Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 13. Okt. 2016 - 2 BvR 1275/16

ECLI:ECLI:DE:BVerfG:2016:rk20161013.2bvr127516
bei uns veröffentlicht am13.10.2016

Tenor

1. Der Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 23. Mai 2016 - 1 Ws 56/16 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes. Der Beschluss des Oberlandesgerichts wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

2. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

3. Das Land Brandenburg hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

4. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 10.000 Euro (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.

Gründe

A.

1

Die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde betrifft die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft durch eine Beschwerdeentscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts.

I.

2

Das Zollfahndungsamt Frankfurt am Main leitete gegen den Beschwerdeführer mit Verfügung vom 22. Februar 2013 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der gewerbsmäßigen Tabaksteuerhinterziehung ein.

3

Der Beschwerdeführer wurde am 27. November 2014 wegen des Verdachts der bandenmäßigen Tabaksteuerhinterziehung aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 18. November 2014 festgenommen. Er befand sich, zuletzt auf Grundlage des Beschlusses der 5. großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 5. November 2015, bis zum 22. Juli 2016 in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Cottbus-Dissenchen.

4

Am 9. September 2015 erhob die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) Anklage gegen den Beschwerdeführer. Ihm wurde darin vorgeworfen, sich mit fünf weiteren Angeklagten zu einer Bande zusammengeschlossen zu haben, welche in 33 Fällen arbeitsteilig und in wechselnder Besetzung in Italien produzierte Zigaretten in ein Lager nach Nauen in Deutschland geschmuggelt und sie anschließend dem illegalen Wirtschaftskreislauf zugeführt habe. Dabei sei ein Steuerschaden in Höhe von 58.463.622,32 Euro entstanden.

5

Am 5. November 2015 eröffnete das Landgericht Potsdam - Wirtschaftsstrafkammer - das Hauptverfahren und bestimmte deren Beginn auf den 27. November 2015.

6

Ungeachtet einer von dem Vorsitzenden der zuständigen 5. großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam am 6. Oktober 2015 erstatteten Überlastungsanzeige begann am 27. November 2015 die Hauptverhandlung. Diese musste nach dem sechsten Verhandlungstag, der am 8. Januar 2016 stattgefunden hatte, gemäß § 229 Abs. 4 Satz 1 StPO am 26. Januar 2016 ausgesetzt werden, weil die Höchstdauer der zulässigen Unterbrechung von drei Wochen nicht eingehalten werden konnte. Dem lag zugrunde, dass die für den 14. und 15. Januar 2016 angesetzten Verhandlungstage wegen Erkrankung eines beisitzenden Richters der Strafkammer aufgehoben werden mussten und die darauffolgenden Verhandlungstage aufgrund eines Sportunfalls des Vorsitzenden der Strafkammer ebenfalls nicht stattfinden konnten.

7

Am 8. Februar 2016 terminierte der stellvertretende Kammervorsitzende unter erstmaliger Anordnung der Hinzuziehung eines Ergänzungsrichters und eines Ergänzungsschöffen die Fortführung der Hauptverhandlung auf den 26. Februar 2016.

8

Mit Verfügung vom 24. Februar 2016 mussten die Verfahrensbeteiligten jedoch vor Beginn der Hauptverhandlung aufgrund Erkrankung des Berichterstatters wieder abgeladen werden.

9

Bis dahin stand auch kein Ergänzungsrichter für das Verfahren zur Verfügung. In einem Vermerk des stellvertretenden Kammervorsitzenden vom 25. Februar 2016 heißt es dazu: "Darüber hinaus gestaltete sich die Suche nach einem Vertreter für den erkrankten VRiLG […]und einem Ergänzungsrichter sehr schwierig, da sich sämtliche Strafrichter und die überwiegende Zahl der Zivilrichter für verhindert erklärt haben. Eine diesbezügliche Mitteilung des Präsidenten des LG, der über die Terminsaufhebung für den morgigen Freitag informiert ist, liegt mir auch jetzt nicht vor, so dass derzeit noch nicht einmal die Gerichtsbesetzung mitgeteilt werden kann."

10

Die Hauptverhandlung begann am 10. März 2016 ein zweites Mal. Allerdings musste der stellvertretende Kammervorsitzende zu Beginn der Hauptverhandlung mitteilen, dass der zwischenzeitlich bestellte Ergänzungsrichter erkrankt sei. Das Verfahren wurde daraufhin zum zweiten Mal ausgesetzt.

11

Noch in der Hauptverhandlung vom 10. März 2016 waren die Verfahrensbeteiligten zu einem neuen Termin auf den 17. März 2016 geladen worden. In der Hauptverhandlung vom 17. März 2016 beantragte der Verteidiger des Beschwerdeführers eine Unterbrechung der Hauptverhandlung gemäß § 222a Abs. 2 StPO, um die Ordnungsmäßigkeit der Gerichtsbesetzung überprüfen zu können. Darüber hinaus stellte einer der Mitangeklagten, wie auch schon beim ersten Beginn der Hauptverhandlung, einen Befangenheitsantrag gegen den stellvertretenden Kammervorsitzenden, dem sich der Beschwerdeführer anschloss. Im Hinblick darauf wurde die Hauptverhandlung im Anschluss an die Verlesung der Anklageschrift unterbrochen und der auf den 18. März 2016 anberaumte Hauptverhandlungstermin aufgehoben.

12

Mit Beschluss vom 14. März 2016 ordnete das Brandenburgische Oberlandesgericht erneut Haftfortdauer an. Bereits zuvor hatte das Brandenburgische Oberlandesgericht mit Beschlüssen vom 16. Juni 2015 und vom 1. Oktober 2015 Haftfortdauer angeordnet.

13

Die Hauptverhandlung wurde am 31. März 2016 fortgesetzt. Im Termin am 31. März 2016 rügte der Verteidiger des Beschwerdeführers die fehlerhafte Besetzung des Gerichts. Dem lag zugrunde, dass der stellvertretende Vorsitzende mit Verfügung vom 11. März 2016 einen Hauptschöffen an den Hauptverhandlungstagen vom 17. und 18. März 2016 von der Dienstleistung entbunden hatte, obwohl dieser lediglich angezeigt hatte, vom 4. bis 8. April sowie am 22. April 2016 an der Dienstleistung gehindert zu sein.

14

Im Hinblick darauf stellte das Gericht mit Beschluss vom 6. April 2016 fest, dass es aus den Gründen der erhobenen Rüge fehlerhaft besetzt sei.

15

Die Hauptverhandlung wurde daraufhin zum dritten Mal ausgesetzt.

16

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 14. April 2016 beantragte der Beschwerdeführer, den Haftbefehl aufzuheben, hilfsweise, ihn gegen geeignete Auflagen außer Vollzug zu setzen. Mit Beschluss vom 19. April 2016 half das Landgericht Potsdam der Haftbeschwerde nicht ab.

17

Die Hauptverhandlung begann am 29. April 2016 erneut.

18

Zu Beginn der Hauptverhandlung teilte der wieder in den Dienst zurückgekehrte Vorsitzende Richter der Strafkammer den Verfahrensbeteiligten mit, dass sich die mitgeteilte Gerichtsbesetzung wegen Erkrankung einer Hauptschöffin geändert habe.

19

Der Verteidiger des Beschwerdeführers beantragte daraufhin zur Überprüfung der Ordnungsgemäßheit der Besetzung die Unterbrechung der Hauptverhandlung gemäß § 222a Abs. 2 StPO.

20

Der Vorsitzende ordnete im Hinblick darauf nach Verlesung der Anklageschrift die Unterbrechung der Hauptverhandlung an, welche am 11. Mai 2016 fortgesetzt wurde.

21

Zu Beginn der Hauptverhandlung am 11. Mai 2016 erhob der Verteidiger des Beschwerdeführers abermals eine Besetzungsrüge. Für eine aus gesundheitlichen Gründen von der Hauptschöffenliste gestrichene Hauptschöffin hatte der Vorsitzende eine Hilfsschöffin aus der Hilfsschöffenliste herangezogen. Bei richtiger Rechtsanwendung hätte jedoch gemäß § 48 Abs. 2 GVG die bereits geladene Ergänzungsschöffin als Hauptschöffin in die Kammer einrücken müssen.

22

Zur Prüfung der Besetzungsrüge wurde die Hauptverhandlung erneut unterbrochen. Bei ihrer Fortsetzung am 12. Mai 2016 verkündete der Vorsitzende zu Beginn den Beschluss der Strafkammer vom selben Tage, wonach das Gericht aus den in der Rüge genannten Gründen mit der Hauptschöffin nicht vorschriftsmäßig besetzt sei. Als Folge wurde die Hauptverhandlung zum vierten Male ausgesetzt.

