Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Nov. 2012 - XII ZB 325/12

bei uns veröffentlicht am07.11.2012
vorgehend
Amtsgericht Bielefeld, 34 F 869/09, 11.10.2011
Oberlandesgericht Hamm, 1 UF 295/11, 26.04.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 325/12
vom
7. November 2012
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Die Berufung ist auch bei Falschbezeichnung der angefochtenen Entscheidung und
des statthaften Rechtsmittels in der Rechtsmittelfrist zulässig eingelegt, wenn das
Berufungsgericht sie vor Ablauf der Rechtsmittelfrist anhand der vorliegenden Akten
eindeutig zugeordnet hat.
BGH, Beschluss vom 7. November 2012 - XII ZB 325/12 - OLG Hamm
AG Bielefeld
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. November 2012 durch den
Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Weber-Monecke, Dr. Klinkhammer,
Schilling und Dr. Nedden-Boeger

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 1. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm vom 26. April 2012 aufgehoben. Dem Kläger wird gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Bielefeld vom 11. Oktober 2011 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Wert: 2.557 €

Gründe:

I.

1
Die Parteien sind rechtskräftig geschiedene Eheleute. Das Familiengericht hat der Abänderungsklage des unterhaltspflichtigen Klägers durch ein am 11. Oktober 2011 verkündetes Anerkenntnisteil- und Schlussurteil unter Zu- rückweisung seines weitergehenden Antrags teilweise stattgegeben. Das Urteil ist dem Kläger zu Händen seines Prozessbevollmächtigten am 19. Oktober 2011 zugestellt worden.
2
Mit einem an das Amtsgericht gerichteten Telefax vom 9. November 2011, ausweislich des Sendevermerks des Faxgeräts abgesandt am 10. November 2011 und bei der Geschäftsstelle des Amtsgerichts eingegangen am 14. November 2011, hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers unter Angabe des Kurzrubrums "B. ./. dto." sowie des erstinstanzlichen Aktenzeichens "gegen den Beschluss des Gerichts vom 04.11.2011" Beschwerde eingelegt, gleichzeitig um Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren nachgesucht und sich Antragstellung und Begründung einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten. Am selben Tag (14. November 2011) ist auch das Original dieses Schriftsatzes bei der erstinstanzlichen Posteingangsstelle eingegangen. Auf richterliche Verfügung hat das Amtsgericht die Rechtsmittelschrift nebst Akte an das Oberlandesgericht übersendet, wo beides am 18. November 2011 eingegangen ist.
3
Zwischenzeitlich hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit einem weiteren Telefax vom 9. November 2011, das ausweislich des Sendevermerks am 17. November 2011 um 18:20 Uhr abgesendet worden ist und ausweislich des Empfangsvermerks des Telefaxgeräts der amtsgerichtlichen Posteingangsstelle dort am Freitag, den 18. November 2011, um 6:22 Uhr eingegangen ist, auf seine eingelegte Beschwerde Bezug genommen und angegeben, dass es sich dabei um einen Schreibfehler gehandelt habe. Tatsächlich solle sich die Beschwerde gegen den "Beschluss vom 11.10.2011" richten. Dem Schreiben hat er eine entsprechend berichtigte Beschwerdeschrift beigefügt. Die Amtsrichterin hat am selben Tag die Weiterleitung an das Oberlandesgericht verfügt. Die Geschäftsstelle des Amtsgerichts hat die Verfügung am Montag, den 21. No- vember 2011 ausgeführt, dem Tag, an dem auch das Original des Schriftsatzes beim Amtsgericht eingegangen ist. Beides - Telefax und Original - ist am 23. November 2011 beim Oberlandesgericht eingegangen.
4
Mit Beschluss vom 20. Dezember 2011 hat das Oberlandesgericht dem Kläger Prozesskostenhilfe mit der Begründung verweigert, das Rechtsmittel sei in unzulässiger Weise eingelegt.
5
Mit einem weiteren, nicht unterzeichneten und auf den 14. Dezember 2011 datierten Telefax, welches nach dem Sendevermerk am 27. Dezember 2011 um 10:31 Uhr abgesendet worden und ausweislich des Empfangsberichts am selben Tag um 9:27 Uhr beim Oberlandesgericht eingegangen ist, hat der Kläger eine Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist um einen Monat beantragt. Den Antrag hat der Vorsitzende unter Hinweis auf die bereits am 19. Dezember 2011 abgelaufene Begründungsfrist abgelehnt.
6
Daraufhin hat der Kläger mit einem am 10. Januar 2012 als Telefax und am 12. Januar 2012 im Original eingegangenen Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch gegen die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt und das Rechtsmittel in der Sache begründet.
7
Das Oberlandesgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen und den Wiedereinsetzungsantrag abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

II.

