Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 227/09
vom
12. November 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12. November
2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Athing,
Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
Dr. Franke
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
Rechtsanwältin
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Siegen vom 1. Dezember 2008 wird verworfen. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil
a) im Schuldspruch hinsichtlich der Tat III 1 der Urteilsgründe ,
b) im gesamten Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Münster zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen wenden sich die Angeklagte und - zu ihren Ungunsten - die Staatsanwaltschaft mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestütz- ten Revisionen; die Angeklagte erhebt darüber hinaus eine Verfahrensrüge. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrem Rechtsmittel, dass das Landgericht im Fall III 1 der Urteilsgründe nicht von einem Totschlag durch aktives Tun sowie dass es bei beiden Taten von minder schweren Fällen des Totschlags (§ 213 2. Alt. StGB) ausgegangen ist.

I.


2
Das Landgericht hat festgestellt:
3
Die Angeklagte brachte in der Zeit von 1984 bis 2004 sechs eheliche Kinder lebend zur Welt. Drei Entbindungen (in den Jahren 1984, 1985 und 1990) erfolgten im Krankenhaus, in das sie sich von ihrem Ehemann jeweils unmittelbar vor dem Geburtsbeginn hatte bringen lassen. Dreimal (in den Jahren 1986, 1988 - Tat III 1 - und 2004 - Tat III 2) kam es zu ungewollten Schwangerschaften , die die Angeklagte nicht nur vor ihrer Familie und ihren Bekannten, sondern auch vor ihrem Ehemann verheimlichte. Sie gebar diese Kinder heimlich und, obwohl ihr Ehemann im Hause war, ohne fremde Hilfe im Badezimmer. Die Kinder waren lebensfähig, verstarben jedoch kurz nach ihrer Geburt, weil ihnen nicht die erforderliche Fürsorge entgegengebracht wurde.
4
Im Jahre 1986 brachte die Angeklagte das Kind unter der laufenden Dusche zur Welt. Beim Durchtrennen der Nabelschnur bemerkte sie, dass das Kind leblos war, und glaubte, es sei während der Geburt verstorben. Tatsächlich war das lebend geborene Kind dadurch erstickt, dass Duschwasser in seine Lunge gelangt war. Die Angeklagte berichtete niemandem von dem Tod des Kindes, an dem sie sich wegen der heimlich durchgeführten Geburt schuldig fühlte. Sie begann, zur Bekämpfung dieser Schuldgefühle abends regelmäßig Bier zu trinken.
5
Diesen Alkoholkonsum stellte sie auch nicht ein, als sie im Jahre 1988 wieder ungewollt schwanger wurde, obwohl ihr die schädlichen Auswirkungen auf das ungeborene Kind bekannt waren. Als nachts die Wehen einsetzten, entschloss sie sich, ihren Mann davon nicht zu informieren und das Kind in der Duschwanne allein zur Welt zu bringen. Mit dem Risiko, dass es dabei wiederum zum Tod des Neugeborenen kommen könnte, fand sie sich ab. Als der Geburtsvorgang ins Stocken geriet, zog die Angeklagte "panisch" an dem bereits herausgetretenen Kopf des Kindes, bis dieses samt Mutterkuchen austrat. Dabei glitt ihr das Kind aus den Händen und fiel zu Boden, wobei es einen Schrei ausstieß. Beim Aufheben des Kindes rutschte die Angeklagte auf dem vom Fruchtwasser nassen Fliesenboden aus und stürzte auf ihr Gesäß. In dieser Stellung verharrend hielt sie das Kind, das sie bei dem Sturz "reflexartig schützend" an sich genommen hatte, einige Minuten lang so fest an sich gedrückt, dass es erstickte. Auch diesmal verheimlichte sie den Tod des Kindes. Ihre Schuldgefühle steigerten sich weiter, was dazu führte, dass sie verstärkt auch schon tagsüber Alkohol zu sich nahm.
6
Während der Schwangerschaft mit ihrem 1990 geborenen "Wunschkind" verzichtete sie allerdings auf den Konsum von Alkohol. Danach setzte sie ihren Alkoholmissbrauch fort und steigerte ihn sogar noch, indem sie auch hochprozentige Alkoholika trank.
7
Diese Gewohnheit behielt sie während ihrer nächsten - ungewollten - Schwangerschaft bei. Als sich im Spätsommer/Herbst 2004 Zeichen der beginnenden Geburt zeigten, entschloss sie sich erneut zu einer - wie sie wusste, risikobehafteten - Alleingeburt. Sie war bereits alkoholisiert und begab sich unter Mitnahme einer Tasse Jägermeister-Cola in das im Dachgeschoss gelegene Badezimmer. Während der Wehen legte sie sich in die mit heißem Wasser gefüllte Badewanne, wo sie infolge der hohen Wassertemperatur und ihrer Blutalkoholkonzentration von etwa 1 ‰ vorübergehend das Bewusstsein verlor. Nach der in der Badewanne erfolgten Geburt legte sie das Kind auf ihren Bauch, danach wurde sie erneut bewusstlos. Als sie wieder erwachte, war das Neugeborene verstorben, weil es während des Geburtsverlaufs Fruchtwasser eingeatmet und auf Grund einer Blutalkoholkonzentration von 0,52 ‰ unter einer Anpassungsstörung gelitten hatte. Diese wäre bei einer sofortigen adäquaten Versorgung durch einen Arzt oder Geburtshelfer gut beherrschbar gewesen. Auch dieses Geschehen hielt die Angeklagte geheim und legte die Leiche zu den beiden anderen toten Kindern in die Tiefkühltruhe, wo sie bis zu ihrer Entdeckung im Jahre 2008 verblieben.