23

Mit hier angefochtenem Beschluss vom 23. Mai 2016 verwarf das Brandenburgische Oberlandesgericht die Haftbeschwerde als unbegründet. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft stehe auch angesichts der langen Verfahrensdauer von fast einem Jahr und sechs Monaten zur Bedeutung der Sache, die auch in dem hohen Gesamtsteuerschaden von über 58 Millionen Euro zum Ausdruck komme, nicht außer Verhältnis. Dem in Haftsachen im besonderen Maße geltenden Beschleunigungsgebot sei Genüge getan. Hierbei sei zunächst der extrem große Aktenumfang zu berücksichtigen, in den sich Staatsanwaltschaft, Gericht und Verteidiger hätten einarbeiten müssen. Das Beschleunigungsgebot habe bereits im Ermittlungsverfahren hinreichend Beachtung gefunden. Auch seitens der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Potsdam sei das Verfahren nach Eingang der Anklageschrift ohne Verzögerung bearbeitet worden. Der Verteidigung sei zwar darin beizupflichten, dass mehrfache Terminsaufhebungen und Aussetzungsentscheidungen ihre Ursache in der Sphäre der Justiz hätten, jedoch führe nicht jede Terminsaufhebung oder Aussetzung zugleich zu einem Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot. So stelle beispielsweise der unfall- und damit krankheitsbedingte längerfristige Ausfall des Kammervorsitzenden ein für alle Beteiligten unvorhersehbares Ereignis dar. Die durch die Aussetzung der Hauptverhandlung bedingte Verfahrensverzögerung habe die Wirtschaftsstrafkammer teilweise durch eine zügige Anberaumung des Neubeginns der Hauptverhandlung unter Hinzuziehung eines Ergänzungsrichters sowie eines Ergänzungsschöffen kompensiert. Der krankheitsbedingte Ausfall des berichterstattenden Richters stelle ebenfalls ein für alle Beteiligten unvorhersehbares Ereignis dar. Die Verlegung des Neubeginns der Hauptverhandlung auf den nächstmöglichen Termin, der wegen Verhinderung der Verteidigung eines Mitangeklagten erst auf den 10. März 2016 bestimmt werden konnte, sei als überaus zügig anzusehen. Dass der für diesen Termin vorgesehene Ergänzungsrichter wenige Tage zuvor erkrankt sei und sich kurzfristig kein weiterer Ergänzungsrichter habe finden lassen, stelle ebenfalls noch kein gerichtsorganisatorisches Versäumnis dar, das einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot begründen könnte. Die Anberaumung des Beginns der Hauptverhandlung auf den 17. März 2016 dokumentiere vielmehr das Bemühen der Kammer, das Verfahren weiterhin zügig durchzuführen. Die Aussetzung der Hauptverhandlung durch die Beschlüsse der Wirtschaftsstrafkammer vom 6. April 2016 und vom 12. Mai 2016 infolge fehlerhafter Schöffenbesetzung habe zwar zu einer Verfahrensverzögerung von zweieinhalb Monaten geführt. Diese Verzögerung sei jedoch durch eine - angesichts der am Verfahren beteiligten neun Verteidiger, vier Richter und drei Schöffen - überaus zügige Neuterminierung minimiert worden. Noch am Tag des letzten Aussetzungsbeschlusses habe der Kammervorsitzende einen neuen Termin zur Hauptverhandlung für den 2. Juni 2016 anberaumt und die Fortsetzungstermine für den Zeitraum bis zum 22. August 2016 bestimmt. All dies zeige, dass die Strafkammer auf Krankheitsfälle und fehlerhafte Gerichtsbesetzung überaus schnell reagiert habe; sowohl durch die zügige Neuterminierung als auch durch die enge Verhandlungsdichte habe die Wirtschaftsstrafkammer die eingetretene Verzögerung zumindest teilweise kompensiert. Eine Untätigkeit oder Verfahrensverzögerung sei ihr nicht vorzuwerfen. Die fehlerhafte Besetzung des Gerichts führe zu einem Rechtsfehler, der nicht identisch sei mit einem Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz. Die Wirtschaftsstrafkammer werde indes die eingetretene Verfahrensverzögerung im Falle eines Schuldspruchs gegebenenfalls bei der Strafzumessung berücksichtigen müssen. Im Falle einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung werde sie eine Kompensation nach der Vollstreckungslösung zu erwägen haben.

24

Die Hauptverhandlung begann am 2. Juni 2016 erneut. Seitdem ist am 2., 9., 10., 15., 16., 22., 23. und 30. Juni 2016, am 1., 7., 14., 21. und 22. Juli, am 22. und 23. August 2016 sowie am 15., 16., 20., 23., 27. und 30. September 2016 verhandelt worden. Für den 4., 7., 11. und 14. Oktober 2016 und den 14. November 2016 sind weitere Hauptverhandlungstermine anberaumt worden.

25

Mit Beschluss vom 21. Juli 2016 hat die 5. Strafkammer des Landgerichts Potsdam den Haftbefehl des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 18. November 2014 in der Fassung des Beschlusses des Landgerichts Potsdam vom 5. November 2015 gegen Hinterlegung einer Sicherheitsleistung in Höhe von 100.000 Euro und Abgabe sämtlicher inländischen und ausländischen Identitätspapiere außer Vollzug gesetzt. Der Beschwerdeführer hat diese Bedingungen am 22. Juli 2016 erfüllt und wurde am selben Tag unter anderem mit der Auflage aus der Untersuchungshaft entlassen, das Gebiet der Länder Berlin und Brandenburg nicht ohne vorherige Genehmigung des Landgerichts Potsdam zu verlassen und sich in denjenigen Wochen, in denen keine Hauptverhandlungstage anberaumt seien, zweimal wöchentlich bei der für seinen Wohnort zuständigen Dienststelle zu melden.

26

Die Hauptakte besteht aus 54 Bänden mit insgesamt über 11.000 Seiten, Sonderbänden mit insgesamt über 24.000 Seiten sowie zehn Ergänzungsbänden mit über 2.500 Seiten. Darüber hinaus sind Parallelverfahren relevant, die gegen 17 mutmaßliche Abnehmer und Vertreiber der geschmuggelten Zigaretten geführt werden und weitere 38 Bände Hauptakten mit insgesamt über 7.000 Seiten umfassen.

II.

27

Mit seiner am 20. Juni 2016 gegen den Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 23. Mai 2016 erhobenen Verfassungsbeschwerde, die er mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbunden hat, rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seines Grundrechts gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG. Das Brandenburgische Oberlandesgericht habe seine Haftbeschwerde verworfen, obwohl der damit einhergehende weitere Vollzug der Untersuchungshaft aufgrund gravierender rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen gegen das verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgebot verstoße.

28

Eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen resultiere zunächst daraus, dass bei Terminierung der Hauptverhandlung auf den 27. November 2015 unterlassen worden sei, die Hinzuziehung eines Ergänzungsrichters anzuordnen. Der Beschwerdeführer habe aufgrund dessen Untersuchungshaft vom 27. November 2015 bis zum 17. März 2016 verbringen müssen, ohne dass eine für das Verfahren relevante Hauptverhandlung stattgefunden habe. Diese Verfahrensverzögerung sei rechtsstaatswidrig und vermeidbar. Aufgrund der bisherigen Untersuchungshaft, der Anzahl der Hauptverhandlungstage und des Aktenumfanges sei die Hinzuziehung eines Ergänzungsrichters gemäß § 192 Abs. 2 GVG offensichtlich erforderlich und geboten gewesen. Das Ministerium der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg wäre verpflichtet gewesen, für die ausreichende personelle Ausstattung des Landgerichts Potsdam Sorge zu tragen. Die infolge der mangelhaften personellen Ausstattung eingetretene Verzögerung verletze das verfassungsrechtlich verankerte Beschleunigungsgebot.

29

Auch die weiteren Verzögerungen seien durch die falsche Besetzung des Gerichts bei der Hauptverhandlung am 6. April 2016 als rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zu werten. Auch diese Ursache liege ausschließlich in der Sphäre der Justiz. Gleiches gelte für den Besetzungsfehler, der zur Aussetzung der am 12. Mai 2016 begangenen Hauptverhandlung geführt habe.

30

Die im Hauptverfahren eingetretenen Verfahrensverzögerungen seien bereits jeweils für sich betrachtet, jedenfalls aber in ihrer Gesamtheit, in gravierender Weise geeignet, gegen das verfassungsrechtlich verankerte Beschleunigungsgebot in Haftsachen zu verstoßen. Damit sei der weitere Vollzug der Untersuchungshaft gegen den Beschwerdeführer unverhältnismäßig geworden. Dies habe das Oberlandesgericht verkannt.

31

Das Oberlandesgericht habe in den Gründen des angegriffen Beschlusses zudem selbst anerkannt, dass es zu relevanten Verfahrensverzögerung gekommen sei, deren Rechtsstaatswidrigkeit nicht ausgeschlossen werden könne. Allerdings gehe das Oberlandesgericht zugleich davon aus, dass die festgestellten Verzögerungen des Verfahrens keinen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot darstellten, sondern diesem hinreichend Rechnung getragen worden sei. Diese Ausführungen seien in sich widersprüchlich. Das Gericht könne dem Beschwerdeführer nicht eine Kompensation für mögliche rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerungen in Aussicht stellen, gleichzeitig aber konstatieren, dem Beschleunigungsgebot sei in jedem Fall Genüge getan.

32

Mit Schriftsatz vom 29. Juli 2016 hat der Beschwerdeführer im Anschluss an die Außervollzugsetzung des Haftbefehls den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sowie die Anträge aus der Verfassungsbeschwerde insoweit für erledigt erklärt, als beantragt worden ist, anzuordnen, ihn unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Im Übrigen hat der Beschwerdeführer den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und die Verfassungsbeschwerde aufrechterhalten.

III.

33

1. Nach Auffassung des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof werden die Ausführungen in der angegriffenen Entscheidung unter Berücksichtigung der hier geforderten Begründungstiefe den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht vollständig gerecht. Die Entscheidung lasse besorgen, dass das Gericht bei der vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Freiheitsrecht des Beschwerdeführers und dem Strafverfolgungsinteresse des Staates die Bedeutung und Tragweite des Freiheitsgrundrechts nicht ausreichend berücksichtigt habe. Die Entscheidung weise nicht die für eine Haftfortdauerentscheidung erforderliche Begründungstiefe auf. Denn die Begründung lasse eine Überprüfung des Abwägungsergebnisses nicht in dem von Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG geforderten Maße zu. Es lasse sich schon nicht sicher feststellen, ob der Entscheidung der zutreffende Maßstab zugrunde gelegt worden sei.