8
Für das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht anzuwenden, weil der Rechtsstreit vor die- sem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 3. November 2010 - XII ZB 197/10 - FamRZ 2011, 100).
9
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), denn der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger in seinem Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes.
10
2. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt : Statthaftes Rechtsmittel gegen das angefochtene Urteil sei die Berufung , die innerhalb der Berufungsfrist beim Oberlandesgericht hätte eingehen müssen. Unerlässlich sei dabei die Bezeichnung des Urteils, gegen welches sich die Berufung richte, sowie die Erklärung, dass Berufung eingelegt werde. Zweifel oder Mehrdeutigkeiten könnten durch beigefügte Unterlagen oder andere Erklärungen, die das Rechtsmittelgericht noch innerhalb der Rechtmittelfrist erreichten, ausgeräumt werden, spätere "klarstellende" Parteierklärungen jedoch nicht berücksichtigt werden.
11
Hier habe der Klägervertreter das Datum der Zustellung nicht genannt und auch keine Abschrift der anzufechtenden Entscheidung eingereicht. Insbesondere habe er nicht "Berufung", sondern "Beschwerde" eingelegt, dies nicht gegenüber dem Rechtsmittelgericht getan, sondern gegenüber dem erstinstanzlichen Gericht und er habe die anzufechtende Entscheidung nicht als das am 11. Oktober 2011 verkündete Urteil, sondern als Beschluss vom 4. November 2011 bezeichnet und damit eine Entscheidung benannt, die im vorliegenden Verfahren als Prozesskostenhilfebeschluss tatsächlich - antragsgemäß - zu seinen Gunsten ergangen sei. Damit habe er die Formalien einer Beschwerde gegen die im Prozesskostenhilfeverfahren ergangene Entscheidung erfüllt. Die Erklärung sei ihrem Erklärungswert nach eindeutig und somit keiner Auslegung zugänglich. Immerhin sei auch der Kläger selbst der Auffassung, dass sein Rechtsmittel unzulässig war, andernfalls hätte er keine Klarstellung für erforderlich erachtet. Seine Klarstellung sei jedoch trotz unverzüglicher Weiterleitung durch das Amtsgericht erst nach Ablauf der Berufungsfrist beim Oberlandesgericht eingegangen und könne damit nicht mehr berücksichtigt werden. Die Berufung sei daher bereits nicht in zulässiger Weise eingelegt worden.
12
Zudem sei die Berufung nicht rechtzeitig begründet worden. Die Frist zur Berufungsbegründung habe am Montag, den 19. Dezember 2011 geendet. Bis zu dem Zeitpunkt habe dem Oberlandesgericht ein Verlängerungsantrag nicht vorgelegen.
13
Auch sei keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil der Kläger nicht glaubhaft gemacht habe, dass er die Fristen ohne Verschulden versäumt habe. Bei der Berufungseinlegung habe der Kläger nach Erkennen seines Irrtums mit der Absendung seines zweiten Telefaxes nicht bis zum Abend des 17. November zuwarten dürfen, weil er zu dem Zeitpunkt unter gewöhnlichen Umständen nicht mehr damit habe rechnen dürfen, dass das Schreiben so rechtzeitig an das Oberlandesgericht weitergeleitet werde, das es noch innerhalb der laufenden Berufungsfrist dort einginge. Hinsichtlich der versäumten Berufungsbegründungsfrist habe der Kläger sein fehlendes Verschulden nicht ausreichend glaubhaft gemacht, insbesondere auch nicht durch die eidesstattliche Versicherung der Kanzleiangestellten, sie habe den auf den 14. Dezember 2011 datierten und vom Prozessbevollmächtigten unterzeichneten "Berufungsfristverlängerungsantrag" am selben Tag eingetütet und frankiert in den regulären Postgang gegeben.
14
3. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Oberlandesgericht hat zu Unrecht dem Kläger die Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist versagt und seine Berufung verworfen.
15
a) Die gegen das erstinstanzliche Urteil statthafte Berufung ist rechtzeitig durch die innerhalb der Berufungsfrist beim Oberlandesgericht eingegangene erste Rechtsmittelschrift eingelegt worden. In der Rechtsmittelschrift waren sowohl das erstinstanzliche Aktenzeichen als auch das Kurzrubrum korrekt angegeben , so dass kein Zweifel bestand, welcher Rechtssache es zuzuordnen war. Auch war das Rechtsmittel von demselben Rechtsanwalt eingelegt worden, der den Kläger bereits in der Vorinstanz vertreten hatte, so dass durch einen Abgleich der Rechtsmittelschrift mit der beim Oberlandesgericht zeitgleich eingegangenen Akte nicht zweifelhaft sein konnte, für welche Partei das Rechtsmittel eingelegt war (vgl. BGH Beschluss vom 12. Januar 2010 - VIII ZB 64/09 - juris). Zwar waren in der Rechtsmittelschrift die angefochtene Entscheidung und das statthafte Rechtsmittel falsch bezeichnet; außerdem war sie unrichtiger Weise beim erstinstanzlichen Gericht statt beim Rechtsmittelgericht eingereicht worden. Hieraus konnte jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass der Kläger sich gegen den antragsgemäß zu seinen Gunsten und ratenfrei ergangenen Prozesskostenhilfebeschluss vom 4. November 2011 wenden wollte. Die Falschbezeichnungen in der Rechtsmittelschrift waren evident, weil der Kläger durch die Entscheidung vom 4. November 2011 offensichtlich nicht beschwert war. Außerdem hat der Kläger zugleich beantragt, ihm "Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren" zu bewilligen. Auch daraus wurde ersichtlich, dass sich das Rechtsmittel gegen eine Hauptsacheentscheidung - insoweit kam nur das Urteil vom 11. Oktober 2011 in Betracht - richten sollte. Die falsche Bezeichnung der Entscheidungsform ("Beschluss" statt "Urteil") und die falsche Einlegung des Rechtsmittels beim erstinstanzlichen Gericht mögen - wie auch das Oberlandesgericht in Betracht zieht - dadurch zu erklären sein, dass vom Klägervertreter übersehen wurde, dass hier noch ein Verfahren nach dem bis zum 31. August 2009 geltenden alten Verfahrensrecht vorliegt. Sie lassen daher ebenfalls keinen Schluss darauf zu, das Rechtsmittel habe sich nicht gegen die Hauptsacheentscheidung richten sollen. Tatsächlich hat auch das Oberlandesgericht das eingelegte Rechtsmittel von Beginn an als Berufung gegen die Hauptsacheentscheidung verstanden und es entsprechend behandelt. In der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts ist die Sache als Rechtsmittel gegen eine Hauptsacheentscheidung unter dem "UF"-Registerzeichen eingetragen worden und nicht - wie bei der Beschwerde gegen einen Prozesskostenhilfebeschluss - unter dem "WF"-Registerzeichen. Als angefochtene Entscheidung hat die Geschäftsstelle eingetragen: "gegen eine sonstige Entscheidung vom 11.10.11". Der Senatsvorsitzende des Oberlandesgerichts hat diese Angaben und die Aktenzeichenvergabe durch seine Eingangsverfügung vom 22. November 2011 bestätigt sowie als Gegenstand des Verfahrens die Rubrik "UF Berufung /Beschwerde Unterhalt f. d. Ehegatten / Lebenspartner" markiert und nicht die Rubrik "WF Sonstige Beschwerden VKH/PKH-Sache". Die damit verfügte Eintragung des Verfahrens als Rechtsmittel gegen die Hauptsacheentscheidung vom 11. Oktober 2011 spiegelt den - auch objektiv zutreffenden - Empfängerhorizont des Gerichts im Zeitpunkt des Eingangs der Sache wider, noch bevor erst am darauffolgenden Tag der "klarstellende" Schriftsatz beim Oberlandesgericht vorlag.
16
b) Gegen die versäumte Rechtsmittelbegründungsfrist hat das Oberlandesgericht zu Unrecht keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Nach ständiger Rechtsprechung stellt die Mittellosigkeit einer Partei einen Wiedereinsetzungsgrund i.S.v. § 233 ZPO dar, wenn sie die Ursache für die Fristversäumung ist. Das ist dann der Fall, wenn sich die Partei infolge der Mittellosigkeit außerstande sieht, einen Rechtsanwalt mit der Einlegung und Begründung ihres Rechtsmittels zu beauftragen (BGH Beschlüsse vom 16. November 2010 - VIII ZB 55/10 - NJW 2011, 230 Rn. 19 und vom 24. Juni 1999 - V ZB 19/99, NJW 1999, 3271 unter II 3 b cc). Im Regelfall wird vermutet, dass eine Partei bis zur Entscheidung über ihr Prozesskostenhilfegesuch so lange als schuldlos an der Fristwahrung gehindert anzusehen sei, wie sie nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit einer die Prozesskostenhilfe ablehnenden Entscheidung rechnen muss (BGH Beschluss vom 29. März 2012 - IV ZB 16/11 - NJW 2012, 2041 Rn. 16).
17
Legt eine mittellose Partei bereits mit dem Prozesskostenhilfeantrag Berufung ein, so ist ihr hinsichtlich der versäumten Berufungsbegründungsfrist - bei rechtzeitig nachgeholter Prozesshandlung - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn über den Prozesskostenhilfeantrag erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist entschieden wurde und sie die Berufung deshalb nicht rechtzeitig begründen konnte. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Berufungskläger sich für bedürftig halten durfte und aus seiner Sicht alles Erforderliche getan hatte, damit ohne Verzögerung über sein Prozesskostenhilfegesuch entschieden werden konnte (BGH Beschluss vom 8. Mai 2007 - VIII ZB 113/06 - WuM 2007, 396).
18
Im vorliegenden Fall ist die das Prozesskostenhilfegesuch ablehnende Entscheidung am 20. Dezember 2011 - somit nach Ablauf der Begründungsfrist - ergangen und dem Prozessbevollmächtigten am 27. Dezember 2011 zugestellt worden. Rechtzeitig innerhalb der Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO hat der Kläger den Wiedereinsetzungsantrag mit Schriftsatz vom 10. Januar 2012 gestellt und zugleich die versäumte Prozesshandlung der Rechtsmittelbegründung nachgeholt.
19
Auf die rechtzeitige Absendung des auf den 14. Dezember 2011 datierten Begründungsfristverlängerungsantrags kommt es danach nicht an.
Dose Weber-Monecke Klinkhammer Schilling Nedden-Boeger

