufassen. Besonderheiten, die im Tatsächlichen durchaus bekannt sind, können generalisierend vernachlässigt werden. Der Gesetzgeber darf sich grundsätzlich am Regelfall orientieren und ist nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen. Die gesetzlichen Verallgemeinerungen müssen allerdings von einer möglichst breiten, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließenden Beobachtung ausgehen. Insbesondere darf der Gesetzgeber für eine gesetzliche Typisierung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss realitätsgerecht den typischen Fall als Maßstab zugrunde legen (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 126, 268, Rz 38, m.w.N.).

27

Folge einer Typisierung ist notwendigerweise, dass die Verhältnisse des Einzelfalls unberücksichtigt bleiben. Darin liegende Ungleichbehandlungen sind durch die Typisierungsbefugnis grundsätzlich gerechtfertigt. Ist vorhersehbar, dass in Ausnahmefällen besondere Härten auftreten können, die nicht in zumutbarer Weise durch gesetzliche Sonderregelungen vermeidbar sind, steht dies der Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers nicht entgegen, wenn für deren Behebung im Einzelfall Billigkeitsmaßnahmen zur Verfügung stehen. Bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit von generalisierenden und typisierenden Normen des Steuerrechts fällt insbesondere die Möglichkeit des Steuererlasses zur Milderung unbilliger Härten ins Gewicht (BVerfG-Beschluss vom 5. April 1978  1 BvR 117/73, BVerfGE 48, 102; BFH-Urteile vom 6. Februar 1976 III R 24/71, BFHE 118, 151; vom 23. März 1998 II R 41/96, BFHE 185, 270, BStBl II 1998, 396; vom 27. Mai 2004 IV R 55/02, BFH/NV 2004, 1555).

28

ee) Die für die Lastengleichheit im Gewerbesteuerrecht maßgebliche finanzielle Leistungsfähigkeit ist grundsätzlich nach dem objektiven Nettoprinzip zu bemessen.

29

(1) Das objektive Nettoprinzip gilt auch für die Gewerbesteuer, weil die Gewerbesteuer im Hinblick auf die Bemessung des Gewerbeertrags nach den Vorschriften des EStG und des Körperschaftsteuergesetzes --KStG-- (§ 7 Satz 1 GewStG) ebenso wie die Einkommensteuer und die Körperschaftsteuer an die Ertragskraft des Unternehmens anknüpft (BVerfG-Beschluss vom 15. Januar 2008  1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1, Rz 112 ff.). Danach unterliegt im Bereich der Unternehmensbesteuerung grundsätzlich nur das Nettoeinkommen der Besteuerung. Betriebsausgaben müssen folglich grundsätzlich steuerlich abziehbar sein (BVerfG-Beschluss vom 12. Oktober 2010  1 BvL 12/07, BVerfGE 127, 224, Rz 57).

30

(2) Allerdings bedingt der Charakter der Gewerbesteuer als Objektsteuer Einschränkungen des objektiven Nettoprinzips.

31

(a) Das Objektsteuerprinzip liegt verschiedenen Regelungen des geltenden GewStG zugrunde. Hierzu gehören etwa die Hinzurechnung von Betriebsausgaben nach § 8 GewStG und die Kürzung von Betriebseinnahmen nach § 9 GewStG. Auch das Erfordernis der Unternehmensidentität für den Verlustausgleich nach § 10a GewStG ist eine Ausprägung des Objektsteuercharakters der Gewerbesteuer. Unternehmensidentität bedeutet, dass der im Anrechnungsjahr bestehende Gewerbebetrieb identisch sein muss mit dem Gewerbebetrieb, in dem der Verlust entstanden ist (u.a. BFH-Urteile vom 12. Januar 1978 IV R 26/73, BFHE 124, 348, BStBl II 1978, 348; vom 14. September 1993 VIII R 84/90, BFHE 174, 233, BStBl II 1994, 764; R 10a.2 Satz 1 der Gewerbesteuer-Richtlinien 2009).

32

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH folgt aus dem Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer für solche Gewerbebetriebe, deren Tätigkeit nicht nach § 2 Abs. 2 GewStG stets und in vollem Umfang als Gewerbebetrieb gilt, dass nur der auf den laufenden Betrieb entfallende, durch eigene gewerbliche Leistungen entstandene Gewinn der Gewerbesteuer unterliegt (s. oben unter II.2.b). Nicht zu berücksichtigen sind daher Verluste, die vor Aufnahme der werbenden Tätigkeit entstanden sind, oder die nicht dem laufenden Betrieb, sondern dessen Aufgabe oder Veräußerung zuzuordnen sind (u.a. BFH-Urteil in BFHE 217, 150, BStBl II 2009, 289, unter II.2. der Gründe), auch wenn sie die Leistungsfähigkeit des Gewerbetreibenden vermindern. Ebenso wenig sind entsprechende Gewinne in die Ermittlung des Gewerbeertrags einzubeziehen, obschon sie die Leistungsfähigkeit des Gewerbetreibenden vergrößern.

33

(b) Das der Gewerbeertragsbesteuerung zugrunde liegende gesetzgeberische Konzept hat von Beginn an die Möglichkeit einer Definitivbelastung mit Gewerbesteuer auch bei periodenübergreifend überwiegenden Verlusten nicht ausgeschlossen.

34

(aa) Die vor Inkrafttreten des reichseinheitlichen GewStG bestehenden GewStG der Länder erlaubten einen gewerbesteuerlichen Verlustvor- oder -rücktrag nicht (vgl. Übersicht über die GewStG der Länder, RStBl 1937, 699). Der Reichsfinanzhof (RFH) verneinte die Anwendbarkeit der im KStG bzw. EStG vorgesehenen Möglichkeit zur Berücksichtigung einer Unterbilanz bzw. eines Verlustvortrags bei der Ermittlung des Gewerbeertrags unter Hinweis auf den Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer, die als eine Art von Beitrag aufgefasst werden könne (RFH-Urteil vom 10. Juli 1935 IV A 33/35, RFHE 38, 120, zum Oldenburgischen GewStG). Zur Begründung hat er ausgeführt, bereits das preußische Oberverwaltungsgericht habe in ständiger Rechtsprechung als (gewerbesteuerlichen) Ertrag den Inbegriff dessen angesehen, was innerhalb einer gewissen Periode an Geldwerten, Gütern und Nutzungen durch objektiven Gewerbebetrieb hervorgebracht werde und damit in ständiger Rechtsprechung die Anrechnung von Verlusten aus Vorjahren auf spätere Gewinnjahre für unvereinbar gehalten. Durch die Anrechnung von Verlusten aus früheren Geschäftsjahren auf spätere Ertragsjahre würde ein Merkmal in die Gewerbesteuer hineingetragen, das dem Objektsteuercharakter offensichtlich widerspreche und überdies mit dem der Gewerbesteuer zugrunde liegenden steuerpolitischen Zweckgedanken nicht in Einklang zu bringen sei, wonach diese eine Art Gegenleistung für die den Gemeinden durch die Gewerbebetriebe verursachten Lasten darstellen solle. Die Berücksichtigung von Vorjahresverlusten in späteren Ertragsjahren könne dazu führen, dass es in diesen Jahren an der entsprechenden Gegenleistung für die durch den Gewerbebetrieb verursachten Lasten fehle, trotzdem in diesen Jahren Ertrag vorhanden sei; dieser Ausfall im Gemeindefinanzbedarf müsse dann auf andere Steuerpflichtige umgelegt werden.

35

(bb) Das Gewerbesteuerrahmengesetz (GewStRG) vom 1. Dezember 1930 (RGBl I 1930, 537) räumte in § 12 Nr. 3 die Möglichkeit eines zweijährigen Verlustvortrags für buchführende Unternehmungen ein (vgl. Orth, Interperiodische Verlust-Kompensation im Gewerbesteuerrecht, Studien zum Finanz- und Steuerrecht, Bd. 4, 1980, S. 24, S. 82). Allerdings hat es sich nicht durchsetzen können und wurde nur von den Ländern Mecklenburg und Oldenburg übernommen (RStBl 1937, 693). Die Neufassung des GewStRG vom 30. Juni 1935 (RGBl I 1935, 830) sah keinerlei Möglichkeit zur Verrechnung von Gewerbeverlusten vor.

36

(cc) Auch unter Geltung des GewStG vom 1. Dezember 1936 (RGBl I 1936, 979) bestand zunächst keine Möglichkeit, Gewerbeverluste auszugleichen. Mit Runderlass vom 14. Juli 1939 L 1460-1/39 III (RStBl 1939, 849) ließ das Reichsfinanzministerium nach Einführung eines entsprechenden Verlustvortrags bei der Einkommensteuer auch für die Gewerbesteuer einen zweijährigen Verlustvortrag zu, der --möglicherweise gedanklich an die Berücksichtigung einer Unterbilanz anknüpfend-- nur für buchführende Gewerbebetriebe galt. Für andere Gewerbebetriebe bestand weiterhin keine Möglichkeit zum Verlustausgleich. Als Rechtsgrundlage der Regelung wurden zunächst nachträglich § 19 der Dritten Verordnung zur Durchführung des Gewerbesteuergesetzes vom 31. Januar 1940 (RGBl I 1940, 284) und später § 10a GewStG eingeführt (durch Gesetz zur Änderung des Gewerbesteuerrechts vom 27. Dezember 1951, BGBl I 1951, 996). Dabei wurde der Verlustvortrag von einer ordnungsgemäßen Buchführung abhängig gemacht und zunächst auf drei Jahre, später auf fünf Jahre ausgedehnt (Gesetz zur Neuordnung von Steuern vom 16. Dezember 1954, BGBl I 1954, 373). Ab 1975 entfielen die Erforderlichkeit einer ordnungsmäßigen Buchführung (Einführungsgesetz zum Einkommensteuerreformgesetz vom 21. Dezember 1974, BGBl I 1974, 3656) sowie die Beschränkung auf buchführende Betriebe (rückwirkend durch das Steuerbereinigungsgesetz 1986 vom 19. Dezember 1985, BGBl I 1985, 2436). Ab 1985 entfiel auch die zeitliche Begrenzung des Verlustvortrags (Steuerreformgesetz 1990 vom 25. Juli 1988, BGBl I 1988, 1093).

37

(c) Die Möglichkeit eines Verlustrücktrags bestand bei der Gewerbesteuer zu keinem Zeitpunkt. Der Gesetzgeber hat dabei dem Interesse der Gemeinden an einer funktionierenden Haushaltspolitik Vorrang vor dem wirtschaftlichen Interesse der betroffenen Gewerbebetriebe eingeräumt.

38

(aa) Im Zusammenhang mit der Einführung eines Verlustrücktrags bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer wurde eine solche Maßnahme auch für die Gewerbesteuer geprüft, jedoch abgelehnt, weil "die Gemeinden hierdurch in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten kommen könnten. Denn --anders als beim Verlustvortrag-- könnte ein Verlustrücktrag dazu führen, dass insbesondere kleinere Gemeinden bei einer Rückzahlung vereinnahmter und bereits im Haushalt verplanter Gewerbesteuern in größte Schwierigkeiten kommen würden" (BTDrucks 7/4604, S. 3; BTDrucks 7/4705, S. 3; ähnlich BRDrucks 828/1/74, zu I 2; kritisch Orth, Interperiodische Verlust-Kompensation im Gewerbesteuerrecht, a.a.O., S. 230 ff.).

39

(bb) Der BFH hat das Fehlen eines Verlustrücktrags verfassungsrechtlich nicht beanstandet (Urteil vom 31. Juli 1990 I R 62/86, BFHE 161, 570, BStBl II 1990, 1083). Die Regelung sei systemgerecht innerhalb der Rechtsordnung. Als zusätzliche Rechtfertigung könne der Gesichtspunkt des kommunalen Selbstverwaltungsrechts herangezogen werden (BFH-Urteil in BFHE 161, 570, BStBl II 1990, 1083, unter II.A.1.d bb der Gründe). Einer Substanzgefährdung der betroffenen Unternehmen könne durch die angemessene Entrichtung von Vorauszahlungen oder die Bildung einer angemessenen Rückstellung für die Gewerbesteuerschuld aus dem Gewinnjahr hinreichend begegnet werden; dennoch eintretende Gefährdungen hätten ihre Ursache nicht in der Gewerbesteuer für den vorangegangenen Erhebungszeitraum, sondern in den zwischenzeitlich im Betrieb erwirtschafteten Verlusten (BFH-Urteil in BFHE 161, 570, BStBl II 1990, 1083, unter II.A.1.d dd der Gründe).

40

(3) Das BVerfG hat bisher offengelassen, ob das objektive Nettoprinzip Verfassungsrang hat (aus neuerer Zeit etwa BVerfG-Beschluss in BVerfGE 126, 268, Rz 40). Jedenfalls kann der Gesetzgeber dieses Prinzip beim Vorliegen gewichtiger Gründe durchbrechen und sich dabei generalisierender, typisierender und pauschalierender Regelungen bedienen. Hiernach entfaltet schon das einfach-rechtliche objektive Nettoprinzip Bedeutung vor allem im Zusammenhang mit den Anforderungen an hinreichende Folgerichtigkeit bei der näheren Ausgestaltung der gesetzgeberischen Grundentscheidungen. Die Beschränkung des steuerlichen Zugriffs nach Maßgabe des objektiven Nettoprinzips gehört zu diesen Grundentscheidungen, so dass Ausnahmen von der folgerichtigen Umsetzung der mit dem objektiven Nettoprinzip getroffenen Belastungsentscheidung eines besonderen, sachlich rechtfertigenden Grundes bedürfen (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 126, 268, Rz 40, m.w.N.).

41

b) Nach den vorstehenden Maßstäben ist ein von § 10a Sätze 1 und 2 GewStG ggf. ausgehender Verstoß gegen den Gleichheitssatz nach Überzeugung des erkennenden Senats zumindest gerechtfertigt. Damit schließt sich der Senat der Auffassung des I. Senats des BFH in dessen Urteil vom 22. August 2012 I R 9/11 zur Mindestbesteuerung nach § 10d EStG und § 10a Sätze 1 und 2 GewStG an. Er nimmt ergänzend zu den nachfolgenden Ausführungen auf das Urteil des I. Senats mit seiner umfassenden Darstellung der in Schrifttum und Rechtsprechung vertretenen Auffassungen Bezug.

42

aa) Die Einführung der Mindestbesteuerung bedeutet zunächst insoweit eine Änderung der Konzeption des GewStG, als bisher Verluste bis zur Höhe späterer Gewinne desselben Betriebs immer vollständig abgezogen werden konnten. Die Festsetzung eines Gewerbesteuermessbetrags war ausgeschlossen, soweit nach dem Verlust insgesamt kein den Verlust übersteigender Gewerbeertrag erzielt wurde. Nach § 10a Sätze 1 und 2 GewStG ist die Festsetzung eines Gewerbesteuermessbetrags nicht mehr in jedem Fall ausgeschlossen.

43

Zu dieser Änderung des Besteuerungskonzepts und damit der Belastungsgrundentscheidung war der Gesetzgeber befugt. Sie beruht auf einem sachlichen Grund, der in der Verstetigung des Aufkommens öffentlicher Haushalte, insbesondere kommunaler Haushalte zu sehen ist. Zur Erreichung dieses Ziels ist das gewählte System der Mindestbesteuerung geeignet, denn die Verhinderung einer sofortigen Verrechnung hoher Verluste mit hohen Gewerbeerträgen kann eine Aufkommensglättung bewirken. Von der Änderung der Belastungsgrundentscheidung sind alle Steuersubjekte der Gewerbesteuer in gleicher Weise betroffen. Der Gleichheitssatz ist insoweit nicht verletzt, so dass es in diesem Zusammenhang keines besonderen Rechtfertigungsgrunds (etwa in Gestalt eines qualifizierten Fiskalzwecks, vgl. Desens, Finanz-Rundschau 2011, 745, 749) bedürfte.

44

bb) Nach dem gesetzgeberischen Plan soll § 10a Sätze 1 und 2 GewStG nicht zu einem endgültigen Wegfall von ausgleichsfähigen Fehlbeträgen aus vorangegangenen Erhebungszeiträumen führen. Die Regelung beinhaltet danach keine Beschränkung des Abzugs der während der Dauer der unternehmerischen Tätigkeit entstandenen Betriebsausgaben. Insoweit verstößt § 10a Sätze 1 und 2 GewStG nicht gegen das objektive Nettoprinzip. Zu einer Verletzung des objektiven Nettoprinzips kann es nur mittelbar dann kommen, wenn die zeitliche Hinauszögerung des Verlustabzugs im Ergebnis zur Folge hat, dass der ansonsten abziehbare Verlust überhaupt nicht mehr abgezogen werden kann. Verluste setzen sich aus verschiedenen Bestandteilen zusammen, die zu einem geminderten Betriebsvermögen führen. Sie ergeben sich aus einem Überschuss der Betriebsausgaben über die Betriebseinnahmen und beinhalten auch vom objektiven Nettoprinzip geschützte Betriebsausgaben.

45

Zins- und Liquiditätsnachteile, die durch einen zeitlich hinausgeschobenen Abzug von Betriebsausgaben eintreten, verletzen das objektive Nettoprinzip grundsätzlich nicht. Eine Ausnahme wird davon allenfalls dann zu machen sein, wenn die zeitliche Verzögerung den Betriebsausgabenabzug für den Steuerpflichtigen wirtschaftlich wertlos macht, weil der Zinsnachteil die durch den Abzug ausgelöste Steuerminderung nahezu aufwiegt. Von einer derartigen Entwertung des Abzugs kann nach der Ausgestaltung des § 10a Sätze 1 und 2 GewStG nicht die Rede sein, denn Sockelbetrag und prozentualer Zusatzabzug sichern in jedem Erhebungszeitraum erhebliche Abzugsbeträge, die einerseits zu einer sofortigen Steuerminderung führen und andererseits den Abbau auch größerer Verlustvorträge in einem überschaubaren Zeitraum regelmäßig ermöglichen sollten.

46

cc) Die mittelbar durch eine steuergesetzliche Regelung eintretende Verletzung des objektiven Nettoprinzips bedarf in ähnlicher Weise einer Rechtfertigung wie eine vom Gesetz gezielt vorgenommene Verletzung. Unbeabsichtigte wie beabsichtigte Eingriffe in das objektive Nettoprinzip können aber durch die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers gerechtfertigt sein.

47

Den Anforderungen, die an die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers zu stellen sind, genügt die gewerbesteuerliche Mindestbesteuerung nach § 10a Sätze 1 und 2 GewStG.

48

(1) Für die Streckung des Verlustabzugs konnte generalisierend an die Höhe des im Erhebungszeitraum erzielten Gewerbeertrags angeknüpft werden. Dabei ist durch die Verknüpfung eines statischen (Sockelbetrag) und eines dynamischen (prozentualer Abzug) Elements sichergestellt, dass kein Steuerpflichtiger in einem Erhebungszeitraum mit positivem Gewerbeertrag vollständig vom Verlustabzug ausgeschlossen ist und der Verlustabzug zugleich unter Beachtung des Erfordernisses vertikaler Gleichheit vorgenommen werden kann. Soweit es durch die Streckung nicht zu einem endgültigen Wegfall von Verlustvorträgen kommt, musste der Gesetzgeber im Rahmen der Typisierung keine weiteren Kriterien berücksichtigen.

49

(2) Anders verhält es sich allerdings mit den vorhersehbaren Fällen, in denen die Streckung zugleich zu einem endgültigen Untergang des Verlustvortrags führt.

50

(a) Es war abzusehen, dass es unter zwei Voraussetzungen zu einer durch die Streckung veranlassten definitiven Belastung mit Gewerbesteuer kommen kann. Einerseits kann die Verrechnung des gestreckten Verlustbetrags unmöglich werden, wenn in den auf den beschränkten Abzug eines Verlustvortrags folgenden Erhebungszeiträumen keine weiteren positiven Gewerbeerträge erzielt werden. Andererseits kann der Ergebnisverlauf eines Unternehmens so strukturiert sein, dass ein positiver Gewerbeertrag nur im letzten Jahr der werbenden Tätigkeit erzielt wird und die in den Vorjahren aufgelaufenen Verlustvorträge wegen der Abzugsbeschränkung nicht vollständig von dem positiven Gewerbeertrag des letzten Jahres abgezogen werden können. Diese Fälle der unbeabsichtigten Verletzung des objektiven Nettoprinzips durften bei einer Typisierung nicht außer Acht gelassen werden.

51

(b) Die Gesetzesmaterialien lassen erkennen, dass die an der Gesetzgebung beteiligten Organe Fälle der Definitivbesteuerung infolge der Mindeststeuer erkannt und bei der Ausgestaltung des Gesetzes berücksichtigt haben.

52

Am 26. September 2003 führte der Finanzausschuss des Deutschen Bundestages eine öffentliche Anhörung zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz (StVergAbGProtUmsG) durch, deren Gegenstand auch die Mindeststeuer war (im Einzelnen Wortprotokoll des Finanzausschusses, Nr. 15/30). Dabei legten Sachverständige dar, dass die Gesetzesbegründung, wonach es nur um eine Streckung und nicht um endgültige Verluste gehe, "klar nicht richtig" sei. In zyklischen Branchen müsste in Gewinnphasen der Gewinn immer doppelt so hoch sein wie die vorhergehenden Verluste, was unrealistisch sei (Wortprotokoll, Nr. 15/30, S. 3). Die Mindestbesteuerung führe letztendlich zu einer Substanzbesteuerung (Wortprotokoll, Nr. 15/30, S. 4). Insbesondere bei "Start-ups", die immaterielle Wirtschaftsgüter produzierten, bei Projektgesellschaften in der Bauwirtschaft und bei der Errichtung großer Anlagen (z.B. Stahlwerk) könne es zu einer dauerhaften Substanzbesteuerung kommen (Wortprotokoll, Nr. 15/30, S. 16 f. sowie S. 39 bis 41). Das führe zu einer extremen Gefährdung des Mittelstandes und der "Start-ups"; zu deren Schutz müsse der Sockelbetrag mindestens verzehnfacht werden (Wortprotokoll, Nr. 15/30, S. 39).

53

(3) Die gegenüber dem Gesetzentwurf geäußerten Bedenken haben offensichtlich zur Folge gehabt, dass der Sockelbetrag von 100.000 € auf 1 Mio. € verzehnfacht und der Prozentsatz für den Restbetrag von 50 auf 60 % angehoben worden ist. Der erkennende Senat kann anhand des ihm zugänglichen Zahlenmaterials nicht sicher erkennen, ob der Gesetzgeber davon ausgehen durfte, mit den vorgenommenen Anpassungen bezogen auf die Zahl der betroffenen Fälle und die Höhe der definitiv anfallenden Steuer im typischen Anwendungsfall der Mindeststeuer keine besonders belastende Definitivbesteuerung zu bewirken.

54

Einer genaueren Prüfung dieser Frage bedarf es jedoch nicht.

55

(a) Bereits der Umfang der Anpassung spricht dafür, dass eine große Zahl kritischer Fälle nun von einer Definitivbesteuerung verschont bleibt. Dies wird auch dadurch gestützt, dass die Anpassung im Umfang dem entspricht, was im Rahmen der Anhörung sachverständig geäußert wurde. Zu berücksichtigen ist dabei zudem, dass wegen der besonderen Ausgestaltung der Gewerbesteuer als Objektsteuer Verlustvorträge häufiger als bei der Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer bereits ungeachtet der Wirkungen von § 10a Sätze 1 und 2 GewStG untergehen.

56

(b) Es ist nicht zu erkennen, dass durch eine gesetzliche Regelung eine Definitivbelastung in allen verbleibenden denkbaren Einzelfällen hätte ausgeschlossen werden können, ohne das System der Mindestbesteuerung insgesamt aufzugeben und ohne zugleich weitere Verletzungen des Gleichheitssatzes zu bewirken. Kommt es zur Definitivbelastung, weil einem beschränkten Verlustabzug keine weiteren positiven Gewerbeerträge folgen, lässt sich im Jahr der Mindestbesteuerung nicht erkennen, ob und aus welchen Gründen kein weiteres Potenzial für die Verrechnung des gestreckten Verlusts entstehen wird. Würde sich rückwirkend die beschränkte Verlustverrechnung als Ursache für die Definitivbelastung erweisen, könnte die Belastung nur durch eine Korrektur der seinerzeitigen Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags beseitigt werden. Dies käme aber einem Verlustrücktrag nahe, der in dem System der Gewerbesteuer bewusst nicht vorgesehen ist. Wäre Ursache für die Definitivbelastung der Umstand, dass ein positiver Gewerbeertrag nur im letzten Jahr der werbenden Tätigkeit entsteht, würde eine Ausnahme von der Abzugsbeschränkung für derartige Fälle zu einer Ungleichbehandlung mit solchen Unternehmen führen, in denen es trotz gleichförmiger Ergebnisentwicklung zu einer Definitivbelastung kommt.

57

(c) Unter diesen Umständen durfte der Gesetzgeber sich darauf verlassen, dass in den nach Anhebung des Sockelbetrags und des Prozentsatzes für den zusätzlich abziehbaren Betrag nun zahlenmäßig deutlich reduzierten Fällen besondere Härten, die allein von der durch die Verluststreckung ausgelösten Definitivbelastung herrühren, durch Billigkeitsmaßnahmen vermieden werden können. Die Möglichkeit von Billigkeitsmaßnahmen in besonderen Einzelfällen flankiert die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers und gestattet ihm, eine typisierende Regelung zu treffen, bei der Unsicherheiten über Zahl und Intensität der von der typisierenden Regelung nachteilig betroffenen Fälle mit zumutbarem Aufwand nicht beseitigt werden können.

58

5. Die Mindestbesteuerung nach § 10a Sätze 1 und 2 GewStG verletzt auch keine verfassungsrechtlich geschützten Freiheitsrechte.

59

Der Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG ist allerdings betroffen, weil die Gewährleistung des Art. 14 Abs. 1 GG den Grundrechtsträger auch dann schützt, wenn Steuerpflichten --wie im Einkommen- und Gewerbesteuerrecht-- an den Hinzuerwerb von Eigentum anknüpfen (BVerfG-Beschluss vom 18. Januar 2006  2 BvR 2194/99, BVerfGE 115, 97, Rz 33 ff.). Der Eingriff in das Grundrecht ist aber als Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG gerechtfertigt (ebenso FG Hamburg, Urteil vom 2. November 2011  1 K 208/10, EFG 2012, 434, unter I.2.b der Gründe).

60

Die sich aus den Grundsätzen des Verhältnismäßigkeitsprinzips ergebenden Obergrenzen für die Steuerbelastung werden nicht überschritten. Maßgeblich für die Frage der Übermaßbesteuerung ist der im betroffenen Erhebungszeitraum erzielte Gewerbeertrag. § 10a Sätze 1 und 2 GewStG beschränkt zwar die Berücksichtigung der vortragsfähigen Fehlbeträge und kann sich damit auf die Höhe der Gewerbesteuer auswirken. Eine Übermaßbelastung scheidet jedoch aus. Selbst wenn im Erhebungszeitraum ein den Sockelbetrag von 1 Mio. € übersteigender positiver Gewerbeertrag erwirtschaftet wurde, werden lediglich 40 % des übersteigenden, im Erhebungszeitraum erwirtschafteten Gewerbeertrags zur Gewerbesteuer herangezogen.

61

6. Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, dass die Einführung der Mindestbesteuerung nicht mit einer Übergangsregelung versehen ist.

62

a) Die Einfügung der Sätze 1 und 2 in § 10a GewStG durch das GewStGuaÄndG wurde nicht mit einer besonderen Anwendungsregelung in § 36 GewStG verbunden. Die Neuregelung trat am 1. Januar 2004 in Kraft (Art. 4 GewStGuaÄndG). Nach der Generalklausel des § 36 Abs. 1 GewStG in seiner damaligen, durch das StVergAbGProtUmsG vom 22. Dezember 2003 (BStBl II 2003, 2840) geschaffenen Fassung galt die Mindestbesteuerung gemäß § 10a Sätze 1 und 2 GewStG erstmals für den gesamten Erhebungszeitraum 2004.

63

Die Anwendung des § 10a Sätze 1 und 2 GewStG im Erhebungszeitraum 2004 bedeutet, dass vortragsfähige Verluste aus vorhergehenden Erhebungszeiträumen erstmals im Jahr 2004 nur noch in den neu gezogenen Grenzen abgezogen werden konnten. Im Hinblick auf die bei Inkrafttreten der Neuregelung bestehenden Verlustvorträge ist dies als eine tatbestandliche Rückanknüpfung anzusehen. Diese ist nicht grundsätzlich unzulässig. Nach der jüngsten Rechtsprechung des BVerfG muss der Gesetzgeber aber, soweit er für künftige Rechtsfolgen an zurückliegende Sachverhalte anknüpft, dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maß Rechnung tragen. Die Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden, und das Vertrauen des Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage sind abzuwägen (BVerfG-Beschlüsse vom 7. Juli 2010  2 BvL 1/03, 2 BvL 57/06, 2 BvL 58/06, BVerfGE 127, 31; 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BVerfGE 127, 1; 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, BVerfGE 127, 61).

64

b) Die Erstreckung der Mindestbesteuerung auf bereits aufgelaufene Verlustvorträge war hier erklärtes Ziel des Gesetzgebers, denn die Streckung der Verlustvorträge sollte sofort haushaltswirksam werden (s. BTDrucks 15/1517, S. 15). Eine Übergangsregelung kam aus der Sicht des Gesetzgebers deshalb nicht in Frage.

65

Schutzwürdiges Vertrauen der Steuerpflichtigen wurde dadurch nicht enttäuscht. Denn der Verlustvortrag beinhaltet noch keine geschützte Vermögensposition, weil ein vorgetragener Verlust erst dann und nur in dem Umfang für den Steuerpflichtigen günstige Wirkungen entfalten kann, wenn und soweit später Gewinne erzielt werden, die mit den Verlusten ausgeglichen werden können und zudem über ggf. zu gewährende Freibeträge hinausgehen. Danach genießen weder die Erwartung, den Verlust in einem bestimmten Zeitraum abziehen zu können, noch die Hoffnung darauf, bis zum Ende der Steuerpflicht alle Verlustvorträge verrechnen zu können, einen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz. Sie stehen dem Interesse des Gesetzgebers an einer sofortigen Streckung der Verrechnung bereits aufgelaufener Verluste nicht entgegen, und zwar auch nicht unter dem Aspekt, dass die Verluststreckung zugleich das Risiko einer endgültig ausfallenden Verlustverrechnung erhöht (ebenso BFH-Urteil vom 22. August 2012 I R 9/11, m.w.N.).

66

7. Ist § 10a Sätze 1 und 2 GewStG danach bereits in seiner allgemeinen Grundsätzen folgenden Auslegung als mit der Verfassung vereinbar zu beurteilen, bleibt kein Raum für eine von der Klägerin begehrte verfassungskonforme Auslegung.

67

Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG ist ein Gesetz nicht verfassungswidrig, wenn eine Auslegung möglich ist, die im Einklang mit dem GG steht, und das Gesetz bei dieser Auslegung sinnvoll bleibt (erstmals BVerfG-Beschluss vom 7. Mai 1953  1 BvL 104/52, BVerfGE 2, 266, Leitsatz 4). Lassen der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen und deren Sinn und Zweck mehrere Deutungen zu, von denen eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt, so ist diese geboten (z.B. BVerfG-Beschluss vom 9. August 1978  2 BvR 831/76, BVerfGE 49, 148, unter B.I.2.b der Gründe). Art. 20 Abs. 3 GG verpflichtet die Gerichte, "nach Gesetz und Recht" zu entscheiden. Eine bestimmte Auslegungsmethode (oder gar eine reine Wortinterpretation) schreibt die Verfassung nicht vor. Eine Rechtsfortbildung "praeter legem" bedarf zwar sorgfältiger Begründung, ist jedoch nicht von vornherein ausgeschlossen (BVerfG-Beschluss vom 30. März 1993  1 BvR 1045/89, 1 BvR 1381/90, 1 BvL 11/90, BVerfGE 88, 145, unter C.II.1. der Gründe).  

68

Eine verfassungskonforme Auslegung kommt danach nur in Betracht, wenn von mehreren Auslegungsmöglichkeiten eine zur Verfassungswidrigkeit führen würde. In seiner vom Senat vertretenen Auslegung ist § 10a Sätze 1 und 2 GewStG indessen nach den vorstehenden Erwägungen mit der Verfassung vereinbar (ebenso BFH-Urteil vom 22. August 2012 I R 9/11). Für eine verfassungskonforme Auslegung besteht demgemäß insoweit kein Anlass.

69

8. Das angefochtene Urteil entspricht den vorstehend erläuterten Grundsätzen. Die Revision der Klägerin hat daher keinen Erfolg.

Tatbestand

1

A. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war Insolvenzverwalter in dem am 28. Juli 2005 eröffneten und am 19. November 2012 nach vollzogener Schlussverteilung aufgehobenen Insolvenzverfahren über das Vermögen der B-GmbH. Unternehmensgegenstand der 1992 errichteten B-GmbH war die Erbringung von Dienstleistungen aller Art im Zusammenhang mit der Durchführung einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme einschließlich des An- und Verkaufs von bebauten und unbebauten Grundstücken, der Erarbeitung von wirtschaftlichen Nutzungskonzepten für Entwicklungsgebiete sowie deren Umsetzung und die Übernahme der wirtschaftlichen Betreuung von Entwicklungs- und Erschließungsmaßnahmen.

2

Die B-GmbH schloss am 16. Oktober 1992 (mit einem Nachtrag vom 1. Januar 1998) eine Kooperationsvereinbarung mit der D-GmbH, die vom Land X mit der Durchführung der vorstehend genannten städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme betraut worden war. Die B-GmbH sollte die für die Aufgaben der D-GmbH erforderlichen Grundstücke soweit wie möglich auf eigene Rechnung erwerben. Die Planung ging dahin, dass sich die Gesamtkosten der Entwicklungsmaßnahme einschließlich der der B-GmbH zustehenden Vergütung aus der Differenz zwischen Ein- und Verkaufspreis der Grundstücke sowie eventuellen Erlösen aus der Grundstücksbewirtschaftung decken lassen würden. Im Übrigen sollte die B-GmbH die Differenz zwischen Ein- und Verkaufspreis bei den Grundstücksgeschäften unter Abzug der ihr entstandenen Kosten an die D-GmbH abführen. In der Folgezeit kam es zu langwierigen Auseinandersetzungen und Rechtsstreitigkeiten zwischen der B-GmbH und der D-GmbH, die im Ergebnis mit einer "Vereinbarung über die Abgeltung von Ansprüchen" endeten. Die D-GmbH hat danach "unter Mithaftung des Landes X" an den Kläger denjenigen Betrag zu zahlen, der der Summe aller im Insolvenzverfahren über das Vermögen der B-GmbH zu berücksichtigenden Masseverbindlichkeiten (Massekosten und sonstige Masseverbindlichkeiten) und Insolvenzforderungen entspricht. Dies folge daraus, dass die B-GmbH zu keinem Zeitpunkt andere wirtschaftliche Tätigkeiten ausgeübt habe und keine anderen Verbindlichkeiten eingegangen sei als solche, die der Erfüllung der in der Kooperationsvereinbarung niedergelegten Aufgaben dienten. Im Zuge der Auseinandersetzungen hatte die B-GmbH eine von ihr (aktivierte) Ausgleichsforderung gegenüber der D-GmbH in Höhe von 44.187.069 € zunächst --im Jahresabschluss zum 31. Dezember 2004-- wertberichtigt und vollständig abgeschrieben. Daraus errechnete sich ein Jahresfehlbetrag von 46.618.630 €. Im Jahresabschluss zum 31. Dezember 2006 wurde diese Abschreibung infolge Wertaufholung rückgängig gemacht, wodurch sich zum 31. Dezember 2006 ein Jahresüberschuss von 74.691.354 € ergab.

3

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) setzte die Körperschaftsteuer 2008 auf Basis des hiernach ermittelten Gesamtbetrags der Einkünfte von 78.162.546 € nach Maßgabe von § 11 Abs. 7 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG 2002) für den Abwicklungszeitraum vom 28. Juli 2005 bis zum 31. Juli 2008 erklärungsgemäß fest. Die aufgelaufenen Verluste in Höhe von 72.353.821 € berücksichtigte er dabei unter Anwendung von § 8 Abs. 1 KStG 2002 i.V.m. § 10d Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz vom 22. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2840, BStBl I 2004, 14) --EStG 2002 n.F.-- nur in Höhe von 47.297.528 €. Den nach Maßgabe von § 7 Satz 1 des Gewerbesteuergesetzes in der in den Streitjahren anzuwendenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes und anderer Gesetze vom 23. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2922, BStBl I 2004, 20) --GewStG 2002 n.F.-- ermittelten Gewerbeertrag verteilte das FA nach § 16 Abs. 1 und 2 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung 2002 zeitanteilig auf den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 30. Juli 2008. Es berücksichtigte also in 2006 und in 2007 jeweils 26.054.182 € und in 2008 15.198.272 €, erhöht um die hälftige Hinzurechnung sog. Dauerschuldentgelte gemäß § 8 Nr. 1 GewStG 2002 a.F. (in Höhe von 6.005.861 € in 2006, von 5.560.866 € in 2007 und von 3.243.500 € in 2008) und setzte die Gewerbesteuermessbeträge 2006 bis 2008 entsprechend fest. Die aus den Steuerbescheiden resultierenden Forderungen wurden von der D-GmbH bezahlt.

4

Die (u.a.) dagegen gerichtete Klage blieb erfolglos. Sie wurde vom Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg durch Urteil vom 18. April 2012  12 K 12179/09, 12 K 12177/10 abgewiesen; das Urteil ist in Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst (DStRE) 2013, 413 abgedruckt.

5

Der Kläger rügt mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts. Er beantragt, unter Aufhebung des FG-Urteils die Gewerbesteuermessbescheide 2006 bis 2008 und den Körperschaftsteuerbescheid 2008 dahingehend abzuändern, dass die Gewerbesteuermessbeträge jeweils auf 0 € und die Körperschaftsteuer ebenfalls auf 0 € festgesetzt werden.

6

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

7

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten (§ 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--); es hat sich, ohne einen Antrag zu stellen, in der Sache dem FA angeschlossen.

Entscheidungsgründe

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B. Die Aussetzung des Verfahrens und die Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sind gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht geboten. Der Senat ist zwar der Ansicht, dass die sog. Mindestbesteuerung nach § 8 Abs. 1 KStG 2002 i.V.m. § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F. und nach § 10a Satz 2 GewStG 2002 n.F. in ihrer Grundkonzeption der zeitlichen Streckung von Verlustvorträgen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Er ist aber davon überzeugt, dass die Regelungen wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verfassungswidrig sind, soweit sie durch den Ausschluss eines Verlustausgleichs den Kernbereich einer Nettoertragsbesteuerung verletzen.

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I. Zulässigkeit der Revision

Die Revision ist zulässig. Der Kläger ist zur Prozessführung befugt; es handelt sich um einen sog. Aktivprozess, den der Kläger mit Blick auf eine mögliche Nachtragsverteilung (§ 203 Abs. 1 der Insolvenzordnung --InsO--) für die durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelöste GmbH auch nach einer Schlussverteilung (§ 196 InsO) und der sich daran anschließenden Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 200 Abs. 1 InsO) fortführen kann. Der Senat verweist insoweit auf die Gründe seines Urteils vom 26. Februar 2014 in der (abgetrennten) Sache I R 12/14.

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II. Anwendung der sog. Mindestbesteuerung im Streitfall

Die Revision ist aber nach der Maßgabe einfachen Rechts nicht begründet und wäre daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

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1. Zum einen hat das FA bei der Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer 2008 (Abwicklungszeitraum 28. Juli 2005 bis 31. Juli 2008) sowie der Gewerbesteuermessbeträge 2006 bis 2008 ohne Rechtsfehler berücksichtigt, dass die Einbuchung einer Forderung der B-GmbH gegen die D-GmbH erfolgswirksam und nicht als ergebnisneutrale Berichtigung eines früheren Bilanzierungsfehlers in der ersten noch offenen Schlussbilanz zu berücksichtigen ist. Im Einzelnen ergibt sich auch das aus dem Urteil des Senats vom 26. Februar 2014 über das Revisionsverfahren I R 12/14, auf das insoweit verwiesen wird.

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2. Zum anderen --und vor allem-- hat das FA die gesetzlichen Regelungen der sog. Mindestbesteuerung (§ 8 Abs. 1 KStG 2002 i.V.m. § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F., § 10a Satz 1 und 2 GewStG 2002 n.F.) ohne Rechtsfehler angewendet. Dies wird auch von den Beteiligten nicht in Zweifel gezogen.

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a) Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz beseitigte der Gesetzgeber zwar die bestehenden Einschränkungen des innerperiodischen Verlustausgleichs im Rahmen von § 2 Abs. 3 EStG 2002. Er verschärfte aber die Beschränkung des überperiodischen Verlustabzugs nach § 10d Abs. 2 EStG 2002 n.F.: Verluste, die weder im Veranlagungszeitraum ihrer Entstehung noch im Wege des Verlustrücktrags ausgeglichen werden konnten, sind ab dem Veranlagungszeitraum 2004 (§ 52 Abs. 25 Satz 3 EStG 2002 n.F.) im Rahmen des Verlustvortrags nur noch begrenzt verrechnungsfähig. Gemäß § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F. können sie nur noch bis zu einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 1 Mio. € unbeschränkt abgezogen werden. Darüber hinaus gehende negative Einkünfte aus früheren Veranlagungszeiträumen sind nur noch in Höhe von 60 % des 1 Mio. € übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte ausgleichsfähig. Im Ergebnis werden 40 % des positiven Gesamtbetrags der laufenden Einkünfte eines Veranlagungszeitraums unabhängig von etwaigen Verlusten in früheren Perioden der Besteuerung unterworfen, soweit sie die Schwelle von 1 Mio. € überschreiten.

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b) Diese Neuerungen im Bereich der Einkommensteuer (sog. Mindestbesteuerung) sind auch bei der Veranlagung der B-GmbH zur Körperschaftsteuer im Streitjahr zu beachten (§ 8 Abs. 1 KStG 2002; § 11 Abs. 7 i.V.m. Abs. 1 und 6 KStG 2002), ebenso die eigenständige (aber in der Sache gleichlautende) Einschränkung des gewerbesteuerrechtlichen Verlustvortrags bei der Ermittlung des Gewerbesteuermessbetrags der B-GmbH durch § 10a Satz 1 und 2 GewStG 2002 n.F. Dabei ist auch im mehrjährigen körperschaftsteuerrechtlichen Besteuerungszeitraum der Abwicklung einer Kapitalgesellschaft nach § 11 Abs. 1 Satz 2 KStG 2002 (im Streitfall: 28. Juli 2005 bis 31. Juli 2008) der sog. Sockelbetrag der Mindestbesteuerung von 1 Mio. € nur einmal und nicht mehrfach --für jedes Kalenderjahr des verlängerten Besteuerungszeitraums-- anzusetzen (Senatsurteil vom 23. Januar 2013 I R 35/12, BFHE 240, 140, BStBl II 2013, 508).

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III. Verfassungsrechtliche Beurteilung

Auf der Grundlage der vorstehenden Auslegungsergebnisse müsste der erkennende Senat, die Verfassungsmäßigkeit des § 10d Abs. 2 EStG 2002 n.F. und des § 10a Satz 2 GewStG 2002 n.F. unterstellt, die Revision als unbegründet zurückweisen. Der Senat hält in diesem Zusammenhang auch daran fest, dass die sog. Mindestbesteuerung in ihrer Grundkonzeption einer zeitlichen Streckung des Verlustvortrags ungeachtet von dadurch ausgelösten Zins- und Liquiditätsnachteilen nicht gegen Verfassungsrecht verstößt, da insoweit die Abzugsfähigkeit von Verlusten nicht in ihrem Kernbereich betroffen oder gänzlich ausgeschlossen wird. Dieser Kernbereich wird nach Auffassung des Senats indessen durch § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F. und § 10a Satz 2 GewStG 2002 n.F. dann verletzt, wenn ein sog. Definitiveffekt eintritt, d.h. wenn es zu einer vollständigen Beseitigung der Abzugsmöglichkeit oder zu einem Ausschluss des Verlustausgleichs kommt. Der Senat ist deswegen davon überzeugt, dass die Mindestbesteuerung in derartigen Situationen gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt.

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1. Die sog. Mindestbesteuerung in ihrer Grundkonzeption einer zeitlichen Streckung des Verlustvortrags verstößt ungeachtet von dadurch ausgelösten Zins- und Liquiditätsnachteilen nicht gegen Verfassungsrecht.

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a) Die normative und systematische Grundlegung sowie die einschlägige Rechtsprechung des BVerfG und des Bundesfinanzhofs (BFH) und die Auseinandersetzung im Schrifttum stellen sich für den streitigen Gesamtkomplex der Mindestbesteuerung wie folgt dar:

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aa) Aus dem generellen verfassungsrechtlichen Maßstab des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) lässt sich für die direkten Steuern sowohl ein systemtragendes Prinzip ableiten --die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuersubjekts-- als auch das Gebot, dieses Prinzip bei der Ausgestaltung des einfachen Rechts folgerichtig umzusetzen (s. nur BVerfG-Beschluss vom 12. Oktober 2010  1 BvL 12/07, BVerfGE 127, 224, Rz 50 f., m.w.N.). Zur Ermittlung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuersubjekts bedarf es eines Ausgleichs zwischen den vom ihm erwirtschafteten besteuerbaren Einnahmen und den zur Erzielung dieser Einnahmen aufgewendeten Ausgaben. Das damit beschriebene ("objektive") Nettoprinzip ist jedenfalls einfachgesetzlich in § 2 Abs. 2 EStG 2002 angelegt (s. BVerfG-Beschluss vom 12. Mai 2009  2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111, Rz 27 f.) und auf der Grundlage der Verweisung in § 8 Abs. 1 KStG 2002 auch im Bereich der Körperschaftsteuer anzuwenden (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 127, 224, Rz 57 f.; s.a. Hey, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2009, Beihefter zu Nr. 34, 109, 110; Heger, ebenda, S. 117, 118; Heuermann, Finanz-Rundschau --FR-- 2012, 435, 436). Für die Gewerbesteuer gilt infolge der Verweisung in § 7 Satz 1 GewStG 2002 auf die Grundsätze der ertragsteuerrechtlichen Gewinnermittlung als Grundlage für die Ermittlung des Gewerbeertrags (vor Hinzurechnungen bzw. Kürzungen) nichts anderes (BFH-Beschluss vom 27. Januar 2006 VIII B 179/05, BFH/NV 2006, 1150, zu II.2.a bb; Hey, DStR 2009, Beihefter zu Nr. 34, 109, 115; Kube, DStR 2011, 1781, 1789; Desens, FR 2011, 745, 746; Röder, Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht, 2010, S. 232; s.a. FG Hamburg, [Vorlage-]Beschluss vom 29. Februar 2012  1 K 138/10, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2012, 960, Rz 99, 101); allerdings hält das BFH-Urteil vom 20. September 2012 IV R 36/10 (BFHE 238, 429, BStBl II 2013, 498) unter Hinweis auf den "Charakter der Gewerbesteuer" insoweit Einschränkungen für möglich.

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bb) Das Periodizitätsprinzip des § 2 Abs. 7 Satz 1 und 2 EStG 2002 (bzw. des § 7 Abs. 3 Satz 1 und 2 KStG 2002, § 14 Satz 2 GewStG 2002) beschränkt das Nettoprinzip des § 2 Abs. 2 EStG 2002 nicht: Ein Abzug von Erwerbsaufwendungen ist auch dann zuzulassen, wenn die Erwerbsaufwendungen nicht im Veranlagungs- oder Erhebungszeitraum des Zugangs der Erwerbseinnahmen anfallen (BVerfG-Beschlüsse vom 22. Juli 1991  1 BvR 313/88, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1992, 423; vom 30. September 1998  2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88). Dies kommt einfachgesetzlich in Regelungen zum sog. periodenübergreifenden Verlustausgleich zum Ausdruck (§ 10d EStG 2002, § 10a GewStG 2002). Die Möglichkeit des periodenübergreifenden Verlustausgleichs begründet aber nicht ihrerseits eine Bedingung der (Ertrags-)Besteuerung in der Weise, dass jene erst dann gerechtfertigt ist, wenn das Steuersubjekt gemessen an der Gesamtdauer seines einkommensbezogenen Tätigwerdens bzw. seiner wirtschaftlichen Existenz tatsächlich einen Zuwachs wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit erzielt (s. Desens, FR 2011, 745, 746 f.; s.a. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 17. Dezember 2007 GrS 2/04, BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608; Heuermann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 10d Rz A 86; derselbe, FR 2012, 435, 440 f.; Drüen, Periodengewinn und Totalgewinn, 1999, S. 103 f.). Eine solche Bedingung würde einem sachangemessenen Ausgleich der widerstreitenden Prinzipien (im Sinne einer wechselseitigen Begrenzung von Periodizitäts- und Nettoprinzip, s. insbesondere BVerfG-Beschluss in HFR 1992, 423) nicht entsprechen (Desens, FR 2011, 745, 747 f.; Heuermann, FR 2012, 435, 436 ff.; Drüen, a.a.O., S. 96 ff.).

20

cc) Die sog. Mindestbesteuerung beschränkt die Wirkung des periodenübergreifenden Verlustausgleichs (nur) "der Höhe nach". Die Begründung zum Regierungsentwurf des § 10d Abs. 2 EStG 2002 n.F. (BTDrucks 15/1518, S. 13) weist darauf hin, dass durch die sog. Mindestbesteuerung "keine Verluste endgültig verloren" gingen (zur "zeitlichen Streckung des Verlustabzugs" s.a. die Stellungnahme der Bundesregierung, BTDrucks 17/4653, S. 2). Seine eigentlichen Beweggründe für die Regelungsänderung offenbart der Gesetzgeber dann aber darin, dass "der Grund für die Beschränkung ... in dem gewaltigen Verlustvortragspotential der Unternehmen zu sehen (sei), das diese vor sich herschieben. Um das Steueraufkommen für die öffentlichen Haushalte kalkulierbar zu machen, ist es geboten, den Verlustvortrag zu strecken. Nur so ist auf Dauer eine Verstetigung der Staatseinnahmen gewährleistet". Damit ist dem Regierungsentwurf zu § 10d Abs. 2 EStG 2002 n.F. (ebenso zu § 10a GewStG 2002 n.F.: BTDrucks 15/1517, S. 19) eine ausschließlich fiskalischen Interessen geschuldete Begründung beigestellt worden (s.a. Dorenkamp, Systemgerechte Neuordnung der Verlustverrechnung - Haushaltsverträglicher Ausstieg aus der Mindestbesteuerung, in Institut "Finanzen und Steuern", Schrift Nr. 461, 2010, S. 27 ff.). Später wird allerdings ergänzend in einer Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage ausgeführt, die "zeitliche Streckung des Verlustabzugs soll(e) eine Mindestgewinnbesteuerung aktiver Einkünfte sicherstellen. Die Maßnahme dient der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage, trifft dabei aber insbesondere diejenigen Steuerpflichtigen, die Steuervergünstigungen und Steuerschlupflöcher ausnutzen" (Bundesregierung, BTDrucks 17/4653, S. 2 [zu Frage 1]).

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dd) Das BVerfG hat sich bereits mehrfach --wenn auch noch nicht mit Blick auf § 10d Abs. 2 EStG 2002 n.F.-- zu Einschränkungen des periodenübergreifenden Verlustausgleichs bzw. der Verlustverrechnung geäußert. Danach ist ein uneingeschränkter Verlustvortrag verfassungsrechtlich nicht garantiert. Die Beschränkung des Verlustvortrags auf bestimmte Einkunftsarten und damit der Ausschluss anderer Einkunftsarten von jeglichem Verlustvortrag ist ebenso wenig verfassungsrechtlich zu beanstanden (BVerfG-Beschluss vom 8. März 1978  1 BvR 117/78, HFR 1978, 293) wie die Beschränkung des Verlustvortrags auf bestimmte, durch Betriebsvermögensvergleich ermittelte Betriebsverluste (BVerfG-Beschluss in HFR 1978, 293; vgl. auch BVerfG-Beschluss vom 30. Oktober 1980  1 BvR 785/80, HFR 1981, 181). Nach der Rechtsprechung des BVerfG bestehen ferner unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit keine Bedenken gegen eine Beschränkung des Verlustabzugs auf einen einjährigen Verlustrücktrag und einen fünfjährigen Verlustvortrag (BVerfG-Beschluss in HFR 1992, 423). Allerdings hat das Gericht im Beschluss in BVerfGE 99, 88 den völligen Ausschluss der Verlustverrechnung bei laufenden Einkünften aus der Vermietung beweglicher Gegenstände (§ 22 Nr. 3 Satz 3 EStG 1983) für verfassungswidrig erklärt.

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ee) Nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. dazu insbesondere die Nachweise im Senatsurteil vom 22. August 2012 I R 9/11, BFHE 238, 419, BStBl II 2013, 512) bestehen im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich insoweit keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer Verlustausgleichsbeschränkung, als der Verlustausgleich nicht versagt, sondern lediglich zeitlich gestreckt wird. Eine Verlagerung des Verlustausgleichs auf spätere Veranlagungszeiträume ist im Hinblick darauf nicht zu beanstanden, dass das Grundrecht des Art. 3 Abs. 1 GG seine Wirkung grundsätzlich veranlagungszeitraumübergreifend entfaltet. Es genügt, wenn die Verluste überhaupt, sei es auch in einem anderen Veranlagungszeitraum, steuerlich berücksichtigt werden. Insbesondere erstarkt die bei ihrer Entstehung gegebene bloße Möglichkeit, die Verluste später ausgleichen zu können, nicht zu einer grundrechtlich geschützten Vermögensposition (Art. 14 Abs. 1 GG; s. BVerfG-Beschluss in HFR 1992, 423; dies relativierend Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608, zu D.II.2.). Dementsprechend hat der BFH in seinem Beschluss vom 29. April 2005 XI B 127/04 (BFHE 209, 379, BStBl II 2005, 609) eine Beschränkung des Verlustvortrags grundsätzlich gebilligt, wenn der Vortrag zeitlich über mehrere Veranlagungszeiträume gestreckt wird. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass damit nicht zugleich über die Konstellation entschieden sei, dass "negative Einkünfte aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen" in einem solchen System "nicht mehr vorgetragen werden können". Darüber hinaus hat der XI. Senat des BFH in seinem Vorlagebeschluss an das BVerfG vom 6. September 2006 XI R 26/04 (BFHE 214, 430, BStBl II 2007, 167) hervorgehoben, dass die sog. Mindeststeuer durchaus den Schutzbereich des Art. 3 Abs. 1 GG berühre; auch wenn in mehreren summarischen Verfahren nach § 69 Abs. 2 und 3 FGO wegen der die Veranlagungszeiträume übergreifenden Wirkung des Art. 3 Abs. 1 GG die Norm als verfassungsgemäß angesehen worden sei, sei nicht zu verkennen, dass die Begrenzung des vertikalen Verlustausgleichs (im dortigen Streitfall durch § 2 Abs. 3 EStG 2002) trotz der Streckung der Verlustverrechnung nicht nur bei einer kleinen Zahl von Steuerpflichtigen mit gleicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zu nennenswerten Belastungsunterschieden führen könne. Auch bestehe naturgemäß keine Gewissheit, die Verluste in Zukunft verrechnen zu können.