34

2. Das Ministerium der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg hat, soweit der Beschwerdeführer eine mangelnde personelle Ausstattung des Landgerichts Potsdam und eine Verletzung der Justizgewährungspflicht gerügt hat, darauf hingewiesen, dass die Personalausstattung unter Zugrundelegung des bundesweit einheitlich angewandten Berechnungssystems dem Personalbedarf Rechnung trage. Es sei nicht möglich und auch durch den Justizgewährleistungsanspruch nicht geboten, richterliche Arbeitskraft in solchem Umfang in Reserve zu halten, dass jeder unvorhergesehene krankheitsbedingte Ausfall sofort ausgeglichen werden könne. Im Übrigen hat das Ministerium von einer Stellungnahme abgesehen.

35

3. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten des Ausgangsverfahrens in elektronischer Form vorgelegen.

B.

36

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG statt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

I.

37

Das Rechtsschutzbedürfnis des Beschwerdeführers ist nicht dadurch entfallen, dass der Haftbefehl nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde außer Vollzug gesetzt und der Beschwerdeführer aus der Haft entlassen worden ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Januar 1995 - 2 BvR 2846/93 -, juris, Rn. 14). Trotz der Außervollzugsetzung ist der Fortbestand des Haftbefehls insbesondere unter Berücksichtigung der erteilten freiheitsbeschränkenden Auflagen nach wie vor mit einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit des Beschwerdeführers verbunden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Dezember 2000 - 2 BvR 1706/00 -, juris, Rn. 12).

II.

38

Der Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 23. Mai 2016 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, weil er den an eine Haftfortdauerentscheidung zu stellenden Anforderungen zur verfassungsrechtlich gebotenen Begründungstiefe nicht genügt.

39

Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistet jedermann die Freiheit der Person und nimmt einen hohen Rang unter den Grundrechten ein. Das kommt darin zum Ausdruck, dass Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG die Freiheit der Person als "unverletzlich" bezeichnet, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG ihre Beschränkung nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes zulässt und Art. 104 Abs. 2 bis 4 GG besondere Verfahrensgarantien für ihre Beschränkung statuiert (vgl. BVerfGE 35, 185 <190>; 109, 133 <157>; 128, 326 <372>).

40

Die Freiheit der Person darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden. Zu diesen Gründen gehören in erster Linie solche des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts. Eingriffe in die persönliche Freiheit auf diesem Gebiet dienen vor allem dem Schutz der Allgemeinheit (vgl. BVerfGE 22, 180 <219>; 45, 187 <223>; 58, 208 <224 f.>); zugleich haben die gesetzlichen Eingriffstatbestände freiheitsgewährleistende Funktion, da sie die Grenzen zulässiger Einschränkung der Freiheit der Person bestimmen.

41

Bei der Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ist stets das Spannungsverhältnis zwischen dem in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleisteten Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung zu beachten. Grundsätzlich darf nur einem rechtskräftig Verurteilten die Freiheit entzogen werden. Der Entzug der Freiheit eines der Straftat lediglich Verdächtigen ist wegen der Unschuldsvermutung, die ihre Wurzel im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG hat und auch in Art. 6 Abs. 2 EMRK ausdrücklich hervorgehoben ist (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 74, 358 <370 f.>), nur ausnahmsweise zulässig. Dabei muss den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Beschuldigten als Korrektiv gegenübergestellt werden, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine maßgebliche Bedeutung zukommt (vgl. grundlegend BVerfGE 19, 342 <347> sowie BVerfGE 20, 45 <49 f.>; 36, 264 <270>; 53, 152 <158 f.>; BVerfGK 15, 474 <479>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Januar 2014 - 2 BvR 2248/13 u.a. -, juris, Rn. 32).

42

Mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft vergrößert sich das Gewicht des Freiheitsanspruchs regelmäßig gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung (vgl. BVerfGE 36, 264 <270>; 53, 152 <158 f.>). Daraus folgt zum einen, dass die Anforderungen an die Zügigkeit der Arbeit in einer Haftsache mit der Dauer der Untersuchungshaft steigen. Zum anderen nehmen auch die Anforderungen an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund zu (vgl. BVerfGK 7, 140 <161>; 15, 474 <480>; 17, 517 <522>; 19, 428 <433>).

43

Der Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen, denn zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und zur Sicherstellung der Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft dann nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare Verzögerungen verursacht ist. Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare Verfahrensverzögerungen stehen daher regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen (vgl. BVerfGK 15, 474, <480>; 17, 517, <523>; BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. November 2012 - 2 BvR 1164/12 -, juris, Rn. 42 und vom 17. Januar 2013 - 2 BvR 2098/12 -, juris, Rn. 41).

44

Entsprechend dem Gewicht der zu ahndenden Straftat können zwar kleinere Verfahrensverzögerungen die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen. Allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung vermag aber bei erheblichen, vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft zu dienen (BVerfGK 7, 140 <155>).

45

Die nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts kann insofern niemals Grund für die Anordnung der Haftfortdauer sein (vgl. BVerfGE 36, 264 <273 ff.>). Vielmehr kann sie selbst dann die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht rechtfertigen, wenn sie auf einem Geschäftsanfall beruht, der sich trotz Ausschöpfung aller gerichtsorganisatorischen Mittel und Möglichkeiten nicht mehr innerhalb angemessener Fristen bewältigen lässt (BVerfGE 36, 264 <273 ff.>). Die Überlastung eines Gerichts fällt - anders als unvorhersehbare Zufälle und schicksalhafte Ereignisse - in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft. Dem Beschuldigten darf nicht zugemutet werden, eine längere als die verfahrensangemessene Aufrechterhaltung des Haftbefehls nur deshalb in Kauf zu nehmen, weil der Staat es versäumt, seiner Pflicht zur verfassungsgemäßen Ausstattung der Gerichte zu genügen (BVerfGE 36, 264 <275>).

46

Im Rahmen der von den Fachgerichten vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Betroffenen und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit ist die Angemessenheit der Haftfortdauer anhand objektiver Kriterien des jeweiligen Einzelfalles zu prüfen; insofern sind in erster Linie die Komplexität der einzelnen Rechtssache, die Vielzahl der beteiligten Personen und das Verhalten der Verteidigung von Bedeutung (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Januar 2014 - 2 BvR 2248/13 u.a. -, juris, Rn. 37). Der Vollzug der Untersuchungshaft von mehr als einem Jahr bis zum Beginn der Hauptverhandlung oder dem Erlass des Urteils wird dabei auch unter Berücksichtigung der genannten Aspekte nur in ganz besonderen Ausnahmefällen zu rechtfertigen sein (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07 -, juris, Rn. 45 und der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2008 - 2 BvR 806/08 -, juris, Rn. 36).

47

Da der Grundrechtsschutz auch durch die Verfahrensgestaltung zu bewirken ist (vgl. hierzu BVerfGE 53, 30 <65>; 63, 131 <143>), unterliegen Haftfortdauerentscheidungen insofern einer erhöhten Begründungstiefe (vgl. BVerfGE 103, 21 <35 f.>; BVerfGK 7, 140 <161>; 10, 294 <301>; 15, 474 <481>; 19, 428 <433>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Januar 2014 - 2 BvR 2248/13 u.a. -, juris, Rn. 38). In der Regel sind in jedem Beschluss über die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft aktuelle Ausführungen zu dem weiteren Vorliegen ihrer Voraussetzungen, zur Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit sowie zur Frage der Verhältnismäßigkeit geboten, weil sich die dafür maßgeblichen Umstände angesichts des Zeitablaufs in ihrer Gewichtigkeit verschieben können (vgl. BVerfGK 7, 140 <161>; 10, 294 <301>; 15, 474 <481>; 19, 428 <433>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Januar 2014 - 2 BvR 2248/13 u.a. -, juris, Rn. 38). Die zugehörigen Ausführungen müssen in Inhalt und Umfang eine Überprüfung des Abwägungsergebnisses am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht nur für den Betroffenen selbst, sondern auch für das die Anordnung treffende Fachgericht im Rahmen einer Eigenkontrolle gewährleisten und in sich schlüssig und nachvollziehbar sein (vgl. BVerfGK 7, 421 <429 f.>; 8, 1 <5>; 15, 474 <481 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Januar 2014 - 2 BvR 2248/13 u.a. -, juris, Rn. 39).

48

Diese verfassungsrechtlichen Vorgaben gelten nicht nur für den vollstreckten Haftbefehl. Sie sind darüber hinaus auch für einen außer Vollzug gesetzten Haftbefehl (§ 116 StPO) von Bedeutung (vgl. BVerfGE 53, 152 <159>; BVerfGK 6, 384 <391>). Beschränkungen, denen der Beschuldigte durch Auflagen und Weisungen nach § 116 StPO ausgesetzt ist, dürfen nicht länger andauern, als es nach den Umständen erforderlich ist (vgl. auch OLG Köln, Beschluss vom 6. Juli 2004 - 2 Ws 301/04 -, StV 2005, S. 396 <397>). Denn auch dann, wenn Untersuchungshaft nicht vollzogen wird, kann allein schon die Existenz eines Haftbefehls für den Beschuldigten eine erhebliche Belastung darstellen, weil sich mit ihm regelmäßig die Furcht vor einem (erneuten) Vollzug verbindet (vgl. BVerfGE 53, 152 <161>; BVerfGK 6, 384 <391>).