Vorinstanzen:
AG Bielefeld, Entscheidung vom 11.10.2011 - 34 F 869/09 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 26.04.2012 - II-1 UF 295/11 -

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

Zivilprozessordnung - ZPO | § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss


(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

Zivilprozessordnung - ZPO | § 519 Berufungsschrift


(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt. (2) Die Berufungsschrift muss enthalten:1.die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;2.die Erklärung, dass gegen dieses Urtei

Zivilprozessordnung - ZPO | § 233 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand


War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wieder

Zivilprozessordnung - ZPO | § 517 Berufungsfrist


Die Berufungsfrist beträgt einen Monat; sie ist eine Notfrist und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 234 Wiedereinsetzungsfrist


(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschw

Zivilprozessordnung - ZPO | § 238 Verfahren bei Wiedereinsetzung


(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken. (2) A

FGG-Reformgesetz - FGG-RG | Art 111 Übergangsvorschrift


(1) Auf Verfahren, die bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit eingeleitet worden sind oder deren Einleitung bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Ref

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Die Berufungsfrist beträgt einen Monat; sie ist eine Notfrist und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.

(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt.

(2) Die Berufungsschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;
2.
die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.

(3) Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsschrift anzuwenden.

(1) Auf Verfahren, die bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit eingeleitet worden sind oder deren Einleitung bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit beantragt wurde, sind weiter die vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltenden Vorschriften anzuwenden. Auf Abänderungs-, Verlängerungs- und Aufhebungsverfahren finden die vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltenden Vorschriften Anwendung, wenn die Abänderungs-, Verlängerungs- und Aufhebungsverfahren bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit eingeleitet worden sind oder deren Einleitung bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit beantragt wurde.

(2) Jedes gerichtliche Verfahren, das mit einer Endentscheidung abgeschlossen wird, ist ein selbständiges Verfahren im Sinne des Absatzes 1 Satz 1.

(3) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 sind auf Verfahren in Familiensachen, die am 1. September 2009 ausgesetzt sind oder nach dem 1. September 2009 ausgesetzt werden oder deren Ruhen am 1. September 2009 angeordnet ist oder nach dem 1. September 2009 angeordnet wird, die nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltenden Vorschriften anzuwenden.

(4) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 sind auf Verfahren über den Versorgungsausgleich, die am 1. September 2009 vom Verbund abgetrennt sind oder nach dem 1. September 2009 abgetrennt werden, die nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltenden Vorschriften anzuwenden. Alle vom Verbund abgetrennten Folgesachen werden im Fall des Satzes 1 als selbständige Familiensachen fortgeführt.

(5) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 sind auf Verfahren über den Versorgungsausgleich, in denen am 31. August 2010 im ersten Rechtszug noch keine Endentscheidung erlassen wurde, sowie auf die mit solchen Verfahren im Verbund stehenden Scheidungs- und Folgesachen ab dem 1. September 2010 die nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltenden Vorschriften anzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 197/10
vom
3. November 2010
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Verfahren im Sinne des Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG ist nicht nur das Verfahren
bis zum Abschluss einer Instanz, sondern bei Einlegung eines
Rechtsmittels auch die mehrere Instanzen umfassende gerichtliche Tätigkeit
in einer Sache (im Anschluss an BGH Beschluss vom 1. März 2010
- II ZB 1/10 - FamRZ 2010, 639 sowie Senatsurteil vom 25. November 2009
- XII ZR 8/08 - FamRZ 2010, 192).

b) Auch bei einer in zulässiger Weise erhobenen Widerklage richtet sich das
nach Art. 111 Abs. 1 FGG-RG anwendbare Verfahrensrecht einheitlich nach
dem durch die Klage eingeleiteten Verfahren.

c) Der Rechtsirrtum eines Rechtsanwalts über das nach dem FGGReformgesetz
in Übergangsfällen anwendbare Verfahrensrecht ist jedenfalls
dann nicht unverschuldet, wenn er entgegen einer von der Mehrheit in der Literatur
und einer ersten veröffentlichten Entscheidung eines Oberlandesgerichts
vertretenen Rechtsansicht von der Anwendbarkeit des neuen Rechts
ausgeht.
BGH, Beschluss vom 3. November 2010 - XII ZB 197/10 - OLG Nürnberg
AG Nürnberg
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. November 2010 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Weber-Monecke,
Dr. Klinkhammer, Schilling und Dr. Günter

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 7. Zivilsenats und Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 11. Januar 2010 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen. Wert: 6.918 €

Gründe:


I.

1
Die Parteien sind getrenntlebende Eheleute. Der Kläger hat vor dem Amtsgericht Klage auf Abänderung (Herabsetzung) von Jugendamtsurkunden erhoben, die für den Unterhalt der gemeinsamen Kinder in Höhe von monatlich 61,2 % des Mindestunterhalts errichtet wurden. Die Beklagte hat als Prozessstandschafterin der Kinder Widerklage auf Zahlung von 100 % des Mindestunterhalts monatlich erhoben.
2
Das Amtsgericht hat durch das dem Kläger am 19. Oktober 2009 zugestellte Urteil die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Dagegen hat der Kläger "Beschwerde" eingelegt, die er beim Amtsgericht eingereicht hat. Das Rechtsmittel ist am 19. November 2009 (16.41 Uhr) beim Amtsgericht per Fax eingegangen und von diesem durch Verfügung vom 20. November 2009 an das Oberlandesgericht zuständigkeitshalber weitergeleitet worden, wo es am 24. November 2009 eingegangen ist.
3
Mit Verfügung vom 1. Dezember 2009 hat das Oberlandesgericht die Rechtsanwältin des Klägers auf die Statthaftigkeit der Berufung (statt der Beschwerde ) und die Versäumung der Berufungsfrist hingewiesen. Die auf den Hinweis zunächst gewährte Stellungnahmefrist hat es später bis zum 30. Dezember 2009 verlängert. Der Kläger hat sodann die Auffassung vertreten, dass das Rechtsmittelverfahren ein eigenständiges Verfahren sei und darauf das seit dem 1. September 2009 geltende neue Verfahrensrecht Anwendung finde. Das statthafte Rechtsmittel sei daher die Beschwerde, die rechtzeitig beim Amtsgericht eingelegt worden sei.
4
Das Oberlandesgericht hat das als Berufung umgedeutete Rechtsmittel des Klägers als unzulässig verworfen und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt. Dagegen richtet sich die vom Kläger eingelegte Rechtsbeschwerde.

II.

