Bundessozialgericht Beschluss, 21. Dez. 2017 - B 14 AS 4/17 B

ECLI:ECLI:DE:BSG:2017:211217BB14AS417B0
bei uns veröffentlicht am21.12.2017

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 11. Juli 2016 wird als unzulässig verworfen.

Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde vor dem Bundessozialgericht Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt K. zu bewilligen, wird abgelehnt.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG), weil der zu ihrer Begründung allein angeführte Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG schlüssig dargelegt ist.

2

Das gilt insbesondere, soweit die Beschwerde durch die Verhandlungsführung des LSG den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) als verletzt rügt. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt vor, wenn die Entscheidung auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen die Beteiligten sich nicht äußern konnten (sog Überraschungsentscheidung, BVerfG vom 29.5.1991 - 1 BvR 1383/90 BVerfGE 84, 188, 190; BVerfG vom 8.2.1994 - 1 BvR 765/89 ua - BVerfGE 89, 381, 392; vgl BSG vom 13.10.1993 - 2 BU 79/93 - SozR 3-1500 § 153 Nr 1; BSG vom 16.3.2016 - B 9 V 6/15 R - SozR 4-3100 § 60 Nr 7 RdNr 26), oder wenn das LSG seine Pflicht verletzt hat, das Vorbringen der Beteiligten in seine Erwägungen miteinzubeziehen (BVerfG vom 8.7.1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205, 216 f). Daraus folgt jedoch weder eine allgemeine Aufklärungspflicht des Gerichts über die Rechtslage noch die Pflicht, bei der Erörterung der Sach- und Rechtslage im Rahmen der mündlichen Verhandlung oder einer sie ersetzenden Anhörung die endgültige Beweiswürdigung bereits darzulegen. Geboten ist vielmehr lediglich dann ein Hinweis, wenn das Gericht auf einen Gesichtspunkt abstellen will, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht zu rechnen brauchte (BSG vom 16.3.2016 - B 9 V 6/15 R - SozR 4-3100 § 60 Nr 7 RdNr 26 mwN).

3

Dass diese Anforderungen im Rahmen der mündlichen Verhandlung des LSG am 11.7.2016 nicht gewahrt worden seien, ist nach dem Beschwerdevorbringen nicht zu erkennen. Soweit mit ihm zunächst beanstandet wird, dass im Protokoll über die mündliche Verhandlung weder der Abschluss des Sachberichts (§ 112 Abs 1 Satz 2 SGG) noch die Erörterung des Streitgegenstands (§ 112 Abs 2 Satz 2 SGG) vermerkt seien, lässt sich dem Vortrag nicht entnehmen, dass die Klägerin insoweit auf eine Protokollberichtigung nach § 122 SGG iVm § 164 ZPO hingewirkt hätte(vgl BSG vom 30.10.2013 - B 9 V 6/13 B - juris, RdNr 7). Soweit die Beschwerde die gebotene Erörterung der Angelegenheit als unzureichend oder fehlend rügt, lässt sie nicht erkennen, dass der die Klägerin in der Sitzung vertretende Ehemann vor dem LSG erfolglos alle prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft hätte, sich Gehör zu verschaffen (vgl nur BSG vom 30.10.2013 - B 9 V 6/13 B - juris, RdNr 8). Jedenfalls aber fehlt es an jeder substantiierten Angabe dazu, an welchem Vorbringen die Klägerin insoweit gehindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann (vgl BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36; BSG vom 2.10.2014 - B 9 SB 65/14 B - juris, RdNr 9). Der pauschale Hinweis auf einen nicht auszuschließenden anderen Verlauf der Sitzung trägt den impliziten Vorwurf der Gehörsverletzung nicht.

4

Nicht anders liegt es zum Zweiten bei der Rüge, das LSG habe erstmals im Urteil die Beiziehung der Leistungsakten des Beklagten, der Schwerbehindertenakte des Landesamts für soziale Dienste und der Akte eines erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens erwähnt. Selbst wenn - wie geltend gemacht - Hinweise auf die konkret beigezogenen Akten in der mündlichen Verhandlung nicht erfolgt sein sollten, ist ein Verfahrensfehler, auf dem die Entscheidung beruhen könnte (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG), insoweit nicht schlüssig dargetan. Zwar kann die fehlende Information über die vom Gericht vom Beklagten oder einer anderen Behörde beigezogenen Verwaltungsakten ein solcher Verfahrensmangel sein, wenn das Gericht seine Entscheidung hierauf stützt und hierdurch der Anspruch auf die Gewährung rechtlichen Gehörs eines Beteiligten verletzt wird. Jedoch zeigt die Beschwerde bereits nicht schlüssig auf, inwiefern die Klägerin von der Beiziehung insbesondere der Schwerbehindertenakte des Landesamts für soziale Dienste überrascht worden sein könnte.

5

Wie dem Beschwerdevorbringen zu entnehmen ist, war die Schwerbehindertenakte nach Abgabe einer entsprechenden Entbindungserklärung durch die Klägerin bereits vom SG beigezogen worden. Jedoch habe das SG den Akteninhalt nicht als ausreichend angesehen, um die im Ausgangsverfahren vom Beklagten bestrittene Notwendigkeit eines Umzugs der Klägerin zu ihrer Tochter aus gesundheitlichen Gründen beurteilen und ihr demzufolge zu Lasten des Beklagten die streitbefangenen Umzugskosten zusprechen zu können. Der weiteren Aufklärung habe für das SG die Weigerung der Klägerin zur Abgabe entsprechender Schweigepflichtentbindungserklärungen entgegengestanden. Von einer Vernehmung der behandelnden Ärzte in mündlicher Verhandlung habe das SG abgesehen und sich dazu als befugt angesehen, weil die Aufklärung medizinischer Sachverhalte in erster Linie durch Einholung von Befund- und Behandlungsberichten erfolge und es die zeugenschaftliche Einvernahme der Ärzte als unverhältnismäßig erachtet hätte.

6

Inwiefern die Klägerin vor diesem Hintergrund von der Beiziehung und Verwertung der Schwerbehindertenakte durch das LSG überrascht worden und - wie die Beschwerde geltend macht - an einer Auseinandersetzung mit deren Inhalt gehindert gewesen sein könnte, zeigt die Beschwerde nicht hinreichend auf. Nach ihrem Vorbringen war die Berufung gegen den die Klage abweisenden Gerichtsbescheid des SG von der Rüge einer unzulässigen Entscheidung im Verfahren nach § 105 SGG abgesehen wesentlich auf den Vorwurf gestützt, dass das SG gegen seine Amtsermittlungspflicht verstoßen habe, indem es unbedingte Schweigepflichtentbindungserklärungen verlangt habe, obwohl nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip nur die für die Entscheidung wesentlichen Daten zu erheben seien. In diesem Umfang sei sie - die Klägerin - zu einer Entbindung der behandelnden Ärzte von deren Schweigepflicht bereit gewesen. Hiernach musste sich der - bereits im Berufungsverfahren anwaltlich vertretenen - Klägerin mindestens aufdrängen, dass sich das LSG vor der Entscheidung über die nach dem Beschwerdevorbringen auch im Berufungsverfahren streitig gebliebene Frage der Anhörung der behandelnden Ärzte in mündlicher Verhandlung durch Beiziehung der Schwerbehindertenakte des Landesamts für soziale Dienste zunächst einen eigenen Eindruck über die Aussagekraft der vom SG unstreitig beigezogenen ärztlichen Befundunterlagen verschaffen würde, zumal sie - die Klägerin - sich nach dem Beschwerdevortrag im Verlauf des Berufungsverfahrens mehrfach gegen gerichtliche Hinweise zur Abgabe von Schweigepflichtentbindungserklärungen gewandt und insoweit den Berichterstatter des LSG auch als befangen abgelehnt hatte. Inwiefern sie gleichwohl gemessen an den Maßstäben zur Gewährung rechtlichen Gehörs von der Beiziehung der Schwerbehindertenakte überrascht gewesen sein konnte, hätte angesichts dessen besonderer Ausführungen bedurft, woran es aber mangelt. Zudem fehlt jede Angabe dazu, inwieweit die Schwerbehindertenakte vom LSG überhaupt verwertet und seiner Entscheidung zugrunde gelegt wurde und erst recht ihr Erkenntnisse entnommen wurden, die aus Sicht der Klägerin unzutreffend sind und auf die sie daher - rechtzeitige Kenntnis der Beiziehung vorausgesetzt - mit weiterem Sachvortrag und ggf einem entsprechenden Beweisantritt reagiert hätte.

7

Soweit die Klägerin zum Dritten unter Bezeichnung eines in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrags die Verletzung von § 103 SGG rügt, fehlt es an substantiierten Ausführungen dazu, inwiefern es hierauf nach der Rechtsauffassung des LSG ankam(vgl zu den Anforderungen an die schlüssige Darlegung einer auf die Nichtbeachtung eines Beweisantrags gestützten Verfahrensrüge stellvertretend jüngst nur BSG vom 10.3.2016 - B 11 AL 44/15 B - juris, RdNr 7 mwN). Danach zeigt die Beschwerde zwar auf, dass die frühere Hausärztin der Klägerin bei der in der mündlichen Verhandlung beantragten Anhörung vor dem LSG die Erforderlichkeit einer Begleitung, Unterstützung und Motivation der Klägerin infolge einer in den Jahren 2007, 2008 und 2009 bestehenden Angststörung, depressiven Störung und Anpassungsstörung und eines chronischen Schmerzsyndroms bestätigt hätte. Indes ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang des Beschwerdevorbringens, dass es nach der Auffassung des LSG nicht auf die Einschätzung nur eines einzelnen Arztes ankam, sondern es die Beiziehung von Befund- und Behandlungsberichten jedenfalls einer größeren Zahl behandelnder Ärzte als notwendig erachtete. Andernfalls hätte es für die mit der Beschwerde eingehend referierte Auseinandersetzung um die Schweigepflichtentbindung der behandelnden Ärzte bis hin zur Ablehnung des Berichterstatters als befangen wegen in diesem Zusammenhang erteilter Hinweise keinen Anlass gegeben. Daher hätte es näherer Ausführungen dazu bedurft, warum sich das LSG trotz der - wie mit der Beschwerde vorgetragen - fortbestehenden Weigerung der Klägerin zur Abgabe entsprechender uneingeschränkter Schweigepflichtentbindungserklärungen gedrängt sehen musste, dem Beweisantrag nachzukommen und ihre frühere Ärztin als Zeugin zu hören, woran es fehlt. Dass die Beschwerde insoweit Konflikte mit dem informationellen Selbstbestimmungsrecht der Klägerin sieht ("Es ist nicht zu erkennen, dass das Gericht hier das Verhältnismäßigkeitsgebot … gewahrt hat"), begründet keinen Verstoß gegen § 103 SGG, sondern betrifft die Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG, die der Verfahrensrüge entzogen ist(§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG). Andere Rügen sind in diesem Zusammenhang nicht erhoben.

8

Nicht hinreichend substantiiert ist viertens weiter die Rüge, dass das LSG über am Ende der mündlichen Verhandlung gestellte Befangenheitsanträge gegen die Senatsvorsitzende und den Berichterstatter zu Unrecht unter Beteiligung der abgelehnten Richter entschieden und die Klägerin damit ihrem gesetzlichen Richter gemäß Art 101 Abs 1 Satz 2 GG entzogen habe (absoluter Revisionsgrund nach § 547 Nr 1 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG). Eine "Entziehung" des gesetzlichen Richters durch ein Gericht, dem die Anwendung der Zuständigkeitsregeln und die Handhabung des Ablehnungsrechts im Einzelfall obliegt, kann nicht in jeder fehlerhaften Anwendung dieser Regelungen gesehen werden. Andernfalls müsste jede fehlerhafte Handhabung des einfachen Rechts zugleich als Verfassungsverstoß angesehen werden (vgl BVerfG vom 10.7.1990 - 1 BvR 984/87 ua - BVerfGE 82, 286, 299). Die Grenzen zum Verfassungsverstoß sind aber jedenfalls dann überschritten, wenn die Auslegung einer Zuständigkeitsnorm oder ihre Handhabung im Einzelfall willkürlich oder offensichtlich unhaltbar ist oder wenn die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art 101 Abs 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt (stRspr, vgl etwa: BVerfG vom 10.7.1990 - 1 BvR 984/87 ua - BVerfGE 82, 286, 299; BVerfG vom 11.3.2013 - 1 BvR 2853/11 - juris RdNr 26 mwN; BSG vom 2.11.2007 - B 1 KR 72/07 B - SozR 4-1100 Art 101 Nr 3 RdNr 5 mwN).

9

Dass das LSG diese Maßstäbe verkannt hätte, zeigt die Beschwerde nicht schlüssig auf. Danach hat der Ehemann der Klägerin als deren Vertreter gegen Ende der mündlichen Verhandlung ein "gegen Herrn G. wegen der Nichtgewährung rechtlichen Gehörs und des Unterlassens weiterer Ermittlungen und außerdem gegen die Vorsitzende wegen ihres Verhaltens im Zusammenhang mit der überreichten Vollmacht und der Verweigerung rechtlichen Gehörs" gerichtetes Befangenheitsgesuch gestellt, weil zu diesem Zeitpunkt absehbar geworden sei, "dass das Gericht auch dem gestellten Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung nicht beabsichtigt nachzukommen". Soweit das LSG über dieses Befangenheitsgesuch nach dem Beschwerdevortrag unter Beteiligung der abgelehnten Richter entschieden und es als jedenfalls offensichtlich unzulässig erachtet hat, ist ein solches Prozedere in engen Grenzen verfassungsrechtlich ausnahmsweise nicht zu beanstanden. Zwar wird durch die in § 60 Abs 1 SGG in Bezug genommenen Zuständigkeitsregelungen der §§ 44 ff ZPO dem Umstand Rechnung getragen, dass es nach der Natur der Sache an der völligen inneren Unbefangenheit und Unparteilichkeit eines Richters fehlen wird, wenn er über die vorgetragenen Gründe für seine angebliche Befangenheit selbst entscheiden müsste(vgl zur Zurückweisung eines Befangenheitsantrags in einem zivilrechtlichen Verfahren nur BVerfG vom 15.6.2015 - 1 BvR 1288/14 - juris RdNr 15). Andererseits ist anerkannt, dass aus Gründen der Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens der abgelehnte Richter in den klaren Fällen eines unzulässigen oder missbräuchlich angebrachten Ablehnungsgesuchs an der weiteren Mitwirkung nicht gehindert sein und ein aufwendiges und zeitraubendes Ablehnungsverfahren verhindert werden soll. Bei strenger Beachtung der Voraussetzungen gerät deshalb eine Selbstentscheidung mit der Verfassungsgarantie des Art 101 Abs 1 Satz 2 GG nicht in Konflikt, insbesondere bei völliger Ungeeignetheit des Gesuchs, wenn für eine Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens entbehrlich ist (vgl BVerfG vom 15.6.2015 - 1 BvR 1288/14 - juris RdNr 17 mwN; aus der jüngeren Rspr des erkennenden Senats: BSG vom 9.4.2014 - B 14 AS 363/13 B - juris, RdNr 4; BSG vom 16.12.2015 - B 14 AS 191/15 B - juris, RdNr 4; BSG vom 20.1.2016 - B 14 AS 193/15 B - juris, RdNr 10, jeweils mwN).

10

Solange besondere weitere Umstände nicht hinzugetreten sind, ist hiernach nicht zu beanstanden, dass das LSG das auf die vermutete Ablehnung eines Beweisantrags und den Vorwurf der Gehörsverletzung gestützte Ablehnungsgesuch der Klägerin unter Beteiligung der abgelehnten Richter als jedenfalls offensichtlich unzulässig verworfen hat. Soweit ein Gericht einem Beweisantrag "nicht beabsichtigt nachzukommen", trägt das für sich genommen einen Befangenheitsantrag schlechterdings nicht, weil die Besorgnis der Befangenheit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt begründet sein kann, wenn lediglich eine für den Betroffenen ungünstige Rechtsansicht beanstandet wird (vgl nur Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 60 RdNr 10b); Befangenheitsgesuche sind nicht das vorgesehene Mittel, Ermittlungen oder ein sonstiges erwünschtes prozessuales Vorgehen des Gerichts zu erzwingen (BSG vom 29.3.2007 - B 9a SB 18/06 B - SozR 4-1500 § 60 Nr 4 RdNr 12; BSG vom 8.1.2010 - B 1 KR 119/09 B - juris, RdNr 8). Ebenso wenig begründen richterliche Fehler - sofern nicht besondere weitere Umstände hinzutreten - eine Besorgnis der Befangenheit (vgl nur BSG vom 8.1.2010 - B 1 KR 119/09 B - juris, RdNr 8; BSG vom 31.8.2015 - B 9 V 26/15 B - juris, RdNr 15; BSG vom 21.9.2017 - B 13 R 230/17 B - juris, RdNr 13; ebenso BFH vom 27.6.1996 - X B 84/96 - BFH/NV 1997, 122; Jung in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 60 RdNr 32). Dass hier etwas anderes gelten würde, weil sich für den Ehemann der Klägerin der Eindruck der Voreingenommenheit der abgelehnten Richter aufdrängen konnte (vgl Jung in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 60 RdNr 32; ähnlich Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 60 RdNr 10b) oder der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch eine inhaltliche Bewertung der von der Klägerin vorgetragenen konkreten Ablehnungsgründe zugrunde läge (vgl nur BSG vom 16.12.2015 - B 14 AS 191/15 B - juris, RdNr 5) zeigt die Beschwerde nicht substantiiert auf. Nur die als überzogen beanstandeten Hinweise der Vorsitzenden auf die Erfordernisse des Sitzungsablaufs im Zusammenhang mit der überreichten Vollmacht reichen dafür nicht.

11

Soweit die Beschwerde schließlich zuletzt fünftens einen Verfahrensmangel in der fehlenden Beiladung des Sozialhilfeträgers im Rechtsstreit um einen vom Beklagten nach dem Beschwerdevorbringen als unzulässig verworfenen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X im Hinblick auf Kosten der Unterkunft(§ 22 Abs 1 SGB II) im Zeitraum von Januar bis Februar 2010 sieht, fehlt es an Ausführungen dazu, inwieweit der Sozialhilfeträger an der begehrten Überprüfung durch das beklagte Jobcenter derart beteiligt sein könnte, dass die Entscheidung auch ihm gegenüber iS von § 75 Abs 2 SGG nur einheitlich ergehen kann oder er als leistungspflichtig in Betracht kommt. Dazu hätte im Hinblick auf die der Klägerin nach dem Beschwerdevorbringen seit dem 1.7.2009 gewährte Rente wegen voller Erwerbsminderung insbesondere dargetan werden müssen, inwieweit der SGB II-Träger angesichts dessen noch Anlass zu einer Sachprüfung von Leistungsbescheiden über die Gewährung von Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II für den Zeitraum von Januar bis Februar 2010 hatte und inwiefern hieran - dem Rechtsstreit über die Pflicht zur Überprüfung eines bestandskräftig gewordenen SGB II-Leistungsbescheids (zu den Grenzen der Verpflichtung zur Bescheidung eines Antrags nach § 44 Abs 1 SGB X bei nicht mehr gegebener Rücknehmbarkeit der zur Überprüfung gestellten Entscheidung vgl zuletzt nur BSG vom 23.2.2017 - B 4 AS 57/15 R - vorgesehen für SozR 4-1300 § 44 Nr 34 RdNr 23 mwN) - der SGB XII-Träger notwendig zu beteiligen war, woran es fehlt.

12

PKH gemäß § 73a SGG iVm § 114 ZPO ist nicht zu bewilligen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung nach den obigen Ausführungen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Der Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts (§ 73a SGG iVm § 121 ZPO) ist abzulehnen, weil kein Anspruch auf PKH besteht.

13

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.

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(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

Das Bundessozialgericht hat zu prüfen, ob die Revision statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Revision als unzulässig zu verwerfen. Die Verwerfung ohne mündliche Verhandlung erfolgt durch Beschluß ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

Vor jeder Entscheidung ist den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren; die Anhörung kann schriftlich oder elektronisch geschehen.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. Oktober 2014 wird zurückgewiesen.

Kosten sind von den Beteiligten nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Gewährung von Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) für den Zeitraum vom 1.1.1997 bis zum 30.6.2005.

2

Die 1995 geborene Klägerin ist das Kind von N.M. (Mutter) und F.N. (Vater). Beide Elternteile sind als Asylbewerber aus Zaire (heute Demokratische Republik Kongo) nach Deutschland gekommen und haben ab April 1996 in einer gemeinsamen Wohnung gewohnt. Die in den Kriegswirren in Zaire schwer misshandelte Mutter leidet an einer psychotischen Erkrankung des schizophrenen Formenkreises, sodass ihr bereits 1993 für ihr erstgeborenes Kind die elterliche Sorge entzogen und am 31.10.1995 das Ruhen der elterlichen Sorge auch hinsichtlich der Klägerin festgestellt wurde. Die Vormundschaft über die Klägerin erhielt in der Zeit vom 31.10.1995 bis 24.3.1996 das Kreisjugendamt E. und vom 25.3.1996 bis 15.1.2003 der Vater. In der Zeit vom 16.1.2003 bis 3.5.2005 lag die elterliche Sorge bei der Kindesmutter, anschließend beim Jugendamt der Stadt M. (Beigeladene zu 1.) als Amtsvormund. Ab dem 5.10.2011 bis zur Volljährigkeit der Klägerin oblag die elterliche Sorge wieder dem Vater.

3

Am 3.1.1997 erlitt die Klägerin (im Alter von 15 Monaten) während der berufsbedingten Abwesenheit des Vaters in der elterlichen Wohnung aufgrund einer Misshandlung durch die Mutter eine Schädel-Hirn-Verletzung mit Erblindung des linken sowie Schädigung des rechten Auges. Ein diesbezüglich eingeleitetes Ermittlungsverfahren wurde nach Vernehmung ua des Vaters mangels Schuldfähigkeit der Mutter zum Tatzeitpunkt eingestellt (Staatsanwaltschaft Bonn, Az 72 Js 941/97). Die Stellung eines Antrags nach dem OEG erfolgte erst am 29.7.2005 durch den Beigeladenen zu 1. gemäß § 97 SGB VIII.

4

Der beklagte Landschaftsverband stellte eine Hirnschädigung nach Schädelfraktur parasagittal frontal links mit kleiner Hirnkontusion rechts frontolateral und Subarachnoidalblutung 1997 sowie Sehminderung, Gesichtsfeldausfälle rechtes Auge, Erblindung linkes Auge und ein operiertes Innenschielen linkes Auge als Folge einer Schädigung im Sinne des OEG fest und gewährte ab dem 1.7.2005 Versorgungsgrundrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 vH unter Ablehnung eines früheren Leistungsbeginns (Bescheid vom 20.6.2008; Widerspruchsbescheid vom 10.10.2008).

5

Das SG hat die Klage abgewiesen, weil die Klägerin keinen Anspruch auf eine rückwirkende Gewährung von Versorgungsleistungen nach § 60 Abs 1 S 2 und 3 BVG habe. Auch aus dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ergebe sich kein Entschädigungsanspruch für zurückliegende Zeiträume (Urteil vom 8.2.2013).