III.

49

Diesen Maßstäben genügt die angegriffene Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts nicht. Sie enthält keine in jeder Hinsicht verfassungsrechtlich tragfähige Begründung für die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft.

50

1. Soweit das Oberlandesgericht allerdings angenommen hat, dass während des Ermittlungsverfahrens und des Zwischenverfahrens das Beschleunigungsgebot hinreichend Beachtung gefunden habe, ist die Entscheidung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Durchgreifende Verstöße gegen das Beschleunigungsgebot sind - wovon das Oberlandesgericht zutreffend ausgegangen ist - angesichts des erkennbaren Umfangs und der Komplexität des zu klärenden Sachverhalts nicht ersichtlich.

51

2. Ein Verfassungsverstoß ist auch nicht darin zu erkennen, dass die angegriffene Entscheidung die unterbliebene Bestellung eines Ergänzungsrichters vor Beginn der Hauptverhandlung im November 2015 als noch nicht zurechenbare Verzögerung des Verfahrens gewertet hat. Das Landgericht musste sich zu diesem Zeitpunkt zur Bestellung eines Ergänzungsrichters (noch) nicht gedrängt sehen. Der spätere Verlauf des Verfahrens, der die mehrfache Aussetzung der Hauptverhandlung erforderlich machte, war zu diesem Zeitpunkt für das Landgericht nicht absehbar.

52

3. Die Ausführungen des Oberlandesgerichts zum krankheitsbedingten Ausfall des Kammervorsitzenden und des berichterstattenden Richters lassen einen Verfassungsverstoß ebenfalls nicht erkennen. Krankheitsbedingte Ausfälle stellen unvorhersehbare Ereignisse dar, die nicht in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft fallen. Der Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen gebietet in solchen Fällen indes, dass das Tatgericht alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreift, um einen zügigen Fortgang der Hauptverhandlung zu gewährleisten. Die Gründe der angegriffenen Entscheidung lassen erkennen, dass sich das Oberlandesgericht mit diesem Gesichtspunkt in der gebotenen Tiefe auseinandergesetzt hat. Indem es dargelegt hat, dass das Landgericht auf die mit den krankheitsbedingten Ausfällen einhergehenden unvermeidbaren Verzögerungen jeweils mit zügiger Neuterminierung reagiert hat, ist es zu einem verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Ergebnis gelangt.

53

4. Die Würdigung der jeweiligen Besetzungsfehler hält der verfassungsrechtlichen Kontrolle hingegen nicht stand. Die Ausführungen des Oberlandesgerichts erreichen die verfassungsrechtlich gebotene Begründungstiefe insoweit nicht; sie machen bereits den Maßstab, welcher der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Haftfortdauer zugrunde gelegt worden ist, nicht deutlich.

54

Zunächst geht das Oberlandesgericht davon aus, die durch die Besetzungsfehler eingetretene Verfahrensverzögerung von zweieinhalb Monaten sei durch die rasche Neuterminierung der Strafkammer "minimiert" worden. An anderer Stelle wird ohne nähere Erläuterung ausgeführt, die Verzögerung sei auch durch die nachfolgende enge Verhandlungsdichte "zumindest teilweise kompensiert" worden. Dies legt den Schluss nahe, dass das Oberlandesgericht von vermeidbaren und damit für das Beschleunigungsgebot in Haftsachen relevanten Verfahrensverzögerungen ausgegangen ist, die nachfolgend nicht, jedenfalls nicht vollständig ausgeglichen worden sind.

55

Demgegenüber stellt das Oberlandesgericht im Anschluss daran fest, eine Untätigkeit oder Verfahrensverzögerung sei der Kammer nicht vorzuwerfen, denn die bei der Besetzung begangenen Rechtsfehler seien "nicht identisch mit einem Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz".

56

Dieser Widerspruch wird dadurch verstärkt, dass das Oberlandesgericht zum Abschluss seiner rechtlichen Würdigung ausführt, die Wirtschaftsstrafkammer werde die eingetretene Verfahrensverzögerung im Falle eines Schuldspruchs "gegebenenfalls bei der Strafzumessung berücksichtigen" und im Falle einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung "eine Kompensation nach der Vollstreckungslösung erwägen müssen".

57

Angesichts dessen lassen die Gründe der angegriffenen Entscheidung nicht hinreichend erkennen, welchen Maßstab das Oberlandesgericht der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Haftfortdauer zugrunde gelegt hat. Es bleibt unklar, ob das Oberlandesgericht bei seiner Wertung von einer verfassungsrechtlich relevanten, im Ergebnis nur teilweise kompensierten Verfahrensverzögerung, von einer nicht zurechenbaren Verfahrensverzögerung oder sogar von einer insgesamt rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung ausgegangen ist.

58

Diese Abgrenzung durfte das Oberlandesgericht nicht offen lassen. Vor dem Hintergrund, dass sich der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits seit 18 Monaten in Untersuchungshaft befunden hat und der Vollzug der Untersuchungshaft von mehr als einem Jahr bis zum Beginn der Hauptverhandlung oder zu dem Erlass des Urteils nur in ganz besonderen Ausnahmefällen gerechtfertigt sein kann (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07 -, juris, Rn. 45 und der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2008 - 2 BvR 806/08 -, juris, Rn. 36), unterlag die angegriffene Entscheidung einer erhöhten Begründungstiefe, die in sich schlüssige und widerspruchsfreie Ausführungen zum zugrunde gelegten Prüfungsmaßstab gebietet. Diesen Anforderungen hat das Oberlandesgericht ersichtlich nicht genügt.

IV.

59

Es ist daher gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG festzustellen, dass der angegriffene Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 23. Mai 2016 den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt. Der angegriffene Beschluss ist unter Zurückverweisung der Sache aufzuheben (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG). Das Oberlandesgericht wird - nachdem der Haftbefehl inzwischen außer Vollzug gesetzt worden ist - unter Beachtung der dargelegten verfassungsrechtlichen Anforderungen erneut zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen der Untersuchungshaft noch vorliegen. Andernfalls wird es den Haftbefehl aufzuheben haben.

V.

60

Mit der Entscheidung in der Hauptsache erledigt sich der Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

VI.

61

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG. Da die Verfassungsbeschwerde im Wesentlichen erfolgreich ist und sie auch, soweit sie der Beschwerdeführer für erledigt erklärt hat, offensichtlich Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, erscheint es angemessen, dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen in vollem Umfang zu erstatten.

VII.

62

Der nach § 37 Abs. 2 RVG festzusetzende Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren ist unter Berücksichtigung der in § 14 Abs. 1 RVG genannten Umstände nach billigem Ermessen zu bestimmen und beträgt mindestens 5.000 Euro. Er liegt höher, wenn der Verfassungsbeschwerde aufgrund einer Entscheidung der Kammer stattgegeben wird. Im Hinblick auf die objektive Bedeutung der Sache ist ein Gegenstandswert von 10.000 Euro angemessen.


63

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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(1) Eine Hauptverhandlung darf bis zu drei Wochen unterbrochen werden.

(2) Eine Hauptverhandlung darf auch bis zu einem Monat unterbrochen werden, wenn sie davor jeweils an mindestens zehn Tagen stattgefunden hat.

(3) Hat eine Hauptverhandlung bereits an mindestens zehn Tagen stattgefunden, so ist der Lauf der in den Absätzen 1 und 2 genannten Fristen gehemmt, solange

1.
ein Angeklagter oder eine zur Urteilsfindung berufene Person wegen Krankheit oder
2.
eine zur Urteilsfindung berufene Person wegen gesetzlichen Mutterschutzes oder der Inanspruchnahme von Elternzeit
nicht zu der Hauptverhandlung erscheinen kann, längstens jedoch für zwei Monate. Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Fristen enden frühestens zehn Tage nach Ablauf der Hemmung. Beginn und Ende der Hemmung stellt das Gericht durch unanfechtbaren Beschluß fest.

(4) Wird die Hauptverhandlung nicht spätestens am Tage nach Ablauf der in den vorstehenden Absätzen bezeichneten Frist fortgesetzt, so ist mit ihr von neuem zu beginnen. Ist der Tag nach Ablauf der Frist ein Sonntag, ein allgemeiner Feiertag oder ein Sonnabend, so kann die Hauptverhandlung am nächsten Werktag fortgesetzt werden.

(5) Ist dem Gericht wegen einer vorübergehenden technischen Störung die Fortsetzung der Hauptverhandlung am Tag nach Ablauf der in den vorstehenden Absätzen bezeichneten Frist oder im Fall des Absatzes 4 Satz 2 am nächsten Werktag unmöglich, ist es abweichend von Absatz 4 Satz 1 zulässig, die Hauptverhandlung unverzüglich nach der Beseitigung der technischen Störung, spätestens aber innerhalb von zehn Tagen nach Fristablauf fortzusetzen. Das Vorliegen einer technischen Störung im Sinne des Satzes 1 stellt das Gericht durch unanfechtbaren Beschluss fest.

(1) Findet die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Landgericht oder dem Oberlandesgericht statt, so ist spätestens zu Beginn der Hauptverhandlung die Besetzung des Gerichts unter Hervorhebung des Vorsitzenden und hinzugezogener Ergänzungsrichter und Ergänzungsschöffen mitzuteilen. Die Besetzung kann auf Anordnung des Vorsitzenden schon vor der Hauptverhandlung mitgeteilt werden; die Mitteilung ist zuzustellen. Ändert sich die mitgeteilte Besetzung, so ist dies spätestens zu Beginn der Hauptverhandlung mitzuteilen.

