Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 20. September 2013 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

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Streitig sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab 1.2.2013.

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Der 1955 geborene erwerbsfähige Kläger, griechischer Staatsangehöriger, lebt seit 17.10.2011 ohne weitere Familienangehörige wieder in Deutschland und war bei der Firma C. T. in S. als Lagerist/Fahrer sozialversicherungspflichtig vom 20.12.2011 bis 17.2.2012 beschäftigt. Der Beklagte erbrachte dem Kläger zunächst vom 1.8.2012 bis 31.1.2013 SGB II-Leistungen (Bescheid vom 31.8.2012), lehnte die weitere Bewilligung auf den Antrag des einkommens- und vermögenslosen Klägers vom 17.1.2013 jedoch mit der Begründung ab, dass dieser ein alleiniges Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche habe und damit der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II eingreife(Bescheid vom 21.1.2013; Widerspruchsbescheid vom 18.2.2013).

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Das SG hat den Beklagten verurteilt, "dem Kläger über den 31.01.2013 hinaus weiterhin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren" (Gerichtsbescheid vom 19.6.2013). In der mündlichen Verhandlung vor dem LSG haben sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt, "dass der Senat über den noch offenen Bescheid vom 21. Januar 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Februar 2013 erstinstanzlich entscheidet". Sodann hat das LSG den Bescheid des Beklagten vom 21.1.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.2.2013 aufgehoben und den Gerichtsbescheid des SG aufgehoben, "soweit das Sozialgericht dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts über den 31. Juli 2013 hinaus zugesprochen hat". Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 20.9.2013). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ua ausgeführt, auf den Kläger, der "zu den leistungsberechtigten Personen nach § 7 Abs 1 S 1 SGB II" gehöre, finde der Ausschluss von der Leistungsberechtigung nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II keine Anwendung, obgleich er sich nicht (mehr) auf den Arbeitnehmerstatus nach § 2 Abs 3 S 2 FreizügG/EU berufen könne. § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II kollidiere mit der VO (EG) 883/2004, weil das Gleichbehandlungsgebot aus Art 4 iVm Art 70 VO (EG) 883/2004 eine Ungleichbehandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ausschließe. Auf die Berufung des Beklagten sei der Gerichtsbescheid des SG aufzuheben, soweit dieses SGB II-Leistungen unbefristet über den 31.7.2013 hinaus zugesprochen habe. Nach § 41 Abs 1 S 4 SGB II könnten SGB II-Leistungen - von besonderen, hier weder ersichtlichen noch geltend gemachten Ausnahmefällen abgesehen - jeweils nur für sechs Monate bewilligt werden. Der bereits erstinstanzlich angefochtene Ablehnungsbescheid vom 21.1.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.2.2013 werde aufgehoben. Mit Einverständnis der Beteiligten habe der Senat über "diesen verbliebenen Prozessrest" im Berufungsverfahren entschieden.

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Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der vom LSG zugelassenen Revision. Er macht geltend, der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II kollidiere nicht mit der VO (EG) 883/2004. Das Europäische Fürsorgeabkommen vom 11.12.1953 (EFA) sei nach Erklärung des Vorbehalts bezüglich der Leistungen nach dem SGB II durch die Regierung der Bundesrepublik Deutschland am 19.12.2011 ab diesem Zeitpunkt nicht mehr anspruchsbegründend.

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Der Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 19. Juni 2013 und das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 20. September 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,
die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

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Er macht geltend, bei den geltend gemachten SGB II-Ansprüchen handele es sich nicht um Sozialhilfeleistungen, sondern nach deren Zielsetzung um Hilfen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt, weshalb Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG nicht eröffnet sei.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Die bisherigen Feststellungen des LSG lassen keine Entscheidung darüber zu, ob der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum vom 1.2.2013 bis 31.7.2013 weiterhin einen Anspruch auf SGB II-Leistungen hatte.

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1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Urteil des LSG vom 20.9.2013, der Gerichtsbescheid des SG Frankfurt am Main vom 19.6.2013 sowie der Bescheid des Beklagten vom 21.1.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.2.2013, soweit der Beklagte verurteilt worden ist, dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1.2.2013 bis 31.7.2013 zu erbringen. Insofern ist dem Tenor des angefochtenen Urteils, der unter Heranziehung der Entscheidungsgründe auszulegen ist (BSG Urteil vom 8.2.2007 - B 9b SO 5/05 R - juris RdNr 14), zu entnehmen, dass das Berufungsgericht den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid aufgehoben und die Klage abgewiesen hat, soweit das SG SGB II-Leistungen auch für die Zeit ab 1.7.2013 zugesprochen hat. Zwar kann sich, sofern ein Träger der Grundsicherung SGB II-Leistungen gänzlich ablehnt, der streitige Zeitraum - je nach Klageantrag - bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht erstrecken (BSG Urteil vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 13: stRspr seit BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 30). Der Kläger hat sich jedoch nicht im Wege einer Revision gegen die nach dem Tenor der Entscheidung ausdrückliche, seinen geltend gemachten Anspruch (möglicherweise) begrenzende Entscheidung des Berufungsgerichts gewandt. Im Übrigen verfolgt der Kläger sein Begehren in zulässiger Weise mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG).

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Mit ausdrücklicher Zustimmung der Beteiligten hat das LSG auch über den bei sachgerechter Auslegung des Klagebegehrens (§ 123 SGG) bereits erstinstanzlich sinngemäß gestellten Antrag auf Aufhebung des die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ablehnenden Bescheids vom 21.1.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.2.2013 entschieden. Den Gründen des Gerichtsbescheids vom 19.6.2013 kann allerdings nicht entnommen werden, dass sich das erstinstanzliche Gericht der Notwendigkeit einer Entscheidung über die Aufhebung des Ablehnungsbescheids bewusst war. Das LSG konnte aber auch ohne Urteilsergänzungsverfahren nach § 140 SGG mit Zustimmung der Beteiligten über diesen noch nicht durch erstinstanzliches Urteil beschiedenen "Prozessrest" durch "Heraufholen" in die nächste Instanz entscheiden(vgl zB BSG Urteil vom 10.12.2013 - B 13 R 91/11 R - SozR 4-2600 § 249b Nr 1 RdNr 16).

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2. a) Trotz der knappen Feststellungen des LSG ist davon auszugehen, dass der Kläger in dem streitigen Zeitraum vom 1.2.2013 bis 31.7.2013 dem Grunde nach die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 S 1 SGB II erfüllte; insbesondere war auch ein gewöhnlicher Aufenthalt im Bundesgebiet (§ 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II) zu bejahen (vgl zum gewöhnlichen Aufenthalt Urteil des Senats vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 17 ff). Zwar kommt dem vom LSG im Zusammenhang mit der Bejahung eines gewöhnlichen Aufenthalts gewürdigten Umstand, dass die dem Kläger im August 2012 erteilte Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 Abs 1 FreizügG/EU(entfallen durch das mit Wirkung zum 29.1.2013 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21.1.2013 ) "nicht nachträglich eingeschränkt worden" sei, keine ausschlaggebende Bedeutung zu (BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 20). Das Berufungsgericht hat aber auch festgestellt, dass der Kläger "laut Meldebestätigung" seit dem 17.10.2011 wieder in Deutschland lebe, sodass nach den tatsächlichen Umständen der Zeitdauer eines den Feststellungen des LSG zu entnehmenden durchgehenden Aufenthalts, einer vorangegangenen - wenngleich kurzen - Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet und der Anmietung einer Wohnung im Bundesgebiet ein gewöhnlicher Aufenthalt für den streitigen Zeitraum zu bejahen ist (vgl auch zum gewöhnlichen Aufenthalt nach der Kollisionsnorm des Art 11 Abs 3 Buchst e VO (EG) 883/2004 die in Art 11 Abs 1 VO (EG) 987/2009 aufgeführten Kriterien).

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b) Der Senat kann aber nicht abschließend darüber befinden, ob der Kläger dem Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II unterfällt. Ausgenommen von Leistungen nach dem SGB II sind danach ua Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbstständige noch aufgrund des § 2 Abs 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts (Nr 1) und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen (Nr 2). Der Ausschlussgrund des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II kommt wegen des durchgehenden Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet seit Oktober 2011 von vornherein nicht in Betracht.

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Es fehlen aber ausreichende Feststellungen zu den Voraussetzungen der Ausschlussregelung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II. Diese sind hier auch deshalb erforderlich, weil sich der Kläger - bezogen auf die SGB II-Leistungen - nach Erklärung des Vorbehalts durch die Bundesregierung am 19.12.2011 nicht mehr auf das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 EFA berufen kann (vgl hierzu Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 43/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, RdNr 18 ff). Nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG erfordert die Anwendbarkeit der Ausschlussregelung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II eine Prüfung des Grundes bzw der Gründe für eine im streitigen Leistungszeitraum (weiterhin) bestehende materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht nach den - im Wege eines Günstigkeitsvergleichs - anwendbaren Regelungen des Aufenthaltsgesetzes(§ 11 Abs 1 S 11 FreizügG/EU; vgl hierzu BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 34 RdNr 31 ff mwN). Bereits das Vorliegen der Voraussetzungen für ein mögliches anderes (im Falle des § 11 Abs 1 S 11 FreizügG/EU im Ermessenswege zu erteilendes) bzw bestehendes Aufenthaltsrecht als ein solches aus dem Zweck der Arbeitsuche hindert sozialrechtlich die positive Feststellung eines Aufenthaltsrechts "allein aus dem Zweck der Arbeitsuche" iS von § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II(BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 31 ff; BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 17 ff) bzw lässt den Leistungsausschluss "von vornherein" entfallen (BSG Urteil vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28 RdNr 20 f).

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Über den Wortlaut der genannten Regelung hinaus sind diejenigen Unionsbürger "erst-recht" von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II auszunehmen, die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder kein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG in Deutschland verfügen. Die Vorschrift des § 7 Abs 1 S 2 SGB II ist insoweit planwidrig lückenhaft, als sie nicht ausdrücklich den Ausschluss auch derjenigen normiert, die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen, weil sie einen Leistungsausschluss schon für solche Ausländer anordnet, die sich auf eine solche materielle Freizügigkeitsberechtigung im Sinne des FreizügG/EU berufen können(vgl ausführlich Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, RdNr 19 ff). Diese Auslegung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II ist nach den Entscheidungen des EuGH in der Rechtssache Dano(Urteil vom 11.11.2014 - C-333/13 - NZS 2015, 20 ff) und in der Rechtssache Alimanovic (Urteil vom 15.9.2015 - C-67/14 - SGb 2015, 638 ff) europarechtskonform (vgl auch Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, RdNr 35). Nach der Entscheidung in der Rechtssache Alimanovic ist weiter als geklärt anzusehen, dass der in Ausfüllung von Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG in § 7 Abs 1 S 2 SGB II normierte, ausnahmslose Ausschluss von SGB II-Leistungen auch bereits im Bundesgebiet beschäftigt gewesene Unionsbürger erfasst, die weniger als ein Jahr gearbeitet haben. Haben diese - wie hier der Kläger - nach Ablauf der Aufrechterhaltung ihrer Erwerbstätigeneigenschaft für den Zeitraum von sechs Monaten erneut ein Aufenthaltsrecht nur (noch) zur Arbeitsuche, steht der spätere Ausschluss von SGB II-Leistungen (vgl Frage 2 des Vorlagebeschlusses des Senats vom 12.12.2013 - B 4 AS 9/13 R) ohne eine individuelle Prüfung der Dauer des gewöhnlichen Aufenthalts der erneut Arbeitsuchenden im Bundesgebiet sowie anderer Umstände nach dieser Entscheidung des EuGH im Einklang mit Art 4 der VO (EG) 883/2004 und Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG (EuGH Urteil vom 15.9.2015 - Rs C-67/14 - SGb 2015, 638 ff).

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c) Die demnach erforderliche Prüfung der bei dem Kläger - ggf neben einem im streitigen Zeitraum noch vorhandenen Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche (vgl zu den Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts zur Arbeitsuche: BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 29 ff mwN; BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, RdNr 16 ff mwN) - möglichen anderen materiellen Aufenthaltsrechte hat das LSG nicht durchgeführt. Ausgehend von seinem Rechtsstandpunkt hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass der Kläger sich nicht mehr auf ein (fortwirkendes) Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer nach § 2 FreizügG/EU berufen könne. Zwar trifft dies zu, weil die Erwerbstätigeneigenschaft des Klägers nach § 2 Abs 3 S 2 FreizügG/EU iVm Art 7 Abs 3 Buchst c) RL 2004/38/EG für die Zeit ab 1.2.2013 nicht mehr aufrechterhalten geblieben ist (vgl EuGH Urteil vom 4.6.2009 - Rs C-22/0 und /C-23/08 - Slg 2009, I-4585 = SozR 4-6035 Art 39 Nr 5 RdNr 31; EuGH Urteil vom 15.9.2015 - Rs C-67/14 - SGb 2015, 638 ff RdNr 55 f).

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Unabhängig von einer fortbestehenden Freizügigkeitsberechtigung des Klägers als Arbeitsuchender - er hat nach seiner Einreise in das Bundesgebiet im Oktober 2011 für einen kurzen Zeitraum vom 20.12.2011 bis 17.2.2012 eine Beschäftigung ausgeübt und war im streitigen Zeitraum schon mehr als ein Jahr arbeitslos - ist jedenfalls nicht von vornherein auszuschließen, dass er über ein anderes Aufenthaltsrecht, etwa als selbstständig Tätiger (§ 2 Abs 1 Nr 2 FreizügG/EU) oder ein Daueraufenthaltsrecht verfügte. Ein Daueraufenthaltsrecht setzt nach § 2 Abs 2 Nr 7 FreizügG/EU iVm § 4a Abs 1 S 1 FreizügG/EU voraus, dass sich Unionsbürger seit fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben. Mit dem Begriff des rechtmäßigen Aufenthalts wird auf die materiellen Freizügigkeitsvoraussetzungen abgestellt und somit unionsrechtlich vorausgesetzt, dass der Betreffende während einer Aufenthaltszeit von mindestens fünf Jahren ununterbrochen die Freizügigkeitsvoraussetzungen des Art 7 Abs 1 RL 2004/38/EG erfüllt hat (BVerwG Urteil vom 31.5.2012 - 10 C 8/12 - InfAuslR 2012, 348 ff; BVerwG Urteil vom 16.7.2015 - 1 C 22/14 - juris RdNr 17).

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Der erforderliche fünfjährige rechtmäßige Aufenthalt im Bundesgebiet war - ausgehend von einer erneuten Einreise in das Bundesgebiet seit Oktober 2011 im streitigen Zeitraum des Jahres 2013 - allerdings noch nicht gegeben. Da das LSG jedoch festgestellt hat, dass der Kläger "wieder" in Deutschland lebe, könnte gleichwohl ein Daueraufenthaltsrecht unter Berücksichtigung früherer Aufenthaltszeiten bestehen. Insofern regelt § 4a Abs 6 FreizügG/EU in Konkretisierung des Begriffs des ständigen Aufenthalts in § 4a Abs 1 S 1 FreizügG/EU ua, dass der ständige Aufenthalt nicht durch Abwesenheitszeiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr berührt wird. Diese Abwesenheitszeiten werden für den Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts für unschädlich erklärt (Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 4a FreizügG/EU RdNr 18; Brinkmann in Huber, AufenthG, 2010, § 4a FreizügG/EU RdNr 13).

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3. a) Der Rechtsstreit ist demnach schon wegen der fehlenden Feststellungen des LSG zum Vorliegen der Voraussetzungen der Ausschlussregelung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II an das LSG zurückzuverweisen. Kommt es im wiedereröffneten Berufungsverfahren zu dem Ergebnis, dass der Kläger von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen war, wird es - nach Beiladung des Sozialhilfeträgers - über einen Anspruch des Klägers auf existenzsichernde Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII entscheiden müssen (zur Notwendigkeit der Beiladung des Sozialhilfeträgers bereits bei "ernsthafter Möglichkeit" eines anderen Leistungsverpflichteten: BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242, 244 f = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 11; BSG Urteil vom 25.4.2013 - B 8 SO 16/11 R - RdNr 10). Insofern ist der Senat gehindert, über den vorliegenden Rechtsstreit bindend für das LSG zu entscheiden (§ 170 Abs 5 SGG), weil anderenfalls das rechtliche Gehör (§ 62 SGG) des Beizuladenden verletzt würde (BSG Urteil vom 2.2.2010 - B 8 SO 20/08 R - FEVS 61, 534 ff mwN).

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Das LSG wird gleichwohl davon ausgehen können, dass der Sozialhilfeträger die nach § 18 Abs 1 SGB XII(in der seither unverändert gebliebenen Fassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003, BGBl I 3022) für einen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach den §§ 27 ff SGB XII erforderliche Kenntnis von der Bedürftigkeit und den Bedarf des Klägers bereits mit seinem Antrag auf SGB II-Leistungen bei dem Beklagten vom 17.1.2013 erlangt hat (vgl Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, RdNr 39 mwN). Auch steht § 21 S 1 SGB XII, der bestimmt, dass Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt erhalten, einer Leistungsberechtigung des Klägers nicht entgegen(vgl hierzu ausführlich Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, RdNr 40 ff mwN).

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b) Da die Bundesregierung bezogen auf die Vorschriften der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII keinen Vorbehalt erklärt hat, sind Sozialhilfeleistungen in Form der Hilfe zum Lebensunterhalt im Wege einer Gleichbehandlung mit inländischen Staatsangehörigen weiterhin zu erbringen, soweit die Anwendungsvoraussetzungen nach dem EFA vorliegen. Die Ausschlussregelung des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII findet dann keine Anwendung auf den Kläger(vgl zum SGB II: BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 23 ff; vgl zum Gleichbehandlungsanspruch: BVerwG Urteil vom 18.5.2000 - 5 C 29/98 - BVerwGE 111, 200 ff, 201; BVerwG Urteil vom 14.3.1985 - 5 C 145/83 - BVerwGE 71, 139 ff, 142; vgl zur Anwendbarkeit des Art 1 EFA im SGB XII und zur Reichweite des erklärten Vorbehalts: Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 43/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, RdNr 24 mwN).

21

Eine Gleichstellung mit deutschen Staatsangehörigen nach Art 1 EFA erfordert allerdings einen erlaubten Aufenthalt des Staatsangehörigen aus dem Vertragsstaat im Bundesgebiet, dessen Vorliegen hier im Falle des Klägers noch zu prüfen ist. Nach Art 11 Abs a S 1 EFA gilt der Aufenthalt eines Ausländers im Gebiet eines der Vertragschließenden solange als erlaubt, als der Beteiligte im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis oder einer anderen in den Rechtsvorschriften des betreffenden Staates vorgesehenen Erlaubnis ist, aufgrund welcher ihm der Aufenthalt in diesem Gebiet gestattet ist. Nach der historischen Konzeption des EFA kommt den im Anhang III (nach Art 19 EFA Bestandteil des Abkommens) verzeichneten Urkunden, die als Nachweis eines erlaubten Aufenthalts iS des Art 11 EFA anerkannt werden, grundsätzlich ein rechtsbegründender Charakter zu (BVerwG Urteil vom 14.3.1985 - 5 C 145/83 - BVerwGE 71, 139 ff, 144; BVerwG Urteil vom 18.5.2000 - 5 C 29/98 - BVerwGE 111, 200 ff, 203; Bayerischer VGH Urteil vom 6.3.2001 - 12 ZE 01.425; VGH Baden-Württemberg Beschluss vom 14.9.1998 - 7 S 1874/98 - ZfSH/SGB 1998, 747 ff; OVG Bremen Urteil vom 18.12.2013 - S 3 A 205/12 - juris RdNr 54; offengelassen BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 36).

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Die im Anhang III (weiterhin) erfassten Urkunden ("Aufenthaltsgenehmigung nach § 5 des Ausländergesetzes vom 9. Juli 1990, auf besonderem Blatt erteilt oder im Ausweis eingetragen. Aufenthaltserlaubnis für Angehörige eines Mitgliedstaats der EWG. Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis, nachgewiesen durch eine entsprechende Bescheinigung oder durch Eintragung in Ausweis: "Ausländerbehördlich erfasst" ) geben allerdings die seit längerer Zeit nicht mehr geltende Rechtslage nach § 1 Abs 4 des Gesetzes über die Einreise und den Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (AufenthG/EWG) in der Fassung des Gesetzes zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 9.7.1990 (BGBl I 1354, 1379), aufgehoben mit Wirkung vom 1.1.2005 durch das Zuwanderungsgesetz 2004 vom 30.7.2004 (BGBl I 1950), wieder. Die Bundesrepublik Deutschland hat es bisher versäumt, den Generalsekretär des Europarats über eine Änderung der nationalen Gesetzgebung zu unterrichten und mitzuteilen, welche Urkunden - nach der Umsetzung der RL 2004/38/EG durch das Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) vom 30.7.2004 (BGBl I 1950, 1986) - als Nachweis eines erlaubten Aufenthalts im Sinne des EFA anzusehen sind.

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Bei einer derartigen Unterlassung erfolgt grundsätzlich eine Anpassung der Interpretation von völkerrechtlichen Abkommen im Sinne einer Auseinandersetzung mit der Vergleichbarkeit des jeweils im Streit stehenden Aufenthaltsstatus (vgl zB OVG Bremen Urteil vom 18.12.2013 - S 3 A 205/12 - juris RdNr 54 ff; BVerwG Urteil vom 18.5.2010 - 5 C 29/98 - BVerwGE 111, 200 ff, 204 zur Anpassung bei "redaktionellen Etikettenwechsel" ohne materielle Änderung des Aufenthaltserlaubnistatbestandes). Insofern ist der 14. Senat des BSG im Falle eines Unionsbürgers mit einem von den Vorinstanzen festgestellten Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitsuche (§ 2 Abs 2 Nr 1a FreizügG/EU nF)- auch in Anknüpfung an die Praxis der Ausländerbehörden - davon ausgegangen, dass durch eine Freizügigkeitsbescheinigung ein erlaubter Aufenthalt im Sinne des EFA nachgewiesen werden könne. Dies hat er ua damit begründet, dass insoweit an die Stelle der Aufenthaltserlaubnis-EG die Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 FreizügG/EU getreten sei(BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 17, 37 f).

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Der Kläger verfügt hier lediglich über eine anlässlich eines früheren Antrags auf SGB II-Leistungen angeforderte "Aufenthaltsbescheinigung gemäß § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU" vom 29.8.2012, mit der schon mangels Aktualität der Bescheinigung ein im streitigen Leistungszeitraum rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne einer weiterhin bestehenden Freizügigkeitsberechtigung (§ 2 FreizügG/EU)nicht unterstellt werden kann. Zudem ist die vormals gesetzlich vorgesehene Möglichkeit der Dokumentation eines sich unmittelbar aus Unionsrecht ergebenden Aufenthaltsrechts (vgl Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 5 FreizügG/EU RdNr 9)mit der Streichung der nach alter Rechtslage unverzüglich von Amts wegen ausgestellten Bescheinigung nach § 5 Abs 1 FreizügG/EU mit Wirkung ab 29.1.2013 durch das FreizügG/EU2004uaÄndG ersatzlos entfallen. Zwar hat der Gesetzgeber zur Aufhebung des § 5 Abs 1 FreizügG/EU auf eine "Senkung des Verwaltungsaufwandes" verwiesen und zutreffend ausgeführt, dass das Freizügigkeitsrecht der Unionsbürger unmittelbar aus dem Unionsrecht "fließt"(vgl BT-Drucks 17/10746, S 11). Gleichzeitig fehlt es aber nunmehr an einer für die Sozialbehörden und die Sozialgerichtsbarkeit praktikablen Handhabe zum Nachweis eines (weiterhin) rechtmäßigen Aufenthalts von Unionsbürgern im Bundesgebiet (vgl hierzu die Hinweise des Generalanwalts Villalón - Rs C-308/14 - vom 6.10.2015, juris RdNr 80 auf die Regelungen des Art 8 RL 2004/38/EG, "die es erlauben, die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts eines Unionsbürgers, der nicht Angehöriger des Aufnahmemitgliedstaats ist, anhand einer Bescheinigung nachzuweisen, für deren Ausstellung die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats bereits geprüft haben, dass insbesondere die Voraussetzungen von Art 7 [RL 2004/38/EG] erfüllt sind"; zur Einordnung der vormaligen Freizügigkeitsbescheinigung als Beweismittel für den Unionsbürger im Rechtsverkehr vgl auch Harms in Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Harms/Kreuzer, ZuwG, 2. Aufl 2008, § 5 FreizügG/EU RdNr 3).

25

Der Senat geht davon aus, dass - in Anlehnung an die vormalige Anknüpfung an § 1 Abs 4 AufenthG/EWG - eine (weiterhin bestehende) materielle Freizügigkeitsberechtigung für einen erlaubten Aufenthalt im Sinne des EFA vorausgesetzt wird(vgl auch zum Grundsatz der "souveränitätsschonenden Auslegung": BVerwG Urteil vom 14.3.1985 - 5 C 145/83 - BVerwGE 71, 139 ff, 144). Fehlt eine solche im streitigen Zeitraum, wäre dem Kläger jedenfalls Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 23 Abs 1 S 3 SGB XII als Ermessensleistung zu erbringen. Im Falle eines verfestigten Aufenthalts des Klägers ist das Ermessen aus Gründen der Systematik des Sozialhilferechts und der verfassungsrechtlichen Vorgaben des BVerfG in dem Sinne auf Null reduziert, dass regelmäßig Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe zu erbringen ist (vgl hierzu im Einzelnen Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, RdNr 53 ff).

26

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

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Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 54


(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 7 Leistungsberechtigte


(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die1.das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,2.erwerbsfähig sind,3.hilfebedürftig sind und4.ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschla

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 170


(1) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundessozialgericht die Revision zurück. Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Gesetzesverletzung, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision eb

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 62


Vor jeder Entscheidung ist den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren; die Anhörung kann schriftlich oder elektronisch geschehen.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 123


Das Gericht entscheidet über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein.

Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022) - SGB 12 | § 23 Sozialhilfe für Ausländerinnen und Ausländer


(1) Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 41 Berechnung der Leistungen und Bewilligungszeitraum


(1) Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts besteht für jeden Kalendertag. Der Monat wird mit 30 Tagen berechnet. Stehen die Leistungen nicht für einen vollen Monat zu, wird die Leistung anteilig erbracht. (2) Berechnungen werd

Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022) - SGB 12 | § 27 Leistungsberechtigte


(1) Hilfe zum Lebensunterhalt ist Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten können. (2) Eigene Mittel sind insbesondere das eigene Einkommen und Vermögen. Bei n

Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022) - SGB 12 | § 21 Sonderregelung für Leistungsberechtigte nach dem Zweiten Buch


Personen, die nach dem Zweiten Buch als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, erhalten keine Leistungen für den Lebensunterhalt. Abweichend von Satz 1 können Personen, die nicht hilfebedürftig nach § 9 des Zweite

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 1 Zweck des Gesetzes; Anwendungsbereich


(1) Das Gesetz dient der Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland. Es ermöglicht und gestaltet Zuwanderung unter Berücksichtigung der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit sowie der wirtschaftlichen und arbei

Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022) - SGB 12 | § 18 Einsetzen der Sozialhilfe


(1) Die Sozialhilfe, mit Ausnahme der Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, setzt ein, sobald dem Träger der Sozialhilfe oder den von ihm beauftragten Stellen bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Leistung vorliege

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 140


(1) Hat das Urteil einen von einem Beteiligten erhobenen Anspruch oder den Kostenpunkt ganz oder teilweise übergangen, so wird es auf Antrag nachträglich ergänzt. Die Entscheidung muß binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils beantragt werden.

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Bundessozialgericht Urteil, 03. Dez. 2015 - B 4 AS 59/13 R zitiert oder wird zitiert von 49 Urteil(en).

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Sozialgericht Nürnberg Endurteil, 30. Juni 2016 - S 20 SO 109/15

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Bayerisches Landessozialgericht Beschluss, 25. Apr. 2016 - L 16 AS 221/16 B ER

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Tenor I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 3. März 2016 wird zurückgewiesen. II. Die Beigeladene trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller im Beschwerdeverfahren.

Sozialgericht München Beschluss, 08. März 2017 - S 53 SO 25/17 ER

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Tenor 1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Rechtsanwalts B. als P

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(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

(1) Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts besteht für jeden Kalendertag. Der Monat wird mit 30 Tagen berechnet. Stehen die Leistungen nicht für einen vollen Monat zu, wird die Leistung anteilig erbracht.

(2) Berechnungen werden auf zwei Dezimalstellen durchgeführt, wenn nichts Abweichendes bestimmt ist. Bei einer auf Dezimalstellen durchgeführten Berechnung wird die letzte Dezimalstelle um eins erhöht, wenn sich in der folgenden Dezimalstelle eine der Ziffern 5 bis 9 ergeben würde.

(3) Über den Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist in der Regel für ein Jahr zu entscheiden (Bewilligungszeitraum). Der Bewilligungszeitraum soll insbesondere in den Fällen regelmäßig auf sechs Monate verkürzt werden, in denen

1.
über den Leistungsanspruch vorläufig entschieden wird (§ 41a) oder
2.
die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung unangemessen sind.
Die Festlegung des Bewilligungszeitraums erfolgt einheitlich für die Entscheidung über die Leistungsansprüche aller Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft. Wird mit dem Bescheid über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht auch über die Leistungen zur Deckung der Bedarfe nach § 28 Absatz 2, 4, 6 und 7 entschieden, ist die oder der Leistungsberechtigte in dem Bescheid über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung über Leistungen zur Deckung der Bedarfe nach § 28 Absatz 2, 4, 6 und 7 gesondert erfolgt.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

(1) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundessozialgericht die Revision zurück. Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Gesetzesverletzung, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision ebenfalls zurückzuweisen.

(2) Ist die Revision begründet, so hat das Bundessozialgericht in der Sache selbst zu entscheiden. Sofern dies untunlich ist, kann es das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Gericht zurückverweisen, welches das angefochtene Urteil erlassen hat.

(3) Die Entscheidung über die Revision braucht nicht begründet zu werden, soweit das Bundessozialgericht Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend erachtet. Dies gilt nicht für Rügen nach § 202 in Verbindung mit § 547 der Zivilprozeßordnung und, wenn mit der Revision ausschließlich Verfahrensmängel geltend gemacht werden, für Rügen, auf denen die Zulassung der Revision beruht.

(4) Verweist das Bundessozialgericht die Sache bei der Sprungrevision nach § 161 zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück, so kann es nach seinem Ermessen auch an das Landessozialgericht zurückverweisen, das für die Berufung zuständig gewesen wäre. Für das Verfahren vor dem Landessozialgericht gelten dann die gleichen Grundsätze, wie wenn der Rechtsstreit auf eine ordnungsgemäß eingelegte Berufung beim Landessozialgericht anhängig geworden wäre.

(5) Das Gericht, an das die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, hat seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 20. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II an die Klägerin für die Zeit ab dem 1.7.2008 bis zum 20.12.2010.

2

Die im Juni 1947 geborene Klägerin ist litauische Staatsangehörige. Sie lebt zusammen mit ihrem Ehemann, der als Altersrentner Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit nach dem SGB XII bezieht, in Deutschland. Am 13.12.2007 gab die Klägerin gegenüber dem Beklagten eine Erklärung nach §§ 65 Abs 4 SGB II iVm 428 SGB III ab. Bis 30.6.2008 erhielt sie Alg II von dem Beklagten. Den Fortzahlungsantrag beschied der Beklagte mit der Begründung abschlägig, dass die Klägerin ab dem 1.7.2008 (Anm: mit 61 Jahren) eine litauische Altersrente beziehe (Bescheid vom 22.7.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.1.2009). Die Klägerin erhielt vom Beigeladenen ab dem 1.7.2008 laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII.

3

Im Klageverfahren ist die Klägerin erfolglos geblieben (Gerichtsbescheid vom 4.6.2009). Das LSG hat im Berufungsurteil vom 20.12.2010 unter Hinweis insbesondere auf die Rechtsprechung des BSG zum Recht der Arbeitslosenversicherung (Ruhen der Arbeitslosenhilfe bei Bezug einer ausländischen Altersrente, insb BSG Urteil vom 29.10.1997 - 7 RAr 10/97, BSGE 81, 134 = SozR 3-4100 § 142 Nr 2) die Rechtsauffassung des Beklagten bestätigt. Die Klägerin sei wegen des Bezugs der litauischen Altersrente nach § 7 Abs 4 SGB II von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen. Die litauische Altersrente stelle im Sinne dieser Vorschrift eine der deutschen Altersrente von ihrer Grundstruktur und den Leistungsvoraussetzungen ähnliche öffentlich-rechtliche Leistung dar. Auch die litauische Altersrente werde von einem öffentlich-rechtlichen Träger gewährt und sei durch Beiträge finanziert. Voraussetzung sei eine Mindestversicherungszeit und das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze - bei Männern 62,5 Jahre und bei Frauen 60 Jahre. Die Rentenleistung bestehe aus einer für alle gleichen Grundrente und einer Zusatzrente und es sei ein Anpassungsmechanismus im Hinblick auf die Höhe vorhanden. Die Unterschiede zwischen deutschem und litauischem Recht im Hinblick auf das Renteneintrittsalter allein rechtfertigten keine Verneinung der Vergleichbarkeit. Auf Vertrauensschutz könne die Klägerin sich nicht berufen. Die aus § 65 Abs 4 SGB II iVm § 428 Abs 2 SGB III folgende Vertrauensschutzregelung betreffe nicht den Fall, dass die Rente ohne Aufforderung durch den Träger beantragt worden sei. So liege der Fall jedoch hier. § 12a S 2 SGB II gewährleiste zudem nach seinem Sinn und Zweck nur den Schutz vor einer Rentenminderung bei Eintritt des Regelrentenalters. Dies treffe auf die Klägerin jedoch nicht zu, da sie das nach litauischem Recht vorgesehene Regelrentenalter zu Beginn des Rentenbezugs bereits erreicht gehabt habe.

4

Mit der vom Senat zugelassenen Revision trägt die Klägerin vor, die litauische Rente beantragt zu haben, um den Anforderungen des § 2 Abs 1 SGB II zu entsprechen, also ihre Hilfebedürftigkeit zu mindern. Sie habe den Antrag auf diese Rente daher nicht freiwillig gestellt. Sie sei zudem trotz ihrer eigentlichen Erwerbsfähigkeit und ihres Erwerbswillens aus dem Grundsicherungssystem ausgeschlossen worden, was dem Vertrauensschutz widerspreche. Sie habe zu keinem Zeitpunkt ihr Ausscheiden aus dem Erwerbsleben erklärt. Es sei ferner gleichheitswidrig, wenn erwerbsfähigen Personen unter 65 Jahren, die Kontigentflüchtlinge oder EU-Bürger seien, der Zugang zum Arbeitsmarkt durch Verweigerung von Unterstützung und der Förderung verwehrt werde.

5

Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gießen vom 4. Juni 2009 und das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 20. Dezember 2010 sowie den Bescheid des Beklagten vom 22. Juli 2008 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2009 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin Leistungen nach dem SGB II unter Anrechnung der Leistungen nach dem SGB XII für den Zeitraum vom 1. Juli 2008 bis zum 20. Dezember 2010 zu gewähren.

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Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Er hält die Ausführungen des Berufungsgerichts für zutreffend.

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Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

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Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

10

Das LSG hat zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Leistungen nach dem SGB II verneint. Die Klägerin ist von diesen Leistungen nach § 7 Abs 4 SGB II wegen des Bezugs der litauischen Altersrente ausgeschlossen (4.). Dem Ausschluss stehen weder die Erklärung nach § 65 Abs 4 SGB II iVm § 428 Abs 1 SGB III oder ein daraus zu ziehender Vertrauensschutzgedanke (5.), noch die Regelung des § 12a S 2 SGB II entgegen (6.). Eine verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung zwischen Kontingentflüchtlingen bzw EU-Bürgern und Deutschen im Hinblick auf den Ausschluss von Arbeitsmarktleistungen durch den Bezug einer ausländischen Altersrente vermag der Senat ebenfalls nicht zu erkennen (7.).

11

1. Die Klage ist zulässig. Es mangelt insbesondere nicht an einem Rechtsschutzbedürfnis. Hierzu brauchte nicht ermittelt zu werden, ob die beanspruchte Grundsicherungsleistung nach dem SGB II höher gewesen wäre als die an ihrer Stelle bezogene Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII. Denn selbst wenn ein Prozesserfolg keine höhere Geldleistung für die Klägerin und lediglich eine Erstattungsforderung des beigeladenen kommunalen Trägers nach § 105 SGB X begründen würde, wäre der Klage das Rechtsschutzbedürfnis nicht abzusprechen(vgl für den Fall des Erhalts von Alg anstatt Krankengeld: BSG Urteil vom 30.3.2004 - B 1 KR 30/02 R, SozR 4-2500 § 44 Nr 1). Die Klägerin hat ein rechtlich schützenswertes Interesse daran, welche der beiden möglicherweise aktuell gleich hohen Leistungen ihr zustehen. Dies gilt wegen der hieran geknüpften Fernwirkungen auch für den Fall, dass bereits vor Abschluss des Verfahrens feststeht, dass die Leistungsberechtigte durch die Ablehnung der SGB II-Leistung unmittelbar keine wirtschaftliche Einbuße erlitten hat. Mit einem Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II sind im streitigen Zeitraum jedenfalls die Annexleistungen der Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 3 S 1 Nr 3a SGB VI) verknüpft. Insoweit kann dahinstehen, ob ein schutzwürdiges Interesse der Klägerin auch im Hinblick auf die beim Verbleib im System des SGB II zu beanspruchenden möglichen Eingliederungsleistungen besteht.

12

Die Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs 4 SGG und die - im Falle des Bestehens des Anspruchs - darauf beruhende Verurteilung des Beklagten dem Grunde nach(§ 130 SGG) ist ebenfalls zulässig. Der Senat verkennt nicht, dass diese Klageart grundsätzlich unzulässig ist, wenn jeglicher Zahlungsanspruch der Klägerin von vornherein ausscheidet (BSG Urteil vom 14.2.1978 - 7 RAr 65/76, SozR 1500 § 130 Nr 2 S 2 mwN). Das LSG hat daher zwar auch zu Recht erörtert, inwieweit die Ansprüche der Klägerin gegen den Beklagten durch die Leistungserbringung des Sozialhilfeträgers bereits (teilweise) als erfüllt iS des § 107 Abs 1 SGB X gelten können. Der 11. Senat des BSG hat aber bereits entschieden, dass eine rechtskräftige Verurteilung dem Grunde nach nicht den Einwand ausschließt, der ausgeurteilte Leistungsanspruch sei durch die Gewährung einer den Anspruch ausschließenden Sozialleistung und den dadurch begründeten Erstattungsanspruch des subsidiär zuständigen Leistungsträgers gemäß § 107 SGB X als erfüllt anzusehen. Dabei ist das BSG davon ausgegangen, dass es im Ermessen des erkennenden Gerichts liegt, ob es die Frage der Erfüllung durch eine anderweitige Leistung im Rahmen des Streits um den Grund des Anspruchs klärt oder dem Betragsverfahren vorbehält; nur sollte es das im Grundurteil eindeutig klarstellen (BSG Urteil vom 8.8.1990 - 11 RAr 79/88, SozR 3-1300 § 104 Nr 3 S 4 f). Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an; eine anstelle der Leistungsklage in Betracht zu ziehende Feststellungsklage würde dem Umstand nicht gerecht, dass die umstrittene Leistungsverpflichtung des Beklagten durch die Gewährung seitens der Beigeladenen trotz der im Verhältnis zur Klägerin eingetretenen Erfüllungsfiktion nicht erledigt ist (vgl auch BSG Urteil vom 9.9.1993 - 7/9b RAr 28/92, BSGE 73, 83, 84 f = SozR 3-4100 § 58 Nr 5 S 11). Insgesamt bestehen infolgedessen keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der Leistungsklage und gegen die damit zusammenhängende potenzielle Verurteilung dem Grunde nach, selbst wenn auszuschließen sein sollte, dass die Klägerin von dem Beklagten für den hier streitigen Zeitraum noch einen Anspruch auf einen Zahlbetrag an Alg II haben sollte.

13

2. Streitgegenstand sind der Bescheid des Beklagten vom 22.7.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.1.2009, mit denen der Beklagte Leistungen nach dem SGB II versagt hat. Der streitige Zeitraum erstreckt sich in Fällen ablehnender Verwaltungsentscheidungen bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht - hier dem LSG (vgl nur SozR 4-4200 § 26 Nr 2, RdNr 17; SozR 4-4200 § 11 Nr 28, RdNr 13; BSGE 102, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 10, RdNr 13; BSG Urteile vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 59/0AS 59/06 R, RdNr 13, und 15.4.2008 - B 14/7b AS 52/06 R, RdNr 12). Streitig sind mithin Leistungen für den Zeitraum vom 1.7.2008 bis zum 20.12.2010.

14

3. Ob die Klägerin die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 SGB II erfüllt, konnte der Senat nach den Feststellungen des LSG zwar nicht entscheiden. Allerdings bedurfte es hier keiner näheren Ausführungen zu den Voraussetzungen des § 7 Abs 1 SGB II. Die Klägerin hat bereits aus anderen Gründen keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II.

15

4. Die Klägerin ist nach § 7 Abs 4 S 1 SGB II in der Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006 (BGBl I 1706, mit Wirkung vom 1.8.2006) von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Danach erhält ua keine Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, wer Rente wegen Alters (2. Alt) oder Knappschaftsausgleichsleistung (3. Alt) oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art (4. Alt) bezieht. Bei einer ausländischen Altersrente handelt es sich unter Berücksichtigung von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, systematischem Zusammenhang und dem Sinn und Zweck des § 7 Abs 4 S 1 SGB II um eine Leistungen des SGB II ausschließende Leistung, wenn sie die gleichen typischen Merkmale aufweist wie die ausdrücklich benannte deutsche Altersrente(a). Dies ist nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG hier wegen der bezogenen litauischen Altersrente der Fall (b).

16

a) Dem Wortlaut des § 7 Abs 4 S 1 SGB II kann zwar nicht eindeutig entnommen werden, ob der dortige Ausschlussgrund in der zweiten Alternative nur dann eintritt, wenn eine Rente nach deutschem Recht bezogen wird oder ob der Begriff der "Altersrente" auch eine ausländische Rentenleistung umfasst. Soll eine andere Leistung als eine Altersrente zum Leistungsausschluss führen, muss sie jedoch nach der vierten Alternative der Altersrente oder der Knappschaftsausgleichsleistung ähnlich sein. Wörtlich ist von "ähnlicher Leistung öffentlich-rechtlicher Art" die Rede. Eine ausländische Rente kann somit nach dem Wortlaut des § 7 Abs 4 SGB II sowohl dem Begriff der Altersrente, als auch dem einer "ähnlichen Leistung öffentlich-rechtlicher Art" zugeordnet werden. Welches der beiden Tatbestandsmerkmale insoweit einschlägig ist, kann hier dahinstehen. Denn aus der zuvor dargelegten Verknüpfung folgt, dass selbst dann, wenn eine ausländische Rente unter den Begriff der "Leistung öffentlich-rechtlicher Art" zu subsumieren sein sollte, es sich in jedem Fall um eine Leistung handeln muss, die einer Altersrente oder Knappschaftsausgleichsleistung nach dem Vorbild des SGB VI entspricht - diesem Vorbild "ähnlich" ist. Dies gilt auch für den Fall des Bezugs einer ausländischen Rente, wie durch die Rechtsentwicklung, den systematischen Zusammenhang und den Sinn und Zweck des § 7 Abs 4 S 1 SGB II bestätigt wird.

17

Bereits im Arbeitsförderungsrecht des AFG und fortgeführt im SGB III führte der Bezug einer ausländischen Altersrente zum Ruhen des Alg oder der Alhi. In der Rechtsprechung des BSG hierzu ist die Zuordnung der ausländischen Altersrenten - bedingt durch die unterschiedlichen Formulierungen der jeweiligen Gesetzesfassungen des § 118 Abs 1 Nr 4 AFG und § 142 AFG ab dem 1.1.1983 (anwendbar auf die Alhi-Leistung nach Maßgabe des § 242m Abs 9 AFG, durch das Gesetz zur Änderung der Fördervoraussetzungen im Arbeitsförderungsgesetz und in anderen Gesetzen vom 18.12.1992, BGBl I 2044) sowie § 142 Abs 1 Nr 4 SGB III ab dem 1.1.1998 - zunächst zu den "ähnlichen Leistungen öffentlich-rechtlicher Art" (s zu § 118 Abs 1 Nr 4 AFG: SozR 4100 § 118 Nr 9, S 49 f; BSGE 73, 10, 15 = SozR 3-4100 § 118 Nr 4, S 20)und später der zu "Altersrente" (zu § 142 AFG s BSGE 81, 134, 137 f = SozR 3-4100 § 142 Nr 2, S 9 f)erfolgt. Die inhaltlichen Anforderungen, die an die ausländische Leistung gestellt worden sind, um das Ruhen des Alg oder der Alhi herbeizuführen, sind dabei jedoch unverändert geblieben. Denn durch § 142 AFG und § 142 Abs 3 SGB III war eine Änderung der Rechtslage insoweit gegenüber der des § 118 AFG nicht eingetreten. Den Gesetzesmaterialien ist hierzu der zutreffende Hinweis zu entnehmen, die Neuregelung entspreche im Wesentlichen dem geltenden Recht (BT-Drucks 13/4941, S 180 zu § 142). Letztlich ist durch die Einführung des § 142 AFG die unmittelbare Anwendung des § 118 Abs 1 Nr 4 AFG auch auf ausländische vergleichbare Leistungen, die unter Hinweis auf den Gleichheitsgrundsatz vorgenommen worden ist, nur bestätigt worden(BSGE 73, 10, 14 = SozR 3-4100 § 118 Nr 4 S 20; BSGE 102, 211 = SozR 4-4300 § 142 Nr 4, RdNr 11).

18

Das SGB II knüpft konzeptionell, abgestimmt darauf, dass es sich bei den Leistungen aus dem Grundsicherungsrecht nicht um Sozialversicherungsleistungen, sondern solche aus einem steuerfinanzierten Existenzsicherungssystem handelt, an die Regelungen des Arbeitsförderungsrechts an. Die Formulierung des § 118 AFG in der Fassung des Rentenreformgesetzes 1992(vom 18.12.1989, BGBl I 2261 mit Wirkung vom 1.1.1992) entspricht mit Ausnahme der zwischenzeitlich überholten Differenzierung nach den unterschiedlichen Arten der deutschen Rentenleistungen und der Rechtsfolge des Ruhens des Arbeitslosengeld- bzw Arbeitslosenhilfeanspruchs (zur Arbeitslosenhilfe s § 134 Abs 4 AFG und § 202 Abs 2 SGB III), die im SGB II durch den Ausschluss von den dortigen Leistungen ersetzt wird, auch der des § 7 Abs 4 S 1 Alt 2 bis 4 SGB II. § 118 Abs 1 Nr 4 AFG sah vor, dass der Anspruch auf Alg während der Zeit ruhte, für die dem Arbeitslosen ein Anspruch auf Altersruhegeld aus der Rentenversicherung der Arbeiter oder Rentenversicherung der Angestellten, Knappschaftsruhegeld oder Knappschaftsausgleichleistungen aus der knappschaftlichen Rentenversicherung oder ähnliche Bezüge öffentlich-rechtlicher Art für eine Zeit vor Vollendung des 65. Lebensjahres zuerkannt waren. Der Ausschluss der Bezieher ähnlicher Leistungen öffentlich-rechtlicher Art aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006 (BGBl I 1706, mit Wirkung vom 1.8.2006) eingefügt worden. Begründet wurde diese Änderung mit einer "Klarstellung" - der Klarstellung, dass der Bezug von Altersbezügen, die der Altersrente vergleichbar seien, ebenfalls zum Leistungsausschluss führen solle (BT-Drucks 16/1410, S 20; s auch BT-Drucks 16/1410, S 5). Angesichts der Formulierung "Klarstellung" ist davon auszugehen, dass die "Altersrente" ursprünglich Synonym auch für ähnliche Leistungen sein sollte, also anknüpfend an die Rechtsentwicklung und Rechtsprechung zum AFG/SGB III auch ausländische Renten, die der deutschen Altersrente vergleichbar sind, hiervon umfasst sein sollten (so auch Spellbrink in Eicher/Spellbrink mit dem Hinweis, dass § 7 Abs 4 SGB II keine Einengung auf deutsche Altersrenten zu entnehmen sei, SGB II, 1. Aufl 2005, § 7 RdNr 39; so wohl Hänlein in Gagel, SGB II/SGB III, Stand I/09, § 7 RdNr 81; Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, Stand IV/10, § 7 RdNr 201, der allerdings ebenso wie Knickrehm in Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 2. Aufl 2011, § 7 RdNr 27 auf den vom Wortlaut her nicht gänzlich einschlägigen § 142 SGB III Bezug nimmt).

19

Aus der Rechtsentwicklung ergibt sich, dass der Gesetzgeber im SGB II keine ausdrückliche Regelung zur Gleichstellung von Sozialleistungen eines ausländischen Trägers treffen musste. § 142 AFG geht darauf zurück, dass der Gesetzgeber in Ansehung der Rechtsprechung des EuGH davon ausgegangen ist, Art 12 Abs 2 EWG VO 1408/71 sei nur auf Leistungsansprüche anzuwenden, deren Konkurrenz auf der Anwendung von Gemeinschaftsrecht beruhten, also insbesondere auf der Kumulierung. Nach Art 12 Abs 2 EWG VO 1408/71 waren die Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaats über die Kürzung, das Ruhen oder den Entzug einer Leistung auch dann anzuwenden, wenn es sich um Leistungen handelte, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedsstaates erworben wurden. Die Regelung des Art 12 Abs 2 EWG VO 1498/71 traf die Situation des Zusammentreffens einer ausländischen Altersrente mit dem deutschen Arbeitslosengeld daher nicht. Nach der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Fördervoraussetzungen im Arbeitsförderungsgesetz und in anderen Gesetzen vom 7.9.1992 (BT-Drucks 12/3211, S 27) wurde der weiteren Rechtsprechung des EuGH jedoch die Zulässigkeit einer nationalen Regelung für den soeben beschriebenen Fall des Zusammentreffens einer ausländischen Altersrente mit deutschem Alg oder deutscher Alhi entnommen. Eine solche ausdrückliche nationale Regelung wurde mit § 142 AFG geschaffen. Dies wäre jedoch nicht erforderlich gewesen, denn schon der 7. Senat des BSG hatte im Jahre 1993 festgestellt, dass § 118 Abs 1 S 1 Nr 4 AFG bereits als eine insoweit ausreichende nationale Regelung anzusehen war(BSGE 73, 10, 13 ff = SozR 3-4100 § 118 Nr 4 S 19 ff). Zudem hat der 7. Senat Gleichbehandlungsgesichtspunkte angeführt, denn ohne eine Gleichstellung von deutschen und ausländischen Altersrenten wäre eine Begünstigung von Empfängern ausländischer Renten gegenüber solchen deutscher Renten zu befürchten.

20

Die vorstehenden Überlegungen gelten für das SGB II in noch stärkerem Maße. Zum einen wurde das Alg II, das nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats als beitragsunabhängige Geldleistung im Sinne der EWG VO 1408/71 zu qualifizieren ist (vgl BSGE 107, 206 = SozR 4-4200 § 7 Nr 22, RdNr 17 ff unter Hinweis auf BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 29), nach dieser VO nur in begrenztem Maße der Koordinierung unterworfen. Art 10a Abs 1 S 2 EWG VO 1408/71 sah vor, dass Personen, für die die VO gilt, die beitragsunabhängigen Geldleistungen … nach den Rechtsvorschriften des Wohnortsstaates erhalten. Art 70 Abs 3 VO 883/2004 normiert eine Nichtanwendbarkeit der Koordinierungsregelungen des Titels III der VO für beitragsunabhängige Geldleistungen (vgl hierzu Fuchs in Fuchs, europäisches Sozialrecht, 5. Aufl 2010, Art 70 RdNr 17). Als steuerfinanzierte Geldleistungen zur Existenzsicherung sollen die Voraussetzungen für ihre Gewährung durch die nationalen Gesetzgeber gesteuert werden. Dies betrifft insbesondere auch die Frage, wer in den Kreis der Leistungsberechtigten einzubeziehen bzw von ihm auszunehmen ist (vgl auch Fuchs in Gagel, SGB II/SGB III, Stand 07/2010, VO (EG) 987/2009, RdNr 25). Zumindest ist angesichts dessen nichts dagegen einzuwenden, wenn die nationalen Regelungen den Leistungsausschluss durch den Bezug von bestimmten deutschen Sozialleistungen dem Bezug von vergleichbaren ausländischen Leistungen gleichstellen. Zudem bedingt im SGB II der Leistungsausschluss wegen einer ggf niedrigen ausländischen Altersrente keinen Verlust einer aus eigenen Mitteln durch Beiträge mitfinanzierten Leistung, sondern lediglich einen Wechsel des steuerfinanzierten Fürsorgesystems. Insoweit unterscheidet sich die Situation im Grundsicherungsrecht auch grundlegend von der im Kranken-, Renten- und Unfallversicherungsrecht, die mit § 49 Abs 1 SGB V, § 93 Abs 4 S 1 Nr 4 SGB VI und § 98 SGB VII dem § 142 SGB III vergleichbare Regelungen enthalten. Wenn ein Leistungsberechtigter nach § 7 Abs 4 SGB II keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aus Grundsicherung für Arbeitsuchende mehr erhält, ist er iS des § 21 SGB XII nach dem SGB II dem Grunde nach nicht mehr leistungsberechtigt und kann bei Bedürftigkeit die auf gleicher Grundlage wie im SGB II bemessenen und daher vom Umfang im Wesentlichen identische Leistungen der Sozialhilfe beanspruchen.

21

Die Erfassung ausländischer Altersrenten, soweit sie deutschen Rentenleistungen vergleichbar sind, von § 7 Abs 4 SGB II wird durch Überlegungen zur grundsätzlichen systematischen Einordnung dieses Leistungsausschlusses sowie seines Sinns und Zwecks bestätigt.

22

Leistungen nach dem SGB II werden nach § 3 Abs 3 S 1 SGB II bedürftigkeitsabhängig erbracht. Zum nach § 9 Abs 1 Nr 2 SGB II zu berücksichtigenden Einkommen rechnen auch Leistungen anderer Sozialleistungsträger oder Leistungen anderer öffentlicher Träger(vgl nur zur Berufsunfähigkeitsrente: SozR 4-4200 § 11 Nr 6, RdNr 17; Verletztenrente: BSGE 99, 47 = SozR 4-4200 § 11 Nr 5, RdNr 20; Existenzgründungszuschuss: BSGE 99, 240 = SozR 4-4200 § 11 Nr 8, RdNr 13 f; Arbeitslosenhilfe: BSG Urteil vom 21.12.2009 - B 14 AS 46/08 R -; Arbeitslosengeld: BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 43, RdNr 22; Überbrückungsgeld: SozR 4-4200 § 11 Nr 28, RdNr 17; Krankengeld: SozR 4-4200 § 11 Nr 19, RdNr 16 ff; Insolvenzgeld: SozR 4-4200 § 11 Nr 22, RdNr 13 ff; Kurzarbeitergeld: BSG Urteil vom 14.3.2012 - B 14 AS 18/11 R - zur Veröffentlichung vorgesehen), es sei denn, sie sind ausnahmsweise von der Einkommensberücksichtigung ausgenommen. Dies bedeutet, dass die Einkommensberücksichtigung nach den Regeln des § 11 SGB II erfolgt und ggf zum Wegfall der Hilfebedürftigkeit und damit des Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts führen kann.

23

Anspruch auf Leistungen haben allerdings grundsätzlich nur erwerbsfähige Hilfebedürftige. Nicht leistungsberechtigt ist, wer nicht erwerbsfähig iS des § 8 Abs 1 SGB II ist. Letzteres ist bei Personen in einer stationären Einrichtung (BSGE 99, 88 = SozR 4-4200 § 7 Nr 7, RdNr 13 f; SozR 4-4200 § 7 Nr 24, RdNr 20)und beim Bezug einer Altersrente (Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 7 RdNr 71)nicht unbedingt der Fall. Bei Beziehern von Altersrenten vor Erreichen des Regelrentenalters - danach sind sie bereits aus Gründen des § 7 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB II nicht mehr leistungsberechtigt - wird jedoch nach der Begründung zur Regelung des § 7 Abs 4 S 1 SGB II typisierend angenommen, sie seien endgültig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden und müssten daher nicht mehr in Arbeit eingegliedert werden(vgl BT-Drucks 15/1749, S 31). Sie benötigen aus diesem Grunde keine Leistungen aus dem System des SGB II mehr. Für den Fall, dass die Rente nicht ausreicht um den Lebensunterhalt zu sichern, sind sie vor dem Eintritt in das Regelrentenalter dem System des SGB XII - außerhalb der Leistungen für Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Viertes Kapitel SGB XII) - zuzuordnen, aus dem sie aufstockend Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts erhalten können. Verzichtete man auf eine Regelung mit dem Inhalt des § 7 Abs 4 S 1 SGB II, würde der Ausschluss von den SGB II-Leistungen diesen Personenkreis bei gleichwohl vorhandenem Hilfebedarf ohne Leistungsanspruch nach dem SGB XII belassen, denn Erwerbsfähigkeit schließt Leistungen nach dem System des SGB XII gemäß § 21 S 1 SGB XII grundsätzlich aus. Nach § 21 S 1 SGB XII erhalten Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Wenn jedoch vor dem Hintergrund des systematischen "Wechselspiels" zwischen SGB II und SGB XII Altersrentner vor Vollendung des Regelrentenalters nach deutschem Recht nicht als Erwerbsfähige leistungsberechtigt iS des SGB II sind, kann unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten für Bezieher ausländischer Altersrenten nichts Anderes gelten.

24

Zu prüfen ist deshalb, ob die ausländische Rente von Funktion und Struktur als der deutschen Altersrente vergleichbar zu qualifizieren ist. Nach der Rechtsprechung des BSG zum Arbeitsförderungsrecht liegt eine Vergleichbarkeit dann vor, wenn die ausländischen Leistungen in ihrem Kerngehalt den gemeinsamen und typischen Merkmalen der inländischen Leistung entsprechen, dh nach Motivation und Funktion gleichwertig sind (BSGE 68, 184, 186 = SozR 3-2400 § 18a Nr 2; BSGE 73, 10, 16 = SozR 3-4100 § 118 Nr 4). Das BSG führt hierzu unter Hinweis darauf, dass eine völlige Identität kaum denkbar sei aus, dass sich die Beurteilung notwendigerweise auf bestimmte Eigenschaften beider Leistungsarten beschränken müsse und andere als unwesentlich für den Vergleich ausschieden. Maßgeblicher Gesichtspunkt seien daher die Essentialia der nationalen Norm, also deren Funktion und Struktur nach nationalem Verständnis (BSGE 68, 184, 187 = SozR 3-2400 § 18a Nr 2 mwN; BSGE 73, 10, 16 = SozR 3-4100 § 118 Nr 4; BSGE 80, 295, 297 = SozR 3-4100 § 142 Nr 1; BSGE 81, 134, 141 = SozR 3-4100 § 142 Nr 2, RdNr 20). Entscheidende Kriterien für die Vergleichbarkeit sind demnach: die Leistungsgewährung durch einen öffentlichen Träger, das Anknüpfen der Leistung an das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze und der Lohnersatz nach einer im allgemeinen den Lebensunterhalt sicherstellenden Gesamtkonzeption (BSGE 41, 177, 179 = SozR 4100 § 118 Nr 2; BSG Urteil vom 29.10.1997 - 7 RAr 10/97 - BSGE 81, 134, 141 = SozR 3-4100 § 142 Nr 2, RdNr 21).

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Soweit die ausländische Altersrente bereits bezogen werden kann, bevor dies im Hinblick auf das Renteneintrittsalter nach deutschem Recht möglich wäre, ändert dies nichts an der Gleichbehandlung der Rentenleistungen (vgl zum Überbrückungsgeld aus der Seemannskasse nach Vollendung des 55. Lebensjahres: SozR 4100 § 118 Nr 12 S 65 f). Entscheidend ist vielmehr, dass auch die ausländische Leistung von dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters abhängig und von ihrer Grundkonzeption her einer deutschen Rentenleistung vergleichbar ist (vgl zur französischen pension proportionelle de vieillesse: BSGE 43, 26, 31 ff = SozR 4100 § 118 Nr 3). Da es eine Übereinstimmung der Voraussetzungen für die Leistungsgewährung in den unterschiedlichen Ländern - auch in der europäischen Union - nicht gibt, kann es für die Vergleichbarkeit und den daraus folgenden Leistungsausschluss nur auf die Übereinstimmung abstrakter, für das betreffende System und das zu sichernde Risiko maßgeblicher Kriterien ankommen. Welches konkrete Lebensalter dabei die Leistungsgewährung nach dem Recht des jeweiligen Mitgliedsstaates auslöst, ist jedoch ebenso wenig von Bedeutung, wie die Höhe der Leistung, insbesondere, ob sie auch ausreicht, um in dem Staat des Aufenthalts (Wohnortstaat), in den die Leistung exportiert wird, den Lebensunterhalt sicher zu stellen.

26

Insoweit folgt der Senat der Rechtsauffassung des BSG zum Arbeitsförderungsrecht, das anknüpfend an die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 5.7.1983 -171/82, SlG 1983, 2157) entschieden hat, dass es für das Ruhen des Alg- oder Alhi-Anspruchs nicht darauf ankommt, ob die ausländische Rentenleistung individuell den Lebensunterhalt sicherstellt (BSGE 41, 177, 183 f = SozR § 118 Nr 2; BSGE 43, 26, 34 = SozR 4100 § 118 Nr 3; BSG Urteil vom 3.11.1976 - 7 RAr 115/75; SozR 4100 § 118 Nr 12 S 66 f; BSGE 73, 10, 17 = SozR 3-4100 § 118 Nr 4). Es hat dies auf einfachrechtlicher Ebene daraus gefolgert, dass das Gesetz selbst das Ruhen allein aufgrund des äußeren Tatbestandes der Zuerkennung einer anderweitigen Versorgungsleistung ausspreche (BSGE 43, 26, 28 = SozR 4100 § 118 Nr 3). Diesem Verzicht des Gesetzgebers auf eine individualisierte Betrachtungsweise entspreche es jedoch, auch in der Gesamtbewertung der Versicherungssysteme zueinander gewissen Struktur- und Niveauunterschieden keine durchgreifende Bedeutung einzuräumen. Zwar zeigten die Motive zum Entwurf des AFG, dass sich der Gesetzgeber bei der Regelung des § 118 Nr 4 AFG speziell von dem Leistungsniveau des deutschen Versicherungssystems habe leiten lassen, wenn er zB die Anordnung des Ruhens bei Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente oder eines vorgezogenen Altersruhegeldes deshalb als gerechtfertigt angesehen habe, weil sie vom gleichen Vomhundertsatz der Bemessungsgrundlage berechnet würden, wie das nach Vollendung des 65. Lebensjahres gewährte Ruhegeld (unter Hinweis auf BT-Drucks V/2291 S 82 zu § 108). Der Gesetzgeber habe deshalb aber nicht eine am Einzelfall orientierte Entscheidung und somit auch keine bestimmte Qualität der Leistung in § 118 Nr 4 AFG verlangt. Abgesehen davon, dass auch die von § 118 Nr 4 AFG einbezogenen Leistungen deutscher Versicherungsträger insoweit nicht gleich, sondern allenfalls vergleichbar seien, müsse es als unzulässige Privilegierung angesehen werden, ganze Versicherungssysteme von der Ruhensregelung des § 118 Nr 4 AFG auszunehmen, nur weil das Konzept der sozialen Sicherheit auf andere Weise verwirklicht werde als in Deutschland. Nichts Anderes gilt für das SGB II, wenn auch die deutsche vorgezogene Altersrente Hilfebedürftigkeit iS des § 9 SGB II nicht beseitigt, sie jedoch gleichwohl zum Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II führt und ggf einen Leistungsanspruch nach dem SGB XII auslöst.

27

b) Die von der Klägerin bezogene litauische Altersrente in Höhe von monatlich 599,95 Litas (ca 173 Euro) erfüllt nach den nicht mit Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen des LSG die zuvor dargelegten Kriterien für eine zum Ausschluss von SGB II-Leistungen führende Altersrente bzw ähnliche Leistung öffentlich-rechtlicher Art. Bei der gebotenen rechtsvergleichenden Qualifizierung sind die von der Tatsacheninstanz zum ausländischen Recht getroffenen Feststellungen und die darauf beruhende Rechtsauslegung grundsätzlich für das Revisionsgericht bindend(§ 202 SGG iVm § 560 ZPO und § 162 SGG; vgl dazu im Einzelnen: BSG Urteil vom 21.7.2009 - B 7/7a AL 36/07 R - unter Hinweis auf BSGE 68, 184, 187 = SozR 3-2400 § 18a Nr 2 S 13; BSGE 80, 295, 299 = SozR 3-4100 § 142 Nr 1 S 4; SozR 4-4200 § 11 Nr 7). So liegt der Fall hier. Das LSG hat festgestellt, dass die litauische Rente durch einen öffentlich-rechtlichen Träger gewährt und durch Beiträge finanziert wird. Das Leistungssystem erfasst Arbeitnehmer und Selbständige gleichermaßen und zieht die erwerbstätige Bevölkerung für eine Mindestversicherungsdauer zur Beitragszahlung heran. Erst wenn für diese Mindestdauer Beiträge gezahlt worden sind, entsteht der Leistungsanspruch. Die Altersgrenze zur Inanspruchnahme der Altersrente für Männer beträgt 62 Jahre und 6 Monate, diejenige für Frauen beträgt 60 Jahre. Der Höhe nach setzt sich die litauische Altersrentenleistung aus einer Grund- und einer Zusatzrente zusammen. Die Grundaltersrente entspricht der Grundrente und ist für alle Versicherten gleich, die die Pflichtbeitragszeit zur staatlichen Altersrentenversicherung zurückgelegt haben. Die Zusatzaltersrente wird Arbeitnehmern und Selbständigen gewährt, die entsprechend versichert waren. Die Höhe der Vollaltersrente wird nach einer besonderen Formel berechnet. Bei einer Person, die beide Renten bezieht, verringert sich die Zusatzrente der Sozialversicherung je nach Kumulierungsgrad und den Zusatzrentensätzen der Rentenversicherungsbeiträge. Die Grundrente kann durch Regierungsbeschluss erhöht werden. Die Zusatzrente wird je nach dem versicherten Durchschnittseinkommen des laufenden Jahres angepasst (Feststellungen des LSG unter Hinweis auf die Informationen der Europäische Kommission, Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit, Mobilität in Europa unter http://ec.europa.eu/ ; Broschüre der Deutschen Rentenversicherung Nord, Nr 719, 2. Aufl 5/2010).

28

5. a) Der Erklärung der Klägerin nach § 65 Abs 4 SGB II iVm § 428 Abs 1 SGB III kommt für den Leistungsausschluss keine rechtliche Bedeutung zu. Nach § 65 Abs 4 S 1 SGB II idF des 5. Gesetzes zur Änderung des SGB III und anderer Gesetze (22.12.2005, BGBl I 3676 mit Wirkung vom 31.12.2005) haben abweichend von § 2 SGB II auch erwerbsfähige Hilfebedürftige Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes, die das 58. Lebensjahr vollendet haben und die Regelvoraussetzungen des Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts allein deshalb nicht erfüllen, weil sie nicht arbeitsbereit sind und nicht alle Möglichkeiten nutzen und nutzen wollen, ihre Hilfebedürftigkeit durch Aufnahme einer Arbeit zu beenden. Unabhängig davon, ob mit einer solchen Erklärung ein Ausscheiden aus dem Erwerbsleben bekundet wird und die Klägerin trotz der Erklärung weiterhin erwerbstätig sein wollte oder es auch tatsächlich war, steht der Leistungsberechtigung der Leistungsausschluss allein durch den Bezug der litauischen Rente entgegen. Der Wille, eine Erwerbstätigkeit weiterhin ausüben zu wollen, ist angesichts des systemgerechten Ausschlusses von Leistungen nach dem SGB II ohne rechtliche Bedeutung. § 65 Abs 4 SGB II iVm § 428 Abs 1 SGB III gewährleistet lediglich den Bezug von Alg II unter erleichterten Bedingungen. Erwerbsfähige Hilfebedürftige brauchen sich ab der Vollendung des 58. Lebensjahres keinen Maßnahmen des "Forderns" mehr zu unterwerfen, um den Leistungsanspruch zu erhalten und müssen sich in entsprechender Anwendung von § 428 Abs 2 S 1 Halbs 2 SGB III(idF des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003, BGBl I 2848) keiner Aufforderung des Grundsicherungsträgers ausgesetzt sehen, eine Altersrente zu beantragen, die vor dem für den Leistungsberechtigten maßgebenden Rentenalter in Anspruch genommen werden kann. Eine derartige Aufforderung hat der Beklagte hier nicht an die Klägerin gerichtet; sie hat die litauische Altersrente aus eigenem Antrieb beansprucht.

29

b) Ebenso wenig rechtfertigt ein aus den Vorschriften des § 65 Abs 4 SGB II iVm § 428 Abs 1 SGB III zu ziehender Vertrauensschutzgedanke eine Aushebelung des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 4 S 1 Alt 2 oder Alt 4 SGB II. Nach der Begründung zum Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt war es das Ziel des Gesetzgebers, den betroffenen Arbeitsuchenden eine Änderung ihrer Lebensplanung zu ersparen (BT-Drucks 15/1749, S 34), soweit sie eine Erklärung zur Beendigung der Arbeitsbereitschaft im Vertrauen auf die Regelung des § 428 SGB III abgegeben hatten. Abgesehen davon, dass auch nach einer Erklärung iS des § 65 Abs 4 SGB II für den Weiterbezug von Alg II alle Leistungsvoraussetzungen gegeben sein müssen, also auch kein Leistungsausschlussgrund iS des § 7 Abs 4 S 1 SGB II vorliegen darf, kann § 65 Abs 4 SGB II über die Möglichkeit hinaus, keiner Eingliederungsaufforderung nachkommen zu müssen, kein Vertrauensschutz auf Weitergewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bis zur Inanspruchnahme der Regelaltersrente entnommen werden. Nach der Rechtsprechung des BSG kann der Vorschrift des § 65 Abs 4 SGB II keine Bedeutung für die Anspruchsvoraussetzungen des Alg II entnommen werden. Die Vorschrift verhindert vielmehr allein die Absenkung bzw den Wegfall des Alg II nach §§ 31 ff SGB II, weil der erwerbsfähige Hilfebedürftige wegen des zulässigen Verzichts auf die Arbeitsbereitschaft ein Arbeitsangebot oder eine andere Eingliederungsmaßnahme der Beklagten nicht annehmen muss(SozR 4-4300 § 428 Nr 3, RdNr 33; SozR 4-4200 § 11 Nr 2, RdNr 40; BSG Urteil vom 21.3.2007 - B 11a AL 43/06 R; BSG Urteil vom 29.3.2007 - B 7b AS 4/06 R).

30

Unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte des § 428 SGB III sowie die Rechtsprechung des BSG zum Arbeitsförderungsrecht(BSG SozR 3-4100 § 103 Nr 16; BSGE 95, 43 = SozR 4-4300 § 428 Nr 2)hat der 11b. Senat überzeugend die Begrenzung der Vertrauensschutzwirkung des § 65 Abs 4 SGB II dargelegt(BSG Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 3/06 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 2). Die in § 428 SGB III getroffene gesetzliche Regelung habe demnach allenfalls ein Vertrauen darauf begründen können, dass der Arbeitslose (voraussichtlich bis zur Inanspruchnahme einer Altersrente) von der Leistungsvoraussetzung der Arbeitsbereitschaft entlastet werde.

31

6. Auch aus der Regelung des § 12a SGB II kann die Klägerin keinen Anspruch auf Fortzahlung des Alg II trotz des Bezugs der litauischen Altersrente herleiten. Nach § 12a S 1 SGB II sind Leistungsberechtigte verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. Abweichend hiervon sind sie nach S 2 nicht verpflichtet, bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen. Bereits aus dem Wortlaut des § 12a S 2 SGB II ergibt sich jedoch, dass Vertrauensschutz nur im Hinblick auf das Aussetzen der Verpflichtung, eine vorzeitige Altersrente in Anspruch zu nehmen, gegeben sein soll. Regelungsgegenstand ist mithin das Absehen von der grundsätzlichen Verpflichtung, die Hilfebedürftigkeit durch den Bezug einer Altersrente mit Abschlägen zu mindern oder zu beheben. In der Gesetzesbegründung zu § 12a SGB II wird darauf hingewiesen, dass die Altersrente als vorrangige Leistung grundsätzlich ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt in Anspruch zu nehmen wäre, also bereits dann, wenn sie vor dem für den Versicherten maßgeblichen Rentenalter bezogen werden könne(BT-Drucks 16/7460, S 12). Dies führt vor der Vollendung des 63. Lebensjahres jedoch zu einer Rente mit erheblichen Abschlägen. In § 12a S 2 SGB II soll daher zur Abmilderung dessen einheitlich für alle Hilfebedürftigen ein Alter festgelegt werden, ab dem sie eine vorzeitige Altersrente mit Abschlägen in Anspruch zu nehmen haben. Der Hilfebedürftige soll demnach lediglich bis zu diesem Zeitpunkt nicht gehalten sein, einen Abschlag zu akzeptieren. Etwas Anderes könne nur unter den Bedingungen des § 65 Abs 4 SGB II gelten. Der Gesetzesbegründung ist insoweit zwar die Vorstellung zu entnehmen, dass bei Vorliegen einer Erklärung des Leistungsberechtigten nach § 65 Abs 4 SGB II von ihm ebenfalls keine Inanspruchnahme einer Altersrente mit Abschlägen vom Grundsicherungsträger verlangt werden könne(vgl hierzu auch Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, § 12a RdNr 29, Stand VI/2008). Allerdings wird dort zugleich darauf hingewiesen, dass das Recht der Hilfebedürftigen, selbst einen Rentenantrag zu stellen, davon unberührt bleibe. So liegt der Fall nach den bindenden Feststellungen des LSG hier.

32

Die Klägerin hat den Antrag beim litauischen Träger der sozialen Sicherung ohne eine entsprechende Aufforderung des Leistungsträgers gestellt. § 12a S 2 SGB II soll zudem ebenso wenig wie § 65 Abs 4 SGB II den Bezug von SGB II-Leistungen trotz eines Bezuges von Altersrentenleistungen sicherstellen. Schutzzweck des § 12a S 2 SGB II ist es zu verhindern, dass der Leistungsberechtigte, nur weil er vor dem Eintritt in das zu dem Bezug einer Altersrente berechtigenden Alter existenzsichernde Leistungen bezieht, im Alter eine niedrigere, mit Abschlägen versehene Rente hinnehmen muss, die möglicherweise zugleich die Inanspruchnahme weiterer existenzsichernder Leistungen erforderlich macht. Dieser Schutzgedanke greift jedoch nicht beim Bezug einer ausländischen Altersrente, die erst nach dem Eintritt in das dort maßgebende Rentenalter in Anspruch genommen wird.

33

7. Die verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin im Hinblick auf eine Ungleichbehandlung von unter 65jährigen erwerbsfähigen Kontingentflüchtlingen oder EU-Bürgern gegenüber deutschen erwerbsfähigen Hilfebedürftigen durch die Regelung des § 7 Abs 4 S 1 SGB II teilt der Senat nicht.

34

Art 3 Abs 1 GG verbietet es, verschiedene Gruppen von Normadressaten ungleich zu behandeln, wenn zwischen ihnen nicht Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, die eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können (BVerfG vom 7.10.1980 - 1 BvL 50/79, 1 BvL 89/79, 1 BvR 240/79 - BVerfGE 55, 72, 88; BVerfG vom 11.5.2005 - 1 BvR 368/97, 1 BvR 1304/98, 1 BvR 2300/98, 1 BvR 2144/00 - BVerfGE 112, 368, 401; BVerfG vom 11.7.2006 - 1 BvR 293/05 - BVerfGE 116, 229, 238). Es fehlt hier bereits an der unterschiedlichen Behandlung der benannten Personengruppen.

35

§ 7 Abs 4 SGB II differenziert nicht zwischen den von der Klägerin benannten Normadressaten. Wie zuvor dargelegt, führt der tatsächliche Bezug einer Altersrente - unabhängig davon, ob es sich um eine der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung oder eines ausländischen Sozialleistungsträgers handelt - zum Leistungsausschluss nach dem SGB II. Beide Personengruppen sind dann gleichermaßen auch von den Eingliederungsleistungen ausgeschlossen. Ihnen wird, wegen der Fiktion der Erwerbsunfähigkeit und damit einhergehend der typisierenden Annahme des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben, lediglich keine Förderung zur Integration in den Arbeitsmarkt durch eine steuerfinanzierte Leistung mehr gewährt. Weder ist ihnen wegen des Altersrentenbezugs der Zugang zum Arbeitsmarkt verschlossen, noch wird im Falle von Hilfebedürftigkeit - wie eingangs dargelegt - eine Leistung zur Existenzsicherung versagt.

36

Soweit der Bezug einer ausländischen Altersrente bereits ab einem jüngeren Lebensalter als nach deutschem Recht möglich ist, kann hierin ebenfalls keine Ungleichbehandlung erblickt werden. Hier stellt auf einfachrechtlicher Ebene das Kriterium der Vergleichbarkeit der ausländischen Rentenleistung mit der deutschen Altersrente die Verhältnismäßigkeit des Ausschlusses sicher. Hierauf kommt es im konkreten Fall jedoch ohnehin nicht an, denn worauf das LSG zutreffend hingewiesen hat, unterscheidet sich das Renteneintrittsalter für Frauen nach litauischem Recht mit der Vollendung des 60. Lebensjahres nicht von dem nach deutschem Recht. Nach § 237a Abs 1 SGB VI können Frauen, die - wie die Klägerin - vor dem 1.1.1952 geboren sind, weiterhin mit Vollendung des 60. Lebensjahres eine Altersrente - mit Abschlägen - beanspruchen, wenn die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen gegeben sind. Die Frage, wie sich die Rechtslage darstellt, wenn der Hilfebedürftige die ausländische Rentenleistung auf Aufforderung des Grundsicherungsträgers in Anspruch nimmt, stellt sich nach den bindenden Feststellungen des LSG vorliegend ebenfalls nicht. Sie wäre auch nur dann verfassungsrechtlich relevant, wenn sie keiner Lösung zu Gunsten des Leistungsberechtigten auf einfachrechtlicher Ebene zugänglich wäre.

37

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

Das Gericht entscheidet über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein.

(1) Hat das Urteil einen von einem Beteiligten erhobenen Anspruch oder den Kostenpunkt ganz oder teilweise übergangen, so wird es auf Antrag nachträglich ergänzt. Die Entscheidung muß binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils beantragt werden.

(2) Über den Antrag wird in einem besonderen Verfahren entschieden. Die Entscheidung ergeht, wenn es sich nur um den Kostenpunkt handelt, durch Beschluß, der lediglich mit der Entscheidung in der Hauptsache angefochten werden kann, im übrigen durch Urteil, das mit dem bei dem übergangenen Anspruch zulässigen Rechtsmittel angefochten werden kann.

(3) Die mündliche Verhandlung hat nur den nicht erledigten Teil des Rechtsstreits zum Gegenstand.

(4) Die ergänzende Entscheidung wird auf der Urschrift des Urteils und den Ausfertigungen vermerkt. Liegt das Urteil als elektronisches Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur (§ 65a Absatz 3) vor, bedarf auch die ergänzende Entscheidung dieser Form und ist mit dem Urteil untrennbar zu verbinden.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 14. Juli 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist vorrangig ein Anspruch der Klägerin auf Altersrente für langjährig Versicherte und dabei insbesondere, ob sie die Wartezeit von 35 Jahren aufgrund zusätzlich anzuerkennender Berücksichtigungszeiten wegen nicht erwerbsmäßiger Pflege erfüllt hat.

2

Die 1939 geborene Klägerin bezog für ihren 1972 geborenen, im Januar 2002 verstorbenen schwerbehinderten Sohn seit November 1979 Hilfe zur Pflege (Pflegegeld); die Sozialhilfeleistung wurde Ende der 1980er Jahre wegen Überschreitens der Einkommensgrenze eingestellt. Anlässlich der Übersendung eines Versicherungsverlaufs bat die Klägerin nach einem von ihr vorgelegten Schreiben vom 15.3.1989 die LVA Hannover (deren Rechtsnachfolge im Jahr 2005 die DRV Braunschweig-Hannover antrat - im Folgenden einheitlich als Beklagte bezeichnet) um Auskunft, ob für ihren pflegebedürftigen Sohn weitere Beitragszeiten anerkannt werden könnten; eine Antwort hat sie nach ihren Angaben nicht erhalten. Nach Inkrafttreten des SGB XI übersandte ihr die beigeladene Pflegekasse am 6.3.1995 ein Antragsformular zur sozialen Sicherung der Pflegepersonen samt Beratungsblatt. Die Klägerin reichte den Antrag vom 25.3.1995 an die Beigeladene zurück und gab dabei an, ihren Sohn seit 1979 im Umfang von derzeit 17,5 Stunden pro Woche zu pflegen. Ihren am 5.7.1996 gestellten Antrag auf rückwirkende Anerkennung ihrer Pflegetätigkeit ab 1.11.1979 als rentenversicherungspflichtige Beschäftigung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12.2.1997 ab, weil die Klägerin weder den erforderlichen Antrag für eine - ohnehin erst ab 1.1.1992 in Frage kommende - Vormerkung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege gestellt noch in dieser Zeit freiwillige Beiträge, die in Pflichtbeiträge umgewandelt werden könnten, entrichtet habe. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

3

Im März 2002 beantragte die Klägerin Altersrente für langjährig Versicherte. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, da lediglich 31 Jahre und 11 Monate an rentenrechtlichen Zeiten auf die hierfür erforderliche Wartezeit von 35 Jahren anzurechnen seien (Bescheid vom 28.3.2002, Widerspruchsbescheid vom 17.12.2002). Ab 1.7.2004 bewilligte sie Regelaltersrente auf der Grundlage von 14,8049 persönlichen Entgeltpunkten iHv monatlich - einschließlich Zuschuss zur privaten Krankenversicherung - 414,51 Euro (Rentenbescheid vom 23.6.2004).

4

Die ursprünglich gegen die ablehnenden Bescheide vom 28.3. bzw 17.12.2002 gerichtete Klage nahm die Klägerin - nach Sachverhaltsaufklärung auch zu einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch wegen Beratungsmangels - in der mündlichen Verhandlung am 22.4.2004 zurück, widerrief diese Erklärung aber mit Schreiben vom selben Tag. Das SG wies mit Urteil vom 25.8.2005 die Klage als in der Sache unbegründet ab, wobei es offenließ, ob eine Anfechtung der Klagerücknahme überhaupt möglich sei. Ihre Berufung gegen diese Entscheidung nahm die Klägerin im März 2006 zurück.

5

Mit Schreiben vom 13.7.2006 beantragte die Klägerin eine Überprüfung der ablehnenden Rentenbescheide vom 28.3. bzw 17.12.2002 sowie des Bewilligungsbescheids über Regelaltersrente vom 23.6.2004, da das Erfordernis eines Antrags für die Anerkennung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege zu einer Ungleichbehandlung führe und daher verfassungswidrig sei. Die Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 31.7.2006, Widerspruchsbescheid vom 6.10.2006).

6

Das SG hat die auf Gewährung einer Altersrente für langjährig Versicherte sowie einer höheren Regelaltersrente gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 16.12.2008). Es hat sich in seiner Entscheidung ausschließlich mit dem Anspruch auf Altersrente für langjährig Versicherte auseinandergesetzt und ausgeführt, ein gewichtiges Indiz für die Verfassungsmäßigkeit der bis zum 31.3.1995 geltenden Regelung in § 57 Abs 2 SGB VI sei ihre quasi wortgleiche Wiederholung in § 249b SGB VI. In Bezug auf Art 14 GG sei fraglich, ob der Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts überhaupt eröffnet sei; jedenfalls aber sei das Grundrecht aufgrund zulässiger Gemeinwohlerwägungen nicht verletzt. Im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit sei eine Fristsetzung zweckmäßig, da sowohl für den Versicherten als auch für den Versicherungsträger Gewissheit bestehen müsse, dass nach Ablauf eines bestimmten Datums keine Anträge und ggf Neuberechnungen hinsichtlich Rentenanträgen oder bestehender Renten mehr erfolgen könnten. Zudem lasse sich im Nachhinein in der Regel nur mit größten Schwierigkeiten oder gar nicht mehr aufklären, ob und in welchem Umfang Pflege geleistet worden sei. Ebenso wenig sei der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt, da der Versicherte es selbst in der Hand habe, durch sein Verhalten die Berücksichtigungszeiten zu erlangen. Aus denselben Gründen stehe auch der Gleichheitsgrundsatz der Regelung nicht entgegen.

7

Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 14.7.2010). Im Berufungsurteil, das sich lediglich mit dem Anspruch auf höhere Regelaltersrente befasst, ist im Wesentlichen ausgeführt, die zur Überprüfung gestellten Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig, da die Klägerin mit ihrem Antrag vom "5.6.1996" (gemäß Tatbestand zutreffend: 5.7.1996) die Antragsfrist nach § 249b S 1 SGB VI - bis 30.6.1995 - versäumt habe. Eine Wiedereinsetzung nach § 27 Abs 1 SGB X scheitere daran, dass die Jahresfrist gemäß Abs 3 der Vorschrift abgelaufen sei. Auch ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch sei nicht gegeben, weil der Beklagten gegenüber der Klägerin keine Pflicht zur Spontanberatung oblegen habe; seit Inkrafttreten der Vorschrift zu den Pflege-Berücksichtigungszeiten am 1.1.1992 habe diese weder Kontakt mit der Klägerin noch Kenntnis davon gehabt, dass sie Pflegetätigkeiten ausführe. Eine klar zu Tage liegende Gestaltungsmöglichkeit zugunsten der Klägerin habe sich der Beklagten auch angesichts der schon Jahre zurückliegenden Anfrage vom 15.3.1989 nicht aufdrängen müssen. Zudem fehle es daran, dass eine Pflichtverletzung zumindest gleichwertig einen dem Sozialleistungsträger zurechenbaren sozialrechtlichen Nachteil verursacht habe; insoweit hat das LSG auf die Begründung des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.

8

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin in erster Linie, das fristgebundene Antragserfordernis für die Anerkennung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege im Zeitraum 1.1.1992 bis 31.3.1995 gemäß § 57 Abs 2 SGB VI aF bzw § 249b S 2 SGB VI sei mit Art 3 Abs 1 GG unvereinbar. Denn das Gesetz behandele die Gruppe der Pflegepersonen hinsichtlich der Anerkennung von Pflegezeiten als Berücksichtigungszeiten anders als die Gruppe der Kinder erziehenden Versicherten, die für die Anerkennung von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung gemäß § 57 Abs 1 SGB VI aF keine Ausschlussfristen beachten müssten, diese vielmehr auch noch im Rahmen späterer Kontenklärungsverfahren erstmals geltend machen könnten. Es bestünden keine hinreichend gewichtigen Sachgründe zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung. Das Interesse der Rentenversicherungsträger an einer möglichst zeitnahen Feststellung der maßgeblichen Umstände genüge hierfür nicht, weil nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast es ohnehin zu Lasten der Pflegeperson gehe, wenn später diese Umstände nicht mehr nachweisbar seien. Die Ausschlussfrist erschwere daher die Anerkennung einer Berücksichtigungszeit wegen Pflege in unnötiger Weise. Auch der laut Gesetzesbegründung angestrebte Gleichklang mit den Voraussetzungen für eine freiwillige Beitragszahlung von Pflegepersonen (§ 177 SGB VI aF bzw § 279e SGB VI - letztgenannte Norm zum 31.12.2011 aufgehoben) könne die Antragsfrist nicht rechtfertigen: Was im Beitragsrecht zur Vermeidung der nachträglichen Veränderung einer bereits durchgeführten Versicherung sachgerecht sei, lasse sich auf die Anrechnung einer Berücksichtigungszeit nicht übertragen, da diese keine Beitragszahlung voraussetze.

9

Eine Ungleichbehandlung ergebe sich aber auch im Vergleich zu anderen beitragsfreien Zeiten (Ersatzzeiten, Anrechnungszeiten, Zurechnungszeiten), bei denen allesamt kein fristgebundenes Antragserfordernis normiert sei. Auch hierfür seien sachlich rechtfertigende Gründe nicht ersichtlich. Vielmehr indiziere die singuläre Behandlung der Pflege-Berücksichtigungszeiten einen Systembruch und damit eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes. Da wegen des klaren Wortlauts keine verfassungskonforme Auslegung möglich sei, bedürfe es einer Entscheidung des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung.

10

Ungeachtet dessen habe das LSG zu Unrecht einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch verneint. Die Beklagte habe es pflichtwidrig unterlassen, sie - die Klägerin - anlässlich ihres Auskunftsersuchens vom 15.3.1989 und weiterer Kontakte in den Jahren 1992, 1993 und 1994 über die Ausschlussfrist zu beraten. Wegen des "Meistbegünstigungsprinzips" hätte ihre Anfrage nach weiteren "Beitragszeiten" für den pflegebedürftigen Sohn umfassend - auch mit einem Hinweis auf die Möglichkeit der Beantragung beitragsloser Berücksichtigungszeiten - beantwortet werden müssen, zumal die zum 1.1.1992 erfolgte Einführung der Berücksichtigungszeiten wegen Pflege damals bereits in Kraft getreten gewesen sei. Es sei der Sozialverwaltung zumutbar, eine aktuell bearbeitete Akte auf noch unerledigte Anträge und Auskunftsersuchen zu überprüfen. Dass die Akte zwischenzeitlich "verlegt" gewesen sei, dürfe ihr nicht zum Nachteil gereichen. Aufgrund des unterbliebenen Hinweises auf einen möglichen Antrag nach § 57 Abs 2 SGB VI aF sei ihr ein sozialrechtlicher Nachteil entstanden. Denn bei Kenntnis dieses Erfordernisses hätte sie einen solchen Antrag in jedem Fall gestellt. Da nur dessen Fehlen zur Nichterfüllung der Wartezeit für eine Altersrente für langjährig Versicherte geführt habe, sei sie im Wege des Herstellungsanspruchs so zu stellen, als ob sie rechtzeitig die Anerkennung der Zeit vom 1.1.1992 bis 31.3.1995 als Berücksichtigungszeit wegen Pflege beantragt habe.

11

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 14. Juli 2010, das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 16. Dezember 2008 und den Bescheid der Beklagten vom 31. Juli 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Oktober 2006 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, den Ablehnungsbescheid vom 28. März 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Dezember 2002 zurückzunehmen und ab 1. Juli 2002 Altersrente für langjährig Versicherte zu gewähren,

hilfsweise, die genannten Urteile und Bescheide aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, den Rentenbescheid vom 23. Juni 2004 zurückzunehmen und höhere Regelaltersrente unter Anrechnung des Zeitraums vom 1. Januar 1992 bis zum 31. März 1995 als Berücksichtigungszeit wegen Pflege zu gewähren.

12

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

13

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ergänzend weist sie darauf hin, ein möglicher Sachgrund für die unterschiedliche Behandlung hinsichtlich des Antragserfordernisses von Zeiten der Pflege und Zeiten der Kindererziehung könne darin liegen, dass die Erziehung eines Kindes durch einen Elternteil im Regelfall unterstellt werden könne, während der Nachweis der Pflege eines Angehörigen für lange zurückliegende Zeiträume schwierig sei. Im Übrigen sei vorrangig das Bestehen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu prüfen. Sie - die Beklagte - habe jedoch keine Beratungspflichten verletzt. Sie könne auch nach Auswertung bereits mikroverfilmter Aktenbestandteile nicht feststellen, dass das von der Klägerin angeführte Schreiben vom 15.3.1989 überhaupt bei ihr eingegangen sei. Der Rechtsmeinung, dass der Rentenversicherungsträger bei jedem neuen "Geschäftsvorfall" den bisherigen Vorgang ohne konkreten Anlass vollständig darauf zu überprüfen habe, ob durch zwischenzeitlich eingetretene Rechtsänderungen alte Aktenbestandteile eine neue Relevanz erhalten hätten, sei aus zeitlichen und arbeitstechnischen Gründen nicht zu folgen.

14

Die Beigeladene verweist auf die ihrer Ansicht nach zutreffenden vorinstanzlichen Entscheidungen, sieht aber von einer eigenen Antragstellung ab.

Entscheidungsgründe

15

Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Das LSG hat ihre Berufung gegen das klagabweisende Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen, denn der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 31.7.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.10.2006 ist rechtmäßig (§ 170 Abs 1 S 1 iVm § 54 Abs 2 S 1 SGG). Die Klägerin kann von der Beklagten weder die Rücknahme des eine Altersrente für langjährig Versicherte versagenden Bescheids vom 28.3.2002 und Gewährung entsprechender Leistungen ab 1.7.2002 beanspruchen noch (im Sinne des Hilfsantrags) die Zahlung höherer Regelaltersrente ab 1.7.2004 unter Änderung des Bescheids über die Regelaltersrente vom 23.6.2004. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte es abgelehnt hat, den Zeitraum vom 1.1.1992 bis 31.3.1995, in dem die Klägerin ihren behinderten Sohn pflegte, oder Teile davon als Berücksichtigungszeit wegen Pflege iS des § 249b SGB VI anzuerkennen.

16

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der eine Rücknahme vorangegangener Entscheidungen ablehnende Bescheid der Beklagten vom 31.7.2006 (in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.10.2006), und zwar sowohl hinsichtlich einer Korrektur des Altersrente für langjährig Versicherte versagenden Bescheids vom 28.3.2002 als auch in Bezug auf eine Änderung des Regelaltersrente bewilligenden Bescheids vom 31.7.2006. Die Klägerin hat von Anfang an stets eine Überprüfung beider Bescheide verlangt. Bei sachgemäßer Auslegung (vgl § 123 SGG) war ihr Begehren von vornherein als - ihr Ziel weitestgehend verwirklichender - Hauptantrag auf Gewährung von Altersrente für langjährig Versicherte unter Einbeziehung des Zeitraums 1.1.1992 bis 31.3.1995 (39 Monate) als Berücksichtigungszeit wegen Pflege zu behandeln. Nur für den Fall von dessen Ablehnung sollte höhere Regelaltersrente unter Einbeziehung möglichst vieler Monate einer Berücksichtigungszeit wegen Pflege eingefordert werden. Die Beklagte hat zumindest im Widerspruchsbescheid vom 6.10.2006 auch über dieses umfassende Begehren entschieden (vgl § 95 SGG). Wenn sich - wie hier - das SG nur mit dem Hauptantrag befasst und den Hilfsantrag übergangen hat, war das Berufungsgericht ohne vorheriges Urteilsergänzungsverfahren (vgl § 140 SGG) verpflichtet, auch über den Hilfsantrag zu entscheiden (§ 157 S 1 SGG - s hierzu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 157 RdNr 2a). Auch wenn sich das LSG in seinem Urteil ausschließlich mit dem (Hilfs-)Antrag auf höhere Regelaltersrente auseinandergesetzt hat, muss bei sachgerechter Zusammenschau davon ausgegangen werden, dass es den im Tatbestand seines Urteils wiedergegebenen Hauptantrag nicht übergangen, sondern - zumindest konkludent - ebenfalls als nicht begründet beurteilt hat. Denn mit der Ablehnung jeglicher Berücksichtigungszeiten wegen Pflege mussten notwendigerweise sowohl der Haupt- als auch der Hilfsantrag der Klägerin scheitern. Damit ist aber auch der Hauptantrag Gegenstand der Überprüfung im Revisionsverfahren (zur vereinzelt bejahten Möglichkeit des "Heraufholens" vom LSG versehentlich übergangener Verfahrensgegenstände in die Revisionsinstanz vgl BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 27).

17

2. Als Rechtsgrundlage für eine Aufhebung des Altersrente für langjährig Versicherte versagenden Bescheids vom 28.3.2002 oder für eine Änderung des Bescheids über die Regelaltersrente vom 23.6.2004 kommt nur § 44 Abs 1 S 1 SGB X in Betracht. Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit ua zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt worden ist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.

18

Ihrer Anwendung steht auch in Bezug auf den Bescheid vom 28.3.2002 nicht entgegen, dass dessen Rechtmäßigkeit bereits Gegenstand eines sozialgerichtlichen Verfahrens war, das rechtskräftig mit einer Abweisung der Klage als unbegründet endete (Urteil des SG Lüneburg vom 25.8.2005 zum Az S 4 RJ 86/04 WA - zuvor S 4 RJ 8/03). Zwar ist dadurch der genannte Bescheid für die Beteiligten in der Sache bindend geworden (§ 77 SGG). Eine Bindung besteht jedoch nur, "soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist". In diesem Sinne ist § 44 SGB X eine gesetzliche Bestimmung, die eine Durchbrechung der Bindungswirkung zulässt(vgl BSG SozR 2200 § 1268 Nr 29 S 91, 94). Sie vermittelt einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts unabhängig davon, ob dieser durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSGE 96, 227 = SozR 4-2600 § 315a Nr 3, RdNr 14; BSGE 97, 54 = SozR 4-2700 § 8 Nr 18, RdNr 12 - jeweils mwN). Aus dem Urteil des 9. Senats vom 3.2.1988 (BSGE 63, 33, 35 = SozR 1300 § 44 Nr 33 S 89) ergibt sich nichts Gegenteiliges.

19

3. Die Beklagte hat mit der Ablehnung eines Anspruchs auf Altersrente für langjährig Versicherte im Bescheid vom 28.3.2002 iS des § 44 Abs 1 S 1 SGB X das Recht nicht unrichtig - was hier allein in Betracht kommt -, sondern zutreffend angewandt.

20

a) Rechtsgrundlage für einen Anspruch der Klägerin auf Altersrente für langjährig Versicherte ist § 236 Abs 1 SGB VI(gemäß § 300 Abs 2 SGB VI hier noch anzuwenden in der ab 1.1.2000 geltenden Fassung des RRG 1999 vom 16.12.1997, BGBl I 2998; ab 1.1.2002 s auch Neubekanntmachung vom 19.2.2002, BGBl I 754). Vor dem 1.1.1948 geborene Versicherte haben nach S 1 der Vorschrift frühestens Anspruch auf eine solche Rente, wenn sie das 63. Lebensjahr vollendet und die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt haben. Nach S 2 bis 4 (aaO) wird diese Altersgrenze für nach dem 31.12.1936 geborene Versicherte nach Maßgabe der Anlage 21 zum SGB VI angehoben, wobei eine vorzeitige Inanspruchnahme möglich ist (mit entsprechenden Abschlägen gemäß § 77 Abs 2 S 1 Nr 2 Buchst a SGB VI). Anlage 21 zum SGB VI enthält für Versicherte, die zwischen Januar 1939 und Dezember 1947 geboren sind, nach dem Gesamtzusammenhang der Regelung - ebenso wie für im Dezember 1938 und im Januar 1948 Geborene - eine Anhebung der Altersgrenze auf 65 Jahre sowie die Möglichkeit zur vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente ab dem 63. Lebensjahr.

21

Die 1939 geborene Klägerin hatte am 1.7.2002 ihr 63. Lebensjahr vollendet und erfüllte somit die altersmäßige Voraussetzung für eine (vorzeitige) Inanspruchnahme der Altersrente für langjährig Versicherte. Sie hatte jedoch, wie das SG festgestellt und worauf das LSG Bezug genommen hat, zu diesem Zeitpunkt ohne Berücksichtigung der streitbefangenen Berücksichtigungszeiten wegen Pflege ihres Sohnes im Zeitraum 1.1.1992 bis 31.3.1995 lediglich 31 Jahre und 11 Monate an rentenrechtlichen Zeiten (§ 51 Abs 3 SGB VI)aufzuweisen, die auf die Wartezeit von 35 Jahren angerechnet werden können. Ein Anspruch der Klägerin auf eine Altersrente für langjährig Versicherte ab 1.7.2002 besteht somit nur, wenn bis dahin wenigstens weitere 37 Monate an rentenrechtlichen Zeiten, zu denen gemäß § 54 Abs 1 Nr 3 SGB VI auch Berücksichtigungszeiten gehören, anzurechnen wären. Das ist jedoch nicht der Fall.

22

b) Eine Anerkennung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege im Zeitraum 1.1.1992 bis 31.3.1995 (= 39 Monate) kommt nicht in Betracht.

23

Nach § 249b S 1 SGB VI(in der ab 1.4.1995 und bis heute unverändert geltenden Fassung des Pflege-Versicherungsgesetzes vom 26.5.1994, BGBl I 1014; zuvor weitgehend inhaltsgleich mWv 1.1.1992 § 57 Abs 2 SGB VI idF des RRG 1992 vom 18.12.1989, BGBl I 2261) sind Berücksichtigungszeiten "auf Antrag" auch Zeiten der nicht erwerbsmäßigen Pflege eines Pflegebedürftigen in der Zeit vom 1.1.1992 bis zum 31.3.1995, solange die Pflegeperson (1.) wegen der Pflege berechtigt war, Beiträge zu zahlen oder die Umwandlung von freiwilligen Beiträgen in Pflichtbeiträge zu beantragen, und (2.) nicht zu den in § 56 Abs 4 SGB VI genannten Personen gehört, die von der Anrechnung einer Kindererziehungszeit ausgeschlossen sind. Gemäß S 2 der Vorschrift wird die Zeit der Pflegetätigkeit von der Aufnahme der Pflegetätigkeit an als Berücksichtigungszeit angerechnet, wenn der Antrag bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach Aufnahme der Pflegetätigkeit gestellt wird.

24

aa) Hiernach ist - ungeachtet weiterer Voraussetzungen insbesondere hinsichtlich des zeitlichen Umfangs der Pflegetätigkeit - die Anerkennung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege von einem Antrag der Pflegeperson (nicht: der zu pflegenden Person) abhängig (zur Verfassungsmäßigkeit der Regelung RdNr 41 ff), zu deren Gunsten die Zeit rentenrechtlich wirksam werden soll (Dankelmann in juris-PK SGB VI, 2. Aufl 2013, § 249b RdNr 44). Die zeitliche Wirkung des Antrags ergibt sich aus § 249b S 2 SGB VI. Um bei einem Beginn der Pflegetätigkeit vor 1992 - wie im vorliegenden Fall - den vollen denkbaren Zeitraum (1.1.1992 bis 31.3.1995) als Berücksichtigungszeit gutgeschrieben zu erhalten, hätte die Klägerin einen entsprechenden Antrag spätestens am 31.3.1992 stellen müssen, da bei einer bereits länger als drei Monate - hier: seit November 1979 - aufgenommenen Pflegetätigkeit die Berücksichtigungszeit erst ab dem Tag des Antragseingangs angerechnet werden kann (Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 249b RdNr 3, 18, Stand Juni 2012). Eine Antragstellung nach diesem Zeitpunkt hätte nur zu einer entsprechend kürzeren Berücksichtigungszeit führen können; letztmöglicher Antragszeitpunkt (zur Anerkennung einer Berücksichtigungszeit für den Monat März 1995) war demnach der 31.3.1995 (vgl Löschau in ders, SGB VI, Stand August 2013, § 249b RdNr 17; Bergner ua, KomGRV, § 249b SGB VI Anm 3, Stand Oktober 2003; Försterling in Ruland/Försterling, Gemeinschaftskomm zum SGB VI, § 249b RdNr 13, Stand Mai 2005). Das von den Vorinstanzen für maßgeblich gehaltene Datum 30.6.1995 ist hier nicht einschlägig. Vielmehr markiert es lediglich den letzten denkbaren Antragszeitpunkt für den Fall, dass eine Pflegetätigkeit erst im März 1995 begann.

25

Sämtliche möglichen Antragszeitpunkte hat die Klägerin jedoch versäumt. Denn sie hat einen Antrag auf Anrechnung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege erst am 5.7.1996 bei der Beklagten gestellt.

26

bb) Auch die Regelungen zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 27 SGB X) kommen der Klägerin nicht zugute. Dies gilt schon deshalb, weil bei Einreichung des Antrags auf Anerkennung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege im Juli 1996 die Jahresfrist gemäß § 27 Abs 3 SGB X längst abgelaufen war.

27

cc) Ebenso wenig kann sie auf der Grundlage eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs beanspruchen, so behandelt zu werden, als ob sie den Antrag auf Anerkennung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege bereits am 31.3.1992 - dem spätesten Zeitpunkt, um die erforderlichen 37 Monate solcher Zeiten angerechnet zu erhalten - gestellt hätte.

28

In der Rechtsprechung des BSG ist geklärt, dass das richterrechtliche Institut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs auch neben der gesetzlichen Wiedereinsetzungsregelung in § 27 SGB X (soweit einschlägig) anwendbar ist. Der Herstellungsanspruch erfordert eine Pflichtverletzung eines Sozialleistungsträgers und einen hierdurch beim Betroffenen hervorgerufenen rechtlichen Nachteil auf dem Gebiet des Sozialrechts; als Rechtsfolge ist der Zustand wiederherzustellen, der ohne die Pflichtverletzung bestehen würde, wobei dies nur durch eine an sich zulässige Amtshandlung geschehen darf (BSG SozR 4-1200 § 14 Nr 13 RdNr 26 mwN; BSG Urteil vom 4.9.2013 - B 12 AL 2/12 R - Juris RdNr 19, zur Veröffentlichung in SozR 4-4300 § 28a Nr 5 vorgesehen).

29

Die genannten Voraussetzungen liegen auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des LSG, die von der Klägerin nicht mit Verfahrensrügen angegriffen wurden und daher für den Senat bindend sind (§ 163 SGG), nicht vor. Als Pflichtverletzung, die gegebenenfalls einen Herstellungsanspruch auslösen kann, kommt vorliegend nur eine unzureichende Beratung der Klägerin durch die Beklagte über ihre Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit der Erlangung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege in Betracht (vgl § 14 SGB I).

