Bundessozialgericht Beschluss, 01. Juni 2015 - B 10 ÜG 2/15 C
Tenor
-
Die Gesuche des Klägers, den Vizepräsidenten des Bundessozialgerichts Prof. Dr. S., die Richterin am Bundessozialgericht Dr. R. und die Richter am Bundessozialgericht O. und Dr. R. wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, werden zurückgewiesen.
Gründe
- 1
-
I. Gegenstand des Verfahrens B 10 ÜG 2/15 C ist die "Gehörsrüge" und "Gegenvorstellung" gegen den Beschluss des 10. Senats vom 18.11.2014 im Verfahren B 10 ÜG 6/14 BH, mit dem ua der Antrag des Klägers auf Aufhebung der mit Beschluss vom 7.1.2014 im Verfahren B 10 ÜG 12/13 BH erfolgten Beiordnung eines Rechtsanwalts abgelehnt worden ist.
- 2
-
Im Verfahren B 10 ÜG 12/13 BH - wie auch in den zwei weiteren Verfahren B 10 ÜG 11/13 BH und B 10 ÜG 13/13 BH - bewilligte der 10. Senat des BSG durch Beschluss vom 7.1.2014 dem Kläger Prozesskostenhilfe (PKH) für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 15.5.2013 - L 2 SF 1056/13 EK - und ordnete den vom Kläger benannten Rechtsanwalt bei. In diesem Verfahren beantragte der Kläger mit einem am 24.3.2014 beim BSG eingegangenen Schreiben die Aufhebung der Beiordnung und Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts wegen Störung des Mandatsverhältnisses sowie mit Schreiben vom 1.6.2014 die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zur Klärung der Prozessfähigkeit des Rechtsanwalts. Mit Beschluss vom 18.11.2014 lehnte der 10. Senat die Anträge des Klägers unter dem Aktenzeichen B 10 ÜG 6/14 BH - wie auch in den Verfahren B 10 ÜG 5/14 BH und B 10 ÜG 7/14 BH - ab. Ein Schreiben des Klägers vom 3.2.2015 mit den Angaben der Aktenzeichen "B 1 KR 18/14 BH" und "B 10 ÜG ??/15 BH" "Ablehnungsgesuch" sowie "Untätigkeits-Aufsichtsbeschwerde … B 10 ÜG 11-13/13 BH" wurde unter dem Aktenzeichen B 10 ÜG 7/15 S zu diesem Verfahren genommen.
- 3
-
Die mit Schreiben des Klägers vom 17.2.2015 erhobene "Gehörsrüge" und "Gegenvorstellung" gegen den Beschluss des 10. Senats vom 18.11.2014 zum Verfahren B 10 ÜG 6/14 BH werden unter den Aktenzeichen B 10 ÜG 2/15 C geführt. Der Kläger hat in diesem Schreiben die Mitglieder des 10. Senats VPrBSG Prof. Dr. S., RiinBSG Dr. R. und die RiBSG O.
und Dr. R. wegen Befangenheit abgelehnt und mit Schreiben vom 7.4.2015 einen weiteren Grund für die Befangenheit des VPrBSG Prof. Dr. S. geltend gemacht.
- 4
-
Die abgelehnten Senatsmitglieder haben in ihren dienstlichen Äußerungen vom 10.3., 11.3. und 14.4.2015 zu den geltend gemachten Ablehnungsgründen Stellung genommen und erklärt, sich nicht für befangen zu halten.
- 5
-
II. Der Senat entscheidet durch die nach dem Geschäftsverteilungsplan des BSG für das Jahr 2015 zur Vertretung im 10. Senat berufenen Mitglieder des 2. Senats.
- 6
-
Die Ablehnungsgesuche sind zulässig.
- 7
-
Die Zulässigkeit der Ablehnungsgesuche scheitert nicht bereits daran, dass sie vom Kläger selbst und nicht durch seinen Prozessbevollmächtigten erhoben worden sind. Zwar müssen sich gemäß § 73 Abs 4 S 1 SGG die Beteiligten vor dem BSG durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Von diesem gesetzlichen Vertretungszwang nimmt § 73 Abs 4 SGG allein das PKH-Verfahren aus, um hierdurch den Zugang zum Gericht für unbemittelte Personen zu eröffnen (vgl hierzu BVerfG vom 26.4.1988 - 1 BvL 84/86 - BVerfGE 78, 104 und vom 13.3.1990 - 2 BvR 94/88 - BVerfGE 81, 347). Ein persönlich gestellter Befangenheitsantrag eines Beteiligten, der in einem Verfahren vor dem BSG durch einen postulationsfähigen Prozessbevollmächtigten vertreten wird, ist grundsätzlich unzulässig (vgl BSG Beschluss vom 17.12.2009 - B 2 U 7/09 C - SozR 4-1500 § 73 Nr 5). Vorliegend stellt der Kläger jedoch den Befangenheitsantrag in einem Verfahren, das die Anhörungsrüge und Gegenvorstellung gegen die Ablehnung der von ihm begehrten Entpflichtung des im Rahmen der PKH bestellten Rechtsanwalts wegen behaupteter Untätigkeit betrifft. Um in diesem Fall den Zugang zum Gericht nicht unzulässig zu erschweren, muss es möglich sein und ist es deshalb zulässig, diesbezügliche Rechtsmittel und einen im Rahmen dieses Verfahrens gestellten Befangenheitsantrag persönlich ohne anwaltliche Hilfe zu stellen.
- 8
-
Ferner sind die Ablehnungsgesuche des Klägers auch nicht deshalb unzulässig, weil sie gegen sämtliche Mitglieder des zur Entscheidung berufenen Spruchkörpers gerichtet sind. Zwar kann im Falle einer pauschalen, ohne konkrete Anhaltspunkte vorgebrachten Ablehnung sämtlicher Mitglieder eines Spruchkörpers ein unzulässiges Gesuch vorliegen (vgl dazu BVerfG vom 11.3.2013 - 1 BvR 2853/11 - Juris RdNr 28 f; BSG vom 19.1.2010 - B 11 AL 13/09 C - SozR 4-1500 § 60 Nr 7; BGH vom 7.11.1973 - VIII ARZ 14/73 - NJW 1974, 55, und vom 4.2.2002 - II ARZ 1/01 - NJW-RR 2002, 789; Vollkommer in Zöller, ZPO, 30. Aufl 2014, § 42 RdNr 6 mwN), jedoch sind die Ablehnungsgesuche vorliegend noch ausreichend individualisiert. Der Kläger trägt nämlich Befangenheitsgründe vor, die sich individuell auf bestimmte Richter beziehen und derentwegen die Gesuche nicht als völlig ungeeignet erscheinen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 60 RdNr 10b; BVerwG vom 3.4.1997 - 6 AV 1/97 - Buchholz 310 § 54 VwGO Nr 55). Dies gilt auch für die Ablehnung der RiinBSG Dr. R., RiBSG O. sowie RiBSG Dr. R., weil sich die Begründung gerade noch hinreichend nicht nur auf die Mitgliedschaft im 10. Senat, sondern auch auf die inhaltliche Begründung der Beschlüsse vom 18.11.2014 und deren Zustellung bezieht.
- 9
-
Die Ablehnungsgesuche sind jedoch unbegründet.
- 10
-
Nach § 60 Abs 1 SGG iVm § 42 Abs 2 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu begründen. Eine Besorgnis der Befangenheit ist nur dann anzunehmen, wenn ein objektiv vernünftiger Grund gegeben ist, der den am Verfahren Beteiligten auch von seinem Standpunkt aus befürchten lassen kann, der Richter werde nicht unparteilich entscheiden. Entscheidend ist, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger, objektiver Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Entscheidung wirklich von Voreingenommenheit beeinflusst ausfiele. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob der Beteiligte, der das Ablehnungsgesuch angebracht hat, von seinem Standpunkt aus bei Anlegung des angeführten objektiven Maßstabes Anlass hat, Voreingenommenheit zu befürchten (vgl BVerfG vom 26.1.1971 - 2 BvR 443/69 - BVerfGE 30, 149, 153; vom 12.7.1986 - 1 BvR 713/83 ua - BVerfGE 73, 330, 335; vom 5.4.1990 - 2 BvR 413/88 - BVerfGE 82, 30, 38; BSG vom 31.7.1985 - 9a RVs 5/84 - SozR 1500 § 60 Nr 3 und vom 1.3.1993 - 12 RK 45/92 - SozR 3-1500 § 60 Nr 1). Grundsätzlich ist eine Vorbefassung oder fehlerhafte Entscheidung in einem anderen Rechtsstreit kein geeigneter Grund für eine Ablehnung, es sei denn, die Vorentscheidung beruht auf Willkür oder auf Verfahrensfehlern, die auf Voreingenommenheit schließen lassen (vgl BSG vom 19.1.2010 - B 11 AL 13/09 C - SozR 4-1500 § 60 Nr 7 mwN; Keller, aaO, § 60 RdNr 8r mwN). Deshalb sind Verfahrensverstöße - selbst wenn sie auf mangelnder Sorgfalt beruhen - nur ausnahmsweise geeignet, Zweifel an der Unvoreingenommenheit eines Richters zu begründen, nämlich nur dann, wenn sich in der Verfahrensweise des Richters eine unsachliche oder von Willkür geprägte Einstellung äußert (vgl BVerfG vom 24.2.2009 - 1 BvR 165/09 - NVwZ 2009, 581, 583 und vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11; BSG vom 29.3.2007 - B 9a SB 18/06 B - SozR 4-1500 § 60 Nr 4 und vom 2.11.2007 - 1 KR 72/07 B - SozR 4-1100 Art 101 Nr 3).
- 11
-
Die vom Kläger vorgebrachten Begründungen rechtfertigen nach diesen Maßstäben die Ablehnung des VPrBSG Prof. Dr. S., der RiinBSG Dr. R. und der RiBSG O. und Dr. R. nicht. Weder das behauptete Verhalten des Vorsitzenden des 10. Senats VPrBSG Prof. Dr. S. und der übrigen Mitglieder des 10. Senats in den Verfahren B 10 ÜG 11/13 BH bzw B 10 ÜG 5/14 BH, B 10 ÜG 12/13 BH bzw B 10 ÜG 6/14 BH und B 10 ÜG 13/13 BH bzw B 10 ÜG 7/14 BH und die Tätigkeit des VPrBSG Prof. Dr. S. in einem Dienstaufsichtsbeschwerdeverfahren noch der Inhalt ihrer dienstlichen Stellungnahmen sind geeignet, den Verdacht der Befangenheit zu erzeugen.
- 12
-
Dies gilt zunächst für die seitens des Klägers behauptete Untätigkeit des VPrBSG Prof. Dr. S. in den Verfahren B 10 ÜG 11/13 BH, B 10 ÜG 12/13 BH und B 10 ÜG 13/13 BH. Für eine begründete Besorgnis der Befangenheit wegen Untätigkeit wäre es erforderlich, dass ein besonnener Beteiligter zu der Auffassung gelangen kann, dass der Richter das Verfahren aus unsachlichen Gründen verzögert (vgl Keller, aaO, § 60 RdNr 8p mwN). In den Verfahren B 10 ÜG 11/13 BH, B 10 ÜG 12/13 BH und B 10 ÜG 13/13 BH hatte der 10. Senat des BSG durch Beschlüsse vom 7.1.2014 dem Kläger PKH für die Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision in den Urteilen des LSG Baden-Württemberg vom 15.5.2013 - L 2 SF 1055/13 EK, L 2 SF 1056/13 EK, L 2 SF 1057/13 EK - bewilligt und den vom Kläger benannten Rechtsanwalt beigeordnet. Über den in diesen Verfahren mit einem am 24.3.2014 beim BSG eingegangenen Antrag des Klägers auf Aufhebung der Beiordnung und Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts wegen Störung des Mandatsverhältnisses sowie mit Schreiben vom 1.6.2014 und 9.10.2014 gestellten Antrag auf Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zur Klärung der Prozessfähigkeit des Rechtsanwalts hatte der 10. Senat durch Beschlüsse vom 18.11.2014 unter den Aktenzeichen B 10 ÜG 5/14 BH, B 10 ÜG 6/14 BH und B 10 ÜG 7/14 BH entschieden. Allein das Verstreichen von knapp acht Monaten seit Stellung der Anträge vom 24.3.2014 bis zu den Entscheidungen am 18.11.2014, in denen wiederholt Schriftsätze zwischen Kläger und Gericht ausgetauscht wurden, lässt nicht auf eine unvertretbare, vorwerfbare Verfahrensverzögerung schließen, die eine Voreingenommenheit begründen könnte.
- 13
-
Auch die Zustellung der Beschlüsse vom 18.11.2014 an den beigeordneten Rechtsanwalt rechtfertigt die Ablehnung nicht. So ist der beigeordnete Rechtsanwalt bis zu seiner Entpflichtung gemäß § 63 SGG, § 73 Abs 6 S 6 SGG alleiniger Zustellungsadressat(Keller, aaO, § 63 RdNr 4 sowie Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 73 RdNr 69); Zustellungen an Beteiligte selbst sind hingegen grundsätzlich wirkungslos (vgl BSG vom 16.12.2009 - B 6 KA 37/09 B - Juris). Für die Kündigung einer Vollmacht aufgrund eines nicht mehr bestehenden Vertrauensverhältnisses wird vertreten, dass der in § 73 Abs 6 S 7 SGG nicht explizit genannte § 87 Abs 1 2. Halbs ZPO im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend Anwendung findet, sodass ein Prozessbevollmächtigter weiter zustellungsbevollmächtigt bleibt, solange kein neuer postulationsfähiger Bevollmächtigter bestellt ist (vgl Leitherer, aaO, § 73 RdNr 74 mwN; verneinend BSG vom 28.4.1999 - B 6 KA 41/98 R - USK 99113; offengelassen in BSG vom 7.12.2000 - B 8 KN 11/00 U B - SozR 3-1500 § 73 Nr 8; vgl auch BGH vom 25.4.2007 - XII ZR 58/06 - NJW 2007, 2124). Die damit auf einer vertretbaren Ansicht beruhende Rechtsanwendung war nicht willkürlich und deshalb allein nicht geeignet, Zweifel an der Unvoreingenommenheit zu begründen. Dies gilt auch für die Behauptung des Klägers, der Tatbestand der Beschlüsse vom 18.11.2014, die er mit Anhörungsrügen nach § 178a SGG angreift, sei lückenhaft. Ohne weitere Umstände kann auch hieraus nicht auf eine Befangenheit geschlossen werden.
- 14
-
Ebenfalls kann die vom Kläger behauptete, gegenüber der Geschäftsstelle geäußerte Anweisung des VPrBSG Prof. Dr. S., telefonisch weder mitzuteilen, auf welchen Schriftsätzen aus welchen Gründen welche Aktenzeichen in den früheren Verfahren B 10 ÜG 11/13 BH bzw B 10 ÜG 5/14 BH, B 10 ÜG 12/13 BH bzw B 10 ÜG 6/14 BH und B 10 ÜG 13/13 BH bzw B 10 ÜG 7/14 BH neu vergeben wurden noch die Namen der die Aktenzeichenvergabe verfügenden Richter zu benennen, die Ablehnung des VPrBSG Prof. Dr. S. nicht rechtfertigen. Eine solche Anweisung ist weder durch die dienstlichen Stellungnahmen des VPrBSG Prof. Dr. S. noch durch die eingeholte dienstliche Stellungnahme der Mitarbeiterin der Geschäftsstelle vom 7.5.2015 belegt. Auch wäre diesem Verhalten keine fehlerhafte, willkürliche, auf Voreingenommenheit schließende Verfahrensweise zu entnehmen, denn sie stand bei telefonischer Kommunikation im Einklang mit den einschlägigen datenschutzrechtlichen Bestimmungen. Gemäß § 19 Abs 1 S 4 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) bestimmt die verantwortliche Stelle das Verfahren und insbesondere die Form der Auskunftserteilung nach pflichtgemäßem Ermessen. Die fernmündliche Übermittlung personenbezogener Daten ist angesichts der mangels hinreichender Authentifizierungsmöglichkeit damit verbundenen Risiken prinzipiell restriktiv zu handhaben (vgl Gola/Schomerus, BDSG, 12. Aufl 2015, § 19 RdNr 14; s auch zu E-Mails Roggenkamp in Plath, BDSG, 2013, § 19 RdNr 15). Im Übrigen beruhte die vom Kläger geschilderte Vergabe der neuen Aktenzeichen B 10 ÜG 6/15 S, B 10 ÜG 7/15 S und B 10 ÜG 8/15 S darauf, dass in diesen Verfahren über die Anträge des Klägers abschließend mit Beschlüssen vom 18.11.2014 entschieden worden und nunmehr ein neuer Schriftsatz vom 3.2.2015 mit Hinweis ua auf die Aktenzeichen "B 10 ÜG 11-13/13 BH" zu den Akten gelangt war. Selbst wenn diese Verfahrensweise fehlerhaft gewesen wäre, ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen hieraus auf eine Voreingenommenheit geschlossen werden konnte.
- 15
-
Die Bearbeitung der vom Kläger erhobenen Dienstaufsichtsbeschwerde gegen sämtliche nicht namentlich benannte Mitglieder des 10. Senats, dem VPrBSG Prof. Dr. S. zugleich in der Funktion als Vorsitzender angehört, durch VPrBSG Prof. Dr. S. selbst vermag die Besorgnis der Befangenheit in dem anhängigen PKH-Verfahren gleichfalls nicht zu begründen. Eine Dienstaufsichtsbeschwerde richtet sich als eigenständiges Verwaltungsverfahren nur an die Dienstaufsicht, die in der personalrechtlichen Aufsicht über die Pflichterfüllung der Amtswalter im Innenverhältnis zu ihrem Dienstherrn besteht (Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, 7. Aufl 2013, § 12 RdNr 131; OLG Köln Urteil vom 31.10.2013 - 7 SchH 7/12 - NJW-RR 2014, 636). Prof. Dr. S. war als Vizepräsident des Bundessozialgerichts nach der gerichtsverwaltungsinternen Geschäftsordnung befugt, die Dienstaufsicht sowohl über die Mitarbeiter des Gerichts als auch über die Richter auszuüben. Es kann offenbleiben, ob er im Hinblick auf das den Mitgliedern des 10. Senats, dem auch er angehörte, vorgeworfene Verhalten die Dienstaufsichtsbeschwerde insoweit an den Präsidenten des BSG zur Entscheidung hätte weiterleiten müssen, denn selbst wenn ein solcher Verfahrensfehler vorgelegen hätte, konnte ein mit den Umständen vertrauter objektiver Beobachter hieraus nicht auf eine Voreingenommenheit schließen. Diese Verfahrensweise konnte sowohl auf einem Versehen als auch auf der Rechtsauffassung beruht haben, wie bei der zulässigen Mitwirkung des abgelehnten Richters bei Entscheidungen über rechtsmissbräuchliche und daher unzulässige Ablehnungsgesuche (vgl hierzu BVerfG vom 20.7.2007 - 1 BVR 2228/06 - NJW 2007, 3771, 3772; s auch BSG vom 27.10.2009 - B 1 KR 51/09 B - SozR 4-1500 § 60 Nr 6 RdNr 10) könne der Vertreter der Dienstaufsicht auch über eine gegen ihn gerichtete Dienstaufsichtsbeschwerde selbst entscheiden. Diese Gründe genügen ohne das Vorliegen weiterer Umstände nicht, von einem möglichen Verfahrensfehler auf ein willkürliches Verhalten zu schließen, dass Zweifel an der Unvoreingenommenheit begründen konnte.
