Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 24. Apr. 2014 - 15 ZB 13.1167

bei uns veröffentlicht am24.04.2014

Gericht

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

III.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für ein Verwaltungsgebäude.

Die Klägerin, Betreiberin des Hafens in R. und öffentliches Eisenbahninfrastrukturunternehmen für die Hafeneisenbahn nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 AEG, ist Eigentümerin des südlich der Straße „D.“ gelegenen, 1.523 m² großen Grundstücks FlNr. 1909/16 Gemarkung R., auf dem sich eine zum Hafen in R. gehörige Gleisanlage befindet. Im Norden und Osten grenzt das 2.197 m² große Grundstück FlNr. 1909/17 der Beigeladenen an. In dessen östlichem Teil befindet sich ein Verwaltungsgebäude („D. 20a“), für das der Ersten Do.-Da.-Gesellschaft mit Bescheid der Beklagten vom 1. August 1957 eine Baugenehmigung erteilt wurde. Die Grundstücke liegen südlich der Donau im unbeplanten Innenbereich.

Mit Bescheid vom 24. September 2007 erteilte die Beklagte der Beigeladenen die Baugenehmigung zum Neubau eines (weiteren) Verwaltungsgebäudes mit Pkw-Stellplätzen und Außenanlagen auf dem westlichen Teil des Grundstücks FlNr. 1909/17 („D. 20“).

Hiergegen hat die Klägerin am 16. Oktober 2007 beim Verwaltungsgericht R. Klage erhoben. Nach mehrfacher Anordnung des Ruhens des Verfahrens hat das Verwaltungsgericht die Klage mit Urteil vom 18. April 2013 mit im Wesentlich folgender Begründung abgewiesen: Die Klägerin sei durch die Baugenehmigung nicht in ihren Nachbarrechten verletzt. Gegen Abstandsflächenvorschriften sei nicht verstoßen worden. Eine Abstandflächentiefe von 0,25 H genüge, weil die nähere Umgebung des Baugrundstücks als faktisches Gewerbegebiet einzustufen sei. Das Vorhaben sei gegenüber der Klägerin nicht rücksichtslos. Sie müsse nicht mit weiteren Beschränkungen ihres Betriebs in Bezug auf den Schienenverkehr oder auf den von ihm ausgehenden Gewerbelärm rechnen. Eine unzumutbare Beeinträchtigung ihres Grundstücks infolge einer Behinderung des Hochwasserabflusses von der Donau sei nicht feststellbar. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots wegen der Ansiedelung des Verwaltungsgebäudes in der Nachbarschaft zu einem Störfallbetrieb nach der Richtlinie 96/82/EG scheide schon deswegen aus, weil es sich bei dem genehmigten Vorhaben nicht um ein öffentlich genutztes, sondern um ein privates Bürogebäude handle.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung. Sie macht ernstliche Zweifel an seiner Richtigkeit, besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten sowie eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Die Beklagte beantragt, den Zulassungsantrag abzulehnen. Die Beigeladene hat sich nicht geäußert.

II.

Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.

Die geltend gemachten Zulassungsgründe sind nicht hinreichend dargelegt oder liegen nicht vor (§ 124 Abs. 2 VwGO, § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).

A. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils liegen vor, wenn unter Berücksichtigung der vom Kläger dargelegten Gesichtspunkte die Richtigkeit des angefochtenen Urteils weiterer Prüfung bedarf, ein Erfolg der angestrebten Berufung nach den Erkenntnismöglichkeiten des Zulassungsverfahrens also möglich ist (vgl. BVerwG, B. v. 14.6.2002 - 7 AV 1/02 - DVBl 2002, 1556 f.; B. v. 10.3.2004 - 7 AV 4/03 - DVBl 2004, 838 f.). Die Darlegung (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) dieses Zulassungsgrunds erfordert, dass innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO einzelne tragende Rechtssätze oder erhebliche Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts durch schlüssige Gegenargumente infrage gestellt werden. Es bedarf einer substanziierten Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung, durch die der Streitstoff entsprechend durchdrungen und aufbereitet wird. Der Kläger muss sich mit den Argumenten, die das Verwaltungsgericht für die angegriffene Rechtsauffassung oder Sachverhaltsfeststellung und -würdigung angeführt hat, inhaltlich auseinandersetzen und aufzeigen, warum sie aus seiner Sicht nicht tragfähig sind (vgl. BVerfG, B. v. 8.12.2009 - 2 BvR 758/07 - BVerfGE 125, 104/140; B. v. 20.12.2010 - 1 BvR 2011/10 - NVwZ 2011, 546 Rn. 19; BayVGH vom 18.1.2011 - 8 ZB 10.2239 - juris Rn. 8).

Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen im Zulassungsantrag nicht. Aus ihm ergibt sich nicht, dass die Klägerin durch die angegriffene Baugenehmigung in ihren Rechten verletzt wird (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), weil das Vorhaben den im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach der hier noch anzuwendenden Bestimmung des Art. 73 Abs. 1 BayBO 1998 zu prüfenden öffentlichrechtlichen Vorschriften widerspricht, die auch ihrem (Nachbar-)Schutz dienen.

1. Nach den Ausführungen im Zulassungsantrag ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass die Baugenehmigung zulasten der Klägerin nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt. Insbesondere ist nicht anzunehmen, dass sie infolge des Vorhabens der Beigeladenen unzumutbare Einschränkungen ihres Betriebs zu befürchten hat.

Es kann offen bleiben, ob sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens hier nach § 34 Abs. 1 BauGB oder nach § 34 Abs. 2 BauGB richtet. Das Gebot der Rücksichtnahme ist in beiden Fällen gleichermaßen zu beachten. Findet § 34 Abs. 1 BauGB Anwendung, weil das Baugrundstück zwar innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils liegt, seine Umgebung aber nicht einem der in der Baunutzungsverordnung bezeichneten Baugebiet entspricht, ist das Gebot der Rücksichtnahme Teil des nach Satz 1 dieser Vorschrift maßgebenden Einfügungsgebots (vgl. BVerwG, U. v. 20.12.2012 - 4 C 11/11 - BVerwGE 145, 290 Rn. 31 f.). Richtet sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 34 Abs. 2 BauGB, weil die in der näheren Umgebung vorhandenen Nutzungsarten einem in der Baunutzungsverordnung bezeichneten Gebiet entspricht, ergibt sich die Verpflichtung zur Rücksichtnahme aus § 34 Abs. 2 BauGB in Verbindung mit § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO (BVerwG, U. v. 29.11.2012 - 4 C 8/11 - BVerwGE 145, 145 Rn. 16).

Welche Anforderungen sich aus dem Rücksichtnahmegebot im Einzelnen ergeben, hängt maßgebend davon ab, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BVerwG, U. v. 20.12.2012 - 4 C 11/11 - BVerwGE 145, 290 Rn. 32). Dies beurteilt sich nach der jeweiligen Situation der benachbarten Grundstücke. Zur Rücksichtnahme ist nicht nur derjenige verpflichtet, der Störungen verursacht, sondern auch derjenige, der ein schutzbedürftiges Vorhaben in der Nachbarschaft einer störenden Anlage errichtet. Nicht nur Vorhaben, von denen unzumutbaren Belästigungen oder Störungen ausgehen (§ 15 Abs. 1 Satz 2 Alternative 1 BauNVO), sondern auch solche, die sich unzumutbaren Belästigungen oder Störungen aussetzen (§ 15 Abs. 1 Satz 2 Alternative 2 BauNVO), können gegen das Rücksichtnahmegebot verstoßen (vgl. BVerwG, U. v. 29.11.2012 - 4 C 8/11 - BVerwGE 145, 145 Rn. 16). Auch Vorbelastungen sind in der Regel bei beiden Fallgestaltungen zu beachten (zur Ausnahme im Störfallrecht vgl. BVerwG, U. v. 20.12.2012 - 4 C 11/11 - BVerwGE 145, 290 Rn. 34; B. v. 28.3.2013 - 4 B 15/12 - ZfBR 2013, 479/480). Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot liegt in der Regel nicht vor, wenn ein neues störempfindliches Vorhaben in der Nachbarschaft eines „störenden Betriebs“ für diesen keine weiteren Einschränkungen (vgl. § 17 Abs. 1 BImSchG) zur Folge haben wird, weil er schon auf eine vorhandene, in derselben Weise störempfindliche Bebauung Rücksicht nehmen muss. Ergeben sich hingegen zusätzliche Rücksichtnahmepflichten und ist mit einer Verschärfung der Anforderungen an den Betrieb zu rechnen, etwa weil eine geplante Wohnbebauung näher „heranrückt“ als die vorhandene Wohnbebauung, wird das Bauvorhaben gegenüber dem Betrieb regelmäßig rücksichtslos sein (vgl. BVerwG, B. v. 3.12.2009 - 4 C 5/09 - BauR 2010, 726/727; BayVGH, B. v. 4.8.2008 - 1 CS 07.2770 - BayVBl 2009, 208/209 = juris Rn. 20, 29 m. w. N.).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist das Gebot der Rücksichtnahme hier nicht verletzt. Aus dem Vorbringen im Zulassungsantrag lässt sich nicht entnehmen, dass der Betrieb der Klägerin aufgrund des genehmigten weiteren Verwaltungsgebäudes auf dem Grundstück FlNr. 1909/17 mit zusätzlichen Einschränkungen rechnen muss.

a) Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Klägerin keine Beschränkungen des Schienenverkehrs zu befürchten habe, stellt die Klägerin selbst nicht infrage (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).

b) Soweit es um den durch den Hafenbetrieb hervorgerufenen Gewerbelärm geht, legt die Klägerin schon nicht dar, von welchem ihrer Betriebsgrundstücke unzumutbare Lärmeinwirkungen auf das Bauvorhaben ausgehen, die weitere Betriebsbeschränkungen zur Folge haben könnten. Im Übrigen sind ihre Ausführungen nicht geeignet, die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die einschlägigen Immissionsrichtwerte am Bauvorhaben nicht überschritten werden, ernstlich infrage zu stellen.