30

(1) Die Klägerin macht insoweit geltend, sie habe die Beklagte mit Schreiben vom 15.3.1989 ua um Auskunft gebeten, ob für ihren Sohn "weitere Beitragszeiten anerkannt werden könnten, da er seit 1979 schwerbehindert und pflegebedürftig ist", hierauf aber keine Antwort erhalten. Bei ordnungsgemäßer Behandlung ihres Auskunftsersuchens wäre die Beklagte verpflichtet gewesen, auch zu sonstigen anerkennungsfähigen Zeiten im Zusammenhang mit dem geschilderten Sachverhalt umfassend Auskunft zu geben und dabei auf die Möglichkeiten der Beantragung beitragsloser Berücksichtigungszeiten wegen Pflege hinzuweisen. Das LSG-Urteil enthält jedoch keine Feststellungen dazu, dass diese Anfrage die Beklagte überhaupt erreicht hat. Im Tatbestand (S 2 aaO) ist lediglich der oben erwähnte Vortrag der Klägerin wiedergegeben; die Entscheidungsgründe (S 7 aaO) enthalten keine weitergehenden Feststellungen zum Inhalt der Anfrage oder dazu, ob sie bei der Beklagten - was diese ausdrücklich in Frage stellt - eingegangen ist. Dennoch bedarf es keiner Zurückverweisung an das Berufungsgericht zur weiteren Sachaufklärung.

31

Denn selbst wenn die Tatsachenbehauptungen der Klägerin zu ihren Gunsten als wahr unterstellt werden, ergibt sich aus ihnen kein Herstellungsanspruch. Zwar stünde dann ein Beratungsmangel iS von § 14 SGB I - in Gestalt der Nichterteilung einer erbetenen Beratung - fest. Dies hätte jedoch zum damaligen Zeitpunkt im Frühjahr 1989 nicht kausal zu einem sozialrechtlichen Nachteil bei der Klägerin führen können. Bei Durchführung der Beratung hätte die Beklagte der Klägerin damals lediglich mitteilen können, dass nach geltender Rechtslage keine weiteren Beitragszeiten oder sonstige rentenrechtlichen Zeiten wegen der Pflegebedürftigkeit ihres Sohnes anzuerkennen seien. Hieraus hätte sich für die Klägerin kein Erfordernis einer späteren Antragstellung zur Erlangung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege erschlossen, was zur Folge hat, dass ohne die (behauptete) Pflichtverletzung kein für die Klägerin günstigerer Rechtszustand eingetreten wäre, der mit Hilfe des Herstellungsanspruchs nunmehr verwirklicht werden könnte.

32

Die Beklagte war im März 1989 auch nicht dazu verpflichtet, auf eine möglicherweise künftig günstigere, mit dem Erfordernis einer rechtzeitigen Antragstellung verbundene Rechtslage hinzuweisen, falls der am 7.3.1989 erstmals in das Gesetzgebungsverfahren eingebrachte Entwurf des RRG 1992 (Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP vom 7.3.1989, BT-Drucks 11/4124) in Gestalt der dort in § 57 Abs 2 SGB VI neu aufgenommenen Regelung geltendes Recht würde. Denn der Anspruch auf Beratung nach § 14 SGB I umfasst nur die Beratung über die bestehenden "Rechte und Pflichten nach diesem Gesetzbuch", nicht aber auch über den Inhalt von bloßen Gesetzentwürfen, die weder vom Parlament verabschiedet noch verkündet sind(s BSG SozR 4-1200 § 14 Nr 5 RdNr 9 - zum Fall einer neu eingeführten antragsabhängigen Leistung nach dem LBliGG Sachsen - sowie BSG SozR 3-3200 § 86a Nr 2 S 6 - zum Fall der 1987 neu eingeführten antragsabhängigen Arbeitslosenbeihilfe nach § 86a Abs 1 S 2 SVG iVm § 100 Abs 1 AFG für Soldaten auf Zeit).

33

Nichts anderes ergibt sich, wenn der Zeitraum nach Verkündung des RRG 1992 am 28.12.1989 (vgl BGBl I 1989 Nr 60 S 2261) in den Blick genommen wird. Dann wäre zwar die (unterstellte) Anfrage der Klägerin immer noch unbeantwortet gewesen. Außerdem hätte die Beklagte auf eine zu diesem Zeitpunkt gestellte Anfrage der Klägerin mitteilen müssen, dass nach der gesetzlichen Regelung ab 1992 Zeiten der nicht erwerbsmäßigen Pflege im Umfang von regelmäßig mindestens 10 Stunden pro Woche auf einen entsprechenden - fristgebundenen - Antrag hin entweder als Pflichtbeitragszeiten oder als Berücksichtigungszeiten (§ 57 Abs 2 iVm § 177 SGB VI aF)angerechnet werden können (vgl BSG SozR 4-3800 § 1 Nr 9 RdNr 35; s hierzu auch Bergner ua, KomGRV, § 14 SGB I RdNr 5 S 8, Stand März 2007). Gleichwohl vermag - jedenfalls in einer Konstellation wie der hier vorliegenden - eine fehlende Antwort der Beklagten auf das Schreiben der Klägerin vom 15.3.1989 einen Herstellungsanspruch nicht zu begründen.

34

Denn wenn ein Betroffener, der auf ein Auskunftsersuchen keine Antwort erhält, nach einer angemessenen Wartefrist die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Aufklärung, ob seine Anfrage bei dem zur Beratung verpflichteten Leistungsträger überhaupt angekommen ist oder welche Gründe für das Ausbleiben einer Antwort bestehen, nicht wahrnimmt, so kann er aus dem Unterbleiben der Beratung keinen Herstellungsanspruch mehr herleiten. Ein Betroffener in solcher Lage hat Kenntnis von seinem Informationsdefizit; ihm kann deshalb zugemutet werden, seine Anfrage in angemessener Frist zu wiederholen, zumal er sein Beratungsbegehren gegenüber der Behörde nötigenfalls prozessual durchsetzen kann (BSG SozR 4-1300 § 84 Nr 1 RdNr 24; s auch Schmidt-De Caluwe, Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch, 1992, S 514, der einen Herstellungsanspruch nur bejaht, wenn die versäumte Frist "zwischenzeitlich" - also innerhalb der angemessenen Wartefrist - abgelaufen ist). Eine Nachfrage wegen der bislang unterbliebenen Antwort liegt auch deshalb nahe, weil es hierfür die unterschiedlichsten Gründe geben kann: Neben dem (pflichtwidrigen) Unterlassen einer rechtzeitigen Auskunft kann auch das Auskunftsersuchen oder die Auskunft auf dem Postweg oder behördenintern verloren gegangen sein; denkbar ist ferner, dass die Anfrage von der Klägerin versehentlich nicht abgeschickt oder die Antwort von ihr übersehen oder versehentlich vernichtet wurde.

35

Nicht vertieft zu werden braucht in diesem Zusammenhang, ob die Beschränkung des Herstellungsanspruchs aus dem generellen Vorrang des Primärrechtsschutzes im Verhältnis zwischen Bürger und Staat herzuleiten ist, der es dem Bürger versagt, eine rechtswidrige staatliche Beeinträchtigung freiwillig hinzunehmen und stattdessen hierfür Schadensersatz zu verlangen (vgl BSGE 105, 100 = SozR 4-1100 Art 104a Nr 1, RdNr 17 mwN), ob die Begrenzung des Herstellungsanspruchs aus Nebenpflichten und Obliegenheiten folgt, die sich auch für den Leistungsberechtigten aus dem Sozialrechtsverhältnis ergeben (so BSG Urteil vom 22.8.2013 - B 14 AS 75/12 R - RdNr 24 ff, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-4200 § 16 Nr 13 vorgesehen), oder ob es in diesen Fällen bereits an der Kausalität der behördlichen Pflichtverletzung iS einer wesentlichen - zumindest gleichwertigen - Bedingung für die Beeinträchtigung eines sozialen Rechts fehlt (so BSGE 91, 1 = SozR 4-2600 § 115 Nr 1 - Leitsatz 2 und RdNr 62). Im Ergebnis besteht jedenfalls Übereinstimmung, dass unter den genannten Voraussetzungen kein Herstellungsanspruch wegen unterlassener Beratung besteht.

36

Eine solche Konstellation liegt hier vor, sofern das tatsächliche Vorbringen der Klägerin als wahr unterstellt wird. Diese hat mit ihrer Revision selbst nicht vorgetragen, dass sie ihre (behauptete) Anfrage vom 15.3.1989, die von der Beklagten unbeantwortet geblieben sei, zu irgendeinem späteren Zeitpunkt erneuert oder Informationen zu den Gründen der unterbliebenen Antwort eingeholt habe; auch das LSG hat solches nicht festgestellt. Damit scheidet ein Herstellungsanspruch als Folge einer unterlassenen Beantwortung des Schreibens der Klägerin vom 15.3.1989 durch die Beklagte aus. Wie zu entscheiden wäre, wenn die Antragsfrist gerade in dem Zeitraum abgelaufen wäre, während dessen die Klägerin mit einer Antwort durch die Beklagte auch ohne Nachfrage hat rechnen dürfen, kann dahinstehen; zum hier maßgeblichen Zeitpunkt Ende März 1992 war dies jedenfalls nicht mehr der Fall.

37

(2) Weiterhin leitet die Klägerin eine Pflicht der Beklagten zur Beratung über das Antragserfordernis hinsichtlich der Anrechnung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege ab 1.1.1992 daraus ab, dass nach Verkündung des RRG 1992 erneut Kontakte in rentenrechtlichen Angelegenheiten stattgefunden hätten, nämlich im Zusammenhang mit einem Antrag vom 2.11.1992 auf Beitragsnachzahlung bei Heiratserstattung und weiteren Vorgängen in den Jahren 1993 und 1994; jedenfalls zu diesen Zeitpunkten hätte die Beklagte sie über die bereits konkret eingetretene Änderung der Rechtslage beraten müssen.

38

Eine Würdigung dieses Sachverhalts durch das Revisionsgericht ist jedoch ausgeschlossen. Denn es handelt sich insoweit um völlig neues tatsächliches Vorbringen, das in der Revisionsinstanz nicht berücksichtigt werden kann (vgl BSGE 9, 266, 271; Lüdtke in ders, SGG, 4. Aufl 2012, § 163 RdNr 3). Im angefochtenen Urteil des LSG finden sich keinerlei Feststellungen zu solchen Kontakten. Dort ist - anders als hinsichtlich der Geltendmachung eines Herstellungsanspruchs aufgrund des Schreibens vom 15.3.1989 - nicht einmal ein entsprechendes Vorbringen der Klägerin in erster oder zweiter Instanz zur Untermauerung ihres Anspruchs erwähnt (vgl § 136 Abs 2 S 2 SGG). Wiederaufnahmegründe in Bezug auf diese tatsächlichen Umstände sind ebenfalls nicht ersichtlich.

39

Im Übrigen könnte ein Herstellungsanspruch aufgrund eines Beratungsfehlers der Beklagten anlässlich des ersten vorgetragenen Kontakts im November 1992 allenfalls dazu führen, dass die Klägerin so zu stellen wäre, als ob sie einen Antrag auf Anerkennung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege im November 1992 gestellt hätte. Das würde jedoch nicht genügen, um die bei ihr für eine Altersrente für langjährig Versicherte zusätzlich erforderlichen rentenrechtlichen Zeiten im Umfang von mindestens 37 Monaten zu erlangen (s oben 3. a).

40

4. Die Beklagte hat auch im Bescheid über die Regelaltersrente vom 23.6.2004 iS des § 44 Abs 1 S 1 SGB X das Recht nicht unrichtig, sondern zutreffend angewandt, indem sie bei der Ermittlung der persönlichen Entgeltpunkte(§§ 70 ff SGB VI) für den Zeitraum 1.1.1992 bis 31.3.1995 keine Berücksichtigungszeiten wegen Pflege (§ 249b SGB VI)einbezog. Auch insoweit fehlt für eine Anrechnung solcher Berücksichtigungszeiten der erforderliche rechtzeitige Antrag; auf die obigen Ausführungen (unter 3. b) wird Bezug genommen.

41

5. Das Antragserfordernis in § 57 Abs 2 SGB VI(in der ab 1.1.1992 bis 31.3.1995 geltenden Fassung des RRG 1992) bzw nunmehr in § 249b SGB VI(in der ab 1.4.1995 geltenden Fassung des PflegeVG) verletzt kein Verfassungsrecht; es ist insbesondere mit Art 3 Abs 1 GG vereinbar.

42

a) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Er verlangt vom Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu regeln. Der Gleichheitssatz ist dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen Gruppe anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können (stRspr, vgl BVerfGE 132, 372 RdNr 45 mwN).

43

Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen über einen stufenlosen, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Prüfungsmaßstab bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können (BVerfGE 132, 179 RdNr 30; BVerfGE 132, 372 RdNr 45 mwN). Differenzierungen bedürfen dabei stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Mithin muss eine Differenzierung nicht nur an ein der Art nach sachlich gerechtfertigtes Unterscheidungskriterium anknüpfen, sondern es ist auch ein innerer Zusammenhang zwischen den vorgefundenen Verschiedenheiten und der differenzierenden Regelung erforderlich, der sich als sachlich vertretbarer Unterscheidungsgesichtspunkt von hinreichendem Gewicht erweist (BVerfGE 132, 372 RdNr 45 mwN).

44

Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich dabei nicht abstrakt und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils betroffenen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen (BVerfGE 131, 239, 256 mwN). Im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit, um den es hier geht, kommt dem Gesetzgeber bei der Abgrenzung der begünstigten Personenkreise grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum zu (BVerfGE 130, 240, 254 mwN). Ihm sind jedoch umso engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann (BVerfGE 122, 39, 52; 130, 131, 142). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers ist auch anzunehmen, wenn die Differenzierung an Persönlichkeitsmerkmale anknüpft (BVerfGE 129, 49, 69); sie ist darüber hinaus umso strenger, je mehr sich die zur Unterscheidung führenden personenbezogenen Merkmale den in Art 3 Abs 3 GG genannten Merkmalen annähern und je größer die Gefahr ist, dass die Ungleichbehandlung zur Diskriminierung einer Minderheit führt (BVerfGE 131, 239, 256). Bei verhaltensbezogenen Unterscheidungen hängt das Maß der Bindung insbesondere auch davon ab, inwieweit die Betroffenen in der Lage sind, durch ihr Verhalten die Verwirklichung der Merkmale zu beeinflussen, nach denen unterschieden wird (BVerfGE 127, 263, 280 = SozR 4-1300 § 116 Nr 2 RdNr 45 mwN). Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers geht besonders weit, wenn er Lebenssachverhalte verschieden behandelt und die Betroffenen sich durch eigenes Verhalten auf die unterschiedliche Regelung einstellen können; die Grenze bildet dann allein das Willkürverbot (BVerfGE 97, 271, 291 = SozR 3-2940 § 58 Nr 1 S 11).

45

b) Nach diesen Grundsätzen ist Prüfungsmaßstab hier allein das Willkürverbot. Das Unterscheidungsmerkmal "Antragserfordernis", das die Klägerin beanstandet, ist nicht personenbezogen, sondern knüpft an den Lebenssachverhalt der Verrichtung nicht erwerbsmäßiger Pflege in einem bestimmten zeitlichen Umfang durch jede beliebige Person an; es weist auch keinerlei Nähe zu einem der in Art 3 Abs 3 GG genannten Merkmale - Alter, Geschlecht, Abstammung usw - auf. Die unterschiedliche Behandlung - Erlangung rentenrechtlicher Zeiten ohne eigenen Beitrag, aber einmal mit und sonst ohne vorherigen Antrag - wirkt sich auch nicht in irgendeiner Weise auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten aus. Es handelt sich vielmehr um eine Regelung, die lediglich verschiedene Lebenssachverhalte (Pflege in Abgrenzung zu Kindererziehung oder sonstigen Tatbeständen, die eine beitragslose rentenrechtliche Zeit begründen) in Bezug auf die verfahrensrechtliche Verwirklichung ihrer Berücksichtigung beim Erwerb von Rentenrechten in unterschiedlicher Weise ausgestaltet (zum Willkürverbot als Beurteilungsmaßstab für verfahrensrechtliche Ausgestaltungen s BVerfGE 42, 64, 73 f; zur Anlegung eines "zurückgenommenen Prüfungsmaßstabs" bei der Beurteilung des Selbsttitulierungsrechts einiger öffentlich-rechtlicher Kreditanstalten vgl BVerfGE 132, 372 RdNr 46). Die davon Betroffenen konnten sich zudem durch eigenes Verhalten, nämlich durch eine formlose Antragstellung (§ 9 SGB X - vgl Löschau in ders, SGB VI, Stand August 2013, § 249b SGB VI RdNr 18; Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 249b RdNr 15, Stand Juni 2012) und damit ohne besonderen Aufwand auf die unterschiedliche Regelung einstellen.

46

c) Die Gewährung beitragsfreier Berücksichtigungszeiten wegen Pflege als zur Begründung oder Erhöhung von Rentenleistungen beitragendes Element für den Zeitraum 1.1.1992 bis 31.3.1995 nur nach vorheriger fristgebundener Antragstellung (und damit unter verfahrensrechtlich strengeren Voraussetzungen als bei zahlreichen anderen rentenrechtlich bedeutsamen Zeiten) ist durch sachliche Gründe gerechtfertigt.

47

Das RRG 1992 hat erstmals geregelt, dass nicht erwerbsmäßige häusliche Pflegetätigkeit als rentenrechtlich bedeutsame Zeit berücksichtigt werden kann. Die Begründung des Gesetzentwurfs führt dazu aus, die neue Leistung stehe im Zusammenhang mit dem Ziel, die Versicherungsbedingungen für ehrenamtliche Pflegepersonen zu verbessern; deshalb sollte die Vergünstigung an die gleichen Voraussetzungen gebunden werden, die auch für die in § 177 SGB VI(bis 31.3.1995; anschließend § 279e SGB VI, der bis 31.12.2011 galt) neu geschaffene Möglichkeit einer Umwandlung freiwilliger Beiträge von Pflegepersonen in Pflichtbeiträge vorgesehen waren (BT-Drucks 11/4124 S 142 unter 2. sowie S 167 - zu § 57 Abs 2). Diese beitragsrechtliche Regelung sollte jedoch nur "auf Antrag und bei entsprechendem Nachweis" eröffnet werden (BT-Drucks 11/4124 S 143 unter 3.), denn den Rentenversicherungsträgern sei eine Überprüfung des Vorliegens der Pflegebedürftigkeit und der tatsächlichen Pflegeleistung - gemäß § 177 Abs 1 Nr 2 SGB VI aF regelmäßig wöchentlich mindestens 10 Stunden - selbst nicht möglich(BT-Drucks 11/4124 S 186 - zu § 172, der als § 177 SGB VI Gesetz wurde). Deshalb wurde in § 177 Abs 4 S 2 SGB VI aF ergänzend bestimmt, dass die Versicherten den Umfang der Pflegebedürftigkeit durch eine Bescheinigung des Medizinischen Dienstes(§ 275 SGB V) und den Umfang der Pflegetätigkeit durch die Bescheinigung einer von den Landesregierungen zu bestimmenden Stelle selbst nachzuweisen hatten.

48

Das gesetzgeberische Ziel einer Verknüpfung der neuen beitragsfreien Vergünstigung der Berücksichtigungszeiten wegen Pflege (mit zumeist rentenrechtlich nur geringen Auswirkungen) mit der gleichzeitig neu geschaffenen Möglichkeit einer verbesserten Beitragszahlung durch die Pflegepersonen auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht ist nicht zu beanstanden und keinesfalls willkürlich. Die insoweit unterschiedliche Behandlung der Berücksichtigungszeiten wegen Pflege gegenüber den - ebenfalls durch das RRG 1992 eingeführten - Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung (§ 57 Abs 1 SGB VI aF, nunmehr § 57 SGB VI) erklärt sich dadurch, dass hinsichtlich des letztgenannten Sachverhalts eine gesonderte Beitrags(umwandlungs)regelung nicht besteht. In Bezug auf Pflegepersonen im Bereich nicht erwerbsmäßiger häuslicher Pflege, die bereits vor Einführung der Pflegeversicherung unter bestimmten Umständen für ihren Einsatz aus der Geldleistung nach § 57 SGB V aF honoriert werden konnten(s die Übersicht in BT-Drucks 12/5262 S 68 ff, insbesondere die Hinweise auf § 55 und § 57 SGB V in der vom 1.1.1989 bis 31.3.1995 geltenden Fassung), lag es nahe, ihnen auch eine eigene Beitragsleistung zur rentenrechtlichen Absicherung zu eröffnen und diese Form der eigenverantwortlichen Vorsorge durch parallele verfahrensrechtliche Regelungen zu befördern. Die Antragsgebundenheit der beitragslosen Berücksichtigungszeit wegen Pflege ermöglichte es den Rentenversicherungsträgern, die Pflegepersonen zeitnah über deren (begrenzte) rentenrechtlichen Wirkungen sowie über die zusätzlich bestehenden beitragsrechtlichen Möglichkeiten für eine verbesserte soziale Absicherung aufzuklären. Im Hinblick darauf trifft der Einwand der Klägerin nicht zu, dass der vom Gesetzgeber hergestellte Sachzusammenhang zwischen den Berücksichtigungszeiten wegen Pflege (§ 57 Abs 2 SGB VI aF)und den Beitragsregelungen wegen Pflege (§ 177 SGB VI aF) einen Regelungsgleichklang in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht rechtfertigen könne, weil die ergänzende Beitragszahlung keine notwendige Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Berücksichtigungszeit sei (in diesem Sinne auch Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 249b RdNr 16, Stand Juni 2012).

49

Die oben wiedergegebene Begründung zum RRG 1992 zeigt zudem auf, dass der Gesetzgeber die besonderen verfahrensrechtlichen Voraussetzungen (Antrag, Vorlage bestimmter Nachweise) für die Gewährung von Vergünstigungen für nicht erwerbsmäßige häusliche Pflege geschaffen hat, weil er eine Überprüfung der materiellen Voraussetzungen - insbesondere des Umfangs der tatsächlich erbrachten Pflegetätigkeit - durch den Rentenversicherungsträger selbst für nicht durchführbar hielt. Auch das ist frei von Willkür. Dass dabei die von Anfang an vollumfängliche (rückwirkende) Anrechnung einer Pflegezeit von der Beachtung einer - mit drei Monaten relativ kurz bemessenen - Antragsfrist abhängig gemacht wurde, beruht auf dem Sachgrund, dass die Feststellung des Umfangs einer nicht erwerbsmäßig im häuslichen Bereich ausgeübten Pflegetätigkeit in länger zurückliegenden Zeiträumen nicht zuletzt wegen jederzeit möglicher gesundheitlich bedingter Änderungen des Pflegebedarfs besonders schwierig ist (vgl Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, Teil II - Bd 3, § 249b SGB VI RdNr 10, Stand Februar 1996). Dem kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, eine solche Regelung sei nicht erforderlich, weil die Folgen einer eventuellen Beweislosigkeit nach den Regeln der objektiven Beweislast ohnehin von der Pflegeperson zu tragen seien. Der Gesetzgeber handelt nicht sachwidrig, wenn er die Inanspruchnahme materieller Vergünstigungen an die Beachtung zumutbarer verfahrensrechtlicher Vorkehrungen knüpft und damit das Ziel verfolgt, den Umfang künftiger Streitigkeiten von vornherein zu begrenzen. Die Grundsätze der Beweislast kämen dagegen erst zur Anwendung, wenn alle bestehenden Möglichkeiten der Sachaufklärung von Amts wegen in gegebenenfalls für die Solidargemeinschaft der Rentenversicherten kostenaufwändigen, für die Pflegeperson aber kostenfreien Verfahren (vgl § 64 Abs 1 SGB X, §§ 183, 184, 193 Abs 4 SGG)ausgeschöpft wären.

50

Der weitere Einwand, es handele sich bei dem fristgebundenen Antragserfordernis für die Anrechnung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege um eine systemwidrige singuläre Ausnahmeregelung, da alle anderen beitragsfreien Zeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung ohne diese Einschränkung berücksichtigt werden könnten, trifft nicht zu. Auch die Inanspruchnahme von Kindererziehungszeiten ist in bestimmten Konstellationen gleichfalls von einem fristgebundenen Antrag abhängig. Im Falle gemeinsamer Erziehung können sie einem Elternteil durch übereinstimmende Erklärung rückwirkend nur für bis zu zwei Kalendermonate vor deren Abgabe zugeordnet werden (§ 56 Abs 2 S 5 und 6 SGB VI),wobei die Abgabe der Erklärung nach den Regeln über die Antragstellung erfolgt (§ 56 Abs 2 S 7 SGB VI). Zudem sind auch bestimmte Pflichtbeitragszeiten an einen rechtzeitigen Antrag geknüpft (Antragspflichtversicherung nicht nur vorübergehend selbstständig Tätiger gemäß § 4 Abs 2 iVm Abs 4 S 1 Nr 1 SGB VI: frühestens ab Antragstellung; Antragspflichtversicherung nicht oder ohne Krankengeldanspruch in der GKV Versicherter gemäß § 4 Abs 3 S 1 Nr 2 iVm Abs 4 S 1 Nr 2 SGB VI: Rückwirkung auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit nur bei Antragstellung innerhalb von drei Monaten). Im Übrigen stellt eine Systemwidrigkeit für sich allein keinen Gleichheitsverstoß dar, da der Gesetzgeber bei Vorliegen plausibler Gründe ohne Verletzung des Art 3 Abs 1 GG von sonst verfolgten Regelungsprinzipien abweichen kann (BVerfGE 81, 156, 207 = SozR 3-4100 § 128 Nr 1 S 19; s hierzu auch Heun in Dreier, GG, Bd 1, 3. Aufl 2013, Art 3 RdNr 37; Axer, SGb 2013, 669, 675).

51

Die zwar bei den meisten rentenrechtlichen Zeiten nicht übliche, als solche aber auch nicht singuläre Verknüpfung der zum 1.1.1992 neu eingeführten Berücksichtigungszeiten wegen Pflege mit einem fristgebundenen Antragserfordernis entbehrt schließlich auch nicht deshalb einer sachlichen Rechtfertigung, weil - wie die Klägerin vorträgt - die Versicherten mit einer solchen Regelung nicht rechnen konnten. Der damit angesprochene, im Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Abs 3 GG) verankerte Verfassungsgrundsatz des Vertrauensschutzes (s hierzu BVerfG vom 5.3.2013 - 1 BvR 2457/08 - Juris RdNr 32, 41) ist nicht verletzt, wenn der Gesetzgeber - wie hier - einen Lebensbereich erstmalig einer Regelung zuführt. Dann kann sich schutzwürdiges Vertrauen auf die Fortwirkung bestimmter Regelungen noch nicht gebildet haben. Vielmehr ist es dem Bürger zuzumuten, sich über die konkreten Bedingungen, unter denen das Gesetz einen neuartigen Vorteil gewährt, kundig zu machen und dabei die Informationsangebote der zur Aufklärung der Bevölkerung über ihre sozialen Rechte verpflichteten Leistungsträger (vgl § 13 SGB I) zu nutzen.

52

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG. Der Beigeladenen sind keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten, zumal sie keinen Sachantrag gestellt hat (vgl Senatsurteil vom 14.11.2002 - B 13 RJ 19/01 R - Juris RdNr 44 ; s auch BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Mai 2012 und das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 3. März 2011 sowie der Bescheid der Beklagten vom 28. Juli 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August 2010 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 6. Juli 2010 bis 4. Oktober 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu zahlen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 6.7.2010 bis 4.10.2010.

2

Die 1988 geborene Klägerin bulgarischer Staatsangehörigkeit reiste am 28.7.2009 mit einem bulgarischen Reisepass über den Grenzübergang Gradina (Bulgarien) aus und zu einem späteren, nicht exakt bekannten Zeitpunkt in die Bundesrepublik ein. Einwohnermelderechtlich wurde sie erstmals am 8.4.2010 "aus Bulgarien kommend" in Stuttgart erfasst. In der Zeit vor dem 8.4.2010 verfügte sie nicht über eine Arbeitserlaubnis und war nicht als Beschäftigte (bei einer Einzugsstelle oder der Minijobzentrale) gemeldet. Die Klägerin war seit Januar 2010 schwanger und wurde am 27.10.2010 von einem Mädchen entbunden. Am 6.7.2010 beantragte sie bei dem Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Bei Antragstellung gab sie an, Vater des erwarteten Kindes sei ihr Lebensgefährte. Zu diesem Zeitpunkt hatte dieser als griechischer Staatsangehöriger einen mehr als achtjährigen rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland zurückgelegt. Die Klägerin wies durch eine Urkunde des Jugendamts vom 20.7.2010 die Anerkennung der Vaterschaft nach. Über eine von ihr am 21.7.2010 bei der BA beantragte Erteilung einer Arbeitsgenehmigung-EU ohne Bezug zu einer konkreten Beschäftigung wurde zunächst nicht entschieden.

3

Der Beklagte lehnte den Antrag auf Leistungen nach dem SGB II ab (Bescheid vom 28.7.2010; Widerspruchsbescheid vom 10.8.2010). Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 3.3.2011). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 16.5.2012). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Klägerin verfüge über einen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet. Nach allen Erkenntnissen des Verfahrens habe sie bereits im Streitzeitraum beabsichtigt, in Deutschland zu bleiben. Ihr Aufenthalt sei auch in einer Weise verfestigt gewesen, dass von seiner Dauerhaftigkeit auszugehen sei. Die Anmietung einer Wohnung mit dem Lebensgefährten sei geplant gewesen. Das erwartete Kind habe von seiner Geburt an die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben dürfen, weil sein Vater einen mehr als achtjährigen rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland zurückgelegt habe. Die Klägerin sei nicht aus Rechtsgründen iS von § 8 Abs 2 SGB II als erwerbsunfähig einzustufen gewesen. Auch ein Unionsbürger, der noch nicht die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit genieße, sondern einer Arbeitserlaubnis bedürfe, sei zumindest dann erwerbsfähig iS von § 8 SGB II, wenn der Erlaubnisvorbehalt allein aus Nachrangigkeitsgründen bestehe und daher zumindest eine Arbeitserlaubnis-EU erteilt werden könne. Dies sei bei der Klägerin der Fall.

4

Der Leistungsanspruch sei jedoch nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II ausgeschlossen, weil die Klägerin im streitigen Zeitraum allenfalls aus Gründen der Arbeitsuche aufenthaltsberechtigt gewesen sei. Andere Aufenthaltsgründe lägen nicht vor. Insbesondere sei die Klägerin in Deutschland nicht als oder wie eine Arbeitnehmerin beschäftigt gewesen. Im Hinblick auf ihr Kind habe die Klägerin kein Aufenthaltsrecht als Familienangehörige erwerben können, weil sie erst ab Geburt des Kindes "Verwandte" iS von § 3 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU gewesen sei. Ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot aus Art 4 iVm Art 70 der Verordnung (EG) Nr 883/2004 liege nicht vor. Dieses trete hinter die Regelung in Art 24 Abs 2 der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG) zurück. Zur Sozialhilfe iS des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG zählten auch die Regelleistung und die Leistungen für Unterkunft und Heizung nach den §§ 20, 22 SGB II sowie - im Fall der Klägerin - die Mehrbedarfsleistungen für Schwangere. Diesen Leistungen fehle der spezifische Bezug zum Arbeitsmarkt, der einen Vorrang der VO (EG) Nr 883/2004 gegenüber der FreizügRL begründe. § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II iVm Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG sei als speziellere Regelung anwendbar. Auch ein Verstoß des § 7 Abs 1 S 2 SGB II gegen die Regelungen des EFA sei nicht ersichtlich, weil Bulgarien nicht Signatarstaat sei.

5

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin, das Berufungsurteil trage dem Schutz des ungeborenen Lebens nicht ausreichend Rechnung. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zu den aufenthaltsrechtlichen Vorwirkungen der bevorstehenden Vaterschaft eines bereits im Bundesgebiet lebenden Ausländers hinsichtlich seines ungeborenen Kindes sei übertragbar. Dies folge aus dem Schutz der Familie nach Art 6 Abs 1 GG und der aus Art 2 Abs 2 S 1 und Art 1 Abs 1 GG abzuleitenden Schutzpflicht für die Gesundheit der werdenden Mutter und des ungeborenen Kindes. Es sei dem Vater zu ermöglichen, den in § 1615f BGB festgelegten Unterhalt als Naturalunterhalt zu erbringen. Dass der Unionsgesetzgeber eine solche Situation nicht vorhergesehen habe, führe allenfalls dazu, dass sich das Aufenthaltsrecht nicht aus dem Sekundär- sondern dem Primärrecht ergebe. Die werdende Mutter habe in der Zeit der Schwangerschaft einen aufenthaltsrechtlich geschützten Anspruch auf Beistand durch den "werdenden" Vater. Leistungsansprüche im Rahmen der sozialen Koordinierung seien durch die Unionsbürger-Richtlinie nicht ausgeschlossen, weil der EuGH soziale Ansprüche aus dem Freizügigkeitsregime und aus den Regelungen über die sozialrechtliche Koordinierung als konkurrierende behandele.

6

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Sozialgerichts Stuttgart vom 3. März 2011 und des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Mai 2012 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 28. Juli 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2010 zu verurteilen, ihr Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 6. Juli 2010 bis 4. Oktober 2010 zu gewähren.

7

Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

8

Die Klägerin könne über die Schwangerschaft keine Eigenschaft als Familienangehörige konstruieren. Zwar stünden sich - vor Erklärung des Vorbehalts der Bundesregierung - aus Rumänien und Bulgarien stammende EU-Bürger bei Leistungen nach dem SGB II schlechter als Ausländer, die gleichzeitig EFA-Staatsangehörige seien. Dieses unterschiedliche Ergebnis verstoße jedoch nicht gegen Unionsrecht, weil es durch die (befristet) eingeschränkte Freizügigkeit bulgarischer Staatsangehöriger gerechtfertigt sei, die insoweit auch das ansonsten unionsrechtlich geltende Diskriminierungsverbot einschränke.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet. Die Vorinstanzen und der Beklagte haben einen Anspruch der Klägerin auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu Unrecht verneint.

10

1. Streitgegenstand sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, die der Beklagte mit Bescheid vom 28.7.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.8.2010 abgelehnt hat. Die Klägerin hat den streitigen Zeitraum ausdrücklich auf die Zeit vom 6.7.2010 bis 4.10.2010 beschränkt.

11

2. Die Klägerin erfüllte im streitigen Zeitraum sämtliche Anspruchsvoraussetzungen nach § 7 Abs 1 S 1 Nr 1 bis 4 SGB II und war auch nicht nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II von den SGB II-Leistungen ausgeschlossen.

12

Leistungen nach dem SGB II erhalten nach § 7 Abs 1 S 1 SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Die Klägerin bewegte sich innerhalb der Altersgrenzen des § 7 Abs 1 Nr 1 SGB II und war nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG(§ 163 SGG) hilfebedürftig nach § 7 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB II.

13

3. Die Klägerin war auch erwerbsfähig iS von § 7 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB II iVm § 8 SGB II. Nach § 8 Abs 1 SGB II ist erwerbsfähig, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf (nicht) absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. IS von § 8 Abs 1 SGB II können Ausländerinnen und Ausländer nur erwerbstätig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte(§ 8 Abs 2 SGB II) .

14

Nach den Feststellungen des LSG standen körperliche Gründe iS von § 8 Abs 1 SGB II einer Erwerbsfähigkeit nicht entgegen. Das Berufungsgericht ist weiter zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin nicht iS von § 8 Abs 2 SGB II als erwerbsunfähig anzusehen war. Zwar bleibt für EU-Bürger der zum 1.1.2007 beigetretenen Staaten Bulgarien und Rumänien (vgl Vertrag über den Beitritt der Republik Bulgarien und Rumänien zur Europäischen Union vom 25.4.2005 ) die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art 45 AEUV) für eine Übergangsfrist von sieben Jahren bis zum 31.12.2013 in der Weise beschränkt, dass die bestehenden nationalen Regelungen für den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt für ausländische Staatsangehörige auch für diese neuen EU-Bürger beibehalten wurden. Staatsangehörige dieser Länder können sich nach dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU als Art 2 des ZuwanderungsG vom 30.7.2004 ; vgl § 1 Abs 2 Nr 1 AufenthG) grundsätzlich frei innerhalb der EU bewegen, benötigen zur Beschäftigungsaufnahme in Deutschland in der Übergangszeit aber weiterhin eine Arbeitsgenehmigung-EU (§ 284 Abs 1 S 2 SGB III idF des Gesetzes vom 7.12.2006, BGBl I 2814).

15

Die Klägerin war nicht im Besitz einer Arbeitsgenehmigung. Es ist jedoch ausreichend, dass ihr vorbehaltlich der Vorlage eines konkreten, überprüfbaren Stellenangebots eines künftigen Arbeitgebers im streitigen Zeitraum die Aufnahme einer Beschäftigung hätte erlaubt werden können. Soweit das SG eine Erwerbsfähigkeit ohne weitere Ermittlungen mit der Begründung verneint hat, dass keine konkrete und realisierbare Möglichkeit zur Erteilung einer Arbeitsgenehmigung/EU bestanden habe, unterstellt es zu Unrecht, dass in jedem Einzelfall eine konkret-rechtliche Möglichkeit der Beschäftigungsaufnahme geprüft werden muss. Für die Annahme, dass eine Beschäftigung iS des § 8 Abs 2 SGB II erlaubt ist oder erlaubt werden könnte, reicht es jedoch aus, wenn die Aufnahme einer Tätigkeit im Sinne einer rechtlich-theoretischen Möglichkeit mit einer Zustimmung zur Beschäftigungsaufnahme durch die BA erlaubt sein könnte, auch wenn dies bezogen auf einen konkreten Arbeitsplatz durch die Verfügbarkeit geeigneter bevorrechtigter Bewerber(§ 39 Abs 2 AufenthG) verhindert wird. Unabhängig hiervon ist Unionsbürgern, also auch Rumänen und Bulgaren, Vorrang gegenüber Drittstaatsangehörigen einzuräumen ("Gemeinschaftsprivileg" HK-AuslR/Clodius, 1. Aufl 2008, Anhang zum FreizügG/§ 284 SGB III RdNr 19). Dass auf eine abstrakt-rechtliche Möglichkeit der Erteilung einer Arbeitsgenehmigung abzustellen ist, ergibt sich nunmehr auch aus dem mit Wirkung zum 1.4.2011 (BGBl I 453) eingefügten § 8 Abs 2 S 2 SGB II. Dieser bestimmt, dass die rechtliche Möglichkeit, eine Beschäftigung vorbehaltlich einer Zustimmung nach § 39 AufenthG aufzunehmen, ausreichend ist(BT-Drucks 15/1749 S 31 "Klarstellung"; BT-Drucks 15/1516 S 52).

16

Einen solchen - gegenüber deutschen Staatsangehörigen und uneingeschränkt freizügigkeitsberechtigten EU-Bürgern - nachrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt hatte die Klägerin im streitigen Zeitraum, weil ihr eine Arbeitsgenehmigung/EU nach § 284 Abs 3 SGB III iVm § 39 Abs 2 Nr 1 AufenthG, etwa für eine Tätigkeit als Hilfskraft(vgl hierzu auch Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, § 13 RdNr 44), hätte erteilt werden können. Staatsangehörige aus den neuen EU-Beitrittsländern, die - wie die Klägerin - seit längerer Zeit in Deutschland wohnen, sind nicht als "Neueinreisende" iS von § 284 Abs 4 SGB III (mit "Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland") anzusehen, für die weitergehende Beschränkungen gelten(Dienelt aaO).

17

4. Die Klägerin verfügte im streitigen Zeitraum auch über einen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet iS von § 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II.

18

Nach § 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II iVm § 30 Abs 3 S 2 SGB I hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Diese Definition gilt für alle Sozialleistungsbereiche des Sozialgesetzbuchs, soweit sich nicht aus seinen besonderen Teilen etwas anderes ergibt (§ 37 SGB I). Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist in erster Linie nach den objektiv gegebenen tatsächlichen Verhältnissen im streitigen Zeitraum zu beurteilen (BSG SozR 3-1200 § 30 Nr 5 S 8). Entscheidend ist, ob der örtliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft im Inland ist. Dauerhaft ist ein solcher Aufenthalt, wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen ist. Mit einem Abstellen auf den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse im Gebiet der Bundesrepublik soll - auch im Sinne einer Missbrauchsabwehr - ausgeschlossen werden, dass ein Wohnsitz zur Erlangung von Sozialleistungen im Wesentlichen nur formal begründet, dieser jedoch tatsächlich weder genutzt noch beibehalten werden soll (Schlegel in jurisPK-SGB I, 2. Aufl 2012, § 30 RdNr 24 mit Verweis auf BT-Drucks 7/3786 S 5 zu § 30; zur Begründung eines Wohnsitzes "nach den faktischen Verhältnissen" iS von Art 1 lit j VO (EG) 883/2004 unter Einbeziehung der Definition in Art 11 VO (EG) Nr 987/2009 und Abgrenzung zur "legal residence in Directive 2004/38" Frings, Grundsicherungsleistungen für Unionsbürger unter dem Einfluss der VO (EG) Nr 883/2004 in ZAR, 2012, 317 ff, 322).

19

Jedenfalls für den Bereich des SGB II läuft es der Vereinheitlichung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts zuwider, wenn unter Berufung auf eine sog Einfärbungslehre vor allem des früheren 4. Senats des BSG (vgl hierzu BSG SozR 3-1200 § 30 Nr 21 S 45 ff; ähnlich BSG SozR 3-2600 § 56 Nr 7 S 31 ff; anders für die Familienversicherung nach § 10 SGB V: BSGE 80, 209 ff, 211 f = BSG SozR 3-2500 § 10 Nr 12 S 52 f) dem Gesetzeswortlaut nicht zu entnehmende Tatbestandsmerkmale im Sinne von rechtlichen Erfordernissen zum Aufenthaltsstatus aufgestellt werden (vgl Schlegel in jurisPK-SGB I, 2. Aufl 2012, § 30 RdNr 26, 50 ff)und damit einzelnen Personengruppen der Zugang zu existenzsichernden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts versperrt wird. Zudem hat der Gesetzgeber diese Rechtsprechung nur in Teilbereichen, etwa beim Kinder-, Erziehungs- und Elterngeld, aufgegriffen und einen Anspruch von einem definierten Aufenthaltsstatus abhängig gemacht (vgl zB § 1 Abs 7 BEEG; § 1 Abs 6 BErzGG idF bis zum 31.12.2006; zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Differenzierungskriterien: BVerfGE 111, 176 ff = SozR 4-7833 § 1 Nr 4). Ein diesen Regelungen entsprechendes, also zu dem gewöhnlichen Aufenthalt hinzutretendes Anspruchsmerkmal im Sinne des Innehabens einer bestimmten Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU bzw eines bestimmten Aufenthaltstitels nach dem AufenthG fehlt im SGB II. Vielmehr hat der Gesetzgeber mit § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II in einer anderen Regelungssystematik ein Ausschlusskriterium von SGB II-Leistungen nur für diejenigen Ausländer vorgesehen, deren "Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt".

20

Unabhängig hiervon liegt eine fehlende Dauerhaftigkeit des Aufenthalts im Sinne einer nicht vorhandenen Zukunftsoffenheit bei Unionsbürgern regelmäßig nicht vor, weil ihr Aufenthalt nicht nach einer bereits vorliegenden Entscheidung der dafür allein zuständigen Ausländerbehörde auflösend befristet oder auflösend bedingt ist. Zwar verfügte die Klägerin - anders als in den vom 14. Senat des BSG entschiedenen Fallgestaltungen (BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21 RdNr 13; BSG SozR 4-4200 § 7 Nr 28 RdNr 17) -offenbar (Feststellungen des LSG hierzu fehlen) nicht über eine Freizügigkeitsbescheinigung (§ 5 FreizügG/EU; entfallen durch Art 1 des Gesetzes zur Änderung des FreizügigkeitsG/EU und weitere aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21.1.2013 ). Einer solchen Bescheinigung kommt aber lediglich deklaratorische Bedeutung zu, weil sich das Freizügigkeitsrecht unmittelbar aus Gemeinschaftsrecht ergibt (BT-Drucks 15/420 S 101; BSG SozR 4-4200 § 7 Nr 28 RdNr 17; BVerwGE 110, 40, 53: subjektiv-öffentliches Unionsbürgerrecht unabhängig vom Zweck seiner Inanspruchnahme). Auch bei Staatsangehörigen aus den neuen Mitgliedstaaten kann der Aufenthalt während der Übergangsphase nur unter den Voraussetzungen der §§ 5 Abs 5, 6 und 7 FreizügG/EU wegen des Wegfalls, des Verlustes oder des Nichtbestehens des Freizügigkeitsrechts, also nach Durchführung eines Verwaltungsverfahren, beendet werden(Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 2. Aufl 2011, § 13 RdNr 57, 61; OVG Bremen Beschluss vom 21.1.2011 - 1 B 242/10, juris-RdNr 4). Das Aufenthaltsrecht besteht, solange der Aufnahmemitgliedstaat nicht durch einen nationalen Rechtsakt festgestellt hat, dass der Unionsbürger bestimmte vorbehaltene Bedingungen iS des Art 21 AEUV nicht erfüllt (Harms in Kommentar zum Zuwanderungsrecht, 1. Aufl 2008, § 2 FreizügG RdNr 4 mwN).

21

Auch § 13 FreizügG/EU steht der Vermutung einer Freizügigkeit nicht entgegen. Danach findet, soweit ua nach Maßgabe des Vertrags vom 25.4.2005 über den Beitritt der Republik Bulgarien und Rumäniens zur Europäischen Union (BGBl II 1146) abweichende Regelungen anwendbar sind, das FreizügG/EU Anwendung, wenn die Beschäftigung durch die BA gemäß § 284 Abs 1 SGB III genehmigt wurde. Trotz des unklaren Wortlauts des § 13 FreizügG/EU schränkt der Umstand, dass die Beitrittsverträge nationale Übergangsmaßnahmen im Hinblick auf den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt innerhalb eines längstens sieben Jahre dauernden Zeitraums durch die Mitgliedstaaten zulassen, nicht grundsätzlich das Freizügigkeitsrecht der neuen Unionsbürger ein(OVG Hamburg Beschluss vom 21.1.2011 - 1 B 242/10, juris-RdNr 4; HK-AuslR/Geyer, 1. Aufl 2008, § 13 FreizügG RdNr 2).

22

5. Der Anspruch auf SGB II-Leistungen ist auch nicht nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II ausgeschlossen. Ausgenommen von Leistungen nach dem SGB II sind danach ua Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts (Nr 1) und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen (Nr 2). Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) greift der Anspruchsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II schon deshalb nicht, weil die Klägerin unmittelbar nach Verlassen Bulgariens Ende Juli 2009 nach Deutschland eingereist ist und sich seitdem im Bundesgebiet aufgehalten hat, bevor sie im April 2010 einwohnermelderechtlich erfasst wurde.

23

6. a) Auch § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II schließt einen Anspruch der Klägerin nicht aus, weil sich ihr Aufenthaltsrecht im streitigen Zeitraum nicht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergab. Die Ausschlussregelung erfordert - zur Umsetzung des Willens des Gesetzgebers bei Unionsbürgern regelmäßig eine "fiktive Prüfung" des Grundes bzw der Gründe ihrer Aufenthaltsberechtigung. Bereits das Vorhandensein der Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts aus einem anderen Grund als dem Zweck der Arbeitsuche hindert die von der Rechtsprechung des BSG geforderte positive Feststellung eines Aufenthaltsrechts "allein aus dem Zweck der Arbeitsuche" iS von § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II. Ein solcher Fall liegt hier vor, weil sich aus der bevorstehenden Geburt des Kindes der Klägerin ein anderes Aufenthaltsrecht ergeben konnte.

24

b) Unbesehen des subjektiv-öffentlichen Unionsbürgerrechts nach der RL 2004/38/EG und dem deutschen FreizügG/EU erfordert eine dem Willen des Gesetzgebers entsprechende Anwendung des Ausschlusstatbestandes des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II eine "fiktive Prüfung", ob - im Falle von Unionsbürgern - ein Aufenthaltsrecht allein zum Zweck der Arbeitsuche bestand oder daneben auch andere Aufenthaltszwecke den Aufenthalt des Unionsbürgers im Inland rechtfertigen konnten. Dies ergibt sich aus der für die Auslegung der Vorschrift wesentlichen Entstehungsgeschichte der Ausschlussregelung.

25

Den Gesetzesmaterialien zu § 7 Abs 1 S 2 SGB II ist zu entnehmen, dass von der "Option" des Art 24 Abs 2 iVm Art 14 Abs 4 der RL 2004/38/EG auch im Bereich des SGB II Gebrauch gemacht werden sollte(BT-Drucks 16/5065 S 234; siehe auch BT-Drucks 16/688 S 13). Trotz des Kontextes, in welchem die Regelung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II erlassen wurde, nämlich der Erweiterung der Freizügigkeit von Arbeitnehmern zu einer allgemeinen Freizügigkeit für alle Unionsbürger durch die RL 2004/38/EG, wollte der bundesdeutsche Gesetzgeber neben den von Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG unstreitig erfassten Sozialhilfeleistungen auch SGB II-Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausschließen. Deren Einordnung als Sozialhilfeleistungen iS von Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG ist allerdings fraglich. Die beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG haben die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts entsprechend ihrer Aufnahme in den Anhang der VO (EG) Nr 883/2004 als "besondere beitragsunabhängige Geldleistungen" nach Art 4 iVm Art 70 VO (EG) Nr 883/2004, nicht jedoch als Leistungen der "sozialen Fürsorge" iS von Art 3 Abs 5a) VO (EG) Nr 883/2004 angesehen. Sie haben darauf hingewiesen, dass durch das Erfordernis der Erwerbsfähigkeit ein Bezug zu den Leistungen bei Arbeitslosigkeit bestehe (BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21 RdNr 29; BSGE 107, 206 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 22 RdNr 20 f; vgl auch EuGH Urteil vom 4.9.2009 - Rs C-22/08 - SozR 4-6035 Art 39 Nr 5, RdNr 43; siehe aber auch BVerwG Urteil vom 31.5.2012 - 10 C 8/12 juris RdNr 25 mwN, zur Einordnung von SGB II-Leistungen als aufenthaltsrechtlich schädliche Sozialhilfeleistungen iS des Art 7 Abs 1 Buchst b der RL 2004/38/EG, wobei dies "nicht zwingend deckungsgleich" mit dem in Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG genannten Begriff der Sozialhilfe sein müsse; kritisch hierzu Breidenbach in ZAR 2011, 235 ff).

26

Ungeachtet der insofern bestehenden Zweifel an der europarechtlichen Zulässigkeit des nicht nach dem Grad der Verbindung des arbeitsuchenden Unionsbürgers zum Arbeitsmarkt des Aufnahmestaats und seinem beruflich möglichen Zugang zum Arbeitsmarkt differenzierenden sowie zeitlich unbefristeten Ausschlusses der arbeitsuchenden Unionsbürger von SGB II-Leistungen ist § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II als Ausschlussregelung von existenzsichernden Sozialleistungen jedenfalls eng auszulegen. Auch aus dem Aufbau der Norm ist abzuleiten, dass positiv feststellt werden muss, dass dem Ausländer ein Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitsuche in der Bundesrepublik Deutschland zusteht (BSG SozR 4-4200 § 7 Nr 28).

27

c) Jedenfalls nicht erfasst von § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II werden Unionsbürger, bei denen die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU oder ggf dem begrenzt subsidiär anwendbaren AufenthG (siehe hierzu unten) aus anderen Gründen als dem Zweck der Arbeitsuche vorliegen. Insofern ist der Regelung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II immanent, dass der Ausschluss nur Unionsbürger trifft, die sich ausschließlich und ggf schon vor einer Meldung beim Jobcenter auch eigeninitiativ um eine Beschäftigung bemüht haben, nicht jedoch diejenigen erfasst, die sich auch auf ein anderes Aufenthaltsrecht berufen können.

28

Da Unionsbürger für die Einreise keines Visums und für den Aufenthalt keines Aufenthaltstitels (§ 2 Abs 4 S 1 FreizügG/EU) bedürfen, kann bei ihnen der ausländerrechtlich anerkannte Aufenthaltszweck nicht unmittelbar einem entsprechenden Dokument mit möglicher Tatbestandswirkung für das SGB II entnommen werden. Vor dem Hintergrund einer - bis zur Feststellung des Nichtbestehens oder des Verlusts einer Freizügigkeitsberechtigung - bestehenden Freizügigkeitsvermutung von Unionsbürgern und der bereits damit verbundenen Vermutung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts (vgl Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, § 12 RdNr 34) kann bei dieser Personengruppe nicht darauf abgestellt werden, ob das Aufenthaltsrecht in einem Aufenthaltstitel dokumentiert ist. Zwar kann ein in einer ggf bis zum 28.1.2013 deklaratorisch erteilten Bescheinigung gemäß § 5 Abs 1 FreizügG/EU (aF) angegebener Aufenthaltszweck ein wesentliches Indiz für den Aufenthaltsgrund sein. Unionsbürger sind jedoch nicht verpflichtet, die Rechtmäßigkeit ihres Aufenthalts durch eine entsprechende Bescheinigung nachzuweisen (BVerwG Urteil vom 16.11.2010 - 1 C 17/09, BVerwGE 138, 122 ff). Entscheidend ist das Vorliegen der Voraussetzungen für ein weiteres Aufenthaltsrecht. Auch soweit der Aufenthalt aus einem anderen materiell bestehenden Aufenthaltsrecht als dem Zweck der Arbeitsuche nicht beendet werden könnte, hindert dies sozialrechtlich die positive Feststellung eines "Aufenthaltsrechts allein aus dem Zweck der Arbeitsuche" iS von § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II.

29

Seine Feststellung, die Klägerin sei im streitigen Zeitraum "ab dem 6.7.2010 in Deutschland allenfalls aus Gründen der Arbeitsuche aufenthaltsberechtigt", hat das Berufungsgericht vorrangig damit begründet, dass ein Aufenthaltsrecht wegen einer fortwirkenden Arbeitnehmereigenschaft nicht bestanden habe (vgl zu dem hierfür regelmäßig angenommen Zeitraum von sechs Monaten: § 2 Abs 3 S 1 Nr 2 iVm § 2 Abs 3 S 2 FreizügG/EU; EuGH Urteil vom 4.6.2009 - C-22/08, C-23/08 - SozR 4-6035 Art 39 Nr 5, RdNr 32; BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 18). Ob sich die Klägerin bis zum Beginn des streitigen Zeitraums auf ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitsuche berufen konnte, hat das LSG nicht erörtert. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist ein arbeitsuchender EU-Bürger solange freizügigkeitsberechtigt, wie er mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht, wobei das Gemeinschaftsrecht die Länge des angemessenen Zeitraums nicht regelt. Allerdings ist es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, dem Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der zum Zweck der Stellensuche in sein Gebiet eingereist ist, auszuweisen, wenn dieser nach sechs Monaten keine Stelle gefunden hat, sofern der Betroffene nicht nachweist, dass er weiterhin und mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht (EuGH Urteil vom 26.2.1991 - C-292/89 ; so auch Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, § 2 FreizügG/EU RdNr 56).

30

Auch wenn die Klägerin wegen des im streitigen Zeitraum hinzutretenden SGB II-Antrags und der damit verbundenen Verpflichtung, alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen und aktiv an allen Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit mitwirken (§ 2 Abs 1 S 1 und 2 SGB II), als Arbeitsuchende anzusehen ist, hindert dies nicht die Annahme eines Aufenthaltsrechts auch aus einem anderen Aufenthaltsgrund (vgl zum zulässigen Wechsel der Aufenthaltszwecke während des Aufenthalts: HK-AuslR/Geyer, 2008, § 5 FreizügG/EU RdNr 3). Auch der Verlust des Freizügigkeitsrechts kann erst festgestellt werden, wenn die Freizügigkeitsberechtigung nicht aus anderen Gründen besteht (Huber, AufenthaltsG, 2010, § 5 FreizügG/EU RdNr 15). Ein solches bereits vor SGB II-Antragstellung hinzugetretenes weiteres Aufenthaltsrecht der Klägerin im Bundesgebiet liegt hier vor.

31

d) Die Klägerin konnte sich nach den besonderen Einzelfallumständen in dem hier streitigen Zeitraum wegen der zu erwartenden Geburt des Kindes auch auf ein anderes Aufenthaltsrecht iS des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II berufen.

32

§ 11 Abs 1 S 5 FreizügG/EU in der bis zum 30.6.2011 geltenden Fassung vom 19.8.2007 (BGBl I 1970) bestimmt, dass das - grundsätzlich nur noch für Drittstaatsangehörige geltende - AufenthG weiterhin auch auf Unionsbürger Anwendung findet, wenn es eine günstigere Regelung vermittelt als das FreizügG/EU. Bei dem anzustellenden Günstigkeitsvergleich ist keine abstrakt wertende Betrachtung in Bezug auf die gesamte Rechtsstellung anzustellen. Vielmehr knüpft der Vergleich iS einer den konkreten Einzelfall in den Blick nehmenden Betrachtung an einzelne Merkmale an (Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, § 11 RdNr 28).

33

Nach dem insoweit anwendbaren § 7 Abs 1 S 3 AufenthG kann - unabhängig von der ansonsten geforderten Bindung der Aufenthaltserlaubnis an konkrete, im AufenthG genannte Aufenthaltszwecke(§ 7 Abs 1 S 2 AufenthG) - in begründeten Fällen im Wege einer Ermessensentscheidung eine Aufenthaltserlaubnis auch für einen von diesem Gesetz nicht genannten Aufenthaltszweck erteilt werden. Allerdings ist das LSG zu Recht davon ausgegangen, dass eheähnlich zusammenlebende heterosexuelle Paare weder aus dem Auffangtatbestand des § 7 Abs 1 S 3 AufenthG noch aus dem europäischem Recht ein Aufenthaltsrecht zur Familienzusammenführung ableiten können, weil der Familiennachzug in § 3 FreizügG/EU und den §§ 27 ff AufenthG abschließend geregelt ist. Da nichteheliche Lebensgemeinschaften von den ausdrücklichen Regelungen gerade nicht erfasst sind, ist die Anwendung von § 7 Abs 1 S 3 AufenthG grundsätzlich gesperrt(vgl BVerwG Urteil vom 27.2.1996 - 1 C 41/93 - BVerwGE 100, 287 ff; Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, § 7 AufentG RdNr 20).

34

Die - hier im Rahmen der Ausschlussklausel des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II - bei Unionsbürgern nur zu prüfenden Voraussetzungen eines anderen Aufenthaltsrechts sind aber wegen der bevorstehenden Geburt des Kindes gegeben. Insofern handelt es sich um ein Aufenthaltsrecht aus familiären Gründen, das aus dem Zusammenleben der Partner mit einem gemeinsamen Kind oder dem Kind eines Partners folgt. Diese Personengruppen bilden jeweils eine Familie iS des Art 6 GG und der §§ 27 Abs 1, 28 Abs 1, 29 und 32 AufenthG und können sich auch auf den Schutz aus Art 8 der Konvention des Europarates zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten(MRK) berufen (vgl auch Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, § 7 AufenthG RdNr 20).

35

Eine solche Konstellation, die einen anderen Aufenthaltszweck als denjenigen der Arbeitsuche vermitteln kann, kann auch in einer bevorstehenden Familiengründung liegen. Insofern wird in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zum AufenthG angenommen, dass der bevorstehenden Geburt eines Kindes aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen für den Aufenthaltsstatus eines Elternteils zukommen können. Die anstehende Vaterschaft eines bereits im Bundesgebiet lebenden Ausländers hinsichtlich des ungeborenen Kindes einer deutschen, aber auch ausländischen Staatsangehörigen kann aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen im Sinne eines Abschiebungshindernisses begründen, wenn entweder der Schutz der Familie nach Art 6 Abs 1 GG und die aus Art 2 Abs 2 S 1 und Art 1 Abs 1 GG abzuleitende Schutzpflicht für die Gesundheit der werdenden Mutter und des Kindes dies gebieten, oder wenn beide Elternteile bereits in Verhältnissen leben, welche eine gemeinsame Übernahme der elterlichen Verantwortung sicher erwarten lassen und eine (vorübergehende) Ausreise zur Durchführung eines Sichtvermerkverfahrens nicht zumutbar ist. Dies gilt zumindest mit der Vaterschaftsanerkennung und der Zustimmung der Mutter (§§ 1592 Nr 2, 1595 Abs 1 BGB) sowie einer gemeinsamen Sorgerechtserklärung (OVG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 23.2.2012 - 2 S 94.11, 2 M 70.2 M 70.11 - RdNr 3 ff; Sächsisches OVG Beschluss vom 2.10.2009 - 3 B 482/09 - InfAuslR 2010, 27 ff: vgl auch VG Dresden Beschluss vom 11.6.2008 - 3 L 279/08 - RdNr 10 zum Abschiebungsschutz für eine werdende ausländische Mutter). Insofern tritt die staatliche Verpflichtung aus Art 6 Abs 1 GG iVm Abs 2 GG ein (OVG Hamburg Beschluss vom 14.8.2008 - 4 Bs 84/08 - InfAuslR 2009, 16 ff). Von der Schutzpflicht des Staates aus Art 6 GG ist insbesondere die Rechtsposition des Kindes sowie dessen Anspruch auf Ermöglichung bzw Aufrechterhaltung eines familiären Bezugs zu beiden Elternteilen von Geburt an betroffen (BVerfG FamRZ 2006, 187 ff; BVerfG NVwZ 2006, 682, 683 zum Familienschutz; BVerfGE 80, 81 ff).

36

Diese aufenthaltsrechtlichen Vorwirkungen einer bevorstehenden Familiengründung bestanden auch im Falle der Klägerin. Es wäre ihr weniger als vier Monate vor dem errechneten Geburtstermin nicht mehr zumutbar gewesen, sich von dem Vater des Kindes unter zumindest vorübergehender Aufgabe des familiären Zusammenhalts und mit dem Risiko einer zeitgerechten Rückkehr zur Geburt zu trennen. Auch in der hier vorliegenden Fallgestaltung soll verhindert werden, dass ein Kind in dem ersten Jahr nach seiner Geburt entgegen Art 6 Abs 1 GG von der Erziehungsleistung eines seiner Elternteile ausgeschlossen wird. Für die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen aus Art 6 GG und damit auch ihre Vorwirkungen ist dabei nicht vorrangig auf formal-rechtliche familiäre Bindungen, sondern auf die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern im Wege einer Einzelfallbetrachtung abzustellen (BVerfG FamRZ 2006, 187 ff, RdNr 18 mwN). Nach den Feststellungen des LSG hat die Klägerin bereits bei Antragstellung angegeben, dass ihr Kind von dem Lebensgefährten sei, mit dem die Anmietung einer gemeinsamen Wohnung geplant sei. Es ergab sich daher schon für die Zeit vor der Anerkennung der Vaterschaft eine vorwirkende Schutzwirkung, die ein Aufenthaltsrecht der Klägerin wegen des bevorstehenden familiären Zusammenlebens begründen konnte.

37

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Dezember 2012 aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Aufhebung einer laufenden Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für Mai 2012.

2

Die Kläger sind schwedische Staatsangehörige. Die 1966 in Bosnien geborene Klägerin zu 1 reiste im Juni 2010 mit ihren Kindern, der im Mai 1994 geborenen Klägerin zu 2 sowie den in den Jahren 1998 und 1999 geborenen Klägern zu 3 und 4, erneut in die Bundesrepublik ein. Die Klägerin zu 1, die im streitigen Zeitraum Kindergeld für die Kläger zu 2 bis 4 bezog, erhielt am 1.7.2010 eine Bescheinigung nach § 5 FreizügG/EU, diejenigen für die weiteren Kläger datieren vom 11.7.2011. Mit Ausnahme eines weiteren im Jahre 2005 in Schweden geborenen Kindes, für das wegen des Bezugs von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz SGB II-Leistungen nicht streitig sind, sind die Kinder (Kläger zu 2 bis 4) während eines vorangegangenen langjährigen Aufenthalts in Deutschland (B.) geboren.

3

Die erwerbsfähigen Klägerinnen zu 1 und 2 waren seit erneuter Einreise im Juni 2010 in kürzeren Beschäftigungen bzw Arbeitsgelegenheiten von weniger als einem Jahr tätig, jedoch nicht mehr in der Zeit ab Mai 2011. Im Übrigen bezogen die Kläger SGB II-Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, die der Beklagte zuletzt für die Zeit vom 1.12.2011 bis 31.5.2012 unter Beachtung des Gleichbehandlungsgebots des Art 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) bewilligte (Bescheid vom 7.9.2011 idF der Änderungsbescheide vom 26.11.2011 und 9.12.2011).

4

Unter Hinweis auf den von der Bundesrepublik Deutschland im November 2011 erklärten Vorbehalt zum EFA hob der Beklagte die SGB II-Bewilligungen für den Monat Mai 2012 in vollem Umfang auf (Bescheid vom 2.4.2012; Widerspruchsbescheid vom 29.6.2012). Das SG hat diese Bescheide aufgehoben (Urteil vom 19.12.2012). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ua ausgeführt, die Kläger könnten auch im Mai 2012 SGB II-Leistungen beanspruchen, weil eine wesentliche Änderung in den rechtlichen Verhältnissen nicht eingetreten sei. Zwar begründeten - bezogen auf die Klägerinnen zu 1 und 2 - "die Arbeitszeiten - für beide jeweils nicht mindestens sechs Monate seit Juni 2010 - kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht" und vermittele für beide "jeweils nach Beendigung der Beschäftigungen wieder ausschließlich die Arbeitsuche das Aufenthaltsrecht, so auch im Mai 2012". Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II greife jedoch nicht, weil Art 4 VO (EG) Nr 883/2004 jede Ungleichbehandlung von Unionsbürgern gegenüber den eigenen Staatsangehörigen bei den besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen untersage. Unabhängig hiervon werde die Ausschlussregelung weiterhin durch das speziellere Gleichbehandlungsgebot des Art 1 des EFA verdrängt.

5

Mit seiner Sprungrevision macht der Beklagte geltend, der Ausschluss von SGB II-Leistungen verstoße nicht gegen EU-Recht. Bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II handele es sich um "Sozialhilfeleistungen" iS des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG, weshalb ein Leistungsausschluss für Arbeitsuchende möglich sei. § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II verstoße nicht gegen die VO (EG) Nr 883/2004. Auch das EFA stehe dem Leistungsausschluss nicht entgegen, weil der von der Bundesregierung erklärte Vorbehalt wirksam sei.

6

Mit Beschluss vom 12.12.2013 (B 4 AS 9/13 R) hat der Senat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH ua die Frage vorgelegt, ob - ggf in welchem Umfang - Einschränkungen des Gleichbehandlungsgebots des Art 4 der VO (EG) Nr 883/2004 durch Bestimmungen in nationalen Rechtsvorschriften in Umsetzung des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG möglich seien, nach denen der Zugang zu besonderen beitragsunabhängigen Leistungen ausnahmslos nicht bestehe, wenn sich ein Aufenthaltsrecht des Unionsbürgers in dem anderen Mitgliedstaat allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe. Hierzu hat der EuGH mit Urteil vom 15.9.2015 (Rs C-67/14 - SGb 2015, 638 ff) entschieden, dass Art 24 RL 2004/38/EG und Art 4 VO (EG) Nr 883/2004 dahin auszulegen seien, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstünden, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten, die sich in der von Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG erfassten Situation befänden, vom Bezug bestimmter "besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen" iS von Art 70 Abs 2 VO (EG) Nr 883/2004 ausgeschlossen würden, während Staatsangehörige des betreffenden Mitgliedstaats, die sich in der gleichen Situation befänden, diese Leistungen erhielten.

7

Der Beklagte beantragt weiterhin,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Dezember 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.

9

Sie beziehen sich ua auf die Ausführungen des Generalanwalts beim EuGH Wathelet (Schlussanträge vom 26.3.2015 in der Rs C-67/14) zu möglichen anderen Aufenthaltsrechten der Kläger.

Entscheidungsgründe

10

Die Sprungrevision ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung an das LSG (vgl § 170 Abs 4 SGG) begründet, weil die bisher getroffenen Feststellungen (§ 163 SGG) keine abschließende Entscheidung darüber zulassen, ob die Aufhebung der SGB II-Leistungsbewilligungen für den Monat Mai 2012 rechtmäßig war.

11

1. Die Revision des Beklagten ist zulässig. Gemäß § 161 Abs 1 S 1 SGG steht den Beteiligten die Sprungrevision zu, wenn der Gegner schriftlich zustimmt und sie vom SG zugelassen worden ist. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Das SG hat die Revision unter Übergehung der Berufungsinstanz im Tenor des angefochtenen Urteils ausdrücklich zugelassen. Der Beklagte hat auch das Schriftformerfordernis des § 161 Abs 1 S 2 SGG erfüllt, weil er seiner Revisionsschrift die Zustimmung der Kläger zur Einlegung der Sprungrevision im Original beigefügt hat.

12

2. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid vom 2.4.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.6.2012, soweit der Beklagte mit diesem die Bewilligung von SGB II-Leistungen für die Kläger zu 1 bis 4 für den Monat Mai 2012 aufgehoben hat. Hiergegen wenden sich diese zu Recht mit der isolierten Anfechtungsklage (§ 54 SGG).

13

3. a) Der Bescheid vom 2.4.2012 idF des Widerspruchsbescheids vom 29.6.2012 ist formell rechtmäßig. Vor Erlass des Aufhebungsbescheids sind die Kläger ordnungsgemäß angehört worden. Nach § 24 SGB X ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Dies sind alle Tatsachen, die zum Ergebnis der Verwaltungsentscheidung beigetragen haben, dh auf die sich die Verwaltung auch gestützt hat (vgl nur Urteil des Senats vom 28.3.2013 - B 4 AS 59/12 R - BSGE 113, 184 ff = SozR 4-1300 § 45 Nr 13, RdNr 15). Die Kläger haben sich jedenfalls in ihrer Widerspruchsbegründung konkret zu den Gründen für die beabsichtigte Aufhebung der Leistungsbewilligung für die Zukunft äußern können.

14

b) Der angefochtene Bescheid genügt auch den Anforderungen an die Bestimmtheit von Verwaltungsakten. Als materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung verlangt das Bestimmtheitserfordernis nach § 33 Abs 1 SGB X, dass der Verfügungssatz nach seinem Regelungsgehalt vollständig, klar und in sich widerspruchsfrei ist. Dieses Erfordernis bezieht sich sowohl auf den Verfügungssatz der Entscheidung als auch auf den Adressaten des Verwaltungsaktes (vgl BSG Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 20/09 R - BSGE 105, 194 = SozR 4-4200 § 31 Nr 2, RdNr 13 mwN; BSG Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 30/09 R - SozR 4-4200 § 31 Nr 3 RdNr 16 mwN; BSG Urteil vom 7.7.2011 - B 14 AS 153/10 R - BSGE 108, 289 ff = SozR 4-4200 § 38 Nr 2, RdNr 31). Zwar ist der Bescheid vom 2.4.2012 ausdrücklich nur an die Klägerin zu 1 gerichtet. Bereits der erste Satz der Begründung regelt jedoch erkennbar, dass auch die Bewilligungen für die Kinder der Klägerin, also die Kläger zu 2 bis 4, aufgehoben werden sollten. Dies ergibt sich auch aus dem Umstand, dass der Beklagte die von ihm aufgehobenen Bescheide ausdrücklich bezeichnet hat und diese auch SGB II-Leistungen an die weiteren Kläger beinhalteten (zum Rückgriff auf früher zwischen den Beteiligten ergangene Verwaltungsakte vgl nur Urteil des Senats vom 28.3.2013 - B 4 AS 59/12 R - BSGE 113, 184 = SozR 4-1300 § 45 Nr 13, RdNr 16 mwN).

15

4. a) Der Senat kann nicht abschließend beurteilen, ob der angefochtene Bescheid materiell rechtmäßig ist. Rechtsgrundlage für die Aufhebung der mit den Bescheiden vom 7.9.2011, 26.11.2011 und 9.12.2011 bewilligten SGB II-Leistungen für den Monat Mai 2012 ist hier allein § 40 SGB II iVm § 48 Abs 1 S 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Zwar war die Bewilligung anfänglich rechtmäßig, sodass eine Rücknahme nach § 45 SGB X nicht in Betracht kam; eine wesentliche Änderung ist jedoch durch den von der Bundesregierung erklärten Vorbehalt zum EFA eingetreten.

16

b) Bei Erlass der Bewilligungsbescheide bestand ein Anspruch der Kläger auf SGB II-Leistungen. Das SG hat - für den Senat bindend - festgestellt, dass sämtliche Kläger die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 S 1 SGB II erfüllten. Soweit das SG weiter angenommen hat, dass die Klägerinnen zu 1 und 2 im streitigen Monat Mai 2012 weiterhin als Arbeitsuchende iS von § 2 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU anzusehen waren(vgl zu den Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts zur Arbeitsuche: BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 31 ff mwN; BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 17 ff; BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, RdNr 26 mwN), stand der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II ihren Ansprüchen anfänglich schon deshalb nicht entgegen, weil er durch Art 1 EFA vom 11.12.1953 (BGBl II 1956, 564) verdrängt wurde.

17

c) Nach Art 1 des Abkommens, das ua die Bundesrepublik Deutschland und Schweden unterzeichnet haben, ist jeder der Vertragschließenden verpflichtet, den Staatsangehörigen der anderen Vertragsstaaten, die sich in irgendeinem Teil seines Gebietes, auf das dieses Abkommen Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und Gesundheitsfürsorge (im Folgenden als "Fürsorge" bezeichnet) zu erbringen, die in der in diesem Teil seines Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind. Das EFA ist durch das Zustimmungsgesetz vom 15.5.1956 (BGBl II 563) in innerstaatlich anwendbares, Rechte und Pflichten begründendes Recht transformiert worden (BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 24; BVerwG Urteil vom 18.5.2000 - 5 C 29/98 - BVerwGE 111, 200, 201). Als unmittelbar geltendes und spezielleres Bundesrecht schließt Art 1 EFA einen Leistungsausschluss für Staatsangehörige der Vertragsstaaten bei den von dem Abkommen erfassten Fürsorgeleistungen aus. Zu diesen Fürsorgeleistungen (vgl Begriffsbestimmung in Art 2 Abs a Nr i EFA) gehörte historisch die Sozialhilfe nach dem BSHG als "klassische" Fürsorgeleistung im Sozialleistungssystem der Bundesrepublik Deutschland. Eine Einschränkung hinsichtlich der Gleichstellung ist nach Einführung des BSHG nur bezüglich der Leistungen nach § 30 BSHG (Hilfe zum Aufbau oder zur Sicherung der Lebensgrundlage) und nach § 72 BSHG (Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten) erfolgt(vgl Anhänge I und II zum EFA, Fassung ab 1.2.1991, BGBl II 686). Trotz der Neuordnungen im Recht der Existenzsicherung zum 1.1.2005 durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBl I 2954 ff) und das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 (BGBl I 3022), die auch das Außerkrafttreten des BSHG beinhalteten (vgl dessen Art 68), ist die Bundesrepublik ihrer Verpflichtung zur Mitteilung geänderter bzw neuer Rechtsvorschriften im Bereich der Fürsorge nach Art 16 EFA nicht nachgekommen. Dies berücksichtigend hat der 14. Senats des BSG das Gleichbehandlungsgebot auch auf die zum 1.1.2005 neu geschaffenen Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende erstreckt (BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 32, 35).

18

5. a) Aufgrund des von der Bundesregierung zum EFA erklärten Vorbehalts ist jedoch eine wesentliche Änderung iS des § 48 Abs 1 S 1 SGB X eingetreten. Zwar hielten sich die Klägerinnen zu 1 und 2 weiterhin "erlaubt" iS des Gleichbehandlungsgebots des Art 1 EFA im Bundesgebiet auf, weil sie weiterhin über eine Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitsuchende verfügten (vgl zum "erlaubten Aufenthalt" iS des EFA Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 59/13 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Einer weiteren Inländergleichbehandlung bezogen auf die hier allein streitigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II stand jedoch der von der Bundesregierung am 19.12.2011 erklärte Vorbehalt entgegen. Eine Verletzung von Vorschriften des EFA, die aufgrund seiner Umsetzung als Bundesrecht als revisibles Recht (§ 162 SGG) unmittelbar für die gesamte Bundesrepublik Deutschland gelten (vgl BSG Urteil vom 23.9.2004 - B 10 EG 3/04 R - BSGE 93, 194 = SozR 4-7833 § 1 Nr 6, RdNr 3 mwN), ist mit dem Vorbehalt nicht verbunden.

19

b) Der Vorbehalt ist formell wirksam erklärt worden. Nach Art 16 Abs b EFA hat jeder Vertragschließende dem Generalsekretär des Europarats alle neuen Rechtsvorschriften mitzuteilen, die in Anhang I noch nicht aufgeführt sind (Satz 1). Gleichzeitig mit dieser Mitteilung kann der Vertragschließende Vorbehalte hinsichtlich der Anwendung dieser Rechtsvorschriften auf die Staatsangehörigen der anderen Vertragschließenden machen (Satz 2). Nach Art 16 Abs c EFA hat der Generalsekretär des Europarats den übrigen Vertragschließenden alle Mitteilungen, die ihm nach den Bestimmungen der Absätze a und b zugehen, zur Kenntnis zu bringen. Auf der Grundlage dieser Regelung hat die Bundesregierung am 19.12.2011 gegen die Anwendung des SGB II im Rahmen des EFA gegenüber dem Europarat folgenden Vorbehalt angebracht: "Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland übernimmt keine Verpflichtung, die im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - in der jeweils geltenden Fassung vorgesehenen Leistungen an Staatsangehörige der übrigen Vertragsstaaten in gleicher Weise und unter den gleichen Bedingungen wie den eigenen Staatsangehörigen zuzuwenden" (idF der Bekanntmachung vom 31.1.2012, BGBl II 144, berichtigt durch die Bekanntmachung zum Europäischen Fürsorgeabkommen vom 3.4.2012, BGBl II 470). Gleichzeitig hat sie erstmals die Regelungen des SGB II als neue Fürsorgevorschriften notifiziert. Der Vorbehalt wurde den übrigen vertragschließenden Parteien des Fürsorgeabkommens nach Art 16 Buchst c EFA zur Kenntnis gebracht (s zur Veröffentlichung auf den Seiten des Europarats http://conventions.coe.int SEV Nr 014).

20

c) Entgegen der Ansicht des SG musste der notifizierte Vorbehalt nicht durch ein entsprechendes Gesetz nach Art 59 Abs 2 S 1 GG im innerstaatlichen Recht umgesetzt werden. Nach Art 59 Abs 2 S 1 GG bedürfen Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf die Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in Form eines Bundesgesetzes. Dies gilt nicht nur für Gesetze, sondern auch für Handlungen, die konkludent eine Änderung des Vertragsinhalts bewirken und soweit ein "Vertragsänderungswille" feststellbar ist (Pernice in Dreier, GG, 3. Aufl 2015, Art 59 RdNr 36). Eine solche Änderung bereits in Bundesrecht umgesetzter völkervertraglicher Verpflichtungen liegt hier jedoch nicht vor. Die Ermächtigung zur Erklärung von nachträglichen Vorbehalten bei Gesetzesänderungen der Vertragsstaaten im Bereich der Fürsorge nach Inkrafttreten des Abkommens ist den Vertragsstaaten vielmehr von vornherein und ausdrücklich eingeräumt worden (vgl Art 16 Abs b S 2 EFA, Denkschrift zum Europäischen Fürsorgeabkommen und dem Zusatzprotokoll, BT-Drucks II/1882, S 23; Ausschussdrucksache 17<11>881, S 1).

21

Art 16 EFA bringt zum Ausdruck, dass die Vertragsstaaten des EFA die Entscheidung darüber, welche nationalen Fürsorgeleistungen bei einer Änderung der nationalen Gesetzgebung in welchem Umfang in die Inländergleichbehandlung einbezogen werden (sollen), dem jeweils vertragschließenden Staat übertragen wollten. Auch wenn der 14. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 19.10.2010 davon ausgegangen ist, dass es sich sowohl bei den Regelleistungen nach dem SGB II als auch bei der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII um "Fürsorge" im Sinne des EFA handelt (B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 32), hinderte dies die Bundesregierung nicht an der Anbringung eines Vorbehalts unter Berücksichtigung der erst durch die Rechtsprechung des 14. Senats höchstrichterlich geklärten Zuordnung der SGB II-Leistungen. Es war ihr unbenommen, für die Hilfebedürftigen aus den EFA-Staaten die Anwendbarkeit des SGB II als eines von mehreren Existenzsicherungssystemen auszuschließen. Insbesondere waren mit der Einführung des SGB II materielle und über redaktionelle hinausgehende Änderungen insofern verbunden, als die Grundsicherung für Arbeitsuchende mit einer stärkeren Erwerbszentrierung, begleitenden Vermittlungstätigkeiten (s Eingliederungsvereinbarung) und einem - durch die Zusammenführung mit der ehemaligen Arbeitslosenhilfe bedingt - deutlich günstigeren Einsatz von Einkommen und Vermögen verbunden ist.

22

d) Der im Vorbehalt erklärte Ausschluss bei SGB II-Leistungen ist auch nicht als Einschränkung der durch das innerstaatlich umgesetzte EFA materiell gewährleisteten Inländergleichbehandlung (BVerwG Urteil vom 18.5.2000 - 5 C 29/98 - BVerwGE 111, 200 ff, 206) unwirksam und daher weiterhin für den Leistungsanspruch der Kläger unbeachtlich. Es handelt sich bei den SGB II-Vorschriften um "neue Rechtsvorschriften" iS der Vorbehaltsregelung des Art 16 Buchst b S 2 EFA.

23

Zwar war das SGB II - in seinen hier maßgeblichen leistungsrechtlichen Bestimmungen - im Dezember 2011 bereits seit einigen Jahren in Kraft. Der Begriff der "neuen Rechtsvorschriften" begründet aber keine "(Ausschluss-)Frist" zur Anbringung des Vorbehalts nach nationalem Inkrafttreten eines neuen Gesetzes. Vielmehr steht der Begriff der "neuen Rechtsvorschriften" in einem Zusammenhang damit, ob das Gesetz bzw die konkrete Fürsorgeleistung bereits im Anhang I zum EFA erfasst worden ist. Unter Berücksichtigung dessen muss die Mitteilung "neuer Rechtsvorschriften" nach Art 16 Buchst b S 1 EFA nicht unverzüglich nach dem innerstaatlichen Inkrafttreten dieser Normen, sondern kann - wie hier zeitgleich mit der Erklärung eines Vorbehalts - auch zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen.

24

e) In der Erklärung kann auch keine eine Unwirksamkeit des Vorbehalts herbeiführende "faktische Kündigung" iS des Art 24 EFA, also eine den Vertragsstaaten nicht über eine bloße Vorbehaltserklärung erlaubte einseitige Lösung bereits vorbestehender völkerrechtlicher Verpflichtungen - in der Auslegung durch die Rechtsprechung des 14. Senats des BSG - gesehen werden. Die Staatsangehörigen der EFA-Mitgliedstaaten haben weiterhin einen Anspruch auf SGB XII-Leistungen unter Außerachtlassung der nur für Ausländer geltenden Ausschlussregelung des § 23 Abs 3 SGB XII, weil ein Vorbehalt für die Hilfe zum Lebensunterhalt nicht erklärt worden ist. Leistungen nach dem SGB XII sind für den Personenkreis der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, für welche die Ausschlussregelungen des SGB II eingreifen, auch nicht aus Gründen des nationalen Rechts ausgeschlossen (vgl hierzu ausführlich Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, RdNr 36 ff; vgl auch Ausschussdrucksache 17<11>881 vom 25.4.2012 - Schriftlicher Bericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur Erklärung eines Vorbehalts gegen die Anwendung des Europäischen Fürsorgeabkommens , S 2 zu möglichen SGB XII-Ansprüchen für EFA-Staatsangehörige; aA Steffen/Keßler, ZAR 2012, 245, 246) (vgl hierzu ausführlich Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, RdNr 36 ff; vgl auch Ausschussdrucksache 17<11>881 vom 25.4.2012 - Schriftlicher Bericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur Erklärung eines Vorbehalts gegen die Anwendung des Europäischen Fürsorgeabkommens , S 2 zu möglichen SGB XII-Ansprüchen für EFA-Staatsangehörige; aA Steffen/Keßler, ZAR 2012, 245, 246).

25

f) Liegt demnach eine wesentliche Änderung durch den von der Bundesregierung erklärten Vorbehalt vor, können sich die Kläger - für einen weiter bestehenden Anspruch auf SGB II-Leistungen - auch nicht darauf beziehen, dass der Ausschluss von arbeitsuchenden Unionsbürgern in ihrem Fall gegen europäisches Recht (Art 24 RL 2004/38/EG und Art 4 der VO Nr 883/2004) verstößt. Nach der Entscheidung des EuGH in dieser Sache (Urteil vom 15.9.2015 - Rs C-67/14 - SGb 2015, 638 ff) ist als geklärt anzusehen, dass der in § 7 Abs 1 S 2 SGB II normierte, ausnahmslose Ausschluss von SGB II-Leistungen auch bereits im Bundesgebiet beschäftigt gewesene Unionsbürgerinnen und Unionsbürger erfasst, die weniger als ein Jahr gearbeitet haben. Haben diese - wie hier die Klägerinnen zu 1 und 2 - nach Ablauf der Aufrechterhaltung ihrer Erwerbstätigeneigenschaft für den Zeitraum von sechs Monaten erneut ein Aufenthaltsrecht nur (noch) zur Arbeitsuche, steht der nachfolgende ausnahmslose Ausschluss von SGB II-Leistungen (vgl Frage 2 des Vorlagebeschlusses des Senats vom 12.12.2013 - B 4 AS 9/13 R) unabhängig von der Dauer des rein tatsächlichen gewöhnlichen Aufenthalts der (wieder) Arbeitsuchenden im Bundesgebiet sowie deren familiärer Umstände nach dieser Entscheidung des EuGH im Einklang mit Art 4 der VO (EG) Nr 883/2004 und Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG.

26

6. Der Senat konnte dennoch nicht abschließend beurteilen, ob die durch den Vorbehalt zum EFA bewirkte Änderung in den rechtlichen Verhältnissen iS von § 48 Abs 1 S 1 SGB X wesentlich war, der Verwaltungsakt also dem Grunde oder der Höhe nach so nicht mehr ergehen dürfte(vgl Brandenburg in jurisPK-SGB X, 2013, § 48 RdNr 60; BSG Urteil vom 3.10.1989 - 10 RKg 7/89 - BSGE 65, 301, 302 = SozR 1300 § 48 Nr 60 "wahre Rechtslage"). Es sind bisher nicht getroffene Feststellungen zu möglichen anderen Aufenthaltsrechten der Klägerinnen zu 1 und 2 im Monat Mai 2012 erforderlich.

27

a) Nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG erfordert die Anwendbarkeit der Ausschlussregelung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II eine Prüfung des Grundes bzw der Gründe für eine im streitigen Leistungszeitraum (weiterhin) bestehende Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU bzw eines Aufenthaltsrechts nach den - im Wege eines Günstigkeitsvergleichs - anwendbaren Regelungen des Aufenthaltsgesetzes(§ 11 Abs 1 S 11 FreizügG/EU; vgl hierzu BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 31 ff). Bereits das Vorliegen der Voraussetzungen für ein anderes materiell bestehendes Aufenthaltsrecht als ein solches aus dem Zweck der Arbeitsuche hindert sozialrechtlich die positive Feststellung eines Aufenthaltsrechts "allein aus dem Zweck der Arbeitsuche" iS von § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II(BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 31 f; BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 17 ff)bzw lässt den Leistungsausschluss "von vornherein" entfallen (BSG Urteil vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28 RdNr 20 f). Ein anderes Aufenthaltsrecht iS des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II kann sich auch aus einem - bei der Klägerin zu 2 - eigenständigen oder - im Falle der Klägerin zu 1 - abgeleiteten Aufenthaltsrecht nach der unionsrechtlichen Regelung des Art 10 VO (EU) Nr 492/2011 ergeben(vgl BVerwG EuGH-Vorlage vom 13.7.2010 - 1 C 15/09 - juris RdNr 29; ein Verbleiberecht bereits unmittelbar aus Art 10 VO (EU) Nr 492/2011 bejahend auch Epe in GK-AufenthG, § 3 FreizügG/EU RdNr 63 ff, Stand 7/2013; ebenso zu einem eigenständigen Aufenthaltsrecht des Kindes eines Wanderarbeitnehmers zusammen mit dem Recht auf Zugang zur Ausbildung bejahend auch Brechmann in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl 2011, Art 45 AEUV RdNr 91 f).

28

b) Zwar hat das SG ausgeführt, dass bei den Klägerinnen zu 1 und 2 auch im streitigen Monat Mai 2012 wieder ausschließlich "die Arbeitsuche das Aufenthaltsrecht" vermittelte. Hierin liegt jedoch keine Tatsachenfeststellung entsprechend den og Anforderungen, wie sie von der zeitlich überwiegend erst nach dem angegriffenen Urteil ergangenen Rechtsprechung des BSG zur Auslegung der Ausschlussregelung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II formuliert worden sind. Zudem sind Aufenthaltsrechte nach Art 10 VO (EU) Nr 492/2011 bisher nicht Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung des BSG gewesen.

29

7. Bei seiner Entscheidung wird das LSG demnach bei möglichen Aufenthaltsrechten der Klägerinnen Folgendes zugrunde zu legen haben (§ 170 Abs 5 SGG):

Nach Art 10 VO (EU) Nr 492/2011 können Kinder eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen. Nach Aufhebung der VO (EWG) Nr 1612/68 durch Art 41 VO (EU) Nr 492/2011 des EU-Parlaments und dessen Rates vom 5.4.2011 (ABl EU Nr L 141/1 vom 27.5.2011) übernimmt Art 10 VO (EU) Nr 492/2011 insofern inhaltsgleich die bisherige Regelung des Art 12 Abs 1 VO (EWG) Nr 1612/68 (EuGH Urteil vom 6.9.2012 - Rs - C-147/11 und 148/11 - EAS Teil C VO Nr 1612/68 Art 12 Nr 13, RdNr 4).

30

Dieses - historisch an die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Schaffung bestmöglicher Bedingungen für die Integration der Familie des Wanderarbeitnehmers im Aufnahmemitgliedstaat anknüpfende - Ausbildungsrecht des Kindes (vgl EuGH Urteil vom 17.9.2002 - Rs C-413/99 - Slg 2002, I-7091 ff, juris RdNr 51 ff) setzt voraus, dass dieses Kind "in Ausbildung" mit seinen Eltern oder einem Elternteil in einem Mitgliedstaat in der Zeit lebte, in der dort zumindest ein Elternteil als Arbeitnehmer wohnte. Der Erwerb des Ausbildungsrechts ist an den Status als Kind eines Arbeitnehmers gebunden (EuGH Urteil vom 21.6.1988 - Rs C-197/86 - Slg 1988, 3105 ff, juris RdNr 30; EuGH Urteil vom 4.5.1995 - Rs C-7/94 - Slg 1995, I-1031 ff, juris RdNr 27; EuGH Urteil vom 14.6.2012 - Rs C-542/09 - EAS Teil C AEUV Art 45 Nr 3, RdNr 50 f; vgl auch EuGH Urteil vom 6.9.2012 - Rs C-147/11 und C-148/11 - EAS Teil C VO Nr 1612/68 Art 12 Nr 13, RdNr 30 zur ausschließlichen Anwendbarkeit des Art 12 VO Nr 1612/68 auf Kinder von Arbeitnehmern). Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH impliziert das Ausbildungsrecht aus Art 10 VO (EU) Nr 492/2011 gleichzeitig ein eigenständiges Aufenthaltsrecht der sich weiterhin in Ausbildung befindlichen Kinder, das grundsätzlich bis zum Abschluss der Ausbildung und insbesondere besteht, solange sie tatsächlich im Aufnahmemitgliedstaat in das Schulsystem eingegliedert sind (EuGH Urteil vom 17.9.2002 - Rs C-413/99 - Slg 2002, I-7091 ff, juris RdNr 53 f; EuGH Urteil vom 13.6.2013 - Rs C-45/12 - EAS Teil C VO Nr 1408/71 Art 1 Nr 16, juris RdNr 46 und 52; EuGH Urteil vom 23.2.2010 - Rs C-480/08 - Slg 2010, I-1107, juris RdNr 36 und 53).

31

Soweit und solange die regelmäßig minderjährigen Kinder eines Arbeitnehmers oder ehemaligen Arbeitnehmers für die Wahrnehmung ihrer Ausbildungsrechte aus Art 10 VO (EU) Nr 492/2011 weiterhin der Anwesenheit und der Fürsorge des Elternteils bedürfen, um ihre Ausbildung fortsetzen und abschließen zu können, besteht darüber hinaus in gleicher Weise für den Elternteil, der die elterliche Sorge für die Kinder tatsächlich wahrnimmt, ein abgeleitetes Recht auf Aufenthalt aus Art 10 VO (EG) Nr 492/2011. Dies hat der EuGH damit begründet, dass die Versagung der Möglichkeit für die Eltern, während der Ausbildung ihrer Kinder im Aufnahmemitgliedstaat zu bleiben, geeignet sein könnte, den Kindern ein - ihnen vom Unionsgesetzgeber zuerkanntes - Recht zu nehmen (EuGH Urteil vom 13.6.2013 - Rs C-45/12 - EAS Teil C VO Nr 1408/71 Art 1 Nr 16, juris RdNr 46; EuGH Urteil vom 23.2.2010 - Rs C-480/08 - Slg 2010, I-1107, juris RdNr 36, 53, 86). Ohne Belang ist, ob die Eltern der betreffenden Kinder inzwischen geschieden sind oder der die elterliche Sorge tatsächlich wahrnehmende Elternteil nicht mehr Wanderarbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat ist (vgl EuGH Urteil vom 8.5.2013 - Rs C-529/11 - EAS Teil C VO Nr 1612/68 Art 12 Nr 14, RdNr 27 mwN; Brinkmann in Huber, AufenthG, 2010, § 3 FreizügG/EU RdNr 19; Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 3 FreizügG/EU RdNr 60 ff).

32

Die einmal erworbenen Ausbildungs- und Aufenthaltsrechte der Kinder bzw der (sorgeberechtigten bzw die tatsächliche Sorge ausübenden) Elternteile bestehen nach der Rechtsprechung des EuGH unabhängig von den in der RL 2004/38/EG festgelegten Voraussetzungen ausreichender Existenzmittel sowie eines umfassenden Krankenversicherungsschutzes (§ 4 FreizügG/EU) fort und sind autonom gegenüber den unionsrechtlichen Bestimmungen anzuwenden, die die Voraussetzungen für die Ausübung des Rechts auf Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat regeln (EuGH Urteil vom 23.2.2010 - Rs C-310/08 - Slg 2010, I-1065, juris RdNr 42 ff, 50; EuGH Urteil vom 23.2.2010 - Rs C-480/08 - Slg 2010, I-1107, juris RdNr 53 ff; Brinkmann in Huber, AufenthG, 2010, § 3 FreizügG/EU RdNr 20 mwN; Kloesel/Christ/Häußer, Aufenthalts- und Ausländerrecht, § 3 FreizügG/EU RdNr 104, Stand Juli 2011; Epe in GK-AufenthG, § 3 RdNr 67, Stand Juli 2013; Brechmann in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl 2011, Art 45 AEUV RdNr 91 f). Insofern hat der EuGH der Entstehungsgeschichte (vgl KOM <2003> 199 endg S 7) und den Inhalten der RL 2004/38/EG entnommen, dass der Anwendungsbereich des Art 12 VO (EWG) Nr 1612/68 in seiner Auslegung durch den EuGH gerade nicht eingeschränkt werden sollte (vgl EuGH Urteil vom 23.2.2010 - Rs C-310/08 - Slg 2010, I-1065, juris RdNr 46 mwN). Art 12 Abs 3 RL 2004/38/EG in seiner Anknüpfung an die EuGH-Rechtsprechung (vgl EuGH Urteil vom 17.9.2002 - Rs C-413/99 - Slg 2002, I-7091, juris RdNr 63) - im deutschen Recht umgesetzt durch § 3 Abs 4 FreizügG(vgl BT-Drucks 16/5065 S 210) - bestätigt dies. Hiernach führt der Wegzug des Unionsbürgers aus dem Aufnahmemitgliedstaat oder sein Tod weder für seine Kinder noch für den Elternteil, der die elterliche Sorge für die Kinder tatsächlich wahrnimmt, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, bis zum Abschluss der Ausbildung zum Verlust des Aufenthaltsrechts, wenn sich die Kinder im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten und in einer Bildungseinrichtung zu Ausbildungszwecken eingeschrieben sind (vgl hierzu auch Kloesel/Christ/Häußer, Aufenthalts- und Ausländerrecht, § 3 FreizügG/EU RdNr 101, Stand Juli 2011; Epe in GK-AufenthG, § 3 FreizügG/EU RdNr 60, Stand 7/2013).

33

Näher zu prüfen ist daher, welchen Umfang und Charakter die vom SG angesprochenen "Arbeitszeiten" der Klägerin zu 1 im Bundesgebiet hatten und ob es sich hierbei um Beschäftigungen als Arbeitnehmerin iS von Art 10 der VO (EU) Nr 492/2011 handelte (vgl zur gemeinschaftlichen Bedeutung des Arbeitnehmerbegriffs zB EuGH Urteil vom 19.11.2002 - Rs C-188/00 - Slg 2002, I-10691, juris RdNr 32; Epe in GK-AufenthG, § 3 FreizügG/EU RdNr 66, Stand 7/2013 mwN). Ausgehend von seinem rechtlichen Ausgangspunkt hat das SG hierzu bisher keine Feststellungen treffen können, sondern lediglich - zusammenfassend für die Klägerinnen zu 1 und 2 - ausgeführt, dass die "Arbeitszeiten - für beide jeweils nicht mindestens sechs Monate seit Juni 2010 - kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht europarechtlich begründeten".

34

Voraussetzung solcher Aufenthaltsrechte wegen fortdauernder Ausbildungen der Kläger zu 3 und/oder 4 ist weiter, dass diese im streitigen Zeitraum ihre bereits während einer etwaigen Beschäftigung der Klägerin zu 1 als Arbeitnehmerin wahrgenommenen Schulausbildungen in einer in Deutschland gelegenen Einrichtung weiterhin regelmäßig nachgekommen sind (vgl zum Schulbesuch insb Epe in GK-AufenthG, § 3 FreizügG/EU RdNr 61 f, Stand 7/2013 mwN). Schließlich muss die Klägerin zu 1 als Elternteil die elterliche Sorge tatsächlich ausgeübt haben, was hier jedoch naheliegt.

35

Auch bezogen auf die erst während des Aufhebungsmonats Mai 2012 volljährig gewordene Klägerin zu 2 wird das LSG noch feststellen müssen, ob ihr ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach der VO (EU) Nr 492/2011 zustand. Anders als bei der Klägerin zu 1 kann sich ihre Freizügigkeitsberechtigung nicht aus derjenigen der Kläger zu 3 und 4 ableiten, weil die Geschwister im Verhältnis zu einem stammberechtigten Unionsbürger keine Familienangehörigen iS des § 3 Abs 2 FreizügG/EU und des Art 2 Nr 2 RL 2004/38/EG sind(vgl - auch zur Berücksichtigung familiärer Umstände - BVerwG Urteil vom 13.6.2013 - 10 C 16/12 - InfAuslR 2013, 364 ff). Zu klären ist ggf auch, ob sie im Mai 2012 ein Aufenthaltsrecht aus einer etwaigen Aufenthalts- bzw Freizügigkeitsberechtigung ihres Vaters ableiten konnte.

36

Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Mai 2012 und das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 3. März 2011 sowie der Bescheid der Beklagten vom 28. Juli 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August 2010 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 6. Juli 2010 bis 4. Oktober 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu zahlen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 6.7.2010 bis 4.10.2010.

2

Die 1988 geborene Klägerin bulgarischer Staatsangehörigkeit reiste am 28.7.2009 mit einem bulgarischen Reisepass über den Grenzübergang Gradina (Bulgarien) aus und zu einem späteren, nicht exakt bekannten Zeitpunkt in die Bundesrepublik ein. Einwohnermelderechtlich wurde sie erstmals am 8.4.2010 "aus Bulgarien kommend" in Stuttgart erfasst. In der Zeit vor dem 8.4.2010 verfügte sie nicht über eine Arbeitserlaubnis und war nicht als Beschäftigte (bei einer Einzugsstelle oder der Minijobzentrale) gemeldet. Die Klägerin war seit Januar 2010 schwanger und wurde am 27.10.2010 von einem Mädchen entbunden. Am 6.7.2010 beantragte sie bei dem Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Bei Antragstellung gab sie an, Vater des erwarteten Kindes sei ihr Lebensgefährte. Zu diesem Zeitpunkt hatte dieser als griechischer Staatsangehöriger einen mehr als achtjährigen rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland zurückgelegt. Die Klägerin wies durch eine Urkunde des Jugendamts vom 20.7.2010 die Anerkennung der Vaterschaft nach. Über eine von ihr am 21.7.2010 bei der BA beantragte Erteilung einer Arbeitsgenehmigung-EU ohne Bezug zu einer konkreten Beschäftigung wurde zunächst nicht entschieden.

3

Der Beklagte lehnte den Antrag auf Leistungen nach dem SGB II ab (Bescheid vom 28.7.2010; Widerspruchsbescheid vom 10.8.2010). Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 3.3.2011). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 16.5.2012). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Klägerin verfüge über einen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet. Nach allen Erkenntnissen des Verfahrens habe sie bereits im Streitzeitraum beabsichtigt, in Deutschland zu bleiben. Ihr Aufenthalt sei auch in einer Weise verfestigt gewesen, dass von seiner Dauerhaftigkeit auszugehen sei. Die Anmietung einer Wohnung mit dem Lebensgefährten sei geplant gewesen. Das erwartete Kind habe von seiner Geburt an die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben dürfen, weil sein Vater einen mehr als achtjährigen rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland zurückgelegt habe. Die Klägerin sei nicht aus Rechtsgründen iS von § 8 Abs 2 SGB II als erwerbsunfähig einzustufen gewesen. Auch ein Unionsbürger, der noch nicht die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit genieße, sondern einer Arbeitserlaubnis bedürfe, sei zumindest dann erwerbsfähig iS von § 8 SGB II, wenn der Erlaubnisvorbehalt allein aus Nachrangigkeitsgründen bestehe und daher zumindest eine Arbeitserlaubnis-EU erteilt werden könne. Dies sei bei der Klägerin der Fall.

4

Der Leistungsanspruch sei jedoch nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II ausgeschlossen, weil die Klägerin im streitigen Zeitraum allenfalls aus Gründen der Arbeitsuche aufenthaltsberechtigt gewesen sei. Andere Aufenthaltsgründe lägen nicht vor. Insbesondere sei die Klägerin in Deutschland nicht als oder wie eine Arbeitnehmerin beschäftigt gewesen. Im Hinblick auf ihr Kind habe die Klägerin kein Aufenthaltsrecht als Familienangehörige erwerben können, weil sie erst ab Geburt des Kindes "Verwandte" iS von § 3 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU gewesen sei. Ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot aus Art 4 iVm Art 70 der Verordnung (EG) Nr 883/2004 liege nicht vor. Dieses trete hinter die Regelung in Art 24 Abs 2 der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG) zurück. Zur Sozialhilfe iS des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG zählten auch die Regelleistung und die Leistungen für Unterkunft und Heizung nach den §§ 20, 22 SGB II sowie - im Fall der Klägerin - die Mehrbedarfsleistungen für Schwangere. Diesen Leistungen fehle der spezifische Bezug zum Arbeitsmarkt, der einen Vorrang der VO (EG) Nr 883/2004 gegenüber der FreizügRL begründe. § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II iVm Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG sei als speziellere Regelung anwendbar. Auch ein Verstoß des § 7 Abs 1 S 2 SGB II gegen die Regelungen des EFA sei nicht ersichtlich, weil Bulgarien nicht Signatarstaat sei.

5

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin, das Berufungsurteil trage dem Schutz des ungeborenen Lebens nicht ausreichend Rechnung. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zu den aufenthaltsrechtlichen Vorwirkungen der bevorstehenden Vaterschaft eines bereits im Bundesgebiet lebenden Ausländers hinsichtlich seines ungeborenen Kindes sei übertragbar. Dies folge aus dem Schutz der Familie nach Art 6 Abs 1 GG und der aus Art 2 Abs 2 S 1 und Art 1 Abs 1 GG abzuleitenden Schutzpflicht für die Gesundheit der werdenden Mutter und des ungeborenen Kindes. Es sei dem Vater zu ermöglichen, den in § 1615f BGB festgelegten Unterhalt als Naturalunterhalt zu erbringen. Dass der Unionsgesetzgeber eine solche Situation nicht vorhergesehen habe, führe allenfalls dazu, dass sich das Aufenthaltsrecht nicht aus dem Sekundär- sondern dem Primärrecht ergebe. Die werdende Mutter habe in der Zeit der Schwangerschaft einen aufenthaltsrechtlich geschützten Anspruch auf Beistand durch den "werdenden" Vater. Leistungsansprüche im Rahmen der sozialen Koordinierung seien durch die Unionsbürger-Richtlinie nicht ausgeschlossen, weil der EuGH soziale Ansprüche aus dem Freizügigkeitsregime und aus den Regelungen über die sozialrechtliche Koordinierung als konkurrierende behandele.

6

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Sozialgerichts Stuttgart vom 3. März 2011 und des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Mai 2012 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 28. Juli 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2010 zu verurteilen, ihr Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 6. Juli 2010 bis 4. Oktober 2010 zu gewähren.