- 16
-
Schließlich sind die übrigen im Schriftsatz vom 17.2.2015 genannten Gründe nicht geeignet, Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Mitglieder des 10. Senats hervorzurufen. Die vom Kläger behauptete fehlerhafte Tatsachenermittlung und rechtliche Würdigung betreffen den Inhalt der Entscheidung vom 18.11.2014, ohne dass darin ein Befangenheitsgrund ersichtlich wird. Für die behauptete "ergebnisorientierte Böswilligkeit" und "gewillkürte ergebnisorientierte gehörsverweigernde Abschmetterung" sowie ein "gehörsverweigernd und zu" seinem "Nachteil parteiisch" absegnendes Verhalten sind keine Anhaltspunkte ersichtlich.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundessozialgericht Beschluss, 01. Juni 2015 - B 10 ÜG 2/15 C
Urteilsbesprechung schreiben0 Urteilsbesprechungen zu Bundessozialgericht Beschluss, 01. Juni 2015 - B 10 ÜG 2/15 C
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile
Urteil einreichenBundessozialgericht Beschluss, 01. Juni 2015 - B 10 ÜG 2/15 C zitiert oder wird zitiert von 6 Urteil(en).
(1) Die Beteiligten können vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht den Rechtsstreit selbst führen.
(2) Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Darüber hinaus sind als Bevollmächtigte vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht vertretungsbefugt nur
- 1.
Beschäftigte des Beteiligten oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes); Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen, - 2.
volljährige Familienangehörige (§ 15 der Abgabenordnung, § 11 des Lebenspartnerschaftsgesetzes), Personen mit Befähigung zum Richteramt und Streitgenossen, wenn die Vertretung nicht im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Tätigkeit steht, - 3.
Rentenberater im Umfang ihrer Befugnisse nach § 10 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2, auch in Verbindung mit Satz 2, des Rechtsdienstleistungsgesetzes, - 4.
Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer, Personen und Vereinigungen im Sinne der §§ 3a und 3c des Steuerberatungsgesetzes im Rahmen ihrer Befugnisse nach § 3a des Steuerberatungsgesetzes, zu beschränkter geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Steuersachen nach den §§ 3d und 3e des Steuerberatungsgesetzes berechtigte Personen im Rahmen dieser Befugnisse sowie Gesellschaften im Sinne des § 3 Satz 1 Nummer 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch Personen im Sinne des § 3 Satz 2 des Steuerberatungsgesetzes handeln, in Angelegenheiten nach den §§ 28h und 28p des Vierten Buches Sozialgesetzbuch, - 5.
selbständige Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung für ihre Mitglieder, - 6.
berufsständische Vereinigungen der Landwirtschaft für ihre Mitglieder, - 7.
Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder, - 8.
Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten, für ihre Mitglieder, - 9.
juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in den Nummern 5 bis 8 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
(3) Das Gericht weist Bevollmächtigte, die nicht nach Maßgabe des Absatzes 2 vertretungsbefugt sind, durch unanfechtbaren Beschluss zurück. Prozesshandlungen eines nicht vertretungsbefugten Bevollmächtigten und Zustellungen oder Mitteilungen an diesen Bevollmächtigten sind bis zu seiner Zurückweisung wirksam. Das Gericht kann den in Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 bezeichneten Bevollmächtigten durch unanfechtbaren Beschluss die weitere Vertretung untersagen, wenn sie nicht in der Lage sind, das Sach- und Streitverhältnis sachgerecht darzustellen. Satz 3 gilt nicht für Beschäftigte eines Sozialleistungsträgers oder eines Spitzenverbandes der Sozialversicherung.
(4) Vor dem Bundessozialgericht müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Als Bevollmächtigte sind außer den in Absatz 2 Satz 1 bezeichneten Personen nur die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 5 bis 9 bezeichneten Organisationen zugelassen. Diese müssen durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie private Pflegeversicherungsunternehmen können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Ein Beteiligter, der nach Maßgabe des Satzes 2 zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten; Satz 3 bleibt unberührt.
(5) Richter dürfen nicht als Bevollmächtigte vor dem Gericht auftreten, dem sie angehören. Ehrenamtliche Richter dürfen, außer in den Fällen des Absatzes 2 Satz 2 Nr. 1, nicht vor einem Spruchkörper auftreten, dem sie angehören. Absatz 3 Satz 1 und 2 gilt entsprechend.
(6) Die Vollmacht ist schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen. Sie kann nachgereicht werden; hierfür kann das Gericht eine Frist bestimmen. Bei Ehegatten oder Lebenspartnern und Verwandten in gerader Linie kann unterstellt werden, dass sie bevollmächtigt sind. Der Mangel der Vollmacht kann in jeder Lage des Verfahrens geltend gemacht werden. Das Gericht hat den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, sind die Zustellungen oder Mitteilungen des Gerichts an ihn zu richten. Im Übrigen gelten die §§ 81, 83 bis 86 der Zivilprozessordnung entsprechend.
(7) In der Verhandlung können die Beteiligten mit Beiständen erscheinen. Beistand kann sein, wer in Verfahren, in denen die Beteiligten den Rechtsstreit selbst führen können, als Bevollmächtigter zur Vertretung in der Verhandlung befugt ist. Das Gericht kann andere Personen als Beistand zulassen, wenn dies sachdienlich ist und hierfür nach den Umständen des Einzelfalls ein Bedürfnis besteht. Absatz 3 Satz 1 und 3 und Absatz 5 gelten entsprechend. Das von dem Beistand Vorgetragene gilt als von dem Beteiligten vorgebracht, soweit es nicht von diesem sofort widerrufen oder berichtigt wird.
Tenor
-
1. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 20. August 2009 - 5 K 1216/06 - (erster Befangenheitsantrag), der Beschluss des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 20. August 2009 - 5 K 1216/06 - (zweiter Befangenheitsantrag) und das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 20. August 2009 - 5 K 1216/06 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes.
-
Die Entscheidungen werden aufgehoben und die Sache wird an das Verwaltungsgericht Leipzig zurückverwiesen.
-
Damit wird der Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 27. September 2011 - 4 A 186/10 - gegenstandslos.
-
2. Der Freistaat Sachsen hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.
-
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.
Gründe
- 1
-
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Verwerfung von Befangenheitsanträgen unter Mitwirkung der abgelehnten Kammervorsitzenden in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren.
-
I.
- 2
-
1. Die Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin war Klägerin in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vernahm die mit drei Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern besetzte Kammer des Verwaltungsgerichts einen Zeugen unter anderem zu der Verwaltungspraxis der Behörde, die den angegriffenen Bescheid erlassen hatte. Dabei weigerte sich der Zeuge, bestimmte Einzelheiten zu anderen Fällen mitzuteilen.
- 3
-
a) Im Verlauf der Beweisaufnahme lehnte der Prozessbevollmächtigte der Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin die Kammervorsitzende mit folgender Begründung wegen Besorgnis der Befangenheit ab:
- 4
-
"(…)
-
Der Zeuge (…) hat sich auf 'nicht näher darzulegende Umstände' im Rahmen seiner Zeugenaussage berufen. Als der Prozessbevollmächtigte der Klägerin insoweit nachfragte, erklärte die abgelehnte Richterin, es könnten insoweit datenschutzrechtliche Gründe maßgebend sein. Obwohl der Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Zeugen insoweit nochmals befragte, hielt die abgelehnte Richterin nicht zur vollständigen Aussage an. Die abgelehnte Richterin meinte sogar, der Zeuge sollte weiter befragt werden.
-
(…)
-
Die Klägerin behält sich weiteren Sachvortrag nach Vorlage des Sitzungsprotokolls vor und auch dann, wenn die dienstliche Äußerung vorliegt."
- 5
-
Daraufhin wurde die mündliche Verhandlung unterbrochen. Nach Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung verkündete die Kammer den folgenden in unveränderter Besetzung getroffenen und mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss:
- 6
-
"Der von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin gestellte Beweisantrag wird als unzulässig zurückgewiesen.
-
Er geht zum einen von Tatsachen aus, die so nicht stattgefunden haben. Der Zeuge (…) hat sich nicht verweigert Umstände offenzulegen, sondern Einzelfälle darzulegen. Im Übrigen ist offensichtlich ein Hinweis darauf, dass die einzelfallbezogene Darlegung anderer Fälle als des vorliegenden Falles datenschutzrechtlichen Bedenken begegnen könnte, nicht zu beanstanden. Schließlich ist es auch offensichtlich korrekt, wenn die Vorsitzende den Prozessbevollmächtigten der Klägerin bittet, konkrete Fragen zu stellen, damit der Zeuge auch konkret antworten kann, ggf. dann bezogen auf die konkrete Verwaltungspraxis zum vorliegenden Fall.
-
Dieser Beschluss ergeht in der Besetzung wie bisher verhandelt worden ist. Dies ist zulässig, weil der Beweisantrag als unzulässig abgewiesen wird.
-
(...)"
- 7
-
b) Daraufhin stellte die Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, einen weiteren Antrag, mit dem sie nunmehr sämtliche an der zuvor erwähnten Entscheidung beteiligten Richter der Kammer wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnte. Sie begründete dies unter anderem wie folgt:
- 8
-
"Die Begründung des Befangenheitsgesuchs ergibt sich aus der Begründung des - soeben - abgelehnten Befangenheitsgesuchs (…). Der vorgenannte Antrag ist als solcher zulässig. Niemand kann in eigener Sache entscheiden. Jedenfalls durfte Frau (…) an dem vorgenannten Beschluss nicht mitwirken. Rechtliches Gehör wurde trotz Vorbehalts nicht gewährt.
-
(…)"
- 9
-
Nach erneuter Unterbrechung der mündlichen Verhandlung verkündete die Kammer daraufhin den weiteren in unveränderter Besetzung getroffenen und mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss folgenden Inhalts:
- 10
-
"Der zweite Befangenheitsantrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin wird als unzulässig zurückgewiesen.
-
Der Befangenheitsantrag ist dann rechtsmissbräuchlich, wenn er ausschließlich auf einer abweichenden rechtlichen Bewertung der Klägerseite gegenüber der Bewertung der Kammer beruht. Offensichtlich unbegründete Befangenheitsanträge können von der Kammer als solcher insgesamt abgelehnt werden, d.h. auch von dem Richter, der als befangen abgelehnt worden ist. Die Einschätzung des Beweisantrags als zulässig oder unzulässig ist eine Rechtsfrage, auf die allein ein Befangenheitsantrag nicht gestützt werden kann.
-
(…)"
- 11
-
2. Aufgrund der mündlichen Verhandlung erließ die Kammer in unveränderter Besetzung das mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Urteil, mit dem die Klage abgewiesen wurde.
- 12
-
3. Den Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte das Oberverwaltungsgericht mit angegriffenem Beschluss vom 27. September 2011 ab. Im Hinblick auf den von der Beschwerdeführerin wegen der Behandlung ihrer Ablehnungsgesuche geltend gemachten Verfahrensmangel stand es zwar auf dem Standpunkt, dass die willkürliche Ablehnung eines Befangenheitsgesuchs einen Berufungszulassungsgrund darstellen könne. Es sah die Voraussetzungen hierfür jedoch nicht als gegeben an.
-
II.
- 13
-
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin allein eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wegen der aus ihrer Sicht zu Unrecht in unveränderter Kammerbesetzung erfolgten Zurückweisung der Befangenheitsanträge als unzulässig.
- 14
-
Mit dem ersten Befangenheitsantrag seien offensichtlich keine Umstände oder Handlungen, die nach der Prozessordnung vorgeschrieben seien oder sich aus der Stellung des Richters ergäben, beanstandet worden. Mit datenschutzrechtlichen Gründen lasse sich ein Zeugnisverweigerungsrecht nicht begründen. Halte die abgelehnte Richterin den Zeugen nicht zur Aussage an, sondern lege diesem sogar noch nahe, von der Aussage abzusehen, sei eine solche Vorgehensweise geeignet, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der Richterin zu rechtfertigen.
- 15
-
Jedenfalls - und dies sei vorliegend allein entscheidend - sei ein solcher erster Befangenheitsantrag nicht offensichtlich rechtsmissbräuchlich und damit unzulässig. Das habe auch die Kammer unter Mitwirkung der abgelehnten Richter in ihrem ersten zurückweisenden Beschluss nicht darzulegen vermocht. Eine Begründung dafür, weshalb der Befangenheitsantrag als ausnahmsweise unzulässig zu qualifizieren sein sollte, gebe die Kammer nicht an. Soweit sich die Kammer mit der Begründung des Befangenheitsantrags auseinandersetze, handele es sich hierbei um Ausführungen, die - wenn überhaupt - im Rahmen der Begründetheit des Befangenheitsantrags zu berücksichtigen gewesen wären. Die Tatsache, dass die Kammer unter Mitwirkung der abgelehnten Richterin meine, nicht ohne Stellungnahme zur Unbegründetheit auszukommen, zeige gerade, dass sie den Befangenheitsantrag nicht für aussichtslos und damit rechtsmissbräuchlich gehalten habe.
- 16
-
Noch weniger sei der zweite Befangenheitsantrag offensichtlich rechtsmissbräuchlich und unzulässig. Dass der erste Befangenheitsantrag rechtsmissbräuchlich und damit unzulässig gewesen sei, vermöge die Kammer erneut nicht zu begründen. Sie führe sogar ausdrücklich aus, dass die Einschätzung eines Befangenheitsantrags als zulässig oder unzulässig eine Rechtsfrage darstelle. Dann könne hierüber aber erst Recht nicht von der Kammer selbst entschieden werden.
-
III.
- 17
-
Das Staatsministerium der Justiz und für Europa des Freistaats Sachsen sowie der Beklagte des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.
-
IV.
- 18
-
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung an und gibt ihr zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte der Beschwerdeführerin gemäß § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG statt.
- 19
-
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben.
- 20
-
a) Das gilt auch, obwohl die Beschwerdeführerin zunächst einen - im Ergebnis erfolglosen - Antrag auf Zulassung der Berufung beim Oberverwaltungsgericht gestellt hat. Ausweislich der Begründung der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts war der Zulassungsantrag der Beschwerdeführerin soweit er sich auf die Behandlung der Befangenheitsgesuche stützte, nicht von vornherein aussichtslos. Das Oberverwaltungsgericht hat lediglich, im Ergebnis zu Unrecht, das Vorliegen einer Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch das Verwaltungsgericht verneint.
- 21
-
b) Die Beschwerdeführerin ist auch beschwerdebefugt. Zwar war sie selbst zunächst nicht am Ausgangsrechtsstreit beteiligt. Sie ist jedoch im Laufe des Berufungszulassungsverfahrens aufgrund Verschmelzung im Wege der Aufnahme (vgl. § 2 Nr. 1 UmwG) Gesamtrechtsnachfolgerin der ursprünglichen Klägerin geworden.
- 22
-
Zur Durchsetzung vermögenswerter Rechte und für sonstige Rügen, die der Rechtsnachfolger im eigenen Interesse geltend machen kann, können Rechtsnachfolger Verfassungsbeschwerdeverfahren fortführen oder erheben (vgl. BVerfGE 3, 162 <164>; 17, 86 <90 f.>; 23, 288 <300>; 26, 327 <332>; 69, 188 <201>; 94, 12 <30>; 109, 279 <304>), nicht jedoch zur Durchsetzung des Schutzes der Menschenwürde und höchstpersönlicher Rechte (vgl. BVerfGE 109, 279 <304>).
- 23
-
Jedenfalls im Berufungszulassungsverfahren war die Beschwerdeführerin selbst Partei des Rechtsstreits und damit ohne weiteres beschwerdebefugt. Aber auch soweit Verfassungsverstöße gegenüber ihrer Rechtsvorgängerin, begangen in der ersten Instanz, im Raum stehen, ist die Beschwerdebefugnis gegeben. Die Rechtskraft der fachgerichtlichen Entscheidung erstreckt sich auch insoweit auf die Beschwerdeführerin (vgl. § 121 Nr. 1 VwGO). Aufgrund ihrer daraus resultierenden Bindung an die Entscheidung, die mit für sie nachteiligen (finanziellen) Folgen verbunden ist, ist sie hierdurch auch als Rechtsnachfolgerin beschwert. Es geht demnach nicht um speziell ihrer Rechtsvorgängerin zustehende höchstpersönliche Rechte, die eine Beschwerdebefugnis der Beschwerdeführerin entfallen lassen könnten.
- 24
-
2. Die angegriffenen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts verletzen das grundrechtsgleiche Recht der Beschwerdeführerin auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
- 25
-
a) aa) Die Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens haben nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG Anspruch auf den gesetzlichen Richter, der sich aus dem Gerichtsverfassungsgesetz, den Prozessordnungen sowie den Geschäftsverteilungs- und Besetzungsregelungen des Gerichts ergibt. Darüber hinaus wird ihnen durch die Verfassung gewährleistet, dass sie nicht vor einem Richter stehen, dem es an der gebotenen Neutralität fehlt. Die Frage, ob Befangenheitsgründe gegen die Mitwirkung eines Richters sprechen, berührt die prozessuale Rechtsstellung der Verfahrensbeteiligten (vgl. BVerfGE 89, 28 <36>).
- 26
-
Eine "Entziehung" des gesetzlichen Richters durch die Rechtsprechung, der die Anwendung der Zuständigkeitsregeln und die Handhabung des Ablehnungsrechts im Einzelfall obliegt, kann allerdings nicht in jeder fehlerhaften Rechtsanwendung gesehen werden; andernfalls müsste jede fehlerhafte Handhabung des einfachen Rechts zugleich als Verfassungsverstoß gelten (vgl. BVerfGE 82, 286 <299>). Die Grenzen zum Verfassungsverstoß sind aber jedenfalls dann überschritten, wenn die Auslegung einer Zuständigkeitsnorm oder ihre Handhabung im Einzelfall willkürlich oder offensichtlich unhaltbar sind oder wenn die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt (vgl. BVerfGE 82, 286 <299>). Ob die Entscheidung eines Gerichts auf Willkür, also auf einem Fall grober Missachtung oder grober Fehlanwendung des Gesetzesrechts (vgl. BVerfGE 29, 45 <49>; 82, 159 <197>; 87, 282 <286>) beruht oder ob sie darauf hindeutet, dass ein Gericht Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt, kann nur angesichts der jeweiligen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (vgl. BVerfGK 5, 269 <280>).