II.


8
Revision der Angeklagten
9
Die Revision der Angeklagten erweist sich als unbegründet.
10
1. Die von ihr erhobene Verfahrensrüge hat aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen keinen Erfolg.
11
2. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Sachrüge hat keinen die Angeklagte belastenden Rechtsfehler ergeben.
12
a) Dies gilt zunächst insoweit, als das Landgericht im Fall III 1 der Urteilsgründe einen Totschlag durch Unterlassen angenommen hat.
13
Die Garantenstellung der Angeklagten gegenüber ihrem Kind ergab sich aus ihrer Stellung als Mutter. Damit traf sie vom Einsetzen der Geburtswehen an (vgl. Weigend in LK 12. Aufl. § 13 Rdn. 26) die Verpflichtung, diejenigen Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um das Leben des Kindes zu erhalten (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 1955 - 2 StR 102/55; Urteil vom 29. April 1969 - 1 StR 49/69, GA 1970, 86).
14
Da die Schwangerschaft problemlos verlaufen war, musste die Angeklagte nicht mit einem erhöhten gesundheitlichen Risiko für das Kind während der Geburt rechnen. Eine Hausgeburt wäre daher nicht von vornherein pflichtwidrig gewesen. Die Angeklagte hatte sich aber nicht nur zu einer solchen, sondern auch dazu entschlossen, das Kind heimlich und ohne fremde Hilfe im Badezimmer zur Welt zu bringen, obwohl bereits ein unter derartigen Umständen geborenes Kind zu Tode gekommen war.
15
Es kann dahinstehen, ob, wie das Landgericht meint, eine werdende Mutter stets verpflichtet ist, sich für die Geburt fremder Hilfe zu vergewissern. Die Annahme einer solchen Handlungsverpflichtung ohne Bezug zu einer konkreten , mit der Geburt einhergehenden Gefahr erscheint sehr weit gehend. Eine Verpflichtung zur Inanspruchnahme von Hilfe bei der Geburt wird aber immer dann anzunehmen sein, wenn es für die Schwangere im Hinblick auf bekannte Vorerkrankungen oder sonstige Risiken absehbar ist, dass bei der Geburt Gefahren für Leib oder Leben des Kindes entstehen können.
16
Die Angeklagte traf die Pflicht, einen für das Kind möglichst sicheren Geburtsverlauf und die erforderliche Erstversorgung des Neugeborenen sicherzustellen. Zu Recht geht das Landgericht davon aus, dass die Angeklagte gegen diese Pflicht verstoßen hat, indem sie ihr Kind im Badezimmer und nicht in einer schützenden Umgebung, etwa im Bett, zur Welt brachte. Wie der tatsächliche Verlauf der Geburt zeigt, war das Neugeborene dadurch erheblichen Gefährdungen ausgesetzt: Erst fiel das Kind auf den gefliesten Boden, dann stürzte die Angeklagte mit dem Kind im Arm. Auf Grund ihres durch den äußerst schmerzhaften Geburtsvorgang beeinträchtigten Zustands war die Angeklagte nicht in der Lage, ihr Kind vor diesen Gefahren zu bewahren.