7

Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

8

Die Klägerin könne über die Schwangerschaft keine Eigenschaft als Familienangehörige konstruieren. Zwar stünden sich - vor Erklärung des Vorbehalts der Bundesregierung - aus Rumänien und Bulgarien stammende EU-Bürger bei Leistungen nach dem SGB II schlechter als Ausländer, die gleichzeitig EFA-Staatsangehörige seien. Dieses unterschiedliche Ergebnis verstoße jedoch nicht gegen Unionsrecht, weil es durch die (befristet) eingeschränkte Freizügigkeit bulgarischer Staatsangehöriger gerechtfertigt sei, die insoweit auch das ansonsten unionsrechtlich geltende Diskriminierungsverbot einschränke.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet. Die Vorinstanzen und der Beklagte haben einen Anspruch der Klägerin auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu Unrecht verneint.

10

1. Streitgegenstand sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, die der Beklagte mit Bescheid vom 28.7.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.8.2010 abgelehnt hat. Die Klägerin hat den streitigen Zeitraum ausdrücklich auf die Zeit vom 6.7.2010 bis 4.10.2010 beschränkt.

11

2. Die Klägerin erfüllte im streitigen Zeitraum sämtliche Anspruchsvoraussetzungen nach § 7 Abs 1 S 1 Nr 1 bis 4 SGB II und war auch nicht nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II von den SGB II-Leistungen ausgeschlossen.

12

Leistungen nach dem SGB II erhalten nach § 7 Abs 1 S 1 SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Die Klägerin bewegte sich innerhalb der Altersgrenzen des § 7 Abs 1 Nr 1 SGB II und war nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG(§ 163 SGG) hilfebedürftig nach § 7 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB II.

13

3. Die Klägerin war auch erwerbsfähig iS von § 7 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB II iVm § 8 SGB II. Nach § 8 Abs 1 SGB II ist erwerbsfähig, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf (nicht) absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. IS von § 8 Abs 1 SGB II können Ausländerinnen und Ausländer nur erwerbstätig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte(§ 8 Abs 2 SGB II) .

14

Nach den Feststellungen des LSG standen körperliche Gründe iS von § 8 Abs 1 SGB II einer Erwerbsfähigkeit nicht entgegen. Das Berufungsgericht ist weiter zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin nicht iS von § 8 Abs 2 SGB II als erwerbsunfähig anzusehen war. Zwar bleibt für EU-Bürger der zum 1.1.2007 beigetretenen Staaten Bulgarien und Rumänien (vgl Vertrag über den Beitritt der Republik Bulgarien und Rumänien zur Europäischen Union vom 25.4.2005 ) die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art 45 AEUV) für eine Übergangsfrist von sieben Jahren bis zum 31.12.2013 in der Weise beschränkt, dass die bestehenden nationalen Regelungen für den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt für ausländische Staatsangehörige auch für diese neuen EU-Bürger beibehalten wurden. Staatsangehörige dieser Länder können sich nach dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU als Art 2 des ZuwanderungsG vom 30.7.2004 ; vgl § 1 Abs 2 Nr 1 AufenthG) grundsätzlich frei innerhalb der EU bewegen, benötigen zur Beschäftigungsaufnahme in Deutschland in der Übergangszeit aber weiterhin eine Arbeitsgenehmigung-EU (§ 284 Abs 1 S 2 SGB III idF des Gesetzes vom 7.12.2006, BGBl I 2814).

15

Die Klägerin war nicht im Besitz einer Arbeitsgenehmigung. Es ist jedoch ausreichend, dass ihr vorbehaltlich der Vorlage eines konkreten, überprüfbaren Stellenangebots eines künftigen Arbeitgebers im streitigen Zeitraum die Aufnahme einer Beschäftigung hätte erlaubt werden können. Soweit das SG eine Erwerbsfähigkeit ohne weitere Ermittlungen mit der Begründung verneint hat, dass keine konkrete und realisierbare Möglichkeit zur Erteilung einer Arbeitsgenehmigung/EU bestanden habe, unterstellt es zu Unrecht, dass in jedem Einzelfall eine konkret-rechtliche Möglichkeit der Beschäftigungsaufnahme geprüft werden muss. Für die Annahme, dass eine Beschäftigung iS des § 8 Abs 2 SGB II erlaubt ist oder erlaubt werden könnte, reicht es jedoch aus, wenn die Aufnahme einer Tätigkeit im Sinne einer rechtlich-theoretischen Möglichkeit mit einer Zustimmung zur Beschäftigungsaufnahme durch die BA erlaubt sein könnte, auch wenn dies bezogen auf einen konkreten Arbeitsplatz durch die Verfügbarkeit geeigneter bevorrechtigter Bewerber(§ 39 Abs 2 AufenthG) verhindert wird. Unabhängig hiervon ist Unionsbürgern, also auch Rumänen und Bulgaren, Vorrang gegenüber Drittstaatsangehörigen einzuräumen ("Gemeinschaftsprivileg" HK-AuslR/Clodius, 1. Aufl 2008, Anhang zum FreizügG/§ 284 SGB III RdNr 19). Dass auf eine abstrakt-rechtliche Möglichkeit der Erteilung einer Arbeitsgenehmigung abzustellen ist, ergibt sich nunmehr auch aus dem mit Wirkung zum 1.4.2011 (BGBl I 453) eingefügten § 8 Abs 2 S 2 SGB II. Dieser bestimmt, dass die rechtliche Möglichkeit, eine Beschäftigung vorbehaltlich einer Zustimmung nach § 39 AufenthG aufzunehmen, ausreichend ist(BT-Drucks 15/1749 S 31 "Klarstellung"; BT-Drucks 15/1516 S 52).

16

Einen solchen - gegenüber deutschen Staatsangehörigen und uneingeschränkt freizügigkeitsberechtigten EU-Bürgern - nachrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt hatte die Klägerin im streitigen Zeitraum, weil ihr eine Arbeitsgenehmigung/EU nach § 284 Abs 3 SGB III iVm § 39 Abs 2 Nr 1 AufenthG, etwa für eine Tätigkeit als Hilfskraft(vgl hierzu auch Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, § 13 RdNr 44), hätte erteilt werden können. Staatsangehörige aus den neuen EU-Beitrittsländern, die - wie die Klägerin - seit längerer Zeit in Deutschland wohnen, sind nicht als "Neueinreisende" iS von § 284 Abs 4 SGB III (mit "Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland") anzusehen, für die weitergehende Beschränkungen gelten(Dienelt aaO).

17

4. Die Klägerin verfügte im streitigen Zeitraum auch über einen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet iS von § 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II.

18

Nach § 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II iVm § 30 Abs 3 S 2 SGB I hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Diese Definition gilt für alle Sozialleistungsbereiche des Sozialgesetzbuchs, soweit sich nicht aus seinen besonderen Teilen etwas anderes ergibt (§ 37 SGB I). Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist in erster Linie nach den objektiv gegebenen tatsächlichen Verhältnissen im streitigen Zeitraum zu beurteilen (BSG SozR 3-1200 § 30 Nr 5 S 8). Entscheidend ist, ob der örtliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft im Inland ist. Dauerhaft ist ein solcher Aufenthalt, wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen ist. Mit einem Abstellen auf den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse im Gebiet der Bundesrepublik soll - auch im Sinne einer Missbrauchsabwehr - ausgeschlossen werden, dass ein Wohnsitz zur Erlangung von Sozialleistungen im Wesentlichen nur formal begründet, dieser jedoch tatsächlich weder genutzt noch beibehalten werden soll (Schlegel in jurisPK-SGB I, 2. Aufl 2012, § 30 RdNr 24 mit Verweis auf BT-Drucks 7/3786 S 5 zu § 30; zur Begründung eines Wohnsitzes "nach den faktischen Verhältnissen" iS von Art 1 lit j VO (EG) 883/2004 unter Einbeziehung der Definition in Art 11 VO (EG) Nr 987/2009 und Abgrenzung zur "legal residence in Directive 2004/38" Frings, Grundsicherungsleistungen für Unionsbürger unter dem Einfluss der VO (EG) Nr 883/2004 in ZAR, 2012, 317 ff, 322).

19

Jedenfalls für den Bereich des SGB II läuft es der Vereinheitlichung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts zuwider, wenn unter Berufung auf eine sog Einfärbungslehre vor allem des früheren 4. Senats des BSG (vgl hierzu BSG SozR 3-1200 § 30 Nr 21 S 45 ff; ähnlich BSG SozR 3-2600 § 56 Nr 7 S 31 ff; anders für die Familienversicherung nach § 10 SGB V: BSGE 80, 209 ff, 211 f = BSG SozR 3-2500 § 10 Nr 12 S 52 f) dem Gesetzeswortlaut nicht zu entnehmende Tatbestandsmerkmale im Sinne von rechtlichen Erfordernissen zum Aufenthaltsstatus aufgestellt werden (vgl Schlegel in jurisPK-SGB I, 2. Aufl 2012, § 30 RdNr 26, 50 ff)und damit einzelnen Personengruppen der Zugang zu existenzsichernden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts versperrt wird. Zudem hat der Gesetzgeber diese Rechtsprechung nur in Teilbereichen, etwa beim Kinder-, Erziehungs- und Elterngeld, aufgegriffen und einen Anspruch von einem definierten Aufenthaltsstatus abhängig gemacht (vgl zB § 1 Abs 7 BEEG; § 1 Abs 6 BErzGG idF bis zum 31.12.2006; zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Differenzierungskriterien: BVerfGE 111, 176 ff = SozR 4-7833 § 1 Nr 4). Ein diesen Regelungen entsprechendes, also zu dem gewöhnlichen Aufenthalt hinzutretendes Anspruchsmerkmal im Sinne des Innehabens einer bestimmten Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU bzw eines bestimmten Aufenthaltstitels nach dem AufenthG fehlt im SGB II. Vielmehr hat der Gesetzgeber mit § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II in einer anderen Regelungssystematik ein Ausschlusskriterium von SGB II-Leistungen nur für diejenigen Ausländer vorgesehen, deren "Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt".

20

Unabhängig hiervon liegt eine fehlende Dauerhaftigkeit des Aufenthalts im Sinne einer nicht vorhandenen Zukunftsoffenheit bei Unionsbürgern regelmäßig nicht vor, weil ihr Aufenthalt nicht nach einer bereits vorliegenden Entscheidung der dafür allein zuständigen Ausländerbehörde auflösend befristet oder auflösend bedingt ist. Zwar verfügte die Klägerin - anders als in den vom 14. Senat des BSG entschiedenen Fallgestaltungen (BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21 RdNr 13; BSG SozR 4-4200 § 7 Nr 28 RdNr 17) -offenbar (Feststellungen des LSG hierzu fehlen) nicht über eine Freizügigkeitsbescheinigung (§ 5 FreizügG/EU; entfallen durch Art 1 des Gesetzes zur Änderung des FreizügigkeitsG/EU und weitere aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21.1.2013 ). Einer solchen Bescheinigung kommt aber lediglich deklaratorische Bedeutung zu, weil sich das Freizügigkeitsrecht unmittelbar aus Gemeinschaftsrecht ergibt (BT-Drucks 15/420 S 101; BSG SozR 4-4200 § 7 Nr 28 RdNr 17; BVerwGE 110, 40, 53: subjektiv-öffentliches Unionsbürgerrecht unabhängig vom Zweck seiner Inanspruchnahme). Auch bei Staatsangehörigen aus den neuen Mitgliedstaaten kann der Aufenthalt während der Übergangsphase nur unter den Voraussetzungen der §§ 5 Abs 5, 6 und 7 FreizügG/EU wegen des Wegfalls, des Verlustes oder des Nichtbestehens des Freizügigkeitsrechts, also nach Durchführung eines Verwaltungsverfahren, beendet werden(Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 2. Aufl 2011, § 13 RdNr 57, 61; OVG Bremen Beschluss vom 21.1.2011 - 1 B 242/10, juris-RdNr 4). Das Aufenthaltsrecht besteht, solange der Aufnahmemitgliedstaat nicht durch einen nationalen Rechtsakt festgestellt hat, dass der Unionsbürger bestimmte vorbehaltene Bedingungen iS des Art 21 AEUV nicht erfüllt (Harms in Kommentar zum Zuwanderungsrecht, 1. Aufl 2008, § 2 FreizügG RdNr 4 mwN).

21

Auch § 13 FreizügG/EU steht der Vermutung einer Freizügigkeit nicht entgegen. Danach findet, soweit ua nach Maßgabe des Vertrags vom 25.4.2005 über den Beitritt der Republik Bulgarien und Rumäniens zur Europäischen Union (BGBl II 1146) abweichende Regelungen anwendbar sind, das FreizügG/EU Anwendung, wenn die Beschäftigung durch die BA gemäß § 284 Abs 1 SGB III genehmigt wurde. Trotz des unklaren Wortlauts des § 13 FreizügG/EU schränkt der Umstand, dass die Beitrittsverträge nationale Übergangsmaßnahmen im Hinblick auf den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt innerhalb eines längstens sieben Jahre dauernden Zeitraums durch die Mitgliedstaaten zulassen, nicht grundsätzlich das Freizügigkeitsrecht der neuen Unionsbürger ein(OVG Hamburg Beschluss vom 21.1.2011 - 1 B 242/10, juris-RdNr 4; HK-AuslR/Geyer, 1. Aufl 2008, § 13 FreizügG RdNr 2).

22

5. Der Anspruch auf SGB II-Leistungen ist auch nicht nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II ausgeschlossen. Ausgenommen von Leistungen nach dem SGB II sind danach ua Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts (Nr 1) und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen (Nr 2). Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) greift der Anspruchsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II schon deshalb nicht, weil die Klägerin unmittelbar nach Verlassen Bulgariens Ende Juli 2009 nach Deutschland eingereist ist und sich seitdem im Bundesgebiet aufgehalten hat, bevor sie im April 2010 einwohnermelderechtlich erfasst wurde.

23

6. a) Auch § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II schließt einen Anspruch der Klägerin nicht aus, weil sich ihr Aufenthaltsrecht im streitigen Zeitraum nicht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergab. Die Ausschlussregelung erfordert - zur Umsetzung des Willens des Gesetzgebers bei Unionsbürgern regelmäßig eine "fiktive Prüfung" des Grundes bzw der Gründe ihrer Aufenthaltsberechtigung. Bereits das Vorhandensein der Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts aus einem anderen Grund als dem Zweck der Arbeitsuche hindert die von der Rechtsprechung des BSG geforderte positive Feststellung eines Aufenthaltsrechts "allein aus dem Zweck der Arbeitsuche" iS von § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II. Ein solcher Fall liegt hier vor, weil sich aus der bevorstehenden Geburt des Kindes der Klägerin ein anderes Aufenthaltsrecht ergeben konnte.

24

b) Unbesehen des subjektiv-öffentlichen Unionsbürgerrechts nach der RL 2004/38/EG und dem deutschen FreizügG/EU erfordert eine dem Willen des Gesetzgebers entsprechende Anwendung des Ausschlusstatbestandes des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II eine "fiktive Prüfung", ob - im Falle von Unionsbürgern - ein Aufenthaltsrecht allein zum Zweck der Arbeitsuche bestand oder daneben auch andere Aufenthaltszwecke den Aufenthalt des Unionsbürgers im Inland rechtfertigen konnten. Dies ergibt sich aus der für die Auslegung der Vorschrift wesentlichen Entstehungsgeschichte der Ausschlussregelung.

25

Den Gesetzesmaterialien zu § 7 Abs 1 S 2 SGB II ist zu entnehmen, dass von der "Option" des Art 24 Abs 2 iVm Art 14 Abs 4 der RL 2004/38/EG auch im Bereich des SGB II Gebrauch gemacht werden sollte(BT-Drucks 16/5065 S 234; siehe auch BT-Drucks 16/688 S 13). Trotz des Kontextes, in welchem die Regelung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II erlassen wurde, nämlich der Erweiterung der Freizügigkeit von Arbeitnehmern zu einer allgemeinen Freizügigkeit für alle Unionsbürger durch die RL 2004/38/EG, wollte der bundesdeutsche Gesetzgeber neben den von Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG unstreitig erfassten Sozialhilfeleistungen auch SGB II-Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausschließen. Deren Einordnung als Sozialhilfeleistungen iS von Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG ist allerdings fraglich. Die beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG haben die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts entsprechend ihrer Aufnahme in den Anhang der VO (EG) Nr 883/2004 als "besondere beitragsunabhängige Geldleistungen" nach Art 4 iVm Art 70 VO (EG) Nr 883/2004, nicht jedoch als Leistungen der "sozialen Fürsorge" iS von Art 3 Abs 5a) VO (EG) Nr 883/2004 angesehen. Sie haben darauf hingewiesen, dass durch das Erfordernis der Erwerbsfähigkeit ein Bezug zu den Leistungen bei Arbeitslosigkeit bestehe (BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21 RdNr 29; BSGE 107, 206 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 22 RdNr 20 f; vgl auch EuGH Urteil vom 4.9.2009 - Rs C-22/08 - SozR 4-6035 Art 39 Nr 5, RdNr 43; siehe aber auch BVerwG Urteil vom 31.5.2012 - 10 C 8/12 juris RdNr 25 mwN, zur Einordnung von SGB II-Leistungen als aufenthaltsrechtlich schädliche Sozialhilfeleistungen iS des Art 7 Abs 1 Buchst b der RL 2004/38/EG, wobei dies "nicht zwingend deckungsgleich" mit dem in Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG genannten Begriff der Sozialhilfe sein müsse; kritisch hierzu Breidenbach in ZAR 2011, 235 ff).

26

Ungeachtet der insofern bestehenden Zweifel an der europarechtlichen Zulässigkeit des nicht nach dem Grad der Verbindung des arbeitsuchenden Unionsbürgers zum Arbeitsmarkt des Aufnahmestaats und seinem beruflich möglichen Zugang zum Arbeitsmarkt differenzierenden sowie zeitlich unbefristeten Ausschlusses der arbeitsuchenden Unionsbürger von SGB II-Leistungen ist § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II als Ausschlussregelung von existenzsichernden Sozialleistungen jedenfalls eng auszulegen. Auch aus dem Aufbau der Norm ist abzuleiten, dass positiv feststellt werden muss, dass dem Ausländer ein Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitsuche in der Bundesrepublik Deutschland zusteht (BSG SozR 4-4200 § 7 Nr 28).

27

c) Jedenfalls nicht erfasst von § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II werden Unionsbürger, bei denen die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU oder ggf dem begrenzt subsidiär anwendbaren AufenthG (siehe hierzu unten) aus anderen Gründen als dem Zweck der Arbeitsuche vorliegen. Insofern ist der Regelung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II immanent, dass der Ausschluss nur Unionsbürger trifft, die sich ausschließlich und ggf schon vor einer Meldung beim Jobcenter auch eigeninitiativ um eine Beschäftigung bemüht haben, nicht jedoch diejenigen erfasst, die sich auch auf ein anderes Aufenthaltsrecht berufen können.

28

Da Unionsbürger für die Einreise keines Visums und für den Aufenthalt keines Aufenthaltstitels (§ 2 Abs 4 S 1 FreizügG/EU) bedürfen, kann bei ihnen der ausländerrechtlich anerkannte Aufenthaltszweck nicht unmittelbar einem entsprechenden Dokument mit möglicher Tatbestandswirkung für das SGB II entnommen werden. Vor dem Hintergrund einer - bis zur Feststellung des Nichtbestehens oder des Verlusts einer Freizügigkeitsberechtigung - bestehenden Freizügigkeitsvermutung von Unionsbürgern und der bereits damit verbundenen Vermutung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts (vgl Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, § 12 RdNr 34) kann bei dieser Personengruppe nicht darauf abgestellt werden, ob das Aufenthaltsrecht in einem Aufenthaltstitel dokumentiert ist. Zwar kann ein in einer ggf bis zum 28.1.2013 deklaratorisch erteilten Bescheinigung gemäß § 5 Abs 1 FreizügG/EU (aF) angegebener Aufenthaltszweck ein wesentliches Indiz für den Aufenthaltsgrund sein. Unionsbürger sind jedoch nicht verpflichtet, die Rechtmäßigkeit ihres Aufenthalts durch eine entsprechende Bescheinigung nachzuweisen (BVerwG Urteil vom 16.11.2010 - 1 C 17/09, BVerwGE 138, 122 ff). Entscheidend ist das Vorliegen der Voraussetzungen für ein weiteres Aufenthaltsrecht. Auch soweit der Aufenthalt aus einem anderen materiell bestehenden Aufenthaltsrecht als dem Zweck der Arbeitsuche nicht beendet werden könnte, hindert dies sozialrechtlich die positive Feststellung eines "Aufenthaltsrechts allein aus dem Zweck der Arbeitsuche" iS von § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II.

29

Seine Feststellung, die Klägerin sei im streitigen Zeitraum "ab dem 6.7.2010 in Deutschland allenfalls aus Gründen der Arbeitsuche aufenthaltsberechtigt", hat das Berufungsgericht vorrangig damit begründet, dass ein Aufenthaltsrecht wegen einer fortwirkenden Arbeitnehmereigenschaft nicht bestanden habe (vgl zu dem hierfür regelmäßig angenommen Zeitraum von sechs Monaten: § 2 Abs 3 S 1 Nr 2 iVm § 2 Abs 3 S 2 FreizügG/EU; EuGH Urteil vom 4.6.2009 - C-22/08, C-23/08 - SozR 4-6035 Art 39 Nr 5, RdNr 32; BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 18). Ob sich die Klägerin bis zum Beginn des streitigen Zeitraums auf ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitsuche berufen konnte, hat das LSG nicht erörtert. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist ein arbeitsuchender EU-Bürger solange freizügigkeitsberechtigt, wie er mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht, wobei das Gemeinschaftsrecht die Länge des angemessenen Zeitraums nicht regelt. Allerdings ist es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, dem Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der zum Zweck der Stellensuche in sein Gebiet eingereist ist, auszuweisen, wenn dieser nach sechs Monaten keine Stelle gefunden hat, sofern der Betroffene nicht nachweist, dass er weiterhin und mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht (EuGH Urteil vom 26.2.1991 - C-292/89 ; so auch Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, § 2 FreizügG/EU RdNr 56).

30

Auch wenn die Klägerin wegen des im streitigen Zeitraum hinzutretenden SGB II-Antrags und der damit verbundenen Verpflichtung, alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen und aktiv an allen Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit mitwirken (§ 2 Abs 1 S 1 und 2 SGB II), als Arbeitsuchende anzusehen ist, hindert dies nicht die Annahme eines Aufenthaltsrechts auch aus einem anderen Aufenthaltsgrund (vgl zum zulässigen Wechsel der Aufenthaltszwecke während des Aufenthalts: HK-AuslR/Geyer, 2008, § 5 FreizügG/EU RdNr 3). Auch der Verlust des Freizügigkeitsrechts kann erst festgestellt werden, wenn die Freizügigkeitsberechtigung nicht aus anderen Gründen besteht (Huber, AufenthaltsG, 2010, § 5 FreizügG/EU RdNr 15). Ein solches bereits vor SGB II-Antragstellung hinzugetretenes weiteres Aufenthaltsrecht der Klägerin im Bundesgebiet liegt hier vor.

31

d) Die Klägerin konnte sich nach den besonderen Einzelfallumständen in dem hier streitigen Zeitraum wegen der zu erwartenden Geburt des Kindes auch auf ein anderes Aufenthaltsrecht iS des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II berufen.

32

§ 11 Abs 1 S 5 FreizügG/EU in der bis zum 30.6.2011 geltenden Fassung vom 19.8.2007 (BGBl I 1970) bestimmt, dass das - grundsätzlich nur noch für Drittstaatsangehörige geltende - AufenthG weiterhin auch auf Unionsbürger Anwendung findet, wenn es eine günstigere Regelung vermittelt als das FreizügG/EU. Bei dem anzustellenden Günstigkeitsvergleich ist keine abstrakt wertende Betrachtung in Bezug auf die gesamte Rechtsstellung anzustellen. Vielmehr knüpft der Vergleich iS einer den konkreten Einzelfall in den Blick nehmenden Betrachtung an einzelne Merkmale an (Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, § 11 RdNr 28).

33

Nach dem insoweit anwendbaren § 7 Abs 1 S 3 AufenthG kann - unabhängig von der ansonsten geforderten Bindung der Aufenthaltserlaubnis an konkrete, im AufenthG genannte Aufenthaltszwecke(§ 7 Abs 1 S 2 AufenthG) - in begründeten Fällen im Wege einer Ermessensentscheidung eine Aufenthaltserlaubnis auch für einen von diesem Gesetz nicht genannten Aufenthaltszweck erteilt werden. Allerdings ist das LSG zu Recht davon ausgegangen, dass eheähnlich zusammenlebende heterosexuelle Paare weder aus dem Auffangtatbestand des § 7 Abs 1 S 3 AufenthG noch aus dem europäischem Recht ein Aufenthaltsrecht zur Familienzusammenführung ableiten können, weil der Familiennachzug in § 3 FreizügG/EU und den §§ 27 ff AufenthG abschließend geregelt ist. Da nichteheliche Lebensgemeinschaften von den ausdrücklichen Regelungen gerade nicht erfasst sind, ist die Anwendung von § 7 Abs 1 S 3 AufenthG grundsätzlich gesperrt(vgl BVerwG Urteil vom 27.2.1996 - 1 C 41/93 - BVerwGE 100, 287 ff; Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, § 7 AufentG RdNr 20).

34

Die - hier im Rahmen der Ausschlussklausel des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II - bei Unionsbürgern nur zu prüfenden Voraussetzungen eines anderen Aufenthaltsrechts sind aber wegen der bevorstehenden Geburt des Kindes gegeben. Insofern handelt es sich um ein Aufenthaltsrecht aus familiären Gründen, das aus dem Zusammenleben der Partner mit einem gemeinsamen Kind oder dem Kind eines Partners folgt. Diese Personengruppen bilden jeweils eine Familie iS des Art 6 GG und der §§ 27 Abs 1, 28 Abs 1, 29 und 32 AufenthG und können sich auch auf den Schutz aus Art 8 der Konvention des Europarates zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten(MRK) berufen (vgl auch Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, § 7 AufenthG RdNr 20).

35

Eine solche Konstellation, die einen anderen Aufenthaltszweck als denjenigen der Arbeitsuche vermitteln kann, kann auch in einer bevorstehenden Familiengründung liegen. Insofern wird in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zum AufenthG angenommen, dass der bevorstehenden Geburt eines Kindes aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen für den Aufenthaltsstatus eines Elternteils zukommen können. Die anstehende Vaterschaft eines bereits im Bundesgebiet lebenden Ausländers hinsichtlich des ungeborenen Kindes einer deutschen, aber auch ausländischen Staatsangehörigen kann aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen im Sinne eines Abschiebungshindernisses begründen, wenn entweder der Schutz der Familie nach Art 6 Abs 1 GG und die aus Art 2 Abs 2 S 1 und Art 1 Abs 1 GG abzuleitende Schutzpflicht für die Gesundheit der werdenden Mutter und des Kindes dies gebieten, oder wenn beide Elternteile bereits in Verhältnissen leben, welche eine gemeinsame Übernahme der elterlichen Verantwortung sicher erwarten lassen und eine (vorübergehende) Ausreise zur Durchführung eines Sichtvermerkverfahrens nicht zumutbar ist. Dies gilt zumindest mit der Vaterschaftsanerkennung und der Zustimmung der Mutter (§§ 1592 Nr 2, 1595 Abs 1 BGB) sowie einer gemeinsamen Sorgerechtserklärung (OVG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 23.2.2012 - 2 S 94.11, 2 M 70.2 M 70.11 - RdNr 3 ff; Sächsisches OVG Beschluss vom 2.10.2009 - 3 B 482/09 - InfAuslR 2010, 27 ff: vgl auch VG Dresden Beschluss vom 11.6.2008 - 3 L 279/08 - RdNr 10 zum Abschiebungsschutz für eine werdende ausländische Mutter). Insofern tritt die staatliche Verpflichtung aus Art 6 Abs 1 GG iVm Abs 2 GG ein (OVG Hamburg Beschluss vom 14.8.2008 - 4 Bs 84/08 - InfAuslR 2009, 16 ff). Von der Schutzpflicht des Staates aus Art 6 GG ist insbesondere die Rechtsposition des Kindes sowie dessen Anspruch auf Ermöglichung bzw Aufrechterhaltung eines familiären Bezugs zu beiden Elternteilen von Geburt an betroffen (BVerfG FamRZ 2006, 187 ff; BVerfG NVwZ 2006, 682, 683 zum Familienschutz; BVerfGE 80, 81 ff).

36

Diese aufenthaltsrechtlichen Vorwirkungen einer bevorstehenden Familiengründung bestanden auch im Falle der Klägerin. Es wäre ihr weniger als vier Monate vor dem errechneten Geburtstermin nicht mehr zumutbar gewesen, sich von dem Vater des Kindes unter zumindest vorübergehender Aufgabe des familiären Zusammenhalts und mit dem Risiko einer zeitgerechten Rückkehr zur Geburt zu trennen. Auch in der hier vorliegenden Fallgestaltung soll verhindert werden, dass ein Kind in dem ersten Jahr nach seiner Geburt entgegen Art 6 Abs 1 GG von der Erziehungsleistung eines seiner Elternteile ausgeschlossen wird. Für die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen aus Art 6 GG und damit auch ihre Vorwirkungen ist dabei nicht vorrangig auf formal-rechtliche familiäre Bindungen, sondern auf die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern im Wege einer Einzelfallbetrachtung abzustellen (BVerfG FamRZ 2006, 187 ff, RdNr 18 mwN). Nach den Feststellungen des LSG hat die Klägerin bereits bei Antragstellung angegeben, dass ihr Kind von dem Lebensgefährten sei, mit dem die Anmietung einer gemeinsamen Wohnung geplant sei. Es ergab sich daher schon für die Zeit vor der Anerkennung der Vaterschaft eine vorwirkende Schutzwirkung, die ein Aufenthaltsrecht der Klägerin wegen des bevorstehenden familiären Zusammenlebens begründen konnte.

37

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. November 2009 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Revisionsverfahren.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1.3.2009 bis zum 11.11.2009. Zwischen den Beteiligten ist insbesondere streitig, ob der Kläger als französischer Staatsangehöriger von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist, weil sich sein Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt.

2

Der 1971 geborene Kläger reiste am 18.12.2007 in die Bundesrepublik ein. Der französische Träger der Arbeitslosenversicherung hatte ihm zuvor auf dem Vordruck E 303 bescheinigt, dass er unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit habe. Seit diesem Tag wohnt er in Berlin. Der Kläger meldete sich am 28.1.2008 bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) arbeitslos und bezog zunächst bis zum 17.3.2008 Arbeitslosengeld. In der Folgezeit erhielt er ab dem 28.4.2008 und - bis auf wenige Tage Unterbrechung - bis zum 28.2.2009 Arbeitslosengeld II (Alg II). Seit dem 2.6.2008 ist er im Besitz einer Bescheinigung nach § 5 des Gesetzes über die Allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern(Freizügigkeitsgesetz/EU ).

3

Vom 1.2.2008 bis zum 23.6.2008 übte der Kläger eine Tätigkeit als Handwerkshelfer mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 7,5 Stunden und einem monatlichen Entgelt von 100 Euro aus. Das Arbeitsverhältnis endete nach einer Kündigung durch den Arbeitgeber. Zum 1.1.2009 meldete der Kläger ein Gewerbe "An- u. Verkauf, Trödel-Kafé, Kaffeeausschank" an. Da jedoch kein Vertrag über die Anmietung der Geschäftsräume zustande kam, zerschlug sich das Geschäftsgründungsvorhaben am 5.1.2009. Die Abmeldung des Gewerbes erfolgte erst im April 2009 "rückwirkend" zum 1.1.2009.

4

Am 9.2.2009 stellte der Kläger bei dem Beklagten einen Fortzahlungsantrag für den Zeitraum ab dem 1.3.2009. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 31.3.2009 und Widerspruchsbescheid vom 27.7.2009 mit der Begründung ab, der Kläger sei nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II inzwischen von Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen, weil er alleine wegen seiner Eigenschaft als Arbeitsuchender freizügigkeitsberechtigt sei. Nach dem Ende seiner Beschäftigung sei er gemäß § 2 Abs 3 Satz 2 FreizügG/EU nur für die Dauer von weiteren sechs Monaten leistungsberechtigt nach dem SGB II gewesen.

5

Die Klage blieb ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts vom 20.10.2009). Auf die Berufung des Klägers haben sich die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht (LSG) am 11.11.2009 hinsichtlich der Kosten der Unterkunft verglichen. Im Übrigen hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und den Beklagten unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verurteilt, dem Kläger Alg II in Form der Regelleistung für die Zeit vom 1.3.2009 bis zum 11.11.2009 dem Grunde nach zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger sei leistungsberechtigt nach dem SGB II. Dem stehe der Leistungsausschluss in § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II nicht entgegen. Zwar ergebe sich das Aufenthaltsrecht des Klägers im streitigen Zeitraum alleine aus dem Zweck der Arbeitsuche (§ 2 Abs 2 Nr 1 Alt 2 FreizügG/EU). Ein Wegfall dieses Aufenthaltsrechts komme nur dann in Betracht, wenn aufgrund objektiver Umstände davon auszugehen sei, dass der Unionsbürger keinerlei ernsthafte Absichten verfolge, eine Beschäftigung aufzunehmen. Davon könne im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden. Auch könne letztlich dahinstehen, ob der Leistungsausschluss wegen Verstoßes gegen europäisches Gemeinschaftsrecht unanwendbar sei. Dies hänge maßgeblich davon ab, ob Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II als "Sozialhilfe" im Sinne von Art 24 Abs 2 der so genannten Unionsbürgerrichtlinie ( Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004, ABl 2004 L Nr 158, 77) anzusehen seien. Diese Frage bedürfe hier aber keiner abschließenden Entscheidung, weil der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II für solche Hilfebedürftigen einschränkend auszulegen sei, die durch das Europäische Fürsorgeabkommen( vom 11.12.1953 BGBl II 1956, 564) begünstigt würden. Nach Art 1 EFA habe der Kläger danach Anspruch auf "Fürsorge" wie ein deutscher Staatsangehöriger, der sich im Inland gewöhnlich aufhalte. Als Leistungen der Fürsorge seien nach dem Außerkrafttreten des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) am 31.12.2004 nicht nur die im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), sondern auch die im SGB II für Hilfebedürftige geregelten Leistungen anzusehen. Unerheblich sei, dass die Bundesrepublik Deutschland entgegen der sich aus Art 16 Abs a) und b) des EFA ergebenden Verpflichtung dem Generalsekretär des Europarates das Außerkrafttreten des BSHG bislang nicht mitgeteilt habe, weil die im Anhang I des Abkommens genannte Aufzählung der entsprechenden Fürsorgegesetze lediglich eine klarstellende Bedeutung zukomme. Auch sei nicht entscheidungserheblich, ob das EFA zur Vermeidung von Wanderungsbewegungen aus einem Sozialleistungssystem in ein anderes nur auf diejenigen Ausländer Anwendung finde, die sich zur Zeit des Eintritts der Hilfebedürftigkeit bereits in dem um Hilfe angegangenen Staat erlaubt aufhielten, weil der Kläger zum Zeitpunkt der Einreise noch über ausreichende Mittel zur Existenzsicherung verfügte habe.

6

Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner vom LSG zugelassenen Revision. Er rügt eine Verletzung des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II und weist darauf hin, dass der Leistungsausschluss der Umsetzung des in Art 24 Abs 2 UBRL geregelten Vorbehalts diene. Diese Regelungen seien neuer und damit vorrangig vor dem EFA aus dem Jahr 1953. Zwar handele es sich bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II um "Sozialhilfe" iS des Art 24 Abs 2 UBRL. Das SGB II könne aber neben dem SGB XII gleichwohl nicht als "weiteres" Nachfolgegesetz zum BSHG angesehen werden. Denn im Wesentlichen habe das SGB II die Nachfolge der zuvor im Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) geregelten Arbeitslosenhilfe (Alhi) angetreten. Die Alhi aber sei dem EFA nicht unterfallen. Im Übrigen finde das EFA nur auf die im Anhang von den Vertragsstaaten gemeldeten nationalen Fürsorgegesetze Anwendung.

7

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. November 2009 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Oktober 2009 zurückzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er hält das mit der Revision angegriffene Urteil für zutreffend und weist ergänzend darauf hin, dass ein Anspruch auch dann bestünde, wenn er nicht durch das EFA begünstigt würde. Denn der Leistungsausschluss verstoße auch gegen europäisches Primärrecht. Bei den Leistungen nach dem SGB II handele es sich um finanzielle Leistungen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats erleichtern sollen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) sei insoweit das Gleichbehandlungsgebot zu beachten.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision ist unbegründet.

11

Das LSG hat zutreffend entschieden, dass dem Kläger für den Zeitraum vom 1.3.2009 bis zum 11.11.2009 ein Anspruch auf Gewährung der Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zusteht. Der Kläger erfüllt die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II(dazu unter 2). Seinem Anspruch steht der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II nicht entgegen(dazu unter 3).

12

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 31.3.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.7.2009, mit dem der Beklagte die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit ab dem 1.3.2009 abgelehnt hat. Der streitige Zeitraum erstreckt sich in Fällen ablehnender Verwaltungsentscheidungen bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht (vgl nur Urteil des Senats vom 7.5.2009 - B 14 AS 41/07 R - juris mwN), hier also bis zum 11.11.2009. Die Beteiligten haben darüber hinaus den Streitgegenstand im Berufungsverfahren zulässigerweise beschränkt, indem sie über die Kosten der Unterkunft einen Teilvergleich abgeschlossen haben (vgl zur Zulässigkeit einer solchen Begrenzung des Streitgegenstandes nur BSGE 97, 217, 223 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, jeweils RdNr 19 sowie zuletzt Urteil des Senats vom 21.12.2009 - B 14 AS 42/08 R -, zur Veröffentlichung vorgesehen).

13

2. Der Kläger erfüllt nach den Feststellungen des LSG die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II. Er ist gemäß § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 2 iVm § 8 SGB II erwerbsfähig und - nach den den Senat bindenden Feststellungen des LSG(§ 163 Sozialgerichtsgesetz) - auch hilfebedürftig gemäß § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3 iVm § 9 SGB II. Der Kläger verfügt gemäß § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB II iVm § 30 Abs 3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) auch über einen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Er ist bereits Ende 2007 in die Bundesrepublik eingereist. Seitdem hält er sich hier unter Umständen auf, die erkennen lassen, dass er nicht nur vorübergehend verweilt. Offen bleiben kann hier, ob der an tatsächlichen Umständen zu messende Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes bei Ausländern durch zusätzliche rechtliche Voraussetzungen eingeschränkt wird (BSG SozR 3-2600 § 56 Nr 7 S 34). Zur alten Rechtslage bis zum 1.4.2006 hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, dass Ausländer, die tatsächlich dauerhaft im Inland verweilen, nur dann einen gewöhnlichen Aufenthalt haben, wenn sie sich berechtigterweise hier aufhalten (BSG aaO; BSGE 65, 261, 263 f = SozR 7833 § 1 Nr 7; vgl - speziell zu § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB II - auch BSGE 98, 243, 246 f = SozR 4-4200 § 12 Nr 4, jeweils RdNr 19; Valgolio in Hauck/Noftz, Stand Juni 2010, § 7 SGB II RdNr 95; kritisch zu der Verrechtlichung des rein tatsächlichen Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 7 RdNr 11).

14

Dass der Kläger sich rechtmäßig in der Bundesrepublik aufhält, ergibt sich bereits daraus, dass er über eine Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 FreizügG/EU verfügt(aA Hessisches LSG, FEVS 59, 110, 115 f). Gegen eine Rechtmäßigkeit des Aufenthalts spricht auch nicht, dass dieser Bescheinigung nach dem Wortlaut der Vorschrift ("… über das Aufenthaltsrecht ausgestellt") nur deklaratorischer Charakter im Hinblick auf das sich unmittelbar aus Gemeinschaftsrecht ergebende Freizügigkeitsrecht zukommt (vgl nur statt aller Geyer in HK-AuslR, 2008, § 5 FreizügG/EU RdNr 1)und es sich um keinen Aufenthaltstitel handelt (vgl § 2 Abs 4 Satz 1 FreizügG/EU). Denn es entspricht der gesetzlichen Konzeption des Freizügigkeitsrechts, von der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts auszugehen, solange die Ausländerbehörde nicht von ihrer Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, den Verlust oder das Nichtbestehen des Aufenthaltsrechts nach § 5 Abs 5 FreizügG/EU festzustellen und die Bescheinigung über das gemeinschaftsrechtliche Aufenthaltsrecht einzuziehen(so auch die gesetzliche Begründung zum Zuwanderungsgesetz, vgl BT-Drucks 15/420, 106; vgl auch die Hinweise der Bundesagentur für Arbeit zu § 7 SGB II in der Fassung vom 20.1.2010, Ziffer 7.2d, sowie Ziffer 5.5.1.3. der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Freizügigkeitsgesetz/EU vom 26.10.2009, GMBl 2009, 1270). Die Ausreisepflicht nach § 7 Abs 1 Satz 1 FreizügG/EU wird erst mit dieser Verlustfeststellung begründet.

15

3. Der Kläger ist auch nicht nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift sind ausgenommen von Leistungen nach dem SGB II zunächst Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbstständige noch auf Grund des § 2 Abs 3 des FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, des Weiteren Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen sowie zuletzt Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG).

16

Der Kläger ist als französischer Staatsangehöriger Ausländer im Sinne dieser Vorschrift. Er ist aber nicht leistungsberechtigt nach § 1 AsylbLG und hält sich nach den Feststellungen des LSG bereits seit Ende des Jahres 2007 in der Bundesrepublik auf. Er ist auch nicht deswegen nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen, weil sich sein Aufenthaltsrecht alleine aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt(dazu unter a). Denn dieser Leistungsausschluss ist auf den Kläger als Staatsangehörigen eines Vertragsstaates des EFA vom 11.12.1953 (BGBl II 1956, 564) nicht anwendbar (dazu unter b).

17

a) Das Aufenthaltsrecht des Klägers ergibt sich gemäß § 2 Abs 2 Nr 1 Alt 2 FreizügG/EU alleine aus dem Zweck der Arbeitsuche. Denn auf ein anderes Aufenthaltsrecht, das - wie sich aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt ("Aufenthaltsrecht […] allein aus dem Zweck der Arbeitsuche"; vgl auch BT-Drucks 16/688, 13) - den Leistungsausschluss von vornherein entfallen lassen würde, kann sich der Kläger nicht berufen.

18

Der Kläger ist insbesondere nicht als Arbeitnehmer, Selbstständiger oder Nicht-Erwerbstätiger freizügigkeitsberechtigt. Auch steht ihm (noch) kein Daueraufenthaltsrecht zu. Als "Arbeitnehmer" im Sinne von § 2 Abs 2 Nr 1 Alt 1 FreizügG/EU ist der Kläger nicht (mehr) aufenthaltsberechtigt. Während seiner Tätigkeit als Handwerkshelfer war er es, weil auch derjenige Arbeitnehmer im Sinne des Freizügigkeitsrechts ist, der nur über ein geringfügiges, das Existenzminimum nicht deckendes, Einkommen verfügt. Nach der Rechtsprechung des EuGH zu Art 39 EG (hier anwendbar in der Fassung des Vertrages von Nizza, BGBl II 2001, 1666 - der Vertrag von Lissabon ist erst zum 1.12.2009 in Kraft getreten, BGBl II 2009, 1223) fällt jeder Arbeitnehmer, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt - mit Ausnahme derjenigen Arbeitnehmer, deren Tätigkeit einen so geringen Umfang hat, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellt - unter die Vorschriften über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (vgl ua EuGH, Rs 139/85 [Kempf], Slg 1986, 1741 [Rz 9 ff]; Rs 53/81 [Levin], Slg 1982, 1035 [Rz 17]; C-213/05 [Geven], Slg 2007, I-6347 [Rz 16]; so nun auch Ziffer 2.2.1.1. der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des BMI zum FreizügG/EU; vgl zum gemeinschaftsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff ausführlich Epe in GK-AufenthG, § 2 FreizügG/EU RdNr 31 ff mwN). Zwar blieb dem Kläger gemäß § 2 Abs 3 Satz 2 FreizügG/EU seine Erwerbstätigeneigenschaft und damit sein Freizügigkeitsrecht "als Arbeitnehmer" für die Dauer von sechs Monaten nach der arbeitgeberseitigen Kündigung erhalten. Dieser Zeitraum war aber bereits abgelaufen, als er für den hier streitgegenständlichen Zeitraum Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes beantragte.

19

Dem Kläger stand auch zu keinem Zeitpunkt ein Aufenthaltsrecht als selbstständig Tätiger nach § 2 Abs 1 Nr 2 FreizügG/EU zu. Dies setzt voraus, dass eine Tätigkeit als Selbstständiger im Aufnahmemitgliedstaat tatsächlich ausgeübt wird (vgl Art 7 Abs 1 Buchst a Alt 2 UBRL). Zwar ist auch insoweit nicht erforderlich, dass der Gewinn aus der selbstständigen Tätigkeit das notwendige Existenzminimum deckt (vgl zuletzt zB OVG Bremen Beschluss vom 21.6.2010 - 1 B 137/10 - juris). Voraussetzung ist aber nach Art 43 EGV, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit auf unbestimmte Zeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat tatsächlich ausgeübt wird (EuGH, C-221/89 [Factortame], Slg 1991, I-3905 [Rz 20]), sodass alleine ein formaler Akt (EuGH, aaO, Rz 21; Bröhmer in Calliess/Ruffert, EUV/EGV, 3. Aufl 2007, Art 43 EG RdNr 12), wie die Registrierung eines Gewerbes nicht ausreichend ist. Ein weitergehendes Stadium aber hat die selbstständige Tätigkeit des Klägers nicht erreicht.

20

Der Kläger ist darüber hinaus nicht als Nicht-Erwerbstätiger, zu denen freizügigkeitsberechtigte Arbeitsuchende nicht zählen, nach § 2 Abs 2 Nr 5 iVm § 4 Satz 1 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt, weil es ihm insoweit an ausreichenden Existenzmitteln fehlt. Schließlich hat der Kläger auch noch kein Daueraufenthaltsrecht nach § 2 Abs 2 Nr 7 iVm § 4a FreizügG/EU erworben.

21

b) Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II ist allerdings hier deswegen nicht anwendbar, weil der Kläger sich auf das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 EFA berufen kann(ebenso LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 14.1.2008 - L 8 SO 88/07 ER - FEVS 59, 369, 373 ff; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 14.1.2010 - L 14 AS 1565/09 B ER - juris; SG Berlin Urteil vom 25.3.2010 - S 26 AS 8114/08 - juris; Brühl/Schoch in LPK-SGB II, 3. Aufl 2009, § 7 RdNr 35; Valgolio in Hauck/Noftz, § 7 SGB II RdNr 128, Stand Juni 2010; aA Bayerisches LSG Beschluss vom 4.5.2009 - L 16 AS 130/09 B ER - juris; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 23.12.2009 - L 34 AS 1350/09 B ER - juris; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 25.11.2008 - L 5 B 801/08 AS ER - juris; SG Reutlingen Urteil vom 29.4.2008 - S 2 AS 2952/07 - juris; Schumacher in Oestreicher, SGB II/SGB XII, Stand Februar 2010, § 7 SGB II, RdNr 11a; offen gelassen von LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 26.2.2010 - L 6 B 154/09 AS ER - juris; LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 16.7.2008 - L 19 B 111/08 AS ER - juris; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 11.1.2010 - L 25 AS 1831/09 B ER - juris; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 30.5.2008 - L 14 B 282/08 AS ER - juris).

22

Nach Art 1 des Abkommens, das unter anderem die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich (und daneben Belgien, Dänemark, Estland, Griechenland, Irland, Island, Italien, Luxemburg, Malta, Niederlande, Norwegen, Portugal, Schweden, Spanien, die Türkei und Großbritannien) unterzeichnet haben, ist jeder der Vertragschließenden verpflichtet, den Staatsangehörigen der anderen Vertragsstaaten, die sich in irgendeinem Teil seines Gebietes, auf das dieses Abkommen Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und Gesundheitsfürsorge zu gewähren, die in der in diesem Teil seines Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind.

23

Bei dieser Vorschrift handelt es sich um unmittelbar geltendes Bundesrecht (dazu unter aa), dessen Anwendbarkeit im konkreten Fall insbesondere kein jüngeres und deshalb vorrangig anzuwendendes Recht entgegensteht (dazu unter bb). Darüber hinaus steht seiner Anwendung nicht entgegen, dass inzwischen an die Stelle des Abkommens europäisches Koordinationsrecht getreten wäre (dazu unter cc). Auch liegen im Einzelnen die Voraussetzungen des Gleichbehandlungsgebots nach Art 1 EFA vor. Denn bei der beanspruchten Regelleistung nach § 20 SGB II handelt es sich um Fürsorge im Sinne des EFA(dd). Die Vorschrift des § 20 SGB II findet in Ermangelung eines von der Bundesrepublik abgegebenen Vorbebehalts auch auf die Staatsangehörigen der anderen Vertragsstaaten Anwendung(ee). Der Kläger hält sich in der Bundesrepublik zudem erlaubt im Sinne von Art 1 EFA auf (ff). Das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 EFA findet schließlich auch nicht alleine auf solche Staatsangehörige anderer Vertragsstaaten Anwendung, die sich bereits vor Eintritt der Hilfebedürftigkeit im Aufenthaltsstaat aufgehalten haben (gg).

24

aa) Der Kläger kann sich auf Art 1 EFA als unmittelbar geltendes Bundesrecht berufen. Der Bundestag hat mit dem mit Zustimmung des Bundesrats beschlossenen Gesetz vom 15.5.1956 (BGBl II 563) dem Europäischen Fürsorgeabkommen zugestimmt (vgl Art 59 Abs 2 Satz 1 Grundgesetz ) und dadurch dessen Inhalt insoweit in innerstaatlich anwendbares, Rechte und Pflichten des Einzelnen begründendes (revisibles) Bundesrecht transformiert, als die Vertragsbestimmungen nach Wortlaut, Zweck und Inhalt wie innerstaatliche Gesetzesvorschriften rechtliche Wirkungen auszulösen geeignet sind (vgl BVerfGE 29, 348, 360; BVerwGE 44, 156, 160). Dies trifft auf den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 1 des EFA zu (so auch Bundesverwaltungsgericht Urteil vom 18.5.2000 - 5 C 29/98 - BVerwGE 111, 200, 201; Urteil vom 14.3.1985 - 5 C 145/83 - BVerwGE 71, 139, 142; LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 14.1.2008 - L 8 SO 88/07 ER - FEVS 59, 369; OVG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 13.12.1999 - 16 A 5587/97 - juris; vgl auch Bayerischer VGH, FEVS 48, 74 ff; OVG Lüneburg, FEVS 49, 118, 119; Hessischer VGH, FEVS 51, 190 ff; Schraml, Das Sozialhilferecht der Ausländerinnen und Ausländer, 1992, S 75; Schuler, Der Einfluss des Europäischen Fürsorgeabkommens auf den sozialhilfe- und aufenthaltsrechtlichen Status der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Ausländer in Barwig/Lörcher/Schumacher , Familiennachzug von Ausländern auf dem Hintergrund völkerrechtlicher Verträge, S 67, 69; aA Kokott, Die Staatsangehörigkeit als Unterschiedsmerkmal für soziale Rechte von Ausländern in Hailbronner , Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts, S 25, 33).

25

bb) Entgegen der Ansicht der Revision ist das EFA auch nicht in dem Sinne "überholt", dass seiner Anwendung neuere, denselben Sachverhalt regelnde gesetzliche Vorschriften entgegenstehen. Das Völkervertragsrecht wird gemäß Art 59 Abs 2 GG im Range von Bundesgesetzen umgesetzt. Aus dieser Rangzuweisung folgt, dass deutsche Gerichte das EFA wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden haben (so BVerfGE 111, 307 ff zur Europäischen Menschenrechtskonvention ). Innerstaatliches Recht ist grundsätzlich so auszulegen, dass ein Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nicht entsteht. Dies entspricht dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes (vgl BVerfG aaO sowie BVerfGE 58, 1, 34; 59, 63, 89). Das einfache (Sozial-)Recht bietet darüber hinaus mit § 30 Abs 2 SGB I eine Vorschrift zur Lösung von möglichen Konflikten zwischen nationalem Recht und (transformiertem) Völkerrecht. § 30 Abs 2 SGB I beschränkt sich nicht auf die Regelung des gewöhnlichen Aufenthalts, sondern beinhaltet einen allgemeinen Rechtsgrundsatz(BSG, InfAuslR 2001, 181, 182; BSGE 52, 210, 213 = SozR 6180 Art 13 Nr 3 S 10). Bereits aus diesem Grund steht der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II entgegen der Ansicht der Revision der Verpflichtung zur Gleichbehandlung nach dem EFA nicht entgegen.

26

Im Übrigen hat das LSG zu Recht darauf hingewiesen, dass Art 1 EFA im Hinblick auf den persönlichen Anwendungsbereich spezieller ist. Die Vorschrift richtet sich gerade nicht an alle Ausländer (deren Aufenthaltsrecht sich aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt), sondern nur an Staatsangehörige der Vertragsstaaten. Darüber hinaus sind Gesetze auch dann im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland auszulegen und anzuwenden, wenn sie zeitlich später erlassen worden sind als ein geltender völkerrechtlicher Vertrag. Es ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet hat, von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland abweichen oder die Verletzung solcher Verpflichtungen ermöglichen will (vgl BVerfGE 74, 358, 370 sowie - speziell zum EFA - BVerwGE 111, 200, 211). Ein solcher gesetzgeberischer Wille des späteren Gesetzgebers zur Abweichung vom EFA ist hier nicht erkennbar. Des Weiteren überzeugt auch das Argument der Revision nicht, § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II sei deshalb vorrangig vor dem EFA, weil § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II der Umsetzung des Art 24 Abs 2 UBRL diene(BT-Drucks 16/688 S 13), einer Vorschrift, an der sowohl Frankreich als auch die Bundesrepublik beteiligt waren (so aber auch LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 15.4.2010 - L 13 AS 1124/10 ER-B - juris). Es ist nichts dafür ersichtlich, dass diejenigen Mitglieder des Rats der Europäischen Union, die zugleich Vertragsstaaten des EFA sind, mit der in Art 24 Abs 2 UBRL eingeräumten Möglichkeit der nur beschränkten Leistung von Sozialhilfe an Freizügigkeitsberechtigte zugleich für ihren Zuständigkeitsbereich ein Abkommen des Europarats außer Kraft setzen wollten.

27

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass das EFA selbst den Konfliktfall bereits regelt: Nach Art 18 EFA stehen die Bestimmungen des Abkommens solchen nationalen Vorschriften nicht entgegen, die für die Beteiligten günstiger sind. Dass eine Abweichung vom EFA zu Lasten des durch das EFA geschützten Personenkreises damit nicht zulässig ist, liegt dabei auf der Hand. Wenn die Bundesrepublik die sich aus dem EFA ergebenden Verpflichtungen nicht mehr tragen will, steht ihr nach Art 24 EFA die Möglichkeit offen, das Abkommen innerhalb der dort genannten Frist zu kündigen. Hiervon hat sie bislang keinen Gebrauch gemacht.

28

cc) Der Anwendbarkeit des EFA steht das koordinierende Sekundärrecht der Europäischen Union nicht entgegen (so aber Bayerisches LSG Beschluss vom 12.3.2008 - L 7 B 1104/07 AS ER - FEVS 60, 178).Gemeinschaftsrechtlicher Maßstab für den hier streitgegenständlichen Zeitraum (1.3.2009 bis 11.11.2009) ist die Kollisionsregel des Art 6 der "alten" Wanderarbeitnehmerverordnung EWG Nr 1408/71, weil die Nachfolgeverordnung (EG) Nr 883/2004 vom 29.4.2004 (ABl 2004 Nr L 166, 1 ff) gemäß deren Art 91 Satz 2 erst ab dem Inkrafttreten einer Durchführungsverordnung galt. Die Verordnung (EG) Nr 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.9.2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ist aber erst am 1.5.2010 in Kraft (Art 97 der VO Nr 987/2009) getreten. Nach der Kollisionsregel in Art 6 EWGV 1408/71 tritt die Verordnung im Rahmen ihres persönlichen und sachlichen Geltungsbereichs an die Stelle bestimmter (völkerrechtlicher) Abkommen über die soziale Sicherheit.

29

Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unterfallen entweder gemäß Art 4 Abs 2a EWGV 1408/71 iVm dem Anhang IIA, Buchst E - entgegen dem Anwendungsausschluss für die Sozialhilfe nach Art 4 Abs 4 EWGV 1408/71 und mit konstitutiver Wirkung (vgl EuGH, Rs C-20/96 [Snares], Slg 1997, I-6082 [Rz 30]; differenzierend Rs C-215/99 [Jauch], Slg 2001, I-1901 [Rz 21] = SozR 3-6050 Art 10a Nr 1 S 5 f) - als so genannte besondere beitragsunabhängige Geldleistungen (so genannte "Mischleistungen", dazu ausführlich Beschorner, ZESAR 2009, 320 ff) bzw - soweit dem Grunde nach die Voraussetzungen nach § 24 Abs 1 SGB II vorliegen - als Leistungen bei Arbeitslosigkeit gemäß Art 4 Abs 1 Buchst g EWGV 1408/71 dem sachlichen Anwendungsbereich dieser Verordnung.

30

Ob auch der persönliche Anwendungsbereich der Verordnung eröffnet ist, bedarf dagegen keiner Entscheidung. Denn die Kollisionsregel des Art 6 EWGV 1408/71 greift hier ohnehin nicht ein. Die Kollisionsregel des Art 6 EWGV 1408/71 ist nämlich nur anwendbar auf "Abkommen über die soziale Sicherheit", worunter nach der Begriffsbestimmung des Art 1 Buchst k) EWGV 1408/71 nur Vereinbarungen für die in Art 4 Abs 1 und 2 der Verordnung bezeichneten Zweige und Systeme zu verstehen sind. Art 4 Abs 2a VO 1408/71 ist dort gerade nicht genannt.

31

Darüber hinaus gilt die Kollisionsregel des Art 6 EWGV ohnehin nicht schrankenlos. Vielmehr kann es gemeinschaftsrechtlich geboten sein, eine Günstigkeitsprüfung vorzunehmen (EuGH, Rs C-227/89 [Rönfeldt], Slg 1991, I-323 [Rz 29] = SozR 3-6030 Art 48 Nr 3 S 8; ausführlich Steinmeyer in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 4. Aufl 2005, Art 6 VO 1408/71 RdNr 10 ff). Weiterhin erscheint es zweifelhaft, ob Abkommen des Europarats überhaupt unter die Kollisionsregel fallen (vgl insoweit Steinmeyer, aaO, Art 7 VO 1408/71 RdNr 1; allerdings zu der ausdrücklich in die Verordnung aufgenommenen Ausnahmeregelung des Art 7 Abs 1 Buchst b im Hinblick auf das sog Vorläufige Europäische Abkommen vom 11.12.1953 über die soziale Sicherheit). Hinzu kommt, dass nichts dafür spricht, dass die EWGV 1408/71, für die sich vor allem die Notwendigkeit der Klärung des Verhältnisses zwischen Koordinationsrecht und Sozialversicherungsabkommen ergab, ein internationales Fürsorgeabkommen außer Kraft setzen wollte. Hier greift vielmehr der Anwendungsausschluss auf die Sozialhilfe nach Art 4 Abs 4 VO 1408/71.

32

dd) Bei der hier noch streitgegenständlichen (siehe oben 1.) Regelleistung nach § 20 SGB II handelt es sich um "Fürsorge" im Sinne von Art 1 EFA. Ausweislich der Begriffsbestimmung in Art 2 Abs a Nr i EFA meint "Fürsorge" im Sinne des Abkommens jede Fürsorge, die jeder der Vertragschließenden nach den in dem jeweiligen Teile seines Gebietes geltenden Rechtsvorschriften gewährt und wonach Personen ohne ausreichende Mittel die Mittel für ihren Lebensbedarf sowie die Betreuung erhalten, die ihre Lage erfordert. Ausgenommen sind beitragsfreie Renten und Leistungen zugunsten der Kriegsopfer und der Besatzungsgeschädigten. Nach Art 2 Abs b EFA sind die Rechtsvorschriften, die in den Gebieten der Vertragschließenden, auf die dieses Abkommen Anwendung findet, in Kraft sind, sowie die von den Vertragschließenden formulierten Vorbehalte in den Anhängen I und II zum Abkommen aufgeführt.

33

Die Regelleistung nach § 20 SGB II als Bestandteil der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach diesem Gesetz stellt ein solches, im Falle der Bedürftigkeit gewährtes "Mittel für den Lebensbedarf" dar(vgl auch Urteil des Senats vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 5/07 R - BSGE 99, 170 = SozR 4-4200 § 24 Nr 1, wo im Hinblick auf das SGB II von einer "steuerfinanzierten Fürsorgeleistung" die Rede ist; vgl auch BT-Drucks 15/1516 S 56: "nachrangige Fürsorgeleistung"). Denn das SGB II ist - anders als bis zum 1.1.2005 die Alhi als Lohnersatzleistung (vgl zuletzt § 195 SGB III) - ein bedarfsabhängiges Leistungssystem (vgl Urteil des Senats vom 31.10.2007 - B 14 AS 30/07 R - SozR 4-4200 § 24 Nr 2). Darüber hinaus ist die Fürsorgegesetzgebung in der Bundesrepublik nach dem Außerkrafttreten des BSHG zum 1.1.2005 auch nicht auf die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII (idR iVm § 42 Satz 1 SGB XII) beschränkt. Sozialhilfe und Grundsicherung für Arbeitsuchende unterscheiden sich zwar nach ihrem Adressatenkreis. Das SGB II verliert dadurch aber nicht seinen Charakter als Fürsorgegesetz.

34

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass im Anhang I zum EFA in der Fassung der Erklärung des ständigen Vertreters der Bundesrepublik Deutschland an den Generalsekretär des Europarats vom 26.10.2001 als anzuwendende Fürsorgegesetze noch immer (und entgegen der Verpflichtung der Bundesrepublik zur Mitteilung geänderter bzw neuer Rechtsvorschriften gemäß Art 16 Abs a und b EFA) das BSHG in der Fassung der Bekanntmachung vom 23.3.1994 (BGBl I 646, 2975), "zuletzt" geändert durch Art 12 des Gesetzes vom 13.9.2001 (BGBl I 2376, 2398), und die §§ 27, 32 bis 35 und 41 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII), jeweils iVm § 39 SGB VIII, sowie die §§ 3, 19 und 69 des Infektionsschutzgesetzes genannt werden. Denn die Aufzählung der Fürsorgegesetze in der Anlage I ist nicht konstitutiv (so auch BVerwG Urteil vom 18.5.2000 - 5 C 29/98 - BVerwGE 111, 200, 206; LSG Niedersachsen-Bremen, FEVS 59, 369, 374; Mangold/Pattar, VSSR 2008, 243, 261; aA Bayerisches LSG Beschluss vom 4.5.2009 - L 16 AS 130/09 B ER - juris, sowie Schumacher in Oestreicher, SGB II/SGB XII, Stand Februar 2010, § 7 SGB II, RdNr 11a). Dies entspricht auch der Rechtsansicht der Bundesregierung bei Ratifizierung des Abkommens (vgl die Denkschrift des BMI und des Bundesministers des Auswärtigen zum Europäischen Fürsorgeabkommen und dem Zusatzprotokoll, BT-Drucks 2/1882, 23: "Die Aufführung der Fürsorgegesetze im Anhang I dient der Klarstellung, damit sich die übrigen Vertragschließenden den notwendigen Überblick verschaffen können." Vgl darüber hinaus den am 21.11.2001 vom Ministerkomitee des Europarats verabschiedeten "Explanatory Report" zum EFA, Rz 49). Dafür spricht zuletzt Art 2 Abs a Nr ii EFA. Hiernach haben die Begriffe "Staatsangehörige" und "Gebiet" die Bedeutung, die ihnen von den Vertragschließenden in gesonderten Erklärungen zugewiesen werden. Demgegenüber definiert Art 2 Abs a Nr i EFA den Begriff der Fürsorge eigenständig (Mangold/Pattar, aaO, 260).

35

ee) Die Bundesrepublik Deutschland hat bis jetzt keinen Vorbehalt hinsichtlich der Anwendung des SGB II auf die Staatsangehörigen der anderen Vertragsstaaten abgegeben (vgl Art 16 Abs b Satz 2 EFA). Nach dem bislang abgegebenen Vorbehalt übernimmt die Bundesrepublik Deutschland keine Verpflichtung, die im BSHG "in der jeweils geltenden Fassung" vorgesehene Hilfe zum Aufbau oder zur Sicherung der Lebensgrundlage (vgl § 30 BSHG) und die dort vorgesehene Hilfe zur Überwindung besonderer sozialen Schwierigkeiten (vgl § 72 BSHG) an Staatsangehörige der übrigen Vertragsstaaten in gleicher Weise und unter den gleichen Bedingungen wie den eigenen Staatsangehörigen zu gewähren, ohne gleichwohl auszuschließen, dass diese Hilfen in geeigneten Fällen gewährt werden können (vgl Neubekanntmachung des Anhangs II zum EFA, BGBl II 2001, 1098). Es bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung, ob dieser Vorbehalt nach dem Außerkrafttreten des BSHG durch Gesetz vom 27.12.2003 (BGBl I 3022) mit Wirkung vom 1.1.2005 "dynamisch" im Sinne einer Anwendung auf die Nachfolgegesetzgebung anzuwenden ist. Denn bereits im Hinblick auf die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 2. Abschnitt des BSHG hatte sich die Bundesrepublik gerade nicht die Möglichkeit der Ungleichbehandlung der Staatsangehörigen der Vertragsstaaten vorbehalten. Mit der Regelleistung nach § 20 SGB II beansprucht der Kläger aber alleine eine solche, den Lebensunterhalt sichernde, Hilfe.

36

ff) Der Kläger hält sich auch "erlaubt" im Sinne des Art 1 EFA in der Bundesrepublik auf. Dabei kann an dieser Stelle dahinstehen, ob - wie es der Rechtsprechung des BVerwG zum BSHG entsprach (vgl nur BVerwGE 71, 139, 143 ff) - sich das Merkmal des erlaubten Aufenthalts nach Art 11 Abs a Satz 1 EFA bestimmt und dem Anhang insoweit konstitutive Wirkung zukommt. Bedenken könnten sich unter anderem deshalb ergeben, weil die - nach der Schlussformel des Abkommens im Gegensatz zur deutschen Fassung - verbindliche englische Fassung des EFA zwischen "lawfully present" nach Art 1 EFA und - enger - "lawfully resident" im Sinne der Rückschaffungsvorschriften nach Art 6 EFA unterscheidet. Art 11 definiert aber nur den Begriff "residence". Beides wird im Deutschen mit Aufenthalt übersetzt (wobei dann bei Art 6 EFA auf einen "gewöhnlichen" Aufenthalt abgestellt wird). Nach dem Abkommenstext spricht also einiges dafür, dass zwischen dem sozialrechtlichen Gleichbehandlungsgebot und dem Ausweisungsschutz im Hinblick auf die Qualität "des Aufenthalts" differenziert werden sollte.

37

Diese Frage bedarf aber deshalb keiner Entscheidung, weil sich der Kläger auch bei Zugrundelegung der Rechtsprechung des BVerwG "erlaubt" in der Bundesrepublik aufhielt. Nach Art 11 Abs a Satz 1 EFA gilt der Aufenthalt eines Ausländers im Gebiet eines der Vertragschließenden solange als erlaubt im Sinne des Abkommens, als der Beteiligte im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis oder einer anderen in den Rechtsvorschriften des betreffenden Staates vorgesehenen Erlaubnis ist, auf Grund welcher ihm der Aufenthalt in diesem Gebiet gestattet ist. Dabei kam dem im Anhang III zum EFA angeführten Verzeichnis der Urkunden, die als Nachweis des Aufenthalts im Sinne des Art 11 EFA anerkannt werden, nach der Rechtsprechung des BVerwG ein rechtsbegründender (konstitutiver) Charakter in der Weise zu, dass mit den dort aufgeführten Urkunden die Erlaubnistatbestände abschließend genannt seien, aufgrund derer der Aufenthalt des ausländischen Staatsangehörigen im Sinne des Abkommens als erlaubt gelte (BVerwGE 71, 139, 144). Auch nach der Rechtsprechung des BVerwG war es aber als unerheblich anzusehen, wenn die Bezeichnung eines Aufenthaltstitels lediglich redaktionell angepasst wurde (BVerwG, aaO). Indiz für eine lediglich andere Bezeichnung kann dabei auch das völkervertragliche Verhalten der Bundesrepublik Deutschland sein. Denn wenn sie den Generalsekretär des Europarates von einer Änderung ihrer Gesetzgebung nicht unterrichtet hat, obwohl sie nach Art 16 Abs a EFA hierzu verpflichtet gewesen wäre, ist sie augenscheinlich davon ausgegangen, die gesetzliche Änderung berühre nicht den Inhalt des Anhangs III (BVerwGE 111, 200, 204).

38

Der Kläger verfügt über eine Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 FreizügG/EU. Im Anhang III des EFA ist demgegenüber noch von einer "Aufenthaltserlaubnis für Angehörige eines Mitgliedstaats der EWG" die Rede (BGBl II 2001, 1100). Dies entspricht der Rechtslage nach § 1 Abs 4 des Gesetzes über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (AufenthG/EWG) in der Fassung des Gesetzes vom 9.7.1990 (BGBl I 1354), aufgehoben mit Wirkung vom 1.1.2005 durch das Zuwanderungsgesetz 2004 vom 30.7.2004 (BGBl I 1950). Nach dieser Vorschrift erhielten freizügigkeitsberechtigte Angehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaften eine so genannte Aufenthaltserlaubnis-EG. Eines Aufenthaltstitels bedarf es nach § 2 Abs 4 Satz 1 FreizügG/EU, Art 8 UBRL nicht mehr. An die Stelle der Aufenthaltserlaubnis-EG ist insoweit die Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 FreizügG/EU getreten. Der Aufenthalt des Klägers "gilt" aus diesem Grund als erlaubt im Sinne des Art 11 EFA. Dies entspricht auch der Praxis der Ausländerbehörden, wonach von der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts auszugehen ist, bis eine Verlustfeststellung mit entsprechender Einziehung der Aufenthaltsbescheinigung nach § 5 Abs 5 FreizügG/EU erfolgt(vgl bereits oben 2.).

39

gg) Der Senat vermag schließlich auch keinen rechtlichen Ansatzpunkt dafür zu erkennen, das EFA nur auf diejenigen Ausländer anzuwenden, die sich zur Zeit des Eintritts der Hilfebedürftigkeit bereits in dem um Hilfe angegangenen Staat erlaubt aufhielten und mithin nicht auf diejenigen, die als bereits bedürftige Personen in einen Vertragsstaat einreisten (so aber LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 8.1.2010 - L 34 AS 2082/09 B ER, L 34 AS 2086/09 B PKH -, unter Verweis auf OVG Berlin Beschluss vom 22.4.2003 - 6 S 9.03 - FEVS 55, 186, 190). Mithin kommt es nicht darauf an, ob dem Kläger ein irgendwie geartetes "missbräuchliches Verhalten" vorgeworfen werden kann, als er etwas mehr als vier Monate nach seiner Einreise (nämlich nach Auslaufen seines Anspruchs auf Gewährung von Arbeitslosengeld nach dem SGB III) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II beantragt hat. Der gesetzliche Rahmen des BSHG (und nunmehr des SGB XII) war ein gänzlich anderer. Nach § 120 Abs 1 Satz 1 BSHG war Ausländern, die sich in der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich aufhielten, Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren. Nach § 120 Abs 3 Satz 1 BSHG(jetzt § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB XII in der Fassung des Gesetzes vom 2.12.2006, BGBl I 2670) hatten Ausländer, die sich in die Bundesrepublik Deutschland begeben haben, um Sozialhilfe zu erlangen, keinen Anspruch. In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung entsprach es offenbar allgemeiner Ansicht, § 120 Abs 3 Satz 1 BSHG auch auf vom EFA geschützte Personen anzuwenden(so OVG Berlin aaO unter Verweis auf die Denkschrift zum EFA, BT-Drucks 2/1882, 23; vgl auch Hamburgisches OVG Beschluss vom 8.2.1989 - Bs IV 8/89 -, NVwZ-RR 1990, 141 ff; OVG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 25.4.1985 - 8 A 266/84 -, NDV 1985, 367 ff; aA VG Würzburg Urteil vom 21.2.1990 - W 3 K 88.1363 -, NDV 1990, 187 ff).

40

Es überzeugt nicht, eine - etwa § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB XII vergleichbare - Regelung in das SGB II "hineinzulesen", wobei eine auf diese Weise vorgenommene Geltungserweiterung (Analogie) insbesondere auch vor dem Hintergrund des § 31 SGB I bedenklich erscheint. Im Übrigen dürfte die praktische Bedeutung eines solchen Anspruchsverlustes gering sein, weil das BVerwG jedenfalls im Rahmen der Vorgängernorm (§ 120 Abs 1 Satz 1 Halbs 1 BSHG in der Fassung vom 24.5.1983, BGBl I 613) einen finalen Zusammenhang im Sinne einer "prägenden Bedeutung" zwischen dem Einreiseentschluss und der Inanspruchnahme von Sozialhilfe (BVerwG Urteil vom 4.6.1992 - 5 C 22/87 - FEVS 43, 113 ff) verlangt hat. Schließlich hat auch die zu Art 1 EFA teilweise vertretene Ansicht, einen Aufenthalt zeitlich vor dem Eintritt der Hilfebedürftigkeit zu fordern (siehe oben), in dem Abkommen selbst keinen Ausdruck gefunden. Denn Art 1 EFA stellt allein auf die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts ab, nicht aber auf eine bestimmte zeitliche Abfolge.

41

Da der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II auf den Kläger mithin bereits aufgrund der vorrangigen Geltung des Gleichbehandlungsgebotes nach Art 1 EFA keine Anwendung findet, bedarf es an dieser Stelle keiner Entscheidung, ob der Leistungsausschluss zudem wegen Verstoßes gegen gemeinschaftsrechtliche Vorgaben unanwendbar ist.

42

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Mai 2011 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger für das Revisionsverfahren.

Tatbestand

1

Die Kläger begehren Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für den Zeitraum vom 19.1. bzw 2.2. bis zum 30.9.2009.

2

Die am 24.9.1990 geborene Klägerin zu 1 ist polnische Staatsangehörige. Sie reiste im Oktober 2004 mit ihren Eltern nach Deutschland ein und lebt seitdem ununterbrochen in Berlin. Am 23.7.2008 stellte die Bundesagentur für Arbeit der Klägerin zu 1 eine unbefristete Arbeitsberechtigung-EU für berufliche Tätigkeiten jeder Art aus. Ab dem 14.11.2008 war die Klägerin zu 1 in der Wohnung S Straße 9 gemeldet, wo sie eine Nettokaltmiete in Höhe von 200 Euro und Betriebskostenvorauszahlungen in Höhe von 140 Euro zu leisten hatte. Am 13.1.2009 stellte das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten eine Bescheinigung nach § 5 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) für die Klägerin zu 1 aus. Diese beantragte am 19.1.2009 Leistungen nach dem SGB II. Der Kläger zu 2 wurde am 2.2.2009 geboren, er hat ebenfalls die polnische Staatsbürgerschaft. Die Klägerin zu 1 erhielt seit der Geburt Elterngeld in Höhe von 300 Euro und Kindergeld in Höhe von 164 Euro. Außerdem zahlte der Kindsvater Unterhalt in Höhe von 200 Euro monatlich. Weitere Einnahmen wurden nicht erzielt.

3

Mit Bescheid vom 11.3.2009 lehnte der Beklagte den Leistungsantrag der Klägerin zu 1 mit der Begründung ab, sie sei von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, weil sie ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland lediglich zur Arbeitsuche habe. Mit Bescheid vom 7.5.2009 bewilligte der Beklagte den Klägern aufgrund eines Beschlusses des Sozialgerichts (SG) vom 30.4.2009 in einem Eilverfahren darlehensweise Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 30.3.2009 bis September 2009. Den gegen die Ablehnung des Leistungsantrags eingelegten Widerspruch der Kläger wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28.5.2009 zurück.

4

Zur Begründung ihrer dagegen beim SG erhobenen Klage führen die Kläger aus, der Vater der Klägerin zu 1 habe seit der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland im Oktober 2004 als Selbstständiger gearbeitet. Die Eltern der Klägerin zu 1 hätten sich im Jahr 2006 getrennt. Sie habe weiterhin bis zur Geburt ihres Kindes mit ihrem Vater zusammengewohnt. Sie habe nach der Geburt des Klägers zu 2 die Gesamtschule, an der sie die 9. Klasse besucht habe, verlassen, einen Schulabschluss habe sie nicht erreicht. Sie sei während ihrer Schulzeit weder in irgend einer Form beruflich tätig gewesen, noch habe sie in der Zwischenzeit eine Ausbildung aufgenommen. Sie plane aber, den Hauptschulabschluss nachzuholen, sobald ihr Sohn in den Kindergarten komme.

5

Mit dem angegriffenen Urteil vom 24.5.2011 hat das SG der Klage stattgegeben. Die Klägerin zu 1 gehöre zu dem grundsätzlich leistungsberechtigten Personenkreis. Ein Leistungsanspruch scheitere auch nicht daran, dass die Klägerin zu 1 von Leistungen nach dem SGB II als Ausländerin, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe, ausgeschlossen sei. Zwar lägen nach dem Wortlaut der Vorschrift die Voraussetzungen für einen Leistungsausschluss vor. Auf sonstige Aufenthaltsrechte könne sich die Klägerin zu 1 nicht berufen. Insbesondere könne sie kein Aufenthaltsrecht von ihren Eltern ableiten, weil sie im streitgegenständlichen Zeitraum nicht mehr mit ihren Eltern zusammengewohnt habe und auch noch kein Daueraufenthaltsrecht erlangt habe, da sie sich noch keine fünf Jahre in Deutschland aufgehalten habe.

6

Die Vorschrift des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II sei jedoch europarechtskonform einschränkend dahingehend auszulegen, dass sie nur dann Anwendung finde, wenn die Arbeitsuche bereits Zweck der Einreise gewesen sei. Die Einreise und die Arbeitsuche würden final verknüpft, auf einen später arbeitsuchend werdenden Unionsbürger, der zu einem anderen Zweck eingereist sei, finde die Vorschrift bei europarechtskonformer Auslegung keine Anwendung.

7

Das SG hat in seinem Urteil die Sprungrevision zugelassen, die der Beklagte eingelegt hat, nachdem die Prozessbevollmächtigte der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG nach Belehrung der Einlegung der Sprungrevision zugestimmt hatte.

8

Der Beklagte ist der Ansicht, § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II stelle nicht auf den Zweck der Einreise, sondern auf den Zweck des Aufenthalts ab. Auch wenn die Klägerin zu 1 im Oktober 2004 nicht zum Zweck der Arbeitsuche in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei, sondern ihre Eltern begleitet habe, so bestehe aber das damalige Aufenthaltsrecht gemäß § 3 Abs 1 FreizügG/EU im hier streitigen Zeitraum nicht mehr und wirke auch nicht fort. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II sei jedenfalls dann auch auf Unionsbürger anwendbar, wenn diese Leistungen begehrten, die nicht den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern, sondern den Lebensunterhalt sichern sollten.

9

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Mai 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

10

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.

11

Sie halten die angegriffene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

12

Die rechtzeitig eingelegte und auch ansonsten zulässige Revision des Beklagten (§§ 161, 164 Sozialgerichtsgesetz) ist unbegründet. Das SG hat den Beklagten im Ergebnis zu Recht verurteilt, den Klägern dem Grunde nach Leistungen nach dem SGB II als Zuschuss zu gewähren.

13

1. Das beklagte Jobcenter ist gemäß § 70 Nr 1 SGG beteiligtenfähig. Der Kläger zu 2 wird als nicht prozessfähiger Minderjähriger (§ 71 Abs 1 und 2 SGG) durch die Klägerin zu 1 vertreten, die die elterliche Sorge allein ausübt (§ 1629 Abs 1 Satz 3 Bürgerliches Gesetzbuch; vgl BSG Urteil vom 2.7.2009 - B 14 AS 54/08 R - BSGE 104, 48 = SozR 4-1500 § 71 Nr 2 RdNr 21).

14

2. Streitgegenstand des Verfahrens sind Ansprüche der Kläger auf Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende, die der Beklagte mit Bescheid vom 11.3.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.5.2009 abgelehnt hat. Die Kläger haben den streitigen Zeitraum ausdrücklich auf die Zeit ab Antragstellung am 19.1.2009 bis zum 30.9.2009 beschränkt. Das SG hat entsprechend dem Klägerantrag bezüglich dieses Zeitraums entschieden, insoweit ist der Beklagte beschwert. Im Revisionsverfahren haben die Kläger den Antrag bezüglich des Klägers zu 2 weiter dahin begrenzt, dass Leistungen für ihn erst ab dem Tag seiner Geburt geltend gemacht werden.

15

3. Die Kläger haben einen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 7 Abs 1 und Abs 3 Nr 4 sowie § 9 SGB II in der Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006 (BGBl I 1706) und des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (RL-UmsetzungsG 2007) vom 19.8.2007 (BGBl I 1970). Die Klägerin zu 1 gehört zu dem grundsätzlich leistungsberechtigten Personenkreis (dazu unter a); der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II greift nicht durch(dazu unter b).

16

a) Die Klägerin zu 1 ist Leistungsberechtigte gemäß § 7 Abs 1 Nr 1 bis 4 SGB II. Da sie am 24.9.1990 geboren ist, hatte sie im Zeitpunkt der Antragstellung am 19.1.2009 das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht. Sie ist nach den Feststellungen des SG erwerbsfähig (§ 8 Abs 1 und 2 SGB II) und hilfebedürftig, denn sie bezieht zusammen mit dem Kläger zu 2 lediglich Elterngeld in Höhe von 300 Euro und Kindergeld in Höhe von monatlich 164 Euro sowie Unterhaltszahlungen des Kindsvaters in Höhe von 200 Euro monatlich, was ihren Bedarf nicht vollständig deckt.

17

Die Klägerin zu 1 verfügt gemäß § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB II iVm § 30 Abs 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) auch über einen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Einen gewöhnlichen Aufenthalt hat danach jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Die Klägerin zu 1 erfüllt in tatsächlicher Hinsicht diese Voraussetzung des gewöhnlichen Aufenthalts, denn sie ist bereits im Oktober 2004 nach Deutschland eingereist und hielt sich somit im Zeitpunkt der Antragstellung ca 4 ¼ Jahre in Deutschland auf und lebt seit der Einreise ununterbrochen in Berlin. Es kann darüber hinaus weiter offenbleiben, ob der Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" bei Ausländern durch zusätzliche aufenthaltsrechtliche Voraussetzungen eingeschränkt wird. Für den Anwendungsbereich des SGB II besteht jedenfalls kein Anlass, an den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts in rechtlicher Hinsicht weitere Anforderungen zu stellen, wenn - wie vorliegend - eine Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 FreizügG/EU erteilt wurde und deren Verlust nicht festgestellt worden ist(vgl näher BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21).

18

b) Die Klägerin zu 1 ist auch nicht nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift sind ausgenommen von Leistungen nach dem SGB II zunächst Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbstständige oder aufgrund des § 2 Abs 3 des FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, und des weiteren Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt und ihre Familienangehörigen sowie zuletzt Leistungsberechtigte nach § 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).

19

Die Klägerin zu 1 ist als polnische Staatsangehörige Ausländerin im Sinne der genannten Vorschrift. Sie ist nicht leistungsberechtigt nach § 1 AsylbLG und hält sich nach den Feststellungen des SG seit Oktober 2004, also länger als drei Monate in der Bundesrepublik Deutschland auf. Sie ist aber auch nicht nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen, denn ihr Aufenthaltsrecht ergibt sich nicht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche. Sie besitzt vielmehr ein anderes Aufenthaltsrecht, das den Leistungsausschluss von vornherein entfallen lässt (dazu unter aa). Dieses Aufenthaltsrecht ist nicht nachträglich durch Veränderung der persönlichen Lebensbedingungen verloren gegangen (dazu unter bb).

20

aa) Aus dem Wortlaut des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2("Aufenthaltsrecht <…> allein aus dem Zweck der Arbeitsuche"; vgl auch BT-Drucks 16/688, 13) ergibt sich, dass der Leistungsausschluss von vornherein nicht eingreift, wenn sich ein Ausländer auf ein anderes Aufenthaltsrecht als das zum Zweck der Arbeitsuche berufen kann. Aus dem Aufbau der Norm ist abzuleiten, dass positiv festgestellt werden muss, dass ein Ausländer sich allein zur Arbeitsuche in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, denn nur dann kann auch der Leistungsausschluss festgestellt werden.

21

Vorliegend hat die Klägerin zu 1 ein (abgeleitetes) Aufenthaltsrecht als Familienangehörige gemäß § 3 FreizügG/EU. Sie ist als 14-jährige Jugendliche und somit als noch nicht 21 Jahre alte Verwandte in absteigender Linie (§ 3 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU)mit ihren Eltern in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Ungeachtet der Frage, ob - wovon die Klägerin zu 1 und der Beklagte ausgehen - sie ihr Aufenthaltsrecht von ihrem Vater als selbstständigem Erwerbstätigen ableiten konnte (§ 2 Abs 2 Nr 2 FreizügG/EU), bestand jedenfalls für die Familie ein Recht auf Einreise und Aufenthalt nach § 2 Abs 1 und Abs 2 Nr 5 FreizügG/EU iVm § 4 FreizügG/EU. Während das SG es offengelassen hat, ob die Eltern der Klägerin zu 1 tatsächlich einer selbstständigen oder nichtselbstständigen Beschäftigung nachgegangen sind, hat es aber jedenfalls festgestellt, dass bis zum Jahr 2009 weder die Klägerin zu 1 noch ihre Eltern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts erhalten hatten. Damit konnten sie auch als nichterwerbstätige Unionsbürger ein Aufenthaltsrecht in Deutschland begründen. Als Familienangehörige hatte die Klägerin zu 1 das Recht, ihre Eltern bzw ihren Vater zu begleiten oder ihm nachzuziehen (§ 3 Abs 1 Satz 1 FreizügG/EU bzw § 4 FreizügG/EU; vgl HK-AuslR/Hoffmann, 1. Aufl 2008, § 3 FreizügG/EU RdNr5).

22

bb) Dieses vom Zweck der Arbeitsuche unabhängige Aufenthaltsrecht hat die Klägerin zu 1 nicht wieder verloren. Aus den Worten "begleiten" bzw "nachziehen" in § 3 Abs 1 bzw § 4 FreizügG/EU kann nicht der Schluss gezogen werden, dass - wie das SG meint - das Aufenthaltsrecht als Familienangehöriger nur besteht, wenn der freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger, hier die Eltern bzw der Vater, und der begleitende Familienangehörige auf Dauer in einer gemeinsamen Wohnung wohnen(so aber früher Hailbronner, Aufenthaltsbeschränkungen gegenüber EG-Angehörigen, ZAR 1985, 108, 114). Diese Interpretation beruhte auf dem ursprünglich in der Vorläuferregelung (Art 10, 11 VO Nr 1612/68) verwendeten Begriff "Wohnung nehmen". Die Interpretation dieses Begriffs "Wohnung nehmen" in dem Sinne, dass ein gemeinsamer Wohnsitz vorhanden sein musste, war aber bereits nach altem Recht zweifelhaft. Art 10 Abs 1 VO (EWG) Nr 1612/68 verlangte nämlich nicht, dass die Familie in einer Wohnung zusammenlebt. Er enthielt lediglich die Formulierung "dürfen … Wohnung nehmen", was der Übersetzung aus dem englischen bzw französischen Text entspricht ("have the right to install" bzw "ont le droit de s´ínstaller"; siehe dazu Epe in GK-AufenthG, Stand Oktober 2010, § 3 FreizügG/EU RdNr 34). Die Formulierung einer Möglichkeit durch das Verb "dürfen", die eine Wahlfreiheit belässt, legt nahe, dass es sich hier nicht um eine tatbestandlich normierte Voraussetzung handelt. Damit wurde die Begründung einer häuslichen Gemeinschaft wenigstens zum Zeitpunkt des Nachzugs bereits unter Geltung der VO (EWG) Nr 1612/68) als nicht zwingend erforderlich angesehen (so Epe, aaO, RdNr 34; einschränkend Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, § 3 FreizügG/EU RdNr 12, der die Ansicht vertritt, dass grundsätzlich zunächst eine gemeinsame Wohnung vorhanden sein muss, diese Anforderung aber nur vorübergehend gilt).

23

Dass ein ständiger gemeinsamer Wohnsitz nicht als Tatbestandsmerkmal für das abgeleitete Aufenthaltsrecht als Familienangehöriger zugrunde gelegt werden kann, ergab sich im Übrigen auch bereits nach altem Recht aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), insbesondere in dem Urteil des EuGH vom 17.9.2002 (C-413/99 - Baumbast und R - EuGHE I 2002, 7091). Der EuGH hat dort entschieden, dass aus Art 10 und Art 12 der VO Nr 1612/68 folgt, dass bei einer Scheidung der Eltern die Kinder des ersten Ehemannes weiterhin dazu berechtigt sind, im Aufnahmemitgliedstaat zu wohnen und dort unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaates ihren Schulbesuch fortzusetzen. Es wurde dabei ausdrücklich festgestellt, dass die Tatsache, dass die Kinder des ersten Ehemannes nicht ständig bei diesem wohnen, ihre Rechte nicht berühren.

24

Mit der Neufassung des § 3 Abs 1 FreizügG/EU durch das RL-UmsetzungsG 2007 war diesbezüglich eine Rechtsänderung nicht verbunden. Dementsprechend ist aus den Worten "begleiten" bzw "nachziehen" in § 3 Abs 1 FreizügG/EU weiterhin nicht der Schluss zu ziehen, dass stets eine gemeinsamen Wohnung vorhanden sein muss. Vielmehr ist ein Familienangehöriger nicht verpflichtet, bei dem Freizügigkeitsberechtigten zu wohnen (so HK-AuslR/Hoffmann, aaO, § 3 FreizügG/EU RdNr 4 f mwN; Epe in GK-AufenthG, aaO, § 3 FreizügG/EU RdNr 34 ff mwN; Harich, jurisPR-SozR 24/2011, Anm 1: Arbeitslosengeld II auch im Ausland?).

25

Allein der Umstand, dass die Klägerin zu 1 vor Geburt des Klägers zu 2 aus ihrem Elternhaus ausgezogen ist und eine eigene Wohnung angemietet hat, lässt das abgeleitete Aufenthaltsrecht als Familienangehörige somit nicht entfallen.

26

c) Damit ist auch der Kläger zu 2 leistungsberechtigt, weil er mit der Klägerin zu 1 in Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs 3 Nr 4 SGB II) lebt und aus den genannten Gründen keiner der Ausschlussgründe des § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II eingreift.

27

d) Auf die vom SG vorgenommene europarechtskonforme Auslegung von § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II dahingehend, dass der Leistungsausschluss nur eingreifen soll, wenn bei der Einreise die Arbeitsuche der alleinige Zweck gewesen ist, er dagegen keine Anwendung finden soll, wenn ein Unionsbürger später arbeitsuchend wird, kommt es hier nicht mehr an. Die Verurteilung des Beklagten zur Leistungsgewährung ergibt sich direkt aus § 7 Abs 1 Satz 1 iVm § 9 SGB II und für den Kläger zu 2 aus § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II. Da der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II vorliegend überhaupt nicht durchgreift, kann auch die weitergehende Frage offenbleiben, ob im Rahmen des Leistungsausschlusses zwischen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und Leistungen zur Eingliederung in Arbeit zu unterscheiden ist, wie dies etwa auch der nunmehr durch die VO (EG) Nr 988/2009 festgelegte Anhang X zur VO (EG) Nr 883/2004 nahelegt(vgl dazu Harich, aaO, Abschnitt D).

28

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Oktober 2013 insoweit aufgehoben, als er zur Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 11. Oktober 2010 bis 7. November 2011 verurteilt worden ist.

Insoweit wird die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 20. November 2012 zurückgewiesen.

Die Beigeladene wird verurteilt, den Klägern Hilfe zum Lebensunterhalt für den Zeitraum vom 11. Oktober 2010 bis 7. November 2011 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beigeladene hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Ansonsten haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit steht die Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Kläger im Zeitraum vom 11.10.2010 bis 7.11.2011.

2

Die Kläger sind rumänische Staatsangehörige. Die Kläger zu 1 und 2 zogen 2008 mit ihren beiden gemeinsamen Kindern - geboren 1992 und im Februar 1995 (Kläger zu 3) - von Rumänien bzw über Belgien nach Deutschland. Sie verfügen seit November 2008 über eine Freizügigkeitsbescheinigung/EU und die Kläger zu 1 und 2 seit Ende 2011 (nach dreijährigem Aufenthalt) über eine unbefristete Arbeitsberechtigung. Der Kläger zu 1 hatte in Rumänien eine Schlosserlehre absolviert, war dann zur Armee eingezogen worden und arbeitete 1993 bis 1995 als Taxifahrer sowie anschließend als Tagelöhner in der Landwirtschaft. Ein von ihm 1992/1993 in Deutschland gestellter Asylantrag wurde abschlägig beschieden. Seine Ehefrau ging in Rumänien keiner Erwerbstätigkeit nach. Sie übt seit dem 8.11.2012 eine mit 200 Euro netto monatlich geringfügig entlohnte Beschäftigung aus. Bis Ende 2010 verkauften die Kläger zu 1 und 2 die Obdachlosenzeitung "Fifty-Fifty" zu einem Abgabepreis von 1,80 Euro und einem "Einkaufspreis" von 0,90 Euro. Der Differenzbetrag von rund je 120 Euro im Monat verblieb bei ihnen. Der Kläger zu 1 hatte vom 13.10.2008 bis 29.10.2009 ein Gewerbe angemeldet ("Abbruch- und Entkernungsarbeiten, Hilfsarbeiten auf Baustellen"), das er jedoch nicht betrieb und mit dem er auch keine Einkünfte erzielte. Für die beiden Söhne erhielten die Eheleute Kindergeld in Höhe von je 184 Euro. Die Söhne besuchten in Deutschland die Schule.

3

Erstmals Ende 2009 lehnte der Beklagte die Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bindend ab. Ein erneuter Antrag der Kläger vom 11.10.2010, den sie mit der Einreise zur Arbeitsuche begründeten, wurde vom Beklagten ebenfalls abschlägig beschieden (Bescheid vom 19.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2010). Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes hiergegen verpflichtete das LSG den Beklagten, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom 17.5.2011 bis maximal zum 17.11.2011 zu erbringen. Dies führte der Beklagte durch Bescheide vom 14.6., 7.7., 26.7. und 1.8.2011 aus. Ebenso vollzog sich das Verfahren nach einem weiteren Antrag der Kläger vom 7.11.2011 (ablehnender Bescheid vom 15.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2011, Ausführungsbescheide des Beklagten vom 22.6.2012 nach dem Erlass einer einstweiligen Anordnung des LSG für den Zeitraum vom 23.11.2011 bis 30.6.2012). Am 14.1.2013, der Höhe nach geändert durch Bescheid vom 5.2.2013, bewilligte der Beklagte den Klägern die begehrten Leistungen ab dem 1.11.2012, also seit dem Monat der Aufnahme der Beschäftigung durch die Klägerin zu 2.

4

Die gegen den Bescheid vom 19.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2010 erhobene Klage hat das SG durch Urteil vom 20.11.2012 unter Hinweis darauf, dass die Kläger nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II von Leistungen der Grundsicherung ausgeschlossen seien, abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das LSG dieses Urteil geändert und den Beklagten unter Änderung der benannten Bescheide verurteilt, den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften für den Zeitraum vom 11.10.2010 bis 7.11.2011 zu bewilligen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II greife im Falle der Kläger nicht. Sie verfügten über kein materielles Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland. Der Sohn der Kläger zu 1 und 2 (Kläger zu 3) sei im streitigen Zeitraum Schüler gewesen. Die Kläger zu 1 und 2 seien keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen. Das vom Kläger zu 1 angemeldete Gewerbe sei nie betrieben und es seien keine Einkünfte daraus erzielt worden. Der Verkauf der Obdachlosenzeitung stelle keine Beschäftigung dar, die zu einem Status als Arbeitnehmer geführt haben könne. Es handele sich dabei um eine untergeordnete Tätigkeit, die nicht in einem Arbeitsverhältnis verrichtet worden sei. Die Kläger zu 1 und 2 seien auch nicht arbeitsuchend gewesen, denn sie hätten allein wegen der Sprachbarrieren keine Chance auf Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt gehabt. Daher komme es auch nicht darauf an, dass die Kläger vor dem 1.10.2011 über eine unbefristete Freizügigkeitsberechtigung/EU verfügt hätten. Auf einen EU-Bürger ohne materielles Aufenthaltsrecht finde der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II keine Anwendung. Dies erschließe sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, die auf den Aufenthaltszweck "allein zur Arbeitsuche" abstelle. Eine erweiternde Auslegung im Sinne des Erst-Recht-Schlusses komme wegen des Ausnahmecharakters des Ausschlusses nicht in Betracht. Die Vorschrift sei nicht analogiefähig. Es liege keine unbeabsichtigte Regelungslücke vor. Dass der aus dem mangelnden Aufenthaltsrecht folgende Ausweisungsgrund nicht vollzogen werde, sei kein Grund, EU-Bürger von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in erweiternder Auslegung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II auszuschließen(Urteil des LSG vom 10.10.2013).

5

Der Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und begründet sie damit, dass das Urteil des LSG § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II verletze. Die dortige Auslegung der Vorschrift führe dazu, dass ausgerechnet Personen, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht oder kaum integrierbar seien, vom Leistungsausschluss für arbeitsuchende Unionsbürger nicht betroffen würden.

6

Er beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Oktober 2013 aufzuheben und die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 20. November 2012 zurückzuweisen.

7

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Beigeladene zu verurteilen, ihnen Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII im Zeitraum vom 11. Oktober 2010 bis 7. November 2011 zu gewähren.

8

Sie halten die Ausführungen des LSG für zutreffend. Zwar sei nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Alimanovic nun klargestellt, dass der in § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II formulierte Leistungsausschluss europarechtskonform sei. Dies betreffe jedoch nicht die Kläger. Bei ihnen liege es näher, einen Vergleich zu der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Dano zu ziehen, wonach wirtschaftlich nicht aktiven Unionsbürgern anderer Mitgliedstaaten keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu erbringen seien. Insoweit mangele es jedoch an einer einfachgesetzlichen Regelung im deutschen Recht.

9

Die Beigeladene hat keinen eigenen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG, soweit es den Beklagten zur Leistungserbringung verurteilt hat, begründet. Die Beigeladene ist verpflichtet, die Existenzsicherung der Kläger nach den Vorschriften des SGB XII zu gewährleisten.

11

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (2.). Sie können jedoch Hilfe zum Lebensunterhalt von der Beigeladenen nach § 23 Abs 1 S 3 SGB XII beanspruchen (3.).

12

1. Streitgegenstand ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, die der Beklagte durch Bescheid vom 19.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2010 abgelehnt hat. Der streitige Zeitraum beginnt mit der Antragstellung am 11.10.2010, als dem "Türöffner" für das Verwaltungsverfahren (zuletzt BSG vom 24.4.2015 - B 4 AS 22/14 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 71 RdNr 17), und endet, da die Kläger ihr Begehren im zweitinstanzlichen Gerichtsverfahren bis zu diesem Zeitpunkt beschränkt haben, mit der erneuten Antragstellung am 7.11.2011. Die die Entscheidungen des LSG im vorläufigen Rechtsschutz ausführenden Bescheide des Beklagten sind, wie das LSG zutreffend befunden hat, nicht nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden(vgl BSG vom 27.6.2013 - B 10 EG 2/12 R - SozR 4-7837 § 2 Nr 21 RdNr 20 mwN; s auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 96 RdNr 4b unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des BSG).

13

Unschädlich ist auch, dass die Kläger im Berufungsverfahren, trotz der Beiladung der Stadt Gelsenkirchen, nicht zumindest hilfsweise deren Verurteilung oder Verpflichtung zur Leistungserbringung nach dem SGB XII beantragt haben. Im Falle der - hier vom LSG vorgenommenen notwendigen Beiladung nach § 75 Abs 2 2. Alt SGG (unechte notwendige Beiladung) - ist zumindest davon auszugehen, dass die Kläger hilfsweise die Verurteilung der Beigeladenen begehren (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 75 RdNr 18a; weitergehend BSG vom 28.5.2015 - B 7 AY 4/12 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen - RdNr 10). Denn nach § 75 Abs 5 SGG darf der beigeladene Träger verurteilt werden, obwohl er nicht verklagt ist. Mit der Vorschrift des § 75 Abs 2 2. Alt iVm Abs 5 SGG unterstellt der Gesetzgeber, dass der Kläger zwar in erster Linie die Verurteilung des beklagten Trägers, hilfsweise jedoch auch die jedes anderen in Frage kommenden Trägers begehrt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Kläger diese Verurteilung ausdrücklich ablehnt ( BSG vom 15.1.1959 - 4 RJ 111/57 - BSGE 9, 67, 70; BSG vom 2.11.2000 - B 11 AL 25/00 R - RdNr 25). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Bei dem im Revisionsverfahren gestellten Hilfsantrag auf Verurteilung der Beigeladenen handelt es sich aus diesen Gründen auch nicht um eine an sich im Revisionsverfahren nach § 168 S 1 SGG nicht mehr zulässige Klageänderung im Sinne der Klageerweiterung(vgl hierzu BSG vom 30.1.1985 - 2 RU 69/83 - SozR 1500 § 168 Nr 3; BSG vom 4.2.1965 - 11/1 RA 312/63 - SozR Nr 27 zu § 75 SGG; s auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 168 RdNr 2c und § 75 RdNr 12a).

14

Ebenso wenig wird die Zulässigkeit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage dadurch berührt, dass die Kläger bereits vorläufige Leistungen erhalten haben. Dies war zum einen nur für einen Teil des hier streitigen Zeitraums der Fall (BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 12 zur Unzulässigkeit bei dem Ausscheiden jeglichen Zahlungsanspruchs). Zum anderen hat sich der Rechtsstreit nach der ständigen Rechtsprechung des BSG auch nicht teilweise dadurch erledigt, dass für den Fall der nunmehr beantragten hilfsweisen Verurteilung der Beigeladenen die Leistungserbringung des Sozialhilfeträgers bereits (teilweise) als erfüllt iS des § 107 Abs 1 SGB X gilt(BSG vom 8.8.1990 - 11 RAr 79/88 - SozR 3-1300 § 104 Nr 3 S 4 f; BSG vom 9.9.1993 - 7/9b RAr 28/92 - BSGE 73, 83, 84 f = SozR 3-4100 § 58 Nr 5 S 11; BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 12).

15

2. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gegen den Beklagten. Sie sind unabhängig von der bestehenden Hilfebedürftigkeit iS des § 7 Abs 1 S 1 Nr 3 iVm § 9 SGB II, ihres gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland(§ 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II; vgl zum Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34 RdNr 17 ff)und der Erfüllung der Altersgrenzen des § 7 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB II im streitigen Zeitraum zumindest durch die Kläger zu 1 und 2 sowie deren Erwerbsfähigkeit(§ 7 Abs 1 S 1 Nr 2 iVm § 8 SGB II - auch nach § 8 Abs 2 SGB II, weil ihnen als Rumänen trotz seinerzeit nur eingeschränkter Arbeitnehmerfreizügigkeit als EU-Ausländern die Aufnahme einer Beschäftigung hätte erlaubt werden können, vgl BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 14 ff)von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aufgrund von § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II(idF vom 28.8.2007 durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007, BGBl I 1970, 2008) ausgeschlossen. Danach sind von den benannten Leistungen ausgenommen 1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige noch aufgrund des § 2 Abs 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts und 2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt und ihre Familienangehörigen.

16

a) Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II unterfallen die Kläger nicht einer Ausnahme von der Leistungsberechtigung nach § 7 Abs 1 S 1 SGB II. Sie haben sich im streitigen Zeitraum vom 11.10.2010 bis 7.11.2011 bereits mehr als drei Monate in Deutschland aufgehalten, denn sie sind im Herbst des Jahres 2008 eingereist. Ihr Aufenthaltsrecht ergibt sich auch nicht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche. So sind die Kläger zu 1 und 2 zwar zur Arbeitsuche in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Für den hier streitigen Zeitraum folgt hieraus jedoch kein materielles Aufenthaltsrecht mehr. Sie waren nicht mehr arbeitsuchend iS des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II.