Zur Bestimmung der Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen ist grundsätzlich auf die Begriffsbestimmungen des Immissionsschutzrechts (§ 3 Abs. 1 BImSchG) und auf dessen materiellrechtliche Maßstäbe (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 22 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG) zurückzugreifen (vgl. BVerwG, U. v. 23.9.1999 - 4 C 6.98 - BVerwGE 109, 314/319 f.). Bei Gewerbelärm wird die Zumutbarkeitsgrenze regelmäßig durch die Richtwerte der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm - TA Lärm - in der Fassung vom 26. August 1998 (GMBl S. 503) konkretisiert (vgl. BVerwG, U. v. 29.8.2007 - BVerwG 4 C 2.07 - BVerwGE 129, 209 Rn. 12; U. v. 29.11.2012 - 4 C 8.11 - BVerwGE 145, 145 Rn. 17 ff.). Nach Nr. 6.1 Buchst. b der TA Lärm ist in Gewerbegebieten tags ein Richtwert von 65 dB(A) und nachts ein Richtwert von 50 dB(A) einzuhalten. Dass diese Werte an dem geplanten Verwaltungsgebäude durch die von dem Betrieb der Klägerin herrührenden Geräusche nicht überschritten werden, wird durch das Vorbringen im Zulassungsantrag nicht ernstlich infrage gestellt.

aa) Soweit die Klägerin vorträgt, das Verwaltungsgericht habe sich zu Unrecht auf eine gutachterliche Stellungnahme des Umweltingenieurs R. vom Umwelt- und Rechtsamts der Beklagten vom 11. April 2013 gestützt, wonach das Bauvorhaben außerhalb des Bereichs von Immissionen liege, die einen höheren Nachtwert als 50 dB(A) ergäben, erhebt sie Einwände gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichts. Diese führen nicht zur Zulassung der Berufung.

Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Es würdigt den Prozessstoff auf seinen Aussage- und Beweiswert für die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen nur nach der ihm innewohnenden Überzeugungskraft. Trotz des besonderen Charakters der Beweiswürdigung, der dem Gericht einen Wertungsrahmen eröffnet, ist das Gericht allerdings nicht gänzlich frei. Die richterliche Überzeugung muss auf rational nachvollziehbaren Gründen beruhen, d. h. sie muss insbesondere die Denkgesetze, die Naturgesetze sowie zwingende Erfahrungssätze beachten. Ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO liegt vor, wenn das Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, namentlich Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen, oder wenn die Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet. Soweit eine fehlerhafte Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts gerügt wird, liegt der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO folglich nur dann vor, wenn die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts augenscheinlich nicht zutreffen oder beispielsweise wegen gedanklicher Lücken oder Ungereimtheiten ernstlich zweifelhaft sind. Allein die Möglichkeit einer anderen Bewertung der Beweisaufnahme rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht (vgl. BayVGH, B. v. 21.1.2013 - 8 ZB 11.2030 - juris Rn. 17 m.w.N; B. v. 14.3.2013 - 22 ZB 13.103 - juris Rn. 11).

Dass solche Fehler der verwaltungsgerichtlichen Überzeugungsbildung hier vorliegen, hat die Klägerin nicht aufgezeigt. Der Einwand, das Verwaltungsgericht habe sich nicht auf „Immissionsprognosen aus einer benachbarten Bauleitplanung“ stützen dürfen, weil dieses Bauleitplanverfahren im Zeitpunkt der Erteilung der streitgegenständlichen Baugenehmigung noch nicht abgeschlossen gewesen sei und es sich „um Zielwerte handle“, lässt eine fehlerhafte Beweiswürdigung nicht erkennen. Weder der Umstand, dass das Bebauungsplanverfahren, in dessen Rahmen ein Immissionsschutzgutachten erstellt wurde, noch nicht beendet ist, noch der Umstand, dass im Bebauungsplan als Immissionswerte lediglich Zielwerte festgelegt werden sollen, schließt es aus, die Aussagen des Gutachtens für ein benachbartes Baugebiet zu verwerten. Auch die Tatsache, dass in der Stellungnahme vom 11. April 2013 nicht die durch Genehmigungsbescheide zugelassene, sondern die tatsächlich vorhandene Lärmbelastung durch den Hafenbetrieb zugrunde gelegt wurde (vgl. dort Stellungnahme Nr. 3.1.), macht diese nicht von vornherein unverwertbar. Ebenso wenig lässt sich ein augenscheinlicher Mangel der richterlichen Überzeugungsbildung daraus entnehmen, dass das Verwaltungsgericht aus der Feststellung in dem Gutachten, dass bei einem nächtlichen Vollbetrieb auf allen Hafengrundstücken im unmittelbar südlich des Bauvorhabens gelegenen Mischgebiet (MI 1) Beurteilungspegel von bis zu 48 dB(A) möglich seien, nicht gefolgert hat, auf dem Baugrundstück würden die Nachtwerte von 50 dB(A) überschritten. Insbesondere lässt sich dem Vortrag der Klägerin nicht entnehmen, dass das Bauvorhaben näher an emittierende Gewerbebetriebe heranreicht als das Mischgebiet. Ihre Behauptung, das Vorhaben „grenze direkt an die Lärmemittenten“, widerspricht den in den Bauunterlagen vorhandenen Plänen sowie der in der gutachterlichen Stellungnahme vom 11. April 2011 abgebildeten „Isophonenkarte Nachtzeitraum“ des Bayerischen Landesamts für Umwelt, wonach zwischen dem Bauvorhaben und den lärmintensiven gewerblichen und industriellen Anlagen des Westhafens mehrere Gebäude liegen, darunter auch das Betriebsgebäude „D. 20a“.

bb) Nicht berechtigt ist auch der Einwand der Klägerin, das Verwaltungsgericht habe bei der Beurteilung der Zumutbarkeit von Lärmimmissionen nicht berücksichtigen dürfen, dass das Betriebsgebäude „D. 20a“ in geringerer Entfernung zu den Emissionsorten liege als das Bauvorhaben, weil nicht gewährleistet sei, dass das Gebäude auf Dauer erhalten bleibe. Maßgebend für die Beurteilung, ob eine Baugenehmigung Rechte des Nachbarn verletzt, ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung; spätere Änderungen zulasten des Bauherrn haben außer Betracht zu bleiben (vgl. BVerwG, U. v. 20.8.2008 - 4 C 11/07 - BVerwGE 131, 352 Rn. 21; B. v. 8.11.2010 - 4 B 43/10 - ZfBR 2011, 164/165). Ein möglicher Abbruch des Gebäudes in der Zukunft hat auf die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung daher keinen Einfluss. Gleiches gilt hinsichtlich potenzieller Änderungen von Emissionsbelastungen in der Nachbarschaft des Baugrundstücks.

c) Ebenso wenig ist erkennbar, dass das Bauvorhaben unzumutbaren Staubbelastungen durch den Betrieb der östlich benachbarten offenen Lagerfläche ausgesetzt wäre. Zum einen erschöpft sich das Vorbringen der Klägerin, es könne durch die Lagerung und Verladung stark staubender Güter zu erheblichen Auswirkungen am Bauvorhaben kommen, in einer unsubstanziierten Behauptung ohne Angaben darüber, welche Güter auf dem benachbarten Grundstück gelagert und verladen werden und inwieweit durch Luftverunreinigungen die maßgebliche Grenze der Zumutbarkeit nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG in Verbindung mit Nr. 4.3.1 der Ersten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft - TA Luft) vom 24. Juli 2002 (GMBl. S. 511) überschritten sein könnten (vgl. dazu VGH BW, B. v. 8.3.2011 - 10 S 161/09 - NVwZ-RR 2011, 355 Rn. 40; BVerwG, U. v. 21.6.2001 - 7 C 21.00 - BVerwGE 114, 342/343 ff.). Zum anderen ist hier nicht ersichtlich, inwieweit das Bauvorhaben höheren Staubbelastungen und damit größeren Rücksichtnahmepflichten ausgesetzt sein soll als das näher an der Lagerfläche gelegene Gebäude „D. 20a“.

d) Die geltend gemachten Bedenken der Klägerin zu den hochwasserschutzrechtlichen Folgen des Bauvorhabens führen ebenfalls nicht zur die Zulassung der Berufung. Soweit sie sich sinngemäß dagegen wendet, dass die Beklagte im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren kein Gutachten zur Frage möglicher nachteiliger Veränderungen des Wasserabflusses durch das Vorhaben erholt hat, obwohl es im Zeitpunkt des Erlasses der Baugenehmigung im faktischen Überschwemmungsgebiet gelegen habe, ist darauf hinzuweisen, dass allein ein Verstoß gegen die behördliche Aufklärungspflicht (Art. 24 Abs. 1 BayVwVfG) im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht gerügt werden kann, weil eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes im Verwaltungsverfahren keine unabhängig vom materiellen Recht selbstständig durchsetzbare Verfahrensposition begründet (vgl. BVerwG, U. v. 1.12.1987 - 1 C 29.85 - BVerwGE 78, 285/295 f.; B. v. 30.6.2004 - 5 B 32/03 - juris Rn. 2; OVG NRW, U. v. 15.7.2013 - 2 A 969/12 - BauR 2014, 667/669; Kallerhoff in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Aufl. 2014, § 24 Rn. 7 und 58 m. w. N.). Auch hat die Klägerin nicht dargelegt, inwieweit das Fehlen eines behördlichen Gutachtens zu den Veränderungen des Wasserabflusses ihre Nachbarrechte verletzen könnte. Dass das Vorhaben der Beigeladenen wegen des Hochwasserabflusses und der Wasserspiegelanstiege an der Donau - abweichend von der im gerichtlichen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorgelegten Stellungnahme der Abteilung Hochwasserschutz und Wasserbau des Tiefbauamts der Beklagten vom 10. April 2013 (vgl. Blatt 67 Gerichtsakte des Verwaltungsgerichts) - für die Klägerin unzumutbare Auswirkungen hätte und deshalb das Rücksichtnahmegebot verletzt, macht sie nicht geltend (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).