23

Der IV. Senat des BFH hat sich in seinem Urteil in BFHE 238, 429, BStBl II 2013, 498 mit Blick auf die Einschränkung der gewerbesteuerrechtlichen Verlustverrechnung dem Senatsurteil in BFHE 238, 419, BStBl II 2013, 512 ausdrücklich angeschlossen: Die Beschränkung der Verrechnung von vortragsfähigen Gewerbeverlusten durch Einführung einer jährlichen Höchstgrenze mit Wirkung ab 2004 sei mit dem Grundgesetz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar; insbesondere sei mit dieser Regelung den Anforderungen, die an die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers zu stellen sind, entsprochen worden. Das gelte auch, soweit es im Einzelfall wegen der Begrenzung zu einem endgültig nicht mehr verrechenbaren Verlust komme (s. insoweit auch BFH-Urteile vom 20. September 2012 IV R 29/10, BFHE 238, 518, BStBl II 2013, 505; vom 20. September 2012 IV R 43/10, BFH/NV 2013, 408; vom 20. September 2012 IV R 60/11, BFH/NV 2013, 410). Dabei hat der IV. Senat auch auf die Besonderheit des Gewerbesteuerrechts abgestellt, dass ein Verlustrücktrag ausgeschlossen ist (§ 10a GewStG 2002 erwähnt nur einen Verlustvortrag): Komme es zur Definitivbelastung, weil einem beschränkten Verlustabzug keine weiteren positiven Gewerbeerträge folgen, lasse sich im Jahr der Mindestbesteuerung nicht erkennen, ob und aus welchen Gründen kein weiteres Potenzial für die Verrechnung des gestreckten Verlusts entstehen werde. Würde sich rückwirkend die beschränkte Verlustverrechnung als Ursache für die Definitivbelastung erweisen, könnte die Belastung nur durch eine Korrektur der seinerzeitigen Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags beseitigt werden. Dies käme aber einem Verlustrücktrag nahe, der in dem System der Gewerbesteuer bewusst nicht vorgesehen sei. Im Übrigen könnten im Einzelfall bei unverhältnismäßigen und unzumutbaren Benachteiligungen Billigkeitsmaßnahmen eingreifen; eine ungerechtfertigte Härte liege allerdings nicht vor, wenn der Unternehmer durch eigenes Verhalten (dort: das Hinwirken auf einen Forderungsverzicht des Gläubigers) einen Gewerbeertrag ausgelöst habe, der nicht vollständig mit vortragsfähigen Gewerbeverlusten verrechnet werden könne.

24

ff) In der Literatur wird die sog. Mindestbesteuerung teilweise für verfassungskonform gehalten (z.B. Heuermann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 10d Rz A 85, 88; derselbe, FR 2012, 435, 439 ff.; Lambrecht in Kirchhof, EStG, 13. Aufl., § 10d Rz 4; Seiler in Hey [Hrsg.], Einkünfteermittlung, Veröffentlichungen der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft --DStJG-- Band 34 [2011], S. 61, 82; Gassen in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 10d Rz 6; Müller-Gatermann, Die Wirtschaftsprüfung 2004, 467, 468): Die im Einzelfall eintretende Einschränkung des objektiven Nettoprinzips habe der Gesetzgeber ohne Verstoß gegen das allgemeine Willkürverbot in vertretbarer Weise ausgestaltet, da sich Beschränkungen des Verlustvortrags in betragsmäßiger oder zeitlicher Hinsicht jedenfalls im Grundsatz als verfassungskonform erwiesen hätten.

25

Dem wird von anderer Seite entgegengehalten, die durch die "Deckelung" des Abzugsbetrags bewirkte zeitliche Streckung des Verlustvortrags sei schon "als solche" verfassungswidrig (z.B. Lang/Englisch, Steuer und Wirtschaft --StuW-- 2005, 3, 21 ff.; Röder, a.a.O., S. 263 ff., 355 ff., und derselbe, StuW 2012, 18, 22 ff.; Mönikes, Die Verlustverrechnungsbeschränkungen des Einkommensteuergesetzes im Lichte der Verfassung, 2006, S. 223 ff.; Hey, StuW 2011, 131, 140 f.; dieselbe in Tipke/ Lang, Steuerrecht, 21. Aufl., § 8 Rz 68; Dorenkamp, a.a.O., S. 12; derselbe, FR 2011, 733, 736 ff.; Raupach in Lehner [Hrsg.], Verluste im nationalen und internationalen Steuerrecht, 2004, S. 53, 60 f.; Eckhoff in von Groll [Hrsg.], Verluste im Steuerrecht, DStJG Band 28 [2005], S. 11, 34; Jü. Lüdicke, Deutsche Steuer-Zeitung 2010, 434, 436; Kaminski in Korn, § 10d EStG Rz 30.9; Wissenschaftlicher Beirat Steuern der Ernst & Young GmbH, Der Betrieb --DB-- 2012, 1704, 1707; Esterer/Bartelt, Unternehmensbesteuerung --Ubg-- 2012, 383, 392; Bareis, DB 2013, 144; Gens, Unternehmensverluste/Verlustabzug und Mindestbesteuerung, 2014, S. 158 ff.; s.a. die Stellungnahme des Bundesrats im Gesetzgebungsverfahren, BTDrucks 15/1665, S. 2).

26

Wiederum andere Literaturstimmen nehmen einen Verfassungsverstoß der sog. Mindestbesteuerung nur in den Fällen an, in denen ein Verlust nicht nur zeitlich gestreckt, sondern von einer Wirkung auf die Ermittlung des Einkommens endgültig ausgeschlossen wird ("Definitiveffekte", z.B. Hallerbach in Herrmann/Heuer/Raupach, § 10d EStG Rz 13; Schmidt/Heinicke, EStG, 33. Aufl., § 10d Rz 10; Wendt, DStJG Band 28, S. 41, 74 ff.; Fischer, FR 2007, 281, 283 ff.; Desens, FR 2011, 745, 748 ff.; Klomp, GmbH-Rundschau --GmbHR-- 2012, 675, 676 f.; Schaumburg/Schaumburg, StuW 2013, 61, 65 f.; wohl auch Kempf/ Vogel in Lüdicke/Kempf/Brink [Hrsg.], Verluste im Steuerrecht, 2010, S. 81; Blümich/Schlenker, § 10d EStG Rz 6, 24; Drüen, ebenda, § 10a GewStG Rz 21, 112; derselbe, FR 2013, 393, 402; Kube, DStR 2011, 1781, 1789 ff.; Buciek, FR 2011, 79; Schmieszek in Bordewin/Brandt, § 10d EStG Rz 147; s.a. BMF-Schreiben vom 19. Oktober 2011, BStBl I 2011, 974, Tz. 1), wobei insoweit auch eine verfassungskonforme Reduktion des Wortlauts des § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F. für möglich gehalten wird (z.B. Wendt, DStJG Band 28, S. 41, 78). Solche Definitiveffekte können sowohl auf tatsächlichen als auch auf rechtlichen Gründen beruhen (s. nur das BMF-Schreiben in BStBl I 2011, 974, Tz. 1); im Unternehmensbereich können sie insbesondere bei der Liquidation körperschaftsteuerpflichtiger Unternehmen auftreten, aber ebenso bei Umstrukturierungen und rechtlichen Hindernissen für eine (weitere) Verlustnutzung (z.B. § 8c KStG 2002 i.d.F. des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 vom 14. August 2007, BGBl I 2007, 1912, BStBl I 2007, 630 --KStG 2002 n.F.--), darüber hinaus aber auch dann, wenn es um zeitlich begrenzt bestehende Projektgesellschaften geht, ebenfalls aber auch etwa um bestimmte Unternehmensgegenstände (z.B. bei langfristiger Fertigung) und in Sanierungsfällen (s. Lang/Englisch, StuW 2005, 3, 21 ff.; s.a. Dorenkamp, a.a.O., S. 33 f.; Orth, FR 2005, 515, 530; Küspert, Betriebs-Berater --BB-- 2013, 1949, 1951 f.; BMF-Bericht der Facharbeitsgruppe "Verlustverrechnung und Gruppenbesteuerung" vom 15. September 2011, S. 52 mit Fußn. 57; BMF-Schreiben in BStBl I 2011, 974, Tz. 1).

27

b) Dem Maßstab, dass die Abzugsfähigkeit von Verlusten nicht in ihrem Kernbereich betroffen und gänzlich ausgeschlossen sein darf (s. zu dieser Grenzbestimmung bereits Senatsurteile vom 11. Februar 1998 I R 81/97, BFHE 185, 393, BStBl II 1998, 485; vom 5. Juni 2002 I R 115/00, BFH/NV 2002, 1549; Senatsbeschluss vom 26. August 2010 I B 49/10, BFHE 230, 445, BStBl II 2011, 826), werden § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F. und § 10a Satz 2 GewStG 2002 n.F. nach Ansicht des Senats unter Berücksichtigung der beschriebenen Ausgangslage und vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtsprechung und des einschlägigen Meinungsbildes im Schrifttum jedenfalls dann gerecht, wenn nicht ein sog. Definitiveffekt eintritt.

28

aa) Die Grundkonzeption der zeitlichen Streckung des Verlustvortrags entspricht auch angesichts des Zins- bzw. Liquiditätsnachteils den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Insoweit entnimmt der Senat der neueren Rechtsprechung des BVerfG eine Unterscheidung zwischen temporären und endgültigen Steuereffekten (s. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 123, 111; s.a. BFH-Urteil vom 25. Februar 2010 IV R 37/07, BFHE 229, 122, BStBl II 2010, 784; zustimmend Dorenkamp, a.a.O., S. 61 f.; Desens, FR 2011, 745, 747; Heuermann, FR 2012, 435, 439; Lang, GmbHR 2012, 57, 61; ablehnend z.B. Röder, StuW 2012, 18, 24 f.; Schaumburg/Schaumburg, StuW 2013, 61, 62 f., m.w.N.). Wenn sich danach der maßgebliche Zeitpunkt der einkommensteuerrechtlichen Berücksichtigung eines gewinnmindernden Aufwands, also das Wann, nicht das Ob der Besteuerung, nicht mit Hilfe des Maßstabs wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit oder des objektiven Nettoprinzips bestimmen lässt, ist eine "Verluststreckung" verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Maßgabe, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen abzubilden, entspricht daher einerseits nur eine Konzeption, die die Möglichkeit eines vom jährlichen Abschnittsteuerprinzip suspendierenden Verlustausgleichs vorsieht, schließt aber andererseits eine Begrenzung dieser Möglichkeit (im Sinne der Ermittlung einer "durchschnittlichen mehrjährigen Leistungsfähigkeit" – s. Bundesregierung, BTDrucks 17/4653, S. 7 [zu Frage 6]) nicht aus. Dabei liegt es auch innerhalb der gesetzgeberischen Typisierungsbefugnis (zu dieser z.B. BVerfG-Beschluss vom 17. November 2009  1 BvR 2192/05, BVerfGE 125, 1, BGBl I 2010, 326), dass die zeitliche Streckung des Verlustvortrags das Risiko für den einkommenswirksamen Abzug des Verlusts erhöht, da "naturgemäß keine Gewissheit besteht, die Verluste in Zukunft verrechnen zu können" (Senatsurteil vom 1. Juli 2009 I R 76/08, BFHE 225, 566, BStBl II 2010, 1061; BFH-Beschluss in BFHE 214, 430, BStBl II 2007, 167). Diesem Ergebnis steht auch die Existenz verschiedener gesetzlicher Regelungen nicht entgegen, die als Rechtsfolge eine "Vernichtung" von Verlustvorträgen in bestimmten Fallsituationen vorsehen (z.B. im Zuge einer Anteilsübertragung: § 8c KStG 2002 n.F.). Dies gilt sinnentsprechend z.B. auch für die Situation der Beendigung der persönlichen Steuerpflicht angesichts der fehlenden Möglichkeit der "Verlustvererbung" (BFH-Beschluss in BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608).

29

bb) Der Gesetzgeber hat durch das Grundkonzept der Mindestbesteuerung die Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit nicht willkürlich überschritten; er kann sich für diese Ausgestaltung des Verlustabzugs vielmehr auf den im Gesetzgebungsverfahren erteilten Hinweis auf eine Verstetigung des Steueraufkommens (s.a. BMF-Bericht der Facharbeitsgruppe "Verlustverrechnung und Gruppenbesteuerung", vom 15. September 2011, S. 18) infolge der Dämpfung der Steuerauswirkungen konjunktureller Schwankungen berufen (s. oben zu III.1.a cc; zur Steueraufkommenswirkung s. BTDrucks 17/4653, S. 17, bzw. BMF-Bericht der Facharbeitsgruppe "Verlustverrechnung und Gruppenbesteuerung", vom 15. September 2011, S. 43 f.). Denn damit hat der Gesetzgeber nicht nur auf den (nicht in ausreichender Weise rechtfertigenden) Einnahmezweck (Erzielung von Steuermehreinnahmen), sondern auf einen in der Konzeption der Regelung angelegten "qualifizierten Fiskalzweck" (Desens, FR 2011, 745, 749; s.a. Kube, DStR 2011, 1781, 1789 und 1790) verwiesen (s.a. BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 1150; Heuermann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 10d Rz A 85; ablehnend z.B. Hey, StuW 2011, 131, 141 f.; Röder, StuW 2012, 18, 25 f.; Wissenschaftlicher Beirat Steuern der Ernst & Young GmbH, DB 2012, 1704, 1707). Daher kann insoweit --mit Blick auf § 10a Satz 2 GewStG 2002 n.F.-- offenbleiben, ob die dortige Beschränkung (auch) dadurch gerechtfertigt werden kann, dass auf diese Weise die kommunale Finanzhoheit (Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG) sichergestellt werden konnte (so FG Hamburg, Urteil vom 2. November 2011  1 K 208/10, EFG 2012, 434 --als Vorinstanz zum BFH-Urteil in BFHE 238, 429, BStBl II 2013, 498--; s.a. BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 1150) bzw. dass die besondere Ausgestaltung der gewerbesteuerrechtlichen Verlustberücksichtigung (kein Verlustrücktrag) zu berücksichtigen war (BFH-Urteil in BFHE 238, 429, BStBl II 2013, 498).

30

2. Der Senat ist aber davon überzeugt, dass § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F. und § 10a Satz 2 GewStG 2002 n.F. den benannten Kernbereich einer Ausgleichsfähigkeit von Verlusten dann verletzen, wenn --wie im Streitfall-- auf der Grundlage eines inneren Sachzusammenhangs bzw. einer Ursachenidentität zwischen Verlust und Gewinn der sog. Mindestbesteuerung im Einzelfall ("konkret") die Wirkung zukommt, den Verlustabzug gänzlich auszuschließen (s. dazu bereits Senatsbeschluss in BFHE 230, 445, BStBl II 2011, 826) und eine leistungsfähigkeitswidrige Substanzbesteuerung auszulösen. Diese Grundrechtsverletzung kann nicht durch einzelfallbezogene sachliche Billigkeitsmaßnahmen im Verwaltungswege kompensiert werden.

31

a) Der Streitfall ist dadurch gekennzeichnet, dass der (im Grundsatz) ausgleichsfähige Verlust aus der stichtagsbezogenen (31. Dezember 2004) Teilwertabschreibung einer Forderung herrührt, und der Ertrag aus der zeitlich nachfolgenden ebenfalls stichtagsbezogenen (31. Dezember 2006) Teilwertzuschreibung eben dieser Forderung folgt. Insoweit beruhen Aufwand und Ertrag auf demselben Rechtsgrund (der Kooperationsvereinbarung) und sie entsprechen sich der Höhe nach: Der Ertrag erscheint dabei nur als zeitverschobener actus contrarius zum Aufwand. Teilwertabschreibung und Werterholung eines Bilanzpostens lösen daher wegen der unterschiedlichen Ermittlungsperioden im Zusammenhang mit der Mindestbesteuerung eine Steuerschuld aus ("Besteuerung von per Saldo nicht erzielten Gewinnen" – so Oberfinanzdirektion Frankfurt a.M. vom 20. Juni 2013, DB 2013, 1696). Die in der Besteuerungspraxis der Auflösung von Kapitalgesellschaften (Liquidation, Insolvenzverfahren) häufig auftretenden bilanzsteuerrechtlichen "Umkehreffekte" (z.B. auch die Auflösung von zunächst gewinnmindernd berücksichtigten Rückstellungen) haben allerdings weder einen entsprechenden Liquiditätszufluss noch einen Zuwachs an besteuerungswürdiger Leistungsfähigkeit zur Folge (s.a. Farle/Schmitt, DB 2013, 1746, 1747 f.).

32

b) Typisierungs- oder Vereinfachungserfordernisse können nicht rechtfertigen, dass der Gesetzgeber auf der Rechtsfolgenseite der Normen eine Differenzierung nach Verlustursachen bzw. nach Zusammenhängen mit der Gewinnentstehung vollständig unterlassen hat.

33

aa) Auch wenn in der Begründung des Gesetzentwurfs davon die Rede ist, Zielpunkt der Normen sei nur eine Verluststreckung, nicht aber ein Verlustausschluss (s. zu § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F.: BTDrucks 15/1518, S. 13), lassen die Gesetzesmaterialien erkennen, dass die an der Gesetzgebung beteiligten Organe die Möglichkeit einer zweckwidrigen Definitivbesteuerung infolge der Mindeststeuer erkannt haben (s. dazu die Nachweise zur Sachverständigen-Anhörung im maßgebenden Gesetzgebungsverfahren im BFH-Urteil in BFHE 238, 429, BStBl II 2013, 498). Der Gesetzgeber hat sich allerdings angesichts der im Gesetzgebungsverfahren geäußerten (sachverständigen) Bedenken damit begnügt, angesichts der in bestimmten Situationen drohenden Substanzbesteuerung den sog. Sockelbetrag von 100.000 € auf 1 Mio. € zu verzehnfachen und den Prozentsatz für den Restbetrag von 50 % auf 60 % anzuheben. Damit wurde erreicht, dass "eine große Zahl kritischer Fälle nun von einer Definitivbesteuerung verschont" bleiben würde (BFH-Urteil in BFHE 238, 429, BStBl II 2013, 498); zugleich wurde dem Umstand Rechnung getragen, "dass durch eine gesetzliche Regelung eine Definitivbelastung in allen verbleibenden denkbaren Einzelfällen (nicht) hätte ausgeschlossen werden können, ohne das System der Mindestbesteuerung insgesamt aufzugeben und ohne zugleich weitere Verletzungen des Gleichheitssatzes zu bewirken" (so BFH-Urteil in BFHE 238, 429, BStBl II 2013, 498). Auch wenn der Gesetzgeber nicht gehalten ist, allen Besonderheiten im sachlichen Anwendungsbereich von Normen Rechnung zu tragen: Es wird deutlich, dass der Gesetzgeber allenfalls die Anzahl der Streitfälle reduziert hat, ohne aber auch nur im Ansatz zu versuchen, einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Gesichtspunkten der verfassungsrechtlich durchaus zulässigen überperiodischen Verluststreckung und dem Kernbereich der Verlustverrechnung als Grundprinzip einer Ertragsbesteuerung herzustellen (gl.A. Hallerbach in Herrmann/Heuer/Raupach, § 10d EStG Rz 13). Der sog. Sockelbetrag ist auch, wie in der Literatur hervorgehoben wird, in unternehmensteuerrechtlichen Zusammenhängen bei großen Gesellschaften und Konzernen "regelmäßig völlig bedeutungslos" (Esterer/Bartelt, Ubg 2012, 383, 390; s.a. Roser, Der GmbH-Steuerberater --GmbH-StB-- 2013, 53, 57). Im Übrigen hätte der Gesetzgeber in Rechnung stellen müssen, dass "Definitiveffekte" im Zusammenhang insbesondere mit stetig anwachsenden gesetzlichen Einschränkungen der interperiodischen Verlustkompensation stehen (z.B. Desens, FR 2011, 745, 750; Drüen, FR 2013, 393, 402; Schaumburg/Schaumburg, StuW 2013, 61, 66).

34

bb) Die auch Definitiveffekte einschränkungslos erfassenden Regelungen sind nicht im Sinne eines Missbrauchsverhinderungszwecks oder einer Begrenzung von übermäßiger Subventionsinanspruchnahme gerechtfertigt (ausführlich Gens, a.a.O., S. 156 ff.). Zwar wird von der Bundesregierung angeführt, getroffen würden "insbesondere diejenigen Steuerpflichtigen, die Steuervergünstigungen und Steuerschlupflöcher ausnutzen" (Bundesregierung, BTDrucks 17/4653, S. 2 [zu Frage 1]). Diese Einschätzung ist aber nicht substantiiert und erscheint angesichts der in der Fachliteratur diskutierten und dem Senat bisher bekannt gewordenen Streitfälle als unbegründet (im Ergebnis ebenso Hallerbach in Herrmann/Heuer/Raupach, § 10d EStG Rz 13; Esterer/Bartelt, Ubg 2012, 383, 392). Auch der hier zu entscheidende Streitfall bietet keinen Anlass für eine entsprechende Würdigung.

35

c) Der erkennende Senat folgt dem IV. Senat des BFH (in seinem Urteil in BFHE 238, 429, BStBl II 2013, 498) für Körperschaften als Gewerbebetriebe kraft Rechtsform (§ 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG 2002) nicht darin, dass die Besonderheiten der Gewerbesteuer eine weitere und zugleich ausreichende Rechtfertigung für die Mindestbesteuerung in § 10a Satz 2 GewStG 2002 n.F. rechtfertigen können. Während für Einzelunternehmen und Personengesellschaften eine Unternehmensidentität und eine Unternehmeridentität für den Verlustabzug nach § 10a GewStG 2002 n.F. vorausgesetzt wird und es auf den Zeitraum der "werbenden Tätigkeit" des Gewerbebetriebs ankommt, ist für Körperschaften einheitlich sowohl für die Körperschaftsteuer als auch für die Gewerbesteuer auf die Maßgaben der wirtschaftlichen Identität in § 8 Abs. 4 KStG 2002 (§ 10a Satz 4 GewStG 2002) bzw. § 8c KStG 2002 n.F. (§ 10a Satz 10 GewStG 2002 n.F.) während ihrer rechtlichen Existenz verwiesen. Eine besondere objektsteuerbezogene Komponente folgt daraus für den Gewerbeverlust der Körperschaft nicht; insoweit besteht kein abweichender Maßstab zur allgemeinen Ertragsteuer (so im Ergebnis auch Kube, DStR 2011, 1781, 1789; Kessler/Hinz, BB 2012, 555, 556; Klomp, GmbHR 2012, 675, 679; Esterer/Bartelt, Ubg 2012, 383, 386). Darüber hinaus lässt sich der Ausschluss des gewerbesteuerrechtlichen Verlustrücktrags in einem System, das den gewerbesteuerrechtlichen Verlustvortrag ohne zeitliche Einschränkung anerkennt (s. dazu die Darlegungen des IV. Senats des BFH in seinem Urteil in BFHE 238, 429, BStBl II 2013, 498), weniger mit einem objektsteuerartigen Bezug als vielmehr im Wesentlichen mit dem Interesse der Gemeinden an einer funktionierenden Haushaltspolitik begründen (s.a. Bundesregierung, BTDrucks 17/4653, S. 10 [zu Frage 17]). Im Übrigen könnte zwar in Situationen, in denen die beschränkte Verlustverrechnung (in Vorjahren) als Ursache für die Definitivbelastung zu identifizieren ist, die Belastung nur durch eine Korrektur der seinerzeitigen Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags beseitigt werden, was "einem Verlustrücktrag nahe (käme), der in dem System der Gewerbesteuer bewusst nicht vorgesehen ist" (BFH-Urteil in BFHE 238, 429, BStBl II 2013, 498). Dabei mag bezweifelt werden, ob die für eine solche Konstellation diskutierte Möglichkeit einer verfahrensrechtlichen Änderung kraft rückwirkenden Ereignisses (§ 175 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 der Abgabenordnung --AO--, dazu insbesondere Klomp, GmbHR 2012, 675, 681; FG Köln, Urteil vom 11. April 2013  13 K 889/12, EFG 2013, 1374; Graw, EFG 2013, 1377, 1378) unter Hinweis auf gewerbesteuerrechtliche Besonderheiten ausgeschlossen sein kann. Jedenfalls für die streitgegenständliche Situation der Anwendung der Mindestbesteuerung in einem Gewinnjahr kommt es darauf aber nicht an.

36

d) Die verfassungsrechtliche Bewertung wird nicht dadurch beeinflusst, dass auf der Grundlage der §§ 163, 227 AO bei sog. Definitiveffekten die verfahrensrechtliche Möglichkeit besteht, im Einzelfall im Wege der Billigkeit eine Steuerfestsetzung in einer Höhe zu erreichen, die einer Nichtanwendung der Mindestbesteuerung entspricht.

37

aa) Die Festsetzung einer Steuer ist aus sachlichen Gründen unbillig, wenn sie zwar dem Wortlaut des Gesetzes entspricht, aber den Wertungen des Gesetzes zuwiderläuft (z.B. Senatsurteil vom 21. Oktober 2009 I R 112/08, BFH/NV 2010, 606; BFH-Urteil vom 23. Juli 2013 VIII R 17/10, BFHE 242, 134, BStBl II 2013, 820). Das setzt voraus, dass der Gesetzgeber die Grundlagen für die Steuerfestsetzung anders als tatsächlich geschehen geregelt hätte, wenn er die zu beurteilende Frage als regelungsbedürftig erkannt hätte. Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt dagegen keine Billigkeitsmaßnahme (Senatsurteil in BFH/NV 2010, 606; BFH-Urteil in BFHE 242, 134, BStBl II 2013, 820).

38

bb) Zwar hat der IV. Senat des BFH in seinen Urteilen in BFHE 238, 429, BStBl II 2013, 498 und in BFH/NV 2013, 410 ausgeführt, die Möglichkeit von Billigkeitsmaßnahmen in besonderen Einzelfällen flankiere die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers und gestatte ihm, eine typisierende Regelung zu treffen, bei der Unsicherheiten über Zahl und Intensität der von der typisierenden Regelung nachteilig betroffenen Fälle mit zumutbarem Aufwand nicht beseitigt werden könnten (dies offenlassend der Senatsbeschluss vom 28. März 2011 I B 152/10, BFH/NV 2011, 1284). Darauf baut auch der Hilfsantrag des Klägers im hier anhängigen Revisionsverfahren auf. Allerdings ist nach dem gerade Ausgeführten im Rahmen der "sachlichen Unbilligkeit" als Voraussetzung einer Billigkeitsmaßnahme eine strukturelle Gesetzeskorrektur ausgeschlossen (z.B. Drüen, Steuerberater-Jahrbuch --StbJb-- 2012/2013, S. 123, 160; s.a. Wendt, DStJG Band 28, S. 41, 78; Küspert, BB 2013, 1949, 1953; Hallerbach in Herrmann/Heuer/Raupach, § 10d EStG Rz 13). Von einer solchen Korrektur wäre aber zu sprechen, wenn man --wie der Senat-- davon ausgeht, dass der Gesetzgeber den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine Wirkung der Mindestbesteuerung als Verlustnutzungsausschluss ausschließlich durch eine Anhebung des Sockelbetrags und des Prozentsatzes für den Restbetrag Rechnung tragen wollte.

39

IV. Verfassungskonforme Auslegung

Eine die Verfassungswidrigkeit vermeidende verfassungskonforme Auslegung ist nicht möglich.

40

1. Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung gebietet es, bei mehreren Möglichkeiten der Normauslegung diejenige maßgeblich sein zu lassen, bei der die Regelung mit der Verfassung konform geht. Der Grundsatz verbindet somit die Normtextauslegung mit einer Normenkontrolle (Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band I, 10. Aufl., Rz 100) und findet als Auslegungskriterium seine Grenze dort, wo er mit dem Wortlaut der Norm und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde (z.B. BVerfG-Beschluss vom 27. März 2012  2 BvR 2258/09, BVerfGE 130, 372). Im Wege der verfassungskonformen Auslegung darf einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz nicht ein entgegengesetzter Sinn verliehen, der normative Gehalt der auszulegenden Vorschrift nicht grundlegend neu bestimmt und das gesetzgeberische Ziel nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt werden (BVerfG-Beschluss vom 26. April 1994  1 BvR 1299/89, 1 BvL 6/90, BVerfGE 90, 263).

41

2. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 10d Abs. 2 EStG 2002 n.F. und des § 10a GewStG 2002 n.F. in der Situation sog. Definitiveffekte --die der Senat im Beschluss in BFHE 230, 445, BStBl II 2011, 826 bei summarischer Prüfung der Rechtslage noch für möglich erachtete-- ist nach der nunmehr gebildeten Überzeugung des Senats ausgeschlossen (a.A. z.B. Wendt, DStJG Band 28, S. 41, 78; Fischer, FR 2007, 281, 285 f.; wohl auch Schaumburg/Schaumburg, StuW 2013, 61, 66; Drüen, FR 2013, 393, 402; derselbe, StbJb 2012/2013, S. 123, 158 f.). Der Gesetzgeber hat --wie bereits oben ausgeführt-- auf der Rechtsfolgenseite der Normen eine Differenzierung nach Verlustursachen bzw. nach Zusammenhängen mit der Gewinnentstehung nicht vorgesehen; es kommt auch nicht in Betracht, den Begriff der "negativen Einkünfte" so auszulegen, dass Definitiveffekte ein Anwendungshindernis darstellen würden. Wenn damit aber der "Untergang von Verlustvorträgen" in entsprechenden Sachsituationen vom gesetzgeberischen Willen gedeckt ist, ist "eine Gesetzesreparatur im Wege telelogischer Reduktion verbaut" (so Hey, StuW 2011, 131, 141; im Ergebnis übereinstimmend z.B. Desens, FR 2011, 745, 750 f.; Hallerbach in Herrmann/Heuer/ Raupach, § 10d EStG Rz 13).

42

Jedenfalls lässt sich den Regelungen zur Mindestbesteuerung auch kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, nach welchen Kriterien bei einer verfassungskonformen Auslegung wiederum begrenzend zu differenzieren sein könnte. So dürfte allein der Umstand, dass ein "Definitiveffekt" eintritt, keine ausreichende Rechtfertigung für eine Einschränkung der Rechtsfolge darstellen. Es könnte in Betracht kommen, in Fällen, in denen der endgültige Wegfall der gestreckten Verlustvorträge vom Steuerpflichtigen (anders als im Streitfall, einem Insolvenzfall) durch eigenen Willensentschluss veranlasst ist (z.B. bei Kapitalgesellschaften in Liquidationsfällen), eine "schützenswerte" Definitivsituation abzulehnen (s.a. BFH-Urteil in BFHE 238, 518, BStBl II 2013, 505; Gosch, BFH/PR 2011, 10, 11; Roser, GmbH-StB 2013, 53, 55 f.; z.T. abweichend wohl BMF-Schreiben in BStBl I 2011, 974, Tz. 1; s.a. Farle/Schmitt, DB 2013, 1746, 1749; Braun/Geist, BB 2013, 351, 354): Es hätte sich dann eventuell (nur) das steuerrechtliche Risiko einer Grenze der Verlustnutzung realisiert, das im systemtragenden Subjektsteuerprinzip angelegt ist. Dies könnte auch die einkommensteuerrechtliche Situation des Versterbens des Steuerpflichtigen betreffen ("keine Vererbung des Verlustvortrags", s. BFH-Beschluss in BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608). Im Übrigen könnten Sachsituationen auszusparen sein, in denen eine solche Wirkung auf ein Zusammenspiel der Mindestbesteuerung mit einer Regelung zurückzuführen ist, die einem Missbrauchsverhinderungszweck dient (s. bereits Senatsbeschluss in BFHE 230, 445, BStBl II 2011, 826; insoweit zustimmend BMF-Schreiben in BStBl I 2011, 974, Tz. 1). Nicht zuletzt lässt sich aus der Norm die Frage nicht eindeutig beantworten, in welchem Veranlagungs- oder Erhebungszeitraum der infolge des Definitiveffekts nicht mehr vortragsfähige Verlust zu berücksichtigen ist: In Betracht kommt sowohl das Jahr des Eintritts des Definitiveffekts, wobei es aber, wenn der Effekt auf rechtliche Gründe zurückzuführen ist (z.B. im Falle des sog. schädlichen Beteiligungserwerbs in § 8c KStG 2002 n.F. oder der Umwandlung beim übertragenden Rechtsträger nach § 12 Abs. 3 i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 des Umwandlungssteuergesetzes 2002/2006), auch nicht auszuschließen ist, eine unverhältnismäßige Rechtsfolge (nämlich die von der Mindestbesteuerung verursachten Verlustvorträge nicht auszusparen) jener Norm zuzuweisen (s. insoweit auch Buciek, FR 2011, 79; Desens, FR 2011, 745, 751; Möhlenbrock, Ubg 2010, 256, 258). In Betracht kommt (kommen) allerdings auch das frühere Jahr (die früheren Jahre) einer Steuerfestsetzung infolge der Mindestbesteuerung (s.a. BMF-Schreiben in BStBl I 2011, 974, Tz. 2; Desens, ebenda; Klomp, GmbHR 2012, 675, 678). Im Streitfall käme allerdings durch das Fehlen einer mindestbesteuerungsbedingten Belastung in Vorjahren ausschließlich die erste Lösung zur Anwendung.

43

V. Entscheidungserheblichkeit der Vorlage

Die dem BVerfG gestellte Vorlagefrage ist auch entscheidungserheblich: Ist die sog. Mindestbesteuerung in § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F. und § 10a Satz 2 GewStG 2002 n.F. auch bei Eintritt eines Definitiveffekts verfassungsgemäß, ist die Revision des Klägers unbegründet (s. insoweit zu II. der Gründe). Hält sie das BVerfG hingegen für mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, hätte die Revision jedenfalls teilweisen Erfolg: Die festgesetzte Körperschaftsteuer 2008 wäre herabzusetzen. Gleiches gälte für die festgesetzten Gewerbesteuermessbeträge 2006 bis 2008, und das unabhängig davon, ob die insoweit weitere unter den Beteiligten streitige Rechtsfrage danach, ob dem Gewinn der betreffenden Erhebungszeiträume bei der Ermittlung der Gewerbeerträge sog. Dauerschuldentgelte nach Maßgabe von § 8 Nr. 1 GewStG 2002 hinzuzurechnen sind, bejaht wird oder nicht; die Antwort auf diese Rechtsfrage kann im Rahmen des Vorabentscheidungsersuchens also vorerst unbeantwortet bleiben.

44

VI. Entscheidung des Senats

In Anbetracht der vom Senat angenommenen Verfassungswidrigkeit von § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F. und § 10a Satz 2 GewStG 2002 n.F. beim Eintreten sog. Definitiveffekte war das Revisionsverfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen und ist die Entscheidung des BVerfG über die im Leitsatz formulierte Frage zur Verfassungsmäßigkeit der genannten Vorschriften einzuholen.

Tenor

§ 36 Absatz 4 des Gewerbesteuergesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts vom 20. Dezember 2001 (Bundesgesetzblatt I Seite 3858) verstößt gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes aus Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes und ist nichtig, soweit er § 8 Nummer 5 des Gewerbesteuergesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts auf Dividendenvorabausschüttungen für anwendbar erklärt, die von der ausschüttenden Gesellschaft vor dem 12. Dezember 2001 verbindlich beschlossen wurden und der mit weniger als 10% an der ausschüttenden Gesellschaft beteiligten Körperschaft vor diesem Zeitpunkt zugeflossen sind.

§ 36 Absatz 4 des Gewerbesteuergesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts ist mit dem Grundgesetz vereinbar, soweit er § 8 Nummer 5 des Gewerbesteuergesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts auf Dividendenvorabausschüttungen für anwendbar erklärt, die nach dem 11. Dezember 2001 zugeflossen sind.

Gründe

A.

1

Die Vorlage betrifft die Frage, ob § 36 Abs. 4 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) in der Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts vom 20. Dezember 2001 (Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz - UntStFG -, BGBl I S. 3858), der mittlerweile nicht mehr im Gewerbesteuergesetz enthalten ist (im Folgenden: § 36 Abs. 4 GewStG a.F.), die Anwendung des § 8 Nr. 5 GewStG in der Fassung des Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetzes mit verfassungsrechtlich unzulässiger Rückwirkung bereits für den Erhebungszeitraum 2001 anordnet.

I.

2

1. § 8 Nr. 5 GewStG steht im Zusammenhang mit dem Systemwechsel im Körperschaftsteuerrecht vom früheren Anrechnungsverfahren zum sogenannten Halbeinkünfteverfahren (vgl. BVerfGE 125, 1 <2 ff.>; 127, 224 <227 ff.>). Auch das Gewerbesteuerrecht war davon mittelbar betroffen. Die Vorschrift des § 8 Nr. 5 GewStG bestimmt die Auswirkungen des für das neue Körperschaftsteuersystem wesentlichen § 8b des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) auf die Gewerbesteuer.

3

§ 8b KStG regelt die steuerliche Behandlung der Erträge von Körperschaften aus Beteiligungen an anderen Körperschaften (Bezüge und Veräußerungsgewinne) und der mit diesen Erträgen zusammenhängenden Aufwendungen und Gewinnminderungen. Nach § 8b Abs. 1 und 2 KStG sind die Erträge aus Beteiligungen an Kapitalgesellschaften grundsätzlich bei der Einkommensermittlung der empfangenden Gesellschaft "außer Ansatz" zu lassen. Hierdurch wird zur Vermeidung von wirtschaftlichen Doppelbelastungen die Steuerfreiheit von Gewinnausschüttungen und Veräußerungsgewinnen sichergestellt, solange die Erträge im Bereich von Kapitalgesellschaften verbleiben.

4

Die Hinzurechnungsvorschriften des § 8 GewStG haben den Zweck, Folgewirkungen zu korrigieren, die sich aus der in § 7 Satz 1 GewStG geregelten Übernahme der einkommen- oder körperschaftsteuerlichen Gewinnermittlung in das Gewerbesteuerrecht ergeben, die jedoch bei der Gewerbesteuer nach Auffassung des Gesetzgebers unerwünscht sind. Dadurch, dass § 7 Satz 1 GewStG für die Ermittlung des gewerblichen Gewinns als Grundlage des Gewerbeertrags auf die Ergebnisrechnung nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) und dem Körperschaftsteuergesetz verweist, bleiben nach inzwischen klargestellter Rechtslage Gewinnanteile (Dividenden) und ähnliche Bezüge aus Kapitalanteilen auch bei der Gewerbesteuer zunächst außer Ansatz, soweit sie bei der Einkommensteuer nach § 3 Nr. 40 EStG oder bei der Körperschaftsteuer nach § 8b KStG steuerfrei sind (vgl. den Ende 2004 eingefügten § 7 Satz 4 GewStG).

5

Zur Zeit des körperschaftsteuerlichen Systemwechsels enthielt das Gewerbesteuerrecht mit den Kürzungsvorschriften des § 9 Nr. 2a und 7 GewStG bereits Regelungen darüber, inwieweit eine gewerbesteuerliche Doppelbelastung von Gewinnanteilen vermieden werden sollte. Eine doppelte Gewerbebesteuerung wurde bei sogenannten Schachtelbeteiligungen von mindestens 10% durch entsprechende Kürzung des Gewinns und der Hinzurechnungen (§ 8 GewStG) ausgeschlossen, nicht dagegen bei sogenannten Streubesitzbeteiligungen von weniger als 10%.

6

Mit der durch das Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz eingefügten Hinzurechnungsvorschrift des § 8 Nr. 5 GewStG neutralisierte der Gesetzgeber für die Gewerbesteuer die in § 3 Nr. 40 EStG und § 8b KStG eingeführten teilweisen oder vollständigen Steuerfreistellungen von der Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer. Zu diesem Zweck ordnete er in § 8 Nr. 5 Satz 1 GewStG an, dass die nach § 3 Nr. 40 EStG oder § 8b Abs. 1 KStG über § 7 Satz 1 GewStG außer Ansatz bleibenden Gewinnanteile (Dividenden) und ähnlichen Bezüge aus Kapitalanteilen dem Gewinn aus Gewerbebetrieb wieder hinzugerechnet werden. Die Hinzurechnung erfolgt, soweit nicht die Voraussetzungen des Schachtelprivilegs nach § 9 Nr. 2a und 7 GewStG erfüllt sind, das heißt nur bei Streubesitzbeteiligungen von weniger als 10% (seit 2008 weniger als 15%). Im Ergebnis wurde und wird eine gewerbesteuerliche Doppelbelastung damit lediglich bei Schachtelbeteiligungen von mindestens 10% (seit 2008 mindestens 15%) vermieden. Bei Erträgen aus bloßen Streubesitzbeteiligungen blieb die gewerbesteuerliche Doppelbelastung entsprechend der bisherigen Rechtslage erhalten.

7

2. § 8 Nr. 5 GewStG wurde durch Art. 4 Nr. 3 UntStFG in das Gewerbesteuergesetz eingefügt. Art. 4 Nr. 5 UntStFG enthielt die Regelung des § 36 Abs. 4 GewStG zum zeitlichen Anwendungsbereich der Neuregelung.

8

Die für das Vorlageverfahren maßgeblichen Vorschriften unter Berücksichtigung der Änderungen durch das Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz lauten:

9

§ 7 GewStG

Gewerbeertrag

Gewerbeertrag ist der nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes oder des Körperschaftsteuergesetzes zu ermittelnde Gewinn aus dem Gewerbebetrieb, der bei der Ermittlung des Einkommens für den dem Erhebungszeitraum (§ 14) entsprechenden Veranlagungszeitraum zu berücksichtigen ist, vermehrt und vermindert um die in den §§ 8 und 9 bezeichneten Beträge. ...

10

§ 8 GewStG

Hinzurechnungen

Dem Gewinn aus Gewerbebetrieb (§ 7) werden folgende Beträge wieder hinzugerechnet, soweit sie bei der Ermittlung des Gewinns abgesetzt worden sind:

Nr. 5 die nach § 3 Nr. 40 des Einkommensteuergesetzes oder § 8b Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes außer Ansatz bleibenden Gewinnanteile (Dividenden) und die diesen gleichgestellten Bezüge und erhaltenen Leistungen aus Anteilen an einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse im Sinne des Körperschaftsteuergesetzes, soweit sie nicht die Voraussetzungen des § 9 Nr. 2a oder 7 erfüllen, nach Abzug der mit diesen Einnahmen, Bezügen und erhaltenen Leistungen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden Betriebsausgaben, soweit sie nach § 3c des Einkommensteuergesetzes und § 8b Abs. 5 des Körperschaftsteuergesetzes unberücksichtigt bleiben. 2 Dies gilt nicht für Gewinnausschüttungen, die unter § 3 Nr. 41 Buchstabe a des Einkommensteuergesetzes fallen.

11

§ 9 GewStG

Kürzungen

Die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen wird gekürzt um

Nr. 2a die Gewinne aus Anteilen an einer nicht steuerbefreiten inländischen Kapitalgesellschaft im Sinne des § 2 Abs. 2, einer Kreditanstalt des öffentlichen Rechts, einer Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft oder einer Unternehmensbeteiligungsgesellschaft im Sinne des § 3 Nr. 23, wenn die Beteiligung zu Beginn des Erhebungszeitraums mindestens ein Zehntel des Grund- oder Stammkapitals beträgt und die Gewinnanteile bei Ermittlung des Gewinns (§ 7) angesetzt worden sind. 2 Ist ein Grund- oder Stammkapital nicht vorhanden, so ist die Beteiligung an dem Vermögen, bei Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften die Beteiligung an der Summe der Geschäftsguthaben, maßgebend;

Nr. 7 die Gewinne aus Anteilen an einer Kapitalgesellschaft mit Geschäftsleitung und Sitz außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes, an deren Nennkapital das Unternehmen seit Beginn des Erhebungszeitraums ununterbrochen mindestens zu einem Zehntel beteiligt ist (Tochtergesellschaft) und die ihre Bruttoerträge ausschließlich oder fast ausschließlich aus unter § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 des Außensteuergesetzes fallenden Tätigkeiten und aus Beteiligungen an Gesellschaften bezieht, an deren Nennkapital sie mindestens zu einem Viertel unmittelbar beteiligt ist, wenn...

12

§ 36 GewStG

Zeitlicher Anwendungsbereich

(1) Die vorstehende Fassung dieses Gesetzes ist, soweit in den folgenden Absätzen nichts anderes bestimmt ist, erstmals für den Erhebungszeitraum 2002 anzuwenden.

(4) § 8 Nr. 5 ist erstmals für den Erhebungszeitraum 2001 anzuwenden.

13

3. Das Gesetzgebungsverfahren zum Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz begann mit einem Gesetzentwurf der Bundesregierung (BTDrucks 14/6882), der dem Bundesrat am 17. August 2001 zugeleitet und am 10. September 2001 beim Deutschen Bundestag eingebracht wurde. Er sah keine Regelung zu der Frage vor, wie nach § 8b KStG steuerfreie Beteiligungserträge und Veräußerungsgewinne gewerbesteuerlich behandelt werden sollten. Der Bundesrat griff diese bereits zuvor diskutierte Frage in einer Stellungnahme vom 27. September 2001 mit dem Vorschlag auf, die körperschaftsteuerfreien Beteiligungserträge und Veräußerungsgewinne in voller Höhe der Gewerbesteuer zu unterwerfen (vgl. BTDrucks 14/7084, S. 4 f.).

14

Die Bundesregierung stimmte dem nicht zu (vgl. BTDrucks 14/7084, S. 8). Die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses des Bundestages vom 7. November 2001 (BTDrucks 14/7343) enthielt dazu keinen Vorschlag  ; die Forderung des Bundesrates nach einer "Gewerbesteuerpflicht der Gewinne von Kapitalgesellschaften aus (Streubesitz-)Anteilen an einer Kapitalgesellschaft und aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft" wird lediglich im Bericht erwähnt (vgl. BTDrucks 14/7344, S. 2). Auf der Grundlage der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses stimmte der Bundestag dem Entwurf des Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetzes am 9. November 2001 zu (vgl. BRDrucks 893/01).

15

Der Bundesrat rief daraufhin am 30. November 2001 den Vermittlungsausschuss an (vgl. BRDrucks 893/01 und BTDrucks 14/7742). Die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses vom 11. Dezember 2001 enthielt den Entwurf des § 8 Nr. 5 GewStG in der später Gesetz gewordenen Fassung und sah eine erstmalige Anwendung für den Erhebungszeitraum 2001 vor (vgl. BTDrucks 14/7780, S. 5; Rödder/Schumacher, DStR 2002, S. 105 <108 f.>). Der Bundestag stimmte am 14. Dezember 2001 der Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zu. Am 20. Dezember 2001 stimmte der Bundesrat zu (BRDrucks 1061/01).

16

Am 24. Dezember 2001 wurde das Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz vom 20. Dezember 2001 im Bundesgesetzblatt verkündet (BGBl I S. 3858).

II.

17

1. Klägerin des Ausgangsverfahrens ist eine im Juli 2000 errichtete Beteiligungs- und Vermögensverwaltungsgesellschaft in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung. In dem für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Streitjahr 2001 hielt die Klägerin eine Streubesitzbeteiligung von weniger als 10% des Stammkapitals einer anderen Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Die Gesellschafterversammlung dieser anderen Gesellschaft (im Folgenden: ausschüttende Gesellschaft) beschloss, nachdem zuvor ausweislich eines Protokolls vom 19. Oktober 2001 eine entsprechende Absicht bekundet worden war, am 15. Dezember 2001 eine Vorabausschüttung in Höhe von 3,75 Mio. DM. Hiervon entfiel auf die Klägerin ein Bruttobetrag von 257.953,56 DM, welcher ihr nach den Feststellungen des vorlegenden Finanzgerichts "spätestens am 19. Dezember 2001" durch Kontogutschrift zufloss. Nach Abzug anteiliger Betriebsausgaben ergibt sich ein der Höhe nach zwischen den Beteiligten des Ausgangsverfahrens unstreitiger Nettobetrag von 232.200 DM.

18

2. Das Finanzamt erfasste im Gewerbesteuermessbetragsbescheid für das Jahr 2001 diesen Betrag als Gewinn der Klägerin aus Gewerbebetrieb. Ihr hiergegen gerichteter Einspruch blieb ohne Erfolg. Gegen die Einspruchsentscheidung erhob die Klägerin Klage, mit der sie im Kern geltend machte, sie habe als Gesellschafterin der ausschüttenden Gesellschaft eine wirtschaftliche Disposition in dem Vertrauen darauf getroffen, dass die erhaltene Dividende nicht der Gewerbesteuer unterfallen werde. Durch die Gesetzesänderung sei das Halten der Beteiligung wirtschaftlich uninteressant geworden. Die Klägerin habe sie deshalb mittlerweile veräußert. Nach eigenem Bekunden hätte die Klägerin die Veräußerung ihrer Beteiligung an der ausschüttenden Gesellschaft noch vor der Ausschüttung vorgenommen, wenn die Gesetzesänderung früher bekannt geworden wäre.

III.

19

1. Das Finanzgericht Münster hatte das Klageverfahren durch Beschluss vom 2. März 2007 ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob die zu § 8 Nr. 5 GewStG in der Fassung des Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetzes ergangene Anwendungsregelung des § 36 Abs. 4 GewStG in der Fassung des Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetzes mit Art. 20 Abs. 3, Art. 2 Abs. 1 GG insoweit vereinbar ist, als die nach § 8b Abs. 1 KStG außer Ansatz bleibenden Gewinnanteile (Dividenden) und die diesen gleichgestellten Bezüge und erhaltenen Leistungen aus Anteilen an einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse im Sinne des KStG, soweit sie nicht die Voraussetzungen des § 9 Nr. 2a oder 7 GewStG erfüllen, unter den in dieser Vorschrift weiter genannten Voraussetzungen auch dann dem Gewinn aus Gewerbebetrieb hinzuzurechnen sind, wenn der Gewinnverwendungsbeschluss der ausschüttenden Körperschaft vor dem 20. Dezember 2001 gefasst und der auf die als Gesellschafterin beteiligte Körperschaft entfallende Betrag auch vor dem 20. Dezember 2001 ausgezahlt wurde sowie das im Zeitpunkt der Beschlussfassung und Auszahlung geltende Gesetz eine Hinzurechnung zum Gewinn nicht vorsah.

20

2. Das vorlegende Gericht fasste am 1. September 2011 einen neuen Vorlagebeschluss, mit dem es an seiner Vorlagefrage festhält, die Begründung dafür aber mit Rücksicht auf die zwischenzeitlich ergangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Rückwirkung im Steuerrecht neu formuliert. Das Finanzgericht ist weiterhin überzeugt von der Verfassungswidrigkeit des § 36 Abs. 4 GewStG in Verbindung mit § 8 Nr. 5 GewStG, jeweils in der Fassung des Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetzes vom 20. Dezember 2001.

21

a) Im Zeitpunkt des Zuflusses der Gewinnausschüttung bei der Klägerin habe noch ein verfassungsrechtlich schützenswertes Vertrauen in die bestehende Rechtslage bestanden. Zwingende öffentliche Interessen an einer rückwirkenden Gesetzesänderung, die das Vertrauen der Steuerpflichtigen überwögen, lägen nicht vor. Da für die Entscheidung im Ausgangsverfahren nur erheblich sei, ob bereits vor der Zustimmung des Bundesrates am 20. Dezember 2001 realisierte Einkünfte dazu führten, das Vertrauen der Klägerin als grundsätzlich schützenswert anzusehen, beziehe sich die Vorlagefrage nur auf dieses Datum. Unerheblich sei für das Ausgangsverfahren, ob der Vertrauensschutz schon mit der Zustimmung des Bundesrates am 20. Dezember 2001 oder erst im Zeitpunkt der Veröffentlichung des Gesetzes im Bundesgesetzblatt am 24. Dezember 2001 entfallen sei. In jedem Fall sei der Sachverhalt durch den Ausschüttungsbeschluss vom 15. Dezember 2001, die Überweisung der Dividende am 17. Dezember 2001 und deren Zufluss spätestens am 19. Dezember 2001 vor dem 20. Dezember 2001 abgeschlossen gewesen.

22

b) Nach zumindest ganz herrschender Meinung seien in einfachrechtlicher Hinsicht die Befreiungen nach § 8b Abs. 1, 2 KStG auch im Bereich der Gewerbesteuer anwendbar. Die Steuerbefreiung des § 8b Abs. 1 KStG wirke sich auf den körperschaftsteuerlichen Gewinn und damit vorbehaltlich der Hinzurechnungen und Kürzungen gemäß §§ 8, 9 GewStG auch auf den Gewerbeertrag im Sinne des § 7 Satz 1 GewStG aus. Das Gericht teile insofern nicht die Auffassung des Bundesministeriums der Finanzen. Eine verfassungskonforme Auslegung dahin, dass § 8b Abs. 1 KStG sich nicht auf § 7 GewStG auswirke und § 8 Nr. 5 in Verbindung mit § 36 Abs. 4 GewStG deshalb nur eine Klarstellung bedeute, sei nicht möglich. Die Hinzurechnung durch den neu in das Gesetz eingefügten § 8 Nr. 5 GewStG in der Fassung des Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetzes wirke konstitutiv und nicht nur deklaratorisch.

23

c) Bei der verfassungsrechtlichen Würdigung geht das vorlegende Gericht in seinem neuen Vorlagebeschluss nun von den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Juli 2010 (BVerfGE 127, 1; 127, 31; 127, 61) aus. Danach könne ein im Zeitpunkt des Mittelzuflusses bereits schwebendes Gesetzgebungsverfahren die Gewährleistungsfunktionen des geltenden Rechts nicht von vornherein suspendieren. Diesen Grundsätzen folge das vorlegende Gericht. Insbesondere halte das Gericht es in der Regel nicht für zumutbar, dass Steuerpflichtige sich im Zeitpunkt der Verwirklichung eines Einkünfterealisierungstatbestandes auf das alte Recht "nicht mehr" und auf das neue Recht "noch nicht" verlassen dürften und sich deshalb nicht nur über den jeweiligen Stand des Gesetzgebungsverfahrens informieren müssten, sondern darüber hinaus bei einem schwebenden Gesetzgebungsverfahren unter Umständen selbst bei den laufenden Geschäften über Monate hinaus nicht wüssten, welche Rechtslage letztlich gelten werde. Der vorliegend zu beurteilende Sachverhalt einer zugeflossenen Gewinnausschüttung unterscheide sich in seinen relevanten Merkmalen nicht von dem vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall einer zugeflossenen Arbeitnehmerabfindung (BVerfGE 127, 31). Mit dem Zufluss sei der Einkünfteerzielungstatbestand bereits verwirklicht.

24

Die neuen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts seien als Weiterentwicklung der bisherigen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu verstehen, und zwar unter Abwägung der in den dortigen Verfahren vorgebrachten Argumente. Den Beschlüssen vom 7. Juli 2010 (BVerfGE 127, 1 <22>; 127, 61 <80>) sei auch darin zu folgen, dass es nicht auf die konkrete Motivations- und Entscheidungslage der einzelnen Steuerpflichtigen bei der Disposition und ihrer Umsetzung ankomme, sondern für die Frage der Verfassungsmäßigkeit die generalisierende Sicht des Gesetzgebers maßgeblich sei. Der erhöhte Rechtfertigungsbedarf folge bereits aus der Gewährleistungsfunktion des geltenden Rechts. Die Steuerpflichtigen dürften bei ihren Entscheidungen über Sparen, Konsum oder Investition der erzielten Einnahmen darauf vertrauen, dass der Steuergesetzgeber nicht ohne sachlichen Grund von hinreichendem Gewicht die Rechtslage zu einem späteren Zeitpunkt rückwirkend zu ihren Lasten verändere und dadurch den Nettoertrag der Einkünfte erheblich mindere (vgl. BVerfGE 127, 31 <57 f.>).

25

Ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liege im Streitfall des Ausgangsverfahrens eine verfassungswidrige unechte Rückwirkung vor, da der Sachverhalt (Einkünfteerzielungstatbestand) mit der dem Gewinnausschüttungsbeschluss nachfolgenden tatsächlichen Überweisung des entsprechenden Betrages am 17./19. Dezember 2001 bereits vor der Verkündung des Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetzes im Bundesgesetzblatt vom 24. Dezember 2001 abgeschlossen gewesen sei.

26

d) Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung sehe sich das vorlegende Gericht in Übereinstimmung mit dem Beschluss des Finanzgerichts Berlin vom 13./26. Februar 2004 (6 B 6314/03, EFG 2004, S. 1146). Auch im Schrifttum seien - wenngleich mit unterschiedlicher und teilweise aufgrund der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts überholter Begründung - Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der rückwirkenden Geltung des § 8 Nr. 5 GewStG geäußert worden. Der gegenteiligen Auffassung des Finanzgerichts Köln im Urteil vom 1. Juni 2006 (15 K 5537/03, EFG 2007, S. 1345, Revisionsverfahren anhängig beim Bundesfinanzhof unter I R 14/07) folge das Gericht nicht.

IV.