17

Der Begriff der "Arbeitsuche" ist im vorliegenden Kontext freizügigkeitsrechtlich geprägt. Der Gesetzgeber hat in § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II - anders als in § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II - zwar nicht ausdrücklich Bezug auf die Regelungen des FreizügG/EU genommen. Aus der Verknüpfung mit dem "Aufenthaltsrecht" folgt jedoch bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift, dass die dortigen Regelungen sowie die der RL 2004/38/EG zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der "Arbeitsuche" heranzuziehen sind. Dies wird durch den Gesetzentwurf zur Änderung des S 2 des § 7 Abs 1 SGB II(BT-Drucks 16/5065 S 234; Änderung des SGB II zum 28.8.2007 durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007, BGBl I 1970, 2008) bestätigt. Danach sollten mit den Neuregelungen in § 7 Abs 1 S 2 SGB II die Unionsbürgerrichtlinie RL 2004/38/EG im Leistungsrecht umgesetzt und insbesondere von der Möglichkeit des Leistungsausschlusses nach Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG Gebrauch gemacht werden. Diese Norm regelt, dass vom Grundsatz der Gleichbehandlung aller Unionsbürger abgewichen werden kann, wenn die betreffende Person weder Arbeitnehmer, noch Selbstständiger oder deren Familienangehöriger ist und sie diesen Status nicht erhalten konnte (vgl hierzu Art 7 Abs 3 Buchst b und c RL 2004/38/EG). Sofern sie als Arbeitsuchende in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates eingereist ist, sieht die Richtlinie durch Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG solange eine Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts als Arbeitsuchende vor, solange sie nachweisen kann, dass sie weiterhin Arbeit sucht und sie eine begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden. Diese Regelung hat der Gesetzgeber zwischenzeitlich (mW ab dem 9.12.2014, BGBl I 1922) ins FreizügG/EU übernommen. In dessen § 2 Abs 2 S 1 Nr 1a FreizügG/EU ist nunmehr geregelt, dass freizügigkeitsberechtigt Unionsbürger sind, die sich zur Arbeitsuche aufhalten, für bis zu sechs Monate und darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Der dies tragende Grundgedanke der Aussicht auf Aufnahme einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist jedoch wegen der Gründung des Normtextes des § 7 Abs 1 S 2 SGB II auf der RL 2004/38/EG auch bereits im streitigen Zeitraum zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Arbeitsuche heranzuziehen.

18

Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs ist die Annahme des LSG revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass sich die Freizügigkeitsberechtigung der Kläger zu 1 und 2 im streitigen Zeitraum nicht mehr allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergab. Auf Grundlage der Anhörung der Kläger in der mündlichen Verhandlung sowie beigezogener Auskünfte und Beratungsvermerke der BA ist das LSG zu dem Ergebnis gelangt, dass sie im streitigen Zeitraum keine realistische Chance auf Erlangung eines Arbeitsplatzes hatten. Die Kläger zu 1 und 2 verfügten nicht über eine verwertbare berufliche Qualifikation oder Ausbildung, nennenswerte Berufserfahrung und deutsche Sprachkenntnisse. Diese fehlenden Kenntnisse stellten ein erhebliches Hindernis bei der Arbeitsuche dar. Zudem war zu berücksichtigen, dass ihre Berechtigung, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, im streitigen Zeitraum zusätzlich noch durch das Erfordernis einer Arbeitsgenehmigung-EU iS des § 284 SGB III(in den hier einschlägigen Fassungen vom 7.12.2006 BGBl I 2814 und vom 20.12.2011 mWv 1.5.2011 BGBl I 2854) iVm der Arbeitserlaubnis-EU nach § 39 Abs 2 S 1 Nr 1 Buchst b AufenthG(in den hier einschlägigen Fassungen vom 25.2.2008, BGBl I 162 und 20.12.2011, mWv 1.5.2011 BGBl I 2854, 2921) - für Unionsbürger aus Rumänien in der ersten Beitrittszeit - beschränkt war. Danach brauchte die BA der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung nur zuzustimmen, wenn für die Beschäftigung deutsche Arbeitnehmer sowie Ausländer, die diesen hinsichtlich der Arbeitsaufnahme rechtlich gleichgestellt waren, oder andere Ausländer, die nach dem Recht der Europäischen Union einen Anspruch auf vorrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt hatten, nicht zur Verfügung standen. Die begründete Aussicht, dass diese beim Fehlen jeglicher Qualifikation der Arbeitsuchenden, wie vorliegend, zur Verfügung stehen, hat das LSG ohne Rechtsfehler negiert. Da die Kläger sich zu Beginn des hier streitigen Zeitraums zudem bereits mehr als zwei Jahre in Deutschland aufgehalten hatten, ohne eine Erwerbstätigkeit ausgeübt zu haben, unterliegt der vom LSG weiter gezogene Schluss der objektiv nicht bestehenden Aussicht der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit keinen durchgreifenden Zweifeln (vgl zum zeitlichen Umfang der materiellen Freizügigkeitsberechtigung der Arbeitsuche: EuGH Rs Antonissen vom 26.2.1991 - C-292/89 RdNr 21; s auch Devetzi, EuR 2014, 638, 642; Lehmann, ZAR 2015, 212, 215; Thym, NJW 2015, 130, 133).

19

b) Die Kläger waren jedoch, auch wenn sie nicht den ausdrücklich normierten Ausnahmen des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II unterfallen, gleichwohl von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen. Denn sie verfügten über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung im Sinne des FreizügG/EU oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht. Damit unterfielen sie "erst-recht" dem Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II. Die Vorschrift ist insoweit planwidrig lückenhaft, als sie nicht ausdrücklich den Ausschluss auch derjenigen normiert, die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen, weil sie einen Leistungsausschluss schon für solche Ausländer anordnet, die sich auf eine solche materielle Freizügigkeitsberechtigung im Sinne des FreizügG/EU berufen können.

20

Der "Erst-Recht-Schluss" ist eine Untergruppe oder ein Spezialfall des Analogieschlusses. Die analoge Anwendung einfachgesetzlicher Vorschriften ist eine anerkannte Methode der richterlichen Rechtsfortbildung und verfassungsrechtlich unter Beachtung der Schranken des Art 20 Abs 3 GG zulässig. Denn hat der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, darf der Richter diese nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern und durch eine judikative Lösung ersetzen, die so im Parlament nicht erreichbar war (BVerfG vom 3.4.1990 - 1 BvR 1186/89 - BVerfGE 82, 6, 11). Daher setzt der Analogieschluss voraus, dass das Gesetz - hier im Hinblick auf eine bestimmte Personengruppe - lückenhaft, also angesichts der erkennbaren Regelungsabsicht des Gesetzgebers "planwidrig" unvollständig ist (vgl dazu Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl 1991, S 373, 375; s nur BSG vom 25.6.2009 - B 10 EG 8/08 R - BSGE 103, 291 = SozR 4-7837 § 2 Nr 2 RdNr 31 mwN). Es muss an der nach dem Regelungsplan des Gesetzes zu erwartenden Regel mangeln (BVerwG vom 11.9.2008 - 2 B 43/08 - Buchholz 237.7 § 23 NWLBG Nr 1 mwN). Dem "Erst-Recht-Schluss" selbst liegt dabei die Erwägung zugrunde, die analoge Anwendung sei immer dann gerechtfertigt, wenn die rechtspolitischen Gründe (Normzwecke) einer Vorschrift bei einem nicht geregelten Lebenssachverhalt noch stärker gegeben sind als bei dem geregelten Normtatbestand (vgl nur Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 8. Aufl 2015, RdNr 898). Dies ist hier im Hinblick auf Unionsbürger oder Ausländer, die über keine Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen, der Fall, wie sich aus der Entstehungsgeschichte der Ausschlussregelung, ihrem systematischen Zusammenhang sowie dem Sinn und Zweck der benannten Vorschrift erschließt (vgl zur Feststellung des Regelungsplans des Gesetzgebers bei einer Unvollständigkeit des Gesetzes, Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl 1991, S 373).

21

(aa) Nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II in der ab dem 1.1.2005 geltenden Fassung des Gesetzes zur optionalen Trägerschaft von Kommunen nach dem SGB II (vom 30.7.2004, BGBl I 2014) waren Ausländer unter den Voraussetzungen des § 8 Abs 2 SGB II leistungsberechtigt. Ein Ausschluss oder eine Beschränkung der Leistungsberechtigung für Unionsbürger waren mithin nicht vorgesehen. Mit der Neufassung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II durch das Gesetz zur Änderung des 2. Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (vom 24.3.2006, BGBl I 558) ergänzt durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (vom 19.8.2007, BGBl I 2008) erfolgte dann ein grundlegender Paradigmenwechsel. Es sollte von der Option des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG Gebrauch gemacht werden (BT-Drucks 16/5065 S 234). Für Unionsbürger, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen, sollte eine weitere leistungsrechtliche Hürde geschaffen werden, sofern sie wegen des vorbehaltlosen Aufenthalts in den ersten drei Monaten oder allein zum Zweck der Arbeitsuche freizügigkeitsberechtigt sind (BT-Drucks 16/5065 S 234; BT-Drucks 16/688 S 13). Leistungsberechtigt sollten sie nur sein, wenn sie über eine von § 7 Abs 1 S 2 SGB II nicht erfasste Freizügigkeitsberechtigung oder ein sonstiges Aufenthaltsrecht verfügen. Hieraus folgt umgekehrt, dass nicht freizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigte Unionsbürger nach dem gesetzgeberischen Plan von vornherein nicht leistungsberechtigt sein sollten.

22

(bb) Dies entspricht auch der Binnensystematik und der Verknüpfung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II mit dem im Gesetzentwurf unter Bezug genommenen Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG. Danach ist der Aufnahmemitgliedstaat - unter Hintanstellung des Gleichbehandlungsgrundsatzes - nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG (Zeitraum der Arbeitsuche, s unter 2.a) einen Anspruch auf Sozialhilfe (…) zu gewähren. Das Gleichbehandlungsgebot, also auch die Verpflichtung zur Gleichbehandlung bei der Gewährung existenzsichernder Leistungen, gilt mithin umgekehrt grundsätzlich nur dann, wenn eine Freizügigkeitsberechtigung des Unionsbürgers im Sinne der Richtlinie gegeben ist. Zugleich wird im Hinblick auf den Aufenthalt in den ersten drei Monaten und zur Arbeitsuche durch den Hinweis auf Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG eine Ausnahme normiert. Mit der Einfügung der Nr 1 und 2 in den S 2 des § 7 Abs 1 SGB II sollte demnach von den unionsrechtlich eröffneten Ausschlussgründen auch bei Bestehen einer Freizügigkeitsberechtigung Gebrauch gemacht werden. Hierin fügt sich die Systematik der Rückausnahmen in § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II für freizügigkeitsberechtigte Arbeitnehmer und Selbstständige sowie ihre Familienangehörigen ein. Dementsprechend haben die beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG im Hinblick auf Nr 2 des § 7 Abs 1 S 2 SGB II bisher schon unter Bezug auf § 11 FreizügG/EU (Regelung der Anwendung des AufenthG) angenommen, dass in Fällen, in denen ein anderes Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG - auch neben dem zum Zwecke der Arbeitsuche - besteht, etwa aus anderen familiären Gründen, der Ausschluss ebenfalls nicht eingreift(BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 30 ff; BSG vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28, RdNr 20 ff).

23

Dass der Gesetzgeber es planwidrig unterlassen hat, auch die nicht freizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigten Ausländer ausdrücklich von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auszuschließen, belegt auch die nachfolgende Kontrollüberlegung zu dem System der Eingliederungsleistungen im SGB II. Nach der Grundkonzeption des SGB II ist es Ziel dieser Leistungen, dass leistungsberechtigte Personen ohne eine Erwerbstätigkeit bei der Aufnahme einer solchen unterstützt werden, also Arbeit zu finden und, wenn sie bisher erfolglos Arbeit gesucht haben, dies mit einer Unterstützung durch Eingliederungsleistungen erfolgreich zu tun. Wenn ein EU-Ausländer aber Leistungen nach §§ 16 ff SGB II für eine erfolgreiche Arbeitsuche erhält, liegen die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II (wieder) vor. Dass ein solcher Zirkelschluss vom Gesetzgeber gewollt war, kann nicht angenommen werden. Es ist daher vielmehr davon auszugehen, dass es seinem Plan entsprach, in den Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II auch die Ausländer einzubeziehen, die keine oder objektiv ohne Erfolgsaussichten Arbeit suchen.

24

(cc) Auch wäre es sinnwidrig und würde der sozialpolitischen Zweckrichtung der Regelung widersprechen, hätten gerade nicht materiell freizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigte Ausländer einen Rechtsanspruch auf diese Leistungen, weil sie nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift nicht von Leistungen ausgeschlossen sind. Sie sind vielmehr, weil ihre Leistungsberechtigung im eigentlichen Sinne nicht gewollt war, "erst-recht" von Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen. Mit der Ausschlussregelung sollte ein Zuzug von Ausländern in den SGB II-Leistungsbezug verhindert werden, soweit keine Verpflichtung zur Gleichbehandlung mit Inländern besteht (vgl BT-Drucks 16/5065 S 234). Nur wer als Unionsbürger freizügigkeitsberechtigt ist - über das Aufenthaltsrecht in den ersten drei Monaten und zur Arbeitsuche hinaus - sollte daher einen Anspruch auf existenzsichernde Leistungen aus dem SGB II erhalten, etwa aufstockend neben der Tätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbstständiger, während der nachgehenden Statuserhaltung oder als deren Familienangehörige. Nach Ablauf der ersten drei Monate des Aufenthalts sei, so die Begründung im Gesetzentwurf, das weitere Aufenthaltsrecht vom Aufenthaltszweck abhängig und damit auch die Leistungsberechtigung nach dem SGB II. So sollte sichergestellt werden, dass durch die Neuregelung im Freizügigkeitsgesetz/EU - die RL 2004/38/EG umsetzend - keine Regelungslücke entsteht (vgl BT-Drucks 16/5065 S 234). Die materielle Freizügigkeits- oder Aufenthaltsberechtigung kann damit nicht hinweggedacht werden, ohne dass die Ausschlussregelung ihren Sinn verlöre.

25

c) Die Kläger konnten sich nicht auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung berufen.

26

(aa) Die Kläger waren nicht als Arbeitnehmer freizügigkeitsberechtigt. Der Begriff des Arbeitnehmers in § 7 Abs 1 S 2 SGB II ist, wie die Wortverbindung in dessen Nr 1 zum FreizügG/EU bereits zeigt, ebenfalls europarechtlich geprägt; durch dieses Gesetz wird die, die Freizügigkeitsrechte der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen innerhalb der Union regelnde RL 2004/38/EG - auf Grundlage der Europäischen Verträge - in das nationale Recht umgesetzt (Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, Vorbemerkung 0.1.2 zum Freizügigkeitsgesetz/EU). Eine kodifizierte Definition des Arbeitnehmerbegriffs findet sich im Europarecht zwar nicht. Es ist daher auf die Ausprägung dessen zurückzugreifen, die er auf Grundlage der Rechtsprechung des EuGH erfahren hat. Die Arbeitnehmereigenschaft wird danach bei der Ausübung einer tatsächlichen und echten Tätigkeit als gegeben angesehen, was gestützt auf objektive Kriterien und in einer Gesamtbetrachtung aller Umstände, die die Art der in Rede stehenden Tätigkeiten und des fraglichen Arbeitsverhältnisses betreffen, festzustellen ist (EuGH Rs Ninni-Orasche vom 6.11.2003 - C-413/01 RdNr 24; EuGH vom 21.2.2013 - C-46/12 RdNr 39 ff; Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 2 FreizügG/EU RdNr 37; Tewocht in Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 9. Edition, Stand XI/2015, § 2 FreizügG/EU RdNr 18 ff). Um Arbeitnehmer zu sein, muss die betreffende Person während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringen, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Dabei sind nicht nur Gesichtspunkte wie die Arbeitszeit und die Höhe der Vergütung zu berücksichtigen, sondern auch solche wie der Anspruch auf bezahlten Urlaub, die Geltung von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Anwendung des Tarifvertrags in der jeweils gültigen Fassung auf den Arbeitsvertrag sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses (EuGH Rs Genc vom 4.2.2010 - C-14/09 RdNr 27). Dies bedeutet, dass eine Integration in den Betrieb des Arbeitgebers gegeben sein muss, bei der die betreffende Person unter der Weisung oder Aufsicht eines Dritten steht, der die zu erbringenden Leistungen und/oder die Arbeitszeiten vorschreibt und dessen Anordnungen durch den Arbeitnehmer zu befolgen sind (vgl Hoffmann in Hofmann/Hoffmann, HK-AuslR, 1. Aufl 2008, § 2 FreizügG/EU RdNr 8). Unter Anwendung dieses Maßstabs und auf Grundlage seiner Feststellungen hat das LSG vorliegend die Arbeitnehmereigenschaft der Kläger zu 1 und 2 zutreffend verneint.

27

Die Kläger zu 1 und 2 haben die Obdachlosenzeitung "Fifty-Fifty" verkauft. Das LSG hat festgestellt, dass damit ein wirtschaftlicher Güteraustausch nicht verbunden gewesen sei, jedenfalls sei dies nicht der prägende Hauptzweck der Tätigkeit gewesen. Vielmehr habe es sich um eine dem Betteln gleichgestellte Tätigkeit gehandelt, die - nach einem Hinweis in dieser Zeitung - unter genehmigungsfreiem Gemeingebrauch des öffentlichen Straßenraumes erfolgte. Die Kläger zu 1 und 2 unterlagen auch nicht den Weisungen der karitativen Organisationen, die diese Zeitung herausgeben. Sie "kauften" die Zeitschriften bei den Herausgebern zum Zwecke des Straßenverkaufs und konnten - ohne weitere Weisungen zu deren Vertrieb - den Differenzbetrag zum Verkaufspreis zur eigenen Verfügung behalten.

28

(bb) Eine selbstständige Erwerbstätigkeit ist - ebenfalls unter Berücksichtigung der europarechtlichen Implikationen - jede Art der wirtschaftlichen Tätigkeit, die in eigener Verantwortung und weisungsfrei erfolgt (Tewocht in Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 9. Edition, Stand XI/2015, § 2 FreizügG/EU RdNr 32). Eine Gewinnerzielungsabsicht muss nicht vorrangiges oder einziges Ziel sein, sie muss aber vorhanden sein. Rein karitative Tätigkeiten fallen nicht hierunter; die Tätigkeit muss daher erwerbsorientiert sein, wobei alle Tätigkeiten erfasst werden, sofern sie mit einer entgeltlichen Gegenleistung verbunden sind und eine Teilnahme am Wirtschaftsleben darstellen (EuGH Rs Sodemare vom 17.6.1997 - C-70/95 RdNr 25; vgl auch Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 2 FreizügG/EU RdNr 78; Müller-Graff in Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl 2012, Art 49 AEUV RdNr 13). Der Selbstständige, der sich auf das Freizügigkeitsrecht der Niederlassungsfreiheit im Sinne der Art 49 ff AEUV berufen kann, muss auch tatsächlich eine wirtschaftliche Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit ausüben (EuGH Rs Factortame vom 25.7.1991 - C-221/89 RdNr 34; Tewocht in Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 9. Edition, Stand XI/2015, § 2 FreizügG/EU RdNr 33)und damit wirtschaftlich in einen anderen Mitgliedstaat integriert sein (Brinkmann in Huber, AufenthG, 1. Aufl 2010, § 2 FreizügG/EU RdNr 29).

29

Diese Voraussetzungen sind nach den zuvor dargelegten Bedingungen, unter denen die Kläger zu 1 und 2 dem Verkauf der Obdachlosenzeitung nachgegangen sind, nicht gegeben. Aber auch mit dem von dem Kläger zu 1 angemeldeten Gewerbebetrieb: "Abbruch- und Entkernungsarbeiten, Hilfsarbeiten auf Baustellen" erfüllte er nicht die Voraussetzungen um den Status als niedergelassener selbstständiger Erwerbstätiger erlangt zu haben. Er hat ausweislich der Feststellungen des LSG erklärt, das Gewerbe nie betrieben und auch keinen Gewinn erzielt zu haben. Abgesehen davon, dass er allein mit der Anmeldung des Gewerbebetriebes nicht am wirtschaftlichen Leben teilgenommen hat, war diese offensichtlich unter Zugrundelegung der getroffenen Feststellungen nicht erwerbsorientiert.

30

(cc) Damit entfällt zugleich der nachgehende Schutz als Arbeitnehmer oder Selbstständiger iS des § 2 Abs 3 FreizügG/EU für die Kläger zu 1 und 2. Danach bleibt für Arbeitnehmer und selbstständig Erwerbstätige die Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs 1 FreizügG/EU unberührt ua bei(2.) unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit oder Einstellung einer selbstständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbstständige keinen Einfluss hatte, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit (S 1). Bei weniger als einem Jahr Beschäftigung gilt dies auch, jedoch nur während der Dauer von sechs Monaten nach der Beendigung der Tätigkeit (S 2). Ebenso wenig haben folglich die Familienangehörigen eine vom Status als Arbeitnehmer oder Selbstständiger abgeleitete Freizügigkeitsberechtigung iS des § 2 FreizügG/EU innegehabt.

31

(dd) Die Kläger waren auch nicht als nichterwerbstätige Unionsbürger iS des § 4 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Danach haben nicht erwerbstätige Unionsbürger, ihre Familienangehörigen und ihre Lebenspartner, die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, das Recht nach § 2 Abs 1 FreizügG/EU, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. Zwar hat das LSG keine Feststellungen zum Krankenversicherungsschutz der Kläger getroffen. Dass sie nicht über ausreichende Existenzmittel verfügten, zeigt sich jedoch bereits daran, dass sie hilfebedürftig iS des § 7 Abs 1 Nr 3 iVm § 9 SGB II waren(vgl zum Maßstab der "nicht ausreichenden Existenzmittel": Thym, NJW 2015, 130, 132).

32

(ee) Anhaltspunkte für ein anderes Aufenthaltsrecht im Sinne des AufenthG sind ebenfalls nicht ersichtlich oder vorgebracht (vgl zum Vorliegen eines anderen Aufenthaltsrechts nur: BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 30 ff; BSG vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28, RdNr 20 ff).

33

(ff) Der fehlenden materiellen Freizügigkeitsberechtigung steht auch nicht entgegen, dass die Kläger zu 1 und 2 nach den bindenden Feststellungen des LSG im Besitz einer Freizügigkeitsbescheinigung/EU nach § 5 Abs 1 FreizügG/EU idF des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union(vom 19.8.2007, BGBl I 1970) waren. Das Ausstellen einer solchen Bescheinigung, die mit Wirkung zum 29.1.2013 im Übrigen abgeschafft worden ist (Streichung des § 5 Abs 1 FreizügG/EU in der vorbenannten Fassung durch das Gesetz zur Änderung des FreizügG/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21.1.2013, BGBl I 86), lässt keine Rückschlüsse auf das Bestehen einer materiellen Freizügigkeitsberechtigung zu.

34

Ihre Ausstellung hatte allein deklaratorische Bedeutung (BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 20; Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 5 FreizügG/EU RdNr 4; noch offengelassen BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 13; s jedoch BSG vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28 RdNr 17). Auch solange § 5 Abs 1 FreizügG/EU idF vom 19.8.2007 noch in Kraft war, erfolgte die Prüfung der Freizügigkeitsberechtigung nach den Kriterien des § 2 FreizügG/EU. Das Freizügigkeitsrecht wurde und wird originär durch den EG-Vertrag/EUV/AEUV und seine Durchführungsbestimmungen begründet und nicht durch die Ausstellung der Aufenthaltskarte (EuGH Rs Dias vom 21.7.2011 - C-325/09 - RdNr 48; s auch VG Augsburg vom 5.6.2008 - Au 1 S 08.450 - juris-RdNr 35, 36). So war umgekehrt in der Vergangenheit die Ausstellung der Bescheinigung über das Freizügigkeitsrecht keine Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Unionsbürgers im Bundesgebiet. Aufgrund der generellen Freizügigkeitsvermutung muss der Aufenthalt desjenigen Unionsbürgers, der schon bei seiner Einreise ins Bundesgebiet keinen Freizügigkeitstatbestand erfüllt hat, solange als rechtmäßig angesehen werden, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts in entsprechender Anwendung des § 5 Abs 5 FreizügG/EU in der bis Januar 2013 geltenden Fassung oder nunmehr aufgrund von § 5 Abs 4 FreizügG/EU bzw der Missbrauchstatbestände in § 2 Abs 7 FreizügG/EU festgestellt hat. Erst die ausländerbehördliche Nichtbestehens- bzw Verlustfeststellung führt zur sofortigen Ausreisepflicht nach § 7 Abs 1 FreizügG/EU. Bis dahin darf sich ein Unionsbürger unabhängig vom Vorliegen einer materiellen Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 FreizügG/EU aufgrund der generellen Freizügigkeitsvermutung im Bundesgebiet aufhalten, ohne ausreisepflichtig zu sein(vgl BT-Drucks 16/5065 S 211 zu Art 2 Nr 8 Buchst a Doppelbuchst aa).

35

(d) Diese Auslegung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II ist auch europarechtskonform. Der EuGH hat sowohl in der Rechtssache Dano (vom 11.11.2014 - C-333/13) als auch in der Rechtssache Alimanovic (vom 15.9.2015 - C-67/14) in den hier gegebenen Fallkonstellationen die Zulässigkeit der Verknüpfung des Ausschlusses von Unionsbürgern anderer Mitgliedstaaten von existenzsichernden Leistungen mit dem Bestehen eines Aufenthaltsrechts im Sinne der RL 2004/38/EG ausdrücklich anerkannt. Nach seiner Rechtsprechung sind Art 24 Abs 1 der RL 2004/38/EG iVm ihrem Art 7 Abs 1 Buchst b und Art 4 VO 883/2004/EG dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vom Bezug bestimmter "besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen" im Sinne des Art 70 Abs 2 VO 883/2004/EG ausgeschlossen werden, während Staatsangehörige des Aufnahmemitgliedstaats, die sich in der gleichen Situation befinden, diese Leistungen erhalten, sofern den betreffenden Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten im Aufnahmemitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG zusteht (EuGH Rs Dano vom 11.11.2014 - C-333/13 RdNr 84). In der Rechtssache Alimanovic hat der EuGH insoweit betont, dass Unionsbürger anderer EU-Staaten, die nach Deutschland eingereist sind, um Arbeit zu suchen, vom deutschen Gesetzgeber vom Bezug von Alg II oder Sozialgeld ausgeschlossen werden können, selbst wenn diese Leistungen als besondere beitragsunabhängige Geldleistungen im Sinne des Art 70 VO 883/2004/EG eingeordnet werden (EuGH Rs Alimanovic vom 15.9.2015 - C-67/14 RdNr 63). Beim Alg II und Sozialgeld handele es sich um Leistungen der "Sozialhilfe" im Sinne des Art 24 Abs 2 der RL 2004/38/EG. Danach haben die Aufnahmestaaten jedoch keine Verpflichtung zur Gleichbehandlung ihrer Staatsangehörigen und solcher anderer EU-Mitgliedstaaten im Hinblick auf einen Anspruch auf Sozialhilfe, wenn Letztere nicht Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder ihnen dieser Status erhalten geblieben ist bzw Familienangehörige dieser sind (s hierzu auch Kingreen in NVwZ 2015, 1503, 1505 f; Padé in jM 2015, 414, 415).

36

3. Den Klägern steht jedoch ein Recht auf Existenzsicherung durch Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII gemäß § 23 Abs 1 S 3 SGB XII in gesetzlicher Höhe gegen die Beigeladene zu.

37

a) Die Kläger waren leistungsberechtigt im Sinne des Sozialhilferechts, weil sie im streitigen Zeitraum ihren Lebensunterhalt nicht iS des § 19 Abs 1 SGB XII iVm § 27 Abs 1 SGB XII aus eigenen Kräften und Mitteln decken konnten.

38

Nach § 19 Abs 1 SGB XII ist Personen Hilfe zum Lebensunterhalt zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten können. Dies war bei den Klägern, wie eingangs dargelegt, im streitigen Zeitraum der Fall. Ihr Bedarf im sozialhilferechtlichen Sinne ist dem Grunde nach zwar teilweise dadurch gedeckt worden, dass sie - durch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zugesprochene SGB II-Leistungen - den leistungslosen Zeitraum überstanden haben (vgl BSG vom 29.9.2009 - B 8 SO 16/08 R - BSGE 104, 213 = SozR 4-1300 § 44 Nr 20, RdNr 14 mwN). Insoweit greift für einen Teil des streitigen Zeitraums die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X ein.

39

b) Einem Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII stand auch eine mangelnde Kenntnis der Beigeladenen von der Bedürftigkeit der Kläger im streitigen Zeitraum nicht entgegen. Die Kläger haben zwar "nur" Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bei dem Beklagten beantragt. Die nach § 18 Abs 1 SGB XII erforderliche Kenntnis der Beigeladenen von dem Bedarf der Kläger liegt jedoch gleichwohl vor. Die Beigeladene muss sich insoweit die Kenntnis des Beklagten aufgrund des Antrags auf SGB II-Leistungen nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG zurechnen lassen (BSG vom 2.12.2014 - B 14 AS 66/13 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 42 RdNr 25; BSG vom 13.2.2014 - B 8 SO 58/13 B - SozR 4-3500 § 25 Nr 4 RdNr 8; BSG vom 26.8.2008 - B 8/9b SO 18/07 R - SozR 4-3500 § 18 Nr 1 RdNr 22 ff).

40

c) Ebenso wenig waren die Kläger nach § 21 S 1 SGB XII von der Hilfe zum Lebensunterhalt ausgeschlossen. § 21 S 1 SGB XII bestimmt, dass Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt erhalten. Die Kläger waren im streitigen Zeitraum nicht dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II, weil sie dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II unterfielen. Dies führt dazu, sie dem System des SGB XII zuzuweisen. Die Erwerbsfähigkeit zumindest der Kläger zu 1 und 2 steht dem nicht entgegen.

41

Schon der Wortlaut des § 21 S 1 SGB XII stellt nicht ausschließlich auf das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit ab, sondern berücksichtigt einen Leistungsanspruch nach dem SGB II dem Grunde nach. Ist mithin ein Erwerbsfähiger wegen des Vorliegens der Voraussetzungen eines Leistungsausschlusses nicht leistungsberechtigt nach dem SGB II, folgt hieraus nicht zwangsläufig ein Leistungsausschluss nach dem SGB XII (BSG vom 25.9.2014 - B 8 SO 6/13 R - BSGE = SozR 4-4200 § 44a Nr 1, RdNr 11). Die "Systemabgrenzung" erfordert vielmehr eine differenzierte Betrachtung der einzelnen Leistungsausschlüsse (Eicher in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 21 RdNr 26, 34; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB XII, § 21 RdNr 46, Stand I/2014; so im Ergebnis auch Coseriu in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 23 RdNr 64). Im Grundsatz gilt für die Systemzuweisung aufgrund der Erwerbszentriertheit des SGB II, dass derjenige, der von dem auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ausgerichteten Leistungssystem des SGB II ausgeschlossen werden soll, dem System des SGB XII zugewiesen wird.

42

Auf dieser Grundlage hat das BSG bereits für andere in § 7 SGB II geregelte Leistungsausschlüsse ausdrücklich entschieden, dass die "Anwendungssperre" des § 21 S 1 SGB XII nicht greift(vgl Eicher in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 21 RdNr 34 ff). Dies gilt nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate sowohl für den Leistungsausschluss wegen einer den Regelbedarf unterschreitenden ausländischen Rentenleistung als auch den Leistungsausschluss eines Erwerbsfähigen wegen der Unterbringung in einer stationären Einrichtung oder in einem Krankenhaus nach § 7 Abs 4 S 1 SGB II. Sie sind iS des § 21 SGB XII nach dem SGB II dem Grunde nach nicht mehr leistungsberechtigt und bei Bedürftigkeit auf "die auf gleicher Grundlage wie im SGB II bemessenen und daher vom Umfang im Wesentlichen identischen Leistungen der Sozialhilfe" verwiesen(BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 20; BSG vom 2.12.2014 - B 14 AS 66/13 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 42 RdNr 10, 24; vgl auch BSG vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen - RdNr 47: vorzeitige Altersrente nach Aufforderung durch den Grundsicherungsträger). In gleicher Weise hat der für das Sozialhilferecht zuständige 8. Senat des BSG für den Leistungsausschluss bei Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneten Freiheitsentziehung entschieden. Erwerbsfähige Hilfebedürftige, die einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 4 S 2 SGB II unterfallen, können grundsätzlich Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII beanspruchen(BSG vom 12.12.2013 - B 8 SO 24/12 R - SozR 4-3500 § 67 Nr 1 RdNr 20).

43

Bezogen auf den Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II gilt nichts anderes(Berlit in Berlit/Conradis/Sartorius, Existenzsicherungsrecht, 2. Aufl 2013, Kap 12 RdNr 54; Eicher in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 21 RdNr 35). Der Ausschluss von Personen, die nicht oder nicht mehr über eine Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche verfügen, vom erwerbszentrierten Leistungssystem des SGB II führt dazu, die Sperrwirkung des § 21 SGB XII entfallen zu lassen.

44

d) Allerdings steht dem Rechtsanspruch der Kläger auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII ein Ausschluss aufgrund der Regelung des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII entgegen.

45

(aa) Die Kläger sind zwar nicht iS des § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB XII eingereist, um Sozialhilfe zu erlangen. Es mangelt hier insoweit an dem finalen Zusammenhang zwischen Einreise und Sozialhilfebezug (vgl BSG vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R - BSGE = SozR 4-3500 § 25 Nr 5, RdNr 25). Dieser Zusammenhang liegt vor, wenn der Zweck, Sozialhilfe zu erlangen, den Einreiseentschluss geprägt hat. Wie das BVerwG dies bereits zu der wortgleichen Vorschrift des § 120 Abs 3 S 1 BSHG entschieden hat, bezeichnet schon die Konjunktion "um (…) zu (…)" ein ziel- und zweckgerichtetes Handeln und damit eine Zweck-Mittel-Relation, in der die Einreise das Mittel und die Inanspruchnahme von Sozialhilfe den mit ihr verfolgten Zweck bildet(vgl BVerwG vom 4.6.1992 - 5 C 22/87 - BVerwGE 90, 212, 214; im Anschluss daran etwa LSG Berlin-Brandenburg vom 10.9.2009 - L 23 SO 117/06 - juris-RdNr 27 f; LSG Nordrhein-Westfalen vom 12.1.2009 - L 20 B 58/08 AY - juris-RdNr 25 ff; LSG Niedersachsen-Bremen vom 27.11.2008 - L 8 SO 173/08 ER - juris-RdNr 20 f). Dabei wird diese Zweck-Mittel-Relation jedoch auch dann als gegeben angesehen, wenn die Einreise des Ausländers auf verschiedenen Motiven beruht, der Zweck der Inanspruchnahme für den Einreiseentschluss jedoch von prägender Bedeutung gewesen, also nicht nur neben vorrangigen anderen Zwecken billigend in Kauf genommen worden ist (Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 RdNr 46, Stand VI/2012).

46

So liegt der Fall nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG hier nicht. Es ist keine Zweck-Mittel-Relation im eben dargelegten Sinne gegeben, denn die Kläger zu 1 und 2 sind zur Arbeitsuche eingereist. Das LSG hat dies - wenn auch die Erfolgsaussichten der Arbeitsuche für den hier streitigen Zeitraum verneinend - ausdrücklich festgestellt. So haben die Kläger zu 1 und 2, wie das LSG unter Hinweis auf die Beratungsvermerke in den Akten ausgeführt hat, mehrfach Deutschkurse beantragt und sich auch sonst um Eingliederungsleistungen bemüht. Sie haben auch nicht schon bei der Einreise oder kurz danach, sondern erstmals nach rund einem Jahr ihres Aufenthalts in Deutschland und dann erneut rund noch einmal ein weiteres Jahr später existenzsichernde Leistungen beantragt. Der Kläger zu 3 folgt dem als Familienangehöriger.

47

(bb) Die Kläger unterfallen auch nicht dem Wortlaut der Alt 2 des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII. Sie verfügten - wie unter 2.a) dargelegt - im streitigen Zeitraum nicht mehr über ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche. Dies ist nach dem Wortlaut des § 23 Abs 3 SGB XII jedoch Voraussetzung für den Ausschluss von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII. Der Ausschluss tritt danach nur dann ein, wenn ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche im streitigen Zeitraum tatsächlich gegeben ist.

48

(cc) Ebenso wie oben zum Leistungsausschluss im SGB II dargelegt, sind jedoch auch nach § 23 Abs 3 S 1 SGB XII nichtfreizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigte Ausländer von den existenzsichernden Leistungen der Sozialhilfe ausgenommen(offengelassen BSG vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R - BSGE = SozR 4-3500 § 25 Nr 5, RdNr 25; aA Herbst in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und der Sozialhilfe, Band 1 Teil II, Stand VIII/2013, § 23 SGB XII RdNr 47b; Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 RdNr 54d, Stand VI/2012).

49

Im Entwurf des Gesetzes zur Änderung des SGB XII und anderer Gesetze vom 25.9.2006 (BT-Drucks 16/2711 S 10) wird darauf hingewiesen, dass die Einfügung der Alt 2 in § 23 Abs 3 S 1 SGB XII einen der Regelung im SGB II entsprechenden Leistungsausschluss für Ausländer normiere und damit zugleich sicherstelle, dass Ausländer, die nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende hätten, auch aus dem SGB XII keine Ansprüche herleiten könnten. § 7 Abs 1 S 2 SGB II in der damaligen Fassung lautete: Ausgenommen sind Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt [und] ihre Familienangehörigen (…)(idF des Gesetzes zur Änderung des SGB II und anderer Gesetze vom 24.3.2006, BGBl I 558 mWv 1.4.2006). Es sollte damit Art 24 Abs 2 iVm Art 14 Abs 4 Buchst b der RL 2004/38/EG umgesetzt werden (BT-Drucks 16/2711 S 10). Nach Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG ist der Aufnahmemitgliedstaat - unter Hintanstellung des Gleichbehandlungsgrundsatzes - nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG (Zeitraum der Arbeitsuche, s unter 2.a) einen Anspruch auf Sozialhilfe (…) zu gewähren. Die dort vorgenommene Abgrenzung zwischen den gleich zu behandelnden Personengruppen und denen, die aus europarechtlicher Sicht von den Aufnahmestaaten von der Sozialhilfe ausgeschlossen werden dürfen, erfolgt, indem der Personenkreis der Freizügigkeitsberechtigten, die der Gleichbehandlung unterfallen, positiv benannt wird. Im Umkehrschluss ergibt sich, dass neben denen, die freizügigkeitsberechtigt wegen der Arbeitsuche sind und denen der Aufnahmestaat gleichwohl keine Sozialhilfeleistungen zu erbringen braucht, dies auch für die Nichtfreizügigkeitsberechtigten gilt. Sie unterfallen nicht dem Gleichbehandlungsgebot.

50

Soweit spätere Versuche, eine weitergehende Anpassung der Rechtslage des SGB II an das SGB XII zu bewirken, nicht erfolgreich waren (s nur BT-Drucks 16/2711 S 16; BT-Drucks 16/2753 S 1, 2; BT-Drucks 16/5527 S 15, 23; BT-Drucks 16/239 S 13, 17), sprechen diese Versuche und die Reaktionen hierauf nicht für das Erfordernis einer anderen Wertung im Hinblick auf den "Erst-Recht-Schluss" im SGB XII als im SGB II. Die zuvor beschriebene Anpassung des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII war ausreichend, um die gewünschte Parallele zum SGB II für die hier zu beurteilenden Fälle zu ermöglichen. Insbesondere bedurfte es keiner Reaktion auf die Änderung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 (BGBl I, 1970 mWv 28.8.2007). Die Umstrukturierung des S 2 und die Einfügung der Nr 1 in § 7 Abs 1 S 2 SGB II ist für das SGB XII ohne Bedeutung.

51

e) Zwar ist Rechtsfolge des Ausschlusses nach § 23 Abs 3 S 1 SGB XII, dass trotz des tatsächlichen Aufenthalts im Inland kein Rechtsanspruch auf ua Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 23 Abs 1 S 1 SGB XII besteht. In einem solchen Fall des Ausschlusses können jedoch nach § 23 Abs 1 S 3 SGB XII Leistungen der Sozialhilfe gewährt werden, wenn dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Ausschlussregelung, denn sie nimmt lediglich Bezug auf den "Anspruch" auf Sozialhilfe. Dementsprechend hat bereits das BVerwG zu der Vorschrift des § 120 Abs 3 S 1 Alt 1 BSHG befunden, dass Ausländer, die dem Leistungsausschluss unterfielen, weil sie eingereist seien, um Sozialhilfe zu erlangen, lediglich von einem Rechtsanspruch ua auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 120 Abs 1 S 1 BSHG ausgeschlossen seien(BVerwG vom 10.12.1987 - 5 C 32/85 - BVerwGE 78, 314, 316 f; Schellhorn/Jirasek/Seipp, Kommentar zum BSHG, 16. Aufl 2002, § 25 RdNr 10, § 120 RdNr 16; so auch Krahmer in LPK-BSHG, 6. Aufl 2003, § 25 RdNr 7; Birk in ders, § 120 RdNr 47). Insoweit gilt für die Regelung des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII, die der Gesetzgeber in Kenntnis der Rechtsprechung des BVerwG im Wesentlichen inhaltsgleich ausgestaltet hat(BT-Drucks 15/1514 S 58), nichts anderes (vgl BSG vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R - BSGE = SozR 4-3500 § 25 Nr 5, RdNr 28; s auch Adolph in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, § 23 SGB XII RdNr 76, Stand XII/2008; Birk in LPK-SGB XII, 10. Aufl 2015, § 23 RdNr 20; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl 2014, § 23 RdNr 42; differenzierend Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 RdNr 50, Stand VI/2012, der einen Rechtsanspruch auf die im Einzelfall gebotenen Leistungen annimmt, um zu einem Gleichklang mit § 1a AsylbLG zu gelangen).

52

Der Ausschluss nur von dem Rechtsanspruch auf die in S 1 des § 23 Abs 1 SGB XII benannten Leistungen erschließt sich auch aus dem - im Übrigen gegenüber § 120 BSHG unveränderten - systematischen Verhältnis der Regelungen der Sätze 1 und 3 in Abs 1 des § 23 SGB XII zueinander. Durch § 23 Abs 1 S 1 SGB XII erhält der Ausländer ausschließlich unter der Voraussetzung, dass er sich tatsächlich im Inland aufhält, einen Rechtsanspruch auf Leistungen der Sozialhilfe nach einem reduzierten Leistungskatalog, aber der Höhe nach uneingeschränkt. Hiervon sollen diejenigen, die die Ausschlusstatbestände des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII erfüllen, ausgeschlossen werden, nicht jedoch von dem der Sozialhilfe systemimmanenten grundsätzlichen Anspruch auf Hilfe bei bedrohter Existenzsicherung(s hierzu BVerwG vom 14.3.1985 - 5 C 145/83 - BVerwGE 71, 139; BVerwG vom 10.12.1987 - 5 C 32/85 - BVerwGE 78, 314, 317 ff). Diesem Personenkreis sollen daher nur nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens Leistungen der Sozialhilfe erbracht werden können, aber eben auch solche Leistungen, die nach S 1 des § 23 Abs 1 SGB XII vom Rechtsanspruch ausgenommen worden sind, soweit im Einzelfall geboten.

53

f) Das Ermessen des Sozialhilfeträgers ist jedoch in einem Fall wie dem vorliegenden, dem Grunde und der Höhe nach hinsichtlich der Hilfe zum Lebensunterhalt auf Null reduziert. Dies ist immer dann der Fall, wenn sich das Aufenthaltsrecht des ausgeschlossenen Ausländers verfestigt hat - regelmäßig ab einem sechsmonatigen Aufenthalt in Deutschland. Dies folgt aus der Systematik des § 23 Abs 3 S 1 Alt 2 SGB XII im Verhältnis zu § 23 Abs 1 S 1 und 3 SGB XII sowie verfassungsrechtlichen Erwägungen.

54

So bezieht sich der ausdrückliche Ausschluss der Alt 2 des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII auf den im Freizügigkeitsgesetz/EU zeitlich begrenzten Vorgang der Arbeitsuche. Unter 2.a) ist bereits dargelegt worden, dass die Freizügigkeitsberechtigung zum Zwecke der Arbeitsuche nach dem Ablauf von sechs Monaten gemäß § 2 Abs 1a FreizügG/EU idF des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften vom 2.12.2014 (BGBl I 1922) endet, wenn nicht weiterhin eine begründete Aussicht auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit besteht. Diese Begrenzung der Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche dient nach den Gesetzesmaterialien der Umsetzung von Unionsrecht in seiner Auslegung durch den EuGH, der entschieden habe, dass die Mitgliedstaaten berechtigt seien, das Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche auf einen angemessenen Zeitraum zu begrenzen, wobei der EuGH von einem Zeitraum von sechs Monaten ausgegangen sei (BT-Drucks 18/2581 S 15 zu Art 1 Nr 1 Buchst b; vgl dazu bereits BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 29). Mit dem auf den konkreten Einzelfall abstellenden Zusatz - "darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden" - nimmt die Neuregelung lediglich die Formulierung in Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG auf, enthält jedoch mit der allgemein geltenden zeitlichen Begrenzung - "für bis zu sechs Monate" - eine Typisierung. Für diese typisierte Dauer einer Arbeitsuche von sechs Monaten nach der Einreise liegt eine Aufenthaltsverfestigung noch nicht vor, weil hinter der zeitlichen Begrenzung die Erwartung steht, es handele sich um einen angemessenen Zeitraum, die Erfolgsaussichten einer Arbeitsuche in einem anderen Mitgliedstaat ohne Aufenthaltsverfestigung zu prüfen.

55

Werden diese Erwartungen enttäuscht und bleibt der tatsächliche Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland nach Ablauf von sechs Monaten bestehen, tritt im Regelfall eine Aufenthaltsverfestigung ein, der nach geltendem Recht ausländerbehördlich entgegengetreten werden kann. Bestand nie eine Freizügigkeitsberechtigung wegen eines Aufenthalts zur Arbeitsuche oder besteht diese nach Ablauf von sechs Monaten mangels begründeter Aussichten, eingestellt zu werden, nicht mehr, kann durch die Ausländerbehörde der Verlust der Freizügigkeitsberechtigung durch Verwaltungsakt festgestellt werden (Verlustfeststellung nach § 5 Abs 4 S 1 FreizügG/EU). Erst die förmliche Verlustfeststellung begründet nach § 7 Abs 1 S 1 FreizügG/EU die sofortige Ausreisepflicht, wenn nicht Rechtsschutz in Anspruch genommen wird(vgl BT-Drucks 16/5065 S 211 zu Art 2 Nr 8 Buchst a Doppelbuchst aa). In tatsächlicher Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass von der rechtlichen Möglichkeit der Verlustfeststellung nur in geringem Umfang Gebrauch gemacht wird (Thym, NZS 2014, 81, 87; BT-Drucks 17/13322 S 19). Zur Prüfung der Voraussetzungen einer Verlustfeststellung kann die zuständige Ausländerbehörde im Übrigen nach § 5 Abs 2 S 1 FreizügG/EU bereits frühzeitig, nämlich drei Monate nach der Einreise, verlangen, dass die Voraussetzungen nach § 2 Abs 1 FreizüG/EU glaubhaft gemacht werden.

56

Ist hiernach typisierend von einer Aufenthaltsverfestigung auszugehen, ist die Ermessenausübung jedoch daran zu messen, dass der Rechtsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt im Sozialhilferecht ansonsten weder nach dem Grund der Einreise, noch nach Berechtigung oder Dauer des Aufenthalts fragt. Bei der Leistungsgewährung nach dem SGB XII kommt es in erster Linie auf die Tatsache einer gegenwärtigen Hilfebedürftigkeit an (BSG vom 10.11.2011 - B 8 SO 12/10 R - SozR 4-3500 § 30 Nr 4 RdNr 26; BVerwG vom 2.6.1965 - V C 63.64 - BVerwGE 21, 208, 211; vgl auch Berlit in Berlit/Conradis/Sartorius, Existenzsicherungsrecht, 2. Aufl 2013, Kap 7 RdNr 24). Es reicht nach dem Wortlaut des § 23 Abs 1 S 1 SGB XII allein der tatsächliche Aufenthalt in Deutschland aus. Dem Leistungsberechtigten, der über kein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche mehr verfügt und "erst-recht" von dem Rechtsanspruch auf "Sozialhilfeleistungen" iS des § 23 Abs 1 S 1 SGB XII ausgeschlossen ist, mangelt es wie jedem anderen Ausländer, der sich tatsächlich im Inland aufhält - zunächst einmal ohne Freizügigkeits- oder Aufenthaltsberechtigung - an einer Aufenthaltsperspektive. Um den Gleichklang mit Letzterem zu erreichen, ist es folgerichtig, zumindest im Hinblick auf die Hilfe zum Lebensunterhalt durch eine Ermessensreduktion, bei verfestigtem Aufenthalt zu denselben Leistungen zu gelangen. Dieses nach Ablauf von regelmäßig sechs Monaten durch ein Vollzugsdefizit des Ausländerrechts bewirkte Faktum eines verfestigten tatsächlichen Aufenthalts des Unionsbürgers im Inland ist unter Berücksichtigung auch der verfassungsrechtlichen Vorgaben kein zulässiges Kriterium, die Entscheidung über die Gewährung existenzsichernder Leistungen dem Grunde und der Höhe nach in das Ermessen des Sozialhilfeträgers zu stellen.

57

Das BVerfG hat in seiner Entscheidung zum AsylbLG (vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134) im Anschluss und in Weiterentwicklung der grundlegenden Entscheidung vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12)Grundlagen und Umfang des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums näher ausgeformt. Wenn Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlten, weil sie weder aus einer Erwerbstätigkeit noch aus eigenem Vermögen oder durch Zuwendungen Dritter zu erlangen seien, sei der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen dafür Hilfebedürftigen zur Verfügung stünden. Als Menschenrecht - und dies ist hier entscheidend - stehe dieses Grundrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhielten, gleichermaßen zu (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 159 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 89, unter Hinweis auf BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12). Eine pauschale Differenzierung nach dem Aufenthaltsstatus hat das BVerfG im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung der existenzsichernden Leistungen ausdrücklich abgelehnt (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 164 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 99). Insoweit komme es für eine abweichende Bedarfsbestimmung darauf an, ob etwa wegen eines nur kurzfristigen Aufenthalts konkrete Minderbedarfe gegenüber Hilfeempfängern mit Daueraufenthaltsrecht nachvollziehbar festgestellt und bemessen werden könnten. Hierbei sei etwa zu berücksichtigen, ob durch die Kürze des Aufenthalts Minderbedarfe durch Mehrbedarfe kompensiert werden könnten, die typischerweise gerade unter den Bedingungen eines nur vorübergehenden Aufenthalts anfielen. Dies lässt sich während des Bestehens eines Aufenthaltsrechts allein zum Zwecke der Arbeitsuche über die Ermessensleistung des § 23 Abs 1 S 3 SGB XII regulieren, nicht jedoch bei verfestigtem Aufenthalt. Denn ließen sich - so das BVerfG - tatsächlich spezifische Minderbedarfe bei einem nur kurzfristigen, nicht auf Dauer angelegten Aufenthalt feststellen, und wolle der Gesetzgeber die existenznotwendigen Leistungen für eine Personengruppe deshalb gesondert bestimmen, müsse er sicherstellen, dass die gesetzliche Umschreibung dieser Gruppe hinreichend zuverlässig tatsächlich nur diejenigen erfasse, die sich regelmäßig nur kurzfristig in Deutschland aufhielten. Eine Beschränkung auf etwaige Minderbedarfe für Kurzaufenthalte komme dann nicht mehr in Betracht, wenn der tatsächliche Aufenthalt die Spanne eines Kurzaufenthalts deutlich überschritten habe. Für diese Fälle sei ein zeitnaher Übergang zu den existenzsichernden Leistungen für Normalfälle vorzusehen (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 164 ff = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 99 ff). Dies begründet im Regelfall eine Ermessensreduktion auf Null und damit eine Anpassung der Hilfe zum Lebensunterhalt für diejenigen, die sich nicht nur kurzfristig im Inland aufhalten. Denn im Übrigen weist das BVerfG darauf hin, dass eine Regelung zur Existenzsicherung vor der Verfassung nur Bestand habe, wenn Bedarfe durch Anspruchsnormen gesichert würden (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 162 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 96).

58

Tatsächliche Hinweise darauf, dass von einer Ermessensreduzierung trotz des Zeitablaufs ausnahmsweise abzusehen ist, sind den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen. Derartige Umstände können insbesondere vorliegen, wenn die tatsächlichen Lebensumstände des Unionsbürgers darauf schließen lassen, dass er nicht auf Dauer im Inland verweilen wird. Gleiches gilt, wenn die Ausländerbehörde bereits konkrete Schritte zur Beendigung des Aufenthalts eingeleitet hat. Demgegenüber haben sich die Kläger im streitigen Zeitraum bereits mehr als zwei Jahre in Deutschland aufgehalten, ohne dass derartige Maßnahmen im Raum standen.

59

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

Tenor

I. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden gemäß Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Gilt das Gleichbehandlungsgebot des Art 4 VO (EG) 883/2004 - mit Ausnahme des Exportausschlusses des Art 70 Abs 4 VO (EG) 883/2004 - auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen im Sinne von Art 70 Abs 1, 2 VO (EG) 883/2004?

2. Falls 1) bejaht wird: Sind - gegebenenfalls in welchem Umfang - Einschränkungen des Gleichbehandlungsgebots des Art 4 VO (EG) 883/2004 durch Bestimmungen in nationalen Rechtsvorschriften in Umsetzung des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG möglich, nach denen der Zugang zu diesen Leistungen ausnahmslos nicht besteht, wenn sich ein Aufenthaltsrecht des Unionsbürgers in dem anderen Mitgliedstaat allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt?

3. Steht Art 45 Abs 2 AEUV in Verbindung mit Art 18 AEUV einer nationalen Bestimmung entgegen, die Unionsbürgern, die sich als Arbeitsuchende auf die Ausübung ihres Freizügigkeitsrechts berufen können, eine Sozialleistung, die der Existenzsicherung dient und gleichzeitig auch den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert, ausnahmslos für die Zeit eines Aufenthaltsrechts nur zur Arbeitsuche und unabhängig von der Verbindung mit dem Aufnahmestaat verweigert?

II. Der Rechtsstreit wird ausgesetzt.

Gründe

1

A. Gegenstand und Sachverhalt des Ausgangsverfahrens

2

I. Streitgegenstand
Streitig ist die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für den Monat Mai 2012.

3

II. Sachverhalt
Die Kläger sind schwedische Staatsangehörige. Die 1966 in Bosnien geborene Klägerin zu 1) reiste im Juni 2010 erneut mit ihren Kindern, der im Mai 1994 geborenen Klägerin zu 2) und den in den Jahren 1998 und 1999 geborenen Klägern zu 3) und 4), in die Bundesrepublik ein. Die Kinder sind in Deutschland geboren. Den Klägern wurde am 1.7.2010 eine Bescheinigung nach § 5 FreizügG/EU erteilt. Nach ihrer Einreise bezog die Klägerin zu 1) Kindergeld für die Kläger zu 2) bis 4). Die erwerbsfähigen Klägerinnen zu 1) und 2) waren seit Juni 2010 in kürzeren Beschäftigungen bzw Arbeitsgelegenheiten von weniger als einem Jahr tätig, jedoch nicht mehr in der Zeit ab Mai 2011. Im Übrigen bezogen sämtliche Kläger SGB II-Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, die zuletzt für die Zeit vom 1.12.2011 bis 31.5.2012 bewilligt wurden (Bescheid vom 9.9.2011, Änderungsbescheide vom 26.11.2011 und 9.12.2011). Die Klägerinnen zu 1) und 2) erhielten Alg II; die Kläger zu 3) und 4) Sozialgeld für nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Bei der Leistungsbewilligung ging das beklagte Jobcenter (SGB II-Leistungsträger) davon aus, dass die Ausschlussregelung für arbeitsuchende Unionsbürger (§ 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II)nicht anwendbar gewesen sei, weil sie bei den Klägern als schwedische Staatsangehörige durch das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) verdrängt worden sei.

4

Unter Hinweis auf den von der Bundesrepublik im November 2011 erklärten Vorbehalt zum EFA hob der Beklagte die Bewilligung für den Monat Mai 2012 für die Klägerin zu 1) und ihre minderjährigen Kinder in vollem Umfang auf (Bescheid vom 2.4.2012; Widerspruchsbescheid vom 29.6.2012). Das SG hat diesen Aufhebungsbescheid aufgehoben (Urteil vom 19.12.2012). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Kläger könnten auch im Mai 2012 weiterhin SGB II-Leistungen beanspruchen. Eine wesentliche Änderung in den rechtlichen Verhältnissen sei nicht eingetreten. Zwar könnten sich die Klägerinnen zu 1) und 2) nach Beendigung der Beschäftigungen Mitte 2011 in dem streitigen Aufhebungsmonat Mai 2012 ausschließlich auf ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche berufen. Der deutsche Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II greife jedoch nicht, weil Art 4 VO (EG) 883/2004 jede Ungleichbehandlung von Unionsbürgern gegenüber den eigenen Staatsangehörigen bei den hier vorliegenden besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen untersage. Ein Wertungswiderspruch zu dem nur eingeschränkt möglichen Bezug von "Sozialhilfeleistungen" nach der FreizügigkeitsRL 2004/38/EG (insbesondere deren Art 24 Abs 2) bestehe nicht. Zudem verdränge das speziellere Gleichbehandlungsgebot nach Art 1 EFA weiterhin die Ausschlussregelung, weil der von der Bundesregierung erklärte Vorbehalt nicht durch ein Gesetz nach Art 59 Abs 2 S 1 GG in innerstaatliches Recht transformiert bzw wirksam gemacht worden sei.

5

Mit seiner Sprungrevision macht das beklagte Jobcenter geltend, der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II verstoße nicht gegen EG-Recht, weil es sich bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II um "Sozialhilfeleistungen" im Sinne des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG handele und ein Leistungsausschluss für Arbeitsuchende hiernach möglich sei. Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts hätten nicht den Zweck, den Arbeitsmarkzugang zu erleichtern, sondern dienten der Existenzsicherung. Zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt sehe das SGB II für Arbeitsuchende in den §§ 16 ff SGB II weitere Leistungen vor, die gesondert erbracht würden. § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II verstoße nicht gegen die VO (EG) Nr 883/2004. Der Leistungsausschluss verstoße auch nicht gegen das EFA, weil der von der Bundesregierung erklärte Vorbehalt wirksam sei. Wegen der fehlenden Beteiligung mehrerer Völkerrechtssubjekte könne der einseitige Vorbehalt der Bundesregierung nicht als Vertrag im Sinne des Art 59 Abs 2 S 1 GG angesehen werden und sei verfassungsgemäß.

6

Der Beklagte beantragt,
das Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.

8

III. Nationaler Rechtsrahmen

9

1. Anspruchsvoraussetzungen für SGB II-Leistungen
Die Verwaltungsakte, mit denen das beklagte Jobcenter den Klägern die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1.12.2011 bis 31.5.2012 bewilligte, waren bei ihrem Erlass rechtmäßig. Die Klägerinnen zu 1) und 2) erfüllten im Bewilligungszeitraum sämtliche Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 S 1 SGB II; hieraus leiteten sich die Ansprüche der minderjährigen Kläger zu 3) und 4) ab. Der Anspruchsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II stand ihrem Anspruch zunächst nicht entgegen, weil dieser durch Art 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens verdrängt wurde.

10

Nach der innerstaatlichen Regelung des § 19 Abs 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte Alg II (Satz 1). Nichterwerbsfähige minderjährige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Sozialgeld (Satz 2). § 7 SGB II(idF der Bekanntmachung der Neufassung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch vom 13.5.2011, BGBl I 850 ff) bestimmt die Leistungsberechtigten wie folgt:

11

§ 7 Leistungsberechtigte
 (1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die
 1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
 2. erwerbsfähig sind,
 3. hilfebedürftig sind und
 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben
 (erwerbsfähige Leistungsberechtigte). Ausgenommen sind
 1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
 2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen, …
 (2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. ..
 (3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören
 1. die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
 2. die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, …

12

Da die minderjährigen Kläger zu 3) und 4) die Altersgrenze des § 7 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB II noch nicht erreicht hatten, ergibt sich bei ihnen eine abgeleitete Anspruchsberechtigung auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Gestalt des Sozialgeldes(§ 7 Abs 2 und 3 SGB II). Bei den Klägerinnen zu 1) und 2) lagen im gesamten Bewilligungszeitraum vom 1.12.2011 bis 31.5.2012 die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 S 1 SGB II vor. Sie waren hilfebedürftig und erwerbsfähig. Nach § 7 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB II iVm § 8 Abs 1 SGB II ist erwerbsfähig, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf (nicht) absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Zur Erwerbsfähigkeit von Ausländerinnen und Ausländern bestimmt § 8 Abs 2 SGB II, dass diese im Sinne von § 8 Abs 1 SGB II nur erwerbstätig sein können, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte (Satz 1). Insofern ist auf die abstrakt-rechtliche Möglichkeit der Erteilung einer Arbeitsgenehmigung abzustellen (§ 8 Abs 2 S 2 SGB II; vgl BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 34 RdNr 15). Als schwedische Staatsangehörige benötigten die Klägerinnen wegen der ihnen zustehenden uneingeschränkten Arbeitnehmerfreizügigkeit zur Beschäftigungsaufnahme keine Arbeitsgenehmigung.

13

Sämtliche Kläger hatten auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Nach der Rechtsprechung des Senats ist das Vorliegen eines "gewöhnlichen Aufenthalts" in erster Linie nach den objektiv gegebenen tatsächlichen ("faktischen") Verhältnissen im streitigen Zeitraum zu beurteilen. Ein in anderen innerstaatlichen Sozialgesetzen zu dem gewöhnlichen Aufenthalt hinzutretendes Anspruchsmerkmal des Innehabens einer bestimmten Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU bzw - für nicht EU-Bürger - eines bestimmten Aufenthaltstitels nach dem AufenthaltsG enthält § 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II ausdrücklich nicht(vgl im Einzelnen: BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 34 RdNr 17 ff mwN). Den am 1.7.2010 erteilten Freizügigkeitsbescheinigungen (§ 5 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern vom 30.7.2004 , zuletzt geändert durch Gesetz vom 26.2.2008 ; entfallen durch Art 1 des Gesetzes zur Änderung des FreizügigkeitsG/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21.1.2013 ) kommt nach innerstaatlicher Rechtsprechung eine nur deklaratorische Bedeutung für das sich unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht ergebende Freizügigkeitsrecht zu (BT-Drucks 15/420 S 101; BSG Urteil vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28 RdNr 17; BVerwG Urteil vom 10.11.1999 - 6 C 30/98 - BVerwGE 110, 40, 53).

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2. Leistungsausschluss bei arbeitsuchenden Unionsbürgern und Europäisches Fürsorgeabkommen

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Der Anspruch der Klägerinnen zu 1 und 2 auf Alg II und damit auch der Kläger zu 3 und 4 auf Sozialgeld war - allein nach Maßgabe der Regelungen des SGB II - in der Zeit vom 1.12.2011 bis 31.5.2012 nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II ausgeschlossen, weil sich ihr Aufenthaltsrecht im streitigen Zeitraum allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergab. Die Anwendbarkeit dieser Ausschlussregelung erfordert eine "fiktive Prüfung" des Grundes bzw der Gründe der Aufenthaltsberechtigung nach dem FreizügG/EU. Das Vorliegen der Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts aus einem anderen Grund als dem Zweck der Arbeitsuche hindert die positive Feststellung eines Aufenthaltsrechts "allein aus dem Zweck der Arbeitsuche" iS von § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II(BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 34 RdNr 22 ff). Aus der Entstehungsgeschichte der Regelung ergibt sich, dass der deutsche Gesetzgeber zeitgleich mit der Erweiterung der Freizügigkeit von Arbeitnehmern zu einer allgemeinen Freizügigkeit für alle Unionsbürger mit der Ausschlussregelung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II von der "Option" des Art 24 Abs 2 iVm Art 14 Abs 4 der RL 2004/38/EG Gebrauch machen wollte(BT-Drucks 16/5065 S 234; siehe auch BT-Drucks 16/688 S 13).

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Für die Prüfung der Frage, welches Aufenthaltsrecht bei den Klägerinnen zu 1 und 2 in der Zeit vom 1.12.2011 bis 31.5.2012 vorlag, ist § 2 FreizügG/EU von Bedeutung:

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§ 2 FreizügG/EU (Recht auf Einreise und Aufenthalt)
 (1) Freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und ihre Familienangehörigen haben das Recht auf Einreise und Aufenthalt nach Maßgabe dieses Gesetzes.
 (2) Gemeinschaftsrechtlich freizügigkeitsberechtigt sind:
 1. Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer, zur Arbeitssuche oder zur Berufsausbildung aufhalten wollen,…….
 (3) Das Recht nach Absatz 1 bleibt für Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätige unberührt bei
 1. vorübergehender Erwerbsminderung infolge Krankheit oder Unfall,
 2. unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit oder Einstellung einer selbständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbständige keinen Einfluss hatte, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit,
 3. Aufnahme einer Berufsausbildung, wenn zwischen der Ausbildung und der früheren Erwerbstätigkeit ein Zusammenhang besteht; der Zusammenhang ist nicht erforderlich, wenn der Unionsbürger seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren hat.
 Bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung bleibt das Recht aus Absatz 1 während der Dauer von sechs Monaten unberührt.

18

Dem Gesamtzusammenhang der für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des SG (§ 163 SGG) ist zu entnehmen, dass sich die Klägerinnen zu 1 und 2 nicht mehr auf ein (fortwirkendes) Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmerinnen nach § 2 FreizügG/EU berufen konnten. Sie waren seit Juni 2010 nur in kürzeren Beschäftigungen bzw in Arbeitsgelegenheiten von weniger als einem Jahr tätig und seit Mai 2011 nicht mehr abhängig oder selbständig tätig. Der Senat geht daher davon aus, dass die Erwerbstätigeneigenschaft der Klägerinnen nach § 2 Abs 3 S 2 FreizügG iVm Art 7 Abs 3 Buchst c) RL 2004/38/EG - zumindest im streitigen Aufhebungszeitraum Mai 2012, aber auch schon seit Beginn der SGB II-Bewilligung ab Dezember 2011 - nicht aufrechterhalten geblieben ist(vgl auch EuGH Urteil vom 4.6.2009, Rs C-22/08/C-23/08 - Slg 2009, I-4585 = SozR 4-6035 Art 39 Nr 5 RdNr 31).

19

Nach den gleichfalls für den Senat bindenden Feststellungen des SG waren die Klägerinnen aber weiterhin als Arbeitsuchende iS von § 2 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU anzusehen. Sie haben im Inland kurzzeitige Beschäftigungen ausgeübt bzw an Arbeitsgelegenheiten teilgenommen, weshalb eine Aussichtslosigkeit ihrer Bemühungen um Erwerbstätigkeiten trotz Zeitablaufs von sechs Monaten nicht anzunehmen war (EuGH Urteil vom 26.2.1991, Rs C-292/89 , Slg 1991, I-745-780; EuGH Urteil vom 23.3.2004, Rs C-138/02 - Slg 2004, I-2703; so auch Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 2 FreizügG/EU RdNr 61 mwN; Bayerischer VGH Beschluss vom 16.1.2009 - 19 C 08.3271 - InfAuslR 2009, 144).

20

Der innerstaatliche Anspruchsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II fand daher auf die arbeitsuchenden Klägerinnen zu 1 und 2 grundsätzlich Anwendung. Sie hatten in dem Bewilligungszeitraum ab 1.12.2011 dennoch zunächst einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, weil der Anspruchsausschluss durch Art 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (Gesetz zum Europäischen Fürsorgeabkommen vom 11.12.1953 vom 15.5.1956, BGBl II 563) verdrängt wurde. Dies beruhte auf der Umsetzung des Urteils des BSG vom 19.10.2010 (B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21) durch die Jobcenter. Das BSG hatte entschieden, dass die Verpflichtung aus Art 1 EFA, Staatsangehörigen anderer vertragsschließender Staaten, die sich im Staatsgebiet erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie Bundesbürgern "Fürsorgeleistungen" zu leisten, auch die Erbringung von Leistungen der Grundsicherung nach den §§ 19 ff SGB II beinhalte.

21

3. Aufhebung der Leistungsbewilligung

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Im Hinblick auf diese Leistungsbewilligung unter Zugrundelegung von Art 1 EFA ist im Mai 2012 eine Änderung eingetreten, die das beklagte Jobcenter nach § 40 Abs 1 SGB II iVm § 48 Abs 1 S 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) berechtigte, die anfänglich rechtmäßige laufende Bewilligung der SGB II-Leistungen aufzuheben. Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eintritt, ist der Verwaltungsakt nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.

23

Eine solche Änderung in den rechtlichen Verhältnissen liegt hier darin, dass die Bundesregierung am 19.12.2011 gegen die Anwendung des SGB II im Rahmen des EFA einen Vorbehalt nach Art 16 Abs b EFA angebracht hat. Der Vorbehalt (idF der Bekanntmachung vom 31.1.2012 in BGBl II 144, berichtigt durch Bekanntmachung zum Europäischen Fürsorgeabkommen vom 3.4.2012 in BGBl II 470) hat folgenden Inhalt: "Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland übernimmt keine Verpflichtung, die im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - in der jeweils geltenden Fassung vorgesehenen Leistungen an Staatsangehörige der übrigen Vertragsstaaten in gleicher Weise und unter den gleichen Bedingungen wie den eigenen Staatsangehörigen zuzuwenden." Auf der Grundlage von Art 16 Abs c EFA ist dieser Vorbehalt den Mitgliedern des Europarates durch Veröffentlichung auf den aktuellen Seiten des Europarates mitgeteilt worden. Der Senat geht nach seiner Vorprüfung im Rahmen des Vorlageverfahrens davon aus, dass der Vorbehalt wirksam ist. Die Erbringung von Sozialhilfeleistungen nach dem SGB XII als Fürsorge im Sinne von Art 1 EFA ist nicht ausgeschlossen. Das innerstaatliche Recht dürfte entsprechend auszulegen sein.

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B. Vorlagefragen und Entscheidungserheblichkeit

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I. Unionsrechtlicher Rechtsrahmen

26

Es finden die Bestimmungen des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) in der Fassung des Vertrags von Lissabon vom 13.12.2007 (BGBl II 2008, 1038) Anwendung. Weiter gilt für den vorliegenden Sachverhalt die VO (EG) 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, die mit Wirkung zum 1.5.2010, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Durchführungsverordnung VO (EG) 987/2009, die VO (EWG) Nr 1408/71 abgelöst hat (Art 91 VO 883/2004, Art 97 VO 987/2009). Schließlich ist die Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, von Bedeutung.

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Der Senat setzt das Verfahren nach Art 267 Abs 1 und Abs 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) aus, um eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zu den eingangs formulierten Vorlagefragen einzuholen. Der Senat hat Zweifel an der Auslegung des Unionsrechts (Art 267 Abs 2 AEUV).

28

II. Entscheidungserheblichkeit für das Ausgangsverfahren

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Die zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen sind zur Überzeugung des Senats für den Ausgang des Rechtsstreits entscheidungserheblich. Würde die vorgelegte Frage 1 bejaht und die Frage 2 verneint, hätte die Revision des beklagten Jobcenters voraussichtlich keinen Erfolg und die positive Entscheidung des Sozialgerichts würde bestätigt. Würde die Frage 1 verneint, aber die Frage 3 bejaht, wäre die Revision aus anderen Gründen zurückzuweisen. Dagegen wäre die Revision des beklagten Jobcenters voraussichtlich erfolgreich, wenn die Fragen 1 und 3 verneint würden.

30

Der Ausgang des Rechtsstreits hängt davon aus, ob die Ausschlussregelung des Art 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II mit europäischem Primär- und Sekundärrecht vereinbar ist. Nachfolgend werden die Zweifel des Senat an der Auslegung von Vorschriften des Unionsrechts (Art 267 Abs 2 AEUV), die für das Ausgangsverfahren entscheidungserheblich sind, anhand der Vorlagefragen erläutert. In diesem Zusammenhang möchte das vorlegende Gericht darauf hinweisen, dass die Auslegungsfragen Gegenstand zahlreicher und in der Auslegung europäischen Rechts unterschiedlicher sozialgerichtlicher Entscheidungen, zumeist in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sind, die nachfolgend nur exemplarisch wiedergegeben werden können.

31

Ein Anspruch der Kläger auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II könnte (weiterhin) bestanden haben, wenn die Ausschlussregelung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II auf die Klägerinnen zu 1 und 2 schon wegen Verstoßes gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art 4 VO (EG) 883/2004 unanwendbar war. Als Rechtsfolge des Gleichbehandlungsgebots des Art 4 VO (EG) 883/2004 in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens kommt in Betracht, dass den Angehörigen der benachteiligten Gruppe, also hier den Klägerinnen zu 1) und 2) als Unionsbürgerinnen anderer Mitgliedstaaten, die SGB II-Leistungen unter denselben Bedingungen wie deutschen Staatsangehörigen, also unter vollständigem Wegfall der Ausschlussregelung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II, zu erbringen sind, solange keine geeignete und nicht diskriminierende Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung erlassen worden sind(vgl EuGH Urteil vom 22.6.2011 - Rs C-399/09 , Slg 2011, I-5573 ff).

32

Die Klägerin zu 1) - und damit auch die Kläger zu 2) bis 4) als deren Familienangehörige - unterfallen dem persönlichen Geltungsbereich der VO (EG) 883/2004. Nach Art 2 Abs 1 VO (EG) 883/2004 gilt diese Verordnung für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten sowie für ihre Familienangehörigen. Unter "Rechtsvorschriften" sind nach Art 1 Buchst I VO(EG) 883/2004 für jeden Mitgliedstaat die Gesetze, Verordnungen, Satzungen und alle anderen Durchführungsvorschriften in Bezug auf die in Art 3 Abs 1 VO (EG) 883/2004 genannten Zweige der sozialen Sicherheit zu verstehen. Damit wird ein Bezug des Betreffenden zu einem Sozialversicherungs- oder Familienleistungssystem in einem der Mitgliedstaaten gefordert. Wie das SG festgestellt hat, ist der persönliche Anwendungsbereich bereits deshalb eröffnet, weil die Klägerin zu 1) für die weiteren Kläger Kindergeld, also eine Familienleistung im Sinne von Art 3 Abs 1 Buchst j VO (EG) 883/2004 iVm Art 1 Buchst z VO(EG) 883/2004, bezogen hat.

33

Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II sind besondere beitragsunabhängige Geldleistungen im Sinne von Art 70 VO (EG) 883/2004. Durch das Erfordernis der Erwerbsfähigkeit (§ 7 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB II) als Voraussetzung für die Leistungsberechtigung eines Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft besteht ein Bezug zu den Leistungen bei Arbeitslosigkeit iS des Art 3 Abs 1 Buchst h VO (EG) 883/2004. Anders als die beitragsbezogene Versicherungsleistung des Alg I nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) werden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, aber unabhängig von Beschäftigungs-, Mitglieds- oder Beitragszeiten gewährt und haben keine an den bisherigen Verdienst anknüpfende Entgeltersatzfunktion. Die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts hängt allein vom Vorliegen von Bedürftigkeit ab. Es erfolgt eine beitragsunabhängige Finanzierung durch Steuermittel (vgl hierzu ausführlich: BSG Urteil vom 18.1.2011 - B 4 AS 14/10 R - BSGE 107, 206 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 22, RdNr 17 ff mwN; BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 29).

34

Ob das Gleichbehandlungsgebot nach Art 4 VO (EG) 883/2004 nach seinem sachlichen Anwendungsbereich - mit Ausnahme des Exportausschlusses des Art 70 Abs 4 VO (EG) 883/2004 - auch auf besondere beitragsunabhängige Geldleistungen anwendbar ist, hängt davon ab, wie der Begriff der "Rechtsvorschriften" in Art 4 VO (EG) 883/2004 auszulegen ist. Es sind verschiedene Auslegungen denkbar. Insofern wird dieser Begriff in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung dahin verstanden, dass nur die Rechtsvorschriften iS der Legaldefinition des Art 1 lit I VO (EG) 883/2004 erfasst sind und sich das Gleichbehandlungsgebot nur auf die im Einzelnen aufgeführten Zweige der sozialen Sicherheit nach Art 3 Abs 1 VO (EG) 883/2004 bezieht (vgl zB LSG Rheinland-Pfalz Beschluss vom 21.8.2012 - L 3 AS 250/12 B ER - NZS 2013, 34 ff, juris RdNr 21 ff). Für diese Ansicht spricht, dass sich der Begriff der Rechtsvorschriften in Art 1 Buchst j VO (EWG) 1408/71 nach der abweichenden Systematik der Regelungen zu den beitragsunabhängigen Sonderleistungen nach der früheren VO (EWG) 1408/71 - neben den in Art 4 Abs 1 und 2 dieser Verordnung genannten Zweige und Systeme der sozialen Sicherheit - ausdrücklich auf die in Art 4 Abs 2a der VO (EWG) 1408/71 näher definierten beitragsunabhängigen Sonderleistungen bezog. Die nunmehr in Art 3 Abs 3 VO (EG) 883/2004 enthaltene Bezugnahme auf Art 70 VO (EG) 883/2004 beinhaltet nach dieser Ansicht, dass eine Sozialrechtskoordinierung bei den besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen ausschließlich nach den Bestimmungen des Art 70 VO (EG) 883/2004 nur eingeschränkt und ohne Anwendbarkeit des Gleichbehandlungsgebots des Art 4 VO (EG) 883/2004 stattfindet.

35

Nach anderer Auffassung unterfallen auch nach der VO (EG) 883/2004 - wie zuvor nach der (EWG) 1408/71 - sämtliche beitragsunabhängigen besonderen Geldleistungen mit Ausnahme der in Art 70 Abs 3 VO (EG) 883/2004 direkt genannten Ausschlüsse uneingeschränkt dem sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung, also auch dessen Art 4 VO (EG) 883/2004 (vgl zB Bayrisches LSG Urteil vom 19.6.2013 - L 16 AS 847/12 - juris RdNr 60 ff, anhängig BSG B 14 AS 51/13 R). Zu dieser Ansicht neigt auch das vorlegende Gericht. Hierfür spricht, dass mit der Einbeziehung sämtlicher Unionsbürger durch die Neuformulierung des persönlichen Anwendungsbereichs der Verordnung nicht gleichzeitig hinter den Stand der Koordinierung besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen nach der VO (EWG) 1408/71 zurückgegangen werden sollte. Hierfür spricht auch, dass Art 70 Abs 3 VO (EG) 883/2004 den Ausschluss nur der "Rechtsvorschriften” des Titels III beinhaltet. Der EuGH hat - in anderem Zusammenhang - in einer aktuellen Entscheidung zudem ausgeführt, dass der in der VO (EWG) 1408/71 an verschiedenen Stellen verwendete Begriff der "Rechtsvorschriften" nicht nur nach seinem Wortlaut, sondern auch nach seinem Kontext und den jeweiligen Zielen auszulegen sei (EuGH Urteil vom 10.10.2013 - Rs C-321/12 , ABl EU 2013, Nr C 344, 33 f).

36

III. zur Frage 2

37

Wenn eine Anwendbarkeit des Gleichbehandlungsgebots des Art 4 VO (EG) 883/2004 auch auf beitragsunabhängige besondere Geldleistungen zu bejahen ist, ist die nationale Regelung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II unmittelbar diskriminierend. Nach Art 4 VO (EG) haben Personen, wie die Klägerinnen, die in den Anwendungsbereich der VO fallen, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates vorbehaltlich abweichender Regelungen der VO. § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II knüpft für den Anspruchsausschluss arbeitsuchender Unionsbürger unmittelbar an die Staatsangehörigkeit an. Während deutsche Arbeitsuchende regelmäßig einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II haben, ist ein solcher Anspruch für andere Unionsbürger für die Dauer ihres Aufenthaltsrechts zur Arbeitsuche ausgeschlossen.Das deutsche Recht lässt keine Auslegung dergestalt zu, dass arbeitsuchenden Unionsbürgern, etwa im vorliegenden Fall einer weitgehenden sozialen Integration der gesamten Familie in Deutschland, dennoch SGB II-Leistungen erbracht werden könnten. Vor diesem Hintergrund bezieht sich die zweite Vorlagefrage auf die Tragweite des Gleichbehandlungsgebots des Art 4 VO (EG) 883/2004, aber auch des Diskriminierungsverbots des Art 18 AEUV, bei beitragsunabhängigen besonderen Geldleistungen.

38

Die Fragestellung bezieht sich zunächst auf die Auslegung der in Art 4 VO (EG) 883/2004 enthaltenen Formulierung "sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist". Mit Hinweis auf deren Wortlaut wird diese Einschränkung in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung zT so verstanden, dass sich Abweichungen vom Gleichbehandlungsgebot ausschließlich aus der Verordnung selbst ergeben können, etwaige Rechtfertigungsgründe für eine Ungleichbehandlung also ausdrücklich in der VO (EG) 883/2004 selbst festgelegt sein müssen (vgl zB Hessisches LSG Beschluss vom 30.9.2013 - L 6 AS 433/13 B ER - juris RdNr 33 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Nach dieser Ansicht ist eine Ungleichbehandlung in Anwendung des Art 70 Abs 4 VO (EG) 883/2004 nur insofern möglich, als die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen nicht exportierbar sind.

39

Es wird jedoch auch die Auffassung vertreten, dass bei beitragsunabhängigen besonderen Geldleistungen Einschränkungen des Gleichbehandlungsgebots des Art 4 VO (EG) 883/2004 in Umsetzung der Regelung des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG möglich sind (LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 23.5.2012 - L 9 AS 347/12 B ER - juris RdNr 35 ff). Insofern wird die gleichfalls dem europäischen Sekundärrecht zuzuordnende Regelung des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG von anderen Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit als "anderweitige Bestimmung" iS des Art 4 VO (EG) 883/2004 angesehen. Alternativ wird davon ausgegangen, dass die in Art 70 Abs 4 VO (EG) 883/2004 enthaltene Formulierung, nach welcher der Mitgliedstaat die beitragsunabhängigen besonderen Geldleistungen "nach dessen Rechtsvorschriften gewährt", eine "anderweitige Bestimmung" iS des Art 4 VO (EG) 883/2004 und Abweichung vom strikten Gleichbehandlungsgebot ermöglicht. Insofern hält der Senat für klärungsbedürftig, ob der in Art 70 Abs 4 VO (EG) 883/2004 enthaltene Begriff "nach dessen Rechtsvorschriften" ausschließlich regelt, dass auch dann nur die Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats Anwendung finden, wenn die betreffende Person nach den Regelungen der Art 11 ff VO (EG) 883/2004 eigentlich den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats unterliegt (vgl Otting in Hauck/Noftz, EU-Sozialrecht, Art 70 VO 883/2004 RdNr 26, Stand 4/2012). Nach anderer Auslegung beinhaltet die Formulierung des Art 70 Abs 4 VO (EG) 883/2004, wonach die besonderen beitragsunabhängigen Leistungen "nach dessen Rechtsvorschriften gewährt werden", gleichzeitig eine Abweichungsmöglichkeit vom Gleichbehandlungsgebot des Art 4 VO (EG) 883/2004, also eine "Öffnungsklausel" für eine Leistungsgewährung besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen nach nationalen Rechtsvorschriften.

40

Geht man davon aus, dass Art 70 Abs 4 VO (EG) 883/2004 bei beitragsunabhängigen besonderen Geldleistungen eine Abweichung vom Gleichbehandlungsgebot ermöglicht, soweit die Einschränkung selbst im Einklang mit Gemeinschaftsrecht steht (so wohl EuGH Urteil vom 19.9.2013, Rs C-140/12 , Abl EU 2013, C 344, 26), ist nach Auffassung des Senats weiter klärungsbedürftig, ob eine nationale Regelung wie die des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II als zulässige Umsetzung des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG angesehen werden kann.

41

Nach Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG ist der jeweilige Aufnahmestaat abweichend von dem Gleichbehandlungsgebot des Art 24 Abs 1 RL 2004/38/EG nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Art 14 Abs 4 Buchst b) RL 2004/38/EG einen Anspruch auf Sozialhilfe oder vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt Studienbeihilfen, einschließlich Beihilfen zur Berufsausbildung, in Form eines Stipendiums oder Studiendarlehens, zu gewähren. Insofern geht der Senat unter Berücksichtigung der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Brey (EuGH Urteil vom 19.9.2013 - Rs C-140/12 - ABl EU 2013, C 344, 26), die einen wirtschaftlich nicht aktiven Unionsbürger betraf, davon aus, dass - wegen der unterschiedlichen Zielsetzungen der VO (EG) 883/2004 und der RL 2004/38/EG - die Charakterisierung als besondere beitragsunabhängige Geldleistung nach Art 70 VO (EG) 883/2004 einer Einordnung als Sozialhilfe im Sinne von Art 24 Abs 2 der RL 2004/38/EG nicht entgegensteht (vgl bereits BVerwG Urteil vom 31.5.2012 - 10 C 8/12 - juris RdNr 25 mwN; zweifelnd noch Urteil des Senats vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 34). Weiter sind die hier allein streitigen SGB II-Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach ihrer Ausgestaltung auch "Sozialhilfeleistungen" im Sinne der RL 2004/38/EG. Dieser Begriff bezieht sich nach der Entscheidung des EuGH in Sachen Brey auf sämtliche von öffentlichen Stellen eingerichteten Hilfesysteme, die auf nationaler, regionaler oder örtlicher Ebene bestehen und die ein Einzelner in Anspruch nimmt, der nicht über ausreichende Existenzmittel zur Bestreitung seiner Grundbedürfnisse und derjenigen seiner Familie verfügt und deshalb während seines Aufenthalts möglicherweise die öffentlichen Finanzen des Aufnahmemitgliedstaats belasten muss, was Auswirkungen auf das gesamte Niveau der Beihilfe haben kann, die dieser Staat gewähren kann. Weitere Erfordernisse hat der EuGH in seiner Entscheidung in Sachen Brey (EuGH Urteil vom 19.9.2013 - Rs C-140/12 - ABl EU 2013, C 344, 26, RdNr 61) nicht formuliert.

42

Bezogen auf die zweite Vorlagefrage hält es der Senat vor diesem Hintergrund für klärungsbedürftig, ob ein ausnahmsloser Ausschluss von Sozialhilfeleistungen möglich ist, wenn sich ein Aufenthaltsrecht des Unionsbürgers allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. Aus der Entstehungsgeschichte des Art 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II ergibt sich, dass der deutsche Gesetzgeber von der Ermächtigung des Art 24 Abs 2 iVm Art 14 Abs 4 der RL 2004/38/EG auch im Bereich des SGB II für die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts Gebrauch machen wollte (siehe BT-Drucks 16/688 S 13), um einer unangemessenen Inanspruchnahme der SGB II-Leistungen durch Arbeitsuchende aus anderen Mitgliedstaaten entgegenzuwirken. Dies betrifft Unionsbürger, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben und deren Aufenthalt nicht beendet werden kann bzw wird, die als Arbeitsuchende jedoch nicht (mehr) über ausreichende Existenzmittel im Sinne des Art 7 Abs 1 Buchst b RL 2004/38/EG verfügen. Für die Möglichkeit eines Ausschlusses spricht, dass die existenzsichernden Leistungen nach dem SGB II für einen zeitlich begrenzten Zeitraum nur dieses Aufenthaltsrechts nicht erbracht werden. Auch können Arbeitslose, die sich in einen anderen Mitgliedstaat begeben, ihren Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit für einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten in einen anderen Mitgliedstaat mitnehmen (Art 64 VO 883/2004).

43

Die in Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG enthaltene Formulierung "oder ggf für einen längeren Zeitraum" könnte allerdings auch so auszulegen sein, dass nationale Regelungen bei einem Ausschluss Arbeitsuchender von Sozialhilfeleistungen für mehr als drei Monate eine Einzelfallprüfung zulassen müssen. Insofern erscheint dem Senat unabhängig von dem Kriterium einer schon bestehenden Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt (vgl hierzu 3) klärungsbedürftig, ob eine verhältnismäßige Ausgestaltung der Ausschlussregelung für Arbeitsuchende im Sinne des Diskriminierungsverbots des Art 18 AEUV erfordert, dass besondere Umstände, etwa - wie im vorliegenden Fall - die gesamte Dauer eines (auch früheren) Aufenthalts im anderen Mitgliedstaat und eine weitgehende Integration auch bei arbeitsuchenden Unionsbürgern zu berücksichtigen sind. Im vorliegenden Fall hängt die Entscheidung des Rechtsstreits auch von dieser Fragestellung ab.

44

3. Unabhängig von einem möglichen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art 4 VO (EG) 883/2004 könnten - in der hier vorliegenden Fallkonstellation - die spezifischen Freizügigkeitsrechte der Klägerinnen zu 1) und 2) als im Mai 2012 Arbeitsuchende ihrem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II entgegenstehen. In seinem Urteil vom 4.6.2009 (C-22/08, C-23/08 - Slg 2009, I-4585 = SozR 4-6035 Art 39 Nr 5 RdNr 31) hat der EuGH unter Bezugnahme auf seine bisherige Rechtsprechung ausgeführt, dass es angesichts der Einführung der Unionsbürgerschaft und der Auslegung, die das Recht der Unionsbürger auf Gleichbehandlung in der Rechtsprechung erfahren habe, nicht mehr möglich sei, vom Anwendungsbereich des Art 39 Abs 2 EG (nunmehr Art 45 Abs 2 AEUV) im Lichte des Art 12 EG (nunmehr Art 18 AEUV; vgl EuGH Urteil vom 25.10.2012 - Rs C-367/11 -ABl EU 2012, C 399, 6 - zur Veröffentlichung in Slg 2012 vorgesehen, RdNr 23) eine finanzielle Leistung auszunehmen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats erleichtern solle. Es sei jedoch legitim, dass ein Mitgliedstaat eine solche Beihilfe erst leiste, nachdem das Bestehen einer tatsächlichen Verbindung des Arbeitsuchenden mit dem Arbeitsmarkt dieses Staates festgestellt worden sei (aaO mwN). Insofern hält der Senat für klärungsbedürftig, ob die nationale Regelung gegen europäisches Primärrecht verstößt, weil sie eine solche Prüfung für die Dauer eines Aufenthaltsrechts als Arbeitsuchende nicht ermöglicht. Dies dürfte davon abhängen, ob bei einem alleinigen Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche generell eine ausreichende Verbindung zum Arbeitsmarkt des Mitgliedstaats verneint werden kann.

45

Die dritte Vorlagefrage geht davon aus, dass sich bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II - auch wenn diese "Sozialhilfeleistungen" im Sinne von Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG sind - nach der vom deutschen Gesetzgeber festgelegten Ausgestaltung des Systems existenzsichernder Leistungen aus Steuermitteln gleichzeitig auch um Leistungen handelt, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern (vgl Schlussanträge des Berichterstatters Colomer in der Rs C-22/08 vom 12.3.2009, Slg 2009, I-4585, RdNr 57; anders das vor der Entscheidung Brey ergangene Urteil des EuGH vom 4.6.2009 in der Rs C-22/08, C 23/08 , Slg 2009, I-4585, RdNr 45; aA Vorlagebeschluss des SG Leipzig vom 3.6.2013 - S 17 AS 2198/12 - juris RdNr 64 ff). Dabei versteht der Senat die bisherige Rechtsprechung des EuGH so, dass diese Leistungen nicht eigens oder ausschließlich auf die Eingliederung des Empfängers in den Arbeitsmarkt gerichtet sein müssen. Ausreichend dürfte sein, dass die Sozialleistung den Zugang zum Arbeitsleben erleichtert (vgl EuGH Urteil vom 23.3.2004 in der Rs C-138/02 - Slg 2004, I-2703, RdNr 68; EuGH Urteil vom 25.10.2012 - Rs C-367/11 ABl EU 2012, C 399, 6 - zur Veröffentlichung in Slg vorgesehen, RdNr 25 mwN). Dabei ist der nationale Gesetzgeber bei der Ausgestaltung von Sozialleistungen europarechtlich grundsätzlich nicht auf ein bestimmtes sozialpolitisches Konzept festgelegt (vgl EuGH Urteil vom 14.12.1995 - C-317/93 - Slg 1995, I-4625 ff, RdNr 33 = SozR 3-6083 Art 4 Nr 11; vgl auch den vierten Erwägungsgrund der VO 883/2004).

46

Mit der kompletten Neustrukturierung der existenzsichernden Leistungen seit dem Jahre 2005 hat sich der bundesdeutsche Gesetzgeber im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit bei existenzsichernden Leistungen, die aus Steuermitteln finanziert werden, für eine stärkere Aktivierung erwerbsfähiger Personen im Sinne einer Arbeitsmarktintegration entschieden. Für die Anspruchsberechtigung nach dem SGB II wird primär auf die Erwerbsfähigkeit der bedürftigen Personen abgestellt, die das maßgebliche Abgrenzungskriterium für eine Zuordnung zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II darstellt (BT-Drucks 17/1940 S 20 zu Nr 8). Da nach § 8 Abs 1 SGB II bereits erwerbsfähig ist, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf (nicht) absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein, ist die weitaus überwiegende Zahl der auf existenzsichernde Leistungen angewiesenen Personen dem SGB II zugeordnet. Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII) erhalten seit 2005 nur noch diejenigen, die nicht nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind (§ 21 SGB XII).

47

Für die Einordnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II als Leistungen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen, spricht daher zunächst die Anspruchsvoraussetzung der Erwerbsfähigkeit (vgl EuGH Urteil vom 4.6.2009, Rs C-22/08, C-23/08 - Slg 2009 I-4585, RdNr 43 f). Die Zuordnung zu dem Leistungssystem des SGB II und die damit verbundene Zuständigkeit der mit der Arbeitsmarkintegration erfahrenen Jobcenter erleichtert den Zugang zum Arbeitsmarkt. Weiter enthält das SGB II in einem gesonderten Kapitel die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit, die spezielle, für die Personengruppe der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten nach dem SGB II vorgesehene Leistungen enthalten (zB Einstiegsgeld nach § 16b SGB II "wenn dies zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt erforderlich ist"; Arbeitsgelegenheiten nach § 16d SGB II "zur Erlangung oder Wiedererlangung ihrer Beschäftigungsfähigkeit, die für eine Eingliederung in Arbeit erforderlich ist"; Förderung von Arbeitsverhältnissen durch Zuschüsse zum Arbeitsentgelt an Arbeitgeber für die Beschäftigung zugewiesener erwerbsfähiger Leistungsberechtigter nach § 16e SGB II).

48

Vor dem Hintergrund einer Einordnung der SGB II-Leistungen als solche Sozialleistungen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern, hält der Senat für klärungsbedürftig, ob die Ausschlussklausel des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II mit europäischem Primärrecht konform ist. Gegen die Verhältnismäßigkeit der Regelung könnte insofern sprechen, dass gerade bei guten Aussichten der Arbeitsuche und Vermittlung, also weiterhin - über drei bzw sechs Monate hinaus - bestehendem Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche, der Ausschluss von den SGB II-Leistungen ohne gesetzlich fixierte Endgrenze fortbesteht. Es ist fraglich, ob eine zulässige Typisierung vorliegt, wenn die nationale Regelung davon ausgeht, dass für eine nicht im vorhinein eindeutig festgelegte Zeit regelmäßig keine ausreichende Verbindung zum innerstaatlichen Arbeitsmarkt bestehen kann. Für Unionsbürger mit einem Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitsuche lässt die Ausschlussregelung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II keine einzelfallbezogene Berücksichtigung einer dennoch bestehenden Verbindung mit dem zum innerstaatlichen Arbeitsmarkt bzw einer sonstigen tatsächlichen Verbindung zum Aufnahmemitgliedstaat(EuGH Urteil vom 21.7.2011 - Rs C-503/09 - Slg 2011, I-6497, RdNr 104) zu. Der Ausgangssachverhalt verdeutlicht dies. Die Klägerinnen waren bereits früher im Bundesgebiet wirtschaftlich aktiv, hatten eine langjährige Verbindung zu Deutschland und haben unmittelbar nach Ablauf des hier streitigen Zeitraums eine berufliche Tätigkeit aufgenommen. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass sie trotz ihres aufenthaltsrechtlichen Status als arbeitsuchende Unionsbürger durchgehend bereits eine tatsächliche Verbindung mit dem Arbeitsmarkt in Deutschland hatten. Auch die dritte Vorlagefrage ist daher für den Rechtsstreit entscheidungserheblich.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Mai 2012 und das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 3. März 2011 sowie der Bescheid der Beklagten vom 28. Juli 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August 2010 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 6. Juli 2010 bis 4. Oktober 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu zahlen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 6.7.2010 bis 4.10.2010.

2

Die 1988 geborene Klägerin bulgarischer Staatsangehörigkeit reiste am 28.7.2009 mit einem bulgarischen Reisepass über den Grenzübergang Gradina (Bulgarien) aus und zu einem späteren, nicht exakt bekannten Zeitpunkt in die Bundesrepublik ein. Einwohnermelderechtlich wurde sie erstmals am 8.4.2010 "aus Bulgarien kommend" in Stuttgart erfasst. In der Zeit vor dem 8.4.2010 verfügte sie nicht über eine Arbeitserlaubnis und war nicht als Beschäftigte (bei einer Einzugsstelle oder der Minijobzentrale) gemeldet. Die Klägerin war seit Januar 2010 schwanger und wurde am 27.10.2010 von einem Mädchen entbunden. Am 6.7.2010 beantragte sie bei dem Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Bei Antragstellung gab sie an, Vater des erwarteten Kindes sei ihr Lebensgefährte. Zu diesem Zeitpunkt hatte dieser als griechischer Staatsangehöriger einen mehr als achtjährigen rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland zurückgelegt. Die Klägerin wies durch eine Urkunde des Jugendamts vom 20.7.2010 die Anerkennung der Vaterschaft nach. Über eine von ihr am 21.7.2010 bei der BA beantragte Erteilung einer Arbeitsgenehmigung-EU ohne Bezug zu einer konkreten Beschäftigung wurde zunächst nicht entschieden.

3

Der Beklagte lehnte den Antrag auf Leistungen nach dem SGB II ab (Bescheid vom 28.7.2010; Widerspruchsbescheid vom 10.8.2010). Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 3.3.2011). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 16.5.2012). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Klägerin verfüge über einen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet. Nach allen Erkenntnissen des Verfahrens habe sie bereits im Streitzeitraum beabsichtigt, in Deutschland zu bleiben. Ihr Aufenthalt sei auch in einer Weise verfestigt gewesen, dass von seiner Dauerhaftigkeit auszugehen sei. Die Anmietung einer Wohnung mit dem Lebensgefährten sei geplant gewesen. Das erwartete Kind habe von seiner Geburt an die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben dürfen, weil sein Vater einen mehr als achtjährigen rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland zurückgelegt habe. Die Klägerin sei nicht aus Rechtsgründen iS von § 8 Abs 2 SGB II als erwerbsunfähig einzustufen gewesen. Auch ein Unionsbürger, der noch nicht die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit genieße, sondern einer Arbeitserlaubnis bedürfe, sei zumindest dann erwerbsfähig iS von § 8 SGB II, wenn der Erlaubnisvorbehalt allein aus Nachrangigkeitsgründen bestehe und daher zumindest eine Arbeitserlaubnis-EU erteilt werden könne. Dies sei bei der Klägerin der Fall.

4

Der Leistungsanspruch sei jedoch nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II ausgeschlossen, weil die Klägerin im streitigen Zeitraum allenfalls aus Gründen der Arbeitsuche aufenthaltsberechtigt gewesen sei. Andere Aufenthaltsgründe lägen nicht vor. Insbesondere sei die Klägerin in Deutschland nicht als oder wie eine Arbeitnehmerin beschäftigt gewesen. Im Hinblick auf ihr Kind habe die Klägerin kein Aufenthaltsrecht als Familienangehörige erwerben können, weil sie erst ab Geburt des Kindes "Verwandte" iS von § 3 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU gewesen sei. Ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot aus Art 4 iVm Art 70 der Verordnung (EG) Nr 883/2004 liege nicht vor. Dieses trete hinter die Regelung in Art 24 Abs 2 der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG) zurück. Zur Sozialhilfe iS des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG zählten auch die Regelleistung und die Leistungen für Unterkunft und Heizung nach den §§ 20, 22 SGB II sowie - im Fall der Klägerin - die Mehrbedarfsleistungen für Schwangere. Diesen Leistungen fehle der spezifische Bezug zum Arbeitsmarkt, der einen Vorrang der VO (EG) Nr 883/2004 gegenüber der FreizügRL begründe. § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II iVm Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG sei als speziellere Regelung anwendbar. Auch ein Verstoß des § 7 Abs 1 S 2 SGB II gegen die Regelungen des EFA sei nicht ersichtlich, weil Bulgarien nicht Signatarstaat sei.

5

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin, das Berufungsurteil trage dem Schutz des ungeborenen Lebens nicht ausreichend Rechnung. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zu den aufenthaltsrechtlichen Vorwirkungen der bevorstehenden Vaterschaft eines bereits im Bundesgebiet lebenden Ausländers hinsichtlich seines ungeborenen Kindes sei übertragbar. Dies folge aus dem Schutz der Familie nach Art 6 Abs 1 GG und der aus Art 2 Abs 2 S 1 und Art 1 Abs 1 GG abzuleitenden Schutzpflicht für die Gesundheit der werdenden Mutter und des ungeborenen Kindes. Es sei dem Vater zu ermöglichen, den in § 1615f BGB festgelegten Unterhalt als Naturalunterhalt zu erbringen. Dass der Unionsgesetzgeber eine solche Situation nicht vorhergesehen habe, führe allenfalls dazu, dass sich das Aufenthaltsrecht nicht aus dem Sekundär- sondern dem Primärrecht ergebe. Die werdende Mutter habe in der Zeit der Schwangerschaft einen aufenthaltsrechtlich geschützten Anspruch auf Beistand durch den "werdenden" Vater. Leistungsansprüche im Rahmen der sozialen Koordinierung seien durch die Unionsbürger-Richtlinie nicht ausgeschlossen, weil der EuGH soziale Ansprüche aus dem Freizügigkeitsregime und aus den Regelungen über die sozialrechtliche Koordinierung als konkurrierende behandele.

6

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Sozialgerichts Stuttgart vom 3. März 2011 und des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Mai 2012 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 28. Juli 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2010 zu verurteilen, ihr Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 6. Juli 2010 bis 4. Oktober 2010 zu gewähren.

7

Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

8

Die Klägerin könne über die Schwangerschaft keine Eigenschaft als Familienangehörige konstruieren. Zwar stünden sich - vor Erklärung des Vorbehalts der Bundesregierung - aus Rumänien und Bulgarien stammende EU-Bürger bei Leistungen nach dem SGB II schlechter als Ausländer, die gleichzeitig EFA-Staatsangehörige seien. Dieses unterschiedliche Ergebnis verstoße jedoch nicht gegen Unionsrecht, weil es durch die (befristet) eingeschränkte Freizügigkeit bulgarischer Staatsangehöriger gerechtfertigt sei, die insoweit auch das ansonsten unionsrechtlich geltende Diskriminierungsverbot einschränke.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet. Die Vorinstanzen und der Beklagte haben einen Anspruch der Klägerin auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu Unrecht verneint.

10

1. Streitgegenstand sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, die der Beklagte mit Bescheid vom 28.7.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.8.2010 abgelehnt hat. Die Klägerin hat den streitigen Zeitraum ausdrücklich auf die Zeit vom 6.7.2010 bis 4.10.2010 beschränkt.

11

2. Die Klägerin erfüllte im streitigen Zeitraum sämtliche Anspruchsvoraussetzungen nach § 7 Abs 1 S 1 Nr 1 bis 4 SGB II und war auch nicht nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II von den SGB II-Leistungen ausgeschlossen.

12

Leistungen nach dem SGB II erhalten nach § 7 Abs 1 S 1 SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Die Klägerin bewegte sich innerhalb der Altersgrenzen des § 7 Abs 1 Nr 1 SGB II und war nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG(§ 163 SGG) hilfebedürftig nach § 7 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB II.

13

3. Die Klägerin war auch erwerbsfähig iS von § 7 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB II iVm § 8 SGB II. Nach § 8 Abs 1 SGB II ist erwerbsfähig, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf (nicht) absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. IS von § 8 Abs 1 SGB II können Ausländerinnen und Ausländer nur erwerbstätig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte(§ 8 Abs 2 SGB II) .

14

Nach den Feststellungen des LSG standen körperliche Gründe iS von § 8 Abs 1 SGB II einer Erwerbsfähigkeit nicht entgegen. Das Berufungsgericht ist weiter zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin nicht iS von § 8 Abs 2 SGB II als erwerbsunfähig anzusehen war. Zwar bleibt für EU-Bürger der zum 1.1.2007 beigetretenen Staaten Bulgarien und Rumänien (vgl Vertrag über den Beitritt der Republik Bulgarien und Rumänien zur Europäischen Union vom 25.4.2005 ) die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art 45 AEUV) für eine Übergangsfrist von sieben Jahren bis zum 31.12.2013 in der Weise beschränkt, dass die bestehenden nationalen Regelungen für den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt für ausländische Staatsangehörige auch für diese neuen EU-Bürger beibehalten wurden. Staatsangehörige dieser Länder können sich nach dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU als Art 2 des ZuwanderungsG vom 30.7.2004 ; vgl § 1 Abs 2 Nr 1 AufenthG) grundsätzlich frei innerhalb der EU bewegen, benötigen zur Beschäftigungsaufnahme in Deutschland in der Übergangszeit aber weiterhin eine Arbeitsgenehmigung-EU (§ 284 Abs 1 S 2 SGB III idF des Gesetzes vom 7.12.2006, BGBl I 2814).