17
Zwar waren nicht diese Stürze todesursächlich, sondern das mehrminütige Ansichpressen des Kindes durch die Angeklagte. Dieses aktive Tun unterbricht aber dann nicht in relevanter Weise den Kausalzusammenhang, wenn man - wie es das Landgericht zugunsten der Angeklagten getan hat - unterstellt , dass das Ansichpressen nicht mit Tötungsvorsatz geschah, sondern lediglich aus Unachtsamkeit der noch von den Anstrengungen der Geburt beeinträchtigten Angeklagten erfolgte. Eine solche Fehlreaktion im unmittelbaren Anschluss an die Geburt liegt noch innerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Vorhersehbaren. Sie wäre vermieden worden, wenn die Angeklagte ihrer Garantenpflicht entsprechend für einen möglichst sicheren Geburtsverlauf gesorgt hätte.
18
Da die Angeklagte sich nach den Feststellungen damit abgefunden hatte, dass es auch diesmal wieder auf Grund der von ihr gewählten Art und Weise der Entbindung zum Tod des Kindes kommen werde [UA 9], ist auch der bedingte Tötungsvorsatz hinsichtlich des konkret eingetretenen Erfolges belegt.
19
b) Die Verurteilung im Fall III 2 der Urteilsgründe weist ebenfalls keinen die Angeklagte belastenden Rechtsfehler auf.
20
In diesem Fall ergab sich die Garantenstellung der Angeklagten nicht nur aus ihrer Eigenschaft als Mutter, sondern auch aus schädigendem Vorverhalten. Der Angeklagten war bewusst, dass wegen ihres erheblichen und regelmäßigen Alkoholkonsums während der Schwangerschaft und der weiteren Alkoholaufnahme unmittelbar vor der Geburt besondere gesundheitliche Risiken für das Kind bestanden. Sie war daher, wie sie wusste, verpflichtet, die Geburt nicht ohne ärztlichen Beistand durchzuführen. Die unterlassene Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe war kausal für den Tod des Neugeborenen, da der Sauerstoffmangel , an dem das Kind durch eine Anpassungsstörung und die akute Alkoholisierung gestorben ist, bei zeitnaher ärztlicher Betreuung hätte behoben werden können.
21
3. Schließlich ist aus Rechtsgründen auch nicht zu beanstanden, dass das sachverständig beratene Landgericht eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit der Angeklagten bei Begehung beider Taten trotz der bei ihr vorliegenden Persönlichkeitsstörung vom ängstlich-vermeidenden Typ (ICD-10 F 60.6) verneint hat. Die Diagnose "Persönlichkeitsstörung" lässt für sich genommen eine Aussage über die Frage der Schuldfähigkeit des Täters nicht zu. Es bedarf vielmehr einer Gesamtschau, ob die Störung in ihrer Gesamtheit das Leben des Täters vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen belastet wie eine krankhafte seelische Störung. Eine solche hat das Landgericht vorgenommen.

III.


