Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 383/11
vom
22. September 2011
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten schweren Raubes
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 1 a) betreffend den Beschwerdeführer
auf dessen Antrag - am 22. September 2011 gemäß § 349 Abs. 4, § 357
StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 4. Februar 2011 aufgehoben,
a) soweit es ihn und den Mitangeklagten P. betrifft, mit den Feststellungen,
b) soweit es den Mitangeklagten M. betrifft, im Fall B. 2) der Urteilsgründe sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten D. sowie die nichtrevidierenden Mitangeklagten P. und M. wegen versuchten schweren Raubes (Fall B. 2), den Mitangeklagten M. ferner wegen versuchten Betruges (Fall B. 1), zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten (D. ), von zwei Jahren (P. ) und zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten (M. ) verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten D. hat mit der Sachrüge Erfolg. Die Aufhebung des Urteils erstreckt sich in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang auf die nichtrevidierenden Mitangeklagten.
2
1. Das Urteil ist, soweit es den Angeklagten D. betrifft, bereits deswegen aufzuheben, weil es eine Beweiswürdigung im Sinne des § 261 StPO vermissen lässt. Ausweislich der Urteilsgründe beruhen die Feststellungen zur Sache allein "auf der Anklageschrift", welcher der AngeklagteD. sowie die Mitangeklagten P. und M. "nach Maßgabe" der getroffenen Verständigung "nicht entgegengetreten" sind (UA S. 26).
3
Das Urteil genügt damit nicht den Mindestanforderungen, die an die richterliche Überzeugungsbildung auch dann zu stellen sind, wenn die Entscheidung , wie hier, nach einer Verständigung ergangen ist. Auch bei einer Verständigung hat das Gericht von Amts wegen den wahren Sachverhalt aufzuklären (§ 257c Abs. 1 S. 2, § 244 Abs. 2 StPO). Die Bereitschaft eines Angeklagten, wegen eines bestimmten Sachverhalts eine Strafe hinzunehmen, die das gerichtlich zugesagte Höchstmaß nicht überschreitet, entbindet nicht von dieser Pflicht (vgl. BGH, NStZ 2009, 467; NStZ-RR 2010, 54; Senat, NStZ-RR 2010, 336; Beschluss vom 9. März 2011 - 2 StR 428/10). Nur ein Sachverhalt, der auf einer Überzeugungsbildung des Gerichts unter vollständiger Ausschöpfung des Beweismaterials beruht, kann die Grundlage einer Verurteilung bilden. Eine Anklageschrift kann auch dann nicht Grundlage sein, wenn ihr neben dem Angeklagten , wie vorliegend, seine wegen gemeinschaftlichem Handelns angeklagten Mittäter ebenfalls nicht entgegengetreten sind. Diesem Einlassungsverhalten lässt sich ein irgendwie geartetes - auch nur "schlankes" - Geständnis, das einen als glaubhaft bewertbaren inhaltlichen Gehalt hätte, auf den einen Schuldspruch tragende Feststellungen gestützt werden könnten, nicht entnehmen (vgl. BGH, NStZ 2004, 509, 510). Es fehlt schon an einem tatsächlichen Einräumen des dem Anklagevorwurf zu Grunde liegenden Sachverhalts.
4
2. Die Aufhebung ist gemäß § 357 StPO auf die nichtrevidierenden Angeklagten P. und M. zu erstrecken, soweit sie wegen der nämlichen Tat verurteilt worden sind. Der materiell-rechtliche Fehler der nicht vorgenommenen Beweiswürdigung, der der Verurteilung des Angeklagten D. im Fall B. 2 der Urteilsgründe zu Grunde liegt, betrifft die Mitangeklagten P. und M. in gleicher Weise.
5
Dass sich die Anforderungen an die Urteilsgründe hinsichtlich der nichtrevidierenden Mitangeklagten nur nach dem Maßstab des § 267 Abs. 4 StPO bestimmen, steht einer Erstreckung nicht entgegen, denn es handelt sich hier nicht nur um einen Erörterungsmangel (vgl. BGH, NStZ 2005, 223; Beschluss vom 4. Februar 1997 - 5 StR 12/97) oder eine sonst fehlerhafte Beweiswürdigung , sondern um das Fehlen einer Beweiswürdigung, wovon auch § 267 Abs. 4 StPO, der nur Darstellungspflichten betrifft, nicht befreien kann.
6
Das Urteil hinsichtlich des Angeklagten P. war daher insgesamt aufzuheben. Betreffend den Mitangeklagten M. erstreckt sich die Aufhebung nur auf Fall B. 2 der Urteilsgründe, was zum Wegfall der dazugehörigen Einzelstrafe sowie des Gesamtstrafenausspruchs führt.
Fischer Appl Berger Krehl Ott