e) Keinen ernstlichen Zweifeln begegnet schließlich die Annahme des Verwaltungsgerichts, das Vorhaben der Beigeladenen erweise sich nicht deswegen als rücksichtslos, weil im Hafengebiet ein Störfallbetrieb im Sinn der Richtlinie 96/82/EG angesiedelt ist (zu diesem Maßstab vgl. BVerwG, U. v. 20.12.2012 - 4 C 11/11 - BVerwGE 145, 290). Zwar erscheint im Hinblick auf den Schutzzweck der Richtlinie fraglich, ob die Annahme des Verwaltungsgerichts zutreffend ist, dass es sich bei dem geplanten Bürogebäude nicht um ein „öffentlich genutztes Gebiet“ im Sinn des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG bzw. um kein „öffentlich genutztes Gebäude“ im Sinn des Urteils des EuGH vom 15. September 2011 (Rs. C-53/10 - ZfBR 2011, 763) handelt. Es ist jedoch nicht erkennbar, dass die erforderlichen Sicherheitsabstände nicht eingehalten wären. Nach den von der Klägerin nicht infrage gestellten Angaben der Beklagten befindet sich das Bauvorhaben mit einer Entfernung von ca. 1400 m zum nächstgelegenen Störfallbetrieb (Tanklager der T... GmbH & Co KG) nicht mehr im Einflussbereich dieses Betriebs und wäre nach einem Sicherheitsbericht des Bayerischen Landesamts für Umwelt vom 6. Dezember 2006 im Störfall weder thermischen Wirkungen noch Druckwirkungen ausgesetzt (vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 1.8.2013, Blatt 67 ff. der Gerichtsakte). Im Übrigen ist nicht ersichtlich, inwieweit durch die Nichteinhaltung erforderlicher Sicherheitsabstände zwischen dem Störfallbetrieb und dem Bauvorhaben der Beigeladenen Rechte der Klägerin verletzt sein könnten. Soweit die Klägerin ein behördliches Ermittlungsdefizit bezüglich der Einhaltung angemessener Abstände rügt, gelten die Ausführungen zu A.1.d) entsprechend.

2. Aus dem Vorbringen der Klägerin ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Baugenehmigung zu ihren Lasten keine Abstandsflächenvorschriften verletzt (Art. 6, Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 BayBO 1998). Zu Recht hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass vor der dem Grundstück der Klägerin zugewandten Gebäudeseite nach Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO 1998 eine Abstandsflächentiefe von 0,25 H genügt.

a) Der Einwand der Klägerin, Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO 1998 sei im vorliegenden Fall nicht einschlägig, weil die Umgebung des Baugrundstücks nicht als faktisches Gewerbegebiet einzustufen sei, sondern als „faktisches Hafengebiet“, so dass Art. 6 Abs. 4 Satz 3 BayBO 1998 Anwendung finde, greift nicht durch.

Nach Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO 1998 beträgt die Tiefe der Abstandsflächen 1 H, mindestens 3 m. Abweichend davon genügt in Kerngebieten eine Tiefe von 0,50 H und in Gewerbe- und Industriegebieten eine Tiefe von 0,25 H, mindestens 3 m; in Sondergebieten, die nicht der Erholung dienen, bestand nach der mit der Neufassung des Art. 6 BayBO durch das Gesetz vom 24. Juli 2007 (GVBl S. 499) aufgehobenen Regelung des Art. 6 Abs. 4 Satz 3 BayBO 1998 ausnahmsweise die Befugnis, durch Zulassung einer Abweichung eine geringere Tiefe als 1 H, jedoch nicht weniger als 3 m, zu gestatten, wenn die Nutzung dieses Gebiets dies rechtfertigte. Art. 6 Abs. 4 Satz 2 und 3 BayBO 1998 knüpfen begrifflich an die in § 1 Abs. 2, §§ 7 ff. BauNVO genannten Baugebiete Kern-, Gewerbe-, Industrie- und Sondergebiet an. Hierunter fallen nicht nur durch Bebauungsplan festgesetzte Gebiete (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BauNVO), sondern auch nicht überplante Bereiche, die nach dem Bestand der tatsächlich vorhandenen baulichen Nutzungen „faktisch“ dem Charakter eines solchen Baugebiets entsprechen (vgl. Molodovsky/Kraus in Molodovsky/Famers/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand Oktober 2013, Art. 6 Rn. 147; Rauscher/Dhom in Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Stand Dez. 2013, Art. 6 Rn. 269). Dies rechtfertigt sich aus dem Schutzzweck des Art. 6 Abs. 4 BayBO 1998, der in Gebieten, die grundsätzlich nicht dem Wohnen dienen, wegen des geringeren Bedarfs an Belichtung und Freiflächen eine Verkürzung der Abstandsflächentiefe zulässt, gleichgültig, ob das betreffende Baugebiet durch Bebauungsplan festgesetzt ist oder lediglich „faktisch“ besteht.

Eine andere Beurteilung ergibt sich allerdings für nicht der Erholung dienende Sondergebiete im Sinn des § 11 Abs. 2 Satz 2 BauNVO wie einem Hafengebiet, weil ein „faktisches Hafengebiet“ rechtlich nicht denkbar ist. Denn die Frage, was unter einem „Hafengebiet“ zu verstehen ist, und welche Anlagen in einem solchen allgemein zulässig, unzulässig oder ausnahmsweise zulassungsfähig sind, regelt nicht das Gesetz, sondern hängt von einer Entscheidung des zuständigen Planungsträgers ab (vgl. BVerwG, U. v. 16.9.2010 - 4 C 7/10 - NVwZ 2011, 436 Rn. 16; BayVGH, U. v. 8.2.2011 - 15 N 09.1091 - juris Rn. 24 jeweils zu § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 11 Abs. 2 BauNVO). Bei einem „Hafengebiet“ als sonstigem Sondergebiet verlangt § 11 Abs. 2 Satz 1 BauNVO ausdrücklich, dass die Zweckbestimmung und die Art der Nutzung (im Bebauungsplan) darzustellen und festzusetzen sind. Hierzu gehört die Entscheidung nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, welche Anlagen allgemein zulässig, unzulässig oder ausnahmsweise zulassungsfähig sind (vgl. BVerwG, U. v. 14.4.1989 - 4 C 52/87 - NVwZ 1990, 257/258). Soweit die Klägerin daher geltend macht, das Baugrundstück und sein Umfeld würden durch Kaianlagen, umfangreiche Verkehrs- und Eisenbahnanlagen sowie von Lagerflächen geprägt, lässt sich daraus nicht auf das Vorliegen eines „faktischen Hafengebiets“ schließen.

b) Ihr hilfsweise eingewandtes Vorbringen, das maßgebliche Gebiet sei nicht als faktisches Gewerbegebiet, sondern als eine Gemengelage (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB) zu qualifizieren, hat die Klägerin nicht hinreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO). Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts, die auch von der Klägerin nicht infrage gestellt werden, befinden sich in der näheren Umgebung des Baugrundstücks Flächen für Verkehrsanlagen (Straßen, Gleise), Lagerflächen, Betriebsgebäude, Gewerbebetriebe sowie Arbeiterwohnungen (vgl. Urteilsabdruck S. 2 und 6). Dies spricht für das Vorliegen eines (faktischen) Gewerbegebiets, in dem Lagerflächen und Gewerbebetriebe und Lagerplätze sowie Verwaltungsgebäude allgemein zulässig sind (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BauNVO) und Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter ausnahmsweise zugelassen werden können (§ 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO). Dass es sich bei den „Arbeiterwohnungen“ nicht um Wohnungen im Sinn des § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO handeln könnte, bringt die Klägerin nicht vor. Allein der Umstand, dass sich in dem Gebiet auch die Kaianlage des Westhafens von R. und die Donau sowie zahlreiche Eisenbahninfrastrukturanlagen befinden, macht das Gebiet nicht notwendig zu einer Gemengelage und steht der Annahme eines faktischen Gewerbegebiets nicht entgegen.

B. Der Rechtsstreit weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), die die Durchführung eines Berufungsverfahrens erfordern. Die Klägerin sieht die besonderen Schwierigkeiten der Rechtssache in denselben Fragen, die sie auch zu dem Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts angeführt hat. Diese Fragen sind jedoch - wie sich aus vorstehenden Darlegungen ergibt - weder komplex noch fehleranfällig (vgl. zu diesem Maßstab BayVGH, B. v. 3.11.2011 - 8 ZB 10.2931 - BayVBl 2012, 147/149 m. w. N.). Sie können ohne nennenswerten Aufwand im Zulassungsverfahren geklärt werden.

C. Die behauptete grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) hat die Klägerin nicht in einer Weise dargetan, die den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügt.

Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache verlangt neben der Formulierung einer konkreten Tatsachen- oder Rechtsfrage, dass aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich ist. Ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der Frage besteht (vgl. BVerwG, B. v. 22.7.2013 - 6 B 3/13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 55; B. v. 30.1.2014 - 5 B 44/13 - juris Rn. 2). Diesen Anforderungen entspricht der Vortrag der Klägerin nicht. Bezüglich der von ihr aufgeworfenen Fragen,

- „Kann bei einem faktischen Sondergebiet Hafen das Abstandsflächenprivileg des Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO a. F. bzw. Art. 6 Abs. 5 Satz 2 BayBO n. F. zur Anwendung kommen,

- ist ein Verwaltungs-/Bürogebäude ein öffentliches Gebäude im Sinne von Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82 EG,

- welche Anforderungen an die Genehmigung von Gebäuden in einem (faktischen) Überschwemmungsgebiet zu richten sind und

- kommt es bei der Beurteilung der Veränderung der Hochwassersituation (Wasserstand) darauf an, ob ein Gebäude ersetzt oder völlig neu - auf bisher unbebautem Gebiet - errichtet wird (Delta-Betrachtung)“

hat sie weder deren Klärungsbedürftigkeit noch ihre Entscheidungserheblichkeit noch die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dargelegt. „Darlegen“ im Sinn von § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO bedeutet schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch soviel wie „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“. Hierfür genügt das Benennen von Rechtsfragen und die bloße Behauptung, die Fragen seien von grundsätzlicher Bedeutung, nicht (vgl. BVerwG, B. v. 30.6.2006 - 5 B 99.05 - juris Rn. 3).

D. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, erscheint billig, weil sie keinen Antrag gestellt und sich somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO). Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 sowie § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 9.7.1 Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2013, 57).