22
Revision der Staatsanwaltschaft
23
1. Mit Erfolg wendet sich die Staatsanwaltschaft dagegen, dass das Landgericht im Fall III 1 der Urteilsgründe ohne nähere Erläuterung davon ausgegangen ist, die Angeklagte habe bei dem zum Ersticken führenden festen Ansichpressen des Kindes nur fahrlässig gehandelt.
24
Die Beweiswürdigung des Landgerichts weist insoweit Lücken auf, denn sie lässt wesentliche Aspekte unerörtert, die für ein vorsätzliches Handeln sprechen können: Zunächst hätte sich das Landgericht damit auseinandersetzen müssen, ob davon ausgegangen werden kann, dass einer erfahrenen Mutter wie der Angeklagten nicht bewusst ist, dass ein dessen Atmung behinderndes Ansichpressen eines Neugeborenen über mehrere Minuten zu seinem Tod führen kann. Vor allem hätte das Gericht das Gesamtverhalten der Angeklagten während der Schwangerschaft in den Blick nehmen müssen, zumal sich dieses deutlich von demjenigen unterschied, welches die Angeklagte während der Schwangerschaft mit den drei überlebenden Kindern gezeigt hatte. Anders als bei diesen stellte sie diesmal ihren Alkoholkonsum während der Schwangerschaft nicht ein, obwohl ihr die schädlichen Folgen für das Kind bekannt waren. Sie hielt die Schwangerschaft sogar vor ihrem Ehemann geheim, was allein zur Vermeidung ärztlicher Untersuchungen, gegen die sie eine Abneigung hatte, nicht zu erklären ist, da ihr Ehemann sie auch bei den offenbarten Schwangerschaften nicht dazu angehalten hatte. Zur Entbindung ließ sie sich diesmal nicht wie bei ihren "Wunschkindern" ins Krankenhaus bringen, sondern nahm die Strapazen einer heimlichen Hausgeburt ohne jeden Beistand auf sich. Allein aus ihrer ängstlich-vermeidend geprägten Persönlichkeitsstruktur erscheint dies nicht verständlich, zumal die Angeklagte die Existenz eines weiteren lebenden Kindes vor ihrem Ehemann ohnehin nicht hätte verheimlichen können.
25
Die Sache bedarf insoweit erneuter tatrichterlicher Würdigung.
26
Sollte das Gericht in der neuen Hauptverhandlung zu dem Ergebnis kommen, dass die Angeklagte den Tod des Neugeborenen vorsätzlich herbeigeführt hat, so wäre in diesem aktiven Tun der Schwerpunkt des strafrechtlich relevanten Verhaltens (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 17. August 1999 - 1 StR 390/99, NStZ 1999, 607; Urteil vom 14. März 2003 - 2 StR 239/02, BGHR StGB § 13 Abs. 1 Tun 3; vgl. auch Fischer StGB 56. Aufl. Rdn. 17 vor § 13 m.w.N.) zu sehen mit der Folge, dass von vornherein allein darauf und nicht auf die unterlassene Absicherung des Geburtsverlaufs abzustellen wäre.
27
2. Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall III 1 der Urteilsgründe führt zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs.
28
Zwar lässt die Strafrahmenwahl bezüglich der Tat III 2 der Urteilsgründe entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft für sich genommen Rechtsfehler nicht erkennen. Das Landgericht hat die wesentlichen Erschwernis- und Milderungsgründe gegeneinander abgewogen. Dabei hat es bedacht, dass das Vorliegen einer Wiederholungstat der Annahme eines minder schweren Falles des Totschlags grundsätzlich entgegenstehen kann, diese jedoch nicht zwingend ausschließt (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 2003 - 4 StR 296/03, NStZ-RR 2004, 80, 81 m.w.N.). Im Rahmen der erforderlichen tatrichterlichen Gesamtwürdigung hat es insbesondere den Zeitablauf von 16 Jahren zwischen beiden Taten sowie die Tatsache, dass die Angeklagte zur Tatzeit an einer massiven Alkoholkrankheit mit einem Abhängigkeitssyndrom litt, mildernd berücksichtigt.
Diese Wertung des Tatrichters ist vom Revisionsgericht hinzunehmen, auch wenn eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre.
29
Sollte die neu entscheidende Schwurgerichtskammer im Fall III 1 der Urteilsgründe aber zu einem Schuldspruch wegen durch aktives Tun begangenen Totschlags kommen, könnte sich dies auch auf die Strafzumessung im Fall III 2 der Urteilsgründe auswirken.

IV.


