Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Jan. 2007 - 5 StR 401/06

published on 10/01/2007 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Jan. 2007 - 5 StR 401/06
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate
5 StR 401/06

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 10. Januar 2007
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Brandstiftung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Januar 2007 beschlossen
:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Berlin vom 25. April 2006 nach § 349 Abs. 4
StPO aufgehoben

a) im Schuldspruch mit den zugehörigen Feststellungen
– mit Ausnahme derjenigen zum äußeren Tathergang –
soweit der Angeklagte wegen schwerer Brandstiftung in
zwei Fällen und versuchter schwerer Brandstiftung in
zwei Fällen (Fälle 2 bis 5 des Urteils) verurteilt worden
ist;

b) im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen
Feststellungen.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO
als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
G r ü n d e
1 Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Brandstiftung
in zwei Fällen, versuchter schwerer Brandstiftung in zwei Fällen sowie wegen
Sachbeschädigung in zwei Fällen unter Einbeziehung einer anderweitig ver-
hängten Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren, zwei Monaten
und einer Woche verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte
mit seiner Revision. Diese hat mit der Sachrüge den aus dem Beschlusstenor
ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie aus den Gründen der Antragsschrift
des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2
2 1. Nach den Feststellungen der Strafkammer zündete der Angeklagte
in den Fällen 2 bis 5 der Urteilsgründe innerhalb eines Zeitraums von drei
Tagen jeweils im Keller eines mehrgeschossigen Neubauhauskomplexes
Gegenstände an. Er selbst bewohnte mit seiner Familie ebenso wie seine
Schwiegereltern eine Wohnung in dem Komplex. Ein Motiv für diese Taten
hat die Strafkammer nicht festgestellt.
3 Im Fall 2 zündete der Angeklagte mit einem Feuerzeug einen Karton
in dem Kellerverschlag an, der neben dem von ihm genutzten Verschlag lag.
Das dortige Inventar geriet in Brand. Im Fall 3 entzündete er einen aus einem
anderen Kellerverschlag heraushängenden Stofffetzen, woraufhin dieser
Verschlag und vier weitere „ausbrannten“. Aufgrund der durch den Brand
entstandenen Hitze verschmolzen Versorgungsleitungen – infolgedessen fiel
der Strom aus, die Hauptstromleitung blieb für mehrere Stunden abgeschaltet
– und an der Betondecke kam es zu Putzabplatzungen. Im Fall 4 entzündete
er ebenfalls einen aus einem Kellerverschlag in Höhe der Versorgungsleitungen
heraushängenden Stofffetzen; dieser und die Holzlatten des Verschlages
fingen Feuer. Im Fall 5 zündete der Angeklagte in einer Nische des
Kellergangs einen Pappkarton an, woraufhin die Versorgungsleitungen im
Keller verschmolzen, weswegen der Strom abgeschaltet werden musste und
drei Kellerverschläge „ausbrannten“.
4 2. Das Landgericht ist in den Fällen 3 und 5 von einer vollendeten
schweren Brandstiftung ausgegangen, weil die Versorgungsleitungen aufgrund
der Brände unbrauchbar geworden seien. In den Fällen 2 und 4 habe
der Angeklagte jeweils eine solche Tat versucht, da er ein Ausbreiten des
Feuers auf die Versorgungsleitungen und damit auf einen für den bestimmungsgemäßen
Gebrauch eines Hauses wesentlichen Teil beabsichtigt habe.
5 3. Diese Würdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Eine
Verurteilung nach § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB in der hier in Betracht kommenden
ersten Variante setzt voraus, dass ein zur Wohnung von Menschen dienendes
Gebäude in Brand gesetzt oder durch die Brandlegung ganz oder
teilweise zerstört wurde, bzw. der Täter dazu vorsätzlich unmittelbar angesetzt
hat. Dies belegen die Feststellungen nicht.
6 a) Ein Kellerraum in einem Wohnhaus ist in der vom Landgericht angenommenen