(2) Ist die Mitteilung der Besetzung oder einer Besetzungsänderung später als eine Woche vor Beginn der Hauptverhandlung zugestellt oder erst zu Beginn der Hauptverhandlung bekanntgemacht worden, so kann das Gericht auf Antrag des Angeklagten, des Verteidigers oder der Staatsanwaltschaft die Hauptverhandlung zur Prüfung der Besetzung unterbrechen, wenn dies spätestens bis zum Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten zur Sache verlangt wird und absehbar ist, dass die Hauptverhandlung vor Ablauf der in § 222b Absatz 1 Satz 1 genannten Frist beendet sein könnte.

(3) In die für die Besetzung maßgebenden Unterlagen kann für den Angeklagten nur sein Verteidiger oder ein Rechtsanwalt, für den Nebenkläger nur ein Rechtsanwalt Einsicht nehmen.

(1) Ergänzungsschöffen (§ 192 Abs. 2, 3) werden aus der Ersatzschöffenliste zugewiesen.

(2) Im Fall der Verhinderung eines Hauptschöffen tritt der zunächst zugewiesene Ergänzungsschöffe auch dann an seine Stelle, wenn die Verhinderung vor Beginn der Sitzung bekannt wird.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden.

(2) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.

(3) Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.

(4) Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen.

(1) Bei Entscheidungen dürfen Richter nur in der gesetzlich bestimmten Anzahl mitwirken.

(2) Bei Verhandlungen von längerer Dauer kann der Vorsitzende die Zuziehung von Ergänzungsrichtern anordnen, die der Verhandlung beizuwohnen und im Falle der Verhinderung eines Richters für ihn einzutreten haben.

(3) Diese Vorschriften sind auch auf Schöffen anzuwenden.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden.

(2) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.

(3) Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.

(4) Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Liegen die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 Buchstabe b vor und ist die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgebliche verfassungsrechtliche Frage durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, kann die Kammer der Verfassungsbeschwerde stattgeben, wenn sie offensichtlich begründet ist. Der Beschluß steht einer Entscheidung des Senats gleich. Eine Entscheidung, die mit der Wirkung des § 31 Abs. 2 ausspricht, daß ein Gesetz mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht unvereinbar oder nichtig ist, bleibt dem Senat vorbehalten.

(2) Auf das Verfahren finden § 94 Abs. 2 und 3 und § 95 Abs. 1 und 2 Anwendung.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden.

(2) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.

(3) Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.

(4) Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Tenor

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 1. August 2012 - 4b Ws 42/12 - und der Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 25. Juni 2012 - 4 KLs 211 Js 28184/12 Hw. - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes.

Der Beschluss des Oberlandesgerichts wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwie-sen.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweili-gen Anordnung.

...

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

A.

1

Der Beschwerdeführer wendet sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen die Aufrechterhaltung der gegen ihn angeordneten Untersuchungshaft.

I.

2

1. Das Amtsgericht Stuttgart erließ am 20. Dezember 2011 gegen den im Februar 1992 geborenen Beschwerdeführer einen Haftbefehl. Danach war dieser dringend verdächtig, in zwei versuchten und drei vollendeten Fällen gewerbsmäßige Betrugstaten begangen und dabei als Mitglied einer Bande gehandelt zu haben, die sich zur fortgesetzten Begehung von Betrugstaten verbunden habe. Der Beschwerdeführer habe bei den vollendeten Taten Beträge von 500 €, 1000 € und 1.500 € erlangt und ferner versucht je einmal 500 € und 1.000 € zu erbeuten.

3

Der Beschwerdeführer wurde am 29. Dezember 2011 in Haft genommen.

4

2. Am 4. April 2012 erhob die Staatsanwaltschaft Stuttgart Anklage gegen den nicht vorbestraften Beschwerdeführer und fünf weitere Angeschuldigte. Sie listete in drei Komplexen insgesamt 28 Taten aus den Bereichen der Betäubungs- und Arzneimitteldelikte und der Spielautomatenmanipulation sowie Taten im Zusammenhang mit Erpressungen und Körperverletzungen auf. Dem Beschwerdeführer wurden, im Wesentlichen entsprechend den Vorwürfen aus dem Haftbefehl, fünf banden- und gewerbsmäßige Betrugstaten aus dem Komplex der Spielautomatenmanipulation, davon in einem Fall als Versuch, zur Last gelegt.

5

3. Am 16. April 2012 wies die Strafkammervorsitzende die Verteidiger darauf hin, dass vorbehaltlich der Eröffnung des Hauptverfahrens der Hauptverhandlungsbeginn für den 25. Mai 2012 geplant sei. Weitere Termine sollten am 12., 14., 19., 20., 22., 25. und 28. Juni 2012, am 4., 5. und 10. Juli 2012 sowie anschließend ganztägig jeweils Dienstag und Donnerstag stattfinden.

6

4. Mit Schriftsatz vom 2. Mai 2012 beantragte der Bevollmächtigte, das Verfahren gegen den Beschwerdeführer abzutrennen und vor dem Jugendrichter oder Jugendschöffengericht zu eröffnen. Eine gemeinsame Verhandlung gegen alle in der Anklageschrift genannten Angeschuldigten sei mit dem im Jugendstrafrecht vorherrschenden Prinzip des Erziehungsgedankens nicht in Einklang zu bringen; es handele sich zudem weit überwiegend um Straftaten, die den Beschwerdeführer nicht beträfen.

7

5. Mit Beschluss vom 10. Mai 2012 eröffnete die Strafkammer das Hauptverfahren, ließ die Anklage unverändert zur Hauptverhandlung zu und ordnete die Aufrechterhaltung der gegen alle sechs Angeklagten vollzogenen Untersuchungshaft an.

8

Die Hauptverhandlung sollte - wie angekündigt - am 25. Mai 2012 beginnen. Für die Zeit bis zum 2. August 2012 wurden 13 Folgetermine anberaumt; ab dem 30. August sollte jeweils am Dienstag und Donnerstag verhandelt werden.

9

6. Nachdem zum Prozessauftakt am 25. Mai 2012 die Anklage verlesen worden war und im Folgetermin zwei Mitangeklagte Angaben zur Sache gemacht hatten, gab der Beschwerdeführer am dritten Verhandlungstag über seinen Bevollmächtigten eine Erklärung zur Sache ab. Es wurden drei vollendete Tathandlungen eingeräumt, die weiteren Anklagepunkte sowie eine bandenmäßige Begehung hingegen in Abrede gestellt.

10

7. Am 29. Mai 2012 erhielt das Landgericht einen unter dem 4. Mai 2012 erstellten Bericht der Jugendgerichtshilfe über den Beschwerdeführer. Darin wurde die Anwendung von Jugendstrafrecht empfohlen. Der Beschwerdeführer wohne gemeinsam mit anderen Geschwistern noch bei seinen Eltern, die ihn auch im Umgang mit Behörden unterstützten. Es habe noch keine Verselbständigung und Ablösung vom Elternhaus stattgefunden. Sein Auftreten zeige, dass er nach seiner Entwicklung einem Erwachsenen noch nicht gleichgesetzt werden könne.

11

8. Mit Schriftsatz vom 4. Juni 2012 beantragte der Bevollmächtigte, den Haftbefehl aufzuheben. Nach den Ausführungen im Bericht der Jugendgerichtshilfe könne keine Fluchtgefahr angenommen werden.

12

9. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 25. Juni 2012 hielt die Strafkammer den Haftbefehl aufrecht und lehnte den Abtrennungsantrag ab. Es bestehe der Haftgrund der Fluchtgefahr. Auch wenn der Beschwerdeführer bislang nicht vorbestraft sei, habe er wegen der zur Last gelegten Taten bei vorläufiger Bewertung mit einer empfindlichen, möglicherweise zu vollstreckenden Jugend- oder Freiheitsstrafe zu rechnen. Mildere Maßnahmen im Sinne von § 116 Abs. 1 StPO kämen nicht in Betracht. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft sei auch nicht unter Berücksichtigung der besonderen Belastungen für einen Heranwachsenden unverhältnismäßig. Der Beschwerdeführer befinde sich zwar seit mehr als sechs Monaten in Untersuchungshaft, die Kammer habe aber die Haftbedingungen gelockert, so dass für den Beschwerdeführer nunmehr die Gelegenheit bestehe, die begonnene Ausbildung fortzuführen und an den Abschlussprüfungen teilzunehmen.

13

Im Interesse der Wahrheitsfindung, der Prozessökonomie und der Beschleunigung sei es geboten, die Tatvorwürfe in einem einheitlichen Verfahren aufzuklären. Es sei nicht ersichtlich, dass eine weitere gemeinsame Verhandlung eine erziehungsschädliche Wirkung haben könnte.

14

10. Am 23. Juli 2012 bestimmte die Vorsitzende für die Zeit vom 3. September bis zum 29. November 2012 weitere 13 Termine. Im Anschluss sollte jeden Dienstag und Donnerstag verhandelt werden.

15

11. Mit Schriftsatz vom 24. Juli 2012 legte der Bevollmächtigte Beschwerde gegen die Haftfortdauerentscheidung ein. Die bisherige Beweisaufnahme habe das Bestehen einer Bande nicht belegen können. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft sei unverhältnismäßig. Bei dem heranwachsenden Beschwerdeführer komme mit hoher Wahrscheinlichkeit Jugendstrafrecht zur Anwendung. Der das Jugendrecht beherrschende Erziehungsgedanke dürfe nicht hinter prozessökonomischen Gesichtspunkten zurücktreten.