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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Referenzen - Gesetze

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 24. Apr. 2014 - 15 ZB 13.1167 zitiert 21 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 47 Rechtsmittelverfahren


(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, inn

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124


(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird. (2) Die B

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124a


(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nic

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 162


(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens. (2) Die Gebühren und Auslage

Baugesetzbuch - BBauG | § 34 Zulässigkeit von Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile


(1) Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und di

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 108


(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. (2) Das Urteil darf nur auf Tatsache

Baunutzungsverordnung - BauNVO | § 15 Allgemeine Voraussetzungen für die Zulässigkeit baulicher und sonstiger Anlagen


(1) Die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen sind im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Sie sind auch unzulässig, wenn von ihnen Belästi

Baugesetzbuch - BBauG | § 9 Inhalt des Bebauungsplans


(1) Im Bebauungsplan können aus städtebaulichen Gründen festgesetzt werden: 1. die Art und das Maß der baulichen Nutzung;2. die Bauweise, die überbaubaren und die nicht überbaubaren Grundstücksflächen sowie die Stellung der baulichen Anlagen;2a. vom

Baunutzungsverordnung - BauNVO | § 1 Allgemeine Vorschriften für Bauflächen und Baugebiete


(1) Im Flächennutzungsplan können die für die Bebauung vorgesehenen Flächen nach der allgemeinen Art ihrer baulichen Nutzung (Bauflächen) dargestellt werden als 1.Wohnbauflächen(W)2.gemischte Bauflächen(M)3.gewerbliche Bauflächen(G)4.Sonderbauflächen

Bundes-Immissionsschutzgesetz - BImSchG | § 3 Begriffsbestimmungen


(1) Schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne dieses Gesetzes sind Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen.

Bundes-Immissionsschutzgesetz - BImSchG | § 5 Pflichten der Betreiber genehmigungsbedürftiger Anlagen


(1) Genehmigungsbedürftige Anlagen sind so zu errichten und zu betreiben, dass zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt 1. schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigu

Baunutzungsverordnung - BauNVO | § 8 Gewerbegebiete


(1) Gewerbegebiete dienen vorwiegend der Unterbringung von nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben. (2) Zulässig sind1.Gewerbebetriebe aller Art einschließlich Anlagen zur Erzeugung von Strom oder Wärme aus solarer Strahlungsenergie oder W

Baunutzungsverordnung - BauNVO | § 11 Sonstige Sondergebiete


(1) Als sonstige Sondergebiete sind solche Gebiete darzustellen und festzusetzen, die sich von den Baugebieten nach den §§ 2 bis 10 wesentlich unterscheiden. (2) Für sonstige Sondergebiete sind die Zweckbestimmung und die Art der Nutzung darzuste

Bundes-Immissionsschutzgesetz - BImSchG | § 22 Pflichten der Betreiber nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen


(1) Nicht genehmigungsbedürftige Anlagen sind so zu errichten und zu betreiben, dass 1. schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind,2. nach dem Stand der Technik unvermeidbare schädliche Umwelteinwi

Bundes-Immissionsschutzgesetz - BImSchG | § 17 Nachträgliche Anordnungen


(1) Zur Erfüllung der sich aus diesem Gesetz und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen ergebenden Pflichten können nach Erteilung der Genehmigung sowie nach einer nach § 15 Absatz 1 angezeigten Änderung Anordnungen getroffen wer

Allgemeines Eisenbahngesetz - AEG 1994 | § 3 Öffentlicher Eisenbahnverkehr


(1) Eisenbahnen dienen dem öffentlichen Verkehr (öffentliche Eisenbahnen), wenn sie als 1. Eisenbahnverkehrsunternehmen gewerbs- oder geschäftsmäßig betrieben werden und jedermann sie nach ihrer Zweckbestimmung zur Personen- oder Güterbeförderung ben

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Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 24. Apr. 2014 - 15 ZB 13.1167 zitiert oder wird zitiert von 20 Urteil(en).

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Tenor 1. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. Juni 2010 - 12 N 33.10 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgese

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Verwaltungsgericht München Urteil, 19. Jan. 2016 - M 1 K 15.2568

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Referenzen

(1) Eisenbahnen dienen dem öffentlichen Verkehr (öffentliche Eisenbahnen), wenn sie als

1.
Eisenbahnverkehrsunternehmen gewerbs- oder geschäftsmäßig betrieben werden und jedermann sie nach ihrer Zweckbestimmung zur Personen- oder Güterbeförderung benutzen kann (öffentliche Eisenbahnverkehrsunternehmen),
2.
Eisenbahninfrastrukturunternehmen Zugang zu ihrer Eisenbahninfrastruktur gewähren müssen (öffentliche Eisenbahninfrastrukturunternehmen),
3.
Betreiber der Schienenwege Zugang zu ihren Schienenwegen gewähren müssen (öffentliche Betreiber der Schienenwege).

(2) Die nicht von Absatz 1 erfassten Eisenbahnen und Werksbahnen sind nichtöffentliche Eisenbahnen.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

Tenor

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfahren der Verfassungsbeschwerde wird auf 250.000 € (in Worten: zweihundertfünfzigtausend Euro) festgesetzt (§ 37 Abs. 2 Satz 2 RVG).

Tenor

1. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. Juni 2010 - 12 N 33.10 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes.

Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. Juni 2010 - 12 N 33.10 - wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zurückverwiesen.

2. ...

Gründe

I.

1

Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen einen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts, mit dem sein Antrag auf Zulassung der Berufung gegen ein verwaltungsgerichtliches Urteil zurückgewiesen wurde. Im erstinstanzlichen Verfahren hatte er eine Reduzierung der von ihm für das Jahr 2001 geforderten Abgaben für ein ärztliches Versorgungswerk angestrebt.

2

1. § 20 Abs. 1 Satz 1 der Satzung der Berliner Ärzteversorgung in der Fassung vom 1. April 2000 verpflichtet jedes Mitglied zur Leistung von Versorgungsabgaben, sofern Einkünfte aus ärztlicher Berufsausübung erzielt werden. Als allgemeine Versorgungsabgabe ist eine "Normalabgabe" zu zahlen, die gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 der Satzung dem höchsten Pflichtbeitrag zur Angestelltenversicherung im gleichen Jahr entspricht. Als Mindestabgabe ist der 0,2-fache Betrag der Normalabgabe zu zahlen. In ständiger Verwaltungspraxis mussten im streitgegenständlichen Zeitraum Mitglieder, deren Einkommen 2.000 DM pro Monat unterschritt, nur einen reduzierten Versorgungsbeitrag in Höhe des hälftigen Beitragssatzes der Rentenversicherung der Angestellten erbringen (im Folgenden: Härtefallregelung).

3

Im Jahr 2001 belief sich der höchste Pflichtbeitrag zur Rentenversicherung der Angestellten auf 1.661,70 DM (849,61 €).

4

2. Der Beschwerdeführer ist Arzt und war aufgrund seiner Mitgliedschaft in der Ärztekammer, der Beklagten des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Beklagte) auch Mitglied der von ihr eingerichteten Ärzteversorgung.

5

Auf Grundlage eines Honorarvertrags war der Beschwerdeführer ab Juli 2000 als Bereitschaftsarzt für eine Privatklinik tätig. Da er zunächst weniger als 2.000 DM pro Monat verdiente, beantragte er bei der Beklagten eine Beitragsreduzierung auf Basis der Härtefallregelung, die diese mit Bescheid von Februar 2001 ab Januar 2000 gewährte. Für den Zeitraum ab Januar 2001 setzte die Beklagte gegenüber dem Beschwerdeführer unter Zugrundelegung der Härtefallregelung einen monatlichen Beitrag von 81,20 DM fest. Die Tätigkeit des Beschwerdeführers als Bereitschaftsarzt endete mit Ablauf des Monats Oktober 2001. Das letzte Honorar wurde im November 2001 ausgezahlt. Für den Rest des Jahres 2001 erzielte der Beschwerdeführer keine Einnahmen aus ärztlicher Tätigkeit mehr.

6

a) Nachdem der Beschwerdeführer den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2001 vorgelegt hatte, aus dem sich Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 20.291 DM (10.374,62 €) ergaben, setzte die Beklagte im Mai 2003 für das Jahr 2001 bezüglich der Monate Januar bis Oktober 2001, ausgehend vom 0,2-fachen der Normalabgabe, einen monatlichen Beitrag von jeweils 169,92 € fest. Unter Berücksichtigung bereits gezahlter Beiträge und vorhandener Guthaben forderte sie vom Beschwerdeführer zugleich eine Nachzahlung in Höhe von 1.206,79 €. Der gegen die Höhe der Abgabe gerichtete Widerspruch des Beschwerdeführers blieb erfolglos.

7

b) Mit seiner daraufhin erhobenen Klage verlangte der Beschwerdeführer eine Reduzierung des Nachzahlungsbetrags auf 485,52 €, weil er der Härtefallregelung unterfalle. Sein monatliches Einkommen unterschreite die Grenze von 2.000 DM, weil das erst im November 2001 ausgezahlte Honorar nicht mehr als Einkommen berücksichtigt werden dürfe.

8

Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab. Die Beklagte habe die Versorgungsabgaben für 2001 in der zutreffenden Höhe festgesetzt. Die Härtefallregelung könnte nicht zugunsten des Beschwerdeführers angewendet werden, weil sein monatliches Einkommen mehr als 2.000 DM pro Monat betragen habe. Abzustellen sei auf das Einkommen, das sich aus dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2001 ergebe. Weder habe der Beschwerdeführer belegen können, dass in den im Steuerbescheid ausgewiesenen Einkünften auch Einkommen aus dem Jahr 2000 enthalten sei, noch komme es für das von Januar bis Oktober 2001 erarbeitete Einkommen auf den Zeitpunkt des Zuflusses an. Da nur für die Dauer der ärztlichen Tätigkeit Abgaben zu leisten seien, habe die Beklagte den 2001 verdienten Betrag auch richtigerweise lediglich auf 10 statt auf 12 Monate verteilt.