6

Die anschließende Berufung der Klägerin hat das LSG zurückgewiesen (Urteil vom 31.10.2014), weil diese keinen Anspruch auf einen früheren Leistungsbeginn habe. Die Klägerin sei nicht ohne Verschulden gehindert gewesen in der Zeit vor der tatsächlichen Antragstellung Beschädigtenversorgung zu beantragen. Sie müsse sich insoweit das Verschulden des damals sorgeberechtigten Vaters, der es pflichtwidrig unterlassen habe einen Antrag nach dem OEG zu stellen, zurechnen lassen. Rechtsunkenntnis des Vaters schließe ein Verschulden nicht aus und ein schutzwürdiger Interessenkonflikt habe für diesen nicht vorgelegen. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch scheide aus, weil der Beklagte selbst keine Beratungspflichten verletzt habe und diesem eine fehlende Beratung durch das damals zuständige Jugendamt nicht zuzurechnen sei.

7

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung der Vorschrift des § 1 Abs 1 OEG iVm § 60 Abs 1 S 3 BVG. Es sei rechtsfehlerhaft für die Nichtantragstellung vor dem 29.7.2005 ein Verschulden des zu der Zeit allein sorgeberechtigten Vaters anzunehmen und dies der Klägerin zuzurechnen. Obwohl der Vater das Gespräch mit den zuständigen Stellen gesucht und geführt habe, sei durch keine einzige Behörde Aufklärung über eine mögliche Antragstellung nach dem OEG erfolgt, obwohl sich gerade für den Beigeladenen zu 2. eine solche Hinweispflicht aufgedrängt habe. Zudem wären Leistungen nach dem OEG im Rahmen von "SGB II-Leistungen" bedarfsmindernd zu berücksichtigen gewesen.

8

Jedenfalls stehe der Klägerin unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs eine frühere Leistungsgewährung zu, weil das LSG rechtsfehlerhaft eine Funktionseinheit zwischen dem zuständigen Jugendamt und dem Beklagten verkannt habe. Jugendämter besäßen einen nachrangigen Kostenerstattungsanspruch für bereits erbrachte Leistungen gegenüber dem vorrangig zuständigen Sozialleistungsträger, sodass ihnen ein eigenes Antragsrecht auf Gewährung von Versorgung gemäß § 97 SGB VIII zustehe. Die materiell-rechtliche Verknüpfung und das arbeitsteilige Zusammenwirken ergebe sich auch aus den diversen Informationsveranstaltungen und Fortbildungsseminaren über das OEG zur Verbesserung der Kooperation, die ausdrücklich des Rundschreibens des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung zum sozialen Entschädigungsrecht vom 15.11.1999 nebst Schreiben des Landesversorgungsamtes Nordrhein-Westfalen vom 15.3.2000 gefordert worden seien.

9

Auch habe das LSG rechtsfehlerhaft nicht berücksichtigt, dass die Mutter und alleinige Gewalttäterin vom 16.1.2003 bis 2.5.2005 allein sorgeberechtigt gewesen sei und damit eine Verschuldenszurechnung hinsichtlich der Fristversäumung gegenüber der Klägerin ausscheide.

10

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 31. Oktober 2014 und des SG Köln vom 8. Februar 2013 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung seines Bescheides vom 20. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Oktober 2008 zu verurteilen, der Klägerin Versorgungsrente nach dem OEG auch für die Zeit vom 1. Januar 1997 bis 30. Juni 2005 zu zahlen.

11

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

12

Er hält das Urteil des LSG für rechtmäßig.

13

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Entscheidungsgründe

14

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet, sie hat keinen Anspruch auf Versorgungsleistungen aufgrund der am 3.1.1997 erlittenen Schädigungen bereits für den Zeitraum vom 1.1.1997 bis zum 30.6.2005. Die Urteile des LSG vom 31.10.2014 und SG vom 8.2.2013 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin ebenso wenig in ihren Rechten wie der Bescheid des Beklagten vom 20.6.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.10.2008.

15

Gegenstand der Revision ist das die Berufung der Klägerin zurückweisende Urteil des LSG. Dieses hat die Entscheidung des SG bestätigt, das die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 und Abs 4 SGG) der Klägerin auf einen früheren Leistungsbeginn ihrer Grundrente abgewiesen hat. Dabei sind die Vorinstanzen zutreffend davon ausgegangen, dass der beklagte Landschaftsverband seit dem 1.1.2008 passiv legitimiert ist (vgl hierzu BSG Urteil vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245 = SozR 4-3100 § 60 Nr 6, RdNr 26 mwN). Dies hat zur Folge, dass allein der im Laufe des Verwaltungsverfahrens zuständig gewordene Rechtsträger, hier der Landschaftsverband Rheinland, die von der Klägerin beanspruchte Leistung gewähren kann. Ob für einen Anspruch der Klägerin im streitigen Zeitraum die Voraussetzungen von § 1 Abs 4 OEG oder von Abs 5 bzw Abs 6 der Vorschrift für Ausländer Anwendung findet, kann hier dahinstehen, weil sich ein Anspruch der Klägerin für einen früheren Leistungsbeginn als ab dem 1.7.2005 weder aus § 1 Abs 1 S 1 OEG iVm § 60 Abs 1 S 2 und 3 BVG(in der Fassung vom 10.8.1978, BGBl I 1217; siehe hierzu 1.) noch unter dem Gesichtspunkt eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs (siehe hierzu unter 2.) ergibt.

16

1. Ein Anspruch der Klägerin auf die von ihr begehrte Leistung für die Zeit vor dem 1.7.2005 richtet sich nach § 1 OEG iVm den Vorschriften des BVG. Insoweit setzt § 1 Abs 1 S 1 OEG allgemein voraus, dass eine natürliche Person ("wer") im (räumlichen) Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Außerdem ist ein wirksamer Antrag ("auf Antrag") weitere materiell-rechtliche Voraussetzung (zu den allgemeinen Leistungsvoraussetzungen für eine Entschädigung nach dem OEG vgl zB BSG Urteil vom 8.11.2007 - B 9/9a VG 3/05 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 12 = Breithaupt 2008, 507). Dass die Klägerin am 3.1.1997 Opfer einer Gewalttat iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden ist und dadurch eine bleibende gesundheitliche Schädigung erlitten hat, steht nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG außer Zweifel; der beklagte Landschaftsverband hat als zuständige Versorgungsverwaltung der Klägerin ab Beginn des Antragsmonats (1.7.2005) Leistungen nach dem OEG iVm dem BVG zuerkannt. Entsprechend der Auffassung der Vorinstanzen lässt sich ein früherer Beginn der von der Klägerin begehrten Beschädigtenversorgung - hier der Beschädigtengrundrente - nicht aus § 1 Abs 1 S 1 OEG iVm § 60 Abs 1 S 3 BVG herleiten. Der Vater der Klägerin war als ihr gesetzlicher Vertreter zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses nicht ohne Verschulden gehindert, vor Ablauf der Jahresfrist des § 60 Abs 1 S 2 BVG Antrag auf Leistungen der Beschädigtenversorgung nach dem OEG zu stellen.

17

Nach § 1 Abs 1 S 1 OEG iVm § 60 Abs 1 S 1 BVG beginnen auch bei Opfern von Gewalttaten die Leistungen der Beschädigtenversorgung im Grundsatz mit dem Antragsmonat, wenn die sonstigen materiell-rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Die Vorschrift des § 60 Abs 1 BVG ist nach § 1 Abs 1 S 1 OEG auf die Opferentschädigung entsprechend anwendbar(vgl BSG Urteil vom 11.12.2008 - B 9/9a VG 1/07 R - SozR 4-3100 § 60 Nr 5 RdNr 18 mwN zum Konzept des § 60 Abs 1 BVG). Ausnahmsweise eröffnet § 60 Abs 1 S 2 BVG eine Rückwirkung, wenn der Antrag innerhalb eines Jahres nach Eintritt der Schädigung gestellt wird. Die Jahresfrist wird nach § 60 Abs 1 S 3 BVG wiederum um den Zeitraum verlängert, in dem eine unverschuldete Verhinderung der Antragstellung vorlag. Ihrer Wirkung nach ermöglicht die (verlängerte) Jahresfrist eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand bei Eintritt der Schädigung. Entgegen der Auffassung der Revision sind hier die Voraussetzungen des Verlängerungstatbestands des § 60 Abs 1 S 3 BVG nicht gegeben, denn die Klägerin war nicht ohne Verschulden gehindert, bis zum Ablauf der Jahresfrist (beginnend mit dem Eintritt der Schädigung) Leistungen wie zB die Beschädigtengrundrente nach § 1 Abs 1 S 1 OEG iVm § 31 Abs 1 BVG zu beantragen.

18

Ein eigenes Verschulden der Klägerin scheidet allerdings schon deshalb aus, weil diese in der Zeit vom 4.1.1997 bis zum 3.1.1998 (also während der Jahresfrist des § 60 Abs 1 S 2 BVG) weder geschäftsfähig (§ 104 Nr 1 BGB) noch sozialrechtlich handlungsfähig (§ 36 Abs 1 SGB I) war und deshalb keine rechtswirksamen Willenserklärungen abgeben, mithin auch keinen Antrag nach dem OEG stellen konnte (zum Antrag als einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung stellvertretend BSG SozR 3-1200 § 16 Nr 2 S 5; BSG SozR 4-1200 § 44 Nr 2 RdNr 23; Urteil vom 11.12.2008 - B 9/9a VG 1/07 R - SozR 4-3100 § 60 Nr 5 RdNr 20).

19

Die Klägerin muss sich jedoch entsprechend der in § 27 Abs 1 S 2 SGB X getroffenen Regelung sowie den zu § 67 Abs 1 SGG von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen ein Verschulden ihres Vaters als ihren gesetzlichen Vertreter zurechnen lassen(vgl BSGE 59, 40, 41 f = SozR 3800 § 1 Nr 5 S 13; BSG SozR 3-3100 § 60 Nr 3 S 5; BSGE 94, 282 = SozR 4-3800 § 1 Nr 8, RdNr 6; BSG Urteil vom 11.12.2008 - B 9/9a VG 1/07 R - SozR 4-3100 § 60 Nr 5 RdNr 21; siehe zur Zurechnung des Verschuldens des gesetzlichen Vertreters auch § 51 Abs 2 ZPO). Danach liegt ein Verschulden nur dann nicht vor, wenn der Vertreter die nach den Umständen des Falles zu erwartende Sorgfalt beachtet hat. Grundsätzlich gilt insoweit ein subjektiver Maßstab. Es sind insbesondere der Geisteszustand, das Alter, der Bildungsgrad und die Geschäftsgewandtheit zu berücksichtigen. Rechtsunkenntnis schließt ein Verschulden allerdings nicht aus (vgl BSG SozR 3-3100 § 60 Nr 3 S 5; BSG Urteil vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245 = SozR 4-3100 § 60 Nr 6, RdNr 30).

20

Nach den nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen und damit für den Senat bindenden (§ 163 SGG) tatsächlichen Feststellungen des LSG war gesetzlicher Vertreter der Klägerin in der Zeit vom 25.3.1996 bis zum 15.1.2003 allein deren Vater, der in diesem Zeitraum vom Amtsgericht (AG) E. mit Beschluss vom 25.3.1996 zum Vormund bestellt worden war. Diesem war die sich aus der elterlichen Sorge (§ 1626 Abs 1 S 1 BGB) ergebende Personensorge (§ 1626 Abs 1 S 2 BGB) vom AG nach §§ 1666, 1666a BGB nur hinsichtlich des Rechts auf Feststellung der Vaterschaft, die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen sowie die Regelung von Erb- und Pflichtteilsrechten im Falle des Todes des Vaters und seiner Verwandten entzogen und dem Jugendamt E. als Pflegschaft übertragen worden. Nur für diese Angelegenheiten (diesen Wirkungskreis) war das Jugendamt damit gesetzlicher Vertreter, sodass mit der Befugnis des Jugendamts zur Antragstellung nach § 97 S 1 SGB VIII keine Verschuldenszurechnung zu Lasten der Klägerin begründet werden kann(vgl hierzu BSG Urteil vom 11.12.2008 - B 9/9a VG 1/07 R - SozR 4-3100 § 60 Nr 5 RdNr 25 ff). Die übrigen sich aus der Personen- und Vermögenssorge ergebenden Rechte und Pflichten, wie zB die Pflicht zur Stellung des Antrags auf Beschädigtengrundrente nach dem OEG, blieben bei dem Vater der Klägerin; für diese Angelegenheiten war dieser nach wie vor ihr gesetzlicher Vertreter bis zum 15.1.2003. Der Vater der Klägerin war auch entgegen der Auffassung der Revision nicht gehindert, bis zum Ablauf der Jahresfrist - also zum 3.1.1998 (§ 187 Abs 1, § 188 Abs 2 BGB) - einen Antrag auf Leistungen nach dem OEG zu stellen.

21

Als gesetzlicher Vertreter der Klägerin wäre der Vater verpflichtet gewesen, deren Interessen wahrzunehmen. Zu seinen objektiven Betreuungspflichten hätte es gehört, rechtzeitig (innerhalb der Jahresfrist des § 60 Abs 1 S 2 BVG) einen Versorgungsantrag nach dem OEG zu stellen. Dass diese Möglichkeit besteht, ist ihm zwar nach seinem eigenen Vorbringen weder bekannt gewesen, noch ist er hierüber insbesondere vom Jugendamt in Kenntnis gesetzt worden. Nach den Feststellungen des LSG liegen aber keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Vater im Hinblick auf seinen Geisteszustand, sein Alter, seinen Bildungsstand und/oder seine Geschäftsgewandtheit subjektiv nicht in der Lage gewesen wäre, die nach den Umständen des Falles zu erwartende zumutbare Sorgfalt bei der Antragstellung zu beachten. Auch ein Entschuldigungsgrund ist nicht ersichtlich.

22

Der Ausnahmecharakter der erweiterten Rückwirkung des Antrags nach § 60 Abs 1 S 3 BVG gebietet eine enge Handhabung(vgl insgesamt Rohr/Sträßer/Dahm, BVG Soziales Entschädigungsrecht und Sozialgesetzbücher, § 60 BVG, Stand Januar 2010 Anmerkung 2). Nach der Gesetzesbegründung sollte den Belangen von Impfgeschädigten und Opfern von Gewalttaten Rechnung getragen werden (BT-Drucks 8/1735 S 19). Allein das fehlende Wissen um einen möglicherweise bestehenden Anspruch nach § 1 OEG stellt keinen Anwendungsfall von § 60 Abs 1 S 3 BVG dar, weil jedem Bürger gesetzliche Bestimmungen nach ihrer Verkündung im Gesetz- und Verordnungsblatt als bekannt gelten(Publizitätsgrundsatz, vgl BSG Urteil vom 27.7.2004 - B 7 SF 1/03 R - SozR 4-1200 § 14 Nr 5 RdNr 14 mwN) und im Sozialrecht für den Bürger vielfältige Möglichkeiten bestehen, sich über seine sozialen Rechte zu informieren wie zB nach den §§ 13 bis 15 SGB I(vgl BSG Urteil vom 15.8.2000 - B 9 VG 1/99 R - SozR 3-3100 § 60 Nr 3, S 5). Auch der Umstand, dass eine betreffende Person rechtsunkundig ist und aus einem fremden Sprach- und Kulturkreis stammt, reicht für die Annahme höherer Gewalt als Entschuldigungsgrund nicht aus (vgl BSG Urteil vom 2.2.2006 - B 10 EG 9/05 R - BSGE 96, 44 = SozR 4-1300 § 27 Nr 2, RdNr 17 f). Die Forderung an einen Ausländer, der mit den einschlägigen deutschen Rechtsvorschriften nicht vertraut ist, sich zu erkundigen, verlangt dem Betroffenen auch aus verfassungsrechtlicher Sicht nichts Unzumutbares ab (BVerfG Kammerbeschluss vom 22.1.1999 - 2 BvR 729/96 - Juris RdNr 36). Unter Anwendung äußerster Sorgfalt wäre es dem Vater der Klägerin möglich und zumutbar gewesen, vorsorglich bei einer der mit ihm in Kontakt stehenden Behörden, insbesondere beim Jugendamt, nachzufragen, ob eventuell weitere Anspruchsmöglichkeiten für die Klägerin auf Entschädigungsleistungen bestehen (vgl BFH Urteil vom 8.2.2001 - VII R 59/99, BFHE 194, 466 = BStBl II 2001, 506, zum Ausschluss höherer Gewalt bei Vertrauen auf richtige Sachbehandlung durch eine Behörde; vgl auch BVerwG Urteil vom 11.5.1979 - 6 C 70/78 -, BVerwGE 58, 100). Die bloße Unkenntnis eines gesetzlichen Vertreters über anspruchsbegründende Umstände und Rechtsnormen stellt nach der Rechtsprechung des BSG selbst dann keinen Umstand höherer Gewalt dar, wenn diese im Wesentlichen auf einer mangelnden Aufklärung durch die zuständigen staatlichen Stellen beruhte (vgl BSG Beschluss vom 27.3.2014 - B 9 V 69/13 B - Juris; Urteil vom 27.7.2004 - B 7 SF 1/03 R - SozR 4-1200 § 14 Nr 5 RdNr 14; Urteil vom 10.12.2003 - B 9 VJ 2/02 R - BSGE 92, 34 = SozR 4-3100 § 60 Nr 1, RdNr 23; Urteil vom 11.5.2000 - B 13 RJ 85/98 R - BSGE 86, 153, 161 f = SozR 3-5750 Art 2 § 6 Nr 18, S 65 f). Auf eine den Grundsatz der formellen Publizität möglicherweise aufhebende falsche oder irreführende amtliche Information oder sonstiges rechts- oder treuwidriges Verhalten des Beklagten beruft sich die Klägerin selbst nicht (vgl hierzu BSGE 67, 90 = SozR 3-1200 § 13 Nr 1; BSGE 91, 39 = SozR 4-1500 § 67 Nr 1, RdNr 12). Derartiges ist weder festgestellt noch ersichtlich.

23

Dem Gebot, im Interesse des Kindes rechtzeitig Antrag auf Leistungen nach dem OEG zu stellen, standen nach den Feststellungen des LSG auch keine eigenen schutzwürdigen tat- oder täterbestimmten Interessen entgegen, die dazu führen könnten, das Verschulden des gesetzlichen Vertreters ausnahmsweise nicht dem minderjährigen Gewaltopfer zuzurechnen. Zwar hat das BSG von dem Grundsatz, dass eine pflichtwidrig unterlassene rechtzeitige Antragstellung des gesetzlichen Vertreters dem Opfer einer Gewalttat iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG zuzurechnen ist, in seiner bisherigen Rechtsprechung Ausnahmen zugelassen(vgl die umfassende Darstellung in: BSG Urteil vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245 = SozR 4-3100 § 60 Nr 6, RdNr 34 ff). Allerdings liegt eine derartige Konstellation, in der der gesetzliche Vertreter zugleich der - bisher unentdeckte - Täter war oder dieser im Falle des Offenbarwerdens mit einem empfindlichen Ansehensverlust und einer Kriminalstrafe seines Angehörigen zu rechnen hat, ebenso wenig vor wie die Gefahr eines zivilrechtlichen Regressanspruchs durch den OEG Kostenträger gegen den Gewalttäter. Denn zum einen lag eine unentdeckte Straftat bereits deshalb nicht vor, weil die Misshandlung der Klägerin aufgrund der dramatischen gesundheitlichen Konsequenzen umgehend sowohl dem Jugendamt des Beigeladenen zu 2. als kurz danach auch den Strafverfolgungsbehörden bekannt geworden ist. Nach den Feststellungen des LSG ist dabei von den zuständigen Strafverfolgungsbehörden ersichtlich nicht in Betracht gezogen worden, strafrechtlich gegen den Vater der Klägerin vorzugehen, der in dem Ermittlungsverfahren gegen die Mutter umfassend als Zeuge ausgesagt und dem Jugendamt Auskunft erteilt hat. Ebenso ist danach vom Beklagten zu keinem Zeitpunkt ein zivilrechtlicher Regressanspruch gegen den Vater der Klägerin als vermeintlichem Täter in Betracht gezogen worden. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG hat kein schuldhaftes tatbezogenes Verhalten des Vaters vorgelegen, welches einen Interessenkonflikt hätte auslösen können. Dies gilt auch hinsichtlich eines erstmals im Revisionsverfahren behaupteten Bezuges von "SGB II-Leistungen". Insoweit fehlen schon Darlegungen dazu, wer diese wann tatsächlich bezogen haben soll.

24

Die Frage, ob ein schutzwürdiger Interessenkonflikt für den Vater überdies bereits deshalb ausscheidet, weil dieser nach den Feststellungen des LSG mit der Mutter der Klägerin weder verlobt noch verheiratet ist und ihm kein Zeugnisverweigerungsrecht (§ 383 Abs 1 Nr 1 - 3 ZPO) zusteht (vgl hierzu BSG Urteil vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245 = SozR 4-3100 § 60 Nr 6, RdNr 37 f mwN),kann vor diesem Hintergrund dahinstehen.

25

Eine darüber hinausgehende Verlängerung der Antragsfrist nach § 60 Abs 1 S 3 BVG ergibt sich entgegen dem Vorbringen der Revision nicht aus dem Umstand, dass die Mutter der Klägerin in der Zeit vom 16.1.2003 bis 3.5.2005 die elterliche Sorge innehatte. Denn eine erweiternde Rückwirkung des Antrags nach § 60 Abs 1 S 2 BVG iS von § 60 Abs 1 S 3 BVG kann entsprechend dem Wortlaut der Regelung denknotwendig nur nahtlos, vor Ablauf der Frist, erfolgen. Im Falle der Klägerin war nach Ablauf des Jahres die Antragsfrist des § 60 Abs 1 S 2 BVG am 3.1.1998 nach § 187 Abs 1 und § 188 Abs 2 BGB abgelaufen. Später liegende Zeiträume sind damit ohne Belang, ebenso ein eventueller Interessenkonflikt der Mutter im Falle einer versäumten Antragstellung.

26

Soweit die Klägerin eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör darin sieht, dass das LSG sie von weiterem Sachvortrag abgehalten habe, weil der Berichterstatter des LSG-Senats in Vorbereitung der mündlichen Verhandlung die bloße Möglichkeit eines Interessenkonflikts beim Vater der Klägerin als anspruchsbegründend bewertet habe, dringt sie damit nicht durch. Der in §§ 62, 128 Abs 2 SGG konkretisierte Anspruch auf rechtliches Gehör(Art 101 Abs 1 GG) soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht haben äußern können (s § 128 Abs 2 SGG; vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12; BVerfGE 84, 188, 190), und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen miteinbezogen wird (BVerfGE 22, 267, 274; 96, 205, 216 f). In diesem Rahmen besteht jedoch weder eine allgemeine Aufklärungspflicht des Gerichts über die Rechtslage, noch die Pflicht bei der Erörterung der Sach- und Rechtslage im Rahmen der mündlichen Verhandlung bereits die endgültige Beweiswürdigung darzulegen; denn das Gericht kann und darf das Ergebnis der Entscheidung, die in seiner nachfolgenden Beratung erst gefunden werden soll, nicht vorwegnehmen. Es gibt keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern. Art 103 Abs 1 GG gebietet vielmehr lediglich dann einen Hinweis, wenn das Gericht auf einen Gesichtspunkt abstellen will, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht zu rechnen brauchte (vgl BVerfGE 84, 188, 190).