- 27
-
Bei der Anwendung der Vorschriften über die Ausschließung und Ablehnung von Richtern ist zu beachten, dass diese Normen dem durch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verbürgten Ziel dienen, auch im Einzelfall die Neutralität und Distanz der zur Entscheidung berufenen Richter zu sichern. Für den Zivilprozess und damit über § 54 Abs. 1 VwGO auch für den Verwaltungsprozess enthalten die §§ 44 ff. ZPO Regelungen über das Verfahren zur Behandlung des Ablehnungsgesuchs und bestimmen, dass das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung zur Entscheidung auf der Grundlage einer dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters berufen ist. Durch diese Zuständigkeitsregelung wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Annahme nahe liegt, es werde an der inneren Unbefangenheit und Unparteilichkeit eines Richters fehlen, wenn er über die vorgetragenen Gründe für seine angebliche Befangenheit selbst entscheiden muss (vgl. BVerfGK 7, 325 <337> für den Strafprozess; BVerfGK 11, 434 <442> für den Zivilprozess und BVerfGK 13, 72 <77 f.> für den Verwaltungsprozess).
- 28
-
bb) In Rechtsprechung und Literatur ist allerdings auch für den Bereich des Verwaltungsprozesses anerkannt, dass der abgelehnte Richter ein Ablehnungsgesuch selbst ablehnen kann, ohne dass es der Durchführung des Verfahrens nach § 54 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit §§ 44 f. ZPO bedarf, wenn das Gesuch als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren ist, etwa wenn pauschal alle Richter eines Gerichts abgelehnt werden, das Gesuch nur mit solchen Umständen begründet wird, die eine Befangenheit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtfertigen können, oder wenn gegen den Richter unqualifizierbare Angriffe wegen seiner angeblich rechtsstaatswidrigen Rechtsfindung erhoben werden (vgl. BVerfGK 13, 72 <78> m.w.N. zu Rspr. und Lit.).
- 29
-
Ähnlich wie der Gesetzgeber im Strafprozessrecht, in welchem § 26a StPO ein vereinfachtes Ablehnungsverfahren für unzulässige Ablehnungsgesuche unter Mitwirkung des abgelehnten Richters zur Verfügung stellt, während das Regelverfahren nach § 27 StPO die Entscheidung ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters garantiert, trägt die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung mit der differenzierenden Zuständigkeitsregelung in den Fällen der Richterablehnung einerseits dem Gewährleistungsgehalt des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG angemessen Rechnung: Ein Richter, dessen Unparteilichkeit mit jedenfalls nicht von vorneherein untauglicher Begründung in Zweifel gezogen worden ist, kann und soll nicht an der Entscheidung gegen das gegen ihn selbst gerichtete Ablehnungsgesuch mitwirken, das sein eigenes richterliches Verhalten und die - ohnehin nicht einfach zu beantwortende - Frage zum Gegenstand hat, ob das beanstandete Verhalten für eine verständige Partei Anlass sein kann, an der persönlichen Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Andererseits soll aus Gründen der Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens der abgelehnte Richter in den klaren Fällen eines unzulässigen oder missbräuchlich angebrachten Ablehnungsgesuchs an der weiteren Mitwirkung nicht gehindert sein und ein aufwendiges und zeitraubendes Ablehnungsverfahren verhindert werden (vgl. BVerfGK 5, 269 <280 f.>; 7, 325 <338>).
- 30
-
Im Verwaltungs- und Zivilprozessrecht gilt ebenso wie im Strafprozessrecht, dass bei strenger Beachtung der Voraussetzungen des gänzlich untauglichen oder rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuchs eine Entscheidung des abgelehnten Richters selbst mit der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht in Konflikt gerät, weil die Prüfung keine Beurteilung des eigenen Verhaltens des abgelehnten Richters voraussetzt und deshalb keine Entscheidung in eigener Sache ist (vgl. BVerfGK 5, 269 <281 f.>; 11, 434 <442>; 13, 72 <79>). Ein vereinfachtes Ablehnungsverfahren soll indes nur echte Formalentscheidungen ermöglichen oder einen offensichtlichen Missbrauch des Ablehnungsrechts verhindern, was eine enge Auslegung der Voraussetzungen gebietet (vgl. BVerfGK 5, 269 <282>; 11, 434 <442>; 13, 72 <79>). Völlige Ungeeignetheit ist anzunehmen, wenn für eine Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens selbst entbehrlich ist. Hierfür werden regelmäßig nur solche Gesuche in Betracht kommen, die Handlungen des Richters beanstanden, welche nach der Prozessordnung vorgeschrieben sind oder sich ohne weiteres aus der Stellung des Richters ergeben. Unzulässig ist ein Ablehnungsgesuch daher, wenn der Ablehnende die bloße Tatsache beanstandet, ein Richter habe an einer Vor- oder Zwischenentscheidung mitgewirkt. Unzulässig ist das Gesuch auch, wenn sich der Richter an den von der Prozessordnung vorgeschriebenen Verfahrensgang hält, der Ablehnende aber eine Änderung begehrt. Grundsätzlich wird also eine Verwerfung als unzulässig nur dann in Betracht kommen, wenn das Ablehnungsgesuch für sich allein - ohne jede weitere Aktenkenntnis - offenkundig eine Ablehnung nicht zu begründen vermag. Ist hingegen ein - wenn auch nur geringfügiges - Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erforderlich, scheidet die Ablehnung als unzulässig aus. Eine gleichwohl erfolgende Ablehnung durch den abgelehnten Richter selbst ist dann willkürlich. Über eine bloß formale Prüfung hinaus darf sich der abgelehnte Richter nicht durch Mitwirkung an einer näheren inhaltlichen Prüfung der Ablehnungsgründe zum Richter in eigener Sache machen (vgl. BVerfGK 7, 325 <340>; 11, 434 <442>; 13, 72 <79 f.>).
- 31
-
b) Bei Anlegung dieser Maßstäbe erweist sich die Verwerfung des ersten Befangenheitsgesuchs durch das Verwaltungsgericht - was die Zurückweisung des "Beweisantrags" als unzulässig offensichtlich meint - unter Mitwirkung der abgelehnten Kammervorsitzenden als objektiv willkürlich. Damit liegt ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vor.
- 32
-
Das folgt jedenfalls daraus, dass es sich vorliegend gerade nicht um eine bloße Formalentscheidung handelt. Die Kammer einschließlich der abgelehnten Richterin setzt sich vielmehr im Sinne einer Begründetheitsprüfung mit dem Vorbringen im Ablehnungsgesuch auseinander.
- 33
-
Anlass der Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit war die Verhandlungsführung der abgelehnten Kammervorsitzenden bei Vernehmung des Zeugen. Dabei ging es nicht bloß um formale Fragen wie zum Beispiel den Umstand, dass ihr als Kammervorsitzender die Leitung der mündlichen Verhandlung und damit auch die Vernehmung des Zeugen oblag (vgl. § 173 VwGO in Verbindung mit § 136 ZPO). Die aus Sicht der Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin zentrale Frage war, ob die wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnte Kammervorsitzende den Zeugen hinreichend zu einer vollständigen Aussage veranlasst hatte. Das zielt auf den Inhalt ihrer Verhandlungsführung. Die Beantwortung dieser Frage erforderte folglich eine Bewertung des Verhaltens der abgelehnten Richterin unter Berücksichtigung des von der Prozessordnung gesteckten Rahmens. Eine Entscheidung hierüber war ihr demnach verwehrt.
- 34
-
c) Der Beschluss über den zweiten Befangenheitsantrag erfolgte ebenfalls unter Verstoß gegen das grundrechtsgleiche Recht der Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
- 35
-
Bei der Prüfung, ob ein Ablehnungsgesuch als unzulässig verworfen werden kann, ist das Gericht in besonderem Maße verpflichtet, das Ablehnungsgesuch seinem Inhalt nach vollständig zu erfassen und gegebenenfalls wohlwollend auszulegen, da das Gericht andernfalls leicht dem Vorwurf ausgesetzt sein kann, tatsächlich im Gewande der Zulässigkeitsprüfung in eine Begründetheitsprüfung einzutreten, und sich zu Unrecht zum Richter in eigener Sache zu machen. Überschreitet das Gericht bei dieser Prüfung die ihm gezogenen Grenzen, so kann dies seinerseits die Besorgnis der Befangenheit begründen (vgl. BVerfGK 5, 269 <283>; 11, 434 <444>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2007 - 1 BvR 2228/06 -, NJW 2007, S. 3771 <3773>).
- 36
-
Obwohl der Vorwurf der Selbstentscheidung durch den vorangegangenen Beschluss über das Ablehnungsgesuch gegen die Kammervorsitzende Gegenstand des zweiten Befangenheitsantrags war, hat die Kammer in unveränderter Besetzung den daraufhin ergangenen Beschluss erlassen, ohne dass die Voraussetzungen hierfür vorgelegen hätten. Der formelhaft begründete Beschluss zieht zur Rechtfertigung der Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs das Kriterium der Rechtsmissbräuchlichkeit heran und versucht dies mit dem Verweis auf die offensichtliche Unbegründetheit des Befangenheitsantrags zu untermauern. Abgesehen davon, dass an keiner Stelle erläutert wird, weshalb - abweichend von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGK 5, 269 <282>) - auch bei offensichtlicher Unbegründetheit eines Ablehnungsgesuchs das vereinfachte Ablehnungsverfahren mit Selbstentscheidung des abgelehnten Richters angewendet werden können soll, lag ein Fall offensichtlicher Unbegründetheit des Befangenheitsantrags hier nicht vor. Das folgt schon aus dem einfachen Umstand, dass die festgestellte Überschreitung der durch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gezogenen Grenzen bei Bescheidung des ersten Befangenheitsantrags nach der zitierten bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich geeignet ist, die Besorgnis der Befangenheit auszulösen. Das Ablehnungsgesuch erforderte letztendlich eine Entscheidung darüber, ob sich die abgelehnten Richter durch die Behandlung des ersten Befangenheitsantrags soweit von Recht und Gesetz entfernt hatten, dass die Besorgnis ihrer Befangenheit bestand. Damit waren sie gezwungen, über ihr vorangegangenes eigenes Verhalten bei der Beschlussfassung über das erste Ablehnungsgesuch zu entscheiden und sich dadurch zu Richtern in eigener Sache zu machen.
- 37
-
d) Der durch die fehlerhafte Behandlung der Ablehnungsgesuche verursachte Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG erfasst auch das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts.
- 38
-
Die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs ist zwar nach § 146 Abs. 2 VwGO unanfechtbar. Die abgelehnte Kammervorsitzende und die weiteren mit dem zweiten Ablehnungsgesuch abgelehnten Richter unterlagen daher formal nicht mehr dem Gebot des § 54 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 47 Abs. 1 ZPO, der bis zur Erledigung des jeweiligen Ablehnungsgesuchs die Befugnisse des abgelehnten Richters auf die Vornahme unaufschiebbarer Handlungen beschränkt. Auch steht bislang nicht fest, dass tatsächlich die Besorgnis der Befangenheit bei einer der abgelehnten Gerichtspersonen vorgelegen hätte.
- 39
-
In der Konsequenz der in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verbürgten Garantie, nicht vor einem Richter stehen zu müssen, dem es an der gebotenen Neutralität mangelt (vgl. BVerfGE 89, 28 <36>), liegt es jedoch auch, nicht vor einem Richter stehen zu müssen, über dessen Ablehnung unter Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG entschieden worden ist (vgl. BVerfGK 13, 72 <75 ff.>).
- 40
-
Die hinter dem Ablehnungsgesuch stehende Partei kann so lange nicht davon ausgehen, dass sie unabhängigen Richtern gegenübersteht, bis diese Frage von dem zuständigen Gericht ohne Beteiligung der möglicherweise befangenen Richter geklärt ist. Sie muss im Falle einer nach den dargelegten Kriterien unzulässigen Selbstentscheidung befürchten, dass die Entscheidung über ihr Ablehnungsgesuch maßgeblich von Richtern beeinflusst ist, die der Sache nicht mit der notwendigen Distanz und Neutralität gegenüberstehen und dass sich diese Voreingenommenheit auch in der anschließend zu treffenden Sachentscheidung fortsetzt. Aus den genannten Gründen ist immer dann, wenn ein Fall unzulässiger Selbstentscheidung vorliegt, davon auszugehen, dass auch die dem Ablehnungsgesuch folgende Sachentscheidungen mit dem Makel des Verstoßes gegen den gesetzlichen Richter behaftet ist.
- 41
-
3. Die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts sind aufzuheben und die Sache gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen, da nicht auszuschließen ist, dass sie auf dem festgestellten Verfassungsverstoß beruhen. Ob die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts ebenfalls gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstößt, kann offen bleiben. Die Entscheidung wird durch die Aufhebung des verwaltungsgerichtlichen Urteils gegenstandslos.
-
V.
- 42
-
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
-
VI.
- 43
-
Der Gegenstandswert für das Verfassungsbeschwerdeverfahren ist nach § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>) auf 8.000 € festzusetzen. Es ist nicht erkennbar, dass die Beschwerdeführerin ein über diesen Betrag hinausgehendes Interesse hat.
Tatbestand
- 1
-
Der Senat hat in der Besetzung der abgelehnten Richter mit Beschluss vom 19. August 2009 den Antrag des Klägers, ihm zur Durchführung des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28. Mai 2009 - L 12 AL 1486/09 - Prozesskostenhilfe (PKH) zu bewilligen, abgelehnt.
- 2
-
Mit Schreiben vom 2. September 2009 hat der Kläger gegen die ihm am 2. September 2009 zugestellte Entscheidung Gehörsrüge und Gegenvorstellung erhoben und die an diesem Beschluss mitwirkenden Senatsmitglieder wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, weil sich der Verdacht nicht nur aufdränge, dass das Gericht das PKH-Verfahren missbrauche, um die Hauptsache vorwegzunehmen, sondern auch, dass das Gericht offensichtlich nicht bereit sei, sich mit einer abweichenden Rechtsauffassung sachlich auseinanderzusetzen.
Entscheidungsgründe
- 3
-
1. Die Anhörungsrüge ist unzulässig.
- 4
-
Die Zulässigkeit einer Anhörungsrüge setzt ua nach § 178a Abs 2 Satz 5, Abs 1 Satz 1 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Darlegung des durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten voraus, dass das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. An dieser Voraussetzung fehlt es.
- 5
-
Der Anhörungsrüge vom 2. September 2009 sind keine schlüssigen Darlegungen zu entnehmen, dass das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Beschluss vom 19. August 2009 den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt habe. Er macht zwar geltend, sein bisheriges Vorbringen sei nicht hinreichend berücksichtigt worden, da die Zulässigkeit einer Untätigkeitsbeschwerde - wie er nachgewiesen habe - selbst im Sozialrecht eine juristische Streitfrage sei; insoweit enthalten seine Ausführungen aber im Wesentlichen nur eine Wiederholung und Vertiefung der bisherigen, dem Senat bereits bekannten Argumentation. Soweit der Kläger geltend macht, der Senat könne nicht in einem PKH-Verfahren die Entscheidung über sein Recht auf wirksame Beschwerde vorwegnehmen, wendet er sich lediglich unter Hinweis auf einen angeblichen Gehörsverstoß gegen die Rechtsanwendung durch den Senat. Er verkennt damit, dass es nach den Maßstäben des § 178a Abs 2 Satz 5 SGG gerade nicht ausreicht, im Kern die Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung zu beanstanden. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gibt keine Gewährleistung dafür, dass das Gericht dem Vorbringen eines Verfahrensbeteiligten folgt (vgl ua BSG, Beschluss vom 29. November 2005 - B 1 KR 94/05 B; Beschluss vom 28. Mai 2008 - B 12 KR 3/08 C - und Senatsbeschlüsse vom 30. März 2009 - B 11 AL 5/09 C - und vom 21. August 2009 - B 11 AL 12/09 C).
- 6
-
2. Die Gegenvorstellung ist ebenfalls unzulässig.
- 7
-
Auch wenn nach Einführung der Anhörungsrüge eine Gegenvorstellung weiter grundsätzlich statthaft ist (vgl Bundesverfassungsgericht
, Beschluss vom 25. November 2008 - 1 BvR 848/07, NJW 2009, 829), setzt ihre Zulässigkeit voraus, dass dem Betroffenen grobes prozessuales Unrecht zugefügt worden ist, das im Wege der richterlichen Selbstkontrolle beseitigt werden muss (vgl ua BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 24; SozR 4-1500 § 178a Nr 3). Im vorliegenden Fall zeigen die vom Kläger vorgebrachten Gründe keine schwerwiegende Rechtsverletzung auf, insbesondere nicht die Verletzung von Verfahrensgrundrechten. Dass der Kläger die Rechtsanwendung für verfassungswidrig hält und darin einen Verstoß gegen Art 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention sieht, macht die Gegenvorstellung nicht zulässig. Der Antrag auf PKH war zwingend wegen fehlender Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung (§ 114 Satz 1 Zivilprozessordnung ) abzulehnen. Zur Klarstellung wird nochmals darauf hingewiesen, dass - wie im Beschluss des Senats vom 19. August 2009 ausgeführt - eine vom Kläger geltend gemachte "Untätigkeitsbeschwerde" im Gesetz nicht vorgesehen ist und dieser Rechtsbehelf - gerade unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des BVerfG und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - auch nicht im Wege richterlicher Rechtsfortbildung geschaffen werden kann (vgl BSG, Beschluss vom 21. Mai 2007 - B 1 KR 4/07 S - SozR 4-1500 § 160a Nr 17). Insoweit ist die vom Kläger zitierte Entscheidung des 4. Senats des BSG (SozR 4-1500 § 160a Nr 11 RdNr 21 ff) überholt. Aus den dem BSG zur Begründung des PKH-Gesuchs vorgelegten Unterlagen (insbesondere Aufsatz von Steinbeiß-Winkelmann, NJW 2008, 1783 ff, mit Nachweisen) ergibt sich nichts anderes. Auch danach wird ausdrücklich "der Gesetzgeber" in der Pflicht gesehen (vgl Steinbeiß-Winkelmann, aaO). Die abweichende Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (NJW 2009, 2388) ist nicht mit der BSG-Rechtsprechung zu vereinbaren.