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Strafrecht: Zur Aufklärungspflicht des Gerichtes infolge einer Verständigung

30.11.2020

Auch bei einer Verständigung hat das Gericht von Amts wegen den wahren Sachverhalt aufzuklären, § 244 II StPO. Die Bereitschaft eines Angeklagten, wegen eines bestimmten Sachverhalts eine Strafe hinzunehmen, die das gerichtlich zugesagte Höchstmaß nicht überschreitet, entbindet nicht von dieser Pflicht. Eine Anklageschrift kann vielmehr auch dann nicht Grundlage der Überzeugungsbildung sein, wenn ihr neben dem Angeklagten seine wegen gemeinschaftlichem Handelns angeklagten Mittäter ebenfalls nicht entgegengetreten sind. – Streifler & Kollegen, Dirk Streifler, Anwalt für Strafrecht

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Strafprozeßordnung - StPO | § 244 Beweisaufnahme; Untersuchungsgrundsatz; Ablehnung von Beweisanträgen


(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Strafprozeßordnung - StPO | § 267 Urteilsgründe


(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese

Strafprozeßordnung - StPO | § 257c Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten


(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt. (2) Gegenstand dieser Verstä

Strafprozeßordnung - StPO | § 357 Revisionserstreckung auf Mitverurteilte


Erfolgt zugunsten eines Angeklagten die Aufhebung des Urteils wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Strafgesetzes und erstreckt sich das Urteil, soweit es aufgehoben wird, noch auf andere Angeklagte, die nicht Revision eingelegt haben, so ist zu

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Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt.

(2) Gegenstand dieser Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein.

(3) Das Gericht gibt bekannt, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. Es kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes zustimmen.

(4) Die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Gleiches gilt, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist. Das Geständnis des Angeklagten darf in diesen Fällen nicht verwertet werden. Das Gericht hat eine Abweichung unverzüglich mitzuteilen.

(5) Der Angeklagte ist über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichtes von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren.