27

Die Bewertung der im Verfahren insgesamt vorliegenden Tatsachen und Beweise ist grundsätzlich eine tatrichterliche Aufgabe. Der der rechtskundig vertretenen Klägerin insgesamt bekannte Sachverhalt ist ohne juristische oder anderweitige besondere Kenntnisse zu erfassen gewesen. Insofern waren dazu Hinweise des LSG nicht erforderlich. Die Mitteilung der persönlichen Rechtsauffassung des Berichterstatters in einem von ihm rund neun Monate vor der mündlichen Senatsverhandlung durchgeführten Erörterungstermin, der sich noch ein kontroverser Austausch von Schriftsätzen zwischen den Beteiligten angeschlossen hat, führt nicht zu einer Sachlage, bei der die Klägerin nicht damit zu rechnen brauchte, dass das LSG im Rahmen der Beratung nach der mündlichen Verhandlung ihren Anspruch für die Zeit vor der Antragstellung verneinen würde. Damit musste die Klägerin schon aufgrund des Inhalts des Widerspruchsbescheides und des Urteils des SG rechnen. Im Übrigen hat die Klägerin nicht dargelegt, welcher Vortrag ihrerseits unterblieben sein soll und zu welchem Ergebnis dieser auf der Grundlage der Rechtsauffassung des LSG geführt hätte.

28

2. Schließlich kann die Klägerin auch unter dem Gesichtspunkt eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht so gestellt werden, als sei ein Antrag früher gestellt worden.

29

Der von der Rechtsprechung entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Leistungsträger die ihm aufgrund eines Gesetzes oder des konkreten Sozialrechtsverhältnisses gegenüber dem Berechtigten obliegenden Haupt- oder Nebenpflichten, insbesondere zur Auskunft und Beratung (§§ 14, 15 SGB I), ordnungsgemäß wahrgenommen hätte. Er setzt demnach eine dem Sozialleistungsträger zurechenbare behördliche Pflichtverletzung voraus, die (als wesentliche Bedingung) kausal zu einem sozialrechtlichen Nachteil des Berechtigten geworden ist. Außerdem ist erforderlich, dass durch Vornahme einer zulässigen Amtshandlung der Zustand hergestellt werden kann, der bestehen würde, wenn die Behörde ihre Verpflichtungen gegenüber dem Berechtigten nicht verletzt hätte (stRspr, vgl BSG Urteil vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245 = SozR 4-3100 § 60 Nr 6, RdNr 41). Darüber hinaus hat der Senat auch bereits entschieden, dass die Regelung des § 60 BVG die Begründung eines früheren Leistungsbeginns im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht ausschließt, insbesondere wenn feststeht, dass eine Behörde pflichtwidrig eine gebotene Beratung über bestehende Antragsmöglichkeiten unterlassen hat. Über die in § 60 Abs 1 S 3 BVG praktisch enthaltene Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Eintritt der Schädigung erfasst der Herstellungsanspruch zusätzlich auch Fristversäumnisse, die auf Behördenfehlern beruhen(vgl insgesamt BSG, aaO, RdNr 42 mwN). Insoweit ist insbesondere § 14 SGB I Grundlage für den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch, wonach jeder Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach dem Sozialgesetzbuch hat. Zuständig für die Beratung sind allerdings (grundsätzlich) die Leistungsträger, denen gegenüber Rechte geltend zu machen oder Pflichten zu erfüllen sind. In der Regel wird die Beratungspflicht durch ein entsprechendes Begehren des Berechtigten ausgelöst. Aber auch unabhängig davon ist der Leistungsträger gehalten, bei Vorliegen eines konkreten Anlasses auf klar zu Tage tretende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, die sich offensichtlich als zweckmäßig aufdrängen und von jedem verständigen Berechtigten mutmaßlich genutzt werden (sog Spontanberatung, vgl BSG, aaO, RdNr 43 mwN). Eine solche Beratungspflichtverletzung kann dem beklagten Landschaftsverband nach den Feststellungen des LSG vorliegend nicht angelastet werden, weil diesem erst bei Antragstellung am 29.7.2005 bei dem damals zuständigen Versorgungsamt K. Kenntnis vom Tatgeschehen am 3.1.1997 zugerechnet werden kann. Im davorliegenden Zeitraum war den für die Angelegenheiten nach dem OEG zuständigen Stellen die Gewalttat völlig unbekannt und bestand auch keinerlei Kontakt zum Vater der Klägerin.

30

Zwar kann sich nach ständiger Rechtsprechung des BSG ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch auch aus einem fehlerhaften Verhalten anderer Behörden ergeben, welches sich der zuständige Leistungsträger zurechnen lassen muss. Einer anderen Behörde als der für Entscheidung über die Leistung befugten Stelle kann eine Beratungspflicht, deren Verletzung zu einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch gegen den zuständigen Leistungsträger führen kann, dann obliegen, wenn die andere Behörde vom Gesetzgeber im Sinne einer Funktionseinheit in das Verwaltungsverfahren "arbeitsteilig" eingeschaltet ist. Ebenso muss sich ein Leistungsträger das Fehlverhalten derjenigen Behörde zurechnen lassen, deren Funktionsnachfolge er angetreten hat (hier das Versorgungsamt K. ; vgl hierzu insbesondere Senatsurteil vom 16.12.2004 - B 9 VJ 2/03 R - Juris RdNr 28 mwN). Eine zurechenbare Beratungspflichtverletzung wird von der Rechtsprechung des BSG auch dann angenommen, wenn die Zuständigkeitsbereiche beider Stellen materiell-rechtlich eng miteinander verknüpft sind, die andere Behörde im maßgeblichen Zeitpunkt aufgrund eines bestehenden Kontaktes der aktuelle "Ansprechpartner" des Berechtigten ist und sie - die Behörde - aufgrund der ihr bekannten Umstände erkennen kann, dass bei dem Berechtigten im Hinblick auf das andere sozialrechtliche Gebiet ein dringender Beratungsbedarf in einer gewichtigen Frage besteht (vgl hierzu insgesamt BSG Urteil vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245 = SozR 4-3100 § 60 Nr 6, RdNr 44 mwN; s auch zur Zurechnung des Verhaltens Dritter iS einer Funktionseinheit BSG Urteil vom 8.10.1998 - B 8 KN 1/97 U R - BSGE 83, 30, 35 f = SozR 3-5670 § 5 Nr 1 S 7 f).

31

Vorliegend waren die Jugendämter des Beigeladenen zu 1. und zu 2. weder im Sinne einer Funktionseinheit in das Verwaltungsverfahren der Versorgungsverwaltung "arbeitsteilig" eingeschaltet noch mit dieser materiell-rechtlich eng verknüpft. Insbesondere bestand nach den Feststellungen des LSG bis zur Antragstellung am 29.7.2005 keinerlei Kontakt zwischen der Versorgungsverwaltung und dem Jugendamt. Damit kommt es auf die Frage, ob die Jugendämter eine Beratungspflicht hinsichtlich einer Antragstellung nach dem OEG gegenüber dem Vater der Klägerin oder deren Mutter verletzt haben könnten, nicht an. Die Jugendämter sind grundsätzlich nicht mit der Bearbeitung von Anträgen nach dem OEG befasst. Über solche Anträge entscheidet allein die Versorgungsverwaltung. Auch an der Vorbereitung solcher Entscheidungen sind die Jugendämter nicht beteiligt. Deren Befugnis nach § 97 S 1 SGB VIII beim zuständigen Versorgungsamt ein Verwaltungsverfahren zur Feststellung einer Leistungspflicht nach dem OEG einzuleiten, bezieht sich lediglich darauf, im eigenen Interesse und im eigenen Namen gegenüber einem anderen Leistungsträger ein fremdes Recht geltend zu machen, nämlich die Feststellung einer (anderen) Sozialleistung zu betreiben und (als gesetzlicher Prozessstandschafter des eigentlich Berechtigten) gegen eine ablehnende Entscheidung Rechtsmittel einzulegen(BSG Urteil vom 11.12.2008 - B 9/9a VG 1/07 R - SozR 4-3100 § 60 Nr 5 RdNr 25 mwN). Daneben obliegt dem Jugendamt zB im Rahmen der Hilfeplanung nach § 36 SGB VIII keine Pflicht, über sämtliche rechtlichen Vorteile und Möglichkeiten im Zuständigkeitsbereich anderer Behörden zu beraten(vgl BSG Urteil vom 27.7.2004 - B 7 SF 1/03 R - SozR 4-1200 § 14 Nr 5 RdNr 10 und 12). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Verfügung des Landesversorgungsamtes Nordrhein-Westfalen vom 15.3.2000 (II/1 c - 1204/4370/4370.2.2/ 4372 A - 476/99 - Sa.-Nr. 43/2000), mit dem das Rundschreiben des Bundesministeriums für Arbeit- und Sozialordnung vom 15.11.1999 (VI a 2 - 52039) bekanntgegeben worden ist. Zwar sollte durch dieses Rundschreiben ein bestehendes erhebliches Informationsdefizit über das OEG bei den Jugendämtern ausgeräumt werden, weil insbesondere die Kenntnis darüber fehlte, dass auch ohne Strafanzeige Anträge nach dem OEG mit grundsätzlicher Aussicht auf Erfolg gestellt werden könnten. Dieser Umstand ändert jedoch nichts an der ausschließlichen Zuständigkeit für Anträge nach dem OEG durch die Versorgungsverwaltung. Ferner bewirkt weder die Verfügung des Landesversorgungsamtes noch das Rundschreiben des Bundesministeriums für Arbeit- und Sozialordnung eine arbeitsteilige Einschaltung der Jugendämter in das Verwaltungsverfahren der Behörden der Versorgungsverwaltung und führt nicht zu einer materiell-rechtlichen Verknüpfung der Zuständigkeitsbereiche beider Behörden (vergleichbar etwa des Leistungsbezugs aus der Arbeitslosenversicherung mit der Rentenversicherung, hierzu BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 22). Damit kann der Beklagte im Rahmen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs auch nicht für eine möglicherweise unterbliebene Auskunft über eine Antragstellung nach dem OEG durch das Jugendamt verpflichtet werden. Dieses ist keine für die Auskunft über alle sozialen Angelegenheiten nach dem Sozialgesetzbuch zuständige Stelle (vgl § 15 Abs 1 SGB I). Ein weiter gefasstes Verständnis der Pflicht zur Aufklärung iS des § 13 SGB I und zur Beratung iS des § 14 SGB I würde im Übrigen die Antragserfordernisse und Antragsfristen in sozialrechtlichen Leistungsgesetzen unterlaufen(vgl BSG Urteil vom 27.7.2004 - B 7 SF 1/03 R - SozR 4-1200 § 14 Nr 5 RdNr 15).

32

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Der Vorsitzende eröffnet und leitet die mündliche Verhandlung. Sie beginnt nach Aufruf der Sache mit der Darstellung des Sachverhalts.

(2) Sodann erhalten die Beteiligten das Wort. Der Vorsitzende hat das Sach- und Streitverhältnis mit den Beteiligten zu erörtern und dahin zu wirken, daß sie sich über erhebliche Tatsachen vollständig erklären sowie angemessene und sachdienliche Anträge stellen.

(3) Die Anträge können ergänzt, berichtigt oder im Rahmen des § 99 geändert werden.

(4) Der Vorsitzende hat jedem Beisitzer auf Verlangen zu gestatten, sachdienliche Fragen zu stellen. Wird eine Frage von einem Beteiligten beanstandet, so entscheidet das Gericht endgültig.

Für das Protokoll gelten die §§ 159 bis 165 der Zivilprozeßordnung entsprechend.

(1) Unrichtigkeiten des Protokolls können jederzeit berichtigt werden.

(2) Vor der Berichtigung sind die Parteien und, soweit es die in § 160 Abs. 3 Nr. 4 genannten Feststellungen betrifft, auch die anderen Beteiligten zu hören.

(3) Die Berichtigung wird auf dem Protokoll vermerkt; dabei kann auf eine mit dem Protokoll zu verbindende Anlage verwiesen werden. Der Vermerk ist von dem Richter, der das Protokoll unterschrieben hat, oder von dem allein tätig gewesenen Richter, selbst wenn dieser an der Unterschrift verhindert war, und von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, soweit er zur Protokollführung zugezogen war, zu unterschreiben.

(4) Erfolgt der Berichtigungsvermerk in der Form des § 130b, ist er in einem gesonderten elektronischen Dokument festzuhalten. Das Dokument ist mit dem Protokoll untrennbar zu verbinden.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28. November 2012 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 28.11.2012 einen Anspruch des Klägers auf Erstattung der von ihm im Zeitraum vom 1.1.1990 bis zum 30.9.2002 zur privaten Krankenversicherung gezahlten Beiträge verneint. Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim Bundessozialgericht (BSG) eingelegt, die er mit dem Vorliegen von Verfahrensmängeln (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) begründet.

2

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, da keiner der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ordnungsgemäß dargetan worden ist(vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).

3

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Den sich daraus ergebenden Anforderungen ist die Beschwerdebegründung nicht gerecht geworden.

4

Der Kläger rügt mehrere Verfahrensfehler: Es liege ein Verstoß gegen § 122 SGG iVm § 160 Abs 3 Nr 2 ZPO vor, weil aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung des LSG vom 28.11.2012 nicht ersichtlich sei, welche Anträge nun tatsächlich gestellt worden seien. Ferner habe der Vorsitzende des LSG gegen seine Pflicht gemäß § 112 Abs 2 S 2 SGG verstoßen, auf sachdienliche Anträge hinzuwirken; aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung sei nicht zu entnehmen, dass der Vorsitzende mit ihm die Sachdienlichkeit der Anträge erörtert habe. Das Protokoll enthalte zudem nicht alle von ihm, dem Kläger, mit Schriftsatz vom 28.11.2012 gestellten Anträge, die auch nicht im Tatbestand des Urteils aufgeführt worden seien. Dem Tatbestand sei insbesondere nicht ein Feststellungsantrag, wie von ihm mit besagtem Schriftsatz gestellt, zu entnehmen. Da die Akten des LSG weder eine Sitzungsniederschrift der mündlichen Verhandlung vom 28.11.2012 enthielten und auch ein Nachweis für die Versendung der Sitzungsniederschrift an ihn nicht vorliege, sei ihm der Weg zu einer Tatbestandsberichtigung gemäß § 153 Abs 1, § 139 SGG in Bezug auf die Antragstellung versperrt gewesen. Mit diesen Ausführungen hat der Kläger nicht schlüssig dargelegt, dass die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf den gerügten Mängeln beruhen kann.

5

Zwar können Verstöße gegen den Inhalt der Niederschrift sowie deren Genehmigung nach § 122 SGG iVm §§ 160 und 162 ZPO Verfahrensfehler iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG darstellen. Hierbei handelt es sich allerdings nicht um absolute Revisionsgründe, sodass gesondert festzustellen ist, inwiefern das angegriffene Urteil auf ihnen beruhen kann (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 122 RdNr 11 mwN). Die bloße Behauptung einer fehlerhaften Protokollierung von Anträgen genügt den Darlegungserfordernissen insoweit nicht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass gemäß § 123 SGG das Gericht ohnehin über die vom Kläger erhobenen Ansprüche entscheidet, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Der Kläger macht auch nicht geltend, in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG Anträge gestellt zu haben, die nicht bereits in seinen Schriftsätzen enthalten gewesen seien. Nur dann läge es nahe, dass Mängel einer Protokollierung dieser Anträge sich auf das Urteil ausgewirkt haben könnten.

6

Ähnlich verhält es sich, soweit der Kläger den Inhalt des Tatbestandes des Berufungsurteils hinsichtlich der Darstellung seiner Anträge rügt. Soweit er eine hinreichende Klarheit vermisst, fehlt es an Ausführungen dazu, inwiefern das Urteil darauf beruhen kann. Es wird insbesondere nicht vorgetragen, das LSG habe in seinen Entscheidungsgründen die Anträge des Klägers falsch verstanden oder unvollständig behandelt.

7

Im Übrigen legt der Kläger nicht näher dar, warum er die von ihm angesprochenen Mängel nicht durch eine Berichtigung der Sitzungsniederschrift (vgl § 122 SGG iVm § 164 ZPO) und des Tatbestandes (§ 139 SGG) hätte beheben lassen können.

8

Soweit der Kläger sinngemäß als Verfahrensmangel rügt, das LSG habe in der Person des Vorsitzenden die sich aus § 112 Abs 2 SGG ergebenden Pflichten zur Hinwirkung auf sachdienliche Anträge und zur Erörterung des Sach- und Streitverhältnisses verletzt, handelt es sich sachlich auch um eine Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör(§ 62 SGG; Art 103 Abs 1 GG). Auch insoweit reichen die Darlegungen des Klägers in seiner Beschwerdebegründung nicht aus. Ein Beteiligter kann mit seiner Beschwerde insoweit nur durchdringen, wenn er vor dem LSG alle prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich Gehör zu verschaffen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 62 RdNr 11d mwN). Weshalb der Kläger hieran gehindert gewesen sein sollte, legt er nicht hinreichend dar.

9

Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG).

10

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Tenor

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt Dr. T. beizuordnen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landes-sozialgerichts Hamburg vom 24. Juni 2014 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Der Kläger begehrt die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens "außergewöhnliche Gehbehinderung" (aG).

2

Bei dem Kläger wurden 1995 wegen Oberschenkelamputation rechts und Lendenwirbelsäulensyndrom ein Grad der Behinderung von 80 und die Voraussetzungen des Merkzeichens G festgestellt. Sein im Oktober 2008 gestellter Antrag auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens aG wurde mit Bescheid vom 19.2.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.6.2009 abgelehnt. Nach Beiziehung verschiedener Befundberichte sowie eines im März 2011 von Dr. N. erstatteten orthopädischen Gutachtens hat das SG Hamburg die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit der er zugleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt hatte, ist vom LSG Hamburg nach schriftlicher Anhörung des Klägers durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG vom 2.11.2012 zurückgewiesen worden. Zugleich hat das LSG die Bewilligung von PKH abgelehnt.

3

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat der Senat den Beschluss des LSG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen. Die Entscheidung des LSG für einen Beschluss nach § 153 Abs 4 S 1 SGG habe auf einer groben Fehleinschätzung beruht, weil das LSG nicht ohne Weiteres im vereinfachten Beschlussverfahren hätte entscheiden dürfen. Zu der von dieser Vorschrift vorausgesetzten Beurteilung der Berufung als einstimmig unbegründet könne das LSG an sich nur auf der Grundlage der Akten, insbesondere des angefochtenen Urteils, und der Begründung der Berufung durch den Berufungskläger kommen. Zur Abgabe einer derartigen Begründung habe sich der Kläger indes gegenüber dem LSG mehrfach außer Stande erklärt und um Bewilligung von PKH sowie Beiordnung eines Rechtsanwalts gebeten. In dieser Situation müsse das Berufungsgericht über den PKH-Antrag entscheiden, bevor es die Berufung ohne mündliche Verhandlung zurückweise. Bei Zurückweisung des PKH-Gesuchs habe es dem Berufungskläger nochmals Gelegenheit zur Begründung der Berufung zu geben, gegebenenfalls in einem Erörterungstermin oder einer mündlichen Verhandlung. Ob die Entscheidung des LSG auf diesem Verfahrensfehler beruhen könne, bedürfe keiner Prüfung, weil die Verletzung von § 153 Abs 4 SGG zu einer nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts ohne ehrenamtliche Richter und damit zu einem absoluten Revisionsgrund führe(Beschluss vom 14.11.2013 - B 9 SB 31/13 B).

4

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren hat das LSG dem Kläger zunächst Gelegenheit gegeben, seine Berufung schriftlich zu begründen. Der Kläger hat erwidert, er habe schon mehrfach geschrieben, dass er die Berufung nicht begründen könne, was das BSG auch anerkannt habe. Er beantrage daher erneut die Gewährung von PKH und die Beiordnung eines Rechtsanwalts. Das LSG hat den erneuten PKH-Antrag des Klägers wiederum abgelehnt (Beschluss vom 31.3.2014). Der Kläger habe keine neuen Umstände vorgetragen, die zu einer abweichenden Beurteilung der Erfolgsaussichten seiner Berufung führen könnten. Es fehle weiterhin an einer zumindest guten Möglichkeit, dass der Kläger mit seiner Berufung durchdringen werde.

5

Der Kläger hat sich danach im Berufungsverfahren nicht weiter geäußert. Das LSG hat Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 24.6.2014 bestimmt, zu der es den Kläger formularmäßig geladen hat, ohne sein persönliches Erscheinen anzuordnen. Das Ladungsformular hat den Kläger unter anderem darüber informiert, dass auch im Falle seines Ausbleibens Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden könne, dies auch nach Lage der Akten. Reisekosten würden nicht vergütet, weil das Gericht das Erscheinen des Klägers nicht für geboten halte.

6

Mit Urteil vom 24.6.2014 hat das LSG die Berufung des Klägers in seiner Abwesenheit zurückgewiesen. Die Berufung sei unzulässig, soweit der Kläger weiterhin die Zuerkennung der Merkzeichen B und aG bereits ab März 1995 begehre, weil er seine diesbezügliche Klage beim SG wirksam zurückgenommen habe. Die auf Zuerkennung des Merkzeichens aG gerichtete Berufung sei unbegründet, weil nach Würdigung der gesamten Aktenlage und insbesondere der Ausführungen des vom SG gehörten Sachverständigen Dr. N. die tatsächlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens nicht vorlägen.

7

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger erneut Beschwerde zum BSG eingelegt, mit der er die Verletzung seines rechtlichen Gehörs rügt. Das Berufungsgericht habe ermessensfehlerhaft die Anordnung seines persönlichen Erscheinens unterlassen. Diese sei aber geboten gewesen, um ihm Gelegenheit zum mündlichen Vortrag zu geben, weil die Aufforderung zum schriftlichen Vortrag wegen Unbeholfenheit und Sprachunkenntnis von vornherein keine erschöpfende Sachverhaltsaufklärung gewährleistet habe. Das Gericht habe sich nicht auf eine formlose Terminsmitteilung nach § 110 SGG beschränken dürfen, weil diese für den Kläger als Nicht-Muttersprachler missverständlich formuliert gewesen sei und ihn vom Erscheinen abgehalten habe.

8

II. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von PKH und Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten. Nach § 73a SGG iVm § 114 ZPO kann einem Beteiligten für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Dies ist hier nicht der Fall. Die von seinem Prozessbevollmächtigten begründete Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil kein Zulassungsgrund ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).

9

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Ein Verstoß gegen den Grundsatz rechtlichen Gehörs liegt ua vor, wenn das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 19 S 33 mwN) oder sein Urteil auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern können (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12 S 19). Zur Begründung eines entsprechenden Revisionszulassungsgrundes ist nicht nur der Verstoß gegen diesen Grundsatz selbst zu bezeichnen, sondern auch darzutun, welches Vorbringen ggf dadurch verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann (BSG SozR 1500 § 160a Nr 36). Ferner ist Voraussetzung für den Erfolg einer Gehörsrüge, dass der Beschwerdeführer darlegt, seinerseits alles getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 22 S 35; vgl auch BSGE 68, 205, 210 = SozR 3-2200 § 667 Nr 1 S 6).