30
Auf Anregung der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO).
Tepperwien Athing Solin-Stojanović
Ernemann Franke

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 12. Nov. 2009 - 4 StR 227/09

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 12. Nov. 2009 - 4 StR 227/09

Anwälte

1 relevante Anwälte

1 Anwälte, die Artikel geschrieben haben, die diesen Urteil erwähnen

Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner


Wirtschaftsrecht / Existenzgründung / Insolvenzrecht / Gesellschaftsrecht / Strafrecht
EnglischDeutsch

Referenzen - Veröffentlichungen

Artikel schreiben

1 Veröffentlichung(en) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 12. Nov. 2009 - 4 StR 227/09.

1 Artikel zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 12. Nov. 2009 - 4 StR 227/09.

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Urteil, 12. Nov. 2009 - 4 StR 227/09 zitiert 3 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 354 Eigene Entscheidung in der Sache; Zurückverweisung


(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erört

Strafgesetzbuch - StGB | § 13 Begehen durch Unterlassen


(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichun

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Urteil, 12. Nov. 2009 - 4 StR 227/09 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Urteil, 12. Nov. 2009 - 4 StR 227/09 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 06. Nov. 2003 - 4 StR 296/03

bei uns veröffentlicht am 06.11.2003

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES Urteil 4 StR 296/03 vom 6. November 2003 in der Strafsache gegen wegen Totschlags u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. November 2003, an der teilgenommen haben: Vorsitzende
2 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 12. Nov. 2009 - 4 StR 227/09.

Bundesgerichtshof Urteil, 09. Feb. 2017 - 1 StR 415/16

bei uns veröffentlicht am 09.02.2017

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 415/16 vom 9. Februar 2017 in der Strafsache gegen wegen Totschlags ECLI:DE:BGH:2017:090217U1STR415.16.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung vom 8. Febru

Bundesgerichtshof Beschluss, 15. März 2016 - 5 StR 68/16

bei uns veröffentlicht am 15.03.2016

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 5 StR 68/16 (alt: 5 StR 296/14) vom 15. März 2016 in der Strafsache gegen wegen fahrlässiger Tötung ECLI:DE:BGH:2016:150316B5STR68.16.0 Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. März 2016 beschlossen: Die

Referenzen

(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.

(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 296/03
vom
6. November 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. November
2003, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Kuckein,
Richterin am Bundesgerichtshof
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Richter am Landgericht
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 6. Februar 2003 werden verworfen.
2. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die hierdurch der Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse. Die Angeklagte hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat die Angeklagte wegen der Tötung zweier von ihr geborener Säuglinge (Tatzeiten: 1997 und 2002) der Kindestötung und des Totschlags für schuldig befunden und gegen sie eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren (Einzelfreiheitsstrafen: zwei Jahre und sechs Monate und sieben Jahre) verhängt. Gegen dieses Urteil wenden sich die Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft, mit denen die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird. Die zu Ungunsten der Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, ist - wie die Revisionsbegründung deutlich macht – ungeachtet des umfassend gestellten Aufhebungsantrages wirksam auf den Strafausspruch beschränkt (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3). Beide Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
1. Die Revision der Angeklagten erweist sich als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, da die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge keinen Rechtsfehler zu ihrem Nachteil ergeben hat. Die Verneinung eines minder schweren Falles des Totschlags durch das Landgericht ist nicht zu beanstanden. Zwar kann nach Aufhebung des § 217 StGB a.F. die psychische Ausnahmesituation einer Mutter, die ihr eheliches oder nichteheliches Kind in oder gleich nach der Geburt tötet, durch die Anwendung des § 213 StGB Berücksichtigung finden (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung zum 6. StrRG BTDrucks. 13/8587 S. 34). Die Annahme eines minder schweren Falles ist jedoch in diesen Fällen entgegen der Auffassung der Revision nicht zwingend, sondern bedarf - wie auch sonst - einer Gesamtwürdigung. Eine solche hat das Landgericht unter sorgfältiger Abwägung der für und gegen die Angeklagte sprechenden Umstände vorgenommen und einen minder schweren Fall im Sinne des § 213 2. Alt. StGB insbesondere mit Blick darauf, daß es sich um eine Wiederholungstat handelt, rechtsfehlerfrei verneint.
2. Auch der Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie in erster Linie im Hinblick auf die 1997 begangene Tat die Annahme eines minder schweren Falles der Kindestötung (§ 217 Abs. 2 StGB a.F.) beanstandet und sich im übrigen gegen die Bemessung der wegen Totschlags verhängten Einzelstrafe (Freiheitsstrafe von sieben Jahren) sowie der Gesamtstrafe wendet, bleibt der Erfolg versagt. Die Höhe der verhängten Einzelstrafen und der Gesamtstrafe liegt jeweils im Bereich des dem Tatrichter bei der Strafzumessung einzuräumenden Beurteilungsspielraums. Ihre Bemessung läßt Rechtsfehler nicht erkennen , solche werden von der Beschwerdeführerin auch nicht aufgezeigt. Näherer Erörterung bedarf nur die Rüge der Verletzung des § 217 Abs. 2 StGB a.F..