9

c) Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts beantragte der Beschwerdeführer die Zulassung der Berufung. Er berief sich hierbei ausdrücklich auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Das Verwaltungsgericht sei nicht befugt gewesen, das ihm erst im November zugeflossene Einkommen zu berücksichtigten, weil es auf den Zufluss des Entgelts während der Dauer der Beschäftigung ankomme. Weiter sei zu erwähnen, dass die Beklagte ihre Forderung auch bei Anwendung des Entstehungsprinzips nicht begründen könne; denn in diesem Fall müssten von seinen einkommensteuerrechtlich für das Jahr 2001 ermittelten Einkünften aus selbständiger Arbeit seine während der zweiten Dezemberhälfte 2000 erwirtschafteten Honorare in Höhe von 985,50 DM abgezogen werden, wodurch nur noch Jahreseinkünfte von 19.305 DM verblieben. Dies führe ebenfalls zur Anwendung der Härtefallregelung. Der Beschwerdeführer bezog sich dabei auf bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegte Unterlagen. Seinem Schriftsatz war darüber hinaus als Anlage ein von Januar 2010 datierendes Schreiben der Rechtsnachfolgerin der Klinik, für die er tätig gewesen war, beigefügt, aus dem sich ergab, dass der Beschwerdeführer im Monat Dezember 2000 am 2., 9., 25., 28. und 31. Dezember Dienste absolviert hatte.

10

d) Das Oberverwaltungsgericht wies den Zulassungsantrag zurück. Die Berufung sei nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung zuzulassen, weil ein Divergenzfall nicht gegeben sei. Auch ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils in Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden nicht. Die Auslegung des Verwaltungsgerichts sei sowohl mit Wortlaut als auch mit Sinn und Zweck der Satzung vereinbar. Die Ausführungen des Beschwerdeführers, die sein Einkommen im Jahr 2001 beträfen, seien in Bezug auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nicht entscheidungserheblich. Nichts anderes ergebe sich, wenn man zu seinen Gunsten unterstelle, dass er insoweit ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung habe geltend machen wollen; denn in diesem Fall sei durch die bloße Vorlage eines Honorarvertrags nicht nachgewiesen, dass im Januar 2001 Honorare für eine im Dezember 2000 ausgeübte ärztliche Tätigkeit gezahlt worden seien.

11

3. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG.

12

a) Die Nichtzulassung der Berufung verstoße gegen Art. 19 Abs. 4 GG, hilfsweise gegen Art. 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG als allgemeines Prozessgrundrecht auf ein faires Gerichtsverfahren. Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sei erfüllt, es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils. Falsch sei schon, dass das Gericht auf das Entstehungsprinzip abgestellt habe, denn maßgebend sei das Zuflussprinzip. Das ihm erst im November 2001 zugegangene Honorar dürfe daher nicht mitberücksichtigt werden. Selbst bei Anwendung des Entstehungsprinzips müsse aber zu seinen Gunsten die Härtefallregelung eingreifen; auch dann liege sein durchschnittliches Monatseinkommen während des maßgeblichen Zeitraums unter der Grenze von 2.000 DM. Es müsse nämlich das Honorar, das in der zweiten Dezemberhälfte des Jahres 2000 von ihm erwirtschaftet worden sei, aus dem Einkommen, das sich aus dem Steuerbescheid 2001 ergebe, herausgerechnet werden.

13

b) Auch die Ablehnung der weiteren Zulassungsgründe verstoße gegen Art. 19 Abs. 4 GG. Im Übrigen verletze die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Art. 3 Abs. 1 GG als Gleichbehandlungsgebot und Willkürverbot.

14

4. Der Senatsverwaltung für Justiz des Landes Berlin und der Ärztekammer Berlin wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Akten des Ausgangsverfahrens waren beigezogen.

II.

15

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt (vgl. BVerfGE 78, 88 <98 f.>; 96, 27 <39>; 104, 220 <231 f.>). Die Verfassungsbeschwerde ist zudem offensichtlich begründet.

16

1. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 28. Juni 2010 verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 GG.

17

a) Art. 19 Abs. 4 GG enthält ein Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 8, 274 <326>; 67, 43 <58>; 96, 27 <39>; stRspr). Die Vorschrift erfordert zwar keinen Instanzenzug (vgl. BVerfGE 49, 329 <343>; 83, 24 <31>; 87, 48 <61>; 92, 365 <410>; 96, 27 <39>; stRspr); eröffnet das Prozessrecht aber eine weitere Instanz, so gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG in diesem Rahmen die Effektivität des Rechtsschutzes im Sinne eines Anspruchs auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 40, 272 <274 f.>; 54, 94 <96 f.>; 65, 76 <90>; 96, 27 <39>; stRspr). Das Rechtsmittelgericht darf ein von der jeweiligen Prozessordnung eröffnetes Rechtsmittel daher nicht ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer "leerlaufen" lassen (vgl. BVerfGE 78, 88 <98 f.>; 96, 27 <39>; 104, 220 <231 f.>). Sehen die prozessrechtlichen Vorschriften - wie §§ 124, 124a VwGO - die Möglichkeit vor, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten, so verbietet Art. 19 Abs. 4 GG eine Auslegung und Anwendung dieser Rechtsnormen, die die Beschreitung des eröffneten Rechtswegs in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert (vgl. BVerfGE 78, 88 <98 f.>; 96, 27 <39>; 104, 220 <231 f.>). Vor diesem Hintergrund dürfen an die Darlegung eines Zulassungsgrundes keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Insbesondere ist der in § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO enthaltene Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils immer schon dann erfüllt, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hat (vgl. BVerfGE 110, 77 <83>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, juris, Rn. 15).

18

b) Diese Maßstäbe hat das Oberverwaltungsgericht verkannt und den Zugang des Beschwerdeführers zur Berufungsinstanz dadurch in unzumutbarer Weise verkürzt.

19

aa) Verfassungsrechtlich nicht haltbar ist schon der rechtliche Ausgangspunkt des Oberverwaltungsgerichts, eine Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO komme nicht in Betracht, weil der Beschwerdeführer nicht "nachgewiesen" habe, dass im Januar 2001 gezahltes Honorar auch Einkommen für eine im Dezember 2000 ausgeübte ärztliche Tätigkeit enthalte. Des Nachweises einer solchen Behauptung durch den Antragsteller bedarf es im Berufungszulassungsverfahren gerade nicht. Schlüssige Gegenargumente liegen vielmehr bereits dann vor, wenn der Antragsteller substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist. Ob tatsächliche Umstände, die ein Antragsteller schlüssig behauptet, auch wirklich gegeben sind, muss bei Unklarheiten nach Zulassung der Berufung während des sich anschließenden Berufungsverfahrens im Rahmen der Amtsermittlung geklärt werden. Es ist nicht zulässig, diese Prüfung ins Zulassungsverfahren vorzuverlagern und damit die eigentlich erforderliche Beweisaufnahme zu umgehen (vgl. auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 21. Dezember 2009 - 1 BvR 812/09 -, juris, Rn. 22).

20

bb) Der fehlerhafte rechtliche Ansatz des Oberverwaltungsgerichts führt auch zu einem verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Ergebnis. Das Gericht hätte die Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zulassen müssen, weil der Beschwerdeführer im Berufungszulassungsverfahren eine das verwaltungsgerichtliche Urteil tragende Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hat.

21

(1) Das Verwaltungsgericht geht, unter Zugrundelegung der ständigen Verwaltungspraxis der Beklagten, davon aus, dass ein Kammermitglied Anspruch auf einen (reduzierten) Beitrag in Höhe des hälftigen Beitragssatzes zur Rentenversicherung der Angestellten hat, sofern es einen Monatsverdienst von weniger als 2.000 DM erzielt. Für den Beschwerdeführer verneint das Gericht dann einen solchen, die 2.000 DM-Grenze unterschreitenden Verdienst pro Monat, weil die von ihm im Jahr 2001 erzielten Einnahmen von 20.291 DM auf 10 Monate, nämlich den Zeitraum von Januar bis einschließlich Oktober 2001, zu verteilen seien. Denn die Einnahmen könnten nur auf die Monate verteilt werden, in denen sie erarbeitet worden seien; auf den Zeitpunkt des Zuflusses komme es nicht an. Für die Höhe der Einnahmen stützt sich das Verwaltungsgericht auf die aus dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2001 ergebende Einkommenshöhe, unterstellt also, dass die sich aus dem Einkommensteuerbescheid ergebenden Einnahmen vom Beschwerdeführer in dem Zeitraum von Januar bis Oktober 2001 erarbeitet worden sind und stützt seine Entscheidung auf diese Annahme.

22

(2) Demgegenüber hat der Beschwerdeführer zur Begründung seines Antrags auf Zulassung der Berufung eingewandt, in den Einnahmen, die in dem Einkommensteuerbescheid 2001 ausgewiesen seien, seien auch Verdienste aus dem Jahr 2000 enthalten, und zwar Honorare in Höhe von 985,50 DM, die er durch seine ärztliche Tätigkeit in der zweiten Dezemberhälfte 2000 erwirtschaftet habe. Zum Beleg seiner Behauptung hat er das Schreiben von Januar 2010, wonach er im Dezember 2000 an fünf Tagen Dienste wahrgenommen hat, vorgelegt. Darüber hinaus hat er vorgetragen, aufgrund des klinikinternen Abrechnungsmodus sei das Honorar während seiner Tätigkeit immer jeweils von Monatsmitte zu Monatsmitte berechnet und anschließend ausgezahlt worden. Da hiernach für die Monate Januar bis Oktober 2001 nur noch ein Einkommen von 19.305 DM verbleibe - also weniger als 2.000 DM monatlich - sei die Härtefallklausel schon aus diesem Grunde auf ihn anzuwenden.