27

Das Bundesministerium der Finanzen hat namens der Bundesregierung zu beiden Vorlagebeschlüssen Stellung genommen; der Präsident des Bundesfinanzhofs hat eine Stellungnahme des I. Senats des Bundesfinanzhofs zum ursprünglichen Vorlagebeschluss übersandt.

28

1. a) Die Bundesregierung hielt die ursprüngliche Vorlage für unzulässig und jedenfalls unbegründet.

29

aa) Das Finanzgericht habe sich nicht mit einer sich aufdrängenden verfassungskonformen Auslegung auseinandergesetzt. Es beziehe sich auf die herrschende Meinung, wonach die Änderung im Körperschaftsteuergesetz vor Inkrafttreten des § 36 Abs. 4 GewStG a.F. auf die Gewerbesteuer durchgeschlagen habe. Auf der Basis der dem Finanzgericht bekannten Gegenmeinung, wonach sich die Änderung im Körperschaftsteuerrecht nicht auf das Gewerbesteuerrecht ausgewirkt habe, würde § 36 Abs. 4 GewStG a.F. keine rückwirkende Belastung, sondern lediglich eine - unter Rückwirkungsgesichtspunkten unproblematische - Klarstellung der geltenden Rechtslage bedeuten. Eine verfassungskonforme Auslegung auch von Vorschriften, die mit der vorgelegten in engem Sachzusammenhang stünden, sei insbesondere dann geboten, wenn offensichtlich mehrere Auslegungsmöglichkeiten in Betracht kämen und mindestens eine von ihnen nicht in gleicher Weise den verfassungsrechtlichen Bedenken des vorlegenden Gerichts ausgesetzt sei.

30

bb) Im Fall ihrer Zulässigkeit sei die Vorlage jedenfalls unbegründet. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens habe nicht auf die alte Gesetzeslage vertrauen können. § 36 Abs. 4 GewStG a.F. sei nach Auffassung der Bundesregierung im Ausgangsfall unbedenklich, weil es hier von vornherein an einem schutzwürdigen Vertrauen in die alte Rechtslage fehle. Der maßgebliche Beschluss über die Vor-abausschüttung sei erst nach dem Gesetzesbeschluss des Bundestages getroffen worden. Das maßgebliche Datum für den Vertrauensschutz sei der Tag des endgültigen Gesetzesbeschlusses des Bundestages.

31

Das Bundesverfassungsgericht habe dies mit seiner neueren Rechtsprechung (Hinweis auf BVerfGE 127, 31) bestätigt. Im Ausgangsverfahren sei die Ausschüttung erst einen Tag nach dem Gesetzesbeschluss des Bundestages beschlossen worden. Insofern unterscheide sich der vorgelegte Fall von dem Ausgangsfall zu BVerfGE 127, 31. Jedenfalls auf den Tag des Gesetzesbeschlusses hätte der Gesetzgeber nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die neue Rechtsfolge rückwirkend anordnen dürfen. Zumindest insoweit müsste der in § 36 Abs. 4 GewStG a.F. zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wille zur rückwirkenden Regelung respektiert werden. Es erscheine ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber, hätte er nicht über den Zeitpunkt des Gesetzesbeschlusses hinaus rückwirkend eingreifen können, nicht zumindest diesen Zeitpunkt als maßgeblich benannt hätte. Darüber hinaus bestehe zur Vermeidung von Ankündigungseffekten ein Interesse des Gesetzgebers an einer möglichst früh geltenden Regelung, um Vorverlegungen von Dividendenausschüttungen zu begegnen, da es sich hierbei um einen besonders einfach gestaltbaren Vorgang handele.

32

b) Die Bundesregierung hat auch zum neuen Vorlagebeschluss Stellung genommen und dabei ihren bisherigen Standpunkt bekräftigt.

33

Die zu § 8 Nr. 5 GewStG ergangene Anwendungsvorschrift des § 36 Abs. 4 GewStG a.F. sei kein Fall echter Rückwirkung. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens könne sich aus den bereits in der ursprünglichen Stellungnahme der Bundesregierung vorgetragenen Gründen entgegen der Auffassung des vorlegenden Gerichts nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen berufen.

34

2. Der I. Senat des Bundesfinanzhofs hat mitgeteilt, er habe sich mit der erstmaligen Anwendung von § 8 Nr. 5 GewStG in Verbindung mit § 36 Abs. 4 GewStG a.F. und einem dadurch möglicherweise bedingten Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip bislang noch nicht auseinandersetzen müssen. Ein anhängiges Revisionsverfahren (Aktenzeichen I R 14/07) sei mit Blick auf das Vorlageverfahren zum Ruhen gebracht worden.

35

Der Senat habe mehrheitlich Zweifel, dass dem vorlegenden Finanzgericht beizupflichten sei. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Beschränkung der steuerlichen Entlastung von Entschädigungen für entgangene oder entgehende Einnahmen unter anderem insoweit gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes verstoße, als die Entschädigung vor der Verkündung des neuen Rechts ausgezahlt worden sei (Hinweis auf BVerfGE 127, 31 <56 ff.>). Hier betreffe die in Rede stehende Ausschüttung der ausschüttenden Kapitalgesellschaft nur deren (Minderheits-)Anteilseigner als Empfänger der Ausschüttung. Er habe den Zeitpunkt, in welchem die Ausschüttung beschlossen worden sei, nicht beeinflussen können. Im Unterschied zur Entschädigungsvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gebe es deswegen auch keinen Anlass, sein Vertrauen im Zeitpunkt des Ausschüttungszuflusses als schützenswert zu erachten.

B.

36

Die Vorlagefrage bedarf der geringfügigen Präzisierung und Erweiterung. Die Frage, ob die zu § 8 Nr. 5 GewStG ergangene, die Regelung für ab dem 1. Januar 2001 anwendbar erklärende Vorschrift des § 36 Abs. 4 GewStG a.F., jeweils in der Fassung des Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetzes, mit den Grundsätzen des Vertrauensschutzes aus Art. 20 Abs. 3 GG insoweit vereinbar ist, als die nach § 8b Abs. 1 KStG außer Ansatz bleibenden Gewinnanteile (Dividenden) bei Streubesitzbeteiligungen auch dann dem Gewinn aus Gewerbebetrieb hinzuzurechnen sind, wenn der Gewinnverwendungsbeschluss der ausschüttenden Körperschaft vor dem 20. Dezember 2001 gefasst und der auf die als Gesellschafterin beteiligte Körperschaft entfallende Betrag auch vor dem 20. Dezember 2001 ausgezahlt wurde, ist zum einen auf Vorabausschüttungsbeschlüsse zu beschränken und zum anderen auf den Zeitraum bis zur Verkündung des Gesetzes im Bundesgesetzblatt vom 24. Dezember 2001 zu erweitern.

37

Bei normalen Gewinnverwendungsbeschlüssen (Beschlüsse über offene Ausschüttungen von in bereits abgelaufenen Kalenderjahren entstandenen Gewinnen) fand der im Zuge des körperschaftsteuerlichen Systemwechsels neu gefasste § 8b Abs. 1 KStG im Jahr 2001 noch keine Anwendung (vgl. § 34 Abs. 7 Sätze 1 und 2 KStG sowie Bundesministerium der Finanzen, Schreiben vom 28. April 2003 - IV A 2 - S 2750 a - 7/03 -, BStBl I S. 292, Rn. 60 ff.). Die Vorlagefrage wird daher auf Vorabausschüttungen beschränkt.

38

Für die verfassungsrechtliche Beurteilung kommt es allenfalls darauf an, ob die Vorabausschüttung vor der Verkündung der Neuregelung am 24. Dezember 2001 erfolgt ist, statt, wie angefragt, vor dem 20. Dezember 2001, dem Tag der Zustimmung des Bundesrates zu dem Beschluss des Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetzes durch den Bundestag.

39

Schließlich ist die Vorlagefrage des Finanzgerichts mit Rücksicht auf die Befriedungsfunktion des Normenkontrollverfahrens (vgl. dazu BVerfGE 44, 322 <337 f.>; 62, 354 <364>; 78, 132 <143>) über den für das Ausgangsverfahren unmittelbar erheblichen Zeitraum hinaus darauf zu erstrecken, inwieweit es mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes vereinbar ist, auch weiter zurückliegende Ausschüttungsvorgänge bis zum Beginn des Rückwirkungszeitraums am 1. Januar 2001 der neuen Gewinnanrechnungsvorschrift des § 8 Nr. 5 GewStG zu unterwerfen.

C.

40

Das rückwirkende Inkraftsetzen der Hinzurechnungsvorschrift des § 8 Nr. 5 GewStG in der Fassung des Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetzes ist verfassungsgemäß, soweit es den Zeitraum nach dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses für den neuen § 8 Nr. 5 GewStG vom 11. Dezember 2001 betrifft; soweit hingegen bis zu diesem Zeitpunkt beschlossene und zugeflossene Vorabausschüttungen hiervon erfasst werden, ist die Anwendungsregel des § 36 Abs. 4 GewStG a.F. mit den Grundsätzen des Vertrauensschutzes unvereinbar.

I.

41

1. Das grundsätzliche Verbot rückwirkender belastender Gesetze beruht auf den Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes (vgl. BVerfGE 45, 142 <167 f.>). Es schützt das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der unter der Geltung des Grundgesetzes geschaffenen Rechtsordnung und der auf ihrer Grundlage erworbenen Rechte (BVerfGE 101, 239 <262>). Wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert, bedarf dies einer besonderen Rechtfertigung vor dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten des Grundgesetzes, unter deren Schutz Sachverhalte "ins Werk gesetzt" worden sind (vgl. BVerfGE 45, 142 <167 f.>; 63, 343 <356 f.>; 72, 200 <242>; 97, 67 <78 f.>). Die Grundrechte wie auch das Rechtsstaatsprinzip garantieren im Zusammenwirken die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und damit als eine Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen. Es würde Einzelne in ihrer Freiheit erheblich gefährden, dürfte die öffentliche Gewalt an ihr Verhalten oder an sie betreffende Umstände ohne Weiteres im Nachhinein belastendere Rechtsfolgen knüpfen, als sie zum Zeitpunkt ihres rechtserheblichen Verhaltens galten (vgl. BVerfGE 30, 272 <285>; 63, 343 <357>; 72, 200 <257 f.>; 97, 67 <78>; 105, 17 <37>; 114, 258 <300 f.>; 127, 1 <16>).

42

2. Eine Rechtsnorm entfaltet "echte" Rückwirkung, wenn sie nachträglich in einen abgeschlossenen Sachverhalt ändernd eingreift (vgl. BVerfGE 101, 239 <263>; 123, 186 <257>). Dies ist insbesondere der Fall, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll ("Rückbewirkung von Rechtsfolgen"; vgl. BVerfGE 127, 1 <17>). Normen mit echter Rückwirkung sind grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässig (vgl. BVerfGE 13, 261 <271>; 101, 239 <263>). Erst mit der Verkündung, das heißt mit der Ausgabe des ersten Stücks des Verkündungsblattes, ist eine Norm rechtlich existent. Bis zu diesem Zeitpunkt, zumindest aber bis zum endgültigen Gesetzesbeschluss (vgl. BVerfGE 97, 67 <78 f.> m.w.N.), müssen von einem Gesetz Betroffene grundsätzlich darauf vertrauen können, dass ihre auf geltendes Recht gegründete Rechtsposition nicht durch eine zeitlich rückwirkende Änderung der gesetzlichen Rechtsfolgenanordnung nachteilig verändert wird (vgl. BVerfGE 63, 343 <353 f.>; 67, 1 <15>; 72, 200 <241 f.>; 97, 67 <78 f.>; 114, 258 <300>; 127, 1 <16 f.>).

43

3. a) Eine unechte Rückwirkung liegt vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition entwertet (vgl. BVerfGE 101, 239 <263>; 123, 186 <257>), so wenn belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden ("tatbestandliche Rückanknüpfung"; vgl. BVerfGE 63, 343 <356>; 72, 200 <242>; 97, 67 <79>; 105, 17 <37 f.>; 127, 1 <17>). Sie ist grundsätzlich zulässig. Allerdings können sich aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Grenzen der Zulässigkeit ergeben. Diese Grenzen sind erst überschritten, wenn die vom Gesetzgeber angeordnete unechte Rückwirkung zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn die Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen (vgl. BVerfGE 95, 64 <86>; 101, 239 <263>; 122, 374 <394 f.>; stRspr).

44

b) Im Steuerrecht liegt eine echte Rückwirkung nur vor, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert (vgl. BVerfGE 127, 1 <18 f.>; 127, 31 <48 f.>; 127, 61 <77 f.>). Für den Bereich des Einkommensteuerrechts bedeutet dies, dass die Änderung von Normen mit Wirkung für den laufenden Veranlagungszeitraum der Kategorie der unechten Rückwirkung zuzuordnen ist; denn nach § 38 der Abgabenordnung (AO) in Verbindung mit § 36 Abs. 1 EStG entsteht die Einkommensteuer erst mit dem Ablauf des Veranlagungszeitraums, das heißt des Kalenderjahres (§ 25 Abs. 1 EStG; vgl. BVerfGE 72, 200 <252 f.>; 97, 67 <80>; vgl. auch bereits BVerfGE 13, 261 <263 f., 272>; 13, 274 <277 f.>; 19, 187 <195>; 30, 272 <285>). Entsprechendes gilt für das Gewerbesteuerrecht im Hinblick auf den regelmäßig mit dem Kalenderjahr endenden Erhebungszeitraum (§§ 14, 18 GewStG).

45

c) Sofern eine Steuerrechtsnorm nach diesen Grundsätzen über den Veranlagungs- oder Erhebungszeitraum unechte Rückwirkung entfaltet, gelten für deren Vereinbarkeit mit der Verfassung im Verhältnis zu sonstigen Fällen unechter Rückwirkung gesteigerte Anforderungen. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass rückwirkende Regelungen innerhalb eines Veranlagungs- oder Erhebungszeitraums, die danach der unechten Rückwirkung zugeordnet werden, in vielerlei Hinsicht den Fällen echter Rückwirkung nahe stehen. Freilich ist auch in diesem Fall eine unechte Rückwirkung nicht grundsätzlich unzulässig (vgl. BVerfGE 127, 1 <17>; 127, 31 <47 f.>; 127, 61 <76>). Die Gewährung vollständigen Schutzes zu Gunsten des Fortbestehens der bisherigen Rechtslage würde andernfalls den dem Gemeinwohl verpflichteten Gesetzgeber in wichtigen Bereichen lähmen und den Konflikt zwischen der Verlässlichkeit der Rechtsordnung und der Notwendigkeit ihrer Änderung im Hinblick auf einen Wandel der Lebensverhältnisse in nicht mehr vertretbarer Weise zu Lasten der Anpassungsfähigkeit der Rechtsordnung lösen (vgl. BVerfGE 63, 343 <357>; 105, 17 <40>; 114, 258 <301>). Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht insbesondere nicht so weit, vor jeder Enttäuschung zu bewahren (vgl. BVerfGE 63, 312 <331>; 67, 1 <15>; 71, 255 <272>; 76, 256 <349 f.>). Soweit nicht besondere Momente der Schutzwürdigkeit hinzutreten, genießt die bloß allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz (vgl. BVerfGE 38, 61 <83>; 68, 193 <222>; 105, 17 <40>; 109, 133 <180 f.>; 125, 104 <135>).

46

Der Gesetzgeber muss aber, soweit er für künftige Rechtsfolgen an zurückliegende Sachverhalte innerhalb des nicht abgeschlossenen Veranlagungs- oder Erhebungszeitraums anknüpft, dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maß Rechnung tragen. Die Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden, und das Vertrauen der Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage sind abzuwägen (vgl. BVerfGE 30, 392 <404>; 50, 386 <395>; 67, 1 <15>; 75, 246 <280>; 105, 17 <37>; 114, 258 <300>). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss gewahrt sein (vgl. BVerfGE 72, 200 <242 f.>; 95, 64 <86>; 101, 239 <263>; 116, 96 <132>; 122, 374 <394>; 123, 186 <257>). Soweit daher an zurückliegende Sachverhalte innerhalb des nicht abgeschlossenen Veranlagungs- oder Erhebungszeitraums angeknüpft wird, ist diese unechte Rückwirkung mit den Grundsätzen grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes nur vereinbar, wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt (vgl. BVerfGE 127, 1 <17 f.>; 127, 31 <47 f.>; 127, 61 <76 f.>). Wenn der Gesetzgeber das Gewerbesteuerrecht während des laufenden Erhebungszeitraums umgestaltet und die Rechtsänderungen auf dessen Beginn bezieht, bedürfen die belastenden Wirkungen einer Enttäuschung schutzwürdigen Vertrauens deshalb stets einer hinreichenden Begründung nach den Maßstäben der Verhältnismäßigkeit. Hier muss der Normadressat eine Enttäuschung seines Vertrauens in die alte Rechtslage nur hinnehmen, soweit dies aufgrund besonderer, gerade die Rückanknüpfung rechtfertigender öffentlicher Interessen unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt ist (vgl. BVerfGE 127, 1 <20>; 127, 31 <48 f.>).

II.

47

Die Regelung des § 36 Abs. 4 GewStG a.F., nach der die Hinzurechnung von Dividenden und gleichgestellten Leistungen zum Gewerbeertrag gemäß § 8 Nr. 5 GewStG erstmals für den Erhebungszeitraum 2001 anzuwenden ist, führt zu einer unechten Rückwirkung (1). Sie ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, soweit sie Vorabausschüttungen erfasst, die erst nach dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses vom 11. Dezember 2001 beschlossen oder abgewickelt wurden (2), verstößt hingegen gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes, soweit sie Vorabausschüttungen betrifft, die in dem Zeitraum bis einschließlich 11. Dezember 2001 beschlossen und abgewickelt wurden (3).

48

1. Der durch das am 24. Dezember 2001 verkündete Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz vom 20. Dezember 2001 neu eingefügte § 8 Nr. 5 GewStG bestimmt, dass dem Gewinn aus Gewerbebetrieb die nach dem Einkommensteuerrecht oder Körperschaftsteuerrecht außer Ansatz gebliebenen Gewinnanteile (Dividenden) und gleichgestellten Bezüge und Leistungen aus Streubesitzbeteiligungen (vgl. den Verweis auf § 9 Nr. 2a und 7 GewStG in § 8 Nr. 5 GewStG und zum Zusammenhang der Normen BFH, Beschluss vom 9. November 2011 - I B 62/11 -, BFH/NV 2012, S. 449) wieder hinzugerechnet werden. Damit hat der Gesetzgeber die Auswirkung des im Zuge des Systemwechsels im Körperschaftsteuerrecht (vgl. BVerfGE 125, 1 <2 ff.>) durch das Steuersenkungsgesetz vom 23. Oktober 2000 (BGBl I S. 1433) neu gefassten und später mehrfach geänderten § 8b KStG auf die Gewinnermittlung im Gewerbesteuerrecht korrigiert. Die neue Vorschrift (vgl. zu der ursprünglichen Fassung BVerfGE 127, 224 <229>) sah bei Anteilen an inländischen Gesellschaften zunächst eine vollständige Freistellung für Beteiligungserträge und Veräußerungsgewinne von der Körperschaft-steuer vor. Nach der im Einklang mit der ganz herrschenden Meinung im Schrifttum (vgl. Eilers/Wienands, GmbHR 2000, S. 957 <963>; Gosch, KStG, 2. Aufl. 2009, § 8b Rn. 74; Gröning/Siegmund, DStR 2003, S. 617; Güroff, in: Glanegger/Güroff, GewStG, § 8 Nr. 5, Rn. 1 [5. Aufl. 2002, 7. Aufl. 2009]; Prinz/Simon, DStR 2002, S. 149; Ritzer/Stangl, INF 2002, S. 131 <133 ff.>; Roser, in: Lenski/Steinberg, GewStG, § 7 Rn. 75 [Stand: Juli 2009]) stehenden Auffassung des vorlegenden Finanzgerichts führte die Befreiungsvorschrift des § 8b KStG über die Verknüpfungsnorm in § 7 GewStG - vorbehaltlich einer im Gesetz zunächst nicht enthaltenen Hinzurechnung nach § 8 GewStG - im Vergleich zur früheren Rechtslage zu einer entsprechenden Verringerung des Gewerbeertrags.

49

Für die vom Bundesministerium der Finanzen geforderte verfassungskonforme Auslegung des § 7 Satz 1 GewStG im Sinne einer Nichtberücksichtigung des § 8b KStG bei der Ermittlung des Gewerbeertrags ist angesichts der eindeutigen, auch von den Gesetzesmaterialien (vgl. BTDrucks 14/2683, S. 124) gestützten Rechtslage kein Raum. Unabhängig davon bietet das Mittel der verfassungskonformen Auslegung keine Handhabe dafür, ein vorlegendes Gericht zu einer bestimmten einfachrechtlichen Auslegung eines anderen, dem verfahrensgegenständlichen vorangegangenen Gesetzes nur deshalb anzuhalten, um so eine verfassungswidrige Rückwirkung der vorgelegten Norm zu vermeiden.

50

Indem § 36 Abs. 4 GewStG a.F. die erstmalige Anwendung des § 8 Nr. 5 GewStG für den noch nicht abgeschlossenen Erhebungszeitraum 2001 und damit beginnend mit dem 1. Januar 2001 anordnete, änderte er die Vorschriften über die Ermittlung des zu versteuernden Gewerbeertrags im Sinne einer unechten Rückwirkung.

51

2. Die Anwendungsvorschrift des § 36 Abs. 4 GewStG a.F. verstößt nicht gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes, soweit sie rückwirkend Vorabausschüttungen im Jahr 2001 erfasst, die erst nach dem Vermittlungsvorschlag vom 11. Dezember 2001 beschlossen oder abgewickelt wurden, selbst wenn sie dem Empfänger der Vorabausschüttung noch vor der Verkündung des Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetzes im Bundesgesetzblatt zugeflossen sind. Dies gilt erst recht für Beschlüsse über Vorabausschüttungen, die nach dem endgültigen Gesetzesbeschluss vom 14. Dezember 2001 gefasst wurden.

52

a) Gewinnausschüttungen beruhen zwar nicht zwingend auf einer besonderen Vertrauensdisposition der Streubesitzbeteiligten (aa). Letztere können sich aber gleichwohl auf Vertrauensschutz berufen (bb).

53

aa) Ausschüttungen oder - wie im Ausgangsfall - Vorabausschüttungen von Erträgen aus einer Beteiligung im Sinne des § 8 Nr. 5 GewStG, die nach § 3 Nr. 40 EStG oder § 8b Abs. 1 KStG außer Ansatz bleiben, sind bei Streubesitzbeteiligungen, um die es hier allein geht (vgl. § 8 Nr. 5 in Verbindung mit § 9 Nr. 2a und 7 GewStG), typischerweise nicht Ausfluss einer Dispositionsentscheidung des Minderheitsgesellschafters, die besonderen Vertrauensschutz verdient. Der gewerbesteuerpflichtige Minderheitsgesellschafter trifft in diesen Fällen im Allgemeinen keine von ihm maßgeblich verantwortete Dispositionsentscheidung über die Gewinnausschüttung, die Vertrauensschutz begründen könnte. Sein Einfluss in der Gesellschafterversammlung dürfte allenfalls gering sein. Er wird die Entscheidung der Gesellschafterversammlung über das Ob und Wie einer Ausschüttung oder Vorabausschüttung daher regelmäßig lediglich hinnehmen. Zudem ist die Entscheidung über eine Gewinnausschüttung per se keine Maßnahme, die - wie etwa eine Investitionsentscheidung - im Vertrauen auf den längerfristigen Bestand einer Rechtslage erfolgt. Auch das der Vorlage zugrunde liegende Ausgangsverfahren bietet keinen Anhaltspunkt dafür, dass die in Streit stehende Vorabausschüttung auf Maßnahmen der Klägerin zurückginge, die in besonderer Weise schutzwürdiges Vertrauen begründeten.

54

bb) Berechtigtes Vertrauen für den die Ausschüttung entgegennehmenden Minderheitsgesellschafter besteht danach vorrangig im Hinblick auf die Gewährleistungsfunktion der Rechtsordnung (vgl. BVerfGE 127, 31 <57 f.>). Steuerpflichtige müssen grundsätzlich darauf vertrauen dürfen, dass die zum Zeitpunkt des tatsächlichen Abschlusses eines steuerrelevanten Geschäftsvorgangs geltende Steuerrechtslage nicht ohne hinreichend gewichtigen Rechtfertigungsgrund rückwirkend geändert wird. Andernfalls wäre das Vertrauen in die Rechtssicherheit und Rechtsbeständigkeit der Rechtsordnung als Garanten einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung ernsthaft gefährdet (vgl. BVerfGE 109, 133 <180>; 126, 369 <393>; 127, 1 <16>). Die bloß allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, genießt zwar, sofern keine besonderen Momente der Schutzwürdigkeit hinzutreten, keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz (vgl. BVerfGE 38, 61 <83>; 68, 193 <222>; 105, 17 <40>; 109, 133 <180 f.>; 127, 1 <17>). Das diesen Grundsatz rechtfertigende Anliegen, die notwendige Flexibilität der Rechtsordnung zu wahren, zielt indes auf künftige Rechtsänderungen und relativiert nicht ohne Weiteres die Verlässlichkeit der Rechtsordnung innerhalb eines Veranlagungs- oder Erhebungszeitraums.

55

b) Die Einbringung eines Gesetzentwurfs im Deutschen Bundestag stellt das Vertrauen in den zukünftigen Bestand einer Rechtslage in Frage (aa), jedenfalls der endgültige Beschluss des Bundestages über das rückwirkende Gesetz zerstört es grundsätzlich (bb). Der Vorschlag des Vermittlungsausschusses hat hier das Vertrauen in den Fortbestand der Rechtslage beseitigt (cc).

56

aa) Mit der Einbringung eines Gesetzentwurfs im Bundestag durch ein initiativberechtigtes Organ werden geplante Gesetzesänderungen öffentlich. Ab diesem Zeitpunkt sind mögliche zukünftige Gesetzesänderungen in konkreten Umrissen allgemein vorhersehbar. Deshalb können Steuerpflichtige regelmäßig nicht mehr darauf vertrauen, das gegenwärtig geltende Recht werde auch in Zukunft, insbesondere im Folgejahr, unverändert fortbestehen; es ist ihnen vielmehr grundsätzlich möglich, ihre wirtschaftlichen Dispositionen durch entsprechende Anpassungsklauseln auf mögliche zukünftige Änderungen einzustellen (vgl. BVerfGE 127, 31 <50>).

57

bb) Jedenfalls ab dem endgültigen Beschluss des Deutschen Bundestages über einen Gesetzentwurf müssen die Betroffenen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit der Verkündung und dem Inkrafttreten der Neuregelung rechnen, weshalb es ihnen von diesem Zeitpunkt an zuzumuten ist, ihr Verhalten auf die beschlossene Gesetzeslage einzurichten. Der Gesetzgeber kann deshalb berechtigt sein, den zeitlichen Anwendungsbereich einer Norm sogar im Sinne einer echten Rückwirkung auch auf den Zeitraum von dem Gesetzesbeschluss bis zur Verkündung zu erstrecken (vgl. BVerfGE 13, 261 <273>; 30, 272 <286 f.>; 72, 200 <260 ff.>; 95, 64 <86 f.>; 97, 67 <79>; 127, 31 <58>). Diese Zuordnung hat das Bundesverfassungsgericht als den "verhältnismäßig besten Ausgleich" zwischen den denkbaren Positionen - Abstellen auf die Einbringung des Gesetzentwurfs einerseits und die Verkündung der Neuregelung andererseits - bezeichnet (vgl. BVerfGE 72, 200 <261 f.>; 127, 31 <58>).

58

cc) (1) Der durch die Bundesregierung in den Deutschen Bundestag eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts (BTDrucks 14/6882) enthielt noch keine den späteren § 8 Nr. 5 GewStG und § 36 Abs. 4 GewStG a.F. entsprechenden Bestimmungen. Die Anregung des Bundesrates in seiner Stellungnahme vom 27. September 2001 zu dem Gesetzentwurf, die Hinzurechnung von Bezügen und Einnahmen nach § 3 Nr. 40 EStG und von Bezügen und Gewinnen nach § 8b KStG zum Gewerbeertrag ausdrücklich zu regeln (vgl. BTDrucks 14/7084, S. 4 f.), wurde von der Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung mit dem Argument abgelehnt, dass die Umsetzung des Vorschlags die Wiedereinführung der mit dem Steuersenkungsgesetz gerade abgeschafften Doppelbelastung von Streubesitz mit Gewerbesteuer bedeuten würde (vgl. BTDrucks 14/7084, S. 8). Zu diesem Zeitpunkt mussten potenziell Betroffene ihr Verhalten daher noch nicht auf eine solche Regelung einstellen.

59

Erst nach Einleitung des Vermittlungsverfahrens und jedenfalls mit dessen Abschluss änderte sich dies. In der in der Bundestagsdrucksache 14/7780 vom 11. Dezember 2001 veröffentlichten Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses an den Bundestag zum Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz waren nunmehr Formulierungsvorschläge zu einem neuen § 8 Nr. 5 GewStG und zu § 36 Abs. 4 GewStG a.F. enthalten, die den später Gesetz gewordenen Regelungen entsprachen (vgl. BTDrucks 14/7780, S. 5). Hinsichtlich ihrer das Vertrauen in den Fortbestand der geltenden Rechtslage beeinträchtigenden Wirkung entspricht die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses nicht nur derjenigen der Einbringung eines Gesetzentwurfs im Bundestag durch ein initiativberechtigtes Organ, sondern geht sogar noch darüber hinaus. Die Annahme eines solchen Vermittlungsvorschlags durch den Bundestag ist regelmäßig erheblich wahrscheinlicher als die Verwirklichungschancen eines Gesetzentwurfs zu Beginn der parlamentarischen Beratungen, weil der Vermittlungsvorschlag am Ende des parlamentarischen Entscheidungsfindungsprozesses einschließlich der Kompromissbemühungen des Vermittlungsausschusses steht und deren Ergebnis markiert.

60

Es kann daher hier offen bleiben, ob die Einbringung eines Gesetzentwurfs im Bundestag durch ein initiativberechtigtes Organ stets der maßgebliche Zeitpunkt ist, ab dem sich die Betroffenen nicht mehr auf ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand der bisherigen Rechtslage berufen können (s.o. aa, vgl. auch BVerfGE 127, 31 <50>). Mit dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses vom 11. Dezember 2001 ist die Zerstörung schutzwürdigen Vertrauens hier jedenfalls eingetreten. Dies folgt aus der besagten hohen Wahrscheinlichkeit der Annahme des Vermittlungsvorschlags auf der einen Seite und der geringen Schutzwürdigkeit des Minderheitsgesellschafters im Hinblick auf einen Gewinnausschüttungsbeschluss der Gesellschaft (s. dazu oben 2 a) auf der anderen Seite  . 

61

(2) Schutzwürdiges Vertrauen in den künftigen Bestand der bisherigen Rechtslage besteht erst recht nicht mehr ab der Zustimmung des Bundestages zum Vermittlungsvorschlag des Vermittlungsausschusses (vgl. Art. 77 Abs. 2 Satz 5 GG) vom 14. Dezember 2001 (vgl. BRDrucks 1061/01). Dieser Zeitpunkt entspricht in jeder Hinsicht dem des endgültigen Gesetzesbeschlusses des Bundestages über einen Gesetzentwurf, der nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - auch in den Fällen echter Rückwirkung - den zeitlichen Endpunkt eines schutzwürdigen Vertrauens in den Bestand der bisherigen Rechtslage bestimmt (s. vorstehend bb).

62

(3) Der Wegfall schutzwürdigen Vertrauens bereits durch den Vorschlag des Vermittlungsausschusses vom 11. Dezember 2001 führt dazu, dass Vorabausschüttungsbeschlüsse, die nach dem 11. Dezember 2001 gefasst worden sind, keinen verfassungsrechtlichen Schutz vor der Hinzurechnung der Vorabausschüttung zum Gewerbeertrag nach dem später in das Gewerbesteuergesetz eingefügten § 8 Nr. 5 GewStG genießen. Da es insoweit schon an einem schutzwürdigen Vertrauen auf das Nichtbestehen einer solchen Hinzurechnungsvorschrift fehlt, kommt eine Abwägung, ob das Interesse der Allgemeinheit an dem rückwirkenden Inkraftsetzen des § 8 Nr. 5 GewStG bis zum 11. Dezember 2001 dem Vertrauen Einzelner auf die Fortgeltung der Rechtslage über diesen Zeitpunkt hinaus unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (zu diesem Maßstab vgl. BVerfGE 127, 31 <47 f.> und oben I 3 c) vorgeht, nicht in Betracht.

63

Das der Vorlage des Finanzgerichts zugrunde liegende Ausgangsverfahren betrifft einen solchen Fall; der Vorabausschüttungsbeschluss in jenem Verfahren datiert vom 15. Dezember 2001, liegt also zeitlich sowohl nach dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses vom 11. Dezember 2001 als auch nach dem Gesetzesbeschluss des Bundestages vom 14. Dezember 2001.

64

c) Das rückwirkende Inkraftsetzen von § 8 Nr. 5 GewStG ist mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes auch insoweit vereinbar, als die Regelung Vorab-ausschüttungen erfasst, die zwar erst nach dem 11. Dezember 2001 beschlossen wurden, jedoch - wie im Ausgangsverfahren - dem Steuerpflichtigen noch vor der Verkündung der Neuregelung am 24. Dezember 2001 zugeflossen sind.

65

Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings in seinem Beschluss vom 7. Juli 2010 zur sogenannten "Fünftel-Regelung" des § 34 Abs. 1 EStG (BVerfGE 127, 31<57 ff.>) die Schutzwürdigkeit des Vertrauens der Betroffenen in die Gewährleistungsfunktion des geltenden Rechts unabhängig von der Schutzwürdigkeit ihrer Dispositionen zum Zeitpunkt der zugrunde liegenden Vereinbarungen für den Fall bejaht, dass der Mittelzufluss vor Verkündung der Neuregelung erfolgt ist. Dabei ging es um Abfindungsvereinbarungen zwischen Arbeitgebern und aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidenden Arbeitnehmern. Bei den Entscheidungen über Sparen, Konsum oder Investition der erzielten Einnahmen durften die Arbeitnehmer nach dem Beschluss vom 7. Juli 2010 darauf vertrauen, dass der Steuergesetzgeber nicht ohne sachlichen Grund von hinreichendem Gewicht die Rechtslage zu einem späteren Zeitpunkt rückwirkend zu ihren Lasten verändere und dadurch den Nettoertrag der erhaltenen Abfindungszahlung erheblich mindere. Die Vorhersehbarkeit einer möglichen zukünftigen Gesetzesänderung bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses der Entschädigungsvereinbarung und zum Zeitpunkt der Erfüllung des materiellen steuerbegründenden Tatbestands durch den Zufluss des Abfindungsbetrags stehe der Anerkennung grundrechtlich geschützten Vertrauens in geltendes Recht zum Zeitpunkt der Erfüllung nicht grundsätzlich entgegen (vgl. BVerfGE 127, 31 <57 f.>). Selbst wenn der Geldzufluss erst nach dem endgültigen Gesetzesbeschluss über die beabsichtigte Steuererhöhung erfolgt sei und die Betroffenen sich deshalb grundsätzlich schon auf die Neuregelung hätten einstellen können, bleibe in diesen Fällen des Mittelzuflusses vor Verkündung der Neuregelung das berechtigte Vertrauen der Steuerpflichtigen in die Gewährleistungsfunktion des Rechts, das nur durch überwiegende Gemeinwohlinteressen an einer rückwirkenden Neuregelung überwunden werden könne (vgl. BVerfGE 127, 31 <58 f.>).

66

Die Grundsätze dieser Fallgruppe sind auf den hier zu entscheidenden Fall nicht übertragbar. Dort ging es um zweiseitige Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, auf deren Gültigkeit und Werthaltigkeit der Arbeitnehmer unter Umständen existenziell angewiesen war. Mit der Zustimmung zu einer Abfindungsvereinbarung disponiert der Arbeitnehmer über den Bestand seines Arbeitsvertrags und damit über Teile seiner wirtschaftlichen Existenz. Dabei handelt er in einer gewissen Zwangslage. Er verliert seine Rechte zwar nicht ohne seinen Willen, gibt sie aber doch unter einem erheblichen wirtschaftlichen, rechtlichen oder tatsächlichen Druck auf (vgl. BVerfGE 127, 31 <52, 60>). In dieser besonderen Situation verdient das Interesse des Arbeitnehmers am Erhalt des verfügbaren Werts einer solchen Vereinbarung in weitergehendem Umfang Schutz, selbst wenn sie erst nach der Zustimmung des Bundestages zu einem Steuererhöhungsgesetz geschlossen wurde, sofern die Abfindung noch vor der Verkündung des Gesetzes ausgezahlt wurde (vgl. BVerfGE 127, 31 <58 f.>).

67

Damit ist die Lage bei der Ausschüttung von Gewinnanteilen an Streubesitzbeteiligte in der dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Art nicht vergleichbar. Eine Vertrauensschutz erfordernde Disposition über Teile seines Vermögens hat der Minderheitsgesellschafter hier nicht in einer dem Arbeitnehmer bei der Abfindungsvereinbarung vergleichbaren Weise getätigt. Als Streubesitzbeteiligter ist er im Fall einer Ausschüttung im Wesentlichen auf deren Entgegennahme beschränkt; schutzwürdiges Vertrauen investiert er dabei regelmäßig in allenfalls geringfügigem Umfang (s. dazu bereits oben 2 a aa). Nach dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses zur rückwirkenden Einführung der Hinzurechnungsregelung vom 11. Dezember 2001, erst recht nach dem endgültigen Beschluss des Bundestages, im vorliegenden Fall nach der Zustimmung des Bundestages vom 14. Dezember 2001 zum Vermittlungsvorschlag, konnten sich die Begünstigten eines Vorabausschüttungsbeschlusses ohne Weiteres auf die sich konkret abzeichnende neue Rechtslage einstellen. Selbst bei Abwicklung dieses Beschlusses vor der Verkündung des Gesetzes am 24. Dezember 2001 ändert der dadurch erreichte "gesteigerte Grad an Abgeschlossenheit" (vgl. BVerfGE 127, 31 <59>) nichts am Fehlen schutzwürdigen Vertrauens in den Bestand der noch geltenden Steuerrechtslage für die Vorabausschüttung. Allein die Gewährleistungsfunktion des zum Zeitpunkt des Mittelzuflusses geltenden Rechts vermag das Fehlen schutzwürdigen Vertrauens wegen der bereits konkret absehbaren Neuregelung in solchen Fällen nicht zu kompensieren.

68

Fehlt es für die Zeit nach dem 11. Dezember 2001 an schutzwürdigem Vertrauen in das Fortbestehen der Steuerrechtslage zur Übertragbarkeit der Steuerfreistellung nach § 8b Abs. 1 KStG auf das Gewerbesteuerrecht, bedarf die Zulässigkeit der Rückwirkung keiner Abwägung mehr unter den Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit und insbesondere der Zumutbarkeit (s.o. I 3 c).

69

3. § 36 Abs. 4 GewStG a.F. ist mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes unvereinbar und verstößt gegen Art. 20 Abs. 3 GG, soweit er die Anwendung des neuen § 8 Nr. 5 GewStG auf den Erhebungszeitraum 2001 auch mit Wirkung vor dem 12. Dezember 2001 erstreckt und dabei bis einschließlich 11. Dezember 2001 beschlossene und zugeflossene Vorabausschüttungen erfasst.

70

a) Der Vorschlag des Vermittlungsausschusses vom 11. Dezember 2001 zur Einfügung des § 8 Nr. 5 in das Gewerbesteuergesetz, erst recht aber der Beschluss des Deutschen Bundestages hierzu vom 14. Dezember 2001 haben zwar das Vertrauen in den zukünftigen Bestand der bisherigen Rechtslage zur gewerbesteuerlichen Freistellung von Erträgen im Sinne des § 8b Abs. 1 KStG aus Streubesitzbeteiligungen zerstört. Berechtigtes Vertrauen in den Bestand der Steuerrechtslage für den davor liegenden Zeitraum wird durch diese Vorgänge im Gesetzgebungsverfahren allerdings nicht beseitigt. Dies gilt auch dann, wenn es sich dabei um zurückliegende Zeiten innerhalb des laufenden Veranlagungs- oder Erhebungszeitraums handelt. Denn die Behandlung steuerlich relevanter Vorgänge als bis zum Ende des Veranlagungs- oder Erhebungszeitraums noch nicht abgeschlossene Sachverhalte bedeutet lediglich, dass Gesetze, die während, insbesondere gegen Ende eines Veranlagungszeitraums mit Wirkung für den gesamten Zeitraum erlassen werden, nach den für ein Gesetz mit unechter Rückwirkung anzuwendenden verfassungsrechtlichen Maßstäben beurteilt werden. Daraus folgt aber nicht, dass vor dem Gesetzeserlass getätigte Dispositionen des Steuerschuldners deshalb keinen Vertrauensschutz genössen. Hier ist eine Enttäuschung seines Vertrauens in die alte Rechtslage nur hinzunehmen, soweit dies aufgrund besonderer, gerade die Rückanknüpfung rechtfertigender öffentlicher Interessen unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt ist (vgl. BVerfGE 127, 1 <20>).

71

Vertrauen erwächst in den von der Vorlage des Finanzgerichts angesprochenen Fällen der Vorabausschüttung nicht in erster Linie durch in besonderer Weise schützenswerte Dispositionen des gewerbesteuerpflichtigen, mit weniger als 10% beteiligten Minderheitsgesellschafters, sondern im Wesentlichen aus der Gewährleistungsfunktion des geltenden Rechts (s.o. 2 a). Um Vertrauensschutz gegen rückwirkende Gesetzesänderungen auslösen zu können, bedarf ein Geschäftsvorgang eines erkenn- und belegbaren gesteigerten Grades der Abgeschlossenheit. Diese liegt nicht allein in dem Gesellschafterbeschluss über die Vorabausschüttung. Da er keinen besonderen Formbindungen unterliegt und deshalb weder hinsichtlich seines Inhalts noch hinsichtlich des Beschlusszeitpunktes ohne Weiteres objektiv gesichert ist, vermittelt er allein hier noch keine Rechtsbeständigkeit gegenüber einer Gesetzesänderung. Erst der in Umsetzung des Gesellschafterbeschlusses erfolgte Zufluss der Ausschüttung beim Empfänger verschafft dem Sachverhalt einen gesteigerten Grad an Abgeschlossenheit, der Schutz gegen eine rückwirkende Änderung der Rechtslage bietet (vgl. BVerfGE 127, 31 <59>). Die Anknüpfung an den Zufluss der Ausschüttung gewährleistet zudem eine einheitliche Handhabung solcher Rückwirkungsfälle unabhängig von der Geltung des Zu- und Abflussprinzips (vgl. § 4 Abs. 3, § 11 EStG), das heißt unabhängig von der Methode der Einkünfteermittlung und insbesondere auch unabhängig von einer etwaigen im Fall der Bilanzierung erfolgenden Aktivierung des Anspruchs auf die Vorabausschüttung schon im Zeitpunkt der Beschlussfassung der ausschüttenden Gesellschaft.

72

b) Besondere Gründe, welche die nachträgliche Belastung vor dem 12. Dezember 2001 beschlossener und ausgezahlter Vorabausschüttungen mit einer höheren Gewerbesteuer rechtfertigen könnten, sind nicht erkennbar.

73

Die allgemeinen Ziele der Umgestaltung des Steuerrechts und der Erhöhung des Steueraufkommens rechtfertigen die rückwirkende Steuerbelastung nicht (vgl. BVerfGE 127, 1 <26>; 127, 31 <59>).

74

Ein spürbarer Ankündigungs- oder Mitnahmeeffekt mit Blick auf die drohende Erhöhung der Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer, der durch die Rückwirkung verhindert werden sollte, ist - zumal für die Zeit bis zum 11. Dezember 2001 - nicht erkennbar. Eine rein steuerlich motivierte Vorabausschüttung zu Gunsten einer mit weniger als 10% beteiligten Minderheitsgesellschafterin erscheint zudem generell eher ungewöhnlich. Es ist ferner nicht unüblich, dass Vorabausschüttungen kurz vor Jahresende beschlossen und durchgeführt werden. Auch das vorlegende Finanzgericht hat im konkreten Fall festgestellt, dass bei der Körperschaft, an der die Klägerin des Ausgangsverfahrens beteiligt war, in den Vorjahren regelmäßig Vorabausschüttungen erfolgt waren.

75

Der im Jahr 2001 vollzogene Systemwechsel im Körperschaftsteuerrecht (vgl. dazu BVerfGE 125, 1 <2 ff.>) bietet ebenfalls keinen Rechtfertigungsgrund für das rückwirkende Inkraftsetzen des § 8 Nr. 5 GewStG. Insbesondere war die sich vor Einfügung des § 8 Nr. 5 GewStG ergebende Rechtslage nicht systemwidrig. Die unmittelbare Auswirkung der körperschaftsteuerlichen Freistellung von Beteiligungserträgen und Veräußerungsgewinnen nach § 8b KStG auf das Gewerbesteuerecht war und ist eine systemgerechte Folge aus der Übernahme der einkommen- oder körperschaftsteuerlichen Gewinnermittlungsregelungen in das Gewerbesteuerrecht (§ 7 Satz 1 GewStG). Um dies zu ändern, bedurfte es einer ausdrücklichen Korrektur durch den Gesetzgeber, wie sie durch den neuen § 8 Nr. 5 GewStG für Erträge aus Streubesitzbeteiligungen dann auch erfolgt ist. Die zwischenzeitlich im Jahr 2001 geltende Rechtslage war damit keineswegs offensichtlich so ungerecht oder auch nur im Hinblick auf das Gewerbesteuerrecht so systemwidrig, dass eine rückwirkende Änderung durch den Gesetzgeber als unabweisbar hätte erscheinen müssen. Die Bundesregierung hat in ihrer Gegenäußerung auf den Vorschlag des Bundesrates vom 27. September 2001, die Hinzurechnung von Bezügen und Einnahmen nach § 3 Nr. 40 EStG und von Bezügen und Gewinnen nach § 8b KStG zum Gewerbeertrag ausdrücklich zu regeln (vgl. BTDrucks 14/7084, S. 4 f.), ihre Ablehnung damit begründet, dass die Umsetzung des Vorschlags die Wiedereinführung der mit dem Steuersenkungsgesetz gerade abgeschafften Doppelbelastung von Streubesitz mit Gewerbesteuer bedeuten würde (vgl. BTDrucks 14/7084, S. 8). Die neue Hinzurechnungsvorschrift des § 8 Nr. 5 GewStG war daher keine überfällige Fehlerkorrektur, mit der Steuerpflichtige ohne Weiteres hätten rechnen müssen, sondern eine bewusst die Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer abweichend von der Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer gestaltende Entscheidung des Gesetzgebers.

76

Liegen keine Gründe vor, welche die Rückwirkung der Regelung für bis einschließlich 11. Dezember 2001 erfolgte Vorabausschüttungen rechtfertigen könnten, erübrigt sich die Prüfung, ob eine darauf gestützte Rückwirkungsanordnung verhältnismäßig wäre. Eine Interessenabwägung kommt nicht in Betracht, wenn verfassungsrechtlich bereits kein für die Rückwirkung sprechendes öffentliches Interesse anzuerkennen ist.

III.

77

Soweit § 36 Abs. 4 GewStG a.F. den § 8 Nr. 5 GewStG auf Dividendenvorab-ausschüttungen an Minderheitsgesellschafter für anwendbar erklärt, die von der ausschüttenden Gesellschaft vor dem 12. Dezember 2001 verbindlich beschlossen wurden und der mit weniger als 10% beteiligten Körperschaft vor diesem Zeitpunkt zugeflossen sind, verstößt diese Anwendungsvorschrift gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes und ist nichtig (§ 78 Satz 1 i.V.m. § 82 Abs. 1 BVerfGG).

78

Die Entscheidung über die Maßgeblichkeit des Zeitpunktes des Vorschlags des Vermittlungsausschusses anstelle des Gesetzesbeschlusses des Deutschen Bundestages (C II) ist mit 5:3 Stimmen ergangen.

1Der maßgebende Gewerbeertrag wird bis zu einem Betrag in Höhe von 1 Million Euro um die Fehlbeträge gekürzt, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume nach den Vorschriften der §§ 7 bis 10 ergeben haben, soweit die Fehlbeträge nicht bei der Ermittlung des Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume berücksichtigt worden sind.2Der 1 Million Euro übersteigende maßgebende Gewerbeertrag ist bis zu 60 Prozent um nach Satz 1 nicht berücksichtigte Fehlbeträge der vorangegangenen Erhebungszeiträume zu kürzen.3Im Fall des § 2 Abs. 2 Satz 2 kann die Organgesellschaft den maßgebenden Gewerbeertrag nicht um Fehlbeträge kürzen, die sich vor dem rechtswirksamen Abschluss des Gewinnabführungsvertrags ergeben haben.4Bei einer Mitunternehmerschaft ist der sich für die Mitunternehmerschaft insgesamt ergebende Fehlbetrag den Mitunternehmern entsprechend dem sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel zuzurechnen; Vorabgewinnanteile sind nicht zu berücksichtigen.5Für den Abzug der den Mitunternehmern zugerechneten Fehlbeträge nach Maßgabe der Sätze 1 und 2 ist der sich für die Mitunternehmerschaft insgesamt ergebende maßgebende Gewerbeertrag sowie der Höchstbetrag nach Satz 1 den Mitunternehmern entsprechend dem sich aus dem Gesellschaftsvertrag für das Abzugsjahr ergebenden allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel zuzurechnen; Vorabgewinnanteile sind nicht zu berücksichtigen.6Die Höhe der vortragsfähigen Fehlbeträge ist gesondert festzustellen.7Vortragsfähige Fehlbeträge sind die nach der Kürzung des maßgebenden Gewerbeertrags nach Satz 1 und 2 zum Schluss des Erhebungszeitraums verbleibenden Fehlbeträge.8Im Fall des § 2 Abs. 5 kann der andere Unternehmer den maßgebenden Gewerbeertrag nicht um die Fehlbeträge kürzen, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags des übergegangenen Unternehmens ergeben haben.9§ 8 Abs. 8 und 9 Satz 5 bis 8 des Körperschaftsteuergesetzes ist entsprechend anzuwenden.10Auf die Fehlbeträge ist § 8c des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend anzuwenden; dies gilt auch für den Fehlbetrag einer Mitunternehmerschaft, soweit dieser

1.
einer Körperschaft unmittelbar oder
2.
einer Mitunternehmerschaft, soweit an dieser eine Körperschaft unmittelbar oder mittelbar über eine oder mehrere Personengesellschaften beteiligt ist,
zuzurechnen ist.11Auf die Fehlbeträge ist § 8d des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend anzuwenden, wenn ein fortführungsgebundener Verlustvortrag nach § 8d des Körperschaftsteuergesetzes gesondert festgestellt worden ist.12Unterbleibt eine Feststellung nach § 8d Absatz 1 Satz 8 des Körperschaftsteuergesetzes, weil keine nicht genutzten Verluste nach § 8c Absatz 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes vorliegen, ist auf Antrag auf die Fehlbeträge § 8d des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend anzuwenden; für die Form und die Frist dieses Antrags gilt § 8d Absatz 1 Satz 5 des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend.

Tatbestand

1

I. Streitig ist die Rechtmäßigkeit von Festsetzungen zur Körperschaftsteuer und zum Gewerbesteuermessbetrag des Streitjahres 2004, bei denen ein Verlustvortrag sowie ein vortragsfähiger Gewerbeverlust nur zu einem Teil bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens und des Gewerbeertrags einkommens- bzw. gewerbeertragsmindernd zum Abzug kamen (sog. Mindestbesteuerung).

2

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH mit mehreren Tausend Gesellschaftern, betreibt den Erwerb und die Verwaltung von Vermögensanlagen jeder Art. Aus Aktien und Aktienfonds erzielt sie Erträge, die bei der Ermittlung des Einkommens weitgehend außer Betracht bleiben; diese Erträge machen ca. 2/3 der Gesamterträge aus. Die übrigen Erträge (aus festverzinslichen Wertpapieren und Festgeldern) entsprechen der Höhe nach den im Gesamtunternehmen regelmäßig anfallenden betrieblichen Aufwendungen. Die Klägerin schließt aus ihrer Betriebsart darauf, dass sie nicht auf unbegrenzte Zeit bestehen bleibe; sie werde voraussichtlich bis zum Jahre 2020 aktiv und dann bis spätestens im Jahre 2025 nach der Liquidation aufgelöst sein.

3

Die Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte (2.002.474 €) und des vorläufigen Gewerbeertrags (2.327.228 €) des Streitjahres ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte bei der Veranlagung des Streitjahres allerdings unter Hinweis auf § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes 2002 (KStG 2002) i.V.m. § 10d Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes 2002 i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz vom 22. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2840, BStBl I 2004, 14) --EStG 2002 n.F.-- sowie auf § 10a Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes 2002 i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes und anderer Gesetze vom 23. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2922, BStBl I 2004, 20) --GewStG 2002 n.F.-- einen zum 31. Dezember 2003 festgestellten Verlustvortrag (36.532.178 €) sowie einen vortragsfähigen Gewerbeverlust (38.411.472 €) nur teilweise einkommens- bzw. gewerbeertragsmindernd. Das FA setzte daraufhin eine Körperschaftsteuer von 100.427 € (zu versteuerndes Einkommen: 400.989 €) und eine Gewerbesteuer von 108.814 € (nach einem Gewerbeertrag von 530.800 €) fest. Die Klage, mit der geltend gemacht worden war, dass die Klägerin bei unveränderter Geschäftspolitik bis zu ihrer Liquidation nicht in der Lage sein werde, die erheblichen Verlustvorträge zu nutzen, blieb erfolglos (Finanzgericht --FG-- Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. September 2010  12 K 8212/06 B).

4

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben und unter Änderung der angefochtenen Steuerbescheide den Gewerbesteuermessbetrag 2004 und die Körperschaftsteuer 2004 dahingehend festzusetzen, dass bei der Ermittlung des Gewerbeertrags bzw. des Einkommens die abzugsfähigen Verluste in Höhe von 2.327.228 € bzw. in Höhe von 2.002.474 € berücksichtigt werden.

5

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

6

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten (§ 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Es hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

7

II. Die Revision der Klägerin ist nicht begründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat zu Recht entschieden, dass bei der Einkommensermittlung bzw. der Gewerbeertragsermittlung des Streitjahres ein zum 31. Dezember 2003 festgestellter Verlustvortrag und vortragsfähiger Gewerbeverlust nach Maßgabe der sog. Mindestbesteuerung nur teilweise einkommens- und gewerbeertragsmindernd zu berücksichtigen ist.

8

1. Im Rahmen der Festsetzungen, die dem angefochtenen Urteil zugrunde liegen, hat das FA die gesetzlichen Regelungen der sog. Mindestbesteuerung (§ 8 Abs. 1 KStG 2002 i.V.m. § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F., § 10a Sätze 1 und 2 GewStG 2002 n.F.) ohne Rechtsfehler angewendet.

9

a) Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz ließ der Gesetzgeber zwar den zuvor eingeschränkten innerperiodischen Verlustausgleich im Rahmen von § 2 Abs. 3 EStG 2002 n.F. wieder uneingeschränkt zu, er verschärfte aber die Beschränkung des überperiodischen Verlustabzugs nach § 10d Abs. 2 EStG 2002 n.F.: Verluste, die weder im Veranlagungszeitraum ihrer Entstehung noch im Wege des Verlustrücktrags ausgeglichen werden konnten, sind ab dem Veranlagungszeitraum 2004 im Rahmen des Verlustvortrags nur noch begrenzt verrechnungsfähig. Gemäß § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F. können sie nur noch bis zu einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 1 Mio. € unbeschränkt abgezogen werden. Darüber hinausgehende negative Einkünfte aus früheren Veranlagungszeiträumen sind nur noch in Höhe von 60 % des 1 Mio. € übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte ausgleichsfähig. Im Ergebnis werden 40 % des positiven Gesamtbetrags der laufenden Einkünfte eines Veranlagungszeitraums unabhängig von etwaigen Verlusten in früheren Perioden der Besteuerung unterworfen, soweit sie die Schwelle von 1 Mio. € überschreiten.