16

Nach Erhalt der weiteren Terminplanung vom 23. Juli 2012 ergänzte der Bevollmächtigte am 27. Juli 2012 das Beschwerdevorbringen und rügte eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes. Den Beschwerdeführer betreffe nur ein kleiner Teil der angeklagten Taten samt der dazugehörigen Beweisaufnahme. Nach der weiteren Planung komme es zwischen Anfang September und Ende November nur zu einer Verhandlung pro Woche, was nicht nur dem Erziehungsgedanken des Jugendstrafrechts, sondern auch dem Beschleunigungsgebot widerspreche.

17

Mit einem Schriftsatz vom selben Tag wurde das Landgericht um Mitteilung gebeten, an welchen Tagen im Zeitraum von September bis November die Strafkammer Hauptverhandlungstermine in anderen Verfahren festgesetzt habe und ob es sich dabei um Haftsachen handele.

18

12. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart beantragte unter dem 30. Juli 2012, die Beschwerde zu verwerfen.

19

13. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 1. August 2012 wies das Oberlandesgericht Stuttgart die Haftbeschwerde zurück. Es bestehe Fluchtgefahr. Der Beschwerdeführer habe mit einer empfindlichen Gesamtfreiheitsstrafe zu rechnen. Trotz der Ausführungen im Bericht der Jugendgerichtshilfe halte es der Senat für überwiegend wahrscheinlich, dass sich der Beschwerdeführer im Falle einer Haftentlassung dem weiteren Verfahren entziehen werde. Die Fortdauer der Untersuchungshaft sei auch verhältnismäßig. Dabei verkenne der Senat nicht, dass sich das Freiheitsinteresse mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft vergrößere und der Vollzug für den erst 20-jährigen und in Berufsausbildung befindlichen Beschwerdeführer besondere Belastungen mit sich bringe. Dieser sei zwar seit dem 29. Dezember 2011 in Haft, was aber in Ansehung der beschleunigten Handhabung durch die Kammer - so habe die Hauptverhandlung bereits sieben Wochen nach Eingang der Anklage begonnen - weiterhin zumutbar sei.

20

Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot liege nicht vor. Die Kammer habe seit Verhandlungsbeginn bereits 14 Termine durchgeführt und beabsichtige nunmehr nach § 229 Abs. 2 StPO aus nachvollziehbaren Gründen eine einmonatige Unterbrechung. Die ab dem 3. September geplante Terminierung mit 13 Terminen bis zum 29. November lasse keine unzureichende Beschleunigung besorgen, da sich eine isolierte Betrachtung bestimmter Verhandlungszeiträume verbiete. Es komme daher nicht darauf an, ob und gegebenenfalls mit welchem Inhalt die Strafkammer die Anfrage des Bevollmächtigten zu sonstigen Verhandlungen beantworte.

21

Diese Entscheidung ging am 13. August 2012 beim Bevollmächtigten ein.

22

14. Bis zum 14. Hauptverhandlungstag am 2. August 2012 erstreckte sich bei der Hälfte der Termine die Sitzungsdauer auf eine bis maximal vier Stunden. In der Zeit vom 3. August bis zum 3. September 2012 wurde die Hauptverhandlung nach § 229 Abs. 2 StPO für einen Monat unterbrochen, um den Berufsrichtern und den Schöffen einen Urlaub zu ermöglichen.

23

15. Am 9. August 2012 erhielt der Bevollmächtigte die erbetene Aufstellung zu den weiteren Verhandlungen der Strafkammer übersandt. Danach sollte an zwei Tagen im Oktober in einer anderen Nichthaftsache verhandelt werden. Im November konnte an vier Tagen keine Terminierung erfolgen, weil die auch einer anderen Strafkammer zugewiesene Beisitzerin dort an einer Hauptverhandlung in einer Haftsache teilnehmen sollte.

24

16. Unter dem 15. August 2012 wies der Bevollmächtigte im Wege der Gegenvorstellung den Strafsenat unter Bezugnahme auf die Auskunft der Strafkammer darauf hin, dass trotz 32 freier Arbeitstage zwischen September und November in 26 Wochen lediglich an 27 Tagen und davon an mehreren Tagen nur halbtags verhandelt werden sollte.

25

17. Das Oberlandesgericht wies die Gegenvorstellung am 17. August 2012 als unzulässig zurück. Die verhandlungsfreien Tage könnten keinen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot begründen, da ein Spruchkörper auch außerhalb von Hauptverhandlungen umfangreiche Arbeiten zu erledigen habe.

26

18. Am 13. September 2012 bestimmte die Strafkammervorsitzende für den Monat November drei weitere Sitzungstermine.

27

19. Nachdem das Landgericht den Beschwerdeführer und dessen Bevollmächtigten am 25. September 2012 zu den möglichen Modalitäten einer Haftverschonung angehört hatte, beschloss es am 2. Oktober 2012, den Haftbefehl gegen Auflagen und Weisungen außer Vollzug zu setzen. Es bestehe weiterhin Fluchtgefahr, da der Beschwerdeführer mit einer Verurteilung zu einer fühlbaren Jugend- oder Gesamtfreiheitsstrafe zu rechnen habe. Angesichts der bisherigen erheblichen Dauer der Untersuchungshaft sowie der Straferwartung und unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit könne der Fluchtgefahr aber durch Weisungen und Auflagen begegnet werden.

II.

28

Mit seiner am 13. September 2012 eingegangenen Verfassungsbeschwerde und dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG.

29

Die Anordnung der Untersuchungshaft verstoße gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, insbesondere unter Beachtung des Beschleunigungsgebots. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts könne allein die Schwere der Tat und die daraus folgende Straferwartung bei erheblichen Verfahrensverzögerungen eine ohnehin schon lang andauernde Untersuchungshaft nicht rechtfertigen. Bei dem hier nicht besonders schwerwiegenden Tatvorwurf gegen einen Heranwachsenden, bei dem voraussichtlich Jugendstrafrecht zur Anwendung kommen werde, müsse die Abwägung zu Gunsten des Beschwerdeführers ausfallen.

30

Die Strafkammer erfülle nicht die Anforderungen, die das Beschleunigungsgebot in umfangreichen Verfahren an eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlungsplanung mit mehr als einem Verhandlungstag pro Woche stelle. Von Beginn der Hauptverhandlung seien bis zum letzten bislang festgesetzten Termin in 26 Wochen lediglich 27 Verhandlungstage anberaumt worden; dies entspreche einem wöchentlichen Durchschnitt von 1,04 Sitzungstagen. Von den bis zum 11. September 2012 durchgeführten Verhandlungen seien sieben nur von halbtägiger oder stundenweiser Dauer gewesen. Die angegriffenen Entscheidungen verhielten sich auch nicht zu der Frage, ob das Landgericht zur Beschleunigung des Verfahrens alles Zumutbare unternommen habe. Es sei mangels entgegenstehender Erkenntnisse davon auszugehen, dass die Kammer an mindestens zwei Tagen pro Woche hätte verhandeln können.

31

Es fehle auch an der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung zwischen dem Freiheitsinteresse des Beschwerdeführers und dem Strafverfolgungsinteresse des Staates. Insbesondere fehle jede Abwägung zwischen der Dauer der Untersuchungshaft und der zu erwartenden Rechtsfolge. Dabei müsse berücksichtigt werden, dass der Beschwerdeführer Heranwachsender und bislang nicht vorbestraft sei. Gerade das Fehlen von Vorstrafen sei bei erstmaliger Verhängung von Jugendstrafe ein deutliches Indiz für eine Strafaussetzung zur Bewährung oder jedenfalls eine Reststrafenaussetzung. Hierzu verhielten sich die angegriffenen Entscheidungen nicht, weshalb es auch an der für Haftfortdauerentscheidungen notwendigen Begründungstiefe fehle.

III.

32

1. Das Justizministerium des Landes Baden-Württemberg hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.

33

2. Die Strafkammervorsitzende teilte unter dem 19. Oktober 2012 mit, das Gericht habe seit dem Prozessauftakt an 20 Sitzungstagen verhandelt. Bis zum 29. November 2012 seien acht weitere Termine anberaumt. Eine mit einem Arbeitskraftanteil von 0,5 teilzeitbeschäftigte Beisitzerin sei aufgrund eines Präsidiumsbeschlusses des Landgerichts Stuttgart seit dem 1. August 2012 nur noch mit einem Anteil von 0,2 der Strafkammer und im Übrigen einer anderen Schwurgerichtskammer zugewiesen. Ferner habe die Kammer als Schwurgericht parallel zum streitgegenständlichen Verfahren weitere vier Haftverfahren, teilweise mit bis zu vier Angeklagten, an 18 Verhandlungstagen sowie an weiteren Sitzungstagen Berufungen verhandelt.

34

3. Der Beschwerdeführer teilte mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2012 mit, im Oktober sei an den drei Sitzungstagen jeweils halbtags verhandelt worden.

35

4. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten des Ausgangsverfahrens vorgelegen.

B.

36

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit sie sich gegen die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 1. August 2012 und des Landgerichts Stuttgart vom 25. Juni 2012 wendet, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine der Verfassungsbeschwerde stattgebende Ent-scheidung der Kammer sind gegeben. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zu Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht bereits ent-schieden.