23

(3) Damit hat der Beschwerdeführer die Prämisse des Verwaltungsgerichts, in dem aus dem Steuerbescheid ergebenden Einkommen seien keine Einnahmen aus dem Jahre 2000 enthalten, mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt. Denn auf Grundlage der Behauptungen des Beschwerdeführers, die er zudem mit dem Schreiben von Januar 2010 belegt hat, erscheint es nicht lediglich als möglich, sondern sogar als nahe liegend, dass entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts im Steuerbescheid des Jahres 2001 als Einkommen auch Honorar berücksichtigt war, das der Beschwerdeführer im Dezember 2000 erarbeitet hatte. Dafür spricht nicht nur das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach sein Honorar in einem Abrechnungsmodus von Monatsmitte bis Monatsmitte berechnet und ausbezahlt wurde. Auch aus verwaltungspraktischen Gründen erscheint es wenig wahrscheinlich, dass insbesondere für eine ab dem 25. Dezember 2000, also während der Weihnachtsfeiertage und danach, geleistete Arbeit die Vergütung noch im selben Monat überwiesen werden konnte. Anhaltspunkte für eine Zahlung des Honorars im Voraus oder für Abschlagszahlungen gibt es nicht.

24

(4) Die Tatsachenfeststellungen, die der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen in Frage stellt, sind auch rechtlich erheblich. Denn das Verwaltungsgericht hätte, wären die Behauptungen des Beschwerdeführers zutreffend, seiner Klage jedenfalls teilweise stattgeben müssen. In diesem Fall hätte sich nämlich für 2001 ein in diesem Jahr "erarbeitetes" Honorar von lediglich 19.305,50 DM ergeben, weil 985,50 DM als Honorar für Dienste im Dezember 2000 von dem im Steuerbescheid 2001 ausgewiesenen Einkommen von 20.291 DM abzuziehen gewesen wären. Für die zehnmonatige ärztliche Tätigkeit des Beschwerdeführers im Jahr 2001 hätte sein monatlicher Verdienst folglich nur noch 1.930,55 DM betragen und damit die 2.000 DM-Grenze unterschritten. Nach der vom Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegten Rechtsauffassung - die vom Oberverwaltungsgericht in dem angegriffenen Beschluss auch nicht in Zweifel gezogen wird - wäre bei diesem geringen Einkommen die Härtefallregelung anzuwenden gewesen. Da sich die monatlichen Abgaben dementsprechend nur nach dem hälftigen Beitragssatz der Rentenversicherung für Angestellte, also der Hälfte von damals 19,1 %, errechnen würden, hätten sich diese nicht wie von der Beklagten festgesetzt auf - umgerechnet - 169,92 € belaufen, sondern lediglich auf 94,27 €. Auch die geltend gemachte Nachforderung würde sich entsprechend verringern.

25

cc) Dem Beschwerdeführer kann auch nicht entgegengehalten werden, er habe den Zulassungsgrund im Berufungszulassungsverfahren nicht hinreichend dargelegt. Insbesondere ist es unschädlich, dass er in dem Zulassungsschriftsatz die von ihm vorgebrachten Argumente keinem beziehungsweise jedenfalls nicht dem zutreffenden Berufungszulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugeordnet hat. Denn für eine den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügende Darlegung eines oder mehrerer Berufungszulassungsgründe ist es nicht notwendig, dass der Antragsteller ausdrücklich einen der in § 124 Abs. 2 VwGO normierten Zulassungsgründe oder die dort angeführten tatbestandlichen Voraussetzungen benennt. Ebenso ist es kein Hindernis, wenn der Antragsteller sein Vorbringen unter dem falschen Berufungszulassungsgrund erörtert oder verschiedene Gesichtspunkte, die bei unterschiedlichen Zulassungsgründen im Sinne von § 124 Abs. 2 VwGO relevant sein können, miteinander vermengt. Art. 19 Abs. 4 GG verpflichtet das den Zulassungsantrag prüfende Gericht nämlich dazu, den Vortrag des jeweiligen Antragstellers angemessen zu würdigen und durch sachgerechte Auslegung selbstständig zu ermitteln, welche Zulassungsgründe der Sache nach geltend gemacht werden und welche Einwände welchen Zulassungsgründen zuzuordnen sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. August 2010 - 1 BvR 2309/09 -, juris, Rn. 13; vgl. insoweit auch BVerfGK 5, 369 <375 f.>). Erst dann, wenn aus einer nicht auf einzelne Zulassungsgründe zugeschnittenen Begründung auch durch Auslegung nicht eindeutig ermittelt werden kann, auf welchen Zulassungsgrund der Antrag gestützt wird, stellt die Verwerfung des Antrags als unzulässig keine unzumutbare Erschwerung des Zugangs zur Berufungsinstanz dar (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. August 2010, a.a.O., Rn. 13). Dass sich das Vorbringen des Beschwerdeführers ohne Schwierigkeiten dem Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuordnen lässt, folgt hier schon daraus, dass es vom Oberverwaltungsgericht unter diesem Gesichtspunkt geprüft wurde. Eine solche Zuordnung lag im Übrigen auch auf der Hand, weil die Ausführungen des Beschwerdeführers nur zu diesem Zulassungsgrund passen.

26

c) Die weiteren Argumente, die der Beschwerdeführer gegen die Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils vorgebracht hat, sind allerdings nicht geeignet, einen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG zu begründen. Dass das Oberverwaltungsgericht im Hinblick auf diese Einwände das Vorliegen des Zulassungsgrundes des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO verneint hat, lässt keine Grundrechtsverletzung erkennen. Der Beschwerdeführer hat schon nicht nachvollziehbar dargelegt, warum die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Zufluss des Einkommens erst nach dem Ablauf des Zeitraums der Tätigkeit sei unschädlich - maßgeblich sei vielmehr der Zeitpunkt des Erarbeitens -, fehlerhaft sein sollte. Der Ansatz des Gerichts, allein an den Tätigkeitszeitraum anzuknüpfen und den Zuflusszeitpunkt als unerheblich anzusehen, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

27

Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO (Divergenz) sei nicht gegeben, gegen Art. 19 Abs. 4 GG verstoßen könnte. Die Gründe, mit denen das Gericht das Vorliegen des Zulassungsgrundes ablehnt, sind gut nachvollziehbar. Dass sie den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG nicht genügen könnten, ist nicht zu erkennen.

28

Eine Berufung auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung) scheitert schließlich unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität schon daran, dass sich der Beschwerdeführer auf diesen Grund im Berufungszulassungsverfahren weder ausdrücklich noch der Sache nach berufen hat.

29

2. Die angegriffene Entscheidung beruht auf dem festgestellten Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG. Ob der Beschluss auch gegen Art. 3 Abs. 1 GG beziehungsweise Art. 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verstößt, kann daher offenbleiben.

30

3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden.

(2) Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der auf Grund des § 9a erlassenen Verordnung bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre; auf die nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31 Absatz 1, im Übrigen ist § 31 Absatz 2 entsprechend anzuwenden.

(3) Von Vorhaben nach Absatz 1 oder 2 dürfen keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein.

(3a) Vom Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nach Absatz 1 Satz 1 kann im Einzelfall abgewichen werden, wenn die Abweichung

1.
einem der nachfolgend genannten Vorhaben dient:
a)
der Erweiterung, Änderung, Nutzungsänderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten Gewerbe- oder Handwerksbetriebs,
b)
der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten, Wohnzwecken dienenden Gebäudes oder
c)
der Nutzungsänderung einer zulässigerweise errichteten baulichen Anlage zu Wohnzwecken, einschließlich einer erforderlichen Änderung oder Erneuerung,
2.
städtebaulich vertretbar ist und
3.
auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
Satz 1 findet keine Anwendung auf Einzelhandelsbetriebe, die die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung beeinträchtigen oder schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden haben können. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 Buchstabe b und c kann darüber hinaus vom Erfordernis des Einfügens im Einzelfall im Sinne des Satzes 1 in mehreren vergleichbaren Fällen abgewichen werden, wenn die übrigen Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und die Aufstellung eines Bebauungsplans nicht erforderlich ist.

(4) Die Gemeinde kann durch Satzung

1.
die Grenzen für im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen,
2.
bebaute Bereiche im Außenbereich als im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, wenn die Flächen im Flächennutzungsplan als Baufläche dargestellt sind,
3.
einzelne Außenbereichsflächen in die im Zusammenhang bebauten Ortsteile einbeziehen, wenn die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt sind.
Die Satzungen können miteinander verbunden werden.

(5) Voraussetzung für die Aufstellung von Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 ist, dass

1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sind,
2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und
3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
In den Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 können einzelne Festsetzungen nach § 9 Absatz 1 und 3 Satz 1 sowie Absatz 4 getroffen werden. § 9 Absatz 6 und § 31 sind entsprechend anzuwenden. Auf die Satzung nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 3 sind ergänzend § 1a Absatz 2 und 3 und § 9 Absatz 1a entsprechend anzuwenden; ihr ist eine Begründung mit den Angaben entsprechend § 2a Satz 2 Nummer 1 beizufügen.

(6) Bei der Aufstellung der Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 sind die Vorschriften über die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 13 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3 sowie Satz 2 entsprechend anzuwenden. Auf die Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 bis 3 ist § 10 Absatz 3 entsprechend anzuwenden.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Zurückweisung eines Nachbarwiderspruchs gegen einen ihr erteilten Bauvorbescheid für ein großflächiges Gartencenter in der Nachbarschaft eines sog. Störfallbetriebs.

2

Die Klägerin ist Eigentümerin von Grundstücken im unbeplanten Innenbereich in D. mit einer Gesamtfläche von über 3 ha, die in der Nachbarschaft des Betriebs der Beigeladenen (eines Störfallbetriebs, der unter die Richtlinie 96/82/EG - kurz: "Seveso-II-Richtlinie" - fällt) liegen und die derzeit u.a. für eine Schrott- und Metallrecyclinganlage genutzt werden. Sie beantragte die Erteilung einer Bebauungsgenehmigung für die Errichtung eines Gartencenters (Verkaufsfläche 9 368 qm, davon 1 340 qm Freifläche). Zu diesem Zeitpunkt hatte die Klägerin das Baugrundstück bereits an die Klägerin im Verfahren BVerwG 4 C 12.11 verkauft. Der Vertrag soll jedoch erst wirksam werden, wenn u.a. der Nachweis des Vorliegens der Bestandskraft des beantragten Vorbescheids oder der Bestandskraft einer Baugenehmigung erbracht worden sei. Die Stadt D. erteilte der Klägerin den Vorbescheid antragsgemäß. Hiergegen erhob die Beigeladene Widerspruch, über den das beklagte Land Hessen bisher nicht (abschließend) entschieden hat.