10

Die Beschwerde hat nicht dargelegt, dass der Kläger seinerseits alles Erforderliche unternommen hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen.

11

Nach § 111 Abs 1 S 1 Alt 1 SGG kann der Vorsitzende das persönliche Erscheinen eines Beteiligten anordnen. Die Anordnung steht danach grundsätzlich im Ermessen des Gerichts und lässt ihm einen großen Entscheidungsspielraum (BSG Urteil vom 15.7.1992 - 9a RV 3/91 - Juris). Auch Art 103 Abs 1 GG und § 62 SGG verlangen nicht, dass der Beteiligte stets selbst gehört wird. Das Gericht ist daher grundsätzlich nicht verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, etwa durch Anordnung des persönlichen Erscheinens unter Übernahme der Fahrtkosten, dass jeder Beteiligte auch persönlich vor dem Gericht auftreten kann (BSG Beschluss vom 23.4.2009 - B 13 R 15/09 B - Juris RdNr 11 mwN). Die Anordnung persönlichen Erscheinens kann aber geboten sein, um dem Beteiligten Gelegenheit zum mündlichen Vortrag zu geben, wenn die Aufforderung zum schriftlichen Vortrag keine erschöpfende Sachverhaltsaufklärung gewährleistet. Dies gilt insbesondere dann, wenn ein Erscheinen auf eigene Kosten sich als praktisch undurchführbar erweist, wenn also das Kostenrisiko den Zugang zum Gericht versperrt (vgl BSG Urteil vom 15.7.1992 - 9a RV 3/91 - Juris).

12

Insoweit hat die Beschwerde bereits nicht substantiiert dargelegt, warum es dem Kläger nicht möglich gewesen wäre, sich vorab an das LSG zu wenden um sicherzustellen, dass er den Termin wahrnehmen und sich damit rechtliches Gehör verschaffen konnte, falls erforderlich unter Anordnung des persönlichen Erscheinens und Übernahme der Fahrtkosten. Von sich aus musste sich die Anordnung des persönlichen Erscheinens dem LSG in der konkreten Prozesssituation nicht aufdrängen. Denn als Inhaber der Merkzeichen G und B durfte der Kläger, um das Gericht zu erreichen, zusammen mit einer Begleitperson kostenlos den öffentlichen Nahverkehr nutzen, vgl § 145 SGB IX. Darüber hinaus war er laut Feststellungen des SG bei der Fortbewegung ohnehin nicht auf fremde Hilfe angewiesen, sondern vielmehr ohne große Anstrengung zu selbstständiger Fortbewegung in der Lage. Abgesehen davon hätte das LSG auch noch nachträglich das persönliche Erscheinen des Klägers nach § 191 Halbs 2 SGG für geboten erklären und damit eine Übernahme der Fahrtkosten des Klägers durch die Staatskasse sicherstellen können, wenn der Kläger die Chance ergriffen hätte, das Berufungsgericht durch seinen mündlichen Vortrag von der Notwendigkeit seines persönlichen Erscheinens zu überzeugen.

13

Soweit die Beschwerde vorträgt, der Kläger habe den standardisierten Text der Ladung so verstanden, er solle nicht kommen und es komme auf seine Sichtweise nach Ansicht des Gerichts ohnehin nicht an, so erschließt sich nicht, warum der Kläger nicht jedenfalls dem von ihm zuvor erstrittenen Zurückverweisungsbeschluss des BSG unzweifelhaft entnehmen konnte, dass ihm das LSG nunmehr durch die Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung gerade die Gelegenheit einräumen musste und wollte, sich persönlich Gehör zu verschaffen. Gegebenenfalls hätte sich der Kläger diesen Beschluss von seinen Prozessbevollmächtigten erläutern lassen können, die ihn im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde vertreten haben. Denn das Mandat des Prozessbevollmächtigten wird in der Regel noch zumindest eine kurze Erläuterung einer im Rahmen der Mandatsausübung erwirkten Gerichtsentscheidung umfassen.

14

Unabhängig vom Vorstehenden hat die Beschwerde jedenfalls ohnehin nicht dargetan, welches Vorbringen des Klägers der vermeintliche Gehörsverstoß verhindert haben soll und inwieweit die Entscheidung darauf beruhen könnte. Angesichts der behaupteten Verletzung rechtlichen Gehörs, bei der anders als bei der Verletzung von § 153 Abs 4 SGG ein absoluter Revisionsgrund hier nicht in Frage steht, ist eine solche Darlegung nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zwingend erforderlich, von der Beschwerde aber unterlassen worden. Der Kläger begehrte im Berufungsverfahrens zuletzt im Wesentlichen noch die Zuerkennung des Merkzeichens aG. Die Beschwerde macht aber keinerlei Ausführungen dazu, was der Kläger der Verneinung der tatsächlichen Voraussetzungen dieses Merkzeichens (vgl dazu etwa BSG Urteil vom 29.3.2007 - B 9a SB 5/05 R - Juris mwN) durch die Instanzgerichte, die dafür die gesamte Aktenlage gewürdigt und sich insbesondere auf die Ausführungen des vom SG gehörten Sachverständigen Dr. N.
gestützt haben, mit irgendeiner Aussicht auf Erfolg entgegensetzen wollte. Die vage Angabe, der Kläger hätte beim LSG weitere Gesichtspunkte vortragen können, die seinen Anspruch auf das Merkzeichen aG untermauert hätten, genügt nicht, um das durch den vermeintlichen Gehörsverstoß verhinderte Vorbringen substantiiert darzulegen.

15

Der von der Beschwerde angekündigte Vortrag zur Aufklärung eines sprachlichen Missverständnisses des Klägers hinsichtlich der Voraussetzungen des Merkzeichens G hätte ersichtlich nicht entscheidungsrelevant werden können, weil dieses Merkzeichen nicht Streitgegenstand des Berufungsverfahrens war.

16

Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).

17

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

18

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

(1) Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Die Vorschriften über Urteile gelten entsprechend.

(2) Die Beteiligten können innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids das Rechtsmittel einlegen, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Ist die Berufung nicht gegeben, kann mündliche Verhandlung beantragt werden. Wird sowohl ein Rechtsmittel eingelegt als auch mündliche Verhandlung beantragt, findet mündliche Verhandlung statt.

(3) Der Gerichtsbescheid wirkt als Urteil; wird rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt, gilt er als nicht ergangen.

(4) Wird mündliche Verhandlung beantragt, kann das Gericht in dem Urteil von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Gerichtsbescheids folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.

Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 3. Februar 2015 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Im Streit ist noch die Aufhebung der Bewilligung von Alg ab dem 7.8.2009. Die Beklagte bewilligte dem Kläger nach der Erschöpfung seines Anspruchs auf Krankengeld ab dem 9.6.2009 Alg für die Dauer von 360 Tagen. Ein ärztliches Gutachten vom 26.6.2009 ergab eine vollschichtige Leistungsfähigkeit des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Die Beklagte hob die Bewilligung ab dem 22.7.2009 mit der Begründung auf, der Kläger habe im Zusammenhang mit der Auswertung des ärztlichen Gutachtens vorgetragen, weiter arbeitsunfähig zu sein und nicht vollschichtig arbeiten zu können; damit fehle die Verfügbarkeit (Bescheid vom 7.8.2009; Widerspruchsbescheid vom 9.9.2009). Das SG Chemnitz hat den Bescheid mit der Begründung aufgehoben, durch den Inhalt des von der Beklagten gefertigten Telefonvermerks vom 22.7.2009 sei nicht nachgewiesen, dass der Kläger seine Arbeitsbereitschaft im Rahmen seines Leistungsvermögens nicht erklärt habe (Urteil vom 10.3.2011; der Beklagten zugestellt am 17.8.2011).

2

Auf die auf den Zeitraum ab 7.8.2009 beschränkte Berufung der Beklagten vom 15.9.2011 hat das LSG im Termin zur mündlichen Verhandlung die Mitarbeiterin der Beklagten Frau G, die unter dem 6.8.2009 einen Vermerk verfasst hatte, als Zeugin gehört. Die von dem Kläger beantragte Vernehmung der Mitarbeiterin Frau T hat es abgelehnt, sodann das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen soweit diese die Aufhebung für den Zeitraum ab 7.8.2009 zum Gegenstand hatte (Urteil vom 3.2.2015). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, der Kläger habe anlässlich einer persönlichen Vorsprache am 6.8.2009 ausdrücklich bekundet, er stelle sich dem Arbeitsmarkt "keinesfalls" zur Verfügung, sodass es an der erforderlichen subjektiven Verfügbarkeit fehle, die über § 125 SGB III(in der bis zum 31.3.2012 geltenden Fassung) auch nicht fingiert werden könne.

3

Ein Antrag des Klägers auf Ergänzung der Entscheidungsgründe des Urteils um Ausführungen zur Ablehnung des hilfsweise gestellten Beweisantrags auf Vernehmung der Zeugin T blieb erfolglos (Beschluss des LSG vom 2.7.2015).

4

Gegen die Nichtzulassung der Revision durch das LSG wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde. Der Rechtsfrage, ob das Einlegen der Berufung nach Ablauf von fünf Monaten nach Verkündung des Urteils noch zulässig oder die Berufung wegen Verfristung gemäß § 517 letzter Halbsatz ZPO iVm § 202 SGG zu verwerfen sei, komme eine grundsätzliche Bedeutung zu. Zudem rügt er als Verfahrensmangel einen Verstoß gegen den Untersuchungsgrundsatz, weil dem Antrag auf Vernehmung von Frau T als Zeugin hätte entsprochen werden müssen, und eine Verletzung von § 140 SGG durch die Ablehnung seines Antrags auf Urteilsergänzung.

5

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht in der erforderlichen Weise dargelegt bzw bezeichnet worden sind (§ 160a Abs 2 S 3 SGG). Die Beschwerde konnte daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter verworfen werden (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG, § 169 SGG).

6

Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG muss von dem Beschwerdeführer eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) aufgezeigt werden(vgl nur BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Hier hat der Kläger schon nicht dargelegt, warum die von ihm aufgeworfene Rechtsfrage nach Anwendung des § 517 letzter Halbsatz ZPO iVm § 202 SGG überhaupt klärungsbedürftig sein soll. Insoweit hätte es einer Auseinandersetzung damit bedurft, warum § 151 Abs 1 SGG, der die Frist zur Einlegung der Berufung alleine an die Zustellung der Entscheidung knüpft, nicht als abschließende Regelung iS von § 202 S 1 SGG anzusehen sein sollte, wodurch eine entsprechende Anwendung der ZPO grundsätzlich ausgeschlossen wäre(vgl dazu Söhngen in Hennig, SGG, § 202 RdNr 45, Stand Februar 2016).

7

Der Kläger hat auch keinen Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), in der erforderlichen Weise dargelegt. Wird das Vorliegen eines Verfahrensmangels geltend gemacht, so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels wie bei einer Verfahrensrüge innerhalb einer zugelassenen Revision zunächst die diesen Verfahrensmangel des LSG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34 und 36; vgl auch Leitherer in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 160a RdNr 16 mwN). Wenn - wie hier - ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) gerügt wird, ist zudem zu beachten, dass gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG der geltend gemachte Verfahrensmangel auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden kann, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Insoweit muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das Berufungsgericht nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des Berufungsgerichts auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das Berufungsgericht mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 5, 35 und § 160a Nr 24, 34).

8

Diesen Erfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Sie zeigt zwar auf, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG den Beweisantrag gestellt hat, Frau T als Zeugin zu vernehmen zu der klärungsbedürftigen Tatsache, dass er sich subjektiv dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt habe. Doch fehlen hinreichende Angaben zum voraussichtlichen Ergebnis der unterbliebenen Beweisaufnahme und auch Ausführungen dazu, ob und warum dieses Ergebnis Auswirkungen auf die Entscheidung des LSG hätte haben können. Vor dem Hintergrund, dass ein Gespräch zwischen dem Kläger und der benannten Zeugin T tatsächlich nur am 22.7.2009 stattgefunden hat - etwas anderes behauptet auch der Kläger nicht - hätte insbesondere aufgezeigt werden müssen, welche weiteren Erkenntnisse bezüglich der Zeit ab dem 7.8.2009 die weitere Beweisaufnahme erbracht hätte. Denn nur noch über diesen Zeitraum hat das LSG wegen der Beschränkung der Berufung durch die Beklagte zu befinden gehabt. Es ist zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger (jedenfalls) am 6.8.2009 ausdrücklich bekundet hat, er stelle sich dem Arbeitsmarkt keinesfalls zur Verfügung, mit der Folge des Wegfalls der Anspruchsvoraussetzung für Alg ab diesem (späteren) Zeitpunkt. Wie Angaben der Zeugin T dieses Ergebnis in Frage stellen könnten, erschließt sich nach dem Vortrag des Klägers in der Beschwerdebegründung nicht. Soweit er ausführt, dass es nur darauf ankomme, ob diese Zeugin als die zuständige Arbeitsvermittlerin für sich "entschieden" habe, der Kläger stelle sich der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wird hieraus nicht deutlich, warum gerade dies die Verfügbarkeit des Klägers auch ab dem 7.8.2009 belegen soll. Entscheidend ist die objektive Sachlage, nicht die subjektive Sicht der Zeugin.

9

Soweit der Kläger sich mittelbar gegen die Würdigung der Aussage der Zeugin G durch das LSG wendet, die am 6.8.2009 mit dem Kläger gesprochen hat, betrifft dies die Überzeugungsbildung des Gerichts (§ 128 Abs 1 S 1 SGG). Auf eine Verletzung von § 128 Abs 1 S 1 SGG kann ein Verfahrensmangel indes von vornherein nicht gestützt werden(§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG).

10

Eine Verletzung von § 140 SGG ist schließlich als Verfahrensmangel schon deshalb nicht ausreichend bezeichnet, weil der Kläger in keiner Weise problematisiert, warum es sich bei einem übergangenen (Hilfs-)Beweisantrag um das Übergehen eines von den Beteiligten erhobenen Anspruchs, wie es § 140 SGG für eine Urteilsergänzung voraussetzt, handeln sollte. Denn mit Anspruch ist ein Teil des Klagebegehrens gemeint (vgl nur Wolff-Dellen in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 140 RdNr 2 ff), wozu ein Beweisantrag ersichtlich nicht gehört.

11

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.

Eine Entscheidung ist stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war;
2.
wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen war, sofern nicht dieses Hindernis mittels eines Ablehnungsgesuchs ohne Erfolg geltend gemacht ist;
3.
wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, obgleich er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt war;
4.
wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat;
5.
wenn die Entscheidung auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
6.
wenn die Entscheidung entgegen den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht mit Gründen versehen ist.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt. In Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen, sind die §§ 63 bis 80 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt.

Tenor

1. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 20. August 2009 - 5 K 1216/06 - (erster Befangenheitsantrag), der Beschluss des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 20. August 2009 - 5 K 1216/06 - (zweiter Befangenheitsantrag) und das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 20. August 2009 - 5 K 1216/06 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes.

Die Entscheidungen werden aufgehoben und die Sache wird an das Verwaltungsgericht Leipzig zurückverwiesen.

Damit wird der Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 27. September 2011 - 4 A 186/10 - gegenstandslos.

2. Der Freistaat Sachsen hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Verwerfung von Befangenheitsanträgen unter Mitwirkung der abgelehnten Kammervorsitzenden in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren.

I.

2

1. Die Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin war Klägerin in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vernahm die mit drei Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern besetzte Kammer des Verwaltungsgerichts einen Zeugen unter anderem zu der Verwaltungspraxis der Behörde, die den angegriffenen Bescheid erlassen hatte. Dabei weigerte sich der Zeuge, bestimmte Einzelheiten zu anderen Fällen mitzuteilen.

3

a) Im Verlauf der Beweisaufnahme lehnte der Prozessbevollmächtigte der Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin die Kammervorsitzende mit folgender Begründung wegen Besorgnis der Befangenheit ab:

4

"(…)

Der Zeuge (…) hat sich auf 'nicht näher darzulegende Umstände' im Rahmen seiner Zeugenaussage berufen. Als der Prozessbevollmächtigte der Klägerin insoweit nachfragte, erklärte die abgelehnte Richterin, es könnten insoweit datenschutzrechtliche Gründe maßgebend sein. Obwohl der Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Zeugen insoweit nochmals befragte, hielt die abgelehnte Richterin nicht zur vollständigen Aussage an. Die abgelehnte Richterin meinte sogar, der Zeuge sollte weiter befragt werden.

(…)

Die Klägerin behält sich weiteren Sachvortrag nach Vorlage des Sitzungsprotokolls vor und auch dann, wenn die dienstliche Äußerung vorliegt."

5

Daraufhin wurde die mündliche Verhandlung unterbrochen. Nach Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung verkündete die Kammer den folgenden in unveränderter Besetzung getroffenen und mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss:

6

"Der von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin gestellte Beweisantrag wird als unzulässig zurückgewiesen.

Er geht zum einen von Tatsachen aus, die so nicht stattgefunden haben. Der Zeuge (…) hat sich nicht verweigert Umstände offenzulegen, sondern Einzelfälle darzulegen. Im Übrigen ist offensichtlich ein Hinweis darauf, dass die einzelfallbezogene Darlegung anderer Fälle als des vorliegenden Falles datenschutzrechtlichen Bedenken begegnen könnte, nicht zu beanstanden. Schließlich ist es auch offensichtlich korrekt, wenn die Vorsitzende den Prozessbevollmächtigten der Klägerin bittet, konkrete Fragen zu stellen, damit der Zeuge auch konkret antworten kann, ggf. dann bezogen auf die konkrete Verwaltungspraxis zum vorliegenden Fall.

Dieser Beschluss ergeht in der Besetzung wie bisher verhandelt worden ist. Dies ist zulässig, weil der Beweisantrag als unzulässig abgewiesen wird.

(...)"

7

b) Daraufhin stellte die Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, einen weiteren Antrag, mit dem sie nunmehr sämtliche an der zuvor erwähnten Entscheidung beteiligten Richter der Kammer wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnte. Sie begründete dies unter anderem wie folgt:

8

"Die Begründung des Befangenheitsgesuchs ergibt sich aus der Begründung des - soeben - abgelehnten Befangenheitsgesuchs (…). Der vorgenannte Antrag ist als solcher zulässig. Niemand kann in eigener Sache entscheiden. Jedenfalls durfte Frau (…) an dem vorgenannten Beschluss nicht mitwirken. Rechtliches Gehör wurde trotz Vorbehalts nicht gewährt.

(…)"

9

Nach erneuter Unterbrechung der mündlichen Verhandlung verkündete die Kammer daraufhin den weiteren in unveränderter Besetzung getroffenen und mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss folgenden Inhalts:

10

"Der zweite Befangenheitsantrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin wird als unzulässig zurückgewiesen.

Der Befangenheitsantrag ist dann rechtsmissbräuchlich, wenn er ausschließlich auf einer abweichenden rechtlichen Bewertung der Klägerseite gegenüber der Bewertung der Kammer beruht. Offensichtlich unbegründete Befangenheitsanträge können von der Kammer als solcher insgesamt abgelehnt werden, d.h. auch von dem Richter, der als befangen abgelehnt worden ist. Die Einschätzung des Beweisantrags als zulässig oder unzulässig ist eine Rechtsfrage, auf die allein ein Befangenheitsantrag nicht gestützt werden kann.

(…)"

11

2. Aufgrund der mündlichen Verhandlung erließ die Kammer in unveränderter Besetzung das mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Urteil, mit dem die Klage abgewiesen wurde.

12

3. Den Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte das Oberverwaltungsgericht mit angegriffenem Beschluss vom 27. September 2011 ab. Im Hinblick auf den von der Beschwerdeführerin wegen der Behandlung ihrer Ablehnungsgesuche geltend gemachten Verfahrensmangel stand es zwar auf dem Standpunkt, dass die willkürliche Ablehnung eines Befangenheitsgesuchs einen Berufungszulassungsgrund darstellen könne. Es sah die Voraussetzungen hierfür jedoch nicht als gegeben an.

II.

13

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin allein eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wegen der aus ihrer Sicht zu Unrecht in unveränderter Kammerbesetzung erfolgten Zurückweisung der Befangenheitsanträge als unzulässig.

14

Mit dem ersten Befangenheitsantrag seien offensichtlich keine Umstände oder Handlungen, die nach der Prozessordnung vorgeschrieben seien oder sich aus der Stellung des Richters ergäben, beanstandet worden. Mit datenschutzrechtlichen Gründen lasse sich ein Zeugnisverweigerungsrecht nicht begründen. Halte die abgelehnte Richterin den Zeugen nicht zur Aussage an, sondern lege diesem sogar noch nahe, von der Aussage abzusehen, sei eine solche Vorgehensweise geeignet, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der Richterin zu rechtfertigen.

15

Jedenfalls - und dies sei vorliegend allein entscheidend - sei ein solcher erster Befangenheitsantrag nicht offensichtlich rechtsmissbräuchlich und damit unzulässig. Das habe auch die Kammer unter Mitwirkung der abgelehnten Richter in ihrem ersten zurückweisenden Beschluss nicht darzulegen vermocht. Eine Begründung dafür, weshalb der Befangenheitsantrag als ausnahmsweise unzulässig zu qualifizieren sein sollte, gebe die Kammer nicht an. Soweit sich die Kammer mit der Begründung des Befangenheitsantrags auseinandersetze, handele es sich hierbei um Ausführungen, die - wenn überhaupt - im Rahmen der Begründetheit des Befangenheitsantrags zu berücksichtigen gewesen wären. Die Tatsache, dass die Kammer unter Mitwirkung der abgelehnten Richterin meine, nicht ohne Stellungnahme zur Unbegründetheit auszukommen, zeige gerade, dass sie den Befangenheitsantrag nicht für aussichtslos und damit rechtsmissbräuchlich gehalten habe.

16

Noch weniger sei der zweite Befangenheitsantrag offensichtlich rechtsmissbräuchlich und unzulässig. Dass der erste Befangenheitsantrag rechtsmissbräuchlich und damit unzulässig gewesen sei, vermöge die Kammer erneut nicht zu begründen. Sie führe sogar ausdrücklich aus, dass die Einschätzung eines Befangenheitsantrags als zulässig oder unzulässig eine Rechtsfrage darstelle. Dann könne hierüber aber erst Recht nicht von der Kammer selbst entschieden werden.

III.

17

Das Staatsministerium der Justiz und für Europa des Freistaats Sachsen sowie der Beklagte des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

IV.

18

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung an und gibt ihr zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte der Beschwerdeführerin gemäß § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG statt.

19

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben.

20

a) Das gilt auch, obwohl die Beschwerdeführerin zunächst einen - im Ergebnis erfolglosen - Antrag auf Zulassung der Berufung beim Oberverwaltungsgericht gestellt hat. Ausweislich der Begründung der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts war der Zulassungsantrag der Beschwerdeführerin soweit er sich auf die Behandlung der Befangenheitsgesuche stützte, nicht von vornherein aussichtslos. Das Oberverwaltungsgericht hat lediglich, im Ergebnis zu Unrecht, das Vorliegen einer Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch das Verwaltungsgericht verneint.