- 8
-
3. Das Ablehnungsgesuch des Antragstellers ist ebenfalls unzulässig, da es rechtsmissbräuchlich ist. Es hindert deshalb den Senat auch nicht, über die Anhörungsrüge und die Gegenvorstellung unter Mitwirkung der abgelehnten Richter zu entscheiden (vgl auch Bundesfinanzhof
, NJW 2009, 3806 f).
- 9
-
Es kann dahinstehen, ob eine Richterablehnung im Rahmen einer Anhörungsrüge, die gerade der Selbstkorrektur des Gerichts dienen soll, von vornherein unzulässig ist (vgl Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, § 152a RdNr 28, Stand Oktober 2008). Die Unzulässigkeit des Ablehnungsgesuchs ergibt sich hier jedenfalls aus seiner Missbräuchlichkeit.
- 10
-
a) Nach § 60 SGG iVm § 42 Abs 2 ZPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Dabei kommt es nach ständiger Rechtsprechung darauf an, ob der betroffene Beteiligte von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger objektiver Betrachtung Anlass hat, die Voreingenommenheit des oder der abgelehnten Richter zu befürchten (vgl ua Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 67. Aufl 2009, § 54 RdNr 10 mwN).
- 11
-
b) Nach § 60 SGG iVm § 45 Abs 1 ZPO entscheidet das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung. Es ist allerdings anerkannt, dass abweichend vom Wortlaut des § 45 Abs 1 ZPO der Spruchkörper ausnahmsweise in alter Besetzung unter Mitwirkung der abgelehnten Richter über unzulässige Ablehnungsgesuche in bestimmten Fallgruppen entscheidet. Hierzu zählt ua die pauschale Ablehnung eines gesamten Spruchkörpers (vgl BVerfG, NJW 2007, 3771; BSG SozR 4-1500 § 60 Nr 4 RdNr 8; BFH, NJW 2009, 3806 mwN; Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl 2008, § 60 RdNr 10d).
- 12
-
So liegt es hier. Der Antragsteller hat in seinem Schreiben vom 2. September 2009 pauschal alle Richter des Senats, die an dem Beschluss vom 19. August 2009 mitgewirkt haben, allein wegen der Mitwirkung an diesem Beschluss abgelehnt, ohne konkrete Anhaltspunkte vorzubringen, die bei vernünftiger objektiver Betrachtung auf eine Befangenheit der Mitglieder des Spruchkörpers hindeuten. Anhaltspunkte für eine Befangenheit ergeben sich insbesondere nicht aus dem Vorbringen des Klägers, das Gericht sei nicht zu einer Auseinandersetzung mit einer abweichenden Rechtsansicht bereit; denn der Senat hat seine vom Kläger beanstandete Entscheidung vom 19. August 2009 ausdrücklich auf den Beschluss des BSG vom 21. Mai 2007 gestützt, dem eine umfassende Auseinandersetzung mit der vom Kläger angesprochenen Problematik zu entnehmen ist.
- 13
-
Der Umstand der Vorbefassung vermag für sich genommen die Besorgnis der Befangenheit nicht zu begründen. Das geltende Verfahrensrecht ist von dem Gedanken geprägt, dass ein Richter grundsätzlich auch dann unvoreingenommen an die Beurteilung einer Sache herantritt, wenn er bereits früher mit der Sache befasst war. Ausnahmen hiervon hat der Gesetzgeber in § 60 SGG iVm § 41 Nr 6 ZPO abschließend normiert. Mit der gesetzlichen Wertung des abschließenden Charakters dieses Ausschlussgrundes wäre es nicht vereinbar, wenn der bloße Umstand der Vorbefassung eines Richters mit der Sache geeignet wäre, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Vielmehr müssten besondere zusätzliche Umstände hinzutreten, um in den Fällen der Vorbefassung die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Dies gilt in gleicher Weise für das Verhältnis der Anhörungsrüge zur vorausgehenden, mit ihr angegriffenen PKH-Entscheidung (so BSG, Beschluss vom 20. Oktober 2009 - B 7 AL 10/09 C - und Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28. Mai 2009 - 5 PKH 6/09, NVwZ-RR 2009 662 f). Besondere Umstände, die hier zur Vorbefassung hinzutreten und die Besorgnis der Befangenheit begründen könnten, sind vor dem Hintergrund des Klagebegehrens nicht ersichtlich.
- 14
-
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
- 15
-
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I. Die Parteien, deren Rechtsvorgänger gesellschaftsrechtlich verbunden waren, streiten im wesentlichen um die Wirksamkeit von drei notariellen Auseinandersetzungsverträgen , welche ihre Erblasser im Jahr 1981 geschlossen haben. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der Kläger hat Berufung eingelegt und durch Schriftsatz vom 29. Oktober 2001 drei namentlich genannte Richter des zuständigen 2. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Begründet hat er dieses Gesuch damit, daß ein Hochschullehrer, welcher im Nebenamt Richter am Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg ist, ohne dem 2. Zivilsenat anzugehören, ein Rechtsgutachten "zu den Aussichten der Klage" erstattet hat. Außerdem hat er in dem gleichen Schriftsatz "die Verweisung des Rechtsstreits an ein anderes Oberlandesgericht, welches der Bundesgerichts-
hof bestimmen möge", beantragt; er hält es für unzumutbar, "vor diesem Gericht sein Recht zu suchen".
Die abgelehnten Richter haben dienstliche Erklärungen abgegeben, nach denen sie sich nicht für befangen halten. Auf den Hinweis, der Antrag auf Bestimmung eines anderen Oberlandesgerichts werde dahin interpretiert, daû der Kläger sämtliche Richter des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg wegen Besorgnis der Befangenheit ablehne, ein solches Gesuch jedoch als unzulässig angesehen werde, hat der Kläger nicht reagiert. Die Sache ist deswegen dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung zugeleitet worden.
II. Der Antrag ist unzulässig. Zutreffend hat das Berufungsgericht das Begehren, der Bundesgerichtshof möge das zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch vom 29. Oktober 2001 zuständige Oberlandesgericht bestimmen, als pauschale Ablehnung sämtlicher Richter des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg angesehen.
Es entspricht ständiger, vom Schrifttum geteilter Auffassung der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH, Beschl. v. 7. November 1973 - VIII ARZ 14/73, NJW 1974, 55 f. m.w.N.; Zöller/Vollkommer, ZPO 22. Aufl. § 42 Rdn. 3 i.V.m. § 45 Rdn. 4 m.w.N.), daû nur einzelne Mitglieder eines Gerichts wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden können, daû aber eine pauschale Ablehnung eines Spruchkörpers oder des gesamten Gerichts rechtsmiûbräuchlich und unbeachtlich ist. Angesichts der Wirkungslosigkeit
dieses Gesuchs hätten schon die nach der Geschäftsverteilung des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch gegen die namentlich genannten drei Richter des 2. Zivilsenats berufenen Richter die Unzulässigkeit der Pauschalablehnung aussprechen können; zur Vermeidung weiterer Verzögerungen des Rechtsstreits kann aber auch der Senat dieses Gesuch zurückweisen (vgl. BGH, Beschl. v. 7. November 1973 aaO m.w.N.).
Röhricht Hesselberger Goette
Kurzwelly Kraemer
(1) Für die Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen gelten §§ 41 bis 49 der Zivilprozeßordnung entsprechend.
(2) Von der Ausübung des Amtes als Richter oder ehrenamtlicher Richter ist auch ausgeschlossen, wer bei dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat.
(3) Besorgnis der Befangenheit nach § 42 der Zivilprozeßordnung ist stets dann begründet, wenn der Richter oder ehrenamtliche Richter der Vertretung einer Körperschaft angehört, deren Interessen durch das Verfahren berührt werden.
(1) Für die Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen gelten die §§ 41 bis 46 Absatz 1 und die §§ 47 bis 49 der Zivilprozeßordnung entsprechend.
(2) Von der Ausübung des Amtes als Richter ist auch ausgeschlossen, wer bei dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat.
(3) Die Besorgnis der Befangenheit nach § 42 der Zivilprozeßordnung gilt stets als begründet, wenn der Richter dem Vorstand einer Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts angehört, deren Interessen durch das Verfahren unmittelbar berührt werden.
(4) (weggefallen)
(1) Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.
(2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.
(3) Das Ablehnungsrecht steht in jedem Fall beiden Parteien zu.
Tatbestand
- 1
-
Der Senat hat in der Besetzung der abgelehnten Richter mit Beschluss vom 19. August 2009 den Antrag des Klägers, ihm zur Durchführung des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28. Mai 2009 - L 12 AL 1486/09 - Prozesskostenhilfe (PKH) zu bewilligen, abgelehnt.
- 2
-
Mit Schreiben vom 2. September 2009 hat der Kläger gegen die ihm am 2. September 2009 zugestellte Entscheidung Gehörsrüge und Gegenvorstellung erhoben und die an diesem Beschluss mitwirkenden Senatsmitglieder wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, weil sich der Verdacht nicht nur aufdränge, dass das Gericht das PKH-Verfahren missbrauche, um die Hauptsache vorwegzunehmen, sondern auch, dass das Gericht offensichtlich nicht bereit sei, sich mit einer abweichenden Rechtsauffassung sachlich auseinanderzusetzen.
Entscheidungsgründe
- 3
-
1. Die Anhörungsrüge ist unzulässig.
- 4
-
Die Zulässigkeit einer Anhörungsrüge setzt ua nach § 178a Abs 2 Satz 5, Abs 1 Satz 1 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Darlegung des durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten voraus, dass das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. An dieser Voraussetzung fehlt es.
- 5
-
Der Anhörungsrüge vom 2. September 2009 sind keine schlüssigen Darlegungen zu entnehmen, dass das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Beschluss vom 19. August 2009 den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt habe. Er macht zwar geltend, sein bisheriges Vorbringen sei nicht hinreichend berücksichtigt worden, da die Zulässigkeit einer Untätigkeitsbeschwerde - wie er nachgewiesen habe - selbst im Sozialrecht eine juristische Streitfrage sei; insoweit enthalten seine Ausführungen aber im Wesentlichen nur eine Wiederholung und Vertiefung der bisherigen, dem Senat bereits bekannten Argumentation. Soweit der Kläger geltend macht, der Senat könne nicht in einem PKH-Verfahren die Entscheidung über sein Recht auf wirksame Beschwerde vorwegnehmen, wendet er sich lediglich unter Hinweis auf einen angeblichen Gehörsverstoß gegen die Rechtsanwendung durch den Senat. Er verkennt damit, dass es nach den Maßstäben des § 178a Abs 2 Satz 5 SGG gerade nicht ausreicht, im Kern die Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung zu beanstanden. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gibt keine Gewährleistung dafür, dass das Gericht dem Vorbringen eines Verfahrensbeteiligten folgt (vgl ua BSG, Beschluss vom 29. November 2005 - B 1 KR 94/05 B; Beschluss vom 28. Mai 2008 - B 12 KR 3/08 C - und Senatsbeschlüsse vom 30. März 2009 - B 11 AL 5/09 C - und vom 21. August 2009 - B 11 AL 12/09 C).
- 6
-
2. Die Gegenvorstellung ist ebenfalls unzulässig.
- 7
-
Auch wenn nach Einführung der Anhörungsrüge eine Gegenvorstellung weiter grundsätzlich statthaft ist (vgl Bundesverfassungsgericht
, Beschluss vom 25. November 2008 - 1 BvR 848/07, NJW 2009, 829), setzt ihre Zulässigkeit voraus, dass dem Betroffenen grobes prozessuales Unrecht zugefügt worden ist, das im Wege der richterlichen Selbstkontrolle beseitigt werden muss (vgl ua BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 24; SozR 4-1500 § 178a Nr 3). Im vorliegenden Fall zeigen die vom Kläger vorgebrachten Gründe keine schwerwiegende Rechtsverletzung auf, insbesondere nicht die Verletzung von Verfahrensgrundrechten. Dass der Kläger die Rechtsanwendung für verfassungswidrig hält und darin einen Verstoß gegen Art 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention sieht, macht die Gegenvorstellung nicht zulässig. Der Antrag auf PKH war zwingend wegen fehlender Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung (§ 114 Satz 1 Zivilprozessordnung ) abzulehnen. Zur Klarstellung wird nochmals darauf hingewiesen, dass - wie im Beschluss des Senats vom 19. August 2009 ausgeführt - eine vom Kläger geltend gemachte "Untätigkeitsbeschwerde" im Gesetz nicht vorgesehen ist und dieser Rechtsbehelf - gerade unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des BVerfG und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - auch nicht im Wege richterlicher Rechtsfortbildung geschaffen werden kann (vgl BSG, Beschluss vom 21. Mai 2007 - B 1 KR 4/07 S - SozR 4-1500 § 160a Nr 17). Insoweit ist die vom Kläger zitierte Entscheidung des 4. Senats des BSG (SozR 4-1500 § 160a Nr 11 RdNr 21 ff) überholt. Aus den dem BSG zur Begründung des PKH-Gesuchs vorgelegten Unterlagen (insbesondere Aufsatz von Steinbeiß-Winkelmann, NJW 2008, 1783 ff, mit Nachweisen) ergibt sich nichts anderes. Auch danach wird ausdrücklich "der Gesetzgeber" in der Pflicht gesehen (vgl Steinbeiß-Winkelmann, aaO). Die abweichende Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (NJW 2009, 2388) ist nicht mit der BSG-Rechtsprechung zu vereinbaren.
- 8
-
3. Das Ablehnungsgesuch des Antragstellers ist ebenfalls unzulässig, da es rechtsmissbräuchlich ist. Es hindert deshalb den Senat auch nicht, über die Anhörungsrüge und die Gegenvorstellung unter Mitwirkung der abgelehnten Richter zu entscheiden (vgl auch Bundesfinanzhof
, NJW 2009, 3806 f).
- 9
-
Es kann dahinstehen, ob eine Richterablehnung im Rahmen einer Anhörungsrüge, die gerade der Selbstkorrektur des Gerichts dienen soll, von vornherein unzulässig ist (vgl Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, § 152a RdNr 28, Stand Oktober 2008). Die Unzulässigkeit des Ablehnungsgesuchs ergibt sich hier jedenfalls aus seiner Missbräuchlichkeit.
- 10
-
a) Nach § 60 SGG iVm § 42 Abs 2 ZPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Dabei kommt es nach ständiger Rechtsprechung darauf an, ob der betroffene Beteiligte von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger objektiver Betrachtung Anlass hat, die Voreingenommenheit des oder der abgelehnten Richter zu befürchten (vgl ua Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 67. Aufl 2009, § 54 RdNr 10 mwN).
- 11
-
b) Nach § 60 SGG iVm § 45 Abs 1 ZPO entscheidet das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung. Es ist allerdings anerkannt, dass abweichend vom Wortlaut des § 45 Abs 1 ZPO der Spruchkörper ausnahmsweise in alter Besetzung unter Mitwirkung der abgelehnten Richter über unzulässige Ablehnungsgesuche in bestimmten Fallgruppen entscheidet. Hierzu zählt ua die pauschale Ablehnung eines gesamten Spruchkörpers (vgl BVerfG, NJW 2007, 3771; BSG SozR 4-1500 § 60 Nr 4 RdNr 8; BFH, NJW 2009, 3806 mwN; Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl 2008, § 60 RdNr 10d).
- 12
-
So liegt es hier. Der Antragsteller hat in seinem Schreiben vom 2. September 2009 pauschal alle Richter des Senats, die an dem Beschluss vom 19. August 2009 mitgewirkt haben, allein wegen der Mitwirkung an diesem Beschluss abgelehnt, ohne konkrete Anhaltspunkte vorzubringen, die bei vernünftiger objektiver Betrachtung auf eine Befangenheit der Mitglieder des Spruchkörpers hindeuten. Anhaltspunkte für eine Befangenheit ergeben sich insbesondere nicht aus dem Vorbringen des Klägers, das Gericht sei nicht zu einer Auseinandersetzung mit einer abweichenden Rechtsansicht bereit; denn der Senat hat seine vom Kläger beanstandete Entscheidung vom 19. August 2009 ausdrücklich auf den Beschluss des BSG vom 21. Mai 2007 gestützt, dem eine umfassende Auseinandersetzung mit der vom Kläger angesprochenen Problematik zu entnehmen ist.
- 13
-
Der Umstand der Vorbefassung vermag für sich genommen die Besorgnis der Befangenheit nicht zu begründen. Das geltende Verfahrensrecht ist von dem Gedanken geprägt, dass ein Richter grundsätzlich auch dann unvoreingenommen an die Beurteilung einer Sache herantritt, wenn er bereits früher mit der Sache befasst war. Ausnahmen hiervon hat der Gesetzgeber in § 60 SGG iVm § 41 Nr 6 ZPO abschließend normiert. Mit der gesetzlichen Wertung des abschließenden Charakters dieses Ausschlussgrundes wäre es nicht vereinbar, wenn der bloße Umstand der Vorbefassung eines Richters mit der Sache geeignet wäre, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Vielmehr müssten besondere zusätzliche Umstände hinzutreten, um in den Fällen der Vorbefassung die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Dies gilt in gleicher Weise für das Verhältnis der Anhörungsrüge zur vorausgehenden, mit ihr angegriffenen PKH-Entscheidung (so BSG, Beschluss vom 20. Oktober 2009 - B 7 AL 10/09 C - und Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28. Mai 2009 - 5 PKH 6/09, NVwZ-RR 2009 662 f). Besondere Umstände, die hier zur Vorbefassung hinzutreten und die Besorgnis der Befangenheit begründen könnten, sind vor dem Hintergrund des Klagebegehrens nicht ersichtlich.
- 14
-
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
- 15
-
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
Gründe
- 1
-
Die Verfassungsbeschwerde betrifft Richterablehnungen im sozialgerichtlichen Verfahren und die Statthaftigkeit der Anhörungsrüge gegen die Zurückweisung eines Richterablehnungsgesuches.
-
I.
- 2
-
Der Beschwerdeführer führt vor dem Sozialgericht ein Klageverfahren. Er lehnte den dort zuständigen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Das Landessozialgericht wies das Ablehnungsgesuch mit Beschluss vom 29. Juli 2009 zurück.
- 3
-
Daraufhin lehnte der Beschwerdeführer die Richter des Landessozialgerichts, die diesen Beschluss gefasst hatten, wegen Besorgnis der Befangenheit unter Hinweis auf die Möglichkeit, gegen den Beschluss eine Anhörungsrüge zu erheben, ab. Das Landessozialgericht verwarf dieses Ablehnungsgesuch mit Beschluss vom 7. August 2009 als unzulässig. Zum einen sei die Ablehnung eines ganzen Spruchkörpers unzulässig und zum anderen sei das Verfahren über das Ablehnungsgesuch gegen den Richter am Sozialgericht abgeschlossen; eine Anhörungsrüge wäre nicht statthaft.