5
Die statthafte und wegen Grundsätzlichkeit zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
6
1. Das Oberlandesgericht hat die Auffassung vertreten, auf das Rechtsmittel sei nach Art. 111 Abs. 1 FGG-RG das bis August 2009 geltende Verfahrensrecht anzuwenden. Das richtige Rechtsmittel sei die Berufung gewesen und habe beim Oberlandesgericht eingelegt werden müssen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht bewilligt werden, weil die sie begrün- denden Tatsachen weder akten- oder offenkundig noch innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO dargelegt worden seien. Allein die Tatsache, dass das Rechtsmittel falsch bezeichnet und beim falschen Gericht eingereicht worden sei, reiche hierfür noch nicht aus.
7
2. Das hält hinsichtlich der Verwerfung der Berufung in vollem Umfang und im Hinblick auf die abgelehnte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Ergebnis der rechtlichen Nachprüfung stand.
8
a) Das Rechtsmittel war nur als Berufung statthaft und ist beim Oberlandesgericht erst nach Ablauf der Berufungsfrist gemäß § 517 ZPO eingegangen.
9
Auf das Rechtsmittel findet das bis zum 31. August 2009 geltende Verfahrensrecht Anwendung, was die Rechtsbeschwerde nicht verkennt. Für ein vor Inkrafttreten des FamFG am 1. September 2009 eingeleitetes Verfahren ist nach Art. 111 Abs. 1 FGG-RG auf das gesamte Verfahren bis zu seinem rechtskräftigen Abschluss das seinerzeit geltende Verfahrensrecht anzuwenden. Aus der Sondervorschrift des Art. 111 Abs. 2 FGG-RG ergibt sich nichts Abweichendes (BGH Beschluss vom 1. März 2010 - II ZB 1/10 - FamRZ 2010, 639 Rn. 8 mwN; ständige Senatsrechtsprechung, vgl. Senatsurteil vom 25. November 2009 - XII ZR 8/08 - FamRZ 2010, 192 Rn. 5 mwN).
10
aa) Verfahren im Sinne des Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG ist nicht nur das Verfahren bis zum Abschluss einer Instanz. Vielmehr bezeichnet der Begriff die gesamte, bei Einlegung entsprechender Rechtsmittel auch mehrere Instanzen umfassende gerichtliche Tätigkeit in einer Sache (BGH Beschluss vom 1. März 2010 - II ZB 1/10 - FamRZ 2010, 639 Rn. 8). Zwar könnte der Wortlaut des Art. 111 Abs. 2 FGG-RG, der auf das Vorhandensein einer Endentscheidung verweist, zu der Fehldeutung verleiten, gerichtliches Verfahren im Sinne des Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG sei das Verfahren innerhalb eines Rechts- zugs, nicht das gerichtliche Verfahren über den Instanzenzug hinweg, weil nach der Legaldefinition in § 38 Abs. 1 Satz 1 FamFG die Endentscheidung als instanzbeendende Entscheidung konzipiert sei. Dass der Gesetzgeber das Verfahren jedoch instanzübergreifend verstanden hat, ergibt sich eindeutig sowohl aus der Entstehungsgeschichte der Gesetzesvorschrift als auch aus deren Sinn und Zweck, während die Regelung in Art. 111 Abs. 2 FGG-RG nur der Klarstellung in Bestandsverfahren wie Betreuung oder Vormundschaft dienen sollte (BGH Beschluss vom 1. März 2010 - II ZB 1/10 - FamRZ 2010, 639 Rn. 9 ff. mwN).
11
bb) Der von der Rechtsbeschwerde geltend gemachte Umstand, dass die Widerklage erst nach dem 31. August 2009 rechtshängig geworden ist, steht dem nicht entgegen. Denn durch die Widerklage ist zwar der Streitgegenstand des Verfahrens geändert worden. Dadurch ändert sich die Rechtsnatur des bereits durch die Klage eingeleiteten Verfahrens aber nicht. Das Verfahren ist einheitlich zu behandeln und kann insbesondere im Hinblick auf Rechtsmittel nicht sinnvoll in Klage- und Widerklage-Verfahren aufgeteilt werden (ebenso OLG Frankfurt - 4. Zivilsenat - FamRZ 2010, 1581; aA für den Fall der Klageerweiterung OLG Frankfurt - 19. Zivilsenat - FamRZ 2010, 481). Entsprechend hat das Familiengericht die Widerklage auch als solche bezeichnet, nicht etwa als Widerantrag (vgl. § 113 Abs. 5 FamFG), und seine Entscheidung als - einheitliches - Urteil erlassen. Auf die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene Frage, ob für die Verfahrenseinleitung auf die Einreichung des Prozesskostenhilfe -Antrags oder auf die Anhängigkeit oder Rechtshängigkeit des Hauptsacheantrags abzustellen ist, kommt es demnach hier nicht an.
12
b) Das Oberlandesgericht hat über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zutreffend von Amts wegen entschieden und diese im Ergebnis zu Recht abgelehnt.
13
aa) Allerdings kann dem Oberlandesgericht nicht darin gefolgt werden, dass die Wiedereinsetzung bereits aus formellen Gründen scheitere, weil die die Fristversäumung begründenden Tatsachen nicht innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO glaubhaft gemacht worden seien. Denn das Oberlandesgericht war gehalten, ihm bereits bekannte und offenkundige Tatsachen in die Würdigung einzubeziehen und dem Kläger bei einer lückenhaften und ersichtlich ergänzungsbedürftigen Glaubhaftmachung Gelegenheit zu weiterem Sachvortrag zu geben (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Juni 2007 - XII ZB 232/06 - NJW 2007, 3212).
14
Dass die Verspätung auf einem Rechtsirrtum der Rechtsanwältin des Klägers beruhte, war bereits bei Einlegung der Beschwerde offenkundig. Es kommt demnach darauf an, ob es sich um einen verschuldeten oder - ausnahmsweise - unverschuldeten Rechtsirrtum handelt. Zwar ist es richtig, dass hierfür konkrete Umstände dargelegt werden müssen, weil der Rechtsirrtum für einen Rechtsanwalt nur in Ausnahmefällen unverschuldet ist. Es ist zunächst auch nicht ohne weiteres klar geworden, worauf der Rechtsirrtum beruhte und wie die Rechtsanwältin zu der Ansicht gekommen war, das richtige Rechtsmittel sei die beim Amtsgericht einzulegende Beschwerde. Hinzu kommt allerdings der wiederum offenkundige Umstand, dass zum 1. September 2009 mit dem FamFG neues Verfahrensrecht in Kraft getreten ist und bei Anwendung des neuen Rechts (§§ 58, 63 Abs. 1, 64 Abs. 1 FamFG) das vom Kläger eingelegte Rechtsmittel das richtige gewesen wäre. Daher liegt es nahe, dass die Rechtsanwältin sich auf die Geltung des neuen Verfahrensrechts verlassen und die Übergangsregelung des Art. 111 Abs. 1, Abs. 2 FGG-RG missverstanden hatte.
15
Unter diesen besonderen Umständen war dem Kläger im Hinblick auf die bei Nachholung der versäumten Prozesshandlung gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO von Amts wegen zu prüfende Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Gelegenheit zur Ergänzung der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen zu geben. Dem hat die vom Oberlandesgericht gewährte und verlängerte Stellungnahmefrist auch Rechnung getragen. Die Fristverlängerung hatte vorwiegend im Hinblick auf eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Bedeutung, weil zur Einlegung des Rechtsmittels und Wahrung der Rechtsmittelfrist die wesentlichen Umstände offenkundig waren. Die Fristverlängerung war aber jedenfalls geboten, um dem Kläger zur Begründung einer unverschuldeten Fristversäumung infolge des Rechtsirrtums eine ergänzende Stellungnahme zu ermöglichen.