Tatbestandsalternative „in Brand setzen“ mögliches Tatobjekt
des § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB, wenn das Feuer wesentliche Gebäudeteile
erfasst hat oder es sich auf Gebäudeteile ausweiten kann, die für den bestimmungsgemäßen
Gebrauch des Gebäudes, also das Wohnen, wesentlich
sind (BGHSt 48, 14, 21; vgl. auch BGH NJW 1999, 299 zu § 306 Nr. 2 StGB
a. F.).
7 aa) Aus der Feststellung, dass die Kellerverschläge „ausgebrannt“ seien
, kann nur geschlossen werden, dass dort gelagerte Gegenstände und die
Vorrichtungen zur Abtrennung der Kellerverschläge gebrannt haben. Für sich
genommen genügt das nicht, da es sich nicht um für das Wohnen wesentliche
Gebäudeteile handelt (verneinend z. B. BGHSt 48, 14, 22: Holzlatten
und Stoffbezug der Kellertür; BGH NStZ 2003, 266: Holzwände, die einzelne
Kellerabteile abtrennen; BGH NStE Nr. 10 zu § 306 StGB: Lattenkellertür
). Feststellungen dazu, ob die Inbrandsetzung dieser Gegenstände geeignet
war, das Feuer anderen, für die bestimmungsgemäße Nutzung wesentlichen
Gebäudeteilen mitzuteilen, fehlen. Angesichts der üblichen Bauweise
von mehrgeschossigen Wohngebäuden versteht sich dies auch nicht von
selbst (vgl. hierzu BGHSt 18, 363, 364; BGH NJW 1999, 299).
8 bb) Dass infolge der Hitze Putz von der Betondecke abgeplatzt war,
begründet den Tatbestand der Inbrandsetzung ebenfalls nicht (BGH, Beschluss
vom 18. Oktober 1983 – 5 StR 760/83).
9 cc) Gleiches gilt für die verschmorten Versorgungsleitungen (vgl.
BGHSt 48, 14, 22). Bei den im Keller verlaufenden Versorgungsleitungen
handelt es sich nicht um für den bestimmungsgemäßen Gebrauch wesentliche
Gebäudeteile. Dass ein hitzebedingtes Verschmoren dieser Leitungen
geeignet gewesen wäre, das Feuer den Wohnzwecken dienenden Bereichen
des Hauses mitzuteilen, ist nicht festgestellt. Da es sich jedenfalls nicht um
gasführende Versorgungsleitungen gehandelt hat, ist nicht auszuschließen,
dass eine solche Eignung fehlte.
10 dd) Nach den Feststellungen liegt auch kein (untauglicher) Versuch
einer schweren Brandstiftung vor. Es ist nicht tragfähig belegt, dass der Angeklagte
das Mehrfamilienhaus und nicht nur abgetrennte Kellerbereiche in
Brand setzen wollte. Angesichts des Umstands, dass er das Haus mit seiner
Familie selbst bewohnte und sich auch zum Teil nach der Entzündung der
Gegenstände wieder in seine Wohnung zurückbegab, hätte es hierzu näherer
Erörterungen bedurft.
11 b) Die Feststellungen tragen auch eine Verurteilung wegen vollendeter
oder versuchter Brandstiftung in der Tatbestandsalternative „ein Gebäude
durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstören“ (§ 306a Abs. 1 Nr. 1
zweite Alt. StGB) nicht. Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass
diese Handlungsalternative sich an dem primären Schutzzweck des § 306a
Abs. 1 Nr. 1 StGB – Wohnen als „Mittelpunkt menschlichen Lebens“ – ausrichtet
und daher bei einer Brandlegung in einem Mehrfamilienhaus erst erfüllt
ist, wenn eine zum Wohnen bestimmte „Untereinheit“ dadurch für Wohnzwecke
unbrauchbar geworden ist. Dies setzt voraus, dass wegen der
Brandlegungsfolgen die Wohnung für eine beträchtliche Zeit – und nicht für
Stunden oder einen Tag – nicht mehr benutzbar ist (BGHSt 48, 14, 20). Die
für Stunden unterbrochene Stromversorgung erfüllt diese Voraussetzungen
nicht. Soweit im Urteil festgestellt ist, dass eine Wohnung im dritten Obergeschoss
aufgrund der Raucheinwirkung verrußt war und renoviert werden
musste, ist weder ersichtlich, aufgrund welcher Tat es zu dieser Folge kam,
noch dass die Wohnung im oben dargestellten Sinne unbrauchbar war. Zudem
lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen, dass sich der Vorsatz
des Angeklagten auf eine Brandstiftung an einem zur Wohnung von Menschen
dienenden Gebäude bezogen hat.
12 4. Die Verurteilung wegen Sachbeschädigung in zwei Fällen – hierbei
entzündete er jeweils einen Container in einem Müllraum, der zu dem von
ihm bewohnten Wohnkomplex gehörte – ist zwar rechtsfehlerfrei, jedoch