15

Die Klägerin war nicht im Besitz einer Arbeitsgenehmigung. Es ist jedoch ausreichend, dass ihr vorbehaltlich der Vorlage eines konkreten, überprüfbaren Stellenangebots eines künftigen Arbeitgebers im streitigen Zeitraum die Aufnahme einer Beschäftigung hätte erlaubt werden können. Soweit das SG eine Erwerbsfähigkeit ohne weitere Ermittlungen mit der Begründung verneint hat, dass keine konkrete und realisierbare Möglichkeit zur Erteilung einer Arbeitsgenehmigung/EU bestanden habe, unterstellt es zu Unrecht, dass in jedem Einzelfall eine konkret-rechtliche Möglichkeit der Beschäftigungsaufnahme geprüft werden muss. Für die Annahme, dass eine Beschäftigung iS des § 8 Abs 2 SGB II erlaubt ist oder erlaubt werden könnte, reicht es jedoch aus, wenn die Aufnahme einer Tätigkeit im Sinne einer rechtlich-theoretischen Möglichkeit mit einer Zustimmung zur Beschäftigungsaufnahme durch die BA erlaubt sein könnte, auch wenn dies bezogen auf einen konkreten Arbeitsplatz durch die Verfügbarkeit geeigneter bevorrechtigter Bewerber(§ 39 Abs 2 AufenthG) verhindert wird. Unabhängig hiervon ist Unionsbürgern, also auch Rumänen und Bulgaren, Vorrang gegenüber Drittstaatsangehörigen einzuräumen ("Gemeinschaftsprivileg" HK-AuslR/Clodius, 1. Aufl 2008, Anhang zum FreizügG/§ 284 SGB III RdNr 19). Dass auf eine abstrakt-rechtliche Möglichkeit der Erteilung einer Arbeitsgenehmigung abzustellen ist, ergibt sich nunmehr auch aus dem mit Wirkung zum 1.4.2011 (BGBl I 453) eingefügten § 8 Abs 2 S 2 SGB II. Dieser bestimmt, dass die rechtliche Möglichkeit, eine Beschäftigung vorbehaltlich einer Zustimmung nach § 39 AufenthG aufzunehmen, ausreichend ist(BT-Drucks 15/1749 S 31 "Klarstellung"; BT-Drucks 15/1516 S 52).

16

Einen solchen - gegenüber deutschen Staatsangehörigen und uneingeschränkt freizügigkeitsberechtigten EU-Bürgern - nachrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt hatte die Klägerin im streitigen Zeitraum, weil ihr eine Arbeitsgenehmigung/EU nach § 284 Abs 3 SGB III iVm § 39 Abs 2 Nr 1 AufenthG, etwa für eine Tätigkeit als Hilfskraft(vgl hierzu auch Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, § 13 RdNr 44), hätte erteilt werden können. Staatsangehörige aus den neuen EU-Beitrittsländern, die - wie die Klägerin - seit längerer Zeit in Deutschland wohnen, sind nicht als "Neueinreisende" iS von § 284 Abs 4 SGB III (mit "Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland") anzusehen, für die weitergehende Beschränkungen gelten(Dienelt aaO).

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4. Die Klägerin verfügte im streitigen Zeitraum auch über einen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet iS von § 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II.

18

Nach § 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II iVm § 30 Abs 3 S 2 SGB I hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Diese Definition gilt für alle Sozialleistungsbereiche des Sozialgesetzbuchs, soweit sich nicht aus seinen besonderen Teilen etwas anderes ergibt (§ 37 SGB I). Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist in erster Linie nach den objektiv gegebenen tatsächlichen Verhältnissen im streitigen Zeitraum zu beurteilen (BSG SozR 3-1200 § 30 Nr 5 S 8). Entscheidend ist, ob der örtliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft im Inland ist. Dauerhaft ist ein solcher Aufenthalt, wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen ist. Mit einem Abstellen auf den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse im Gebiet der Bundesrepublik soll - auch im Sinne einer Missbrauchsabwehr - ausgeschlossen werden, dass ein Wohnsitz zur Erlangung von Sozialleistungen im Wesentlichen nur formal begründet, dieser jedoch tatsächlich weder genutzt noch beibehalten werden soll (Schlegel in jurisPK-SGB I, 2. Aufl 2012, § 30 RdNr 24 mit Verweis auf BT-Drucks 7/3786 S 5 zu § 30; zur Begründung eines Wohnsitzes "nach den faktischen Verhältnissen" iS von Art 1 lit j VO (EG) 883/2004 unter Einbeziehung der Definition in Art 11 VO (EG) Nr 987/2009 und Abgrenzung zur "legal residence in Directive 2004/38" Frings, Grundsicherungsleistungen für Unionsbürger unter dem Einfluss der VO (EG) Nr 883/2004 in ZAR, 2012, 317 ff, 322).

19

Jedenfalls für den Bereich des SGB II läuft es der Vereinheitlichung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts zuwider, wenn unter Berufung auf eine sog Einfärbungslehre vor allem des früheren 4. Senats des BSG (vgl hierzu BSG SozR 3-1200 § 30 Nr 21 S 45 ff; ähnlich BSG SozR 3-2600 § 56 Nr 7 S 31 ff; anders für die Familienversicherung nach § 10 SGB V: BSGE 80, 209 ff, 211 f = BSG SozR 3-2500 § 10 Nr 12 S 52 f) dem Gesetzeswortlaut nicht zu entnehmende Tatbestandsmerkmale im Sinne von rechtlichen Erfordernissen zum Aufenthaltsstatus aufgestellt werden (vgl Schlegel in jurisPK-SGB I, 2. Aufl 2012, § 30 RdNr 26, 50 ff)und damit einzelnen Personengruppen der Zugang zu existenzsichernden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts versperrt wird. Zudem hat der Gesetzgeber diese Rechtsprechung nur in Teilbereichen, etwa beim Kinder-, Erziehungs- und Elterngeld, aufgegriffen und einen Anspruch von einem definierten Aufenthaltsstatus abhängig gemacht (vgl zB § 1 Abs 7 BEEG; § 1 Abs 6 BErzGG idF bis zum 31.12.2006; zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Differenzierungskriterien: BVerfGE 111, 176 ff = SozR 4-7833 § 1 Nr 4). Ein diesen Regelungen entsprechendes, also zu dem gewöhnlichen Aufenthalt hinzutretendes Anspruchsmerkmal im Sinne des Innehabens einer bestimmten Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU bzw eines bestimmten Aufenthaltstitels nach dem AufenthG fehlt im SGB II. Vielmehr hat der Gesetzgeber mit § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II in einer anderen Regelungssystematik ein Ausschlusskriterium von SGB II-Leistungen nur für diejenigen Ausländer vorgesehen, deren "Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt".

20

Unabhängig hiervon liegt eine fehlende Dauerhaftigkeit des Aufenthalts im Sinne einer nicht vorhandenen Zukunftsoffenheit bei Unionsbürgern regelmäßig nicht vor, weil ihr Aufenthalt nicht nach einer bereits vorliegenden Entscheidung der dafür allein zuständigen Ausländerbehörde auflösend befristet oder auflösend bedingt ist. Zwar verfügte die Klägerin - anders als in den vom 14. Senat des BSG entschiedenen Fallgestaltungen (BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21 RdNr 13; BSG SozR 4-4200 § 7 Nr 28 RdNr 17) -offenbar (Feststellungen des LSG hierzu fehlen) nicht über eine Freizügigkeitsbescheinigung (§ 5 FreizügG/EU; entfallen durch Art 1 des Gesetzes zur Änderung des FreizügigkeitsG/EU und weitere aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21.1.2013 ). Einer solchen Bescheinigung kommt aber lediglich deklaratorische Bedeutung zu, weil sich das Freizügigkeitsrecht unmittelbar aus Gemeinschaftsrecht ergibt (BT-Drucks 15/420 S 101; BSG SozR 4-4200 § 7 Nr 28 RdNr 17; BVerwGE 110, 40, 53: subjektiv-öffentliches Unionsbürgerrecht unabhängig vom Zweck seiner Inanspruchnahme). Auch bei Staatsangehörigen aus den neuen Mitgliedstaaten kann der Aufenthalt während der Übergangsphase nur unter den Voraussetzungen der §§ 5 Abs 5, 6 und 7 FreizügG/EU wegen des Wegfalls, des Verlustes oder des Nichtbestehens des Freizügigkeitsrechts, also nach Durchführung eines Verwaltungsverfahren, beendet werden(Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 2. Aufl 2011, § 13 RdNr 57, 61; OVG Bremen Beschluss vom 21.1.2011 - 1 B 242/10, juris-RdNr 4). Das Aufenthaltsrecht besteht, solange der Aufnahmemitgliedstaat nicht durch einen nationalen Rechtsakt festgestellt hat, dass der Unionsbürger bestimmte vorbehaltene Bedingungen iS des Art 21 AEUV nicht erfüllt (Harms in Kommentar zum Zuwanderungsrecht, 1. Aufl 2008, § 2 FreizügG RdNr 4 mwN).

21

Auch § 13 FreizügG/EU steht der Vermutung einer Freizügigkeit nicht entgegen. Danach findet, soweit ua nach Maßgabe des Vertrags vom 25.4.2005 über den Beitritt der Republik Bulgarien und Rumäniens zur Europäischen Union (BGBl II 1146) abweichende Regelungen anwendbar sind, das FreizügG/EU Anwendung, wenn die Beschäftigung durch die BA gemäß § 284 Abs 1 SGB III genehmigt wurde. Trotz des unklaren Wortlauts des § 13 FreizügG/EU schränkt der Umstand, dass die Beitrittsverträge nationale Übergangsmaßnahmen im Hinblick auf den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt innerhalb eines längstens sieben Jahre dauernden Zeitraums durch die Mitgliedstaaten zulassen, nicht grundsätzlich das Freizügigkeitsrecht der neuen Unionsbürger ein(OVG Hamburg Beschluss vom 21.1.2011 - 1 B 242/10, juris-RdNr 4; HK-AuslR/Geyer, 1. Aufl 2008, § 13 FreizügG RdNr 2).

22

5. Der Anspruch auf SGB II-Leistungen ist auch nicht nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II ausgeschlossen. Ausgenommen von Leistungen nach dem SGB II sind danach ua Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts (Nr 1) und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen (Nr 2). Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) greift der Anspruchsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II schon deshalb nicht, weil die Klägerin unmittelbar nach Verlassen Bulgariens Ende Juli 2009 nach Deutschland eingereist ist und sich seitdem im Bundesgebiet aufgehalten hat, bevor sie im April 2010 einwohnermelderechtlich erfasst wurde.

23

6. a) Auch § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II schließt einen Anspruch der Klägerin nicht aus, weil sich ihr Aufenthaltsrecht im streitigen Zeitraum nicht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergab. Die Ausschlussregelung erfordert - zur Umsetzung des Willens des Gesetzgebers bei Unionsbürgern regelmäßig eine "fiktive Prüfung" des Grundes bzw der Gründe ihrer Aufenthaltsberechtigung. Bereits das Vorhandensein der Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts aus einem anderen Grund als dem Zweck der Arbeitsuche hindert die von der Rechtsprechung des BSG geforderte positive Feststellung eines Aufenthaltsrechts "allein aus dem Zweck der Arbeitsuche" iS von § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II. Ein solcher Fall liegt hier vor, weil sich aus der bevorstehenden Geburt des Kindes der Klägerin ein anderes Aufenthaltsrecht ergeben konnte.

24

b) Unbesehen des subjektiv-öffentlichen Unionsbürgerrechts nach der RL 2004/38/EG und dem deutschen FreizügG/EU erfordert eine dem Willen des Gesetzgebers entsprechende Anwendung des Ausschlusstatbestandes des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II eine "fiktive Prüfung", ob - im Falle von Unionsbürgern - ein Aufenthaltsrecht allein zum Zweck der Arbeitsuche bestand oder daneben auch andere Aufenthaltszwecke den Aufenthalt des Unionsbürgers im Inland rechtfertigen konnten. Dies ergibt sich aus der für die Auslegung der Vorschrift wesentlichen Entstehungsgeschichte der Ausschlussregelung.

25

Den Gesetzesmaterialien zu § 7 Abs 1 S 2 SGB II ist zu entnehmen, dass von der "Option" des Art 24 Abs 2 iVm Art 14 Abs 4 der RL 2004/38/EG auch im Bereich des SGB II Gebrauch gemacht werden sollte(BT-Drucks 16/5065 S 234; siehe auch BT-Drucks 16/688 S 13). Trotz des Kontextes, in welchem die Regelung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II erlassen wurde, nämlich der Erweiterung der Freizügigkeit von Arbeitnehmern zu einer allgemeinen Freizügigkeit für alle Unionsbürger durch die RL 2004/38/EG, wollte der bundesdeutsche Gesetzgeber neben den von Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG unstreitig erfassten Sozialhilfeleistungen auch SGB II-Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausschließen. Deren Einordnung als Sozialhilfeleistungen iS von Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG ist allerdings fraglich. Die beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG haben die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts entsprechend ihrer Aufnahme in den Anhang der VO (EG) Nr 883/2004 als "besondere beitragsunabhängige Geldleistungen" nach Art 4 iVm Art 70 VO (EG) Nr 883/2004, nicht jedoch als Leistungen der "sozialen Fürsorge" iS von Art 3 Abs 5a) VO (EG) Nr 883/2004 angesehen. Sie haben darauf hingewiesen, dass durch das Erfordernis der Erwerbsfähigkeit ein Bezug zu den Leistungen bei Arbeitslosigkeit bestehe (BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21 RdNr 29; BSGE 107, 206 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 22 RdNr 20 f; vgl auch EuGH Urteil vom 4.9.2009 - Rs C-22/08 - SozR 4-6035 Art 39 Nr 5, RdNr 43; siehe aber auch BVerwG Urteil vom 31.5.2012 - 10 C 8/12 juris RdNr 25 mwN, zur Einordnung von SGB II-Leistungen als aufenthaltsrechtlich schädliche Sozialhilfeleistungen iS des Art 7 Abs 1 Buchst b der RL 2004/38/EG, wobei dies "nicht zwingend deckungsgleich" mit dem in Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG genannten Begriff der Sozialhilfe sein müsse; kritisch hierzu Breidenbach in ZAR 2011, 235 ff).

26

Ungeachtet der insofern bestehenden Zweifel an der europarechtlichen Zulässigkeit des nicht nach dem Grad der Verbindung des arbeitsuchenden Unionsbürgers zum Arbeitsmarkt des Aufnahmestaats und seinem beruflich möglichen Zugang zum Arbeitsmarkt differenzierenden sowie zeitlich unbefristeten Ausschlusses der arbeitsuchenden Unionsbürger von SGB II-Leistungen ist § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II als Ausschlussregelung von existenzsichernden Sozialleistungen jedenfalls eng auszulegen. Auch aus dem Aufbau der Norm ist abzuleiten, dass positiv feststellt werden muss, dass dem Ausländer ein Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitsuche in der Bundesrepublik Deutschland zusteht (BSG SozR 4-4200 § 7 Nr 28).

27

c) Jedenfalls nicht erfasst von § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II werden Unionsbürger, bei denen die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU oder ggf dem begrenzt subsidiär anwendbaren AufenthG (siehe hierzu unten) aus anderen Gründen als dem Zweck der Arbeitsuche vorliegen. Insofern ist der Regelung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II immanent, dass der Ausschluss nur Unionsbürger trifft, die sich ausschließlich und ggf schon vor einer Meldung beim Jobcenter auch eigeninitiativ um eine Beschäftigung bemüht haben, nicht jedoch diejenigen erfasst, die sich auch auf ein anderes Aufenthaltsrecht berufen können.

28

Da Unionsbürger für die Einreise keines Visums und für den Aufenthalt keines Aufenthaltstitels (§ 2 Abs 4 S 1 FreizügG/EU) bedürfen, kann bei ihnen der ausländerrechtlich anerkannte Aufenthaltszweck nicht unmittelbar einem entsprechenden Dokument mit möglicher Tatbestandswirkung für das SGB II entnommen werden. Vor dem Hintergrund einer - bis zur Feststellung des Nichtbestehens oder des Verlusts einer Freizügigkeitsberechtigung - bestehenden Freizügigkeitsvermutung von Unionsbürgern und der bereits damit verbundenen Vermutung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts (vgl Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, § 12 RdNr 34) kann bei dieser Personengruppe nicht darauf abgestellt werden, ob das Aufenthaltsrecht in einem Aufenthaltstitel dokumentiert ist. Zwar kann ein in einer ggf bis zum 28.1.2013 deklaratorisch erteilten Bescheinigung gemäß § 5 Abs 1 FreizügG/EU (aF) angegebener Aufenthaltszweck ein wesentliches Indiz für den Aufenthaltsgrund sein. Unionsbürger sind jedoch nicht verpflichtet, die Rechtmäßigkeit ihres Aufenthalts durch eine entsprechende Bescheinigung nachzuweisen (BVerwG Urteil vom 16.11.2010 - 1 C 17/09, BVerwGE 138, 122 ff). Entscheidend ist das Vorliegen der Voraussetzungen für ein weiteres Aufenthaltsrecht. Auch soweit der Aufenthalt aus einem anderen materiell bestehenden Aufenthaltsrecht als dem Zweck der Arbeitsuche nicht beendet werden könnte, hindert dies sozialrechtlich die positive Feststellung eines "Aufenthaltsrechts allein aus dem Zweck der Arbeitsuche" iS von § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II.

29

Seine Feststellung, die Klägerin sei im streitigen Zeitraum "ab dem 6.7.2010 in Deutschland allenfalls aus Gründen der Arbeitsuche aufenthaltsberechtigt", hat das Berufungsgericht vorrangig damit begründet, dass ein Aufenthaltsrecht wegen einer fortwirkenden Arbeitnehmereigenschaft nicht bestanden habe (vgl zu dem hierfür regelmäßig angenommen Zeitraum von sechs Monaten: § 2 Abs 3 S 1 Nr 2 iVm § 2 Abs 3 S 2 FreizügG/EU; EuGH Urteil vom 4.6.2009 - C-22/08, C-23/08 - SozR 4-6035 Art 39 Nr 5, RdNr 32; BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 18). Ob sich die Klägerin bis zum Beginn des streitigen Zeitraums auf ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitsuche berufen konnte, hat das LSG nicht erörtert. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist ein arbeitsuchender EU-Bürger solange freizügigkeitsberechtigt, wie er mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht, wobei das Gemeinschaftsrecht die Länge des angemessenen Zeitraums nicht regelt. Allerdings ist es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, dem Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der zum Zweck der Stellensuche in sein Gebiet eingereist ist, auszuweisen, wenn dieser nach sechs Monaten keine Stelle gefunden hat, sofern der Betroffene nicht nachweist, dass er weiterhin und mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht (EuGH Urteil vom 26.2.1991 - C-292/89 ; so auch Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, § 2 FreizügG/EU RdNr 56).

30

Auch wenn die Klägerin wegen des im streitigen Zeitraum hinzutretenden SGB II-Antrags und der damit verbundenen Verpflichtung, alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen und aktiv an allen Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit mitwirken (§ 2 Abs 1 S 1 und 2 SGB II), als Arbeitsuchende anzusehen ist, hindert dies nicht die Annahme eines Aufenthaltsrechts auch aus einem anderen Aufenthaltsgrund (vgl zum zulässigen Wechsel der Aufenthaltszwecke während des Aufenthalts: HK-AuslR/Geyer, 2008, § 5 FreizügG/EU RdNr 3). Auch der Verlust des Freizügigkeitsrechts kann erst festgestellt werden, wenn die Freizügigkeitsberechtigung nicht aus anderen Gründen besteht (Huber, AufenthaltsG, 2010, § 5 FreizügG/EU RdNr 15). Ein solches bereits vor SGB II-Antragstellung hinzugetretenes weiteres Aufenthaltsrecht der Klägerin im Bundesgebiet liegt hier vor.

31

d) Die Klägerin konnte sich nach den besonderen Einzelfallumständen in dem hier streitigen Zeitraum wegen der zu erwartenden Geburt des Kindes auch auf ein anderes Aufenthaltsrecht iS des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II berufen.

32

§ 11 Abs 1 S 5 FreizügG/EU in der bis zum 30.6.2011 geltenden Fassung vom 19.8.2007 (BGBl I 1970) bestimmt, dass das - grundsätzlich nur noch für Drittstaatsangehörige geltende - AufenthG weiterhin auch auf Unionsbürger Anwendung findet, wenn es eine günstigere Regelung vermittelt als das FreizügG/EU. Bei dem anzustellenden Günstigkeitsvergleich ist keine abstrakt wertende Betrachtung in Bezug auf die gesamte Rechtsstellung anzustellen. Vielmehr knüpft der Vergleich iS einer den konkreten Einzelfall in den Blick nehmenden Betrachtung an einzelne Merkmale an (Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, § 11 RdNr 28).

33

Nach dem insoweit anwendbaren § 7 Abs 1 S 3 AufenthG kann - unabhängig von der ansonsten geforderten Bindung der Aufenthaltserlaubnis an konkrete, im AufenthG genannte Aufenthaltszwecke(§ 7 Abs 1 S 2 AufenthG) - in begründeten Fällen im Wege einer Ermessensentscheidung eine Aufenthaltserlaubnis auch für einen von diesem Gesetz nicht genannten Aufenthaltszweck erteilt werden. Allerdings ist das LSG zu Recht davon ausgegangen, dass eheähnlich zusammenlebende heterosexuelle Paare weder aus dem Auffangtatbestand des § 7 Abs 1 S 3 AufenthG noch aus dem europäischem Recht ein Aufenthaltsrecht zur Familienzusammenführung ableiten können, weil der Familiennachzug in § 3 FreizügG/EU und den §§ 27 ff AufenthG abschließend geregelt ist. Da nichteheliche Lebensgemeinschaften von den ausdrücklichen Regelungen gerade nicht erfasst sind, ist die Anwendung von § 7 Abs 1 S 3 AufenthG grundsätzlich gesperrt(vgl BVerwG Urteil vom 27.2.1996 - 1 C 41/93 - BVerwGE 100, 287 ff; Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, § 7 AufentG RdNr 20).

34

Die - hier im Rahmen der Ausschlussklausel des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II - bei Unionsbürgern nur zu prüfenden Voraussetzungen eines anderen Aufenthaltsrechts sind aber wegen der bevorstehenden Geburt des Kindes gegeben. Insofern handelt es sich um ein Aufenthaltsrecht aus familiären Gründen, das aus dem Zusammenleben der Partner mit einem gemeinsamen Kind oder dem Kind eines Partners folgt. Diese Personengruppen bilden jeweils eine Familie iS des Art 6 GG und der §§ 27 Abs 1, 28 Abs 1, 29 und 32 AufenthG und können sich auch auf den Schutz aus Art 8 der Konvention des Europarates zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten(MRK) berufen (vgl auch Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, § 7 AufenthG RdNr 20).

35

Eine solche Konstellation, die einen anderen Aufenthaltszweck als denjenigen der Arbeitsuche vermitteln kann, kann auch in einer bevorstehenden Familiengründung liegen. Insofern wird in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zum AufenthG angenommen, dass der bevorstehenden Geburt eines Kindes aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen für den Aufenthaltsstatus eines Elternteils zukommen können. Die anstehende Vaterschaft eines bereits im Bundesgebiet lebenden Ausländers hinsichtlich des ungeborenen Kindes einer deutschen, aber auch ausländischen Staatsangehörigen kann aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen im Sinne eines Abschiebungshindernisses begründen, wenn entweder der Schutz der Familie nach Art 6 Abs 1 GG und die aus Art 2 Abs 2 S 1 und Art 1 Abs 1 GG abzuleitende Schutzpflicht für die Gesundheit der werdenden Mutter und des Kindes dies gebieten, oder wenn beide Elternteile bereits in Verhältnissen leben, welche eine gemeinsame Übernahme der elterlichen Verantwortung sicher erwarten lassen und eine (vorübergehende) Ausreise zur Durchführung eines Sichtvermerkverfahrens nicht zumutbar ist. Dies gilt zumindest mit der Vaterschaftsanerkennung und der Zustimmung der Mutter (§§ 1592 Nr 2, 1595 Abs 1 BGB) sowie einer gemeinsamen Sorgerechtserklärung (OVG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 23.2.2012 - 2 S 94.11, 2 M 70.2 M 70.11 - RdNr 3 ff; Sächsisches OVG Beschluss vom 2.10.2009 - 3 B 482/09 - InfAuslR 2010, 27 ff: vgl auch VG Dresden Beschluss vom 11.6.2008 - 3 L 279/08 - RdNr 10 zum Abschiebungsschutz für eine werdende ausländische Mutter). Insofern tritt die staatliche Verpflichtung aus Art 6 Abs 1 GG iVm Abs 2 GG ein (OVG Hamburg Beschluss vom 14.8.2008 - 4 Bs 84/08 - InfAuslR 2009, 16 ff). Von der Schutzpflicht des Staates aus Art 6 GG ist insbesondere die Rechtsposition des Kindes sowie dessen Anspruch auf Ermöglichung bzw Aufrechterhaltung eines familiären Bezugs zu beiden Elternteilen von Geburt an betroffen (BVerfG FamRZ 2006, 187 ff; BVerfG NVwZ 2006, 682, 683 zum Familienschutz; BVerfGE 80, 81 ff).

36

Diese aufenthaltsrechtlichen Vorwirkungen einer bevorstehenden Familiengründung bestanden auch im Falle der Klägerin. Es wäre ihr weniger als vier Monate vor dem errechneten Geburtstermin nicht mehr zumutbar gewesen, sich von dem Vater des Kindes unter zumindest vorübergehender Aufgabe des familiären Zusammenhalts und mit dem Risiko einer zeitgerechten Rückkehr zur Geburt zu trennen. Auch in der hier vorliegenden Fallgestaltung soll verhindert werden, dass ein Kind in dem ersten Jahr nach seiner Geburt entgegen Art 6 Abs 1 GG von der Erziehungsleistung eines seiner Elternteile ausgeschlossen wird. Für die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen aus Art 6 GG und damit auch ihre Vorwirkungen ist dabei nicht vorrangig auf formal-rechtliche familiäre Bindungen, sondern auf die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern im Wege einer Einzelfallbetrachtung abzustellen (BVerfG FamRZ 2006, 187 ff, RdNr 18 mwN). Nach den Feststellungen des LSG hat die Klägerin bereits bei Antragstellung angegeben, dass ihr Kind von dem Lebensgefährten sei, mit dem die Anmietung einer gemeinsamen Wohnung geplant sei. Es ergab sich daher schon für die Zeit vor der Anerkennung der Vaterschaft eine vorwirkende Schutzwirkung, die ein Aufenthaltsrecht der Klägerin wegen des bevorstehenden familiären Zusammenlebens begründen konnte.

37

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Oktober 2013 insoweit aufgehoben, als er zur Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 11. Oktober 2010 bis 7. November 2011 verurteilt worden ist.

Insoweit wird die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 20. November 2012 zurückgewiesen.

Die Beigeladene wird verurteilt, den Klägern Hilfe zum Lebensunterhalt für den Zeitraum vom 11. Oktober 2010 bis 7. November 2011 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beigeladene hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Ansonsten haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit steht die Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Kläger im Zeitraum vom 11.10.2010 bis 7.11.2011.

2

Die Kläger sind rumänische Staatsangehörige. Die Kläger zu 1 und 2 zogen 2008 mit ihren beiden gemeinsamen Kindern - geboren 1992 und im Februar 1995 (Kläger zu 3) - von Rumänien bzw über Belgien nach Deutschland. Sie verfügen seit November 2008 über eine Freizügigkeitsbescheinigung/EU und die Kläger zu 1 und 2 seit Ende 2011 (nach dreijährigem Aufenthalt) über eine unbefristete Arbeitsberechtigung. Der Kläger zu 1 hatte in Rumänien eine Schlosserlehre absolviert, war dann zur Armee eingezogen worden und arbeitete 1993 bis 1995 als Taxifahrer sowie anschließend als Tagelöhner in der Landwirtschaft. Ein von ihm 1992/1993 in Deutschland gestellter Asylantrag wurde abschlägig beschieden. Seine Ehefrau ging in Rumänien keiner Erwerbstätigkeit nach. Sie übt seit dem 8.11.2012 eine mit 200 Euro netto monatlich geringfügig entlohnte Beschäftigung aus. Bis Ende 2010 verkauften die Kläger zu 1 und 2 die Obdachlosenzeitung "Fifty-Fifty" zu einem Abgabepreis von 1,80 Euro und einem "Einkaufspreis" von 0,90 Euro. Der Differenzbetrag von rund je 120 Euro im Monat verblieb bei ihnen. Der Kläger zu 1 hatte vom 13.10.2008 bis 29.10.2009 ein Gewerbe angemeldet ("Abbruch- und Entkernungsarbeiten, Hilfsarbeiten auf Baustellen"), das er jedoch nicht betrieb und mit dem er auch keine Einkünfte erzielte. Für die beiden Söhne erhielten die Eheleute Kindergeld in Höhe von je 184 Euro. Die Söhne besuchten in Deutschland die Schule.

3

Erstmals Ende 2009 lehnte der Beklagte die Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bindend ab. Ein erneuter Antrag der Kläger vom 11.10.2010, den sie mit der Einreise zur Arbeitsuche begründeten, wurde vom Beklagten ebenfalls abschlägig beschieden (Bescheid vom 19.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2010). Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes hiergegen verpflichtete das LSG den Beklagten, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom 17.5.2011 bis maximal zum 17.11.2011 zu erbringen. Dies führte der Beklagte durch Bescheide vom 14.6., 7.7., 26.7. und 1.8.2011 aus. Ebenso vollzog sich das Verfahren nach einem weiteren Antrag der Kläger vom 7.11.2011 (ablehnender Bescheid vom 15.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2011, Ausführungsbescheide des Beklagten vom 22.6.2012 nach dem Erlass einer einstweiligen Anordnung des LSG für den Zeitraum vom 23.11.2011 bis 30.6.2012). Am 14.1.2013, der Höhe nach geändert durch Bescheid vom 5.2.2013, bewilligte der Beklagte den Klägern die begehrten Leistungen ab dem 1.11.2012, also seit dem Monat der Aufnahme der Beschäftigung durch die Klägerin zu 2.

4

Die gegen den Bescheid vom 19.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2010 erhobene Klage hat das SG durch Urteil vom 20.11.2012 unter Hinweis darauf, dass die Kläger nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II von Leistungen der Grundsicherung ausgeschlossen seien, abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das LSG dieses Urteil geändert und den Beklagten unter Änderung der benannten Bescheide verurteilt, den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften für den Zeitraum vom 11.10.2010 bis 7.11.2011 zu bewilligen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II greife im Falle der Kläger nicht. Sie verfügten über kein materielles Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland. Der Sohn der Kläger zu 1 und 2 (Kläger zu 3) sei im streitigen Zeitraum Schüler gewesen. Die Kläger zu 1 und 2 seien keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen. Das vom Kläger zu 1 angemeldete Gewerbe sei nie betrieben und es seien keine Einkünfte daraus erzielt worden. Der Verkauf der Obdachlosenzeitung stelle keine Beschäftigung dar, die zu einem Status als Arbeitnehmer geführt haben könne. Es handele sich dabei um eine untergeordnete Tätigkeit, die nicht in einem Arbeitsverhältnis verrichtet worden sei. Die Kläger zu 1 und 2 seien auch nicht arbeitsuchend gewesen, denn sie hätten allein wegen der Sprachbarrieren keine Chance auf Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt gehabt. Daher komme es auch nicht darauf an, dass die Kläger vor dem 1.10.2011 über eine unbefristete Freizügigkeitsberechtigung/EU verfügt hätten. Auf einen EU-Bürger ohne materielles Aufenthaltsrecht finde der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II keine Anwendung. Dies erschließe sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, die auf den Aufenthaltszweck "allein zur Arbeitsuche" abstelle. Eine erweiternde Auslegung im Sinne des Erst-Recht-Schlusses komme wegen des Ausnahmecharakters des Ausschlusses nicht in Betracht. Die Vorschrift sei nicht analogiefähig. Es liege keine unbeabsichtigte Regelungslücke vor. Dass der aus dem mangelnden Aufenthaltsrecht folgende Ausweisungsgrund nicht vollzogen werde, sei kein Grund, EU-Bürger von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in erweiternder Auslegung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II auszuschließen(Urteil des LSG vom 10.10.2013).

5

Der Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und begründet sie damit, dass das Urteil des LSG § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II verletze. Die dortige Auslegung der Vorschrift führe dazu, dass ausgerechnet Personen, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht oder kaum integrierbar seien, vom Leistungsausschluss für arbeitsuchende Unionsbürger nicht betroffen würden.

6

Er beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Oktober 2013 aufzuheben und die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 20. November 2012 zurückzuweisen.

7

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Beigeladene zu verurteilen, ihnen Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII im Zeitraum vom 11. Oktober 2010 bis 7. November 2011 zu gewähren.

8

Sie halten die Ausführungen des LSG für zutreffend. Zwar sei nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Alimanovic nun klargestellt, dass der in § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II formulierte Leistungsausschluss europarechtskonform sei. Dies betreffe jedoch nicht die Kläger. Bei ihnen liege es näher, einen Vergleich zu der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Dano zu ziehen, wonach wirtschaftlich nicht aktiven Unionsbürgern anderer Mitgliedstaaten keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu erbringen seien. Insoweit mangele es jedoch an einer einfachgesetzlichen Regelung im deutschen Recht.

9

Die Beigeladene hat keinen eigenen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG, soweit es den Beklagten zur Leistungserbringung verurteilt hat, begründet. Die Beigeladene ist verpflichtet, die Existenzsicherung der Kläger nach den Vorschriften des SGB XII zu gewährleisten.

11

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (2.). Sie können jedoch Hilfe zum Lebensunterhalt von der Beigeladenen nach § 23 Abs 1 S 3 SGB XII beanspruchen (3.).

12

1. Streitgegenstand ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, die der Beklagte durch Bescheid vom 19.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2010 abgelehnt hat. Der streitige Zeitraum beginnt mit der Antragstellung am 11.10.2010, als dem "Türöffner" für das Verwaltungsverfahren (zuletzt BSG vom 24.4.2015 - B 4 AS 22/14 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 71 RdNr 17), und endet, da die Kläger ihr Begehren im zweitinstanzlichen Gerichtsverfahren bis zu diesem Zeitpunkt beschränkt haben, mit der erneuten Antragstellung am 7.11.2011. Die die Entscheidungen des LSG im vorläufigen Rechtsschutz ausführenden Bescheide des Beklagten sind, wie das LSG zutreffend befunden hat, nicht nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden(vgl BSG vom 27.6.2013 - B 10 EG 2/12 R - SozR 4-7837 § 2 Nr 21 RdNr 20 mwN; s auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 96 RdNr 4b unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des BSG).

13

Unschädlich ist auch, dass die Kläger im Berufungsverfahren, trotz der Beiladung der Stadt Gelsenkirchen, nicht zumindest hilfsweise deren Verurteilung oder Verpflichtung zur Leistungserbringung nach dem SGB XII beantragt haben. Im Falle der - hier vom LSG vorgenommenen notwendigen Beiladung nach § 75 Abs 2 2. Alt SGG (unechte notwendige Beiladung) - ist zumindest davon auszugehen, dass die Kläger hilfsweise die Verurteilung der Beigeladenen begehren (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 75 RdNr 18a; weitergehend BSG vom 28.5.2015 - B 7 AY 4/12 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen - RdNr 10). Denn nach § 75 Abs 5 SGG darf der beigeladene Träger verurteilt werden, obwohl er nicht verklagt ist. Mit der Vorschrift des § 75 Abs 2 2. Alt iVm Abs 5 SGG unterstellt der Gesetzgeber, dass der Kläger zwar in erster Linie die Verurteilung des beklagten Trägers, hilfsweise jedoch auch die jedes anderen in Frage kommenden Trägers begehrt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Kläger diese Verurteilung ausdrücklich ablehnt ( BSG vom 15.1.1959 - 4 RJ 111/57 - BSGE 9, 67, 70; BSG vom 2.11.2000 - B 11 AL 25/00 R - RdNr 25). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Bei dem im Revisionsverfahren gestellten Hilfsantrag auf Verurteilung der Beigeladenen handelt es sich aus diesen Gründen auch nicht um eine an sich im Revisionsverfahren nach § 168 S 1 SGG nicht mehr zulässige Klageänderung im Sinne der Klageerweiterung(vgl hierzu BSG vom 30.1.1985 - 2 RU 69/83 - SozR 1500 § 168 Nr 3; BSG vom 4.2.1965 - 11/1 RA 312/63 - SozR Nr 27 zu § 75 SGG; s auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 168 RdNr 2c und § 75 RdNr 12a).

14

Ebenso wenig wird die Zulässigkeit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage dadurch berührt, dass die Kläger bereits vorläufige Leistungen erhalten haben. Dies war zum einen nur für einen Teil des hier streitigen Zeitraums der Fall (BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 12 zur Unzulässigkeit bei dem Ausscheiden jeglichen Zahlungsanspruchs). Zum anderen hat sich der Rechtsstreit nach der ständigen Rechtsprechung des BSG auch nicht teilweise dadurch erledigt, dass für den Fall der nunmehr beantragten hilfsweisen Verurteilung der Beigeladenen die Leistungserbringung des Sozialhilfeträgers bereits (teilweise) als erfüllt iS des § 107 Abs 1 SGB X gilt(BSG vom 8.8.1990 - 11 RAr 79/88 - SozR 3-1300 § 104 Nr 3 S 4 f; BSG vom 9.9.1993 - 7/9b RAr 28/92 - BSGE 73, 83, 84 f = SozR 3-4100 § 58 Nr 5 S 11; BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 12).

15

2. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gegen den Beklagten. Sie sind unabhängig von der bestehenden Hilfebedürftigkeit iS des § 7 Abs 1 S 1 Nr 3 iVm § 9 SGB II, ihres gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland(§ 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II; vgl zum Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34 RdNr 17 ff)und der Erfüllung der Altersgrenzen des § 7 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB II im streitigen Zeitraum zumindest durch die Kläger zu 1 und 2 sowie deren Erwerbsfähigkeit(§ 7 Abs 1 S 1 Nr 2 iVm § 8 SGB II - auch nach § 8 Abs 2 SGB II, weil ihnen als Rumänen trotz seinerzeit nur eingeschränkter Arbeitnehmerfreizügigkeit als EU-Ausländern die Aufnahme einer Beschäftigung hätte erlaubt werden können, vgl BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 14 ff)von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aufgrund von § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II(idF vom 28.8.2007 durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007, BGBl I 1970, 2008) ausgeschlossen. Danach sind von den benannten Leistungen ausgenommen 1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige noch aufgrund des § 2 Abs 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts und 2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt und ihre Familienangehörigen.

16

a) Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II unterfallen die Kläger nicht einer Ausnahme von der Leistungsberechtigung nach § 7 Abs 1 S 1 SGB II. Sie haben sich im streitigen Zeitraum vom 11.10.2010 bis 7.11.2011 bereits mehr als drei Monate in Deutschland aufgehalten, denn sie sind im Herbst des Jahres 2008 eingereist. Ihr Aufenthaltsrecht ergibt sich auch nicht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche. So sind die Kläger zu 1 und 2 zwar zur Arbeitsuche in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Für den hier streitigen Zeitraum folgt hieraus jedoch kein materielles Aufenthaltsrecht mehr. Sie waren nicht mehr arbeitsuchend iS des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II.

17

Der Begriff der "Arbeitsuche" ist im vorliegenden Kontext freizügigkeitsrechtlich geprägt. Der Gesetzgeber hat in § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II - anders als in § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II - zwar nicht ausdrücklich Bezug auf die Regelungen des FreizügG/EU genommen. Aus der Verknüpfung mit dem "Aufenthaltsrecht" folgt jedoch bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift, dass die dortigen Regelungen sowie die der RL 2004/38/EG zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der "Arbeitsuche" heranzuziehen sind. Dies wird durch den Gesetzentwurf zur Änderung des S 2 des § 7 Abs 1 SGB II(BT-Drucks 16/5065 S 234; Änderung des SGB II zum 28.8.2007 durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007, BGBl I 1970, 2008) bestätigt. Danach sollten mit den Neuregelungen in § 7 Abs 1 S 2 SGB II die Unionsbürgerrichtlinie RL 2004/38/EG im Leistungsrecht umgesetzt und insbesondere von der Möglichkeit des Leistungsausschlusses nach Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG Gebrauch gemacht werden. Diese Norm regelt, dass vom Grundsatz der Gleichbehandlung aller Unionsbürger abgewichen werden kann, wenn die betreffende Person weder Arbeitnehmer, noch Selbstständiger oder deren Familienangehöriger ist und sie diesen Status nicht erhalten konnte (vgl hierzu Art 7 Abs 3 Buchst b und c RL 2004/38/EG). Sofern sie als Arbeitsuchende in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates eingereist ist, sieht die Richtlinie durch Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG solange eine Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts als Arbeitsuchende vor, solange sie nachweisen kann, dass sie weiterhin Arbeit sucht und sie eine begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden. Diese Regelung hat der Gesetzgeber zwischenzeitlich (mW ab dem 9.12.2014, BGBl I 1922) ins FreizügG/EU übernommen. In dessen § 2 Abs 2 S 1 Nr 1a FreizügG/EU ist nunmehr geregelt, dass freizügigkeitsberechtigt Unionsbürger sind, die sich zur Arbeitsuche aufhalten, für bis zu sechs Monate und darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Der dies tragende Grundgedanke der Aussicht auf Aufnahme einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist jedoch wegen der Gründung des Normtextes des § 7 Abs 1 S 2 SGB II auf der RL 2004/38/EG auch bereits im streitigen Zeitraum zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Arbeitsuche heranzuziehen.

18

Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs ist die Annahme des LSG revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass sich die Freizügigkeitsberechtigung der Kläger zu 1 und 2 im streitigen Zeitraum nicht mehr allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergab. Auf Grundlage der Anhörung der Kläger in der mündlichen Verhandlung sowie beigezogener Auskünfte und Beratungsvermerke der BA ist das LSG zu dem Ergebnis gelangt, dass sie im streitigen Zeitraum keine realistische Chance auf Erlangung eines Arbeitsplatzes hatten. Die Kläger zu 1 und 2 verfügten nicht über eine verwertbare berufliche Qualifikation oder Ausbildung, nennenswerte Berufserfahrung und deutsche Sprachkenntnisse. Diese fehlenden Kenntnisse stellten ein erhebliches Hindernis bei der Arbeitsuche dar. Zudem war zu berücksichtigen, dass ihre Berechtigung, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, im streitigen Zeitraum zusätzlich noch durch das Erfordernis einer Arbeitsgenehmigung-EU iS des § 284 SGB III(in den hier einschlägigen Fassungen vom 7.12.2006 BGBl I 2814 und vom 20.12.2011 mWv 1.5.2011 BGBl I 2854) iVm der Arbeitserlaubnis-EU nach § 39 Abs 2 S 1 Nr 1 Buchst b AufenthG(in den hier einschlägigen Fassungen vom 25.2.2008, BGBl I 162 und 20.12.2011, mWv 1.5.2011 BGBl I 2854, 2921) - für Unionsbürger aus Rumänien in der ersten Beitrittszeit - beschränkt war. Danach brauchte die BA der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung nur zuzustimmen, wenn für die Beschäftigung deutsche Arbeitnehmer sowie Ausländer, die diesen hinsichtlich der Arbeitsaufnahme rechtlich gleichgestellt waren, oder andere Ausländer, die nach dem Recht der Europäischen Union einen Anspruch auf vorrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt hatten, nicht zur Verfügung standen. Die begründete Aussicht, dass diese beim Fehlen jeglicher Qualifikation der Arbeitsuchenden, wie vorliegend, zur Verfügung stehen, hat das LSG ohne Rechtsfehler negiert. Da die Kläger sich zu Beginn des hier streitigen Zeitraums zudem bereits mehr als zwei Jahre in Deutschland aufgehalten hatten, ohne eine Erwerbstätigkeit ausgeübt zu haben, unterliegt der vom LSG weiter gezogene Schluss der objektiv nicht bestehenden Aussicht der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit keinen durchgreifenden Zweifeln (vgl zum zeitlichen Umfang der materiellen Freizügigkeitsberechtigung der Arbeitsuche: EuGH Rs Antonissen vom 26.2.1991 - C-292/89 RdNr 21; s auch Devetzi, EuR 2014, 638, 642; Lehmann, ZAR 2015, 212, 215; Thym, NJW 2015, 130, 133).

19

b) Die Kläger waren jedoch, auch wenn sie nicht den ausdrücklich normierten Ausnahmen des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II unterfallen, gleichwohl von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen. Denn sie verfügten über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung im Sinne des FreizügG/EU oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht. Damit unterfielen sie "erst-recht" dem Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II. Die Vorschrift ist insoweit planwidrig lückenhaft, als sie nicht ausdrücklich den Ausschluss auch derjenigen normiert, die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen, weil sie einen Leistungsausschluss schon für solche Ausländer anordnet, die sich auf eine solche materielle Freizügigkeitsberechtigung im Sinne des FreizügG/EU berufen können.

20

Der "Erst-Recht-Schluss" ist eine Untergruppe oder ein Spezialfall des Analogieschlusses. Die analoge Anwendung einfachgesetzlicher Vorschriften ist eine anerkannte Methode der richterlichen Rechtsfortbildung und verfassungsrechtlich unter Beachtung der Schranken des Art 20 Abs 3 GG zulässig. Denn hat der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, darf der Richter diese nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern und durch eine judikative Lösung ersetzen, die so im Parlament nicht erreichbar war (BVerfG vom 3.4.1990 - 1 BvR 1186/89 - BVerfGE 82, 6, 11). Daher setzt der Analogieschluss voraus, dass das Gesetz - hier im Hinblick auf eine bestimmte Personengruppe - lückenhaft, also angesichts der erkennbaren Regelungsabsicht des Gesetzgebers "planwidrig" unvollständig ist (vgl dazu Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl 1991, S 373, 375; s nur BSG vom 25.6.2009 - B 10 EG 8/08 R - BSGE 103, 291 = SozR 4-7837 § 2 Nr 2 RdNr 31 mwN). Es muss an der nach dem Regelungsplan des Gesetzes zu erwartenden Regel mangeln (BVerwG vom 11.9.2008 - 2 B 43/08 - Buchholz 237.7 § 23 NWLBG Nr 1 mwN). Dem "Erst-Recht-Schluss" selbst liegt dabei die Erwägung zugrunde, die analoge Anwendung sei immer dann gerechtfertigt, wenn die rechtspolitischen Gründe (Normzwecke) einer Vorschrift bei einem nicht geregelten Lebenssachverhalt noch stärker gegeben sind als bei dem geregelten Normtatbestand (vgl nur Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 8. Aufl 2015, RdNr 898). Dies ist hier im Hinblick auf Unionsbürger oder Ausländer, die über keine Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen, der Fall, wie sich aus der Entstehungsgeschichte der Ausschlussregelung, ihrem systematischen Zusammenhang sowie dem Sinn und Zweck der benannten Vorschrift erschließt (vgl zur Feststellung des Regelungsplans des Gesetzgebers bei einer Unvollständigkeit des Gesetzes, Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl 1991, S 373).

21

(aa) Nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II in der ab dem 1.1.2005 geltenden Fassung des Gesetzes zur optionalen Trägerschaft von Kommunen nach dem SGB II (vom 30.7.2004, BGBl I 2014) waren Ausländer unter den Voraussetzungen des § 8 Abs 2 SGB II leistungsberechtigt. Ein Ausschluss oder eine Beschränkung der Leistungsberechtigung für Unionsbürger waren mithin nicht vorgesehen. Mit der Neufassung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II durch das Gesetz zur Änderung des 2. Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (vom 24.3.2006, BGBl I 558) ergänzt durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (vom 19.8.2007, BGBl I 2008) erfolgte dann ein grundlegender Paradigmenwechsel. Es sollte von der Option des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG Gebrauch gemacht werden (BT-Drucks 16/5065 S 234). Für Unionsbürger, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen, sollte eine weitere leistungsrechtliche Hürde geschaffen werden, sofern sie wegen des vorbehaltlosen Aufenthalts in den ersten drei Monaten oder allein zum Zweck der Arbeitsuche freizügigkeitsberechtigt sind (BT-Drucks 16/5065 S 234; BT-Drucks 16/688 S 13). Leistungsberechtigt sollten sie nur sein, wenn sie über eine von § 7 Abs 1 S 2 SGB II nicht erfasste Freizügigkeitsberechtigung oder ein sonstiges Aufenthaltsrecht verfügen. Hieraus folgt umgekehrt, dass nicht freizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigte Unionsbürger nach dem gesetzgeberischen Plan von vornherein nicht leistungsberechtigt sein sollten.

22

(bb) Dies entspricht auch der Binnensystematik und der Verknüpfung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II mit dem im Gesetzentwurf unter Bezug genommenen Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG. Danach ist der Aufnahmemitgliedstaat - unter Hintanstellung des Gleichbehandlungsgrundsatzes - nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG (Zeitraum der Arbeitsuche, s unter 2.a) einen Anspruch auf Sozialhilfe (…) zu gewähren. Das Gleichbehandlungsgebot, also auch die Verpflichtung zur Gleichbehandlung bei der Gewährung existenzsichernder Leistungen, gilt mithin umgekehrt grundsätzlich nur dann, wenn eine Freizügigkeitsberechtigung des Unionsbürgers im Sinne der Richtlinie gegeben ist. Zugleich wird im Hinblick auf den Aufenthalt in den ersten drei Monaten und zur Arbeitsuche durch den Hinweis auf Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG eine Ausnahme normiert. Mit der Einfügung der Nr 1 und 2 in den S 2 des § 7 Abs 1 SGB II sollte demnach von den unionsrechtlich eröffneten Ausschlussgründen auch bei Bestehen einer Freizügigkeitsberechtigung Gebrauch gemacht werden. Hierin fügt sich die Systematik der Rückausnahmen in § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II für freizügigkeitsberechtigte Arbeitnehmer und Selbstständige sowie ihre Familienangehörigen ein. Dementsprechend haben die beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG im Hinblick auf Nr 2 des § 7 Abs 1 S 2 SGB II bisher schon unter Bezug auf § 11 FreizügG/EU (Regelung der Anwendung des AufenthG) angenommen, dass in Fällen, in denen ein anderes Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG - auch neben dem zum Zwecke der Arbeitsuche - besteht, etwa aus anderen familiären Gründen, der Ausschluss ebenfalls nicht eingreift(BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 30 ff; BSG vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28, RdNr 20 ff).

23

Dass der Gesetzgeber es planwidrig unterlassen hat, auch die nicht freizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigten Ausländer ausdrücklich von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auszuschließen, belegt auch die nachfolgende Kontrollüberlegung zu dem System der Eingliederungsleistungen im SGB II. Nach der Grundkonzeption des SGB II ist es Ziel dieser Leistungen, dass leistungsberechtigte Personen ohne eine Erwerbstätigkeit bei der Aufnahme einer solchen unterstützt werden, also Arbeit zu finden und, wenn sie bisher erfolglos Arbeit gesucht haben, dies mit einer Unterstützung durch Eingliederungsleistungen erfolgreich zu tun. Wenn ein EU-Ausländer aber Leistungen nach §§ 16 ff SGB II für eine erfolgreiche Arbeitsuche erhält, liegen die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II (wieder) vor. Dass ein solcher Zirkelschluss vom Gesetzgeber gewollt war, kann nicht angenommen werden. Es ist daher vielmehr davon auszugehen, dass es seinem Plan entsprach, in den Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II auch die Ausländer einzubeziehen, die keine oder objektiv ohne Erfolgsaussichten Arbeit suchen.

24

(cc) Auch wäre es sinnwidrig und würde der sozialpolitischen Zweckrichtung der Regelung widersprechen, hätten gerade nicht materiell freizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigte Ausländer einen Rechtsanspruch auf diese Leistungen, weil sie nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift nicht von Leistungen ausgeschlossen sind. Sie sind vielmehr, weil ihre Leistungsberechtigung im eigentlichen Sinne nicht gewollt war, "erst-recht" von Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen. Mit der Ausschlussregelung sollte ein Zuzug von Ausländern in den SGB II-Leistungsbezug verhindert werden, soweit keine Verpflichtung zur Gleichbehandlung mit Inländern besteht (vgl BT-Drucks 16/5065 S 234). Nur wer als Unionsbürger freizügigkeitsberechtigt ist - über das Aufenthaltsrecht in den ersten drei Monaten und zur Arbeitsuche hinaus - sollte daher einen Anspruch auf existenzsichernde Leistungen aus dem SGB II erhalten, etwa aufstockend neben der Tätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbstständiger, während der nachgehenden Statuserhaltung oder als deren Familienangehörige. Nach Ablauf der ersten drei Monate des Aufenthalts sei, so die Begründung im Gesetzentwurf, das weitere Aufenthaltsrecht vom Aufenthaltszweck abhängig und damit auch die Leistungsberechtigung nach dem SGB II. So sollte sichergestellt werden, dass durch die Neuregelung im Freizügigkeitsgesetz/EU - die RL 2004/38/EG umsetzend - keine Regelungslücke entsteht (vgl BT-Drucks 16/5065 S 234). Die materielle Freizügigkeits- oder Aufenthaltsberechtigung kann damit nicht hinweggedacht werden, ohne dass die Ausschlussregelung ihren Sinn verlöre.

25

c) Die Kläger konnten sich nicht auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung berufen.

26

(aa) Die Kläger waren nicht als Arbeitnehmer freizügigkeitsberechtigt. Der Begriff des Arbeitnehmers in § 7 Abs 1 S 2 SGB II ist, wie die Wortverbindung in dessen Nr 1 zum FreizügG/EU bereits zeigt, ebenfalls europarechtlich geprägt; durch dieses Gesetz wird die, die Freizügigkeitsrechte der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen innerhalb der Union regelnde RL 2004/38/EG - auf Grundlage der Europäischen Verträge - in das nationale Recht umgesetzt (Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, Vorbemerkung 0.1.2 zum Freizügigkeitsgesetz/EU). Eine kodifizierte Definition des Arbeitnehmerbegriffs findet sich im Europarecht zwar nicht. Es ist daher auf die Ausprägung dessen zurückzugreifen, die er auf Grundlage der Rechtsprechung des EuGH erfahren hat. Die Arbeitnehmereigenschaft wird danach bei der Ausübung einer tatsächlichen und echten Tätigkeit als gegeben angesehen, was gestützt auf objektive Kriterien und in einer Gesamtbetrachtung aller Umstände, die die Art der in Rede stehenden Tätigkeiten und des fraglichen Arbeitsverhältnisses betreffen, festzustellen ist (EuGH Rs Ninni-Orasche vom 6.11.2003 - C-413/01 RdNr 24; EuGH vom 21.2.2013 - C-46/12 RdNr 39 ff; Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 2 FreizügG/EU RdNr 37; Tewocht in Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 9. Edition, Stand XI/2015, § 2 FreizügG/EU RdNr 18 ff). Um Arbeitnehmer zu sein, muss die betreffende Person während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringen, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Dabei sind nicht nur Gesichtspunkte wie die Arbeitszeit und die Höhe der Vergütung zu berücksichtigen, sondern auch solche wie der Anspruch auf bezahlten Urlaub, die Geltung von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Anwendung des Tarifvertrags in der jeweils gültigen Fassung auf den Arbeitsvertrag sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses (EuGH Rs Genc vom 4.2.2010 - C-14/09 RdNr 27). Dies bedeutet, dass eine Integration in den Betrieb des Arbeitgebers gegeben sein muss, bei der die betreffende Person unter der Weisung oder Aufsicht eines Dritten steht, der die zu erbringenden Leistungen und/oder die Arbeitszeiten vorschreibt und dessen Anordnungen durch den Arbeitnehmer zu befolgen sind (vgl Hoffmann in Hofmann/Hoffmann, HK-AuslR, 1. Aufl 2008, § 2 FreizügG/EU RdNr 8). Unter Anwendung dieses Maßstabs und auf Grundlage seiner Feststellungen hat das LSG vorliegend die Arbeitnehmereigenschaft der Kläger zu 1 und 2 zutreffend verneint.

27

Die Kläger zu 1 und 2 haben die Obdachlosenzeitung "Fifty-Fifty" verkauft. Das LSG hat festgestellt, dass damit ein wirtschaftlicher Güteraustausch nicht verbunden gewesen sei, jedenfalls sei dies nicht der prägende Hauptzweck der Tätigkeit gewesen. Vielmehr habe es sich um eine dem Betteln gleichgestellte Tätigkeit gehandelt, die - nach einem Hinweis in dieser Zeitung - unter genehmigungsfreiem Gemeingebrauch des öffentlichen Straßenraumes erfolgte. Die Kläger zu 1 und 2 unterlagen auch nicht den Weisungen der karitativen Organisationen, die diese Zeitung herausgeben. Sie "kauften" die Zeitschriften bei den Herausgebern zum Zwecke des Straßenverkaufs und konnten - ohne weitere Weisungen zu deren Vertrieb - den Differenzbetrag zum Verkaufspreis zur eigenen Verfügung behalten.

28

(bb) Eine selbstständige Erwerbstätigkeit ist - ebenfalls unter Berücksichtigung der europarechtlichen Implikationen - jede Art der wirtschaftlichen Tätigkeit, die in eigener Verantwortung und weisungsfrei erfolgt (Tewocht in Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 9. Edition, Stand XI/2015, § 2 FreizügG/EU RdNr 32). Eine Gewinnerzielungsabsicht muss nicht vorrangiges oder einziges Ziel sein, sie muss aber vorhanden sein. Rein karitative Tätigkeiten fallen nicht hierunter; die Tätigkeit muss daher erwerbsorientiert sein, wobei alle Tätigkeiten erfasst werden, sofern sie mit einer entgeltlichen Gegenleistung verbunden sind und eine Teilnahme am Wirtschaftsleben darstellen (EuGH Rs Sodemare vom 17.6.1997 - C-70/95 RdNr 25; vgl auch Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 2 FreizügG/EU RdNr 78; Müller-Graff in Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl 2012, Art 49 AEUV RdNr 13). Der Selbstständige, der sich auf das Freizügigkeitsrecht der Niederlassungsfreiheit im Sinne der Art 49 ff AEUV berufen kann, muss auch tatsächlich eine wirtschaftliche Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit ausüben (EuGH Rs Factortame vom 25.7.1991 - C-221/89 RdNr 34; Tewocht in Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 9. Edition, Stand XI/2015, § 2 FreizügG/EU RdNr 33)und damit wirtschaftlich in einen anderen Mitgliedstaat integriert sein (Brinkmann in Huber, AufenthG, 1. Aufl 2010, § 2 FreizügG/EU RdNr 29).

29

Diese Voraussetzungen sind nach den zuvor dargelegten Bedingungen, unter denen die Kläger zu 1 und 2 dem Verkauf der Obdachlosenzeitung nachgegangen sind, nicht gegeben. Aber auch mit dem von dem Kläger zu 1 angemeldeten Gewerbebetrieb: "Abbruch- und Entkernungsarbeiten, Hilfsarbeiten auf Baustellen" erfüllte er nicht die Voraussetzungen um den Status als niedergelassener selbstständiger Erwerbstätiger erlangt zu haben. Er hat ausweislich der Feststellungen des LSG erklärt, das Gewerbe nie betrieben und auch keinen Gewinn erzielt zu haben. Abgesehen davon, dass er allein mit der Anmeldung des Gewerbebetriebes nicht am wirtschaftlichen Leben teilgenommen hat, war diese offensichtlich unter Zugrundelegung der getroffenen Feststellungen nicht erwerbsorientiert.

30

(cc) Damit entfällt zugleich der nachgehende Schutz als Arbeitnehmer oder Selbstständiger iS des § 2 Abs 3 FreizügG/EU für die Kläger zu 1 und 2. Danach bleibt für Arbeitnehmer und selbstständig Erwerbstätige die Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs 1 FreizügG/EU unberührt ua bei(2.) unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit oder Einstellung einer selbstständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbstständige keinen Einfluss hatte, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit (S 1). Bei weniger als einem Jahr Beschäftigung gilt dies auch, jedoch nur während der Dauer von sechs Monaten nach der Beendigung der Tätigkeit (S 2). Ebenso wenig haben folglich die Familienangehörigen eine vom Status als Arbeitnehmer oder Selbstständiger abgeleitete Freizügigkeitsberechtigung iS des § 2 FreizügG/EU innegehabt.

31

(dd) Die Kläger waren auch nicht als nichterwerbstätige Unionsbürger iS des § 4 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Danach haben nicht erwerbstätige Unionsbürger, ihre Familienangehörigen und ihre Lebenspartner, die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, das Recht nach § 2 Abs 1 FreizügG/EU, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. Zwar hat das LSG keine Feststellungen zum Krankenversicherungsschutz der Kläger getroffen. Dass sie nicht über ausreichende Existenzmittel verfügten, zeigt sich jedoch bereits daran, dass sie hilfebedürftig iS des § 7 Abs 1 Nr 3 iVm § 9 SGB II waren(vgl zum Maßstab der "nicht ausreichenden Existenzmittel": Thym, NJW 2015, 130, 132).

32

(ee) Anhaltspunkte für ein anderes Aufenthaltsrecht im Sinne des AufenthG sind ebenfalls nicht ersichtlich oder vorgebracht (vgl zum Vorliegen eines anderen Aufenthaltsrechts nur: BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 30 ff; BSG vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28, RdNr 20 ff).

33

(ff) Der fehlenden materiellen Freizügigkeitsberechtigung steht auch nicht entgegen, dass die Kläger zu 1 und 2 nach den bindenden Feststellungen des LSG im Besitz einer Freizügigkeitsbescheinigung/EU nach § 5 Abs 1 FreizügG/EU idF des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union(vom 19.8.2007, BGBl I 1970) waren. Das Ausstellen einer solchen Bescheinigung, die mit Wirkung zum 29.1.2013 im Übrigen abgeschafft worden ist (Streichung des § 5 Abs 1 FreizügG/EU in der vorbenannten Fassung durch das Gesetz zur Änderung des FreizügG/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21.1.2013, BGBl I 86), lässt keine Rückschlüsse auf das Bestehen einer materiellen Freizügigkeitsberechtigung zu.

34

Ihre Ausstellung hatte allein deklaratorische Bedeutung (BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 20; Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 5 FreizügG/EU RdNr 4; noch offengelassen BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 13; s jedoch BSG vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28 RdNr 17). Auch solange § 5 Abs 1 FreizügG/EU idF vom 19.8.2007 noch in Kraft war, erfolgte die Prüfung der Freizügigkeitsberechtigung nach den Kriterien des § 2 FreizügG/EU. Das Freizügigkeitsrecht wurde und wird originär durch den EG-Vertrag/EUV/AEUV und seine Durchführungsbestimmungen begründet und nicht durch die Ausstellung der Aufenthaltskarte (EuGH Rs Dias vom 21.7.2011 - C-325/09 - RdNr 48; s auch VG Augsburg vom 5.6.2008 - Au 1 S 08.450 - juris-RdNr 35, 36). So war umgekehrt in der Vergangenheit die Ausstellung der Bescheinigung über das Freizügigkeitsrecht keine Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Unionsbürgers im Bundesgebiet. Aufgrund der generellen Freizügigkeitsvermutung muss der Aufenthalt desjenigen Unionsbürgers, der schon bei seiner Einreise ins Bundesgebiet keinen Freizügigkeitstatbestand erfüllt hat, solange als rechtmäßig angesehen werden, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts in entsprechender Anwendung des § 5 Abs 5 FreizügG/EU in der bis Januar 2013 geltenden Fassung oder nunmehr aufgrund von § 5 Abs 4 FreizügG/EU bzw der Missbrauchstatbestände in § 2 Abs 7 FreizügG/EU festgestellt hat. Erst die ausländerbehördliche Nichtbestehens- bzw Verlustfeststellung führt zur sofortigen Ausreisepflicht nach § 7 Abs 1 FreizügG/EU. Bis dahin darf sich ein Unionsbürger unabhängig vom Vorliegen einer materiellen Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 FreizügG/EU aufgrund der generellen Freizügigkeitsvermutung im Bundesgebiet aufhalten, ohne ausreisepflichtig zu sein(vgl BT-Drucks 16/5065 S 211 zu Art 2 Nr 8 Buchst a Doppelbuchst aa).

35

(d) Diese Auslegung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II ist auch europarechtskonform. Der EuGH hat sowohl in der Rechtssache Dano (vom 11.11.2014 - C-333/13) als auch in der Rechtssache Alimanovic (vom 15.9.2015 - C-67/14) in den hier gegebenen Fallkonstellationen die Zulässigkeit der Verknüpfung des Ausschlusses von Unionsbürgern anderer Mitgliedstaaten von existenzsichernden Leistungen mit dem Bestehen eines Aufenthaltsrechts im Sinne der RL 2004/38/EG ausdrücklich anerkannt. Nach seiner Rechtsprechung sind Art 24 Abs 1 der RL 2004/38/EG iVm ihrem Art 7 Abs 1 Buchst b und Art 4 VO 883/2004/EG dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vom Bezug bestimmter "besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen" im Sinne des Art 70 Abs 2 VO 883/2004/EG ausgeschlossen werden, während Staatsangehörige des Aufnahmemitgliedstaats, die sich in der gleichen Situation befinden, diese Leistungen erhalten, sofern den betreffenden Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten im Aufnahmemitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG zusteht (EuGH Rs Dano vom 11.11.2014 - C-333/13 RdNr 84). In der Rechtssache Alimanovic hat der EuGH insoweit betont, dass Unionsbürger anderer EU-Staaten, die nach Deutschland eingereist sind, um Arbeit zu suchen, vom deutschen Gesetzgeber vom Bezug von Alg II oder Sozialgeld ausgeschlossen werden können, selbst wenn diese Leistungen als besondere beitragsunabhängige Geldleistungen im Sinne des Art 70 VO 883/2004/EG eingeordnet werden (EuGH Rs Alimanovic vom 15.9.2015 - C-67/14 RdNr 63). Beim Alg II und Sozialgeld handele es sich um Leistungen der "Sozialhilfe" im Sinne des Art 24 Abs 2 der RL 2004/38/EG. Danach haben die Aufnahmestaaten jedoch keine Verpflichtung zur Gleichbehandlung ihrer Staatsangehörigen und solcher anderer EU-Mitgliedstaaten im Hinblick auf einen Anspruch auf Sozialhilfe, wenn Letztere nicht Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder ihnen dieser Status erhalten geblieben ist bzw Familienangehörige dieser sind (s hierzu auch Kingreen in NVwZ 2015, 1503, 1505 f; Padé in jM 2015, 414, 415).

36

3. Den Klägern steht jedoch ein Recht auf Existenzsicherung durch Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII gemäß § 23 Abs 1 S 3 SGB XII in gesetzlicher Höhe gegen die Beigeladene zu.

37

a) Die Kläger waren leistungsberechtigt im Sinne des Sozialhilferechts, weil sie im streitigen Zeitraum ihren Lebensunterhalt nicht iS des § 19 Abs 1 SGB XII iVm § 27 Abs 1 SGB XII aus eigenen Kräften und Mitteln decken konnten.

38

Nach § 19 Abs 1 SGB XII ist Personen Hilfe zum Lebensunterhalt zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten können. Dies war bei den Klägern, wie eingangs dargelegt, im streitigen Zeitraum der Fall. Ihr Bedarf im sozialhilferechtlichen Sinne ist dem Grunde nach zwar teilweise dadurch gedeckt worden, dass sie - durch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zugesprochene SGB II-Leistungen - den leistungslosen Zeitraum überstanden haben (vgl BSG vom 29.9.2009 - B 8 SO 16/08 R - BSGE 104, 213 = SozR 4-1300 § 44 Nr 20, RdNr 14 mwN). Insoweit greift für einen Teil des streitigen Zeitraums die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X ein.

39

b) Einem Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII stand auch eine mangelnde Kenntnis der Beigeladenen von der Bedürftigkeit der Kläger im streitigen Zeitraum nicht entgegen. Die Kläger haben zwar "nur" Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bei dem Beklagten beantragt. Die nach § 18 Abs 1 SGB XII erforderliche Kenntnis der Beigeladenen von dem Bedarf der Kläger liegt jedoch gleichwohl vor. Die Beigeladene muss sich insoweit die Kenntnis des Beklagten aufgrund des Antrags auf SGB II-Leistungen nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG zurechnen lassen (BSG vom 2.12.2014 - B 14 AS 66/13 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 42 RdNr 25; BSG vom 13.2.2014 - B 8 SO 58/13 B - SozR 4-3500 § 25 Nr 4 RdNr 8; BSG vom 26.8.2008 - B 8/9b SO 18/07 R - SozR 4-3500 § 18 Nr 1 RdNr 22 ff).

40

c) Ebenso wenig waren die Kläger nach § 21 S 1 SGB XII von der Hilfe zum Lebensunterhalt ausgeschlossen. § 21 S 1 SGB XII bestimmt, dass Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt erhalten. Die Kläger waren im streitigen Zeitraum nicht dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II, weil sie dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II unterfielen. Dies führt dazu, sie dem System des SGB XII zuzuweisen. Die Erwerbsfähigkeit zumindest der Kläger zu 1 und 2 steht dem nicht entgegen.

41

Schon der Wortlaut des § 21 S 1 SGB XII stellt nicht ausschließlich auf das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit ab, sondern berücksichtigt einen Leistungsanspruch nach dem SGB II dem Grunde nach. Ist mithin ein Erwerbsfähiger wegen des Vorliegens der Voraussetzungen eines Leistungsausschlusses nicht leistungsberechtigt nach dem SGB II, folgt hieraus nicht zwangsläufig ein Leistungsausschluss nach dem SGB XII (BSG vom 25.9.2014 - B 8 SO 6/13 R - BSGE = SozR 4-4200 § 44a Nr 1, RdNr 11). Die "Systemabgrenzung" erfordert vielmehr eine differenzierte Betrachtung der einzelnen Leistungsausschlüsse (Eicher in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 21 RdNr 26, 34; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB XII, § 21 RdNr 46, Stand I/2014; so im Ergebnis auch Coseriu in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 23 RdNr 64). Im Grundsatz gilt für die Systemzuweisung aufgrund der Erwerbszentriertheit des SGB II, dass derjenige, der von dem auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ausgerichteten Leistungssystem des SGB II ausgeschlossen werden soll, dem System des SGB XII zugewiesen wird.

42

Auf dieser Grundlage hat das BSG bereits für andere in § 7 SGB II geregelte Leistungsausschlüsse ausdrücklich entschieden, dass die "Anwendungssperre" des § 21 S 1 SGB XII nicht greift(vgl Eicher in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 21 RdNr 34 ff). Dies gilt nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate sowohl für den Leistungsausschluss wegen einer den Regelbedarf unterschreitenden ausländischen Rentenleistung als auch den Leistungsausschluss eines Erwerbsfähigen wegen der Unterbringung in einer stationären Einrichtung oder in einem Krankenhaus nach § 7 Abs 4 S 1 SGB II. Sie sind iS des § 21 SGB XII nach dem SGB II dem Grunde nach nicht mehr leistungsberechtigt und bei Bedürftigkeit auf "die auf gleicher Grundlage wie im SGB II bemessenen und daher vom Umfang im Wesentlichen identischen Leistungen der Sozialhilfe" verwiesen(BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 20; BSG vom 2.12.2014 - B 14 AS 66/13 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 42 RdNr 10, 24; vgl auch BSG vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen - RdNr 47: vorzeitige Altersrente nach Aufforderung durch den Grundsicherungsträger). In gleicher Weise hat der für das Sozialhilferecht zuständige 8. Senat des BSG für den Leistungsausschluss bei Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneten Freiheitsentziehung entschieden. Erwerbsfähige Hilfebedürftige, die einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 4 S 2 SGB II unterfallen, können grundsätzlich Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII beanspruchen(BSG vom 12.12.2013 - B 8 SO 24/12 R - SozR 4-3500 § 67 Nr 1 RdNr 20).

43

Bezogen auf den Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II gilt nichts anderes(Berlit in Berlit/Conradis/Sartorius, Existenzsicherungsrecht, 2. Aufl 2013, Kap 12 RdNr 54; Eicher in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 21 RdNr 35). Der Ausschluss von Personen, die nicht oder nicht mehr über eine Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche verfügen, vom erwerbszentrierten Leistungssystem des SGB II führt dazu, die Sperrwirkung des § 21 SGB XII entfallen zu lassen.

44

d) Allerdings steht dem Rechtsanspruch der Kläger auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII ein Ausschluss aufgrund der Regelung des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII entgegen.

45

(aa) Die Kläger sind zwar nicht iS des § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB XII eingereist, um Sozialhilfe zu erlangen. Es mangelt hier insoweit an dem finalen Zusammenhang zwischen Einreise und Sozialhilfebezug (vgl BSG vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R - BSGE = SozR 4-3500 § 25 Nr 5, RdNr 25). Dieser Zusammenhang liegt vor, wenn der Zweck, Sozialhilfe zu erlangen, den Einreiseentschluss geprägt hat. Wie das BVerwG dies bereits zu der wortgleichen Vorschrift des § 120 Abs 3 S 1 BSHG entschieden hat, bezeichnet schon die Konjunktion "um (…) zu (…)" ein ziel- und zweckgerichtetes Handeln und damit eine Zweck-Mittel-Relation, in der die Einreise das Mittel und die Inanspruchnahme von Sozialhilfe den mit ihr verfolgten Zweck bildet(vgl BVerwG vom 4.6.1992 - 5 C 22/87 - BVerwGE 90, 212, 214; im Anschluss daran etwa LSG Berlin-Brandenburg vom 10.9.2009 - L 23 SO 117/06 - juris-RdNr 27 f; LSG Nordrhein-Westfalen vom 12.1.2009 - L 20 B 58/08 AY - juris-RdNr 25 ff; LSG Niedersachsen-Bremen vom 27.11.2008 - L 8 SO 173/08 ER - juris-RdNr 20 f). Dabei wird diese Zweck-Mittel-Relation jedoch auch dann als gegeben angesehen, wenn die Einreise des Ausländers auf verschiedenen Motiven beruht, der Zweck der Inanspruchnahme für den Einreiseentschluss jedoch von prägender Bedeutung gewesen, also nicht nur neben vorrangigen anderen Zwecken billigend in Kauf genommen worden ist (Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 RdNr 46, Stand VI/2012).

46

So liegt der Fall nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG hier nicht. Es ist keine Zweck-Mittel-Relation im eben dargelegten Sinne gegeben, denn die Kläger zu 1 und 2 sind zur Arbeitsuche eingereist. Das LSG hat dies - wenn auch die Erfolgsaussichten der Arbeitsuche für den hier streitigen Zeitraum verneinend - ausdrücklich festgestellt. So haben die Kläger zu 1 und 2, wie das LSG unter Hinweis auf die Beratungsvermerke in den Akten ausgeführt hat, mehrfach Deutschkurse beantragt und sich auch sonst um Eingliederungsleistungen bemüht. Sie haben auch nicht schon bei der Einreise oder kurz danach, sondern erstmals nach rund einem Jahr ihres Aufenthalts in Deutschland und dann erneut rund noch einmal ein weiteres Jahr später existenzsichernde Leistungen beantragt. Der Kläger zu 3 folgt dem als Familienangehöriger.

47

(bb) Die Kläger unterfallen auch nicht dem Wortlaut der Alt 2 des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII. Sie verfügten - wie unter 2.a) dargelegt - im streitigen Zeitraum nicht mehr über ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche. Dies ist nach dem Wortlaut des § 23 Abs 3 SGB XII jedoch Voraussetzung für den Ausschluss von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII. Der Ausschluss tritt danach nur dann ein, wenn ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche im streitigen Zeitraum tatsächlich gegeben ist.

48

(cc) Ebenso wie oben zum Leistungsausschluss im SGB II dargelegt, sind jedoch auch nach § 23 Abs 3 S 1 SGB XII nichtfreizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigte Ausländer von den existenzsichernden Leistungen der Sozialhilfe ausgenommen(offengelassen BSG vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R - BSGE = SozR 4-3500 § 25 Nr 5, RdNr 25; aA Herbst in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und der Sozialhilfe, Band 1 Teil II, Stand VIII/2013, § 23 SGB XII RdNr 47b; Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 RdNr 54d, Stand VI/2012).

49

Im Entwurf des Gesetzes zur Änderung des SGB XII und anderer Gesetze vom 25.9.2006 (BT-Drucks 16/2711 S 10) wird darauf hingewiesen, dass die Einfügung der Alt 2 in § 23 Abs 3 S 1 SGB XII einen der Regelung im SGB II entsprechenden Leistungsausschluss für Ausländer normiere und damit zugleich sicherstelle, dass Ausländer, die nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende hätten, auch aus dem SGB XII keine Ansprüche herleiten könnten. § 7 Abs 1 S 2 SGB II in der damaligen Fassung lautete: Ausgenommen sind Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt [und] ihre Familienangehörigen (…)(idF des Gesetzes zur Änderung des SGB II und anderer Gesetze vom 24.3.2006, BGBl I 558 mWv 1.4.2006). Es sollte damit Art 24 Abs 2 iVm Art 14 Abs 4 Buchst b der RL 2004/38/EG umgesetzt werden (BT-Drucks 16/2711 S 10). Nach Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG ist der Aufnahmemitgliedstaat - unter Hintanstellung des Gleichbehandlungsgrundsatzes - nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG (Zeitraum der Arbeitsuche, s unter 2.a) einen Anspruch auf Sozialhilfe (…) zu gewähren. Die dort vorgenommene Abgrenzung zwischen den gleich zu behandelnden Personengruppen und denen, die aus europarechtlicher Sicht von den Aufnahmestaaten von der Sozialhilfe ausgeschlossen werden dürfen, erfolgt, indem der Personenkreis der Freizügigkeitsberechtigten, die der Gleichbehandlung unterfallen, positiv benannt wird. Im Umkehrschluss ergibt sich, dass neben denen, die freizügigkeitsberechtigt wegen der Arbeitsuche sind und denen der Aufnahmestaat gleichwohl keine Sozialhilfeleistungen zu erbringen braucht, dies auch für die Nichtfreizügigkeitsberechtigten gilt. Sie unterfallen nicht dem Gleichbehandlungsgebot.

50

Soweit spätere Versuche, eine weitergehende Anpassung der Rechtslage des SGB II an das SGB XII zu bewirken, nicht erfolgreich waren (s nur BT-Drucks 16/2711 S 16; BT-Drucks 16/2753 S 1, 2; BT-Drucks 16/5527 S 15, 23; BT-Drucks 16/239 S 13, 17), sprechen diese Versuche und die Reaktionen hierauf nicht für das Erfordernis einer anderen Wertung im Hinblick auf den "Erst-Recht-Schluss" im SGB XII als im SGB II. Die zuvor beschriebene Anpassung des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII war ausreichend, um die gewünschte Parallele zum SGB II für die hier zu beurteilenden Fälle zu ermöglichen. Insbesondere bedurfte es keiner Reaktion auf die Änderung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 (BGBl I, 1970 mWv 28.8.2007). Die Umstrukturierung des S 2 und die Einfügung der Nr 1 in § 7 Abs 1 S 2 SGB II ist für das SGB XII ohne Bedeutung.

51

e) Zwar ist Rechtsfolge des Ausschlusses nach § 23 Abs 3 S 1 SGB XII, dass trotz des tatsächlichen Aufenthalts im Inland kein Rechtsanspruch auf ua Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 23 Abs 1 S 1 SGB XII besteht. In einem solchen Fall des Ausschlusses können jedoch nach § 23 Abs 1 S 3 SGB XII Leistungen der Sozialhilfe gewährt werden, wenn dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Ausschlussregelung, denn sie nimmt lediglich Bezug auf den "Anspruch" auf Sozialhilfe. Dementsprechend hat bereits das BVerwG zu der Vorschrift des § 120 Abs 3 S 1 Alt 1 BSHG befunden, dass Ausländer, die dem Leistungsausschluss unterfielen, weil sie eingereist seien, um Sozialhilfe zu erlangen, lediglich von einem Rechtsanspruch ua auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 120 Abs 1 S 1 BSHG ausgeschlossen seien(BVerwG vom 10.12.1987 - 5 C 32/85 - BVerwGE 78, 314, 316 f; Schellhorn/Jirasek/Seipp, Kommentar zum BSHG, 16. Aufl 2002, § 25 RdNr 10, § 120 RdNr 16; so auch Krahmer in LPK-BSHG, 6. Aufl 2003, § 25 RdNr 7; Birk in ders, § 120 RdNr 47). Insoweit gilt für die Regelung des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII, die der Gesetzgeber in Kenntnis der Rechtsprechung des BVerwG im Wesentlichen inhaltsgleich ausgestaltet hat(BT-Drucks 15/1514 S 58), nichts anderes (vgl BSG vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R - BSGE = SozR 4-3500 § 25 Nr 5, RdNr 28; s auch Adolph in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, § 23 SGB XII RdNr 76, Stand XII/2008; Birk in LPK-SGB XII, 10. Aufl 2015, § 23 RdNr 20; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl 2014, § 23 RdNr 42; differenzierend Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 RdNr 50, Stand VI/2012, der einen Rechtsanspruch auf die im Einzelfall gebotenen Leistungen annimmt, um zu einem Gleichklang mit § 1a AsylbLG zu gelangen).

52

Der Ausschluss nur von dem Rechtsanspruch auf die in S 1 des § 23 Abs 1 SGB XII benannten Leistungen erschließt sich auch aus dem - im Übrigen gegenüber § 120 BSHG unveränderten - systematischen Verhältnis der Regelungen der Sätze 1 und 3 in Abs 1 des § 23 SGB XII zueinander. Durch § 23 Abs 1 S 1 SGB XII erhält der Ausländer ausschließlich unter der Voraussetzung, dass er sich tatsächlich im Inland aufhält, einen Rechtsanspruch auf Leistungen der Sozialhilfe nach einem reduzierten Leistungskatalog, aber der Höhe nach uneingeschränkt. Hiervon sollen diejenigen, die die Ausschlusstatbestände des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII erfüllen, ausgeschlossen werden, nicht jedoch von dem der Sozialhilfe systemimmanenten grundsätzlichen Anspruch auf Hilfe bei bedrohter Existenzsicherung(s hierzu BVerwG vom 14.3.1985 - 5 C 145/83 - BVerwGE 71, 139; BVerwG vom 10.12.1987 - 5 C 32/85 - BVerwGE 78, 314, 317 ff). Diesem Personenkreis sollen daher nur nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens Leistungen der Sozialhilfe erbracht werden können, aber eben auch solche Leistungen, die nach S 1 des § 23 Abs 1 SGB XII vom Rechtsanspruch ausgenommen worden sind, soweit im Einzelfall geboten.

53

f) Das Ermessen des Sozialhilfeträgers ist jedoch in einem Fall wie dem vorliegenden, dem Grunde und der Höhe nach hinsichtlich der Hilfe zum Lebensunterhalt auf Null reduziert. Dies ist immer dann der Fall, wenn sich das Aufenthaltsrecht des ausgeschlossenen Ausländers verfestigt hat - regelmäßig ab einem sechsmonatigen Aufenthalt in Deutschland. Dies folgt aus der Systematik des § 23 Abs 3 S 1 Alt 2 SGB XII im Verhältnis zu § 23 Abs 1 S 1 und 3 SGB XII sowie verfassungsrechtlichen Erwägungen.

54

So bezieht sich der ausdrückliche Ausschluss der Alt 2 des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII auf den im Freizügigkeitsgesetz/EU zeitlich begrenzten Vorgang der Arbeitsuche. Unter 2.a) ist bereits dargelegt worden, dass die Freizügigkeitsberechtigung zum Zwecke der Arbeitsuche nach dem Ablauf von sechs Monaten gemäß § 2 Abs 1a FreizügG/EU idF des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften vom 2.12.2014 (BGBl I 1922) endet, wenn nicht weiterhin eine begründete Aussicht auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit besteht. Diese Begrenzung der Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche dient nach den Gesetzesmaterialien der Umsetzung von Unionsrecht in seiner Auslegung durch den EuGH, der entschieden habe, dass die Mitgliedstaaten berechtigt seien, das Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche auf einen angemessenen Zeitraum zu begrenzen, wobei der EuGH von einem Zeitraum von sechs Monaten ausgegangen sei (BT-Drucks 18/2581 S 15 zu Art 1 Nr 1 Buchst b; vgl dazu bereits BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 29). Mit dem auf den konkreten Einzelfall abstellenden Zusatz - "darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden" - nimmt die Neuregelung lediglich die Formulierung in Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG auf, enthält jedoch mit der allgemein geltenden zeitlichen Begrenzung - "für bis zu sechs Monate" - eine Typisierung. Für diese typisierte Dauer einer Arbeitsuche von sechs Monaten nach der Einreise liegt eine Aufenthaltsverfestigung noch nicht vor, weil hinter der zeitlichen Begrenzung die Erwartung steht, es handele sich um einen angemessenen Zeitraum, die Erfolgsaussichten einer Arbeitsuche in einem anderen Mitgliedstaat ohne Aufenthaltsverfestigung zu prüfen.

55

Werden diese Erwartungen enttäuscht und bleibt der tatsächliche Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland nach Ablauf von sechs Monaten bestehen, tritt im Regelfall eine Aufenthaltsverfestigung ein, der nach geltendem Recht ausländerbehördlich entgegengetreten werden kann. Bestand nie eine Freizügigkeitsberechtigung wegen eines Aufenthalts zur Arbeitsuche oder besteht diese nach Ablauf von sechs Monaten mangels begründeter Aussichten, eingestellt zu werden, nicht mehr, kann durch die Ausländerbehörde der Verlust der Freizügigkeitsberechtigung durch Verwaltungsakt festgestellt werden (Verlustfeststellung nach § 5 Abs 4 S 1 FreizügG/EU). Erst die förmliche Verlustfeststellung begründet nach § 7 Abs 1 S 1 FreizügG/EU die sofortige Ausreisepflicht, wenn nicht Rechtsschutz in Anspruch genommen wird(vgl BT-Drucks 16/5065 S 211 zu Art 2 Nr 8 Buchst a Doppelbuchst aa). In tatsächlicher Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass von der rechtlichen Möglichkeit der Verlustfeststellung nur in geringem Umfang Gebrauch gemacht wird (Thym, NZS 2014, 81, 87; BT-Drucks 17/13322 S 19). Zur Prüfung der Voraussetzungen einer Verlustfeststellung kann die zuständige Ausländerbehörde im Übrigen nach § 5 Abs 2 S 1 FreizügG/EU bereits frühzeitig, nämlich drei Monate nach der Einreise, verlangen, dass die Voraussetzungen nach § 2 Abs 1 FreizüG/EU glaubhaft gemacht werden.

56

Ist hiernach typisierend von einer Aufenthaltsverfestigung auszugehen, ist die Ermessenausübung jedoch daran zu messen, dass der Rechtsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt im Sozialhilferecht ansonsten weder nach dem Grund der Einreise, noch nach Berechtigung oder Dauer des Aufenthalts fragt. Bei der Leistungsgewährung nach dem SGB XII kommt es in erster Linie auf die Tatsache einer gegenwärtigen Hilfebedürftigkeit an (BSG vom 10.11.2011 - B 8 SO 12/10 R - SozR 4-3500 § 30 Nr 4 RdNr 26; BVerwG vom 2.6.1965 - V C 63.64 - BVerwGE 21, 208, 211; vgl auch Berlit in Berlit/Conradis/Sartorius, Existenzsicherungsrecht, 2. Aufl 2013, Kap 7 RdNr 24). Es reicht nach dem Wortlaut des § 23 Abs 1 S 1 SGB XII allein der tatsächliche Aufenthalt in Deutschland aus. Dem Leistungsberechtigten, der über kein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche mehr verfügt und "erst-recht" von dem Rechtsanspruch auf "Sozialhilfeleistungen" iS des § 23 Abs 1 S 1 SGB XII ausgeschlossen ist, mangelt es wie jedem anderen Ausländer, der sich tatsächlich im Inland aufhält - zunächst einmal ohne Freizügigkeits- oder Aufenthaltsberechtigung - an einer Aufenthaltsperspektive. Um den Gleichklang mit Letzterem zu erreichen, ist es folgerichtig, zumindest im Hinblick auf die Hilfe zum Lebensunterhalt durch eine Ermessensreduktion, bei verfestigtem Aufenthalt zu denselben Leistungen zu gelangen. Dieses nach Ablauf von regelmäßig sechs Monaten durch ein Vollzugsdefizit des Ausländerrechts bewirkte Faktum eines verfestigten tatsächlichen Aufenthalts des Unionsbürgers im Inland ist unter Berücksichtigung auch der verfassungsrechtlichen Vorgaben kein zulässiges Kriterium, die Entscheidung über die Gewährung existenzsichernder Leistungen dem Grunde und der Höhe nach in das Ermessen des Sozialhilfeträgers zu stellen.

57

Das BVerfG hat in seiner Entscheidung zum AsylbLG (vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134) im Anschluss und in Weiterentwicklung der grundlegenden Entscheidung vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12)Grundlagen und Umfang des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums näher ausgeformt. Wenn Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlten, weil sie weder aus einer Erwerbstätigkeit noch aus eigenem Vermögen oder durch Zuwendungen Dritter zu erlangen seien, sei der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen dafür Hilfebedürftigen zur Verfügung stünden. Als Menschenrecht - und dies ist hier entscheidend - stehe dieses Grundrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhielten, gleichermaßen zu (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 159 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 89, unter Hinweis auf BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12). Eine pauschale Differenzierung nach dem Aufenthaltsstatus hat das BVerfG im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung der existenzsichernden Leistungen ausdrücklich abgelehnt (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 164 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 99). Insoweit komme es für eine abweichende Bedarfsbestimmung darauf an, ob etwa wegen eines nur kurzfristigen Aufenthalts konkrete Minderbedarfe gegenüber Hilfeempfängern mit Daueraufenthaltsrecht nachvollziehbar festgestellt und bemessen werden könnten. Hierbei sei etwa zu berücksichtigen, ob durch die Kürze des Aufenthalts Minderbedarfe durch Mehrbedarfe kompensiert werden könnten, die typischerweise gerade unter den Bedingungen eines nur vorübergehenden Aufenthalts anfielen. Dies lässt sich während des Bestehens eines Aufenthaltsrechts allein zum Zwecke der Arbeitsuche über die Ermessensleistung des § 23 Abs 1 S 3 SGB XII regulieren, nicht jedoch bei verfestigtem Aufenthalt. Denn ließen sich - so das BVerfG - tatsächlich spezifische Minderbedarfe bei einem nur kurzfristigen, nicht auf Dauer angelegten Aufenthalt feststellen, und wolle der Gesetzgeber die existenznotwendigen Leistungen für eine Personengruppe deshalb gesondert bestimmen, müsse er sicherstellen, dass die gesetzliche Umschreibung dieser Gruppe hinreichend zuverlässig tatsächlich nur diejenigen erfasse, die sich regelmäßig nur kurzfristig in Deutschland aufhielten. Eine Beschränkung auf etwaige Minderbedarfe für Kurzaufenthalte komme dann nicht mehr in Betracht, wenn der tatsächliche Aufenthalt die Spanne eines Kurzaufenthalts deutlich überschritten habe. Für diese Fälle sei ein zeitnaher Übergang zu den existenzsichernden Leistungen für Normalfälle vorzusehen (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 164 ff = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 99 ff). Dies begründet im Regelfall eine Ermessensreduktion auf Null und damit eine Anpassung der Hilfe zum Lebensunterhalt für diejenigen, die sich nicht nur kurzfristig im Inland aufhalten. Denn im Übrigen weist das BVerfG darauf hin, dass eine Regelung zur Existenzsicherung vor der Verfassung nur Bestand habe, wenn Bedarfe durch Anspruchsnormen gesichert würden (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 162 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 96).

58

Tatsächliche Hinweise darauf, dass von einer Ermessensreduzierung trotz des Zeitablaufs ausnahmsweise abzusehen ist, sind den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen. Derartige Umstände können insbesondere vorliegen, wenn die tatsächlichen Lebensumstände des Unionsbürgers darauf schließen lassen, dass er nicht auf Dauer im Inland verweilen wird. Gleiches gilt, wenn die Ausländerbehörde bereits konkrete Schritte zur Beendigung des Aufenthalts eingeleitet hat. Demgegenüber haben sich die Kläger im streitigen Zeitraum bereits mehr als zwei Jahre in Deutschland aufgehalten, ohne dass derartige Maßnahmen im Raum standen.

59

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein polnischer Staatsangehöriger, begehrt die Ausstellung einer Bescheinigung über das Bestehen eines Daueraufenthaltsrechts nach § 5 Abs. 6 Satz 1 FreizügG/EU.

2

Der 1977 geborene Kläger reiste im September 1989 mit seiner Mutter und seinem Bruder nach Berlin (West) ein. Nach einem erfolglosen Asylverfahren erhielt er ab Juli 1991 bis April 2006 Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen. Nachdem er die Hauptschule abgeschlossen hatte, erteilte ihm das Arbeitsamt im Mai 1994 eine unbefristete und unbeschränkte Arbeitsgenehmigung. Der Kläger brach 1996 eine Lehre als Elektroinstallateur ab. Sein 2004 unternommener Versuch, ein Reinigungsunternehmen zu eröffnen, blieb ohne Erfolg. Der Kläger bezieht seit seiner Einreise immer wieder Sozialleistungen.

3

Im Juli 2005 beantragte der Kläger die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen bzw. die Ausstellung einer Bescheinigung über sein gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht. Im Oktober 2005 erteilte ihm das beklagte Land letztmalig eine bis April 2006 gültige Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen. Gleichzeitig wies es darauf hin, die Aufenthaltserlaubnis nicht über diesen Zeitpunkt hinaus verlängern zu wollen, wenn der Kläger weiterhin auf die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel angewiesen sei.

4

Mit Bescheid vom 22. März 2006 lehnte der Beklagte die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab, da der Lebensunterhalt des Klägers nach wie vor nicht gesichert sei. Die Voraussetzungen für Aufenthaltsansprüche nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU erfülle er nicht, da er weder Arbeitnehmer sei noch einen gesicherten Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel nachweisen könne. Bis auf den gescheiterten Versuch selbstständiger Tätigkeit seien keine Arbeitsbemühungen nachgewiesen worden. Dem Kläger wurde die Abschiebung nach Polen für den Fall nicht fristgerechter Ausreise binnen 15 Tagen nach Unanfechtbarkeit des Bescheids angedroht. Über den hiergegen eingelegten Widerspruch hat der Beklagte nicht entschieden.

5

Das Verwaltungsgericht gab der Klage, die auf Ausstellung einer Bescheinigung über das Bestehen eines unbefristeten Daueraufenthaltsrechts gerichtet war, im Februar 2007 statt. Dabei ging es davon aus, dass Art. 16 der Richtlinie 2004/38/EG jedem Unionsbürger, der sich fünf Jahre rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten habe, ein Daueraufenthaltsrecht gewähre, ohne dass es darauf ankomme, ob er über ausreichende Existenzmittel verfüge.

6

Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 28. April 2009 den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger erfülle nicht die Anforderungen für das Bestehen eines Daueraufenthaltsrechts nach § 4a FreizügG/EU. Er halte sich zwar seit mehr als fünf Jahren im Bundesgebiet auf. Rechtmäßig im Sinne dieser Vorschrift sei aber nur ein Aufenthalt, der nach § 2 Abs. 2 FreizügG/EU auf einem Freizügigkeitsrecht beruhe. Berücksichtigungsfähig seien zudem nur Zeiten, in denen der Herkunftsstaat Mitglied der Europäischen Union gewesen sei. Nach dem Beitritt der Republik Polen zur Europäischen Union am 1. Mai 2004 sei der Kläger nicht freizügigkeitsberechtigt gewesen, da er als nichterwerbstätiger Unionsbürger nicht über ausreichende Existenzmittel verfügt habe (§ 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 FreizügG/EU). Anders als bei Arbeitnehmern und selbstständig Erwerbstätigen seien in diesem Fall Zeiten des Sozialleistungsbezugs nicht als Zeiten rechtmäßigen Aufenthalts zu berücksichtigen. Dies stehe im Einklang mit Art. 16 der Richtlinie 2004/38/EG. Danach müsse ein Unionsbürger für ein Daueraufenthaltsrecht fünf Jahre die Voraussetzungen des Art. 7 der Richtlinie 2004/38/EG erfüllen. Bei Nichterwerbstätigen verlange auch Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38/EG, dass sie über ausreichende Existenzmittel verfügten, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssten.

7

Der Kläger erstrebt mit seiner Revision die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Er ist der Auffassung, für den Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt genüge ein nach dem Recht des Aufnahmemitgliedstaats rechtmäßiger Aufenthalt von fünf Jahren.

8

Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung.

9

Der Vertreter des Bundesinteresses hat sich am Verfahren beteiligt. Er hält die Revision ebenfalls für unbegründet, ist aber der Auffassung, dass § 4a FreizügG/EU nur verlangt, dass der Aufenthalt jedenfalls zuletzt nach Freizügigkeitsrecht rechtmäßig war. Insofern gehe die Vorschrift über die Richtlinie 2004/38/EG hinaus.

10

Mit Beschluss vom 13. Juli 2010 - BVerwG 1 C 14.09 - hat der seinerzeit zuständige 1. Senat das Verfahren ausgesetzt und eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zur Klärung der Voraussetzungen für den Erwerb eines Rechts auf Daueraufenthalt nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG eingeholt. Der EuGH hat die Vorlagefragen mit Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-424/10 u.a. - beantwortet.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist zulässig und begründet. Das Berufungsgericht hat die Klage mit einer Begründung abgewiesen, die Bundesrecht verletzt (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Denn es ist davon ausgegangen, dass sich ein Daueraufenthaltsrecht nur aus Aufenthaltszeiten des Klägers im Bundesgebiet nach dem Beitritt Polens zur Europäischen Union ergeben kann. Nach der zwischenzeitlichen Klärung durch den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) können aber auch Aufenthaltszeiten eines Drittstaatsangehörigen vor dem Beitritt seines Herkunftslands zur Europäischen Union ein Recht auf Daueraufenthalt begründen. Da das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine tatsächlichen Feststellungen zum Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet vor dem Beitritt Polens zur Europäischen Union am 1. Mai 2004 getroffen hat, kann der Senat in der Sache nicht selbst abschließend entscheiden. Der Rechtsstreit ist daher zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

12

1. Gegenstand des Verfahrens ist nur das Begehren des Klägers auf Ausstellung einer Bescheinigung über das Bestehen eines Daueraufenthaltsrechts nach § 5 Abs. 6 Satz 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU). Dieses Begehren zielt auf ein schlicht hoheitliches Verwaltungshandeln, das mit der allgemeinen Leistungsklage zu verfolgen ist. Die Ablehnung des Beklagten, die humanitäre Aufenthaltserlaubnis des Klägers zu verlängern, sowie die Abschiebungsandrohung sind nicht Gegenstand dieses Verfahrens geworden.

13

2. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bei Verpflichtungsklagen, die auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels gerichtet sind, grundsätzlich auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz abzustellen (stRspr, vgl. Urteile vom 16. Juni 2004 - BVerwG 1 C 20.03 - BVerwGE 121, 86 <88> m.w.N. und vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 Rn. 37 ff.). Nichts anderes gilt, wenn im Wege der allgemeinen Leistungsklage die Ausstellung einer Bescheinigung über das Bestehen eines unionsrechtlichen Daueraufenthaltsrechts begehrt wird. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens - hier etwa das Inkrafttreten des Reformvertrags von Lissabon zum 1. Dezember 2009 - sind allerdings zu beachten, da das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. Urteil vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 276 <279 f.>).

14

3. Das Berufungsurteil verstößt insoweit gegen Bundesrecht, als das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen ist, dass sich ein Daueraufenthaltsrecht des Klägers nur aus Aufenthaltszeiten im Bundesgebiet nach dem Beitritt Polens zur Europäischen Union am 1. Mai 2004 ergeben kann. Nach § 5 Abs. 6 Satz 1 FreizügG/EU wird Unionsbürgern auf Antrag unverzüglich ihr Daueraufenthalt bescheinigt. Nach der hier allein in Betracht kommenden Grundnorm des § 4a Abs. 1 FreizügG/EU haben Unionsbürger, ihre Familienangehörigen und Lebenspartner, die sich seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben, unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 FreizügG/EU das Recht auf Einreise und Aufenthalt (Daueraufenthaltsrecht). In § 2 Abs. 2 FreizügG/EU sind die nach Unionsrecht freizügigkeitsberechtigten Personengruppen aufgezählt. Der Formulierung in § 4a FreizügG/EU "unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2" ist zu entnehmen, dass nicht jeder nach nationalem Recht rechtmäßige Aufenthalt ausreicht, sondern das Entstehen des Daueraufenthaltsrechts an das Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 FreizügG/EU anknüpft und nur ein einmal entstandenes Daueraufenthaltsrecht durch einen späteren Wegfall dieser Voraussetzungen nicht mehr berührt wird (vgl. Vorlagebeschluss vom 13. Juli 2010 - BVerwG 1 C 14.09 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 41 Rn. 14).

15

Mit dem durch das Richtlinienumsetzungsgesetz 2007 eingefügten § 4a FreizügG/EU hat der Gesetzgeber das schon zuvor auf nationaler Ebene bestehende - und über das bisherige Unionsrecht hinausgehende - Daueraufenthaltsrecht für freizügigkeitsberechtigte Personen und die unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 16 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 - sog. Unionsbürgerrichtlinie - zusammengefasst (BTDrucks 16/5065 S. 210). Nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG hat jeder Unionsbürger, der sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, das Recht, sich dort auf Dauer aufzuhalten. Dieses Recht ist nicht an die Voraussetzungen des Kapitel III der Richtlinie 2004/38/EG geknüpft.

16

Zur Auslegung dieser Bestimmung hat der EuGH in seinem Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-424/10 u.a., Ziolkowski u.a. - (NVwZ-RR 2012, 121) darauf hingewiesen, dass ein Unionsbürger, der im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats eine Aufenthaltszeit von über fünf Jahren nur aufgrund des nationalen Rechts dieses Staates zurückgelegt hat, nicht so betrachtet werden kann, als habe er das Recht auf Daueraufenthalt nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG erworben, wenn er während dieser Aufenthaltszeit die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG nicht erfüllt hat (LS 1 und Rn. 51). Zur Begründung hat der Gerichtshof darauf abgestellt, dass es sich bei dem Begriff des "rechtmäßigen Aufenthalts" in Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2004/38/EG um einen autonomen Begriff des Unionsrechts handelt, der in allen Mitgliedstaaten einheitlich auszulegen ist (Rn. 33). Rechtmäßig im Sinne des Unionsrechts ist daher nur ein Aufenthalt, der im Einklang mit den in der Richtlinie 2004/38/EG vorgesehenen, insbesondere mit den in Art. 7 der Richtlinie 2004/38/EG aufgeführten Voraussetzungen steht (Rn. 46). Hergeleitet hat der Gerichtshof diese Auslegung zum einen aus dem Ziel der Richtlinie, die bereichsspezifischen und fragmentarischen Ansätze des Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechts zu überwinden und in einer Kodifikation zusammenzufassen (Rn. 35 ff.). Zum anderen hat er darauf abgestellt, dass sich aus der Systematik der Richtlinie ein gestuftes System von Aufenthaltsrechten ergibt, das im Recht auf Daueraufenthalt mündet (Rn. 38 ff.). Damit richtet sich die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts auch in Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG nicht nach dem im jeweiligen Aufnahmemitgliedstaat geltenden - möglicherweise günstigeren - nationalen Recht. Vielmehr setzt das Entstehen eines Rechts auf Daueraufenthalt unionsrechtlich voraus, dass der Betroffene während einer Aufenthaltszeit von mindestens fünf Jahren ununterbrochen die Freizügigkeitsvoraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG erfüllt hat.

17

Nach der zwischenzeitlichen Klärung durch den EuGH kann sich ein Recht auf Daueraufenthalt allerdings auch aus Aufenthaltszeiten eines Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat ergeben, bevor der Drittstaat der Europäischen Union beigetreten ist. Diese Aufenthaltszeiten sind in Ermangelung spezifischer Bestimmungen in den Beitrittsakten für die Zwecke des Erwerbs des Rechts auf Daueraufenthalt gemäß Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG aber nur berücksichtigungsfähig, sofern der Betroffene nachweisen kann, dass sie im Einklang mit den Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG zurückgelegt wurden (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 a.a.O. LS 2 und Rn. 62 f.). Diese Vorwirkung der Richtlinie gilt bei der gebotenen unionskonformen Auslegung auch für die nationale Regelung in § 4a FreizügG/EU, die die unionsrechtlichen Vorgaben des Art. 16 der Richtlinie 2004/38/EG umsetzt.

18

4. Der Senat kann weder in positiver noch in negativer Hinsicht abschließend in der Sache selbst entscheiden. Da nach dem Urteil des EuGH vom 21. Dezember 2011 (a.a.O.) auch Aufenthaltszeiten eines Drittstaatsangehörigen vor dem Beitritt seines Herkunftsstaats zur Europäischen Union für ein Daueraufenthaltsrecht zu berücksichtigen sind, wenn sie im Einklang mit den Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG zurückgelegt wurden, das Berufungsgericht zum Aufenthalt des Klägers vor dem Beitritt Polens am 1. Mai 2004 aber keine tatsächlichen Feststellungen getroffen hat, ist der Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

19

5. In dem erneuten Berufungsverfahren wird das Oberverwaltungsgericht zu prüfen haben, ob der Kläger über einen ununterbrochenen Zeitraum von fünf Jahren die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG erfüllt hat und sein Aufenthalt deshalb für die Prüfung des Erwerbs eines Rechts auf Daueraufenthalt dem Aufenthalt eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers gleichzustellen ist.