16
Der Kläger hat sich zwar auch in seiner innerhalb der verlängerten Frist abgegebenen Stellungnahme nicht auf eine Wiedereinsetzung berufen, sondern die Ansicht vertreten, die Frist gewahrt und mit der Beschwerde das richtige Rechtsmittel eingelegt zu haben. Die für seine Rechtsansicht vom Kläger gegebene Begründung hätte das Oberlandesgericht aber im Hinblick auf die von Amts wegen zu prüfende Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ebenfalls berücksichtigen müssen, soweit sich daraus eine unverschuldete Fristversäumung ergeben konnte.
17
bb) Die Entscheidung des Oberlandesgerichts erweist sich jedoch aus anderen Gründen als richtig (§ 577 Abs. 3 ZPO). Die Beurteilung, ob die Fristversäumung unverschuldet ist, kann wegen des insoweit erschöpfend aufgeklärten Sachverhalts vom Senat nachgeholt werden. Sie führt zu dem Ergebnis, dass der Rechtsirrtum nicht unverschuldet war. Der Kläger muss sich ein Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.
18
Der Kläger hat sich für seine Rechtsansicht auf die Regelung in Art. 111 Abs. 2 FGG-RG berufen, wonach jedes gerichtliche Verfahren, das mit einer Endentscheidung abgeschlossen wird, ein selbständiges Verfahren im Sinne des Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG ist. Seine Rechtsanwältin hat das Rechtsmittelverfahren als eigenständiges Verfahren angesehen, nachdem das erstinstanzliche Verfahren durch Endurteil abgeschlossen worden sei. Wie oben (II.2.a) ausgeführt worden ist, ist diese Auffassung rechtsirrig.
19
Der Rechtsirrtum eines Rechtsanwalts ist regelmäßig nicht unverschuldet. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Rechtsanwalt die Gesetze kennen, die in einer Anwaltspraxis gewöhnlich zur Anwendung kommen. Eine irrige Auslegung des Verfahrensrechts kann als Entschuldigungsgrund nur dann in Betracht kommen, wenn der Prozessbevollmächtigte die volle, von einem Rechtsanwalt zu fordernde Sorgfalt aufgewendet hat, um zu einer richtigen Rechtsauffassung zu gelangen. Hierbei ist ein strenger Maßstab anzulegen, denn die Partei, die dem Anwalt die Prozessführung überträgt, vertraut zu Recht darauf, dass er dieser als Fachmann gewachsen ist (BGH Beschluss vom 9. Juli 1993 - V ZB 20/93 - NJW 1993, 2538, 2539). Wenn die Rechtslage zweifelhaft ist, muss der bevollmächtigte Anwalt den sicheren Weg wählen (BGH Beschluss vom 9. Juli 1993 - V ZB 20/93 - NJW 1993, 2538, 2539 mwN). Von einem Rechtsanwalt ist zu verlangen, dass er sich anhand einschlägiger Fachliteratur (vor allem Fachzeitschriften und Kommentare) über den aktuellen Stand der Rechtsprechung informiert. Dazu besteht umso mehr Veranlassung , wenn es sich um eine vor kurzem geänderte Gesetzeslage handelt, die ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit verlangt.
20
Nach diesen Maßstäben hätte die Rechtsanwältin des Klägers bei sorgfältiger Auswertung der vorliegenden Rechtsprechung und Literatur - zumindest auch - eine fristwahrende Berufung beim Oberlandesgericht einlegen müssen.
21
Allerdings haben einzelne Autoren die Auffassung vertreten, dass auf ein nach dem 1. September 2009 eingeleitetes Rechtsmittelverfahren das neue Verfahrensrecht Anwendung finde (Prütting in Prütting/Helms FamFG Art. 111 FGG-RG Rn. 5; Geimer in Zöller ZPO 28. Aufl. FamFG Einl. Rn. 54; ders. FamRB 2009, 386). Hierbei handelte es sich aber selbst in der früh veröffentlichten Literatur zum neuen Verfahrensrecht um eine Minderheit. Die weit überwiegende Auffassung der Literatur zum Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) und zum FGG-Reformgesetz (vgl. Hüßtege in Thomas/Putzo ZPO 30. Aufl. vor § 606 Rn. 3; Bork/Jacoby/Schwab/Zorn FamFG vor § 151 Rn. 19; Schlünder/ Nickel Das familiengerichtliche Verfahren Rn. 840; Horndasch in Horndasch/ Viefhues FamFG Art. 111 FGG-RG Rn. 3) hat zutreffend herausgestellt, dass es auf die Einleitung des Verfahrens in erster Instanz ankommt und das alte Verfahrensrecht auch in den weiteren Instanzen fortgilt.
22
Die Rechtsanwältin des Klägers hatte überdies schon im Hinblick auf die von ihr zur Begründung ihrer Auffassung angeführte Kommentarstelle (Geimer in Zöller aaO) Anlass zu einer näheren rechtlichen Nachprüfung. Denn dort befindet sich nicht nur ein Hinweis darauf, dass die Frage streitig sei, sondern ist insbesondere auch eine - bei Kommentierung noch nicht veröffentlichte - Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln vom 21. September 2009 zitiert, die von der Fortgeltung des alten Verfahrensrechts ausgegangen ist. Abgesehen davon, dass jedenfalls dieser Hinweis die Rechtsanwältin hätte veranlassen müssen, nähere Informationen zu der Entscheidung einzuholen, ist die Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln im Heft 21 der Zeitschrift für das gesamte Familienrecht (FamRZ) veröffentlicht worden (FamRZ 2009, 1852). Dieses Heft erschien Anfang November 2009 und somit rund zwei Wochen vor dem Ablauf der Rechtsmittelfrist. In den Entscheidungsgründen ist nicht nur auf die weitaus überwiegende Literaturansicht hingewiesen, sondern auch auf eine übereinstimmende weitere Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln. Außerdem sind der Entscheidung ergänzende Hinweise der Zeitschriftenredaktion angefügt, mit denen auf weitere Literaturstimmen aufmerksam gemacht worden ist, die ebenfalls mit der Auffassung des Oberlandesgerichts Köln übereinstimmen. Demnach konnte die Rechtsanwältin sich nicht darauf verlassen, dass das richtige Rechtsmittel die beim Amtsgericht einzulegende Beschwerde sei.
23
Der Bundesgerichtshof hat den Rechtsirrtum eines Rechtsanwalts zwar in einem Ausnahmefall als unverschuldet angesehen, wenn dessen fehlerhafte Rechtsansicht (zur Berechnung der Berufungsbegründungsfrist) mit der veröffentlichten Entscheidung eines Oberlandesgerichts übereinstimmte, der sich die gängigen Handkommentare zur Zivilprozessordnung angeschlossen hatten (BGH Beschluss vom 18. Oktober 1984 - III ZB 22/84 - NJW 1985, 495, 496). Damit ist der vorliegende Fall indessen nicht vergleichbar, weil sowohl die Mehrheit der veröffentlichten Literatur als auch erste obergerichtliche Entscheidungen der vereinzelt gebliebenen Rechtsauffassung der genannten Autoren - mit überzeugenden Gründen - widersprachen. Schließlich bedarf die anderslautende Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart (OLGR 2009, 872) keiner Erörterung, weil diese für einen Fall ergangen ist, in dem noch keine veröffentlichte obergerichtliche Rechtsprechung vorlag.
Hahne Weber-Monecke Klinkhammer Schilling Günter
Vorinstanzen:
AG Nürnberg, Entscheidung vom 15.10.2009 - 105 F 1568/09 -
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 11.01.2010 - 7 UF 1471/09 -