- 4
-
Der Beschwerdeführer erhob nun Anhörungsrüge gegen den Beschluss vom 29. Juli 2009 und lehnte die zuständigen Richter des Landessozialgerichts erneut als befangen ab.
- 5
-
Das Landessozialgericht verwarf mit Beschluss vom 3. September 2009 die Anhörungsrüge als unzulässig. Der Beschluss vom 29. Juli 2009 sei gemäß § 178a Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als eine der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung nicht mit der Anhörungsrüge anfechtbar. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Oktober 2007 (1 BvR 782/07 - BVerfGE 119, 292 ff.) betreffe nur den Fall, dass ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung, mit dem auch eine Inzidentprüfung der Verletzung rechtlichen Gehörs erfolgen könnte, nicht mehr gegeben sei. Hier sei zwar die Beschwerde gegen die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch ausgeschlossen. Gleichwohl könne eine Verletzung rechtlichen Gehörs im danach wieder aufgenommenen Verfahren vor dem Sozialgericht weiterhin gerügt werden und könne dort oder in der Folgeinstanz geheilt werden. Über die Anhörungsrüge habe das Gericht unter Beteiligung der erneut abgelehnten Richter entscheiden dürfen, da das erneute Ablehnungsgesuch ebenfalls unzulässig sei. Der Beschwerdeführer habe lediglich die Gründe aus dem ersten, bereits verworfenen Ablehnungsgesuch wiederholt.
- 6
-
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen alle drei Beschlüsse des Landessozialgerichts. Der Beschwerdeführer sieht sich in seinen Grundrechten aus Art. 1 Abs. 1, Art. 19 Abs. 2 und 4, Art. 20 Abs. 3, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Er sei gehindert, seine Argumente vorzubringen. Er könne nicht erkennen, dass das Landessozialgericht sein Vorbringen gewürdigt habe.
-
II.
- 7
-
Zwar genügen die angegriffenen Entscheidungen des Landessozialgerichts zum Teil den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. Gleichwohl ist die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung nicht angezeigt.
- 8
-
1. Nicht zu beanstanden ist, dass das Landessozialgericht das Ablehnungsgesuch gegen den Richter am Sozialgericht zurückgewiesen hat.
- 9
-
a) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG garantiert auch, dass der Rechtsuchende im Einzelfall vor einem Richter steht, der unabhängig und unparteilich ist und der die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet. Der Gesetzgeber hat deshalb in materieller Hinsicht Vorsorge dafür zu treffen, dass die Richterbank im Einzelfall nicht mit Richtern besetzt ist, die dem zur Entscheidung anstehenden Streitfall nicht mit der erforderlichen professionellen Distanz eines Unbeteiligten und Neutralen gegenüberstehen. Die materiellen Anforderungen der Verfassungsgarantie verpflichten den Gesetzgeber dazu, Regelungen vorzusehen, die es ermöglichen, einen Richter, der im Einzelfall nicht die Gewähr der Unparteilichkeit bietet, von der Ausübung seines Amtes auszuschließen (vgl. BVerfGE 21, 139 <145 f.>; 30, 149 <153>; 82, 286 <298>; 89, 28 <36>; BVerfGK 5, 269 <279 f.>; 12, 139 <143>).
- 10
-
Eine "Entziehung" des gesetzlichen Richters im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch die Rechtsprechung, der die Anwendung der Zuständigkeitsregeln und die Handhabung des Ablehnungsrechts im Einzelfall obliegt, kann nicht in jeder fehlerhaften Rechtsanwendung gesehen werden; andernfalls müsste jede fehlerhafte Handhabung des einfachen Rechts zugleich als Verfassungsverstoß gelten (vgl. BVerfGE 82, 286 <299>; BVerfGK 5, 269 <280>; 12, 139 <143>). Die Grenzen zum Verfassungsverstoß sind aber jedenfalls dann überschritten, wenn die Auslegung einer Verfahrensnorm oder ihre Handhabung im Einzelfall willkürlich oder offensichtlich unhaltbar sind oder wenn die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt (vgl. BVerfGE 82, 286 <299> m.w.N.; BVerfGK 5, 269 <280>; 12, 139 <143 f.>). Ob die Entscheidung eines Gerichts auf Willkür, also auf einem Fall grober Missachtung oder grober Fehlanwendung des Gesetzesrechts (vgl. BVerfGE 29, 45 <49>; 82, 159 <197>; BVerfGK 5, 269 <280>; 12, 139 <143 f.>) beruht oder ob sie darauf hindeutet, dass ein Gericht Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt, kann nur angesichts der jeweiligen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (vgl. BVerfGK 5, 269 <280>; 12, 139 <144>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. Februar 2009 - 1 BvR 165/09 -, NVwZ 2009, S. 581 <582>).
- 11
-
b) Nach diesen Maßstäben begegnet die Entscheidung des Landessozialgerichts keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Es ist im Hinblick auf das Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG insbesondere unbedenklich, wenn die Fachgerichte davon ausgehen, dass die Besorgnis der Befangenheit regelmäßig nicht durch rechtliche Hinweise oder Anregungen begründet werden kann, wenn nicht ausnahmsweise unsachliche Erwägungen erkennbar sind, wobei es allerdings nicht auf die Richtigkeit der zugrundeliegenden Rechtsansicht ankommt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. Februar 2009 - 1 BvR 165/09 -, NVwZ 2009, S. 581 <584>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. Februar 2009 - 1 BvR 182/09 -, juris, Rn. 17). Entsprechend ist es nicht zu beanstanden, dass das Landessozialgericht in der deutlichen Äußerung des abgelehnten Richters über die Erfolgsaussichten der Klage des Beschwerdeführers keinen die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigenden Umstand gesehen hat. Das Landessozialgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die sozialgerichtliche Verfahrensordnung in § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG selbst vorsieht, dass dem Betroffenen die unter Umständen aus der Aussichtslosigkeit seines Klagebegehrens resultierende Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung dargelegt werden kann.
- 12
-
Ebenso führt auch eine etwaige unrichtige Handhabung des Verfahrensrechts für sich genommen nicht zur begründeten Besorgnis der Befangenheit eines Richters (vgl. BVerfGK 12, 139 <145>). Erforderlich ist vielmehr, dass sich in der Verfahrensweise des Richters eine unsachliche oder gar von Willkür geprägte Einstellung äußert (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. Februar 2009 - 1 BvR 165/09 -, NVwZ 2009, S. 581 <583>), wobei selbst mit der Feststellung eines objektiven Verstoßes gegen das Willkürverbot nicht zugleich die Feststellung verbunden sein muss, dass ein Betroffener bei vernünftiger Würdigung Anlass habe, an der Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit des abgelehnten Richters zu zweifeln (vgl. BVerfGK 12, 139 <145>). Dass das Landessozialgericht einen solchen Anlass zu Zweifeln an der Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit des abgelehnten Richters nicht feststellen konnte, ist seinerseits von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Das Landessozialgericht hat sich insbesondere mit dem Vorwurf des Beschwerdeführers, dass er in dem Erörterungstermin vor dem Sozialgericht nicht ausreichend zu Wort gekommen sei und dass die Gründe seines Befangenheitsantrages nicht in die Niederschrift des Termins aufgenommen wurden, auseinandergesetzt und ist zu einem jedenfalls vertretbaren Ergebnis gekommen.
- 13
-
2. Zu Unrecht ist die Anhörungsrüge vom Landessozialgericht als unzulässig behandelt worden.
- 14
-
a) Zwar findet gemäß § 178a Abs. 1 Satz 2 SGG gegen eine der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung die Anhörungsrüge nicht statt, und bei der Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch handelt es sich um eine solche Zwischenentscheidung. § 178a Abs. 1 Satz 2 SGG ist jedoch verfassungskonform dahin auszulegen, dass es sich beim Verfahren über die Ablehnung eines Richters am Sozialgericht um ein selbständiges Zwischenverfahren mit Bindungswirkung für die nachfolgenden Entscheidungen handelt und dass der Zurückweisungsbeschluss deshalb eine mit der Anhörungsrüge angreifbare Entscheidung darstellt.
- 15
-
Fachgerichtlicher Rechtsschutz gegen eine mögliche Gehörsverletzung im Zwischenverfahren der Richterablehnung ist nach dem Grundsatz wirkungsvollen Rechtsschutzes in Verbindung mit Art. 103 Abs. 1 GG dann notwendig, wenn in diesem Zwischenverfahren abschließend und mit Bindungswirkung für das weitere Verfahren über den Antrag befunden wird und die Entscheidung später nicht mehr im Rahmen einer Inzidentprüfung korrigiert werden kann (vgl. BVerfGE 119, 292 <299>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 12. Januar 2009 - 1 BvR 3113/08 -, NJW 2009, S. 833; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 8. Dezember 2009 - 1 BvR 2774/09 -, juris, Rn. 1).
- 16
-
Vor diesem Hintergrund kann auch die Entscheidung des Landessozialgerichts über die Zurückweisung der Ablehnung eines Richters am Sozialgericht mit der Anhörungsrüge angegriffen werden. Derjenige, der sich in einem solchen Richterablehnungsverfahren in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt sieht, kann nicht darauf verwiesen werden, dass die behauptete Gehörsverletzung im weiteren Instanzenzug noch kontrolliert würde. Dafür, dass gegenwärtig eine derartige Kontrolle stattfände, gibt es keine Anhaltspunkte.
- 17
-
aa) Das Bundessozialgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass nach § 202 SGG in Verbindung mit § 557 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) die dem Endurteil vorausgehenden Entscheidungen der Beurteilung des Revi-sionsgerichts nicht unterliegen, wenn sie ihrerseits unanfechtbar sind. Diese Einschränkung sei bei Beschlüssen, durch die ein Ablehnungsgesuch zurückgewiesen worden ist, immer dann gegeben, wenn sie von einem Landessozialgericht erlassen worden und daher gemäß § 177 SGG der Anfechtung mit der Beschwerde entzogen sind (vgl. BSG, Beschluss vom 5. August 2003 - B 3 P 8/03 B -, NZS 2004, S. 222 <223>; BSG, Beschluss vom 29. März 2007 - B 9a SB 18/06 B -, NJOZ 2007, S. 3666 <3668> m.w.N.; BSG, Beschluss vom 30. April 2009 - B 13 R 121/09 B -, juris, Rn. 5). Entsprechend könne die Zurückweisung eines Befangenheitsantrags grundsätzlich auch nicht als Verfahrensfehler mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht werden (vgl. BSG, Beschluss vom 5. August 2003 - B 3 P 8/03 B -, NZS 2004, S. 222 <223> m.w.N.; BSG, Beschluss vom 30. April 2009 - B 13 R 121/09 B -, juris, Rn. 5; BSG, Beschluss vom 13. August 2009 - B 8 SO 13/09 B -, juris, Rn. 8; BSG, Beschluss vom 27. Oktober 2009 - B 1 KR 51/09 B -, juris, Rn. 6).
- 18
-
Etwas anderes gelte zwar ausnahmsweise dann, wenn es an einer Entscheidung über das Ablehnungsgesuch mangeln würde (vgl. BSG, Beschluss vom 29. März 2007 - B 9a SB 18/06 B -, NJOZ 2007, S. 3666 <3668>) oder wenn die Behandlung eines Ablehnungsantrags so fehlerhaft sei, dass durch die weitere Mitwirkung des abgelehnten Richters das grundrechtsgleiche Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt und das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung deshalb unrichtig besetzt gewesen sei (vgl. BSG, Beschluss vom 5. August 2003 - B 3 P 8/03 B -, NZS 2004, 222 <223> m.w.N.; BSG, Beschluss vom 30. April 2009 - B 13 R 121/09 B -, juris, Rn. 5; BSG, Beschluss vom 13. August 2009 - B 8 SO 13/09 B -, juris, Rn. 8). Letzteres sei aber nur der Fall, wenn willkürliche oder manipulative Erwägungen für die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs bestimmend gewesen seien (vgl. BSG, Beschluss vom 5. August 2003 - B 3 P 8/03 B -, NZS 2004, S. 222 <223> m.w.N.) oder wenn die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs jedenfalls darauf hindeuten würde, dass das Gericht die Bedeutung und die Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt habe (vgl. BSG, Beschluss vom 27. Oktober 2009 - B 1 KR 51/09 B -, juris, Rn. 6). Die lediglich unrichtige Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch führe noch nicht zur vorschriftswidrigen Besetzung des Gerichts.
- 19
-
Bei Zugrundelegung dieser Rechtsprechung ist im Falle eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG, der nicht zugleich Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt, die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch der revisionsgerichtlichen Überprüfung entzogen. Da das Bundessozialgericht in einer Entscheidung ausdrücklich offen gelassen hat, ob auch Gehörsverstöße während des Befangenheitsverfahrens mit der Nichtzulassungsbeschwerde gerügt werden können (vgl. BSG, Beschluss vom 9. Januar 2008 - B 12 KR 24/07 B -, juris, Rn. 12), ist in dieser Prozesssituation keine sichere und zumutbare Rechtsschutzmöglichkeit eröffnet.
- 20
-
Dafür, dass im Berufungs- oder Berufungszulassungsverfahren anders als im Revisions- oder Revisionszulassungsverfahren auch die behauptete Verletzung des Gehörsanspruchs im Richterablehnungsverfahren geprüft würde, gibt es weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht hinreichende Anhaltspunkte.
- 21
-
bb) Ließe man gleichwohl die Anhörungsrüge bei entsprechender Auslegung des § 178a Abs. 1 Satz 2 SGG auch bei einer derartigen, ein selbständiges Zwischenverfahren abschließenden Entscheidung nicht zu, könnte die dadurch entstehende, mit den im Plenumsbeschluss vom 30. April 2003 (vgl. BVerfGE 107, 395 ff.) dargelegten Grundsätzen unvereinbare Rechtsschutzlücke im fachgerichtlichen Verfahren nicht dadurch beseitigt werden, dass der Antragsteller auf die Möglichkeit einer Anhörungsrüge gegen die spätere abschließende Sachentscheidung verwiesen würde. Die behauptete Gehörsverletzung im Zwischenverfahren der Richterablehnung könnte mit einer Anhörungsrüge gegen die spätere Sachentscheidung nicht mehr in geeigneter, den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügender Weise geltend gemacht werden (vgl. BVerfGE 119, 292 <300>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 31. Juli 2008 - 1 BvR 416/08 -, juris, Rn. 26; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 12. Januar 2009 - 1 BvR 3113/08 -, NJW 2009, S. 833).
- 22
-
Einer erst nach der abschließenden Sachentscheidung eingelegten Anhörungsrüge könnte entgegengehalten werden, es könne nicht verlässlich festgestellt werden, dass die behauptete, im vorangegangenen Zwischenverfahren geschehene Gehörsverletzung in entscheidungserheblicher Weise das Ergebnis der Sachentscheidung beeinflusst habe. Ob es sich zu Lasten des Antragstellers ausgewirkt hat, dass an der Sachentscheidung ein Richter beteiligt war, dessen Ablehnung möglicherweise unter Verletzung des rechtlichen Gehörs zurückgewiesen worden war, könnte kaum beurteilt werden. Die Begründung des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 119, 292 <297>) für den Ausschluss der Anhörungsrüge bei Zwischenentscheidungen, die Entscheidungserheblichkeit könne erst zum Zeitpunkt der späteren Sachentscheidung festgestellt werden, greift bei einer im weiteren Verfahren nicht mehr überprüften Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs nicht (vgl. BVerfGE 119, 292 <300>).
- 23
-
Die behauptete Gehörsverletzung muss deshalb vor einer Fortsetzung des zur abschließenden Sachentscheidung führenden Verfahrens einer fachgerichtlichen Überprüfung zugeführt werden können. Insofern laufen die Maßstäbe zur Beurteilung der Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gegen selbständige Zwischenentscheidungen mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die fachgerichtliche Beurteilung der Statthaftigkeit einer Anhörungsrüge gegen die ein Zwischenverfahren beendende Entscheidung gleich (vgl. BVerfGE 119, 292 <300 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 12. Januar 2009 - 1 BvR 3113/08 -, NJW 2009, S. 833 <834>).
- 24
-
b) Nicht zu beanstanden ist hingegen, dass das Landessozialgericht über die Anhörungsrüge entschieden hat, ohne zuvor über das erneute, gegen den Senat selbst gerichtete Ablehnungsgesuch entschieden zu haben. Die dem zugrunde liegende Auffassung, dass die Wiederholung einer Richterablehnung ohne neue Gesichtspunkte rechtsmissbräuchlich ist, die auch vom Bundessozialgericht geteilt wird (vgl. BSG, Beschluss vom 29. März 2007 - B 9a SB 18/06 B -, NJOZ 2007, S. 3666 <3667>), ist nicht unvertretbar und daher mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar (vgl. auch BVerfGE 11, 1 < 5 f.>; 11, 343 <348>). Rechtsmissbräuchliche Ablehnungsgesuche müssen nicht erneut beschieden werden (vgl. BVerfGE 11, 343 <348>; 72, 51 <59>; 74, 96 <100>).
- 25
-
3. Die Entscheidung des Landessozialgerichts über das erste Ablehnungsgesuch gegen die zuständigen Richter des Landessozialgerichts ist damit teilweise fehlerhaft begründet. Das Landessozialgericht durfte die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs nicht auf die mit Verfassungsrecht nicht zu vereinbarende Annahme stützen, dass eine Anhörungsrüge gegen seine vorhergehende Entscheidung nicht statthaft wäre.
- 26
-
Das Landessozialgericht hat das Ablehnungsgesuch außerdem als unzulässig behandelt, weil es sich pauschal gegen alle drei Richter des Senats gerichtet hatte. Das begegnet im Ergebnis schon deshalb keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, da ausgeschlossen ist, dass das Ablehnungsgesuch in der Sache Erfolg gehabt hätte. Der Beschwerdeführer hat sein Ablehnungsgesuch nur darauf gestützt, dass das Landessozialgericht sein Ablehnungsgesuch gegen den Richter am Sozialgericht seiner Ansicht nach zu Unrecht abgelehnt hatte. Auf den bloßen Vorwurf der falschen Rechtsanwendung ohne Hinzutreten besonderer Umstände, die der Beschwerdeführer nicht dargetan hat und die sich auch insbesondere aus dem ersten Beschluss des Landessozialgerichts nicht ergeben, kann ein Ablehnungsgesuch aber in zulässiger Weise nicht gestützt werden.
- 27
-
4. Trotz der mit Verfassungsrecht nicht im Einklang stehenden Verwerfung der Anhörungsrüge als unzulässig ist die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Annahme einer Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte nicht angezeigt (vgl. § 93a Abs. 2 lit. b BVerfGG), wenn der Beschwerdeführer sein vor den Fachgerichten verfolgtes Begehren nicht erreichen kann (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>; 119, 292 <301 f.>).