3

Auf die Untätigkeitsklage der Klägerin hat das Verwaltungsgericht den Beklagten verpflichtet, den Widerspruch der Beigeladenen gegen den der Klägerin erteilten Bauvorbescheid zurückzuweisen. Die Berufungen des Beklagten und der Beigeladenen blieben erfolglos. Der erteilte Bauvorbescheid - so die Begründung des Berufungsurteils - sei rechtmäßig, so dass die Unterlassung der begehrten Zurückweisung des Widerspruchs die Klägerin in ihren Rechten verletze. Das Bauvorhaben sei bauplanungsrechtlich zulässig und verstoße auch nicht gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme. Eine Verletzung der gegenüber dem Störfallbetrieb gebotenen Rücksichtnahme scheide deswegen aus, weil sich innerhalb der gutachtlich ermittelten "Achtungsgrenzen" bereits verschiedene gewerbliche Nutzungen befänden, darunter auch Baumärkte, die ebenfalls Freiverkaufsflächen aufwiesen und nur unwesentlich weiter als das geplante Gartencenter vom Betriebsgelände der Beigeladenen entfernt lägen. Auch bei etwaiger Nichteinhaltung eines erforderlichen Sicherheitsabstands sei deshalb nicht erkennbar, dass es durch das Heranrücken einer weiteren schutzwürdigen Bebauung zu einer Verschärfung der immissionsschutzrechtlichen Anforderungen für die Beigeladene kommen könne. Eine Verpflichtung der Klägerin zur Einhaltung eines Abstands gegenüber dem Störfallbetrieb ergebe sich auch nicht aus § 50 BImSchG. Selbst wenn man § 50 BImSchG im Rahmen von § 34 BauGB für anwendbar halten wollte, scheitere eine Anwendung im vorliegenden Fall daran, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Vorhaben nicht um eine raumbedeutsame Maßnahme im Sinne der Vorschrift handle. Das Vorhaben verstoße auch nicht gegen die gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB zu wahrenden Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse, die auf die Abwehr städtebaulicher Missstände beschränkt seien. Eine unmittelbare Anwendung des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG bzw. eine richtlinienkonforme Auslegung des § 50 BImSchG komme nicht in Betracht. Ein zwingendes Gebot der Abstandswahrung, das auch bei der Zulassung von Einzelvorhaben zu beachten sei, sei der Richtlinie nicht zu entnehmen. Selbst wenn man annehme, dass der deutsche Gesetzgeber Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG nicht vollständig umgesetzt habe, fehle es an der für eine unmittelbare Anwendung der Richtlinie erforderlichen inhaltlichen Unbedingtheit und hinreichenden Genauigkeit.

4

Der Senat hat die Revisionen des Beklagten und der Beigeladenen zum Anlass genommen, das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht auszusetzen und den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in Luxemburg im Wege der Vorabentscheidung (Art. 267 AEUV) um Klärung mehrerer Fragen zu bitten (Beschluss vom 3. Dezember 2009 - BVerwG 4 C 5.09 - juris). Der Senat war der Auffassung, dass die Revisionen auf der Grundlage des nationalen Rechts zurückzuweisen wären, hatte es allerdings für zweifelhaft gehalten, ob die Zulassung des Vorhabens unter den hier gegebenen bzw. unterstellten Umständen mit Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG vereinbar ist (Beschluss vom 3. Dezember 2009 a.a.O. Rn. 11 ff. und 22 ff.).

5

Mit Urteil vom 15. September 2011 - Rs. C-53/10 - (ABl EU 2011 Nr. C 319 S. 5 = ZfBR 2011, 763) hat der EuGH über die Vorlagefragen entschieden.

6

Die erste Vorlagefrage hat er wie folgt beantwortet:

Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG ist dahin auszulegen, dass die Pflicht der Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass langfristig dem Erfordernis Rechnung getragen wird, dass zwischen den unter diese Richtlinie fallenden Betrieben einerseits und öffentlich genutzten Gebäuden andererseits ein angemessener Abstand gewahrt bleibt, auch von einer Behörde wie der für die Erteilung von Baugenehmigungen zuständigen Stadt D. zu beachten ist, und zwar auch dann, wenn sie in Ausübung dieser Zuständigkeit eine gebundene Entscheidung zu erlassen hat.

7

Auf die zweite und dritte Frage hat der EuGH geantwortet:

Die in Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG vorgesehene Verpflichtung, langfristig dem Erfordernis Rechnung zu tragen, dass zwischen den unter diese Richtlinie fallenden Betrieben einerseits und öffentlich genutzten Gebäuden andererseits ein angemessener Abstand gewahrt bleibt, schreibt den zuständigen nationalen Behörden nicht vor, unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Ansiedlung eines öffentlich genutzten Gebäudes zu verbieten. Dagegen steht diese Verpflichtung nationalen Rechtsvorschriften entgegen, nach denen eine Genehmigung für die Ansiedlung eines solchen Gebäudes zwingend zu erteilen ist, ohne dass die Risiken der Ansiedlung innerhalb der genannten Abstandsgrenzen im Stadium der Planung oder der individuellen Entscheidung gebührend gewürdigt worden wären.

8

Der Beklagte und die Beigeladene sehen ihre Rechtsauffassungen durch die Vorabentscheidung des EuGH im Wesentlichen bestätigt. Die Verpflichtung zur gebührenden Würdigung der mit einer Neuansiedlung verbundenen Risiken bestehe nicht erst dann, wenn ein hinzukommendes Vorhaben im Hinblick auf die Auswirkungen eines Störfalls einen weitergehenden Schutzbedarf als die bisherige Bebauung auslöse, sondern bereits dann, wenn durch die Neuansiedlung - wie hier - eine wesentliche Verschlechterung des Status quo u.a. im Hinblick auf das Ziel der Begrenzung der Folgen eines schweren Unfalls eintrete. Die vom EuGH geforderten Bewertungen, insbesondere unter Berücksichtigung "sozioökonomischer" Faktoren, seien hier noch nicht vorgenommen worden. Der Entscheidung des EuGH könne im Ergebnis mit der Auslegung des § 34 BauGB entsprechend Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG nur dadurch Rechnung getragen werden, dass die Klage abgewiesen werde. Welche Faktoren dazu führen sollten, dass diese Risikoermittlung und -bewertung nicht maßgeblich sei bzw. überwunden werden könne, sei nicht ersichtlich.

9

Die Klägerin hält das Vorhaben nach wie vor für bauplanungsrechtlich zulässig. Der EuGH habe das Konzept des deutschen Gesetzgebers zur Umsetzung der Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG im Hinblick auf bereits bebaute Einwirkungsbereiche von Störfallbetrieben akzeptiert. Die von Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG geforderte störfallrechtliche Risikobewertung sei schon bislang in einem ausreichenden Maße im Rahmen von § 34 Abs. 1 BauGB erfolgt.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässigen Revisionen sind begründet. Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

11

Der Verwaltungsgerichtshof hat zu Recht die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des streitgegenständlichen Gartencenters und damit die Rechtmäßigkeit des der Klägerin erteilten Bauvorbescheids an § 34 Abs. 1 BauGB und dem über das Tatbestandsmerkmal des Einfügens darin enthaltenen Rücksichtnahmegebot gemessen. Mit Bundesrecht unvereinbar ist allerdings die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, dass eine Verletzung der gegenüber dem Störfallbetrieb der Beigeladenen gebotenen Rücksichtnahme deshalb ausscheide, weil sich innerhalb der gutachtlich ermittelten "Achtungsgrenzen" bereits verschiedene gewerbliche Nutzungen befänden und wegen dieser Vorbelastung - die Nichteinhaltung des angemessenen Abstands unterstellt - nicht erkennbar sei, dass es durch die Neuansiedlung zu einer Verschärfung der immissionsschutzrechtlichen Anforderungen für die Beigeladene kommen könne.

12

Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG verlangt, dass die Risiken der Zulassung eines öffentlich genutzten Gebäudes in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs ungeachtet etwaiger Vorbelastungen gebührend gewürdigt werden (1). Diesem unionsrechtlichen Erfordernis ist durch eine richtlinienkonforme Handhabung des in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltenen Rücksichtnahmegebots Geltung zu verschaffen (2). Dessen Anforderungen hat der Verwaltungsgerichtshof verkannt (3). Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, weil die hierfür erforderlichen Tatsachenfeststellungen fehlen (4).

13

1. Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG schließt es aus, die Neuansiedlung eines öffentlich genutzten Gebäudes in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs allein im Hinblick auf bestehende Vorbelastungen zuzulassen, ohne zuvor ermittelt zu haben, welcher Abstand angemessen ist und welche Risiken mit der Neuansiedlung innerhalb dieser Abstandsgrenzen einhergehen.

14

Der EuGH (Urteil vom 15. September 2011 - Rs. C-53/10 - UPR 2011, 443 LS 1) hat Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG dahin ausgelegt, dass die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, langfristig dem Erfordernis der Wahrung angemessener Abstände zwischen einem Störfallbetrieb und öffentlich genutzten Gebäuden Rechnung zu tragen, auch von Baugenehmigungsbehörden bei gebundenen Entscheidungen über die Zulassung von Vorhaben zu beachten ist. Dass der Betrieb der Beigeladenen ein Störfallbetrieb und das von der Klägerin beantragte Gartencenter ein öffentlich genutztes Gebäude im Sinne der Richtlinie ist, ist unstreitig (EuGH a.a.O. Rn. 2 und 3). Die als Baugenehmigungsbehörde tätig gewordene Stadt D. war deshalb bei der Entscheidung über den von der Klägerin beantragten Bauvorbescheid verpflichtet, dem Abstandserfordernis des Art. 12 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 96/82/EG Rechnung zu tragen.