10

b) Diese Neuerungen im Bereich der Einkommensteuer (sog. Mindestbesteuerung) sind auch bei der Veranlagung der Klägerin zur Körperschaftsteuer im Streitjahr zu beachten (§ 8 Abs. 1 KStG 2002), ebenso die gleichlautende Einschränkung des gewerbesteuerrechtlichen Verlustvortrags bei der Ermittlung des Gewerbesteuermessbetrags der Klägerin durch § 10a Sätze 1 und 2 GewStG 2002 n.F. Dies ist unter den Beteiligten im Grundsatz nicht streitig und bedarf keiner weiteren Erörterungen.

11

c) Dabei begegnet es keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass auf dieser Grundlage der Abzug (auch) solcher bisher nicht ausgeglichener Verluste betroffen ist, die vor dem Inkrafttreten der Neuregelung entstanden sind. Dass der zum 31. Dezember 2003 festgestellte nicht ausgeglichene (Gewerbe-)Verlust in den sachlichen Anwendungsbereich der Neuregelung fällt, stellt sich --wie der Senat in einer vergleichbaren Konstellation schon entschieden hat (Senatsurteil vom 11. Februar 1998 I R 81/97, BFHE 185, 393, BStBl II 1998, 485; s.a. Senatsbeschluss vom 8. Oktober 2008 I R 95/04, BFHE 223, 105, BFH/NV 2009, 500)-- als eine tatbestandliche Rückanknüpfung dar, die nicht gegen das Vertrauensschutzgebot verstößt (s.a. z.B. Heuermann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 10d Rz A 288; Hallerbach in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 10d EStG Rz 12). Das Vertrauen in den Fortbestand einer bestimmten Ausgestaltung einer Verlustabzugsregelung muss schon angesichts der Ungewissheit, ob und wann es tatsächlich zur Möglichkeit einer Verlustverrechnung kommt, gegenüber einem gesetzgeberischen Änderungsinteresse zurücktreten. Denn es fehlt an einer rechtlichen Verfestigung der wirtschaftlichen Position der Verlustausgleichsmöglichkeit im Augenblick der Gesetzesänderung (Heuermann, Finanz-Rundschau --FR-- 2012, 435, 442; s. allgemein zum fehlenden Schutz eines sog. Kontinuitätsvertrauens Bundesverfassungsgericht --BVerfG--, Beschluss vom 7. Juli 2010  2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BVerfGE 127, 1; Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. Juni 2010 III R 35/09, BFHE 230, 523, BStBl II 2011, 176, jeweils m.w.N.).

12

2. Die sog. Mindestbesteuerung verstößt in ihrer Grundkonzeption nicht gegen Verfassungsrecht.

13

a) Die normative und systematische Grundlegung sowie die einschlägige Rechtsprechung des BVerfG und des BFH und die Auseinandersetzung im Schrifttum stellen sich wie folgt dar:

14

aa) Aus dem generellen verfassungsrechtlichen Maßstab des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--) lässt sich für die direkten Steuern sowohl ein systemtragendes Prinzip ableiten --die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuersubjekts-- als auch das Gebot, dieses Prinzip bei der Ausgestaltung des einfachen Rechts folgerichtig umzusetzen (s. nur BVerfG-Beschluss vom 12. Oktober 2010  1 BvL 12/07, BVerfGE 127, 224 Rz 50 f., m.w.N.). Zur Ermittlung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuersubjekts bedarf es eines Ausgleichs zwischen den vom ihm erwirtschafteten besteuerbaren Einnahmen und den zur Erzielung dieser Einnahmen aufgewendeten Ausgaben. Das damit beschriebene ("objektive") Nettoprinzip ist jedenfalls einfachgesetzlich in § 2 Abs. 2 EStG 2002 angelegt (s. BVerfG-Beschluss vom 12. Mai 2009  2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111 Rz 27 f.) und auf der Grundlage der Verweisung in § 8 Abs. 1 KStG 2002 auch im Bereich der Körperschaftsteuer anzuwenden (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 127, 224 Rz 57 f.; s.a. Hey, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2009, Beihefter zu Nr. 34, 109, 110; Heger, ebenda, S. 117, 118; Heuermann, FR 2012, 435, 436). Für die Gewerbesteuer gilt infolge der Verweisung in § 7 Satz 1 GewStG 2002 auf die Grundsätze der ertragsteuerrechtlichen Gewinnermittlung als Grundlage für die Ermittlung des Gewerbeertrags (vor Hinzurechnungen bzw. Kürzungen) nichts anderes (BFH-Beschluss vom 27. Januar 2006 VIII B 179/05, BFH/NV 2006, 1150, zu II.2.a bb; Hey, DStR 2009, Beihefter zu Nr. 34, 109, 115; Kube, DStR 2011, 1781, 1789; Desens, FR 2011, 745, 746; Röder, Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht, 2010, S. 232; s.a. FG Hamburg, Beschluss vom 29. Februar 2012  1 K 138/10, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2012, 960 Rz 99, 101).

15

bb) Das Periodizitätsprinzip des § 2 Abs. 7 Sätze 1 und 2 EStG 2002 (bzw. des § 7 Abs. 3 Sätze 1 und 2 KStG 2002, § 14 Satz 2 GewStG 2002) beschränkt das Nettoprinzip des § 2 Abs. 2 EStG 2002 nicht: Ein Abzug von Erwerbsaufwendungen ist auch dann zuzulassen, wenn die Erwerbsaufwendungen nicht im Veranlagungs- oder Erhebungszeitraum des Zugangs der Erwerbseinnahmen anfallen (BVerfG-Beschlüsse vom 22. Juli 1991  1 BvR 313/88, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1992, 423; vom 30. September 1998  2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88). Dies kommt einfachgesetzlich in Regelungen zum sog. periodenübergreifenden Verlustausgleich zum Ausdruck (§ 10d EStG 2002, § 10a GewStG 2002). Die Möglichkeit des periodenübergreifenden Verlustausgleichs begründet aber nicht ihrerseits eine Bedingung der (Ertrags-)Besteuerung in der Weise, dass jene erst dann gerechtfertigt ist, wenn das Steuersubjekt gemessen an der Gesamtdauer seines einkommensbezogenen Tätigwerdens bzw. seiner wirtschaftlichen Existenz tatsächlich einen Zuwachs wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit erzielt (s. Desens, FR 2011, 745, 746 f.; s.a. BFH-Beschluss vom 17. Dezember 2007 GrS 2/04, BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608; Heuermann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 10d Rz A 86; derselbe, FR 2012, 435, 440 f.; Drüen, Periodengewinn und Totalgewinn, 1999, S. 103 f.). Eine solche Bedingung würde einem sachangemessenen Ausgleich der widerstreitenden Prinzipien (im Sinne einer wechselseitigen Begrenzung von Periodizitäts- und Nettoprinzip, s. insbesondere BVerfG-Beschluss in HFR 1992, 423) nicht entsprechen (Desens, FR 2011, 745, 747 f.; Heuermann, FR 2012, 435, 436 ff.; Drüen, a.a.O., S. 96 ff.).

16

Soweit die Klägerin unabhängig von dieser Grundfrage auf einen Vorrang des Nettoprinzips verweist, der aus dem Umstand der jährlichen Verlustfeststellung (§ 10d Abs. 4 EStG 2002, § 10a Satz 6 GewStG 2002) abzuleiten sei, ist ihr nicht zu folgen. Denn die (Verlust-)Feststellung löst das Spannungsverhältnis zwischen Abschnittsbesteuerung und Nettoprinzip nicht in einer eindeutigen Weise auf: Sie schafft zwar durch einen feststellenden Verwaltungsakt zeitnah Rechtssicherheit zur Höhe des in der jeweiligen Ermittlungsperiode erzielten Verlustes, berührt aber die Frage nach der sachangemessenen Ausgestaltung der ertragsteuerlichen Regelungen entsprechend der Maßgabe des "materiell-rechtlichen Prinzips" der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit nicht.

17

cc) Die sog. Mindestbesteuerung beschränkt die Wirkung des periodenübergreifenden Verlustausgleichs (nur) "der Höhe nach". Die Begründung zum Regierungsentwurf des § 10d Abs. 2 EStG 2002 n.F. (BTDrucks 15/1518, S. 13) weist zwar darauf hin, dass durch die sog. Mindestbesteuerung "keine Verluste endgültig verloren" gingen, seine eigentlichen Beweggründe für die Regelungsänderung offenbart der Gesetzgeber dann aber darin, dass "der Grund für die Beschränkung ... in dem gewaltigen Verlustvortragspotential der Unternehmen zu sehen (sei), das diese vor sich herschieben. Um das Steueraufkommen für die öffentlichen Haushalte kalkulierbar zu machen, ist es geboten, den Verlustvortrag zu strecken. Nur so ist auf Dauer eine Verstetigung der Staatseinnahmen gewährleistet." Damit ist dem Regierungsentwurf zu § 10d Abs. 2 EStG 2002 n.F. (ebenso zu § 10a GewStG 2002 n.F.: BTDrucks 15/1517, S. 19) eine ausschließlich fiskalischen Interessen geschuldete Begründung beigestellt worden (s.a. Dorenkamp, Systemgerechte Neuordnung der Verlustverrechnung - Haushaltsverträglicher Ausstieg aus der Mindestbesteuerung, in Institut "Finanzen und Steuern", Schrift Nr. 461, 2010, S. 27 ff.).

18

dd) Das BVerfG hat sich bereits mehrfach --wenn auch noch nicht mit Blick auf § 10d Abs. 2 EStG 2002 n.F.-- zu Einschränkungen des periodenübergreifenden Verlustausgleichs bzw. der Verlustverrechnung geäußert. Danach ist ein uneingeschränkter Verlustvortrag verfassungsrechtlich nicht garantiert. Die Beschränkung des Verlustvortrags auf bestimmte Einkunftsarten und damit der Ausschluss anderer Einkunftsarten von jeglichem Verlustvortrag war ebenso wenig verfassungsrechtlich zu beanstanden (BVerfG-Beschluss vom 8. März 1978  1 BvR 117/78, HFR 1978, 293) wie die Beschränkung des Verlustvortrags auf bestimmte, durch Betriebsvermögensvergleich ermittelte Betriebsverluste (BVerfG-Beschluss in HFR 1978, 293; vgl. auch BVerfG-Beschluss vom 30. Oktober 1980  1 BvR 785/80, HFR 1981, 181). Nach der Rechtsprechung des BVerfG bestanden ferner unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit keine Bedenken gegen eine Beschränkung des Verlustabzugs auf einen einjährigen Verlustrücktrag und einen fünfjährigen Verlustvortrag (BVerfG-Beschluss in HFR 1992, 423). Allerdings hat das Gericht im Beschluss in BVerfGE 99, 88 den völligen Ausschluss der Verlustverrechnung bei laufenden Einkünften aus der Vermietung beweglicher Gegenstände (§ 22 Nr. 3 Satz 3 EStG 1983) für verfassungswidrig erklärt.

19

ee) Nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. dazu die Nachweise im Senatsurteil vom 1. Juli 2009 I R 76/08, BFHE 225, 566, BStBl II 2010, 1061, und in dem BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 1150; s.a. Senatsbeschluss vom 26. August 2010 I B 49/10, BFHE 230, 445, BStBl II 2011, 826) bestehen im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich insoweit keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer Verlustausgleichsbeschränkung, als der Verlustausgleich nicht versagt, sondern lediglich zeitlich gestreckt wird. Eine Verlagerung des Verlustausgleichs auf spätere Veranlagungszeiträume ist im Hinblick darauf nicht zu beanstanden, dass das Grundrecht seine Wirkung grundsätzlich veranlagungszeitraumübergreifend entfaltet. Es genügt, wenn die Verluste überhaupt, sei es auch in einem anderen Veranlagungszeitraum, steuerlich berücksichtigt werden. Insbesondere erstarkt die bei ihrer Entstehung gegebene bloße Möglichkeit, die Verluste später ausgleichen zu können, nicht zu einer grundrechtlich geschützten Vermögensposition (Art. 14 Abs. 1 GG; s. BVerfG-Beschluss in HFR 1992, 423; dies relativierend BFH-Beschluss in BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608, zu D.II.2.). Immerhin hat der BFH in seinem Beschluss vom 29. April 2005 XI B 127/04 (BFHE 209, 379, BStBl II 2005, 609), in dem eine Beschränkung des Verlustvortrags grundsätzlich gebilligt wurde, wenn der Vortrag zeitlich über mehrere Veranlagungszeiträume gestreckt wird, ausgeführt, dass damit nicht zugleich über die Konstellation entschieden sei, dass "negative Einkünfte aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen" in einem solchen System "nicht mehr vorgetragen werden können". Darüber hinaus hat der XI. Senat des BFH in seinem Vorlagebeschluss an das BVerfG vom 6. September 2006 XI R 26/04 (BFHE 214, 430, BStBl II 2007, 167) hervorgehoben, dass die sog. Mindeststeuer durchaus den Schutzbereich des Art. 3 Abs. 1 GG berühre; auch wenn in mehreren summarischen Verfahren nach § 69 Abs. 2 und 3 FGO wegen der die Veranlagungszeiträume übergreifenden Wirkung des Art. 3 Abs. 1 GG die Norm als verfassungsgemäß angesehen worden sei, sei nicht zu verkennen, dass die Begrenzung des vertikalen Verlustausgleichs (im dortigen Streitfall durch § 2 Abs. 3 EStG 2002) trotz der Streckung der Verlustverrechnung nicht nur bei einer kleinen Zahl von Steuerpflichtigen mit gleicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zu nennenswerten Belastungsunterschieden führen könne. Auch bestehe naturgemäß keine Gewissheit, die Verluste in Zukunft verrechnen zu können.

20

ff) In der Literatur wird die sog. Mindestbesteuerung teilweise für verfassungskonform gehalten (z.B. Lambrecht in Kirchhof, EStG, 11. Aufl., § 10d Rz 4; Schneider/Krammer in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 10d Rz 6; Müller-Gatermann, Die Wirtschaftsprüfung 2004, 467, 468; Heuermann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 10d Rz A 85, 88, und derselbe, FR 2012, 435, 439 ff.): Die im Einzelfall eintretende Einschränkung des objektiven Nettoprinzips habe der Gesetzgeber ohne Verstoß gegen das allgemeine Willkürverbot in vertretbarer Weise ausgestaltet, da sich Beschränkungen des Verlustvortrags in betragsmäßiger oder zeitlicher Hinsicht jedenfalls im Grundsatz als verfassungskonform erwiesen hätten. Dem wird von anderer Seite entgegengehalten, die durch die "Deckelung" des Abzugsbetrags bewirkte zeitliche Streckung des Verlustvortrags sei schon "als solche" verfassungswidrig (s. z.B. Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 20. Aufl., § 9 Rz 66; Lang/Englisch, Steuer und Wirtschaft --StuW-- 2005, 3, 21 ff.; Röder, a.a.O., S. 263 ff., 355 ff., und derselbe, StuW 2012, 18, 22 ff.; Mönikes, Die Verlustverrechnungsbeschränkungen des Einkommensteuergesetzes im Lichte der Verfassung, 2006, S. 223 ff.; Hey, StuW 2011, 131, 140 f.; Dorenkamp, a.a.O., S. 12; Raupach in Lehner [Hrsg.], Verluste im nationalen und Internationalen Steuerrecht, 2004, S. 53, 60 f.; Eckhoff in von Groll [Hrsg.], Verluste im Steuerrecht, Veröffentlichungen der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft --DStJG-- Band 28 [2005], S. 11, 34; Lüdicke, Deutsche Steuer-Zeitung 2010, 434, 436; Kaminski in Korn, § 10d EStG Rz 30.9; Wissenschaftlicher Beirat Steuern der Ernst & Young GmbH, Der Betrieb --DB-- 2012, 1704, 1707; Esterer/Bartelt, Unternehmensbesteuerung 2012, 383, 392; s.a. die Stellungnahme des Bundesrats im Gesetzgebungsverfahren, BTDrucks 15/1665, S. 2). Andere Literaturstimmen nehmen einen Verfassungsverstoß der sog. Mindestbesteuerung nur in den Fällen an, in denen ein Verlust nicht nur zeitlich gestreckt, sondern von einer Wirkung auf die Ermittlung des Einkommens endgültig ausgeschlossen wird ("Definitiveffekte", s. z.B. Hallerbach in Herrmann/ Heuer/Raupach, a.a.O., § 10d EStG Rz 13; Wendt, DStJG, Band 28, S. 41, 74 ff.; Fischer, FR 2007, 281, 283 ff.; Desens, FR 2011, 745, 748 ff.; Klomp, GmbH-Rundschau --GmbHR-- 2012, 675, 676 f.; wohl auch Kempf/Vogel in Lüdicke/Kempf/ Brink [Hrsg.], Verluste im Steuerrecht, 2010, S. 81; Blümich/ Schlenker, EStG/KStG/GewStG, § 10d EStG Rz 6, 24; Drüen, ebenda, § 10a GewStG Rz 21, 112; Kube, DStR 2011, 1781, 1789 ff.; Buciek, FR 2011, 79; Schmieszek in Bordewin/Brandt, § 10d EStG Rz 147; s.a. BMF-Schreiben vom 19. Oktober 2011, BStBl I 2011, 974), wobei insoweit auch eine verfassungskonforme Reduktion des Wortlauts des § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F. für möglich gehalten wird (z.B. Wendt, DStJG, Band 28, S. 41, 78; Fischer, FR 2007, 281, 285 f.). Solche Effekte können im Unternehmensbereich insbesondere bei der Liquidation körperschaftsteuerpflichtiger Unternehmen auftreten, soweit es sich um zeitlich begrenzt bestehende Projektgesellschaften handelt, aber auch etwa bei bestimmten Unternehmensgegenständen (z.B. bei langfristiger Fertigung) und in Sanierungsfällen (s. Lang/ Englisch, StuW 2005, 3, 21 ff.; s.a. Dorenkamp, a.a.O., S. 33 f.; Orth, FR 2005, 515, 530; BMF-Bericht der Facharbeitsgruppe "Verlustverrechnung und Gruppenbesteuerung" vom 15. September 2011, S. 52 mit Fußn. 57).

21

b) Der erkennende Senat hat in seinem Urteil in BFHE 185, 393, BStBl II 1998, 485 hervorgehoben, dass die Abzugsfähigkeit von Verlusten nicht in ihrem Kernbereich betroffen und gänzlich ausgeschlossen sein darf (s.a. Senatsurteil vom 5. Juni 2002 I R 115/00, BFH/NV 2002, 1549; Senatsbeschluss in BFHE 230, 445, BStBl II 2011, 826). Er hält daran fest. Diesem Maßstab wird § 10d Abs. 2 EStG 2002 n.F. unter Berücksichtigung der beschriebenen Ausgangslage und vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtsprechung und des einschlägigen Meinungsbildes im Schrifttum jedenfalls dann gerecht, wenn nicht ein sog. Definitiveffekt eintritt.

22

aa) Die Grundkonzeption der zeitlichen Streckung des Verlustvortrags entspricht auch angesichts des Zins- bzw. Liquiditätsnachteils den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Insoweit entnimmt der Senat der neueren Rechtsprechung des BVerfG eine Unterscheidung zwischen temporären und endgültigen Steuereffekten (s. den BVerfG-Beschluss in BVerfGE 123, 111; s.a. das BFH-Urteil vom 25. Februar 2010 IV R 37/07, BFHE 229, 122, BStBl II 2010, 784; zustimmend Dorenkamp, a.a.O., S. 61 f.; Desens, FR 2011, 745, 747; Heuermann, FR 2012, 435, 439; Lang, GmbHR 2012, 57, 61; ablehnend Röder, StuW 2012, 18, 24 f.). Wenn sich danach der maßgebliche Zeitpunkt der einkommensteuerrechtlichen Berücksichtigung eines gewinnmindernden Aufwands, also das Wann, nicht das Ob der Besteuerung, nicht mit Hilfe des Maßstabs wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit oder des objektiven Nettoprinzips bestimmen lässt, ist eine "Verluststreckung" verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Dabei liegt es auch innerhalb der gesetzgeberischen Typisierungsbefugnis (zu dieser z.B. BVerfG-Beschluss vom 17. November 2009  1 BvR 2192/05, BVerfGE 125, 1, BGBl I 2010, 326), dass die zeitliche Streckung des Verlustvortrags das Risiko für den einkommenswirksamen Abzug des Verlustes erhöht, da "naturgemäß keine Gewissheit besteht, die Verluste in Zukunft verrechnen zu können" (Senatsurteil in BFHE 225, 566, BStBl II 2010, 1061; BFH-Beschluss in BFHE 214, 430, BStBl II 2007, 167). Diesem Ergebnis steht auch die Existenz verschiedener gesetzlicher Regelungen nicht entgegen, die als Rechtsfolge eine "Vernichtung" von Verlustvorträgen in bestimmten Fallsituationen vorsehen (z.B. im Zuge einer Anteilsübertragung: § 8c KStG 2002 n.F.). Dies gilt sinnentsprechend z.B. auch für die Situation der Beendigung der persönlichen Steuerpflicht angesichts der fehlenden Möglichkeit der "Verlustvererbung" (BFH-Beschluss in BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608).

23

Der Gesetzgeber hat durch das Grundkonzept der Mindestbesteuerung die Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit nicht willkürlich überschritten; er kann sich für diese Ausgestaltung des Verlustabzugs vielmehr auf den im Gesetzgebungsverfahren erteilten Hinweis auf eine Verstetigung des Steueraufkommens (s.a. BMF-Bericht der Facharbeitsgruppe "Verlustverrechnung und Gruppenbesteuerung", vom 15. September 2011, S. 18) infolge der Dämpfung der Steuerauswirkungen konjunktureller Schwankungen berufen (s. oben zu II.2.a cc; zur Steueraufkommenswirkung s. BTDrucks 17/4653, S. 17, bzw. BMF-Bericht der Facharbeitsgruppe "Verlustverrechnung und Gruppenbesteuerung", vom 15. September 2011, S. 43 f.). Denn damit hat der Gesetzgeber nicht nur auf den (nicht in ausreichender Weise rechtfertigenden) Einnahmezweck (Erzielung von Steuermehreinnahmen), sondern auf einen in der Konzeption der Regelung angelegten "qualifizierten Fiskalzweck" (Desens, FR 2011, 745, 749; s.a. Kube, DStR 2011, 1781, 1789 und 1790) verwiesen (s.a. BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 1150; Heuermann in Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, a.a.O., § 10d Rz A 85; ablehnend Hey, StuW 2011, 131, 141 f.; Röder, StuW 2012, 18, 25 f.; Wissenschaftlicher Beirat Steuern der Ernst & Young GmbH, DB 2012, 1704, 1707). Daher kann --mit Blick auf § 10a GewStG 2002 n.F.-- offenbleiben, ob die Beschränkung (auch) dadurch gerechtfertigt werden kann, dass auf diese Weise die kommunale Finanzhoheit (Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG) sichergestellt werden konnte (FG Hamburg, Urteil vom 2. November 2011  1 K 208/10, EFG 2012, 434; s.a. BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 1150).

24

bb) Die Grenze zum notwendigen Kernbereich einer Verlustverrechnung könnte zwar überschritten sein, wenn auf der Grundlage eines inneren Sachzusammenhangs bzw. einer Ursachenidentität der sog. Mindestbesteuerung im Einzelfall ("konkret") die Wirkung zukommt, den Verlustabzug gänzlich auszuschließen (s. dazu Senatsbeschluss in BFHE 230, 445, BStBl II 2011, 826; a.A. Heuermann, FR 2012, 435, 440 f.). Diese Frage kann allerdings im Streitfall offenbleiben. Denn eine sog. Definitivsituation (als endgültiger Ausschluss der Verlustnutzungsmöglichkeit) liegt im Streitfall nicht vor.

25

aaa) Die Klägerin hat sich insoweit darauf berufen, dass ihr Geschäftsmodell eine Verlustnutzung ausschließe. Denn 2/3 der erzielten Erträge seien zu 95 % steuerfrei und die steuerpflichtigen Erträge würden durch betriebliche Aufwendungen in ungefähr derselben Höhe kompensiert. Insoweit werde sich bis zum Abschluss ihrer Geschäftstätigkeit (in voraussichtlich 20 Jahren) keine Möglichkeit einer Verlustverrechnung ergeben; vielmehr werde es bei der Liquidation der Gesellschaft zu einer Verlustvernichtung kommen.

26

bbb) Der Senat folgt dieser Einschätzung nicht. Dabei lässt er offen, ob das "Definitivwerden" von Liquidationsverlusten den Abschluss des entsprechenden Liquidationsverfahrens erfordert (s. insoweit FG Düsseldorf, Urteil vom 12. März 2012  6 K 2199/09 K, EFG 2012, 1387); er lässt ebenfalls offen, ob --wie vom FA und vom BMF in der mündlichen Verhandlung betont-- die Situation der Liquidation einer Kapitalgesellschaft wegen der auf einem Willensentschluss (der Organe) des Steuersubjekts beruhenden Entscheidung zur Liquidation ("gewillkürte Maßnahme") von einer Berücksichtigung auszuschließen sei (s.a. Gosch, BFH/PR 2011, 10, 11). Schließlich kann auch offenbleiben, ob die auf einen 20-jährigen Zeitraum bzw. die Restdauer ihrer wirtschaftlichen Existenz bezogene Prognose der Klägerin schon insoweit zeitlich zu weit greift, als sie einen Ausgleich zwischen Periodizitäts- und Nettoprinzip (s. oben zu II.2.a bb; s.a. Klomp, GmbHR 2012, 675, 678 f.; Heuermann, FR 2012, 435, 441 f.) vollständig vermissen lässt.

27

Der Prognose der Klägerin ist schon allein aus dem Grund nicht zu folgen, dass sie nicht ausreichend berücksichtigt, dass es sowohl zu Änderungen des Geschäftsfelds kommen kann als auch insbesondere zu Änderungen der steuerrechtlichen Regelungslage. Und beides kann einen Einfluss auf den Umfang der Steuerfreistellung der erzielten Einnahmen haben. So ist eine Einschränkung des sachlichen Umfangs der Steuerbefreiung in § 8b Abs. 1 und 2 KStG 2002 zur Zeit wieder (s. Patzner/Frank, Internationales Steuerrecht 2008, 433; Gosch, KStG, 2. Aufl., § 8b Rz 62 – zum Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2009) Gegenstand politischer Beratungen (s. dazu die Stellungnahme des Bundesrats [zum Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2013, BRDrucks 302/12] vom 6. Juli 2012, DStR 2012, Heft 28, S. VI). Der Bundesrat fordert vor dem Hintergrund der infolge des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 20. Oktober 2011 C-284/09 "Kommission ./. Deutschland" (DStR 2011, 2038) zu erwartenden Einbußen bei der Kapitalertragsteuer, dass die Steuerfreiheit von Dividenden und Veräußerungsgewinnen nach § 8b KStG für Streubesitzanteile (Anteile von weniger als 10 % am Nennkapital) aufgehoben wird. Auf dieser Grundlage lässt sich daher eine "Definitivsituation" unter Annahme einer fortgeltenden Wirkung des § 8b Abs. 1 und 2 KStG 2002 nicht zuverlässig prognostizieren.

28

Dem Vorbringen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, die von ihr erzielten Verluste seien durch Provisionsaufwand bei der Einwerbung ihrer Gesellschafter entstanden, muss nicht nachgegangen werden. Denn es bestünde kein unmittelbarer sachlicher Zusammenhang derartiger Aufwendungen mit den später erzielten --steuerauslösenden-- Erträgen, der die Rechtfertigung der Mindestbesteuerung berühren könnte.

29

3. Schließlich ist dem Einwand der Klägerin, sie führe der Sache nach wegen fehlender Überschusserzielungsabsicht einen sog. Liebhabereibetrieb, was einer Besteuerung entgegenstehe, nicht zu folgen. Dies beruht auf grundsätzlichen --bereits im Senatsurteil vom 22. August 2007 I R 32/06 (BFHE 218, 523, BStBl II 2007, 961) näher ausgeführten und hier nicht im Einzelnen zu wiederholenden-- Erwägungen zur Frage, ob einer Kapitalgesellschaft eine außerbetriebliche Sphäre zukommen kann (s. zuletzt Senatsbeschluss vom 15. Februar 2012 I B 97/11, BFHE 236, 458, BStBl II 2012, 697). An diesen Erwägungen hält der Senat weiterhin fest. Es kommt daher weder in Betracht, den durch § 8b Abs. 1 und 2 KStG 2002 begünstigten Bereich der Kapitalanlagen aus der gewerblichen (§ 8 Abs. 2 KStG 2002; § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG 2002) Gesamttätigkeit der Klägerin herauszulösen noch die Tätigkeit der Klägerin insgesamt als nicht besteuerbar anzusehen.

1Der maßgebende Gewerbeertrag wird bis zu einem Betrag in Höhe von 1 Million Euro um die Fehlbeträge gekürzt, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume nach den Vorschriften der §§ 7 bis 10 ergeben haben, soweit die Fehlbeträge nicht bei der Ermittlung des Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume berücksichtigt worden sind.2Der 1 Million Euro übersteigende maßgebende Gewerbeertrag ist bis zu 60 Prozent um nach Satz 1 nicht berücksichtigte Fehlbeträge der vorangegangenen Erhebungszeiträume zu kürzen.3Im Fall des § 2 Abs. 2 Satz 2 kann die Organgesellschaft den maßgebenden Gewerbeertrag nicht um Fehlbeträge kürzen, die sich vor dem rechtswirksamen Abschluss des Gewinnabführungsvertrags ergeben haben.4Bei einer Mitunternehmerschaft ist der sich für die Mitunternehmerschaft insgesamt ergebende Fehlbetrag den Mitunternehmern entsprechend dem sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel zuzurechnen; Vorabgewinnanteile sind nicht zu berücksichtigen.5Für den Abzug der den Mitunternehmern zugerechneten Fehlbeträge nach Maßgabe der Sätze 1 und 2 ist der sich für die Mitunternehmerschaft insgesamt ergebende maßgebende Gewerbeertrag sowie der Höchstbetrag nach Satz 1 den Mitunternehmern entsprechend dem sich aus dem Gesellschaftsvertrag für das Abzugsjahr ergebenden allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel zuzurechnen; Vorabgewinnanteile sind nicht zu berücksichtigen.6Die Höhe der vortragsfähigen Fehlbeträge ist gesondert festzustellen.7Vortragsfähige Fehlbeträge sind die nach der Kürzung des maßgebenden Gewerbeertrags nach Satz 1 und 2 zum Schluss des Erhebungszeitraums verbleibenden Fehlbeträge.8Im Fall des § 2 Abs. 5 kann der andere Unternehmer den maßgebenden Gewerbeertrag nicht um die Fehlbeträge kürzen, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags des übergegangenen Unternehmens ergeben haben.9§ 8 Abs. 8 und 9 Satz 5 bis 8 des Körperschaftsteuergesetzes ist entsprechend anzuwenden.10Auf die Fehlbeträge ist § 8c des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend anzuwenden; dies gilt auch für den Fehlbetrag einer Mitunternehmerschaft, soweit dieser

1.
einer Körperschaft unmittelbar oder
2.
einer Mitunternehmerschaft, soweit an dieser eine Körperschaft unmittelbar oder mittelbar über eine oder mehrere Personengesellschaften beteiligt ist,
zuzurechnen ist.11Auf die Fehlbeträge ist § 8d des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend anzuwenden, wenn ein fortführungsgebundener Verlustvortrag nach § 8d des Körperschaftsteuergesetzes gesondert festgestellt worden ist.12Unterbleibt eine Feststellung nach § 8d Absatz 1 Satz 8 des Körperschaftsteuergesetzes, weil keine nicht genutzten Verluste nach § 8c Absatz 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes vorliegen, ist auf Antrag auf die Fehlbeträge § 8d des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend anzuwenden; für die Form und die Frist dieses Antrags gilt § 8d Absatz 1 Satz 5 des Körperschaftsteuergesetzes entsprechend.

Tatbestand

1

A. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war Insolvenzverwalter in dem am 28. Juli 2005 eröffneten und am 19. November 2012 nach vollzogener Schlussverteilung aufgehobenen Insolvenzverfahren über das Vermögen der B-GmbH. Unternehmensgegenstand der 1992 errichteten B-GmbH war die Erbringung von Dienstleistungen aller Art im Zusammenhang mit der Durchführung einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme einschließlich des An- und Verkaufs von bebauten und unbebauten Grundstücken, der Erarbeitung von wirtschaftlichen Nutzungskonzepten für Entwicklungsgebiete sowie deren Umsetzung und die Übernahme der wirtschaftlichen Betreuung von Entwicklungs- und Erschließungsmaßnahmen.

2

Die B-GmbH schloss am 16. Oktober 1992 (mit einem Nachtrag vom 1. Januar 1998) eine Kooperationsvereinbarung mit der D-GmbH, die vom Land X mit der Durchführung der vorstehend genannten städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme betraut worden war. Die B-GmbH sollte die für die Aufgaben der D-GmbH erforderlichen Grundstücke soweit wie möglich auf eigene Rechnung erwerben. Die Planung ging dahin, dass sich die Gesamtkosten der Entwicklungsmaßnahme einschließlich der der B-GmbH zustehenden Vergütung aus der Differenz zwischen Ein- und Verkaufspreis der Grundstücke sowie eventuellen Erlösen aus der Grundstücksbewirtschaftung decken lassen würden. Im Übrigen sollte die B-GmbH die Differenz zwischen Ein- und Verkaufspreis bei den Grundstücksgeschäften unter Abzug der ihr entstandenen Kosten an die D-GmbH abführen. In der Folgezeit kam es zu langwierigen Auseinandersetzungen und Rechtsstreitigkeiten zwischen der B-GmbH und der D-GmbH, die im Ergebnis mit einer "Vereinbarung über die Abgeltung von Ansprüchen" endeten. Die D-GmbH hat danach "unter Mithaftung des Landes X" an den Kläger denjenigen Betrag zu zahlen, der der Summe aller im Insolvenzverfahren über das Vermögen der B-GmbH zu berücksichtigenden Masseverbindlichkeiten (Massekosten und sonstige Masseverbindlichkeiten) und Insolvenzforderungen entspricht. Dies folge daraus, dass die B-GmbH zu keinem Zeitpunkt andere wirtschaftliche Tätigkeiten ausgeübt habe und keine anderen Verbindlichkeiten eingegangen sei als solche, die der Erfüllung der in der Kooperationsvereinbarung niedergelegten Aufgaben dienten. Im Zuge der Auseinandersetzungen hatte die B-GmbH eine von ihr (aktivierte) Ausgleichsforderung gegenüber der D-GmbH in Höhe von 44.187.069 € zunächst --im Jahresabschluss zum 31. Dezember 2004-- wertberichtigt und vollständig abgeschrieben. Daraus errechnete sich ein Jahresfehlbetrag von 46.618.630 €. Im Jahresabschluss zum 31. Dezember 2006 wurde diese Abschreibung infolge Wertaufholung rückgängig gemacht, wodurch sich zum 31. Dezember 2006 ein Jahresüberschuss von 74.691.354 € ergab.

3

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) setzte die Körperschaftsteuer 2008 auf Basis des hiernach ermittelten Gesamtbetrags der Einkünfte von 78.162.546 € nach Maßgabe von § 11 Abs. 7 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG 2002) für den Abwicklungszeitraum vom 28. Juli 2005 bis zum 31. Juli 2008 erklärungsgemäß fest. Die aufgelaufenen Verluste in Höhe von 72.353.821 € berücksichtigte er dabei unter Anwendung von § 8 Abs. 1 KStG 2002 i.V.m. § 10d Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz vom 22. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2840, BStBl I 2004, 14) --EStG 2002 n.F.-- nur in Höhe von 47.297.528 €. Den nach Maßgabe von § 7 Satz 1 des Gewerbesteuergesetzes in der in den Streitjahren anzuwendenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes und anderer Gesetze vom 23. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2922, BStBl I 2004, 20) --GewStG 2002 n.F.-- ermittelten Gewerbeertrag verteilte das FA nach § 16 Abs. 1 und 2 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung 2002 zeitanteilig auf den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 30. Juli 2008. Es berücksichtigte also in 2006 und in 2007 jeweils 26.054.182 € und in 2008 15.198.272 €, erhöht um die hälftige Hinzurechnung sog. Dauerschuldentgelte gemäß § 8 Nr. 1 GewStG 2002 a.F. (in Höhe von 6.005.861 € in 2006, von 5.560.866 € in 2007 und von 3.243.500 € in 2008) und setzte die Gewerbesteuermessbeträge 2006 bis 2008 entsprechend fest. Die aus den Steuerbescheiden resultierenden Forderungen wurden von der D-GmbH bezahlt.

4

Die (u.a.) dagegen gerichtete Klage blieb erfolglos. Sie wurde vom Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg durch Urteil vom 18. April 2012  12 K 12179/09, 12 K 12177/10 abgewiesen; das Urteil ist in Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst (DStRE) 2013, 413 abgedruckt.

5

Der Kläger rügt mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts. Er beantragt, unter Aufhebung des FG-Urteils die Gewerbesteuermessbescheide 2006 bis 2008 und den Körperschaftsteuerbescheid 2008 dahingehend abzuändern, dass die Gewerbesteuermessbeträge jeweils auf 0 € und die Körperschaftsteuer ebenfalls auf 0 € festgesetzt werden.

6

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

7

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten (§ 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--); es hat sich, ohne einen Antrag zu stellen, in der Sache dem FA angeschlossen.

Entscheidungsgründe

8

B. Die Aussetzung des Verfahrens und die Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sind gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht geboten. Der Senat ist zwar der Ansicht, dass die sog. Mindestbesteuerung nach § 8 Abs. 1 KStG 2002 i.V.m. § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F. und nach § 10a Satz 2 GewStG 2002 n.F. in ihrer Grundkonzeption der zeitlichen Streckung von Verlustvorträgen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Er ist aber davon überzeugt, dass die Regelungen wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verfassungswidrig sind, soweit sie durch den Ausschluss eines Verlustausgleichs den Kernbereich einer Nettoertragsbesteuerung verletzen.

9

I. Zulässigkeit der Revision

Die Revision ist zulässig. Der Kläger ist zur Prozessführung befugt; es handelt sich um einen sog. Aktivprozess, den der Kläger mit Blick auf eine mögliche Nachtragsverteilung (§ 203 Abs. 1 der Insolvenzordnung --InsO--) für die durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelöste GmbH auch nach einer Schlussverteilung (§ 196 InsO) und der sich daran anschließenden Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 200 Abs. 1 InsO) fortführen kann. Der Senat verweist insoweit auf die Gründe seines Urteils vom 26. Februar 2014 in der (abgetrennten) Sache I R 12/14.

10

II. Anwendung der sog. Mindestbesteuerung im Streitfall

Die Revision ist aber nach der Maßgabe einfachen Rechts nicht begründet und wäre daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

11

1. Zum einen hat das FA bei der Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer 2008 (Abwicklungszeitraum 28. Juli 2005 bis 31. Juli 2008) sowie der Gewerbesteuermessbeträge 2006 bis 2008 ohne Rechtsfehler berücksichtigt, dass die Einbuchung einer Forderung der B-GmbH gegen die D-GmbH erfolgswirksam und nicht als ergebnisneutrale Berichtigung eines früheren Bilanzierungsfehlers in der ersten noch offenen Schlussbilanz zu berücksichtigen ist. Im Einzelnen ergibt sich auch das aus dem Urteil des Senats vom 26. Februar 2014 über das Revisionsverfahren I R 12/14, auf das insoweit verwiesen wird.

12

2. Zum anderen --und vor allem-- hat das FA die gesetzlichen Regelungen der sog. Mindestbesteuerung (§ 8 Abs. 1 KStG 2002 i.V.m. § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F., § 10a Satz 1 und 2 GewStG 2002 n.F.) ohne Rechtsfehler angewendet. Dies wird auch von den Beteiligten nicht in Zweifel gezogen.

13

a) Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz beseitigte der Gesetzgeber zwar die bestehenden Einschränkungen des innerperiodischen Verlustausgleichs im Rahmen von § 2 Abs. 3 EStG 2002. Er verschärfte aber die Beschränkung des überperiodischen Verlustabzugs nach § 10d Abs. 2 EStG 2002 n.F.: Verluste, die weder im Veranlagungszeitraum ihrer Entstehung noch im Wege des Verlustrücktrags ausgeglichen werden konnten, sind ab dem Veranlagungszeitraum 2004 (§ 52 Abs. 25 Satz 3 EStG 2002 n.F.) im Rahmen des Verlustvortrags nur noch begrenzt verrechnungsfähig. Gemäß § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F. können sie nur noch bis zu einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 1 Mio. € unbeschränkt abgezogen werden. Darüber hinaus gehende negative Einkünfte aus früheren Veranlagungszeiträumen sind nur noch in Höhe von 60 % des 1 Mio. € übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte ausgleichsfähig. Im Ergebnis werden 40 % des positiven Gesamtbetrags der laufenden Einkünfte eines Veranlagungszeitraums unabhängig von etwaigen Verlusten in früheren Perioden der Besteuerung unterworfen, soweit sie die Schwelle von 1 Mio. € überschreiten.

14

b) Diese Neuerungen im Bereich der Einkommensteuer (sog. Mindestbesteuerung) sind auch bei der Veranlagung der B-GmbH zur Körperschaftsteuer im Streitjahr zu beachten (§ 8 Abs. 1 KStG 2002; § 11 Abs. 7 i.V.m. Abs. 1 und 6 KStG 2002), ebenso die eigenständige (aber in der Sache gleichlautende) Einschränkung des gewerbesteuerrechtlichen Verlustvortrags bei der Ermittlung des Gewerbesteuermessbetrags der B-GmbH durch § 10a Satz 1 und 2 GewStG 2002 n.F. Dabei ist auch im mehrjährigen körperschaftsteuerrechtlichen Besteuerungszeitraum der Abwicklung einer Kapitalgesellschaft nach § 11 Abs. 1 Satz 2 KStG 2002 (im Streitfall: 28. Juli 2005 bis 31. Juli 2008) der sog. Sockelbetrag der Mindestbesteuerung von 1 Mio. € nur einmal und nicht mehrfach --für jedes Kalenderjahr des verlängerten Besteuerungszeitraums-- anzusetzen (Senatsurteil vom 23. Januar 2013 I R 35/12, BFHE 240, 140, BStBl II 2013, 508).

15

III. Verfassungsrechtliche Beurteilung

Auf der Grundlage der vorstehenden Auslegungsergebnisse müsste der erkennende Senat, die Verfassungsmäßigkeit des § 10d Abs. 2 EStG 2002 n.F. und des § 10a Satz 2 GewStG 2002 n.F. unterstellt, die Revision als unbegründet zurückweisen. Der Senat hält in diesem Zusammenhang auch daran fest, dass die sog. Mindestbesteuerung in ihrer Grundkonzeption einer zeitlichen Streckung des Verlustvortrags ungeachtet von dadurch ausgelösten Zins- und Liquiditätsnachteilen nicht gegen Verfassungsrecht verstößt, da insoweit die Abzugsfähigkeit von Verlusten nicht in ihrem Kernbereich betroffen oder gänzlich ausgeschlossen wird. Dieser Kernbereich wird nach Auffassung des Senats indessen durch § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F. und § 10a Satz 2 GewStG 2002 n.F. dann verletzt, wenn ein sog. Definitiveffekt eintritt, d.h. wenn es zu einer vollständigen Beseitigung der Abzugsmöglichkeit oder zu einem Ausschluss des Verlustausgleichs kommt. Der Senat ist deswegen davon überzeugt, dass die Mindestbesteuerung in derartigen Situationen gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt.

16

1. Die sog. Mindestbesteuerung in ihrer Grundkonzeption einer zeitlichen Streckung des Verlustvortrags verstößt ungeachtet von dadurch ausgelösten Zins- und Liquiditätsnachteilen nicht gegen Verfassungsrecht.

17

a) Die normative und systematische Grundlegung sowie die einschlägige Rechtsprechung des BVerfG und des Bundesfinanzhofs (BFH) und die Auseinandersetzung im Schrifttum stellen sich für den streitigen Gesamtkomplex der Mindestbesteuerung wie folgt dar:

18

aa) Aus dem generellen verfassungsrechtlichen Maßstab des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) lässt sich für die direkten Steuern sowohl ein systemtragendes Prinzip ableiten --die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuersubjekts-- als auch das Gebot, dieses Prinzip bei der Ausgestaltung des einfachen Rechts folgerichtig umzusetzen (s. nur BVerfG-Beschluss vom 12. Oktober 2010  1 BvL 12/07, BVerfGE 127, 224, Rz 50 f., m.w.N.). Zur Ermittlung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuersubjekts bedarf es eines Ausgleichs zwischen den vom ihm erwirtschafteten besteuerbaren Einnahmen und den zur Erzielung dieser Einnahmen aufgewendeten Ausgaben. Das damit beschriebene ("objektive") Nettoprinzip ist jedenfalls einfachgesetzlich in § 2 Abs. 2 EStG 2002 angelegt (s. BVerfG-Beschluss vom 12. Mai 2009  2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111, Rz 27 f.) und auf der Grundlage der Verweisung in § 8 Abs. 1 KStG 2002 auch im Bereich der Körperschaftsteuer anzuwenden (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 127, 224, Rz 57 f.; s.a. Hey, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2009, Beihefter zu Nr. 34, 109, 110; Heger, ebenda, S. 117, 118; Heuermann, Finanz-Rundschau --FR-- 2012, 435, 436). Für die Gewerbesteuer gilt infolge der Verweisung in § 7 Satz 1 GewStG 2002 auf die Grundsätze der ertragsteuerrechtlichen Gewinnermittlung als Grundlage für die Ermittlung des Gewerbeertrags (vor Hinzurechnungen bzw. Kürzungen) nichts anderes (BFH-Beschluss vom 27. Januar 2006 VIII B 179/05, BFH/NV 2006, 1150, zu II.2.a bb; Hey, DStR 2009, Beihefter zu Nr. 34, 109, 115; Kube, DStR 2011, 1781, 1789; Desens, FR 2011, 745, 746; Röder, Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht, 2010, S. 232; s.a. FG Hamburg, [Vorlage-]Beschluss vom 29. Februar 2012  1 K 138/10, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2012, 960, Rz 99, 101); allerdings hält das BFH-Urteil vom 20. September 2012 IV R 36/10 (BFHE 238, 429, BStBl II 2013, 498) unter Hinweis auf den "Charakter der Gewerbesteuer" insoweit Einschränkungen für möglich.

19

bb) Das Periodizitätsprinzip des § 2 Abs. 7 Satz 1 und 2 EStG 2002 (bzw. des § 7 Abs. 3 Satz 1 und 2 KStG 2002, § 14 Satz 2 GewStG 2002) beschränkt das Nettoprinzip des § 2 Abs. 2 EStG 2002 nicht: Ein Abzug von Erwerbsaufwendungen ist auch dann zuzulassen, wenn die Erwerbsaufwendungen nicht im Veranlagungs- oder Erhebungszeitraum des Zugangs der Erwerbseinnahmen anfallen (BVerfG-Beschlüsse vom 22. Juli 1991  1 BvR 313/88, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1992, 423; vom 30. September 1998  2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88). Dies kommt einfachgesetzlich in Regelungen zum sog. periodenübergreifenden Verlustausgleich zum Ausdruck (§ 10d EStG 2002, § 10a GewStG 2002). Die Möglichkeit des periodenübergreifenden Verlustausgleichs begründet aber nicht ihrerseits eine Bedingung der (Ertrags-)Besteuerung in der Weise, dass jene erst dann gerechtfertigt ist, wenn das Steuersubjekt gemessen an der Gesamtdauer seines einkommensbezogenen Tätigwerdens bzw. seiner wirtschaftlichen Existenz tatsächlich einen Zuwachs wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit erzielt (s. Desens, FR 2011, 745, 746 f.; s.a. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 17. Dezember 2007 GrS 2/04, BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608; Heuermann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 10d Rz A 86; derselbe, FR 2012, 435, 440 f.; Drüen, Periodengewinn und Totalgewinn, 1999, S. 103 f.). Eine solche Bedingung würde einem sachangemessenen Ausgleich der widerstreitenden Prinzipien (im Sinne einer wechselseitigen Begrenzung von Periodizitäts- und Nettoprinzip, s. insbesondere BVerfG-Beschluss in HFR 1992, 423) nicht entsprechen (Desens, FR 2011, 745, 747 f.; Heuermann, FR 2012, 435, 436 ff.; Drüen, a.a.O., S. 96 ff.).

20

cc) Die sog. Mindestbesteuerung beschränkt die Wirkung des periodenübergreifenden Verlustausgleichs (nur) "der Höhe nach". Die Begründung zum Regierungsentwurf des § 10d Abs. 2 EStG 2002 n.F. (BTDrucks 15/1518, S. 13) weist darauf hin, dass durch die sog. Mindestbesteuerung "keine Verluste endgültig verloren" gingen (zur "zeitlichen Streckung des Verlustabzugs" s.a. die Stellungnahme der Bundesregierung, BTDrucks 17/4653, S. 2). Seine eigentlichen Beweggründe für die Regelungsänderung offenbart der Gesetzgeber dann aber darin, dass "der Grund für die Beschränkung ... in dem gewaltigen Verlustvortragspotential der Unternehmen zu sehen (sei), das diese vor sich herschieben. Um das Steueraufkommen für die öffentlichen Haushalte kalkulierbar zu machen, ist es geboten, den Verlustvortrag zu strecken. Nur so ist auf Dauer eine Verstetigung der Staatseinnahmen gewährleistet". Damit ist dem Regierungsentwurf zu § 10d Abs. 2 EStG 2002 n.F. (ebenso zu § 10a GewStG 2002 n.F.: BTDrucks 15/1517, S. 19) eine ausschließlich fiskalischen Interessen geschuldete Begründung beigestellt worden (s.a. Dorenkamp, Systemgerechte Neuordnung der Verlustverrechnung - Haushaltsverträglicher Ausstieg aus der Mindestbesteuerung, in Institut "Finanzen und Steuern", Schrift Nr. 461, 2010, S. 27 ff.). Später wird allerdings ergänzend in einer Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage ausgeführt, die "zeitliche Streckung des Verlustabzugs soll(e) eine Mindestgewinnbesteuerung aktiver Einkünfte sicherstellen. Die Maßnahme dient der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage, trifft dabei aber insbesondere diejenigen Steuerpflichtigen, die Steuervergünstigungen und Steuerschlupflöcher ausnutzen" (Bundesregierung, BTDrucks 17/4653, S. 2 [zu Frage 1]).

21

dd) Das BVerfG hat sich bereits mehrfach --wenn auch noch nicht mit Blick auf § 10d Abs. 2 EStG 2002 n.F.-- zu Einschränkungen des periodenübergreifenden Verlustausgleichs bzw. der Verlustverrechnung geäußert. Danach ist ein uneingeschränkter Verlustvortrag verfassungsrechtlich nicht garantiert. Die Beschränkung des Verlustvortrags auf bestimmte Einkunftsarten und damit der Ausschluss anderer Einkunftsarten von jeglichem Verlustvortrag ist ebenso wenig verfassungsrechtlich zu beanstanden (BVerfG-Beschluss vom 8. März 1978  1 BvR 117/78, HFR 1978, 293) wie die Beschränkung des Verlustvortrags auf bestimmte, durch Betriebsvermögensvergleich ermittelte Betriebsverluste (BVerfG-Beschluss in HFR 1978, 293; vgl. auch BVerfG-Beschluss vom 30. Oktober 1980  1 BvR 785/80, HFR 1981, 181). Nach der Rechtsprechung des BVerfG bestehen ferner unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit keine Bedenken gegen eine Beschränkung des Verlustabzugs auf einen einjährigen Verlustrücktrag und einen fünfjährigen Verlustvortrag (BVerfG-Beschluss in HFR 1992, 423). Allerdings hat das Gericht im Beschluss in BVerfGE 99, 88 den völligen Ausschluss der Verlustverrechnung bei laufenden Einkünften aus der Vermietung beweglicher Gegenstände (§ 22 Nr. 3 Satz 3 EStG 1983) für verfassungswidrig erklärt.

22

ee) Nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. dazu insbesondere die Nachweise im Senatsurteil vom 22. August 2012 I R 9/11, BFHE 238, 419, BStBl II 2013, 512) bestehen im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich insoweit keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer Verlustausgleichsbeschränkung, als der Verlustausgleich nicht versagt, sondern lediglich zeitlich gestreckt wird. Eine Verlagerung des Verlustausgleichs auf spätere Veranlagungszeiträume ist im Hinblick darauf nicht zu beanstanden, dass das Grundrecht des Art. 3 Abs. 1 GG seine Wirkung grundsätzlich veranlagungszeitraumübergreifend entfaltet. Es genügt, wenn die Verluste überhaupt, sei es auch in einem anderen Veranlagungszeitraum, steuerlich berücksichtigt werden. Insbesondere erstarkt die bei ihrer Entstehung gegebene bloße Möglichkeit, die Verluste später ausgleichen zu können, nicht zu einer grundrechtlich geschützten Vermögensposition (Art. 14 Abs. 1 GG; s. BVerfG-Beschluss in HFR 1992, 423; dies relativierend Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608, zu D.II.2.). Dementsprechend hat der BFH in seinem Beschluss vom 29. April 2005 XI B 127/04 (BFHE 209, 379, BStBl II 2005, 609) eine Beschränkung des Verlustvortrags grundsätzlich gebilligt, wenn der Vortrag zeitlich über mehrere Veranlagungszeiträume gestreckt wird. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass damit nicht zugleich über die Konstellation entschieden sei, dass "negative Einkünfte aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen" in einem solchen System "nicht mehr vorgetragen werden können". Darüber hinaus hat der XI. Senat des BFH in seinem Vorlagebeschluss an das BVerfG vom 6. September 2006 XI R 26/04 (BFHE 214, 430, BStBl II 2007, 167) hervorgehoben, dass die sog. Mindeststeuer durchaus den Schutzbereich des Art. 3 Abs. 1 GG berühre; auch wenn in mehreren summarischen Verfahren nach § 69 Abs. 2 und 3 FGO wegen der die Veranlagungszeiträume übergreifenden Wirkung des Art. 3 Abs. 1 GG die Norm als verfassungsgemäß angesehen worden sei, sei nicht zu verkennen, dass die Begrenzung des vertikalen Verlustausgleichs (im dortigen Streitfall durch § 2 Abs. 3 EStG 2002) trotz der Streckung der Verlustverrechnung nicht nur bei einer kleinen Zahl von Steuerpflichtigen mit gleicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zu nennenswerten Belastungsunterschieden führen könne. Auch bestehe naturgemäß keine Gewissheit, die Verluste in Zukunft verrechnen zu können.

23

Der IV. Senat des BFH hat sich in seinem Urteil in BFHE 238, 429, BStBl II 2013, 498 mit Blick auf die Einschränkung der gewerbesteuerrechtlichen Verlustverrechnung dem Senatsurteil in BFHE 238, 419, BStBl II 2013, 512 ausdrücklich angeschlossen: Die Beschränkung der Verrechnung von vortragsfähigen Gewerbeverlusten durch Einführung einer jährlichen Höchstgrenze mit Wirkung ab 2004 sei mit dem Grundgesetz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar; insbesondere sei mit dieser Regelung den Anforderungen, die an die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers zu stellen sind, entsprochen worden. Das gelte auch, soweit es im Einzelfall wegen der Begrenzung zu einem endgültig nicht mehr verrechenbaren Verlust komme (s. insoweit auch BFH-Urteile vom 20. September 2012 IV R 29/10, BFHE 238, 518, BStBl II 2013, 505; vom 20. September 2012 IV R 43/10, BFH/NV 2013, 408; vom 20. September 2012 IV R 60/11, BFH/NV 2013, 410). Dabei hat der IV. Senat auch auf die Besonderheit des Gewerbesteuerrechts abgestellt, dass ein Verlustrücktrag ausgeschlossen ist (§ 10a GewStG 2002 erwähnt nur einen Verlustvortrag): Komme es zur Definitivbelastung, weil einem beschränkten Verlustabzug keine weiteren positiven Gewerbeerträge folgen, lasse sich im Jahr der Mindestbesteuerung nicht erkennen, ob und aus welchen Gründen kein weiteres Potenzial für die Verrechnung des gestreckten Verlusts entstehen werde. Würde sich rückwirkend die beschränkte Verlustverrechnung als Ursache für die Definitivbelastung erweisen, könnte die Belastung nur durch eine Korrektur der seinerzeitigen Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags beseitigt werden. Dies käme aber einem Verlustrücktrag nahe, der in dem System der Gewerbesteuer bewusst nicht vorgesehen sei. Im Übrigen könnten im Einzelfall bei unverhältnismäßigen und unzumutbaren Benachteiligungen Billigkeitsmaßnahmen eingreifen; eine ungerechtfertigte Härte liege allerdings nicht vor, wenn der Unternehmer durch eigenes Verhalten (dort: das Hinwirken auf einen Forderungsverzicht des Gläubigers) einen Gewerbeertrag ausgelöst habe, der nicht vollständig mit vortragsfähigen Gewerbeverlusten verrechnet werden könne.