- 28
-
Dies ist hier der Fall, weil der Beschwerdeführer mit seinem Begehren - der Ablehnung des Richters am Sozialgericht - keinen Erfolg haben kann. Würde das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung des Landessozialgerichts über die Anhörungsrüge aufheben und die Sache an das Landessozialgericht zurückverweisen, könnte das Landessozialgericht bei der erneuten Entscheidung zu keinem anderen Ergebnis kommen, weil der Beschwerdeführer weder im Anhörungsrügeverfahren noch im Verfassungsbeschwerdeverfahren schlüssig dargetan hat, dass sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden sei. Vielmehr besteht sein Vortrag durchweg in der Behauptung, Sozialgericht und Landessozialgericht würden das Recht falsch anwenden. Art. 103 Abs. 1 GG enthält aber keinen Anspruch, dass die Gerichte der Rechtsansicht des Grundrechtsträgers folgen, und schützt nicht vor einer aus dessen Sicht "unrichtigen" Rechtsanwendung (vgl. BVerfGK 6, 88 <91>; 11, 203 <206 f.> m.w.N.). Auch ansonsten ist nicht ersichtlich, dass das Landessozialgericht in der mit der Anhörungsrüge angegriffenen Entscheidung den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hätte. Für die Anhörungsrüge bestand damit kein vernünftiger Anlass. Da ausgeschlossen werden kann, dass die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers Erfolg haben könnte, führt auch ihre Verwerfung als unzulässig nicht zu einem die Annahme der Verfassungsbeschwerde rechtfertigenden Nachteil (vgl. BVerfGE 119, 292 <302>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 8. Dezember 2009 - 1 BvR 2774/09 -, juris, Rn. 1).
- 29
-
Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinne von § 93a Abs. 2 lit. a BVerfGG kommt der Verfassungsbeschwerde nicht zu. Sie wirft keine Fragen auf, die sich nicht ohne weiteres aus dem Grundgesetz beantworten lassen oder die noch nicht durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung geklärt sind (vgl. BVerfGE 119, 292 <301>). Die Anforderungen an den fachgerichtlichen Rechtsschutz bei behaupteten Gehörsverletzungen ergeben sich aus dem Plenumsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 30. April 2003 (BVerfGE 107, 395 ff.).
- 30
-
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
(1) Anordnungen und Entscheidungen, durch die eine Frist in Lauf gesetzt wird, sind den Beteiligten zuzustellen, bei Verkündung jedoch nur, wenn es ausdrücklich vorgeschrieben ist. Terminbestimmungen und Ladungen sind bekannt zu geben.
(2) Zugestellt wird von Amts wegen nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung. §§ 173, 175 und 178 Abs. 1 Nr. 2 der Zivilprozessordnung sind entsprechend anzuwenden auf die nach § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 9 zur Prozessvertretung zugelassenen Personen.
(3) Wer nicht im Inland wohnt, hat auf Verlangen einen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen.
(1) Die Beteiligten können vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht den Rechtsstreit selbst führen.
(2) Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Darüber hinaus sind als Bevollmächtigte vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht vertretungsbefugt nur
- 1.
Beschäftigte des Beteiligten oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes); Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen, - 2.
volljährige Familienangehörige (§ 15 der Abgabenordnung, § 11 des Lebenspartnerschaftsgesetzes), Personen mit Befähigung zum Richteramt und Streitgenossen, wenn die Vertretung nicht im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Tätigkeit steht, - 3.
Rentenberater im Umfang ihrer Befugnisse nach § 10 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2, auch in Verbindung mit Satz 2, des Rechtsdienstleistungsgesetzes, - 4.
Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer, Personen und Vereinigungen im Sinne der §§ 3a und 3c des Steuerberatungsgesetzes im Rahmen ihrer Befugnisse nach § 3a des Steuerberatungsgesetzes, zu beschränkter geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Steuersachen nach den §§ 3d und 3e des Steuerberatungsgesetzes berechtigte Personen im Rahmen dieser Befugnisse sowie Gesellschaften im Sinne des § 3 Satz 1 Nummer 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch Personen im Sinne des § 3 Satz 2 des Steuerberatungsgesetzes handeln, in Angelegenheiten nach den §§ 28h und 28p des Vierten Buches Sozialgesetzbuch, - 5.
selbständige Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung für ihre Mitglieder, - 6.
berufsständische Vereinigungen der Landwirtschaft für ihre Mitglieder, - 7.
Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder, - 8.
Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten, für ihre Mitglieder, - 9.
juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in den Nummern 5 bis 8 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
(3) Das Gericht weist Bevollmächtigte, die nicht nach Maßgabe des Absatzes 2 vertretungsbefugt sind, durch unanfechtbaren Beschluss zurück. Prozesshandlungen eines nicht vertretungsbefugten Bevollmächtigten und Zustellungen oder Mitteilungen an diesen Bevollmächtigten sind bis zu seiner Zurückweisung wirksam. Das Gericht kann den in Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 bezeichneten Bevollmächtigten durch unanfechtbaren Beschluss die weitere Vertretung untersagen, wenn sie nicht in der Lage sind, das Sach- und Streitverhältnis sachgerecht darzustellen. Satz 3 gilt nicht für Beschäftigte eines Sozialleistungsträgers oder eines Spitzenverbandes der Sozialversicherung.
(4) Vor dem Bundessozialgericht müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Als Bevollmächtigte sind außer den in Absatz 2 Satz 1 bezeichneten Personen nur die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 5 bis 9 bezeichneten Organisationen zugelassen. Diese müssen durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie private Pflegeversicherungsunternehmen können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Ein Beteiligter, der nach Maßgabe des Satzes 2 zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten; Satz 3 bleibt unberührt.
(5) Richter dürfen nicht als Bevollmächtigte vor dem Gericht auftreten, dem sie angehören. Ehrenamtliche Richter dürfen, außer in den Fällen des Absatzes 2 Satz 2 Nr. 1, nicht vor einem Spruchkörper auftreten, dem sie angehören. Absatz 3 Satz 1 und 2 gilt entsprechend.
(6) Die Vollmacht ist schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen. Sie kann nachgereicht werden; hierfür kann das Gericht eine Frist bestimmen. Bei Ehegatten oder Lebenspartnern und Verwandten in gerader Linie kann unterstellt werden, dass sie bevollmächtigt sind. Der Mangel der Vollmacht kann in jeder Lage des Verfahrens geltend gemacht werden. Das Gericht hat den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, sind die Zustellungen oder Mitteilungen des Gerichts an ihn zu richten. Im Übrigen gelten die §§ 81, 83 bis 86 der Zivilprozessordnung entsprechend.
(7) In der Verhandlung können die Beteiligten mit Beiständen erscheinen. Beistand kann sein, wer in Verfahren, in denen die Beteiligten den Rechtsstreit selbst führen können, als Bevollmächtigter zur Vertretung in der Verhandlung befugt ist. Das Gericht kann andere Personen als Beistand zulassen, wenn dies sachdienlich ist und hierfür nach den Umständen des Einzelfalls ein Bedürfnis besteht. Absatz 3 Satz 1 und 3 und Absatz 5 gelten entsprechend. Das von dem Beistand Vorgetragene gilt als von dem Beteiligten vorgebracht, soweit es nicht von diesem sofort widerrufen oder berichtigt wird.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Parteien streiten um nachehelichen Unterhalt.
- 2
- Die Ehe der Parteien wurde durch Verbundurteil des Amtsgerichts vom 23. Dezember 2004 (insoweit rechtskräftig) geschieden. Zugleich wurde der Antragsteller verurteilt, an die Antragsgegnerin ab Rechtskraft der Scheidung nachehelichen Unterhalt in Höhe von monatlich 1.067 € zu zahlen. Gegen diese Verurteilung legten die - am Oberlandesgericht zugelassenen - Rechtsanwälte A. & M. für den Antragsteller rechtzeitig Berufung ein und begründeten diese.
- 3
- Nachdem das Berufungsgericht Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt hatte, meldete sich Rechtsanwalt G. für den Antragsteller und teilte mit, diesen künftig zu vertreten. Die früheren Verfahrensbevollmächtigten A. & M. legten ihr Mandat nieder. Im Verhandlungstermin erschien Rechtsanwalt G. und erklärte, "er sei nicht beim Oberlandesgericht zugelassen und könne deshalb heute nicht verhandeln". Auf Antrag des Antragsgegnervertreters wurde die Be- rufung des Antragstellers durch Versäumnisurteil zurückgewiesen. Dieses Urteil wurde den früheren Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers, den Rechtsanwälten A. & M., am 1. Juni 2005 zugestellt. Am 6. Juni 2005 veranlasste die Geschäftsstelle eine weitere Zustellung des Versäumnisurteils an Rechtsanwalt G., der das Versäumnisurteil am 11. Juni 2005 erhielt. Nachdem Rechtsanwalt G. am 24. Juni 2005 als Rechtsanwalt am Oberlandesgericht zugelassen worden war, legte er am (Montag) 27. Juni 2005 Einspruch gegen das Versäumnisurteil ein.
- 4
- Mit dem angefochtenen Urteil hat das Oberlandesgericht den Einspruch als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die - vom Berufungsgericht zugelassene - Revision des Antragstellers.
Entscheidungsgründe:
- 5
- Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet.
I.
- 6
- Das Berufungsgericht hat den Einspruch des Antragstellers gegen das - seine Berufung zurückweisende - Versäumnisurteil als unzulässig verworfen. Die zweiwöchige Einspruchsfrist habe nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bereits mit Zustellung des Versäumnisurteils an die früheren Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers begonnen. Im Anwaltsprozess erlange die Kündigung der Vollmacht nach § 87 Abs. 1 ZPO dem Gegner und dem Gericht gegenüber (vgl. Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO 27. Aufl. § 87 Rdn. 6) erst durch die Anzeige der Bestellung eines anderen Anwalts rechtliche Wirksamkeit. Durch die Bestellung des Rechtsanwalts G. sei diese Folge aber noch nicht eingetreten, weil dieser seinerzeit nicht als Rechtsanwalt am Oberlandesgericht zugelassen gewesen sei. Damit folge der Senat der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach die Postulationsfähigkeit eines Rechtsanwalts bei einem Gericht Prozesshandlungsvoraussetzung sei und zum Zeitpunkt der Vornahme der Prozesshandlung gegeben sein müsse. Die Bestellung des Rechtsanwalts G. sei deswegen mangels Postulationsfähigkeit noch nicht wirksam gewesen, so dass die Vollmacht der früheren Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers fortgedauert habe. Das Versäumnisurteil sei somit am 1. Juni 2005 wirksam an diese zugestellt worden. Dass im Rubrum des Versäumnisurteils Rechtsanwalt G. aufgeführt gewesen sei und dass das Versäumnisurteil später auch ihm zugestellt worden sei, ändere an der Wirksamkeit der Zustellung an die früheren Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers nichts. Der durch Rechtsanwalt G. am 27. Juni 2005 eingelegte Einspruch sei deswegen verspätet und somit unzulässig.
- 7
- Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, weil die Frage, ob für die Wirksamkeit der Bestellung eines neuen Verfahrensbevollmächtigten dessen Postulationsfähigkeit gegeben sein müsse, "in Rechtsprechung und Literatur durchaus auch verneint oder offen gelassen worden" sei.
II.
- 8
- Die angefochtene Entscheidung hält den Angriffen der Revision stand. Das Berufungsgericht hat den Einspruch zu Recht als unzulässig verworfen, weil dieser nicht innerhalb der zweiwöchigen Einspruchsfrist des § 339 Abs. 1 ZPO eingegangen ist.
- 9
- 1. Die Einspruchsfrist gegen ein Versäumnisurteil des Berufungsgerichts beginnt nach § 539 Abs. 3 i.V.m. § 339 Abs. 1 2. Halbs. ZPO mit Zustellung des Versäumnisurteils. Eine solche wirksame Zustellung ist hier am 1. Juni 2005 an die früher bevollmächtigten Rechtsanwälte des Antragstellers A. & M. erfolgt.
- 10
- Nach § 172 Abs. 1 ZPO hat die Zustellung in einem anhängigen Verfahren , auch soweit es um die Zustellung eines Versäumnisurteils geht, an den für den Rechtszug bestellten Verfahrensbevollmächtigten zu erfolgen. Die Rechtsanwälte A. & M. hatten den Antragsteller im Berufungsverfahren vertreten sowie die Berufung eingelegt und diese begründet. An der Prozessvollmacht für diese Rechtsanwälte hat sich für den Gegner und das Gericht zunächst weder durch die Bestellung des Rechtsanwalts G. als neuer Verfahrensbevollmächtigter des Antragstellers mit Schriftsatz vom 23. Mai 2005 noch durch die Niederlegung des Mandats durch die Rechtsanwälte A. & M. vom 25. Mai 2005 etwas geändert.
- 11
- Nach § 87 Abs. 1 1. Halbs. ZPO gilt eine Vollmacht grundsätzlich bis zur Anzeige ihres Erlöschens als fortbestehend. Im Anwaltsprozess - wie hier nach § 78 Abs. 1 Satz 2 ZPO vor dem Oberlandesgericht - erlangt die Kündigung einer Vollmacht nach § 87 Abs. 1 2. Halbs. ZPO erst dann rechtliche Wirksamkeit , wenn die Bestellung eines neuen Verfahrensbevollmächtigten angezeigt wird. Dies setzt allerdings voraus, dass der neue Rechtsanwalt auch in der Lage ist, die Partei rechtswirksam zu vertreten. Der neu bestellte Verfahrensbevollmächtigte muss mithin für das betreffende Verfahren postulationsfähig sein (BAG AP Nr. 36 zu § 11 ArbGG 1953; BGH, Beschluss vom 22. Mai 1984 - III ZB 31/83 - MDR 1985, 30). Diese Postulationsfähigkeit des neu bevoll- mächtigten Rechtsanwalts ist Prozesshandlungsvoraussetzung und muss deswegen schon im Zeitpunkt der Zustellung des Versäumnisurteils gegeben sein (vgl. BGH, Urteil vom 11. Oktober 2005 - XI ZR 398/04 - NJW 2005, 3773). Eine erst später erlangte Postulationsfähigkeit wirkt somit nicht auf den Zeitpunkt einer früheren Prozesshandlung zurück.
- 12
- 2. Danach hatten die Bestellung des Rechtsanwalts G. und die Niederlegung des Mandats durch die Rechtsanwälte A. & M. zunächst keine Auswirkung auf die Wirksamkeit der letzteren erteilten Prozessvollmacht. Rechtsanwalt G. ist erst zum 24. Juni 2005 als Rechtsanwalt am Oberlandesgericht zugelassen worden und auch erst ab diesem Zeitpunkt postulationsfähig gewesen. Vor diesem Zeitpunkt, also auch noch bei Zustellung des Versäumnisurteils am 1. Juni 2005, waren weiterhin die früher bevollmächtigten Rechtsanwälte A. & M. zustellungsbevollmächtigt. Somit war die Zustellung an diese Rechtsanwälte am 1. Juni 2005 nach § 172 Abs. 1 ZPO wirksam. Die zweiwöchige Einspruchsfrist nach § 339 Abs. 1 ZPO lief deswegen am 15. Juni 2005 ab. In diesem Zeitpunkt war der Einspruch des Antragstellers aber weder eingelegt noch begründet. Den erst später eingegangenen Einspruch hat das Berufungsgericht deswegen zu Recht nach § 539 Abs. 3 i.V.m. § 341 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig verworfen.
- 13
- 3. Entgegen der Rechtsauffassung des Antragstellers war ihm auch nicht von Amts wegen (§ 236 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbs. ZPO) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist zu bewilligen. Denn der anwaltlich vertretene Antragsteller hat die Einspruchsfrist nicht ohne Verschulden versäumt (§ 85 Abs. 2 ZPO). Im Hinblick auf die zitierte Rechtsprechung musste er von einer wirksamen Zustellung an die Rechtsanwälte A. & M. am 1. Juni 2005 ausgehen, obwohl Rechtsanwalt G. als sein Verfahrensbevollmächtigter im Versäumnisurteil aufgeführt war und diesem das Versäumnisur- teil am 11. Juni 2005 ebenfalls zugestellt worden ist. Entsprechend haben die Rechtsanwälte A. & M. den Antragsteller ausweislich ihrer Stellungnahme vom 7. Oktober 2005 nach Erhalt des Versäumnisurteils schriftlich auf dessen Zustellung und den Fristablauf am 15. Juni 2005 hingewiesen.
Vorinstanzen:
AG Mülheim an der Ruhr, Entscheidung vom 23.12.2004 - 28 F 91/04 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 22.02.2006 - II-8 UF 30/05 -
(1) Auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten ist das Verfahren fortzuführen, wenn
- 1.
ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und - 2.
das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
(2) Die Rüge ist innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Rüge ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.
(3) Den übrigen Beteiligten ist, soweit erforderlich, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
(4) Ist die Rüge nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Form oder Frist erhoben, so ist sie als unzulässig zu verwerfen. Ist die Rüge unbegründet, weist das Gericht sie zurück. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden.
(5) Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies aufgrund der Rüge geboten ist. Das Verfahren wird in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. In schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können. Für den Ausspruch des Gerichts ist § 343 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden.
(6) § 175 Satz 3 ist entsprechend anzuwenden.
Tenor
Es wird festgestellt, dass das anwaltsgerichtliche Verfahren Anwaltsgericht Köln 10 EV 202/08 unangemessen lange gedauert hat.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreites werden dem Kläger zu ¼ und dem beklagten Land zu ¾ auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
T a t b e s t a n d :
2Der Kläger macht Entschädigung wegen (seiner Ansicht nach) überlanger Dauer des bei dem Anwaltsgericht Köln unter dem Aktenzeichen 10 EV 202/08 geführten anwaltsgerichtlichen Verfahren geltend.
3Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
4Dem Kläger war durch die Anwaltskammer vorgeworfen worden, er habe gegen das Verbot der Umgehung des Gegenanwaltes verstoßen. Sie hatte durch Bescheid vom 10.09.2007 eine entsprechende Rüge („Missbilligung“) ausgesprochen. Gegen diesen Bescheid hatte der Kläger remonstriert. Durch Widerspruchsbescheid vom 22.04.2008 wurde der Widerspruch des Klägers durch die Rechtsanwaltskammer zurückgewiesen.
5Der Kläger stellte am 25.04.2008, eingegangen am 30.04.2008, Antrag auf anwaltsgerichtliche Entscheidung gegen die beiden og. Bescheide (Aktenzeichen 10 EV 202/08).