21

b) Die Beschwerdeführerin ist auch beschwerdebefugt. Zwar war sie selbst zunächst nicht am Ausgangsrechtsstreit beteiligt. Sie ist jedoch im Laufe des Berufungszulassungsverfahrens aufgrund Verschmelzung im Wege der Aufnahme (vgl. § 2 Nr. 1 UmwG) Gesamtrechtsnachfolgerin der ursprünglichen Klägerin geworden.

22

Zur Durchsetzung vermögenswerter Rechte und für sonstige Rügen, die der Rechtsnachfolger im eigenen Interesse geltend machen kann, können Rechtsnachfolger Verfassungsbeschwerdeverfahren fortführen oder erheben (vgl. BVerfGE 3, 162 <164>; 17, 86 <90 f.>; 23, 288 <300>; 26, 327 <332>; 69, 188 <201>; 94, 12 <30>; 109, 279 <304>), nicht jedoch zur Durchsetzung des Schutzes der Menschenwürde und höchstpersönlicher Rechte (vgl. BVerfGE 109, 279 <304>).

23

Jedenfalls im Berufungszulassungsverfahren war die Beschwerdeführerin selbst Partei des Rechtsstreits und damit ohne weiteres beschwerdebefugt. Aber auch soweit Verfassungsverstöße gegenüber ihrer Rechtsvorgängerin, begangen in der ersten Instanz, im Raum stehen, ist die Beschwerdebefugnis gegeben. Die Rechtskraft der fachgerichtlichen Entscheidung erstreckt sich auch insoweit auf die Beschwerdeführerin (vgl. § 121 Nr. 1 VwGO). Aufgrund ihrer daraus resultierenden Bindung an die Entscheidung, die mit für sie nachteiligen (finanziellen) Folgen verbunden ist, ist sie hierdurch auch als Rechtsnachfolgerin beschwert. Es geht demnach nicht um speziell ihrer Rechtsvorgängerin zustehende höchstpersönliche Rechte, die eine Beschwerdebefugnis der Beschwerdeführerin entfallen lassen könnten.

24

2. Die angegriffenen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts verletzen das grundrechtsgleiche Recht der Beschwerdeführerin auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

25

a) aa) Die Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens haben nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG Anspruch auf den gesetzlichen Richter, der sich aus dem Gerichtsverfassungsgesetz, den Prozessordnungen sowie den Geschäftsverteilungs- und Besetzungsregelungen des Gerichts ergibt. Darüber hinaus wird ihnen durch die Verfassung gewährleistet, dass sie nicht vor einem Richter stehen, dem es an der gebotenen Neutralität fehlt. Die Frage, ob Befangenheitsgründe gegen die Mitwirkung eines Richters sprechen, berührt die prozessuale Rechtsstellung der Verfahrensbeteiligten (vgl. BVerfGE 89, 28 <36>).

26

Eine "Entziehung" des gesetzlichen Richters durch die Rechtsprechung, der die Anwendung der Zuständigkeitsregeln und die Handhabung des Ablehnungsrechts im Einzelfall obliegt, kann allerdings nicht in jeder fehlerhaften Rechtsanwendung gesehen werden; andernfalls müsste jede fehlerhafte Handhabung des einfachen Rechts zugleich als Verfassungsverstoß gelten (vgl. BVerfGE 82, 286 <299>). Die Grenzen zum Verfassungsverstoß sind aber jedenfalls dann überschritten, wenn die Auslegung einer Zuständigkeitsnorm oder ihre Handhabung im Einzelfall willkürlich oder offensichtlich unhaltbar sind oder wenn die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt (vgl. BVerfGE 82, 286 <299>). Ob die Entscheidung eines Gerichts auf Willkür, also auf einem Fall grober Missachtung oder grober Fehlanwendung des Gesetzesrechts (vgl. BVerfGE 29, 45 <49>; 82, 159 <197>; 87, 282 <286>) beruht oder ob sie darauf hindeutet, dass ein Gericht Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt, kann nur angesichts der jeweiligen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (vgl. BVerfGK 5, 269 <280>).

27

Bei der Anwendung der Vorschriften über die Ausschließung und Ablehnung von Richtern ist zu beachten, dass diese Normen dem durch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verbürgten Ziel dienen, auch im Einzelfall die Neutralität und Distanz der zur Entscheidung berufenen Richter zu sichern. Für den Zivilprozess und damit über § 54 Abs. 1 VwGO auch für den Verwaltungsprozess enthalten die §§ 44 ff. ZPO Regelungen über das Verfahren zur Behandlung des Ablehnungsgesuchs und bestimmen, dass das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung zur Entscheidung auf der Grundlage einer dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters berufen ist. Durch diese Zuständigkeitsregelung wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Annahme nahe liegt, es werde an der inneren Unbefangenheit und Unparteilichkeit eines Richters fehlen, wenn er über die vorgetragenen Gründe für seine angebliche Befangenheit selbst entscheiden muss (vgl. BVerfGK 7, 325 <337> für den Strafprozess; BVerfGK 11, 434 <442> für den Zivilprozess und BVerfGK 13, 72 <77 f.> für den Verwaltungsprozess).

28

bb) In Rechtsprechung und Literatur ist allerdings auch für den Bereich des Verwaltungsprozesses anerkannt, dass der abgelehnte Richter ein Ablehnungsgesuch selbst ablehnen kann, ohne dass es der Durchführung des Verfahrens nach § 54 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit §§ 44 f. ZPO bedarf, wenn das Gesuch als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren ist, etwa wenn pauschal alle Richter eines Gerichts abgelehnt werden, das Gesuch nur mit solchen Umständen begründet wird, die eine Befangenheit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtfertigen können, oder wenn gegen den Richter unqualifizierbare Angriffe wegen seiner angeblich rechtsstaatswidrigen Rechtsfindung erhoben werden (vgl. BVerfGK 13, 72 <78> m.w.N. zu Rspr. und Lit.).

29

Ähnlich wie der Gesetzgeber im Strafprozessrecht, in welchem § 26a StPO ein vereinfachtes Ablehnungsverfahren für unzulässige Ablehnungsgesuche unter Mitwirkung des abgelehnten Richters zur Verfügung stellt, während das Regelverfahren nach § 27 StPO die Entscheidung ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters garantiert, trägt die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung mit der differenzierenden Zuständigkeitsregelung in den Fällen der Richterablehnung einerseits dem Gewährleistungsgehalt des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG angemessen Rechnung: Ein Richter, dessen Unparteilichkeit mit jedenfalls nicht von vorneherein untauglicher Begründung in Zweifel gezogen worden ist, kann und soll nicht an der Entscheidung gegen das gegen ihn selbst gerichtete Ablehnungsgesuch mitwirken, das sein eigenes richterliches Verhalten und die - ohnehin nicht einfach zu beantwortende - Frage zum Gegenstand hat, ob das beanstandete Verhalten für eine verständige Partei Anlass sein kann, an der persönlichen Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Andererseits soll aus Gründen der Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens der abgelehnte Richter in den klaren Fällen eines unzulässigen oder missbräuchlich angebrachten Ablehnungsgesuchs an der weiteren Mitwirkung nicht gehindert sein und ein aufwendiges und zeitraubendes Ablehnungsverfahren verhindert werden (vgl. BVerfGK 5, 269 <280 f.>; 7, 325 <338>).

30

Im Verwaltungs- und Zivilprozessrecht gilt ebenso wie im Strafprozessrecht, dass bei strenger Beachtung der Voraussetzungen des gänzlich untauglichen oder rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuchs eine Entscheidung des abgelehnten Richters selbst mit der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht in Konflikt gerät, weil die Prüfung keine Beurteilung des eigenen Verhaltens des abgelehnten Richters voraussetzt und deshalb keine Entscheidung in eigener Sache ist (vgl. BVerfGK 5, 269 <281 f.>; 11, 434 <442>; 13, 72 <79>). Ein vereinfachtes Ablehnungsverfahren soll indes nur echte Formalentscheidungen ermöglichen oder einen offensichtlichen Missbrauch des Ablehnungsrechts verhindern, was eine enge Auslegung der Voraussetzungen gebietet (vgl. BVerfGK 5, 269 <282>; 11, 434 <442>; 13, 72 <79>). Völlige Ungeeignetheit ist anzunehmen, wenn für eine Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens selbst entbehrlich ist. Hierfür werden regelmäßig nur solche Gesuche in Betracht kommen, die Handlungen des Richters beanstanden, welche nach der Prozessordnung vorgeschrieben sind oder sich ohne weiteres aus der Stellung des Richters ergeben. Unzulässig ist ein Ablehnungsgesuch daher, wenn der Ablehnende die bloße Tatsache beanstandet, ein Richter habe an einer Vor- oder Zwischenentscheidung mitgewirkt. Unzulässig ist das Gesuch auch, wenn sich der Richter an den von der Prozessordnung vorgeschriebenen Verfahrensgang hält, der Ablehnende aber eine Änderung begehrt. Grundsätzlich wird also eine Verwerfung als unzulässig nur dann in Betracht kommen, wenn das Ablehnungsgesuch für sich allein - ohne jede weitere Aktenkenntnis - offenkundig eine Ablehnung nicht zu begründen vermag. Ist hingegen ein - wenn auch nur geringfügiges - Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erforderlich, scheidet die Ablehnung als unzulässig aus. Eine gleichwohl erfolgende Ablehnung durch den abgelehnten Richter selbst ist dann willkürlich. Über eine bloß formale Prüfung hinaus darf sich der abgelehnte Richter nicht durch Mitwirkung an einer näheren inhaltlichen Prüfung der Ablehnungsgründe zum Richter in eigener Sache machen (vgl. BVerfGK 7, 325 <340>; 11, 434 <442>; 13, 72 <79 f.>).

31

b) Bei Anlegung dieser Maßstäbe erweist sich die Verwerfung des ersten Befangenheitsgesuchs durch das Verwaltungsgericht - was die Zurückweisung des "Beweisantrags" als unzulässig offensichtlich meint - unter Mitwirkung der abgelehnten Kammervorsitzenden als objektiv willkürlich. Damit liegt ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vor.

32

Das folgt jedenfalls daraus, dass es sich vorliegend gerade nicht um eine bloße Formalentscheidung handelt. Die Kammer einschließlich der abgelehnten Richterin setzt sich vielmehr im Sinne einer Begründetheitsprüfung mit dem Vorbringen im Ablehnungsgesuch auseinander.

33

Anlass der Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit war die Verhandlungsführung der abgelehnten Kammervorsitzenden bei Vernehmung des Zeugen. Dabei ging es nicht bloß um formale Fragen wie zum Beispiel den Umstand, dass ihr als Kammervorsitzender die Leitung der mündlichen Verhandlung und damit auch die Vernehmung des Zeugen oblag (vgl. § 173 VwGO in Verbindung mit § 136 ZPO). Die aus Sicht der Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin zentrale Frage war, ob die wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnte Kammervorsitzende den Zeugen hinreichend zu einer vollständigen Aussage veranlasst hatte. Das zielt auf den Inhalt ihrer Verhandlungsführung. Die Beantwortung dieser Frage erforderte folglich eine Bewertung des Verhaltens der abgelehnten Richterin unter Berücksichtigung des von der Prozessordnung gesteckten Rahmens. Eine Entscheidung hierüber war ihr demnach verwehrt.

34

c) Der Beschluss über den zweiten Befangenheitsantrag erfolgte ebenfalls unter Verstoß gegen das grundrechtsgleiche Recht der Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

35

Bei der Prüfung, ob ein Ablehnungsgesuch als unzulässig verworfen werden kann, ist das Gericht in besonderem Maße verpflichtet, das Ablehnungsgesuch seinem Inhalt nach vollständig zu erfassen und gegebenenfalls wohlwollend auszulegen, da das Gericht andernfalls leicht dem Vorwurf ausgesetzt sein kann, tatsächlich im Gewande der Zulässigkeitsprüfung in eine Begründetheitsprüfung einzutreten, und sich zu Unrecht zum Richter in eigener Sache zu machen. Überschreitet das Gericht bei dieser Prüfung die ihm gezogenen Grenzen, so kann dies seinerseits die Besorgnis der Befangenheit begründen (vgl. BVerfGK 5, 269 <283>; 11, 434 <444>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2007 - 1 BvR 2228/06 -, NJW 2007, S. 3771 <3773>).

36

Obwohl der Vorwurf der Selbstentscheidung durch den vorangegangenen Beschluss über das Ablehnungsgesuch gegen die Kammervorsitzende Gegenstand des zweiten Befangenheitsantrags war, hat die Kammer in unveränderter Besetzung den daraufhin ergangenen Beschluss erlassen, ohne dass die Voraussetzungen hierfür vorgelegen hätten. Der formelhaft begründete Beschluss zieht zur Rechtfertigung der Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs das Kriterium der Rechtsmissbräuchlichkeit heran und versucht dies mit dem Verweis auf die offensichtliche Unbegründetheit des Befangenheitsantrags zu untermauern. Abgesehen davon, dass an keiner Stelle erläutert wird, weshalb - abweichend von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGK 5, 269 <282>) - auch bei offensichtlicher Unbegründetheit eines Ablehnungsgesuchs das vereinfachte Ablehnungsverfahren mit Selbstentscheidung des abgelehnten Richters angewendet werden können soll, lag ein Fall offensichtlicher Unbegründetheit des Befangenheitsantrags hier nicht vor. Das folgt schon aus dem einfachen Umstand, dass die festgestellte Überschreitung der durch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gezogenen Grenzen bei Bescheidung des ersten Befangenheitsantrags nach der zitierten bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich geeignet ist, die Besorgnis der Befangenheit auszulösen. Das Ablehnungsgesuch erforderte letztendlich eine Entscheidung darüber, ob sich die abgelehnten Richter durch die Behandlung des ersten Befangenheitsantrags soweit von Recht und Gesetz entfernt hatten, dass die Besorgnis ihrer Befangenheit bestand. Damit waren sie gezwungen, über ihr vorangegangenes eigenes Verhalten bei der Beschlussfassung über das erste Ablehnungsgesuch zu entscheiden und sich dadurch zu Richtern in eigener Sache zu machen.

37

d) Der durch die fehlerhafte Behandlung der Ablehnungsgesuche verursachte Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG erfasst auch das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts.

38

Die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs ist zwar nach § 146 Abs. 2 VwGO unanfechtbar. Die abgelehnte Kammervorsitzende und die weiteren mit dem zweiten Ablehnungsgesuch abgelehnten Richter unterlagen daher formal nicht mehr dem Gebot des § 54 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 47 Abs. 1 ZPO, der bis zur Erledigung des jeweiligen Ablehnungsgesuchs die Befugnisse des abgelehnten Richters auf die Vornahme unaufschiebbarer Handlungen beschränkt. Auch steht bislang nicht fest, dass tatsächlich die Besorgnis der Befangenheit bei einer der abgelehnten Gerichtspersonen vorgelegen hätte.

39

In der Konsequenz der in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verbürgten Garantie, nicht vor einem Richter stehen zu müssen, dem es an der gebotenen Neutralität mangelt (vgl. BVerfGE 89, 28 <36>), liegt es jedoch auch, nicht vor einem Richter stehen zu müssen, über dessen Ablehnung unter Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG entschieden worden ist (vgl. BVerfGK 13, 72 <75 ff.>).

40

Die hinter dem Ablehnungsgesuch stehende Partei kann so lange nicht davon ausgehen, dass sie unabhängigen Richtern gegenübersteht, bis diese Frage von dem zuständigen Gericht ohne Beteiligung der möglicherweise befangenen Richter geklärt ist. Sie muss im Falle einer nach den dargelegten Kriterien unzulässigen Selbstentscheidung befürchten, dass die Entscheidung über ihr Ablehnungsgesuch maßgeblich von Richtern beeinflusst ist, die der Sache nicht mit der notwendigen Distanz und Neutralität gegenüberstehen und dass sich diese Voreingenommenheit auch in der anschließend zu treffenden Sachentscheidung fortsetzt. Aus den genannten Gründen ist immer dann, wenn ein Fall unzulässiger Selbstentscheidung vorliegt, davon auszugehen, dass auch die dem Ablehnungsgesuch folgende Sachentscheidungen mit dem Makel des Verstoßes gegen den gesetzlichen Richter behaftet ist.

41

3. Die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts sind aufzuheben und die Sache gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen, da nicht auszuschließen ist, dass sie auf dem festgestellten Verfassungsverstoß beruhen. Ob die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts ebenfalls gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstößt, kann offen bleiben. Die Entscheidung wird durch die Aufhebung des verwaltungsgerichtlichen Urteils gegenstandslos.

V.

42

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

VI.

43

Der Gegenstandswert für das Verfassungsbeschwerdeverfahren ist nach § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>) auf 8.000 € festzusetzen. Es ist nicht erkennbar, dass die Beschwerdeführerin ein über diesen Betrag hinausgehendes Interesse hat.

(1) Für die Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen gelten die §§ 41 bis 46 Absatz 1 und die §§ 47 bis 49 der Zivilprozeßordnung entsprechend.

(2) Von der Ausübung des Amtes als Richter ist auch ausgeschlossen, wer bei dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat.

(3) Die Besorgnis der Befangenheit nach § 42 der Zivilprozeßordnung gilt stets als begründet, wenn der Richter dem Vorstand einer Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts angehört, deren Interessen durch das Verfahren unmittelbar berührt werden.

(4) (weggefallen)

Tenor

1. Der Beschluss des Landgerichts Bayreuth vom 20. Januar 2014 - 23 O 95/03 - und der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 7. März 2014 - 3 W 13/14 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts wird aufgehoben. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 17. April 2014 - 3 W 13/14 - wird damit gegenstandslos. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Bamberg zurückverwiesen.

2. Der Freistaat Bayern hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Zurückweisung eines Befangenheitsantrages in einem - seit 2003 anhängigen - zivilrechtlichen Ausgangsverfahren.

2

1. In einem Termin zur mündlichen Verhandlung lehnte die Beschwerdeführerin den erkennenden Vorsitzenden Richter am Landgericht als Einzelrichter wegen Besorgnis der Befangenheit ab und begründete dies unter anderem damit, dass das Gericht die Zurückgabe eines Gutachtenauftrags als "Stellungnahme" zu Lasten der Beschwerdeführerin gewertet habe. Zudem habe der abgelehnte Richter geäußert, dass die Sache nun "durchgehauen werden müsse" und ihm ein eventueller Vorwurf "nach mir die Sintflut" egal sei. Außerdem sei die Objektivität des Gerichts anzuzweifeln, da die Aufnahme des Ablehnungsantrages zum Teil mit ins Lächerliche gehendem "süffisantem Gelächter" quittiert worden sei.

3

Das Landgericht wies das Ablehnungsgesuch der Beschwerdeführerin noch im Termin mit Beschluss vom 20. Januar 2014 durch den abgelehnten Richter zurück. Die Ablehnung sei unzulässig, weil sie - wie sich aus dem gesamten Verfahrensgang ergebe - nur der Prozessverschleppung dienen solle. In einem solchen Fall des Rechtsmissbrauchs sei der abgelehnte Richter befugt, auch selbst und sogleich zu entscheiden. Es fehle am Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführerin für die beantragte Ablehnung, da diese im zivilprozessrechtlichen Sinne verfahrensfremden Zwecken diene und mit dem Beschleunigungsgebot nicht vereinbar sei. Daher sei durch den abgelehnten Richter - wie geschehen - selbst zu entscheiden. Einer dienstlichen Äußerung bedürfe es nicht.

4

Der sofortigen Beschwerde der Beschwerdeführerin half das Landgericht nicht ab. Das Oberlandesgericht wies die sofortige Beschwerde zurück. Zu Recht habe das Landgericht das Befangenheitsgesuch als unzulässig verworfen. Es richte sich ausschließlich gegen die vorläufige Rechtsauffassung des Einzelrichters und sei daher rechtsmissbräuchlich. Eine inhaltliche Prüfung der vorgebrachten Ablehnungsgründe sei nicht erforderlich. Die daraufhin von der Beschwerdeführerin erhobene Anhörungsrüge wies das Oberlandesgericht zurück.

5

2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde ist ein das Verfahren vor dem Landgericht beendendes Urteil ergangen, gegen das die Beschwerdeführerin und die Kläger des Ausgangsverfahrens Berufung eingelegt haben. Das Berufungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen.

6

3. Zu der Verfassungsbeschwerde hatten das Bayerische Staatsministerium der Justiz und die Beteiligten des Ausgangsverfahrens Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen der Kammer vor.

II.

7

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des grundrechtsgleichen Rechts der Beschwerdeführerin aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist danach zulässig (1.) und offensichtlich begründet (2.), soweit sie sich gegen den das Ablehnungsgesuch verwerfenden Beschluss des Landgerichts und den die sofortige Beschwerde zurückweisenden Beschluss des Oberlandesgerichts richtet.

8

1. a) Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht nicht entgegen, dass es sich bei den angegriffenen Entscheidungen um Zwischenentscheidungen handelt. Zwischenentscheidungen können selbstständig angegriffen werden, wenn sie zu einem bleibenden rechtlichen Nachteil für den Betroffenen führen, der später nicht oder jedenfalls nicht vollständig behoben werden kann (vgl. BVerfGE 101, 106 <120>). Dies trifft auf Entscheidungen der Fachgerichte über Ablehnungsgesuche zu, wenn sie Bindungswirkung für das weitere Verfahren entfalten, über eine wesentliche Rechtsfrage abschließend befinden und in weiteren Instanzen nicht mehr nachgeprüft und korrigiert werden können (vgl. BVerfGE 119, 292 <294>). Die hier angegriffenen Entscheidungen sind danach tauglicher Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde, obwohl der Zivilprozess in der Hauptsache weiter anhängig ist. Sie beenden das Zwischenverfahren zu dem Ablehnungsgesuch und sind für das weitere Verfahren bindend (§ 46 Abs. 2, § 512 ZPO).

9

b) Der Zulässigkeit steht auch nicht entgegen, dass das Landgericht zwischenzeitlich ein Endurteil gefällt hat. Das Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführerin ist hierdurch nicht entfallen, weil die Aufhebung der angegriffenen Beschlüsse deren Bindungswirkung für das Berufungsverfahren beseitigt.

10

2. Die Verfassungsbeschwerde ist auch offensichtlich begründet. Die Beschlüsse des Landgerichts vom 20. Januar 2014 und des Oberlandesgerichts vom 7. März 2014 verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

11

a) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistet dem Einzelnen das Recht auf den gesetzlichen Richter. Ziel der Verfassungsgarantie ist es, der Gefahr einer möglichen Einflussnahme auf den Inhalt einer gerichtlichen Entscheidung vorzubeugen, die durch eine auf den Einzelfall bezogene Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter eröffnet sein könnte (vgl. BVerfGE 17, 294 <299>; 48, 246 <254>; 82, 286 <296>; 95, 322 <327>). Damit soll die Unabhängigkeit der Rechtsprechung gewahrt und das Vertrauen der Rechtsuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte gesichert werden (BVerfGE 95, 322 <327>).