a) Entscheidend für das Vorliegen eines minder schweren Falles ist, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem so erheblichen Maße abweicht, daß die Anwendung dieses Strafrahmens geboten erscheint. Für die Prüfung der Frage ist eine Gesamtbetrachtung erforderlich, bei der alle Umstände heranzuziehen und zu würdigen sind, die für die Wertung der Tat und des Täters in Betracht kommen, gleichgültig, ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen (st. Rsp., vgl. nur die Nachweise bei Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 46 Rdn. 85). Die Erschwernis- und Milderungsgründe auf diese Weise nach pflichtgemäßem Ermessen gegeneinander abzuwägen, ist Sache des Tatrichters. Seine Wertung ist vom Revisionsgericht nur begrenzt nachprüfbar. Weist sie keinen Rechtsfehler auf, ist sie deshalb auch dann hinzunehmen, wenn eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre oder vielleicht sogar näher gelegen hätte (BGHR StGB vor § 1/msF Gesamtwürdigung, fehlerfreie 1; BGH NStZ 1991, 529 jeweils mit weiteren Nachweisen).

b) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist die Annahme eines minder schweren Falls der Kindestötung rechtlich nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat seine Entscheidung aus einer Gesamtschau hergeleitet, in die die maßgeblichen Gesichtspunkte eingeflossen sind. Es hat hierbei zu Gunsten der Angeklagten namentlich ihr Geständnis, die bisherige Straflosigkeit, das Vorliegen die Tat begünstigender Persönlichkeitsauffälligkeiten sowie den Umstand berücksichtigt, daß sie aus einer Konfliktsituation heraus in einem – wenn auch nicht tiefgreifenden – Affekt handelte. Daß das Landgericht hierbei – wie die Revision meint – die Art und Weise der Tatausführung und das Ver-
halten der Angeklagten nach der Tat nicht im Blick gehabt haben könnte, steht nicht zu befürchten. Die Darlegung sämtlicher Erwägungen ist weder nötig noch möglich (BGHR StGB vor § 1/msF Gesamtwürdigung, fehlerfreie 3).

c) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin begründet die vom Landgericht vorgenommene Berücksichtigung einer Affektsituation auch keinen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB. Richtig ist zwar, daß durch die Privilegierung des § 217 StGB a.F. dem mit dem Geburtsvorgang gewöhnlich verbundenen besonderen Erregungszustand der nichtehelichen Mutter Rechnung getragen werden sollte (vgl. hierzu Jähnke in LK 10. Aufl. § 217 Rdn. 1 und 6). Zutreffend ist auch, daß das Verbot der Doppelverwertung über den Wortlaut des § 46 Abs. 3 StGB hinaus auch solche Umstände erfassen kann, die - ohne Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes zu sein – gerade den gesetzgeberischen Anlaß für seine Schaffung bildeten oder für die Tat typisch sind (vgl. hierzu etwa Stree in Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 46 Rdn. 45 a, 46 mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen). Ob und in welchem Umfang dies auch für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 217 Abs. 2 StGB a.F. gilt, bedarf hier jedoch keiner Entscheidung. Das Landgericht hat nämlich bei der Annahme eines minder schweren Falles ersichtlich nicht auf einen geburtsbedingten Erregungszustand der Angeklagten,
sondern auf eine durch ihre Persönlichkeitsauffälligkeiten und außergewöhnlichen Lebensverhältnisse verursachte besondere, als existentiell empfundene Konfliktsituation abgestellt. Dies ist unter keinem Gesichtspunkt zu beanstanden. ! " #%$ & ' ( ) * + , Ernemann Sost-Scheible

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.