6Nachdem die Verwaltungsvorgänge beigezogen worden waren und dem Anwaltsgericht vorlagen, beantragte die Rechtsanwaltskammer mit einem am 21.05.2008 eingegangenen Schriftsatz die Antragszurückweisung.
7Auf seine Bitte sah der Kläger auf der Geschäftsstelle des Anwaltsgerichtes die Akte ein.
8Am 16.07.2008 wies das Anwaltsgericht den Vorstand der Anwaltskammer darauf hin, dass über den Antrag des Klägers beraten worden sei, jedoch noch eine Gegenerklärung gemäß § 74 a Abs. 2 Satz 3 BRAO fehle.
9Am 23.07.2007 kündigte die Rechtsanwaltskammer an, intern beraten zu wollen.
10Nachdem wechselseitig jeweils Stellungnahmen der Verfahrensbeteiligten eingegangen waren, wurde dem Kläger durch das Anwaltsgericht – unter Gewährung von rechtlichem Gehör - angezeigt, dass der Vorsitzende der nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständigen III. Kammer, Rechtsanwalt Prof. Dr. N, Sozius des Rechtsanwaltes C sei, der an den angegriffenen Bescheiden in zentraler Form mitgewirkt habe. Nachdem von Seiten des Klägers mit Schriftsatz vom 11.09.2008 erwidert worden war, dass er keinen Grund der Befangenheit sehe, wurde schließlich das Selbstablehnungsgesuch des Vorsitzenden Rechtsanwalt Prof. Dr. N zurückgewiesen.
11Es wurde am 12.01.2009 Termin zur mündlichen Verhandlung am 11.02.2009 bestimmt, alle am Verfahren Beteiligten wurden geladen.
12Am 04.02.2009 verfügte der Vorsitzende Rechtsanwalt Prof. Dr. N die Terminsaufhebung, da klägerseits kein Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung gestellt worden sei. Mit Fax vom 04.02.2009 stellte der Kläger daraufhin ausdrücklich einen entsprechenden Terminantrag, dem jedoch das Anwaltsgericht keine Beachtung schenkte: Ohne mündliche Verhandlung wies die III. Kammer des Amtsgerichtes Köln (in der Besetzung Rechtsanwalt Prof. Dr. N als Vorsitzender, Rechtsanwalt C2 als stellvertretender Vorsitzender und Rechtsanwalt Dr. B als Berichterstatter) am 01.07.2009 den Antrag des Klägers vom 25.04.2008 auf gerichtliche Entscheidung zurück. Dieser Beschluss wurde unter dem 27.07.2009 nebst einem erlassenen Kostenfestsetzungsbeschluss an den Kläger übersandt. Am 04.08.2009 vollzog der Kläger das Empfangsbekenntnis.
13Mit Schreiben vom 05.08.2009 legte der Kläger gegen den Beschluss vom 21.07.2009 Beschwerde bzw. gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 21.07.2009 Erinnerung ein. Zugleich lehnte er die Richter Prof. Dr. N, Dr. B und C2 wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Am 07.08.2009 leitete das Anwaltsgericht das Schreiben vom 05.08.2009 an die Richter weiter. Am 10.08.2009, eingegangen beim Anwaltsgericht am 11.08.2009, forderte Prof. Dr. N von dort die Verfahrensakte zur Einsicht an. Am 31.08.2009, beim Anwaltsgericht eingegangen am 03.09.2009, leitete Rechtsanwalt Prof. Dr. N die ihm übersandte Verfahrensakte an das Anwaltsgericht zurück mit der Bitte, dem Kläger ein von ihm verfasstes Schreiben zuzuleiten, was dann auch geschah. In diesem Schreiben vom 31.08.2009 erläuterte u.a. Rechtsanwalt Prof. Dr. N, dass er den Antrag des Klägers vom 04.02.2009 auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung übersehen habe, gleichwohl könne nach seiner Auffassung der Beschluss vom 01.07.2009 nicht mehr aufgehoben werden, da er unanfechtbar geworden sei.
14Der Kläger erhob daraufhin am 09.09.2009 gemäß § 116 BRAO i. V. m. § 33 a StPO Gehörsrüge und stellte einen erneuten Befangenheitsantrag gegen Rechtsanwalt Prof. Dr. N, welcher an diesen übermittelt wurde.
15Nachdem der Kläger ab 12.09.2009 weiter schriftsätzlich zur Sache vorgetragen hatte, beschloss das Anwaltsgericht – III. Kammer – (Besetzung N, C2 und B) unter dem 30.10.2009, dass das Verfahren unter Aufhebung des Beschlusses vom 01.07.2009 in die vorherige Lage zurückversetzt werde. Die Beschlussausfertigung wurde dem Kläger (ihm zugestellt am 15.01.2010) übersandt.
16Am 11.01.2010 wurde die Akte dem Vorsitzenden der IV. Kammer (Vertreterkammer unter dem Vorsitz von Rechtsanwalt T), der u.a. auf die Einholung von dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter N, C2 und B hinwirkte, übersandt und gelangte von diesem am 21.01.2010 wieder in den Geschäftsgang zurück, wo sie am 29.01.2010 (der Kläger hatte an diesem Tag erneute Ablehnungsgesuche gegen die Richter N, B und C2 gestellt) dem zuständigen Berichterstatter Rechtsanwalt S zwecks Fertigung eines Beschlussentwurfes zugeleitet wurde und im Februar 2010 von dort auch wieder zurückgelangte.
17Am 19.02.2010 ging die dienstliche Äußerung von Rechtsanwalt Prof. Dr. N ein, ebenfalls ging dann die dienstliche Äußerung von Rechtsanwalt Dr. B ein, datiert vom 01.03.2010. Die dienstliche Äußerung des weiteren Richters Rechtsanwalt C2 stand noch aus; das Anwaltsgericht erinnerte diesen am 09.04.2010 an die Abgabe der dienstlichen Äußerung.
18Nachdem der Kläger am 14.06.2010 beim Anwaltsgericht den Sachstand angefragt und Dienstaufsichtsbeschwerde beim Justizministerium unter dem 02.09.2010 sowie Untätigkeitsbeschwerde beim Anwaltsgericht am 03.09.2010 eingelegt hatte, übersandte schließlich Rechtsanwalt C2 am 07.09.2010 seine dienstliche Äußerung. Am 09.09.2010 übersandte Rechtsanwalt Prof. Dr. N eine weitere dienstliche Erklärung.
19Das Anwaltsgericht wies mit Beschluss vom 17.11.2010 die Befangenheitsgesuche des Klägers vom 05.08.2009, 09.09.2009 und vom 29.01.2010 zurück.
20Hiergegen legte der Kläger am 27.11.2010 sofortige Beschwerde ein, die das Anwaltsgericht am 20.12.2010 dem Anwaltsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen vorlegte.
21Am 06.05.2011 hob der Anwaltsgerichtshof den angefochtenen Beschluss teilweise auf: Die Befangenheitsgesuche des Klägers vom 09.09.2009 und vom 29.01.2010 wurden für begründet erklärt. Bezüglich des Befangenheitsgesuchs vom 05.08.2009 bestätigte er den angefochtenen Entscheid (Befangenheitsgesuch vom 05.08.2009 ist unzulässig) und wies die sofortige Beschwerde in diesem Punkt zurück.
22Nachdem die Kosten für das Beschwerdeverfahren festgesetzt worden waren, gelangte die Akte am 30.09.2011 zum Anwaltsgericht zurück, wobei der Kläger schon mit an das Anwaltsgericht gerichtete Schreiben vom 18.06.2011 auf die alsbaldige Anberaumung eines mündlichen Verhandlungstermins gedrungen hatte. Ohne dass terminiert worden wäre, wurde die Verfahrensakte am 19.10.2011 zunächst Rechtsanwalt Prof. Dr. N zur Kenntnisnahme des Beschlusses des Anwaltsgerichtshofes vom 06.05.2011 übersandt. Nachdem sie am 26.10.2011 von dort zurückgelangt war und dem Kläger – auf sein Gesuch - am 07.11.2011 auf der Geschäftsstelle Gelegenheit zur Akteneinsicht gegeben worden war, wurde sie am 30.11.2011 an Rechtsanwalt S, ebenfalls zur Kenntnisnahme des Beschlusses des Anwaltsgerichtshofes vom 06.05.2011, übersandt; am 05.12.2012 wurde sie von dort zurückgereicht.
23Mit Schreiben 27.12.2011 (Bl. 65 – 66 GA) wandte sich der Kläger an den Präsidenten des Oberlandesgerichtes Köln. Das Schreiben wurde dem Anwaltsgericht zur Stellungnahme übermittelt und am 09.01.2012 von dort auch Rechtsanwalt S übersandt, der am 06.02.2012 die ihm überlassene Verfahrensakte an das Anwaltsgericht zurückreichte.
24Auf Anforderung des Präsidenten des Oberlandesgerichtes wurde die Akte am 11.05.2012 an diesen versandt. Von dort gelangte sie wieder am 01.06.2012 zurück.
25Am 27.05.2012 wandte sich der Kläger erneut an den Präsidenten des Oberlandesgerichtes Köln.
26Nachdem am 26.06.2012 Rechtsanwalt S als nunmehriger Vorsitzender der IV. Kammer (Vertreterkammer) verfügt hatte, dem Kläger die dienstlichen Äußerungen der vom Kläger schon zuvor abgelehnten Richter (N, B, C2) erneut bekannt zu geben, lehnte dieser am 01.07.2012 Rechtsanwalt S wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Am 10.07.2012 gab Rechtsanwalt S eine dienstliche Äußerung ab und die Akte wurde Rechtsanwalt C3 als stellvertretendem Vorsitzenden der 4. Kammer am 11.07.2012 vorgelegt. Auf eine entsprechende Selbstanzeige des Rechtsanwaltes Dr. X, die dem Kläger unter Fristsetzung zur Stellungnahme übersandt worden war, wurde Rechtsanwalt Dr. X schließlich durch Kammerbeschluss vom 16.08.2012 wegen Besorgnis der Befangenheit von seinen Pflichten entbunden.
27Am 21.08.2012 entschied schließlich das Anwaltsgericht, den Befangenheitsantrag vom 01.07.2012 gegen Rechtsanwalt S zurückzuweisen. Gegen diesen am 31.08.2012 zugestellten Beschluss, legte der Kläger am 03.09.2012 Beschwerde ein, über die nicht entschieden wurde. Telefonisch wurde dem Kläger von Rechtsanwalt C3 mitgeteilt, dass Rechtsanwalt S längere Zeit dienstunfähig erkrankt sei, die Kammer werde daher ohne ihn in der „derzeitigen zuständigen Besetzung“ entscheiden.
28Der Präsident des Oberlandesgerichtes Köln wandte sich mit Schreiben vom 06.09.2012 (Bl. 21GA) an den Kläger.
29Durch Beschluss vom 20.09.2012 (Bl. 57 GA, Anlage K 5), und zwar in der Besetzung C3, K und L, wurde das Verfahren schließlich gemäß § 116 BRAO in Verbindung mit § 153 StPO eingestellt.
30Am 30.01.2013 wandte sich schließlich der Präsident des Oberlandesgerichtes Köln erneut an den Kläger, dies abschließend unter Hinweis darauf, dass er keine Veranlassung sehe, weitere Maßnahmen zu ergreifen (Bl. 31 GA, Anlage K 2).
31Der Kläger begehrt die Zahlung einer Entschädigung für die – nach seiner Ansicht – nach den Umständen überlange Dauer des Verfahrens, dies auch unter Verweis darauf, dass das Verfahren doppelt so lange gedauert habe, und zwar bezogen auf die nach den Tätigkeitsberichten der RAK Köln zu errechnenden, im statistischen Mittel längsten dortigen Verfahren.
32Der Kläger beantragt,
33das beklagte Land zu verurteilen, an ihn gemäß § 198 Abs. 1 Abs. 2 GVG aufgrund der Verfahrensverzögerungen im Verfahren des Anwaltsgerichts für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer Köln 10 EV 202/08 eine Entschädigung in Höhe von mindestens 1.200,00 € zuzüglich 5 Prozentpunkten Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
34hilfsweise festzustellen, dass das anwaltsgerichtliche Verfahren unangemessen lang gedauert hat.
35Das beklagte Land beantragt,
36die Klage abzuweisen.
37Es ist der Ansicht, der Kläger habe nicht ausreichend zur Unangemessenheit der Verfahrensdauer im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG vorgetragen, er habe nur den (nicht zu bestreitenden) Gang des anwaltsgerichtlichen Verfahren nachgezeichnet, ohne im Einzelnen darzulegen, welche Handlungen bzw. Maßnahmen des Gerichts, ggfls. zu welchem Zeitpunkt geboten gewesen wären und welche Verzögerungen durch welche Unterlassung entstanden seien. Soweit der Kläger die Unangemessenheit der Verfahrensdauer aus der Dauer des Verfahrens herleite, so seien die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, wobei die Besonderheiten des anwaltsgerichtlichen Verfahrens nicht außer Betracht gelassen werden könnten, da die Mitglieder des Anwaltsgerichts im Hauptberuf Rechtsanwälte und gemäß § 95 Abs. 1 BRAO ehrenamtliche Richter seien, deren Kanzleien sich naturgemäß an verschiedenen Standorten befinden würden. Ferner sei zu berücksichtigen, dass die Dauer des Verfahrens durch („wenn auch überwiegend berechtigte“) Eingaben des Klägers erheblich beeinflusst worden sei. Im Übrigen sei eine Entschädigung nach § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG nur dann zu beanspruchen, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise ausreiche. Im Hinblick auf die geringe Bedeutung des anwaltsgerichtlichen Verfahrens für den Kläger, es sei um einen eher geringfügigeren Verstoß gegen § 12 BRAO gegangen, sei eine Wiedergutmachung auf andere Weise, etwa durch die Feststellung des Senats, dass die Verfahrensdauer unangemessen gewesen sei, ausreichend. Letztlich stehe dem Entschädigungsbegehren die Vorschrift des § 198 Abs. 3 GVG i. V. m. Artikel 23 des am 03.12.2011 in Kraft getretenen Gesetzes über den Rechtschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren entgegen; dem Gesetz entsprechende Verzögerungsrügen gegenüber dem Anwaltsgericht seien nicht erhoben worden.
38Die Akte Anwaltsgericht Köln 10 EV 202/08 ist beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.
39E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
40Die Klage ist teilweise begründet. Eine Entschädigung kann der Kläger nicht verlangen, wohl ist gemäß § 198 Abs. 4 GVG (§ 112g BRAO) die überlange Dauer des anwaltsgerichtlichen Verfahren festzustellen.
41Im Einzelnen:
42Das anwaltsgerichtliche Verfahren - 10 EV 202/08 – hat überlang im Sinne von § 198 GVG (§112g BRAO) gedauert.
43Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG (§ 112g BRAO) wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG (§ 112g BRAO) nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und der Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Verfahrensverzögerungen, die durch den Entschädigungskläger selbst verursacht worden sind, können im Grundsatz keine Unangemessenheit der Verfahrensdauer begründen (OLG Frankfurt, Urteil vom 10.07.2013 EntV 3/13 juris Rdnr. 35).
44Von einer generellen zeitlichen Festlegung, ab wann ein Verfahren angemessen lange dauert, hat der Gesetzgeber bewusst abgesehen, weil die Zügigkeit eines Verfahrens kein absoluter Wert ist, sondern stets im Zusammenspiel mit den übrigen Verfahrensgrundsätzen und dem Interesse des Gerichts an einer gründlichen Bearbeitung zu sehen ist (vgl. Bundestagsdrucksache 17/3802, Seite 18). Für einen schlüssigen Klagevortrag kann demzufolge allein die Gegenüberstellung einer aufgrund von statistischen Erhebungen als regelmäßig anzusehenden Verfahrensdauer mit der tatsächlichen Verfahrensdauer nicht ausreichen (vgl. OLG Frankfurt Urteil vom 10.07.2013 – EntV 3/13 zitiert nach juris Rdnr. 35, OLG Köln Urteil vom 21.03.2013 7 SchH 5/12 juris Rdnr. 13 ). Denn es kommt immer auf die Umstände des Einzelfalles an. Bei der dabei anzustellenden Gesamtschau ist anderseits aber auch immer die tatsächliche Gesamtdauer zu würdigen, die als Gradmesser maßgeblich in Beziehung zur Bedeutung des Rechtsstreites für den Entschädigungskläger zu sehen ist. Es ist also stets zu prüfen, ob einzelne verzögerte Verfahrensabschnitte im weiteren Verlauf durch einen zügigen Fortgang des Verfahrens kompensiert worden sind und sich die Länge des Verfahrens bei Gesamtbetrachtung insgesamt als nicht unangemessen darstellt (OLG Frankfurt Urteil vom 10.07.2013 EntV 3/13 Rdnr. 37). Maßstab ist dabei die verfassungsrechtlich relevante Verletzung des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz. Dieser Anspruch ist verletzt, wenn die festgestellten Verzögerungen die Schlussfolgerung „auf die generelle Vernachlässigung von Grundrechten“ oder „eine grobe Verkennung des grundrechtlichen Schutzes“ oder „einen geradezu leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen“ zulässt oder „rechtsstaatliche Grundsätze durch die Verzögerung krass“ verletzt werden. Eine das Verfahren verzögernde richterliche Bearbeitung ist daher erst dann entschädigungsrechtlich relevant, wenn bei voller Berücksichtigung auch der Belange einer funktionierende Rechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist (so zu Recht OLG Frankfurt, Urteil vom 10.07.2013 EntV 3/13 Rdnr. 35).
45Diese Grundsätze gelten in Hinblick auf § 112g BRAO auch für das anwaltsgerichtliche Verfahren. Dabei sind auch dessen Besonderheiten bei der Gesamtschau der Umstände des Einzelfalles in Betracht zu ziehen, beispielsweise, dass sich die ehrenamtlichen Richter des Anwaltsgerichtes regelmäßig nicht am Gerichtstandort aufhalten, ohne dass es gerechtfertigt ist, allein wegen des ehrenamtlichen Charakters der Tätigkeit generell einen niedrigeren Standard als bei Berufsrichtern anzulegen, dies im Hinblick auf die Forderung, Gerichtsverfahren zügig, da dem Rechtsstaatsprinzip geschuldet, zu fördern.
46Unter Anwendung dieser Grundsätze ist das insgesamt über einen Zeitraum vom 30.04.2008 bis 20.09.2012, also weit mehr als 4 Jahre dauernde Anwaltsgerichtsverfahren, dessen Gang im wesentlichen zwischen den Parteien unstreitig ist, auch mit Rücksicht auf die Bedeutung des gegen den Kläger erhobenen und mit einer „Missbilligung“ sanktionierten Vorwurfes, gegen das Verbot der Umgehung des Gegenanwaltes verstoßen zu haben, als überlang anzusehen.