24

ff) In der Literatur wird die sog. Mindestbesteuerung teilweise für verfassungskonform gehalten (z.B. Heuermann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 10d Rz A 85, 88; derselbe, FR 2012, 435, 439 ff.; Lambrecht in Kirchhof, EStG, 13. Aufl., § 10d Rz 4; Seiler in Hey [Hrsg.], Einkünfteermittlung, Veröffentlichungen der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft --DStJG-- Band 34 [2011], S. 61, 82; Gassen in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 10d Rz 6; Müller-Gatermann, Die Wirtschaftsprüfung 2004, 467, 468): Die im Einzelfall eintretende Einschränkung des objektiven Nettoprinzips habe der Gesetzgeber ohne Verstoß gegen das allgemeine Willkürverbot in vertretbarer Weise ausgestaltet, da sich Beschränkungen des Verlustvortrags in betragsmäßiger oder zeitlicher Hinsicht jedenfalls im Grundsatz als verfassungskonform erwiesen hätten.

25

Dem wird von anderer Seite entgegengehalten, die durch die "Deckelung" des Abzugsbetrags bewirkte zeitliche Streckung des Verlustvortrags sei schon "als solche" verfassungswidrig (z.B. Lang/Englisch, Steuer und Wirtschaft --StuW-- 2005, 3, 21 ff.; Röder, a.a.O., S. 263 ff., 355 ff., und derselbe, StuW 2012, 18, 22 ff.; Mönikes, Die Verlustverrechnungsbeschränkungen des Einkommensteuergesetzes im Lichte der Verfassung, 2006, S. 223 ff.; Hey, StuW 2011, 131, 140 f.; dieselbe in Tipke/ Lang, Steuerrecht, 21. Aufl., § 8 Rz 68; Dorenkamp, a.a.O., S. 12; derselbe, FR 2011, 733, 736 ff.; Raupach in Lehner [Hrsg.], Verluste im nationalen und internationalen Steuerrecht, 2004, S. 53, 60 f.; Eckhoff in von Groll [Hrsg.], Verluste im Steuerrecht, DStJG Band 28 [2005], S. 11, 34; Jü. Lüdicke, Deutsche Steuer-Zeitung 2010, 434, 436; Kaminski in Korn, § 10d EStG Rz 30.9; Wissenschaftlicher Beirat Steuern der Ernst & Young GmbH, Der Betrieb --DB-- 2012, 1704, 1707; Esterer/Bartelt, Unternehmensbesteuerung --Ubg-- 2012, 383, 392; Bareis, DB 2013, 144; Gens, Unternehmensverluste/Verlustabzug und Mindestbesteuerung, 2014, S. 158 ff.; s.a. die Stellungnahme des Bundesrats im Gesetzgebungsverfahren, BTDrucks 15/1665, S. 2).

26

Wiederum andere Literaturstimmen nehmen einen Verfassungsverstoß der sog. Mindestbesteuerung nur in den Fällen an, in denen ein Verlust nicht nur zeitlich gestreckt, sondern von einer Wirkung auf die Ermittlung des Einkommens endgültig ausgeschlossen wird ("Definitiveffekte", z.B. Hallerbach in Herrmann/Heuer/Raupach, § 10d EStG Rz 13; Schmidt/Heinicke, EStG, 33. Aufl., § 10d Rz 10; Wendt, DStJG Band 28, S. 41, 74 ff.; Fischer, FR 2007, 281, 283 ff.; Desens, FR 2011, 745, 748 ff.; Klomp, GmbH-Rundschau --GmbHR-- 2012, 675, 676 f.; Schaumburg/Schaumburg, StuW 2013, 61, 65 f.; wohl auch Kempf/ Vogel in Lüdicke/Kempf/Brink [Hrsg.], Verluste im Steuerrecht, 2010, S. 81; Blümich/Schlenker, § 10d EStG Rz 6, 24; Drüen, ebenda, § 10a GewStG Rz 21, 112; derselbe, FR 2013, 393, 402; Kube, DStR 2011, 1781, 1789 ff.; Buciek, FR 2011, 79; Schmieszek in Bordewin/Brandt, § 10d EStG Rz 147; s.a. BMF-Schreiben vom 19. Oktober 2011, BStBl I 2011, 974, Tz. 1), wobei insoweit auch eine verfassungskonforme Reduktion des Wortlauts des § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F. für möglich gehalten wird (z.B. Wendt, DStJG Band 28, S. 41, 78). Solche Definitiveffekte können sowohl auf tatsächlichen als auch auf rechtlichen Gründen beruhen (s. nur das BMF-Schreiben in BStBl I 2011, 974, Tz. 1); im Unternehmensbereich können sie insbesondere bei der Liquidation körperschaftsteuerpflichtiger Unternehmen auftreten, aber ebenso bei Umstrukturierungen und rechtlichen Hindernissen für eine (weitere) Verlustnutzung (z.B. § 8c KStG 2002 i.d.F. des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 vom 14. August 2007, BGBl I 2007, 1912, BStBl I 2007, 630 --KStG 2002 n.F.--), darüber hinaus aber auch dann, wenn es um zeitlich begrenzt bestehende Projektgesellschaften geht, ebenfalls aber auch etwa um bestimmte Unternehmensgegenstände (z.B. bei langfristiger Fertigung) und in Sanierungsfällen (s. Lang/Englisch, StuW 2005, 3, 21 ff.; s.a. Dorenkamp, a.a.O., S. 33 f.; Orth, FR 2005, 515, 530; Küspert, Betriebs-Berater --BB-- 2013, 1949, 1951 f.; BMF-Bericht der Facharbeitsgruppe "Verlustverrechnung und Gruppenbesteuerung" vom 15. September 2011, S. 52 mit Fußn. 57; BMF-Schreiben in BStBl I 2011, 974, Tz. 1).

27

b) Dem Maßstab, dass die Abzugsfähigkeit von Verlusten nicht in ihrem Kernbereich betroffen und gänzlich ausgeschlossen sein darf (s. zu dieser Grenzbestimmung bereits Senatsurteile vom 11. Februar 1998 I R 81/97, BFHE 185, 393, BStBl II 1998, 485; vom 5. Juni 2002 I R 115/00, BFH/NV 2002, 1549; Senatsbeschluss vom 26. August 2010 I B 49/10, BFHE 230, 445, BStBl II 2011, 826), werden § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F. und § 10a Satz 2 GewStG 2002 n.F. nach Ansicht des Senats unter Berücksichtigung der beschriebenen Ausgangslage und vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtsprechung und des einschlägigen Meinungsbildes im Schrifttum jedenfalls dann gerecht, wenn nicht ein sog. Definitiveffekt eintritt.

28

aa) Die Grundkonzeption der zeitlichen Streckung des Verlustvortrags entspricht auch angesichts des Zins- bzw. Liquiditätsnachteils den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Insoweit entnimmt der Senat der neueren Rechtsprechung des BVerfG eine Unterscheidung zwischen temporären und endgültigen Steuereffekten (s. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 123, 111; s.a. BFH-Urteil vom 25. Februar 2010 IV R 37/07, BFHE 229, 122, BStBl II 2010, 784; zustimmend Dorenkamp, a.a.O., S. 61 f.; Desens, FR 2011, 745, 747; Heuermann, FR 2012, 435, 439; Lang, GmbHR 2012, 57, 61; ablehnend z.B. Röder, StuW 2012, 18, 24 f.; Schaumburg/Schaumburg, StuW 2013, 61, 62 f., m.w.N.). Wenn sich danach der maßgebliche Zeitpunkt der einkommensteuerrechtlichen Berücksichtigung eines gewinnmindernden Aufwands, also das Wann, nicht das Ob der Besteuerung, nicht mit Hilfe des Maßstabs wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit oder des objektiven Nettoprinzips bestimmen lässt, ist eine "Verluststreckung" verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Maßgabe, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen abzubilden, entspricht daher einerseits nur eine Konzeption, die die Möglichkeit eines vom jährlichen Abschnittsteuerprinzip suspendierenden Verlustausgleichs vorsieht, schließt aber andererseits eine Begrenzung dieser Möglichkeit (im Sinne der Ermittlung einer "durchschnittlichen mehrjährigen Leistungsfähigkeit" – s. Bundesregierung, BTDrucks 17/4653, S. 7 [zu Frage 6]) nicht aus. Dabei liegt es auch innerhalb der gesetzgeberischen Typisierungsbefugnis (zu dieser z.B. BVerfG-Beschluss vom 17. November 2009  1 BvR 2192/05, BVerfGE 125, 1, BGBl I 2010, 326), dass die zeitliche Streckung des Verlustvortrags das Risiko für den einkommenswirksamen Abzug des Verlusts erhöht, da "naturgemäß keine Gewissheit besteht, die Verluste in Zukunft verrechnen zu können" (Senatsurteil vom 1. Juli 2009 I R 76/08, BFHE 225, 566, BStBl II 2010, 1061; BFH-Beschluss in BFHE 214, 430, BStBl II 2007, 167). Diesem Ergebnis steht auch die Existenz verschiedener gesetzlicher Regelungen nicht entgegen, die als Rechtsfolge eine "Vernichtung" von Verlustvorträgen in bestimmten Fallsituationen vorsehen (z.B. im Zuge einer Anteilsübertragung: § 8c KStG 2002 n.F.). Dies gilt sinnentsprechend z.B. auch für die Situation der Beendigung der persönlichen Steuerpflicht angesichts der fehlenden Möglichkeit der "Verlustvererbung" (BFH-Beschluss in BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608).

29

bb) Der Gesetzgeber hat durch das Grundkonzept der Mindestbesteuerung die Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit nicht willkürlich überschritten; er kann sich für diese Ausgestaltung des Verlustabzugs vielmehr auf den im Gesetzgebungsverfahren erteilten Hinweis auf eine Verstetigung des Steueraufkommens (s.a. BMF-Bericht der Facharbeitsgruppe "Verlustverrechnung und Gruppenbesteuerung", vom 15. September 2011, S. 18) infolge der Dämpfung der Steuerauswirkungen konjunktureller Schwankungen berufen (s. oben zu III.1.a cc; zur Steueraufkommenswirkung s. BTDrucks 17/4653, S. 17, bzw. BMF-Bericht der Facharbeitsgruppe "Verlustverrechnung und Gruppenbesteuerung", vom 15. September 2011, S. 43 f.). Denn damit hat der Gesetzgeber nicht nur auf den (nicht in ausreichender Weise rechtfertigenden) Einnahmezweck (Erzielung von Steuermehreinnahmen), sondern auf einen in der Konzeption der Regelung angelegten "qualifizierten Fiskalzweck" (Desens, FR 2011, 745, 749; s.a. Kube, DStR 2011, 1781, 1789 und 1790) verwiesen (s.a. BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 1150; Heuermann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 10d Rz A 85; ablehnend z.B. Hey, StuW 2011, 131, 141 f.; Röder, StuW 2012, 18, 25 f.; Wissenschaftlicher Beirat Steuern der Ernst & Young GmbH, DB 2012, 1704, 1707). Daher kann insoweit --mit Blick auf § 10a Satz 2 GewStG 2002 n.F.-- offenbleiben, ob die dortige Beschränkung (auch) dadurch gerechtfertigt werden kann, dass auf diese Weise die kommunale Finanzhoheit (Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG) sichergestellt werden konnte (so FG Hamburg, Urteil vom 2. November 2011  1 K 208/10, EFG 2012, 434 --als Vorinstanz zum BFH-Urteil in BFHE 238, 429, BStBl II 2013, 498--; s.a. BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 1150) bzw. dass die besondere Ausgestaltung der gewerbesteuerrechtlichen Verlustberücksichtigung (kein Verlustrücktrag) zu berücksichtigen war (BFH-Urteil in BFHE 238, 429, BStBl II 2013, 498).

30

2. Der Senat ist aber davon überzeugt, dass § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F. und § 10a Satz 2 GewStG 2002 n.F. den benannten Kernbereich einer Ausgleichsfähigkeit von Verlusten dann verletzen, wenn --wie im Streitfall-- auf der Grundlage eines inneren Sachzusammenhangs bzw. einer Ursachenidentität zwischen Verlust und Gewinn der sog. Mindestbesteuerung im Einzelfall ("konkret") die Wirkung zukommt, den Verlustabzug gänzlich auszuschließen (s. dazu bereits Senatsbeschluss in BFHE 230, 445, BStBl II 2011, 826) und eine leistungsfähigkeitswidrige Substanzbesteuerung auszulösen. Diese Grundrechtsverletzung kann nicht durch einzelfallbezogene sachliche Billigkeitsmaßnahmen im Verwaltungswege kompensiert werden.

31

a) Der Streitfall ist dadurch gekennzeichnet, dass der (im Grundsatz) ausgleichsfähige Verlust aus der stichtagsbezogenen (31. Dezember 2004) Teilwertabschreibung einer Forderung herrührt, und der Ertrag aus der zeitlich nachfolgenden ebenfalls stichtagsbezogenen (31. Dezember 2006) Teilwertzuschreibung eben dieser Forderung folgt. Insoweit beruhen Aufwand und Ertrag auf demselben Rechtsgrund (der Kooperationsvereinbarung) und sie entsprechen sich der Höhe nach: Der Ertrag erscheint dabei nur als zeitverschobener actus contrarius zum Aufwand. Teilwertabschreibung und Werterholung eines Bilanzpostens lösen daher wegen der unterschiedlichen Ermittlungsperioden im Zusammenhang mit der Mindestbesteuerung eine Steuerschuld aus ("Besteuerung von per Saldo nicht erzielten Gewinnen" – so Oberfinanzdirektion Frankfurt a.M. vom 20. Juni 2013, DB 2013, 1696). Die in der Besteuerungspraxis der Auflösung von Kapitalgesellschaften (Liquidation, Insolvenzverfahren) häufig auftretenden bilanzsteuerrechtlichen "Umkehreffekte" (z.B. auch die Auflösung von zunächst gewinnmindernd berücksichtigten Rückstellungen) haben allerdings weder einen entsprechenden Liquiditätszufluss noch einen Zuwachs an besteuerungswürdiger Leistungsfähigkeit zur Folge (s.a. Farle/Schmitt, DB 2013, 1746, 1747 f.).

32

b) Typisierungs- oder Vereinfachungserfordernisse können nicht rechtfertigen, dass der Gesetzgeber auf der Rechtsfolgenseite der Normen eine Differenzierung nach Verlustursachen bzw. nach Zusammenhängen mit der Gewinnentstehung vollständig unterlassen hat.

33

aa) Auch wenn in der Begründung des Gesetzentwurfs davon die Rede ist, Zielpunkt der Normen sei nur eine Verluststreckung, nicht aber ein Verlustausschluss (s. zu § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F.: BTDrucks 15/1518, S. 13), lassen die Gesetzesmaterialien erkennen, dass die an der Gesetzgebung beteiligten Organe die Möglichkeit einer zweckwidrigen Definitivbesteuerung infolge der Mindeststeuer erkannt haben (s. dazu die Nachweise zur Sachverständigen-Anhörung im maßgebenden Gesetzgebungsverfahren im BFH-Urteil in BFHE 238, 429, BStBl II 2013, 498). Der Gesetzgeber hat sich allerdings angesichts der im Gesetzgebungsverfahren geäußerten (sachverständigen) Bedenken damit begnügt, angesichts der in bestimmten Situationen drohenden Substanzbesteuerung den sog. Sockelbetrag von 100.000 € auf 1 Mio. € zu verzehnfachen und den Prozentsatz für den Restbetrag von 50 % auf 60 % anzuheben. Damit wurde erreicht, dass "eine große Zahl kritischer Fälle nun von einer Definitivbesteuerung verschont" bleiben würde (BFH-Urteil in BFHE 238, 429, BStBl II 2013, 498); zugleich wurde dem Umstand Rechnung getragen, "dass durch eine gesetzliche Regelung eine Definitivbelastung in allen verbleibenden denkbaren Einzelfällen (nicht) hätte ausgeschlossen werden können, ohne das System der Mindestbesteuerung insgesamt aufzugeben und ohne zugleich weitere Verletzungen des Gleichheitssatzes zu bewirken" (so BFH-Urteil in BFHE 238, 429, BStBl II 2013, 498). Auch wenn der Gesetzgeber nicht gehalten ist, allen Besonderheiten im sachlichen Anwendungsbereich von Normen Rechnung zu tragen: Es wird deutlich, dass der Gesetzgeber allenfalls die Anzahl der Streitfälle reduziert hat, ohne aber auch nur im Ansatz zu versuchen, einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Gesichtspunkten der verfassungsrechtlich durchaus zulässigen überperiodischen Verluststreckung und dem Kernbereich der Verlustverrechnung als Grundprinzip einer Ertragsbesteuerung herzustellen (gl.A. Hallerbach in Herrmann/Heuer/Raupach, § 10d EStG Rz 13). Der sog. Sockelbetrag ist auch, wie in der Literatur hervorgehoben wird, in unternehmensteuerrechtlichen Zusammenhängen bei großen Gesellschaften und Konzernen "regelmäßig völlig bedeutungslos" (Esterer/Bartelt, Ubg 2012, 383, 390; s.a. Roser, Der GmbH-Steuerberater --GmbH-StB-- 2013, 53, 57). Im Übrigen hätte der Gesetzgeber in Rechnung stellen müssen, dass "Definitiveffekte" im Zusammenhang insbesondere mit stetig anwachsenden gesetzlichen Einschränkungen der interperiodischen Verlustkompensation stehen (z.B. Desens, FR 2011, 745, 750; Drüen, FR 2013, 393, 402; Schaumburg/Schaumburg, StuW 2013, 61, 66).

34

bb) Die auch Definitiveffekte einschränkungslos erfassenden Regelungen sind nicht im Sinne eines Missbrauchsverhinderungszwecks oder einer Begrenzung von übermäßiger Subventionsinanspruchnahme gerechtfertigt (ausführlich Gens, a.a.O., S. 156 ff.). Zwar wird von der Bundesregierung angeführt, getroffen würden "insbesondere diejenigen Steuerpflichtigen, die Steuervergünstigungen und Steuerschlupflöcher ausnutzen" (Bundesregierung, BTDrucks 17/4653, S. 2 [zu Frage 1]). Diese Einschätzung ist aber nicht substantiiert und erscheint angesichts der in der Fachliteratur diskutierten und dem Senat bisher bekannt gewordenen Streitfälle als unbegründet (im Ergebnis ebenso Hallerbach in Herrmann/Heuer/Raupach, § 10d EStG Rz 13; Esterer/Bartelt, Ubg 2012, 383, 392). Auch der hier zu entscheidende Streitfall bietet keinen Anlass für eine entsprechende Würdigung.

35

c) Der erkennende Senat folgt dem IV. Senat des BFH (in seinem Urteil in BFHE 238, 429, BStBl II 2013, 498) für Körperschaften als Gewerbebetriebe kraft Rechtsform (§ 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG 2002) nicht darin, dass die Besonderheiten der Gewerbesteuer eine weitere und zugleich ausreichende Rechtfertigung für die Mindestbesteuerung in § 10a Satz 2 GewStG 2002 n.F. rechtfertigen können. Während für Einzelunternehmen und Personengesellschaften eine Unternehmensidentität und eine Unternehmeridentität für den Verlustabzug nach § 10a GewStG 2002 n.F. vorausgesetzt wird und es auf den Zeitraum der "werbenden Tätigkeit" des Gewerbebetriebs ankommt, ist für Körperschaften einheitlich sowohl für die Körperschaftsteuer als auch für die Gewerbesteuer auf die Maßgaben der wirtschaftlichen Identität in § 8 Abs. 4 KStG 2002 (§ 10a Satz 4 GewStG 2002) bzw. § 8c KStG 2002 n.F. (§ 10a Satz 10 GewStG 2002 n.F.) während ihrer rechtlichen Existenz verwiesen. Eine besondere objektsteuerbezogene Komponente folgt daraus für den Gewerbeverlust der Körperschaft nicht; insoweit besteht kein abweichender Maßstab zur allgemeinen Ertragsteuer (so im Ergebnis auch Kube, DStR 2011, 1781, 1789; Kessler/Hinz, BB 2012, 555, 556; Klomp, GmbHR 2012, 675, 679; Esterer/Bartelt, Ubg 2012, 383, 386). Darüber hinaus lässt sich der Ausschluss des gewerbesteuerrechtlichen Verlustrücktrags in einem System, das den gewerbesteuerrechtlichen Verlustvortrag ohne zeitliche Einschränkung anerkennt (s. dazu die Darlegungen des IV. Senats des BFH in seinem Urteil in BFHE 238, 429, BStBl II 2013, 498), weniger mit einem objektsteuerartigen Bezug als vielmehr im Wesentlichen mit dem Interesse der Gemeinden an einer funktionierenden Haushaltspolitik begründen (s.a. Bundesregierung, BTDrucks 17/4653, S. 10 [zu Frage 17]). Im Übrigen könnte zwar in Situationen, in denen die beschränkte Verlustverrechnung (in Vorjahren) als Ursache für die Definitivbelastung zu identifizieren ist, die Belastung nur durch eine Korrektur der seinerzeitigen Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags beseitigt werden, was "einem Verlustrücktrag nahe (käme), der in dem System der Gewerbesteuer bewusst nicht vorgesehen ist" (BFH-Urteil in BFHE 238, 429, BStBl II 2013, 498). Dabei mag bezweifelt werden, ob die für eine solche Konstellation diskutierte Möglichkeit einer verfahrensrechtlichen Änderung kraft rückwirkenden Ereignisses (§ 175 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 der Abgabenordnung --AO--, dazu insbesondere Klomp, GmbHR 2012, 675, 681; FG Köln, Urteil vom 11. April 2013  13 K 889/12, EFG 2013, 1374; Graw, EFG 2013, 1377, 1378) unter Hinweis auf gewerbesteuerrechtliche Besonderheiten ausgeschlossen sein kann. Jedenfalls für die streitgegenständliche Situation der Anwendung der Mindestbesteuerung in einem Gewinnjahr kommt es darauf aber nicht an.

36

d) Die verfassungsrechtliche Bewertung wird nicht dadurch beeinflusst, dass auf der Grundlage der §§ 163, 227 AO bei sog. Definitiveffekten die verfahrensrechtliche Möglichkeit besteht, im Einzelfall im Wege der Billigkeit eine Steuerfestsetzung in einer Höhe zu erreichen, die einer Nichtanwendung der Mindestbesteuerung entspricht.

37

aa) Die Festsetzung einer Steuer ist aus sachlichen Gründen unbillig, wenn sie zwar dem Wortlaut des Gesetzes entspricht, aber den Wertungen des Gesetzes zuwiderläuft (z.B. Senatsurteil vom 21. Oktober 2009 I R 112/08, BFH/NV 2010, 606; BFH-Urteil vom 23. Juli 2013 VIII R 17/10, BFHE 242, 134, BStBl II 2013, 820). Das setzt voraus, dass der Gesetzgeber die Grundlagen für die Steuerfestsetzung anders als tatsächlich geschehen geregelt hätte, wenn er die zu beurteilende Frage als regelungsbedürftig erkannt hätte. Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt dagegen keine Billigkeitsmaßnahme (Senatsurteil in BFH/NV 2010, 606; BFH-Urteil in BFHE 242, 134, BStBl II 2013, 820).

38

bb) Zwar hat der IV. Senat des BFH in seinen Urteilen in BFHE 238, 429, BStBl II 2013, 498 und in BFH/NV 2013, 410 ausgeführt, die Möglichkeit von Billigkeitsmaßnahmen in besonderen Einzelfällen flankiere die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers und gestatte ihm, eine typisierende Regelung zu treffen, bei der Unsicherheiten über Zahl und Intensität der von der typisierenden Regelung nachteilig betroffenen Fälle mit zumutbarem Aufwand nicht beseitigt werden könnten (dies offenlassend der Senatsbeschluss vom 28. März 2011 I B 152/10, BFH/NV 2011, 1284). Darauf baut auch der Hilfsantrag des Klägers im hier anhängigen Revisionsverfahren auf. Allerdings ist nach dem gerade Ausgeführten im Rahmen der "sachlichen Unbilligkeit" als Voraussetzung einer Billigkeitsmaßnahme eine strukturelle Gesetzeskorrektur ausgeschlossen (z.B. Drüen, Steuerberater-Jahrbuch --StbJb-- 2012/2013, S. 123, 160; s.a. Wendt, DStJG Band 28, S. 41, 78; Küspert, BB 2013, 1949, 1953; Hallerbach in Herrmann/Heuer/Raupach, § 10d EStG Rz 13). Von einer solchen Korrektur wäre aber zu sprechen, wenn man --wie der Senat-- davon ausgeht, dass der Gesetzgeber den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine Wirkung der Mindestbesteuerung als Verlustnutzungsausschluss ausschließlich durch eine Anhebung des Sockelbetrags und des Prozentsatzes für den Restbetrag Rechnung tragen wollte.

39

IV. Verfassungskonforme Auslegung

Eine die Verfassungswidrigkeit vermeidende verfassungskonforme Auslegung ist nicht möglich.

40

1. Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung gebietet es, bei mehreren Möglichkeiten der Normauslegung diejenige maßgeblich sein zu lassen, bei der die Regelung mit der Verfassung konform geht. Der Grundsatz verbindet somit die Normtextauslegung mit einer Normenkontrolle (Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band I, 10. Aufl., Rz 100) und findet als Auslegungskriterium seine Grenze dort, wo er mit dem Wortlaut der Norm und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde (z.B. BVerfG-Beschluss vom 27. März 2012  2 BvR 2258/09, BVerfGE 130, 372). Im Wege der verfassungskonformen Auslegung darf einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz nicht ein entgegengesetzter Sinn verliehen, der normative Gehalt der auszulegenden Vorschrift nicht grundlegend neu bestimmt und das gesetzgeberische Ziel nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt werden (BVerfG-Beschluss vom 26. April 1994  1 BvR 1299/89, 1 BvL 6/90, BVerfGE 90, 263).

41

2. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 10d Abs. 2 EStG 2002 n.F. und des § 10a GewStG 2002 n.F. in der Situation sog. Definitiveffekte --die der Senat im Beschluss in BFHE 230, 445, BStBl II 2011, 826 bei summarischer Prüfung der Rechtslage noch für möglich erachtete-- ist nach der nunmehr gebildeten Überzeugung des Senats ausgeschlossen (a.A. z.B. Wendt, DStJG Band 28, S. 41, 78; Fischer, FR 2007, 281, 285 f.; wohl auch Schaumburg/Schaumburg, StuW 2013, 61, 66; Drüen, FR 2013, 393, 402; derselbe, StbJb 2012/2013, S. 123, 158 f.). Der Gesetzgeber hat --wie bereits oben ausgeführt-- auf der Rechtsfolgenseite der Normen eine Differenzierung nach Verlustursachen bzw. nach Zusammenhängen mit der Gewinnentstehung nicht vorgesehen; es kommt auch nicht in Betracht, den Begriff der "negativen Einkünfte" so auszulegen, dass Definitiveffekte ein Anwendungshindernis darstellen würden. Wenn damit aber der "Untergang von Verlustvorträgen" in entsprechenden Sachsituationen vom gesetzgeberischen Willen gedeckt ist, ist "eine Gesetzesreparatur im Wege telelogischer Reduktion verbaut" (so Hey, StuW 2011, 131, 141; im Ergebnis übereinstimmend z.B. Desens, FR 2011, 745, 750 f.; Hallerbach in Herrmann/Heuer/ Raupach, § 10d EStG Rz 13).

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Jedenfalls lässt sich den Regelungen zur Mindestbesteuerung auch kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, nach welchen Kriterien bei einer verfassungskonformen Auslegung wiederum begrenzend zu differenzieren sein könnte. So dürfte allein der Umstand, dass ein "Definitiveffekt" eintritt, keine ausreichende Rechtfertigung für eine Einschränkung der Rechtsfolge darstellen. Es könnte in Betracht kommen, in Fällen, in denen der endgültige Wegfall der gestreckten Verlustvorträge vom Steuerpflichtigen (anders als im Streitfall, einem Insolvenzfall) durch eigenen Willensentschluss veranlasst ist (z.B. bei Kapitalgesellschaften in Liquidationsfällen), eine "schützenswerte" Definitivsituation abzulehnen (s.a. BFH-Urteil in BFHE 238, 518, BStBl II 2013, 505; Gosch, BFH/PR 2011, 10, 11; Roser, GmbH-StB 2013, 53, 55 f.; z.T. abweichend wohl BMF-Schreiben in BStBl I 2011, 974, Tz. 1; s.a. Farle/Schmitt, DB 2013, 1746, 1749; Braun/Geist, BB 2013, 351, 354): Es hätte sich dann eventuell (nur) das steuerrechtliche Risiko einer Grenze der Verlustnutzung realisiert, das im systemtragenden Subjektsteuerprinzip angelegt ist. Dies könnte auch die einkommensteuerrechtliche Situation des Versterbens des Steuerpflichtigen betreffen ("keine Vererbung des Verlustvortrags", s. BFH-Beschluss in BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608). Im Übrigen könnten Sachsituationen auszusparen sein, in denen eine solche Wirkung auf ein Zusammenspiel der Mindestbesteuerung mit einer Regelung zurückzuführen ist, die einem Missbrauchsverhinderungszweck dient (s. bereits Senatsbeschluss in BFHE 230, 445, BStBl II 2011, 826; insoweit zustimmend BMF-Schreiben in BStBl I 2011, 974, Tz. 1). Nicht zuletzt lässt sich aus der Norm die Frage nicht eindeutig beantworten, in welchem Veranlagungs- oder Erhebungszeitraum der infolge des Definitiveffekts nicht mehr vortragsfähige Verlust zu berücksichtigen ist: In Betracht kommt sowohl das Jahr des Eintritts des Definitiveffekts, wobei es aber, wenn der Effekt auf rechtliche Gründe zurückzuführen ist (z.B. im Falle des sog. schädlichen Beteiligungserwerbs in § 8c KStG 2002 n.F. oder der Umwandlung beim übertragenden Rechtsträger nach § 12 Abs. 3 i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 des Umwandlungssteuergesetzes 2002/2006), auch nicht auszuschließen ist, eine unverhältnismäßige Rechtsfolge (nämlich die von der Mindestbesteuerung verursachten Verlustvorträge nicht auszusparen) jener Norm zuzuweisen (s. insoweit auch Buciek, FR 2011, 79; Desens, FR 2011, 745, 751; Möhlenbrock, Ubg 2010, 256, 258). In Betracht kommt (kommen) allerdings auch das frühere Jahr (die früheren Jahre) einer Steuerfestsetzung infolge der Mindestbesteuerung (s.a. BMF-Schreiben in BStBl I 2011, 974, Tz. 2; Desens, ebenda; Klomp, GmbHR 2012, 675, 678). Im Streitfall käme allerdings durch das Fehlen einer mindestbesteuerungsbedingten Belastung in Vorjahren ausschließlich die erste Lösung zur Anwendung.

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V. Entscheidungserheblichkeit der Vorlage

Die dem BVerfG gestellte Vorlagefrage ist auch entscheidungserheblich: Ist die sog. Mindestbesteuerung in § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F. und § 10a Satz 2 GewStG 2002 n.F. auch bei Eintritt eines Definitiveffekts verfassungsgemäß, ist die Revision des Klägers unbegründet (s. insoweit zu II. der Gründe). Hält sie das BVerfG hingegen für mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, hätte die Revision jedenfalls teilweisen Erfolg: Die festgesetzte Körperschaftsteuer 2008 wäre herabzusetzen. Gleiches gälte für die festgesetzten Gewerbesteuermessbeträge 2006 bis 2008, und das unabhängig davon, ob die insoweit weitere unter den Beteiligten streitige Rechtsfrage danach, ob dem Gewinn der betreffenden Erhebungszeiträume bei der Ermittlung der Gewerbeerträge sog. Dauerschuldentgelte nach Maßgabe von § 8 Nr. 1 GewStG 2002 hinzuzurechnen sind, bejaht wird oder nicht; die Antwort auf diese Rechtsfrage kann im Rahmen des Vorabentscheidungsersuchens also vorerst unbeantwortet bleiben.

44

VI. Entscheidung des Senats

In Anbetracht der vom Senat angenommenen Verfassungswidrigkeit von § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F. und § 10a Satz 2 GewStG 2002 n.F. beim Eintreten sog. Definitiveffekte war das Revisionsverfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen und ist die Entscheidung des BVerfG über die im Leitsatz formulierte Frage zur Verfassungsmäßigkeit der genannten Vorschriften einzuholen.

Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.

(1) Steuern können niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, können bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Mit Zustimmung des Steuerpflichtigen kann bei Steuern vom Einkommen zugelassen werden, dass einzelne Besteuerungsgrundlagen, soweit sie die Steuer erhöhen, bei der Steuerfestsetzung erst zu einer späteren Zeit und, soweit sie die Steuer mindern, schon zu einer früheren Zeit berücksichtigt werden.

(2) Eine Billigkeitsmaßnahme nach Absatz 1 kann mit der Steuerfestsetzung verbunden werden, für die sie von Bedeutung ist.

(3) Eine Billigkeitsmaßnahme nach Absatz 1 steht in den Fällen des Absatzes 2 stets unter Vorbehalt des Widerrufs, wenn sie

1.
von der Finanzbehörde nicht ausdrücklich als eigenständige Billigkeitsentscheidung ausgesprochen worden ist,
2.
mit einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 verbunden ist oder
3.
mit einer vorläufigen Steuerfestsetzung nach § 165 verbunden ist und der Grund der Vorläufigkeit auch für die Entscheidung nach Absatz 1 von Bedeutung ist.
In den Fällen von Satz 1 Nummer 1 entfällt der Vorbehalt des Widerrufs, wenn die Festsetzungsfrist für die Steuerfestsetzung abläuft, für die die Billigkeitsmaßnahme Grundlagenbescheid ist. In den Fällen von Satz 1 Nummer 2 entfällt der Vorbehalt des Widerrufs mit Aufhebung oder Entfallen des Vorbehalts der Nachprüfung der Steuerfestsetzung, für die die Billigkeitsmaßnahme Grundlagenbescheid ist. In den Fällen von Satz 1 Nummer 3 entfällt der Vorbehalt des Widerrufs mit Eintritt der Endgültigkeit der Steuerfestsetzung, für die die Billigkeitsmaßnahme Grundlagenbescheid ist.

(4) Ist eine Billigkeitsmaßnahme nach Absatz 1, die nach Absatz 3 unter Vorbehalt des Widerrufs steht, rechtswidrig, ist sie mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. § 130 Absatz 3 Satz 1 gilt in diesem Fall nicht.

(1) Der Gemeinsame Senat entscheidet, wenn ein oberster Gerichtshof in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen obersten Gerichtshofs oder des Gemeinsamen Senats abweichen will.

(2) Sind nach den Gerichtsverfassungs- oder Verfahrensgesetzen der Große Senat oder die Vereinigten Großen Senate eines obersten Gerichtshofs anzurufen, so entscheidet der Gemeinsame Senat erst, wenn der Große Senat oder die Vereinigten Großen Senate von der Entscheidung eines anderen obersten Gerichtshofs oder des Gemeinsamen Senats abweichen wollen.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH & Co. KG, die 1993 errichtet wurde. Sie erwarb mit Vertrag vom 24. Oktober 1994 als einzige wesentliche Betriebsgrundlage ein Flugzeug, das sie für den Zeitraum vom 9. Dezember 1994 bis 8. Dezember 2004 an eine X-Gesellschaft vermietete. Gleichzeitig räumte eine ... Limited (Ltd. 1) der Klägerin das Recht ein, das Flugzeug mit einer sechsmonatigen Andienungsfrist zum 9. Dezember 2004 zu einem Verkaufspreis von ... US-Dollar an sie zu veräußern. Außerdem verpflichtete sich die Ltd. 1, der Klägerin die aus dem Verkauf entstehenden Steuerbelastungen einschließlich der Gewerbesteuer zu erstatten.

2

Die Verkaufsoption übte die Klägerin mit Schreiben vom 5. April 2004 aus. Am 30. September 2004 fassten die Gesellschafter der Klägerin den Beschluss, mit Ablauf des 8. Dezember 2004 die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft aufzugeben, diese gleichzeitig aufzulösen und das Flugzeug am 9. Dezember 2004 an eine weitere Limited (Ltd. 2) zu veräußern. In der Folge schlossen die Klägerin, die X-Gesellschaft, die Ltd. 1 und die Ltd. 2 am 4. Oktober 2004 einen Vertrag, in dem u.a. vereinbart wurde, dass die Rechte und Pflichten aus dem mit Ausübung des Andienungsrechts der Klägerin zu Stande gekommenen Kaufvertrag über das Flugzeug von der Ltd. 2 übernommen würden. Außerdem sah der Vertrag vor, dass die X-Gesellschaft das Flugzeug von der Ltd. 2 weiter anmieten und der Klägerin die aus dem Verkauf entstehenden Steuerbelastungen, einschließlich der Gewerbesteuer, erstatten werde.

3

Für das Streitjahr (2004) ermittelte die Klägerin laufende Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von ... € und einen Veräußerungsgewinn in Höhe von ... €. In ihrer Gewerbesteuererklärung erklärte sie einen Gewerbeertrag in Höhe von ... € und beantragte, den zum 31. Dezember 2003 gesondert festgestellten vortragsfähigen Gewerbeverlust in voller Höhe abzuziehen.

4

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte den zum 31. Dezember 2003 festgestellten vortragsfähigen Gewerbeverlust gemäß § 10a Sätze 1 und 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) in der ab 1. Januar 2004 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes und anderer Gesetze vom 23. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2922, BStBl I 2004, 20) --GewStGuaÄndG-- nur beschränkt in Höhe von ... € und setzte mit Bescheid vom 21. Dezember 2005 einen Gewerbesteuermessbetrag von ... € fest.

5

Dagegen erhob die Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage. Sie machte geltend, die --sowohl nach dem Wortlaut der Vorschrift als auch rechnerisch zutreffende-- Anwendung der Mindestbesteuerung sei im Streitfall aus verfassungsrechtlichen Gründen unzulässig. Denn durch die beschränkte Berücksichtigung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts werde ihr der Verlustausgleich in Höhe von ... € endgültig versagt, weil sie ihre Geschäftstätigkeit zum 8. Dezember 2004 aufgegeben habe. Dadurch werde sie in ihren Grundrechten aus dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--) und auf Gewährleistung des Eigentums (Art. 14 GG) verletzt.

6

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Die Anwendung der Mindestbesteuerung nach § 10a GewStG führe zu keiner Verletzung der Besteuerungsgleichheit oder des objektiven Nettoprinzips in seinem verfassungsrechtlich geschützten Kern. Zwar stelle der endgültige Verlust eines Teils des zum 31. Dezember 2003 festgestellten Gewerbeverlustvortrags eine Abweichung vom objektiven Nettoprinzip dar. Dies sei jedenfalls dann durch die Ziele des Gesetzgebers --die Stärkung und Verstetigung der steuerlichen Gemeindefinanzierung (BTDrucks 15/1517, S. 12, S. 19)-- gerechtfertigt, wenn es wie im Streitfall auf der vom Steuerpflichtigen selbst herbeigeführten Abkürzung des zur Verlustverrechnung nutzbaren Zeitraums beruhe. Eine Verletzung des Art. 14 GG durch den Gewerbesteuermessbescheid sei bereits deshalb ausgeschlossen, weil sich die tatsächliche Steuerbelastung erst aus dem Gewerbesteuerbescheid ergebe. Anhaltspunkte dafür, dass der volle Verlustabzug aus Gründen des Vertrauensschutzes geboten sein könnte, ergäben sich weder aus dem Klagevorbringen noch aus dem sonstigen Akteninhalt. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2010, 1914 veröffentlicht.

7

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von Verfahrensrecht sowie der Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 14 GG, des grundrechtlich und rechtsstaatlich gewährleisteten Vertrauensschutzes und des im Wege teleologischer Reduktion verfassungskonform auszulegenden § 10a Satz 2 GewStG.

8

Sie beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Gewerbesteuermessbetrag für 2004 unter Änderung des Gewerbesteuermessbescheids vom 21. Dezember 2005 und der Einspruchsentscheidung vom 29. Januar 2007 unter Berücksichtigung des zum 31. Dezember 2003 gesondert festgestellten vortragsfähigen Gewerbeverlusts in Höhe von ... € auf ... € herabzusetzen.

9

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

10

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten.

Entscheidungsgründe

11

II. Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das angefochtene Urteil beruht nicht auf einem Verfahrensmangel und das FG hat § 10a Sätze 1 und 2 GewStG, Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 14 GG zutreffend angewandt.

12

1. Die Verfahrensrüge, mit der die Klägerin geltend macht, das FG habe die Sachaufklärungspflicht verletzt (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) und den Sachverhalt widersprüchlich gewürdigt, greift nicht durch. Der Senat sieht insoweit von einer Begründung ab (§ 126 Abs. 6 FGO).  

13

2. Der Gewinn aus der Veräußerung des Flugzeugs gehörte zum gewerbesteuerbaren laufenden Gewinn der Klägerin. Davon sind auch die Beteiligten und das FG ausgegangen.

14

a) Die Klägerin unterliegt der Gewerbesteuer selbst dann, wenn ihre Tätigkeit --was der Senat deshalb dahinstehen lassen kann-- nicht alle Merkmale eines Gewerbebetriebs i.S. des § 15 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erfüllen sollte.

15

Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG unterliegt der Gewerbesteuer jeder stehende, im Inland betriebene Gewerbebetrieb. Unter Gewerbebetrieb ist ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des EStG zu verstehen (§ 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG). Neben originär gewerblich tätigen Unternehmen gehören dazu auch gewerblich geprägte Personengesellschaften, deren Tätigkeit infolge der einkommensteuerlichen Fiktion des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG als Gewerbebetrieb gilt, obwohl sie keine originär gewerblichen Einkünfte erzielen. Diese Fiktion gilt auch für Zwecke der Gewerbesteuer (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20. November 2003 IV R 5/02, BFHE 204, 471, BStBl II 2004, 464).

16

Sofern die Klägerin nicht originär gewerblich tätig gewesen sein sollte, erfüllt sie zumindest die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EStG. Ihr einziger persönlich haftender Gesellschafter ist eine Kapitalgesellschaft, und nur diese Gesellschafterin sowie Personen, die nicht Gesellschafter sind, sind zur Geschäftsführung befugt.

17

b) Einzelunternehmen und Mitunternehmerschaften sind sachlich gewerbesteuerpflichtig nur, wenn und solange sie einen Gewerbebetrieb im Sinne des Gewerbesteuerrechts unterhalten. Die sachliche Gewerbesteuerpflicht endet deshalb mit der dauerhaften Einstellung der werbenden Tätigkeit (ständige Rechtsprechung, u.a. BFH-Urteile vom 24. April 1980 IV R 68/77, BFHE 131, 70, BStBl II 1980, 658, unter 1. der Gründe; vom 20. März 1990 VIII R 47/86, BFH/NV 1990, 799, unter 1.a der Gründe; vom 26. Juni 2007 IV R 49/04, BFHE 217, 150, BStBl II 2009, 289, unter II.2.a der Gründe). Auch bei einer gewerblich geprägten Gesellschaft endet die sachliche Gewerbesteuerpflicht mit dem Ende der werbenden Tätigkeit (BFH-Urteil in BFHE 204, 471, BStBl II 2004, 464, unter III.2. der Gründe). Die Rechtsform der beteiligten Mitunternehmer ist ohne Bedeutung (BFH-Urteil vom 5. März 1998 IV R 23/97, BFHE 186, 142, BStBl II 1998, 745, unter 1.b der Gründe). Entgegen der Ansicht des BMF hat die Einfügung des § 7 Satz 2 GewStG zu keiner Änderung dieser rechtlichen Beurteilung geführt (BFH-Urteil vom 30. August 2012 IV R 54/10, Deutsches Steuerrecht 2012, 2180, BFHE 238, 198, unter II.1.d und II.3. der Gründe).

18

c) Gewinne aus der Veräußerung von Wirtschaftsgütern des Anlage- wie auch des Umlaufvermögens können zum gewerbesteuerbaren (laufenden) Gewinn oder zum nicht gewerbesteuerbaren Aufgabegewinn gehören. Maßgeblich ist, ob mit der Veräußerung die bisherige normale Geschäftstätigkeit fortgesetzt wird oder ob die Veräußerung im wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Aufgabe des Betriebs erfolgt (BFH-Urteil in BFHE 217, 150, BStBl II 2009, 289, unter II.2.c cc der Gründe). Der Gewinn aus der Veräußerung eines zum Anlagevermögen zählenden Flugzeugs gehört danach zum gewerbesteuerbaren (laufenden) Gewinn, wenn die Veräußerung Bestandteil eines einheitlichen Geschäftskonzepts der unternehmerischen Tätigkeit ist. Hiervon ist im Streitfall auszugehen, wie zwischen den Beteiligten nicht streitig ist.

19

3. Das FA hat den Gewerbeertrag unter Berücksichtigung des § 10a Sätze 1 und 2 GewStG zutreffend ermittelt. Nach dieser Vorschrift wird der maßgebende Gewerbeertrag bis zu einem Betrag in Höhe von 1 Mio. € um die Fehlbeträge gekürzt, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume nach den Vorschriften der §§ 7 bis 10 GewStG ergeben haben, soweit die Fehlbeträge nicht bei der Ermittlung des Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume berücksichtigt worden sind. Der 1 Mio. € übersteigende maßgebende Gewerbeertrag ist bis zu 60 % um die verbleibenden Fehlbeträge der vorangegangenen Erhebungszeiträume zu kürzen. Die Anwendung der Regelung führt dazu, dass anstelle der gesamten Fehlbeträge aus früheren Erhebungszeiträumen von ... € nur ... € vom maßgebenden Gewerbeertrag des Streitjahres abgezogen werden können. Der angefochtene Bescheid entspricht dieser Rechtslage, worüber zwischen den Beteiligten ebenfalls kein Streit besteht.

20

4. Die Mindestbesteuerung nach § 10a Sätze 1 und 2 GewStG verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG (ebenso BFH-Urteil vom 22. August 2012 I R 9/11, juris, BFHE 238, 419).

21

a) Der Gleichheitssatz gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen.

22

aa) Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Für die Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Differenzierungen kommt es wesentlich darauf an, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG--; vgl. z.B. BVerfG-Beschluss vom 6. Juli 2010  2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268, Rz 35, m.w.N.).

23

bb) Im Bereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum. Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft und die es so als rechtlich gleich qualifiziert, wird hier, insbesondere im Bereich des Einkommensteuerrechts, vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast an der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit. Danach muss im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedrigerer Einkommen angemessen sein muss. Bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands muss die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umgesetzt werden. Ausnahmen von einer solchen folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 126, 268, Rz 36, m.w.N.).

24

cc) Als besondere sachliche Gründe für Ausnahmen von einer folgerichtigen Umsetzung und Konkretisierung steuergesetzlicher Belastungsentscheidungen hat das BVerfG in seiner bisherigen Rechtsprechung vor allem außerfiskalische Förderungs- und Lenkungszwecke sowie Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse anerkannt, nicht jedoch den rein fiskalischen Zweck staatlicher Einnahmenerhöhung (vgl. z.B. BVerfG-Urteil vom 9. Dezember 2008  2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rz 58 ff.). Der Finanzbedarf des Staates oder eine knappe Haushaltslage reichen für sich allein nicht aus, um ungleiche Belastungen durch konkretisierende Ausgestaltung der steuerrechtlichen Grundentscheidungen zu rechtfertigen. Auch wenn der Staat auf Einsparungsmaßnahmen angewiesen ist, muss er auf eine gleichheitsgerechte Verteilung der Lasten achten (BVerfG-Urteil in BVerfGE 122, 210, Rz 61). Besondere ("qualifizierte") Fiskalzwecke können aber als Rechtfertigungsgrund in Betracht kommen (anerkannt z.B. für unerwartete staatliche Mehrausgaben im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung, BVerfG-Beschluss vom 5. Februar 2002  2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93, BVerfGE 105, 17, Rz 89).

25

dd) Als Rechtfertigungsgrund ist insbesondere die Befugnis des Gesetzgebers zur Vereinfachung und Typisierung zu beachten: Jede gesetzliche Regelung muss verallgemeinern. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen ist der Gesetzgeber berechtigt, die Vielzahl der Einzelfälle in dem Gesamtbild zu erfassen, das nach den ihm vorliegenden Erfahrungen die regelungsbedürftigen Sachverhalte zutreffend wiedergibt. Auf dieser Grundlage darf er grundsätzlich generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen.

26

Typisierung bedeutet, bestimmte in wesentlichen Elementen gleich geartete Lebenssachverhalte normativ zusammenzufassen. Besonderheiten, die im Tatsächlichen durchaus bekannt sind, können generalisierend vernachlässigt werden. Der Gesetzgeber darf sich grundsätzlich am Regelfall orientieren und ist nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen. Die gesetzlichen Verallgemeinerungen müssen allerdings von einer möglichst breiten, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließenden Beobachtung ausgehen. Insbesondere darf der Gesetzgeber für eine gesetzliche Typisierung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss realitätsgerecht den typischen Fall als Maßstab zugrunde legen (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 126, 268, Rz 38, m.w.N.).

27

Folge einer Typisierung ist notwendigerweise, dass die Verhältnisse des Einzelfalls unberücksichtigt bleiben. Darin liegende Ungleichbehandlungen sind durch die Typisierungsbefugnis grundsätzlich gerechtfertigt. Ist vorhersehbar, dass in Ausnahmefällen besondere Härten auftreten können, die nicht in zumutbarer Weise durch gesetzliche Sonderregelungen vermeidbar sind, steht dies der Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers nicht entgegen, wenn für deren Behebung im Einzelfall Billigkeitsmaßnahmen zur Verfügung stehen. Bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit von generalisierenden und typisierenden Normen des Steuerrechts fällt insbesondere die Möglichkeit des Steuererlasses zur Milderung unbilliger Härten ins Gewicht (BVerfG-Beschluss vom 5. April 1978  1 BvR 117/73, BVerfGE 48, 102; BFH-Urteile vom 6. Februar 1976 III R 24/71, BFHE 118, 151; vom 23. März 1998 II R 41/96, BFHE 185, 270, BStBl II 1998, 396; vom 27. Mai 2004 IV R 55/02, BFH/NV 2004, 1555).

28

ee) Die für die Lastengleichheit im Gewerbesteuerrecht maßgebliche finanzielle Leistungsfähigkeit ist grundsätzlich nach dem objektiven Nettoprinzip zu bemessen.

29

(1) Das objektive Nettoprinzip gilt auch für die Gewerbesteuer, weil die Gewerbesteuer im Hinblick auf die Bemessung des Gewerbeertrags nach den Vorschriften des EStG und des Körperschaftsteuergesetzes --KStG-- (§ 7 Satz 1 GewStG) ebenso wie die Einkommensteuer und die Körperschaftsteuer an die Ertragskraft des Unternehmens anknüpft (BVerfG-Beschluss vom 15. Januar 2008  1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1, Rz 112 ff.). Danach unterliegt im Bereich der Unternehmensbesteuerung grundsätzlich nur das Nettoeinkommen der Besteuerung. Betriebsausgaben müssen folglich grundsätzlich steuerlich abziehbar sein (BVerfG-Beschluss vom 12. Oktober 2010  1 BvL 12/07, BVerfGE 127, 224, Rz 57).

30

(2) Allerdings bedingt der Charakter der Gewerbesteuer als Objektsteuer Einschränkungen des objektiven Nettoprinzips.

31

(a) Das Objektsteuerprinzip liegt verschiedenen Regelungen des geltenden GewStG zugrunde. Hierzu gehören etwa die Hinzurechnung von Betriebsausgaben nach § 8 GewStG und die Kürzung von Betriebseinnahmen nach § 9 GewStG. Auch das Erfordernis der Unternehmensidentität für den Verlustausgleich nach § 10a GewStG ist eine Ausprägung des Objektsteuercharakters der Gewerbesteuer. Unternehmensidentität bedeutet, dass der im Anrechnungsjahr bestehende Gewerbebetrieb identisch sein muss mit dem Gewerbebetrieb, in dem der Verlust entstanden ist (u.a. BFH-Urteile vom 12. Januar 1978 IV R 26/73, BFHE 124, 348, BStBl II 1978, 348; vom 14. September 1993 VIII R 84/90, BFHE 174, 233, BStBl II 1994, 764; R 10a.2 Satz 1 der Gewerbesteuer-Richtlinien 2009).

32

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH folgt aus dem Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer für solche Gewerbebetriebe, deren Tätigkeit nicht nach § 2 Abs. 2 GewStG stets und in vollem Umfang als Gewerbebetrieb gilt, dass nur der auf den laufenden Betrieb entfallende, durch eigene gewerbliche Leistungen entstandene Gewinn der Gewerbesteuer unterliegt (s. oben unter II.2.b). Nicht zu berücksichtigen sind daher Verluste, die vor Aufnahme der werbenden Tätigkeit entstanden sind, oder die nicht dem laufenden Betrieb, sondern dessen Aufgabe oder Veräußerung zuzuordnen sind (u.a. BFH-Urteil in BFHE 217, 150, BStBl II 2009, 289, unter II.2. der Gründe), auch wenn sie die Leistungsfähigkeit des Gewerbetreibenden vermindern. Ebenso wenig sind entsprechende Gewinne in die Ermittlung des Gewerbeertrags einzubeziehen, obschon sie die Leistungsfähigkeit des Gewerbetreibenden vergrößern.

33

(b) Das der Gewerbeertragsbesteuerung zugrunde liegende gesetzgeberische Konzept hat von Beginn an die Möglichkeit einer Definitivbelastung mit Gewerbesteuer auch bei periodenübergreifend überwiegenden Verlusten nicht ausgeschlossen.

34

(aa) Die vor Inkrafttreten des reichseinheitlichen GewStG bestehenden GewStG der Länder erlaubten einen gewerbesteuerlichen Verlustvor- oder -rücktrag nicht (vgl. Übersicht über die GewStG der Länder, RStBl 1937, 699). Der Reichsfinanzhof (RFH) verneinte die Anwendbarkeit der im KStG bzw. EStG vorgesehenen Möglichkeit zur Berücksichtigung einer Unterbilanz bzw. eines Verlustvortrags bei der Ermittlung des Gewerbeertrags unter Hinweis auf den Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer, die als eine Art von Beitrag aufgefasst werden könne (RFH-Urteil vom 10. Juli 1935 IV A 33/35, RFHE 38, 120, zum Oldenburgischen GewStG). Zur Begründung hat er ausgeführt, bereits das preußische Oberverwaltungsgericht habe in ständiger Rechtsprechung als (gewerbesteuerlichen) Ertrag den Inbegriff dessen angesehen, was innerhalb einer gewissen Periode an Geldwerten, Gütern und Nutzungen durch objektiven Gewerbebetrieb hervorgebracht werde und damit in ständiger Rechtsprechung die Anrechnung von Verlusten aus Vorjahren auf spätere Gewinnjahre für unvereinbar gehalten. Durch die Anrechnung von Verlusten aus früheren Geschäftsjahren auf spätere Ertragsjahre würde ein Merkmal in die Gewerbesteuer hineingetragen, das dem Objektsteuercharakter offensichtlich widerspreche und überdies mit dem der Gewerbesteuer zugrunde liegenden steuerpolitischen Zweckgedanken nicht in Einklang zu bringen sei, wonach diese eine Art Gegenleistung für die den Gemeinden durch die Gewerbebetriebe verursachten Lasten darstellen solle. Die Berücksichtigung von Vorjahresverlusten in späteren Ertragsjahren könne dazu führen, dass es in diesen Jahren an der entsprechenden Gegenleistung für die durch den Gewerbebetrieb verursachten Lasten fehle, trotzdem in diesen Jahren Ertrag vorhanden sei; dieser Ausfall im Gemeindefinanzbedarf müsse dann auf andere Steuerpflichtige umgelegt werden.