12

Deshalb verpflichtet Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG den Gesetzgeber dazu, eine klare und abstrakt-generelle Zuständigkeitsordnung zu schaffen, die für jeden denkbaren Streitfall im Voraus den Richter bezeichnet, der für die Entscheidung zuständig ist. Jede sachwidrige Einflussnahme auf die rechtsprechende Tätigkeit von innen und außen soll dadurch verhindert werden. Die Gerichte sind bei der ihnen obliegenden Anwendung der vom Gesetzgeber geschaffenen Zuständigkeitsordnung verpflichtet, dem Gewährleistungsgehalt und der Schutzwirkung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG angemessen Rechnung zu tragen.

13

Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG darüber hinaus auch einen materiellen Gewährleistungsgehalt. Die Verfassungsnorm garantiert, dass der Rechtsuchende im Einzelfall vor einem Richter steht, der unabhängig und unparteilich ist und der die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet (vgl. BVerfGE 10, 200 <213 f.>; 21, 139 <145 f.>; 30, 149 <153>; 40, 268 <271>; 82, 286 <298>; 89, 28 <36>).

14

Der Gesetzgeber hat deshalb in materieller Hinsicht Vorsorge dafür zu treffen, dass die Richterbank im Einzelfall nicht mit Richtern besetzt ist, die dem zur Entscheidung anstehenden Streitfall nicht mit der erforderlichen professionellen Distanz eines Unbeteiligten und Neutralen gegenüberstehen. Die materiellen Anforderungen der Verfassungsgarantie verpflichten den Gesetzgeber dazu, Regelungen vorzusehen, die es ermöglichen, einen Richter, der im Einzelfall nicht die Gewähr der Unparteilichkeit bietet, von der Ausübung seines Amtes auszuschließen (vgl. BVerfGK 5, 269 <279 f.>).

15

Die Vorschriften über die Ausschließung und Ablehnung von Richtern dienen dem durch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verbürgten Ziel, auch im Einzelfall die Neutralität und Distanz der zur Entscheidung berufenen Richter zu sichern. Für den Zivilprozess enthalten die §§ 44 ff. ZPO Regelungen über das Verfahren zur Behandlung des Ablehnungsgesuchs und bestimmen, dass das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung zur Entscheidung auf der Grundlage einer dienstlichen Stellungnahme des abgelehnten Richters berufen ist. Durch die Zuständigkeitsregelung wird dem Umstand Rechnung getragen, dass es nach der Natur der Sache an der völligen inneren Unbefangenheit und Unparteilichkeit eines Richters fehlen wird, wenn er über die vorgetragenen Gründe für seine angebliche Befangenheit selbst entscheiden müsste (BVerfGK 11, 434 <441>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2007 - 1 BvR 2228/06 -, NJW 2007, S. 3771 <3772>). In der zivilgerichtlichen Rechtsprechung ist allerdings anerkannt, dass abweichend von diesem Grundsatz und vom Wortlaut des § 45 Abs. 1 ZPO der Spruchkörper ausnahmsweise in ursprünglicher Besetzung unter Mitwirkung des abgelehnten Richters über unzulässige Ablehnungsgesuche in bestimmten Fallgruppen entscheidet. Hierzu zählen die Ablehnung eines ganzen Gerichts als solchem, das offenbar grundlose, nur der Verschleppung dienende und damit rechtsmissbräuchliche Gesuch und die Ablehnung als taktisches Mittel für verfahrensfremde Zwecke (vgl. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 45 Rn. 4 m.w.N.).

16

Mit der differenzierenden Zuständigkeitsregelung in den Fällen der Richterablehnung trägt die zivilgerichtliche Rechtsprechung einerseits dem Gewährleistungsgehalt des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG angemessen Rechnung: Ein Richter, dessen Unparteilichkeit mit jedenfalls nicht von vornherein untauglicher Begründung in Zweifel gezogen worden ist, kann und soll nicht an der Entscheidung über das gegen ihn selbst gerichtete Ablehnungsgesuch mitwirken, das sein eigenes richterliches Verhalten und die Frage zum Gegenstand hat, ob das beanstandete Verhalten für eine verständige Partei Anlass sein kann, an der persönlichen Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Andererseits soll aus Gründen der Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens der abgelehnte Richter in den klaren Fällen eines unzulässigen oder missbräuchlich angebrachten Ablehnungsgesuchs an der weiteren Mitwirkung nicht gehindert sein und ein aufwendiges und zeitraubendes Ablehnungsverfahren verhindert werden (vgl. BVerfGE 131, 239 <252 f.>; BVerfGK 5, 269 <280 f.>; siehe auch §§ 26a, 27 StPO für den Strafprozess).

17

In einem strafprozessualen Fall hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass bei strenger Beachtung der Voraussetzungen des gänzlich untauglichen oder rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuchs eine Selbstentscheidung mit der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht in Konflikt gerät, weil die Prüfung keine Beurteilung des eigenen Verhaltens des abgelehnten Richters voraussetze und deshalb keine Entscheidung in eigener Sache ist (vgl. BVerfGK 5, 269 <281 f.>). Es hat indes klargestellt, dass ein vereinfachtes Ablehnungsverfahren nur echte Formalentscheidungen ermöglichen oder offensichtlichen Missbrauch des Ablehnungsrechts verhindern soll, was eine enge Auslegung der Voraussetzungen gebietet (vgl. BVerfGK 5, 269 <282>). Völlige Ungeeignetheit ist demnach anzunehmen, wenn für eine Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens entbehrlich ist. Ist hingegen ein - wenn auch nur geringfügiges - Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erforderlich, scheidet eine Ablehnung als unzulässig aus. Eine gleichwohl erfolgende Entscheidung ist dann willkürlich. Über eine bloß formale Prüfung hinaus darf sich der abgelehnte Richter nicht durch Mitwirkung an einer näheren inhaltlichen Prüfung der Ablehnungsgründe zum Richter in eigener Sache machen. Überschreitet das Gericht bei der Anwendung dieses Prüfungsmaßstabs die ihm gezogenen Grenzen, kann dies seinerseits die Besorgnis der Befangenheit begründen (vgl. BVerfGK 5, 269 <283>).

18

Für den Zivilprozess sind diese Grundsätze entsprechend heranzuziehen. Da die Voraussetzungen für eine Selbstentscheidung des abgelehnten Richters über den ihn betreffenden Befangenheitsantrag verfassungsrechtlich durch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vorgegeben sind, ist für eine abweichende Beurteilung im Zivilprozessrecht kein Raum (vgl. ebenso BVerfGK 11, 434 <442>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2007 - 1 BvR 2228/06 -, NJW 2007, S. 3771 <3773>).

19

b) Gemessen an diesen Grundsätzen verletzt der Beschluss des Landgerichts vom 20. Januar 2014 die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter. Die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs als unzulässig durch den abgelehnten Richter beruht auf grob fehlerhaften Erwägungen und zeigt, dass das Landgericht den Gewährleistungsgehalt des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verkannt hat.

20

Das Landgericht begründet die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs damit, dass es nur der Prozessverschleppung diene und einen Fall des Rechtsmissbrauchs darstelle. Eine überprüfbare Begründung hierfür kann den gerichtlichen Erwägungen jedoch nicht entnommen werden und ist auch nicht ersichtlich. Erst mit der Nichtabhilfeentscheidung hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin einen kurzfristigen Terminsverlegungsantrag mit einem Attest belegt habe, welches sich nicht auf den Termin, sondern auf die beiden Tage zuvor bezogen habe. Die Beschwerdeführerin hat dies aber - nachdem sie im Rahmen des Ablehnungsverfahrens erstmals hierauf hingewiesen wurde - plausibel mit einem Versehen bei der Ausstellung des Attests begründet. Auch der Hinweis auf "den gesamten bisherigen Verfahrensgang", der ausweislich der Akten des Ausgangsverfahrens von fruchtlosen Vergleichsverhandlungen und Anregungen der Beschwerdeführerin, die Beweisaufnahme fortzusetzen, gezeichnet ist, rechtfertigt nicht die Einordnung des Ablehnungsgesuchs als rechtsmissbräuchlich. Vielmehr wäre es geboten gewesen, sich mit der Begründung des - erstmalig gestellten - Ablehnungsgesuchs im Einzelnen auseinanderzusetzen. Eine solche Auseinandersetzung hätte gezeigt, dass eine Zurückweisung als unzulässig nicht in Betracht kam.

21

Die von der Beschwerdeführerin angeführten Äußerungen des Einzelrichters, wonach die Aufklärungsmöglichkeiten erschöpft seien und die Sache nun "durchgehauen werden müsse", wobei ihm ein eventueller Vorwurf "nach mir die Sintflut" egal sei, erscheinen in Verbindung mit dem Umstand, dass die Zurückgabe eines Gutachtenauftrags als sachliche Stellungnahme des Sachverständigen habe gewertet werden sollen, nicht als schlechthin ungeeignet, eine Ablehnung zu begründen. Es handelt sich gerade um solche Behauptungen, die nach den Vorgaben des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG einer objektiven Klärung durch einen neutralen, unvoreingenommenen Richter hätten zugeführt werden müssen, weil andernfalls der abgelehnte Richter seine eigene Prozessführung beurteilen müsste und sich zum Richter in eigener Sache aufschwänge.

22

Die Annahme einer Kompetenz zur Verwerfung des Antrags durch den abgelehnten Richter stellt sich daher als grobe Verkennung des Rechts auf den gesetzlichen Richter dar. Es handelt sich gerade nicht um eine bloße Formalentscheidung. Die im Befangenheitsantrag geäußerte Befürchtung, dass trotz Fehlens der Entscheidungsreife eine Endentscheidung erlassen werde, nachdem der abgelehnte Richter unter anderem geäußert habe, dass die Sache "durchgehauen werden müsse" und ihm ein Vorwurf "nach mir die Sintflut" egal sei, konnte nicht ohne Eingehen auf weitere, außerhalb des Gesuchs selbst liegende Verfahrensumstände beurteilt werden.

23

c) Der Beschluss des Oberlandesgerichts, mit dem die sofortige Beschwerde zurückgewiesen wurde, wird dem Gewährleistungsgehalt des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ebenfalls nicht gerecht. Die Einordnung als rechtsmissbräuchlich rechtfertigt das Oberlandesgericht anders als das Landgericht mit der Begründung, dass sich das Ablehnungsgesuch ausschließlich gegen die vorläufige Rechtsauffassung des abgelehnten Richters richte. Damit erfasst das Oberlandesgericht aber die Begründung des Befangenheitsgesuchs nur unzureichend. Dieses enthält zwar auch Ausführungen, die sich gegen die Rechtsauffassung des Landgerichts richten, erschöpft sich aber nicht hierin. Das liegt insbesondere auf der Hand, soweit die Besorgnis der Befangenheit auf die Unsachlichkeit der Äußerungen des abgelehnten Richters gestützt wird (die Sache müsse "durchgehauen werden"; ein Vorwurf "nach mir die Sintflut" sei ihm egal). Bei der Frage, ob ein Ablehnungsgesuch als unzulässig behandelt und durch den abgelehnten Richter selbst entschieden werden kann, ist ein Gericht in besonderem Maße verpflichtet, das Ablehnungsgesuch seinem Inhalt nach vollständig zu erfassen und gegebenenfalls wohlwollend auszulegen (vgl. BVerfGK 7, 325 <340>).

III.

24

Der Beschluss des Oberlandesgerichts über die sofortige Beschwerde wird gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufgehoben. Der Beschluss des Oberlandesgerichts über die Anhörungsrüge wird durch die Aufhebung des vorangegangenen Beschlusses gegenstandslos. Die Sache wird gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG an das Oberlandesgericht zurückgewiesen, das im Berufungsrechtzug nach Einholung einer dienstlichen Stellungnahme des abgelehnten Richters abschließend auch über das Befangenheitsgesuch entscheiden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. November 2007 - 2 BvR 1849/07 -, NJW-RR 2008, S. 512 <514>; BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2006 - XII ZB 244/04 -, NJW-RR 2007, S. 411, FamRZ 2007, S. 274). Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. März 2013 - L 11 AS 400/11 - aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) vom 27.3.2013 ist zulässig, denn er hat einen Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters gemäß Art 101 Abs 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) hinreichend bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz).

2

Die Beschwerde ist insoweit auch begründet. Der gerügte Verfahrensfehler liegt vor. Das LSG war bei seinem auf die mündliche Verhandlung vom 27.3.2013 ergangenen Urteil nicht vorschriftsmäßig besetzt (§ 547 Nr 1 Zivilprozessordnung iVm § 202 Satz 1 SGG). Denn an diesem Urteil hat ein Richter mitgewirkt, den der Kläger zuvor in der mündlichen Verhandlung zwar erfolglos abgelehnt hatte, dessen Mitwirkung aber gleichwohl das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt hat. Die Zurückweisung des diesen Richter betreffenden Ablehnungsgesuchs hat Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art 101 Abs 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt (vgl zu den Maßstäben Bundessozialgericht Beschluss vom 27.10.2009 - B 1 KR 68/09 B - juris RdNr 5, unter Hinweis auf BVerfGE 82, 286, 298; Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 5.7.2005 - 2 BvR 497/03 - NVwZ 2005, 1304, 1307 f), weshalb der Senat an die Zurückweisung vorliegend entgegen § 557 Abs 2 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG nicht gebunden ist(vgl BSG SozR 4-1100 Art 101 Nr 3 RdNr 5 mwN).

3

Der vom Kläger abgelehnte Vorsitzende Richter P. hat vor Verkündung des Urteils vom 27.3.2013 als Vorsitzender an dem in das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 27.3.2013 aufgenommenen Beschluss - L 11 SF 81/13 AB - mitgewirkt, durch den der gegen ihn gerichtete Ablehnungsantrag wegen Besorgnis der Befangenheit mit der Begründung abgewiesen worden ist, allein die Weigerung der Führung eines Wortprotokolls stelle keinen Grund für die Besorgnis der Befangenheit dar. Das Ablehnungsgesuch sei daher wegen verfahrensfremder Zwecke rechtsmissbräuchlich und die Ablehnung könne durch den Senat in dieser Besetzung erfolgen.

4

Diese Ausführungen des LSG lassen die Einhaltung der engen Grenzen für eine Selbstentscheidung des abgelehnten Richters über den ihn betreffenden Befangenheitsantrag nicht erkennen. Art 101 Abs 1 Satz 2 GG lässt lediglich in dem Fall eines unzulässigen oder missbräuchlich angebrachten Ablehnungsgesuchs eine Selbstentscheidung des abgelehnten Richters über das Gesuch zu. Entsprechend ist bei dem kollegial besetzten LSG über ein Ablehnungsgesuch grundsätzlich ohne den abgelehnten Richter von dem zuständigen Senat mit dem nach der Geschäftsverteilung berufenen Vertreter zu entscheiden. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass es nach der Natur der Sache an der völligen inneren Unbefangenheit und Unparteilichkeit eines Richters fehlen wird, wenn er über die vorgetragenen Gründe für seine eigene angebliche Befangenheit selbst entscheiden müsste. Wie im Zivil- und Strafprozess ist auch im sozialgerichtlichen Verfahren anerkannt, dass abweichend von dem aufgezeigten Grundsatz der Spruchkörper ausnahmsweise in alter Besetzung unter Mitwirkung des abgelehnten Richters nur über unzulässige Ablehnungsgesuche in bestimmten Fallgruppen entscheidet (vgl dazu im Einzelnen BSG Beschluss vom 27.10.2009 - B 1 KR 68/09 B - juris RdNr 8 ff mwN).

5

Vorliegend hat der abgelehnte Vorsitzende Richter das gegen ihn gerichtete Befangenheitsgesuch mit anderen Richtern zwar abgewiesen, weil er es wegen verfahrensfremder Zwecke für rechtsmissbräuchlich hielt. Aus der Begründung des Beschlusses vom 27.3.2013 ergibt sich indes zugleich, dass dieser Entscheidung eine Bewertung des Verhaltens des Vorsitzenden dahin zugrunde liegt, allein die Weigerung der Führung eines Wortprotokolls stelle keinen Grund für die Besorgnis der Befangenheit dar, zumal ein solches Wortprotokoll gesetzlich nicht vorgeschrieben sei und bis zur Ablehnung auch keine Weigerung erfolgt sei, Anträge und sonstige wesentliche Erklärungen des Klägers zu Protokoll zu nehmen. Damit wird das Selbstentscheidungsrecht der Sache nach auf einen Fall der mangelnden Begründetheit eines Ablehnungsgesuchs ausgedehnt. Denn dieses ist tragend mit dem Argument abgewiesen worden, der vom Kläger geltend gemachte Grund für die Besorgnis der Befangenheit liege nicht vor. Hierüber konnte der abgelehnte Richter nicht entscheiden, ohne zugleich seine eigene Verhandlungsführung zu bewerten. Der den Ablehnungsantrag abweisende Beschluss geht damit in seiner Begründung zwar nicht auf den Gegenstand des Verfahrens ein, befasst sich aber mit der konkreten Verhandlungssituation und enthält insoweit eine Würdigung des eigenen Verhaltens des abgelehnten Richters. Es liegt deshalb eine unzulässige Entscheidung in eigener Sache vor und der hierin liegende Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters wirkte in der Besetzung des LSG bei seiner Endentscheidung fort.

6

Der absolute Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts (§ 547 Nr 1 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG) führt zur Aufhebung und Zurückverweisung (§ 160a Abs 5 SGG). Die Verweisung an einen anderen Senat des LSG (§ 563 Abs 1 Satz 2 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG) ist nicht geboten.

7

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Entscheidung des LSG vorbehalten.

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 21. Mai 2015 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts (LSG) vom 21.5.2015 ist zulässig, denn er hat einen Verstoß gegen das grundrechtsgleiche Recht auf den gesetzlichen Richter gemäß Art 101 Abs 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) hinreichend bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz).

2

Die Beschwerde ist insoweit auch begründet. Der gerügte Verfahrensfehler liegt vor. Das LSG war bei seinem auf die mündliche Verhandlung vom 21.5.2015 ergangenen Urteil nicht vorschriftsmäßig besetzt (§ 547 Nr 1 Zivilprozessordnung iVm § 202 Satz 1 SGG). Denn an diesem Urteil hat ein Richter mitgewirkt, den der Kläger zuvor am Terminstag zwar erfolglos abgelehnt hatte, dessen Mitwirkung am Urteil aber gleichwohl das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt hat. Die Verwerfung des diesen Richter betreffenden Ablehnungsgesuchs als unzulässig unter Mitwirkung des abgelehnten Richters hat Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art 101 Abs 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt (vgl zu den Maßstäben zuletzt Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 15.6.2015 - 1 BvR 1288/14; Bundessozialgericht Beschluss vom 9.4.2014 - B 14 AS 363/13 B - juris), weshalb der Senat an die Verwerfung vorliegend entgegen § 557 Abs 2 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG nicht gebunden ist(vgl BSG SozR 4-1100 Art 101 Nr 3 RdNr 5 mwN).

3

Der vom Kläger abgelehnte Richter K. hat vor Beginn der mündlichen Verhandlung und Verkündung des Urteils vom 21.5.2015 an dem Beschluss vom 21.5.2015 mitgewirkt, durch den das gegen ihn gerichtete Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit mit der Begründung als unzulässig verworfen worden ist, es sei rechtsmissbräuchlich zur Verzögerung und Verhinderung der mündlichen Verhandlung gestellt. Der Kläger, der selbst Rechtsanwalt sei, habe die Ladung zum Termin am 14.4.2015 erhalten und stütze sich in seinem Ablehnungsgesuch, das am Terminstag um 00:14 Uhr bei Gericht eingegangen sei, auf eine vermeintlich unsachliche Begründung eines Kostenbeschlusses vom 23.3.2015 in einem Parallelverfahren sowie ebenfalls als unsachlich gerügte prozessleitende Verfügungen in einem weiteren Parallelverfahren. Bei dieser Sachlage - Anbringung des Antrags wenige Stunden vor dem Termin trotz langer Kenntnis der vermeintlichen Ablehnungsgründe - liege es auf der Hand, dass der Ablehnungsantrag vom Kläger allein aus verfahrensfremden Gründen angebracht worden sei, um eine Verlegung des Termins zu erzwingen.

4

Diese Ausführungen des LSG lassen die Einhaltung der engen Grenzen für eine Selbstentscheidung des abgelehnten Richters über das ihn betreffende Ablehnungsgesuch nicht erkennen. Art 101 Abs 1 Satz 2 GG lässt lediglich in den klaren Fällen eines unzulässigen oder missbräuchlich angebrachten Ablehnungsgesuchs eine Selbstentscheidung des abgelehnten Richters über das Gesuch zu. Entsprechend ist bei dem kollegial besetzten LSG über ein Ablehnungsgesuch grundsätzlich ohne den abgelehnten Richter von dem zuständigen Senat mit dem nach der Geschäftsverteilung berufenen Vertreter zu entscheiden. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass es nach der Natur der Sache an der völligen inneren Unbefangenheit und Unparteilichkeit eines Richters fehlen wird, wenn er über die vorgetragenen Gründe für seine eigene angebliche Befangenheit selbst entscheiden müsste. Wie im Zivil- und Strafprozess ist auch im sozialgerichtlichen Verfahren anerkannt, dass abweichend von dem aufgezeigten Grundsatz der Spruchkörper ausnahmsweise in alter Besetzung unter Mitwirkung des abgelehnten Richters nur über unzulässige Ablehnungsgesuche in bestimmten Fallgruppen entscheidet (vgl BVerfG Beschluss vom 15.6.2015 - 1 BvR 1288/14; im Einzelnen BSG Beschluss vom 27.10.2009 - B 1 KR 68/09 B - juris RdNr 8 ff mwN).

5

Vorliegend hat der abgelehnte Richter das gegen ihn gerichtete Ablehnungsgesuch mit anderen Richtern zwar als unzulässig verworfen, weil er es für rechtsmissbräuchlich hielt. Aus der Begründung des Beschlusses vom 21.5.2015 ergibt sich indes zugleich, dass dieser Entscheidung eine Bewertung der vom Kläger vorgetragenen konkreten Ablehnungsgründe zugrunde liegt. Denn ob diese Ablehnungsgründe allein aus verfahrensfremden Gründen angebracht und rechtsmissbräuchlich sind, lässt sich nicht entscheiden, ohne die vom Kläger gegen Richter K. vorgetragenen Gründe zu bewerten: Ergibt sich aus diesen Ablehnungsgründen eine rechtzeitig geltend gemachte Besorgnis der Befangenheit, ist dem Ablehnungsgesuch zu entsprechen, auch wenn es erst am Terminstag angebracht wird. Dem Beschluss des LSG liegt damit die nicht ausdrücklich formulierte, aber in ihm doch anklingende Bewertung zugrunde, die vom Kläger vorgetragenen Gründe liegen entweder nicht vor ("vermeintlich unsachliche Begründung eines Kostenbeschlusses", "als unsachlich gerügte prozessleitende Verfügungen") oder sind, lägen sie vor, nicht rechtzeitig geltend gemacht ("trotz langer Kenntnis der vermeintlichen Ablehnungsgründe"); eine andere überprüfbare Begründung für die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs als unzulässig lässt sich den Gründen des Beschlusses nicht entnehmen (zur Überprüfung der Begründung für die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs vgl BVerfG Beschluss vom 15.6.2015 - 1 BvR 1288/14 RdNr 20).