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.

(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.

(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.

(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VIII ZB 64/09
vom
12. Januar 2010
in dem Rechtsstreit
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Januar 2010 durch den
Vorsitzenden Richter Ball, den Richter Dr. Frellesen, die Richterinnen Dr. Milger
und Dr. Fetzer sowie den Richter Dr. Bünger

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Verden vom 13. August 2009 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 1.385 € festgesetzt.

Gründe:

I.

1
Die Kläger begehren von dem Beklagten nach Beendigung des Mietvertrages die Rückzahlung der von ihnen geleisteten Mietkaution. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil haben die erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Kläger Berufung eingelegt. Die mit dem Briefkopf der Rechtsanwaltssozietät des Klägervertreters versehene Berufungsschrift, der eine Ablichtung des erstinstanzlichen Urteils anlag, hat folgenden Wortlaut: "Geschäftszeichen: 9 C 669/08 In Sachen S. R. und Herrn K. Bevollmächtigte RAe: K. und Kollegen gegen J. P. Bevollmächtigte RAe: B. & H.
legen wir hiermit gegen das Urteil vom 10.02.2009 Berufung ein. Eine Ablichtung des erstinstanzlichen Urteils haben wir in der Anlage mit beigefügt."
2
Das Landgericht hat die Berufung der Kläger als unzulässig verworfen, weil die Berufungsschrift nicht erkennen lasse, für wen - für die Klägerin zu 1, den Kläger zu 2 oder beide - das Rechtsmittel eingelegt werde. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Kläger.

II.

3
1. Die Rechtsbeschwerde ist kraft Gesetzes statthaft (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) und im Übrigen auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 575 ZPO). Sie ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Der angefochtene Beschluss verletzt das Verfahrensgrundrecht der Kläger auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip ). Dieses verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. dazu BVerfGE 77, 275, 284; 74, 228, 234; BVerfG, NJW 2005, 814, 815; BVerfG, NJW 2003, 281; BVerfG NJW 1991, 3140; Senatsbeschluss vom 27. September 2005 - VIII ZB 105/04, NJW 2005, 3775, unter II 1; BGHZ 151, 221, 227; BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03, NJW 2004, 367, unter II 1 bb; BGH, Beschluss vom 5. November 2002 - VI ZB 40/02, NJW 2003, 437, unter II 3 b). Indem das Berufungsgericht zu Unrecht (dazu unter 2) davon ausgegangen ist, dass die Berufungsschrift auch durch Auslegung nicht erkennen lasse, für wen das Rechtsmittel eingelegt werde, hat es den Klägern den Zugang zur Berufungsinstanz ungerechtfertigt verwehrt.
4
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hat die Berufung zu Unrecht nach § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen.
5
a) Das Berufungsgericht ist allerdings in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zutreffend davon ausgegangen, dass zum notwendigen Inhalt der Berufungsschrift gemäß § 519 Abs. 2 ZPO auch die Angabe gehört, für und gegen welche Partei das Rechtsmittel eingelegt wird. Aus der Berufungsschrift muss entweder für sich allein oder mit Hilfe weiterer Unterlagen bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist eindeutig zu erkennen sein, wer Berufungskläger und wer Berufungsbeklagter sein soll. Dabei sind vor allem an die eindeutige Bezeichnung des Rechtsmittelführers strenge Anforderungen zu stellen; bei verständiger Würdigung des gesamten Vorgangs der Rechtsmitteleinlegung muss jeder Zweifel an der Person des Rechtsmittelklä- gers ausgeschlossen sein. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die erforderliche Klarheit über die Person des Berufungsklägers ausschließlich durch dessen ausdrückliche Bezeichnung zu erzielen wäre; sie kann auch im Wege der Auslegung der Berufungsschrift und der etwa sonst vorliegenden Unterlagen gewonnen werden. Dabei sind, wie auch sonst bei der Ausdeutung von Prozesserklärungen , alle Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen. Die Anforderungen an die zur Kennzeichnung der Rechtsmittelparteien nötigen Angaben richten sich nach dem prozessualen Zweck dieses Erfordernisses, also danach, dass im Falle einer Berufung, die einen neuen Verfahrensabschnitt vor einem anderen als dem bis dahin mit der Sache befassten Gericht eröffnet, zur Erzielung eines auch weiterhin geordneten Verfahrensablaufs aus Gründen der Rechtssicherheit die Parteien des Rechtsmittelverfahrens, insbesondere die Person des Rechtsmittelführers, zweifelsfrei erkennbar sein müssen (Senatsbeschlüsse vom 9. April 2008 - VIII ZB 58/06, NJW-RR 2008, 1161, Tz. 5, und vom 6. Dezember 2005 - VIII ZB 30/05, juris, Tz. 4; BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2006 - XI ZB 14/06, NJW-RR 2007, 413, Tz. 8; BGH, Beschluss vom 13. März 2007 - XI ZB 13/06, FamRZ 2007, 903, Tz. 7; jeweils m.w.N.).
6
b) Gemessen an diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht zu Unrecht angenommen, es sei innerhalb der Berufungsfrist nicht erkennbar gewesen , für wen mit dem Schriftsatz vom 19. März 2009 Berufung eingelegt worden sei.
7
aa) Die Auslegung von Prozesshandlungen und damit auch der Berufungsschrift unterliegt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der freien revisionsrechtlichen Nachprüfung (Senatsbeschluss vom 24. Juni 1992 - VIII ZR 203/91, NJW 1992, 2413, unter I 2 a; BGH, Beschluss vom 20. Januar 2004 - VI ZB 68/03, NJW-RR 2004, 862, unter II 3 a; jeweils m.w.N.). Sie orientiert sich an dem Grundsatz, dass im Zweifel dasjenige ge- wollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und dem recht verstandenen Interesse entspricht. Lediglich theoretisch mögliche Zweifel, für die tatsächliche Anhaltspunkte nicht festgestellt sind, können bei der Auslegung der Berufungsschrift nicht ausschlaggebend sein (BGH, Beschluss vom 20. Januar 2004, aaO).
8
bb) In der hier zu beurteilenden Berufungsschrift werden zwar die Parteirollen nicht genannt. Der Berufungsschrift war jedoch eine Abschrift der angefochtenen Entscheidung beigefügt. Diesem vom Berufungsgericht nicht berücksichtigten Umstand kommt entscheidende Bedeutung zu. Denn die in der Sollvorschrift des § 519 Abs. 3 ZPO vorgesehene Vorlage einer Ausfertigung oder beglaubigten Abschrift des angefochtenen Urteils ist zwar nicht der einzige Umstand , aufgrund dessen sich eine fehlende Angabe in der Berufungsschrift als unschädlich erweisen kann; sie stellt indessen ein geeignetes Mittel und letztlich den sichersten Weg dar, um Zweifelsfälle zu vermeiden (vgl. BGHZ 165, 371, 373; BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2006 - IV ZB 20/06, NJW-RR 2007, 935, Tz. 8). Im vorliegenden Fall lässt sich durch einen Abgleich der Berufungsschrift mit der beigefügten Abschrift des erstinstanzlichen Urteils jeder vernünftige Zweifel hinsichtlich der Frage, ob für beide oder nur für einen Kläger Berufung eingelegt werden soll, ausräumen.
9
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts besteht kein Zweifel, dass mit der Berufungsschrift das Rechtsmittel für beide Kläger eingelegt worden ist. Im Eingang des angefochtenen Urteils des Amtsgerichts wird als Prozessbevollmächtigter beider Kläger die Rechtsanwaltssozietät genannt, zu der der Klägervertreter gehört und unter deren - auch seinen Namen aufweisenden - Briefkopf er die Berufungsschrift gefertigt hat. Hinzu kommt, dass die genannte Rechtsanwaltssozietät auch im Rubrum der Berufungsschrift als Prozessbevollmächtigte der Kläger aufgeführt wird. Ferner ergibt sich aus der Ur- teilsformel des Amtsgerichts, dass die Klage in vollem Umfang abgewiesen worden ist. Vernünftige Zweifel, dass das Rechtsmittel für beide Kläger eingelegt worden ist, können bei dieser Sachlage - zumal beide Kläger in der Berufungsschrift aufgeführt sind und sich der Berufungsschrift auch ansonsten keine Anhaltspunkte für eine Beschränkung der Rechtsmitteleinlegung auf einen der Kläger entnehmen lassen - nicht aufkommen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. März 2005 - V ZB 42/04, BGHReport 2005, 1216, unter III 2 b).
10
3. Nach alledem kann der angefochtene Beschluss keinen Bestand haben. Er ist daher aufzuheben, und die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Ball Dr. Frellesen Dr. Milger Dr. Fetzer Dr. Bünger
Vorinstanzen:
AG Syke, Entscheidung vom 10.02.2009 - 9 C 669/08 -
LG Verden, Entscheidung vom 13.08.2009 - 2 S 101/09 -