35

(bb) Das Gewerbesteuerrahmengesetz (GewStRG) vom 1. Dezember 1930 (RGBl I 1930, 537) räumte in § 12 Nr. 3 die Möglichkeit eines zweijährigen Verlustvortrags für buchführende Unternehmungen ein (vgl. Orth, Interperiodische Verlust-Kompensation im Gewerbesteuerrecht, Studien zum Finanz- und Steuerrecht, Bd. 4, 1980, S. 24, S. 82). Allerdings hat es sich nicht durchsetzen können und wurde nur von den Ländern Mecklenburg und Oldenburg übernommen (RStBl 1937, 693). Die Neufassung des GewStRG vom 30. Juni 1935 (RGBl I 1935, 830) sah keinerlei Möglichkeit zur Verrechnung von Gewerbeverlusten vor.

36

(cc) Auch unter Geltung des GewStG vom 1. Dezember 1936 (RGBl I 1936, 979) bestand zunächst keine Möglichkeit, Gewerbeverluste auszugleichen. Mit Runderlass vom 14. Juli 1939 L 1460-1/39 III (RStBl 1939, 849) ließ das Reichsfinanzministerium nach Einführung eines entsprechenden Verlustvortrags bei der Einkommensteuer auch für die Gewerbesteuer einen zweijährigen Verlustvortrag zu, der --möglicherweise gedanklich an die Berücksichtigung einer Unterbilanz anknüpfend-- nur für buchführende Gewerbebetriebe galt. Für andere Gewerbebetriebe bestand weiterhin keine Möglichkeit zum Verlustausgleich. Als Rechtsgrundlage der Regelung wurden zunächst nachträglich § 19 der Dritten Verordnung zur Durchführung des Gewerbesteuergesetzes vom 31. Januar 1940 (RGBl I 1940, 284) und später § 10a GewStG eingeführt (durch Gesetz zur Änderung des Gewerbesteuerrechts vom 27. Dezember 1951, BGBl I 1951, 996). Dabei wurde der Verlustvortrag von einer ordnungsgemäßen Buchführung abhängig gemacht und zunächst auf drei Jahre, später auf fünf Jahre ausgedehnt (Gesetz zur Neuordnung von Steuern vom 16. Dezember 1954, BGBl I 1954, 373). Ab 1975 entfielen die Erforderlichkeit einer ordnungsmäßigen Buchführung (Einführungsgesetz zum Einkommensteuerreformgesetz vom 21. Dezember 1974, BGBl I 1974, 3656) sowie die Beschränkung auf buchführende Betriebe (rückwirkend durch das Steuerbereinigungsgesetz 1986 vom 19. Dezember 1985, BGBl I 1985, 2436). Ab 1985 entfiel auch die zeitliche Begrenzung des Verlustvortrags (Steuerreformgesetz 1990 vom 25. Juli 1988, BGBl I 1988, 1093).

37

(c) Die Möglichkeit eines Verlustrücktrags bestand bei der Gewerbesteuer zu keinem Zeitpunkt. Der Gesetzgeber hat dabei dem Interesse der Gemeinden an einer funktionierenden Haushaltspolitik Vorrang vor dem wirtschaftlichen Interesse der betroffenen Gewerbebetriebe eingeräumt.

38

(aa) Im Zusammenhang mit der Einführung eines Verlustrücktrags bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer wurde eine solche Maßnahme auch für die Gewerbesteuer geprüft, jedoch abgelehnt, weil "die Gemeinden hierdurch in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten kommen könnten. Denn --anders als beim Verlustvortrag-- könnte ein Verlustrücktrag dazu führen, dass insbesondere kleinere Gemeinden bei einer Rückzahlung vereinnahmter und bereits im Haushalt verplanter Gewerbesteuern in größte Schwierigkeiten kommen würden" (BTDrucks 7/4604, S. 3; BTDrucks 7/4705, S. 3; ähnlich BRDrucks 828/1/74, zu I 2; kritisch Orth, Interperiodische Verlust-Kompensation im Gewerbesteuerrecht, a.a.O., S. 230 ff.).

39

(bb) Der BFH hat das Fehlen eines Verlustrücktrags verfassungsrechtlich nicht beanstandet (Urteil vom 31. Juli 1990 I R 62/86, BFHE 161, 570, BStBl II 1990, 1083). Die Regelung sei systemgerecht innerhalb der Rechtsordnung. Als zusätzliche Rechtfertigung könne der Gesichtspunkt des kommunalen Selbstverwaltungsrechts herangezogen werden (BFH-Urteil in BFHE 161, 570, BStBl II 1990, 1083, unter II.A.1.d bb der Gründe). Einer Substanzgefährdung der betroffenen Unternehmen könne durch die angemessene Entrichtung von Vorauszahlungen oder die Bildung einer angemessenen Rückstellung für die Gewerbesteuerschuld aus dem Gewinnjahr hinreichend begegnet werden; dennoch eintretende Gefährdungen hätten ihre Ursache nicht in der Gewerbesteuer für den vorangegangenen Erhebungszeitraum, sondern in den zwischenzeitlich im Betrieb erwirtschafteten Verlusten (BFH-Urteil in BFHE 161, 570, BStBl II 1990, 1083, unter II.A.1.d dd der Gründe).

40

(3) Das BVerfG hat bisher offengelassen, ob das objektive Nettoprinzip Verfassungsrang hat (aus neuerer Zeit etwa BVerfG-Beschluss in BVerfGE 126, 268, Rz 40). Jedenfalls kann der Gesetzgeber dieses Prinzip beim Vorliegen gewichtiger Gründe durchbrechen und sich dabei generalisierender, typisierender und pauschalierender Regelungen bedienen. Hiernach entfaltet schon das einfach-rechtliche objektive Nettoprinzip Bedeutung vor allem im Zusammenhang mit den Anforderungen an hinreichende Folgerichtigkeit bei der näheren Ausgestaltung der gesetzgeberischen Grundentscheidungen. Die Beschränkung des steuerlichen Zugriffs nach Maßgabe des objektiven Nettoprinzips gehört zu diesen Grundentscheidungen, so dass Ausnahmen von der folgerichtigen Umsetzung der mit dem objektiven Nettoprinzip getroffenen Belastungsentscheidung eines besonderen, sachlich rechtfertigenden Grundes bedürfen (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 126, 268, Rz 40, m.w.N.).

41

b) Nach den vorstehenden Maßstäben ist ein von § 10a Sätze 1 und 2 GewStG ggf. ausgehender Verstoß gegen den Gleichheitssatz nach Überzeugung des erkennenden Senats zumindest gerechtfertigt. Damit schließt sich der Senat der Auffassung des I. Senats des BFH in dessen Urteil vom 22. August 2012 I R 9/11 zur Mindestbesteuerung nach § 10d EStG und § 10a Sätze 1 und 2 GewStG an. Er nimmt ergänzend zu den nachfolgenden Ausführungen auf das Urteil des I. Senats mit seiner umfassenden Darstellung der in Schrifttum und Rechtsprechung vertretenen Auffassungen Bezug.

42

aa) Die Einführung der Mindestbesteuerung bedeutet zunächst insoweit eine Änderung der Konzeption des GewStG, als bisher Verluste bis zur Höhe späterer Gewinne desselben Betriebs immer vollständig abgezogen werden konnten. Die Festsetzung eines Gewerbesteuermessbetrags war ausgeschlossen, soweit nach dem Verlust insgesamt kein den Verlust übersteigender Gewerbeertrag erzielt wurde. Nach § 10a Sätze 1 und 2 GewStG ist die Festsetzung eines Gewerbesteuermessbetrags nicht mehr in jedem Fall ausgeschlossen.

43

Zu dieser Änderung des Besteuerungskonzepts und damit der Belastungsgrundentscheidung war der Gesetzgeber befugt. Sie beruht auf einem sachlichen Grund, der in der Verstetigung des Aufkommens öffentlicher Haushalte, insbesondere kommunaler Haushalte zu sehen ist. Zur Erreichung dieses Ziels ist das gewählte System der Mindestbesteuerung geeignet, denn die Verhinderung einer sofortigen Verrechnung hoher Verluste mit hohen Gewerbeerträgen kann eine Aufkommensglättung bewirken. Von der Änderung der Belastungsgrundentscheidung sind alle Steuersubjekte der Gewerbesteuer in gleicher Weise betroffen. Der Gleichheitssatz ist insoweit nicht verletzt, so dass es in diesem Zusammenhang keines besonderen Rechtfertigungsgrunds (etwa in Gestalt eines qualifizierten Fiskalzwecks, vgl. Desens, Finanz-Rundschau 2011, 745, 749) bedürfte.

44

bb) Nach dem gesetzgeberischen Plan soll § 10a Sätze 1 und 2 GewStG nicht zu einem endgültigen Wegfall von ausgleichsfähigen Fehlbeträgen aus vorangegangenen Erhebungszeiträumen führen. Die Regelung beinhaltet danach keine Beschränkung des Abzugs der während der Dauer der unternehmerischen Tätigkeit entstandenen Betriebsausgaben. Insoweit verstößt § 10a Sätze 1 und 2 GewStG nicht gegen das objektive Nettoprinzip. Zu einer Verletzung des objektiven Nettoprinzips kann es nur mittelbar dann kommen, wenn die zeitliche Hinauszögerung des Verlustabzugs im Ergebnis zur Folge hat, dass der ansonsten abziehbare Verlust überhaupt nicht mehr abgezogen werden kann. Verluste setzen sich aus verschiedenen Bestandteilen zusammen, die zu einem geminderten Betriebsvermögen führen. Sie ergeben sich aus einem Überschuss der Betriebsausgaben über die Betriebseinnahmen und beinhalten auch vom objektiven Nettoprinzip geschützte Betriebsausgaben.

45

Zins- und Liquiditätsnachteile, die durch einen zeitlich hinausgeschobenen Abzug von Betriebsausgaben eintreten, verletzen das objektive Nettoprinzip grundsätzlich nicht. Eine Ausnahme wird davon allenfalls dann zu machen sein, wenn die zeitliche Verzögerung den Betriebsausgabenabzug für den Steuerpflichtigen wirtschaftlich wertlos macht, weil der Zinsnachteil die durch den Abzug ausgelöste Steuerminderung nahezu aufwiegt. Von einer derartigen Entwertung des Abzugs kann nach der Ausgestaltung des § 10a Sätze 1 und 2 GewStG nicht die Rede sein, denn Sockelbetrag und prozentualer Zusatzabzug sichern in jedem Erhebungszeitraum erhebliche Abzugsbeträge, die einerseits zu einer sofortigen Steuerminderung führen und andererseits den Abbau auch größerer Verlustvorträge in einem überschaubaren Zeitraum regelmäßig ermöglichen sollten.

46

cc) Die mittelbar durch eine steuergesetzliche Regelung eintretende Verletzung des objektiven Nettoprinzips bedarf in ähnlicher Weise einer Rechtfertigung wie eine vom Gesetz gezielt vorgenommene Verletzung. Unbeabsichtigte wie beabsichtigte Eingriffe in das objektive Nettoprinzip können aber durch die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers gerechtfertigt sein.

47

Den Anforderungen, die an die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers zu stellen sind, genügt die gewerbesteuerliche Mindestbesteuerung nach § 10a Sätze 1 und 2 GewStG.

48

(1) Für die Streckung des Verlustabzugs konnte generalisierend an die Höhe des im Erhebungszeitraum erzielten Gewerbeertrags angeknüpft werden. Dabei ist durch die Verknüpfung eines statischen (Sockelbetrag) und eines dynamischen (prozentualer Abzug) Elements sichergestellt, dass kein Steuerpflichtiger in einem Erhebungszeitraum mit positivem Gewerbeertrag vollständig vom Verlustabzug ausgeschlossen ist und der Verlustabzug zugleich unter Beachtung des Erfordernisses vertikaler Gleichheit vorgenommen werden kann. Soweit es durch die Streckung nicht zu einem endgültigen Wegfall von Verlustvorträgen kommt, musste der Gesetzgeber im Rahmen der Typisierung keine weiteren Kriterien berücksichtigen.

49

(2) Anders verhält es sich allerdings mit den vorhersehbaren Fällen, in denen die Streckung zugleich zu einem endgültigen Untergang des Verlustvortrags führt.

50

(a) Es war abzusehen, dass es unter zwei Voraussetzungen zu einer durch die Streckung veranlassten definitiven Belastung mit Gewerbesteuer kommen kann. Einerseits kann die Verrechnung des gestreckten Verlustbetrags unmöglich werden, wenn in den auf den beschränkten Abzug eines Verlustvortrags folgenden Erhebungszeiträumen keine weiteren positiven Gewerbeerträge erzielt werden. Andererseits kann der Ergebnisverlauf eines Unternehmens so strukturiert sein, dass ein positiver Gewerbeertrag nur im letzten Jahr der werbenden Tätigkeit erzielt wird und die in den Vorjahren aufgelaufenen Verlustvorträge wegen der Abzugsbeschränkung nicht vollständig von dem positiven Gewerbeertrag des letzten Jahres abgezogen werden können. Diese Fälle der unbeabsichtigten Verletzung des objektiven Nettoprinzips durften bei einer Typisierung nicht außer Acht gelassen werden.

51

(b) Die Gesetzesmaterialien lassen erkennen, dass die an der Gesetzgebung beteiligten Organe Fälle der Definitivbesteuerung infolge der Mindeststeuer erkannt und bei der Ausgestaltung des Gesetzes berücksichtigt haben.

52

Am 26. September 2003 führte der Finanzausschuss des Deutschen Bundestages eine öffentliche Anhörung zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz (StVergAbGProtUmsG) durch, deren Gegenstand auch die Mindeststeuer war (im Einzelnen Wortprotokoll des Finanzausschusses, Nr. 15/30). Dabei legten Sachverständige dar, dass die Gesetzesbegründung, wonach es nur um eine Streckung und nicht um endgültige Verluste gehe, "klar nicht richtig" sei. In zyklischen Branchen müsste in Gewinnphasen der Gewinn immer doppelt so hoch sein wie die vorhergehenden Verluste, was unrealistisch sei (Wortprotokoll, Nr. 15/30, S. 3). Die Mindestbesteuerung führe letztendlich zu einer Substanzbesteuerung (Wortprotokoll, Nr. 15/30, S. 4). Insbesondere bei "Start-ups", die immaterielle Wirtschaftsgüter produzierten, bei Projektgesellschaften in der Bauwirtschaft und bei der Errichtung großer Anlagen (z.B. Stahlwerk) könne es zu einer dauerhaften Substanzbesteuerung kommen (Wortprotokoll, Nr. 15/30, S. 16 f. sowie S. 39 bis 41). Das führe zu einer extremen Gefährdung des Mittelstandes und der "Start-ups"; zu deren Schutz müsse der Sockelbetrag mindestens verzehnfacht werden (Wortprotokoll, Nr. 15/30, S. 39).

53

(3) Die gegenüber dem Gesetzentwurf geäußerten Bedenken haben offensichtlich zur Folge gehabt, dass der Sockelbetrag von 100.000 € auf 1 Mio. € verzehnfacht und der Prozentsatz für den Restbetrag von 50 auf 60 % angehoben worden ist. Der erkennende Senat kann anhand des ihm zugänglichen Zahlenmaterials nicht sicher erkennen, ob der Gesetzgeber davon ausgehen durfte, mit den vorgenommenen Anpassungen bezogen auf die Zahl der betroffenen Fälle und die Höhe der definitiv anfallenden Steuer im typischen Anwendungsfall der Mindeststeuer keine besonders belastende Definitivbesteuerung zu bewirken.

54

Einer genaueren Prüfung dieser Frage bedarf es jedoch nicht.

55

(a) Bereits der Umfang der Anpassung spricht dafür, dass eine große Zahl kritischer Fälle nun von einer Definitivbesteuerung verschont bleibt. Dies wird auch dadurch gestützt, dass die Anpassung im Umfang dem entspricht, was im Rahmen der Anhörung sachverständig geäußert wurde. Zu berücksichtigen ist dabei zudem, dass wegen der besonderen Ausgestaltung der Gewerbesteuer als Objektsteuer Verlustvorträge häufiger als bei der Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer bereits ungeachtet der Wirkungen von § 10a Sätze 1 und 2 GewStG untergehen.

56

(b) Es ist nicht zu erkennen, dass durch eine gesetzliche Regelung eine Definitivbelastung in allen verbleibenden denkbaren Einzelfällen hätte ausgeschlossen werden können, ohne das System der Mindestbesteuerung insgesamt aufzugeben und ohne zugleich weitere Verletzungen des Gleichheitssatzes zu bewirken. Kommt es zur Definitivbelastung, weil einem beschränkten Verlustabzug keine weiteren positiven Gewerbeerträge folgen, lässt sich im Jahr der Mindestbesteuerung nicht erkennen, ob und aus welchen Gründen kein weiteres Potenzial für die Verrechnung des gestreckten Verlusts entstehen wird. Würde sich rückwirkend die beschränkte Verlustverrechnung als Ursache für die Definitivbelastung erweisen, könnte die Belastung nur durch eine Korrektur der seinerzeitigen Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags beseitigt werden. Dies käme aber einem Verlustrücktrag nahe, der in dem System der Gewerbesteuer bewusst nicht vorgesehen ist. Wäre Ursache für die Definitivbelastung der Umstand, dass ein positiver Gewerbeertrag nur im letzten Jahr der werbenden Tätigkeit entsteht, würde eine Ausnahme von der Abzugsbeschränkung für derartige Fälle zu einer Ungleichbehandlung mit solchen Unternehmen führen, in denen es trotz gleichförmiger Ergebnisentwicklung zu einer Definitivbelastung kommt.

57

(c) Unter diesen Umständen durfte der Gesetzgeber sich darauf verlassen, dass in den nach Anhebung des Sockelbetrags und des Prozentsatzes für den zusätzlich abziehbaren Betrag nun zahlenmäßig deutlich reduzierten Fällen besondere Härten, die allein von der durch die Verluststreckung ausgelösten Definitivbelastung herrühren, durch Billigkeitsmaßnahmen vermieden werden können. Die Möglichkeit von Billigkeitsmaßnahmen in besonderen Einzelfällen flankiert die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers und gestattet ihm, eine typisierende Regelung zu treffen, bei der Unsicherheiten über Zahl und Intensität der von der typisierenden Regelung nachteilig betroffenen Fälle mit zumutbarem Aufwand nicht beseitigt werden können.

58

5. Die Mindestbesteuerung nach § 10a Sätze 1 und 2 GewStG verletzt auch keine verfassungsrechtlich geschützten Freiheitsrechte.

59

Der Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG ist allerdings betroffen, weil die Gewährleistung des Art. 14 Abs. 1 GG den Grundrechtsträger auch dann schützt, wenn Steuerpflichten --wie im Einkommen- und Gewerbesteuerrecht-- an den Hinzuerwerb von Eigentum anknüpfen (BVerfG-Beschluss vom 18. Januar 2006  2 BvR 2194/99, BVerfGE 115, 97, Rz 33 ff.). Der Eingriff in das Grundrecht ist aber als Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG gerechtfertigt (ebenso FG Hamburg, Urteil vom 2. November 2011  1 K 208/10, EFG 2012, 434, unter I.2.b der Gründe).

60

Die sich aus den Grundsätzen des Verhältnismäßigkeitsprinzips ergebenden Obergrenzen für die Steuerbelastung werden nicht überschritten. Maßgeblich für die Frage der Übermaßbesteuerung ist der im betroffenen Erhebungszeitraum erzielte Gewerbeertrag. § 10a Sätze 1 und 2 GewStG beschränkt zwar die Berücksichtigung der vortragsfähigen Fehlbeträge und kann sich damit auf die Höhe der Gewerbesteuer auswirken. Eine Übermaßbelastung scheidet jedoch aus. Selbst wenn im Erhebungszeitraum ein den Sockelbetrag von 1 Mio. € übersteigender positiver Gewerbeertrag erwirtschaftet wurde, werden lediglich 40 % des übersteigenden, im Erhebungszeitraum erwirtschafteten Gewerbeertrags zur Gewerbesteuer herangezogen.

61

6. Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, dass die Einführung der Mindestbesteuerung nicht mit einer Übergangsregelung versehen ist.

62

a) Die Einfügung der Sätze 1 und 2 in § 10a GewStG durch das GewStGuaÄndG wurde nicht mit einer besonderen Anwendungsregelung in § 36 GewStG verbunden. Die Neuregelung trat am 1. Januar 2004 in Kraft (Art. 4 GewStGuaÄndG). Nach der Generalklausel des § 36 Abs. 1 GewStG in seiner damaligen, durch das StVergAbGProtUmsG vom 22. Dezember 2003 (BStBl II 2003, 2840) geschaffenen Fassung galt die Mindestbesteuerung gemäß § 10a Sätze 1 und 2 GewStG erstmals für den gesamten Erhebungszeitraum 2004.

63

Die Anwendung des § 10a Sätze 1 und 2 GewStG im Erhebungszeitraum 2004 bedeutet, dass vortragsfähige Verluste aus vorhergehenden Erhebungszeiträumen erstmals im Jahr 2004 nur noch in den neu gezogenen Grenzen abgezogen werden konnten. Im Hinblick auf die bei Inkrafttreten der Neuregelung bestehenden Verlustvorträge ist dies als eine tatbestandliche Rückanknüpfung anzusehen. Diese ist nicht grundsätzlich unzulässig. Nach der jüngsten Rechtsprechung des BVerfG muss der Gesetzgeber aber, soweit er für künftige Rechtsfolgen an zurückliegende Sachverhalte anknüpft, dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maß Rechnung tragen. Die Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden, und das Vertrauen des Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage sind abzuwägen (BVerfG-Beschlüsse vom 7. Juli 2010  2 BvL 1/03, 2 BvL 57/06, 2 BvL 58/06, BVerfGE 127, 31; 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BVerfGE 127, 1; 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, BVerfGE 127, 61).

64

b) Die Erstreckung der Mindestbesteuerung auf bereits aufgelaufene Verlustvorträge war hier erklärtes Ziel des Gesetzgebers, denn die Streckung der Verlustvorträge sollte sofort haushaltswirksam werden (s. BTDrucks 15/1517, S. 15). Eine Übergangsregelung kam aus der Sicht des Gesetzgebers deshalb nicht in Frage.

65

Schutzwürdiges Vertrauen der Steuerpflichtigen wurde dadurch nicht enttäuscht. Denn der Verlustvortrag beinhaltet noch keine geschützte Vermögensposition, weil ein vorgetragener Verlust erst dann und nur in dem Umfang für den Steuerpflichtigen günstige Wirkungen entfalten kann, wenn und soweit später Gewinne erzielt werden, die mit den Verlusten ausgeglichen werden können und zudem über ggf. zu gewährende Freibeträge hinausgehen. Danach genießen weder die Erwartung, den Verlust in einem bestimmten Zeitraum abziehen zu können, noch die Hoffnung darauf, bis zum Ende der Steuerpflicht alle Verlustvorträge verrechnen zu können, einen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz. Sie stehen dem Interesse des Gesetzgebers an einer sofortigen Streckung der Verrechnung bereits aufgelaufener Verluste nicht entgegen, und zwar auch nicht unter dem Aspekt, dass die Verluststreckung zugleich das Risiko einer endgültig ausfallenden Verlustverrechnung erhöht (ebenso BFH-Urteil vom 22. August 2012 I R 9/11, m.w.N.).

66

7. Ist § 10a Sätze 1 und 2 GewStG danach bereits in seiner allgemeinen Grundsätzen folgenden Auslegung als mit der Verfassung vereinbar zu beurteilen, bleibt kein Raum für eine von der Klägerin begehrte verfassungskonforme Auslegung.

67

Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG ist ein Gesetz nicht verfassungswidrig, wenn eine Auslegung möglich ist, die im Einklang mit dem GG steht, und das Gesetz bei dieser Auslegung sinnvoll bleibt (erstmals BVerfG-Beschluss vom 7. Mai 1953  1 BvL 104/52, BVerfGE 2, 266, Leitsatz 4). Lassen der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen und deren Sinn und Zweck mehrere Deutungen zu, von denen eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt, so ist diese geboten (z.B. BVerfG-Beschluss vom 9. August 1978  2 BvR 831/76, BVerfGE 49, 148, unter B.I.2.b der Gründe). Art. 20 Abs. 3 GG verpflichtet die Gerichte, "nach Gesetz und Recht" zu entscheiden. Eine bestimmte Auslegungsmethode (oder gar eine reine Wortinterpretation) schreibt die Verfassung nicht vor. Eine Rechtsfortbildung "praeter legem" bedarf zwar sorgfältiger Begründung, ist jedoch nicht von vornherein ausgeschlossen (BVerfG-Beschluss vom 30. März 1993  1 BvR 1045/89, 1 BvR 1381/90, 1 BvL 11/90, BVerfGE 88, 145, unter C.II.1. der Gründe).  

68

Eine verfassungskonforme Auslegung kommt danach nur in Betracht, wenn von mehreren Auslegungsmöglichkeiten eine zur Verfassungswidrigkeit führen würde. In seiner vom Senat vertretenen Auslegung ist § 10a Sätze 1 und 2 GewStG indessen nach den vorstehenden Erwägungen mit der Verfassung vereinbar (ebenso BFH-Urteil vom 22. August 2012 I R 9/11). Für eine verfassungskonforme Auslegung besteht demgemäß insoweit kein Anlass.

69

8. Das angefochtene Urteil entspricht den vorstehend erläuterten Grundsätzen. Die Revision der Klägerin hat daher keinen Erfolg.

(1) Der Gemeinsame Senat entscheidet, wenn ein oberster Gerichtshof in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen obersten Gerichtshofs oder des Gemeinsamen Senats abweichen will.

(2) Sind nach den Gerichtsverfassungs- oder Verfahrensgesetzen der Große Senat oder die Vereinigten Großen Senate eines obersten Gerichtshofs anzurufen, so entscheidet der Gemeinsame Senat erst, wenn der Große Senat oder die Vereinigten Großen Senate von der Entscheidung eines anderen obersten Gerichtshofs oder des Gemeinsamen Senats abweichen wollen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
II ZR 331/00 Verkündet am:
18. Februar 2002
Vondrasek
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 3. Dezember 2001 durch den Vorsitzenden Richter Dr. h.c. Röhricht und
die Richter Prof. Dr. Henze, Prof. Dr. Goette, Dr. Kurzwelly und die Richterin
Münke

beschlossen:
I. Das Urteil des Senats vom 29. Januar 2001, das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 15. März 2000 und das Vorbehaltsurteil der Kammer für Handelssachen des Landgerichts Ansbach vom 26. November 1999 werden im Kostenpunkt und hinsichtlich der die Beklagte zu 1 betreffenden Entscheidungen für wirkungslos erklärt.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten zu 2 und 3 ihre eigenen außergerichtlichen Kosten, die Beklagte zu 2 außerdem die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1 und die Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 4.
Von den Kosten des ersten Rechtszugs tragen die Beklagten zu 2 und 3 jeweils als Gesamtschuldner 75 % der Gerichtskosten sowie der außergerichtlichen Kosten der Klägerin und die Klägerin 25 % der Gerichtskosten sowie ihrer eigenen außergerichtlichen Kosten.
Von den Kosten der Berufungsinstanz tragen die Klägerin und die Beklagte zu 2 die Gerichtskosten und die auûergerichtlichen Kosten der Klägerin je zur Hälfte.
Von den Gerichtskosten der Revisionsinstanz tragen die Klägerin 70 % und die Beklagte zu 2 30 % der Gerichtskosten. Die auûergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen die Beklagte zu 2 zu 65 % und die Klägerin zu 35 %.
III. Der Streitwert wird wie folgt festgesetzt: bis zum 3. Dezember 2001: 90.000,00 DM; sodann: 20.985,90 DM.

Gründe:


I.


Die Klägerin klagt im Wechselprozeû auf Zahlung der Wechselsumme von 90.000,00 DM zuzüglich Nebenforderungen gegen die Beklagte zu 1, eine bauwirtschaftliche Arbeitsgemeinschaft (ARGE) in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, als Wechselakzeptantin und die Beklagten zu 2 und 3 als deren Gesellschafterinnen. Die Haftung des Beklagten zu 4 für die Wechselforderung leitet sie aus Rechtsscheinsgesichtspunkten her. Das Landgericht hat die Beklagten antragsgemäû gesamtschuldnerisch zur Zahlung verurteilt. Das Oberlandesgericht hat die Klage hinsichtlich der Beklagten zu 1
und 4 auf deren Berufung hin abgewiesen. Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin am 4. April 2000 Revision mit dem Ziel der Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils eingelegt.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 8. Januar 2001 war die Beklagte zu 1 trotz ordnungsgemäûer Ladung nicht vertreten. Durch Urteil vom 29. Januar 2001 hat der Senat die Revision der Klägerin betreffend den Beklagten zu 4 zurückgewiesen und in bezug auf die Beklagte zu 1 - insoweit durch Versäumnisurteil - das landgerichtliche Urteil mit der Maûgabe wieder hergestellt, daû die Beklagte zu 1 neben den Beklagten zu 2 und 3 wie eine Gesamtschuldnerin verurteilt wird.
Gegen das Versäumnisurteil des Senats vom 29. Januar 2001 hat die Beklagte zu 1 Einspruch eingelegt. In der Begründung ihres Einspruches hat die Beklagte zu 1 erstmals darauf hingewiesen, daû sie seit dem 21. August 2000 nicht mehr existiert. An diesem Tage sei das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten zu 3 eröffnet worden. Nach dem Gesellschaftsvertrag habe dies zur Folge gehabt, daû die Beklagte zu 3 aus der Gesellschaft ausgeschieden und ihr Anteil ohne Übertragung auf die als Gesellschafterin allein übrig gebliebene Beklagte zu 2 übergegangen sei. Im Hinblick darauf haben die Parteien in der auf den Einspruch der Beklagten zu 1 gegen das Versäumnisurteil vom 29. Januar 2001 anberaumten mündlichen Verhandlung vor dem Senat den Rechtsstreit - soweit er sich gegen die Beklagte zu 1 richtet - in der Hauptsache für erledigt erklärt.

II.


Nachdem die Parteien den Rechtsstreit, was die gegen die Beklagte zu 1 erhobene Klage angeht, übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist nunmehr insoweit im Rahmen der insgesamt neu zu fassenden Kostenentscheidung über die Kosten nach § 91 a ZPO zu entscheiden.
1. Die Erledigungserklärung ist, auch soweit dies die Beklagte zu 1 betrifft , wirksam. Der Prozeûbevollmächtigte der Beklagten zu 1, Rechtsanwalt Dr. B., hat klargestellt, daû er nicht in Vollmacht der Beklagten zu 2 auftrete, der nach dem Ausscheiden der Beklagten zu 3 auch der bis dahin von dieser als Gesamthänderin gehaltene Anteil an der Beklagten zu 1 angewachsen ist, sondern in Ausübung des fortbestehenden Mandats der Beklagten zu 1 verhandele. Dies entspricht der Rechtslage: Auf den Übergang des Vermögens einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder einer offenen Handelsgesellschaft ohne Liquidation auf den letzten verbliebenen Gesellschafter sind die Regeln der §§ 239 ff., 246 ZPO sinngemäû anzuwenden (von Gerkan in Röhricht/Graf v. Westphalen, HGB 2. Aufl. 2001 § 124 Rdn. 7; Schlegelberger/K.Schmidt, HGB 5. Aufl. 1992 § 142 Rdn. 33); Entsprechendes gilt infolgedessen auch für § 86 Halbs. 1 ZPO. Danach ist die Rechtsanwalt Dr. B. von der Beklagten zu 1 erteilte Prozeûvollmacht ungeachtet des zwischenzeitlichen Erlöschens der Beklagten zu 1 und der Rechtsnachfolge der Beklagten zu 2 in ihr Aktiv- und Passivvermögen als fortbestehend anzusehen. Rechtsanwalt Dr. B. war damit berechtigt, für die Beklagte zu 1 Einspruch einzulegen und sich der von der Klägerin abgegebenen Erledigungserklärung anzuschlieûen.
2. Nach § 91 a ZPO hat das Gericht über die Kosten des Rechtsstreits unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. In Ausübung dieses Ermessens sind die Kosten, soweit sie durch den gegen die Beklagte zu 1 geführten Rechtsstreit veranlaût sind, der Beklagten zu 1 und damit der Beklagten zu 2 als ihrer Rechtsnachfolgerin aufzuerlegen. Die gegen die Beklagte zu 1 gerichtete Klage war ursprünglich zulässig und begründet. Die Tatsache, daû es sich bei der Beklagten zu 1 um eine Arbeitsgemeinschaft des Baugewerbes in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts handelte, steht dieser rechtlichen Beurteilung nicht entgegen. Zur Begründung verweist der Senat zwecks Vermeidung überflüssiger Wiederholungen auf seine Ausführungen in dem in derselben Sache ergangenen Versäumnisurteil vom 29. Januar 2001, an denen er auch nach erneuter Überprüfung festhält. Ohne die übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Parteien wäre der Einspruch der Beklagten zu 1 deshalb ohne Erfolg geblieben. Das Versäumnisurteil vom 29. Januar 2001 wäre mit der Maûgabe aufrecht zu erhalten gewesen, daû aus dem Urteil die Beklagte zu 2 verpflichtet wäre, auf die die Verbindlichkeiten der Beklagten zu 1 als einzig verbliebene Gesellschafterin ohne Übertragungsakt übergegangen sind.
3. Der II. Zivilsenat ist auch als gesetzlicher Richter berufen, diese Entscheidung zu treffen. Eine vorherige Vorlage an den Groûen Senat für Zivilsachen oder dessen Anrufung war ebensowenig geboten, wie eine Anrufung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes.

a) aa) Für eine Divergenzvorlage im Vorfeld der Entscheidung über den Einspruch der Beklagten zu 1 nach § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG ist schon deshalb kein Raum, weil auf die an die übrigen Zivilsenate des Bundesgerichtshofs ein-
schlieûlich des Kartellsenats gerichtete Anfrage des Senats keiner der anderen Senate erklärt hat, an einer eventuell abweichenden Rechtsauffassung in früheren Entscheidungen festhalten zu wollen.
bb) Aus denselben Gründen fehlt es auch an den Voraussetzungen für eine Anrufung des Groûen Senats für Zivilsachen des Bundesgerichtshofs nach § 132 Abs. 4 GVG. Zwar ist die Frage nach der Rechts- und Parteifähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts ohne Zweifel von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 4 GVG. Angesichts des Fehlens divergierender Rechtsauffassungen bei den anderen Senaten des Bundesgerichtshofes ist es nicht ersichtlich, inwiefern eine Vorlage an den Groûen Senat zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich sein könnte.

b) Die Anrufung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes nach § 2 Abs. 1 RsprEinhG ist ebenfalls nicht geboten.
Die Anrufung des Gemeinsamen Senats ist nur dann zulässig, wenn ein oberster Gerichtshof des Bundes in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen obersten Gerichtshofs abweichen will (§ 2 Abs. 1 RsprEinhG) und die Rechtsfrage sowohl für den erkennenden Senat in der anhängigen Sache als auch für den divergierenden Senat in der bereits entschiedenen Sache entscheidungserheblich ist (GmS-OGB 1/83, BGHZ 88, 353, 357; GmS-OGB 2/83 BGHZ 91, 111, 114; GmS-OGB 2/75, BFHE 121, 1, 2; ebenso etwa: Pietzner in Schoch/Schmidt-Aûmann/Pietzner, VwGO Stand: Januar 2001, Anh. "Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes /RsprEinhG" Nr. 13). Ein Divergenzfall in diesem Sinne liegt nicht vor:

aa) Dies gilt zunächst im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 6. Juli 1989 (6 AZR 771/87, NJW 1989, 3034/3035), in der das Bundesarbeitsgericht die Frage, ob eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts Arbeitgeber sein kann, verneint hat:
Das Bundesarbeitsgericht hat lediglich über die Fähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts entschieden, Vertragspartner eines Arbeitsvertrages , also Arbeitgeber, zu sein. Darin liegt kein Widerspruch zu der Feststellung des Senats, die Gesellschaft bürgerlichen Rechts sei rechtsfähig, soweit sie als Folge der ihr schon nach der bisherigen Rechtsprechung zugebilligten Fähigkeit , im Rechtsverkehr grundsätzlich jede Rechtsposition einzunehmen, eigene Rechte und Pflichten begründet. Die Entscheidung des Senats vom 29. Januar 2001 enthält weder eine über die bisherige Rechtsprechung hinausgehende Aussage darüber, wann dies der Fall ist, noch bejaht sie die Fähigkeit der Gesellschaft , die Stellung gerade eines Arbeitgebers einzunehmen. Da der Senat zudem - wie die bisherige zivilrechtliche Rechtsprechung - ausdrücklich daran festhält, daû spezielle Gesichtspunkte, d.h. besondere Rechtsvorschriften und die Eigenart des zu beurteilenden Rechtsverhältnisses, der Fähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts zur Einnahme bestimmter Rechtspositionen und damit auch ihrer Fähigkeit, selber Vertragspartnerin zu sein, entgegenstehen können, ergäbe sich selbst dann keine Divergenz, wenn das Bundesarbeitsgericht auch in Zukunft an seiner Auffassung festhielte. Dies gilt um so mehr, als auch das Bundesarbeitsgericht der Gesellschaft bürgerlichen Rechts die Fähigkeit , Träger von Rechten und Pflichten und insoweit rechts- und parteifähig zu sein, nicht generell absprechen will, wie allein schon sein Hinweis auf das Steuerrecht und die dort anerkannte Fähigkeit der Gesellschaft, Steuerschuld-
ner zu sein, zeigt. Entsprechendes gilt für die an die Rechtsfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts anknüpfende Parteifähigkeit im Zivilprozeû.
bb) Entsprechende Erwägungen gelten im Hinblick auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 12. November 1986 (Az. 9b RU 8/84, BSGE 61, 15, 17), in dem das Bundessozialgericht in einem Streit um sozialrechtliche Verbindlichkeiten aus einem Maurerbetrieb im Zusammenhang mit der insoweit entscheidungserheblichen Frage, wer im sozialrechtlichen Sinne als Unternehmer des fraglichen Maurerbetriebes angesehen werden muû, in seiner Begründung davon ausgegangen ist, daû eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts nicht Unternehmer im sozialrechtlichen Sinne sein könne. Das Bundessozialgericht ist auch nach der Entscheidung des Senats in Zukunft nicht daran gehindert , den Gesellschaften bürgerlichen Rechts die Fähigkeit, Unternehmer im sozialrechtlichen Sinne zu sein, abzusprechen, wenn sich aus den Besonderheiten des Sozialrechts sowie der Stellung und Verantwortung des Unternehmers im sozialrechtlichen Sinne ergibt, daû Gesellschaften bürgerlichen Rechts diese Rechtsposition nicht einnehmen können.
cc) Eine Abweichung der Entscheidung des Senats von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. November 1992 (1 C 9.91, DVBl. 1993, 721 ff., 722/723) kommt von vornherein nicht in Betracht. Die zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bejaht sogar ausdrücklich die Frage, ob mehrere Inhaber von Fahrschulerlaubnissen eine Fahrschule in der Rechtsform der Gesellschaft bürgerlichen Rechts betreiben können. Sie weist lediglich unter Zurückgreifen auf gewerberechtliche Besonderheiten darauf hin, daû nur die einzelnen Gesellschafter, nicht aber die Gesellschaft bürgerlichen Rechts selbst, Inhaber der Fahrschulerlaubnis sein können.

dd) Ein Divergenzfall im Sinne von § 2 Abs. 1 RsprEinhG ergibt sich auch nicht im Hinblick auf das Urteil des Bundesfinanzhofes vom 20. November 1979 (VII R 97/77, BFHE 129, 526, 528/529), in dem der Bundesfinanzhof in den Entscheidungsgründen im Zusammenhang mit einem steuerrechtlichen Erstattungsanspruch auf die nach seiner Begründung nicht entscheidungserhebliche Frage der Beteiligtenfähigkeit einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts eingegangen ist und diese für den Fall von Erstattungsansprüchen nach unberechtigter Pfändung wegen Steuerforderungen gegen einen Dritten verneint hat. In diesem Zusammenhang hat der Bundesfinanzhof zwar auch die Frage der Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts angesprochen. Von diesem Urteil weicht der Senat mit seiner Entscheidung jedoch schon deshalb nicht im Sinne von § 2 Abs. 1 RsprEinhG ab, weil die fraglichen Ausführungen des Bundesfinanzhofes in der zitierten Entscheidung nicht zu den tragenden Gründen gehören, sondern im Rahmen eines obiter dictum erfolgt sind und sich überdies der Ansatz des Bundesfinanzhofes, wonach die Gesellschaft bürgerlichen Rechts insoweit beteiligtenfähig ist, wie sie Träger eigener steuerrechtlicher Rechte und Pflichten sein kann, weitestgehend mit der vom Senat in seinem Urteil vom 29. Januar 2001 dargelegten Rechtsauffassung deckt. Zudem hat der Bundesfinanzhof auf Anfrage mitgeteilt, daû er an einer zu derjenigen des Senats in Widerspruch stehenden Rechtsauffassung nicht festhalten würde.
ee) Eine Divergenz in der Frage der Parteifähigkeit scheidet im Verhältnis zu der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, des Bundesfinanzhofes und des Bundessozialgerichts von vornherein aus, weil die Entscheidung des Senats ihre Aussage zur Parteifähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts ausdrücklich auf den Zivilprozeû beschränkt.
Röhricht Henze Goette
Kurzwelly Münke

(1) Das Verfahren vor dem Gemeinsamen Senat wird durch einen Vorlegungsbeschluß eingeleitet. In diesem ist die Entscheidung des obersten Gerichtshofs, von der der vorlegende Senat abweichen will, zu bezeichnen. Der Beschluß ist zu begründen und den am Verfahren Beteiligen zuzustellen.

(2) Die Senate, die Großen Senate oder die Vereinigten Großen Senate der obersten Gerichtshöfe holen die Entscheidung des Gemeinsamen Senats unmittelbar ein. Gleichzeitig ist das Verfahren vor dem vorlegenden Senat auszusetzen.

(3) Eine Vorlage an den Gemeinsamen Senat im Sinne der Absätze 1 und 2 ist nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf die zu begründende Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, dass er an seiner Rechtsauffassung festhält. § 4 gilt entsprechend.

(1) Steuern können niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, können bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Mit Zustimmung des Steuerpflichtigen kann bei Steuern vom Einkommen zugelassen werden, dass einzelne Besteuerungsgrundlagen, soweit sie die Steuer erhöhen, bei der Steuerfestsetzung erst zu einer späteren Zeit und, soweit sie die Steuer mindern, schon zu einer früheren Zeit berücksichtigt werden.

(2) Eine Billigkeitsmaßnahme nach Absatz 1 kann mit der Steuerfestsetzung verbunden werden, für die sie von Bedeutung ist.

(3) Eine Billigkeitsmaßnahme nach Absatz 1 steht in den Fällen des Absatzes 2 stets unter Vorbehalt des Widerrufs, wenn sie

1.
von der Finanzbehörde nicht ausdrücklich als eigenständige Billigkeitsentscheidung ausgesprochen worden ist,
2.
mit einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 verbunden ist oder
3.
mit einer vorläufigen Steuerfestsetzung nach § 165 verbunden ist und der Grund der Vorläufigkeit auch für die Entscheidung nach Absatz 1 von Bedeutung ist.
In den Fällen von Satz 1 Nummer 1 entfällt der Vorbehalt des Widerrufs, wenn die Festsetzungsfrist für die Steuerfestsetzung abläuft, für die die Billigkeitsmaßnahme Grundlagenbescheid ist. In den Fällen von Satz 1 Nummer 2 entfällt der Vorbehalt des Widerrufs mit Aufhebung oder Entfallen des Vorbehalts der Nachprüfung der Steuerfestsetzung, für die die Billigkeitsmaßnahme Grundlagenbescheid ist. In den Fällen von Satz 1 Nummer 3 entfällt der Vorbehalt des Widerrufs mit Eintritt der Endgültigkeit der Steuerfestsetzung, für die die Billigkeitsmaßnahme Grundlagenbescheid ist.

(4) Ist eine Billigkeitsmaßnahme nach Absatz 1, die nach Absatz 3 unter Vorbehalt des Widerrufs steht, rechtswidrig, ist sie mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. § 130 Absatz 3 Satz 1 gilt in diesem Fall nicht.

Die Finanzbehörden können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH & Co. KG, die 1993 errichtet wurde. Sie erwarb mit Vertrag vom 24. Oktober 1994 als einzige wesentliche Betriebsgrundlage ein Flugzeug, das sie für den Zeitraum vom 9. Dezember 1994 bis 8. Dezember 2004 an eine X-Gesellschaft vermietete. Gleichzeitig räumte eine ... Limited (Ltd. 1) der Klägerin das Recht ein, das Flugzeug mit einer sechsmonatigen Andienungsfrist zum 9. Dezember 2004 zu einem Verkaufspreis von ... US-Dollar an sie zu veräußern. Außerdem verpflichtete sich die Ltd. 1, der Klägerin die aus dem Verkauf entstehenden Steuerbelastungen einschließlich der Gewerbesteuer zu erstatten.

2

Die Verkaufsoption übte die Klägerin mit Schreiben vom 5. April 2004 aus. Am 30. September 2004 fassten die Gesellschafter der Klägerin den Beschluss, mit Ablauf des 8. Dezember 2004 die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft aufzugeben, diese gleichzeitig aufzulösen und das Flugzeug am 9. Dezember 2004 an eine weitere Limited (Ltd. 2) zu veräußern. In der Folge schlossen die Klägerin, die X-Gesellschaft, die Ltd. 1 und die Ltd. 2 am 4. Oktober 2004 einen Vertrag, in dem u.a. vereinbart wurde, dass die Rechte und Pflichten aus dem mit Ausübung des Andienungsrechts der Klägerin zu Stande gekommenen Kaufvertrag über das Flugzeug von der Ltd. 2 übernommen würden. Außerdem sah der Vertrag vor, dass die X-Gesellschaft das Flugzeug von der Ltd. 2 weiter anmieten und der Klägerin die aus dem Verkauf entstehenden Steuerbelastungen, einschließlich der Gewerbesteuer, erstatten werde.

3

Für das Streitjahr (2004) ermittelte die Klägerin laufende Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von ... € und einen Veräußerungsgewinn in Höhe von ... €. In ihrer Gewerbesteuererklärung erklärte sie einen Gewerbeertrag in Höhe von ... € und beantragte, den zum 31. Dezember 2003 gesondert festgestellten vortragsfähigen Gewerbeverlust in voller Höhe abzuziehen.

4

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte den zum 31. Dezember 2003 festgestellten vortragsfähigen Gewerbeverlust gemäß § 10a Sätze 1 und 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) in der ab 1. Januar 2004 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes und anderer Gesetze vom 23. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2922, BStBl I 2004, 20) --GewStGuaÄndG-- nur beschränkt in Höhe von ... € und setzte mit Bescheid vom 21. Dezember 2005 einen Gewerbesteuermessbetrag von ... € fest.

5

Dagegen erhob die Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage. Sie machte geltend, die --sowohl nach dem Wortlaut der Vorschrift als auch rechnerisch zutreffende-- Anwendung der Mindestbesteuerung sei im Streitfall aus verfassungsrechtlichen Gründen unzulässig. Denn durch die beschränkte Berücksichtigung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts werde ihr der Verlustausgleich in Höhe von ... € endgültig versagt, weil sie ihre Geschäftstätigkeit zum 8. Dezember 2004 aufgegeben habe. Dadurch werde sie in ihren Grundrechten aus dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--) und auf Gewährleistung des Eigentums (Art. 14 GG) verletzt.

6

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Die Anwendung der Mindestbesteuerung nach § 10a GewStG führe zu keiner Verletzung der Besteuerungsgleichheit oder des objektiven Nettoprinzips in seinem verfassungsrechtlich geschützten Kern. Zwar stelle der endgültige Verlust eines Teils des zum 31. Dezember 2003 festgestellten Gewerbeverlustvortrags eine Abweichung vom objektiven Nettoprinzip dar. Dies sei jedenfalls dann durch die Ziele des Gesetzgebers --die Stärkung und Verstetigung der steuerlichen Gemeindefinanzierung (BTDrucks 15/1517, S. 12, S. 19)-- gerechtfertigt, wenn es wie im Streitfall auf der vom Steuerpflichtigen selbst herbeigeführten Abkürzung des zur Verlustverrechnung nutzbaren Zeitraums beruhe. Eine Verletzung des Art. 14 GG durch den Gewerbesteuermessbescheid sei bereits deshalb ausgeschlossen, weil sich die tatsächliche Steuerbelastung erst aus dem Gewerbesteuerbescheid ergebe. Anhaltspunkte dafür, dass der volle Verlustabzug aus Gründen des Vertrauensschutzes geboten sein könnte, ergäben sich weder aus dem Klagevorbringen noch aus dem sonstigen Akteninhalt. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2010, 1914 veröffentlicht.

7

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von Verfahrensrecht sowie der Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 14 GG, des grundrechtlich und rechtsstaatlich gewährleisteten Vertrauensschutzes und des im Wege teleologischer Reduktion verfassungskonform auszulegenden § 10a Satz 2 GewStG.

8

Sie beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Gewerbesteuermessbetrag für 2004 unter Änderung des Gewerbesteuermessbescheids vom 21. Dezember 2005 und der Einspruchsentscheidung vom 29. Januar 2007 unter Berücksichtigung des zum 31. Dezember 2003 gesondert festgestellten vortragsfähigen Gewerbeverlusts in Höhe von ... € auf ... € herabzusetzen.

9

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

10

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten.

Entscheidungsgründe

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II. Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das angefochtene Urteil beruht nicht auf einem Verfahrensmangel und das FG hat § 10a Sätze 1 und 2 GewStG, Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 14 GG zutreffend angewandt.

12

1. Die Verfahrensrüge, mit der die Klägerin geltend macht, das FG habe die Sachaufklärungspflicht verletzt (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) und den Sachverhalt widersprüchlich gewürdigt, greift nicht durch. Der Senat sieht insoweit von einer Begründung ab (§ 126 Abs. 6 FGO).  

13

2. Der Gewinn aus der Veräußerung des Flugzeugs gehörte zum gewerbesteuerbaren laufenden Gewinn der Klägerin. Davon sind auch die Beteiligten und das FG ausgegangen.

14

a) Die Klägerin unterliegt der Gewerbesteuer selbst dann, wenn ihre Tätigkeit --was der Senat deshalb dahinstehen lassen kann-- nicht alle Merkmale eines Gewerbebetriebs i.S. des § 15 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erfüllen sollte.

15

Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG unterliegt der Gewerbesteuer jeder stehende, im Inland betriebene Gewerbebetrieb. Unter Gewerbebetrieb ist ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des EStG zu verstehen (§ 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG). Neben originär gewerblich tätigen Unternehmen gehören dazu auch gewerblich geprägte Personengesellschaften, deren Tätigkeit infolge der einkommensteuerlichen Fiktion des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG als Gewerbebetrieb gilt, obwohl sie keine originär gewerblichen Einkünfte erzielen. Diese Fiktion gilt auch für Zwecke der Gewerbesteuer (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20. November 2003 IV R 5/02, BFHE 204, 471, BStBl II 2004, 464).

16

Sofern die Klägerin nicht originär gewerblich tätig gewesen sein sollte, erfüllt sie zumindest die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EStG. Ihr einziger persönlich haftender Gesellschafter ist eine Kapitalgesellschaft, und nur diese Gesellschafterin sowie Personen, die nicht Gesellschafter sind, sind zur Geschäftsführung befugt.

17

b) Einzelunternehmen und Mitunternehmerschaften sind sachlich gewerbesteuerpflichtig nur, wenn und solange sie einen Gewerbebetrieb im Sinne des Gewerbesteuerrechts unterhalten. Die sachliche Gewerbesteuerpflicht endet deshalb mit der dauerhaften Einstellung der werbenden Tätigkeit (ständige Rechtsprechung, u.a. BFH-Urteile vom 24. April 1980 IV R 68/77, BFHE 131, 70, BStBl II 1980, 658, unter 1. der Gründe; vom 20. März 1990 VIII R 47/86, BFH/NV 1990, 799, unter 1.a der Gründe; vom 26. Juni 2007 IV R 49/04, BFHE 217, 150, BStBl II 2009, 289, unter II.2.a der Gründe). Auch bei einer gewerblich geprägten Gesellschaft endet die sachliche Gewerbesteuerpflicht mit dem Ende der werbenden Tätigkeit (BFH-Urteil in BFHE 204, 471, BStBl II 2004, 464, unter III.2. der Gründe). Die Rechtsform der beteiligten Mitunternehmer ist ohne Bedeutung (BFH-Urteil vom 5. März 1998 IV R 23/97, BFHE 186, 142, BStBl II 1998, 745, unter 1.b der Gründe). Entgegen der Ansicht des BMF hat die Einfügung des § 7 Satz 2 GewStG zu keiner Änderung dieser rechtlichen Beurteilung geführt (BFH-Urteil vom 30. August 2012 IV R 54/10, Deutsches Steuerrecht 2012, 2180, BFHE 238, 198, unter II.1.d und II.3. der Gründe).

18

c) Gewinne aus der Veräußerung von Wirtschaftsgütern des Anlage- wie auch des Umlaufvermögens können zum gewerbesteuerbaren (laufenden) Gewinn oder zum nicht gewerbesteuerbaren Aufgabegewinn gehören. Maßgeblich ist, ob mit der Veräußerung die bisherige normale Geschäftstätigkeit fortgesetzt wird oder ob die Veräußerung im wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Aufgabe des Betriebs erfolgt (BFH-Urteil in BFHE 217, 150, BStBl II 2009, 289, unter II.2.c cc der Gründe). Der Gewinn aus der Veräußerung eines zum Anlagevermögen zählenden Flugzeugs gehört danach zum gewerbesteuerbaren (laufenden) Gewinn, wenn die Veräußerung Bestandteil eines einheitlichen Geschäftskonzepts der unternehmerischen Tätigkeit ist. Hiervon ist im Streitfall auszugehen, wie zwischen den Beteiligten nicht streitig ist.

19

3. Das FA hat den Gewerbeertrag unter Berücksichtigung des § 10a Sätze 1 und 2 GewStG zutreffend ermittelt. Nach dieser Vorschrift wird der maßgebende Gewerbeertrag bis zu einem Betrag in Höhe von 1 Mio. € um die Fehlbeträge gekürzt, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume nach den Vorschriften der §§ 7 bis 10 GewStG ergeben haben, soweit die Fehlbeträge nicht bei der Ermittlung des Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume berücksichtigt worden sind. Der 1 Mio. € übersteigende maßgebende Gewerbeertrag ist bis zu 60 % um die verbleibenden Fehlbeträge der vorangegangenen Erhebungszeiträume zu kürzen. Die Anwendung der Regelung führt dazu, dass anstelle der gesamten Fehlbeträge aus früheren Erhebungszeiträumen von ... € nur ... € vom maßgebenden Gewerbeertrag des Streitjahres abgezogen werden können. Der angefochtene Bescheid entspricht dieser Rechtslage, worüber zwischen den Beteiligten ebenfalls kein Streit besteht.

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4. Die Mindestbesteuerung nach § 10a Sätze 1 und 2 GewStG verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG (ebenso BFH-Urteil vom 22. August 2012 I R 9/11, juris, BFHE 238, 419).

21

a) Der Gleichheitssatz gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen.

22

aa) Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Für die Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Differenzierungen kommt es wesentlich darauf an, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG--; vgl. z.B. BVerfG-Beschluss vom 6. Juli 2010  2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268, Rz 35, m.w.N.).