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 428/10
vom
9. März 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Betrugs u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 9. März 2011 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hanau vom 14. Juni 2010 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung in 26 Fällen unter Einbeziehung von Strafen aus einer früheren gesamtstrafenfähigen Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der allgemeinen Sachrüge Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte zur Tatzeit als Leiter der Filiale eines Handy-Ladens der S. GmbH mit dem Abschluss von Mobiltelefonieverträgen befasst. Üblicherweise kopierten bei Abschluss solcher Verträge die Mitarbeiter des HandyLadens das Legitimationspapier und die Bankkarte der Kunden und nahmen die Kopien zu dem jeweiligen Vertrag. Die Vertragsunterlagen wurden zum Mo- http://www.juris.de/jportal/portal/t/3452/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE308382005&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/3452/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=JURE090028049&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint - 3 - natsende an die Unternehmenszentrale geschickt und von dort an die Netzbetreiber weitergeleitet. Die Kunden erhielten pro SIM-Kartenvertrag ein oder mehrere Handys, die von dem Mobilfunk-Provider subventioniert waren. Spätestens Anfang Januar 2008 kam der Angeklagte mit einem Bekannten überein, mit "Kopien" gefälschter Personalausweise und Bankkarten im Namen fiktiver Personen Verträge abzuschließen, um an subventionierte Handys zu gelangen. Hierzu scannte der Bekannte des Angeklagten einen Originalpersonalausweis in einen Computer ein und stellte mittels eines Bearbeitungsprogramms "Kopien tatsächlich nicht existenter Personalausweise" unter Verwendung von Scheinpersonalien her, indem er die Seriennummern, die Personaldaten und die Lichtbilder veränderte. Ferner fertigte er Bankkarten-Kopien von Konten, die unter Scheinpersonalien eröffnet worden waren oder Kunden gehörten, welche in dem Handy-Laden zuvor unter Angabe ihrer Bankdaten Mobilfunkverträge abgeschlossen hatten. Unter Verwendung der gefälschten Dokumente schlossen der Angeklagte und sein Bekannter in der Folgezeit auf den Namen der jeweiligen fiktiven Personen einen oder mehrere "Verträge" ab. Der Angeklagte reichte diese "Scheinverträge" dann wie üblich über die Zentrale bei dem jeweiligen Provider ein. Für seinen Beitrag erhielt der Angeklagte jeweils eines der mit "Vertragsschluss" überlassenen neuen Handys.
3
2. Das angefochtene Urteil unterliegt insgesamt der Aufhebung, da es nicht den Mindestanforderungen genügt, die an die Urteilsgründe auch dann zu stellen sind, wenn die Entscheidung, wie hier, nach einer Verfahrensabsprache ergangen ist. Allein die Bereitschaft des Angeklagten, wegen eines bestimmten Sachverhalts eine Strafe hinzunehmen, die das gerichtlich zugesagte Höchstmaß nicht überschreitet, entbindet das Gericht nicht von der Pflicht zur Aufklärung und Darlegung des Sachverhalts, soweit dies für den Tatbestand der dem Angeklagten vorgeworfenen Gesetzesverletzung erforderlich ist (vgl. BGH, NStZ 2009, 467; NStZ-RR 2010, 54; Senat, NStZ-RR 2010, 336).
4
Zu den unerlässlichen Mindestvoraussetzungen des Urteils gehört, dass es eine geschlossene und für das Revisionsgericht nachvollziehbare Darstellung des verwirklichten strafbaren Verhaltens enthält. Eine solche geschlossene Darstellung des Sachverhalts, der das Tatgeschehen bildet, ist für die revisionsrechtliche Überprüfung des Urteils erforderlich. Sie muss erkennen lassen, welche Tatsachen der Richter als seine Feststellungen über die Tat seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde legt. Fehlt sie oder ist sie in wesentlichen Teilen unvollständig oder widersprüchlich, so ist dies ein Mangel des Urteils, der auf die Sachrüge zu dessen Aufhebung führt (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 3; BGH, NStZ 2008, 109). So verhält es sich hier.
5
a) Die Feststellungen der Strafkammer erschöpfen sich in einer knapp gehaltenen, teilweise aus dem Anklagesatz übernommenen Schilderung der Vorgehensweise des Angeklagten und seines Komplizen, an die sich eine Zusammenfassung der Einzeltaten in einer mehrspaltigen Tabelle anschließt. Dort wird in der Spalte "Tattag" das jeweilige Datum angegeben, unter dem die "Scheinverträge" geschrieben worden sind, und in der Spalte "Fiktive Person" wird der Name des vorgetäuschten Kunden aufgeführt. In zwei weiteren Spalten werden unter der Überschrift "Vertragspartner" die SIM-Kartennummern der jeweiligen Netzbetreiber und unter der Überschrift "Handys" die in den Einzelfällen erhaltenen Mobiltelefone mit Typenbezeichnung aufgelistet.
6