20

Die für diese Prüfung maßgebliche Frage, ob es für das Entstehen des Daueraufenthaltsrechts nach § 4a Abs. 1 FreizügG/EU erforderlich ist, dass der Betroffene während des gesamten Zeitraums von fünf Jahren freizügigkeitsberechtigt war, oder ob es - wie vom Vertreter des Bundesinteresses vorgetragen - ausreicht, wenn der Aufenthalt fünf Jahre lang erlaubt war und jedenfalls zuletzt auf einem Freizügigkeitsrecht beruhte (so auch Nr. 4a.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Freizügigkeitsgesetz/EU vom 26. Oktober 2009 - VwV-FreizügG/EU - GMBl S. 1270), hat der 1. Senat im Vorlagebeschluss vom 13. Juli 2010 - BVerwG 1 C 14.09 - (Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 41 Rn. 15) offengelassen. Der erkennende Senat entscheidet sie zugunsten der vom Berufungsgericht vertretenen Auffassung, dass sich der Betroffene während des gesamten Zeitraums von fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben muss und über den gesamten Zeitraum freizügigkeitsberechtigt war. Für eine insoweit - gemäß Art. 37 der Richtlinie 2004/38/EG zulässige - überschießende Umsetzung im Freizügigkeitsgesetz/EU sind weder dem Gesetzeswortlaut noch den Gesetzesmaterialien Anhaltspunkte zu entnehmen. Der Gesetzgeber wollte das zuvor in § 2 Abs. 5 FreizügG/EU nicht unionsrechtlich vorgezeichnete, sondern aufgrund nationaler Regelungen ausgeformte Daueraufenthaltsrecht für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger (vgl. dazu BTDrucks 15/420 S. 102 f.) mit den durch die Unionsbürgerrichtlinie eingeführten neuen Vorgaben in § 4a FreizügG/EU zusammenfassen (BTDrucks 16/5065 S. 210). Systematisch spricht entscheidend für einen engen, auch auf die Freizügigkeitsvoraussetzungen abstellenden Begriff des rechtmäßigen Aufenthalts in § 2 Abs. 5 FreizügG/EU a.F. und § 4a FreizügG/EU, dass der Gesetzgeber in der Anrechnungsregelung des § 11 Abs. 3 FreizügG/EU "Zeiten des rechtmäßigen Aufenthalt nach diesem Gesetz" den Zeiten eines (titelabhängigen) rechtmäßigen Aufenthalts nach dem Aufenthaltsgesetz gegenüber gestellt hat (BTDrucks 15/420 S. 106). Dass es im Kontext des Freizügigkeitsgesetzes/EU für die Annahme eines rechtmäßigen Aufenthalts der Freizügigkeitsberechtigung bedarf, entspricht auch der auf eine zunehmende Integration infolge eines gesicherten Aufenthalts abstellenden Begründung des Gesetzentwurfs (BTDrucks 15/420 S. 103) sowie dem Sinn und Zweck der Regelung, der durch den freizügigkeitsgestützten Voraufenthalt erhöhten Integration durch ein Daueraufenthaltsrecht Rechnung zu tragen.

21

Die Zeitspanne, in der zur Begründung eines Daueraufenthaltsrechts fünf Jahre lang ununterbrochen die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG vorgelegen haben müssen, braucht indes nicht der Zeitraum unmittelbar vor der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz zu sein (a.A. VGH Mannheim, Beschluss vom 14. März 2006 - 13 S 220/06, AuAS 2006, 218 zu § 2 Abs. 5 FreizügG/EU). Der Senat entnimmt der Entscheidung des Gerichtshofs im Urteil vom 7. Oktober 2010 - Rs. C-162/09, Lassal - (NVwZ 2011, 32 Rn. 33 - 39), dass der ununterbrochene Fünfjahreszeitraum nicht bis zuletzt angedauert haben muss, sondern auch weiter zurück in der Vergangenheit liegen kann.

22

Im vorliegenden Fall bestimmen sich die Voraussetzungen der Freizügigkeitsberechtigung auch für Aufenthaltszeiten, die vor dem Beitritt Polens am 1. Mai 2004 liegen, nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG. Im Unterschied zu der Fallgestaltung einer Unionsbürgerin der ersten Stunde, die dem Urteil vom 7. Oktober 2010 (a.a.O. Rn. 40) zugrunde lag, hat der Gerichtshof für die hier vorliegende Fallkonstellation eines ehemaligen Drittstaaters, dessen Herkunftsland mittlerweile der Union beigetreten ist, im Urteil vom 21. Dezember 2011 (a.a.O. Rn. 61 f.) die in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG enthaltenen Voraussetzungen als maßgeblich für den Erwerb des Daueraufenthaltsrechts erachtet.

23

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben wird das Berufungsgericht insbesondere der Frage nachzugehen haben, ob der Kläger die Stellung eines Arbeitnehmers im Sinne des Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/38/EG erworben und die Erwerbstätigeneigenschaft über fünf Jahre behalten hat. Dafür könnte sprechen, dass er nach Aktenlage im Jahr 1994 eine Lehre zum Elektroinstallateur begonnen hat. Nach der Rechtsprechung des EuGH kann eine in der Berufsausbildung befindliche Person Arbeitnehmer im Sinne des Art. 45 AEUV sein, wenn diese Ausbildung unter den Bedingungen einer tatsächlichen und echten Tätigkeit im Lohn- und Gehaltsverhältnis durchgeführt wird (EuGH, Urteile vom 26. Februar 1992 - Rs. C-3/90, Bernini - Slg. I-1071 Rn. 14 und vom 17. März 2005 - Rs. C-109/04, Kranemann - Slg. I-2421 Rn. 14, 17 f.). Mit Blick auf die Ausgestaltung der dualen Berufsausbildung in Deutschland dürfte nicht daran zu zweifeln sein, dass ein Lehrling den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff erfüllt.

24

Zwar hat der Kläger nach Aktenlage die Lehre im Jahr 1996 abgebrochen. Das Berufungsgericht wird aber zu prüfen haben, ob er anschließend weiter als Arbeitnehmer tätig gewesen ist, so dass der (ergänzende) Bezug von Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz seine Arbeitnehmereigenschaft nicht ohne Weiteres in Frage stellen würde (vgl. EuGH, Urteil vom 3. Juni 1986 - Rs. C-139/85, Kempf - Slg. 1986, 1741 Rn. 14). Im Übrigen würde dem Kläger die Erwerbstätigeneigenschaft erhalten bleiben, solange er einen der Tatbestände des Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG erfüllt hätte.

25

Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommen, dass der Kläger die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/38/EG genannten Voraussetzungen nicht über einen ununterbrochenen Zeitraum von fünf Jahren erfüllt hat, würde sich die Frage stellen, ob er als Nichterwerbstätiger über ausreichende Existenzmittel verfügte, so dass er während seines Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen musste (Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38/EG). Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz sind Sozialhilfeleistungen im Sinne des Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38/EG. Auch für ab dem 1. Januar 2005 bezogene Leistungen der Grundsicherung nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) spricht viel dafür, dass es sich jedenfalls bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (§§ 19 ff. SGB II) um aufenthaltsrechtlich schädliche Sozialhilfeleistungen im Sinne des Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38/EG handelt. Dafür ist es nicht entscheidend, dass finanzielle Leistungen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen, nicht als Sozialhilfeleistungen im Sinne des Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG angesehen werden können (EuGH, Urteil vom 4. Juni 2009 - Rs. C-22/08 u.a., Vatsouras - Slg. 2009, I-4585 Rn. 45) und ob Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II eine solche Leistung bilden. Der in beiden Bestimmungen der Richtlinie enthaltene Begriff der Sozialhilfe muss nicht zwingend deckungsgleich sein (a.A. offenbar Breidenbach, ZAR 2011, 233 <236>). Denn die aufenthaltsrechtliche Fragestellung, ob ein Unionsbürger über ausreichend eigene Existenzmittel verfügt und keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen muss (Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38/EG), ist nach Sinn und Zweck der Regelung sowie ihrer systematischen Einordnung von der sozialrechtlichen Fragestellung zu unterscheiden, in welchem Umfange ein Aufnahmemitgliedstaat nach dem Gebot der Gleichbehandlung von Unionsbürgern mit Angehörigen des Mitgliedstaats (Art. 24 der Richtlinie 2004/38/EG) oder nach sonstigem Primär- (Art. 18 Abs. 1, Art. 21, 45 Abs. 2 AEUV) oder Sekundärrecht (vgl. z.B. der Verordnung Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit) gehindert ist, Unionsbürger aus anderen Mitgliedstaaten von dem Bezug bestimmter steuerfinanzierter Sozialleistungen auszuschließen.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Feststellung der Beklagten, dass ihr kein Recht auf Einreise und Aufenthalt als Unionsbürgerin gemäß § 2 Abs. 1 FreizügG/EU zustehe, sowie eine damit verbundene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung.

2

Die im August 1935 geborene Klägerin ist ungarische Staatsangehörige. Sie ist - nach ihren Angaben - seit ihrer Geburt schwerbehindert, da ihr der rechte Arm fehlt.

3

Die Klägerin reiste Ende des Jahres 2004 nach Deutschland ein und begründete hier ihren ständigen Aufenthalt. Am 24. März 2006 sprach sie beim Bürgerbüro der Beklagten vor und erklärte, sich als Familienangehörige im Bundesgebiet aufzuhalten; sie wünsche die Ausstellung einer Bescheinigung über ihr Freizügigkeitsrecht. Nachdem die Beklagte ermittelt hatte, dass die Klägerin in S. wohnhaft und in ihren Datensätzen als Zeitpunkt der Anmeldung der 14. Mai 2005 vermerkt war, stellte sie der Klägerin am 28. März 2006 eine bis zum 27. September 2006 gültige Bescheinigung gemäß § 5 FreizügG/EU aus. Ausweislich der Eintragungen im Ausländerzentralregister verzog die Klägerin am 27. März 2008 wieder ins Ausland. Vom 10. Juli 2008 bis 30. September 2008 war sie im Bundesgebiet gemeldet. Nach Mitteilungen des Polizeipräsidiums S. wurde die Klägerin für die Zeit vom 14. November 2008 bis 2. Dezember 2008 und die Zeit vom 23. April 2008 bis 4. Dezember 2009 wegen Beförderungserschleichung in öffentlichen Verkehrsmitteln angezeigt. Nach einem bei den Akten befindlichen Melderegisterauszug ist die Klägerin am 4. November 2009 wieder ins Bundesgebiet zugezogen. Im März 2010 teilte das Sozialamt der Ausländerbehörde der Beklagten mit, die Klägerin habe anlässlich einer Vorsprache erklärt, keine Leistungen nach dem SGB XII beantragen zu wollen; ihre Kinder würden sie finanziell unterstützen. Unter dem 24. März 2010 stellte die Beklagte der Klägerin daraufhin eine Bescheinigung gemäß § 5 FreizügG/EU mit unbefristeter Gültigkeit aus. Unter dem 31. März 2010 teilte das Sozialamt der Beklagten mit, dass die Klägerin auf ihren Antrag vom 25. März 2010 seit diesem Zeitpunkt Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII bezieht.

4

Mit Verfügung vom 14. Mai 2012 stellte die Beklagte das Nichtbestehen bzw. den Verlust des Rechts der Klägerin auf Einreise und Aufenthalt nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU gemäß § 5 Abs. 5 FreizügG/EU (in der Fassung von Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften vom 2. Dezember 2014, BGBl. I S. 1922) fest, forderte die Klägerin nach § 7 Abs. 1 FreizügG/EU auf, das Gebiet der Bundesrepublik spätestens bis einen Monat nach Bestands- bzw. Rechtskraft dieser Verfügung zu verlassen, und drohte ihr die Abschiebung nach Ungarn an, falls sie der Ausreisepflicht nicht fristgerecht nachkomme. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Klägerin sei nicht freizügigkeitsberechtigt nach § 2 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 FreizügG/EU. Sie habe zwar freizügigkeitsberechtigte Familienangehörige, von denen sie ein Recht auf Einreise und Aufenthalt ableiten könne, benannt. Eine schutzwürdige tatsächliche Beziehung zu diesen sei jedoch nicht erkennbar. Schließlich habe die Klägerin auch kein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU erworben, da sie sich noch nicht seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Der Klägerin sei es nicht gelungen, den von ihr geltend gemachten Daueraufenthalt nachzuweisen. Tatsächlich habe sie sich - betrachte man die Meldedaten - nur immer wieder vorübergehend im Bundesgebiet aufgehalten.

5

Der hiergegen erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 22. Januar 2014 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt:

6

Aufgrund der Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung sei der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin gegen Ende des Jahres 2004 von Italien kommend in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei und dort ihren ständigen Aufenthalt begründet habe. Seit dieser Zeit habe sie die Bundesrepublik Deutschland nicht wieder länger als sechs Monate in einem Jahr verlassen, weshalb sie Ende des Jahres 2009 ein Daueraufenthaltsrecht gemäß § 4a FreizügG/EU erworben habe. Sie habe das Bundesgebiet nur zweimal kurzzeitig verlassen, um Pass- und Bankangelegenheiten in Ungarn zu erledigen. Maßgeblich für die Begründung des Daueraufenthaltsrechts sei, dass bis zum Ablauf des Zeitraums von fünf Jahren keine (konstitutive) Verlustfeststellung wirksam getroffen worden sei, da - wie sich aus § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU ablesen lasse - die Ausreisepflicht frühestens mit dem Wirksamwerden der Feststellungsverfügung entstehen könne mit der Folge, dass bis zu diesem Zeitpunkt der Aufenthalt der Betroffenen rechtmäßig sei. Unerheblich sei hierbei grundsätzlich, ob die Klägerin materiell die Voraussetzungen für die Freizügigkeitsberechtigung erfülle.

7

Die Beklagte macht mit ihrer Revision geltend, dass die Klägerin nicht die Anforderungen für den Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts nach § 4a Abs. 1 FreizügG/EU erfülle. Erforderlich sei hierfür ein fünfjähriger ständiger rechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet. Aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 31. Mai 2012 - 10 C 8.12) folge, dass das Entstehen des Daueraufenthaltsrechts an das Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 FreizügG/EU anknüpfe und nur ein einmal entstandenes Daueraufenthaltsrecht durch einen späteren Wegfall dieser Voraussetzungen nicht mehr berührt werde. Der Betroffene müsse sich während des gesamten Zeitraums von fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben und über den gesamten Zeitraum freizügigkeitsberechtigt gewesen sein. Die schlichte Tatsache einer fehlenden Verlustfeststellung sei für die Annahme eines ständigen rechtmäßigen Aufenthalts nicht ausreichend.

8

Die Klägerin verteidigt die angegriffene Entscheidung.

9

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich am Verfahren und schließt sich der Auffassung der Beklagten an.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten mit einer Begründung zurückgewiesen, die Bundesrecht verletzt (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Denn es ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a Abs. 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU) bereits dann entsteht, wenn bis zum Ablauf des Zeitraums von fünf Jahren keine Verlustfeststellung nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU wirksam getroffen worden ist, und es nicht darauf ankommt, ob der Betroffene materiell die Voraussetzungen für die Freizügigkeitsberechtigung erfüllt. Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen im Berufungsurteil zu der Frage, ob sich die Klägerin während einer Aufenthaltszeit von mindestens fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und die materiellen Voraussetzungen für die Freizügigkeitsberechtigung erfüllt, kann der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden. Das Verfahren ist daher an den Verwaltungsgerichtshof zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

11

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Feststellung des Nichtbestehens des Freizügigkeitsrechts ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts. Insoweit gilt Gleiches wie für andere aufenthaltsrechtliche Entscheidungen, die Grundlage einer Aufenthaltsbeendigung sein können (vgl. für Ausweisungen von Unionsbürgern nach altem Recht: BVerwG, Urteil vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <308 f.>). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2012 - 1 C 20.11 - Buchholz 402.242 § 55 AufenthG Nr. 15 Rn. 15). Der revisionsgerichtlichen Beurteilung zugrunde zu legen ist daher das Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU) vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften vom 2. Dezember 2014 (BGBl. I S. 1922), das am 9. Dezember 2014 in Kraft getreten ist.

12

1. Die auf Aufhebung der Verfügung vom 14. Mai 2012 (in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 20. November 2012) gerichtete Klage ist als Anfechtungsklage zulässig. Die angefochtene Verfügung ist ein feststellender Verwaltungsakt über das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts. Im Hinblick auf die Vermutung der Freizügigkeit von Unionsbürgern und den Grundsatz, dass Unionsbürger und ihre Angehörigen weitestgehend aus dem Geltungsbereich des allgemeinen Aufenthaltsrechts herausgenommen werden, setzt die Abgrenzung des Anwendungsbereichs des Freizügigkeitsgesetzes/EU vom Aufenthaltsgesetz einen Feststellungsakt der zuständigen Behörde voraus (BT-Drs. 15/420 S. 106).

13

2. Die von der Klägerin angefochtene Feststellung des Nichtbestehens des Rechts auf Einreise und Aufenthalt nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU gemäß § 5 Abs. 4 FreizügG/EU ist formell rechtmäßig. Der angefochtene Bescheid vom 14. Mai 2012 wurde von der zuständigen Behörde erlassen. Die sachliche Zuständigkeit für derartige Feststellungen ist in Baden-Württemberg nach § 4 Abs. 1 der Verordnung der Landesregierung, des Innenministeriums und des Integrationsministeriums über Zuständigkeiten nach dem Aufenthaltsgesetz, dem Asylverfahrensgesetz und dem Flüchtlingsaufnahmegesetz sowie über die Verteilung unerlaubt eingereister Ausländer (Aufenthalts- und Asyl-Zuständig-keitsverordnung - AAZuVO) vom 2. Dezember 2008 (GBl. Baden-Württemberg 2008, 465) bei den unteren Ausländerbehörden angesiedelt. Diese landesrechtliche Zuständigkeitsregelung beruht auf der bundesgesetzlichen Ermächtigung in § 71 Abs. 1 AufenthG. Sie gilt auch für Maßnahmen und Entscheidungen nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU, da sie eine über das Aufenthaltsgesetz hinausgehende generalklauselartige Kompetenzzuweisung enthält, die auch aufenthaltsrechtliche Maßnahmen und Entscheidungen nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU erfasst. Einer Rückverweisung auf das Aufenthaltsgesetz in § 11 FreizügG/EU bedarf es daher nicht (BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2011 - 1 C 18.10 - BVerwGE 140, 72 Rn. 8 ff.).

14

3. Ob die Anfechtungsklage begründet ist, lässt sich auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht abschließend entscheiden. Die Auslegung von § 4a Abs. 1 und § 5 Abs. 4 FreizügG/EU durch das Berufungsgericht und seine Annahme, dass bereits die Tatsache einer fehlenden Verlustfeststellung für die Annahme eines ständigen rechtmäßigen Aufenthalts ausreichend ist, verletzt Bundesrecht.

15

a) Rechtsgrundlage für die Verlustfeststellung ist § 5 Abs. 4 FreizügG/EU in seiner - während des Revisionsverfahrens in Kraft getretenen - aktuellen Fassung. Hiernach kann der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt werden, wenn die Voraussetzungen dieses Rechts innerhalb von fünf Jahren nach Begründung des ständigen rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet entfallen sind oder diese nicht vorliegen. Durch die Neufassung des § 5 Abs. 4 FreizügG/EU wird klargestellt, dass eine Verlustfeststellung nicht nur getroffen werden kann, wenn das Freizügigkeitsrecht ursprünglich bestanden hat und später entfallen ist, sondern auch dann, wenn die Voraussetzungen des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU zu keinem Zeitpunkt bestanden haben (BT-Drs. 18/2581 S. 16).

16

b) Die in § 5 Abs. 4 FreizügG/EU genannte Fünfjahresfrist bezieht sich darauf, dass nach Ablauf eines rechtmäßigen fünfjährigen ununterbrochenen Aufenthalts im Bundesgebiet ein Daueraufenthaltsrecht erworben wird. Die Möglichkeit zur Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU erlischt mit dem Entstehen eines Daueraufenthaltsrechts. Nach § 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU haben Unionsbürger, die sich seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben, unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 FreizügG/EU das Recht auf Einreise und Aufenthalt (Daueraufenthaltsrecht). Der Formulierung in § 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU "unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2" ist zu entnehmen, dass nicht jeder nach nationalem Recht rechtmäßige Aufenthalt hierfür ausreicht, sondern das Entstehen des Daueraufenthaltsrechts an das Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 FreizügG/EU anknüpft und nur ein einmal entstandenes Daueraufenthaltsrecht durch einen späteren Wegfall der Voraussetzungen nicht mehr berührt wird (vgl. BVerwG, Vorlagebeschluss des Senats vom 13. Juli 2010 - 1 C 14.09 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 41 Rn. 14). § 4a FreizügG/EU setzt die Vorschriften des Kapitels IV der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/630/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. EU L 158 S. 77) - sogenannte Unionsbürgerrichtlinie - um. Nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG hat jeder Unionsbürger, der sich rechtmäßig fünf Jahre lang im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, das Recht, sich dort auf Dauer aufzuhalten. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteile vom 21. Dezember 2011 - C-424/10 und C 425/10 [ECLI:EU:C:2011:866], Ziolkowski und Szeja - Rn. 46; vom 6. September 2012 - C-147/11 u.a. [ECLI:EU:C:2012:538], Czop u.a. - Rn. 35, 38; vom 8. Mai 2013 - C-529/11 [ECLI:EU:C:2013:290], Alarape und Tijani - Rn. 35 und vom 11. November 2014 - C-333/13 [ECLI:EU:C:2014:2358], Dano - Rn. 71) ist rechtmäßig im Sinne des Unionsrechts nur ein Aufenthalt, der im Einklang mit den in der Richtlinie 2004/38/EG und insbesondere mit den in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG aufgeführten Voraussetzungen steht. Dass das Daueraufenthaltsrecht nach § 4a Abs. 1 FreizügG/EU einen fünfjährigen, auf Unionsrecht beruhenden rechtmäßigen Aufenthalt voraussetzt, folgt unter anderem aus dem 17. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/38/EG, wonach der Daueraufenthalt den Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen zugutekommen soll, die sich gemäß den in dieser Richtlinie festgelegten Bedingungen fünf Jahre lang ununterbrochen in dem Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten haben (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-424/10 und C-425/10 - Rn. 42).

17

c) Das Entstehen des Daueraufenthaltsrechts setzt somit unionsrechtlich voraus, dass der Betroffene während einer Aufenthaltszeit von mindestens fünf Jahren ununterbrochen die Freizügigkeitsvoraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG erfüllt hat (BVerwG, Urteil vom 31. Mai 2012 - 10 C 8.12 - Buchholz 402.261 § 4a FreizügG/EU Nr. 3 Leitsatz 1 und Rn. 16). Aufgrund der Neufassung des § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU und der Einfügung des Wortes "rechtmäßigen" nach dem Wort "ständigen" durch Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes vom 2. Dezember 2014 kommt nunmehr auch im Wortlaut der Vorschrift hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass eine Verlustfeststellung nicht bereits dann ausgeschlossen ist, wenn ein Unionsbürger sich fünf Jahre ständig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Systematisch spricht entscheidend für einen auf die materiellen Freizügigkeitsvoraussetzungen abstellenden Begriff des rechtmäßigen Aufenthalts in § 4a FreizügG/EU, dass der Gesetzgeber in der Anrechnungsregel des § 11 Abs. 3 FreizügG/EU "Zeiten des rechtmäßigen Aufenthalts nach diesem Gesetz" den Zeiten eines (titelabhängigen) rechtmäßigen Aufenthalts nach dem Aufenthaltsgesetz gegenübergestellt hat (BT-Drs. 15/420 S. 106). Dass es im Kontext des Freizügigkeitsgesetz/EU für die Annahme eines rechtmäßigen Aufenthalts der Freizügigkeitsberechtigung bedarf, entspricht auch der auf eine zunehmende Integration infolge eines gesicherten Aufenthalts abstellenden Begründung des Gesetzentwurfs (BT-Drs. 15/420 S. 103) sowie dem Sinn und Zweck der Regelung, der durch den freizügigkeitsgestützten Voraufenthalt erhöhten Integration durch ein Daueraufenthaltsrecht Rechnung zu tragen (BVerwG, Urteil vom 31. Mai 2012 - 10 C 8.12 - Buchholz 402.261 § 4a FreizügG/EU Nr. 3 Rn. 20). Die Freizügigkeitsvoraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG müssen während eines zusammenhängenden Zeitraumes von fünf Jahren erfüllt worden sein. Indes muss die Zeitspanne, während der zur Begründung eines Daueraufenthaltsrechts fünf Jahre lang ununterbrochen die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG vorgelegen haben müssen, nicht der Zeitraum vor der letzten mündlichen Verhandlung oder Tatsacheninstanz sein (BVerwG, Urteil vom 31. Mai 2012 - 10 C 8.12 - Buchholz 402.261 § 4a FreizügG/EU Nr. 3 Rn. 21; vgl. auch: EuGH, Urteil vom 7. Oktober 2010 - C-162/09 [ECLI:EU:C:2010:592], Lassal - Rn. 33 bis 39).

18

4. Für eine abschließende Entscheidung fehlen dem Senat die erforderlichen Tatsachenfeststellungen zu der Frage, ob die Klägerin während einer Aufenthaltszeit von mindestens fünf Jahren ununterbrochen die Freizügigkeitsvoraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG erfüllt hat. Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und insoweit bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) hat sich die Klägerin von Ende des Jahres 2004 an ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten, so dass Ende des Jahres 2009 ein fünf Jahre währender ständiger Aufenthalt im Bundesgebiet vorlag. Das Berufungsgericht hat aber - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine tatsächlichen Feststellungen zum Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG (Art. 2 Abs. 2 FreizügG/EU) getroffen. Das Verfahren ist daher zur weiteren Klärung dieser Frage an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

19

5. In dem erneuten Berufungsverfahren wird der Verwaltungsgerichtshof insbesondere zu prüfen haben, ob die Klägerin die Freizügigkeitsvoraussetzungen nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 FreizügG/EU und/oder nach § 2 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m. §§ 3 und 4 FreizügG/EU, die Art. 7 Abs. 1 Buchst. b, d, Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG umsetzen, erfüllt.

20

a) Nicht erwerbstätige Unionsbürger, wie die Klägerin, erlangen die Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 FreizügG/EU (Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38/EG) bei Aufenthalten von mehr als drei Monaten nur dann, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen.

21

Das Berufungsgericht wird zunächst zu prüfen haben, ob die Klägerin während eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren über ausreichenden Krankenversicherungsschutz verfügte, insbesondere ob sie auf der Grundlage der von ihr bezogenen ungarischen Rente auch bei einem Daueraufenthalt im Bundesgebiet ausreichend krankenversichert war. Des Weiteren stellt sich die Frage, ob die Klägerin während eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren über ausreichende Existenzmittel verfügte. Nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38/EG sind ausreichende Existenzmittel solche, die sicherstellen, dass der Freizügigkeitsberechtigte die Sozialhilfe des Aufnahmemitgliedstaats nicht in Anspruch nehmen muss. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen nicht automatisch einen Verlust des Freizügigkeitsrechts zu begründen vermag. Erforderlich ist vielmehr eine unangemessene Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen. Die Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU führt ebenso wie die Ausweisung zur Beendigung des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sowie zur Verlassenspflicht des Unionsbürgers und unterliegt damit dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit, wie es der Gerichtshof der Europäische Union in seiner Rechtsprechung (vgl. Urteile vom 20. September 2001 - C-184/99 [ECLI:EU:C:2001:458], Grzelczyk - Rn. 43 f.; vom 17. September 2002 - C-413/99 [ECLI:EU:C:2002:493], Baumbast - Rn. 91 ff. und vom 7. September 2004 - C-456/02 [ECLI:EU:C:2004:488], Trojani - Rn. 45 ff.) entwickelt hat. Zwar kann der Umstand, dass ein nicht erwerbstätiger Unionsbürger zum Bezug von Sozialhilfeleistungen berechtigt ist, einen Anhaltspunkt dafür darstellen, dass er nicht über ausreichende Existenzmittel verfügt (EuGH, Urteil vom 19. September 2013 - C-140/12 [ECLI:EU:C:2013:565], Brey - Rn. 63). Insbesondere dem 10. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/38/EG ist jedoch zu entnehmen, dass die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38/EG genannte Voraussetzung vor allem verhindern soll, dass die hierin genannten Personen die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats unangemessen in Anspruch nehmen (EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 - C-424/10 und C-425/10 - Rn. 40; und vom 19. September 2013 - C-140/12 - Rn. 54). Zur Beurteilung der Frage, ob ein Ausländer Sozialhilfeleistungen in unangemessener Weise in Anspruch nimmt, ist, wie aus dem 16. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/38/EG hervorgeht, zu prüfen, ob der Betreffende vorübergehende Schwierigkeiten hat, und die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen Umstände des Betreffenden und der ihm gewährte Sozialhilfebetrag zu berücksichtigen. Von einer unangemessenen Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen kann zudem nicht ohne eine umfassende Beurteilung der Frage ausgegangen werden, "welche Belastung dem nationalen Sozialhilfesystem in seiner Gesamtheit aus der Gewährung dieser Leistung nach Maßgabe der individuellen Umstände, die für die Lage des Betroffenen kennzeichnend sind, konkret entstünde" (EuGH, Urteil vom 19. September 2013 - C-140/12 - Rn. 64).

22

Im vorliegenden Fall fehlen tatsächliche Feststellungen dazu, ob die Klägerin während des gesamten, vom Verwaltungsgerichtshof angenommenen ununterbrochenen Aufenthalts von Ende Mai 2004 an über ausreichende Existenzmittel verfügte. Den Akten ist insoweit lediglich zu entnehmen, dass die Klägerin in dem Zeitraum vom 14. Mai 2005 bis 24. März 2010 keine Sozialhilfeleistungen in Anspruch genommen hat. Die Nichtinanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen belegt für sich allein noch nicht positiv, dass ausreichende Existenzmittel vorhanden sind, wenn unklar ist, aus welchen Mitteln die Existenz tatsächlich gesichert gewesen ist. Zu prüfen ist in diesem Zusammenhang, ob die Klägerin im maßgeblichen Zeitraum deshalb über ausreichende Existenzmittel verfügte, weil ihr nahe Angehörige, insbesondere ihre Töchter, Unterhalt und familiäre Unterstützung gewährten. Dabei wird sich das Berufungsgericht gegebenenfalls mit der Frage auseinanderzusetzen haben, ob die Gewährung von Unterhalt durch existenzsichernde Leistungen beziehende Angehörige als Existenzsicherung im Sinne des Unionsrechts angesehen werden kann.

23

b) Des Weiteren kommt in Betracht, dass eine Freizügigkeitsberechtigung der Klägerin nach § 2 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m. §§ 3 und 4 FreizügG/EU vorliegt, wenn ihre in Deutschland lebenden Töchter freizügigkeitsberechtigt sind. Den Familienangehörigen von Unionsbürgern steht das abgeleitete Aufenthaltsrecht nur dann zu, wenn sie den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen. Der Begriff "begleiten oder nachziehen" impliziert eine im Sinne des Ehe- und Familienschutzes schutzwürdige tatsächliche Beziehung (Nr. 3.1.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Freizügigkeitsgesetz/EU vom 26. Oktober 2009 ). Eine solche könnte hier unter anderem dann vorliegen, wenn die Klägerin sich während des maßgeblichen Zeitraums intensiv um ihren psychisch kranken Enkel Josef gekümmert hätte.

24

aa) Weitere Voraussetzung für das Freizügigkeitsrecht der Familienangehörigen von erwerbstätigen Unionsbürgern ist ferner, dass ihnen Unterhalt gewährt wird (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU; Art. 2 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. d der Richtlinie 2004/38/EG). Das Aufenthaltsrecht des Angehörigen ergibt sich aus einer tatsächlichen Situation, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Familienangehörige vom Aufenthaltsberechtigten materiell unterstützt wird (EuGH, Urteil vom 8. November 2012 - C-40/11 [ECLI:EU:C:2012:691], Iida - Rn. 55). Dazu gehört eine fortgesetzte und regelmäßige Unterstützung in einem Umfang, der es ermöglicht, zumindest einen Teil des Lebensunterhalts regelmäßig zu decken. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 18. Juni 1987 - C-316/85 [ECLI:EU:C:1987:302], Lebon - Rn. 20) ist es nicht möglich, die Inanspruchnahme von Sozialhilfe als Indiz für eine mangelnde Unterhaltsgewährung anzusehen. Das Berufungsgericht hat demnach zu klären, ob und inwieweit Verwandte der Klägerin während des maßgeblichen Zeitraums erwerbstätig waren und der Klägerin Unterhalt gewährten.

25

bb) Für die Familienangehörigen der in § 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU erwähnten nicht erwerbstätigen Unionsbürgern wird in § 3 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU zusätzlich auf die Voraussetzungen des § 4 FreizügG/EU verwiesen. Familienangehörige von nicht erwerbstätigen Unionsbürgern, die diese begleiten oder ihnen nachziehen, sind unter den gleichen Bedingungen wie der Unionsbürger freizügigkeitsberechtigt. Es ist jedoch nicht erforderlich, dass auch die nachziehenden oder begleitenden Familienangehörigen selbst über ausreichende Existenzmittel verfügen. Vielmehr kann auch auf die finanziellen Mittel des Unionsbürgers, von dem das Aufenthaltsrecht abgeleitet wird, abgestellt werden (Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Januar 2014, § 4 FreizügG/EU Rn. 10; Nr. 4.13 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Freizügigkeitsgesetz/EU vom 26. Oktober 2009 ). Für den Fall, dass das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommen sollte, dass die Klägerin während des maßgeblichen Zeitraums Sozialhilfeleistungen bezog bzw. von ihren Verwandten unterhalten wurde, die ihrerseits Sozialhilfeleistungen bezogen, käme es für die Bejahung einer Freizügigkeitsberechtigung darauf an, dass die Sozialhilfeleistungen "nicht unangemessen" im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshof der Europäischen Union (Urteil vom 19. September 2013 - C-140/12 - Rn. 69 ff.) in Anspruch genommen wurden.

26

6. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 4. Mai 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen, soweit die Entscheidung den Anspruch des Klägers gegen den Beklagten betrifft.

Tatbestand

1

Im Streit ist (nur noch) die Erstattung von Kosten in Höhe von insgesamt 391 676,91 Euro für Leistungen der Hilfe zur Pflege (386 745,54 Euro) und der Eingliederungshilfe (4931,37 Euro) nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII), die der klagende Landkreis H in der Zeit vom 1.5.2007 bis 30.9.2009 an T S (S) erbracht hat.

2

Der 1967 geborene erwerbsunfähige S leidet an einer neuromuskulären Muskeldystrophie vom Typ Duchenne. Bei ihm sind ein Grad der Behinderung von 100 durch das zuständige Versorgungsamt und die Pflegestufe III mit besonderem Härtefall durch die Pflegekasse festgestellt worden; seit Februar 1999 bezieht er vom Rentenversicherungsträger eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Bis Anfang 1987 wohnte er in der Stadt M und verzog im März 1987 in die Stadt H, danach zum 1.9.1994 nach W (im Landkreis H). Von April 1987 bis einschließlich August 2003 erhielt er von der Stadt M (der früheren Beklagten zu 2) im Rahmen der Hilfe zur häuslichen Pflege nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) Pflegegeld; außerdem wurden die Kosten des Zimmers für eine Betreuungsperson (Assistenzzimmer) und für eine besondere Pflegekraft (Arbeiterwohlfahrt H) übernommen sowie Hilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (Kfz-Hilfe) bis maximal 100 Euro monatlich (zuletzt Bescheid vom 17.6.2003) gewährt. Ab 1.9.2003 wurden die Leistungen durch den Kläger erbracht, der ab 1.1.2003 auch Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem Grundsicherungsgesetz zahlte.

3

Wegen einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zog S am 1.5.2007 (wieder) nach M Einen (an ihn weitergeleiteten) Antrag auf Fortzahlung der bisher erbrachten Leistungen lehnte die Stadt M unter Hinweis auf die Regelung des § 98 Abs 5 SGB XII ab, wonach bei ambulant betreuten Wohnmöglichkeiten der Träger der Sozialhilfe (für alle Leistungen) örtlich zuständig sei (und bleibe), der vor Eintritt in diese Wohnform zuletzt zuständig gewesen sei oder gewesen wäre. Nachdem sich auch der Kläger und der Landschaftsverband Westfalen-Lippe nicht für zuständig hielten, gewährte schließlich der Kläger die beantragten Leistungen, weil er im Rahmen eines Eilverfahrens vor dem Sozialgericht (SG) H verpflichtet worden war, vorläufig Leistungen im bisherigen Umfang über den 30.4.2007 hinaus bis zur Klärung der Zuständigkeit, längstens bis 31.8.2007, zu gewähren. Im Hinblick auf die weiterhin umstrittene Zuständigkeit erbrachte er Leistungen auch in der Zeit danach bis 30.9.2009. Am 24.5.2007 und erneut im Oktober 2007 machte er jedoch gegenüber der Stadt M einen Erstattungsanspruch geltend, den diese nach Bezifferung der Sozialhilfeaufwendungen für die Monate Mai bis August 2007 (47 446,31 Euro) ablehnte.

4

Die am 14.2.2008 gegen den (jetzt noch allein) beklagten Kreis M erhobene und am 15.9.2008 auf die Stadt M (frühere Beklagte zu 2) erweiterte Klage ist erfolgreich gewesen. Das SG hat den Beklagten verurteilt, dem Kläger die Kosten der Hilfe zur Pflege in Höhe von insgesamt 386 775,54 Euro sowie die Kosten der Eingliederungshilfe in Höhe von insgesamt 4931,37 Euro für die Zeit vom 1.5.2007 bis 30.9.2009 jeweils zuzüglich Zinsen zu erstatten; die Stadt M ist verurteilt worden, dem Kläger die Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in Höhe von insgesamt 9188,44 Euro für die Zeit vom 1.5.2007 bis 30.9.2009 zuzüglich Zinsen zu erstatten (Urteil des SG vom 5.11.2009). Die sachliche Zuständigkeit richte sich nach Landesrecht. Danach seien der Beklagte für Leistungen der Hilfe zur Pflege und der Eingliederungshilfe und die Stadt M als "Delegationsbehörde" für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sachlich zuständig. Die hiergegen eingelegten Berufungen des Beklagten sowie der Stadt M waren nur hinsichtlich der Verurteilungen zur Zahlung von Zinsen erfolgreich; im Übrigen hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg die Berufungen zurückgewiesen (Urteil des LSG vom 4.5.2011). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG - auf die Gründe des Urteils des SG verweisend - ausgeführt, die Erstattungsansprüche ergäben sich aus § 2 Abs 3 iVm § 102 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X), weil der Kläger nach einem Wechsel der Zuständigkeit vorläufig die Leistungen habe erbringen müssen. Nach dem Umzug des S ergebe sich die örtliche Zuständigkeit aus der allgemeinen Regelung des § 98 Abs 1 SGB XII, die auf den tatsächlichen Aufenthalt - hier M bzw bei Grundsicherungsleistungen auf den gewöhnlichen Aufenthalt abstelle. § 98 Abs 5 SGB XII finde keine Anwendung, weil betreutes Wohnen im Sinne dieser Vorschrift eine konzeptionelle Verknüpfung von Wohnung und ambulanter Betreuung voraussetze.

5

Mit seiner Revision - die Stadt M hat die zunächst ebenfalls eingelegte Revision zurückgenommen - rügt der Beklagte eine Verletzung des § 97 Abs 2 SGB XII iVm § 2 Landesausführungsgesetz zum SGB XII für das Land Nordrhein-Westfalen - NRW - (AG-SGB XII) vom 16.12.2004 (Gesetz- und Verordnungsblatt 816) iVm § 2 Abs 1 Nr 2 Ausführungsverordnung zum SGB XII für das Land NRW (AV-SGB XII) vom 16.12.2004 (GVBl 817) sowie des § 98 Abs 5 SGB XII und macht Verfahrensfehler geltend. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts handele es sich bei den Leistungen, die S erhalten habe, um Leistungen in Form ambulant betreuter Wohnmöglichkeiten, für die der Kläger nach § 98 Abs 5 SGB XII zuständig sei; eine konzeptionelle Verknüpfung von Wohnung und ambulanter Betreuung sei nicht erforderlich. Selbst wenn die Ansicht des LSG zur örtlichen Zuständigkeit zuträfe, richte sich ein etwaiger Erstattungsanspruch gleichwohl gegen den Landschaftsverband Westfalen-Lippe, weil dieser nach § 2 Abs 1 Nr 2 AV-SGB XII zuständig sei. Der von den Vorinstanzen angenommene Gleichlauf örtlicher und sachlicher Zuständigkeit bestehe schon deshalb nicht, weil § 2 Abs 1 Nr 2 AV-SGB XII andere Begrifflichkeiten verwende. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe sei deshalb auch notwendig beizuladen gewesen; dabei wäre offenbar geworden, dass sich der "Kläger" ursprünglich zunächst an den Landschaftsverband gewandt und diesem gegenüber den "vermeintlichen Erstattungsanspruch" geltend gemacht habe. Diese Forderung habe der Landschaftsverband allein mangels örtlicher Zuständigkeit zurückgewiesen und den Antrag an den nach seiner Auffassung gemäß § 1 baden-württembergisches Gesetz zur Ausführung des SGB XII zuständigen überörtlichen Träger, den Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg, weitergeleitet, der als "zweitangegangener" Träger nach § 14 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) zuständig geworden sei.

6

Der Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG und des SG abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

7

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Er hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz), weil das Verfahren an einem von dem Beklagten gerügten Verfahrensmangel (fehlende Beiladung des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe) leidet und tatsächliche Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) für eine abschließende Entscheidung fehlen.

10

Das LSG hätte den Landschaftsverband Westfalen-Lippe als möglichen anderen Leistungsverpflichteten gemäß § 75 Abs 2 Satz 1 2. Alt SGG (unechte notwendige Beiladung) beiladen müssen. Nach dieser Vorschrift sind Dritte beizuladen, wenn sich im Verfahren ergibt, dass bei der Ablehnung des Anspruchs ein anderer Versicherungsträger, ein Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende, ein Träger der Sozialhilfe oder in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts ein Land als leistungspflichtig in Betracht kommt. Hierfür ist es nicht erforderlich, dass es für das LSG als erkennendes Gericht bereits feststeht, dass der Beklagte nicht leistungspflichtig ist; vielmehr genügt die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Leistungsverpflichteten (BSGE 97, 242 ff, RdNr 11 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1; BSG SozR 1500 § 75 Nr 74 S 92; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 75 RdNr 12). Dies ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut der Norm ("in Betracht kommt") als auch aus dem Sinn der Regelung. Die Frage der Notwendigkeit der Beiladung eines anderen Leistungsträgers kann nicht von der umfassenden Prüfung der Begründetheit der Klage abhängig gemacht und auf diese Weise durch das entscheidende Gericht für das Rechtsmittelgericht präjudiziert werden. Die Beiladung verfolgt nämlich (auch) das Ziel, rechtzeitig eine umfassende Klärung überhaupt erst herbeizuführen (Leitherer, aaO, RdNr 12a).

11

Vorliegend besteht nach den vom LSG selbst verwerteten Sachverhalt unter Berücksichtigung des maßgebenden Landesrechts die ernsthafte Möglichkeit, dass der Landschaftsverband Westfalen-Lippe an Stelle des Beklagten erstattungspflichtig ist. Die Ausführungen des LSG sind insoweit teilweise nicht nachvollziehbar, teilweise widersprüchlich. So wird schon nicht deutlich, weshalb die Stadt M einen beim Kläger gestellten Antrag auf Fortgewährung der bisher erbrachten Leistungen für die Zeit ab 1.5.2007 abgelehnt haben soll (Bescheid vom 26.3.2007), gegen den nicht der um Hilfe nachsuchende S, sondern der Kläger selbst am 16.4.2007 Widerspruch eingelegt haben soll. Dem Urteil des LSG ist jedenfalls zu entnehmen, dass nicht nur der Beklagte und die Stadt M angegangen worden sind, sondern auch der Landschaftsverband Westfalen-Lippe. Demgemäß hat das LSG festgestellt, dass der Kläger "in einem an den Landschaftsverband gerichteten Schreiben" auf § 98 Abs 1 SGB XII verwiesen habe, weil es sich bei dem Hilfefall um Hilfe zur Pflege handele. Das LSG hat andererseits aber trotz Ablehnung der Voraussetzungen des § 98 Abs 5 SGB XII den Landschaftsverband nicht in seine Überlegungen, geschweige denn ins Verfahren, einbezogen. Dies hätte umso näher gelegen, als neben Grundsicherungsleistungen sowohl Pflegeleistungen als auch Eingliederungshilfeleistungen betroffen waren, für die - legt man die Rechtsauffassung des LSG zugrunde, dass § 98 Abs 5 SGB XII keine Anwendung findet - nach dem Landesrecht in NRW (AV-SGB XII) unterschiedliche Leistungsträger - auch der Landschaftsverband - als sachlich zuständige Sozialhilfeträger - von der Heranziehung anderer Behörden einmal abgesehen - in Betracht kommen können, ohne dass das LSG dies geprüft hat.

12

Ohnehin sind die Ausführungen zum Landesrecht nicht nachvollziehbar und beziehen sich nur auf die Zuständigkeit für Leistungen des Ambulant-betreuten-Wohnens. Das LSG hat das Landesrecht außerdem keiner erkennbaren (eigenen) Prüfung unterzogen, sondern sich den Gründen des Urteils des SG angeschlossen. Dieses ging zwar von der sachlichen Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers unter Hinweis auf § 2 Abs 1 Nr 2 AV-SGB XII aus für alle Leistungen der Eingliederungshilfen nach § 54 SGB XII für behinderte Menschen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, außerhalb einer teilstationären oder stationären Einrichtung, die mit dem Ziel geleistet werden sollen, selbstständiges Wohnen zu ermöglichen oder zu sichern. Es hat dann aber - ohne schlüssige Begründung - den Tatbestand des § 2 Abs 1 Nr 2 AV-SGB XII offensichtlich mit einem - vom SG verneinten - Ambulant-betreuten-Wohnen gleichgesetzt.

13

Schließlich könnte eine Zuständigkeit des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe zumindest für die Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft in Form einer Kfz-Hilfe nach § 2 Abs 2 Nr 4 AV-SGB XII gegeben sein; diese Zuständigkeitsregelung haben weder SG noch LSG geprüft oder ausgelegt. Angesichts dieser gesamten Umstände, der Widersprüche und der unvollständigen bzw unterlassenen Auslegung des Landesrechts durfte das LSG eine mögliche Verpflichtung des Landschaftsverbands zur Leistung nicht von vornherein ausschließen und hätte ihn nach § 75 Abs 2 2. Alt SGG beiladen müssen, um eine abschließende Klärung herbeizuführen.

14

Auf welche Anspruchsgrundlage ein eventueller Erstattungsanspruch gestützt werden kann, bedarf weiterer, unterschiedlicher Feststellungen - insbesondere zum genauen Verfahrensablauf bei Geltendmachung der Ansprüche durch S im Hinblick auf § 14 SGB IX -, sodass eine genauere Auseinandersetzung mit den einzelnen, denkbaren Anspruchsnormen untunlich ist. Insoweit hat der Senat auch davon abgesehen, die endgültigen Ermittlungen zur Antragstellung und zur Zuständigkeit und die notwendige Beiladung des Landschaftsverbands selbst vorzunehmen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG), weil sie die Auslegung von Landesrecht erfordert hätte, um den (örtlich) und sachlich zuständigen Leistungsträger zu bestimmen. Deshalb kann offen bleiben, ob der Senat an die Auslegung des nicht revisiblen Landesrechts (§ 162 SGG) durch das LSG überhaupt gebunden ist (vgl § 202 SGG iVm § 560 Zivilprozessordnung; dazu allgemein Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 162 RdNr 7 ff mwN), wenn die Feststellungen des Berufungsgerichts den gerügten Verfahrensfehler einer unterlassenen notwendigen echten Beiladung betreffen.

15

Zwar ist eine Beiladung im Revisionsverfahren mit Zustimmung des Beizuladenden möglich (§ 168 Satz 2 SGG). Die Beiladung selbst kann jedoch dem LSG überlassen werden, wenn auch ohne den verfahrensrechtlichen Mangel der unterbliebenen Beiladung der Rechtsstreit - wie hier - aus anderen Gründen ohnedies zurückverwiesen werden müsste (vgl: BSGE 97, 242 ff RdNr 17 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1; BSGE 103, 39 ff RdNr 14 = SozR 4-2800 § 10 Nr 1). Den Feststellungen des LSG kann ua nicht die korrekte (rechtmäßige) Höhe des Erstattungsanspruchs entnommen werden (vgl dazu BSGE 109, 56 ff RdNr 10 = SozR 4-3500 § 98 Nr 1). Vor einer Beiladung ist der Senat indes gehindert, über die von der Revision aufgeworfenen materiellrechtlichen Fragen für das LSG bindend (§ 170 Abs 5 SGG) zu entscheiden, weil anderenfalls das rechtliche Gehör (§ 62 SGG; Art 103 Abs 1 Grundgesetz, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention) des Beizuladenden verletzt würde (vgl: BSGE 97, 242 ff RdNr 17 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1; BSGE 103, 39 ff RdNr 14 = SozR 4-2800 § 10 Nr 1).

16

Gleichwohl sei darauf hingewiesen, dass ein Erstattungsanspruch jedenfalls nicht daran scheitert, dass der Kläger nach § 98 Abs 5 SGB XII für die erbrachten Leistungen ohnehin zuständig wäre. Nach § 98 Abs 5 Satz 1 SGB XII bleibt für Leistungen ambulant betreuter Wohnmöglichkeiten der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, der vor Eintritt in diese Wohnform zuletzt örtlich zuständig war. Hierzu hat der Senat hat bereits entschieden, dass Leistungen ambulant betreuter Wohnformen entgegen der Auffassung des LSG keine konzeptionelle Verknüpfung von Wohnungsgewährung und (ambulanter) Betreuung voraussetzen (BSGE 109, 56 ff = SozR 4-3500 § 98 Nr 1). Die Eingrenzung der von dieser Leistungsform umfassten Hilfen hat in erster Linie anhand des Zwecks der Hilfen zu erfolgen. Sinn der Betreuungsleistungen beim Betreuten-Wohnen ist nicht die gegenständliche Zurverfügungstellung der Wohnung, sondern (nur) die Förderung der Selbstständigkeit und Selbstbestimmung bei Erledigung der alltäglichen Angelegenheiten im eigenen Wohn- und Lebensbereich in Form einer kontinuierlichen Betreuung (BSG, aaO, RdNr 15). Ob bei S diese Voraussetzungen vorliegen, wofür vieles spricht, mag das LSG entscheiden.

17

§ 98 Abs 5 Satz 1 SGB XII findet jedoch nach seinem Satz 2 selbst dann keine Anwendung, wenn - wie der Beklagte meint - S Leistungen in Formen ambulanter betreuter Wohnmöglichkeiten vor und nach seinem Umzug nach M erhalten hat; danach bleiben vor Inkrafttreten des SGB XII begründete Zuständigkeiten unberührt. Die Vorschrift ist so zu verstehen, dass in Fällen eines vor dem 1.1.2005 eingetretenen und fortbestehenden Leistungsfalls des Betreuten-Wohnens die vor dem 1.1.2005 geltenden Regelungen des BSHG über die örtliche Zuständigkeit weitergelten (BSG, aaO, RdNr 18). Dies bedeutet für "Altfälle", dass beim Umzug in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Sozialhilfeträgers § 97 Abs 1 BSHG zur Anwendung kommt. So dürfte der Fall hier liegen, weil eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung wohl bereits lange vor dem 1.1.2005 erforderlich war und sich auch in der Folgezeit an der Leistungsart an sich (nach dem Umzug nach M) nichts geändert hat. Der Einwand des Beklagten, der Gesundheitszustand des S habe sich nach dem 1.1.2005 verschlechtert, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Bereits im Jahr 2000 hat die Pflegekasse die Pflegestufe 3 mit besonderem Härtefall festgestellt. Dementsprechend hat der Kläger zuletzt durch Bescheid vom 17.6.2003 die Kosten für besondere Pflegekräfte (Arbeiterwohlfahrt) und sogar die Kosten für ein Assistenzzimmer übernommen. Diese Leistungen entsprechen den ab 1.1.2005 und im streitbefangenen Zeitraum übernommenen Leistungen. Selbst wenn sich der Pflegeaufwand im Laufe der Zeit erhöht haben sollte, änderte dies nichts daran, dass derselbe Bedarfsfall wohl bereits lange vor dem 1.1.2005 eingetreten war. Eine Anwendung des § 2 Abs 3 SGB X - wie vom LSG angenommen - dürfte jedoch ausscheiden, weil die Regelung des § 97 Abs 1 BSHG bzw § 98 Abs 1 SGB XII über die Zuständigkeit bei Weitererbringung der Leistung außerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs spezieller sind.

18

Ob darüber hinaus der vom Beklagten gerügte Aufklärungsmangel vorliegt, kann dahinstehen, weil das Verfahren ohnedies zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen wird. Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden und dabei wegen der erforderlichen Einheitlichkeit der Kostenentscheidung die Revisionsrücknahme des früheren Beklagten zu 2 zu berücksichtigen haben.

(1) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundessozialgericht die Revision zurück. Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Gesetzesverletzung, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision ebenfalls zurückzuweisen.

(2) Ist die Revision begründet, so hat das Bundessozialgericht in der Sache selbst zu entscheiden. Sofern dies untunlich ist, kann es das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Gericht zurückverweisen, welches das angefochtene Urteil erlassen hat.

(3) Die Entscheidung über die Revision braucht nicht begründet zu werden, soweit das Bundessozialgericht Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend erachtet. Dies gilt nicht für Rügen nach § 202 in Verbindung mit § 547 der Zivilprozeßordnung und, wenn mit der Revision ausschließlich Verfahrensmängel geltend gemacht werden, für Rügen, auf denen die Zulassung der Revision beruht.

(4) Verweist das Bundessozialgericht die Sache bei der Sprungrevision nach § 161 zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück, so kann es nach seinem Ermessen auch an das Landessozialgericht zurückverweisen, das für die Berufung zuständig gewesen wäre. Für das Verfahren vor dem Landessozialgericht gelten dann die gleichen Grundsätze, wie wenn der Rechtsstreit auf eine ordnungsgemäß eingelegte Berufung beim Landessozialgericht anhängig geworden wäre.

(5) Das Gericht, an das die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, hat seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen.

Vor jeder Entscheidung ist den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren; die Anhörung kann schriftlich oder elektronisch geschehen.

Tatbestand

1

Im Streit ist ein Anspruch auf Übernahme höherer Heimkosten für die Zeit ab dem 1.1.2005.

2

Der Kläger ist geistig behindert und befindet sich seit 1983 in einem Heim; die Heimkosten werden vom Beklagten übernommen. Der Wohnheim-Pflegesatz wird zwischen dem Träger des Wohnheims und dem Beklagten auf der Grundlage von Vereinbarungen abgerechnet; in den Vergütungsvereinbarungen zwischen dem Beklagten und dem Heimträger sind die Vergütungen nach Hilfebedarfsgruppen gestaffelt. Dem Bewilligungsbescheid für die Zeit ab 1.9.2001 hat der Beklagte die Hilfebedarfsgruppe 2 zugrunde gelegt (Bescheid vom 31.7.2002) .

3

Im Juni 2003 machte der Heimträger gegenüber dem Beklagten geltend, dass sich beim Kläger gesundheitliche Verschlechterungen eingestellt hätten und er deshalb in die kostenintensivere Hilfebedarfsgruppe 3 eingestuft werden müsse. Der Beklagte lehnte dies ab, weil dafür die bisherigen Vergütungen für alle Maßnahmeteilnehmer unter Berücksichtigung einer aktualisierten Zuordnung zu den Hilfebedarfsgruppen neu verhandelt werden müssten; eine isolierte Anpassung der Vergütung nur für den Kläger sei nach den vertraglichen Vereinbarungen ausgeschlossen. Demgemäß übernahm er dem Kläger gegenüber für die Zeit ab dem 1.1.2005 die Kosten weiterhin nur nach der Hilfebedarfsgruppe 2 (Bescheid vom 11.7.2005; Widerspruchsbescheid vom 22.11.2005) .

4

Die auf höhere Leistungen gerichtete Klage ist erst- und zweitinstanzlich ohne Erfolg geblieben (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 29.5.2006; Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15.11.2007) . Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, der Kläger habe kein Recht auf Zuordnung zu einer anderen Hilfebedarfsgruppe; sein sachlicher Bedarf im Heim sei gedeckt. Es sei auch nicht ersichtlich, dass er einen ungedeckten finanziellen Bedarf habe. Er selbst werde für höhere Kosten als die vom Beklagten übernommenen durch das Heim nicht in Anspruch genommen; der Heimvertrag zwischen dem Kläger und dem Heimträger sei auch nicht abgeändert worden.

5

Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 76 Abs 2 Satz 3 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII), von § 6 Abs 3 iVm § 7 Abs 5 Satz 1 Heimgesetz (HeimG) sowie Verfahrensfehler. Er habe ein subjektives Recht auf eine zutreffende Feststellung der Hilfebedarfsgruppe. Von der Einstufung in die Hilfebedarfsgruppe hänge die Höhe der vom Beklagten zu übernehmenden Heimkosten ab. Er (der Kläger) sei Schuldner des Heimentgelts und habe gegenüber dem Sozialhilfeträger im Rahmen seines Eingliederungshilfeanspruchs nach dem SGB XII Anspruch auf Kostenübernahme in Höhe dieses Entgelts. Das LSG habe seine Amtsermittlungspflicht verletzt; es sei dem Beweisantrag auf Klärung des veränderten Hilfebedarfs als Grundlage für eine Änderung der Hilfebedarfsgruppe nicht gefolgt.

6

Der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG und den Gerichtsbescheid des SG aufzuheben sowie den Bescheid des Beklagten vom 11.7.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.11.2005 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, höhere Kosten der Eingliederungshilfe ab 1.1.2005 zu übernehmen und insoweit zusätzliche Beträge an den Heimträger zu zahlen.

7

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

8

Er hält das Urteil des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz) . Das Verfahren leidet an einem von Amts wegen zu beachtenden Verfahrensmangel. Das LSG hätte den Träger des Heims, in dem der Kläger stationär aufgenommen ist, gemäß § 75 Abs 2 1. Alt SGG notwendig beiladen müssen.

10

Nach § 75 Abs 2 1. Alt SGG sind Dritte beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann ("echte" notwendige Beiladung). Das Erfordernis einer einheitlichen Entscheidung ist erfüllt, wenn der Hilfebedürftige vollstationär in einem Heim aufgenommen ist und - wie vorliegend - gegenüber dem Sozialhilfeträger die Übernahme von (höheren) Heimkosten im Rahmen der Eingliederungshilfe geltend macht. In solchen Fällen wird die Leistung vom Sozialhilfeträger nicht als Geldleistung erbracht. Der Sozialhilfeträger erklärt mit der Übernahme der Unterbringungskosten im Bewilligungsbescheid den Schuldbeitritt zur Zahlungsverpflichtung des Hilfebedürftigen gegenüber dem Heim; "Übernahme" bedeutet in diesem Zusammenhang Schuldbeitritt durch Verwaltungsakt mit Drittwirkung (BSGE 102, 1 ff RdNr 25 ff = SozR 4-1500 § 75 Nr 9) . Die Entscheidung kann deshalb nur einheitlich gegenüber dem Hilfebedürftigen und dem Heimträger ergehen; abgesehen davon verlangt der Kläger vom Beklagten auch die Zahlung höherer Beträge unmittelbar an den Heimträger.

11

Von einer Nachholung der Beiladung hat der Senat abgesehen. Zwar wäre dies im Revisionsverfahren mit Zustimmung des Beizuladenden zulässig (§ 168 Satz 2 SGG) ; zur revisionsgerichtlichen Nachholung der Beiladung besteht aber keine Verpflichtung. Die Beiladung ist vielmehr in das Ermessen des Revisionsgerichts gestellt (vgl nur Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 168 RdNr 3d mwN) . Sie kann insbesondere dann der Tatsacheninstanz überlassen werden, wenn auch nach Beiladung aus anderen Gründen ohnedies zurückverwiesen werden müsste. Dies ist hier der Fall. Die Feststellungen des LSG würden keine abschließende Entscheidung darüber erlauben, ob und inwieweit ein Anspruch des Klägers gegen den Beklagten auf Übernahme höherer Heimkosten besteht. Für diese Beurteilung fehlen nämlich tatsächliche Feststellungen (§ 163 SGG) zu den Anspruchsvoraussetzungen der §§ 53 ff SGB XII, insbesondere zum Inhalt der zwischen Kläger und Heimträger einerseits und Heimträger und Beklagtem andererseits geschlossenen Verträge und der sich daraus ergebenden Zahlungsverpflichtungen des Klägers gegenüber dem Heim. Wegen der Zurückverweisung der Sache zur Nachholung der Beiladung ist der Senat zudem gehindert, über im Zusammenhang mit einem möglichen Anspruch sich ergebende materiellrechtliche Fragen bindend zu entscheiden (§ 170 Abs 5 SGG) , weil anderenfalls das rechtliche Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 Grundgesetz, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention) des Beizuladenden verletzt würde (BSGE 97, 242 ff RdNr 17 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1) .

12

Zu Recht ist allerdings das LSG davon ausgegangen, dass der Kläger einen Anspruch auf Übernahme nur solcher Kosten hat, die er selbst dem Heimträger schuldet (BSGE 102, 1 ff RdNr 25 = SozR 4-1500 § 75 Nr 9) . Der Senat hat zu den Leistungen der stationären Hilfe in Einrichtungen bereits entschieden, dass diese als Sachleistung in Form einer besonderen Art der Sachleistungsverschaffung erbracht werden (BSGE 102, 1 ff RdNr 15 ff = SozR 4-1500 § 75 Nr 9) . Allgemein tragen die Sozialhilfeträger die Verantwortung für die Versorgungsinfrastruktur, die durch Abschluss der Verträge des dafür zuständigen Sozialhilfeträgers nach den §§ 75 ff SGB XII (bzw bis 31.12.2004 der §§ 93 ff Bundessozialhilfegesetz) wahrgenommen wird; dem Hilfebedürftigen gegenüber aber besteht die Leistungsverpflichtung in der Übernahme der Heimkosten in Form eines Schuldbeitritts durch den für die Leistung zuständigen Sozialhilfeträger. Diese Konstruktion, die als Gewährleistungsverantwortungsmodell bezeichnet werden kann (vgl zu diesem Begriff Eicher in Eicher/Schlegel, SGB III, Vor §§ 84-87 RdNr 1, Stand Februar 2009) und nicht dem gesetzlichen Sicherstellungsauftrag des § 70 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) an die Krankenkassen gleichzusetzen ist (BSGE 102, 1 ff RdNr 15 = SozR 4-1500 § 75 Nr 9) , entspricht nach wie vor dem normativen Leitbild. Die §§ 5 bis 9 HeimG aF gehen - anders als die gesetzliche Krankenversicherung - ebenso wie das diese ersetzende, am 1.10.2009 als Art 1 des Gesetzes zur Neuregelung der zivilrechtlichen Vorschriften des Heimgesetzes nach der Föderalismusreform vom 29.7.2009 (BGBl I 2319) in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Verträgen über Wohnraum mit Pflege- oder Betreuungsleistungen (WBVG) von einer eigenen Verpflichtung des Heimbewohners zur Zahlung der Heimvergütung aus. Erst der Schuldbeitritt führt zu einem unmittelbaren Zahlungsanspruch der Einrichtung gegen den Sozialhilfeträger (BSGE 102, 1 ff RdNr 25 = SozR 4-1500 § 75 Nr 9) ; andererseits hat der Hilfeempfänger gegen den Sozialhilfeträger einen Anspruch auf Zahlung des Sozialhilfeträgers unmittelbar an die Einrichtung (BSG aaO) .

13

Aufgrund der bisherigen Feststellungen des LSG lässt sich indes nicht beurteilen, welche Vergütung der Kläger dem Heimträger ab dem 1.1.2005 schuldet, insbesondere ob die Vergütung weiterhin nach der Hilfebedarfsgruppe 2 zu kalkulieren ist oder die frühere Leistungsbewilligung unter Anwendung der §§ 45, 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) abzuändern ist. Zwar hat das LSG Ausführungen dazu gemacht, dass der Heimvertrag im Hinblick auf eine Höherstufung des Klägers in die Hilfebedarfsgruppe 3 nicht angepasst worden sei; erforderlich wäre aber gewesen, zunächst den Inhalt des Heimvertrages festzustellen und zu analysieren. Nur auf der Grundlage solcher Feststellungen hätte beurteilt werden können, ob - bei angenommenem höheren Betreuungsbedarf - eine Vertragsänderung unter den Voraussetzungen des § 6 HeimG überhaupt erforderlich war. Nach den im Revisionsverfahren vorgelegten Heimvertragsunterlagen ergeben sich jedoch Anhaltspunkte, dass eine feste Heimvergütung überhaupt nicht vereinbart war, sondern dass die Vergütung unmittelbar an die jeweiligen Vereinbarungen zwischen Sozialhilfe- und Heimträger gekoppelt waren, also diese Verträge unmittelbaren Einfluss auf jene haben und die Höhe der Heimvergütung somit durch das Leistungserbringungsrecht bestimmt werden konnte.

14

Sofern sich dies bestätigen sollte, wäre der Inhalt der Vereinbarungen zwischen Sozialhilfe- und Heimträger (Leistungserbringungsverträge) festzustellen und insbesondere die Frage zu klären, ob und wie die Einstufung in eine Hilfebedarfsgruppe in diesen Verträgen geregelt ist, wer also über die Einstufung zu entscheiden hat und zwischen welchen der an dem Dreiecksverhältnis Beteiligten die Einstufung zu klären ist. Die Einstufung selbst ist jedenfalls kein Verwaltungsakt; hierfür würde es an einer gesetzlichen Eingriffsgrundlage fehlen. Die Hilfebedarfsgruppen sind lediglich Kalkulationsgrundlage für die vertragliche Maßnahmepauschale (§ 76 Abs 2 Satz 3 SGB XII) . Wenn die Auslegung der Leistungserbringungsverträge keine Klärung der Hilfebedarfsgruppen zwischen den Vertragspartnern selbst vorsieht, wäre eine Klärung im Verhältnis unmittelbar zwischen Kläger und Beklagtem über die auf Grund des Hilfebedarfs richtige vertragliche Vergütung denkbar. Ggf wäre allerdings dann zuvor eine Vertragsänderung (§ 6 HeimG; s nunmehr allerdings § 8 WBVG) erforderlich, wenn bzw weil der Heimvertrag eine konkrete Vergütung überhaupt nicht vorsieht. Nur angemerkt sei, dass sich natürlich die Wirksamkeit eines geänderten Vertrags wie die jeder heimvertraglichen Vereinbarung an den Leistungserbringungsverträgen misst (§ 6 Abs 3 HeimG; vgl allerdings §§ 7, 8 WBVG für die Zeit ab 1.1.2009 mit "Anpassungsklauseln").

15

Das LSG wird in seine Entscheidung auch die Kosten des Revisionsverfahrens einzubeziehen haben.

(1) Die Sozialhilfe, mit Ausnahme der Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, setzt ein, sobald dem Träger der Sozialhilfe oder den von ihm beauftragten Stellen bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Leistung vorliegen.

(2) Wird einem nicht zuständigen Träger der Sozialhilfe oder einer nicht zuständigen Gemeinde im Einzelfall bekannt, dass Sozialhilfe beansprucht wird, so sind die darüber bekannten Umstände dem zuständigen Träger der Sozialhilfe oder der von ihm beauftragten Stelle unverzüglich mitzuteilen und vorhandene Unterlagen zu übersenden. Ergeben sich daraus die Voraussetzungen für die Leistung, setzt die Sozialhilfe zu dem nach Satz 1 maßgebenden Zeitpunkt ein.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Oktober 2013 insoweit aufgehoben, als er zur Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 11. Oktober 2010 bis 7. November 2011 verurteilt worden ist.

Insoweit wird die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 20. November 2012 zurückgewiesen.

Die Beigeladene wird verurteilt, den Klägern Hilfe zum Lebensunterhalt für den Zeitraum vom 11. Oktober 2010 bis 7. November 2011 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beigeladene hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Ansonsten haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit steht die Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Kläger im Zeitraum vom 11.10.2010 bis 7.11.2011.

2

Die Kläger sind rumänische Staatsangehörige. Die Kläger zu 1 und 2 zogen 2008 mit ihren beiden gemeinsamen Kindern - geboren 1992 und im Februar 1995 (Kläger zu 3) - von Rumänien bzw über Belgien nach Deutschland. Sie verfügen seit November 2008 über eine Freizügigkeitsbescheinigung/EU und die Kläger zu 1 und 2 seit Ende 2011 (nach dreijährigem Aufenthalt) über eine unbefristete Arbeitsberechtigung. Der Kläger zu 1 hatte in Rumänien eine Schlosserlehre absolviert, war dann zur Armee eingezogen worden und arbeitete 1993 bis 1995 als Taxifahrer sowie anschließend als Tagelöhner in der Landwirtschaft. Ein von ihm 1992/1993 in Deutschland gestellter Asylantrag wurde abschlägig beschieden. Seine Ehefrau ging in Rumänien keiner Erwerbstätigkeit nach. Sie übt seit dem 8.11.2012 eine mit 200 Euro netto monatlich geringfügig entlohnte Beschäftigung aus. Bis Ende 2010 verkauften die Kläger zu 1 und 2 die Obdachlosenzeitung "Fifty-Fifty" zu einem Abgabepreis von 1,80 Euro und einem "Einkaufspreis" von 0,90 Euro. Der Differenzbetrag von rund je 120 Euro im Monat verblieb bei ihnen. Der Kläger zu 1 hatte vom 13.10.2008 bis 29.10.2009 ein Gewerbe angemeldet ("Abbruch- und Entkernungsarbeiten, Hilfsarbeiten auf Baustellen"), das er jedoch nicht betrieb und mit dem er auch keine Einkünfte erzielte. Für die beiden Söhne erhielten die Eheleute Kindergeld in Höhe von je 184 Euro. Die Söhne besuchten in Deutschland die Schule.

3

Erstmals Ende 2009 lehnte der Beklagte die Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bindend ab. Ein erneuter Antrag der Kläger vom 11.10.2010, den sie mit der Einreise zur Arbeitsuche begründeten, wurde vom Beklagten ebenfalls abschlägig beschieden (Bescheid vom 19.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2010). Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes hiergegen verpflichtete das LSG den Beklagten, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom 17.5.2011 bis maximal zum 17.11.2011 zu erbringen. Dies führte der Beklagte durch Bescheide vom 14.6., 7.7., 26.7. und 1.8.2011 aus. Ebenso vollzog sich das Verfahren nach einem weiteren Antrag der Kläger vom 7.11.2011 (ablehnender Bescheid vom 15.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2011, Ausführungsbescheide des Beklagten vom 22.6.2012 nach dem Erlass einer einstweiligen Anordnung des LSG für den Zeitraum vom 23.11.2011 bis 30.6.2012). Am 14.1.2013, der Höhe nach geändert durch Bescheid vom 5.2.2013, bewilligte der Beklagte den Klägern die begehrten Leistungen ab dem 1.11.2012, also seit dem Monat der Aufnahme der Beschäftigung durch die Klägerin zu 2.

4

Die gegen den Bescheid vom 19.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2010 erhobene Klage hat das SG durch Urteil vom 20.11.2012 unter Hinweis darauf, dass die Kläger nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II von Leistungen der Grundsicherung ausgeschlossen seien, abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das LSG dieses Urteil geändert und den Beklagten unter Änderung der benannten Bescheide verurteilt, den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften für den Zeitraum vom 11.10.2010 bis 7.11.2011 zu bewilligen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II greife im Falle der Kläger nicht. Sie verfügten über kein materielles Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland. Der Sohn der Kläger zu 1 und 2 (Kläger zu 3) sei im streitigen Zeitraum Schüler gewesen. Die Kläger zu 1 und 2 seien keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen. Das vom Kläger zu 1 angemeldete Gewerbe sei nie betrieben und es seien keine Einkünfte daraus erzielt worden. Der Verkauf der Obdachlosenzeitung stelle keine Beschäftigung dar, die zu einem Status als Arbeitnehmer geführt haben könne. Es handele sich dabei um eine untergeordnete Tätigkeit, die nicht in einem Arbeitsverhältnis verrichtet worden sei. Die Kläger zu 1 und 2 seien auch nicht arbeitsuchend gewesen, denn sie hätten allein wegen der Sprachbarrieren keine Chance auf Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt gehabt. Daher komme es auch nicht darauf an, dass die Kläger vor dem 1.10.2011 über eine unbefristete Freizügigkeitsberechtigung/EU verfügt hätten. Auf einen EU-Bürger ohne materielles Aufenthaltsrecht finde der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II keine Anwendung. Dies erschließe sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, die auf den Aufenthaltszweck "allein zur Arbeitsuche" abstelle. Eine erweiternde Auslegung im Sinne des Erst-Recht-Schlusses komme wegen des Ausnahmecharakters des Ausschlusses nicht in Betracht. Die Vorschrift sei nicht analogiefähig. Es liege keine unbeabsichtigte Regelungslücke vor. Dass der aus dem mangelnden Aufenthaltsrecht folgende Ausweisungsgrund nicht vollzogen werde, sei kein Grund, EU-Bürger von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in erweiternder Auslegung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II auszuschließen(Urteil des LSG vom 10.10.2013).

5

Der Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und begründet sie damit, dass das Urteil des LSG § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II verletze. Die dortige Auslegung der Vorschrift führe dazu, dass ausgerechnet Personen, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht oder kaum integrierbar seien, vom Leistungsausschluss für arbeitsuchende Unionsbürger nicht betroffen würden.

6

Er beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Oktober 2013 aufzuheben und die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 20. November 2012 zurückzuweisen.

7

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Beigeladene zu verurteilen, ihnen Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII im Zeitraum vom 11. Oktober 2010 bis 7. November 2011 zu gewähren.

8

Sie halten die Ausführungen des LSG für zutreffend. Zwar sei nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Alimanovic nun klargestellt, dass der in § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II formulierte Leistungsausschluss europarechtskonform sei. Dies betreffe jedoch nicht die Kläger. Bei ihnen liege es näher, einen Vergleich zu der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Dano zu ziehen, wonach wirtschaftlich nicht aktiven Unionsbürgern anderer Mitgliedstaaten keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu erbringen seien. Insoweit mangele es jedoch an einer einfachgesetzlichen Regelung im deutschen Recht.

9

Die Beigeladene hat keinen eigenen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG, soweit es den Beklagten zur Leistungserbringung verurteilt hat, begründet. Die Beigeladene ist verpflichtet, die Existenzsicherung der Kläger nach den Vorschriften des SGB XII zu gewährleisten.

11

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (2.). Sie können jedoch Hilfe zum Lebensunterhalt von der Beigeladenen nach § 23 Abs 1 S 3 SGB XII beanspruchen (3.).

12

1. Streitgegenstand ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, die der Beklagte durch Bescheid vom 19.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2010 abgelehnt hat. Der streitige Zeitraum beginnt mit der Antragstellung am 11.10.2010, als dem "Türöffner" für das Verwaltungsverfahren (zuletzt BSG vom 24.4.2015 - B 4 AS 22/14 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 71 RdNr 17), und endet, da die Kläger ihr Begehren im zweitinstanzlichen Gerichtsverfahren bis zu diesem Zeitpunkt beschränkt haben, mit der erneuten Antragstellung am 7.11.2011. Die die Entscheidungen des LSG im vorläufigen Rechtsschutz ausführenden Bescheide des Beklagten sind, wie das LSG zutreffend befunden hat, nicht nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden(vgl BSG vom 27.6.2013 - B 10 EG 2/12 R - SozR 4-7837 § 2 Nr 21 RdNr 20 mwN; s auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 96 RdNr 4b unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des BSG).

13

Unschädlich ist auch, dass die Kläger im Berufungsverfahren, trotz der Beiladung der Stadt Gelsenkirchen, nicht zumindest hilfsweise deren Verurteilung oder Verpflichtung zur Leistungserbringung nach dem SGB XII beantragt haben. Im Falle der - hier vom LSG vorgenommenen notwendigen Beiladung nach § 75 Abs 2 2. Alt SGG (unechte notwendige Beiladung) - ist zumindest davon auszugehen, dass die Kläger hilfsweise die Verurteilung der Beigeladenen begehren (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 75 RdNr 18a; weitergehend BSG vom 28.5.2015 - B 7 AY 4/12 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen - RdNr 10). Denn nach § 75 Abs 5 SGG darf der beigeladene Träger verurteilt werden, obwohl er nicht verklagt ist. Mit der Vorschrift des § 75 Abs 2 2. Alt iVm Abs 5 SGG unterstellt der Gesetzgeber, dass der Kläger zwar in erster Linie die Verurteilung des beklagten Trägers, hilfsweise jedoch auch die jedes anderen in Frage kommenden Trägers begehrt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Kläger diese Verurteilung ausdrücklich ablehnt ( BSG vom 15.1.1959 - 4 RJ 111/57 - BSGE 9, 67, 70; BSG vom 2.11.2000 - B 11 AL 25/00 R - RdNr 25). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Bei dem im Revisionsverfahren gestellten Hilfsantrag auf Verurteilung der Beigeladenen handelt es sich aus diesen Gründen auch nicht um eine an sich im Revisionsverfahren nach § 168 S 1 SGG nicht mehr zulässige Klageänderung im Sinne der Klageerweiterung(vgl hierzu BSG vom 30.1.1985 - 2 RU 69/83 - SozR 1500 § 168 Nr 3; BSG vom 4.2.1965 - 11/1 RA 312/63 - SozR Nr 27 zu § 75 SGG; s auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 168 RdNr 2c und § 75 RdNr 12a).

14

Ebenso wenig wird die Zulässigkeit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage dadurch berührt, dass die Kläger bereits vorläufige Leistungen erhalten haben. Dies war zum einen nur für einen Teil des hier streitigen Zeitraums der Fall (BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 12 zur Unzulässigkeit bei dem Ausscheiden jeglichen Zahlungsanspruchs). Zum anderen hat sich der Rechtsstreit nach der ständigen Rechtsprechung des BSG auch nicht teilweise dadurch erledigt, dass für den Fall der nunmehr beantragten hilfsweisen Verurteilung der Beigeladenen die Leistungserbringung des Sozialhilfeträgers bereits (teilweise) als erfüllt iS des § 107 Abs 1 SGB X gilt(BSG vom 8.8.1990 - 11 RAr 79/88 - SozR 3-1300 § 104 Nr 3 S 4 f; BSG vom 9.9.1993 - 7/9b RAr 28/92 - BSGE 73, 83, 84 f = SozR 3-4100 § 58 Nr 5 S 11; BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 12).

15

2. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gegen den Beklagten. Sie sind unabhängig von der bestehenden Hilfebedürftigkeit iS des § 7 Abs 1 S 1 Nr 3 iVm § 9 SGB II, ihres gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland(§ 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II; vgl zum Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34 RdNr 17 ff)und der Erfüllung der Altersgrenzen des § 7 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB II im streitigen Zeitraum zumindest durch die Kläger zu 1 und 2 sowie deren Erwerbsfähigkeit(§ 7 Abs 1 S 1 Nr 2 iVm § 8 SGB II - auch nach § 8 Abs 2 SGB II, weil ihnen als Rumänen trotz seinerzeit nur eingeschränkter Arbeitnehmerfreizügigkeit als EU-Ausländern die Aufnahme einer Beschäftigung hätte erlaubt werden können, vgl BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 14 ff)von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aufgrund von § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II(idF vom 28.8.2007 durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007, BGBl I 1970, 2008) ausgeschlossen. Danach sind von den benannten Leistungen ausgenommen 1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige noch aufgrund des § 2 Abs 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts und 2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt und ihre Familienangehörigen.

16

a) Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II unterfallen die Kläger nicht einer Ausnahme von der Leistungsberechtigung nach § 7 Abs 1 S 1 SGB II. Sie haben sich im streitigen Zeitraum vom 11.10.2010 bis 7.11.2011 bereits mehr als drei Monate in Deutschland aufgehalten, denn sie sind im Herbst des Jahres 2008 eingereist. Ihr Aufenthaltsrecht ergibt sich auch nicht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche. So sind die Kläger zu 1 und 2 zwar zur Arbeitsuche in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Für den hier streitigen Zeitraum folgt hieraus jedoch kein materielles Aufenthaltsrecht mehr. Sie waren nicht mehr arbeitsuchend iS des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II.

17

Der Begriff der "Arbeitsuche" ist im vorliegenden Kontext freizügigkeitsrechtlich geprägt. Der Gesetzgeber hat in § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II - anders als in § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II - zwar nicht ausdrücklich Bezug auf die Regelungen des FreizügG/EU genommen. Aus der Verknüpfung mit dem "Aufenthaltsrecht" folgt jedoch bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift, dass die dortigen Regelungen sowie die der RL 2004/38/EG zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der "Arbeitsuche" heranzuziehen sind. Dies wird durch den Gesetzentwurf zur Änderung des S 2 des § 7 Abs 1 SGB II(BT-Drucks 16/5065 S 234; Änderung des SGB II zum 28.8.2007 durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007, BGBl I 1970, 2008) bestätigt. Danach sollten mit den Neuregelungen in § 7 Abs 1 S 2 SGB II die Unionsbürgerrichtlinie RL 2004/38/EG im Leistungsrecht umgesetzt und insbesondere von der Möglichkeit des Leistungsausschlusses nach Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG Gebrauch gemacht werden. Diese Norm regelt, dass vom Grundsatz der Gleichbehandlung aller Unionsbürger abgewichen werden kann, wenn die betreffende Person weder Arbeitnehmer, noch Selbstständiger oder deren Familienangehöriger ist und sie diesen Status nicht erhalten konnte (vgl hierzu Art 7 Abs 3 Buchst b und c RL 2004/38/EG). Sofern sie als Arbeitsuchende in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates eingereist ist, sieht die Richtlinie durch Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG solange eine Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts als Arbeitsuchende vor, solange sie nachweisen kann, dass sie weiterhin Arbeit sucht und sie eine begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden. Diese Regelung hat der Gesetzgeber zwischenzeitlich (mW ab dem 9.12.2014, BGBl I 1922) ins FreizügG/EU übernommen. In dessen § 2 Abs 2 S 1 Nr 1a FreizügG/EU ist nunmehr geregelt, dass freizügigkeitsberechtigt Unionsbürger sind, die sich zur Arbeitsuche aufhalten, für bis zu sechs Monate und darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Der dies tragende Grundgedanke der Aussicht auf Aufnahme einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist jedoch wegen der Gründung des Normtextes des § 7 Abs 1 S 2 SGB II auf der RL 2004/38/EG auch bereits im streitigen Zeitraum zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Arbeitsuche heranzuziehen.

18

Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs ist die Annahme des LSG revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass sich die Freizügigkeitsberechtigung der Kläger zu 1 und 2 im streitigen Zeitraum nicht mehr allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergab. Auf Grundlage der Anhörung der Kläger in der mündlichen Verhandlung sowie beigezogener Auskünfte und Beratungsvermerke der BA ist das LSG zu dem Ergebnis gelangt, dass sie im streitigen Zeitraum keine realistische Chance auf Erlangung eines Arbeitsplatzes hatten. Die Kläger zu 1 und 2 verfügten nicht über eine verwertbare berufliche Qualifikation oder Ausbildung, nennenswerte Berufserfahrung und deutsche Sprachkenntnisse. Diese fehlenden Kenntnisse stellten ein erhebliches Hindernis bei der Arbeitsuche dar. Zudem war zu berücksichtigen, dass ihre Berechtigung, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, im streitigen Zeitraum zusätzlich noch durch das Erfordernis einer Arbeitsgenehmigung-EU iS des § 284 SGB III(in den hier einschlägigen Fassungen vom 7.12.2006 BGBl I 2814 und vom 20.12.2011 mWv 1.5.2011 BGBl I 2854) iVm der Arbeitserlaubnis-EU nach § 39 Abs 2 S 1 Nr 1 Buchst b AufenthG(in den hier einschlägigen Fassungen vom 25.2.2008, BGBl I 162 und 20.12.2011, mWv 1.5.2011 BGBl I 2854, 2921) - für Unionsbürger aus Rumänien in der ersten Beitrittszeit - beschränkt war. Danach brauchte die BA der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung nur zuzustimmen, wenn für die Beschäftigung deutsche Arbeitnehmer sowie Ausländer, die diesen hinsichtlich der Arbeitsaufnahme rechtlich gleichgestellt waren, oder andere Ausländer, die nach dem Recht der Europäischen Union einen Anspruch auf vorrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt hatten, nicht zur Verfügung standen. Die begründete Aussicht, dass diese beim Fehlen jeglicher Qualifikation der Arbeitsuchenden, wie vorliegend, zur Verfügung stehen, hat das LSG ohne Rechtsfehler negiert. Da die Kläger sich zu Beginn des hier streitigen Zeitraums zudem bereits mehr als zwei Jahre in Deutschland aufgehalten hatten, ohne eine Erwerbstätigkeit ausgeübt zu haben, unterliegt der vom LSG weiter gezogene Schluss der objektiv nicht bestehenden Aussicht der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit keinen durchgreifenden Zweifeln (vgl zum zeitlichen Umfang der materiellen Freizügigkeitsberechtigung der Arbeitsuche: EuGH Rs Antonissen vom 26.2.1991 - C-292/89 RdNr 21; s auch Devetzi, EuR 2014, 638, 642; Lehmann, ZAR 2015, 212, 215; Thym, NJW 2015, 130, 133).

19

b) Die Kläger waren jedoch, auch wenn sie nicht den ausdrücklich normierten Ausnahmen des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II unterfallen, gleichwohl von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen. Denn sie verfügten über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung im Sinne des FreizügG/EU oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht. Damit unterfielen sie "erst-recht" dem Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II. Die Vorschrift ist insoweit planwidrig lückenhaft, als sie nicht ausdrücklich den Ausschluss auch derjenigen normiert, die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen, weil sie einen Leistungsausschluss schon für solche Ausländer anordnet, die sich auf eine solche materielle Freizügigkeitsberechtigung im Sinne des FreizügG/EU berufen können.

20

Der "Erst-Recht-Schluss" ist eine Untergruppe oder ein Spezialfall des Analogieschlusses. Die analoge Anwendung einfachgesetzlicher Vorschriften ist eine anerkannte Methode der richterlichen Rechtsfortbildung und verfassungsrechtlich unter Beachtung der Schranken des Art 20 Abs 3 GG zulässig. Denn hat der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, darf der Richter diese nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern und durch eine judikative Lösung ersetzen, die so im Parlament nicht erreichbar war (BVerfG vom 3.4.1990 - 1 BvR 1186/89 - BVerfGE 82, 6, 11). Daher setzt der Analogieschluss voraus, dass das Gesetz - hier im Hinblick auf eine bestimmte Personengruppe - lückenhaft, also angesichts der erkennbaren Regelungsabsicht des Gesetzgebers "planwidrig" unvollständig ist (vgl dazu Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl 1991, S 373, 375; s nur BSG vom 25.6.2009 - B 10 EG 8/08 R - BSGE 103, 291 = SozR 4-7837 § 2 Nr 2 RdNr 31 mwN). Es muss an der nach dem Regelungsplan des Gesetzes zu erwartenden Regel mangeln (BVerwG vom 11.9.2008 - 2 B 43/08 - Buchholz 237.7 § 23 NWLBG Nr 1 mwN). Dem "Erst-Recht-Schluss" selbst liegt dabei die Erwägung zugrunde, die analoge Anwendung sei immer dann gerechtfertigt, wenn die rechtspolitischen Gründe (Normzwecke) einer Vorschrift bei einem nicht geregelten Lebenssachverhalt noch stärker gegeben sind als bei dem geregelten Normtatbestand (vgl nur Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 8. Aufl 2015, RdNr 898). Dies ist hier im Hinblick auf Unionsbürger oder Ausländer, die über keine Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen, der Fall, wie sich aus der Entstehungsgeschichte der Ausschlussregelung, ihrem systematischen Zusammenhang sowie dem Sinn und Zweck der benannten Vorschrift erschließt (vgl zur Feststellung des Regelungsplans des Gesetzgebers bei einer Unvollständigkeit des Gesetzes, Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl 1991, S 373).

21

(aa) Nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II in der ab dem 1.1.2005 geltenden Fassung des Gesetzes zur optionalen Trägerschaft von Kommunen nach dem SGB II (vom 30.7.2004, BGBl I 2014) waren Ausländer unter den Voraussetzungen des § 8 Abs 2 SGB II leistungsberechtigt. Ein Ausschluss oder eine Beschränkung der Leistungsberechtigung für Unionsbürger waren mithin nicht vorgesehen. Mit der Neufassung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II durch das Gesetz zur Änderung des 2. Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (vom 24.3.2006, BGBl I 558) ergänzt durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (vom 19.8.2007, BGBl I 2008) erfolgte dann ein grundlegender Paradigmenwechsel. Es sollte von der Option des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG Gebrauch gemacht werden (BT-Drucks 16/5065 S 234). Für Unionsbürger, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen, sollte eine weitere leistungsrechtliche Hürde geschaffen werden, sofern sie wegen des vorbehaltlosen Aufenthalts in den ersten drei Monaten oder allein zum Zweck der Arbeitsuche freizügigkeitsberechtigt sind (BT-Drucks 16/5065 S 234; BT-Drucks 16/688 S 13). Leistungsberechtigt sollten sie nur sein, wenn sie über eine von § 7 Abs 1 S 2 SGB II nicht erfasste Freizügigkeitsberechtigung oder ein sonstiges Aufenthaltsrecht verfügen. Hieraus folgt umgekehrt, dass nicht freizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigte Unionsbürger nach dem gesetzgeberischen Plan von vornherein nicht leistungsberechtigt sein sollten.

22

(bb) Dies entspricht auch der Binnensystematik und der Verknüpfung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II mit dem im Gesetzentwurf unter Bezug genommenen Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG. Danach ist der Aufnahmemitgliedstaat - unter Hintanstellung des Gleichbehandlungsgrundsatzes - nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG (Zeitraum der Arbeitsuche, s unter 2.a) einen Anspruch auf Sozialhilfe (…) zu gewähren. Das Gleichbehandlungsgebot, also auch die Verpflichtung zur Gleichbehandlung bei der Gewährung existenzsichernder Leistungen, gilt mithin umgekehrt grundsätzlich nur dann, wenn eine Freizügigkeitsberechtigung des Unionsbürgers im Sinne der Richtlinie gegeben ist. Zugleich wird im Hinblick auf den Aufenthalt in den ersten drei Monaten und zur Arbeitsuche durch den Hinweis auf Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG eine Ausnahme normiert. Mit der Einfügung der Nr 1 und 2 in den S 2 des § 7 Abs 1 SGB II sollte demnach von den unionsrechtlich eröffneten Ausschlussgründen auch bei Bestehen einer Freizügigkeitsberechtigung Gebrauch gemacht werden. Hierin fügt sich die Systematik der Rückausnahmen in § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II für freizügigkeitsberechtigte Arbeitnehmer und Selbstständige sowie ihre Familienangehörigen ein. Dementsprechend haben die beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG im Hinblick auf Nr 2 des § 7 Abs 1 S 2 SGB II bisher schon unter Bezug auf § 11 FreizügG/EU (Regelung der Anwendung des AufenthG) angenommen, dass in Fällen, in denen ein anderes Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG - auch neben dem zum Zwecke der Arbeitsuche - besteht, etwa aus anderen familiären Gründen, der Ausschluss ebenfalls nicht eingreift(BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 30 ff; BSG vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28, RdNr 20 ff).

23

Dass der Gesetzgeber es planwidrig unterlassen hat, auch die nicht freizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigten Ausländer ausdrücklich von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auszuschließen, belegt auch die nachfolgende Kontrollüberlegung zu dem System der Eingliederungsleistungen im SGB II. Nach der Grundkonzeption des SGB II ist es Ziel dieser Leistungen, dass leistungsberechtigte Personen ohne eine Erwerbstätigkeit bei der Aufnahme einer solchen unterstützt werden, also Arbeit zu finden und, wenn sie bisher erfolglos Arbeit gesucht haben, dies mit einer Unterstützung durch Eingliederungsleistungen erfolgreich zu tun. Wenn ein EU-Ausländer aber Leistungen nach §§ 16 ff SGB II für eine erfolgreiche Arbeitsuche erhält, liegen die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II (wieder) vor. Dass ein solcher Zirkelschluss vom Gesetzgeber gewollt war, kann nicht angenommen werden. Es ist daher vielmehr davon auszugehen, dass es seinem Plan entsprach, in den Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II auch die Ausländer einzubeziehen, die keine oder objektiv ohne Erfolgsaussichten Arbeit suchen.

24

(cc) Auch wäre es sinnwidrig und würde der sozialpolitischen Zweckrichtung der Regelung widersprechen, hätten gerade nicht materiell freizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigte Ausländer einen Rechtsanspruch auf diese Leistungen, weil sie nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift nicht von Leistungen ausgeschlossen sind. Sie sind vielmehr, weil ihre Leistungsberechtigung im eigentlichen Sinne nicht gewollt war, "erst-recht" von Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen. Mit der Ausschlussregelung sollte ein Zuzug von Ausländern in den SGB II-Leistungsbezug verhindert werden, soweit keine Verpflichtung zur Gleichbehandlung mit Inländern besteht (vgl BT-Drucks 16/5065 S 234). Nur wer als Unionsbürger freizügigkeitsberechtigt ist - über das Aufenthaltsrecht in den ersten drei Monaten und zur Arbeitsuche hinaus - sollte daher einen Anspruch auf existenzsichernde Leistungen aus dem SGB II erhalten, etwa aufstockend neben der Tätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbstständiger, während der nachgehenden Statuserhaltung oder als deren Familienangehörige. Nach Ablauf der ersten drei Monate des Aufenthalts sei, so die Begründung im Gesetzentwurf, das weitere Aufenthaltsrecht vom Aufenthaltszweck abhängig und damit auch die Leistungsberechtigung nach dem SGB II. So sollte sichergestellt werden, dass durch die Neuregelung im Freizügigkeitsgesetz/EU - die RL 2004/38/EG umsetzend - keine Regelungslücke entsteht (vgl BT-Drucks 16/5065 S 234). Die materielle Freizügigkeits- oder Aufenthaltsberechtigung kann damit nicht hinweggedacht werden, ohne dass die Ausschlussregelung ihren Sinn verlöre.

25

c) Die Kläger konnten sich nicht auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung berufen.

26

(aa) Die Kläger waren nicht als Arbeitnehmer freizügigkeitsberechtigt. Der Begriff des Arbeitnehmers in § 7 Abs 1 S 2 SGB II ist, wie die Wortverbindung in dessen Nr 1 zum FreizügG/EU bereits zeigt, ebenfalls europarechtlich geprägt; durch dieses Gesetz wird die, die Freizügigkeitsrechte der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen innerhalb der Union regelnde RL 2004/38/EG - auf Grundlage der Europäischen Verträge - in das nationale Recht umgesetzt (Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, Vorbemerkung 0.1.2 zum Freizügigkeitsgesetz/EU). Eine kodifizierte Definition des Arbeitnehmerbegriffs findet sich im Europarecht zwar nicht. Es ist daher auf die Ausprägung dessen zurückzugreifen, die er auf Grundlage der Rechtsprechung des EuGH erfahren hat. Die Arbeitnehmereigenschaft wird danach bei der Ausübung einer tatsächlichen und echten Tätigkeit als gegeben angesehen, was gestützt auf objektive Kriterien und in einer Gesamtbetrachtung aller Umstände, die die Art der in Rede stehenden Tätigkeiten und des fraglichen Arbeitsverhältnisses betreffen, festzustellen ist (EuGH Rs Ninni-Orasche vom 6.11.2003 - C-413/01 RdNr 24; EuGH vom 21.2.2013 - C-46/12 RdNr 39 ff; Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 2 FreizügG/EU RdNr 37; Tewocht in Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 9. Edition, Stand XI/2015, § 2 FreizügG/EU RdNr 18 ff). Um Arbeitnehmer zu sein, muss die betreffende Person während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringen, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Dabei sind nicht nur Gesichtspunkte wie die Arbeitszeit und die Höhe der Vergütung zu berücksichtigen, sondern auch solche wie der Anspruch auf bezahlten Urlaub, die Geltung von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Anwendung des Tarifvertrags in der jeweils gültigen Fassung auf den Arbeitsvertrag sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses (EuGH Rs Genc vom 4.2.2010 - C-14/09 RdNr 27). Dies bedeutet, dass eine Integration in den Betrieb des Arbeitgebers gegeben sein muss, bei der die betreffende Person unter der Weisung oder Aufsicht eines Dritten steht, der die zu erbringenden Leistungen und/oder die Arbeitszeiten vorschreibt und dessen Anordnungen durch den Arbeitnehmer zu befolgen sind (vgl Hoffmann in Hofmann/Hoffmann, HK-AuslR, 1. Aufl 2008, § 2 FreizügG/EU RdNr 8). Unter Anwendung dieses Maßstabs und auf Grundlage seiner Feststellungen hat das LSG vorliegend die Arbeitnehmereigenschaft der Kläger zu 1 und 2 zutreffend verneint.

27

Die Kläger zu 1 und 2 haben die Obdachlosenzeitung "Fifty-Fifty" verkauft. Das LSG hat festgestellt, dass damit ein wirtschaftlicher Güteraustausch nicht verbunden gewesen sei, jedenfalls sei dies nicht der prägende Hauptzweck der Tätigkeit gewesen. Vielmehr habe es sich um eine dem Betteln gleichgestellte Tätigkeit gehandelt, die - nach einem Hinweis in dieser Zeitung - unter genehmigungsfreiem Gemeingebrauch des öffentlichen Straßenraumes erfolgte. Die Kläger zu 1 und 2 unterlagen auch nicht den Weisungen der karitativen Organisationen, die diese Zeitung herausgeben. Sie "kauften" die Zeitschriften bei den Herausgebern zum Zwecke des Straßenverkaufs und konnten - ohne weitere Weisungen zu deren Vertrieb - den Differenzbetrag zum Verkaufspreis zur eigenen Verfügung behalten.

28

(bb) Eine selbstständige Erwerbstätigkeit ist - ebenfalls unter Berücksichtigung der europarechtlichen Implikationen - jede Art der wirtschaftlichen Tätigkeit, die in eigener Verantwortung und weisungsfrei erfolgt (Tewocht in Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 9. Edition, Stand XI/2015, § 2 FreizügG/EU RdNr 32). Eine Gewinnerzielungsabsicht muss nicht vorrangiges oder einziges Ziel sein, sie muss aber vorhanden sein. Rein karitative Tätigkeiten fallen nicht hierunter; die Tätigkeit muss daher erwerbsorientiert sein, wobei alle Tätigkeiten erfasst werden, sofern sie mit einer entgeltlichen Gegenleistung verbunden sind und eine Teilnahme am Wirtschaftsleben darstellen (EuGH Rs Sodemare vom 17.6.1997 - C-70/95 RdNr 25; vgl auch Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 2 FreizügG/EU RdNr 78; Müller-Graff in Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl 2012, Art 49 AEUV RdNr 13). Der Selbstständige, der sich auf das Freizügigkeitsrecht der Niederlassungsfreiheit im Sinne der Art 49 ff AEUV berufen kann, muss auch tatsächlich eine wirtschaftliche Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit ausüben (EuGH Rs Factortame vom 25.7.1991 - C-221/89 RdNr 34; Tewocht in Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 9. Edition, Stand XI/2015, § 2 FreizügG/EU RdNr 33)und damit wirtschaftlich in einen anderen Mitgliedstaat integriert sein (Brinkmann in Huber, AufenthG, 1. Aufl 2010, § 2 FreizügG/EU RdNr 29).

29

Diese Voraussetzungen sind nach den zuvor dargelegten Bedingungen, unter denen die Kläger zu 1 und 2 dem Verkauf der Obdachlosenzeitung nachgegangen sind, nicht gegeben. Aber auch mit dem von dem Kläger zu 1 angemeldeten Gewerbebetrieb: "Abbruch- und Entkernungsarbeiten, Hilfsarbeiten auf Baustellen" erfüllte er nicht die Voraussetzungen um den Status als niedergelassener selbstständiger Erwerbstätiger erlangt zu haben. Er hat ausweislich der Feststellungen des LSG erklärt, das Gewerbe nie betrieben und auch keinen Gewinn erzielt zu haben. Abgesehen davon, dass er allein mit der Anmeldung des Gewerbebetriebes nicht am wirtschaftlichen Leben teilgenommen hat, war diese offensichtlich unter Zugrundelegung der getroffenen Feststellungen nicht erwerbsorientiert.

30

(cc) Damit entfällt zugleich der nachgehende Schutz als Arbeitnehmer oder Selbstständiger iS des § 2 Abs 3 FreizügG/EU für die Kläger zu 1 und 2. Danach bleibt für Arbeitnehmer und selbstständig Erwerbstätige die Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs 1 FreizügG/EU unberührt ua bei(2.) unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit oder Einstellung einer selbstständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbstständige keinen Einfluss hatte, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit (S 1). Bei weniger als einem Jahr Beschäftigung gilt dies auch, jedoch nur während der Dauer von sechs Monaten nach der Beendigung der Tätigkeit (S 2). Ebenso wenig haben folglich die Familienangehörigen eine vom Status als Arbeitnehmer oder Selbstständiger abgeleitete Freizügigkeitsberechtigung iS des § 2 FreizügG/EU innegehabt.

31

(dd) Die Kläger waren auch nicht als nichterwerbstätige Unionsbürger iS des § 4 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Danach haben nicht erwerbstätige Unionsbürger, ihre Familienangehörigen und ihre Lebenspartner, die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, das Recht nach § 2 Abs 1 FreizügG/EU, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. Zwar hat das LSG keine Feststellungen zum Krankenversicherungsschutz der Kläger getroffen. Dass sie nicht über ausreichende Existenzmittel verfügten, zeigt sich jedoch bereits daran, dass sie hilfebedürftig iS des § 7 Abs 1 Nr 3 iVm § 9 SGB II waren(vgl zum Maßstab der "nicht ausreichenden Existenzmittel": Thym, NJW 2015, 130, 132).

32

(ee) Anhaltspunkte für ein anderes Aufenthaltsrecht im Sinne des AufenthG sind ebenfalls nicht ersichtlich oder vorgebracht (vgl zum Vorliegen eines anderen Aufenthaltsrechts nur: BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 30 ff; BSG vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28, RdNr 20 ff).

33

(ff) Der fehlenden materiellen Freizügigkeitsberechtigung steht auch nicht entgegen, dass die Kläger zu 1 und 2 nach den bindenden Feststellungen des LSG im Besitz einer Freizügigkeitsbescheinigung/EU nach § 5 Abs 1 FreizügG/EU idF des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union(vom 19.8.2007, BGBl I 1970) waren. Das Ausstellen einer solchen Bescheinigung, die mit Wirkung zum 29.1.2013 im Übrigen abgeschafft worden ist (Streichung des § 5 Abs 1 FreizügG/EU in der vorbenannten Fassung durch das Gesetz zur Änderung des FreizügG/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21.1.2013, BGBl I 86), lässt keine Rückschlüsse auf das Bestehen einer materiellen Freizügigkeitsberechtigung zu.

34

Ihre Ausstellung hatte allein deklaratorische Bedeutung (BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 20; Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 5 FreizügG/EU RdNr 4; noch offengelassen BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 13; s jedoch BSG vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28 RdNr 17). Auch solange § 5 Abs 1 FreizügG/EU idF vom 19.8.2007 noch in Kraft war, erfolgte die Prüfung der Freizügigkeitsberechtigung nach den Kriterien des § 2 FreizügG/EU. Das Freizügigkeitsrecht wurde und wird originär durch den EG-Vertrag/EUV/AEUV und seine Durchführungsbestimmungen begründet und nicht durch die Ausstellung der Aufenthaltskarte (EuGH Rs Dias vom 21.7.2011 - C-325/09 - RdNr 48; s auch VG Augsburg vom 5.6.2008 - Au 1 S 08.450 - juris-RdNr 35, 36). So war umgekehrt in der Vergangenheit die Ausstellung der Bescheinigung über das Freizügigkeitsrecht keine Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Unionsbürgers im Bundesgebiet. Aufgrund der generellen Freizügigkeitsvermutung muss der Aufenthalt desjenigen Unionsbürgers, der schon bei seiner Einreise ins Bundesgebiet keinen Freizügigkeitstatbestand erfüllt hat, solange als rechtmäßig angesehen werden, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts in entsprechender Anwendung des § 5 Abs 5 FreizügG/EU in der bis Januar 2013 geltenden Fassung oder nunmehr aufgrund von § 5 Abs 4 FreizügG/EU bzw der Missbrauchstatbestände in § 2 Abs 7 FreizügG/EU festgestellt hat. Erst die ausländerbehördliche Nichtbestehens- bzw Verlustfeststellung führt zur sofortigen Ausreisepflicht nach § 7 Abs 1 FreizügG/EU. Bis dahin darf sich ein Unionsbürger unabhängig vom Vorliegen einer materiellen Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 FreizügG/EU aufgrund der generellen Freizügigkeitsvermutung im Bundesgebiet aufhalten, ohne ausreisepflichtig zu sein(vgl BT-Drucks 16/5065 S 211 zu Art 2 Nr 8 Buchst a Doppelbuchst aa).

35

(d) Diese Auslegung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II ist auch europarechtskonform. Der EuGH hat sowohl in der Rechtssache Dano (vom 11.11.2014 - C-333/13) als auch in der Rechtssache Alimanovic (vom 15.9.2015 - C-67/14) in den hier gegebenen Fallkonstellationen die Zulässigkeit der Verknüpfung des Ausschlusses von Unionsbürgern anderer Mitgliedstaaten von existenzsichernden Leistungen mit dem Bestehen eines Aufenthaltsrechts im Sinne der RL 2004/38/EG ausdrücklich anerkannt. Nach seiner Rechtsprechung sind Art 24 Abs 1 der RL 2004/38/EG iVm ihrem Art 7 Abs 1 Buchst b und Art 4 VO 883/2004/EG dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vom Bezug bestimmter "besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen" im Sinne des Art 70 Abs 2 VO 883/2004/EG ausgeschlossen werden, während Staatsangehörige des Aufnahmemitgliedstaats, die sich in der gleichen Situation befinden, diese Leistungen erhalten, sofern den betreffenden Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten im Aufnahmemitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG zusteht (EuGH Rs Dano vom 11.11.2014 - C-333/13 RdNr 84). In der Rechtssache Alimanovic hat der EuGH insoweit betont, dass Unionsbürger anderer EU-Staaten, die nach Deutschland eingereist sind, um Arbeit zu suchen, vom deutschen Gesetzgeber vom Bezug von Alg II oder Sozialgeld ausgeschlossen werden können, selbst wenn diese Leistungen als besondere beitragsunabhängige Geldleistungen im Sinne des Art 70 VO 883/2004/EG eingeordnet werden (EuGH Rs Alimanovic vom 15.9.2015 - C-67/14 RdNr 63). Beim Alg II und Sozialgeld handele es sich um Leistungen der "Sozialhilfe" im Sinne des Art 24 Abs 2 der RL 2004/38/EG. Danach haben die Aufnahmestaaten jedoch keine Verpflichtung zur Gleichbehandlung ihrer Staatsangehörigen und solcher anderer EU-Mitgliedstaaten im Hinblick auf einen Anspruch auf Sozialhilfe, wenn Letztere nicht Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder ihnen dieser Status erhalten geblieben ist bzw Familienangehörige dieser sind (s hierzu auch Kingreen in NVwZ 2015, 1503, 1505 f; Padé in jM 2015, 414, 415).