37

Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer nach der Entscheidung der Strafkammer vom 2. Oktober 2012 derzeit vom weiteren Vollzug der Untersuchungshaft verschont ist (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. November 2012 - 2 BvR 1164/12 -, juris).

38

Die gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Stuttgart vom 20. Dezember 2011 gerichtete Verfassungsbeschwerde nimmt die Kammer nicht zur Entscheidung an. Von einer Begründung wird insoweit abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

I.

39

Bei der Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ist das Spannungsverhältnis zwischen dem in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleisteten Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung zu beachten. Der Entzug der Freiheit eines der Straftat lediglich Verdächtigen ist wegen der Unschuldsvermutung, die ihre Wurzel im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG hat und auch in Art. 6 Abs. 2 EMRK ausdrücklich hervorgehoben ist (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 74, 358 <371>), nur ausnahmsweise zulässig. Dabei muss den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Beschuldigten als Korrektiv gegenübergestellt werden, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine maßgebliche Bedeutung zukommt (vgl. grundlegend BVerfGE 19, 342 <347> sowie BVerfGE 20, 45 <49 f.>; 36, 264 <270>; 53, 152 <158 f.>; BVerfGK 15, 474 <479>).

40

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nicht nur für die Anordnung, sondern auch für die Dauer der Untersuchungshaft von Bedeutung. Er verlangt, dass die Dauer der Untersuchungshaft nicht außer Verhältnis zur erwarteten Strafe steht, und setzt ihr auch unabhängig von der Straferwartung Grenzen (BVerfGE 20, 45 <49 f.>). Das Gewicht des Freiheitsanspruchs vergrößert sich gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung regelmäßig mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft (vgl. BVerfGE 36, 264 <270>; 53, 152 <158 f.>). Daraus folgt zum einen, dass die Anforderungen an die Zügigkeit der Arbeit in einer Haftsache mit der Dauer der Untersuchungshaft steigen. Zum anderen nehmen auch die Anforderungen an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund zu (vgl. BVerfGK 7, 140 <161>; 15, 474 <480>; 17, 517 <522>).

41

Das verfassungsrechtlich in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verankerte Beschleunigungsgebot in Haftsachen (vgl. BVerfGE 46, 194 <195>) verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. An den zügigen Fortgang des Verfahrens sind dabei umso strengere Anforderungen zu stellen, je länger die Untersuchungshaft schon andauert. Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und einer Sicherstellung der späteren Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft deshalb nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare Verfahrensverzögerungen verursacht ist. Bei absehbar umfangreicheren Verfahren ist daher stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlung mit mehr als einem durchschnittlichen Hauptverhandlungstag pro Woche notwendig (vgl. BVerfGK 7, 21 <46 f.>; 7, 140 <157>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07 -, juris Rn. 52). Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare erhebliche Verfahrensverzögerungen stehen regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen (vgl. BVerfGK 17, 517 <523>).

42

In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der Grundrechtsschutz auch durch die Verfahrensgestaltung zu bewirken ist (vgl. hierzu BVerfGE 53, 30 <65>; 63, 131 <143>). Das Verfahren der Haftprüfung und Haftbeschwerde muss deshalb so ausgestaltet sein, dass nicht die Gefahr einer Entwertung der materiellen Grundrechtsposition aus Art. 2 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 104 GG besteht. Dem ist vor allem durch erhöhte Anforderungen an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 103, 21 <35 f.>). Die mit Haftsachen betrauten Gerichte haben sich bei der zu treffenden Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft mit deren Voraussetzungen eingehend auseinanderzusetzen und diese entsprechend zu begründen. In der Regel sind in jedem Beschluss über die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft aktuelle Ausführungen zu dem weiteren Vorliegen ihrer Voraussetzungen, zur Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit sowie zur Frage der Verhältnismäßigkeit geboten, weil sich die dafür maßgeblichen Umstände angesichts des Zeitablaufs in ihrem Gewicht verschieben können (vgl. BVerfGK 7, 140 <161>; 10, 294 <301>; 15, 474 <481>). Bei der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch und dem Strafverfolgungsinteresse kommt es in erster Linie auf die durch objektive Kriterien bestimmte Angemessenheit der Verfahrensdauer an, die etwa von der Komplexität der Rechtssache, der Vielzahl der beteiligten Personen oder dem Verhalten der Verteidigung abhängig sein kann. Dies macht eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung des Verfahrensablaufs erforderlich (vgl. BVerfGK 7, 421 <428>), die es dem Bundesverfassungsgericht ermöglicht, eine Verletzung des Beschleunigungsgebots in Haftsachen zu prüfen (vgl. BVerfGK 17, 517 <524>).

43

Zu würdigen sind auch die voraussichtliche Gesamtdauer des Verfahrens, die für den Fall einer Verurteilung konkret im Raum stehende Straferwartung und - unter Berücksichtigung einer etwaigen Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung gemäß § 57 StGB - das hypothetische Ende einer möglicherweise zu verhängenden Freiheitsstrafe (vgl. BVerfGK 8, 1 <5>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Juni 2012 - 2 BvR 644/12 -, juris Rn. 25).

44

Die zugehörigen Ausführungen müssen in Inhalt und Umfang eine Überprü-fung des Abwägungsergebnisses am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht nur für den Betroffenen selbst, sondern auch für das die Anordnung treffende Fachgericht im Rahmen einer Eigenkontrolle gewährleisten und in sich schlüssig und nachvollziehbar sein (vgl. BVerfGK 7, 421 <429 f.>; 8, 1 <5>; 15, 474 <481 f.>).

II.

45

Diesen sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ergebenden Anforderungen werden die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen des Landge-richts Stuttgart vom 25. Juni 2012 und des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 1. August 2012 nicht gerecht.

46

Die Entscheidungen lassen nicht erkennen, dass die Gerichte bei der vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Freiheitsrecht des Beschwerdeführers und dem Strafverfolgungsinteresse des Staates die Bedeutung und Tragweite des Freiheitsgrundrechts ausreichend berücksichtigt haben. Insoweit weisen beide Entscheidungen nicht die für eine Haftfortdauerentscheidung erforderliche Begründungstiefe auf.

47

1. Das Landgericht geht bei seiner Entscheidung zwar davon aus, dass die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Taten zur "Verhängung einer empfindlichen, möglicherweise zu vollstreckenden Jugend- oder Freiheitsstrafe" führen können. Die Kammer lässt jedoch die voraussichtliche Gesamtdauer des Verfahrens außer Betracht und nimmt insbesondere unter Berücksichtigung einer etwaigen Aussetzung eines Strafrestes zur Bewährung nach § 57 StGB (zum Halbstrafen- oder 2/3 Termin) oder nach § 88 JGG (nach sechs Monaten oder bei mehr als einem Jahr Jugendstrafe nach einem Drittel) nicht das hypothetische Ende einer möglicherweise zu verhängenden Freiheits- oder Jugendstrafe in den Blick. Für eine solche Betrachtung bestand aber insbesondere deshalb gesteigerter Anlass, weil der Beschwerdeführer bislang nicht vorbestraft und soweit ersichtlich erstmalig von einer freiheitsentziehenden Maßnahme betroffen sein würde sowie nach dem Bericht der Jugendgerichtshilfe vom 4. Mai 2012 für den Fall einer Verurteilung die Anwendung von Jugendstrafrecht empfohlen wird.

48

Das Oberlandesgericht legt seinen Ausführungen lediglich die Annahme zugrunde, der Beschwerdeführer habe mit einer "empfindlichen Gesamtfreiheitsstrafe" zu rechnen ohne zu berücksichtigen, die Strafkammer als urteilender Spruchkörper auch die Verhängung einer Jugendstrafe in Betracht zieht. Der Strafsenat berücksichtigt im Weiteren zwar die bis zu seiner Entscheidung seit annähernd sieben Monaten vollzogene Freiheitsentziehung, ohne aber - wie es geboten gewesen wäre - weitergehend eine Abwägung vorzunehmen, ob die Fortdauer der Untersuchungshaft angesichts des hypothetischen Endes der Freiheitsentziehung noch verhältnismäßig erscheint.

49

2. Das Landgericht hat sich nicht mit den aus dem Beschleunigungsgebot folgenden Anforderungen befasst, was in Anbetracht der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung erst seit wenigen Wochen dauernden Verhandlung grundsätzlich nicht zu beanstanden ist. Selbst der Beschwerdeführer hatte seinen Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls zunächst auf andere Umstände gestützt.

50

Demgegenüber hat sich das Oberlandesgericht zwar mit dem Beschleunigungsgebot in Haftsachen auseinander gesetzt, sich in diesem Zusammenhang aber auf die Feststellung beschränkt, dass die Strafkammer seit dem Beginn der Hauptverhandlung am 25. Mai 2012 14 Termine durchgeführt, für August eine einmonatige Unterbrechung angeordnet und bis zum 29. November 2012 weitere 13 Sitzungstage anberaumt habe. Dies lasse keine unzureichende Beschleunigung der Sache besorgen.

51

Bei dieser Bewertung berücksichtigt der Strafsenat nicht alle relevanten Umstände des Einzelfalls. Die Strafkammer hat nach der Mitteilung ihrer Vorsitzenden bis zur am 2. August 2012 erfolgten einmonatigen Unterbrechung im Zeitraum von zehn Wochen an 14 Terminstagen verhandelt. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Oberlandesgerichts waren für die Zeit nach der am 3. September 2012 endenden Pause bis zum 29. November 2012 weitere 13 Sitzungstage geplant. Dies entsprach bei einem Zeitraum von 27 Wochen und 27 Terminen einer Verhandlungsdichte von (nur) 1,00 Terminstagen pro Woche außerhalb der Unterbrechungszeit. Wenn die vierwöchige Unterbrechungszeit wegen Urlaubs unberücksichtigt bleibt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07 -, juris Rn. 53), liegt die Verhandlungsdichte bei 1,17 Sitzungen pro Woche.