6

In dieser Weise konnte der abgelehnte Richter K. nicht selbst entscheiden, ohne zugleich die gegen ihn vorgetragenen Ablehnungsgründe zu bewerten. Damit wird das ausnahmsweise unter strengen Voraussetzungen zulässige Selbstentscheidungsrecht im vereinfachten Ablehnungsverfahren, das nur echte Formalentscheidungen ermöglichen oder offensichtlichen Missbrauch des Ablehnungsrechts verhindern soll, der Sache nach auf einen Fall der mangelnden Begründetheit eines Ablehnungsgesuchs ausgedehnt. Es liegt deshalb eine unzulässige Selbstentscheidung des abgelehnten Richters über das ihn betreffende Ablehnungsgesuch vor und der hierin liegende Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters wirkte in der Besetzung des LSG bei seiner Endentscheidung im mit der Beschwerde angefochtenen Urteil vom 21.5.2015 fort.

7

Der absolute Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts (§ 547 Nr 1 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG) führt zur Aufhebung und Zurückverweisung (§ 160a Abs 5 SGG).

8

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Entscheidung des LSG vorbehalten.

Tatbestand

1

Der 1953 geborene, bei der beklagten Ersatzkasse versicherte Kläger ist bei dem Sozialgericht ua mit seinem Begehren ohne Erfolg geblieben, die Beklagte zu verurteilen, die Kosten einer vom 1.8. bis 22.8.2005 zu Lasten der damaligen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (heute: Deutsche Rentenversicherung Bund) durchgeführten medizinischen Rehabilitationsmaßnahme zu tragen. Das Landessozialgericht (LSG) hat ua den im Berufungsverfahren gestellten Antrag festzustellen, dass die Beklagte für die im Jahre 2005 durchgeführte Rehabilitationsmaßnahme zuständig war, zurückgewiesen: Die Feststellungsklage sei unzulässig. Eigentliches Ziel des Klägers sei es, gegenüber dem Rentenversicherungsträger einen Anspruch auf Erstattung zu Unrecht gezahlter Beiträge nach § 26 Abs 2 SGB IV durchzusetzen und den Gegeneinwand erbrachter Leistungen wegen der Rehabilitationsmaßnahme zu entkräften. Eine Unzuständigkeit des Rentenversicherungsträgers dafür sei jedoch im Rahmen des Verfahrens auf Erstattung der Beiträge zu prüfen (Urteil vom 4.6.2009).

2

Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil und begehrt zugleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung eines anwaltlichen Bevollmächtigten.

Entscheidungsgründe

3

1. Der Antrag des Klägers auf Gewährung von PKH unter Beiordnung des Rechtsanwalts K. ist abzulehnen.

4

Der Anspruch darauf setzt nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Satz 1 ZPO ua voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es, weil der Kläger aller Voraussicht nach in dem Beschwerdeverfahren nicht mit seinem Begehren durchdringen kann. Das Bundessozialgericht (BSG) darf auf eine Nichtzulassungsbeschwerde hin die Revision nur zulassen, wenn einer der in § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG abschließend genannten Zulassungsgründe vorliegt.

5

a) Das Vorbringen des Klägers und die Durchsicht der Akten geben keinen Anhaltspunkt dafür her, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) oder das LSG-Urteil von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG). Insbesondere ist entgegen der Ansicht des Klägers eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht erkennbar. Die Frage nach der Zuständigkeit für die dem Kläger gewährte Rehabilitationsmaßnahme hat bei summarischer Prüfung keine über den Einzelfall des Klägers hinausgehende, allgemeine Bedeutung.

6

b) Auch liegt ein zum Erfolg des Beschwerdeverfahrens führender Verfahrensfehler (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) voraussichtlich nicht vor. Eine hinreichende Erfolgsaussicht ergibt sich nicht etwa aus einer nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des LSG in der mündlichen Verhandlung am 4.6.2009 (§ 547 Nr 1 ZPO iVm § 202 SGG). Allerdings ergibt die Durchsicht der Akten, dass das LSG nicht formell über das gegen den Senat gerichtete Befangenheitsgesuch des Klägers vom 19.2.2009 entschieden hat. Dieser Verfahrensfehler könnte aber die Zulassung der Revision nicht begründen, weil bei der gebotenen eigenen Überprüfung durch den erkennenden Senat (vgl BSG SozR 4-1500 § 60 Nr 4) voraussichtlich keine ernsthaften Anhaltspunkte für eine Besorgnis der Befangenheit bestehen.

7

Auch wenn man davon ausgeht, dass nach dem Vorbringen des Klägers zur Richterablehnung eine Entscheidung des LSG darüber geboten war, fehlt nach derzeitiger Aktenlage jeglicher Anhaltspunkt dafür, dass das Gesuch des Klägers auf Ablehnung der Richter begründet war. Eine Besorgnis der Befangenheit (§ 60 SGG iVm § 42 ZPO) ist nur dann gegeben, wenn der Beteiligte von seinem Standpunkt aus nach vernünftigen Erwägungen Bedenken gegen die Unparteilichkeit des Richters haben kann(Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG. 9. Aufl 2008, § 60 RdNr 7 ff mwN). Die Zweifel an der Unparteilichkeit müssen ihren Grund in eigenem Verhalten des Richters haben. Ein im Rahmen gebotener richterlicher Verfahrensweise liegendes Verhalten kann keine Ablehnung begründen (vgl Keller, aaO, § 60 RdNr 8g mwN) . Ebenso wenig begründen Fehler des Richters - sofern nicht besondere weitere Umstände hinzutreten - eine Besorgnis der Befangenheit. Es müssen mit dem Ablehnungsgesuch Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, dass die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegen den ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht (vgl BSG SozR 4-1500 § 60 Nr 4 RdNr 13 mwN) . Danach ist hier mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht von einer Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richter auszugehen.

8

Der angeblichen Verletzung der gerichtlichen Sachaufklärung, dem Fehlen eines "gerichtlichen Hinweises zur Erhebung der Restitutionsklage" und der unterbliebenen Aussetzung des Verfahrens wegen der anhängigen Verfassungsbeschwerde allein können keine objektiv vernünftigen Gründe für die Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richter darstellen. Ein Befangenheitsgesuch ist nicht das vorgesehene Mittel, Ermittlungen oder ein sonstiges erwünschtes prozessuales Vorgehen des Gerichts zu erzwingen. Aus dem Vorbringen des Klägers ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, in der von ihm beanstandeten Verfahrensweise komme eine unsachliche Einstellung oder Willkür der abgelehnten Richter zum Ausdruck.

9

Das Vorbringen des Klägers und die Durchsicht der Akten enthalten auch keine weiteren Anhaltspunkte für einen Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Das gilt entgegen der Ansicht des Klägers sowohl in Bezug darauf, dass er rügt, § 103 SGG (Aufklärungspflicht) und § 62 SGG (Gewährung rechtlichen Gehörs) seien verletzt worden.

10

Ein möglicherweise unzutreffender Inhalt des LSG-Urteils kann den voraussichtlichen Erfolg im Beschwerdeverfahren nicht begründen. Das bloße Beanstanden der inhaltlichen Richtigkeit des angegriffenen Urteils stellt keinen Revisionszulassungsgrund dar (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 ).

11

2. Die bereits durch den Kläger selbst eingelegte Beschwerde ist unzulässig, da sie nicht von einem gemäß § 73 Abs 4 SGG vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten begründet worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 1 SGG). Sie ist gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG iVm § 169 SGG zu verwerfen.

12

3. Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 16. April 2015 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Der Kläger begehrt Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).

2

Der Kläger wurde im August 2007 bei einer körperlichen Auseinandersetzung verletzt. Seinen Antrag, ihm deshalb Beschädigtenversorgung zu gewähren, lehnte der Beklagte ab, weil der schädigende Vorgang nicht erwiesen sei (Bescheid vom 25.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.10.2009).

3

Die dagegen erhobene Klage wies das SG ebenfalls mit der Begründung ab, die anspruchsbegründenden Tatsachen seien nicht erwiesen (Urteil vom 2.11.2011). Der Kläger hat im Februar 2012 dagegen Berufung eingelegt. Er leide infolge des tätlichen Angriffs an einer Trigeminusneuralgie, die ihn gesundheitlich schwer beeinträchtige. Das LSG zog ärztliche Befundunterlagen sowie die Akten des den Kläger betreffenden Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft E. bei. Am 24.3.2014 erfolgte die Ladung zur mündlichen Verhandlung am 16.4.2014.

4

Mit gesonderten, aber im Wesentlichen gleichlautenden Anträgen vom 15.4.2015 lehnte der Prozessbevollmächtigte des Klägers alle Berufsrichter des zuständigen LSG-Senats wegen Befangenheit ab. Wie er schriftsätzlich nachgewiesen habe, sei das Verfahren weder verhandlungs- noch entscheidungsreif. Die Berufsrichter des Senats hätten grob gegen § 103 SGG verstoßen, indem sämtliche Anträge auf Beweiserhebung des Antragstellers ungehört geblieben seien. Die gesamte bisherige unsachgemäße Verfahrensleitung, fortgesetzt begangene grobe Verfahrensverstöße und jahrelange Untätigkeit des Gerichts seien Ablehnungsgründe.

5

Mit dem angefochtenen Urteil vom 16.4.2015 hat das LSG die Berufung zurückgewiesen. Es habe trotz der noch nicht beschiedenen Befangenheitsgesuche gegen sämtliche abgelehnten Berufsrichter entscheiden können, da der Kläger sich in Kenntnis der Ablehnungsgründe im Termin zur Sache eingelassen habe. Die Befangenheitsanträge seien im Übrigen unzulässig gewesen, weil sie von Anfang an nur den Verhandlungstermin hätten verhindern sollen und der Prozessbevollmächtigte des Klägers sie zudem im eigenen Namen gestellt habe.

6

In der Sache sei zwar ein Angriff iS von § 1 OEG ohne Weiteres zu bejahen. Allerdings sei die Trigeminusneuralgie des Klägers nicht mit Wahrscheinlichkeit Folge des tätlichen Angriffs. Die in zeitlicher Nähe zum Angriff erstellten ärztlichen Befundberichte dokumentierten lediglich oberflächliche Verletzungen und keine Schädigung von Nerven, die für eine Trigeminusneuralgie ursächlich sein könne. Die weiteren vom Kläger beantragten Ermittlungen wie die Anhörung seiner Ehefrau, seines Sohnes sowie die Untersuchung der Notrufverbindungen seines Netzanbieters seien nicht veranlasst, weil nicht entscheidungserheblich gewesen.

7

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt. Die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, es liege eine Divergenz vor und vor allem habe das LSG Verfahrensfehler begangen, indem es durch die als befangen abgelehnten Richter entschieden habe.

8

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil keiner der behaupteten Zulassungsgründe ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).

9

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden.

10

a) Der Kläger hat die behauptete Verletzung von § 60 SGG iVm § 42 ZPO sowie seines Rechts auf den gesetzlichen Richter nach Art 101 Abs 1 S 2 GG nicht hinreichend substantiiert dargetan.

11

Grundsätzlich unterliegen Entscheidungen, die dem Endurteil vorausgegangen sind und - wie im Falle einer Ablehnung eines Befangenheitsantrages durch ein LSG - unanfechtbar sind (§ 177 SGG), nicht der Beurteilung des Revisionsgerichts (§ 202 SGG iVm § 557 Abs 2 ZPO). Deshalb kommt ein Verstoß gegen Art 101 Abs 1 S 2 GG nur bei willkürlichen Verstößen gegen Verfahrensvorschriften in Betracht (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 1 RdNr 9 f). Hier liegt der Fall indes anders, weil das LSG die Befangenheitsanträge nicht durch Zwischenentscheidung abgelehnt hat; vielmehr ist es in seinen Urteilsgründen von rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuchen, die unbeachtlich seien, ausgegangen. In einem solchen Fall kann sich die fehlerhafte Anwendung einfachen Rechts - anders als in den Fällen einer Zwischenentscheidung - als Verfahrensfehler erweisen, auf dem die Entscheidung beruhen kann (BSG Beschluss vom 13.8. 2009 - B 8 SO 13/09 B - Juris; vgl auch BSG SozR 4-1500 § 60 Nr 4 S 7).

12

Auch eine solche fehlerhafte Anwendung einfachen Verfahrensrechts, hier § 60 SGG iVm § 42 ZPO, bei der Behandlung der Befangenheitsgesuche des Klägers hat die Beschwerde indes nicht hinreichend substantiiert dargelegt und damit noch weniger seines Rechts auf den gesetzlichen Richter aus Art 101 Abs 1 S 2 GG.

13

Zwar erscheint es zweifelhaft, ob das LSG das Befangenheitsgesuch des Klägers allein deshalb als erledigt ansehen durfte, weil sein Prozessbevollmächtigter im Termin zur mündlichen Verhandlung zur Sache verhandelt und einen Sachantrag gestellt hat. Nach § 60 SGG iVm § 43 ZPO kann ein Beteiligter einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn er sich bei ihm, ohne den ihm bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. Nach dieser Vorschrift verliert der Beteiligte sein Ablehnungsrecht grundsätzlich auch dann, wenn er, nachdem er ein Ablehnungsgesuch erhoben hat, die weitere Verhandlung nicht verweigert. Dies gilt allerdings nicht, wenn ihn inkorrektes richterliches Verhalten zu einer weiteren Einlassung oder Antragstellung gezwungen hat (Gehrlein in Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Aufl 2013, § 43 RdNr 7 mwN). Nach § 47 Abs 1 ZPO hat ein abgelehnter Richter vor Erledigung des Ablehnungsgesuchs nur solche Handlungen vorzunehmen, die keinen Aufschub gestatten. Zu diesen unaufschiebbaren Handlungen zählt es normalerweise nicht, eine vollständige mündliche Verhandlung durchzuführen, wie es das LSG getan hat.

14

Andererseits gilt die Wartepflicht aus § 47 ZPO nicht, wenn das Ablehnungsgesuch missbräuchlich ist(vgl Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 35. Aufl 2014, § 47 RdNr 1a mwN). Insoweit setzt die Beschwerde dem nachvollziehbaren Argument des LSG nichts Stichhaltiges entgegen, das Befangenheitsgesuch sei als missbräuchlich anzusehen, weil der Kläger es erst am Tag vor der mündlichen Verhandlung eingereicht hat, die er für verfrüht hielt und zugunsten weiterer Ermittlungen abwenden wollte.

15

Letztlich kann die Frage der Erledigung des Gesuchs aber dahinstehen, denn das LSG hat das Befangenheitsgesuch des Klägers unabhängig davon auch als unzulässig angesehen. Die Nichtzulassungsbeschwerde legt nicht hinreichend substantiiert dar, warum darin ein Verfahrensverstoß liegen sollte. Zur Begründung des Befangenheitsgesuchs wiederholt sie lediglich ihren bereits gegenüber dem LSG erhobenen Vorwurf, das LSG sei jahrelang untätig gewesen, habe grobe Fehler bei der Verfahrensleitung begangen und insbesondere die erforderlichen Ermittlungen unterlassen und damit gegen seine Amtsermittlungspflicht verstoßen. Dabei setzt sich die Beschwerde aber nicht hinreichend damit auseinander, dass ein Befangenheitsgesuch auch dann als unzulässig abgelehnt werden kann, wenn es keinen oder nur einen von vornherein völlig ungeeigneten Ablehnungsgrund nennt, § 60 Abs 1 SGG iVm § 44 Abs 2 S 1 ZPO(BVerfG vom 2.6.2005 - 2 BvR 625/01 - NJW 2005, 3410, 3412), zB wenn keinerlei substantiierte Tatsachen vorgetragen werden (BVerwG NJW 1997, 3327) oder nur Tatsachen, die eine Befangenheit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt begründen lassen (OVG Hamburg NVwZ-RR 2000, 548). Ein im Rahmen gebotener richterlicher Verfahrensweise liegendes Verhalten kann einem Ablehnungsgesuch von vornherein nicht zum Erfolg verhelfen. Selbst Fehler des Richters - sofern nicht besondere weitere Umstände hinzutreten - vermögen keine Besorgnis der Befangenheit begründen (vgl BFH Beschlüsse vom 27.6.1996 - X B 84/96 - BFH/NV 1997, 122, Juris; vom 29.8.2001 - IX B 3/01 - BFH/NV 2002, 64, Juris). Es müssen vielmehr mit dem Ablehnungsgesuch Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, dass die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegen den ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht (vgl BFH Beschluss vom 16.2.1989 - X B 99/88, BFH/NV 1989, 708, Juris; BFH Beschluss vom 27.6.1996 - X B 84/96 - BFH/NV 1997, 122, Juris). Solche Gründe hat der Kläger weder vor dem LSG noch im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde dargelegt. Behaupteten Fehlern bei der Sachverhaltsaufklärung allein kann kein objektiv vernünftiger Grund für die Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten Richters entnommen werden. Soweit der Beteiligte meint, Ermittlungsdefizite festgestellt zu haben, ist diesen etwa durch entsprechende Beweisanträge zu begegnen. Ein Befangenheitsgesuch ist nicht geeignet, die gewünschten Ermittlungen zu erzwingen (BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a SB 18/06 B - SozR 4-1500 § 60 Nr 4, SozR 4-1500 § 160 Nr 14). Die Beschwerde hat auch nicht substantiiert dargelegt, warum das LSG durch den Umgang mit den Ermittlungsanregungen des Klägers eine Parteilichkeit oder eine unsachliche Einstellung zum Ausdruck gebracht haben könnte. Anhaltspunkte für eine Willkür (vgl hierzu BFH Beschlüsse vom 28.11.2001 - VII B 67/01 und vom 19.2.2002 - X B 41/01, beide Juris) sind vom Kläger ebenfalls nicht dargetan worden. Zudem hat er sich auch, wie ausgeführt, nicht mit der nachvollziehbaren Einstufung seines Befangenheitsgesuchs als missbräuchlich durch das LSG auseinandergesetzt.

16

Ebenso wenig hat die Beschwerde dargetan, warum das LSG nicht ausnahmsweise abweichend von § 60 Abs 1 SGG iVm § 45 Abs 1 ZPO über sein offensichtlich vollständig ungeeignetes Befangenheitsgesuch unter Mitwirkung der Richter entscheiden durfte, die der Kläger für befangen hält. In der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichtshöfe und des BVerfG ist anerkannt, dass rechtsmissbräuchliche oder gänzlich untaugliche Ablehnungsgesuche ausnahmsweise im vereinfachten Ablehnungsverfahren in der geschäftsplanmäßigen Besetzung des Gerichts unter Beteiligung der abgelehnten Richter behandelt werden können, wenn für die Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens entbehrlich ist. Dies ist der Fall, wenn das Gericht einen offensichtlichen Missbrauch des Ablehnungsrechts für sachfremde Zwecke verhindern will oder lediglich eine bloße Formalentscheidung über ein offensichtlich unzulässiges Gesuch trifft, die keinerlei Beurteilung des eigenen Verhaltens durch die entscheidenden Richter und kein Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erfordert (vgl BSG SozR 4-1500 § 60 Nr 7; BVerfG NJW 2013, 1665; BVerfG NJW 2007, 3771; BFH NJW 2009, 3806 mwN; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 60 RdNr 10d mwN; Wolff-Dellen in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 60 RdNr 79 ff; aA BVerwG, Beschluss vom 11.12.2012 - 8 B 58/12 - Juris). Mehr als eine solche bloße Formalentscheidung brauchte das LSG über das, wie ausgeführt, unter keinem denkbaren Gesichtspunkt erfolgversprechende Befangenheitsgesuch des Klägers nicht zu treffen. Zumal der Kläger auch dem Missbrauchsvorwurf des LSG nicht substantiiert entgegengetreten ist.

17

b) Ebenso wenig kann der Kläger mit Erfolg eine Verletzung von § 103 SGG der Amtsermittlungspflicht durch das LSG geltend machen. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann ein Verfahrensmangel auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 SGG), so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist. Ein Beweisantrag hat im sozialgerichtlichen Verfahren Warnfunktion und soll der Tatsacheninstanz unmittelbar vor der Entscheidung vor Augen führen, dass die gerichtliche Aufklärungspflicht von einem Beteiligten noch nicht als erfüllt angesehen wird. Wird ein Beweisantrag in einem vorbereitenden Schriftsatz gestellt, so ist er dann nicht iS des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG übergangen worden, wenn den näheren Umständen zu entnehmen ist, dass er in der maßgebenden mündlichen Verhandlung nicht weiter verfolgt wurde. Dies ist bei rechtskundig vertretenen Beteiligten regelmäßig anzunehmen, wenn in der letzten mündlichen Verhandlung nur noch ein Sachantrag gestellt und der Beweisantrag nicht wenigstens hilfsweise wiederholt wird (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 35 S 73 mwN). Der Kläger behauptet selber nicht, in der letzten mündlichen Verhandlung einen Beweisantrag gestellt bzw aufrechterhalten zu haben. Solche Beweisanträge lassen sich auch dem Protokoll der mündlichen Verhandlung nicht entnehmen. Mit seinen umfangreichen Ausführungen zur unzureichenden Sachaufklärung durch das LSG kann der Kläger daher mangels des erforderlichen prozessordnungsgemäßen Beweisantrags keinen Verfahrensmangel darlegen. Nichts anderes gilt für seinen vielfach wiederholten Vorwurf unrichtiger Tatsachenfeststellungen durch das LSG. Der Kläger wendet sich damit gegen die Beweiswürdigung des LSG, die § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG indes der Beurteilung durch das Revisionsgericht vollständig entzieht. Kraft der darin enthaltenen ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung kann die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden (Karmanski in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 160 RdNr 58 mwN). Die inhaltliche Richtigkeit seiner Entscheidung im Einzelfall ist nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

18

2. Zu den vom Kläger ebenfalls behaupteten Zulassungsgründen der Divergenz bzw grundsätzlichen Bedeutung macht die Nichtzulassungsbeschwerde überhaupt keine näheren Ausführungen. Diese Nichtzulassungsgründe sind deshalb noch weniger als die behaupteten Verfahrensmängel substantiiert dargelegt.

19

Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).

20

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

21

3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 21. Mai 2015 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts (LSG) vom 21.5.2015 ist zulässig, denn er hat einen Verstoß gegen das grundrechtsgleiche Recht auf den gesetzlichen Richter gemäß Art 101 Abs 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) hinreichend bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz).

2

Die Beschwerde ist insoweit auch begründet. Der gerügte Verfahrensfehler liegt vor. Das LSG war bei seinem auf die mündliche Verhandlung vom 21.5.2015 ergangenen Urteil nicht vorschriftsmäßig besetzt (§ 547 Nr 1 Zivilprozessordnung iVm § 202 Satz 1 SGG). Denn an diesem Urteil hat ein Richter mitgewirkt, den der Kläger zuvor am Terminstag zwar erfolglos abgelehnt hatte, dessen Mitwirkung am Urteil aber gleichwohl das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt hat. Die Verwerfung des diesen Richter betreffenden Ablehnungsgesuchs als unzulässig unter Mitwirkung des abgelehnten Richters hat Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art 101 Abs 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt (vgl zu den Maßstäben zuletzt Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 15.6.2015 - 1 BvR 1288/14; Bundessozialgericht Beschluss vom 9.4.2014 - B 14 AS 363/13 B - juris), weshalb der Senat an die Verwerfung vorliegend entgegen § 557 Abs 2 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG nicht gebunden ist(vgl BSG SozR 4-1100 Art 101 Nr 3 RdNr 5 mwN).