36

3. Den Klägern steht jedoch ein Recht auf Existenzsicherung durch Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII gemäß § 23 Abs 1 S 3 SGB XII in gesetzlicher Höhe gegen die Beigeladene zu.

37

a) Die Kläger waren leistungsberechtigt im Sinne des Sozialhilferechts, weil sie im streitigen Zeitraum ihren Lebensunterhalt nicht iS des § 19 Abs 1 SGB XII iVm § 27 Abs 1 SGB XII aus eigenen Kräften und Mitteln decken konnten.

38

Nach § 19 Abs 1 SGB XII ist Personen Hilfe zum Lebensunterhalt zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten können. Dies war bei den Klägern, wie eingangs dargelegt, im streitigen Zeitraum der Fall. Ihr Bedarf im sozialhilferechtlichen Sinne ist dem Grunde nach zwar teilweise dadurch gedeckt worden, dass sie - durch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zugesprochene SGB II-Leistungen - den leistungslosen Zeitraum überstanden haben (vgl BSG vom 29.9.2009 - B 8 SO 16/08 R - BSGE 104, 213 = SozR 4-1300 § 44 Nr 20, RdNr 14 mwN). Insoweit greift für einen Teil des streitigen Zeitraums die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X ein.

39

b) Einem Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII stand auch eine mangelnde Kenntnis der Beigeladenen von der Bedürftigkeit der Kläger im streitigen Zeitraum nicht entgegen. Die Kläger haben zwar "nur" Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bei dem Beklagten beantragt. Die nach § 18 Abs 1 SGB XII erforderliche Kenntnis der Beigeladenen von dem Bedarf der Kläger liegt jedoch gleichwohl vor. Die Beigeladene muss sich insoweit die Kenntnis des Beklagten aufgrund des Antrags auf SGB II-Leistungen nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG zurechnen lassen (BSG vom 2.12.2014 - B 14 AS 66/13 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 42 RdNr 25; BSG vom 13.2.2014 - B 8 SO 58/13 B - SozR 4-3500 § 25 Nr 4 RdNr 8; BSG vom 26.8.2008 - B 8/9b SO 18/07 R - SozR 4-3500 § 18 Nr 1 RdNr 22 ff).

40

c) Ebenso wenig waren die Kläger nach § 21 S 1 SGB XII von der Hilfe zum Lebensunterhalt ausgeschlossen. § 21 S 1 SGB XII bestimmt, dass Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt erhalten. Die Kläger waren im streitigen Zeitraum nicht dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II, weil sie dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II unterfielen. Dies führt dazu, sie dem System des SGB XII zuzuweisen. Die Erwerbsfähigkeit zumindest der Kläger zu 1 und 2 steht dem nicht entgegen.

41

Schon der Wortlaut des § 21 S 1 SGB XII stellt nicht ausschließlich auf das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit ab, sondern berücksichtigt einen Leistungsanspruch nach dem SGB II dem Grunde nach. Ist mithin ein Erwerbsfähiger wegen des Vorliegens der Voraussetzungen eines Leistungsausschlusses nicht leistungsberechtigt nach dem SGB II, folgt hieraus nicht zwangsläufig ein Leistungsausschluss nach dem SGB XII (BSG vom 25.9.2014 - B 8 SO 6/13 R - BSGE = SozR 4-4200 § 44a Nr 1, RdNr 11). Die "Systemabgrenzung" erfordert vielmehr eine differenzierte Betrachtung der einzelnen Leistungsausschlüsse (Eicher in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 21 RdNr 26, 34; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB XII, § 21 RdNr 46, Stand I/2014; so im Ergebnis auch Coseriu in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 23 RdNr 64). Im Grundsatz gilt für die Systemzuweisung aufgrund der Erwerbszentriertheit des SGB II, dass derjenige, der von dem auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ausgerichteten Leistungssystem des SGB II ausgeschlossen werden soll, dem System des SGB XII zugewiesen wird.

42

Auf dieser Grundlage hat das BSG bereits für andere in § 7 SGB II geregelte Leistungsausschlüsse ausdrücklich entschieden, dass die "Anwendungssperre" des § 21 S 1 SGB XII nicht greift(vgl Eicher in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 21 RdNr 34 ff). Dies gilt nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate sowohl für den Leistungsausschluss wegen einer den Regelbedarf unterschreitenden ausländischen Rentenleistung als auch den Leistungsausschluss eines Erwerbsfähigen wegen der Unterbringung in einer stationären Einrichtung oder in einem Krankenhaus nach § 7 Abs 4 S 1 SGB II. Sie sind iS des § 21 SGB XII nach dem SGB II dem Grunde nach nicht mehr leistungsberechtigt und bei Bedürftigkeit auf "die auf gleicher Grundlage wie im SGB II bemessenen und daher vom Umfang im Wesentlichen identischen Leistungen der Sozialhilfe" verwiesen(BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 20; BSG vom 2.12.2014 - B 14 AS 66/13 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 42 RdNr 10, 24; vgl auch BSG vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen - RdNr 47: vorzeitige Altersrente nach Aufforderung durch den Grundsicherungsträger). In gleicher Weise hat der für das Sozialhilferecht zuständige 8. Senat des BSG für den Leistungsausschluss bei Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneten Freiheitsentziehung entschieden. Erwerbsfähige Hilfebedürftige, die einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 4 S 2 SGB II unterfallen, können grundsätzlich Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII beanspruchen(BSG vom 12.12.2013 - B 8 SO 24/12 R - SozR 4-3500 § 67 Nr 1 RdNr 20).

43

Bezogen auf den Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II gilt nichts anderes(Berlit in Berlit/Conradis/Sartorius, Existenzsicherungsrecht, 2. Aufl 2013, Kap 12 RdNr 54; Eicher in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 21 RdNr 35). Der Ausschluss von Personen, die nicht oder nicht mehr über eine Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche verfügen, vom erwerbszentrierten Leistungssystem des SGB II führt dazu, die Sperrwirkung des § 21 SGB XII entfallen zu lassen.

44

d) Allerdings steht dem Rechtsanspruch der Kläger auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII ein Ausschluss aufgrund der Regelung des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII entgegen.

45

(aa) Die Kläger sind zwar nicht iS des § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB XII eingereist, um Sozialhilfe zu erlangen. Es mangelt hier insoweit an dem finalen Zusammenhang zwischen Einreise und Sozialhilfebezug (vgl BSG vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R - BSGE = SozR 4-3500 § 25 Nr 5, RdNr 25). Dieser Zusammenhang liegt vor, wenn der Zweck, Sozialhilfe zu erlangen, den Einreiseentschluss geprägt hat. Wie das BVerwG dies bereits zu der wortgleichen Vorschrift des § 120 Abs 3 S 1 BSHG entschieden hat, bezeichnet schon die Konjunktion "um (…) zu (…)" ein ziel- und zweckgerichtetes Handeln und damit eine Zweck-Mittel-Relation, in der die Einreise das Mittel und die Inanspruchnahme von Sozialhilfe den mit ihr verfolgten Zweck bildet(vgl BVerwG vom 4.6.1992 - 5 C 22/87 - BVerwGE 90, 212, 214; im Anschluss daran etwa LSG Berlin-Brandenburg vom 10.9.2009 - L 23 SO 117/06 - juris-RdNr 27 f; LSG Nordrhein-Westfalen vom 12.1.2009 - L 20 B 58/08 AY - juris-RdNr 25 ff; LSG Niedersachsen-Bremen vom 27.11.2008 - L 8 SO 173/08 ER - juris-RdNr 20 f). Dabei wird diese Zweck-Mittel-Relation jedoch auch dann als gegeben angesehen, wenn die Einreise des Ausländers auf verschiedenen Motiven beruht, der Zweck der Inanspruchnahme für den Einreiseentschluss jedoch von prägender Bedeutung gewesen, also nicht nur neben vorrangigen anderen Zwecken billigend in Kauf genommen worden ist (Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 RdNr 46, Stand VI/2012).

46

So liegt der Fall nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG hier nicht. Es ist keine Zweck-Mittel-Relation im eben dargelegten Sinne gegeben, denn die Kläger zu 1 und 2 sind zur Arbeitsuche eingereist. Das LSG hat dies - wenn auch die Erfolgsaussichten der Arbeitsuche für den hier streitigen Zeitraum verneinend - ausdrücklich festgestellt. So haben die Kläger zu 1 und 2, wie das LSG unter Hinweis auf die Beratungsvermerke in den Akten ausgeführt hat, mehrfach Deutschkurse beantragt und sich auch sonst um Eingliederungsleistungen bemüht. Sie haben auch nicht schon bei der Einreise oder kurz danach, sondern erstmals nach rund einem Jahr ihres Aufenthalts in Deutschland und dann erneut rund noch einmal ein weiteres Jahr später existenzsichernde Leistungen beantragt. Der Kläger zu 3 folgt dem als Familienangehöriger.

47

(bb) Die Kläger unterfallen auch nicht dem Wortlaut der Alt 2 des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII. Sie verfügten - wie unter 2.a) dargelegt - im streitigen Zeitraum nicht mehr über ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche. Dies ist nach dem Wortlaut des § 23 Abs 3 SGB XII jedoch Voraussetzung für den Ausschluss von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII. Der Ausschluss tritt danach nur dann ein, wenn ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche im streitigen Zeitraum tatsächlich gegeben ist.

48

(cc) Ebenso wie oben zum Leistungsausschluss im SGB II dargelegt, sind jedoch auch nach § 23 Abs 3 S 1 SGB XII nichtfreizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigte Ausländer von den existenzsichernden Leistungen der Sozialhilfe ausgenommen(offengelassen BSG vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R - BSGE = SozR 4-3500 § 25 Nr 5, RdNr 25; aA Herbst in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und der Sozialhilfe, Band 1 Teil II, Stand VIII/2013, § 23 SGB XII RdNr 47b; Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 RdNr 54d, Stand VI/2012).

49

Im Entwurf des Gesetzes zur Änderung des SGB XII und anderer Gesetze vom 25.9.2006 (BT-Drucks 16/2711 S 10) wird darauf hingewiesen, dass die Einfügung der Alt 2 in § 23 Abs 3 S 1 SGB XII einen der Regelung im SGB II entsprechenden Leistungsausschluss für Ausländer normiere und damit zugleich sicherstelle, dass Ausländer, die nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende hätten, auch aus dem SGB XII keine Ansprüche herleiten könnten. § 7 Abs 1 S 2 SGB II in der damaligen Fassung lautete: Ausgenommen sind Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt [und] ihre Familienangehörigen (…)(idF des Gesetzes zur Änderung des SGB II und anderer Gesetze vom 24.3.2006, BGBl I 558 mWv 1.4.2006). Es sollte damit Art 24 Abs 2 iVm Art 14 Abs 4 Buchst b der RL 2004/38/EG umgesetzt werden (BT-Drucks 16/2711 S 10). Nach Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG ist der Aufnahmemitgliedstaat - unter Hintanstellung des Gleichbehandlungsgrundsatzes - nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG (Zeitraum der Arbeitsuche, s unter 2.a) einen Anspruch auf Sozialhilfe (…) zu gewähren. Die dort vorgenommene Abgrenzung zwischen den gleich zu behandelnden Personengruppen und denen, die aus europarechtlicher Sicht von den Aufnahmestaaten von der Sozialhilfe ausgeschlossen werden dürfen, erfolgt, indem der Personenkreis der Freizügigkeitsberechtigten, die der Gleichbehandlung unterfallen, positiv benannt wird. Im Umkehrschluss ergibt sich, dass neben denen, die freizügigkeitsberechtigt wegen der Arbeitsuche sind und denen der Aufnahmestaat gleichwohl keine Sozialhilfeleistungen zu erbringen braucht, dies auch für die Nichtfreizügigkeitsberechtigten gilt. Sie unterfallen nicht dem Gleichbehandlungsgebot.

50

Soweit spätere Versuche, eine weitergehende Anpassung der Rechtslage des SGB II an das SGB XII zu bewirken, nicht erfolgreich waren (s nur BT-Drucks 16/2711 S 16; BT-Drucks 16/2753 S 1, 2; BT-Drucks 16/5527 S 15, 23; BT-Drucks 16/239 S 13, 17), sprechen diese Versuche und die Reaktionen hierauf nicht für das Erfordernis einer anderen Wertung im Hinblick auf den "Erst-Recht-Schluss" im SGB XII als im SGB II. Die zuvor beschriebene Anpassung des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII war ausreichend, um die gewünschte Parallele zum SGB II für die hier zu beurteilenden Fälle zu ermöglichen. Insbesondere bedurfte es keiner Reaktion auf die Änderung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 (BGBl I, 1970 mWv 28.8.2007). Die Umstrukturierung des S 2 und die Einfügung der Nr 1 in § 7 Abs 1 S 2 SGB II ist für das SGB XII ohne Bedeutung.

51

e) Zwar ist Rechtsfolge des Ausschlusses nach § 23 Abs 3 S 1 SGB XII, dass trotz des tatsächlichen Aufenthalts im Inland kein Rechtsanspruch auf ua Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 23 Abs 1 S 1 SGB XII besteht. In einem solchen Fall des Ausschlusses können jedoch nach § 23 Abs 1 S 3 SGB XII Leistungen der Sozialhilfe gewährt werden, wenn dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Ausschlussregelung, denn sie nimmt lediglich Bezug auf den "Anspruch" auf Sozialhilfe. Dementsprechend hat bereits das BVerwG zu der Vorschrift des § 120 Abs 3 S 1 Alt 1 BSHG befunden, dass Ausländer, die dem Leistungsausschluss unterfielen, weil sie eingereist seien, um Sozialhilfe zu erlangen, lediglich von einem Rechtsanspruch ua auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 120 Abs 1 S 1 BSHG ausgeschlossen seien(BVerwG vom 10.12.1987 - 5 C 32/85 - BVerwGE 78, 314, 316 f; Schellhorn/Jirasek/Seipp, Kommentar zum BSHG, 16. Aufl 2002, § 25 RdNr 10, § 120 RdNr 16; so auch Krahmer in LPK-BSHG, 6. Aufl 2003, § 25 RdNr 7; Birk in ders, § 120 RdNr 47). Insoweit gilt für die Regelung des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII, die der Gesetzgeber in Kenntnis der Rechtsprechung des BVerwG im Wesentlichen inhaltsgleich ausgestaltet hat(BT-Drucks 15/1514 S 58), nichts anderes (vgl BSG vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R - BSGE = SozR 4-3500 § 25 Nr 5, RdNr 28; s auch Adolph in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, § 23 SGB XII RdNr 76, Stand XII/2008; Birk in LPK-SGB XII, 10. Aufl 2015, § 23 RdNr 20; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl 2014, § 23 RdNr 42; differenzierend Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 RdNr 50, Stand VI/2012, der einen Rechtsanspruch auf die im Einzelfall gebotenen Leistungen annimmt, um zu einem Gleichklang mit § 1a AsylbLG zu gelangen).

52

Der Ausschluss nur von dem Rechtsanspruch auf die in S 1 des § 23 Abs 1 SGB XII benannten Leistungen erschließt sich auch aus dem - im Übrigen gegenüber § 120 BSHG unveränderten - systematischen Verhältnis der Regelungen der Sätze 1 und 3 in Abs 1 des § 23 SGB XII zueinander. Durch § 23 Abs 1 S 1 SGB XII erhält der Ausländer ausschließlich unter der Voraussetzung, dass er sich tatsächlich im Inland aufhält, einen Rechtsanspruch auf Leistungen der Sozialhilfe nach einem reduzierten Leistungskatalog, aber der Höhe nach uneingeschränkt. Hiervon sollen diejenigen, die die Ausschlusstatbestände des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII erfüllen, ausgeschlossen werden, nicht jedoch von dem der Sozialhilfe systemimmanenten grundsätzlichen Anspruch auf Hilfe bei bedrohter Existenzsicherung(s hierzu BVerwG vom 14.3.1985 - 5 C 145/83 - BVerwGE 71, 139; BVerwG vom 10.12.1987 - 5 C 32/85 - BVerwGE 78, 314, 317 ff). Diesem Personenkreis sollen daher nur nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens Leistungen der Sozialhilfe erbracht werden können, aber eben auch solche Leistungen, die nach S 1 des § 23 Abs 1 SGB XII vom Rechtsanspruch ausgenommen worden sind, soweit im Einzelfall geboten.

53

f) Das Ermessen des Sozialhilfeträgers ist jedoch in einem Fall wie dem vorliegenden, dem Grunde und der Höhe nach hinsichtlich der Hilfe zum Lebensunterhalt auf Null reduziert. Dies ist immer dann der Fall, wenn sich das Aufenthaltsrecht des ausgeschlossenen Ausländers verfestigt hat - regelmäßig ab einem sechsmonatigen Aufenthalt in Deutschland. Dies folgt aus der Systematik des § 23 Abs 3 S 1 Alt 2 SGB XII im Verhältnis zu § 23 Abs 1 S 1 und 3 SGB XII sowie verfassungsrechtlichen Erwägungen.

54

So bezieht sich der ausdrückliche Ausschluss der Alt 2 des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII auf den im Freizügigkeitsgesetz/EU zeitlich begrenzten Vorgang der Arbeitsuche. Unter 2.a) ist bereits dargelegt worden, dass die Freizügigkeitsberechtigung zum Zwecke der Arbeitsuche nach dem Ablauf von sechs Monaten gemäß § 2 Abs 1a FreizügG/EU idF des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften vom 2.12.2014 (BGBl I 1922) endet, wenn nicht weiterhin eine begründete Aussicht auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit besteht. Diese Begrenzung der Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche dient nach den Gesetzesmaterialien der Umsetzung von Unionsrecht in seiner Auslegung durch den EuGH, der entschieden habe, dass die Mitgliedstaaten berechtigt seien, das Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche auf einen angemessenen Zeitraum zu begrenzen, wobei der EuGH von einem Zeitraum von sechs Monaten ausgegangen sei (BT-Drucks 18/2581 S 15 zu Art 1 Nr 1 Buchst b; vgl dazu bereits BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 29). Mit dem auf den konkreten Einzelfall abstellenden Zusatz - "darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden" - nimmt die Neuregelung lediglich die Formulierung in Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG auf, enthält jedoch mit der allgemein geltenden zeitlichen Begrenzung - "für bis zu sechs Monate" - eine Typisierung. Für diese typisierte Dauer einer Arbeitsuche von sechs Monaten nach der Einreise liegt eine Aufenthaltsverfestigung noch nicht vor, weil hinter der zeitlichen Begrenzung die Erwartung steht, es handele sich um einen angemessenen Zeitraum, die Erfolgsaussichten einer Arbeitsuche in einem anderen Mitgliedstaat ohne Aufenthaltsverfestigung zu prüfen.

55

Werden diese Erwartungen enttäuscht und bleibt der tatsächliche Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland nach Ablauf von sechs Monaten bestehen, tritt im Regelfall eine Aufenthaltsverfestigung ein, der nach geltendem Recht ausländerbehördlich entgegengetreten werden kann. Bestand nie eine Freizügigkeitsberechtigung wegen eines Aufenthalts zur Arbeitsuche oder besteht diese nach Ablauf von sechs Monaten mangels begründeter Aussichten, eingestellt zu werden, nicht mehr, kann durch die Ausländerbehörde der Verlust der Freizügigkeitsberechtigung durch Verwaltungsakt festgestellt werden (Verlustfeststellung nach § 5 Abs 4 S 1 FreizügG/EU). Erst die förmliche Verlustfeststellung begründet nach § 7 Abs 1 S 1 FreizügG/EU die sofortige Ausreisepflicht, wenn nicht Rechtsschutz in Anspruch genommen wird(vgl BT-Drucks 16/5065 S 211 zu Art 2 Nr 8 Buchst a Doppelbuchst aa). In tatsächlicher Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass von der rechtlichen Möglichkeit der Verlustfeststellung nur in geringem Umfang Gebrauch gemacht wird (Thym, NZS 2014, 81, 87; BT-Drucks 17/13322 S 19). Zur Prüfung der Voraussetzungen einer Verlustfeststellung kann die zuständige Ausländerbehörde im Übrigen nach § 5 Abs 2 S 1 FreizügG/EU bereits frühzeitig, nämlich drei Monate nach der Einreise, verlangen, dass die Voraussetzungen nach § 2 Abs 1 FreizüG/EU glaubhaft gemacht werden.

56

Ist hiernach typisierend von einer Aufenthaltsverfestigung auszugehen, ist die Ermessenausübung jedoch daran zu messen, dass der Rechtsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt im Sozialhilferecht ansonsten weder nach dem Grund der Einreise, noch nach Berechtigung oder Dauer des Aufenthalts fragt. Bei der Leistungsgewährung nach dem SGB XII kommt es in erster Linie auf die Tatsache einer gegenwärtigen Hilfebedürftigkeit an (BSG vom 10.11.2011 - B 8 SO 12/10 R - SozR 4-3500 § 30 Nr 4 RdNr 26; BVerwG vom 2.6.1965 - V C 63.64 - BVerwGE 21, 208, 211; vgl auch Berlit in Berlit/Conradis/Sartorius, Existenzsicherungsrecht, 2. Aufl 2013, Kap 7 RdNr 24). Es reicht nach dem Wortlaut des § 23 Abs 1 S 1 SGB XII allein der tatsächliche Aufenthalt in Deutschland aus. Dem Leistungsberechtigten, der über kein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche mehr verfügt und "erst-recht" von dem Rechtsanspruch auf "Sozialhilfeleistungen" iS des § 23 Abs 1 S 1 SGB XII ausgeschlossen ist, mangelt es wie jedem anderen Ausländer, der sich tatsächlich im Inland aufhält - zunächst einmal ohne Freizügigkeits- oder Aufenthaltsberechtigung - an einer Aufenthaltsperspektive. Um den Gleichklang mit Letzterem zu erreichen, ist es folgerichtig, zumindest im Hinblick auf die Hilfe zum Lebensunterhalt durch eine Ermessensreduktion, bei verfestigtem Aufenthalt zu denselben Leistungen zu gelangen. Dieses nach Ablauf von regelmäßig sechs Monaten durch ein Vollzugsdefizit des Ausländerrechts bewirkte Faktum eines verfestigten tatsächlichen Aufenthalts des Unionsbürgers im Inland ist unter Berücksichtigung auch der verfassungsrechtlichen Vorgaben kein zulässiges Kriterium, die Entscheidung über die Gewährung existenzsichernder Leistungen dem Grunde und der Höhe nach in das Ermessen des Sozialhilfeträgers zu stellen.

57

Das BVerfG hat in seiner Entscheidung zum AsylbLG (vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134) im Anschluss und in Weiterentwicklung der grundlegenden Entscheidung vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12)Grundlagen und Umfang des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums näher ausgeformt. Wenn Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlten, weil sie weder aus einer Erwerbstätigkeit noch aus eigenem Vermögen oder durch Zuwendungen Dritter zu erlangen seien, sei der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen dafür Hilfebedürftigen zur Verfügung stünden. Als Menschenrecht - und dies ist hier entscheidend - stehe dieses Grundrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhielten, gleichermaßen zu (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 159 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 89, unter Hinweis auf BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12). Eine pauschale Differenzierung nach dem Aufenthaltsstatus hat das BVerfG im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung der existenzsichernden Leistungen ausdrücklich abgelehnt (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 164 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 99). Insoweit komme es für eine abweichende Bedarfsbestimmung darauf an, ob etwa wegen eines nur kurzfristigen Aufenthalts konkrete Minderbedarfe gegenüber Hilfeempfängern mit Daueraufenthaltsrecht nachvollziehbar festgestellt und bemessen werden könnten. Hierbei sei etwa zu berücksichtigen, ob durch die Kürze des Aufenthalts Minderbedarfe durch Mehrbedarfe kompensiert werden könnten, die typischerweise gerade unter den Bedingungen eines nur vorübergehenden Aufenthalts anfielen. Dies lässt sich während des Bestehens eines Aufenthaltsrechts allein zum Zwecke der Arbeitsuche über die Ermessensleistung des § 23 Abs 1 S 3 SGB XII regulieren, nicht jedoch bei verfestigtem Aufenthalt. Denn ließen sich - so das BVerfG - tatsächlich spezifische Minderbedarfe bei einem nur kurzfristigen, nicht auf Dauer angelegten Aufenthalt feststellen, und wolle der Gesetzgeber die existenznotwendigen Leistungen für eine Personengruppe deshalb gesondert bestimmen, müsse er sicherstellen, dass die gesetzliche Umschreibung dieser Gruppe hinreichend zuverlässig tatsächlich nur diejenigen erfasse, die sich regelmäßig nur kurzfristig in Deutschland aufhielten. Eine Beschränkung auf etwaige Minderbedarfe für Kurzaufenthalte komme dann nicht mehr in Betracht, wenn der tatsächliche Aufenthalt die Spanne eines Kurzaufenthalts deutlich überschritten habe. Für diese Fälle sei ein zeitnaher Übergang zu den existenzsichernden Leistungen für Normalfälle vorzusehen (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 164 ff = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 99 ff). Dies begründet im Regelfall eine Ermessensreduktion auf Null und damit eine Anpassung der Hilfe zum Lebensunterhalt für diejenigen, die sich nicht nur kurzfristig im Inland aufhalten. Denn im Übrigen weist das BVerfG darauf hin, dass eine Regelung zur Existenzsicherung vor der Verfassung nur Bestand habe, wenn Bedarfe durch Anspruchsnormen gesichert würden (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 162 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 96).

58

Tatsächliche Hinweise darauf, dass von einer Ermessensreduzierung trotz des Zeitablaufs ausnahmsweise abzusehen ist, sind den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen. Derartige Umstände können insbesondere vorliegen, wenn die tatsächlichen Lebensumstände des Unionsbürgers darauf schließen lassen, dass er nicht auf Dauer im Inland verweilen wird. Gleiches gilt, wenn die Ausländerbehörde bereits konkrete Schritte zur Beendigung des Aufenthalts eingeleitet hat. Demgegenüber haben sich die Kläger im streitigen Zeitraum bereits mehr als zwei Jahre in Deutschland aufgehalten, ohne dass derartige Maßnahmen im Raum standen.

59

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Personen, die nach dem Zweiten Buch als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, erhalten keine Leistungen für den Lebensunterhalt. Abweichend von Satz 1 können Personen, die nicht hilfebedürftig nach § 9 des Zweiten Buches sind, Leistungen nach § 36 erhalten. Bestehen über die Zuständigkeit zwischen den beteiligten Leistungsträgern unterschiedliche Auffassungen, so ist der zuständige Träger der Sozialhilfe für die Leistungsberechtigung nach dem Dritten oder Vierten Kapitel an die Feststellung einer vollen Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Absatz 2 Satz 2 des Sechsten Buches und nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens an die Entscheidung der Agentur für Arbeit zur Erwerbsfähigkeit nach § 44a Absatz 1 des Zweiten Buches gebunden.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Oktober 2013 insoweit aufgehoben, als er zur Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 11. Oktober 2010 bis 7. November 2011 verurteilt worden ist.

Insoweit wird die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 20. November 2012 zurückgewiesen.

Die Beigeladene wird verurteilt, den Klägern Hilfe zum Lebensunterhalt für den Zeitraum vom 11. Oktober 2010 bis 7. November 2011 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beigeladene hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Ansonsten haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit steht die Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Kläger im Zeitraum vom 11.10.2010 bis 7.11.2011.

2

Die Kläger sind rumänische Staatsangehörige. Die Kläger zu 1 und 2 zogen 2008 mit ihren beiden gemeinsamen Kindern - geboren 1992 und im Februar 1995 (Kläger zu 3) - von Rumänien bzw über Belgien nach Deutschland. Sie verfügen seit November 2008 über eine Freizügigkeitsbescheinigung/EU und die Kläger zu 1 und 2 seit Ende 2011 (nach dreijährigem Aufenthalt) über eine unbefristete Arbeitsberechtigung. Der Kläger zu 1 hatte in Rumänien eine Schlosserlehre absolviert, war dann zur Armee eingezogen worden und arbeitete 1993 bis 1995 als Taxifahrer sowie anschließend als Tagelöhner in der Landwirtschaft. Ein von ihm 1992/1993 in Deutschland gestellter Asylantrag wurde abschlägig beschieden. Seine Ehefrau ging in Rumänien keiner Erwerbstätigkeit nach. Sie übt seit dem 8.11.2012 eine mit 200 Euro netto monatlich geringfügig entlohnte Beschäftigung aus. Bis Ende 2010 verkauften die Kläger zu 1 und 2 die Obdachlosenzeitung "Fifty-Fifty" zu einem Abgabepreis von 1,80 Euro und einem "Einkaufspreis" von 0,90 Euro. Der Differenzbetrag von rund je 120 Euro im Monat verblieb bei ihnen. Der Kläger zu 1 hatte vom 13.10.2008 bis 29.10.2009 ein Gewerbe angemeldet ("Abbruch- und Entkernungsarbeiten, Hilfsarbeiten auf Baustellen"), das er jedoch nicht betrieb und mit dem er auch keine Einkünfte erzielte. Für die beiden Söhne erhielten die Eheleute Kindergeld in Höhe von je 184 Euro. Die Söhne besuchten in Deutschland die Schule.

3

Erstmals Ende 2009 lehnte der Beklagte die Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bindend ab. Ein erneuter Antrag der Kläger vom 11.10.2010, den sie mit der Einreise zur Arbeitsuche begründeten, wurde vom Beklagten ebenfalls abschlägig beschieden (Bescheid vom 19.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2010). Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes hiergegen verpflichtete das LSG den Beklagten, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom 17.5.2011 bis maximal zum 17.11.2011 zu erbringen. Dies führte der Beklagte durch Bescheide vom 14.6., 7.7., 26.7. und 1.8.2011 aus. Ebenso vollzog sich das Verfahren nach einem weiteren Antrag der Kläger vom 7.11.2011 (ablehnender Bescheid vom 15.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2011, Ausführungsbescheide des Beklagten vom 22.6.2012 nach dem Erlass einer einstweiligen Anordnung des LSG für den Zeitraum vom 23.11.2011 bis 30.6.2012). Am 14.1.2013, der Höhe nach geändert durch Bescheid vom 5.2.2013, bewilligte der Beklagte den Klägern die begehrten Leistungen ab dem 1.11.2012, also seit dem Monat der Aufnahme der Beschäftigung durch die Klägerin zu 2.

4

Die gegen den Bescheid vom 19.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2010 erhobene Klage hat das SG durch Urteil vom 20.11.2012 unter Hinweis darauf, dass die Kläger nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II von Leistungen der Grundsicherung ausgeschlossen seien, abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das LSG dieses Urteil geändert und den Beklagten unter Änderung der benannten Bescheide verurteilt, den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften für den Zeitraum vom 11.10.2010 bis 7.11.2011 zu bewilligen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II greife im Falle der Kläger nicht. Sie verfügten über kein materielles Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland. Der Sohn der Kläger zu 1 und 2 (Kläger zu 3) sei im streitigen Zeitraum Schüler gewesen. Die Kläger zu 1 und 2 seien keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen. Das vom Kläger zu 1 angemeldete Gewerbe sei nie betrieben und es seien keine Einkünfte daraus erzielt worden. Der Verkauf der Obdachlosenzeitung stelle keine Beschäftigung dar, die zu einem Status als Arbeitnehmer geführt haben könne. Es handele sich dabei um eine untergeordnete Tätigkeit, die nicht in einem Arbeitsverhältnis verrichtet worden sei. Die Kläger zu 1 und 2 seien auch nicht arbeitsuchend gewesen, denn sie hätten allein wegen der Sprachbarrieren keine Chance auf Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt gehabt. Daher komme es auch nicht darauf an, dass die Kläger vor dem 1.10.2011 über eine unbefristete Freizügigkeitsberechtigung/EU verfügt hätten. Auf einen EU-Bürger ohne materielles Aufenthaltsrecht finde der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II keine Anwendung. Dies erschließe sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, die auf den Aufenthaltszweck "allein zur Arbeitsuche" abstelle. Eine erweiternde Auslegung im Sinne des Erst-Recht-Schlusses komme wegen des Ausnahmecharakters des Ausschlusses nicht in Betracht. Die Vorschrift sei nicht analogiefähig. Es liege keine unbeabsichtigte Regelungslücke vor. Dass der aus dem mangelnden Aufenthaltsrecht folgende Ausweisungsgrund nicht vollzogen werde, sei kein Grund, EU-Bürger von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in erweiternder Auslegung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II auszuschließen(Urteil des LSG vom 10.10.2013).

5

Der Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und begründet sie damit, dass das Urteil des LSG § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II verletze. Die dortige Auslegung der Vorschrift führe dazu, dass ausgerechnet Personen, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht oder kaum integrierbar seien, vom Leistungsausschluss für arbeitsuchende Unionsbürger nicht betroffen würden.

6

Er beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Oktober 2013 aufzuheben und die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 20. November 2012 zurückzuweisen.

7

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Beigeladene zu verurteilen, ihnen Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII im Zeitraum vom 11. Oktober 2010 bis 7. November 2011 zu gewähren.

8

Sie halten die Ausführungen des LSG für zutreffend. Zwar sei nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Alimanovic nun klargestellt, dass der in § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II formulierte Leistungsausschluss europarechtskonform sei. Dies betreffe jedoch nicht die Kläger. Bei ihnen liege es näher, einen Vergleich zu der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Dano zu ziehen, wonach wirtschaftlich nicht aktiven Unionsbürgern anderer Mitgliedstaaten keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu erbringen seien. Insoweit mangele es jedoch an einer einfachgesetzlichen Regelung im deutschen Recht.

9

Die Beigeladene hat keinen eigenen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG, soweit es den Beklagten zur Leistungserbringung verurteilt hat, begründet. Die Beigeladene ist verpflichtet, die Existenzsicherung der Kläger nach den Vorschriften des SGB XII zu gewährleisten.

11

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (2.). Sie können jedoch Hilfe zum Lebensunterhalt von der Beigeladenen nach § 23 Abs 1 S 3 SGB XII beanspruchen (3.).

12

1. Streitgegenstand ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, die der Beklagte durch Bescheid vom 19.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2010 abgelehnt hat. Der streitige Zeitraum beginnt mit der Antragstellung am 11.10.2010, als dem "Türöffner" für das Verwaltungsverfahren (zuletzt BSG vom 24.4.2015 - B 4 AS 22/14 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 71 RdNr 17), und endet, da die Kläger ihr Begehren im zweitinstanzlichen Gerichtsverfahren bis zu diesem Zeitpunkt beschränkt haben, mit der erneuten Antragstellung am 7.11.2011. Die die Entscheidungen des LSG im vorläufigen Rechtsschutz ausführenden Bescheide des Beklagten sind, wie das LSG zutreffend befunden hat, nicht nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden(vgl BSG vom 27.6.2013 - B 10 EG 2/12 R - SozR 4-7837 § 2 Nr 21 RdNr 20 mwN; s auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 96 RdNr 4b unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des BSG).

13

Unschädlich ist auch, dass die Kläger im Berufungsverfahren, trotz der Beiladung der Stadt Gelsenkirchen, nicht zumindest hilfsweise deren Verurteilung oder Verpflichtung zur Leistungserbringung nach dem SGB XII beantragt haben. Im Falle der - hier vom LSG vorgenommenen notwendigen Beiladung nach § 75 Abs 2 2. Alt SGG (unechte notwendige Beiladung) - ist zumindest davon auszugehen, dass die Kläger hilfsweise die Verurteilung der Beigeladenen begehren (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 75 RdNr 18a; weitergehend BSG vom 28.5.2015 - B 7 AY 4/12 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen - RdNr 10). Denn nach § 75 Abs 5 SGG darf der beigeladene Träger verurteilt werden, obwohl er nicht verklagt ist. Mit der Vorschrift des § 75 Abs 2 2. Alt iVm Abs 5 SGG unterstellt der Gesetzgeber, dass der Kläger zwar in erster Linie die Verurteilung des beklagten Trägers, hilfsweise jedoch auch die jedes anderen in Frage kommenden Trägers begehrt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Kläger diese Verurteilung ausdrücklich ablehnt ( BSG vom 15.1.1959 - 4 RJ 111/57 - BSGE 9, 67, 70; BSG vom 2.11.2000 - B 11 AL 25/00 R - RdNr 25). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Bei dem im Revisionsverfahren gestellten Hilfsantrag auf Verurteilung der Beigeladenen handelt es sich aus diesen Gründen auch nicht um eine an sich im Revisionsverfahren nach § 168 S 1 SGG nicht mehr zulässige Klageänderung im Sinne der Klageerweiterung(vgl hierzu BSG vom 30.1.1985 - 2 RU 69/83 - SozR 1500 § 168 Nr 3; BSG vom 4.2.1965 - 11/1 RA 312/63 - SozR Nr 27 zu § 75 SGG; s auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 168 RdNr 2c und § 75 RdNr 12a).

14

Ebenso wenig wird die Zulässigkeit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage dadurch berührt, dass die Kläger bereits vorläufige Leistungen erhalten haben. Dies war zum einen nur für einen Teil des hier streitigen Zeitraums der Fall (BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 12 zur Unzulässigkeit bei dem Ausscheiden jeglichen Zahlungsanspruchs). Zum anderen hat sich der Rechtsstreit nach der ständigen Rechtsprechung des BSG auch nicht teilweise dadurch erledigt, dass für den Fall der nunmehr beantragten hilfsweisen Verurteilung der Beigeladenen die Leistungserbringung des Sozialhilfeträgers bereits (teilweise) als erfüllt iS des § 107 Abs 1 SGB X gilt(BSG vom 8.8.1990 - 11 RAr 79/88 - SozR 3-1300 § 104 Nr 3 S 4 f; BSG vom 9.9.1993 - 7/9b RAr 28/92 - BSGE 73, 83, 84 f = SozR 3-4100 § 58 Nr 5 S 11; BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 12).

15

2. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gegen den Beklagten. Sie sind unabhängig von der bestehenden Hilfebedürftigkeit iS des § 7 Abs 1 S 1 Nr 3 iVm § 9 SGB II, ihres gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland(§ 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II; vgl zum Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34 RdNr 17 ff)und der Erfüllung der Altersgrenzen des § 7 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB II im streitigen Zeitraum zumindest durch die Kläger zu 1 und 2 sowie deren Erwerbsfähigkeit(§ 7 Abs 1 S 1 Nr 2 iVm § 8 SGB II - auch nach § 8 Abs 2 SGB II, weil ihnen als Rumänen trotz seinerzeit nur eingeschränkter Arbeitnehmerfreizügigkeit als EU-Ausländern die Aufnahme einer Beschäftigung hätte erlaubt werden können, vgl BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 14 ff)von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aufgrund von § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II(idF vom 28.8.2007 durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007, BGBl I 1970, 2008) ausgeschlossen. Danach sind von den benannten Leistungen ausgenommen 1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige noch aufgrund des § 2 Abs 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts und 2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt und ihre Familienangehörigen.

16

a) Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II unterfallen die Kläger nicht einer Ausnahme von der Leistungsberechtigung nach § 7 Abs 1 S 1 SGB II. Sie haben sich im streitigen Zeitraum vom 11.10.2010 bis 7.11.2011 bereits mehr als drei Monate in Deutschland aufgehalten, denn sie sind im Herbst des Jahres 2008 eingereist. Ihr Aufenthaltsrecht ergibt sich auch nicht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche. So sind die Kläger zu 1 und 2 zwar zur Arbeitsuche in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Für den hier streitigen Zeitraum folgt hieraus jedoch kein materielles Aufenthaltsrecht mehr. Sie waren nicht mehr arbeitsuchend iS des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II.

17

Der Begriff der "Arbeitsuche" ist im vorliegenden Kontext freizügigkeitsrechtlich geprägt. Der Gesetzgeber hat in § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II - anders als in § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II - zwar nicht ausdrücklich Bezug auf die Regelungen des FreizügG/EU genommen. Aus der Verknüpfung mit dem "Aufenthaltsrecht" folgt jedoch bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift, dass die dortigen Regelungen sowie die der RL 2004/38/EG zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der "Arbeitsuche" heranzuziehen sind. Dies wird durch den Gesetzentwurf zur Änderung des S 2 des § 7 Abs 1 SGB II(BT-Drucks 16/5065 S 234; Änderung des SGB II zum 28.8.2007 durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007, BGBl I 1970, 2008) bestätigt. Danach sollten mit den Neuregelungen in § 7 Abs 1 S 2 SGB II die Unionsbürgerrichtlinie RL 2004/38/EG im Leistungsrecht umgesetzt und insbesondere von der Möglichkeit des Leistungsausschlusses nach Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG Gebrauch gemacht werden. Diese Norm regelt, dass vom Grundsatz der Gleichbehandlung aller Unionsbürger abgewichen werden kann, wenn die betreffende Person weder Arbeitnehmer, noch Selbstständiger oder deren Familienangehöriger ist und sie diesen Status nicht erhalten konnte (vgl hierzu Art 7 Abs 3 Buchst b und c RL 2004/38/EG). Sofern sie als Arbeitsuchende in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates eingereist ist, sieht die Richtlinie durch Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG solange eine Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts als Arbeitsuchende vor, solange sie nachweisen kann, dass sie weiterhin Arbeit sucht und sie eine begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden. Diese Regelung hat der Gesetzgeber zwischenzeitlich (mW ab dem 9.12.2014, BGBl I 1922) ins FreizügG/EU übernommen. In dessen § 2 Abs 2 S 1 Nr 1a FreizügG/EU ist nunmehr geregelt, dass freizügigkeitsberechtigt Unionsbürger sind, die sich zur Arbeitsuche aufhalten, für bis zu sechs Monate und darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Der dies tragende Grundgedanke der Aussicht auf Aufnahme einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist jedoch wegen der Gründung des Normtextes des § 7 Abs 1 S 2 SGB II auf der RL 2004/38/EG auch bereits im streitigen Zeitraum zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Arbeitsuche heranzuziehen.

18

Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs ist die Annahme des LSG revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass sich die Freizügigkeitsberechtigung der Kläger zu 1 und 2 im streitigen Zeitraum nicht mehr allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergab. Auf Grundlage der Anhörung der Kläger in der mündlichen Verhandlung sowie beigezogener Auskünfte und Beratungsvermerke der BA ist das LSG zu dem Ergebnis gelangt, dass sie im streitigen Zeitraum keine realistische Chance auf Erlangung eines Arbeitsplatzes hatten. Die Kläger zu 1 und 2 verfügten nicht über eine verwertbare berufliche Qualifikation oder Ausbildung, nennenswerte Berufserfahrung und deutsche Sprachkenntnisse. Diese fehlenden Kenntnisse stellten ein erhebliches Hindernis bei der Arbeitsuche dar. Zudem war zu berücksichtigen, dass ihre Berechtigung, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, im streitigen Zeitraum zusätzlich noch durch das Erfordernis einer Arbeitsgenehmigung-EU iS des § 284 SGB III(in den hier einschlägigen Fassungen vom 7.12.2006 BGBl I 2814 und vom 20.12.2011 mWv 1.5.2011 BGBl I 2854) iVm der Arbeitserlaubnis-EU nach § 39 Abs 2 S 1 Nr 1 Buchst b AufenthG(in den hier einschlägigen Fassungen vom 25.2.2008, BGBl I 162 und 20.12.2011, mWv 1.5.2011 BGBl I 2854, 2921) - für Unionsbürger aus Rumänien in der ersten Beitrittszeit - beschränkt war. Danach brauchte die BA der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung nur zuzustimmen, wenn für die Beschäftigung deutsche Arbeitnehmer sowie Ausländer, die diesen hinsichtlich der Arbeitsaufnahme rechtlich gleichgestellt waren, oder andere Ausländer, die nach dem Recht der Europäischen Union einen Anspruch auf vorrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt hatten, nicht zur Verfügung standen. Die begründete Aussicht, dass diese beim Fehlen jeglicher Qualifikation der Arbeitsuchenden, wie vorliegend, zur Verfügung stehen, hat das LSG ohne Rechtsfehler negiert. Da die Kläger sich zu Beginn des hier streitigen Zeitraums zudem bereits mehr als zwei Jahre in Deutschland aufgehalten hatten, ohne eine Erwerbstätigkeit ausgeübt zu haben, unterliegt der vom LSG weiter gezogene Schluss der objektiv nicht bestehenden Aussicht der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit keinen durchgreifenden Zweifeln (vgl zum zeitlichen Umfang der materiellen Freizügigkeitsberechtigung der Arbeitsuche: EuGH Rs Antonissen vom 26.2.1991 - C-292/89 RdNr 21; s auch Devetzi, EuR 2014, 638, 642; Lehmann, ZAR 2015, 212, 215; Thym, NJW 2015, 130, 133).

19

b) Die Kläger waren jedoch, auch wenn sie nicht den ausdrücklich normierten Ausnahmen des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II unterfallen, gleichwohl von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen. Denn sie verfügten über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung im Sinne des FreizügG/EU oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht. Damit unterfielen sie "erst-recht" dem Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II. Die Vorschrift ist insoweit planwidrig lückenhaft, als sie nicht ausdrücklich den Ausschluss auch derjenigen normiert, die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen, weil sie einen Leistungsausschluss schon für solche Ausländer anordnet, die sich auf eine solche materielle Freizügigkeitsberechtigung im Sinne des FreizügG/EU berufen können.

20

Der "Erst-Recht-Schluss" ist eine Untergruppe oder ein Spezialfall des Analogieschlusses. Die analoge Anwendung einfachgesetzlicher Vorschriften ist eine anerkannte Methode der richterlichen Rechtsfortbildung und verfassungsrechtlich unter Beachtung der Schranken des Art 20 Abs 3 GG zulässig. Denn hat der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, darf der Richter diese nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern und durch eine judikative Lösung ersetzen, die so im Parlament nicht erreichbar war (BVerfG vom 3.4.1990 - 1 BvR 1186/89 - BVerfGE 82, 6, 11). Daher setzt der Analogieschluss voraus, dass das Gesetz - hier im Hinblick auf eine bestimmte Personengruppe - lückenhaft, also angesichts der erkennbaren Regelungsabsicht des Gesetzgebers "planwidrig" unvollständig ist (vgl dazu Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl 1991, S 373, 375; s nur BSG vom 25.6.2009 - B 10 EG 8/08 R - BSGE 103, 291 = SozR 4-7837 § 2 Nr 2 RdNr 31 mwN). Es muss an der nach dem Regelungsplan des Gesetzes zu erwartenden Regel mangeln (BVerwG vom 11.9.2008 - 2 B 43/08 - Buchholz 237.7 § 23 NWLBG Nr 1 mwN). Dem "Erst-Recht-Schluss" selbst liegt dabei die Erwägung zugrunde, die analoge Anwendung sei immer dann gerechtfertigt, wenn die rechtspolitischen Gründe (Normzwecke) einer Vorschrift bei einem nicht geregelten Lebenssachverhalt noch stärker gegeben sind als bei dem geregelten Normtatbestand (vgl nur Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 8. Aufl 2015, RdNr 898). Dies ist hier im Hinblick auf Unionsbürger oder Ausländer, die über keine Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen, der Fall, wie sich aus der Entstehungsgeschichte der Ausschlussregelung, ihrem systematischen Zusammenhang sowie dem Sinn und Zweck der benannten Vorschrift erschließt (vgl zur Feststellung des Regelungsplans des Gesetzgebers bei einer Unvollständigkeit des Gesetzes, Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl 1991, S 373).

21

(aa) Nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II in der ab dem 1.1.2005 geltenden Fassung des Gesetzes zur optionalen Trägerschaft von Kommunen nach dem SGB II (vom 30.7.2004, BGBl I 2014) waren Ausländer unter den Voraussetzungen des § 8 Abs 2 SGB II leistungsberechtigt. Ein Ausschluss oder eine Beschränkung der Leistungsberechtigung für Unionsbürger waren mithin nicht vorgesehen. Mit der Neufassung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II durch das Gesetz zur Änderung des 2. Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (vom 24.3.2006, BGBl I 558) ergänzt durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (vom 19.8.2007, BGBl I 2008) erfolgte dann ein grundlegender Paradigmenwechsel. Es sollte von der Option des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG Gebrauch gemacht werden (BT-Drucks 16/5065 S 234). Für Unionsbürger, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen, sollte eine weitere leistungsrechtliche Hürde geschaffen werden, sofern sie wegen des vorbehaltlosen Aufenthalts in den ersten drei Monaten oder allein zum Zweck der Arbeitsuche freizügigkeitsberechtigt sind (BT-Drucks 16/5065 S 234; BT-Drucks 16/688 S 13). Leistungsberechtigt sollten sie nur sein, wenn sie über eine von § 7 Abs 1 S 2 SGB II nicht erfasste Freizügigkeitsberechtigung oder ein sonstiges Aufenthaltsrecht verfügen. Hieraus folgt umgekehrt, dass nicht freizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigte Unionsbürger nach dem gesetzgeberischen Plan von vornherein nicht leistungsberechtigt sein sollten.

22

(bb) Dies entspricht auch der Binnensystematik und der Verknüpfung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II mit dem im Gesetzentwurf unter Bezug genommenen Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG. Danach ist der Aufnahmemitgliedstaat - unter Hintanstellung des Gleichbehandlungsgrundsatzes - nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG (Zeitraum der Arbeitsuche, s unter 2.a) einen Anspruch auf Sozialhilfe (…) zu gewähren. Das Gleichbehandlungsgebot, also auch die Verpflichtung zur Gleichbehandlung bei der Gewährung existenzsichernder Leistungen, gilt mithin umgekehrt grundsätzlich nur dann, wenn eine Freizügigkeitsberechtigung des Unionsbürgers im Sinne der Richtlinie gegeben ist. Zugleich wird im Hinblick auf den Aufenthalt in den ersten drei Monaten und zur Arbeitsuche durch den Hinweis auf Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG eine Ausnahme normiert. Mit der Einfügung der Nr 1 und 2 in den S 2 des § 7 Abs 1 SGB II sollte demnach von den unionsrechtlich eröffneten Ausschlussgründen auch bei Bestehen einer Freizügigkeitsberechtigung Gebrauch gemacht werden. Hierin fügt sich die Systematik der Rückausnahmen in § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II für freizügigkeitsberechtigte Arbeitnehmer und Selbstständige sowie ihre Familienangehörigen ein. Dementsprechend haben die beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG im Hinblick auf Nr 2 des § 7 Abs 1 S 2 SGB II bisher schon unter Bezug auf § 11 FreizügG/EU (Regelung der Anwendung des AufenthG) angenommen, dass in Fällen, in denen ein anderes Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG - auch neben dem zum Zwecke der Arbeitsuche - besteht, etwa aus anderen familiären Gründen, der Ausschluss ebenfalls nicht eingreift(BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 30 ff; BSG vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28, RdNr 20 ff).

23

Dass der Gesetzgeber es planwidrig unterlassen hat, auch die nicht freizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigten Ausländer ausdrücklich von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auszuschließen, belegt auch die nachfolgende Kontrollüberlegung zu dem System der Eingliederungsleistungen im SGB II. Nach der Grundkonzeption des SGB II ist es Ziel dieser Leistungen, dass leistungsberechtigte Personen ohne eine Erwerbstätigkeit bei der Aufnahme einer solchen unterstützt werden, also Arbeit zu finden und, wenn sie bisher erfolglos Arbeit gesucht haben, dies mit einer Unterstützung durch Eingliederungsleistungen erfolgreich zu tun. Wenn ein EU-Ausländer aber Leistungen nach §§ 16 ff SGB II für eine erfolgreiche Arbeitsuche erhält, liegen die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II (wieder) vor. Dass ein solcher Zirkelschluss vom Gesetzgeber gewollt war, kann nicht angenommen werden. Es ist daher vielmehr davon auszugehen, dass es seinem Plan entsprach, in den Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II auch die Ausländer einzubeziehen, die keine oder objektiv ohne Erfolgsaussichten Arbeit suchen.

24

(cc) Auch wäre es sinnwidrig und würde der sozialpolitischen Zweckrichtung der Regelung widersprechen, hätten gerade nicht materiell freizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigte Ausländer einen Rechtsanspruch auf diese Leistungen, weil sie nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift nicht von Leistungen ausgeschlossen sind. Sie sind vielmehr, weil ihre Leistungsberechtigung im eigentlichen Sinne nicht gewollt war, "erst-recht" von Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen. Mit der Ausschlussregelung sollte ein Zuzug von Ausländern in den SGB II-Leistungsbezug verhindert werden, soweit keine Verpflichtung zur Gleichbehandlung mit Inländern besteht (vgl BT-Drucks 16/5065 S 234). Nur wer als Unionsbürger freizügigkeitsberechtigt ist - über das Aufenthaltsrecht in den ersten drei Monaten und zur Arbeitsuche hinaus - sollte daher einen Anspruch auf existenzsichernde Leistungen aus dem SGB II erhalten, etwa aufstockend neben der Tätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbstständiger, während der nachgehenden Statuserhaltung oder als deren Familienangehörige. Nach Ablauf der ersten drei Monate des Aufenthalts sei, so die Begründung im Gesetzentwurf, das weitere Aufenthaltsrecht vom Aufenthaltszweck abhängig und damit auch die Leistungsberechtigung nach dem SGB II. So sollte sichergestellt werden, dass durch die Neuregelung im Freizügigkeitsgesetz/EU - die RL 2004/38/EG umsetzend - keine Regelungslücke entsteht (vgl BT-Drucks 16/5065 S 234). Die materielle Freizügigkeits- oder Aufenthaltsberechtigung kann damit nicht hinweggedacht werden, ohne dass die Ausschlussregelung ihren Sinn verlöre.

25

c) Die Kläger konnten sich nicht auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung berufen.

26

(aa) Die Kläger waren nicht als Arbeitnehmer freizügigkeitsberechtigt. Der Begriff des Arbeitnehmers in § 7 Abs 1 S 2 SGB II ist, wie die Wortverbindung in dessen Nr 1 zum FreizügG/EU bereits zeigt, ebenfalls europarechtlich geprägt; durch dieses Gesetz wird die, die Freizügigkeitsrechte der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen innerhalb der Union regelnde RL 2004/38/EG - auf Grundlage der Europäischen Verträge - in das nationale Recht umgesetzt (Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, Vorbemerkung 0.1.2 zum Freizügigkeitsgesetz/EU). Eine kodifizierte Definition des Arbeitnehmerbegriffs findet sich im Europarecht zwar nicht. Es ist daher auf die Ausprägung dessen zurückzugreifen, die er auf Grundlage der Rechtsprechung des EuGH erfahren hat. Die Arbeitnehmereigenschaft wird danach bei der Ausübung einer tatsächlichen und echten Tätigkeit als gegeben angesehen, was gestützt auf objektive Kriterien und in einer Gesamtbetrachtung aller Umstände, die die Art der in Rede stehenden Tätigkeiten und des fraglichen Arbeitsverhältnisses betreffen, festzustellen ist (EuGH Rs Ninni-Orasche vom 6.11.2003 - C-413/01 RdNr 24; EuGH vom 21.2.2013 - C-46/12 RdNr 39 ff; Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 2 FreizügG/EU RdNr 37; Tewocht in Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 9. Edition, Stand XI/2015, § 2 FreizügG/EU RdNr 18 ff). Um Arbeitnehmer zu sein, muss die betreffende Person während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringen, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Dabei sind nicht nur Gesichtspunkte wie die Arbeitszeit und die Höhe der Vergütung zu berücksichtigen, sondern auch solche wie der Anspruch auf bezahlten Urlaub, die Geltung von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Anwendung des Tarifvertrags in der jeweils gültigen Fassung auf den Arbeitsvertrag sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses (EuGH Rs Genc vom 4.2.2010 - C-14/09 RdNr 27). Dies bedeutet, dass eine Integration in den Betrieb des Arbeitgebers gegeben sein muss, bei der die betreffende Person unter der Weisung oder Aufsicht eines Dritten steht, der die zu erbringenden Leistungen und/oder die Arbeitszeiten vorschreibt und dessen Anordnungen durch den Arbeitnehmer zu befolgen sind (vgl Hoffmann in Hofmann/Hoffmann, HK-AuslR, 1. Aufl 2008, § 2 FreizügG/EU RdNr 8). Unter Anwendung dieses Maßstabs und auf Grundlage seiner Feststellungen hat das LSG vorliegend die Arbeitnehmereigenschaft der Kläger zu 1 und 2 zutreffend verneint.

27

Die Kläger zu 1 und 2 haben die Obdachlosenzeitung "Fifty-Fifty" verkauft. Das LSG hat festgestellt, dass damit ein wirtschaftlicher Güteraustausch nicht verbunden gewesen sei, jedenfalls sei dies nicht der prägende Hauptzweck der Tätigkeit gewesen. Vielmehr habe es sich um eine dem Betteln gleichgestellte Tätigkeit gehandelt, die - nach einem Hinweis in dieser Zeitung - unter genehmigungsfreiem Gemeingebrauch des öffentlichen Straßenraumes erfolgte. Die Kläger zu 1 und 2 unterlagen auch nicht den Weisungen der karitativen Organisationen, die diese Zeitung herausgeben. Sie "kauften" die Zeitschriften bei den Herausgebern zum Zwecke des Straßenverkaufs und konnten - ohne weitere Weisungen zu deren Vertrieb - den Differenzbetrag zum Verkaufspreis zur eigenen Verfügung behalten.

28

(bb) Eine selbstständige Erwerbstätigkeit ist - ebenfalls unter Berücksichtigung der europarechtlichen Implikationen - jede Art der wirtschaftlichen Tätigkeit, die in eigener Verantwortung und weisungsfrei erfolgt (Tewocht in Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 9. Edition, Stand XI/2015, § 2 FreizügG/EU RdNr 32). Eine Gewinnerzielungsabsicht muss nicht vorrangiges oder einziges Ziel sein, sie muss aber vorhanden sein. Rein karitative Tätigkeiten fallen nicht hierunter; die Tätigkeit muss daher erwerbsorientiert sein, wobei alle Tätigkeiten erfasst werden, sofern sie mit einer entgeltlichen Gegenleistung verbunden sind und eine Teilnahme am Wirtschaftsleben darstellen (EuGH Rs Sodemare vom 17.6.1997 - C-70/95 RdNr 25; vgl auch Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 2 FreizügG/EU RdNr 78; Müller-Graff in Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl 2012, Art 49 AEUV RdNr 13). Der Selbstständige, der sich auf das Freizügigkeitsrecht der Niederlassungsfreiheit im Sinne der Art 49 ff AEUV berufen kann, muss auch tatsächlich eine wirtschaftliche Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit ausüben (EuGH Rs Factortame vom 25.7.1991 - C-221/89 RdNr 34; Tewocht in Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 9. Edition, Stand XI/2015, § 2 FreizügG/EU RdNr 33)und damit wirtschaftlich in einen anderen Mitgliedstaat integriert sein (Brinkmann in Huber, AufenthG, 1. Aufl 2010, § 2 FreizügG/EU RdNr 29).

29

Diese Voraussetzungen sind nach den zuvor dargelegten Bedingungen, unter denen die Kläger zu 1 und 2 dem Verkauf der Obdachlosenzeitung nachgegangen sind, nicht gegeben. Aber auch mit dem von dem Kläger zu 1 angemeldeten Gewerbebetrieb: "Abbruch- und Entkernungsarbeiten, Hilfsarbeiten auf Baustellen" erfüllte er nicht die Voraussetzungen um den Status als niedergelassener selbstständiger Erwerbstätiger erlangt zu haben. Er hat ausweislich der Feststellungen des LSG erklärt, das Gewerbe nie betrieben und auch keinen Gewinn erzielt zu haben. Abgesehen davon, dass er allein mit der Anmeldung des Gewerbebetriebes nicht am wirtschaftlichen Leben teilgenommen hat, war diese offensichtlich unter Zugrundelegung der getroffenen Feststellungen nicht erwerbsorientiert.

30

(cc) Damit entfällt zugleich der nachgehende Schutz als Arbeitnehmer oder Selbstständiger iS des § 2 Abs 3 FreizügG/EU für die Kläger zu 1 und 2. Danach bleibt für Arbeitnehmer und selbstständig Erwerbstätige die Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs 1 FreizügG/EU unberührt ua bei(2.) unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit oder Einstellung einer selbstständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbstständige keinen Einfluss hatte, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit (S 1). Bei weniger als einem Jahr Beschäftigung gilt dies auch, jedoch nur während der Dauer von sechs Monaten nach der Beendigung der Tätigkeit (S 2). Ebenso wenig haben folglich die Familienangehörigen eine vom Status als Arbeitnehmer oder Selbstständiger abgeleitete Freizügigkeitsberechtigung iS des § 2 FreizügG/EU innegehabt.

31

(dd) Die Kläger waren auch nicht als nichterwerbstätige Unionsbürger iS des § 4 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Danach haben nicht erwerbstätige Unionsbürger, ihre Familienangehörigen und ihre Lebenspartner, die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, das Recht nach § 2 Abs 1 FreizügG/EU, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. Zwar hat das LSG keine Feststellungen zum Krankenversicherungsschutz der Kläger getroffen. Dass sie nicht über ausreichende Existenzmittel verfügten, zeigt sich jedoch bereits daran, dass sie hilfebedürftig iS des § 7 Abs 1 Nr 3 iVm § 9 SGB II waren(vgl zum Maßstab der "nicht ausreichenden Existenzmittel": Thym, NJW 2015, 130, 132).

32

(ee) Anhaltspunkte für ein anderes Aufenthaltsrecht im Sinne des AufenthG sind ebenfalls nicht ersichtlich oder vorgebracht (vgl zum Vorliegen eines anderen Aufenthaltsrechts nur: BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 30 ff; BSG vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28, RdNr 20 ff).

33

(ff) Der fehlenden materiellen Freizügigkeitsberechtigung steht auch nicht entgegen, dass die Kläger zu 1 und 2 nach den bindenden Feststellungen des LSG im Besitz einer Freizügigkeitsbescheinigung/EU nach § 5 Abs 1 FreizügG/EU idF des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union(vom 19.8.2007, BGBl I 1970) waren. Das Ausstellen einer solchen Bescheinigung, die mit Wirkung zum 29.1.2013 im Übrigen abgeschafft worden ist (Streichung des § 5 Abs 1 FreizügG/EU in der vorbenannten Fassung durch das Gesetz zur Änderung des FreizügG/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21.1.2013, BGBl I 86), lässt keine Rückschlüsse auf das Bestehen einer materiellen Freizügigkeitsberechtigung zu.

34

Ihre Ausstellung hatte allein deklaratorische Bedeutung (BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 20; Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 5 FreizügG/EU RdNr 4; noch offengelassen BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 13; s jedoch BSG vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28 RdNr 17). Auch solange § 5 Abs 1 FreizügG/EU idF vom 19.8.2007 noch in Kraft war, erfolgte die Prüfung der Freizügigkeitsberechtigung nach den Kriterien des § 2 FreizügG/EU. Das Freizügigkeitsrecht wurde und wird originär durch den EG-Vertrag/EUV/AEUV und seine Durchführungsbestimmungen begründet und nicht durch die Ausstellung der Aufenthaltskarte (EuGH Rs Dias vom 21.7.2011 - C-325/09 - RdNr 48; s auch VG Augsburg vom 5.6.2008 - Au 1 S 08.450 - juris-RdNr 35, 36). So war umgekehrt in der Vergangenheit die Ausstellung der Bescheinigung über das Freizügigkeitsrecht keine Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Unionsbürgers im Bundesgebiet. Aufgrund der generellen Freizügigkeitsvermutung muss der Aufenthalt desjenigen Unionsbürgers, der schon bei seiner Einreise ins Bundesgebiet keinen Freizügigkeitstatbestand erfüllt hat, solange als rechtmäßig angesehen werden, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts in entsprechender Anwendung des § 5 Abs 5 FreizügG/EU in der bis Januar 2013 geltenden Fassung oder nunmehr aufgrund von § 5 Abs 4 FreizügG/EU bzw der Missbrauchstatbestände in § 2 Abs 7 FreizügG/EU festgestellt hat. Erst die ausländerbehördliche Nichtbestehens- bzw Verlustfeststellung führt zur sofortigen Ausreisepflicht nach § 7 Abs 1 FreizügG/EU. Bis dahin darf sich ein Unionsbürger unabhängig vom Vorliegen einer materiellen Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 FreizügG/EU aufgrund der generellen Freizügigkeitsvermutung im Bundesgebiet aufhalten, ohne ausreisepflichtig zu sein(vgl BT-Drucks 16/5065 S 211 zu Art 2 Nr 8 Buchst a Doppelbuchst aa).

35

(d) Diese Auslegung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II ist auch europarechtskonform. Der EuGH hat sowohl in der Rechtssache Dano (vom 11.11.2014 - C-333/13) als auch in der Rechtssache Alimanovic (vom 15.9.2015 - C-67/14) in den hier gegebenen Fallkonstellationen die Zulässigkeit der Verknüpfung des Ausschlusses von Unionsbürgern anderer Mitgliedstaaten von existenzsichernden Leistungen mit dem Bestehen eines Aufenthaltsrechts im Sinne der RL 2004/38/EG ausdrücklich anerkannt. Nach seiner Rechtsprechung sind Art 24 Abs 1 der RL 2004/38/EG iVm ihrem Art 7 Abs 1 Buchst b und Art 4 VO 883/2004/EG dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vom Bezug bestimmter "besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen" im Sinne des Art 70 Abs 2 VO 883/2004/EG ausgeschlossen werden, während Staatsangehörige des Aufnahmemitgliedstaats, die sich in der gleichen Situation befinden, diese Leistungen erhalten, sofern den betreffenden Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten im Aufnahmemitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG zusteht (EuGH Rs Dano vom 11.11.2014 - C-333/13 RdNr 84). In der Rechtssache Alimanovic hat der EuGH insoweit betont, dass Unionsbürger anderer EU-Staaten, die nach Deutschland eingereist sind, um Arbeit zu suchen, vom deutschen Gesetzgeber vom Bezug von Alg II oder Sozialgeld ausgeschlossen werden können, selbst wenn diese Leistungen als besondere beitragsunabhängige Geldleistungen im Sinne des Art 70 VO 883/2004/EG eingeordnet werden (EuGH Rs Alimanovic vom 15.9.2015 - C-67/14 RdNr 63). Beim Alg II und Sozialgeld handele es sich um Leistungen der "Sozialhilfe" im Sinne des Art 24 Abs 2 der RL 2004/38/EG. Danach haben die Aufnahmestaaten jedoch keine Verpflichtung zur Gleichbehandlung ihrer Staatsangehörigen und solcher anderer EU-Mitgliedstaaten im Hinblick auf einen Anspruch auf Sozialhilfe, wenn Letztere nicht Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder ihnen dieser Status erhalten geblieben ist bzw Familienangehörige dieser sind (s hierzu auch Kingreen in NVwZ 2015, 1503, 1505 f; Padé in jM 2015, 414, 415).

36

3. Den Klägern steht jedoch ein Recht auf Existenzsicherung durch Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII gemäß § 23 Abs 1 S 3 SGB XII in gesetzlicher Höhe gegen die Beigeladene zu.

37

a) Die Kläger waren leistungsberechtigt im Sinne des Sozialhilferechts, weil sie im streitigen Zeitraum ihren Lebensunterhalt nicht iS des § 19 Abs 1 SGB XII iVm § 27 Abs 1 SGB XII aus eigenen Kräften und Mitteln decken konnten.

38

Nach § 19 Abs 1 SGB XII ist Personen Hilfe zum Lebensunterhalt zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten können. Dies war bei den Klägern, wie eingangs dargelegt, im streitigen Zeitraum der Fall. Ihr Bedarf im sozialhilferechtlichen Sinne ist dem Grunde nach zwar teilweise dadurch gedeckt worden, dass sie - durch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zugesprochene SGB II-Leistungen - den leistungslosen Zeitraum überstanden haben (vgl BSG vom 29.9.2009 - B 8 SO 16/08 R - BSGE 104, 213 = SozR 4-1300 § 44 Nr 20, RdNr 14 mwN). Insoweit greift für einen Teil des streitigen Zeitraums die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X ein.

39

b) Einem Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII stand auch eine mangelnde Kenntnis der Beigeladenen von der Bedürftigkeit der Kläger im streitigen Zeitraum nicht entgegen. Die Kläger haben zwar "nur" Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bei dem Beklagten beantragt. Die nach § 18 Abs 1 SGB XII erforderliche Kenntnis der Beigeladenen von dem Bedarf der Kläger liegt jedoch gleichwohl vor. Die Beigeladene muss sich insoweit die Kenntnis des Beklagten aufgrund des Antrags auf SGB II-Leistungen nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG zurechnen lassen (BSG vom 2.12.2014 - B 14 AS 66/13 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 42 RdNr 25; BSG vom 13.2.2014 - B 8 SO 58/13 B - SozR 4-3500 § 25 Nr 4 RdNr 8; BSG vom 26.8.2008 - B 8/9b SO 18/07 R - SozR 4-3500 § 18 Nr 1 RdNr 22 ff).

40

c) Ebenso wenig waren die Kläger nach § 21 S 1 SGB XII von der Hilfe zum Lebensunterhalt ausgeschlossen. § 21 S 1 SGB XII bestimmt, dass Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt erhalten. Die Kläger waren im streitigen Zeitraum nicht dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II, weil sie dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II unterfielen. Dies führt dazu, sie dem System des SGB XII zuzuweisen. Die Erwerbsfähigkeit zumindest der Kläger zu 1 und 2 steht dem nicht entgegen.

41

Schon der Wortlaut des § 21 S 1 SGB XII stellt nicht ausschließlich auf das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit ab, sondern berücksichtigt einen Leistungsanspruch nach dem SGB II dem Grunde nach. Ist mithin ein Erwerbsfähiger wegen des Vorliegens der Voraussetzungen eines Leistungsausschlusses nicht leistungsberechtigt nach dem SGB II, folgt hieraus nicht zwangsläufig ein Leistungsausschluss nach dem SGB XII (BSG vom 25.9.2014 - B 8 SO 6/13 R - BSGE = SozR 4-4200 § 44a Nr 1, RdNr 11). Die "Systemabgrenzung" erfordert vielmehr eine differenzierte Betrachtung der einzelnen Leistungsausschlüsse (Eicher in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 21 RdNr 26, 34; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB XII, § 21 RdNr 46, Stand I/2014; so im Ergebnis auch Coseriu in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 23 RdNr 64). Im Grundsatz gilt für die Systemzuweisung aufgrund der Erwerbszentriertheit des SGB II, dass derjenige, der von dem auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ausgerichteten Leistungssystem des SGB II ausgeschlossen werden soll, dem System des SGB XII zugewiesen wird.

42

Auf dieser Grundlage hat das BSG bereits für andere in § 7 SGB II geregelte Leistungsausschlüsse ausdrücklich entschieden, dass die "Anwendungssperre" des § 21 S 1 SGB XII nicht greift(vgl Eicher in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 21 RdNr 34 ff). Dies gilt nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate sowohl für den Leistungsausschluss wegen einer den Regelbedarf unterschreitenden ausländischen Rentenleistung als auch den Leistungsausschluss eines Erwerbsfähigen wegen der Unterbringung in einer stationären Einrichtung oder in einem Krankenhaus nach § 7 Abs 4 S 1 SGB II. Sie sind iS des § 21 SGB XII nach dem SGB II dem Grunde nach nicht mehr leistungsberechtigt und bei Bedürftigkeit auf "die auf gleicher Grundlage wie im SGB II bemessenen und daher vom Umfang im Wesentlichen identischen Leistungen der Sozialhilfe" verwiesen(BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 20; BSG vom 2.12.2014 - B 14 AS 66/13 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 42 RdNr 10, 24; vgl auch BSG vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen - RdNr 47: vorzeitige Altersrente nach Aufforderung durch den Grundsicherungsträger). In gleicher Weise hat der für das Sozialhilferecht zuständige 8. Senat des BSG für den Leistungsausschluss bei Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneten Freiheitsentziehung entschieden. Erwerbsfähige Hilfebedürftige, die einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 4 S 2 SGB II unterfallen, können grundsätzlich Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII beanspruchen(BSG vom 12.12.2013 - B 8 SO 24/12 R - SozR 4-3500 § 67 Nr 1 RdNr 20).

43

Bezogen auf den Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II gilt nichts anderes(Berlit in Berlit/Conradis/Sartorius, Existenzsicherungsrecht, 2. Aufl 2013, Kap 12 RdNr 54; Eicher in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 21 RdNr 35). Der Ausschluss von Personen, die nicht oder nicht mehr über eine Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche verfügen, vom erwerbszentrierten Leistungssystem des SGB II führt dazu, die Sperrwirkung des § 21 SGB XII entfallen zu lassen.

44

d) Allerdings steht dem Rechtsanspruch der Kläger auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII ein Ausschluss aufgrund der Regelung des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII entgegen.

45

(aa) Die Kläger sind zwar nicht iS des § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB XII eingereist, um Sozialhilfe zu erlangen. Es mangelt hier insoweit an dem finalen Zusammenhang zwischen Einreise und Sozialhilfebezug (vgl BSG vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R - BSGE = SozR 4-3500 § 25 Nr 5, RdNr 25). Dieser Zusammenhang liegt vor, wenn der Zweck, Sozialhilfe zu erlangen, den Einreiseentschluss geprägt hat. Wie das BVerwG dies bereits zu der wortgleichen Vorschrift des § 120 Abs 3 S 1 BSHG entschieden hat, bezeichnet schon die Konjunktion "um (…) zu (…)" ein ziel- und zweckgerichtetes Handeln und damit eine Zweck-Mittel-Relation, in der die Einreise das Mittel und die Inanspruchnahme von Sozialhilfe den mit ihr verfolgten Zweck bildet(vgl BVerwG vom 4.6.1992 - 5 C 22/87 - BVerwGE 90, 212, 214; im Anschluss daran etwa LSG Berlin-Brandenburg vom 10.9.2009 - L 23 SO 117/06 - juris-RdNr 27 f; LSG Nordrhein-Westfalen vom 12.1.2009 - L 20 B 58/08 AY - juris-RdNr 25 ff; LSG Niedersachsen-Bremen vom 27.11.2008 - L 8 SO 173/08 ER - juris-RdNr 20 f). Dabei wird diese Zweck-Mittel-Relation jedoch auch dann als gegeben angesehen, wenn die Einreise des Ausländers auf verschiedenen Motiven beruht, der Zweck der Inanspruchnahme für den Einreiseentschluss jedoch von prägender Bedeutung gewesen, also nicht nur neben vorrangigen anderen Zwecken billigend in Kauf genommen worden ist (Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 RdNr 46, Stand VI/2012).

46

So liegt der Fall nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG hier nicht. Es ist keine Zweck-Mittel-Relation im eben dargelegten Sinne gegeben, denn die Kläger zu 1 und 2 sind zur Arbeitsuche eingereist. Das LSG hat dies - wenn auch die Erfolgsaussichten der Arbeitsuche für den hier streitigen Zeitraum verneinend - ausdrücklich festgestellt. So haben die Kläger zu 1 und 2, wie das LSG unter Hinweis auf die Beratungsvermerke in den Akten ausgeführt hat, mehrfach Deutschkurse beantragt und sich auch sonst um Eingliederungsleistungen bemüht. Sie haben auch nicht schon bei der Einreise oder kurz danach, sondern erstmals nach rund einem Jahr ihres Aufenthalts in Deutschland und dann erneut rund noch einmal ein weiteres Jahr später existenzsichernde Leistungen beantragt. Der Kläger zu 3 folgt dem als Familienangehöriger.

47

(bb) Die Kläger unterfallen auch nicht dem Wortlaut der Alt 2 des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII. Sie verfügten - wie unter 2.a) dargelegt - im streitigen Zeitraum nicht mehr über ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche. Dies ist nach dem Wortlaut des § 23 Abs 3 SGB XII jedoch Voraussetzung für den Ausschluss von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII. Der Ausschluss tritt danach nur dann ein, wenn ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche im streitigen Zeitraum tatsächlich gegeben ist.

48

(cc) Ebenso wie oben zum Leistungsausschluss im SGB II dargelegt, sind jedoch auch nach § 23 Abs 3 S 1 SGB XII nichtfreizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigte Ausländer von den existenzsichernden Leistungen der Sozialhilfe ausgenommen(offengelassen BSG vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R - BSGE = SozR 4-3500 § 25 Nr 5, RdNr 25; aA Herbst in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und der Sozialhilfe, Band 1 Teil II, Stand VIII/2013, § 23 SGB XII RdNr 47b; Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 RdNr 54d, Stand VI/2012).

49

Im Entwurf des Gesetzes zur Änderung des SGB XII und anderer Gesetze vom 25.9.2006 (BT-Drucks 16/2711 S 10) wird darauf hingewiesen, dass die Einfügung der Alt 2 in § 23 Abs 3 S 1 SGB XII einen der Regelung im SGB II entsprechenden Leistungsausschluss für Ausländer normiere und damit zugleich sicherstelle, dass Ausländer, die nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende hätten, auch aus dem SGB XII keine Ansprüche herleiten könnten. § 7 Abs 1 S 2 SGB II in der damaligen Fassung lautete: Ausgenommen sind Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt [und] ihre Familienangehörigen (…)(idF des Gesetzes zur Änderung des SGB II und anderer Gesetze vom 24.3.2006, BGBl I 558 mWv 1.4.2006). Es sollte damit Art 24 Abs 2 iVm Art 14 Abs 4 Buchst b der RL 2004/38/EG umgesetzt werden (BT-Drucks 16/2711 S 10). Nach Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG ist der Aufnahmemitgliedstaat - unter Hintanstellung des Gleichbehandlungsgrundsatzes - nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG (Zeitraum der Arbeitsuche, s unter 2.a) einen Anspruch auf Sozialhilfe (…) zu gewähren. Die dort vorgenommene Abgrenzung zwischen den gleich zu behandelnden Personengruppen und denen, die aus europarechtlicher Sicht von den Aufnahmestaaten von der Sozialhilfe ausgeschlossen werden dürfen, erfolgt, indem der Personenkreis der Freizügigkeitsberechtigten, die der Gleichbehandlung unterfallen, positiv benannt wird. Im Umkehrschluss ergibt sich, dass neben denen, die freizügigkeitsberechtigt wegen der Arbeitsuche sind und denen der Aufnahmestaat gleichwohl keine Sozialhilfeleistungen zu erbringen braucht, dies auch für die Nichtfreizügigkeitsberechtigten gilt. Sie unterfallen nicht dem Gleichbehandlungsgebot.

50

Soweit spätere Versuche, eine weitergehende Anpassung der Rechtslage des SGB II an das SGB XII zu bewirken, nicht erfolgreich waren (s nur BT-Drucks 16/2711 S 16; BT-Drucks 16/2753 S 1, 2; BT-Drucks 16/5527 S 15, 23; BT-Drucks 16/239 S 13, 17), sprechen diese Versuche und die Reaktionen hierauf nicht für das Erfordernis einer anderen Wertung im Hinblick auf den "Erst-Recht-Schluss" im SGB XII als im SGB II. Die zuvor beschriebene Anpassung des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII war ausreichend, um die gewünschte Parallele zum SGB II für die hier zu beurteilenden Fälle zu ermöglichen. Insbesondere bedurfte es keiner Reaktion auf die Änderung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 (BGBl I, 1970 mWv 28.8.2007). Die Umstrukturierung des S 2 und die Einfügung der Nr 1 in § 7 Abs 1 S 2 SGB II ist für das SGB XII ohne Bedeutung.

51

e) Zwar ist Rechtsfolge des Ausschlusses nach § 23 Abs 3 S 1 SGB XII, dass trotz des tatsächlichen Aufenthalts im Inland kein Rechtsanspruch auf ua Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 23 Abs 1 S 1 SGB XII besteht. In einem solchen Fall des Ausschlusses können jedoch nach § 23 Abs 1 S 3 SGB XII Leistungen der Sozialhilfe gewährt werden, wenn dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Ausschlussregelung, denn sie nimmt lediglich Bezug auf den "Anspruch" auf Sozialhilfe. Dementsprechend hat bereits das BVerwG zu der Vorschrift des § 120 Abs 3 S 1 Alt 1 BSHG befunden, dass Ausländer, die dem Leistungsausschluss unterfielen, weil sie eingereist seien, um Sozialhilfe zu erlangen, lediglich von einem Rechtsanspruch ua auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 120 Abs 1 S 1 BSHG ausgeschlossen seien(BVerwG vom 10.12.1987 - 5 C 32/85 - BVerwGE 78, 314, 316 f; Schellhorn/Jirasek/Seipp, Kommentar zum BSHG, 16. Aufl 2002, § 25 RdNr 10, § 120 RdNr 16; so auch Krahmer in LPK-BSHG, 6. Aufl 2003, § 25 RdNr 7; Birk in ders, § 120 RdNr 47). Insoweit gilt für die Regelung des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII, die der Gesetzgeber in Kenntnis der Rechtsprechung des BVerwG im Wesentlichen inhaltsgleich ausgestaltet hat(BT-Drucks 15/1514 S 58), nichts anderes (vgl BSG vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R - BSGE = SozR 4-3500 § 25 Nr 5, RdNr 28; s auch Adolph in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, § 23 SGB XII RdNr 76, Stand XII/2008; Birk in LPK-SGB XII, 10. Aufl 2015, § 23 RdNr 20; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl 2014, § 23 RdNr 42; differenzierend Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 RdNr 50, Stand VI/2012, der einen Rechtsanspruch auf die im Einzelfall gebotenen Leistungen annimmt, um zu einem Gleichklang mit § 1a AsylbLG zu gelangen).

52

Der Ausschluss nur von dem Rechtsanspruch auf die in S 1 des § 23 Abs 1 SGB XII benannten Leistungen erschließt sich auch aus dem - im Übrigen gegenüber § 120 BSHG unveränderten - systematischen Verhältnis der Regelungen der Sätze 1 und 3 in Abs 1 des § 23 SGB XII zueinander. Durch § 23 Abs 1 S 1 SGB XII erhält der Ausländer ausschließlich unter der Voraussetzung, dass er sich tatsächlich im Inland aufhält, einen Rechtsanspruch auf Leistungen der Sozialhilfe nach einem reduzierten Leistungskatalog, aber der Höhe nach uneingeschränkt. Hiervon sollen diejenigen, die die Ausschlusstatbestände des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII erfüllen, ausgeschlossen werden, nicht jedoch von dem der Sozialhilfe systemimmanenten grundsätzlichen Anspruch auf Hilfe bei bedrohter Existenzsicherung(s hierzu BVerwG vom 14.3.1985 - 5 C 145/83 - BVerwGE 71, 139; BVerwG vom 10.12.1987 - 5 C 32/85 - BVerwGE 78, 314, 317 ff). Diesem Personenkreis sollen daher nur nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens Leistungen der Sozialhilfe erbracht werden können, aber eben auch solche Leistungen, die nach S 1 des § 23 Abs 1 SGB XII vom Rechtsanspruch ausgenommen worden sind, soweit im Einzelfall geboten.

53

f) Das Ermessen des Sozialhilfeträgers ist jedoch in einem Fall wie dem vorliegenden, dem Grunde und der Höhe nach hinsichtlich der Hilfe zum Lebensunterhalt auf Null reduziert. Dies ist immer dann der Fall, wenn sich das Aufenthaltsrecht des ausgeschlossenen Ausländers verfestigt hat - regelmäßig ab einem sechsmonatigen Aufenthalt in Deutschland. Dies folgt aus der Systematik des § 23 Abs 3 S 1 Alt 2 SGB XII im Verhältnis zu § 23 Abs 1 S 1 und 3 SGB XII sowie verfassungsrechtlichen Erwägungen.

54

So bezieht sich der ausdrückliche Ausschluss der Alt 2 des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII auf den im Freizügigkeitsgesetz/EU zeitlich begrenzten Vorgang der Arbeitsuche. Unter 2.a) ist bereits dargelegt worden, dass die Freizügigkeitsberechtigung zum Zwecke der Arbeitsuche nach dem Ablauf von sechs Monaten gemäß § 2 Abs 1a FreizügG/EU idF des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften vom 2.12.2014 (BGBl I 1922) endet, wenn nicht weiterhin eine begründete Aussicht auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit besteht. Diese Begrenzung der Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche dient nach den Gesetzesmaterialien der Umsetzung von Unionsrecht in seiner Auslegung durch den EuGH, der entschieden habe, dass die Mitgliedstaaten berechtigt seien, das Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche auf einen angemessenen Zeitraum zu begrenzen, wobei der EuGH von einem Zeitraum von sechs Monaten ausgegangen sei (BT-Drucks 18/2581 S 15 zu Art 1 Nr 1 Buchst b; vgl dazu bereits BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 29). Mit dem auf den konkreten Einzelfall abstellenden Zusatz - "darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden" - nimmt die Neuregelung lediglich die Formulierung in Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG auf, enthält jedoch mit der allgemein geltenden zeitlichen Begrenzung - "für bis zu sechs Monate" - eine Typisierung. Für diese typisierte Dauer einer Arbeitsuche von sechs Monaten nach der Einreise liegt eine Aufenthaltsverfestigung noch nicht vor, weil hinter der zeitlichen Begrenzung die Erwartung steht, es handele sich um einen angemessenen Zeitraum, die Erfolgsaussichten einer Arbeitsuche in einem anderen Mitgliedstaat ohne Aufenthaltsverfestigung zu prüfen.

55

Werden diese Erwartungen enttäuscht und bleibt der tatsächliche Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland nach Ablauf von sechs Monaten bestehen, tritt im Regelfall eine Aufenthaltsverfestigung ein, der nach geltendem Recht ausländerbehördlich entgegengetreten werden kann. Bestand nie eine Freizügigkeitsberechtigung wegen eines Aufenthalts zur Arbeitsuche oder besteht diese nach Ablauf von sechs Monaten mangels begründeter Aussichten, eingestellt zu werden, nicht mehr, kann durch die Ausländerbehörde der Verlust der Freizügigkeitsberechtigung durch Verwaltungsakt festgestellt werden (Verlustfeststellung nach § 5 Abs 4 S 1 FreizügG/EU). Erst die förmliche Verlustfeststellung begründet nach § 7 Abs 1 S 1 FreizügG/EU die sofortige Ausreisepflicht, wenn nicht Rechtsschutz in Anspruch genommen wird(vgl BT-Drucks 16/5065 S 211 zu Art 2 Nr 8 Buchst a Doppelbuchst aa). In tatsächlicher Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass von der rechtlichen Möglichkeit der Verlustfeststellung nur in geringem Umfang Gebrauch gemacht wird (Thym, NZS 2014, 81, 87; BT-Drucks 17/13322 S 19). Zur Prüfung der Voraussetzungen einer Verlustfeststellung kann die zuständige Ausländerbehörde im Übrigen nach § 5 Abs 2 S 1 FreizügG/EU bereits frühzeitig, nämlich drei Monate nach der Einreise, verlangen, dass die Voraussetzungen nach § 2 Abs 1 FreizüG/EU glaubhaft gemacht werden.

56

Ist hiernach typisierend von einer Aufenthaltsverfestigung auszugehen, ist die Ermessenausübung jedoch daran zu messen, dass der Rechtsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt im Sozialhilferecht ansonsten weder nach dem Grund der Einreise, noch nach Berechtigung oder Dauer des Aufenthalts fragt. Bei der Leistungsgewährung nach dem SGB XII kommt es in erster Linie auf die Tatsache einer gegenwärtigen Hilfebedürftigkeit an (BSG vom 10.11.2011 - B 8 SO 12/10 R - SozR 4-3500 § 30 Nr 4 RdNr 26; BVerwG vom 2.6.1965 - V C 63.64 - BVerwGE 21, 208, 211; vgl auch Berlit in Berlit/Conradis/Sartorius, Existenzsicherungsrecht, 2. Aufl 2013, Kap 7 RdNr 24). Es reicht nach dem Wortlaut des § 23 Abs 1 S 1 SGB XII allein der tatsächliche Aufenthalt in Deutschland aus. Dem Leistungsberechtigten, der über kein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche mehr verfügt und "erst-recht" von dem Rechtsanspruch auf "Sozialhilfeleistungen" iS des § 23 Abs 1 S 1 SGB XII ausgeschlossen ist, mangelt es wie jedem anderen Ausländer, der sich tatsächlich im Inland aufhält - zunächst einmal ohne Freizügigkeits- oder Aufenthaltsberechtigung - an einer Aufenthaltsperspektive. Um den Gleichklang mit Letzterem zu erreichen, ist es folgerichtig, zumindest im Hinblick auf die Hilfe zum Lebensunterhalt durch eine Ermessensreduktion, bei verfestigtem Aufenthalt zu denselben Leistungen zu gelangen. Dieses nach Ablauf von regelmäßig sechs Monaten durch ein Vollzugsdefizit des Ausländerrechts bewirkte Faktum eines verfestigten tatsächlichen Aufenthalts des Unionsbürgers im Inland ist unter Berücksichtigung auch der verfassungsrechtlichen Vorgaben kein zulässiges Kriterium, die Entscheidung über die Gewährung existenzsichernder Leistungen dem Grunde und der Höhe nach in das Ermessen des Sozialhilfeträgers zu stellen.

57

Das BVerfG hat in seiner Entscheidung zum AsylbLG (vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134) im Anschluss und in Weiterentwicklung der grundlegenden Entscheidung vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12)Grundlagen und Umfang des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums näher ausgeformt. Wenn Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlten, weil sie weder aus einer Erwerbstätigkeit noch aus eigenem Vermögen oder durch Zuwendungen Dritter zu erlangen seien, sei der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen dafür Hilfebedürftigen zur Verfügung stünden. Als Menschenrecht - und dies ist hier entscheidend - stehe dieses Grundrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhielten, gleichermaßen zu (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 159 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 89, unter Hinweis auf BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12). Eine pauschale Differenzierung nach dem Aufenthaltsstatus hat das BVerfG im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung der existenzsichernden Leistungen ausdrücklich abgelehnt (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 164 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 99). Insoweit komme es für eine abweichende Bedarfsbestimmung darauf an, ob etwa wegen eines nur kurzfristigen Aufenthalts konkrete Minderbedarfe gegenüber Hilfeempfängern mit Daueraufenthaltsrecht nachvollziehbar festgestellt und bemessen werden könnten. Hierbei sei etwa zu berücksichtigen, ob durch die Kürze des Aufenthalts Minderbedarfe durch Mehrbedarfe kompensiert werden könnten, die typischerweise gerade unter den Bedingungen eines nur vorübergehenden Aufenthalts anfielen. Dies lässt sich während des Bestehens eines Aufenthaltsrechts allein zum Zwecke der Arbeitsuche über die Ermessensleistung des § 23 Abs 1 S 3 SGB XII regulieren, nicht jedoch bei verfestigtem Aufenthalt. Denn ließen sich - so das BVerfG - tatsächlich spezifische Minderbedarfe bei einem nur kurzfristigen, nicht auf Dauer angelegten Aufenthalt feststellen, und wolle der Gesetzgeber die existenznotwendigen Leistungen für eine Personengruppe deshalb gesondert bestimmen, müsse er sicherstellen, dass die gesetzliche Umschreibung dieser Gruppe hinreichend zuverlässig tatsächlich nur diejenigen erfasse, die sich regelmäßig nur kurzfristig in Deutschland aufhielten. Eine Beschränkung auf etwaige Minderbedarfe für Kurzaufenthalte komme dann nicht mehr in Betracht, wenn der tatsächliche Aufenthalt die Spanne eines Kurzaufenthalts deutlich überschritten habe. Für diese Fälle sei ein zeitnaher Übergang zu den existenzsichernden Leistungen für Normalfälle vorzusehen (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 164 ff = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 99 ff). Dies begründet im Regelfall eine Ermessensreduktion auf Null und damit eine Anpassung der Hilfe zum Lebensunterhalt für diejenigen, die sich nicht nur kurzfristig im Inland aufhalten. Denn im Übrigen weist das BVerfG darauf hin, dass eine Regelung zur Existenzsicherung vor der Verfassung nur Bestand habe, wenn Bedarfe durch Anspruchsnormen gesichert würden (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 162 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 96).

58

Tatsächliche Hinweise darauf, dass von einer Ermessensreduzierung trotz des Zeitablaufs ausnahmsweise abzusehen ist, sind den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen. Derartige Umstände können insbesondere vorliegen, wenn die tatsächlichen Lebensumstände des Unionsbürgers darauf schließen lassen, dass er nicht auf Dauer im Inland verweilen wird. Gleiches gilt, wenn die Ausländerbehörde bereits konkrete Schritte zur Beendigung des Aufenthalts eingeleitet hat. Demgegenüber haben sich die Kläger im streitigen Zeitraum bereits mehr als zwei Jahre in Deutschland aufgehalten, ohne dass derartige Maßnahmen im Raum standen.

59

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben unberührt. Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Die Einschränkungen nach Satz 1 gelten nicht für Ausländer, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind und sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten. Rechtsvorschriften, nach denen außer den in Satz 1 genannten Leistungen auch sonstige Sozialhilfe zu leisten ist oder geleistet werden soll, bleiben unberührt.

(2) Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes erhalten keine Leistungen der Sozialhilfe.

(3) Ausländer und ihre Familienangehörigen erhalten keine Leistungen nach Absatz 1 oder nach dem Vierten Kapitel, wenn

1.
sie weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt oder
3.
sie eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen.
Satz 1 Nummer 1 und 3 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Hilfebedürftigen Ausländern, die Satz 1 unterfallen, werden bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen); die Zweijahresfrist beginnt mit dem Erhalt der Überbrückungsleistungen nach Satz 3. Hierüber und über die Möglichkeit der Leistungen nach Absatz 3a sind die Leistungsberechtigten zu unterrichten. Die Überbrückungsleistungen umfassen:
1.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege,
2.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe nach § 35 und § 35a, einschließlich der Bedarfe nach § 30 Absatz 7,
3.
die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen und
4.
Leistungen nach § 50 Nummer 1 bis 3.
Soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, werden Leistungsberechtigten nach Satz 3 zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von Absatz 1 gewährt; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist. Abweichend von Satz 1 Nummer 2 erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach Absatz 1 Satz 1 und 2, wenn sie sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 7 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des tatsächlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Ausländerrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(3a) Neben den Überbrückungsleistungen werden auf Antrag auch die angemessenen Kosten der Rückreise übernommen. Satz 1 gilt entsprechend, soweit die Personen allein durch die angemessenen Kosten der Rückreise die in Absatz 3 Satz 5 Nummer 1 und 2 genannten Bedarfe nicht aus eigenen Mitteln oder mit Hilfe Dritter decken können. Die Leistung ist als Darlehen zu erbringen.

(4) Ausländer, denen Sozialhilfe geleistet wird, sind auf für sie zutreffende Rückführungs- und Weiterwanderungsprogramme hinzuweisen; in geeigneten Fällen ist auf eine Inanspruchnahme solcher Programme hinzuwirken.

(5) Hält sich ein Ausländer entgegen einer räumlichen Beschränkung im Bundesgebiet auf oder wählt er seinen Wohnsitz entgegen einer Wohnsitzauflage oder einer Wohnsitzregelung nach § 12a des Aufenthaltsgesetzes im Bundesgebiet, darf der für den Aufenthaltsort örtlich zuständige Träger nur die nach den Umständen des Einzelfalls gebotene Leistung erbringen. Unabweisbar geboten ist regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des Bedarfs für die Reise zu dem Wohnort, an dem ein Ausländer seinen Wohnsitz zu nehmen hat. In den Fällen des § 12a Absatz 1 und 4 des Aufenthaltsgesetzes ist regelmäßig eine Reisebeihilfe zu dem Ort im Bundesgebiet zu gewähren, an dem der Ausländer die Wohnsitznahme begehrt und an dem seine Wohnsitznahme zulässig ist. Der örtlich zuständige Träger am Aufenthaltsort informiert den bislang örtlich zuständigen Träger darüber, ob Leistungen nach Satz 1 bewilligt worden sind. Die Sätze 1 und 2 gelten auch für Ausländer, die eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 23a, 24 Absatz 1 oder § 25 Absatz 4 oder 5 des Aufenthaltsgesetzes besitzen, wenn sie sich außerhalb des Landes aufhalten, in dem der Aufenthaltstitel erstmals erteilt worden ist. Satz 5 findet keine Anwendung, wenn der Wechsel in ein anderes Land zur Wahrnehmung der Rechte zum Schutz der Ehe und Familie nach Artikel 6 des Grundgesetzes oder aus vergleichbar wichtigen Gründen gerechtfertigt ist.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. November 2009 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Revisionsverfahren.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1.3.2009 bis zum 11.11.2009. Zwischen den Beteiligten ist insbesondere streitig, ob der Kläger als französischer Staatsangehöriger von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist, weil sich sein Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt.

2

Der 1971 geborene Kläger reiste am 18.12.2007 in die Bundesrepublik ein. Der französische Träger der Arbeitslosenversicherung hatte ihm zuvor auf dem Vordruck E 303 bescheinigt, dass er unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit habe. Seit diesem Tag wohnt er in Berlin. Der Kläger meldete sich am 28.1.2008 bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) arbeitslos und bezog zunächst bis zum 17.3.2008 Arbeitslosengeld. In der Folgezeit erhielt er ab dem 28.4.2008 und - bis auf wenige Tage Unterbrechung - bis zum 28.2.2009 Arbeitslosengeld II (Alg II). Seit dem 2.6.2008 ist er im Besitz einer Bescheinigung nach § 5 des Gesetzes über die Allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern(Freizügigkeitsgesetz/EU ).

3

Vom 1.2.2008 bis zum 23.6.2008 übte der Kläger eine Tätigkeit als Handwerkshelfer mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 7,5 Stunden und einem monatlichen Entgelt von 100 Euro aus. Das Arbeitsverhältnis endete nach einer Kündigung durch den Arbeitgeber. Zum 1.1.2009 meldete der Kläger ein Gewerbe "An- u. Verkauf, Trödel-Kafé, Kaffeeausschank" an. Da jedoch kein Vertrag über die Anmietung der Geschäftsräume zustande kam, zerschlug sich das Geschäftsgründungsvorhaben am 5.1.2009. Die Abmeldung des Gewerbes erfolgte erst im April 2009 "rückwirkend" zum 1.1.2009.

4

Am 9.2.2009 stellte der Kläger bei dem Beklagten einen Fortzahlungsantrag für den Zeitraum ab dem 1.3.2009. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 31.3.2009 und Widerspruchsbescheid vom 27.7.2009 mit der Begründung ab, der Kläger sei nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II inzwischen von Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen, weil er alleine wegen seiner Eigenschaft als Arbeitsuchender freizügigkeitsberechtigt sei. Nach dem Ende seiner Beschäftigung sei er gemäß § 2 Abs 3 Satz 2 FreizügG/EU nur für die Dauer von weiteren sechs Monaten leistungsberechtigt nach dem SGB II gewesen.

5

Die Klage blieb ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts vom 20.10.2009). Auf die Berufung des Klägers haben sich die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht (LSG) am 11.11.2009 hinsichtlich der Kosten der Unterkunft verglichen. Im Übrigen hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und den Beklagten unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verurteilt, dem Kläger Alg II in Form der Regelleistung für die Zeit vom 1.3.2009 bis zum 11.11.2009 dem Grunde nach zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger sei leistungsberechtigt nach dem SGB II. Dem stehe der Leistungsausschluss in § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II nicht entgegen. Zwar ergebe sich das Aufenthaltsrecht des Klägers im streitigen Zeitraum alleine aus dem Zweck der Arbeitsuche (§ 2 Abs 2 Nr 1 Alt 2 FreizügG/EU). Ein Wegfall dieses Aufenthaltsrechts komme nur dann in Betracht, wenn aufgrund objektiver Umstände davon auszugehen sei, dass der Unionsbürger keinerlei ernsthafte Absichten verfolge, eine Beschäftigung aufzunehmen. Davon könne im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden. Auch könne letztlich dahinstehen, ob der Leistungsausschluss wegen Verstoßes gegen europäisches Gemeinschaftsrecht unanwendbar sei. Dies hänge maßgeblich davon ab, ob Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II als "Sozialhilfe" im Sinne von Art 24 Abs 2 der so genannten Unionsbürgerrichtlinie ( Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004, ABl 2004 L Nr 158, 77) anzusehen seien. Diese Frage bedürfe hier aber keiner abschließenden Entscheidung, weil der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II für solche Hilfebedürftigen einschränkend auszulegen sei, die durch das Europäische Fürsorgeabkommen( vom 11.12.1953 BGBl II 1956, 564) begünstigt würden. Nach Art 1 EFA habe der Kläger danach Anspruch auf "Fürsorge" wie ein deutscher Staatsangehöriger, der sich im Inland gewöhnlich aufhalte. Als Leistungen der Fürsorge seien nach dem Außerkrafttreten des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) am 31.12.2004 nicht nur die im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), sondern auch die im SGB II für Hilfebedürftige geregelten Leistungen anzusehen. Unerheblich sei, dass die Bundesrepublik Deutschland entgegen der sich aus Art 16 Abs a) und b) des EFA ergebenden Verpflichtung dem Generalsekretär des Europarates das Außerkrafttreten des BSHG bislang nicht mitgeteilt habe, weil die im Anhang I des Abkommens genannte Aufzählung der entsprechenden Fürsorgegesetze lediglich eine klarstellende Bedeutung zukomme. Auch sei nicht entscheidungserheblich, ob das EFA zur Vermeidung von Wanderungsbewegungen aus einem Sozialleistungssystem in ein anderes nur auf diejenigen Ausländer Anwendung finde, die sich zur Zeit des Eintritts der Hilfebedürftigkeit bereits in dem um Hilfe angegangenen Staat erlaubt aufhielten, weil der Kläger zum Zeitpunkt der Einreise noch über ausreichende Mittel zur Existenzsicherung verfügte habe.

6

Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner vom LSG zugelassenen Revision. Er rügt eine Verletzung des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II und weist darauf hin, dass der Leistungsausschluss der Umsetzung des in Art 24 Abs 2 UBRL geregelten Vorbehalts diene. Diese Regelungen seien neuer und damit vorrangig vor dem EFA aus dem Jahr 1953. Zwar handele es sich bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II um "Sozialhilfe" iS des Art 24 Abs 2 UBRL. Das SGB II könne aber neben dem SGB XII gleichwohl nicht als "weiteres" Nachfolgegesetz zum BSHG angesehen werden. Denn im Wesentlichen habe das SGB II die Nachfolge der zuvor im Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) geregelten Arbeitslosenhilfe (Alhi) angetreten. Die Alhi aber sei dem EFA nicht unterfallen. Im Übrigen finde das EFA nur auf die im Anhang von den Vertragsstaaten gemeldeten nationalen Fürsorgegesetze Anwendung.

7

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. November 2009 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Oktober 2009 zurückzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er hält das mit der Revision angegriffene Urteil für zutreffend und weist ergänzend darauf hin, dass ein Anspruch auch dann bestünde, wenn er nicht durch das EFA begünstigt würde. Denn der Leistungsausschluss verstoße auch gegen europäisches Primärrecht. Bei den Leistungen nach dem SGB II handele es sich um finanzielle Leistungen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats erleichtern sollen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) sei insoweit das Gleichbehandlungsgebot zu beachten.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision ist unbegründet.

11

Das LSG hat zutreffend entschieden, dass dem Kläger für den Zeitraum vom 1.3.2009 bis zum 11.11.2009 ein Anspruch auf Gewährung der Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zusteht. Der Kläger erfüllt die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II(dazu unter 2). Seinem Anspruch steht der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II nicht entgegen(dazu unter 3).

12

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 31.3.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.7.2009, mit dem der Beklagte die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit ab dem 1.3.2009 abgelehnt hat. Der streitige Zeitraum erstreckt sich in Fällen ablehnender Verwaltungsentscheidungen bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht (vgl nur Urteil des Senats vom 7.5.2009 - B 14 AS 41/07 R - juris mwN), hier also bis zum 11.11.2009. Die Beteiligten haben darüber hinaus den Streitgegenstand im Berufungsverfahren zulässigerweise beschränkt, indem sie über die Kosten der Unterkunft einen Teilvergleich abgeschlossen haben (vgl zur Zulässigkeit einer solchen Begrenzung des Streitgegenstandes nur BSGE 97, 217, 223 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, jeweils RdNr 19 sowie zuletzt Urteil des Senats vom 21.12.2009 - B 14 AS 42/08 R -, zur Veröffentlichung vorgesehen).

13

2. Der Kläger erfüllt nach den Feststellungen des LSG die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II. Er ist gemäß § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 2 iVm § 8 SGB II erwerbsfähig und - nach den den Senat bindenden Feststellungen des LSG(§ 163 Sozialgerichtsgesetz) - auch hilfebedürftig gemäß § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3 iVm § 9 SGB II. Der Kläger verfügt gemäß § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB II iVm § 30 Abs 3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) auch über einen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Er ist bereits Ende 2007 in die Bundesrepublik eingereist. Seitdem hält er sich hier unter Umständen auf, die erkennen lassen, dass er nicht nur vorübergehend verweilt. Offen bleiben kann hier, ob der an tatsächlichen Umständen zu messende Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes bei Ausländern durch zusätzliche rechtliche Voraussetzungen eingeschränkt wird (BSG SozR 3-2600 § 56 Nr 7 S 34). Zur alten Rechtslage bis zum 1.4.2006 hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, dass Ausländer, die tatsächlich dauerhaft im Inland verweilen, nur dann einen gewöhnlichen Aufenthalt haben, wenn sie sich berechtigterweise hier aufhalten (BSG aaO; BSGE 65, 261, 263 f = SozR 7833 § 1 Nr 7; vgl - speziell zu § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB II - auch BSGE 98, 243, 246 f = SozR 4-4200 § 12 Nr 4, jeweils RdNr 19; Valgolio in Hauck/Noftz, Stand Juni 2010, § 7 SGB II RdNr 95; kritisch zu der Verrechtlichung des rein tatsächlichen Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 7 RdNr 11).