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

19
(1) Zwar kommt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur in Betracht, wenn die Mittellosigkeit der betroffenen Partei für die Fristversäumung kausal geworden ist (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 1965 - IV ZR 229/64, NJW 1966, 203; Beschlüsse vom 24. Juni 1999 - V ZB 19/99, NJW 1999, 3271 unter II 3 b cc; vom 6. Mai 2008 - VI ZB 16/07, NJW 2008, 2855 Rn. 4). Denn Rechtsmittelfristen werden nur dann schuldlos im Sinne von § 233 ZPO versäumt, wenn eine Partei sich wegen ihrer Mittellosigkeit außerstande sieht, einen Rechtsanwalt mit der Einlegung und Begründung eines Rechtsmittels zu beauftragen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juni 1999 - V ZB 19/99, aaO unter II 3 b aa, mwN). Entscheidend für die Ursächlichkeit der Mittellosigkeit einer Partei für die Versäumung der Berufungsfrist oder der Frist zu ihrer Begründung ist, ob der beim Berufungsgericht zugelassene Rechtsanwalt bereit war, die Berufung auch ohne Bewilligung von Prozesskostenhilfe einzulegen und/oder zu begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Mai 2008 - VI ZB 16/07, aaO).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VIII ZB 113/06
vom
8. Mai 2007
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Die Berufungsbegründungsfrist ist nicht schuldhaft versäumt, wenn der Berufungskläger
innerhalb der Berufungsbegründungsfrist zwar die Gewährung von Prozesskostenhilfe
beantragt, aber weder einen Antrag auf (erstmalige) Verlängerung der
Berufungsbegründungsfrist gestellt noch seinen Prozesskostenhilfeantrag begründet
hat und das Gericht über die Prozesskostenhilfe erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist
entscheidet (Bestätigung von BGH, Beschluss vom 22. Juni 2005
- XII ZB 34/04, NJW-RR 2005, 1586).
BGH, Beschluss vom 8. Mai 2007 - VIII ZB 113/06 - LG Görlitz
AG Görlitz
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Mai 2007 durch den Vorsitzenden
Richter Ball, den Richter Wiechers, die Richterinnen Hermanns und
Dr. Milger sowie den Richter Dr. Koch

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des Landgerichts Görlitz – 2. Zivilkammer – vom 15. Dezember 2005 aufgehoben. Dem Beklagten wird gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Teilurteil des Amtsgerichts Görlitz vom 24. Mai 2005 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Beschwerdewert: 3.366,96 €

Gründe:

I.

1
Der Beklagte ist durch Teilurteil des Amtsgerichts Görlitz vom 24. Mai 2005 zur Räumung und Herausgabe einer Wohnung verurteilt worden, die er vom Kläger gemietet hatte. Gegen das ihm am 8. Juni 2005 zugestellte Urteil hat er mit Telefax seiner zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten am 8. Juli 2005 Berufung eingelegt. Am 11. Juli 2005 hat er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Berufungsinstanz beantragt und dazu ausgeführt, die Berufung sei nicht mutwillig, insoweit werde auf die in Kürze nachzureichende Beru- fungsbegründungsschrift verwiesen. Am 9. August 2005 hat er die Berufung im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens begründet.
2
Durch Beschluss vom 21. November 2005, dem Beklagten zugestellt am 29. November 2005, hat das Berufungsgericht den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht der Berufung zurückgewiesen mit der Begründung, der Beklagte habe die Berufungsbegründungsfrist des § 520 Abs. 2 ZPO versäumt, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme nicht in Betracht. Am 13. Dezember 2005 hat der Beklagte durch Schriftsatz seiner zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung beantragt und gleichzeitig die Berufungsbegründung eingereicht. Das Landgericht hat durch Beschluss vom 15. Dezember 2005 die Berufung des Beklagten unter Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verworfen. Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner Rechtsbeschwerde.

II.