23

bb) Im Bereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum. Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft und die es so als rechtlich gleich qualifiziert, wird hier, insbesondere im Bereich des Einkommensteuerrechts, vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast an der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit. Danach muss im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedrigerer Einkommen angemessen sein muss. Bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands muss die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umgesetzt werden. Ausnahmen von einer solchen folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 126, 268, Rz 36, m.w.N.).

24

cc) Als besondere sachliche Gründe für Ausnahmen von einer folgerichtigen Umsetzung und Konkretisierung steuergesetzlicher Belastungsentscheidungen hat das BVerfG in seiner bisherigen Rechtsprechung vor allem außerfiskalische Förderungs- und Lenkungszwecke sowie Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse anerkannt, nicht jedoch den rein fiskalischen Zweck staatlicher Einnahmenerhöhung (vgl. z.B. BVerfG-Urteil vom 9. Dezember 2008  2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rz 58 ff.). Der Finanzbedarf des Staates oder eine knappe Haushaltslage reichen für sich allein nicht aus, um ungleiche Belastungen durch konkretisierende Ausgestaltung der steuerrechtlichen Grundentscheidungen zu rechtfertigen. Auch wenn der Staat auf Einsparungsmaßnahmen angewiesen ist, muss er auf eine gleichheitsgerechte Verteilung der Lasten achten (BVerfG-Urteil in BVerfGE 122, 210, Rz 61). Besondere ("qualifizierte") Fiskalzwecke können aber als Rechtfertigungsgrund in Betracht kommen (anerkannt z.B. für unerwartete staatliche Mehrausgaben im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung, BVerfG-Beschluss vom 5. Februar 2002  2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93, BVerfGE 105, 17, Rz 89).

25

dd) Als Rechtfertigungsgrund ist insbesondere die Befugnis des Gesetzgebers zur Vereinfachung und Typisierung zu beachten: Jede gesetzliche Regelung muss verallgemeinern. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen ist der Gesetzgeber berechtigt, die Vielzahl der Einzelfälle in dem Gesamtbild zu erfassen, das nach den ihm vorliegenden Erfahrungen die regelungsbedürftigen Sachverhalte zutreffend wiedergibt. Auf dieser Grundlage darf er grundsätzlich generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen.

26

Typisierung bedeutet, bestimmte in wesentlichen Elementen gleich geartete Lebenssachverhalte normativ zusammenzufassen. Besonderheiten, die im Tatsächlichen durchaus bekannt sind, können generalisierend vernachlässigt werden. Der Gesetzgeber darf sich grundsätzlich am Regelfall orientieren und ist nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen. Die gesetzlichen Verallgemeinerungen müssen allerdings von einer möglichst breiten, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließenden Beobachtung ausgehen. Insbesondere darf der Gesetzgeber für eine gesetzliche Typisierung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss realitätsgerecht den typischen Fall als Maßstab zugrunde legen (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 126, 268, Rz 38, m.w.N.).

27

Folge einer Typisierung ist notwendigerweise, dass die Verhältnisse des Einzelfalls unberücksichtigt bleiben. Darin liegende Ungleichbehandlungen sind durch die Typisierungsbefugnis grundsätzlich gerechtfertigt. Ist vorhersehbar, dass in Ausnahmefällen besondere Härten auftreten können, die nicht in zumutbarer Weise durch gesetzliche Sonderregelungen vermeidbar sind, steht dies der Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers nicht entgegen, wenn für deren Behebung im Einzelfall Billigkeitsmaßnahmen zur Verfügung stehen. Bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit von generalisierenden und typisierenden Normen des Steuerrechts fällt insbesondere die Möglichkeit des Steuererlasses zur Milderung unbilliger Härten ins Gewicht (BVerfG-Beschluss vom 5. April 1978  1 BvR 117/73, BVerfGE 48, 102; BFH-Urteile vom 6. Februar 1976 III R 24/71, BFHE 118, 151; vom 23. März 1998 II R 41/96, BFHE 185, 270, BStBl II 1998, 396; vom 27. Mai 2004 IV R 55/02, BFH/NV 2004, 1555).

28

ee) Die für die Lastengleichheit im Gewerbesteuerrecht maßgebliche finanzielle Leistungsfähigkeit ist grundsätzlich nach dem objektiven Nettoprinzip zu bemessen.

29

(1) Das objektive Nettoprinzip gilt auch für die Gewerbesteuer, weil die Gewerbesteuer im Hinblick auf die Bemessung des Gewerbeertrags nach den Vorschriften des EStG und des Körperschaftsteuergesetzes --KStG-- (§ 7 Satz 1 GewStG) ebenso wie die Einkommensteuer und die Körperschaftsteuer an die Ertragskraft des Unternehmens anknüpft (BVerfG-Beschluss vom 15. Januar 2008  1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1, Rz 112 ff.). Danach unterliegt im Bereich der Unternehmensbesteuerung grundsätzlich nur das Nettoeinkommen der Besteuerung. Betriebsausgaben müssen folglich grundsätzlich steuerlich abziehbar sein (BVerfG-Beschluss vom 12. Oktober 2010  1 BvL 12/07, BVerfGE 127, 224, Rz 57).

30

(2) Allerdings bedingt der Charakter der Gewerbesteuer als Objektsteuer Einschränkungen des objektiven Nettoprinzips.

31

(a) Das Objektsteuerprinzip liegt verschiedenen Regelungen des geltenden GewStG zugrunde. Hierzu gehören etwa die Hinzurechnung von Betriebsausgaben nach § 8 GewStG und die Kürzung von Betriebseinnahmen nach § 9 GewStG. Auch das Erfordernis der Unternehmensidentität für den Verlustausgleich nach § 10a GewStG ist eine Ausprägung des Objektsteuercharakters der Gewerbesteuer. Unternehmensidentität bedeutet, dass der im Anrechnungsjahr bestehende Gewerbebetrieb identisch sein muss mit dem Gewerbebetrieb, in dem der Verlust entstanden ist (u.a. BFH-Urteile vom 12. Januar 1978 IV R 26/73, BFHE 124, 348, BStBl II 1978, 348; vom 14. September 1993 VIII R 84/90, BFHE 174, 233, BStBl II 1994, 764; R 10a.2 Satz 1 der Gewerbesteuer-Richtlinien 2009).

32

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH folgt aus dem Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer für solche Gewerbebetriebe, deren Tätigkeit nicht nach § 2 Abs. 2 GewStG stets und in vollem Umfang als Gewerbebetrieb gilt, dass nur der auf den laufenden Betrieb entfallende, durch eigene gewerbliche Leistungen entstandene Gewinn der Gewerbesteuer unterliegt (s. oben unter II.2.b). Nicht zu berücksichtigen sind daher Verluste, die vor Aufnahme der werbenden Tätigkeit entstanden sind, oder die nicht dem laufenden Betrieb, sondern dessen Aufgabe oder Veräußerung zuzuordnen sind (u.a. BFH-Urteil in BFHE 217, 150, BStBl II 2009, 289, unter II.2. der Gründe), auch wenn sie die Leistungsfähigkeit des Gewerbetreibenden vermindern. Ebenso wenig sind entsprechende Gewinne in die Ermittlung des Gewerbeertrags einzubeziehen, obschon sie die Leistungsfähigkeit des Gewerbetreibenden vergrößern.

33

(b) Das der Gewerbeertragsbesteuerung zugrunde liegende gesetzgeberische Konzept hat von Beginn an die Möglichkeit einer Definitivbelastung mit Gewerbesteuer auch bei periodenübergreifend überwiegenden Verlusten nicht ausgeschlossen.

34

(aa) Die vor Inkrafttreten des reichseinheitlichen GewStG bestehenden GewStG der Länder erlaubten einen gewerbesteuerlichen Verlustvor- oder -rücktrag nicht (vgl. Übersicht über die GewStG der Länder, RStBl 1937, 699). Der Reichsfinanzhof (RFH) verneinte die Anwendbarkeit der im KStG bzw. EStG vorgesehenen Möglichkeit zur Berücksichtigung einer Unterbilanz bzw. eines Verlustvortrags bei der Ermittlung des Gewerbeertrags unter Hinweis auf den Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer, die als eine Art von Beitrag aufgefasst werden könne (RFH-Urteil vom 10. Juli 1935 IV A 33/35, RFHE 38, 120, zum Oldenburgischen GewStG). Zur Begründung hat er ausgeführt, bereits das preußische Oberverwaltungsgericht habe in ständiger Rechtsprechung als (gewerbesteuerlichen) Ertrag den Inbegriff dessen angesehen, was innerhalb einer gewissen Periode an Geldwerten, Gütern und Nutzungen durch objektiven Gewerbebetrieb hervorgebracht werde und damit in ständiger Rechtsprechung die Anrechnung von Verlusten aus Vorjahren auf spätere Gewinnjahre für unvereinbar gehalten. Durch die Anrechnung von Verlusten aus früheren Geschäftsjahren auf spätere Ertragsjahre würde ein Merkmal in die Gewerbesteuer hineingetragen, das dem Objektsteuercharakter offensichtlich widerspreche und überdies mit dem der Gewerbesteuer zugrunde liegenden steuerpolitischen Zweckgedanken nicht in Einklang zu bringen sei, wonach diese eine Art Gegenleistung für die den Gemeinden durch die Gewerbebetriebe verursachten Lasten darstellen solle. Die Berücksichtigung von Vorjahresverlusten in späteren Ertragsjahren könne dazu führen, dass es in diesen Jahren an der entsprechenden Gegenleistung für die durch den Gewerbebetrieb verursachten Lasten fehle, trotzdem in diesen Jahren Ertrag vorhanden sei; dieser Ausfall im Gemeindefinanzbedarf müsse dann auf andere Steuerpflichtige umgelegt werden.

35

(bb) Das Gewerbesteuerrahmengesetz (GewStRG) vom 1. Dezember 1930 (RGBl I 1930, 537) räumte in § 12 Nr. 3 die Möglichkeit eines zweijährigen Verlustvortrags für buchführende Unternehmungen ein (vgl. Orth, Interperiodische Verlust-Kompensation im Gewerbesteuerrecht, Studien zum Finanz- und Steuerrecht, Bd. 4, 1980, S. 24, S. 82). Allerdings hat es sich nicht durchsetzen können und wurde nur von den Ländern Mecklenburg und Oldenburg übernommen (RStBl 1937, 693). Die Neufassung des GewStRG vom 30. Juni 1935 (RGBl I 1935, 830) sah keinerlei Möglichkeit zur Verrechnung von Gewerbeverlusten vor.

36

(cc) Auch unter Geltung des GewStG vom 1. Dezember 1936 (RGBl I 1936, 979) bestand zunächst keine Möglichkeit, Gewerbeverluste auszugleichen. Mit Runderlass vom 14. Juli 1939 L 1460-1/39 III (RStBl 1939, 849) ließ das Reichsfinanzministerium nach Einführung eines entsprechenden Verlustvortrags bei der Einkommensteuer auch für die Gewerbesteuer einen zweijährigen Verlustvortrag zu, der --möglicherweise gedanklich an die Berücksichtigung einer Unterbilanz anknüpfend-- nur für buchführende Gewerbebetriebe galt. Für andere Gewerbebetriebe bestand weiterhin keine Möglichkeit zum Verlustausgleich. Als Rechtsgrundlage der Regelung wurden zunächst nachträglich § 19 der Dritten Verordnung zur Durchführung des Gewerbesteuergesetzes vom 31. Januar 1940 (RGBl I 1940, 284) und später § 10a GewStG eingeführt (durch Gesetz zur Änderung des Gewerbesteuerrechts vom 27. Dezember 1951, BGBl I 1951, 996). Dabei wurde der Verlustvortrag von einer ordnungsgemäßen Buchführung abhängig gemacht und zunächst auf drei Jahre, später auf fünf Jahre ausgedehnt (Gesetz zur Neuordnung von Steuern vom 16. Dezember 1954, BGBl I 1954, 373). Ab 1975 entfielen die Erforderlichkeit einer ordnungsmäßigen Buchführung (Einführungsgesetz zum Einkommensteuerreformgesetz vom 21. Dezember 1974, BGBl I 1974, 3656) sowie die Beschränkung auf buchführende Betriebe (rückwirkend durch das Steuerbereinigungsgesetz 1986 vom 19. Dezember 1985, BGBl I 1985, 2436). Ab 1985 entfiel auch die zeitliche Begrenzung des Verlustvortrags (Steuerreformgesetz 1990 vom 25. Juli 1988, BGBl I 1988, 1093).

37

(c) Die Möglichkeit eines Verlustrücktrags bestand bei der Gewerbesteuer zu keinem Zeitpunkt. Der Gesetzgeber hat dabei dem Interesse der Gemeinden an einer funktionierenden Haushaltspolitik Vorrang vor dem wirtschaftlichen Interesse der betroffenen Gewerbebetriebe eingeräumt.

38

(aa) Im Zusammenhang mit der Einführung eines Verlustrücktrags bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer wurde eine solche Maßnahme auch für die Gewerbesteuer geprüft, jedoch abgelehnt, weil "die Gemeinden hierdurch in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten kommen könnten. Denn --anders als beim Verlustvortrag-- könnte ein Verlustrücktrag dazu führen, dass insbesondere kleinere Gemeinden bei einer Rückzahlung vereinnahmter und bereits im Haushalt verplanter Gewerbesteuern in größte Schwierigkeiten kommen würden" (BTDrucks 7/4604, S. 3; BTDrucks 7/4705, S. 3; ähnlich BRDrucks 828/1/74, zu I 2; kritisch Orth, Interperiodische Verlust-Kompensation im Gewerbesteuerrecht, a.a.O., S. 230 ff.).

39

(bb) Der BFH hat das Fehlen eines Verlustrücktrags verfassungsrechtlich nicht beanstandet (Urteil vom 31. Juli 1990 I R 62/86, BFHE 161, 570, BStBl II 1990, 1083). Die Regelung sei systemgerecht innerhalb der Rechtsordnung. Als zusätzliche Rechtfertigung könne der Gesichtspunkt des kommunalen Selbstverwaltungsrechts herangezogen werden (BFH-Urteil in BFHE 161, 570, BStBl II 1990, 1083, unter II.A.1.d bb der Gründe). Einer Substanzgefährdung der betroffenen Unternehmen könne durch die angemessene Entrichtung von Vorauszahlungen oder die Bildung einer angemessenen Rückstellung für die Gewerbesteuerschuld aus dem Gewinnjahr hinreichend begegnet werden; dennoch eintretende Gefährdungen hätten ihre Ursache nicht in der Gewerbesteuer für den vorangegangenen Erhebungszeitraum, sondern in den zwischenzeitlich im Betrieb erwirtschafteten Verlusten (BFH-Urteil in BFHE 161, 570, BStBl II 1990, 1083, unter II.A.1.d dd der Gründe).

40

(3) Das BVerfG hat bisher offengelassen, ob das objektive Nettoprinzip Verfassungsrang hat (aus neuerer Zeit etwa BVerfG-Beschluss in BVerfGE 126, 268, Rz 40). Jedenfalls kann der Gesetzgeber dieses Prinzip beim Vorliegen gewichtiger Gründe durchbrechen und sich dabei generalisierender, typisierender und pauschalierender Regelungen bedienen. Hiernach entfaltet schon das einfach-rechtliche objektive Nettoprinzip Bedeutung vor allem im Zusammenhang mit den Anforderungen an hinreichende Folgerichtigkeit bei der näheren Ausgestaltung der gesetzgeberischen Grundentscheidungen. Die Beschränkung des steuerlichen Zugriffs nach Maßgabe des objektiven Nettoprinzips gehört zu diesen Grundentscheidungen, so dass Ausnahmen von der folgerichtigen Umsetzung der mit dem objektiven Nettoprinzip getroffenen Belastungsentscheidung eines besonderen, sachlich rechtfertigenden Grundes bedürfen (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 126, 268, Rz 40, m.w.N.).

41

b) Nach den vorstehenden Maßstäben ist ein von § 10a Sätze 1 und 2 GewStG ggf. ausgehender Verstoß gegen den Gleichheitssatz nach Überzeugung des erkennenden Senats zumindest gerechtfertigt. Damit schließt sich der Senat der Auffassung des I. Senats des BFH in dessen Urteil vom 22. August 2012 I R 9/11 zur Mindestbesteuerung nach § 10d EStG und § 10a Sätze 1 und 2 GewStG an. Er nimmt ergänzend zu den nachfolgenden Ausführungen auf das Urteil des I. Senats mit seiner umfassenden Darstellung der in Schrifttum und Rechtsprechung vertretenen Auffassungen Bezug.

42

aa) Die Einführung der Mindestbesteuerung bedeutet zunächst insoweit eine Änderung der Konzeption des GewStG, als bisher Verluste bis zur Höhe späterer Gewinne desselben Betriebs immer vollständig abgezogen werden konnten. Die Festsetzung eines Gewerbesteuermessbetrags war ausgeschlossen, soweit nach dem Verlust insgesamt kein den Verlust übersteigender Gewerbeertrag erzielt wurde. Nach § 10a Sätze 1 und 2 GewStG ist die Festsetzung eines Gewerbesteuermessbetrags nicht mehr in jedem Fall ausgeschlossen.

43

Zu dieser Änderung des Besteuerungskonzepts und damit der Belastungsgrundentscheidung war der Gesetzgeber befugt. Sie beruht auf einem sachlichen Grund, der in der Verstetigung des Aufkommens öffentlicher Haushalte, insbesondere kommunaler Haushalte zu sehen ist. Zur Erreichung dieses Ziels ist das gewählte System der Mindestbesteuerung geeignet, denn die Verhinderung einer sofortigen Verrechnung hoher Verluste mit hohen Gewerbeerträgen kann eine Aufkommensglättung bewirken. Von der Änderung der Belastungsgrundentscheidung sind alle Steuersubjekte der Gewerbesteuer in gleicher Weise betroffen. Der Gleichheitssatz ist insoweit nicht verletzt, so dass es in diesem Zusammenhang keines besonderen Rechtfertigungsgrunds (etwa in Gestalt eines qualifizierten Fiskalzwecks, vgl. Desens, Finanz-Rundschau 2011, 745, 749) bedürfte.

44

bb) Nach dem gesetzgeberischen Plan soll § 10a Sätze 1 und 2 GewStG nicht zu einem endgültigen Wegfall von ausgleichsfähigen Fehlbeträgen aus vorangegangenen Erhebungszeiträumen führen. Die Regelung beinhaltet danach keine Beschränkung des Abzugs der während der Dauer der unternehmerischen Tätigkeit entstandenen Betriebsausgaben. Insoweit verstößt § 10a Sätze 1 und 2 GewStG nicht gegen das objektive Nettoprinzip. Zu einer Verletzung des objektiven Nettoprinzips kann es nur mittelbar dann kommen, wenn die zeitliche Hinauszögerung des Verlustabzugs im Ergebnis zur Folge hat, dass der ansonsten abziehbare Verlust überhaupt nicht mehr abgezogen werden kann. Verluste setzen sich aus verschiedenen Bestandteilen zusammen, die zu einem geminderten Betriebsvermögen führen. Sie ergeben sich aus einem Überschuss der Betriebsausgaben über die Betriebseinnahmen und beinhalten auch vom objektiven Nettoprinzip geschützte Betriebsausgaben.

45

Zins- und Liquiditätsnachteile, die durch einen zeitlich hinausgeschobenen Abzug von Betriebsausgaben eintreten, verletzen das objektive Nettoprinzip grundsätzlich nicht. Eine Ausnahme wird davon allenfalls dann zu machen sein, wenn die zeitliche Verzögerung den Betriebsausgabenabzug für den Steuerpflichtigen wirtschaftlich wertlos macht, weil der Zinsnachteil die durch den Abzug ausgelöste Steuerminderung nahezu aufwiegt. Von einer derartigen Entwertung des Abzugs kann nach der Ausgestaltung des § 10a Sätze 1 und 2 GewStG nicht die Rede sein, denn Sockelbetrag und prozentualer Zusatzabzug sichern in jedem Erhebungszeitraum erhebliche Abzugsbeträge, die einerseits zu einer sofortigen Steuerminderung führen und andererseits den Abbau auch größerer Verlustvorträge in einem überschaubaren Zeitraum regelmäßig ermöglichen sollten.

46

cc) Die mittelbar durch eine steuergesetzliche Regelung eintretende Verletzung des objektiven Nettoprinzips bedarf in ähnlicher Weise einer Rechtfertigung wie eine vom Gesetz gezielt vorgenommene Verletzung. Unbeabsichtigte wie beabsichtigte Eingriffe in das objektive Nettoprinzip können aber durch die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers gerechtfertigt sein.

47

Den Anforderungen, die an die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers zu stellen sind, genügt die gewerbesteuerliche Mindestbesteuerung nach § 10a Sätze 1 und 2 GewStG.

48

(1) Für die Streckung des Verlustabzugs konnte generalisierend an die Höhe des im Erhebungszeitraum erzielten Gewerbeertrags angeknüpft werden. Dabei ist durch die Verknüpfung eines statischen (Sockelbetrag) und eines dynamischen (prozentualer Abzug) Elements sichergestellt, dass kein Steuerpflichtiger in einem Erhebungszeitraum mit positivem Gewerbeertrag vollständig vom Verlustabzug ausgeschlossen ist und der Verlustabzug zugleich unter Beachtung des Erfordernisses vertikaler Gleichheit vorgenommen werden kann. Soweit es durch die Streckung nicht zu einem endgültigen Wegfall von Verlustvorträgen kommt, musste der Gesetzgeber im Rahmen der Typisierung keine weiteren Kriterien berücksichtigen.

49

(2) Anders verhält es sich allerdings mit den vorhersehbaren Fällen, in denen die Streckung zugleich zu einem endgültigen Untergang des Verlustvortrags führt.

50

(a) Es war abzusehen, dass es unter zwei Voraussetzungen zu einer durch die Streckung veranlassten definitiven Belastung mit Gewerbesteuer kommen kann. Einerseits kann die Verrechnung des gestreckten Verlustbetrags unmöglich werden, wenn in den auf den beschränkten Abzug eines Verlustvortrags folgenden Erhebungszeiträumen keine weiteren positiven Gewerbeerträge erzielt werden. Andererseits kann der Ergebnisverlauf eines Unternehmens so strukturiert sein, dass ein positiver Gewerbeertrag nur im letzten Jahr der werbenden Tätigkeit erzielt wird und die in den Vorjahren aufgelaufenen Verlustvorträge wegen der Abzugsbeschränkung nicht vollständig von dem positiven Gewerbeertrag des letzten Jahres abgezogen werden können. Diese Fälle der unbeabsichtigten Verletzung des objektiven Nettoprinzips durften bei einer Typisierung nicht außer Acht gelassen werden.

51

(b) Die Gesetzesmaterialien lassen erkennen, dass die an der Gesetzgebung beteiligten Organe Fälle der Definitivbesteuerung infolge der Mindeststeuer erkannt und bei der Ausgestaltung des Gesetzes berücksichtigt haben.

52

Am 26. September 2003 führte der Finanzausschuss des Deutschen Bundestages eine öffentliche Anhörung zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz (StVergAbGProtUmsG) durch, deren Gegenstand auch die Mindeststeuer war (im Einzelnen Wortprotokoll des Finanzausschusses, Nr. 15/30). Dabei legten Sachverständige dar, dass die Gesetzesbegründung, wonach es nur um eine Streckung und nicht um endgültige Verluste gehe, "klar nicht richtig" sei. In zyklischen Branchen müsste in Gewinnphasen der Gewinn immer doppelt so hoch sein wie die vorhergehenden Verluste, was unrealistisch sei (Wortprotokoll, Nr. 15/30, S. 3). Die Mindestbesteuerung führe letztendlich zu einer Substanzbesteuerung (Wortprotokoll, Nr. 15/30, S. 4). Insbesondere bei "Start-ups", die immaterielle Wirtschaftsgüter produzierten, bei Projektgesellschaften in der Bauwirtschaft und bei der Errichtung großer Anlagen (z.B. Stahlwerk) könne es zu einer dauerhaften Substanzbesteuerung kommen (Wortprotokoll, Nr. 15/30, S. 16 f. sowie S. 39 bis 41). Das führe zu einer extremen Gefährdung des Mittelstandes und der "Start-ups"; zu deren Schutz müsse der Sockelbetrag mindestens verzehnfacht werden (Wortprotokoll, Nr. 15/30, S. 39).

53

(3) Die gegenüber dem Gesetzentwurf geäußerten Bedenken haben offensichtlich zur Folge gehabt, dass der Sockelbetrag von 100.000 € auf 1 Mio. € verzehnfacht und der Prozentsatz für den Restbetrag von 50 auf 60 % angehoben worden ist. Der erkennende Senat kann anhand des ihm zugänglichen Zahlenmaterials nicht sicher erkennen, ob der Gesetzgeber davon ausgehen durfte, mit den vorgenommenen Anpassungen bezogen auf die Zahl der betroffenen Fälle und die Höhe der definitiv anfallenden Steuer im typischen Anwendungsfall der Mindeststeuer keine besonders belastende Definitivbesteuerung zu bewirken.

54

Einer genaueren Prüfung dieser Frage bedarf es jedoch nicht.

55

(a) Bereits der Umfang der Anpassung spricht dafür, dass eine große Zahl kritischer Fälle nun von einer Definitivbesteuerung verschont bleibt. Dies wird auch dadurch gestützt, dass die Anpassung im Umfang dem entspricht, was im Rahmen der Anhörung sachverständig geäußert wurde. Zu berücksichtigen ist dabei zudem, dass wegen der besonderen Ausgestaltung der Gewerbesteuer als Objektsteuer Verlustvorträge häufiger als bei der Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer bereits ungeachtet der Wirkungen von § 10a Sätze 1 und 2 GewStG untergehen.

56

(b) Es ist nicht zu erkennen, dass durch eine gesetzliche Regelung eine Definitivbelastung in allen verbleibenden denkbaren Einzelfällen hätte ausgeschlossen werden können, ohne das System der Mindestbesteuerung insgesamt aufzugeben und ohne zugleich weitere Verletzungen des Gleichheitssatzes zu bewirken. Kommt es zur Definitivbelastung, weil einem beschränkten Verlustabzug keine weiteren positiven Gewerbeerträge folgen, lässt sich im Jahr der Mindestbesteuerung nicht erkennen, ob und aus welchen Gründen kein weiteres Potenzial für die Verrechnung des gestreckten Verlusts entstehen wird. Würde sich rückwirkend die beschränkte Verlustverrechnung als Ursache für die Definitivbelastung erweisen, könnte die Belastung nur durch eine Korrektur der seinerzeitigen Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags beseitigt werden. Dies käme aber einem Verlustrücktrag nahe, der in dem System der Gewerbesteuer bewusst nicht vorgesehen ist. Wäre Ursache für die Definitivbelastung der Umstand, dass ein positiver Gewerbeertrag nur im letzten Jahr der werbenden Tätigkeit entsteht, würde eine Ausnahme von der Abzugsbeschränkung für derartige Fälle zu einer Ungleichbehandlung mit solchen Unternehmen führen, in denen es trotz gleichförmiger Ergebnisentwicklung zu einer Definitivbelastung kommt.

57

(c) Unter diesen Umständen durfte der Gesetzgeber sich darauf verlassen, dass in den nach Anhebung des Sockelbetrags und des Prozentsatzes für den zusätzlich abziehbaren Betrag nun zahlenmäßig deutlich reduzierten Fällen besondere Härten, die allein von der durch die Verluststreckung ausgelösten Definitivbelastung herrühren, durch Billigkeitsmaßnahmen vermieden werden können. Die Möglichkeit von Billigkeitsmaßnahmen in besonderen Einzelfällen flankiert die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers und gestattet ihm, eine typisierende Regelung zu treffen, bei der Unsicherheiten über Zahl und Intensität der von der typisierenden Regelung nachteilig betroffenen Fälle mit zumutbarem Aufwand nicht beseitigt werden können.

58

5. Die Mindestbesteuerung nach § 10a Sätze 1 und 2 GewStG verletzt auch keine verfassungsrechtlich geschützten Freiheitsrechte.

59

Der Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG ist allerdings betroffen, weil die Gewährleistung des Art. 14 Abs. 1 GG den Grundrechtsträger auch dann schützt, wenn Steuerpflichten --wie im Einkommen- und Gewerbesteuerrecht-- an den Hinzuerwerb von Eigentum anknüpfen (BVerfG-Beschluss vom 18. Januar 2006  2 BvR 2194/99, BVerfGE 115, 97, Rz 33 ff.). Der Eingriff in das Grundrecht ist aber als Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG gerechtfertigt (ebenso FG Hamburg, Urteil vom 2. November 2011  1 K 208/10, EFG 2012, 434, unter I.2.b der Gründe).

60

Die sich aus den Grundsätzen des Verhältnismäßigkeitsprinzips ergebenden Obergrenzen für die Steuerbelastung werden nicht überschritten. Maßgeblich für die Frage der Übermaßbesteuerung ist der im betroffenen Erhebungszeitraum erzielte Gewerbeertrag. § 10a Sätze 1 und 2 GewStG beschränkt zwar die Berücksichtigung der vortragsfähigen Fehlbeträge und kann sich damit auf die Höhe der Gewerbesteuer auswirken. Eine Übermaßbelastung scheidet jedoch aus. Selbst wenn im Erhebungszeitraum ein den Sockelbetrag von 1 Mio. € übersteigender positiver Gewerbeertrag erwirtschaftet wurde, werden lediglich 40 % des übersteigenden, im Erhebungszeitraum erwirtschafteten Gewerbeertrags zur Gewerbesteuer herangezogen.

61

6. Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, dass die Einführung der Mindestbesteuerung nicht mit einer Übergangsregelung versehen ist.

62

a) Die Einfügung der Sätze 1 und 2 in § 10a GewStG durch das GewStGuaÄndG wurde nicht mit einer besonderen Anwendungsregelung in § 36 GewStG verbunden. Die Neuregelung trat am 1. Januar 2004 in Kraft (Art. 4 GewStGuaÄndG). Nach der Generalklausel des § 36 Abs. 1 GewStG in seiner damaligen, durch das StVergAbGProtUmsG vom 22. Dezember 2003 (BStBl II 2003, 2840) geschaffenen Fassung galt die Mindestbesteuerung gemäß § 10a Sätze 1 und 2 GewStG erstmals für den gesamten Erhebungszeitraum 2004.

63

Die Anwendung des § 10a Sätze 1 und 2 GewStG im Erhebungszeitraum 2004 bedeutet, dass vortragsfähige Verluste aus vorhergehenden Erhebungszeiträumen erstmals im Jahr 2004 nur noch in den neu gezogenen Grenzen abgezogen werden konnten. Im Hinblick auf die bei Inkrafttreten der Neuregelung bestehenden Verlustvorträge ist dies als eine tatbestandliche Rückanknüpfung anzusehen. Diese ist nicht grundsätzlich unzulässig. Nach der jüngsten Rechtsprechung des BVerfG muss der Gesetzgeber aber, soweit er für künftige Rechtsfolgen an zurückliegende Sachverhalte anknüpft, dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maß Rechnung tragen. Die Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden, und das Vertrauen des Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage sind abzuwägen (BVerfG-Beschlüsse vom 7. Juli 2010  2 BvL 1/03, 2 BvL 57/06, 2 BvL 58/06, BVerfGE 127, 31; 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BVerfGE 127, 1; 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, BVerfGE 127, 61).

64

b) Die Erstreckung der Mindestbesteuerung auf bereits aufgelaufene Verlustvorträge war hier erklärtes Ziel des Gesetzgebers, denn die Streckung der Verlustvorträge sollte sofort haushaltswirksam werden (s. BTDrucks 15/1517, S. 15). Eine Übergangsregelung kam aus der Sicht des Gesetzgebers deshalb nicht in Frage.

65

Schutzwürdiges Vertrauen der Steuerpflichtigen wurde dadurch nicht enttäuscht. Denn der Verlustvortrag beinhaltet noch keine geschützte Vermögensposition, weil ein vorgetragener Verlust erst dann und nur in dem Umfang für den Steuerpflichtigen günstige Wirkungen entfalten kann, wenn und soweit später Gewinne erzielt werden, die mit den Verlusten ausgeglichen werden können und zudem über ggf. zu gewährende Freibeträge hinausgehen. Danach genießen weder die Erwartung, den Verlust in einem bestimmten Zeitraum abziehen zu können, noch die Hoffnung darauf, bis zum Ende der Steuerpflicht alle Verlustvorträge verrechnen zu können, einen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz. Sie stehen dem Interesse des Gesetzgebers an einer sofortigen Streckung der Verrechnung bereits aufgelaufener Verluste nicht entgegen, und zwar auch nicht unter dem Aspekt, dass die Verluststreckung zugleich das Risiko einer endgültig ausfallenden Verlustverrechnung erhöht (ebenso BFH-Urteil vom 22. August 2012 I R 9/11, m.w.N.).

66

7. Ist § 10a Sätze 1 und 2 GewStG danach bereits in seiner allgemeinen Grundsätzen folgenden Auslegung als mit der Verfassung vereinbar zu beurteilen, bleibt kein Raum für eine von der Klägerin begehrte verfassungskonforme Auslegung.

67

Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG ist ein Gesetz nicht verfassungswidrig, wenn eine Auslegung möglich ist, die im Einklang mit dem GG steht, und das Gesetz bei dieser Auslegung sinnvoll bleibt (erstmals BVerfG-Beschluss vom 7. Mai 1953  1 BvL 104/52, BVerfGE 2, 266, Leitsatz 4). Lassen der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen und deren Sinn und Zweck mehrere Deutungen zu, von denen eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt, so ist diese geboten (z.B. BVerfG-Beschluss vom 9. August 1978  2 BvR 831/76, BVerfGE 49, 148, unter B.I.2.b der Gründe). Art. 20 Abs. 3 GG verpflichtet die Gerichte, "nach Gesetz und Recht" zu entscheiden. Eine bestimmte Auslegungsmethode (oder gar eine reine Wortinterpretation) schreibt die Verfassung nicht vor. Eine Rechtsfortbildung "praeter legem" bedarf zwar sorgfältiger Begründung, ist jedoch nicht von vornherein ausgeschlossen (BVerfG-Beschluss vom 30. März 1993  1 BvR 1045/89, 1 BvR 1381/90, 1 BvL 11/90, BVerfGE 88, 145, unter C.II.1. der Gründe).  

68

Eine verfassungskonforme Auslegung kommt danach nur in Betracht, wenn von mehreren Auslegungsmöglichkeiten eine zur Verfassungswidrigkeit führen würde. In seiner vom Senat vertretenen Auslegung ist § 10a Sätze 1 und 2 GewStG indessen nach den vorstehenden Erwägungen mit der Verfassung vereinbar (ebenso BFH-Urteil vom 22. August 2012 I R 9/11). Für eine verfassungskonforme Auslegung besteht demgemäß insoweit kein Anlass.

69

8. Das angefochtene Urteil entspricht den vorstehend erläuterten Grundsätzen. Die Revision der Klägerin hat daher keinen Erfolg.

(1) Der Gemeinsame Senat entscheidet, wenn ein oberster Gerichtshof in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen obersten Gerichtshofs oder des Gemeinsamen Senats abweichen will.

(2) Sind nach den Gerichtsverfassungs- oder Verfahrensgesetzen der Große Senat oder die Vereinigten Großen Senate eines obersten Gerichtshofs anzurufen, so entscheidet der Gemeinsame Senat erst, wenn der Große Senat oder die Vereinigten Großen Senate von der Entscheidung eines anderen obersten Gerichtshofs oder des Gemeinsamen Senats abweichen wollen.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH & Co. KG, die 1993 errichtet wurde. Sie erwarb mit Vertrag vom 24. Oktober 1994 als einzige wesentliche Betriebsgrundlage ein Flugzeug, das sie für den Zeitraum vom 9. Dezember 1994 bis 8. Dezember 2004 an eine X-Gesellschaft vermietete. Gleichzeitig räumte eine ... Limited (Ltd. 1) der Klägerin das Recht ein, das Flugzeug mit einer sechsmonatigen Andienungsfrist zum 9. Dezember 2004 zu einem Verkaufspreis von ... US-Dollar an sie zu veräußern. Außerdem verpflichtete sich die Ltd. 1, der Klägerin die aus dem Verkauf entstehenden Steuerbelastungen einschließlich der Gewerbesteuer zu erstatten.

2

Die Verkaufsoption übte die Klägerin mit Schreiben vom 5. April 2004 aus. Am 30. September 2004 fassten die Gesellschafter der Klägerin den Beschluss, mit Ablauf des 8. Dezember 2004 die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft aufzugeben, diese gleichzeitig aufzulösen und das Flugzeug am 9. Dezember 2004 an eine weitere Limited (Ltd. 2) zu veräußern. In der Folge schlossen die Klägerin, die X-Gesellschaft, die Ltd. 1 und die Ltd. 2 am 4. Oktober 2004 einen Vertrag, in dem u.a. vereinbart wurde, dass die Rechte und Pflichten aus dem mit Ausübung des Andienungsrechts der Klägerin zu Stande gekommenen Kaufvertrag über das Flugzeug von der Ltd. 2 übernommen würden. Außerdem sah der Vertrag vor, dass die X-Gesellschaft das Flugzeug von der Ltd. 2 weiter anmieten und der Klägerin die aus dem Verkauf entstehenden Steuerbelastungen, einschließlich der Gewerbesteuer, erstatten werde.

3

Für das Streitjahr (2004) ermittelte die Klägerin laufende Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von ... € und einen Veräußerungsgewinn in Höhe von ... €. In ihrer Gewerbesteuererklärung erklärte sie einen Gewerbeertrag in Höhe von ... € und beantragte, den zum 31. Dezember 2003 gesondert festgestellten vortragsfähigen Gewerbeverlust in voller Höhe abzuziehen.

4

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte den zum 31. Dezember 2003 festgestellten vortragsfähigen Gewerbeverlust gemäß § 10a Sätze 1 und 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) in der ab 1. Januar 2004 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes und anderer Gesetze vom 23. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2922, BStBl I 2004, 20) --GewStGuaÄndG-- nur beschränkt in Höhe von ... € und setzte mit Bescheid vom 21. Dezember 2005 einen Gewerbesteuermessbetrag von ... € fest.

5

Dagegen erhob die Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage. Sie machte geltend, die --sowohl nach dem Wortlaut der Vorschrift als auch rechnerisch zutreffende-- Anwendung der Mindestbesteuerung sei im Streitfall aus verfassungsrechtlichen Gründen unzulässig. Denn durch die beschränkte Berücksichtigung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts werde ihr der Verlustausgleich in Höhe von ... € endgültig versagt, weil sie ihre Geschäftstätigkeit zum 8. Dezember 2004 aufgegeben habe. Dadurch werde sie in ihren Grundrechten aus dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--) und auf Gewährleistung des Eigentums (Art. 14 GG) verletzt.

6

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Die Anwendung der Mindestbesteuerung nach § 10a GewStG führe zu keiner Verletzung der Besteuerungsgleichheit oder des objektiven Nettoprinzips in seinem verfassungsrechtlich geschützten Kern. Zwar stelle der endgültige Verlust eines Teils des zum 31. Dezember 2003 festgestellten Gewerbeverlustvortrags eine Abweichung vom objektiven Nettoprinzip dar. Dies sei jedenfalls dann durch die Ziele des Gesetzgebers --die Stärkung und Verstetigung der steuerlichen Gemeindefinanzierung (BTDrucks 15/1517, S. 12, S. 19)-- gerechtfertigt, wenn es wie im Streitfall auf der vom Steuerpflichtigen selbst herbeigeführten Abkürzung des zur Verlustverrechnung nutzbaren Zeitraums beruhe. Eine Verletzung des Art. 14 GG durch den Gewerbesteuermessbescheid sei bereits deshalb ausgeschlossen, weil sich die tatsächliche Steuerbelastung erst aus dem Gewerbesteuerbescheid ergebe. Anhaltspunkte dafür, dass der volle Verlustabzug aus Gründen des Vertrauensschutzes geboten sein könnte, ergäben sich weder aus dem Klagevorbringen noch aus dem sonstigen Akteninhalt. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2010, 1914 veröffentlicht.

7

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von Verfahrensrecht sowie der Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 14 GG, des grundrechtlich und rechtsstaatlich gewährleisteten Vertrauensschutzes und des im Wege teleologischer Reduktion verfassungskonform auszulegenden § 10a Satz 2 GewStG.

8

Sie beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Gewerbesteuermessbetrag für 2004 unter Änderung des Gewerbesteuermessbescheids vom 21. Dezember 2005 und der Einspruchsentscheidung vom 29. Januar 2007 unter Berücksichtigung des zum 31. Dezember 2003 gesondert festgestellten vortragsfähigen Gewerbeverlusts in Höhe von ... € auf ... € herabzusetzen.

9

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

10

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten.

Entscheidungsgründe

11

II. Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das angefochtene Urteil beruht nicht auf einem Verfahrensmangel und das FG hat § 10a Sätze 1 und 2 GewStG, Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 14 GG zutreffend angewandt.

12

1. Die Verfahrensrüge, mit der die Klägerin geltend macht, das FG habe die Sachaufklärungspflicht verletzt (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) und den Sachverhalt widersprüchlich gewürdigt, greift nicht durch. Der Senat sieht insoweit von einer Begründung ab (§ 126 Abs. 6 FGO).  

13

2. Der Gewinn aus der Veräußerung des Flugzeugs gehörte zum gewerbesteuerbaren laufenden Gewinn der Klägerin. Davon sind auch die Beteiligten und das FG ausgegangen.

14

a) Die Klägerin unterliegt der Gewerbesteuer selbst dann, wenn ihre Tätigkeit --was der Senat deshalb dahinstehen lassen kann-- nicht alle Merkmale eines Gewerbebetriebs i.S. des § 15 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erfüllen sollte.

15

Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG unterliegt der Gewerbesteuer jeder stehende, im Inland betriebene Gewerbebetrieb. Unter Gewerbebetrieb ist ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des EStG zu verstehen (§ 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG). Neben originär gewerblich tätigen Unternehmen gehören dazu auch gewerblich geprägte Personengesellschaften, deren Tätigkeit infolge der einkommensteuerlichen Fiktion des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG als Gewerbebetrieb gilt, obwohl sie keine originär gewerblichen Einkünfte erzielen. Diese Fiktion gilt auch für Zwecke der Gewerbesteuer (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20. November 2003 IV R 5/02, BFHE 204, 471, BStBl II 2004, 464).

16

Sofern die Klägerin nicht originär gewerblich tätig gewesen sein sollte, erfüllt sie zumindest die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EStG. Ihr einziger persönlich haftender Gesellschafter ist eine Kapitalgesellschaft, und nur diese Gesellschafterin sowie Personen, die nicht Gesellschafter sind, sind zur Geschäftsführung befugt.

17

b) Einzelunternehmen und Mitunternehmerschaften sind sachlich gewerbesteuerpflichtig nur, wenn und solange sie einen Gewerbebetrieb im Sinne des Gewerbesteuerrechts unterhalten. Die sachliche Gewerbesteuerpflicht endet deshalb mit der dauerhaften Einstellung der werbenden Tätigkeit (ständige Rechtsprechung, u.a. BFH-Urteile vom 24. April 1980 IV R 68/77, BFHE 131, 70, BStBl II 1980, 658, unter 1. der Gründe; vom 20. März 1990 VIII R 47/86, BFH/NV 1990, 799, unter 1.a der Gründe; vom 26. Juni 2007 IV R 49/04, BFHE 217, 150, BStBl II 2009, 289, unter II.2.a der Gründe). Auch bei einer gewerblich geprägten Gesellschaft endet die sachliche Gewerbesteuerpflicht mit dem Ende der werbenden Tätigkeit (BFH-Urteil in BFHE 204, 471, BStBl II 2004, 464, unter III.2. der Gründe). Die Rechtsform der beteiligten Mitunternehmer ist ohne Bedeutung (BFH-Urteil vom 5. März 1998 IV R 23/97, BFHE 186, 142, BStBl II 1998, 745, unter 1.b der Gründe). Entgegen der Ansicht des BMF hat die Einfügung des § 7 Satz 2 GewStG zu keiner Änderung dieser rechtlichen Beurteilung geführt (BFH-Urteil vom 30. August 2012 IV R 54/10, Deutsches Steuerrecht 2012, 2180, BFHE 238, 198, unter II.1.d und II.3. der Gründe).

18

c) Gewinne aus der Veräußerung von Wirtschaftsgütern des Anlage- wie auch des Umlaufvermögens können zum gewerbesteuerbaren (laufenden) Gewinn oder zum nicht gewerbesteuerbaren Aufgabegewinn gehören. Maßgeblich ist, ob mit der Veräußerung die bisherige normale Geschäftstätigkeit fortgesetzt wird oder ob die Veräußerung im wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Aufgabe des Betriebs erfolgt (BFH-Urteil in BFHE 217, 150, BStBl II 2009, 289, unter II.2.c cc der Gründe). Der Gewinn aus der Veräußerung eines zum Anlagevermögen zählenden Flugzeugs gehört danach zum gewerbesteuerbaren (laufenden) Gewinn, wenn die Veräußerung Bestandteil eines einheitlichen Geschäftskonzepts der unternehmerischen Tätigkeit ist. Hiervon ist im Streitfall auszugehen, wie zwischen den Beteiligten nicht streitig ist.

19

3. Das FA hat den Gewerbeertrag unter Berücksichtigung des § 10a Sätze 1 und 2 GewStG zutreffend ermittelt. Nach dieser Vorschrift wird der maßgebende Gewerbeertrag bis zu einem Betrag in Höhe von 1 Mio. € um die Fehlbeträge gekürzt, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume nach den Vorschriften der §§ 7 bis 10 GewStG ergeben haben, soweit die Fehlbeträge nicht bei der Ermittlung des Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume berücksichtigt worden sind. Der 1 Mio. € übersteigende maßgebende Gewerbeertrag ist bis zu 60 % um die verbleibenden Fehlbeträge der vorangegangenen Erhebungszeiträume zu kürzen. Die Anwendung der Regelung führt dazu, dass anstelle der gesamten Fehlbeträge aus früheren Erhebungszeiträumen von ... € nur ... € vom maßgebenden Gewerbeertrag des Streitjahres abgezogen werden können. Der angefochtene Bescheid entspricht dieser Rechtslage, worüber zwischen den Beteiligten ebenfalls kein Streit besteht.

20

4. Die Mindestbesteuerung nach § 10a Sätze 1 und 2 GewStG verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG (ebenso BFH-Urteil vom 22. August 2012 I R 9/11, juris, BFHE 238, 419).

21

a) Der Gleichheitssatz gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen.

22

aa) Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Für die Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Differenzierungen kommt es wesentlich darauf an, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG--; vgl. z.B. BVerfG-Beschluss vom 6. Juli 2010  2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268, Rz 35, m.w.N.).

23

bb) Im Bereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum. Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft und die es so als rechtlich gleich qualifiziert, wird hier, insbesondere im Bereich des Einkommensteuerrechts, vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast an der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit. Danach muss im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedrigerer Einkommen angemessen sein muss. Bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands muss die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umgesetzt werden. Ausnahmen von einer solchen folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 126, 268, Rz 36, m.w.N.).

24

cc) Als besondere sachliche Gründe für Ausnahmen von einer folgerichtigen Umsetzung und Konkretisierung steuergesetzlicher Belastungsentscheidungen hat das BVerfG in seiner bisherigen Rechtsprechung vor allem außerfiskalische Förderungs- und Lenkungszwecke sowie Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse anerkannt, nicht jedoch den rein fiskalischen Zweck staatlicher Einnahmenerhöhung (vgl. z.B. BVerfG-Urteil vom 9. Dezember 2008  2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, Rz 58 ff.). Der Finanzbedarf des Staates oder eine knappe Haushaltslage reichen für sich allein nicht aus, um ungleiche Belastungen durch konkretisierende Ausgestaltung der steuerrechtlichen Grundentscheidungen zu rechtfertigen. Auch wenn der Staat auf Einsparungsmaßnahmen angewiesen ist, muss er auf eine gleichheitsgerechte Verteilung der Lasten achten (BVerfG-Urteil in BVerfGE 122, 210, Rz 61). Besondere ("qualifizierte") Fiskalzwecke können aber als Rechtfertigungsgrund in Betracht kommen (anerkannt z.B. für unerwartete staatliche Mehrausgaben im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung, BVerfG-Beschluss vom 5. Februar 2002  2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93, BVerfGE 105, 17, Rz 89).

25

dd) Als Rechtfertigungsgrund ist insbesondere die Befugnis des Gesetzgebers zur Vereinfachung und Typisierung zu beachten: Jede gesetzliche Regelung muss verallgemeinern. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen ist der Gesetzgeber berechtigt, die Vielzahl der Einzelfälle in dem Gesamtbild zu erfassen, das nach den ihm vorliegenden Erfahrungen die regelungsbedürftigen Sachverhalte zutreffend wiedergibt. Auf dieser Grundlage darf er grundsätzlich generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen.

26

Typisierung bedeutet, bestimmte in wesentlichen Elementen gleich geartete Lebenssachverhalte normativ zusammenzufassen. Besonderheiten, die im Tatsächlichen durchaus bekannt sind, können generalisierend vernachlässigt werden. Der Gesetzgeber darf sich grundsätzlich am Regelfall orientieren und ist nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen. Die gesetzlichen Verallgemeinerungen müssen allerdings von einer möglichst breiten, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließenden Beobachtung ausgehen. Insbesondere darf der Gesetzgeber für eine gesetzliche Typisierung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss realitätsgerecht den typischen Fall als Maßstab zugrunde legen (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 126, 268, Rz 38, m.w.N.).

27

Folge einer Typisierung ist notwendigerweise, dass die Verhältnisse des Einzelfalls unberücksichtigt bleiben. Darin liegende Ungleichbehandlungen sind durch die Typisierungsbefugnis grundsätzlich gerechtfertigt. Ist vorhersehbar, dass in Ausnahmefällen besondere Härten auftreten können, die nicht in zumutbarer Weise durch gesetzliche Sonderregelungen vermeidbar sind, steht dies der Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers nicht entgegen, wenn für deren Behebung im Einzelfall Billigkeitsmaßnahmen zur Verfügung stehen. Bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit von generalisierenden und typisierenden Normen des Steuerrechts fällt insbesondere die Möglichkeit des Steuererlasses zur Milderung unbilliger Härten ins Gewicht (BVerfG-Beschluss vom 5. April 1978  1 BvR 117/73, BVerfGE 48, 102; BFH-Urteile vom 6. Februar 1976 III R 24/71, BFHE 118, 151; vom 23. März 1998 II R 41/96, BFHE 185, 270, BStBl II 1998, 396; vom 27. Mai 2004 IV R 55/02, BFH/NV 2004, 1555).

28

ee) Die für die Lastengleichheit im Gewerbesteuerrecht maßgebliche finanzielle Leistungsfähigkeit ist grundsätzlich nach dem objektiven Nettoprinzip zu bemessen.

29

(1) Das objektive Nettoprinzip gilt auch für die Gewerbesteuer, weil die Gewerbesteuer im Hinblick auf die Bemessung des Gewerbeertrags nach den Vorschriften des EStG und des Körperschaftsteuergesetzes --KStG-- (§ 7 Satz 1 GewStG) ebenso wie die Einkommensteuer und die Körperschaftsteuer an die Ertragskraft des Unternehmens anknüpft (BVerfG-Beschluss vom 15. Januar 2008  1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1, Rz 112 ff.). Danach unterliegt im Bereich der Unternehmensbesteuerung grundsätzlich nur das Nettoeinkommen der Besteuerung. Betriebsausgaben müssen folglich grundsätzlich steuerlich abziehbar sein (BVerfG-Beschluss vom 12. Oktober 2010  1 BvL 12/07, BVerfGE 127, 224, Rz 57).

30

(2) Allerdings bedingt der Charakter der Gewerbesteuer als Objektsteuer Einschränkungen des objektiven Nettoprinzips.

31

(a) Das Objektsteuerprinzip liegt verschiedenen Regelungen des geltenden GewStG zugrunde. Hierzu gehören etwa die Hinzurechnung von Betriebsausgaben nach § 8 GewStG und die Kürzung von Betriebseinnahmen nach § 9 GewStG. Auch das Erfordernis der Unternehmensidentität für den Verlustausgleich nach § 10a GewStG ist eine Ausprägung des Objektsteuercharakters der Gewerbesteuer. Unternehmensidentität bedeutet, dass der im Anrechnungsjahr bestehende Gewerbebetrieb identisch sein muss mit dem Gewerbebetrieb, in dem der Verlust entstanden ist (u.a. BFH-Urteile vom 12. Januar 1978 IV R 26/73, BFHE 124, 348, BStBl II 1978, 348; vom 14. September 1993 VIII R 84/90, BFHE 174, 233, BStBl II 1994, 764; R 10a.2 Satz 1 der Gewerbesteuer-Richtlinien 2009).

32

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH folgt aus dem Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer für solche Gewerbebetriebe, deren Tätigkeit nicht nach § 2 Abs. 2 GewStG stets und in vollem Umfang als Gewerbebetrieb gilt, dass nur der auf den laufenden Betrieb entfallende, durch eigene gewerbliche Leistungen entstandene Gewinn der Gewerbesteuer unterliegt (s. oben unter II.2.b). Nicht zu berücksichtigen sind daher Verluste, die vor Aufnahme der werbenden Tätigkeit entstanden sind, oder die nicht dem laufenden Betrieb, sondern dessen Aufgabe oder Veräußerung zuzuordnen sind (u.a. BFH-Urteil in BFHE 217, 150, BStBl II 2009, 289, unter II.2. der Gründe), auch wenn sie die Leistungsfähigkeit des Gewerbetreibenden vermindern. Ebenso wenig sind entsprechende Gewinne in die Ermittlung des Gewerbeertrags einzubeziehen, obschon sie die Leistungsfähigkeit des Gewerbetreibenden vergrößern.

33

(b) Das der Gewerbeertragsbesteuerung zugrunde liegende gesetzgeberische Konzept hat von Beginn an die Möglichkeit einer Definitivbelastung mit Gewerbesteuer auch bei periodenübergreifend überwiegenden Verlusten nicht ausgeschlossen.

34

(aa) Die vor Inkrafttreten des reichseinheitlichen GewStG bestehenden GewStG der Länder erlaubten einen gewerbesteuerlichen Verlustvor- oder -rücktrag nicht (vgl. Übersicht über die GewStG der Länder, RStBl 1937, 699). Der Reichsfinanzhof (RFH) verneinte die Anwendbarkeit der im KStG bzw. EStG vorgesehenen Möglichkeit zur Berücksichtigung einer Unterbilanz bzw. eines Verlustvortrags bei der Ermittlung des Gewerbeertrags unter Hinweis auf den Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer, die als eine Art von Beitrag aufgefasst werden könne (RFH-Urteil vom 10. Juli 1935 IV A 33/35, RFHE 38, 120, zum Oldenburgischen GewStG). Zur Begründung hat er ausgeführt, bereits das preußische Oberverwaltungsgericht habe in ständiger Rechtsprechung als (gewerbesteuerlichen) Ertrag den Inbegriff dessen angesehen, was innerhalb einer gewissen Periode an Geldwerten, Gütern und Nutzungen durch objektiven Gewerbebetrieb hervorgebracht werde und damit in ständiger Rechtsprechung die Anrechnung von Verlusten aus Vorjahren auf spätere Gewinnjahre für unvereinbar gehalten. Durch die Anrechnung von Verlusten aus früheren Geschäftsjahren auf spätere Ertragsjahre würde ein Merkmal in die Gewerbesteuer hineingetragen, das dem Objektsteuercharakter offensichtlich widerspreche und überdies mit dem der Gewerbesteuer zugrunde liegenden steuerpolitischen Zweckgedanken nicht in Einklang zu bringen sei, wonach diese eine Art Gegenleistung für die den Gemeinden durch die Gewerbebetriebe verursachten Lasten darstellen solle. Die Berücksichtigung von Vorjahresverlusten in späteren Ertragsjahren könne dazu führen, dass es in diesen Jahren an der entsprechenden Gegenleistung für die durch den Gewerbebetrieb verursachten Lasten fehle, trotzdem in diesen Jahren Ertrag vorhanden sei; dieser Ausfall im Gemeindefinanzbedarf müsse dann auf andere Steuerpflichtige umgelegt werden.