47Insbesondere ist für das Zwischenverfahren, in dem es um die Befangenheitsgesuche des Klägers gegen die Richter N, B und C2 ging, festzuhalten, dass eine konkrete Phase der Verzögerung vorgelegen hat, die nicht mehr durch prozessordnungsgemäße Abläufe erklärbar ist. Denn das Anwaltsgericht wies erst mit Beschluss vom 17.11.2010 die Befangenheitsgesuche des Klägers vom 05.08.2009, 09.09.2009 und vom 29.01.2010 zurück, und zwar wesentlich dadurch bedingt, dass die zuletzt noch ausstehende dienstliche Äußerung des Beisitzers Rechtsanwalt C2 erst am 07.09.2010, und damit evident viel zu spät abgegeben wurde.
48Darüber hinaus kam es im weiteren Verlauf erneut zu einer unangemessenen Verzögerung, die zu einer überlangen Verfahrensdauer beigetragen hat: Denn nachdem die Akten vom Anwaltsgerichtshof am 30.09.2011 zum Anwaltsgericht zurückgelangt waren, wurde von diesem das weitere Verfahren unverständlicherweise nicht weiter gefördert, obgleich der Kläger schon mit Schreiben vom 18.06.2011 auf die alsbaldige Anberaumung eines mündlichen Verhandlungstermins gedrungen hatte. Ohne dass verfahrensfördernde bzw. verfahrensbeschleunigende Maßnahmen, wozu im Hinblick auf die schon jetzt eingetreten gerichtseitig verursachte Verzögerung aller Anlass bestanden hätte, ergriffen worden wären, wurde die Verfahrensakte am 19.10.2011 zunächst Rechtsanwalt Prof. Dr. N zur Kenntnisnahme des Beschlusses des Anwaltsgerichtshofes vom 06.05.2011 übersandt. Nachdem sie am 26.10.2011 von dort zurückgelangt war und dem Kläger – auf sein Gesuch – am 07.11.2011 auf der Geschäftsstelle Gelegenheit zur Akteneinsicht gegeben worden war, wurde sie am 30.11.2011 an Rechtsanwalt S, ebenfalls zur Kenntnisnahme des Beschlusses des Anwaltsgerichtshofes vom 06.05.2011, übersandt und am 05.12.2012 („nach Fertigung eines ergänzenden Skans“) von dort zurückgereicht, ohne dass weiteres in der Sache zeitnah veranlasst wurde. Ganz im Gegenteil verfügte am 26.06.2012 Rechtsanwalt S als nunmehriger Vorsitzender der IV. Kammer (Vertreterkammer), dem Kläger die dienstlichen Äußerung der vom Kläger schon zuvor abgelehnten Richter erneut bekannt zu geben. Dies geschah evident sachwidrig, da die entsprechenden dienstlichen Äußerungen schon übersandt worden waren und sich die ihnen zugrundeliegenden Befangenheitsgesuche des Klägers längst erledigt hatten, da am 06.05.2011 der Anwaltsgerichtshof hierüber entschieden hatte.
49Danach hat das anwaltsgerichtliche Verfahren überlang in Sinne des § 198 GVG gedauert, ohne dass die entstandenen Verzögerungen in der Folge durch eine beschleunigte Bearbeitung ausgeglichen worden sind. Am 21.08.2012 entschied das Anwaltsgericht, den Befangenheitsantrag vom 01.07.2012 gegen Rechtsanwalt S zurückzuweisen, also in angemessener Zeit, ohne nun besonders beschleunigt tätig geworden zu sein. Gegen diesen am 31.08.2012 zugestellten Beschluss legte der Kläger am 03.09.2012 Beschwerde ein, die aber prozessual überholt wurde durch den Beschluss vom 20.09.2012, durch den das Verfahren schließlich gemäß § 116 BRAO in Verbindung mit § 153 StPO (vgl. zur rechtlichen Zulässigkeit: BVerfG Beschluss vom 10.11.1964 2 BvL 14/61 NJW 1965, 291 ff, 292 rechte Spalte unter 3 b]cc] sowie Kleine-Cosack 6.Aufl. § 116 BRAO Seite 477) eingestellt wurde.
50Durch diese überlange Verfahrensdauer hat der Kläger auch kausal einen Nachteil erlitten, und zwar in Hinblick auf das zugrundeliegende Ausgangsverfahren immaterieller Art: Berufsrechtlich bestand gegenüber dem Kläger das Verdikt der von der Anwaltskammer ausgesprochenen „Missbilligung“. Es gilt also die beklagtenseits unwiderlegte Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG.
51Ob dem Kläger in diesem Zusammenhang eine Entschädigung zusteht, begegnet jedoch bereits in Hinblick auf Art 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG bzw. 198 Abs. 3 Satz 1 GVG bezogen auf die hier maßgeblichen zwei Verzögerungsstadien – den Zeitraum vom 05.08.2009 bis 17.11.2010 und den Zeitraum vom 30.09.2011 bis 30.06.2012 – Bedenken.
52Nach § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG erhält nämlich ein Verfahrensbeteiligter nur dann Entschädigung, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Nach Artikel 23 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜberlVfRSshG) gilt § 198 Abs. 3 des Gerichtsverfassungsgesetz mit der Maßgabe, dass bei anhängigen Verfahren, die bei Inkrafttreten des Gesetzes schon verzögert sind, die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss. Nach Art. 24 ÜberlVfRSshG trat das Gesetz am Tag nach seiner Verkündung in Kraft. Das Gesetz wurde am 02.12.2011 im Bundesgesetzblatt verkündet und ist damit am 03.12.2011 in Kraft getreten.
53Bezogen auf den ersten Zeitraum ist die Verzögerung schon vor Inkrafttreten des Gesetzes am 03.12.2011 eingetreten, so dass diesbezügliche Entschädigungsansprüche nur dann begründet sein könnten, wenn der Kläger unverzüglich nach Inkrafttreten des Gesetzes eine Verzögerungsrüge erhoben hätte. Dabei stellt die hierzu bisher ergangene obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 15.12.2012 – 23 SchH 1/12 -; OLG Karlsruhe, Urteil vom 03.05.2013 – 23 SchH 1/13 Entv, 23 SchH 1/13; Hanseatisches Oberlandesgericht, Urteil vom 04.07.2013 – 1 SchH 10/12 -; OLG Bremen, Urteil vom 04.07.2013 1 SchH 10/12 -EntV – MDR 2013, 1033-1034) zum großen Teil darauf ab, dass die Unverzüglichkeit als „ohne schuldhaftes Zögern“ analog der Grundsätze des § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB zu bemessen ist. Frühere Beanstandungen der Verfahrensdauer stehen einer derartigen Verzögerungsrüge nicht gleich.
54Eine solche Verzögerungsrüge ist jedoch vom Kläger zeitnah nicht erhoben worden, auch wenn er sich mit Schreiben vom 27.12 2011 (Bl. 65 - 66 d. A.) an den Präsidenten des Oberlandesgerichts Köln wandte und dieses Schreiben schließlich auch an das Anwaltsgericht gelangte.
55Denn gemäß § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG ist die Verzögerungsrüge an das Gericht zu richten, bei dem das verzögerte Verfahren zum Rügezeitpunkt anhängig ist. Danach wäre hier die Verzögerungsrüge an das Anwaltsgericht zu richten gewesen. Zweck dieser gesetzlichen Regelung ist, dass die Verzögerungsrüge dem bearbeitenden Richter als Vorwarnung dient und ihm die Möglichkeit zu einer beschleunigten Verfahrensförderung eröffnet. Daneben soll die Obliegenheit zur Verzögerungsrüge im Ausgangsverfahren gegenüber dem Betroffenen einen Ausschluss der Möglichkeit zum „Dulde und Liquidiere“ bewirken (vgl. Steinbeiß-Winkelmann-Ott/Bearbeiter Ott „Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren“ 2013, § 198 GVG Rn. 173 und 174). Abzugrenzen ist demgegenüber die Verzögerungsrüge von der Dienstaufsichtsbeschwerde. Die Dienstaufsicht besteht in der personalrechtlichen Aufsicht über die Pflichterfüllung der Amtswalter im Innenverhältnis zu ihrem Dienstherrn und wird allein im öffentlichen Interesse wahrgenommen. Der Einzelne hat keinen Rechtsanspruch auf ein Eingreifen der Dienstaufsichtsbehörde, sondern nur auf Mitteilung über die Art der Erledigung seiner Beschwerde, so dass regelmäßig eine Umdeutung der Dienstaufsichtsbeschwerde in eine Verzögerungsrüge nicht möglich ist (vgl. Steinbeiß-Winkelmann-Ott/Bearbeiter Ott, § 198 GVG Rn. 178).
56Bei dem Schreiben des Klägers vom 27.12.2011 handelt es sich aber nach dem Wortlaut wie auch nach der im Schreiben zum Ausdruck gekommenen Intention nicht um eine Verzögerungsrüge, sondern um eine auf die Dienstaufsicht bezogene Beschwerde. Ausdrücklich bittet der Kläger den Präsidenten des Oberlandesgerichts Köln „als Dienstvorgesetzter der Richter des Anwaltsgerichts“ die Vertreterkammer daran zu erinnern, dass die Sachen beschleunigt zu bearbeiten seien und bezieht sich insoweit auf eine Mitteilung des Präsidenten, wonach aus dessen Sicht es zu Verzögerungen bei der Bearbeitung gekommen sei. Es schließt damit, dass der Kläger es „begrüßen“ würde, wenn der Präsident des Oberlandesgerichts sich dafür einsetzen könne, dass eine mündliche Verhandlung über die Sache anberaumt werde.
57Für den weiteren relevanten Zeitraum (30.09.2011 – Ende Juni 2012) ist auf Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG nicht abzustellen, da zum Zeitpunkt des Inkrafttretens am 03.12.2011 die am 30.09.2011 beginnende und über den 03.12.2011 bis Juni 2012 laufende Verzögerung noch nicht vollendet war, wohl auf § 193 Abs. 3 GVG, so dass der Kläger jedenfalls spätestens im Juni/Juli 2012 (da zu diesem Zeitpunkt Anlass zu der Besorgnis bestand, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen werden kann - vgl. Steinbeiß-Winkelmann-Ott/Bearbeiter Ott, § 198 GVG Rdnr. 188) erneut Verzögerungsrüge beim Anwaltsgericht hätte erheben müssen. Eine solche trägt der darlegungsbelastete Kläger indes nicht vor (zur Darlegungslast vgl. Steinbeiß-Winkelmann/Ott, § 198 GVG Rdnr. 188). Das in der Beiakte befindliche Schreiben vom 27.05.2012 (Bl. 398 – 400 BA), das der Kläger auch an die Geschäftsstelle des Anwaltsgerichtes „nachrichtlich“ zum Aktenzeichen 10 EV 358/10 (also ausdrücklich nicht zum streitgegenständlichen Verfahren - die Verbindung beider Verfahren erfolgte erst durch Beschluss vom 16.08.2012, Bl. 489 BA) übermittelte (Bl. 397 BA), ist keine Verzögerungsrüge im Sinne des Gesetzes, da hierdurch gleichfalls, wie schon zuvor, nur eine Eingabe im Rahmen der Dienstaufsicht gegenüber dem Präsidenten des Oberlandesgerichtes erhoben wurde. Dies geht nicht zuletzt auch aus dem handschriftlichen Übersendungsvermerk des Klägers an die Geschäftsstelle des Anwaltsgerichtes hervor („Dienstaufsicht“ „Bitte nehmen Sie diesen Vorgang zur Verfahrensakte 10 EV 358/10“).
58Das Befangenheitsgesuch vom 01.07.2012 (Bl. 430 ff. BA) reicht als solches ebenfalls nicht, auch wenn der Kläger in ihm ausführt (Bl. 432 BA), der abgelehnte Richter fördere das Verfahren nicht, obgleich die Akte „vom Anwaltsgerichtshof bereits vor über achten Monaten an das Anwaltsgericht retourniert wurde“, er habe bereits mit einer „Verzögerungsrüge“, die er zur Akte gereicht habe und die dem abgelehnten Richter bekannt sei, sich ergebnislos an die Justizverwaltung gewandt (Bl. 431 BA), er habe per Fax am 28.12.2011 (gemeint ist wohl das Schreiben vom 27.12.2011) „Verzögerungsrüge“ „gem. § 198 GVG“ an das Oberlandesgericht gesandt. Denn dies alles wird in dem Gesuch nur ausgeführt, um die Besorgnis der Befangenheit näher zu belegen. Nach dem Gesetzeszweck soll aber die Verzögerungsrüge dem bearbeitenden Richter als Vorwarnung dienen und ihm die Möglichkeit zu einer beschleunigten Verfahrensförderung eröffnen. Mit dem Befangenheitsgesuch ist demgegenüber der Ausschluss des bearbeitenden Richters durch die Partei bezweckt.
59Letztlich kann dies dahinstehen.
60Gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG kann bei immateriellen Nachteilen Entschädigung nur dann verlangt werden, wenn Wiedergutmachung auf andere Weise nicht erfolgen kann. Eines besonderen Antrages bedarf es gemäß § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG hierfür nicht. Damit ist auch die Feststellung trotz fehlenden Entschädigungsanspruchs gemäß § 198 Absatz Satz 3 2. Halbsatz GVG dem Entschädigungsgericht möglich, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind. Es werden also auch die Fälle erfasst, in denen Entschädigung nicht beansprucht werden kann, weil die Verzögerungsrüge des Absatzes 3 (in Verbindung mit Artikel 23) nicht erhoben wurde. Trotz der diesbezüglich anzunehmenden Obliegenheitsverletzung des Betroffenen kann also eine – allerdings in das Ermessen des Entschädigungsgerichtes gestellte – Feststellung ausgesprochen werden, die angezeigt sein kann, wenn unter Würdigung der Gesamtumstände eine bloße Klageabweisung unbillig erscheint (vgl. Steinbeiß-Winkelmann-Ott/Bearbeiter Ott § 198 GVG Rz. 168).
61Ein solcher Fall ist hier zu bejahen. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass dem durch die Verzögerung dem Kläger verursachten Nachteil immaterieller Art (Berufsrechtlich bestand gegenüber dem Kläger das Verdikt der von der Anwaltskammer ausgesprochenen „Missbilligung“, da das vom Kläger in Hinblick auf § 74a BRAO angestrengte Verfahren auf gerichtliche Entscheidung zögerlich durchgeführt wurde) in Hinblick auf § 74 BRAO eine eher untergeordnete Bedeutung zukommt. Zudem hat der Kläger selbst im hiesigen Klageverfahren – etwa durch Schriftsatz vom 14.06.2013 (Bl. 98 ff. GA) - zu erkennen gegeben, dass es ihm „eigentlich“ um die Feststellung der überlangen Verfahrensdauer geht („Es geht mir mit dem vorliegenden Verfahren weniger darum, mich konkret an der Landeskasse zu bereichern, sondern um die veröffentlichungsfähige Feststellung, die sich freilich auch ohne Ausurteilung eines konkreten Schadensersatzbetrages treffen lässt, dass mir mit dieser Verfahrensdauer Unrecht angetan wurde..“). In Anbetracht dessen erscheint es ausreichend, dem Kläger durch die Feststellung der überlangen Verfahrensdauer - wie geschehen – Genugtuung zukommen zu lassen. Der Feststellungsausspruch ist aber auch unabdingbar erforderlich, um den durch die überlange Dauer erlittenen Nachteil des Klägers „wiedergutzumachen“. Zwar ist in diesem Zusammenhang nicht zu verkennen, dass der Präsident des Oberlandesgerichts gemäß Schreiben vom 24.11.2010 Az. 3170 E-R-2(7) (Bl. 280 – 281 BA) ausgeführt hat, der Petent, also der Kläger, bemängele zu Recht, dass es zu Verzögerungen bei der Bearbeitung gekommen sei, wobei ursächlich hierfür gewesen sei, dass ein Mitglied der dritten Kammer des Anwaltsgerichts Köln nicht zeitnah die von ihm erbetene dienstliche Äußerung abgegeben habe. Ferner heißt es zum Schluss dieses Schreiben: „Die Ihnen hierdurch entstandenen Unannehmlichkeiten bedauere ich und bitte diese ausdrücklich zu entschuldigen. Ich habe insofern das Erforderliche veranlasst“. Es spricht weiter viel dafür, dass eine Wiedergutmachung in anderer Weise im Sinne von § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG auch – wenn auch nicht unbestritten (etwa Marx/Roderfeld „Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Ermittlungsverfahren“, § 198 Rdnr. 89) - durch dienstrechtliche Maßnahmen (vgl. Steinbeiß-Winkelmann/Ott, § 198 GVG Rdnr. 160) oder auch etwa durch eine Entschuldigung bzw. Aussprache des Gerichtspräsidenten (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 71. Aufl., § 198 GVG Rn. 28) geschehen kann. Letztlich kann auch dies hier dahinstehen, da das Schreiben des Präsidenten des Oberlandesgerichtes vom 24.11.2010 sich nicht auf den weiteren als relevant anzusehenden Zeitraum bezieht und die in den Akten befindlichen Kopien der weiteren Schreiben des Präsident des Oberlandesgerichtes (vgl. Schreiben vom 06.09.2012, Bl. 21 GA, bzw. vom 30.01.2013, Bl. 31 GA) insoweit nicht ausreichend erscheinen. Der Präsident des Oberlandeslandesgericht hat nämlich im Schreiben vom 30.01.2013, - nach Verfahrensabschluss im Ausgangsverfahren – vielmehr ausdrücklich darauf verwiesen, er sehe keine Veranlassung, weitere Maßnahmen zu ergreifen.
62Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 201 Abs. 4 GVG. Danach entspricht es billigen Ermessen, den Kläger kostenmäßig zu belasten, da sein Entschädigungsbegehren fehl geht. In Anbetracht des Umstandes, dass der Zahlungsantrag des Klägers mit dem Mindestbetrag von 1.200,00 € beziffert war, ist aber von einem überwiegenden Obsiegen auf Klägerseite in Hinblick auf den Feststellungsausspruch auszugehen, das der Senat mit ¾ veranschlagt hat.
63Die Entscheidung über die die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 11, 713 ZPO (§ 201 Abs. 2 Satz 1 GVG). Es wird in diesem Zusammenhang auf die Ausführungen des Bundesgerichtshofes im Beschluss vom 25.07.2013 – III ZR 413/12 – zitiert nach juris - verwiesen.
64Es besteht kein Anlass, die Revision zuzulassen (§ 543 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 201 Abs. 2 Satz 3 GVG). Die Voraussetzungen liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung.
65Streitwert: 1.250,00 €