14

Dass der Kläger sich rechtmäßig in der Bundesrepublik aufhält, ergibt sich bereits daraus, dass er über eine Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 FreizügG/EU verfügt(aA Hessisches LSG, FEVS 59, 110, 115 f). Gegen eine Rechtmäßigkeit des Aufenthalts spricht auch nicht, dass dieser Bescheinigung nach dem Wortlaut der Vorschrift ("… über das Aufenthaltsrecht ausgestellt") nur deklaratorischer Charakter im Hinblick auf das sich unmittelbar aus Gemeinschaftsrecht ergebende Freizügigkeitsrecht zukommt (vgl nur statt aller Geyer in HK-AuslR, 2008, § 5 FreizügG/EU RdNr 1)und es sich um keinen Aufenthaltstitel handelt (vgl § 2 Abs 4 Satz 1 FreizügG/EU). Denn es entspricht der gesetzlichen Konzeption des Freizügigkeitsrechts, von der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts auszugehen, solange die Ausländerbehörde nicht von ihrer Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, den Verlust oder das Nichtbestehen des Aufenthaltsrechts nach § 5 Abs 5 FreizügG/EU festzustellen und die Bescheinigung über das gemeinschaftsrechtliche Aufenthaltsrecht einzuziehen(so auch die gesetzliche Begründung zum Zuwanderungsgesetz, vgl BT-Drucks 15/420, 106; vgl auch die Hinweise der Bundesagentur für Arbeit zu § 7 SGB II in der Fassung vom 20.1.2010, Ziffer 7.2d, sowie Ziffer 5.5.1.3. der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Freizügigkeitsgesetz/EU vom 26.10.2009, GMBl 2009, 1270). Die Ausreisepflicht nach § 7 Abs 1 Satz 1 FreizügG/EU wird erst mit dieser Verlustfeststellung begründet.

15

3. Der Kläger ist auch nicht nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift sind ausgenommen von Leistungen nach dem SGB II zunächst Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbstständige noch auf Grund des § 2 Abs 3 des FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, des Weiteren Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen sowie zuletzt Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG).

16

Der Kläger ist als französischer Staatsangehöriger Ausländer im Sinne dieser Vorschrift. Er ist aber nicht leistungsberechtigt nach § 1 AsylbLG und hält sich nach den Feststellungen des LSG bereits seit Ende des Jahres 2007 in der Bundesrepublik auf. Er ist auch nicht deswegen nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen, weil sich sein Aufenthaltsrecht alleine aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt(dazu unter a). Denn dieser Leistungsausschluss ist auf den Kläger als Staatsangehörigen eines Vertragsstaates des EFA vom 11.12.1953 (BGBl II 1956, 564) nicht anwendbar (dazu unter b).

17

a) Das Aufenthaltsrecht des Klägers ergibt sich gemäß § 2 Abs 2 Nr 1 Alt 2 FreizügG/EU alleine aus dem Zweck der Arbeitsuche. Denn auf ein anderes Aufenthaltsrecht, das - wie sich aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt ("Aufenthaltsrecht […] allein aus dem Zweck der Arbeitsuche"; vgl auch BT-Drucks 16/688, 13) - den Leistungsausschluss von vornherein entfallen lassen würde, kann sich der Kläger nicht berufen.

18

Der Kläger ist insbesondere nicht als Arbeitnehmer, Selbstständiger oder Nicht-Erwerbstätiger freizügigkeitsberechtigt. Auch steht ihm (noch) kein Daueraufenthaltsrecht zu. Als "Arbeitnehmer" im Sinne von § 2 Abs 2 Nr 1 Alt 1 FreizügG/EU ist der Kläger nicht (mehr) aufenthaltsberechtigt. Während seiner Tätigkeit als Handwerkshelfer war er es, weil auch derjenige Arbeitnehmer im Sinne des Freizügigkeitsrechts ist, der nur über ein geringfügiges, das Existenzminimum nicht deckendes, Einkommen verfügt. Nach der Rechtsprechung des EuGH zu Art 39 EG (hier anwendbar in der Fassung des Vertrages von Nizza, BGBl II 2001, 1666 - der Vertrag von Lissabon ist erst zum 1.12.2009 in Kraft getreten, BGBl II 2009, 1223) fällt jeder Arbeitnehmer, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt - mit Ausnahme derjenigen Arbeitnehmer, deren Tätigkeit einen so geringen Umfang hat, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellt - unter die Vorschriften über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (vgl ua EuGH, Rs 139/85 [Kempf], Slg 1986, 1741 [Rz 9 ff]; Rs 53/81 [Levin], Slg 1982, 1035 [Rz 17]; C-213/05 [Geven], Slg 2007, I-6347 [Rz 16]; so nun auch Ziffer 2.2.1.1. der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des BMI zum FreizügG/EU; vgl zum gemeinschaftsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff ausführlich Epe in GK-AufenthG, § 2 FreizügG/EU RdNr 31 ff mwN). Zwar blieb dem Kläger gemäß § 2 Abs 3 Satz 2 FreizügG/EU seine Erwerbstätigeneigenschaft und damit sein Freizügigkeitsrecht "als Arbeitnehmer" für die Dauer von sechs Monaten nach der arbeitgeberseitigen Kündigung erhalten. Dieser Zeitraum war aber bereits abgelaufen, als er für den hier streitgegenständlichen Zeitraum Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes beantragte.

19

Dem Kläger stand auch zu keinem Zeitpunkt ein Aufenthaltsrecht als selbstständig Tätiger nach § 2 Abs 1 Nr 2 FreizügG/EU zu. Dies setzt voraus, dass eine Tätigkeit als Selbstständiger im Aufnahmemitgliedstaat tatsächlich ausgeübt wird (vgl Art 7 Abs 1 Buchst a Alt 2 UBRL). Zwar ist auch insoweit nicht erforderlich, dass der Gewinn aus der selbstständigen Tätigkeit das notwendige Existenzminimum deckt (vgl zuletzt zB OVG Bremen Beschluss vom 21.6.2010 - 1 B 137/10 - juris). Voraussetzung ist aber nach Art 43 EGV, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit auf unbestimmte Zeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat tatsächlich ausgeübt wird (EuGH, C-221/89 [Factortame], Slg 1991, I-3905 [Rz 20]), sodass alleine ein formaler Akt (EuGH, aaO, Rz 21; Bröhmer in Calliess/Ruffert, EUV/EGV, 3. Aufl 2007, Art 43 EG RdNr 12), wie die Registrierung eines Gewerbes nicht ausreichend ist. Ein weitergehendes Stadium aber hat die selbstständige Tätigkeit des Klägers nicht erreicht.

20

Der Kläger ist darüber hinaus nicht als Nicht-Erwerbstätiger, zu denen freizügigkeitsberechtigte Arbeitsuchende nicht zählen, nach § 2 Abs 2 Nr 5 iVm § 4 Satz 1 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt, weil es ihm insoweit an ausreichenden Existenzmitteln fehlt. Schließlich hat der Kläger auch noch kein Daueraufenthaltsrecht nach § 2 Abs 2 Nr 7 iVm § 4a FreizügG/EU erworben.

21

b) Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II ist allerdings hier deswegen nicht anwendbar, weil der Kläger sich auf das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 EFA berufen kann(ebenso LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 14.1.2008 - L 8 SO 88/07 ER - FEVS 59, 369, 373 ff; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 14.1.2010 - L 14 AS 1565/09 B ER - juris; SG Berlin Urteil vom 25.3.2010 - S 26 AS 8114/08 - juris; Brühl/Schoch in LPK-SGB II, 3. Aufl 2009, § 7 RdNr 35; Valgolio in Hauck/Noftz, § 7 SGB II RdNr 128, Stand Juni 2010; aA Bayerisches LSG Beschluss vom 4.5.2009 - L 16 AS 130/09 B ER - juris; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 23.12.2009 - L 34 AS 1350/09 B ER - juris; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 25.11.2008 - L 5 B 801/08 AS ER - juris; SG Reutlingen Urteil vom 29.4.2008 - S 2 AS 2952/07 - juris; Schumacher in Oestreicher, SGB II/SGB XII, Stand Februar 2010, § 7 SGB II, RdNr 11a; offen gelassen von LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 26.2.2010 - L 6 B 154/09 AS ER - juris; LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 16.7.2008 - L 19 B 111/08 AS ER - juris; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 11.1.2010 - L 25 AS 1831/09 B ER - juris; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 30.5.2008 - L 14 B 282/08 AS ER - juris).

22

Nach Art 1 des Abkommens, das unter anderem die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich (und daneben Belgien, Dänemark, Estland, Griechenland, Irland, Island, Italien, Luxemburg, Malta, Niederlande, Norwegen, Portugal, Schweden, Spanien, die Türkei und Großbritannien) unterzeichnet haben, ist jeder der Vertragschließenden verpflichtet, den Staatsangehörigen der anderen Vertragsstaaten, die sich in irgendeinem Teil seines Gebietes, auf das dieses Abkommen Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und Gesundheitsfürsorge zu gewähren, die in der in diesem Teil seines Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind.

23

Bei dieser Vorschrift handelt es sich um unmittelbar geltendes Bundesrecht (dazu unter aa), dessen Anwendbarkeit im konkreten Fall insbesondere kein jüngeres und deshalb vorrangig anzuwendendes Recht entgegensteht (dazu unter bb). Darüber hinaus steht seiner Anwendung nicht entgegen, dass inzwischen an die Stelle des Abkommens europäisches Koordinationsrecht getreten wäre (dazu unter cc). Auch liegen im Einzelnen die Voraussetzungen des Gleichbehandlungsgebots nach Art 1 EFA vor. Denn bei der beanspruchten Regelleistung nach § 20 SGB II handelt es sich um Fürsorge im Sinne des EFA(dd). Die Vorschrift des § 20 SGB II findet in Ermangelung eines von der Bundesrepublik abgegebenen Vorbebehalts auch auf die Staatsangehörigen der anderen Vertragsstaaten Anwendung(ee). Der Kläger hält sich in der Bundesrepublik zudem erlaubt im Sinne von Art 1 EFA auf (ff). Das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 EFA findet schließlich auch nicht alleine auf solche Staatsangehörige anderer Vertragsstaaten Anwendung, die sich bereits vor Eintritt der Hilfebedürftigkeit im Aufenthaltsstaat aufgehalten haben (gg).

24

aa) Der Kläger kann sich auf Art 1 EFA als unmittelbar geltendes Bundesrecht berufen. Der Bundestag hat mit dem mit Zustimmung des Bundesrats beschlossenen Gesetz vom 15.5.1956 (BGBl II 563) dem Europäischen Fürsorgeabkommen zugestimmt (vgl Art 59 Abs 2 Satz 1 Grundgesetz ) und dadurch dessen Inhalt insoweit in innerstaatlich anwendbares, Rechte und Pflichten des Einzelnen begründendes (revisibles) Bundesrecht transformiert, als die Vertragsbestimmungen nach Wortlaut, Zweck und Inhalt wie innerstaatliche Gesetzesvorschriften rechtliche Wirkungen auszulösen geeignet sind (vgl BVerfGE 29, 348, 360; BVerwGE 44, 156, 160). Dies trifft auf den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 1 des EFA zu (so auch Bundesverwaltungsgericht Urteil vom 18.5.2000 - 5 C 29/98 - BVerwGE 111, 200, 201; Urteil vom 14.3.1985 - 5 C 145/83 - BVerwGE 71, 139, 142; LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 14.1.2008 - L 8 SO 88/07 ER - FEVS 59, 369; OVG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 13.12.1999 - 16 A 5587/97 - juris; vgl auch Bayerischer VGH, FEVS 48, 74 ff; OVG Lüneburg, FEVS 49, 118, 119; Hessischer VGH, FEVS 51, 190 ff; Schraml, Das Sozialhilferecht der Ausländerinnen und Ausländer, 1992, S 75; Schuler, Der Einfluss des Europäischen Fürsorgeabkommens auf den sozialhilfe- und aufenthaltsrechtlichen Status der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Ausländer in Barwig/Lörcher/Schumacher , Familiennachzug von Ausländern auf dem Hintergrund völkerrechtlicher Verträge, S 67, 69; aA Kokott, Die Staatsangehörigkeit als Unterschiedsmerkmal für soziale Rechte von Ausländern in Hailbronner , Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts, S 25, 33).

25

bb) Entgegen der Ansicht der Revision ist das EFA auch nicht in dem Sinne "überholt", dass seiner Anwendung neuere, denselben Sachverhalt regelnde gesetzliche Vorschriften entgegenstehen. Das Völkervertragsrecht wird gemäß Art 59 Abs 2 GG im Range von Bundesgesetzen umgesetzt. Aus dieser Rangzuweisung folgt, dass deutsche Gerichte das EFA wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden haben (so BVerfGE 111, 307 ff zur Europäischen Menschenrechtskonvention ). Innerstaatliches Recht ist grundsätzlich so auszulegen, dass ein Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nicht entsteht. Dies entspricht dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes (vgl BVerfG aaO sowie BVerfGE 58, 1, 34; 59, 63, 89). Das einfache (Sozial-)Recht bietet darüber hinaus mit § 30 Abs 2 SGB I eine Vorschrift zur Lösung von möglichen Konflikten zwischen nationalem Recht und (transformiertem) Völkerrecht. § 30 Abs 2 SGB I beschränkt sich nicht auf die Regelung des gewöhnlichen Aufenthalts, sondern beinhaltet einen allgemeinen Rechtsgrundsatz(BSG, InfAuslR 2001, 181, 182; BSGE 52, 210, 213 = SozR 6180 Art 13 Nr 3 S 10). Bereits aus diesem Grund steht der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II entgegen der Ansicht der Revision der Verpflichtung zur Gleichbehandlung nach dem EFA nicht entgegen.

26

Im Übrigen hat das LSG zu Recht darauf hingewiesen, dass Art 1 EFA im Hinblick auf den persönlichen Anwendungsbereich spezieller ist. Die Vorschrift richtet sich gerade nicht an alle Ausländer (deren Aufenthaltsrecht sich aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt), sondern nur an Staatsangehörige der Vertragsstaaten. Darüber hinaus sind Gesetze auch dann im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland auszulegen und anzuwenden, wenn sie zeitlich später erlassen worden sind als ein geltender völkerrechtlicher Vertrag. Es ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet hat, von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland abweichen oder die Verletzung solcher Verpflichtungen ermöglichen will (vgl BVerfGE 74, 358, 370 sowie - speziell zum EFA - BVerwGE 111, 200, 211). Ein solcher gesetzgeberischer Wille des späteren Gesetzgebers zur Abweichung vom EFA ist hier nicht erkennbar. Des Weiteren überzeugt auch das Argument der Revision nicht, § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II sei deshalb vorrangig vor dem EFA, weil § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II der Umsetzung des Art 24 Abs 2 UBRL diene(BT-Drucks 16/688 S 13), einer Vorschrift, an der sowohl Frankreich als auch die Bundesrepublik beteiligt waren (so aber auch LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 15.4.2010 - L 13 AS 1124/10 ER-B - juris). Es ist nichts dafür ersichtlich, dass diejenigen Mitglieder des Rats der Europäischen Union, die zugleich Vertragsstaaten des EFA sind, mit der in Art 24 Abs 2 UBRL eingeräumten Möglichkeit der nur beschränkten Leistung von Sozialhilfe an Freizügigkeitsberechtigte zugleich für ihren Zuständigkeitsbereich ein Abkommen des Europarats außer Kraft setzen wollten.

27

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass das EFA selbst den Konfliktfall bereits regelt: Nach Art 18 EFA stehen die Bestimmungen des Abkommens solchen nationalen Vorschriften nicht entgegen, die für die Beteiligten günstiger sind. Dass eine Abweichung vom EFA zu Lasten des durch das EFA geschützten Personenkreises damit nicht zulässig ist, liegt dabei auf der Hand. Wenn die Bundesrepublik die sich aus dem EFA ergebenden Verpflichtungen nicht mehr tragen will, steht ihr nach Art 24 EFA die Möglichkeit offen, das Abkommen innerhalb der dort genannten Frist zu kündigen. Hiervon hat sie bislang keinen Gebrauch gemacht.

28

cc) Der Anwendbarkeit des EFA steht das koordinierende Sekundärrecht der Europäischen Union nicht entgegen (so aber Bayerisches LSG Beschluss vom 12.3.2008 - L 7 B 1104/07 AS ER - FEVS 60, 178).Gemeinschaftsrechtlicher Maßstab für den hier streitgegenständlichen Zeitraum (1.3.2009 bis 11.11.2009) ist die Kollisionsregel des Art 6 der "alten" Wanderarbeitnehmerverordnung EWG Nr 1408/71, weil die Nachfolgeverordnung (EG) Nr 883/2004 vom 29.4.2004 (ABl 2004 Nr L 166, 1 ff) gemäß deren Art 91 Satz 2 erst ab dem Inkrafttreten einer Durchführungsverordnung galt. Die Verordnung (EG) Nr 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.9.2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ist aber erst am 1.5.2010 in Kraft (Art 97 der VO Nr 987/2009) getreten. Nach der Kollisionsregel in Art 6 EWGV 1408/71 tritt die Verordnung im Rahmen ihres persönlichen und sachlichen Geltungsbereichs an die Stelle bestimmter (völkerrechtlicher) Abkommen über die soziale Sicherheit.

29

Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unterfallen entweder gemäß Art 4 Abs 2a EWGV 1408/71 iVm dem Anhang IIA, Buchst E - entgegen dem Anwendungsausschluss für die Sozialhilfe nach Art 4 Abs 4 EWGV 1408/71 und mit konstitutiver Wirkung (vgl EuGH, Rs C-20/96 [Snares], Slg 1997, I-6082 [Rz 30]; differenzierend Rs C-215/99 [Jauch], Slg 2001, I-1901 [Rz 21] = SozR 3-6050 Art 10a Nr 1 S 5 f) - als so genannte besondere beitragsunabhängige Geldleistungen (so genannte "Mischleistungen", dazu ausführlich Beschorner, ZESAR 2009, 320 ff) bzw - soweit dem Grunde nach die Voraussetzungen nach § 24 Abs 1 SGB II vorliegen - als Leistungen bei Arbeitslosigkeit gemäß Art 4 Abs 1 Buchst g EWGV 1408/71 dem sachlichen Anwendungsbereich dieser Verordnung.

30

Ob auch der persönliche Anwendungsbereich der Verordnung eröffnet ist, bedarf dagegen keiner Entscheidung. Denn die Kollisionsregel des Art 6 EWGV 1408/71 greift hier ohnehin nicht ein. Die Kollisionsregel des Art 6 EWGV 1408/71 ist nämlich nur anwendbar auf "Abkommen über die soziale Sicherheit", worunter nach der Begriffsbestimmung des Art 1 Buchst k) EWGV 1408/71 nur Vereinbarungen für die in Art 4 Abs 1 und 2 der Verordnung bezeichneten Zweige und Systeme zu verstehen sind. Art 4 Abs 2a VO 1408/71 ist dort gerade nicht genannt.

31

Darüber hinaus gilt die Kollisionsregel des Art 6 EWGV ohnehin nicht schrankenlos. Vielmehr kann es gemeinschaftsrechtlich geboten sein, eine Günstigkeitsprüfung vorzunehmen (EuGH, Rs C-227/89 [Rönfeldt], Slg 1991, I-323 [Rz 29] = SozR 3-6030 Art 48 Nr 3 S 8; ausführlich Steinmeyer in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 4. Aufl 2005, Art 6 VO 1408/71 RdNr 10 ff). Weiterhin erscheint es zweifelhaft, ob Abkommen des Europarats überhaupt unter die Kollisionsregel fallen (vgl insoweit Steinmeyer, aaO, Art 7 VO 1408/71 RdNr 1; allerdings zu der ausdrücklich in die Verordnung aufgenommenen Ausnahmeregelung des Art 7 Abs 1 Buchst b im Hinblick auf das sog Vorläufige Europäische Abkommen vom 11.12.1953 über die soziale Sicherheit). Hinzu kommt, dass nichts dafür spricht, dass die EWGV 1408/71, für die sich vor allem die Notwendigkeit der Klärung des Verhältnisses zwischen Koordinationsrecht und Sozialversicherungsabkommen ergab, ein internationales Fürsorgeabkommen außer Kraft setzen wollte. Hier greift vielmehr der Anwendungsausschluss auf die Sozialhilfe nach Art 4 Abs 4 VO 1408/71.

32

dd) Bei der hier noch streitgegenständlichen (siehe oben 1.) Regelleistung nach § 20 SGB II handelt es sich um "Fürsorge" im Sinne von Art 1 EFA. Ausweislich der Begriffsbestimmung in Art 2 Abs a Nr i EFA meint "Fürsorge" im Sinne des Abkommens jede Fürsorge, die jeder der Vertragschließenden nach den in dem jeweiligen Teile seines Gebietes geltenden Rechtsvorschriften gewährt und wonach Personen ohne ausreichende Mittel die Mittel für ihren Lebensbedarf sowie die Betreuung erhalten, die ihre Lage erfordert. Ausgenommen sind beitragsfreie Renten und Leistungen zugunsten der Kriegsopfer und der Besatzungsgeschädigten. Nach Art 2 Abs b EFA sind die Rechtsvorschriften, die in den Gebieten der Vertragschließenden, auf die dieses Abkommen Anwendung findet, in Kraft sind, sowie die von den Vertragschließenden formulierten Vorbehalte in den Anhängen I und II zum Abkommen aufgeführt.

33

Die Regelleistung nach § 20 SGB II als Bestandteil der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach diesem Gesetz stellt ein solches, im Falle der Bedürftigkeit gewährtes "Mittel für den Lebensbedarf" dar(vgl auch Urteil des Senats vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 5/07 R - BSGE 99, 170 = SozR 4-4200 § 24 Nr 1, wo im Hinblick auf das SGB II von einer "steuerfinanzierten Fürsorgeleistung" die Rede ist; vgl auch BT-Drucks 15/1516 S 56: "nachrangige Fürsorgeleistung"). Denn das SGB II ist - anders als bis zum 1.1.2005 die Alhi als Lohnersatzleistung (vgl zuletzt § 195 SGB III) - ein bedarfsabhängiges Leistungssystem (vgl Urteil des Senats vom 31.10.2007 - B 14 AS 30/07 R - SozR 4-4200 § 24 Nr 2). Darüber hinaus ist die Fürsorgegesetzgebung in der Bundesrepublik nach dem Außerkrafttreten des BSHG zum 1.1.2005 auch nicht auf die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII (idR iVm § 42 Satz 1 SGB XII) beschränkt. Sozialhilfe und Grundsicherung für Arbeitsuchende unterscheiden sich zwar nach ihrem Adressatenkreis. Das SGB II verliert dadurch aber nicht seinen Charakter als Fürsorgegesetz.

34

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass im Anhang I zum EFA in der Fassung der Erklärung des ständigen Vertreters der Bundesrepublik Deutschland an den Generalsekretär des Europarats vom 26.10.2001 als anzuwendende Fürsorgegesetze noch immer (und entgegen der Verpflichtung der Bundesrepublik zur Mitteilung geänderter bzw neuer Rechtsvorschriften gemäß Art 16 Abs a und b EFA) das BSHG in der Fassung der Bekanntmachung vom 23.3.1994 (BGBl I 646, 2975), "zuletzt" geändert durch Art 12 des Gesetzes vom 13.9.2001 (BGBl I 2376, 2398), und die §§ 27, 32 bis 35 und 41 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII), jeweils iVm § 39 SGB VIII, sowie die §§ 3, 19 und 69 des Infektionsschutzgesetzes genannt werden. Denn die Aufzählung der Fürsorgegesetze in der Anlage I ist nicht konstitutiv (so auch BVerwG Urteil vom 18.5.2000 - 5 C 29/98 - BVerwGE 111, 200, 206; LSG Niedersachsen-Bremen, FEVS 59, 369, 374; Mangold/Pattar, VSSR 2008, 243, 261; aA Bayerisches LSG Beschluss vom 4.5.2009 - L 16 AS 130/09 B ER - juris, sowie Schumacher in Oestreicher, SGB II/SGB XII, Stand Februar 2010, § 7 SGB II, RdNr 11a). Dies entspricht auch der Rechtsansicht der Bundesregierung bei Ratifizierung des Abkommens (vgl die Denkschrift des BMI und des Bundesministers des Auswärtigen zum Europäischen Fürsorgeabkommen und dem Zusatzprotokoll, BT-Drucks 2/1882, 23: "Die Aufführung der Fürsorgegesetze im Anhang I dient der Klarstellung, damit sich die übrigen Vertragschließenden den notwendigen Überblick verschaffen können." Vgl darüber hinaus den am 21.11.2001 vom Ministerkomitee des Europarats verabschiedeten "Explanatory Report" zum EFA, Rz 49). Dafür spricht zuletzt Art 2 Abs a Nr ii EFA. Hiernach haben die Begriffe "Staatsangehörige" und "Gebiet" die Bedeutung, die ihnen von den Vertragschließenden in gesonderten Erklärungen zugewiesen werden. Demgegenüber definiert Art 2 Abs a Nr i EFA den Begriff der Fürsorge eigenständig (Mangold/Pattar, aaO, 260).

35

ee) Die Bundesrepublik Deutschland hat bis jetzt keinen Vorbehalt hinsichtlich der Anwendung des SGB II auf die Staatsangehörigen der anderen Vertragsstaaten abgegeben (vgl Art 16 Abs b Satz 2 EFA). Nach dem bislang abgegebenen Vorbehalt übernimmt die Bundesrepublik Deutschland keine Verpflichtung, die im BSHG "in der jeweils geltenden Fassung" vorgesehene Hilfe zum Aufbau oder zur Sicherung der Lebensgrundlage (vgl § 30 BSHG) und die dort vorgesehene Hilfe zur Überwindung besonderer sozialen Schwierigkeiten (vgl § 72 BSHG) an Staatsangehörige der übrigen Vertragsstaaten in gleicher Weise und unter den gleichen Bedingungen wie den eigenen Staatsangehörigen zu gewähren, ohne gleichwohl auszuschließen, dass diese Hilfen in geeigneten Fällen gewährt werden können (vgl Neubekanntmachung des Anhangs II zum EFA, BGBl II 2001, 1098). Es bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung, ob dieser Vorbehalt nach dem Außerkrafttreten des BSHG durch Gesetz vom 27.12.2003 (BGBl I 3022) mit Wirkung vom 1.1.2005 "dynamisch" im Sinne einer Anwendung auf die Nachfolgegesetzgebung anzuwenden ist. Denn bereits im Hinblick auf die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 2. Abschnitt des BSHG hatte sich die Bundesrepublik gerade nicht die Möglichkeit der Ungleichbehandlung der Staatsangehörigen der Vertragsstaaten vorbehalten. Mit der Regelleistung nach § 20 SGB II beansprucht der Kläger aber alleine eine solche, den Lebensunterhalt sichernde, Hilfe.

36

ff) Der Kläger hält sich auch "erlaubt" im Sinne des Art 1 EFA in der Bundesrepublik auf. Dabei kann an dieser Stelle dahinstehen, ob - wie es der Rechtsprechung des BVerwG zum BSHG entsprach (vgl nur BVerwGE 71, 139, 143 ff) - sich das Merkmal des erlaubten Aufenthalts nach Art 11 Abs a Satz 1 EFA bestimmt und dem Anhang insoweit konstitutive Wirkung zukommt. Bedenken könnten sich unter anderem deshalb ergeben, weil die - nach der Schlussformel des Abkommens im Gegensatz zur deutschen Fassung - verbindliche englische Fassung des EFA zwischen "lawfully present" nach Art 1 EFA und - enger - "lawfully resident" im Sinne der Rückschaffungsvorschriften nach Art 6 EFA unterscheidet. Art 11 definiert aber nur den Begriff "residence". Beides wird im Deutschen mit Aufenthalt übersetzt (wobei dann bei Art 6 EFA auf einen "gewöhnlichen" Aufenthalt abgestellt wird). Nach dem Abkommenstext spricht also einiges dafür, dass zwischen dem sozialrechtlichen Gleichbehandlungsgebot und dem Ausweisungsschutz im Hinblick auf die Qualität "des Aufenthalts" differenziert werden sollte.

37

Diese Frage bedarf aber deshalb keiner Entscheidung, weil sich der Kläger auch bei Zugrundelegung der Rechtsprechung des BVerwG "erlaubt" in der Bundesrepublik aufhielt. Nach Art 11 Abs a Satz 1 EFA gilt der Aufenthalt eines Ausländers im Gebiet eines der Vertragschließenden solange als erlaubt im Sinne des Abkommens, als der Beteiligte im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis oder einer anderen in den Rechtsvorschriften des betreffenden Staates vorgesehenen Erlaubnis ist, auf Grund welcher ihm der Aufenthalt in diesem Gebiet gestattet ist. Dabei kam dem im Anhang III zum EFA angeführten Verzeichnis der Urkunden, die als Nachweis des Aufenthalts im Sinne des Art 11 EFA anerkannt werden, nach der Rechtsprechung des BVerwG ein rechtsbegründender (konstitutiver) Charakter in der Weise zu, dass mit den dort aufgeführten Urkunden die Erlaubnistatbestände abschließend genannt seien, aufgrund derer der Aufenthalt des ausländischen Staatsangehörigen im Sinne des Abkommens als erlaubt gelte (BVerwGE 71, 139, 144). Auch nach der Rechtsprechung des BVerwG war es aber als unerheblich anzusehen, wenn die Bezeichnung eines Aufenthaltstitels lediglich redaktionell angepasst wurde (BVerwG, aaO). Indiz für eine lediglich andere Bezeichnung kann dabei auch das völkervertragliche Verhalten der Bundesrepublik Deutschland sein. Denn wenn sie den Generalsekretär des Europarates von einer Änderung ihrer Gesetzgebung nicht unterrichtet hat, obwohl sie nach Art 16 Abs a EFA hierzu verpflichtet gewesen wäre, ist sie augenscheinlich davon ausgegangen, die gesetzliche Änderung berühre nicht den Inhalt des Anhangs III (BVerwGE 111, 200, 204).

38

Der Kläger verfügt über eine Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 FreizügG/EU. Im Anhang III des EFA ist demgegenüber noch von einer "Aufenthaltserlaubnis für Angehörige eines Mitgliedstaats der EWG" die Rede (BGBl II 2001, 1100). Dies entspricht der Rechtslage nach § 1 Abs 4 des Gesetzes über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (AufenthG/EWG) in der Fassung des Gesetzes vom 9.7.1990 (BGBl I 1354), aufgehoben mit Wirkung vom 1.1.2005 durch das Zuwanderungsgesetz 2004 vom 30.7.2004 (BGBl I 1950). Nach dieser Vorschrift erhielten freizügigkeitsberechtigte Angehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaften eine so genannte Aufenthaltserlaubnis-EG. Eines Aufenthaltstitels bedarf es nach § 2 Abs 4 Satz 1 FreizügG/EU, Art 8 UBRL nicht mehr. An die Stelle der Aufenthaltserlaubnis-EG ist insoweit die Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 FreizügG/EU getreten. Der Aufenthalt des Klägers "gilt" aus diesem Grund als erlaubt im Sinne des Art 11 EFA. Dies entspricht auch der Praxis der Ausländerbehörden, wonach von der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts auszugehen ist, bis eine Verlustfeststellung mit entsprechender Einziehung der Aufenthaltsbescheinigung nach § 5 Abs 5 FreizügG/EU erfolgt(vgl bereits oben 2.).

39

gg) Der Senat vermag schließlich auch keinen rechtlichen Ansatzpunkt dafür zu erkennen, das EFA nur auf diejenigen Ausländer anzuwenden, die sich zur Zeit des Eintritts der Hilfebedürftigkeit bereits in dem um Hilfe angegangenen Staat erlaubt aufhielten und mithin nicht auf diejenigen, die als bereits bedürftige Personen in einen Vertragsstaat einreisten (so aber LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 8.1.2010 - L 34 AS 2082/09 B ER, L 34 AS 2086/09 B PKH -, unter Verweis auf OVG Berlin Beschluss vom 22.4.2003 - 6 S 9.03 - FEVS 55, 186, 190). Mithin kommt es nicht darauf an, ob dem Kläger ein irgendwie geartetes "missbräuchliches Verhalten" vorgeworfen werden kann, als er etwas mehr als vier Monate nach seiner Einreise (nämlich nach Auslaufen seines Anspruchs auf Gewährung von Arbeitslosengeld nach dem SGB III) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II beantragt hat. Der gesetzliche Rahmen des BSHG (und nunmehr des SGB XII) war ein gänzlich anderer. Nach § 120 Abs 1 Satz 1 BSHG war Ausländern, die sich in der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich aufhielten, Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren. Nach § 120 Abs 3 Satz 1 BSHG(jetzt § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB XII in der Fassung des Gesetzes vom 2.12.2006, BGBl I 2670) hatten Ausländer, die sich in die Bundesrepublik Deutschland begeben haben, um Sozialhilfe zu erlangen, keinen Anspruch. In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung entsprach es offenbar allgemeiner Ansicht, § 120 Abs 3 Satz 1 BSHG auch auf vom EFA geschützte Personen anzuwenden(so OVG Berlin aaO unter Verweis auf die Denkschrift zum EFA, BT-Drucks 2/1882, 23; vgl auch Hamburgisches OVG Beschluss vom 8.2.1989 - Bs IV 8/89 -, NVwZ-RR 1990, 141 ff; OVG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 25.4.1985 - 8 A 266/84 -, NDV 1985, 367 ff; aA VG Würzburg Urteil vom 21.2.1990 - W 3 K 88.1363 -, NDV 1990, 187 ff).

40

Es überzeugt nicht, eine - etwa § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB XII vergleichbare - Regelung in das SGB II "hineinzulesen", wobei eine auf diese Weise vorgenommene Geltungserweiterung (Analogie) insbesondere auch vor dem Hintergrund des § 31 SGB I bedenklich erscheint. Im Übrigen dürfte die praktische Bedeutung eines solchen Anspruchsverlustes gering sein, weil das BVerwG jedenfalls im Rahmen der Vorgängernorm (§ 120 Abs 1 Satz 1 Halbs 1 BSHG in der Fassung vom 24.5.1983, BGBl I 613) einen finalen Zusammenhang im Sinne einer "prägenden Bedeutung" zwischen dem Einreiseentschluss und der Inanspruchnahme von Sozialhilfe (BVerwG Urteil vom 4.6.1992 - 5 C 22/87 - FEVS 43, 113 ff) verlangt hat. Schließlich hat auch die zu Art 1 EFA teilweise vertretene Ansicht, einen Aufenthalt zeitlich vor dem Eintritt der Hilfebedürftigkeit zu fordern (siehe oben), in dem Abkommen selbst keinen Ausdruck gefunden. Denn Art 1 EFA stellt allein auf die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts ab, nicht aber auf eine bestimmte zeitliche Abfolge.

41

Da der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II auf den Kläger mithin bereits aufgrund der vorrangigen Geltung des Gleichbehandlungsgebotes nach Art 1 EFA keine Anwendung findet, bedarf es an dieser Stelle keiner Entscheidung, ob der Leistungsausschluss zudem wegen Verstoßes gegen gemeinschaftsrechtliche Vorgaben unanwendbar ist.

42

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

(1) Das Gesetz dient der Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland. Es ermöglicht und gestaltet Zuwanderung unter Berücksichtigung der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit sowie der wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland. Das Gesetz dient zugleich der Erfüllung der humanitären Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland. Es regelt hierzu die Einreise, den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern. Die Regelungen in anderen Gesetzen bleiben unberührt.

(2) Dieses Gesetz findet keine Anwendung auf Ausländer,

1.
deren Rechtsstellung von dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern geregelt ist, soweit nicht durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist,
2.
die nach Maßgabe der §§ 18 bis 20 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegen,
3.
soweit sie nach Maßgabe völkerrechtlicher Verträge für den diplomatischen und konsularischen Verkehr und für die Tätigkeit internationaler Organisationen und Einrichtungen von Einwanderungsbeschränkungen, von der Verpflichtung, ihren Aufenthalt der Ausländerbehörde anzuzeigen und dem Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit sind und wenn Gegenseitigkeit besteht, sofern die Befreiungen davon abhängig gemacht werden können.

(1) Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben unberührt. Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Die Einschränkungen nach Satz 1 gelten nicht für Ausländer, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind und sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten. Rechtsvorschriften, nach denen außer den in Satz 1 genannten Leistungen auch sonstige Sozialhilfe zu leisten ist oder geleistet werden soll, bleiben unberührt.

(2) Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes erhalten keine Leistungen der Sozialhilfe.

(3) Ausländer und ihre Familienangehörigen erhalten keine Leistungen nach Absatz 1 oder nach dem Vierten Kapitel, wenn

1.
sie weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt oder
3.
sie eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen.
Satz 1 Nummer 1 und 3 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Hilfebedürftigen Ausländern, die Satz 1 unterfallen, werden bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen); die Zweijahresfrist beginnt mit dem Erhalt der Überbrückungsleistungen nach Satz 3. Hierüber und über die Möglichkeit der Leistungen nach Absatz 3a sind die Leistungsberechtigten zu unterrichten. Die Überbrückungsleistungen umfassen:
1.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege,
2.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe nach § 35 und § 35a, einschließlich der Bedarfe nach § 30 Absatz 7,
3.
die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen und
4.
Leistungen nach § 50 Nummer 1 bis 3.
Soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, werden Leistungsberechtigten nach Satz 3 zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von Absatz 1 gewährt; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist. Abweichend von Satz 1 Nummer 2 erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach Absatz 1 Satz 1 und 2, wenn sie sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 7 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des tatsächlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Ausländerrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(3a) Neben den Überbrückungsleistungen werden auf Antrag auch die angemessenen Kosten der Rückreise übernommen. Satz 1 gilt entsprechend, soweit die Personen allein durch die angemessenen Kosten der Rückreise die in Absatz 3 Satz 5 Nummer 1 und 2 genannten Bedarfe nicht aus eigenen Mitteln oder mit Hilfe Dritter decken können. Die Leistung ist als Darlehen zu erbringen.

(4) Ausländer, denen Sozialhilfe geleistet wird, sind auf für sie zutreffende Rückführungs- und Weiterwanderungsprogramme hinzuweisen; in geeigneten Fällen ist auf eine Inanspruchnahme solcher Programme hinzuwirken.

(5) Hält sich ein Ausländer entgegen einer räumlichen Beschränkung im Bundesgebiet auf oder wählt er seinen Wohnsitz entgegen einer Wohnsitzauflage oder einer Wohnsitzregelung nach § 12a des Aufenthaltsgesetzes im Bundesgebiet, darf der für den Aufenthaltsort örtlich zuständige Träger nur die nach den Umständen des Einzelfalls gebotene Leistung erbringen. Unabweisbar geboten ist regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des Bedarfs für die Reise zu dem Wohnort, an dem ein Ausländer seinen Wohnsitz zu nehmen hat. In den Fällen des § 12a Absatz 1 und 4 des Aufenthaltsgesetzes ist regelmäßig eine Reisebeihilfe zu dem Ort im Bundesgebiet zu gewähren, an dem der Ausländer die Wohnsitznahme begehrt und an dem seine Wohnsitznahme zulässig ist. Der örtlich zuständige Träger am Aufenthaltsort informiert den bislang örtlich zuständigen Träger darüber, ob Leistungen nach Satz 1 bewilligt worden sind. Die Sätze 1 und 2 gelten auch für Ausländer, die eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 23a, 24 Absatz 1 oder § 25 Absatz 4 oder 5 des Aufenthaltsgesetzes besitzen, wenn sie sich außerhalb des Landes aufhalten, in dem der Aufenthaltstitel erstmals erteilt worden ist. Satz 5 findet keine Anwendung, wenn der Wechsel in ein anderes Land zur Wahrnehmung der Rechte zum Schutz der Ehe und Familie nach Artikel 6 des Grundgesetzes oder aus vergleichbar wichtigen Gründen gerechtfertigt ist.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Oktober 2013 insoweit aufgehoben, als er zur Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 11. Oktober 2010 bis 7. November 2011 verurteilt worden ist.

Insoweit wird die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 20. November 2012 zurückgewiesen.

Die Beigeladene wird verurteilt, den Klägern Hilfe zum Lebensunterhalt für den Zeitraum vom 11. Oktober 2010 bis 7. November 2011 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beigeladene hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Ansonsten haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit steht die Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Kläger im Zeitraum vom 11.10.2010 bis 7.11.2011.

2

Die Kläger sind rumänische Staatsangehörige. Die Kläger zu 1 und 2 zogen 2008 mit ihren beiden gemeinsamen Kindern - geboren 1992 und im Februar 1995 (Kläger zu 3) - von Rumänien bzw über Belgien nach Deutschland. Sie verfügen seit November 2008 über eine Freizügigkeitsbescheinigung/EU und die Kläger zu 1 und 2 seit Ende 2011 (nach dreijährigem Aufenthalt) über eine unbefristete Arbeitsberechtigung. Der Kläger zu 1 hatte in Rumänien eine Schlosserlehre absolviert, war dann zur Armee eingezogen worden und arbeitete 1993 bis 1995 als Taxifahrer sowie anschließend als Tagelöhner in der Landwirtschaft. Ein von ihm 1992/1993 in Deutschland gestellter Asylantrag wurde abschlägig beschieden. Seine Ehefrau ging in Rumänien keiner Erwerbstätigkeit nach. Sie übt seit dem 8.11.2012 eine mit 200 Euro netto monatlich geringfügig entlohnte Beschäftigung aus. Bis Ende 2010 verkauften die Kläger zu 1 und 2 die Obdachlosenzeitung "Fifty-Fifty" zu einem Abgabepreis von 1,80 Euro und einem "Einkaufspreis" von 0,90 Euro. Der Differenzbetrag von rund je 120 Euro im Monat verblieb bei ihnen. Der Kläger zu 1 hatte vom 13.10.2008 bis 29.10.2009 ein Gewerbe angemeldet ("Abbruch- und Entkernungsarbeiten, Hilfsarbeiten auf Baustellen"), das er jedoch nicht betrieb und mit dem er auch keine Einkünfte erzielte. Für die beiden Söhne erhielten die Eheleute Kindergeld in Höhe von je 184 Euro. Die Söhne besuchten in Deutschland die Schule.

3

Erstmals Ende 2009 lehnte der Beklagte die Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bindend ab. Ein erneuter Antrag der Kläger vom 11.10.2010, den sie mit der Einreise zur Arbeitsuche begründeten, wurde vom Beklagten ebenfalls abschlägig beschieden (Bescheid vom 19.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2010). Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes hiergegen verpflichtete das LSG den Beklagten, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom 17.5.2011 bis maximal zum 17.11.2011 zu erbringen. Dies führte der Beklagte durch Bescheide vom 14.6., 7.7., 26.7. und 1.8.2011 aus. Ebenso vollzog sich das Verfahren nach einem weiteren Antrag der Kläger vom 7.11.2011 (ablehnender Bescheid vom 15.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2011, Ausführungsbescheide des Beklagten vom 22.6.2012 nach dem Erlass einer einstweiligen Anordnung des LSG für den Zeitraum vom 23.11.2011 bis 30.6.2012). Am 14.1.2013, der Höhe nach geändert durch Bescheid vom 5.2.2013, bewilligte der Beklagte den Klägern die begehrten Leistungen ab dem 1.11.2012, also seit dem Monat der Aufnahme der Beschäftigung durch die Klägerin zu 2.

4

Die gegen den Bescheid vom 19.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2010 erhobene Klage hat das SG durch Urteil vom 20.11.2012 unter Hinweis darauf, dass die Kläger nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II von Leistungen der Grundsicherung ausgeschlossen seien, abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das LSG dieses Urteil geändert und den Beklagten unter Änderung der benannten Bescheide verurteilt, den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften für den Zeitraum vom 11.10.2010 bis 7.11.2011 zu bewilligen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II greife im Falle der Kläger nicht. Sie verfügten über kein materielles Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland. Der Sohn der Kläger zu 1 und 2 (Kläger zu 3) sei im streitigen Zeitraum Schüler gewesen. Die Kläger zu 1 und 2 seien keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen. Das vom Kläger zu 1 angemeldete Gewerbe sei nie betrieben und es seien keine Einkünfte daraus erzielt worden. Der Verkauf der Obdachlosenzeitung stelle keine Beschäftigung dar, die zu einem Status als Arbeitnehmer geführt haben könne. Es handele sich dabei um eine untergeordnete Tätigkeit, die nicht in einem Arbeitsverhältnis verrichtet worden sei. Die Kläger zu 1 und 2 seien auch nicht arbeitsuchend gewesen, denn sie hätten allein wegen der Sprachbarrieren keine Chance auf Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt gehabt. Daher komme es auch nicht darauf an, dass die Kläger vor dem 1.10.2011 über eine unbefristete Freizügigkeitsberechtigung/EU verfügt hätten. Auf einen EU-Bürger ohne materielles Aufenthaltsrecht finde der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II keine Anwendung. Dies erschließe sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, die auf den Aufenthaltszweck "allein zur Arbeitsuche" abstelle. Eine erweiternde Auslegung im Sinne des Erst-Recht-Schlusses komme wegen des Ausnahmecharakters des Ausschlusses nicht in Betracht. Die Vorschrift sei nicht analogiefähig. Es liege keine unbeabsichtigte Regelungslücke vor. Dass der aus dem mangelnden Aufenthaltsrecht folgende Ausweisungsgrund nicht vollzogen werde, sei kein Grund, EU-Bürger von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in erweiternder Auslegung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II auszuschließen(Urteil des LSG vom 10.10.2013).

5

Der Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und begründet sie damit, dass das Urteil des LSG § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II verletze. Die dortige Auslegung der Vorschrift führe dazu, dass ausgerechnet Personen, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht oder kaum integrierbar seien, vom Leistungsausschluss für arbeitsuchende Unionsbürger nicht betroffen würden.

6

Er beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Oktober 2013 aufzuheben und die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 20. November 2012 zurückzuweisen.

7

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Beigeladene zu verurteilen, ihnen Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII im Zeitraum vom 11. Oktober 2010 bis 7. November 2011 zu gewähren.

8

Sie halten die Ausführungen des LSG für zutreffend. Zwar sei nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Alimanovic nun klargestellt, dass der in § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II formulierte Leistungsausschluss europarechtskonform sei. Dies betreffe jedoch nicht die Kläger. Bei ihnen liege es näher, einen Vergleich zu der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Dano zu ziehen, wonach wirtschaftlich nicht aktiven Unionsbürgern anderer Mitgliedstaaten keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu erbringen seien. Insoweit mangele es jedoch an einer einfachgesetzlichen Regelung im deutschen Recht.

9

Die Beigeladene hat keinen eigenen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG, soweit es den Beklagten zur Leistungserbringung verurteilt hat, begründet. Die Beigeladene ist verpflichtet, die Existenzsicherung der Kläger nach den Vorschriften des SGB XII zu gewährleisten.

11

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (2.). Sie können jedoch Hilfe zum Lebensunterhalt von der Beigeladenen nach § 23 Abs 1 S 3 SGB XII beanspruchen (3.).

12

1. Streitgegenstand ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, die der Beklagte durch Bescheid vom 19.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2010 abgelehnt hat. Der streitige Zeitraum beginnt mit der Antragstellung am 11.10.2010, als dem "Türöffner" für das Verwaltungsverfahren (zuletzt BSG vom 24.4.2015 - B 4 AS 22/14 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 71 RdNr 17), und endet, da die Kläger ihr Begehren im zweitinstanzlichen Gerichtsverfahren bis zu diesem Zeitpunkt beschränkt haben, mit der erneuten Antragstellung am 7.11.2011. Die die Entscheidungen des LSG im vorläufigen Rechtsschutz ausführenden Bescheide des Beklagten sind, wie das LSG zutreffend befunden hat, nicht nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden(vgl BSG vom 27.6.2013 - B 10 EG 2/12 R - SozR 4-7837 § 2 Nr 21 RdNr 20 mwN; s auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 96 RdNr 4b unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des BSG).

13

Unschädlich ist auch, dass die Kläger im Berufungsverfahren, trotz der Beiladung der Stadt Gelsenkirchen, nicht zumindest hilfsweise deren Verurteilung oder Verpflichtung zur Leistungserbringung nach dem SGB XII beantragt haben. Im Falle der - hier vom LSG vorgenommenen notwendigen Beiladung nach § 75 Abs 2 2. Alt SGG (unechte notwendige Beiladung) - ist zumindest davon auszugehen, dass die Kläger hilfsweise die Verurteilung der Beigeladenen begehren (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 75 RdNr 18a; weitergehend BSG vom 28.5.2015 - B 7 AY 4/12 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen - RdNr 10). Denn nach § 75 Abs 5 SGG darf der beigeladene Träger verurteilt werden, obwohl er nicht verklagt ist. Mit der Vorschrift des § 75 Abs 2 2. Alt iVm Abs 5 SGG unterstellt der Gesetzgeber, dass der Kläger zwar in erster Linie die Verurteilung des beklagten Trägers, hilfsweise jedoch auch die jedes anderen in Frage kommenden Trägers begehrt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Kläger diese Verurteilung ausdrücklich ablehnt ( BSG vom 15.1.1959 - 4 RJ 111/57 - BSGE 9, 67, 70; BSG vom 2.11.2000 - B 11 AL 25/00 R - RdNr 25). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Bei dem im Revisionsverfahren gestellten Hilfsantrag auf Verurteilung der Beigeladenen handelt es sich aus diesen Gründen auch nicht um eine an sich im Revisionsverfahren nach § 168 S 1 SGG nicht mehr zulässige Klageänderung im Sinne der Klageerweiterung(vgl hierzu BSG vom 30.1.1985 - 2 RU 69/83 - SozR 1500 § 168 Nr 3; BSG vom 4.2.1965 - 11/1 RA 312/63 - SozR Nr 27 zu § 75 SGG; s auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 168 RdNr 2c und § 75 RdNr 12a).

14

Ebenso wenig wird die Zulässigkeit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage dadurch berührt, dass die Kläger bereits vorläufige Leistungen erhalten haben. Dies war zum einen nur für einen Teil des hier streitigen Zeitraums der Fall (BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 12 zur Unzulässigkeit bei dem Ausscheiden jeglichen Zahlungsanspruchs). Zum anderen hat sich der Rechtsstreit nach der ständigen Rechtsprechung des BSG auch nicht teilweise dadurch erledigt, dass für den Fall der nunmehr beantragten hilfsweisen Verurteilung der Beigeladenen die Leistungserbringung des Sozialhilfeträgers bereits (teilweise) als erfüllt iS des § 107 Abs 1 SGB X gilt(BSG vom 8.8.1990 - 11 RAr 79/88 - SozR 3-1300 § 104 Nr 3 S 4 f; BSG vom 9.9.1993 - 7/9b RAr 28/92 - BSGE 73, 83, 84 f = SozR 3-4100 § 58 Nr 5 S 11; BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 12).

15

2. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gegen den Beklagten. Sie sind unabhängig von der bestehenden Hilfebedürftigkeit iS des § 7 Abs 1 S 1 Nr 3 iVm § 9 SGB II, ihres gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland(§ 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II; vgl zum Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34 RdNr 17 ff)und der Erfüllung der Altersgrenzen des § 7 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB II im streitigen Zeitraum zumindest durch die Kläger zu 1 und 2 sowie deren Erwerbsfähigkeit(§ 7 Abs 1 S 1 Nr 2 iVm § 8 SGB II - auch nach § 8 Abs 2 SGB II, weil ihnen als Rumänen trotz seinerzeit nur eingeschränkter Arbeitnehmerfreizügigkeit als EU-Ausländern die Aufnahme einer Beschäftigung hätte erlaubt werden können, vgl BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 14 ff)von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aufgrund von § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II(idF vom 28.8.2007 durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007, BGBl I 1970, 2008) ausgeschlossen. Danach sind von den benannten Leistungen ausgenommen 1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige noch aufgrund des § 2 Abs 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts und 2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt und ihre Familienangehörigen.

16

a) Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II unterfallen die Kläger nicht einer Ausnahme von der Leistungsberechtigung nach § 7 Abs 1 S 1 SGB II. Sie haben sich im streitigen Zeitraum vom 11.10.2010 bis 7.11.2011 bereits mehr als drei Monate in Deutschland aufgehalten, denn sie sind im Herbst des Jahres 2008 eingereist. Ihr Aufenthaltsrecht ergibt sich auch nicht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche. So sind die Kläger zu 1 und 2 zwar zur Arbeitsuche in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Für den hier streitigen Zeitraum folgt hieraus jedoch kein materielles Aufenthaltsrecht mehr. Sie waren nicht mehr arbeitsuchend iS des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II.

17

Der Begriff der "Arbeitsuche" ist im vorliegenden Kontext freizügigkeitsrechtlich geprägt. Der Gesetzgeber hat in § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II - anders als in § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II - zwar nicht ausdrücklich Bezug auf die Regelungen des FreizügG/EU genommen. Aus der Verknüpfung mit dem "Aufenthaltsrecht" folgt jedoch bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift, dass die dortigen Regelungen sowie die der RL 2004/38/EG zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der "Arbeitsuche" heranzuziehen sind. Dies wird durch den Gesetzentwurf zur Änderung des S 2 des § 7 Abs 1 SGB II(BT-Drucks 16/5065 S 234; Änderung des SGB II zum 28.8.2007 durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007, BGBl I 1970, 2008) bestätigt. Danach sollten mit den Neuregelungen in § 7 Abs 1 S 2 SGB II die Unionsbürgerrichtlinie RL 2004/38/EG im Leistungsrecht umgesetzt und insbesondere von der Möglichkeit des Leistungsausschlusses nach Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG Gebrauch gemacht werden. Diese Norm regelt, dass vom Grundsatz der Gleichbehandlung aller Unionsbürger abgewichen werden kann, wenn die betreffende Person weder Arbeitnehmer, noch Selbstständiger oder deren Familienangehöriger ist und sie diesen Status nicht erhalten konnte (vgl hierzu Art 7 Abs 3 Buchst b und c RL 2004/38/EG). Sofern sie als Arbeitsuchende in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates eingereist ist, sieht die Richtlinie durch Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG solange eine Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts als Arbeitsuchende vor, solange sie nachweisen kann, dass sie weiterhin Arbeit sucht und sie eine begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden. Diese Regelung hat der Gesetzgeber zwischenzeitlich (mW ab dem 9.12.2014, BGBl I 1922) ins FreizügG/EU übernommen. In dessen § 2 Abs 2 S 1 Nr 1a FreizügG/EU ist nunmehr geregelt, dass freizügigkeitsberechtigt Unionsbürger sind, die sich zur Arbeitsuche aufhalten, für bis zu sechs Monate und darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Der dies tragende Grundgedanke der Aussicht auf Aufnahme einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist jedoch wegen der Gründung des Normtextes des § 7 Abs 1 S 2 SGB II auf der RL 2004/38/EG auch bereits im streitigen Zeitraum zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Arbeitsuche heranzuziehen.

18

Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs ist die Annahme des LSG revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass sich die Freizügigkeitsberechtigung der Kläger zu 1 und 2 im streitigen Zeitraum nicht mehr allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergab. Auf Grundlage der Anhörung der Kläger in der mündlichen Verhandlung sowie beigezogener Auskünfte und Beratungsvermerke der BA ist das LSG zu dem Ergebnis gelangt, dass sie im streitigen Zeitraum keine realistische Chance auf Erlangung eines Arbeitsplatzes hatten. Die Kläger zu 1 und 2 verfügten nicht über eine verwertbare berufliche Qualifikation oder Ausbildung, nennenswerte Berufserfahrung und deutsche Sprachkenntnisse. Diese fehlenden Kenntnisse stellten ein erhebliches Hindernis bei der Arbeitsuche dar. Zudem war zu berücksichtigen, dass ihre Berechtigung, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, im streitigen Zeitraum zusätzlich noch durch das Erfordernis einer Arbeitsgenehmigung-EU iS des § 284 SGB III(in den hier einschlägigen Fassungen vom 7.12.2006 BGBl I 2814 und vom 20.12.2011 mWv 1.5.2011 BGBl I 2854) iVm der Arbeitserlaubnis-EU nach § 39 Abs 2 S 1 Nr 1 Buchst b AufenthG(in den hier einschlägigen Fassungen vom 25.2.2008, BGBl I 162 und 20.12.2011, mWv 1.5.2011 BGBl I 2854, 2921) - für Unionsbürger aus Rumänien in der ersten Beitrittszeit - beschränkt war. Danach brauchte die BA der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung nur zuzustimmen, wenn für die Beschäftigung deutsche Arbeitnehmer sowie Ausländer, die diesen hinsichtlich der Arbeitsaufnahme rechtlich gleichgestellt waren, oder andere Ausländer, die nach dem Recht der Europäischen Union einen Anspruch auf vorrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt hatten, nicht zur Verfügung standen. Die begründete Aussicht, dass diese beim Fehlen jeglicher Qualifikation der Arbeitsuchenden, wie vorliegend, zur Verfügung stehen, hat das LSG ohne Rechtsfehler negiert. Da die Kläger sich zu Beginn des hier streitigen Zeitraums zudem bereits mehr als zwei Jahre in Deutschland aufgehalten hatten, ohne eine Erwerbstätigkeit ausgeübt zu haben, unterliegt der vom LSG weiter gezogene Schluss der objektiv nicht bestehenden Aussicht der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit keinen durchgreifenden Zweifeln (vgl zum zeitlichen Umfang der materiellen Freizügigkeitsberechtigung der Arbeitsuche: EuGH Rs Antonissen vom 26.2.1991 - C-292/89 RdNr 21; s auch Devetzi, EuR 2014, 638, 642; Lehmann, ZAR 2015, 212, 215; Thym, NJW 2015, 130, 133).

19

b) Die Kläger waren jedoch, auch wenn sie nicht den ausdrücklich normierten Ausnahmen des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II unterfallen, gleichwohl von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen. Denn sie verfügten über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung im Sinne des FreizügG/EU oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht. Damit unterfielen sie "erst-recht" dem Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II. Die Vorschrift ist insoweit planwidrig lückenhaft, als sie nicht ausdrücklich den Ausschluss auch derjenigen normiert, die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen, weil sie einen Leistungsausschluss schon für solche Ausländer anordnet, die sich auf eine solche materielle Freizügigkeitsberechtigung im Sinne des FreizügG/EU berufen können.

20

Der "Erst-Recht-Schluss" ist eine Untergruppe oder ein Spezialfall des Analogieschlusses. Die analoge Anwendung einfachgesetzlicher Vorschriften ist eine anerkannte Methode der richterlichen Rechtsfortbildung und verfassungsrechtlich unter Beachtung der Schranken des Art 20 Abs 3 GG zulässig. Denn hat der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, darf der Richter diese nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern und durch eine judikative Lösung ersetzen, die so im Parlament nicht erreichbar war (BVerfG vom 3.4.1990 - 1 BvR 1186/89 - BVerfGE 82, 6, 11). Daher setzt der Analogieschluss voraus, dass das Gesetz - hier im Hinblick auf eine bestimmte Personengruppe - lückenhaft, also angesichts der erkennbaren Regelungsabsicht des Gesetzgebers "planwidrig" unvollständig ist (vgl dazu Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl 1991, S 373, 375; s nur BSG vom 25.6.2009 - B 10 EG 8/08 R - BSGE 103, 291 = SozR 4-7837 § 2 Nr 2 RdNr 31 mwN). Es muss an der nach dem Regelungsplan des Gesetzes zu erwartenden Regel mangeln (BVerwG vom 11.9.2008 - 2 B 43/08 - Buchholz 237.7 § 23 NWLBG Nr 1 mwN). Dem "Erst-Recht-Schluss" selbst liegt dabei die Erwägung zugrunde, die analoge Anwendung sei immer dann gerechtfertigt, wenn die rechtspolitischen Gründe (Normzwecke) einer Vorschrift bei einem nicht geregelten Lebenssachverhalt noch stärker gegeben sind als bei dem geregelten Normtatbestand (vgl nur Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 8. Aufl 2015, RdNr 898). Dies ist hier im Hinblick auf Unionsbürger oder Ausländer, die über keine Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen, der Fall, wie sich aus der Entstehungsgeschichte der Ausschlussregelung, ihrem systematischen Zusammenhang sowie dem Sinn und Zweck der benannten Vorschrift erschließt (vgl zur Feststellung des Regelungsplans des Gesetzgebers bei einer Unvollständigkeit des Gesetzes, Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl 1991, S 373).

21

(aa) Nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II in der ab dem 1.1.2005 geltenden Fassung des Gesetzes zur optionalen Trägerschaft von Kommunen nach dem SGB II (vom 30.7.2004, BGBl I 2014) waren Ausländer unter den Voraussetzungen des § 8 Abs 2 SGB II leistungsberechtigt. Ein Ausschluss oder eine Beschränkung der Leistungsberechtigung für Unionsbürger waren mithin nicht vorgesehen. Mit der Neufassung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II durch das Gesetz zur Änderung des 2. Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (vom 24.3.2006, BGBl I 558) ergänzt durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (vom 19.8.2007, BGBl I 2008) erfolgte dann ein grundlegender Paradigmenwechsel. Es sollte von der Option des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG Gebrauch gemacht werden (BT-Drucks 16/5065 S 234). Für Unionsbürger, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen, sollte eine weitere leistungsrechtliche Hürde geschaffen werden, sofern sie wegen des vorbehaltlosen Aufenthalts in den ersten drei Monaten oder allein zum Zweck der Arbeitsuche freizügigkeitsberechtigt sind (BT-Drucks 16/5065 S 234; BT-Drucks 16/688 S 13). Leistungsberechtigt sollten sie nur sein, wenn sie über eine von § 7 Abs 1 S 2 SGB II nicht erfasste Freizügigkeitsberechtigung oder ein sonstiges Aufenthaltsrecht verfügen. Hieraus folgt umgekehrt, dass nicht freizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigte Unionsbürger nach dem gesetzgeberischen Plan von vornherein nicht leistungsberechtigt sein sollten.

22

(bb) Dies entspricht auch der Binnensystematik und der Verknüpfung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II mit dem im Gesetzentwurf unter Bezug genommenen Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG. Danach ist der Aufnahmemitgliedstaat - unter Hintanstellung des Gleichbehandlungsgrundsatzes - nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG (Zeitraum der Arbeitsuche, s unter 2.a) einen Anspruch auf Sozialhilfe (…) zu gewähren. Das Gleichbehandlungsgebot, also auch die Verpflichtung zur Gleichbehandlung bei der Gewährung existenzsichernder Leistungen, gilt mithin umgekehrt grundsätzlich nur dann, wenn eine Freizügigkeitsberechtigung des Unionsbürgers im Sinne der Richtlinie gegeben ist. Zugleich wird im Hinblick auf den Aufenthalt in den ersten drei Monaten und zur Arbeitsuche durch den Hinweis auf Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG eine Ausnahme normiert. Mit der Einfügung der Nr 1 und 2 in den S 2 des § 7 Abs 1 SGB II sollte demnach von den unionsrechtlich eröffneten Ausschlussgründen auch bei Bestehen einer Freizügigkeitsberechtigung Gebrauch gemacht werden. Hierin fügt sich die Systematik der Rückausnahmen in § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II für freizügigkeitsberechtigte Arbeitnehmer und Selbstständige sowie ihre Familienangehörigen ein. Dementsprechend haben die beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG im Hinblick auf Nr 2 des § 7 Abs 1 S 2 SGB II bisher schon unter Bezug auf § 11 FreizügG/EU (Regelung der Anwendung des AufenthG) angenommen, dass in Fällen, in denen ein anderes Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG - auch neben dem zum Zwecke der Arbeitsuche - besteht, etwa aus anderen familiären Gründen, der Ausschluss ebenfalls nicht eingreift(BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 30 ff; BSG vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28, RdNr 20 ff).

23

Dass der Gesetzgeber es planwidrig unterlassen hat, auch die nicht freizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigten Ausländer ausdrücklich von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auszuschließen, belegt auch die nachfolgende Kontrollüberlegung zu dem System der Eingliederungsleistungen im SGB II. Nach der Grundkonzeption des SGB II ist es Ziel dieser Leistungen, dass leistungsberechtigte Personen ohne eine Erwerbstätigkeit bei der Aufnahme einer solchen unterstützt werden, also Arbeit zu finden und, wenn sie bisher erfolglos Arbeit gesucht haben, dies mit einer Unterstützung durch Eingliederungsleistungen erfolgreich zu tun. Wenn ein EU-Ausländer aber Leistungen nach §§ 16 ff SGB II für eine erfolgreiche Arbeitsuche erhält, liegen die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II (wieder) vor. Dass ein solcher Zirkelschluss vom Gesetzgeber gewollt war, kann nicht angenommen werden. Es ist daher vielmehr davon auszugehen, dass es seinem Plan entsprach, in den Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II auch die Ausländer einzubeziehen, die keine oder objektiv ohne Erfolgsaussichten Arbeit suchen.

24

(cc) Auch wäre es sinnwidrig und würde der sozialpolitischen Zweckrichtung der Regelung widersprechen, hätten gerade nicht materiell freizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigte Ausländer einen Rechtsanspruch auf diese Leistungen, weil sie nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift nicht von Leistungen ausgeschlossen sind. Sie sind vielmehr, weil ihre Leistungsberechtigung im eigentlichen Sinne nicht gewollt war, "erst-recht" von Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen. Mit der Ausschlussregelung sollte ein Zuzug von Ausländern in den SGB II-Leistungsbezug verhindert werden, soweit keine Verpflichtung zur Gleichbehandlung mit Inländern besteht (vgl BT-Drucks 16/5065 S 234). Nur wer als Unionsbürger freizügigkeitsberechtigt ist - über das Aufenthaltsrecht in den ersten drei Monaten und zur Arbeitsuche hinaus - sollte daher einen Anspruch auf existenzsichernde Leistungen aus dem SGB II erhalten, etwa aufstockend neben der Tätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbstständiger, während der nachgehenden Statuserhaltung oder als deren Familienangehörige. Nach Ablauf der ersten drei Monate des Aufenthalts sei, so die Begründung im Gesetzentwurf, das weitere Aufenthaltsrecht vom Aufenthaltszweck abhängig und damit auch die Leistungsberechtigung nach dem SGB II. So sollte sichergestellt werden, dass durch die Neuregelung im Freizügigkeitsgesetz/EU - die RL 2004/38/EG umsetzend - keine Regelungslücke entsteht (vgl BT-Drucks 16/5065 S 234). Die materielle Freizügigkeits- oder Aufenthaltsberechtigung kann damit nicht hinweggedacht werden, ohne dass die Ausschlussregelung ihren Sinn verlöre.

25

c) Die Kläger konnten sich nicht auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung berufen.

26

(aa) Die Kläger waren nicht als Arbeitnehmer freizügigkeitsberechtigt. Der Begriff des Arbeitnehmers in § 7 Abs 1 S 2 SGB II ist, wie die Wortverbindung in dessen Nr 1 zum FreizügG/EU bereits zeigt, ebenfalls europarechtlich geprägt; durch dieses Gesetz wird die, die Freizügigkeitsrechte der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen innerhalb der Union regelnde RL 2004/38/EG - auf Grundlage der Europäischen Verträge - in das nationale Recht umgesetzt (Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, Vorbemerkung 0.1.2 zum Freizügigkeitsgesetz/EU). Eine kodifizierte Definition des Arbeitnehmerbegriffs findet sich im Europarecht zwar nicht. Es ist daher auf die Ausprägung dessen zurückzugreifen, die er auf Grundlage der Rechtsprechung des EuGH erfahren hat. Die Arbeitnehmereigenschaft wird danach bei der Ausübung einer tatsächlichen und echten Tätigkeit als gegeben angesehen, was gestützt auf objektive Kriterien und in einer Gesamtbetrachtung aller Umstände, die die Art der in Rede stehenden Tätigkeiten und des fraglichen Arbeitsverhältnisses betreffen, festzustellen ist (EuGH Rs Ninni-Orasche vom 6.11.2003 - C-413/01 RdNr 24; EuGH vom 21.2.2013 - C-46/12 RdNr 39 ff; Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 2 FreizügG/EU RdNr 37; Tewocht in Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 9. Edition, Stand XI/2015, § 2 FreizügG/EU RdNr 18 ff). Um Arbeitnehmer zu sein, muss die betreffende Person während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringen, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Dabei sind nicht nur Gesichtspunkte wie die Arbeitszeit und die Höhe der Vergütung zu berücksichtigen, sondern auch solche wie der Anspruch auf bezahlten Urlaub, die Geltung von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Anwendung des Tarifvertrags in der jeweils gültigen Fassung auf den Arbeitsvertrag sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses (EuGH Rs Genc vom 4.2.2010 - C-14/09 RdNr 27). Dies bedeutet, dass eine Integration in den Betrieb des Arbeitgebers gegeben sein muss, bei der die betreffende Person unter der Weisung oder Aufsicht eines Dritten steht, der die zu erbringenden Leistungen und/oder die Arbeitszeiten vorschreibt und dessen Anordnungen durch den Arbeitnehmer zu befolgen sind (vgl Hoffmann in Hofmann/Hoffmann, HK-AuslR, 1. Aufl 2008, § 2 FreizügG/EU RdNr 8). Unter Anwendung dieses Maßstabs und auf Grundlage seiner Feststellungen hat das LSG vorliegend die Arbeitnehmereigenschaft der Kläger zu 1 und 2 zutreffend verneint.

27

Die Kläger zu 1 und 2 haben die Obdachlosenzeitung "Fifty-Fifty" verkauft. Das LSG hat festgestellt, dass damit ein wirtschaftlicher Güteraustausch nicht verbunden gewesen sei, jedenfalls sei dies nicht der prägende Hauptzweck der Tätigkeit gewesen. Vielmehr habe es sich um eine dem Betteln gleichgestellte Tätigkeit gehandelt, die - nach einem Hinweis in dieser Zeitung - unter genehmigungsfreiem Gemeingebrauch des öffentlichen Straßenraumes erfolgte. Die Kläger zu 1 und 2 unterlagen auch nicht den Weisungen der karitativen Organisationen, die diese Zeitung herausgeben. Sie "kauften" die Zeitschriften bei den Herausgebern zum Zwecke des Straßenverkaufs und konnten - ohne weitere Weisungen zu deren Vertrieb - den Differenzbetrag zum Verkaufspreis zur eigenen Verfügung behalten.

28

(bb) Eine selbstständige Erwerbstätigkeit ist - ebenfalls unter Berücksichtigung der europarechtlichen Implikationen - jede Art der wirtschaftlichen Tätigkeit, die in eigener Verantwortung und weisungsfrei erfolgt (Tewocht in Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 9. Edition, Stand XI/2015, § 2 FreizügG/EU RdNr 32). Eine Gewinnerzielungsabsicht muss nicht vorrangiges oder einziges Ziel sein, sie muss aber vorhanden sein. Rein karitative Tätigkeiten fallen nicht hierunter; die Tätigkeit muss daher erwerbsorientiert sein, wobei alle Tätigkeiten erfasst werden, sofern sie mit einer entgeltlichen Gegenleistung verbunden sind und eine Teilnahme am Wirtschaftsleben darstellen (EuGH Rs Sodemare vom 17.6.1997 - C-70/95 RdNr 25; vgl auch Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 2 FreizügG/EU RdNr 78; Müller-Graff in Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl 2012, Art 49 AEUV RdNr 13). Der Selbstständige, der sich auf das Freizügigkeitsrecht der Niederlassungsfreiheit im Sinne der Art 49 ff AEUV berufen kann, muss auch tatsächlich eine wirtschaftliche Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit ausüben (EuGH Rs Factortame vom 25.7.1991 - C-221/89 RdNr 34; Tewocht in Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 9. Edition, Stand XI/2015, § 2 FreizügG/EU RdNr 33)und damit wirtschaftlich in einen anderen Mitgliedstaat integriert sein (Brinkmann in Huber, AufenthG, 1. Aufl 2010, § 2 FreizügG/EU RdNr 29).

29

Diese Voraussetzungen sind nach den zuvor dargelegten Bedingungen, unter denen die Kläger zu 1 und 2 dem Verkauf der Obdachlosenzeitung nachgegangen sind, nicht gegeben. Aber auch mit dem von dem Kläger zu 1 angemeldeten Gewerbebetrieb: "Abbruch- und Entkernungsarbeiten, Hilfsarbeiten auf Baustellen" erfüllte er nicht die Voraussetzungen um den Status als niedergelassener selbstständiger Erwerbstätiger erlangt zu haben. Er hat ausweislich der Feststellungen des LSG erklärt, das Gewerbe nie betrieben und auch keinen Gewinn erzielt zu haben. Abgesehen davon, dass er allein mit der Anmeldung des Gewerbebetriebes nicht am wirtschaftlichen Leben teilgenommen hat, war diese offensichtlich unter Zugrundelegung der getroffenen Feststellungen nicht erwerbsorientiert.

30

(cc) Damit entfällt zugleich der nachgehende Schutz als Arbeitnehmer oder Selbstständiger iS des § 2 Abs 3 FreizügG/EU für die Kläger zu 1 und 2. Danach bleibt für Arbeitnehmer und selbstständig Erwerbstätige die Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs 1 FreizügG/EU unberührt ua bei(2.) unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit oder Einstellung einer selbstständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbstständige keinen Einfluss hatte, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit (S 1). Bei weniger als einem Jahr Beschäftigung gilt dies auch, jedoch nur während der Dauer von sechs Monaten nach der Beendigung der Tätigkeit (S 2). Ebenso wenig haben folglich die Familienangehörigen eine vom Status als Arbeitnehmer oder Selbstständiger abgeleitete Freizügigkeitsberechtigung iS des § 2 FreizügG/EU innegehabt.

31

(dd) Die Kläger waren auch nicht als nichterwerbstätige Unionsbürger iS des § 4 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Danach haben nicht erwerbstätige Unionsbürger, ihre Familienangehörigen und ihre Lebenspartner, die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, das Recht nach § 2 Abs 1 FreizügG/EU, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. Zwar hat das LSG keine Feststellungen zum Krankenversicherungsschutz der Kläger getroffen. Dass sie nicht über ausreichende Existenzmittel verfügten, zeigt sich jedoch bereits daran, dass sie hilfebedürftig iS des § 7 Abs 1 Nr 3 iVm § 9 SGB II waren(vgl zum Maßstab der "nicht ausreichenden Existenzmittel": Thym, NJW 2015, 130, 132).

32

(ee) Anhaltspunkte für ein anderes Aufenthaltsrecht im Sinne des AufenthG sind ebenfalls nicht ersichtlich oder vorgebracht (vgl zum Vorliegen eines anderen Aufenthaltsrechts nur: BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 30 ff; BSG vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28, RdNr 20 ff).

33

(ff) Der fehlenden materiellen Freizügigkeitsberechtigung steht auch nicht entgegen, dass die Kläger zu 1 und 2 nach den bindenden Feststellungen des LSG im Besitz einer Freizügigkeitsbescheinigung/EU nach § 5 Abs 1 FreizügG/EU idF des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union(vom 19.8.2007, BGBl I 1970) waren. Das Ausstellen einer solchen Bescheinigung, die mit Wirkung zum 29.1.2013 im Übrigen abgeschafft worden ist (Streichung des § 5 Abs 1 FreizügG/EU in der vorbenannten Fassung durch das Gesetz zur Änderung des FreizügG/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21.1.2013, BGBl I 86), lässt keine Rückschlüsse auf das Bestehen einer materiellen Freizügigkeitsberechtigung zu.

34

Ihre Ausstellung hatte allein deklaratorische Bedeutung (BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 20; Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 5 FreizügG/EU RdNr 4; noch offengelassen BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 13; s jedoch BSG vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28 RdNr 17). Auch solange § 5 Abs 1 FreizügG/EU idF vom 19.8.2007 noch in Kraft war, erfolgte die Prüfung der Freizügigkeitsberechtigung nach den Kriterien des § 2 FreizügG/EU. Das Freizügigkeitsrecht wurde und wird originär durch den EG-Vertrag/EUV/AEUV und seine Durchführungsbestimmungen begründet und nicht durch die Ausstellung der Aufenthaltskarte (EuGH Rs Dias vom 21.7.2011 - C-325/09 - RdNr 48; s auch VG Augsburg vom 5.6.2008 - Au 1 S 08.450 - juris-RdNr 35, 36). So war umgekehrt in der Vergangenheit die Ausstellung der Bescheinigung über das Freizügigkeitsrecht keine Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Unionsbürgers im Bundesgebiet. Aufgrund der generellen Freizügigkeitsvermutung muss der Aufenthalt desjenigen Unionsbürgers, der schon bei seiner Einreise ins Bundesgebiet keinen Freizügigkeitstatbestand erfüllt hat, solange als rechtmäßig angesehen werden, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts in entsprechender Anwendung des § 5 Abs 5 FreizügG/EU in der bis Januar 2013 geltenden Fassung oder nunmehr aufgrund von § 5 Abs 4 FreizügG/EU bzw der Missbrauchstatbestände in § 2 Abs 7 FreizügG/EU festgestellt hat. Erst die ausländerbehördliche Nichtbestehens- bzw Verlustfeststellung führt zur sofortigen Ausreisepflicht nach § 7 Abs 1 FreizügG/EU. Bis dahin darf sich ein Unionsbürger unabhängig vom Vorliegen einer materiellen Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 FreizügG/EU aufgrund der generellen Freizügigkeitsvermutung im Bundesgebiet aufhalten, ohne ausreisepflichtig zu sein(vgl BT-Drucks 16/5065 S 211 zu Art 2 Nr 8 Buchst a Doppelbuchst aa).

35

(d) Diese Auslegung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II ist auch europarechtskonform. Der EuGH hat sowohl in der Rechtssache Dano (vom 11.11.2014 - C-333/13) als auch in der Rechtssache Alimanovic (vom 15.9.2015 - C-67/14) in den hier gegebenen Fallkonstellationen die Zulässigkeit der Verknüpfung des Ausschlusses von Unionsbürgern anderer Mitgliedstaaten von existenzsichernden Leistungen mit dem Bestehen eines Aufenthaltsrechts im Sinne der RL 2004/38/EG ausdrücklich anerkannt. Nach seiner Rechtsprechung sind Art 24 Abs 1 der RL 2004/38/EG iVm ihrem Art 7 Abs 1 Buchst b und Art 4 VO 883/2004/EG dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vom Bezug bestimmter "besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen" im Sinne des Art 70 Abs 2 VO 883/2004/EG ausgeschlossen werden, während Staatsangehörige des Aufnahmemitgliedstaats, die sich in der gleichen Situation befinden, diese Leistungen erhalten, sofern den betreffenden Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten im Aufnahmemitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG zusteht (EuGH Rs Dano vom 11.11.2014 - C-333/13 RdNr 84). In der Rechtssache Alimanovic hat der EuGH insoweit betont, dass Unionsbürger anderer EU-Staaten, die nach Deutschland eingereist sind, um Arbeit zu suchen, vom deutschen Gesetzgeber vom Bezug von Alg II oder Sozialgeld ausgeschlossen werden können, selbst wenn diese Leistungen als besondere beitragsunabhängige Geldleistungen im Sinne des Art 70 VO 883/2004/EG eingeordnet werden (EuGH Rs Alimanovic vom 15.9.2015 - C-67/14 RdNr 63). Beim Alg II und Sozialgeld handele es sich um Leistungen der "Sozialhilfe" im Sinne des Art 24 Abs 2 der RL 2004/38/EG. Danach haben die Aufnahmestaaten jedoch keine Verpflichtung zur Gleichbehandlung ihrer Staatsangehörigen und solcher anderer EU-Mitgliedstaaten im Hinblick auf einen Anspruch auf Sozialhilfe, wenn Letztere nicht Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder ihnen dieser Status erhalten geblieben ist bzw Familienangehörige dieser sind (s hierzu auch Kingreen in NVwZ 2015, 1503, 1505 f; Padé in jM 2015, 414, 415).

36

3. Den Klägern steht jedoch ein Recht auf Existenzsicherung durch Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII gemäß § 23 Abs 1 S 3 SGB XII in gesetzlicher Höhe gegen die Beigeladene zu.

37

a) Die Kläger waren leistungsberechtigt im Sinne des Sozialhilferechts, weil sie im streitigen Zeitraum ihren Lebensunterhalt nicht iS des § 19 Abs 1 SGB XII iVm § 27 Abs 1 SGB XII aus eigenen Kräften und Mitteln decken konnten.

38

Nach § 19 Abs 1 SGB XII ist Personen Hilfe zum Lebensunterhalt zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten können. Dies war bei den Klägern, wie eingangs dargelegt, im streitigen Zeitraum der Fall. Ihr Bedarf im sozialhilferechtlichen Sinne ist dem Grunde nach zwar teilweise dadurch gedeckt worden, dass sie - durch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zugesprochene SGB II-Leistungen - den leistungslosen Zeitraum überstanden haben (vgl BSG vom 29.9.2009 - B 8 SO 16/08 R - BSGE 104, 213 = SozR 4-1300 § 44 Nr 20, RdNr 14 mwN). Insoweit greift für einen Teil des streitigen Zeitraums die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X ein.

39

b) Einem Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII stand auch eine mangelnde Kenntnis der Beigeladenen von der Bedürftigkeit der Kläger im streitigen Zeitraum nicht entgegen. Die Kläger haben zwar "nur" Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bei dem Beklagten beantragt. Die nach § 18 Abs 1 SGB XII erforderliche Kenntnis der Beigeladenen von dem Bedarf der Kläger liegt jedoch gleichwohl vor. Die Beigeladene muss sich insoweit die Kenntnis des Beklagten aufgrund des Antrags auf SGB II-Leistungen nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG zurechnen lassen (BSG vom 2.12.2014 - B 14 AS 66/13 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 42 RdNr 25; BSG vom 13.2.2014 - B 8 SO 58/13 B - SozR 4-3500 § 25 Nr 4 RdNr 8; BSG vom 26.8.2008 - B 8/9b SO 18/07 R - SozR 4-3500 § 18 Nr 1 RdNr 22 ff).

40

c) Ebenso wenig waren die Kläger nach § 21 S 1 SGB XII von der Hilfe zum Lebensunterhalt ausgeschlossen. § 21 S 1 SGB XII bestimmt, dass Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt erhalten. Die Kläger waren im streitigen Zeitraum nicht dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II, weil sie dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II unterfielen. Dies führt dazu, sie dem System des SGB XII zuzuweisen. Die Erwerbsfähigkeit zumindest der Kläger zu 1 und 2 steht dem nicht entgegen.

41

Schon der Wortlaut des § 21 S 1 SGB XII stellt nicht ausschließlich auf das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit ab, sondern berücksichtigt einen Leistungsanspruch nach dem SGB II dem Grunde nach. Ist mithin ein Erwerbsfähiger wegen des Vorliegens der Voraussetzungen eines Leistungsausschlusses nicht leistungsberechtigt nach dem SGB II, folgt hieraus nicht zwangsläufig ein Leistungsausschluss nach dem SGB XII (BSG vom 25.9.2014 - B 8 SO 6/13 R - BSGE = SozR 4-4200 § 44a Nr 1, RdNr 11). Die "Systemabgrenzung" erfordert vielmehr eine differenzierte Betrachtung der einzelnen Leistungsausschlüsse (Eicher in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 21 RdNr 26, 34; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB XII, § 21 RdNr 46, Stand I/2014; so im Ergebnis auch Coseriu in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 23 RdNr 64). Im Grundsatz gilt für die Systemzuweisung aufgrund der Erwerbszentriertheit des SGB II, dass derjenige, der von dem auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ausgerichteten Leistungssystem des SGB II ausgeschlossen werden soll, dem System des SGB XII zugewiesen wird.

42

Auf dieser Grundlage hat das BSG bereits für andere in § 7 SGB II geregelte Leistungsausschlüsse ausdrücklich entschieden, dass die "Anwendungssperre" des § 21 S 1 SGB XII nicht greift(vgl Eicher in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 21 RdNr 34 ff). Dies gilt nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate sowohl für den Leistungsausschluss wegen einer den Regelbedarf unterschreitenden ausländischen Rentenleistung als auch den Leistungsausschluss eines Erwerbsfähigen wegen der Unterbringung in einer stationären Einrichtung oder in einem Krankenhaus nach § 7 Abs 4 S 1 SGB II. Sie sind iS des § 21 SGB XII nach dem SGB II dem Grunde nach nicht mehr leistungsberechtigt und bei Bedürftigkeit auf "die auf gleicher Grundlage wie im SGB II bemessenen und daher vom Umfang im Wesentlichen identischen Leistungen der Sozialhilfe" verwiesen(BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 20; BSG vom 2.12.2014 - B 14 AS 66/13 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 42 RdNr 10, 24; vgl auch BSG vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen - RdNr 47: vorzeitige Altersrente nach Aufforderung durch den Grundsicherungsträger). In gleicher Weise hat der für das Sozialhilferecht zuständige 8. Senat des BSG für den Leistungsausschluss bei Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneten Freiheitsentziehung entschieden. Erwerbsfähige Hilfebedürftige, die einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 4 S 2 SGB II unterfallen, können grundsätzlich Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII beanspruchen(BSG vom 12.12.2013 - B 8 SO 24/12 R - SozR 4-3500 § 67 Nr 1 RdNr 20).

43

Bezogen auf den Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II gilt nichts anderes(Berlit in Berlit/Conradis/Sartorius, Existenzsicherungsrecht, 2. Aufl 2013, Kap 12 RdNr 54; Eicher in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 21 RdNr 35). Der Ausschluss von Personen, die nicht oder nicht mehr über eine Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche verfügen, vom erwerbszentrierten Leistungssystem des SGB II führt dazu, die Sperrwirkung des § 21 SGB XII entfallen zu lassen.

44

d) Allerdings steht dem Rechtsanspruch der Kläger auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII ein Ausschluss aufgrund der Regelung des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII entgegen.

45

(aa) Die Kläger sind zwar nicht iS des § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB XII eingereist, um Sozialhilfe zu erlangen. Es mangelt hier insoweit an dem finalen Zusammenhang zwischen Einreise und Sozialhilfebezug (vgl BSG vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R - BSGE = SozR 4-3500 § 25 Nr 5, RdNr 25). Dieser Zusammenhang liegt vor, wenn der Zweck, Sozialhilfe zu erlangen, den Einreiseentschluss geprägt hat. Wie das BVerwG dies bereits zu der wortgleichen Vorschrift des § 120 Abs 3 S 1 BSHG entschieden hat, bezeichnet schon die Konjunktion "um (…) zu (…)" ein ziel- und zweckgerichtetes Handeln und damit eine Zweck-Mittel-Relation, in der die Einreise das Mittel und die Inanspruchnahme von Sozialhilfe den mit ihr verfolgten Zweck bildet(vgl BVerwG vom 4.6.1992 - 5 C 22/87 - BVerwGE 90, 212, 214; im Anschluss daran etwa LSG Berlin-Brandenburg vom 10.9.2009 - L 23 SO 117/06 - juris-RdNr 27 f; LSG Nordrhein-Westfalen vom 12.1.2009 - L 20 B 58/08 AY - juris-RdNr 25 ff; LSG Niedersachsen-Bremen vom 27.11.2008 - L 8 SO 173/08 ER - juris-RdNr 20 f). Dabei wird diese Zweck-Mittel-Relation jedoch auch dann als gegeben angesehen, wenn die Einreise des Ausländers auf verschiedenen Motiven beruht, der Zweck der Inanspruchnahme für den Einreiseentschluss jedoch von prägender Bedeutung gewesen, also nicht nur neben vorrangigen anderen Zwecken billigend in Kauf genommen worden ist (Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 RdNr 46, Stand VI/2012).

46

So liegt der Fall nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG hier nicht. Es ist keine Zweck-Mittel-Relation im eben dargelegten Sinne gegeben, denn die Kläger zu 1 und 2 sind zur Arbeitsuche eingereist. Das LSG hat dies - wenn auch die Erfolgsaussichten der Arbeitsuche für den hier streitigen Zeitraum verneinend - ausdrücklich festgestellt. So haben die Kläger zu 1 und 2, wie das LSG unter Hinweis auf die Beratungsvermerke in den Akten ausgeführt hat, mehrfach Deutschkurse beantragt und sich auch sonst um Eingliederungsleistungen bemüht. Sie haben auch nicht schon bei der Einreise oder kurz danach, sondern erstmals nach rund einem Jahr ihres Aufenthalts in Deutschland und dann erneut rund noch einmal ein weiteres Jahr später existenzsichernde Leistungen beantragt. Der Kläger zu 3 folgt dem als Familienangehöriger.

47

(bb) Die Kläger unterfallen auch nicht dem Wortlaut der Alt 2 des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII. Sie verfügten - wie unter 2.a) dargelegt - im streitigen Zeitraum nicht mehr über ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche. Dies ist nach dem Wortlaut des § 23 Abs 3 SGB XII jedoch Voraussetzung für den Ausschluss von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII. Der Ausschluss tritt danach nur dann ein, wenn ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche im streitigen Zeitraum tatsächlich gegeben ist.

48

(cc) Ebenso wie oben zum Leistungsausschluss im SGB II dargelegt, sind jedoch auch nach § 23 Abs 3 S 1 SGB XII nichtfreizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigte Ausländer von den existenzsichernden Leistungen der Sozialhilfe ausgenommen(offengelassen BSG vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R - BSGE = SozR 4-3500 § 25 Nr 5, RdNr 25; aA Herbst in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und der Sozialhilfe, Band 1 Teil II, Stand VIII/2013, § 23 SGB XII RdNr 47b; Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 RdNr 54d, Stand VI/2012).

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Im Entwurf des Gesetzes zur Änderung des SGB XII und anderer Gesetze vom 25.9.2006 (BT-Drucks 16/2711 S 10) wird darauf hingewiesen, dass die Einfügung der Alt 2 in § 23 Abs 3 S 1 SGB XII einen der Regelung im SGB II entsprechenden Leistungsausschluss für Ausländer normiere und damit zugleich sicherstelle, dass Ausländer, die nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende hätten, auch aus dem SGB XII keine Ansprüche herleiten könnten. § 7 Abs 1 S 2 SGB II in der damaligen Fassung lautete: Ausgenommen sind Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt [und] ihre Familienangehörigen (…)(idF des Gesetzes zur Änderung des SGB II und anderer Gesetze vom 24.3.2006, BGBl I 558 mWv 1.4.2006). Es sollte damit Art 24 Abs 2 iVm Art 14 Abs 4 Buchst b der RL 2004/38/EG umgesetzt werden (BT-Drucks 16/2711 S 10). Nach Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG ist der Aufnahmemitgliedstaat - unter Hintanstellung des Gleichbehandlungsgrundsatzes - nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG (Zeitraum der Arbeitsuche, s unter 2.a) einen Anspruch auf Sozialhilfe (…) zu gewähren. Die dort vorgenommene Abgrenzung zwischen den gleich zu behandelnden Personengruppen und denen, die aus europarechtlicher Sicht von den Aufnahmestaaten von der Sozialhilfe ausgeschlossen werden dürfen, erfolgt, indem der Personenkreis der Freizügigkeitsberechtigten, die der Gleichbehandlung unterfallen, positiv benannt wird. Im Umkehrschluss ergibt sich, dass neben denen, die freizügigkeitsberechtigt wegen der Arbeitsuche sind und denen der Aufnahmestaat gleichwohl keine Sozialhilfeleistungen zu erbringen braucht, dies auch für die Nichtfreizügigkeitsberechtigten gilt. Sie unterfallen nicht dem Gleichbehandlungsgebot.

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Soweit spätere Versuche, eine weitergehende Anpassung der Rechtslage des SGB II an das SGB XII zu bewirken, nicht erfolgreich waren (s nur BT-Drucks 16/2711 S 16; BT-Drucks 16/2753 S 1, 2; BT-Drucks 16/5527 S 15, 23; BT-Drucks 16/239 S 13, 17), sprechen diese Versuche und die Reaktionen hierauf nicht für das Erfordernis einer anderen Wertung im Hinblick auf den "Erst-Recht-Schluss" im SGB XII als im SGB II. Die zuvor beschriebene Anpassung des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII war ausreichend, um die gewünschte Parallele zum SGB II für die hier zu beurteilenden Fälle zu ermöglichen. Insbesondere bedurfte es keiner Reaktion auf die Änderung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 (BGBl I, 1970 mWv 28.8.2007). Die Umstrukturierung des S 2 und die Einfügung der Nr 1 in § 7 Abs 1 S 2 SGB II ist für das SGB XII ohne Bedeutung.

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e) Zwar ist Rechtsfolge des Ausschlusses nach § 23 Abs 3 S 1 SGB XII, dass trotz des tatsächlichen Aufenthalts im Inland kein Rechtsanspruch auf ua Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 23 Abs 1 S 1 SGB XII besteht. In einem solchen Fall des Ausschlusses können jedoch nach § 23 Abs 1 S 3 SGB XII Leistungen der Sozialhilfe gewährt werden, wenn dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Ausschlussregelung, denn sie nimmt lediglich Bezug auf den "Anspruch" auf Sozialhilfe. Dementsprechend hat bereits das BVerwG zu der Vorschrift des § 120 Abs 3 S 1 Alt 1 BSHG befunden, dass Ausländer, die dem Leistungsausschluss unterfielen, weil sie eingereist seien, um Sozialhilfe zu erlangen, lediglich von einem Rechtsanspruch ua auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 120 Abs 1 S 1 BSHG ausgeschlossen seien(BVerwG vom 10.12.1987 - 5 C 32/85 - BVerwGE 78, 314, 316 f; Schellhorn/Jirasek/Seipp, Kommentar zum BSHG, 16. Aufl 2002, § 25 RdNr 10, § 120 RdNr 16; so auch Krahmer in LPK-BSHG, 6. Aufl 2003, § 25 RdNr 7; Birk in ders, § 120 RdNr 47). Insoweit gilt für die Regelung des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII, die der Gesetzgeber in Kenntnis der Rechtsprechung des BVerwG im Wesentlichen inhaltsgleich ausgestaltet hat(BT-Drucks 15/1514 S 58), nichts anderes (vgl BSG vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R - BSGE = SozR 4-3500 § 25 Nr 5, RdNr 28; s auch Adolph in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, § 23 SGB XII RdNr 76, Stand XII/2008; Birk in LPK-SGB XII, 10. Aufl 2015, § 23 RdNr 20; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl 2014, § 23 RdNr 42; differenzierend Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 RdNr 50, Stand VI/2012, der einen Rechtsanspruch auf die im Einzelfall gebotenen Leistungen annimmt, um zu einem Gleichklang mit § 1a AsylbLG zu gelangen).

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Der Ausschluss nur von dem Rechtsanspruch auf die in S 1 des § 23 Abs 1 SGB XII benannten Leistungen erschließt sich auch aus dem - im Übrigen gegenüber § 120 BSHG unveränderten - systematischen Verhältnis der Regelungen der Sätze 1 und 3 in Abs 1 des § 23 SGB XII zueinander. Durch § 23 Abs 1 S 1 SGB XII erhält der Ausländer ausschließlich unter der Voraussetzung, dass er sich tatsächlich im Inland aufhält, einen Rechtsanspruch auf Leistungen der Sozialhilfe nach einem reduzierten Leistungskatalog, aber der Höhe nach uneingeschränkt. Hiervon sollen diejenigen, die die Ausschlusstatbestände des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII erfüllen, ausgeschlossen werden, nicht jedoch von dem der Sozialhilfe systemimmanenten grundsätzlichen Anspruch auf Hilfe bei bedrohter Existenzsicherung(s hierzu BVerwG vom 14.3.1985 - 5 C 145/83 - BVerwGE 71, 139; BVerwG vom 10.12.1987 - 5 C 32/85 - BVerwGE 78, 314, 317 ff). Diesem Personenkreis sollen daher nur nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens Leistungen der Sozialhilfe erbracht werden können, aber eben auch solche Leistungen, die nach S 1 des § 23 Abs 1 SGB XII vom Rechtsanspruch ausgenommen worden sind, soweit im Einzelfall geboten.

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f) Das Ermessen des Sozialhilfeträgers ist jedoch in einem Fall wie dem vorliegenden, dem Grunde und der Höhe nach hinsichtlich der Hilfe zum Lebensunterhalt auf Null reduziert. Dies ist immer dann der Fall, wenn sich das Aufenthaltsrecht des ausgeschlossenen Ausländers verfestigt hat - regelmäßig ab einem sechsmonatigen Aufenthalt in Deutschland. Dies folgt aus der Systematik des § 23 Abs 3 S 1 Alt 2 SGB XII im Verhältnis zu § 23 Abs 1 S 1 und 3 SGB XII sowie verfassungsrechtlichen Erwägungen.

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So bezieht sich der ausdrückliche Ausschluss der Alt 2 des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII auf den im Freizügigkeitsgesetz/EU zeitlich begrenzten Vorgang der Arbeitsuche. Unter 2.a) ist bereits dargelegt worden, dass die Freizügigkeitsberechtigung zum Zwecke der Arbeitsuche nach dem Ablauf von sechs Monaten gemäß § 2 Abs 1a FreizügG/EU idF des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften vom 2.12.2014 (BGBl I 1922) endet, wenn nicht weiterhin eine begründete Aussicht auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit besteht. Diese Begrenzung der Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche dient nach den Gesetzesmaterialien der Umsetzung von Unionsrecht in seiner Auslegung durch den EuGH, der entschieden habe, dass die Mitgliedstaaten berechtigt seien, das Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche auf einen angemessenen Zeitraum zu begrenzen, wobei der EuGH von einem Zeitraum von sechs Monaten ausgegangen sei (BT-Drucks 18/2581 S 15 zu Art 1 Nr 1 Buchst b; vgl dazu bereits BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 29). Mit dem auf den konkreten Einzelfall abstellenden Zusatz - "darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden" - nimmt die Neuregelung lediglich die Formulierung in Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG auf, enthält jedoch mit der allgemein geltenden zeitlichen Begrenzung - "für bis zu sechs Monate" - eine Typisierung. Für diese typisierte Dauer einer Arbeitsuche von sechs Monaten nach der Einreise liegt eine Aufenthaltsverfestigung noch nicht vor, weil hinter der zeitlichen Begrenzung die Erwartung steht, es handele sich um einen angemessenen Zeitraum, die Erfolgsaussichten einer Arbeitsuche in einem anderen Mitgliedstaat ohne Aufenthaltsverfestigung zu prüfen.

55

Werden diese Erwartungen enttäuscht und bleibt der tatsächliche Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland nach Ablauf von sechs Monaten bestehen, tritt im Regelfall eine Aufenthaltsverfestigung ein, der nach geltendem Recht ausländerbehördlich entgegengetreten werden kann. Bestand nie eine Freizügigkeitsberechtigung wegen eines Aufenthalts zur Arbeitsuche oder besteht diese nach Ablauf von sechs Monaten mangels begründeter Aussichten, eingestellt zu werden, nicht mehr, kann durch die Ausländerbehörde der Verlust der Freizügigkeitsberechtigung durch Verwaltungsakt festgestellt werden (Verlustfeststellung nach § 5 Abs 4 S 1 FreizügG/EU). Erst die förmliche Verlustfeststellung begründet nach § 7 Abs 1 S 1 FreizügG/EU die sofortige Ausreisepflicht, wenn nicht Rechtsschutz in Anspruch genommen wird(vgl BT-Drucks 16/5065 S 211 zu Art 2 Nr 8 Buchst a Doppelbuchst aa). In tatsächlicher Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass von der rechtlichen Möglichkeit der Verlustfeststellung nur in geringem Umfang Gebrauch gemacht wird (Thym, NZS 2014, 81, 87; BT-Drucks 17/13322 S 19). Zur Prüfung der Voraussetzungen einer Verlustfeststellung kann die zuständige Ausländerbehörde im Übrigen nach § 5 Abs 2 S 1 FreizügG/EU bereits frühzeitig, nämlich drei Monate nach der Einreise, verlangen, dass die Voraussetzungen nach § 2 Abs 1 FreizüG/EU glaubhaft gemacht werden.

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Ist hiernach typisierend von einer Aufenthaltsverfestigung auszugehen, ist die Ermessenausübung jedoch daran zu messen, dass der Rechtsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt im Sozialhilferecht ansonsten weder nach dem Grund der Einreise, noch nach Berechtigung oder Dauer des Aufenthalts fragt. Bei der Leistungsgewährung nach dem SGB XII kommt es in erster Linie auf die Tatsache einer gegenwärtigen Hilfebedürftigkeit an (BSG vom 10.11.2011 - B 8 SO 12/10 R - SozR 4-3500 § 30 Nr 4 RdNr 26; BVerwG vom 2.6.1965 - V C 63.64 - BVerwGE 21, 208, 211; vgl auch Berlit in Berlit/Conradis/Sartorius, Existenzsicherungsrecht, 2. Aufl 2013, Kap 7 RdNr 24). Es reicht nach dem Wortlaut des § 23 Abs 1 S 1 SGB XII allein der tatsächliche Aufenthalt in Deutschland aus. Dem Leistungsberechtigten, der über kein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche mehr verfügt und "erst-recht" von dem Rechtsanspruch auf "Sozialhilfeleistungen" iS des § 23 Abs 1 S 1 SGB XII ausgeschlossen ist, mangelt es wie jedem anderen Ausländer, der sich tatsächlich im Inland aufhält - zunächst einmal ohne Freizügigkeits- oder Aufenthaltsberechtigung - an einer Aufenthaltsperspektive. Um den Gleichklang mit Letzterem zu erreichen, ist es folgerichtig, zumindest im Hinblick auf die Hilfe zum Lebensunterhalt durch eine Ermessensreduktion, bei verfestigtem Aufenthalt zu denselben Leistungen zu gelangen. Dieses nach Ablauf von regelmäßig sechs Monaten durch ein Vollzugsdefizit des Ausländerrechts bewirkte Faktum eines verfestigten tatsächlichen Aufenthalts des Unionsbürgers im Inland ist unter Berücksichtigung auch der verfassungsrechtlichen Vorgaben kein zulässiges Kriterium, die Entscheidung über die Gewährung existenzsichernder Leistungen dem Grunde und der Höhe nach in das Ermessen des Sozialhilfeträgers zu stellen.

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Das BVerfG hat in seiner Entscheidung zum AsylbLG (vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134) im Anschluss und in Weiterentwicklung der grundlegenden Entscheidung vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12)Grundlagen und Umfang des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums näher ausgeformt. Wenn Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlten, weil sie weder aus einer Erwerbstätigkeit noch aus eigenem Vermögen oder durch Zuwendungen Dritter zu erlangen seien, sei der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen dafür Hilfebedürftigen zur Verfügung stünden. Als Menschenrecht - und dies ist hier entscheidend - stehe dieses Grundrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhielten, gleichermaßen zu (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 159 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 89, unter Hinweis auf BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12). Eine pauschale Differenzierung nach dem Aufenthaltsstatus hat das BVerfG im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung der existenzsichernden Leistungen ausdrücklich abgelehnt (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 164 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 99). Insoweit komme es für eine abweichende Bedarfsbestimmung darauf an, ob etwa wegen eines nur kurzfristigen Aufenthalts konkrete Minderbedarfe gegenüber Hilfeempfängern mit Daueraufenthaltsrecht nachvollziehbar festgestellt und bemessen werden könnten. Hierbei sei etwa zu berücksichtigen, ob durch die Kürze des Aufenthalts Minderbedarfe durch Mehrbedarfe kompensiert werden könnten, die typischerweise gerade unter den Bedingungen eines nur vorübergehenden Aufenthalts anfielen. Dies lässt sich während des Bestehens eines Aufenthaltsrechts allein zum Zwecke der Arbeitsuche über die Ermessensleistung des § 23 Abs 1 S 3 SGB XII regulieren, nicht jedoch bei verfestigtem Aufenthalt. Denn ließen sich - so das BVerfG - tatsächlich spezifische Minderbedarfe bei einem nur kurzfristigen, nicht auf Dauer angelegten Aufenthalt feststellen, und wolle der Gesetzgeber die existenznotwendigen Leistungen für eine Personengruppe deshalb gesondert bestimmen, müsse er sicherstellen, dass die gesetzliche Umschreibung dieser Gruppe hinreichend zuverlässig tatsächlich nur diejenigen erfasse, die sich regelmäßig nur kurzfristig in Deutschland aufhielten. Eine Beschränkung auf etwaige Minderbedarfe für Kurzaufenthalte komme dann nicht mehr in Betracht, wenn der tatsächliche Aufenthalt die Spanne eines Kurzaufenthalts deutlich überschritten habe. Für diese Fälle sei ein zeitnaher Übergang zu den existenzsichernden Leistungen für Normalfälle vorzusehen (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 164 ff = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 99 ff). Dies begründet im Regelfall eine Ermessensreduktion auf Null und damit eine Anpassung der Hilfe zum Lebensunterhalt für diejenigen, die sich nicht nur kurzfristig im Inland aufhalten. Denn im Übrigen weist das BVerfG darauf hin, dass eine Regelung zur Existenzsicherung vor der Verfassung nur Bestand habe, wenn Bedarfe durch Anspruchsnormen gesichert würden (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 162 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 96).

58

Tatsächliche Hinweise darauf, dass von einer Ermessensreduzierung trotz des Zeitablaufs ausnahmsweise abzusehen ist, sind den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen. Derartige Umstände können insbesondere vorliegen, wenn die tatsächlichen Lebensumstände des Unionsbürgers darauf schließen lassen, dass er nicht auf Dauer im Inland verweilen wird. Gleiches gilt, wenn die Ausländerbehörde bereits konkrete Schritte zur Beendigung des Aufenthalts eingeleitet hat. Demgegenüber haben sich die Kläger im streitigen Zeitraum bereits mehr als zwei Jahre in Deutschland aufgehalten, ohne dass derartige Maßnahmen im Raum standen.

59

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.