können die diesbezüglichen Einzelstrafen nicht bestehen bleiben. Denn die
Erwägungen, mit denen das Landgericht eine erhebliche Beeinträchtigung
des Steuerungsvermögens des Angeklagten verneint hat, sind nicht tragfähig.
13 Der Angeklagte, der früher Missbrauch von „Valoron“ betrieb und zur
Tatzeit regelmäßig „Tilidin“, ein entfernt mit Morphin verwandtes Analgetikum
, konsumierte, hat eine deutliche Affinität zum Feuerlegen, die in den
abgeurteilten Taten und in der Vorverurteilung wegen zehn Brandstiftungsdelikten
zum Ausdruck gekommen ist. Ein Tatmotiv konnte für keine der hiesigen
Taten festgestellt werden. Angesichts dessen durfte sich die Strafkammer
nicht auf die Wiedergabe der gutachterlichen Stellungnahme beschränken
, die – soweit im Urteil wiedergegeben – im Wesentlichen an die wenigen
durch den Angeklagten gewonnenen Erkenntnisse anknüpfte. Denn dieser
hat in Ausübung seines Schweigerechts zu den ihm vorgeworfenen Taten
keine Angaben gemacht, weswegen die Kammer „nicht genügend Anhaltspunkte“
(UA S. 35) für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der
Steuerungsfähigkeit gewinnen konnte.
14 Vielmehr hätte es aufgrund der oben dargestellten Auffälligkeiten und
der Art der Kriminalität (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Oktober 1995
5 StR 530/95; BGH, Beschluss vom 25. Juli 2001 – 5 StR 287/01) zur Beurteilung
, ob der Angeklagte an einer erheblichen Persönlichkeitsstörung im
Sinne einer schweren seelischen Abartigkeit leidet, einer sorgfältigen Auseinandersetzung
mit sämtlichen diesbezüglich zur Verfügung stehenden Anknüpfungstatsachen
bedurft. So wird das bei der Wiedergabe der Ausführungen
der Sachverständigen erwähnte Vorgutachten im Rahmen der früheren
Verurteilung nicht erörtert. Das Urteil beschränkt sich auf das Einfügen der
Feststellungen zum Tatablauf; zu welchem Ergebnis das Gutachten und das
verurteilende Tatgericht kamen, wird nicht mitgeteilt. Auch fehlen Ausführungen
dazu, welche Erkenntnisse sich aus den Vernehmungen der Ehefrau
und der Schwiegereltern zur Verfassung des Angeklagten – über den „Tilidinkonsum“
hinaus – ergeben haben. Weiterhin lassen die Urteilsgründe in
diesem Zusammenhang eine Auseinandersetzung mit den Begleiterscheinungen
weiterer Aburteilungen oder Beschuldigungen vermissen.
15 Sollte das Ergebnis der neuen Hauptverhandlung zur sicheren Feststellung
der Merkmale des § 21 StGB führen, was nach der bislang hingenommenen
unzulänglichen Beurteilungsgrundlage trotz des bisherigen Begutachtungsergebnisses
nicht fernliegt, kommt die Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB in Betracht.
16 Zur Gesamtstrafbildung wird auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts
vom 5. September 2006 verwiesen.
Basdorf Häger Gerhardt
Raum Jäger
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02/06/2016 12:00

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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer

1.
ein Gebäude, ein Schiff, eine Hütte oder eine andere Räumlichkeit, die der Wohnung von Menschen dient,
2.
eine Kirche oder ein anderes der Religionsausübung dienendes Gebäude oder
3.
eine Räumlichkeit, die zeitweise dem Aufenthalt von Menschen dient, zu einer Zeit, in der Menschen sich dort aufzuhalten pflegen,
in Brand setzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine in § 306 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 bezeichnete Sache in Brand setzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört und dadurch einen anderen Menschen in die Gefahr einer Gesundheitsschädigung bringt.

(3) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

(1) Wer fremde

1.
Gebäude oder Hütten,
2.
Betriebsstätten oder technische Einrichtungen, namentlich Maschinen,
3.
Warenlager oder -vorräte,
4.
Kraftfahrzeuge, Schienen-, Luft- oder Wasserfahrzeuge,
5.
Wälder, Heiden oder Moore oder
6.
land-, ernährungs- oder forstwirtschaftliche Anlagen oder Erzeugnisse
in Brand setzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.