3

Der vom Kläger abgelehnte Richter K. hat vor Beginn der mündlichen Verhandlung und Verkündung des Urteils vom 21.5.2015 an dem Beschluss vom 21.5.2015 mitgewirkt, durch den das gegen ihn gerichtete Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit mit der Begründung als unzulässig verworfen worden ist, es sei rechtsmissbräuchlich zur Verzögerung und Verhinderung der mündlichen Verhandlung gestellt. Der Kläger, der selbst Rechtsanwalt sei, habe die Ladung zum Termin am 14.4.2015 erhalten und stütze sich in seinem Ablehnungsgesuch, das am Terminstag um 00:14 Uhr bei Gericht eingegangen sei, auf eine vermeintlich unsachliche Begründung eines Kostenbeschlusses vom 23.3.2015 in einem Parallelverfahren sowie ebenfalls als unsachlich gerügte prozessleitende Verfügungen in einem weiteren Parallelverfahren. Bei dieser Sachlage - Anbringung des Antrags wenige Stunden vor dem Termin trotz langer Kenntnis der vermeintlichen Ablehnungsgründe - liege es auf der Hand, dass der Ablehnungsantrag vom Kläger allein aus verfahrensfremden Gründen angebracht worden sei, um eine Verlegung des Termins zu erzwingen.

4

Diese Ausführungen des LSG lassen die Einhaltung der engen Grenzen für eine Selbstentscheidung des abgelehnten Richters über das ihn betreffende Ablehnungsgesuch nicht erkennen. Art 101 Abs 1 Satz 2 GG lässt lediglich in den klaren Fällen eines unzulässigen oder missbräuchlich angebrachten Ablehnungsgesuchs eine Selbstentscheidung des abgelehnten Richters über das Gesuch zu. Entsprechend ist bei dem kollegial besetzten LSG über ein Ablehnungsgesuch grundsätzlich ohne den abgelehnten Richter von dem zuständigen Senat mit dem nach der Geschäftsverteilung berufenen Vertreter zu entscheiden. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass es nach der Natur der Sache an der völligen inneren Unbefangenheit und Unparteilichkeit eines Richters fehlen wird, wenn er über die vorgetragenen Gründe für seine eigene angebliche Befangenheit selbst entscheiden müsste. Wie im Zivil- und Strafprozess ist auch im sozialgerichtlichen Verfahren anerkannt, dass abweichend von dem aufgezeigten Grundsatz der Spruchkörper ausnahmsweise in alter Besetzung unter Mitwirkung des abgelehnten Richters nur über unzulässige Ablehnungsgesuche in bestimmten Fallgruppen entscheidet (vgl BVerfG Beschluss vom 15.6.2015 - 1 BvR 1288/14; im Einzelnen BSG Beschluss vom 27.10.2009 - B 1 KR 68/09 B - juris RdNr 8 ff mwN).

5

Vorliegend hat der abgelehnte Richter das gegen ihn gerichtete Ablehnungsgesuch mit anderen Richtern zwar als unzulässig verworfen, weil er es für rechtsmissbräuchlich hielt. Aus der Begründung des Beschlusses vom 21.5.2015 ergibt sich indes zugleich, dass dieser Entscheidung eine Bewertung der vom Kläger vorgetragenen konkreten Ablehnungsgründe zugrunde liegt. Denn ob diese Ablehnungsgründe allein aus verfahrensfremden Gründen angebracht und rechtsmissbräuchlich sind, lässt sich nicht entscheiden, ohne die vom Kläger gegen Richter K. vorgetragenen Gründe zu bewerten: Ergibt sich aus diesen Ablehnungsgründen eine rechtzeitig geltend gemachte Besorgnis der Befangenheit, ist dem Ablehnungsgesuch zu entsprechen, auch wenn es erst am Terminstag angebracht wird. Dem Beschluss des LSG liegt damit die nicht ausdrücklich formulierte, aber in ihm doch anklingende Bewertung zugrunde, die vom Kläger vorgetragenen Gründe liegen entweder nicht vor ("vermeintlich unsachliche Begründung eines Kostenbeschlusses", "als unsachlich gerügte prozessleitende Verfügungen") oder sind, lägen sie vor, nicht rechtzeitig geltend gemacht ("trotz langer Kenntnis der vermeintlichen Ablehnungsgründe"); eine andere überprüfbare Begründung für die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs als unzulässig lässt sich den Gründen des Beschlusses nicht entnehmen (zur Überprüfung der Begründung für die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs vgl BVerfG Beschluss vom 15.6.2015 - 1 BvR 1288/14 RdNr 20).

6

In dieser Weise konnte der abgelehnte Richter K. nicht selbst entscheiden, ohne zugleich die gegen ihn vorgetragenen Ablehnungsgründe zu bewerten. Damit wird das ausnahmsweise unter strengen Voraussetzungen zulässige Selbstentscheidungsrecht im vereinfachten Ablehnungsverfahren, das nur echte Formalentscheidungen ermöglichen oder offensichtlichen Missbrauch des Ablehnungsrechts verhindern soll, der Sache nach auf einen Fall der mangelnden Begründetheit eines Ablehnungsgesuchs ausgedehnt. Es liegt deshalb eine unzulässige Selbstentscheidung des abgelehnten Richters über das ihn betreffende Ablehnungsgesuch vor und der hierin liegende Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters wirkte in der Besetzung des LSG bei seiner Endentscheidung im mit der Beschwerde angefochtenen Urteil vom 21.5.2015 fort.

7

Der absolute Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts (§ 547 Nr 1 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG) führt zur Aufhebung und Zurückverweisung (§ 160a Abs 5 SGG).

8

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Entscheidung des LSG vorbehalten.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

(1) Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Für die Anerkennung der Bedarfe für Unterkunft gilt eine Karenzzeit von einem Jahr ab Beginn des Monats, für den erstmals Leistungen nach diesem Buch bezogen werden. Innerhalb dieser Karenzzeit werden die Bedarfe für Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt; Satz 6 bleibt unberührt. Wird der Leistungsbezug in der Karenzzeit für mindestens einen Monat unterbrochen, verlängert sich die Karenzzeit um volle Monate ohne Leistungsbezug. Eine neue Karenzzeit beginnt, wenn zuvor mindestens drei Jahre keine Leistungen nach diesem oder dem Zwölften Buch bezogen worden sind. Erhöhen sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, wird nur der bisherige Bedarf anerkannt. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie nach Ablauf der Karenzzeit als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Nach Ablauf der Karenzzeit ist Satz 7 mit der Maßgabe anzuwenden, dass der Zeitraum der Karenzzeit nicht auf die in Satz 7 genannte Frist anzurechnen ist. Verstirbt ein Mitglied der Bedarfs- oder Haushaltsgemeinschaft und waren die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung davor angemessen, ist die Senkung der Aufwendungen für die weiterhin bewohnte Unterkunft für die Dauer von mindestens zwölf Monaten nach dem Sterbemonat nicht zumutbar. Eine Absenkung der nach Satz 1 unangemessenen Aufwendungen muss nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre.

(1a) (weggefallen)

(2) Als Bedarf für die Unterkunft werden auch unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur bei selbst bewohntem Wohneigentum im Sinne des § 12 Absatz 1 Satz 2 Nummer 5 anerkannt, soweit diese unter Berücksichtigung der im laufenden sowie den darauffolgenden elf Kalendermonaten anfallenden Aufwendungen insgesamt angemessen sind. Übersteigen unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur den Bedarf für die Unterkunft nach Satz 1, kann der kommunale Träger zur Deckung dieses Teils der Aufwendungen ein Darlehen erbringen, das dinglich gesichert werden soll. Für die Bedarfe nach Satz 1 gilt Absatz 1 Satz 2 bis 4 nicht.

(3) Rückzahlungen und Guthaben, die dem Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, mindern die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift; Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie oder nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen, bleiben außer Betracht.

(4) Vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft soll die leistungsberechtigte Person die Zusicherung des für die neue Unterkunft örtlich zuständigen kommunalen Trägers zur Berücksichtigung der Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen. Innerhalb der Karenzzeit nach Absatz 1 Satz 2 bis 5 werden nach einem Umzug höhere als angemessene Aufwendungen nur dann als Bedarf anerkannt, wenn der nach Satz 1 zuständige Träger die Anerkennung vorab zugesichert hat. Der kommunale Träger ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind.

(5) Sofern Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, umziehen, werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung für die Zeit nach einem Umzug bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres nur anerkannt, wenn der kommunale Träger dies vor Abschluss des Vertrages über die Unterkunft zugesichert hat. Der kommunale Träger ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn

1.
die oder der Betroffene aus schwerwiegenden sozialen Gründen nicht auf die Wohnung der Eltern oder eines Elternteils verwiesen werden kann,
2.
der Bezug der Unterkunft zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt erforderlich ist oder
3.
ein sonstiger, ähnlich schwerwiegender Grund vorliegt.
Unter den Voraussetzungen des Satzes 2 kann vom Erfordernis der Zusicherung abgesehen werden, wenn es der oder dem Betroffenen aus wichtigem Grund nicht zumutbar war, die Zusicherung einzuholen. Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden bei Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nicht anerkannt, wenn diese vor der Beantragung von Leistungen in eine Unterkunft in der Absicht umziehen, die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistungen herbeizuführen.

(6) Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten können bei vorheriger Zusicherung durch den bis zum Umzug örtlich zuständigen kommunalen Träger als Bedarf anerkannt werden; Aufwendungen für eine Mietkaution und für den Erwerb von Genossenschaftsanteilen können bei vorheriger Zusicherung durch den am Ort der neuen Unterkunft zuständigen kommunalen Träger als Bedarf anerkannt werden. Die Zusicherung soll erteilt werden, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann. Aufwendungen für eine Mietkaution und für Genossenschaftsanteile sollen als Darlehen erbracht werden.

(7) Soweit Bürgergeld für den Bedarf für Unterkunft und Heizung geleistet wird, ist es auf Antrag der leistungsberechtigten Person an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte zu zahlen. Es soll an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden, wenn die zweckentsprechende Verwendung durch die leistungsberechtigte Person nicht sichergestellt ist. Das ist insbesondere der Fall, wenn

1.
Mietrückstände bestehen, die zu einer außerordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses berechtigen,
2.
Energiekostenrückstände bestehen, die zu einer Unterbrechung der Energieversorgung berechtigen,
3.
konkrete Anhaltspunkte für ein krankheits- oder suchtbedingtes Unvermögen der leistungsberechtigten Person bestehen, die Mittel zweckentsprechend zu verwenden, oder
4.
konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die im Schuldnerverzeichnis eingetragene leistungsberechtigte Person die Mittel nicht zweckentsprechend verwendet.
Der kommunale Träger hat die leistungsberechtigte Person über eine Zahlung der Leistungen für die Unterkunft und Heizung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte schriftlich zu unterrichten.

(8) Sofern Bürgergeld für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, können auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden.

(9) Geht bei einem Gericht eine Klage auf Räumung von Wohnraum im Falle der Kündigung des Mietverhältnisses nach § 543 Absatz 1, 2 Satz 1 Nummer 3 in Verbindung mit § 569 Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ein, teilt das Gericht dem örtlich zuständigen Träger nach diesem Buch oder der von diesem beauftragten Stelle zur Wahrnehmung der in Absatz 8 bestimmten Aufgaben unverzüglich Folgendes mit:

1.
den Tag des Eingangs der Klage,
2.
die Namen und die Anschriften der Parteien,
3.
die Höhe der monatlich zu entrichtenden Miete,
4.
die Höhe des geltend gemachten Mietrückstandes und der geltend gemachten Entschädigung und
5.
den Termin zur mündlichen Verhandlung, sofern dieser bereits bestimmt ist.
Außerdem kann der Tag der Rechtshängigkeit mitgeteilt werden. Die Übermittlung unterbleibt, wenn die Nichtzahlung der Miete nach dem Inhalt der Klageschrift offensichtlich nicht auf Zahlungsunfähigkeit der Mieterin oder des Mieters beruht.

(10) Zur Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach Absatz 1 Satz 1 ist die Bildung einer Gesamtangemessenheitsgrenze zulässig. Dabei kann für die Aufwendungen für Heizung der Wert berücksichtigt werden, der bei einer gesonderten Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und der Aufwendungen für Heizung ohne Prüfung der Angemessenheit im Einzelfall höchstens anzuerkennen wäre. Absatz 1 Satz 2 bis 4 gilt entsprechend.

(11) Die für die Erstellung von Mietspiegeln nach § 558c Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs nach Landesrecht zuständigen Behörden sind befugt, die in Artikel 238 § 2 Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe a, d und e des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche genannten Daten zu verarbeiten, soweit dies für die Erstellung von Übersichten über die Angemessenheit von Aufwendungen für eine Unterkunft nach Absatz 1 Satz 1 erforderlich ist. Erstellen die nach Landesrecht zuständigen Behörden solche Übersichten nicht, so sind sie befugt, die Daten nach Satz 1 auf Ersuchen an die kommunalen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende für ihren örtlichen Zuständigkeitsbereich zu übermitteln, soweit dies für die Erstellung von Übersichten über die Angemessenheit von Aufwendungen für die Unterkunft erforderlich ist. Werden den kommunalen Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende die Übersichten nicht zur Verfügung gestellt, so sind sie befugt, die Daten nach Satz 1 für ihren örtlichen Zuständigkeitsbereich bei den nach Landesrecht für die Erstellung von Mietspiegeln zuständigen Behörden zu erheben und in sonstiger Weise zu verarbeiten, soweit dies für die Erstellung von Übersichten über und die Bestimmung der Angemessenheit von Aufwendungen für die Unterkunft nach Absatz 1 Satz 1 erforderlich ist.

(12) Die Daten nach Absatz 11 Satz 1 und 3 sind zu löschen, wenn sie für die dort genannten Zwecke nicht mehr erforderlich sind.

(1) Das Gericht kann von Amts wegen oder auf Antrag andere, deren berechtigte Interessen durch die Entscheidung berührt werden, beiladen. In Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts ist die Bundesrepublik Deutschland auf Antrag beizuladen.

(2) Sind an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann oder ergibt sich im Verfahren, daß bei der Ablehnung des Anspruchs ein anderer Versicherungsträger, ein Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende, ein Träger der Sozialhilfe einschließlich der Leistungen nach Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch, ein Träger der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oder in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts ein Land als leistungspflichtig in Betracht kommt, so sind sie beizuladen.

(2a) Kommt nach Absatz 2 erste Alternative die Beiladung von mehr als 20 Personen in Betracht, kann das Gericht durch Beschluss anordnen, dass nur solche Personen beigeladen werden, die dies innerhalb einer bestimmten Frist beantragen. Der Beschluss ist unanfechtbar. Er ist im Bundesanzeiger bekannt zu machen. Er muss außerdem in im gesamten Bundesgebiet verbreiteten Tageszeitungen veröffentlicht werden. Die Bekanntmachung kann zusätzlich in einem von dem Gericht für Bekanntmachungen bestimmten Informations- und Kommunikationssystem erfolgen. Die Frist muss mindestens drei Monate seit der Bekanntgabe betragen. Es ist jeweils anzugeben, an welchem Tag die Antragsfrist abläuft. Für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Fristversäumnis gilt § 67 entsprechend. Das Gericht soll Personen, die von der Entscheidung erkennbar in besonderem Maße betroffen werden, auch ohne Antrag beiladen.

(2b) In Verfahren gegen Entscheidungen nach § 7a Absatz 1 Satz 3, § 28h Absatz 2 und § 28p Absatz 1 Satz 5 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch sind andere Versicherungsträger abweichend von Absatz 2 nur auf deren Antrag beizuladen. Das Gericht benachrichtigt die anderen Versicherungsträger über die Erhebung einer entsprechenden Klage und über die Möglichkeit der Beiladung auf Antrag. Das Gericht setzt den anderen Versicherungsträgern für die Antragstellung eine angemessene Frist. Für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Fristversäumnis gilt § 67 entsprechend. Das Gericht kann Versicherungsträger auch von Amts wegen beiladen.

(3) Der Beiladungsbeschluß ist allen Beteiligten zuzustellen. Dabei sollen der Stand der Sache und der Grund der Beiladung angegeben werden. Der Beschluß, den Dritten beizuladen, ist unanfechtbar.

(4) Der Beigeladene kann innerhalb der Anträge der anderen Beteiligten selbständig Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend machen und alle Verfahrenshandlungen wirksam vornehmen. Abweichende Sachanträge kann er nur dann stellen, wenn eine Beiladung nach Absatz 2 vorliegt.

(5) Ein Versicherungsträger, ein Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende, ein Träger der Sozialhilfe einschließlich der Leistungen nach Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch, ein Träger der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oder in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts ein Land kann nach Beiladung verurteilt werden.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkostenhilfe mit Ausnahme des § 127 Absatz 2 Satz 2 der Zivilprozeßordnung gelten entsprechend. Macht der Beteiligte, dem Prozeßkostenhilfe bewilligt ist, von seinem Recht, einen Rechtsanwalt zu wählen, nicht Gebrauch, wird auf Antrag des Beteiligten der beizuordnende Rechtsanwalt vom Gericht ausgewählt. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer, vereidigter Buchprüfer oder Rentenberater beigeordnet werden. Die Vergütung richtet sich nach den für den beigeordneten Rechtsanwalt geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.

(2) Prozeßkostenhilfe wird nicht bewilligt, wenn der Beteiligte durch einen Bevollmächtigten im Sinne des § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 bis 9 vertreten ist.

(3) § 109 Abs. 1 Satz 2 bleibt unberührt.

(4) Die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach den §§ 114 bis 116 der Zivilprozessordnung einschließlich der in § 118 Absatz 2 der Zivilprozessordnung bezeichneten Maßnahmen, der Beurkundung von Vergleichen nach § 118 Absatz 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung und der Entscheidungen nach § 118 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des jeweiligen Rechtszugs, wenn der Vorsitzende ihm das Verfahren insoweit überträgt. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hiernach nicht vor, erlässt der Urkundsbeamte die den Antrag ablehnende Entscheidung; anderenfalls vermerkt der Urkundsbeamte in den Prozessakten, dass dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt werden kann und in welcher Höhe gegebenenfalls Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen zu zahlen sind.

(5) Dem Urkundsbeamten obliegen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ferner die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung und eine Wiederaufnahme der Zahlungen nach § 120 Absatz 3 der Zivilprozessordnung sowie die Änderung und die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach den §§ 120a und 124 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 der Zivilprozessordnung.

(6) Der Vorsitzende kann Aufgaben nach den Absätzen 4 und 5 zu jedem Zeitpunkt an sich ziehen. § 5 Absatz 1 Nummer 1, die §§ 6, 7, 8 Absatz 1 bis 4 und § 9 des Rechtspflegergesetzes gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Rechtspflegers der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tritt.

(7) § 155 Absatz 4 gilt entsprechend.

(8) Gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten nach den Absätzen 4 und 5 kann binnen eines Monats nach Bekanntgabe das Gericht angerufen werden, das endgültig entscheidet.

(9) Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, dass die Absätze 4 bis 8 für die Gerichte des jeweiligen Landes nicht anzuwenden sind.

(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkostenhilfe mit Ausnahme des § 127 Absatz 2 Satz 2 der Zivilprozeßordnung gelten entsprechend. Macht der Beteiligte, dem Prozeßkostenhilfe bewilligt ist, von seinem Recht, einen Rechtsanwalt zu wählen, nicht Gebrauch, wird auf Antrag des Beteiligten der beizuordnende Rechtsanwalt vom Gericht ausgewählt. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer, vereidigter Buchprüfer oder Rentenberater beigeordnet werden. Die Vergütung richtet sich nach den für den beigeordneten Rechtsanwalt geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.

(2) Prozeßkostenhilfe wird nicht bewilligt, wenn der Beteiligte durch einen Bevollmächtigten im Sinne des § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 bis 9 vertreten ist.

(3) § 109 Abs. 1 Satz 2 bleibt unberührt.

(4) Die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach den §§ 114 bis 116 der Zivilprozessordnung einschließlich der in § 118 Absatz 2 der Zivilprozessordnung bezeichneten Maßnahmen, der Beurkundung von Vergleichen nach § 118 Absatz 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung und der Entscheidungen nach § 118 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des jeweiligen Rechtszugs, wenn der Vorsitzende ihm das Verfahren insoweit überträgt. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hiernach nicht vor, erlässt der Urkundsbeamte die den Antrag ablehnende Entscheidung; anderenfalls vermerkt der Urkundsbeamte in den Prozessakten, dass dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt werden kann und in welcher Höhe gegebenenfalls Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen zu zahlen sind.

(5) Dem Urkundsbeamten obliegen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ferner die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung und eine Wiederaufnahme der Zahlungen nach § 120 Absatz 3 der Zivilprozessordnung sowie die Änderung und die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach den §§ 120a und 124 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 der Zivilprozessordnung.

(6) Der Vorsitzende kann Aufgaben nach den Absätzen 4 und 5 zu jedem Zeitpunkt an sich ziehen. § 5 Absatz 1 Nummer 1, die §§ 6, 7, 8 Absatz 1 bis 4 und § 9 des Rechtspflegergesetzes gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Rechtspflegers der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tritt.

(7) § 155 Absatz 4 gilt entsprechend.

(8) Gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten nach den Absätzen 4 und 5 kann binnen eines Monats nach Bekanntgabe das Gericht angerufen werden, das endgültig entscheidet.

(9) Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, dass die Absätze 4 bis 8 für die Gerichte des jeweiligen Landes nicht anzuwenden sind.

(1) Ist eine Vertretung durch Anwälte vorgeschrieben, wird der Partei ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet.

(2) Ist eine Vertretung durch Anwälte nicht vorgeschrieben, wird der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist.

(3) Ein nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassener Rechtsanwalt kann nur beigeordnet werden, wenn dadurch weitere Kosten nicht entstehen.

(4) Wenn besondere Umstände dies erfordern, kann der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl zur Wahrnehmung eines Termins zur Beweisaufnahme vor dem ersuchten Richter oder zur Vermittlung des Verkehrs mit dem Prozessbevollmächtigten beigeordnet werden.

(5) Findet die Partei keinen zur Vertretung bereiten Anwalt, ordnet der Vorsitzende ihr auf Antrag einen Rechtsanwalt bei.

Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Nimmt ein sonstiger Rechtsnachfolger das Verfahren auf, bleibt das Verfahren in dem Rechtszug kostenfrei. Den in Satz 1 und 2 genannten Personen steht gleich, wer im Falle des Obsiegens zu diesen Personen gehören würde. Leistungsempfängern nach Satz 1 stehen Antragsteller nach § 55a Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative gleich. § 93 Satz 3, § 109 Abs. 1 Satz 2, § 120 Absatz 1 Satz 2 und § 192 bleiben unberührt. Die Kostenfreiheit nach dieser Vorschrift gilt nicht in einem Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2).

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.