52

Mit der Anberaumung von (knapp) mehr als durchschnittlich einem Sitzungstag pro Woche allein ist der verfassungsrechtlichen Pflicht zur beschleunigten Durchführung einer Hauptverhandlung indes noch nicht genügt. Das Oberlandesgericht geht nicht darauf ein, dass an einer nennenswerten Zahl von Sitzungstagen nur stundenweise oder halbtags verhandelt worden ist, ohne dass ersichtlich würde, weshalb die Strafkammer von ihrer ursprünglichen Absicht, an zwei (vollen) Tagen in der Woche zu verhandeln, Abstand genommen hat oder nehmen musste. Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen kann auch dadurch verletzt werden, dass an den jeweiligen Sitzungstagen nur kurze, den Sitzungstag nicht ausschöpfende Zeit verhandelt und das Verfahren dadurch nicht entscheidend gefördert wird (vgl. BVerfGK 7, 21 <46 f.>; OLG Koblenz, Beschluss vom 26. August 2010 - 2 Ws 383/10 -, juris, Rn. 16, 23; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. August 2011 - III 1 Ws 260/11 -, juris, Rn. 6).

53

Das Oberlandesgericht hätte in diesem Zusammenhang insbesondere prüfen müssen, ob die Strafkammer ihrer Aufgabe einer vorausschauenden straffen Hauptverhandlungsplanung bei - wie hier - umfangreichen Verfahren hinreichend nachgekommen ist (vgl. BVerfGK 7, 21 <46>; 7, 140 <158>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des 2. Senats vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07 -, juris Rn. 54). Dazu hätte angesichts der gegebenen Terminfrequenz besonderer Anlass bestanden.

III.

54

Gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ist die Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 GG durch das Oberlandesgericht wie auch durch das Landgericht festzustellen.

55

In Anbetracht der Eilbedürftigkeit der Haftsache ist es angezeigt, nach § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BverfGG nur den Beschluss des Oberlandesgerichts aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen. Es liegt im Interesse des Beschwerdeführers, möglichst rasch eine das Verfahren abschließende Entscheidung zu erhalten (vgl. BverfGE 84, 1 <5>; 94, 372 <400>). Das Oberlandesgericht hat unverzüglich unter Berücksichtigung der angeführten Gesichtspunkte erneut eine Entscheidung über die weitere Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts vom 25. Juni 2012 herbeizuführen.

56

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BverfGG. Da der nicht zur Entscheidung angenommene Teil der Verfassungsbe-schwerde von untergeordneter Bedeutung ist, sind die Auslagen in vollem Umfang zu erstatten (vgl. BverfGE 86, 90 <122>).

IV.

57

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

(1) Der Richter setzt den Vollzug eines Haftbefehls, der lediglich wegen Fluchtgefahr gerechtfertigt ist, aus, wenn weniger einschneidende Maßnahmen die Erwartung hinreichend begründen, daß der Zweck der Untersuchungshaft auch durch sie erreicht werden kann. In Betracht kommen namentlich

1.
die Anweisung, sich zu bestimmten Zeiten bei dem Richter, der Strafverfolgungsbehörde oder einer von ihnen bestimmten Dienststelle zu melden,
2.
die Anweisung, den Wohn- oder Aufenthaltsort oder einen bestimmten Bereich nicht ohne Erlaubnis des Richters oder der Strafverfolgungsbehörde zu verlassen,
3.
die Anweisung, die Wohnung nur unter Aufsicht einer bestimmten Person zu verlassen,
4.
die Leistung einer angemessenen Sicherheit durch den Beschuldigten oder einen anderen.

(2) Der Richter kann auch den Vollzug eines Haftbefehls, der wegen Verdunkelungsgefahr gerechtfertigt ist, aussetzen, wenn weniger einschneidende Maßnahmen die Erwartung hinreichend begründen, daß sie die Verdunkelungsgefahr erheblich vermindern werden. In Betracht kommt namentlich die Anweisung, mit Mitbeschuldigten, Zeugen oder Sachverständigen keine Verbindung aufzunehmen.

(3) Der Richter kann den Vollzug eines Haftbefehls, der nach § 112a erlassen worden ist, aussetzen, wenn die Erwartung hinreichend begründet ist, daß der Beschuldigte bestimmte Anweisungen befolgen und daß dadurch der Zweck der Haft erreicht wird.

(4) Der Richter ordnet in den Fällen der Absätze 1 bis 3 den Vollzug des Haftbefehls an, wenn

1.
der Beschuldigte den ihm auferlegten Pflichten oder Beschränkungen gröblich zuwiderhandelt,
2.
der Beschuldigte Anstalten zur Flucht trifft, auf ordnungsgemäße Ladung ohne genügende Entschuldigung ausbleibt oder sich auf andere Weise zeigt, daß das in ihn gesetzte Vertrauen nicht gerechtfertigt war, oder
3.
neu hervorgetretene Umstände die Verhaftung erforderlich machen.

(1) Wird der Verfassungsbeschwerde stattgegeben, so ist in der Entscheidung festzustellen, welche Vorschrift des Grundgesetzes und durch welche Handlung oder Unterlassung sie verletzt wurde. Das Bundesverfassungsgericht kann zugleich aussprechen, daß auch jede Wiederholung der beanstandeten Maßnahme das Grundgesetz verletzt.

(2) Wird der Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung stattgegeben, so hebt das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung auf, in den Fällen des § 90 Abs. 2 Satz 1 verweist es die Sache an ein zuständiges Gericht zurück.

(3) Wird der Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz stattgegeben, so ist das Gesetz für nichtig zu erklären. Das gleiche gilt, wenn der Verfassungsbeschwerde gemäß Absatz 2 stattgegeben wird, weil die aufgehobene Entscheidung auf einem verfassungswidrigen Gesetz beruht. Die Vorschrift des § 79 gilt entsprechend.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Wird der Verfassungsbeschwerde stattgegeben, so ist in der Entscheidung festzustellen, welche Vorschrift des Grundgesetzes und durch welche Handlung oder Unterlassung sie verletzt wurde. Das Bundesverfassungsgericht kann zugleich aussprechen, daß auch jede Wiederholung der beanstandeten Maßnahme das Grundgesetz verletzt.

(2) Wird der Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung stattgegeben, so hebt das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung auf, in den Fällen des § 90 Abs. 2 Satz 1 verweist es die Sache an ein zuständiges Gericht zurück.

(3) Wird der Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz stattgegeben, so ist das Gesetz für nichtig zu erklären. Das gleiche gilt, wenn der Verfassungsbeschwerde gemäß Absatz 2 stattgegeben wird, weil die aufgehobene Entscheidung auf einem verfassungswidrigen Gesetz beruht. Die Vorschrift des § 79 gilt entsprechend.

(1) Erweist sich der Antrag auf Verwirkung der Grundrechte (§ 13 Nr. 1), die Anklage gegen den Bundespräsidenten (§ 13 Nr. 4) oder einen Richter (§ 13 Nr. 9) als unbegründet, so sind dem Antragsgegner oder dem Angeklagten die notwendigen Auslagen einschließlich der Kosten der Verteidigung zu ersetzen.

(2) Erweist sich eine Verfassungsbeschwerde als begründet, so sind dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen ganz oder teilweise zu erstatten.

(3) In den übrigen Fällen kann das Bundesverfassungsgericht volle oder teilweise Erstattung der Auslagen anordnen.

(1) Die Vorschriften für die Revision in Teil 4 Abschnitt 1 Unterabschnitt 3 des Vergütungsverzeichnisses gelten entsprechend in folgenden Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Verfassungsgericht (Verfassungsgerichtshof, Staatsgerichtshof) eines Landes:

1.
Verfahren über die Verwirkung von Grundrechten, den Verlust des Stimmrechts, den Ausschluss von Wahlen und Abstimmungen,
2.
Verfahren über die Verfassungswidrigkeit von Parteien,
3.
Verfahren über Anklagen gegen den Bundespräsidenten, gegen ein Regierungsmitglied eines Landes oder gegen einen Abgeordneten oder Richter und
4.
Verfahren über sonstige Gegenstände, die in einem dem Strafprozess ähnlichen Verfahren behandelt werden.

(2) In sonstigen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Verfassungsgericht eines Landes gelten die Vorschriften in Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 2 des Vergütungsverzeichnisses entsprechend. Der Gegenstandswert ist unter Berücksichtigung der in § 14 Absatz 1 genannten Umstände nach billigem Ermessen zu bestimmen; er beträgt mindestens 5 000 Euro.

(1) Bei Rahmengebühren bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts kann bei der Bemessung herangezogen werden. Bei Rahmengebühren, die sich nicht nach dem Gegenstandswert richten, ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist.

(2) Ist eine Rahmengebühr auf eine andere Rahmengebühr anzurechnen, ist die Gebühr, auf die angerechnet wird, so zu bestimmen, als sei der Rechtsanwalt zuvor nicht tätig gewesen.

(3) Im Rechtsstreit hat das Gericht ein Gutachten des Vorstands der Rechtsanwaltskammer einzuholen, soweit die Höhe der Gebühr streitig ist; dies gilt auch im Verfahren nach § 495a der Zivilprozessordnung. Das Gutachten ist kostenlos zu erstatten.