Zwar ist es dem Tatrichter grundsätzlich nicht verwehrt, bei einer Vielzahl von Straftaten, die den selben Tatbestand erfüllen, davon abzusehen, die konkreten Sachverhalte der Einzeltaten ausführlich mitzuteilen, und diese stattdessen in einer Liste zusammenzufassen, in der die jeweiligen Taten individualisiert werden. Dies gilt, wenn die Taten in allen wesentlichen tatsächlichen Umständen , die den Tatbestand erfüllen, gleich gelagert sind. Auch dann müssen die Urteilsgründe aber so abgefasst werden, dass sie erkennen lassen, welche der http://www.juris.de/jportal/portal/t/3hw5/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR001270871BJNE046003307&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 5 - festgestellten Tatsachen den einzelnen Tatbestandsmerkmalen zuzuordnen sind und sie ausfüllen können (vgl. für den Fall einer Vielzahl von gleichgelagerten Betrugstaten BGH, NJW 1992, 1709; NStZ 2008, 352; NStZ-RR 2010, 54).
7
b) Hier lässt sich der Sachverhaltsdarstellung der Strafkammer zur betrügerischen Vorgehensweise des Angeklagten jedoch schon nichts Näheres dazu entnehmen, wie es zu einem Abschluss der "Scheinverträge" gekommen sein soll und wer aus dem Adressatenkreis der Täuschung über die mit fiktiven Personaldaten ausgefüllten Kundenaufträge von dem Angeklagten zu welcher irrtumsbedingten Vermögensverfügung veranlasst worden ist. Ausführungen zu vertraglichen Regelungen zwischen dem die Handy-Läden betreibenden Unternehmen und den Mobilfunknetz-Providern fehlen vollständig. Dementsprechend bleibt unklar, wie der Angeklagte die Mobiltelefone und die SIM-Karten erlangt hat. Es lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen, aus welchem Vermögen die Mobiltelefone herrührten und welchen Wert diese hatten. Danach lässt sich auch nicht nachvollziehen, wer in den Einzelfällen in welcher Höhe geschädigt worden ist.
8
3. Hinzu kommt, dass die Feststellungen den Schuldspruch wegen tateinheitlich begangener Urkundenfälschungen nicht tragen.
9
a) Durch die Ausdrucke von Bilddateien eines Personalausweises unter manipulativer Änderung von Personaldaten und Lichtbild sind weder unechte oder verfälschte Urkunden hergestellt worden, noch hat der Angeklagte solche Urkunden gebraucht, indem er die Ausdrucke verwendete, um vorzutäuschen, dass von den fiktiven Kunden Personaldokumente vorgelegen hätten.
10
Urkunden im Sinne des § 267 Abs. 1 StGB sind verkörperte Erklärungen, die ihrem gedanklichen Inhalt nach geeignet und bestimmt sind, für ein Rechtsverhältnis Beweis zu erbringen, und die ihren Aussteller erkennen lassen. Einer http://www.juris.de/jportal/portal/t/3hw5/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE029688051&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/3hw5/## - 6 - bloßen Fotokopie ist, sofern sie nach außen als Reproduktion erscheint, mangels Beweiseignung sowie Erkennbarkeit des Ausstellers demgegenüber kein Urkundencharakter beizumessen (st. Rspr., vgl. BGHSt 20, 17, 18 f.; 24, 140, 141 f. mwN; BGH wistra 1993, 225; 341; 2010, 226). Zwar kann im Wege computertechnischer Maßnahmen wie der Veränderung eingescannter Dokumente grundsätzlich eine (unechte) Urkunde hergestellt werden. Dafür muss die Reproduktion jedoch einer Originalurkunde so ähnlich sein, dass die Möglichkeit einer Verwechslung nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. mwN BGH, wistra 2010, 184, 185; Fischer, StGB 58. Aufl. § 267 Rn. 22). Daran fehlt es hier. Die Ausdrucke der Computerdatei des gescannten Personalausweises wiesen nicht die typischen Authentizitätsmerkmale auf, die einen Originalausweis prägen. Sie sollten nach ihrem Dokumentationszweck wie Kopien verwendet werden und spiegelten erkennbar lediglich ein Abbild eines Personalausweises wider.
11
Da der von den Ausdrucken der Computerdatei jeweils abgebildete Personalausweis tatsächlich nicht existierte und diesbezüglich somit zu keinem Zeitpunkt eine falsche Urkunde vorgelegen hat, erfüllt die Verwendung dieser Ausdrucke auch nicht den Tatbestand der Urkundenfälschung in Form des Gebrauchens einer unechten Urkunde (vgl. Fischer, aaO § 267 Rn. 37), wie es das Landgericht in seinen sich auf die Angabe des Endergebnisses beschränkenden Ausführungen zur rechtlichen Würdigung angenommen hat (UA S. 11).
12
b) Eine hier in Betracht zu ziehende Urkundenfälschung durch eine Anfertigung der mit fingierten Namen unterzeichneten "Scheinverträge" bzw. Kundenaufträge und deren Weiterleitung hat die Strafkammer demgegenüber nicht erwogen.

Fischer Appl Berger Eschelbach Ott

Erfolgt zugunsten eines Angeklagten die Aufhebung des Urteils wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Strafgesetzes und erstreckt sich das Urteil, soweit es aufgehoben wird, noch auf andere Angeklagte, die nicht Revision eingelegt haben, so ist zu erkennen, als ob sie gleichfalls Revision eingelegt hätten. § 47 Abs. 3 gilt entsprechend.

(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.

(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.

(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.

(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.

(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.

(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.