3
Die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässige Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) hat Erfolg.
4
1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt : Der Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten sei zulässig, aber unbegründet. Die Berufung sei aufgrund der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist unzulässig und daher gemäß § 520 Abs. 2, § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO zu verwerfen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist komme nicht in Betracht, da der Beklagte nicht im Sinne des § 233 ZPO ohne sein Verschulden verhindert gewesen sei, die Frist einzuhalten.
5
Er müsse sich gemäß § 85 Abs. 2 ZPO das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen, welches darin bestehe, dass dieser nicht innerhalb der laufenden Berufungsbegründungsfrist gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO deren erstmalige Verlängerung beantragt habe. Der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 22. Juni 2005 (XII ZB 34/04), nach der der Rechtsmittelführer – anders als nach der ständigen Rechtsprechung vor der ZPO-Reform – von einer erstmaligen Stellung eines Verlängerungsantrages absehen könne, folge die Kammer nicht. Eine entscheidungserhebliche Rechtsänderung sei insoweit durch die ZPO-Reform nicht eingetreten; es habe auch schon zuvor nicht in der Hand des Rechtsmittelführers gelegen, ob innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist über sein Prozesskostenhilfegesuch entschieden werde oder nicht.
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Unabhängig davon wäre der Beklagte auch gehalten gewesen, innerhalb der laufenden Berufungsbegründungsfrist zumindest sein Prozesskostenhilfegesuch begründen zu lassen. Nach der Reform des Berufungsrechts sei das Berufungsgericht nicht mehr gehalten, von Amts wegen das angefochtene Urteil auf sämtliche in Betracht kommenden Fehler zu überprüfen. Jedenfalls wenn der Prozessbevollmächtigte des Prozesskostenhilfeantragstellers – wie hier – von Anfang an ohne Rücksicht auf die Gewährung von Prozesskostenhilfe mit der Begründung der Berufung, mindestens jedoch mit derjenigen des Prozesskostenhilfeantrages mandatiert sei, könne von ihm auch verlangt werden, die Begründung des Prozesskostenhilfegesuchs innerhalb laufender – gegebenenfalls zu verlängernder – Berufungsbegründungsfrist einzureichen.
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2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat den Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung zu Unrecht zurückgewiesen und deshalb dessen Berufung rechtsfehlerhaft verworfen (§ 522 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO). Gemäß § 233 ZPO setzt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand voraus, dass der Beklagte ohne ein eigenes Verschulden oder ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, das er sich zurechnen lassen muss (§ 85 Abs. 2 ZPO), verhindert war, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Das ist hier der Fall.
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a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Partei , die die Rechtsmittelfrist versäumt, aber spätestens am letzten Tag dieser Frist einen den gesetzlichen Erfordernissen entsprechenden Antrag auf Prozesskostenhilfe (§ 117 ZPO) gestellt hat, bis zur Entscheidung über den Antrag als ohne ihr Verschulden an der Einlegung des Rechtsmittels verhindert anzusehen , wenn sie nicht nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise mit der Ablehnung ihres Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen muss. Ihr ist deshalb nach der Entscheidung über ihren Antrag auf Prozesskostenhilfe regelmäßig wegen der Versäumung der Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (Senatsbeschluss vom 7. Juni 2006 – VIII ZB 96/05, FamRZ 2006, 1269, unter II 2 a m. w. Nachw.). Nichts anderes gilt, wenn der Rechtsmittelführer trotz seiner Mittellosigkeit einen Rechtsanwalt findet, der zwar bereit ist, schon vor der Bewilligung von Prozesskostenhilfe das Rechtsmittel – formularmäßig – einzulegen, nicht aber, auch eine Berufungsbegründung zu fertigen (BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2003 – VIII ZB 80/03, NJW-RR 2004, 1218, unter II 2 b; Beschluss vom 24. Juni 1999 – V ZB 19/99, NJW 1999, 3271, unter II 3 b aa). Dass der Beklagte, dem in erster und dritter Instanz Prozesskostenhilfe gewährt worden ist, von einer Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit ausgehen musste, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt und ist auch nicht ersichtlich.
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b) Die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist durch den Beklagten beruht nicht auf einem Verschulden seiner zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten , das sich der Beklagte gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsste.
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aa) Entgegen der Auffassung des Landgerichts war der Beklagte nicht gehalten, während des Laufs des Prozesskostenhilfeverfahrens einen Antrag auf (erstmalige) Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist zu stellen. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 22. Juni 2005 – XII ZB 34/04, NJW-RR 2005, 1586) ist anerkannt, dass mit Rücksicht auf die seit dem 1. Januar 2002 geltenden Neuregelungen in § 520 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO, die die Möglichkeit einer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gegenüber der früheren Rechtslage deutlich einschränken, von einem mittellosen Rechtsmittelführer, der rechtzeitig Prozesskostenhilfe beantragt hat, die Stellung von Anträgen auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht mehr verlangt werden kann und dass folglich das Unterlassen solcher Verlängerungsanträge kein Verschulden darstellt, das einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist entgegenstehen könnte. Die dagegen vom Berufungsgericht angeführten Argumente vermögen nicht zu überzeugen.
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Nach den genannten Vorschriften kann der Rechtsmittelführer ohne Einwilligung des Gegners allenfalls eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat erreichen. Damit kann die Notwendigkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand – anders als dies mit Hilfe von (wiederholten) Anträgen auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist auf der Grundlage von § 519 Abs. 2 Satz 3 ZPO in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung möglich war – in den Fällen ohnehin nicht vermieden werden, in denen eine Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag auch innerhalb der um einen Monat verlängerten Frist noch nicht ergangen ist. Da dies von Anfang an jedenfalls ungewiss ist, ist es dem Rechtsmittelführer nicht zuzumuten, überhaupt eine Fristverlängerung zu beantragen (Beschluss vom 22. Juni 2005, aaO, unter II 2 b bb).
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bb) Die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nach Ablehnung eines Prozesskostenhilfegesuchs für die zweite Instanz kann auch nicht deshalb versagt werden, weil das Prozesskostenhilfegesuch nicht innerhalb der Frist des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO begründet worden ist. Eine sachliche Begründung eines Prozesskostenhilfegesuchs in Bezug auf das beabsichtigte Rechtsmittel ist zwar zweckmäßig und erwünscht, von Gesetzes wegen jedoch nicht geboten, weil ein Zwang hierzu mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der Chancengleichheit von bemittelten und mittellosen Parteien nicht zu vereinbaren wäre (BGH, Beschluss vom 11. November 1992 – XII ZB 118/92, NJW 1993, 732, unter II 2). Daran hat sich durch die zum 1. Januar 2002 in Kraft getretene Änderung des Berufungsrechts nichts geändert (Senatsbeschluss vom 7. Juni 2006, aaO). Es kann der mittellosen Partei daher auch nicht zum Nachteil gereichen , wenn eine Begründung erst nach Ablauf der Frist zur Begründung des Rechtsmittels, für das sie Prozesskostenhilfe begehrt, eingereicht wird.

III.

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Der die Berufung des Beklagten verwerfende Beschluss des Landgerichts ist nach alledem aufzuheben (§ 577 Abs. 4 ZPO). Der Senat kann dem Beklagten selbst Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gewähren, weil dieser Antrag zur Endentscheidung reif ist (§ 577 Abs. 5 ZPO). Dem Beklagten ist Wiedereinsetzung in die versäumte Rechtsmittelbegründungsfrist zu gewähren. Sein am 13. Dezember 2005 eingegangener Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Monatsfrist des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO zur Begründung der Berufung ist fristgerecht (§ 234 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZPO) nach der Zurückweisung seines Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch den Beschluss vom 21. November 2005 gestellt worden und genügte den Formvorschriften des § 236 ZPO. Insbesondere hat er die Berufungsbegründung gleichzeitig nachgeholt. Ball Wiechers Hermanns Dr. Milger Dr. Koch
Vorinstanzen:
AG Görlitz, Entscheidung vom 08.06.2005 - 1 C 766/04 -
LG Görlitz, Entscheidung vom 15.12.2005 - 2 S 78/05 -

(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.

(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.

(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.