35

(bb) Das Gewerbesteuerrahmengesetz (GewStRG) vom 1. Dezember 1930 (RGBl I 1930, 537) räumte in § 12 Nr. 3 die Möglichkeit eines zweijährigen Verlustvortrags für buchführende Unternehmungen ein (vgl. Orth, Interperiodische Verlust-Kompensation im Gewerbesteuerrecht, Studien zum Finanz- und Steuerrecht, Bd. 4, 1980, S. 24, S. 82). Allerdings hat es sich nicht durchsetzen können und wurde nur von den Ländern Mecklenburg und Oldenburg übernommen (RStBl 1937, 693). Die Neufassung des GewStRG vom 30. Juni 1935 (RGBl I 1935, 830) sah keinerlei Möglichkeit zur Verrechnung von Gewerbeverlusten vor.

36

(cc) Auch unter Geltung des GewStG vom 1. Dezember 1936 (RGBl I 1936, 979) bestand zunächst keine Möglichkeit, Gewerbeverluste auszugleichen. Mit Runderlass vom 14. Juli 1939 L 1460-1/39 III (RStBl 1939, 849) ließ das Reichsfinanzministerium nach Einführung eines entsprechenden Verlustvortrags bei der Einkommensteuer auch für die Gewerbesteuer einen zweijährigen Verlustvortrag zu, der --möglicherweise gedanklich an die Berücksichtigung einer Unterbilanz anknüpfend-- nur für buchführende Gewerbebetriebe galt. Für andere Gewerbebetriebe bestand weiterhin keine Möglichkeit zum Verlustausgleich. Als Rechtsgrundlage der Regelung wurden zunächst nachträglich § 19 der Dritten Verordnung zur Durchführung des Gewerbesteuergesetzes vom 31. Januar 1940 (RGBl I 1940, 284) und später § 10a GewStG eingeführt (durch Gesetz zur Änderung des Gewerbesteuerrechts vom 27. Dezember 1951, BGBl I 1951, 996). Dabei wurde der Verlustvortrag von einer ordnungsgemäßen Buchführung abhängig gemacht und zunächst auf drei Jahre, später auf fünf Jahre ausgedehnt (Gesetz zur Neuordnung von Steuern vom 16. Dezember 1954, BGBl I 1954, 373). Ab 1975 entfielen die Erforderlichkeit einer ordnungsmäßigen Buchführung (Einführungsgesetz zum Einkommensteuerreformgesetz vom 21. Dezember 1974, BGBl I 1974, 3656) sowie die Beschränkung auf buchführende Betriebe (rückwirkend durch das Steuerbereinigungsgesetz 1986 vom 19. Dezember 1985, BGBl I 1985, 2436). Ab 1985 entfiel auch die zeitliche Begrenzung des Verlustvortrags (Steuerreformgesetz 1990 vom 25. Juli 1988, BGBl I 1988, 1093).

37

(c) Die Möglichkeit eines Verlustrücktrags bestand bei der Gewerbesteuer zu keinem Zeitpunkt. Der Gesetzgeber hat dabei dem Interesse der Gemeinden an einer funktionierenden Haushaltspolitik Vorrang vor dem wirtschaftlichen Interesse der betroffenen Gewerbebetriebe eingeräumt.

38

(aa) Im Zusammenhang mit der Einführung eines Verlustrücktrags bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer wurde eine solche Maßnahme auch für die Gewerbesteuer geprüft, jedoch abgelehnt, weil "die Gemeinden hierdurch in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten kommen könnten. Denn --anders als beim Verlustvortrag-- könnte ein Verlustrücktrag dazu führen, dass insbesondere kleinere Gemeinden bei einer Rückzahlung vereinnahmter und bereits im Haushalt verplanter Gewerbesteuern in größte Schwierigkeiten kommen würden" (BTDrucks 7/4604, S. 3; BTDrucks 7/4705, S. 3; ähnlich BRDrucks 828/1/74, zu I 2; kritisch Orth, Interperiodische Verlust-Kompensation im Gewerbesteuerrecht, a.a.O., S. 230 ff.).

39

(bb) Der BFH hat das Fehlen eines Verlustrücktrags verfassungsrechtlich nicht beanstandet (Urteil vom 31. Juli 1990 I R 62/86, BFHE 161, 570, BStBl II 1990, 1083). Die Regelung sei systemgerecht innerhalb der Rechtsordnung. Als zusätzliche Rechtfertigung könne der Gesichtspunkt des kommunalen Selbstverwaltungsrechts herangezogen werden (BFH-Urteil in BFHE 161, 570, BStBl II 1990, 1083, unter II.A.1.d bb der Gründe). Einer Substanzgefährdung der betroffenen Unternehmen könne durch die angemessene Entrichtung von Vorauszahlungen oder die Bildung einer angemessenen Rückstellung für die Gewerbesteuerschuld aus dem Gewinnjahr hinreichend begegnet werden; dennoch eintretende Gefährdungen hätten ihre Ursache nicht in der Gewerbesteuer für den vorangegangenen Erhebungszeitraum, sondern in den zwischenzeitlich im Betrieb erwirtschafteten Verlusten (BFH-Urteil in BFHE 161, 570, BStBl II 1990, 1083, unter II.A.1.d dd der Gründe).

40

(3) Das BVerfG hat bisher offengelassen, ob das objektive Nettoprinzip Verfassungsrang hat (aus neuerer Zeit etwa BVerfG-Beschluss in BVerfGE 126, 268, Rz 40). Jedenfalls kann der Gesetzgeber dieses Prinzip beim Vorliegen gewichtiger Gründe durchbrechen und sich dabei generalisierender, typisierender und pauschalierender Regelungen bedienen. Hiernach entfaltet schon das einfach-rechtliche objektive Nettoprinzip Bedeutung vor allem im Zusammenhang mit den Anforderungen an hinreichende Folgerichtigkeit bei der näheren Ausgestaltung der gesetzgeberischen Grundentscheidungen. Die Beschränkung des steuerlichen Zugriffs nach Maßgabe des objektiven Nettoprinzips gehört zu diesen Grundentscheidungen, so dass Ausnahmen von der folgerichtigen Umsetzung der mit dem objektiven Nettoprinzip getroffenen Belastungsentscheidung eines besonderen, sachlich rechtfertigenden Grundes bedürfen (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 126, 268, Rz 40, m.w.N.).

41

b) Nach den vorstehenden Maßstäben ist ein von § 10a Sätze 1 und 2 GewStG ggf. ausgehender Verstoß gegen den Gleichheitssatz nach Überzeugung des erkennenden Senats zumindest gerechtfertigt. Damit schließt sich der Senat der Auffassung des I. Senats des BFH in dessen Urteil vom 22. August 2012 I R 9/11 zur Mindestbesteuerung nach § 10d EStG und § 10a Sätze 1 und 2 GewStG an. Er nimmt ergänzend zu den nachfolgenden Ausführungen auf das Urteil des I. Senats mit seiner umfassenden Darstellung der in Schrifttum und Rechtsprechung vertretenen Auffassungen Bezug.

42

aa) Die Einführung der Mindestbesteuerung bedeutet zunächst insoweit eine Änderung der Konzeption des GewStG, als bisher Verluste bis zur Höhe späterer Gewinne desselben Betriebs immer vollständig abgezogen werden konnten. Die Festsetzung eines Gewerbesteuermessbetrags war ausgeschlossen, soweit nach dem Verlust insgesamt kein den Verlust übersteigender Gewerbeertrag erzielt wurde. Nach § 10a Sätze 1 und 2 GewStG ist die Festsetzung eines Gewerbesteuermessbetrags nicht mehr in jedem Fall ausgeschlossen.

43

Zu dieser Änderung des Besteuerungskonzepts und damit der Belastungsgrundentscheidung war der Gesetzgeber befugt. Sie beruht auf einem sachlichen Grund, der in der Verstetigung des Aufkommens öffentlicher Haushalte, insbesondere kommunaler Haushalte zu sehen ist. Zur Erreichung dieses Ziels ist das gewählte System der Mindestbesteuerung geeignet, denn die Verhinderung einer sofortigen Verrechnung hoher Verluste mit hohen Gewerbeerträgen kann eine Aufkommensglättung bewirken. Von der Änderung der Belastungsgrundentscheidung sind alle Steuersubjekte der Gewerbesteuer in gleicher Weise betroffen. Der Gleichheitssatz ist insoweit nicht verletzt, so dass es in diesem Zusammenhang keines besonderen Rechtfertigungsgrunds (etwa in Gestalt eines qualifizierten Fiskalzwecks, vgl. Desens, Finanz-Rundschau 2011, 745, 749) bedürfte.

44

bb) Nach dem gesetzgeberischen Plan soll § 10a Sätze 1 und 2 GewStG nicht zu einem endgültigen Wegfall von ausgleichsfähigen Fehlbeträgen aus vorangegangenen Erhebungszeiträumen führen. Die Regelung beinhaltet danach keine Beschränkung des Abzugs der während der Dauer der unternehmerischen Tätigkeit entstandenen Betriebsausgaben. Insoweit verstößt § 10a Sätze 1 und 2 GewStG nicht gegen das objektive Nettoprinzip. Zu einer Verletzung des objektiven Nettoprinzips kann es nur mittelbar dann kommen, wenn die zeitliche Hinauszögerung des Verlustabzugs im Ergebnis zur Folge hat, dass der ansonsten abziehbare Verlust überhaupt nicht mehr abgezogen werden kann. Verluste setzen sich aus verschiedenen Bestandteilen zusammen, die zu einem geminderten Betriebsvermögen führen. Sie ergeben sich aus einem Überschuss der Betriebsausgaben über die Betriebseinnahmen und beinhalten auch vom objektiven Nettoprinzip geschützte Betriebsausgaben.

45

Zins- und Liquiditätsnachteile, die durch einen zeitlich hinausgeschobenen Abzug von Betriebsausgaben eintreten, verletzen das objektive Nettoprinzip grundsätzlich nicht. Eine Ausnahme wird davon allenfalls dann zu machen sein, wenn die zeitliche Verzögerung den Betriebsausgabenabzug für den Steuerpflichtigen wirtschaftlich wertlos macht, weil der Zinsnachteil die durch den Abzug ausgelöste Steuerminderung nahezu aufwiegt. Von einer derartigen Entwertung des Abzugs kann nach der Ausgestaltung des § 10a Sätze 1 und 2 GewStG nicht die Rede sein, denn Sockelbetrag und prozentualer Zusatzabzug sichern in jedem Erhebungszeitraum erhebliche Abzugsbeträge, die einerseits zu einer sofortigen Steuerminderung führen und andererseits den Abbau auch größerer Verlustvorträge in einem überschaubaren Zeitraum regelmäßig ermöglichen sollten.

46

cc) Die mittelbar durch eine steuergesetzliche Regelung eintretende Verletzung des objektiven Nettoprinzips bedarf in ähnlicher Weise einer Rechtfertigung wie eine vom Gesetz gezielt vorgenommene Verletzung. Unbeabsichtigte wie beabsichtigte Eingriffe in das objektive Nettoprinzip können aber durch die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers gerechtfertigt sein.

47

Den Anforderungen, die an die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers zu stellen sind, genügt die gewerbesteuerliche Mindestbesteuerung nach § 10a Sätze 1 und 2 GewStG.

48

(1) Für die Streckung des Verlustabzugs konnte generalisierend an die Höhe des im Erhebungszeitraum erzielten Gewerbeertrags angeknüpft werden. Dabei ist durch die Verknüpfung eines statischen (Sockelbetrag) und eines dynamischen (prozentualer Abzug) Elements sichergestellt, dass kein Steuerpflichtiger in einem Erhebungszeitraum mit positivem Gewerbeertrag vollständig vom Verlustabzug ausgeschlossen ist und der Verlustabzug zugleich unter Beachtung des Erfordernisses vertikaler Gleichheit vorgenommen werden kann. Soweit es durch die Streckung nicht zu einem endgültigen Wegfall von Verlustvorträgen kommt, musste der Gesetzgeber im Rahmen der Typisierung keine weiteren Kriterien berücksichtigen.

49

(2) Anders verhält es sich allerdings mit den vorhersehbaren Fällen, in denen die Streckung zugleich zu einem endgültigen Untergang des Verlustvortrags führt.

50

(a) Es war abzusehen, dass es unter zwei Voraussetzungen zu einer durch die Streckung veranlassten definitiven Belastung mit Gewerbesteuer kommen kann. Einerseits kann die Verrechnung des gestreckten Verlustbetrags unmöglich werden, wenn in den auf den beschränkten Abzug eines Verlustvortrags folgenden Erhebungszeiträumen keine weiteren positiven Gewerbeerträge erzielt werden. Andererseits kann der Ergebnisverlauf eines Unternehmens so strukturiert sein, dass ein positiver Gewerbeertrag nur im letzten Jahr der werbenden Tätigkeit erzielt wird und die in den Vorjahren aufgelaufenen Verlustvorträge wegen der Abzugsbeschränkung nicht vollständig von dem positiven Gewerbeertrag des letzten Jahres abgezogen werden können. Diese Fälle der unbeabsichtigten Verletzung des objektiven Nettoprinzips durften bei einer Typisierung nicht außer Acht gelassen werden.

51

(b) Die Gesetzesmaterialien lassen erkennen, dass die an der Gesetzgebung beteiligten Organe Fälle der Definitivbesteuerung infolge der Mindeststeuer erkannt und bei der Ausgestaltung des Gesetzes berücksichtigt haben.

52

Am 26. September 2003 führte der Finanzausschuss des Deutschen Bundestages eine öffentliche Anhörung zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz (StVergAbGProtUmsG) durch, deren Gegenstand auch die Mindeststeuer war (im Einzelnen Wortprotokoll des Finanzausschusses, Nr. 15/30). Dabei legten Sachverständige dar, dass die Gesetzesbegründung, wonach es nur um eine Streckung und nicht um endgültige Verluste gehe, "klar nicht richtig" sei. In zyklischen Branchen müsste in Gewinnphasen der Gewinn immer doppelt so hoch sein wie die vorhergehenden Verluste, was unrealistisch sei (Wortprotokoll, Nr. 15/30, S. 3). Die Mindestbesteuerung führe letztendlich zu einer Substanzbesteuerung (Wortprotokoll, Nr. 15/30, S. 4). Insbesondere bei "Start-ups", die immaterielle Wirtschaftsgüter produzierten, bei Projektgesellschaften in der Bauwirtschaft und bei der Errichtung großer Anlagen (z.B. Stahlwerk) könne es zu einer dauerhaften Substanzbesteuerung kommen (Wortprotokoll, Nr. 15/30, S. 16 f. sowie S. 39 bis 41). Das führe zu einer extremen Gefährdung des Mittelstandes und der "Start-ups"; zu deren Schutz müsse der Sockelbetrag mindestens verzehnfacht werden (Wortprotokoll, Nr. 15/30, S. 39).

53

(3) Die gegenüber dem Gesetzentwurf geäußerten Bedenken haben offensichtlich zur Folge gehabt, dass der Sockelbetrag von 100.000 € auf 1 Mio. € verzehnfacht und der Prozentsatz für den Restbetrag von 50 auf 60 % angehoben worden ist. Der erkennende Senat kann anhand des ihm zugänglichen Zahlenmaterials nicht sicher erkennen, ob der Gesetzgeber davon ausgehen durfte, mit den vorgenommenen Anpassungen bezogen auf die Zahl der betroffenen Fälle und die Höhe der definitiv anfallenden Steuer im typischen Anwendungsfall der Mindeststeuer keine besonders belastende Definitivbesteuerung zu bewirken.

54

Einer genaueren Prüfung dieser Frage bedarf es jedoch nicht.

55

(a) Bereits der Umfang der Anpassung spricht dafür, dass eine große Zahl kritischer Fälle nun von einer Definitivbesteuerung verschont bleibt. Dies wird auch dadurch gestützt, dass die Anpassung im Umfang dem entspricht, was im Rahmen der Anhörung sachverständig geäußert wurde. Zu berücksichtigen ist dabei zudem, dass wegen der besonderen Ausgestaltung der Gewerbesteuer als Objektsteuer Verlustvorträge häufiger als bei der Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer bereits ungeachtet der Wirkungen von § 10a Sätze 1 und 2 GewStG untergehen.

56

(b) Es ist nicht zu erkennen, dass durch eine gesetzliche Regelung eine Definitivbelastung in allen verbleibenden denkbaren Einzelfällen hätte ausgeschlossen werden können, ohne das System der Mindestbesteuerung insgesamt aufzugeben und ohne zugleich weitere Verletzungen des Gleichheitssatzes zu bewirken. Kommt es zur Definitivbelastung, weil einem beschränkten Verlustabzug keine weiteren positiven Gewerbeerträge folgen, lässt sich im Jahr der Mindestbesteuerung nicht erkennen, ob und aus welchen Gründen kein weiteres Potenzial für die Verrechnung des gestreckten Verlusts entstehen wird. Würde sich rückwirkend die beschränkte Verlustverrechnung als Ursache für die Definitivbelastung erweisen, könnte die Belastung nur durch eine Korrektur der seinerzeitigen Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags beseitigt werden. Dies käme aber einem Verlustrücktrag nahe, der in dem System der Gewerbesteuer bewusst nicht vorgesehen ist. Wäre Ursache für die Definitivbelastung der Umstand, dass ein positiver Gewerbeertrag nur im letzten Jahr der werbenden Tätigkeit entsteht, würde eine Ausnahme von der Abzugsbeschränkung für derartige Fälle zu einer Ungleichbehandlung mit solchen Unternehmen führen, in denen es trotz gleichförmiger Ergebnisentwicklung zu einer Definitivbelastung kommt.

57

(c) Unter diesen Umständen durfte der Gesetzgeber sich darauf verlassen, dass in den nach Anhebung des Sockelbetrags und des Prozentsatzes für den zusätzlich abziehbaren Betrag nun zahlenmäßig deutlich reduzierten Fällen besondere Härten, die allein von der durch die Verluststreckung ausgelösten Definitivbelastung herrühren, durch Billigkeitsmaßnahmen vermieden werden können. Die Möglichkeit von Billigkeitsmaßnahmen in besonderen Einzelfällen flankiert die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers und gestattet ihm, eine typisierende Regelung zu treffen, bei der Unsicherheiten über Zahl und Intensität der von der typisierenden Regelung nachteilig betroffenen Fälle mit zumutbarem Aufwand nicht beseitigt werden können.

58

5. Die Mindestbesteuerung nach § 10a Sätze 1 und 2 GewStG verletzt auch keine verfassungsrechtlich geschützten Freiheitsrechte.

59

Der Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG ist allerdings betroffen, weil die Gewährleistung des Art. 14 Abs. 1 GG den Grundrechtsträger auch dann schützt, wenn Steuerpflichten --wie im Einkommen- und Gewerbesteuerrecht-- an den Hinzuerwerb von Eigentum anknüpfen (BVerfG-Beschluss vom 18. Januar 2006  2 BvR 2194/99, BVerfGE 115, 97, Rz 33 ff.). Der Eingriff in das Grundrecht ist aber als Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG gerechtfertigt (ebenso FG Hamburg, Urteil vom 2. November 2011  1 K 208/10, EFG 2012, 434, unter I.2.b der Gründe).

60

Die sich aus den Grundsätzen des Verhältnismäßigkeitsprinzips ergebenden Obergrenzen für die Steuerbelastung werden nicht überschritten. Maßgeblich für die Frage der Übermaßbesteuerung ist der im betroffenen Erhebungszeitraum erzielte Gewerbeertrag. § 10a Sätze 1 und 2 GewStG beschränkt zwar die Berücksichtigung der vortragsfähigen Fehlbeträge und kann sich damit auf die Höhe der Gewerbesteuer auswirken. Eine Übermaßbelastung scheidet jedoch aus. Selbst wenn im Erhebungszeitraum ein den Sockelbetrag von 1 Mio. € übersteigender positiver Gewerbeertrag erwirtschaftet wurde, werden lediglich 40 % des übersteigenden, im Erhebungszeitraum erwirtschafteten Gewerbeertrags zur Gewerbesteuer herangezogen.

61

6. Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, dass die Einführung der Mindestbesteuerung nicht mit einer Übergangsregelung versehen ist.

62

a) Die Einfügung der Sätze 1 und 2 in § 10a GewStG durch das GewStGuaÄndG wurde nicht mit einer besonderen Anwendungsregelung in § 36 GewStG verbunden. Die Neuregelung trat am 1. Januar 2004 in Kraft (Art. 4 GewStGuaÄndG). Nach der Generalklausel des § 36 Abs. 1 GewStG in seiner damaligen, durch das StVergAbGProtUmsG vom 22. Dezember 2003 (BStBl II 2003, 2840) geschaffenen Fassung galt die Mindestbesteuerung gemäß § 10a Sätze 1 und 2 GewStG erstmals für den gesamten Erhebungszeitraum 2004.

63

Die Anwendung des § 10a Sätze 1 und 2 GewStG im Erhebungszeitraum 2004 bedeutet, dass vortragsfähige Verluste aus vorhergehenden Erhebungszeiträumen erstmals im Jahr 2004 nur noch in den neu gezogenen Grenzen abgezogen werden konnten. Im Hinblick auf die bei Inkrafttreten der Neuregelung bestehenden Verlustvorträge ist dies als eine tatbestandliche Rückanknüpfung anzusehen. Diese ist nicht grundsätzlich unzulässig. Nach der jüngsten Rechtsprechung des BVerfG muss der Gesetzgeber aber, soweit er für künftige Rechtsfolgen an zurückliegende Sachverhalte anknüpft, dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maß Rechnung tragen. Die Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden, und das Vertrauen des Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage sind abzuwägen (BVerfG-Beschlüsse vom 7. Juli 2010  2 BvL 1/03, 2 BvL 57/06, 2 BvL 58/06, BVerfGE 127, 31; 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BVerfGE 127, 1; 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, BVerfGE 127, 61).

64

b) Die Erstreckung der Mindestbesteuerung auf bereits aufgelaufene Verlustvorträge war hier erklärtes Ziel des Gesetzgebers, denn die Streckung der Verlustvorträge sollte sofort haushaltswirksam werden (s. BTDrucks 15/1517, S. 15). Eine Übergangsregelung kam aus der Sicht des Gesetzgebers deshalb nicht in Frage.

65

Schutzwürdiges Vertrauen der Steuerpflichtigen wurde dadurch nicht enttäuscht. Denn der Verlustvortrag beinhaltet noch keine geschützte Vermögensposition, weil ein vorgetragener Verlust erst dann und nur in dem Umfang für den Steuerpflichtigen günstige Wirkungen entfalten kann, wenn und soweit später Gewinne erzielt werden, die mit den Verlusten ausgeglichen werden können und zudem über ggf. zu gewährende Freibeträge hinausgehen. Danach genießen weder die Erwartung, den Verlust in einem bestimmten Zeitraum abziehen zu können, noch die Hoffnung darauf, bis zum Ende der Steuerpflicht alle Verlustvorträge verrechnen zu können, einen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz. Sie stehen dem Interesse des Gesetzgebers an einer sofortigen Streckung der Verrechnung bereits aufgelaufener Verluste nicht entgegen, und zwar auch nicht unter dem Aspekt, dass die Verluststreckung zugleich das Risiko einer endgültig ausfallenden Verlustverrechnung erhöht (ebenso BFH-Urteil vom 22. August 2012 I R 9/11, m.w.N.).

66

7. Ist § 10a Sätze 1 und 2 GewStG danach bereits in seiner allgemeinen Grundsätzen folgenden Auslegung als mit der Verfassung vereinbar zu beurteilen, bleibt kein Raum für eine von der Klägerin begehrte verfassungskonforme Auslegung.

67

Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG ist ein Gesetz nicht verfassungswidrig, wenn eine Auslegung möglich ist, die im Einklang mit dem GG steht, und das Gesetz bei dieser Auslegung sinnvoll bleibt (erstmals BVerfG-Beschluss vom 7. Mai 1953  1 BvL 104/52, BVerfGE 2, 266, Leitsatz 4). Lassen der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen und deren Sinn und Zweck mehrere Deutungen zu, von denen eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt, so ist diese geboten (z.B. BVerfG-Beschluss vom 9. August 1978  2 BvR 831/76, BVerfGE 49, 148, unter B.I.2.b der Gründe). Art. 20 Abs. 3 GG verpflichtet die Gerichte, "nach Gesetz und Recht" zu entscheiden. Eine bestimmte Auslegungsmethode (oder gar eine reine Wortinterpretation) schreibt die Verfassung nicht vor. Eine Rechtsfortbildung "praeter legem" bedarf zwar sorgfältiger Begründung, ist jedoch nicht von vornherein ausgeschlossen (BVerfG-Beschluss vom 30. März 1993  1 BvR 1045/89, 1 BvR 1381/90, 1 BvL 11/90, BVerfGE 88, 145, unter C.II.1. der Gründe).  

68

Eine verfassungskonforme Auslegung kommt danach nur in Betracht, wenn von mehreren Auslegungsmöglichkeiten eine zur Verfassungswidrigkeit führen würde. In seiner vom Senat vertretenen Auslegung ist § 10a Sätze 1 und 2 GewStG indessen nach den vorstehenden Erwägungen mit der Verfassung vereinbar (ebenso BFH-Urteil vom 22. August 2012 I R 9/11). Für eine verfassungskonforme Auslegung besteht demgemäß insoweit kein Anlass.

69

8. Das angefochtene Urteil entspricht den vorstehend erläuterten Grundsätzen. Die Revision der Klägerin hat daher keinen Erfolg.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH & Co. KG, die mit notariellem Vertrag vom 16. September 1999 errichtet wurde und ein bestimmtes Grundstück in Berlin entwickeln sollte. Nachdem sich dieses Projekt nicht durchführen ließ, wurde "der Erwerb, die Entwicklung, die Vermietung, die Verwaltung und die Veräußerung von Immobilien jeder Art" zum Zweck der Klägerin erklärt; der Gesellschaftsvertrag wurde mit Vereinbarung vom 13. Februar 2002 entsprechend neu gefasst. In diesem Zusammenhang kam es auch zum Wechsel von Gesellschaftern. Komplementärin war von Anfang an eine nicht an Kapital, Vermögen und Ergebnis beteiligte GmbH. Neben der C-AG trat am 13. Februar 2002 die A-Bank der Klägerin als Kommanditistin bei. Diese wandelte ihre Kapitaleinlage mit Vereinbarung vom 23. Dezember 2002 in ein Mezzanine-Darlehen um und verkaufte gleichzeitig ihren Gesellschaftsanteil an die C-AG. Mit Beschluss vom 22. Dezember 2004 wurde die Klägerin aufgelöst; Liquidatorin ist die C-AG.

2

Mit Kaufvertrag vom 26. Oktober 2001 erwarb die Klägerin das Grundstück X. Sie plante, die aufstehenden Gebäude zu modernisieren und das Objekt anschließend zu verkaufen.

3

Nachdem sich Ende 2003 das Scheitern des Plans abgezeichnet hatte, schloss die Klägerin am 17. Februar 2004 einen Aufhebungsvertrag, durch den der Grundstückskauf mit sofortiger Wirkung rückabgewickelt wurde. Danach verfügte sie nicht mehr über Aktivvermögen. Um die Insolvenz zu vermeiden, bat die Klägerin mit Schreiben vom 20. Februar 2004 die A-Bank als Gläubigerin um einen Forderungsverzicht. Am 2. Juli 2004 verzichtete die A-Bank (mit Besserungsabrede) auf sämtliche Forderungen gegen die Klägerin. Außerdem verzichteten weitere Gläubiger, darunter die C-AG, auf ihre Forderungen. Die Klägerin buchte die Verbindlichkeiten im Erhebungszeitraum 2004 gewinnerhöhend aus. Hierdurch ergab sich für 2004 ein Jahresüberschuss von 1.862.924 €.

4

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) stellte zum 31. Dezember 2003 einen vortragsfähigen Gewerbeverlust in Höhe von 2.656.561 € fest. Für das Streitjahr 2004 ging das FA von einem Gewinn aus Gewerbebetrieb in Höhe von 1.862.924 € aus. Davon zog es einen Gewerbeverlust in Höhe von 1.517.754 € ab. Diesen Betrag ermittelte das FA nach § 10a Sätze 1 und 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) in der ab 1. Januar 2004 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes und anderer Gesetze vom 23. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2922, BStBl I 2004, 20) in der Weise, dass es den festgestellten vortragsfähigen Gewerbeverlust bis zur Höhe von 1 Mio. € in voller Höhe sowie von dem übersteigenden Betrag (862.924 €) 60 % (= 517.754 €) berücksichtigte. Danach verblieb ein gerundeter Gewerbeertrag von 345.100 €, woraus sich ein Gewerbesteuermessbetrag von 14.830 € und eine festgesetzte Gewerbesteuer für 2004 in Höhe von 60.803 € ergaben. Außerdem stellte das FA den vortragsfähigen Gewerbeverlust zum 31. Dezember 2004 mit 1.138.807 € fest.

5

Gegen die Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag 2004 und die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes zum 31. Dezember 2004 legte die Klägerin Einspruch ein und rügte einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot. Gleichzeitig beantragte sie sinngemäß, die Gewerbesteuer für 2004 gemäß § 163 der Abgabenordnung (AO) auf 0 € festzusetzen bzw. nach § 227 AO zu erlassen.

6

Das FA lehnte eine Billigkeitsmaßnahme ab. Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein.

7

Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück. Die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags und der Gewerbesteuer stehe im Einklang mit der Regelung des § 10a GewStG. Eine Billigkeitsfestsetzung nach § 163 AO komme nicht in Betracht. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 31. März 2004 X R 25/03 (BFH/NV 2004, 1212), das die Nichtberücksichtigung von Verlusten nach § 10d des Einkommensteuergesetzes (EStG) betreffe, sei die Erhebung einer Steuer unbillig, wenn sie im Einzelfall nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes nicht zu rechtfertigen sei und dessen Wertungen zuwiderlaufe. Der Gesetzgeber habe die mit der Beschränkung des Verlustabzugs verbundenen Härten ersichtlich in Kauf genommen, so dass eine Billigkeitsmaßnahme die generelle Geltungsanordnung des Steuergesetzes unterlaufen würde. Die Grundsätze des BFH-Urteils in BFH/NV 2004, 1212 ließen sich auf die Neuregelung des § 10a GewStG zum 1. Januar 2004 und die damit verbundene Einführung der Mindestbesteuerung übertragen.

8

Mit der daraufhin erhobenen Klage begehrte die Klägerin, den Gewerbesteuermessbetrag bzw. die Gewerbesteuer aus sachlichen Billigkeitsgründen nach § 163 AO auf 0 € festzusetzen oder die Gewerbesteuer nach § 227 AO zu erlassen. Das Finanzgericht (FG) hob die Einspruchsentscheidung auf und verpflichtete das FA, den Antrag der Klägerin auf Billigkeitsfestsetzung nach § 163 Satz 1 AO bzw. Billigkeitserlass nach § 227 AO bezüglich des Gewerbesteuermessbetrags 2004 und der Gewerbesteuer 2004 neu zu bescheiden. Das FA habe bei seiner Ermessensentscheidung nicht hinreichend berücksichtigt, dass im Streitfall bereits am Ende des Erhebungszeitraums 2004 und damit auch bei der Wirksamkeit des Gewerbesteuermess- und Gewerbesteuerbescheids 2004 erkennbar gewesen sei, dass der Verlustausgleich von gerundet 345.100 € aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen sein werde. Die Beteiligten seien übereinstimmend davon ausgegangen, dass die Klägerin ihre Tätigkeit nicht mehr aufnehmen werde und eine Entstehung von künftigen Gewinnen ausgeschlossen sei. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2010, 1576 veröffentlicht.

9

Dagegen richtet sich die Revision des FA. Der Umstand, dass die Klägerin die wirtschaftliche Tätigkeit beendet habe und der Gewerbeverlust endgültig untergehe, könne zwar im Rahmen der Billigkeitsentscheidung in Betracht gezogen werden. Aufgrund der Gesetzesfassung des § 10a GewStG sei davon auszugehen, dass es dem Willen des Gesetzgebers entspreche, dass ein vortragsfähiger Gewerbeverlust bei Beendigung eines Unternehmens nicht mehr genutzt werden könne und dass es ggf. im Jahr der Beendigung der gewerblichen Tätigkeit aufgrund der Mindestbesteuerung zur Festsetzung eines Gewerbesteuermessbetrags und von Gewerbesteuer kommen könne. Der Gesetzgeber habe von seiner weitgehenden Befugnis zur Vereinfachung und Typisierung Gebrauch gemacht und keine Sonderregelung für den Fall eines endgültigen Untergangs des bei Anwendung der Mindestbesteuerung verbleibenden Verlustvortrags vorgesehen. Zwar treffe es zu, dass im vorliegenden Fall bei Aufgabe des Gewerbebetriebs im Ergebnis ein wirtschaftlich nicht entstandener Totalgewinn versteuert werden müsse. Der Gesetzgeber sei jedoch nicht verpflichtet, einseitig zu Gunsten des Nettoprinzips den Wertungswiderspruch zwischen dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung und dem Grundsatz des Nettoprinzips zu lösen (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 22. Juli 1991  1 BvR 313/88, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1992, 423). Der Grundsatz der Rechtssicherheit müsse der Forderung nach Gerechtigkeit im Einzelfall allenfalls dann weichen, wenn ihm angesichts der Besonderheiten des vom Gesetzgeber geregelten Sachverhalts jede Tauglichkeit abzusprechen wäre. Das sei vorliegend nicht der Fall.

10

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

11

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

12

Im Streitfall führe die Mindestbesteuerung endgültig zum Ausschluss des Verlustausgleichs. Dies habe bereits im Verlustabzugsjahr festgestanden, denn der Gewinn erhöhende Forderungsverzicht seitens der Gläubiger sei gerade zu dem Zweck erfolgt, der Klägerin die geordnete Liquidation zu ermöglichen. Mindestbesteuerung und Ausschluss des Verlustabzugs stünden damit im ursächlichen Zusammenhang. Der BFH habe an der Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG verfassungsrechtliche Zweifel geäußert, wenn die spätere Verlustverrechnung endgültig ausgeschlossen sei (BFH-Beschluss vom 26. August 2010 I B 49/10, BFHE 230, 445, BStBl II 2011, 826). Solche Bedenken äußere auch das Hessische FG im Hinblick auf § 10a Satz 2 GewStG, wenn dessen Anwendung gegen das objektive Nettoprinzip verstoße (Beschluss vom 26. Juli 2010  8 V 938/10, EFG 2010, 1811). Diese Erwägungen müssten auch im Billigkeitsverfahren gelten. Vorliegend komme verschärfend hinzu, dass der steuerbelastete Ertrag nicht auf einem erwirtschafteten Gewinn, sondern auf einem reinen Buchgewinn beruhe.

13

Das Bundesministerium der Finanzen ist dem Verfahren beigetreten.

14

Es führt aus, § 227 AO stelle keine Ermächtigung zur Korrektur des Gesetzes dar. Die Billigkeitsmaßnahme dürfe nicht auf Erwägungen gestützt werden, die die vorgesehene Besteuerung allgemein oder für bestimmte Fallgruppen außer Kraft setzen würde. Ein Erlass wegen sachlicher Unbilligkeit sei nur insoweit durch die Vorschrift gedeckt, wie angenommen werden könne, der Gesetzgeber würde die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage --hätte er sie geregelt-- im Sinne des vorgesehenen Erlasses entscheiden (vgl. BFH-Urteil vom 23. März 1998 II R 41/96, BFHE 185, 270, BStBl II 1998, 396).

15

Der Umstand, dass im Streitfall eine volle Verrechnung der festgestellten Fehlbeträge unterbleibe, sei unmittelbare Folge der Änderung des § 10a GewStG. Es sei nicht Sache der Finanzverwaltung, diese gesetzgeberische Folge mittels Billigkeitsregelungen zu unterlaufen. Die Besteuerung widerspreche auch nicht dem Willen des Gesetzgebers. Dieser sei sich bei der Abfassung des Gesetzes bewusst gewesen, dass es im Einzelfall zur nicht vollständigen Verrechnung festgestellter Fehlbeträge kommen könne (BTDrucks 15/481, S. 5, rechte Spalte, zweiter Absatz). Die Anhebung des Sockelbetrags in der endgültig Gesetz gewordenen Fassung und die Diskussion um den Prozentsatz einer möglichen Verlustverrechnung zeigten, dass dem Gesetzgeber die Wirkung der Einschränkungen bewusst gewesen sei; eine Regelungslücke liege deshalb nicht vor.

16

Eine Billigkeitsmaßnahme sei nicht von Verfassungs wegen geboten. Der Gesetzgeber sei nicht verpflichtet, den Wertungswiderspruch zwischen dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung und dem Nettoprinzip einseitig zu Gunsten des Nettoprinzips zu lösen (BVerfG-Beschluss in HFR 1992, 423). In Fällen, in denen ein Fehlbetrag nicht vollständig verrechenbar sei, könne ein Verfassungsverstoß nicht einseitig auf das Gebot des objektiven Nettoprinzips gestützt werden.

Entscheidungsgründe

17

II. Die Revision des FA ist begründet. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Klage abgewiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass das FA die Voraussetzungen der §§ 163 Satz 1, 227 AO ermessensfehlerhaft verneint habe, weil es nicht hinreichend berücksichtigt habe, dass die Klägerin ihre wirtschaftliche Tätigkeit beendet habe und damit der vortragsfähige Gewerbeverlust endgültig untergehe.

18

1. Nach § 163 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, können bei der Festsetzung der Steuern unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Nach § 227 AO können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.

19

a) Der Zweck der §§ 163, 227 AO liegt darin, sachlichen und persönlichen Besonderheiten des Einzelfalles, die der Gesetzgeber in der Besteuerungsnorm nicht berücksichtigt hat, durch eine nicht den Steuerbescheid selbst ändernde Korrektur des Steuerbetrags insoweit Rechnung zu tragen, als sie die steuerliche Belastung als unbillig erscheinen lassen (BFH-Urteile vom 26. Mai 1994 IV R 51/93, BFHE 174, 482, BStBl II 1994, 833, unter 1. der Gründe; vom 4. Juli 1972 VII R 103/69, BFHE 106, 268, BStBl II 1972, 806).

20

b) Die Erlassentscheidung ist eine Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung (§ 5 AO), die gemäß § 102 FGO i.V.m. § 121 FGO grundsätzlich nur eingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung unterliegt (Beschluss des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). Stellt das Gericht eine Ermessensüberschreitung oder einen Ermessensfehler fest, ist es grundsätzlich auf die Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung beschränkt. Nur wenn der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeengt ist, dass nur eine Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt (sog. Ermessensreduzierung auf Null), ist es befugt, seine Entscheidung an die Stelle der Ermessensentscheidung der Verwaltungsbehörde zu setzen und eine Verpflichtung zum Erlass auszusprechen (BFH-Urteile vom 6. September 2011 VIII R 55/10, BFH/NV 2012, 269, unter II.1. der Gründe, m.w.N.; vom 26. Oktober 1994 X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297, unter II.2. der Gründe, m.w.N.).

21

c) Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer Steuer, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Steuer als unbillig erscheint. So verhält es sich, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage --wenn er sie als regelungsbedürftig erkannt hätte-- im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 174, 482, BStBl II 1994, 833, unter 2. der Gründe, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 12. September 2007 X B 18/03, BFH/NV 2008, 102, unter II.5.b der Gründe, m.w.N.). Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt dagegen keine Billigkeitsmaßnahme (BFH-Urteile vom 7. Oktober 2010 V R 17/09, BFH/NV 2011, 865, unter II.2. der Gründe; vom 4. Februar 2010 II R 25/08, BFHE 228, 130, BStBl II 2010, 663, jeweils m.w.N.). Bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit von generalisierenden und typisierenden Normen des Steuerrechts fällt allerdings die Möglichkeit des Steuererlasses zur Milderung unbilliger Härten besonders ins Gewicht (BVerfG-Beschluss vom 5. April 1978  1 BvR 117/73, BVerfGE 48, 102; BFH-Urteile vom 6. Februar 1976 III R 24/71, BFHE 118, 151; in BFHE 185, 270, BStBl II 1998, 396; vom 27. Mai 2004 IV R 55/02, BFH/NV 2004, 1555). Deshalb ist im Rahmen einer Billigkeitsentscheidung zu berücksichtigen, ob die vom Gesetzgeber gewählte Typisierung gerade deshalb für zulässig erachtet wird, weil im Zusammenhang mit der Anwendung des typisierenden Gesetzes auftretende Härten durch Billigkeitsmaßnahmen beseitigt werden können. Das ist etwa dann der Fall, wenn der Gesetzgeber Zahl und Intensität der von der typisierenden Regelung nachteilig betroffenen Fälle mit zumutbarem Aufwand nicht ermitteln kann. Die Billigkeitsmaßnahme erweist sich in diesem Zusammenhang als eine flankierende Maßnahme zur Typisierung (vgl. BFH-Urteil vom 20. September 2012 IV R 36/10, BFHE 234, 542).

22

d) Die Billigkeitsprüfung muss sich je nach Fallgestaltung nicht nur auf allgemeine Rechtsgrundsätze und verfassungsmäßige Wertungen erstrecken; sie verlangt vielmehr eine Gesamtbeurteilung aller Normen, die für die Verwirklichung des in Frage stehenden Steueranspruchs im konkreten Fall maßgeblich sind (BFH-Urteil in BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297, unter II.4. der Gründe, m.w.N.). In eine solche Würdigung müssen nicht nur die Vorschriften einbezogen werden, aus denen der Anspruch dem Grunde und der Höhe nach hergeleitet wird, sondern auch die Regelungen, die im zu entscheidenden Fall für die Konkretisierung des materiellen Rechts und seine verfahrensrechtliche Durchsetzung sorgen. Nur auf diese Weise lassen sich Wertungswidersprüche aufdecken und im Billigkeitswege beseitigen, die bei isolierter Betrachtungsweise als typischer Nebeneffekt der Anwendung einzelner steuerrechtlicher Normen hinnehmbar erscheinen, insgesamt aber in ihrem Zusammenwirken in einem atypischen Einzelfall eine Rechtslage herbeiführen, welche die Durchsetzung des Steueranspruchs als sachlich unbillig erscheinen lässt (BFH-Urteil in BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297, unter II.4. der Gründe).

23

e) Grundsätzlich kann im Rahmen der Prüfung, ob eine sachliche Unbilligkeit vorliegt, die Richtigkeit eines unanfechtbar gewordenen Steuerbescheids nicht mehr untersucht werden. Eine Ausnahme hat die Rechtsprechung für die Einwendungen zugelassen, die sich im konkreten Steuerrechtsverhältnis aus den Grundsätzen von Treu und Glauben ergeben (BFH-Urteile vom 31. Oktober 1990 I R 3/86, BFHE 163, 478, BStBl II 1991, 610, unter II.B.3. der Gründe; vom 10. Juni 1975 VIII R 50/72, BFHE 116, 103, BStBl II 1975, 789). Die Verdrängung gesetzten Rechts durch den Grundsatz von Treu und Glauben kann jedoch nur in Betracht kommen, wenn das Vertrauen des Steuerpflichtigen in ein bestimmtes Verhalten der Verwaltung nach allgemeinem Rechtsgefühl in einem so hohen Maß schutzwürdig ist, dass demgegenüber die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zurücktreten (BFH-Urteile in BFHE 163, 478, BStBl II 1991, 610, unter II.B.3.a der Gründe; vom 5. Februar 1980 VII R 101/77, BFHE 130, 90, unter 2. der Gründe).

24

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen war dem FA nicht aufzugeben, eine erneute Prüfung der Billigkeitsgründe vorzunehmen. Selbst wenn das FA die Bedeutung der endgültigen Nichtverwertbarkeit der Verluste und der dadurch eintretenden Verletzung des objektiven Nettoprinzips nicht ausreichend bei seinen Ermessenserwägungen berücksichtigt haben sollte, wie das FG meint, konnte doch keine andere Entscheidung als die vom FA getroffene ergehen, da eine Unbilligkeit im Streitfall nicht vorlag.

25

a) Der Antrag der Klägerin auf Erlass einer Billigkeitsmaßnahme ist allerdings nicht bereits deshalb zurückzuweisen, weil sie davon abgesehen hat, Klage auch gegen die Festsetzungsverwaltungsakte zu erheben. Sie durfte sich darauf beschränken, nur die Entscheidung des FA über die beantragten Billigkeitsmaßnahmen mit der Klage anzugreifen.

26

Zwar kann sich ein Steuerpflichtiger grundsätzlich nicht auf die sachliche Unbilligkeit einer Steuerfestsetzung berufen, wenn er zuvor nicht alle Rechtsmittel gegen die Steuerfestsetzung ausgeschöpft hat. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH können bestandskräftig festgesetzte Steuern im Billigkeitsverfahren u.a. nur dann sachlich überprüft werden, wenn es dem Steuerpflichtigen nicht möglich oder nicht zumutbar war, sich gegen die Fehlerhaftigkeit der Festsetzung rechtzeitig zu wehren (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 30. April 1981 VI R 169/78, BFHE 133, 255, BStB1 II 1981, 611; vom 11. August 1987 VII R 121/84, BFHE 150, 502, BStB1 II 1988, 512; vom 29. Mai 2008 V R 45/06, BFH/NV 2008, 1889).

27

Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht, wenn der Steuerpflichtige sich darauf beruft, von einer von ihm grundsätzlich als verfassungskonform angesehenen typisierenden Norm unverhältnismäßig nachteilig betroffen zu sein. Hält der Steuerpflichtige die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers in Bezug auf die in Frage stehende Norm für gegeben, sieht er die Besteuerung aber in seinem Einzelfall als unbillig an, weil er von der Typisierung unverhältnismäßig nachteilig betroffen wird, ist ihm die Anfechtung der Steuerfestsetzung nicht zuzumuten. Er kann sich vielmehr darauf beschränken, lediglich eine Billigkeitsmaßnahme zu beantragen.

28

b) Im Streitfall kann offenbleiben, in welchen Fällen allgemein die Festsetzung eines Gewerbesteuermessbetrags trotz vortragsfähiger Verluste mindestens in Höhe des Gewerbeertrags zu einer auch durch die allgemeine Typisierungsbefugnis nicht mehr gedeckten unverhältnismäßigen Belastung eines einzelnen Steuerpflichtigen durch § 10a Sätze 1 und 2 GewStG führen kann und inwieweit die fehlende Möglichkeit zur künftigen Verrechnung gestreckter vortragsfähiger Verluste wegen der Einstellung der werbenden Tätigkeit auf Besonderheiten des Gewerbesteuerrechts beruht, die eine unverhältnismäßige Belastung des Steuerpflichtigen ausgeschlossen erscheinen lassen. Die Festsetzungen eines Gewerbesteuermessbetrags und der Gewerbesteuer gegenüber der Klägerin sind nämlich bereits deshalb nicht unbillig, weil die Klägerin durch ihr eigenes Verhalten dazu beigetragen hat, dass ein Gewerbeertrag entstanden ist, der nach § 10a Sätze 1 und 2 GewStG nicht vollständig mit vortragsfähigen Verlusten verrechnet werden konnte.

29

Der positive Gewerbeertrag im streitigen Erhebungszeitraum beruht ausschließlich darauf, dass Gläubiger der Klägerin auf ihre Forderungen gegenüber der Klägerin verzichtet haben. Der Verzicht wurde auf Betreiben der Klägerin erklärt, obwohl die Forderungen angesichts der Mittellosigkeit der Klägerin ohnehin schon wertlos geworden waren. Wäre der Verzicht nicht erklärt worden, hätte die Klägerin künftig keinen Gewinn mehr erzielt. Auch der Ausfall von gegen die Klägerin gerichteten Forderungen in einem Insolvenzverfahren hätte keine Gewinnauswirkung gehabt. Weder für den streitigen Erhebungszeitraum noch für spätere Erhebungszeiträume wären danach Gewerbesteuermessbeträge festzusetzen gewesen.

30

Anhaltspunkte dafür, dass es ohne Initiative der Klägerin zu dem Forderungsverzicht hätte kommen können, sind nicht ersichtlich. Die Klägerin hat deshalb selbst die Ursache für das Eintreten der Mindestbesteuerung gesetzt, obwohl sie die Besteuerungsfolgen kennen musste. Unter diesem Aspekt kann die Besteuerung nicht als unbillig angesehen werden.

31

3. Die Ablehnung einer Billigkeitsmaßnahme durch das FA ist danach im Streitfall nicht zu beanstanden. Das FG ist von anderen Maßstäben ausgegangen. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO).

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GbR, deren Gegenstand die Herstellung und Verwertung eines Films ist. Sie wurde mit Co-Produktionsvertrag vom … 2004 von einer Produktions-GmbH und einer Beteiligungs-GmbH & Co. KG (KG) gegründet. Nach dem allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel war der Gewinn allein der KG zuzurechnen.

2

Der Klägerin entstanden für die Produktion des Films Kosten in Höhe von mehreren Millionen Euro. Der Film kam … 2007 erstmalig in die Kinos. Seit dem Jahr 2008 wird er in Videotheken verliehen.

3

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) stellte mit Bescheid vom 23. September 2008 für die Klägerin einen vortragsfähigen Gewerbeverlust auf den 31. Dezember 2006 in Höhe von X.XXX.XXX € fest.

4

Im Streitjahr (2007) erzielte die Klägerin einen Gewerbeertrag vor Verlustabzug in Höhe von … €, der nach dem Gewinnverteilungsschlüssel der KG zugerechnet wurde.

5

Das FA kürzte den Gewerbeertrag nach § 10a Sätze 1 und 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) um 1 Mio. € sowie den übersteigenden Gewerbeertrag zu 60 % (= … €) und setzte einen Gewerbesteuermessbetrag in Höhe von … € fest. Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein, den das FA zurückwies.

6

Mit ihrer dagegen gerichteten Klage machte die Klägerin geltend, sie könne die vorgetragenen Verluste wegen ihrer sowohl zeitlich als auch auf einen Film begrenzten Tätigkeit niemals nutzen. Es sei verfassungswidrig, wenn dennoch ein Gewerbesteuermessbetrag festgesetzt werde.

7

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Das FA habe den maßgebenden Gewerbeertrag in rechnerisch richtiger Höhe gemäß den Regelungen in § 10a Sätze 1 und 2 GewStG gekürzt. Die verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin gegen § 10a GewStG teile der Senat nicht. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 434 veröffentlicht.

8

Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin. Sie trägt vor, vorliegend sei die Frage zu klären, ob die Mindestbesteuerung nach § 10a Sätze 1 und 2 GewStG auf sog. Objektgesellschaften mit sehr kurzer Ertragsphase überhaupt Anwendung finde. Die Klägerin sei eine Gesellschaft zur Produktion und Vermarktung eines Spielfilms, der aus wirtschaftlicher Sicht ein Misserfolg gewesen sei. Die hohen Produktionskosten hätten nicht annähernd eingespielt werden können, so dass letztlich ein Totalverlust von ca. … Mio. € verbleiben werde. Dennoch müsse die Klägerin im Streitjahr, dem Jahr der Kinovermarktung, aufgrund der Mindestbesteuerung Gewerbesteuer in Höhe von … € zahlen. Der vorliegende Fall sei für die Filmbranche typisch. Sehr viele Spielfilme würden von Koproduktionsgesellschaften produziert, weil ein Produzent alleine die Kosten und das Risiko des Films nicht tragen könne. Die Mindestbesteuerung sei wegen eines Verstoßes gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip generell verfassungswidrig. Jedenfalls sei aber die Regelung im Streitfall verfassungskonform so auszulegen, dass die Mindestbesteuerung nicht zur Anwendung komme.

9

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Gewerbesteuermessbescheid 2007 vom 21. Juli 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. September 2010 dahingehend zu ändern, dass der Gewerbesteuermessbetrag auf 0 € festgesetzt wird.

10

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

11

Gegen die Mindestbesteuerung bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Regelungen des § 10a GewStG seien angemessen und führten nicht zu einer Verletzung der Besteuerungsgleichheit oder des objektiven Nettoprinzips in seinem konkreten Kern.

12

Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

13

II. Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zutreffend entschieden, dass der angefochtene Gewerbesteuermessbescheid rechtmäßig und nicht wegen der Anwendung der Mindestbesteuerung nach § 10a Sätze 1 und 2 GewStG zu beanstanden ist.

14

1. Die Klägerin unterlag im Streitjahr der sachlichen Gewerbesteuerpflicht.

15

a) Die Klägerin betrieb mit der Filmproduktion ein gewerbliches Unternehmen. Das ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.

16

b) Einzelunternehmen und Mitunternehmerschaften sind sachlich gewerbesteuerpflichtig nur, wenn und solange sie einen Gewerbebetrieb im Sinne des Gewerbesteuerrechts unterhalten. Die sachliche Gewerbesteuerpflicht endet deshalb mit der dauerhaften Einstellung der werbenden Tätigkeit (ständige Rechtsprechung, u.a. Urteile des Bundesfinanzhofs vom 24. April 1980 IV R 68/77, BFHE 131, 70, BStBl II 1980, 658, unter 1. der Gründe; vom 20. März 1990 VIII R 47/86, BFH/NV 1990, 799, unter 1.a der Gründe; vom 26. Juni 2007 IV R 49/04, BFHE 217, 150, BStBl II 2009, 289, unter II.2.a der Gründe).

17

c) Die Klägerin hat ihre werbende Tätigkeit noch nicht beendet. Denn sie verwertet nach eigenem Vortrag weiterhin die Filmrechte. Unerheblich ist, ob das --wie sie geltend macht-- auch die Aufgabe des Liquidators im Falle einer Liquidation wäre. Ihrem Vorbringen, sie werde nicht mehr "betrieben" und befinde sich faktisch in Liquidation, kann der Senat daher nicht folgen.

18

2. Das FA hat den Gewerbeertrag unter Berücksichtigung des § 10a Sätze 1 und 2 GewStG zutreffend ermittelt, wie zwischen den Beteiligten nicht streitig ist.

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3. Die Ermittlung des Gewerbeertrags im angefochtenen Bescheid ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

20

a) Wie der erkennende Senat mit Urteil vom 20. September 2012 in der Sache IV R 36/10 entschieden hat, verstößt die Mindestbesteuerung nach § 10a Sätze 1 und 2 GewStG nicht gegen Verfassungsrecht. Dies gilt auch für den Fall, dass sie im Ergebnis zu einer Definitivbesteuerung im Jahr der beschränkten Verrechnung vortragsfähiger Fehlbeträge führt. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf das Urteil IV R 36/10, BFHE 234, 542 Bezug.

21

b) Die Besonderheiten eines Unternehmens der Filmbranche, zu denen die Klägerin gehört, rechtfertigen keine andere Beurteilung.

22

Der durch die Mindestbesteuerung eintretende Effekt einer definitiven Besteuerung ist grundsätzlich mit der Verfassung vereinbar, wie der Senat in seinem Urteil vom 20. September 2012 IV R 36/10, BFHE 234, 542 unter Hinweis auf die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers ausgeführt hat. Die Typisierungsbefugnis wird aber von der Möglichkeit flankiert, im Einzelfall Billigkeitsmaßnahmen zu treffen, soweit die typisierende Regelung einzelne Steuerpflichtige unverhältnismäßig und unzumutbar benachteiligt.

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c) Die Klägerin kann sich schon deshalb nicht auf eine konkrete Verletzung des objektiven Nettoprinzips berufen, weil bisher noch nicht feststeht, ob die Begrenzung des Verlustabzugs im Streitjahr überhaupt zu einer Definitivbesteuerung führen wird. Sie hat ihre Geschäftstätigkeit noch nicht beendet und kann aus den ihr zustehenden Verwertungsrechten noch weitere Einnahmen erzielen. Auch wenn sie Einnahmen in der Höhe der nicht ausgenutzten Verlustvorträge für unwahrscheinlich hält, kann eine solche Prognose nicht an die Stelle einer bereits eingetretenen Definitivbesteuerung treten.  

24

4. Das angefochtene Urteil entspricht den genannten Grundsätzen und ist deshalb revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Revision der Klägerin hat mithin keinen Erfolg.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.