15

Diese Verpflichtung hat der EuGH (a.a.O. LS 2) zwar nicht in dem Sinne ausgelegt, dass jede Neuansiedlung eines öffentlich genutzten Gebäudes innerhalb des angemessenen Abstands zwingend untersagt werden müsste. Es ist mit der Richtlinie aber nicht vereinbar, wenn die Ansiedlung zugelassen wird, ohne dass die Risiken einer Ansiedlung innerhalb des angemessenen Abstands gebührend gewürdigt worden wären (EuGH a.a.O. Rn. 49). Die Genehmigungsbehörde muss deshalb in einem ersten Schritt ermitteln, welcher Abstand "angemessen" ist und ob das Neuansiedlungsvorhaben innerhalb dieser Abstandsgrenze liegt. Ist der angemessene Abstand nicht eingehalten, muss sich die Behörde in einem zweiten Schritt darüber Gedanken machen, ob ein Unterschreiten des angemessenen Abstands im Einzelfall vertretbar ist.

16

a) Welcher Abstand "angemessen" ist, ist im Unionsrecht nicht geregelt. Damit obliegt es den zuständigen nationalen Genehmigungsbehörden und Gerichten zumindest implizit, die angemessenen Abstände im jeweiligen Einzelfall anhand aller relevanten störfallspezifischen Faktoren festzulegen (EuGH a.a.O. Rn. 45 und 50).

17

Die nationalen Behörden haben im Falle der Ansiedlung eines öffentlich genutzten Gebäudes in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs den Anstieg des Unfallrisikos oder die Verschlimmerung der Unfallfolgen zu bewerten (Art. 12 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 96/82/EG; EuGH a.a.O. Rn. 43). Das erfordert jedenfalls dann, wenn die Behörde Anhaltspunkte dafür hat, dass das zur Genehmigung gestellte Vorhaben den angemessenen Abstand nicht einhält (vgl. Uechtritz, BauR 2012, 1039 <1047>), eine Abschätzung nicht nur der Risiken und Schäden, sondern auch aller anderen in jedem Einzelfall relevanten (störfall-) "spezifischen Faktoren", die je nach den besonderen Gegebenheiten der Gebiete unterschiedlich ausfallen können (EuGH a.a.O. Rn. 43 f.). Das wird in aller Regel nicht ohne eine Heranziehung technisch-fachlichen Sachverstands möglich sein. Gegebenenfalls kann auch in Betracht kommen, vom Vorhabenträger die Vorlage eines entsprechenden Gutachtens zu verlangen (Uechtritz, a.a.O. S. 1047).

18

Als störfallspezifische Faktoren, die im jeweiligen Einzelfall relevant sein können, nennt der EuGH (a.a.O. Rn. 44) die Art der jeweiligen gefährlichen Stoffe, die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines schweren Unfalls, die Folgen eines etwaigen Unfalls für die menschliche Gesundheit und die Umwelt, die Art der Tätigkeit der neuen Ansiedlung, die Intensität ihrer öffentlichen Nutzung sowie die Leichtigkeit, mit der Notfallkräfte bei einem Unfall eingreifen können. Die Nennungen sind nur beispielhaft. In Betracht zu ziehen sind ferner, wie der EuGH (a.a.O. Rn. 43) betont, vorhabenbedingte Veränderungen, etwa die Verschlimmerung von Unfallfolgen durch einen vorhabenbedingten Anstieg der möglicherweise betroffenen Personen. Andererseits können aber auch technische Maßnahmen zur Verminderung des Unfallrisikos oder zur weiteren Begrenzung möglicher Unfallfolgen zu berücksichtigen sein, sei es im Betriebsbereich, soweit diese dem Betreiber des Störfallbetriebs auferlegt werden können, sei es außerhalb des Betriebsbereichs, wie etwa Nutzungseinschränkungen oder besondere bauliche Anforderungen an das an den Störfallbetrieb heranrückende Vorhaben, sofern über diese Maßnahmen mögliche Schadensfolgen und damit auch die Angemessenheit des Abstands beeinflusst werden können (vgl. auch Berkemann, ZfBR 2010, 18 <24>).

19

Im Hinblick auf sonstige - nicht störfallspezifische - Belange unterliegt der angemessene Abstand demgegenüber keiner Relativierung (zutreffend Uechtritz, a.a.O. S. 1046 f.). Insbesondere haben "sozioökonomische" Faktoren, die der EuGH (a.a.O. Rn. 46) in diesem Zusammenhang nennt, bei der Festlegung des "angemessenen" Abstands außer Betracht zu bleiben. Das ergibt sich zum einen daraus, dass der EuGH die vom Senat im Vorlagebeschluss vertretene Auffassung ausdrücklich bestätigt hat, wonach insbesondere soziale, ökologische und wirtschaftliche Belange zwar im jeweiligen Einzelfall "abwägungsrelevante" sonstige Faktoren sein können, die den Ausschlag für die Zulassung eines öffentlich genutzten Gebäudes innerhalb der gegenüber einem Störfallbetrieb grundsätzlich zu wahrenden angemessenen Abstände geben können, aber den störfallspezifischen Faktoren gerade gegenüberstehen. Zum anderen bestimmen die "angemessenen" Abstände generell den Anwendungsbereich der Richtlinie 96/82/EG, und zwar auch insoweit, als die Verhütung schwerer Unfälle sowie die Begrenzung der Unfallfolgen durch Betreiberpflichten nach deren Art. 5 sichergestellt werden soll (EuGH a.a.O. Rn. 37); es ist nicht ernstlich in Erwägung zu ziehen, dass die Richtlinie den Umfang der Betreiberpflichten und damit auch das Risikopotential eines Störfallbetriebs von sozioökonomischen Faktoren abhängig machen will (Uechtritz, a.a.O.).

20

Der Begriff des "angemessenen" Abstands ist ein zwar unbestimmter, aber technisch-fachlich bestimmbarer Rechtsbegriff. Im Einzelfall können erhebliche Unsicherheiten bestehen, welcher Abstand angemessen ist. Die Angemessenheit kann von einer Vielzahl störfallrelevanter technischer Faktoren abhängen und je nach den besonderen Gegebenheiten der Gebiete und den Besonderheiten des Einzelfalls in erheblichem Maße unterschiedlich ausfallen (EuGH, Urteil vom 15. September 2011 - Rs. C-53/10 - UPR 2011, 443 Rn. 44). Präzise, absolute und objektive Grenzen der "Gefahrenzone" um einen Störfallbetrieb kann es insoweit nicht geben (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 14. April 2011 in der Rs. C-53/10 - im Folgenden: Schlussanträge - juris Rn. 39). Gleichwohl unterliegt die behördliche Festlegung des angemessenen Abstands der vollen gerichtlichen Überprüfung (Kraus, ZfBR 2012, 324 <329 f.>; vgl. Berkemann, a.a.O. S. 27); ein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum kommt der Genehmigungsbehörde insoweit nicht zu. Die in der Vorabentscheidung (EuGH a.a.O. Rn. 24) verwendete Formulierung, Art. 12 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 96/82/EG lasse den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Festlegung dieser Abstände einen "Wertungsspielraum", von dem aber jedenfalls innerhalb der Grenzen der Verpflichtung, der Wahrung angemessener Abstände Rechnung zu tragen, Gebrauch gemacht werden müsse, bezieht sich nach dem Verständnis des EuGH (z.B. a.a.O. Rn. 45 f.) ersichtlich nicht auf die Ermittlung, sondern auf die "Berücksichtigung" des angemessenen Abstands.

21

b) Dieser Berücksichtigungspflicht hat die Genehmigungsbehörde in einem zweiten Schritt nachzukommen, wenn das Neuansiedlungsvorhaben innerhalb des angemessenen Abstands liegt.

22

Diese Verpflichtung ist nicht im Sinne eines Verschlechterungsverbots zu verstehen. Zwar wird mit jedem Vorhaben, das den angemessenen Abstand unterschreitet, der störfallrechtlich unerwünschte Zustand in der Regel weiter verfestigt. Gleichwohl zwingt Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG die Baugenehmigungsbehörden nicht dazu, Neuansiedlungen in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs ausnahmslos abzulehnen und das Abstandskriterium damit zum alleinigen Genehmigungs- oder Ablehnungskriterium zu machen. Allein die Zuerkennung eines Wertungsspielraums ermöglicht es, die volle praktische Wirksamkeit des Erfordernisses sicherzustellen (EuGH a.a.O. Rn. 45). Deshalb erscheint es grundsätzlich denkbar, ein öffentlich genutztes Gebäude je nach den Umständen des Einzelfalls auch innerhalb der angemessenen Abstände zuzulassen. Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG gestattet es, den "störfalltechnisch" ermittelten angemessenen Abstand zu unterschreiten, wenn im Einzelfall hinreichend gewichtige Belange für die Zulassung des Vorhabens streiten. In Betracht kommen insbesondere soziale, ökologische und wirtschaftliche Belange. Diese Auffassung hatte der Senat bereits in seinem Vorlagebeschluss vertreten. Der EuGH (a.a.O. Rn. 44) hat sie in seiner Vorabentscheidung ausdrücklich bestätigt. Störfallspezifische Faktoren können nach den Worten des EuGH (a.a.O.) mit "sozioökonomischen Faktoren zusammentreffen". Es unterliegt keinen Zweifeln, dass der EuGH ihnen die Eigenschaft von Belangen zumisst, die den störfallspezifischen Faktoren gegenüberstehen, die mithin auf der anderen Seite "in die Gleichung" (Schlussanträge a.a.O. Rn. 41) einzustellen sind.

23

Andererseits kann der Wertungsspielraum der Mitgliedstaaten nicht so ausgelegt werden, dass er es ihnen gestatten würde, von der Berücksichtigung angemessener Abstände abzusehen (EuGH a.a.O. Rn. 49). Die "Berücksichtigung" angemessener Abstände verlangt, dass diese bei der Risikobewertung - sei es auf planerischer Ebene, sei es bei der Vorhabenzulassung - neben anderen Faktoren auch tatsächlich berücksichtigt werden (EuGH a.a.O. Rn. 50). Daraus folgt, dass Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG einer nationalen Regelung entgegensteht, soweit sie vorschreibt, dass die Genehmigung eines öffentlich genutzten Gebäudes in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs zwingend zu erteilen ist, ohne dass die Risiken der Ansiedlung innerhalb der angemessenen Abstände im Genehmigungsverfahren gebührend gewürdigt worden wären (EuGH a.a.O. LS 2 Satz 2 und Rn. 51). Die Genehmigungsbehörde muss sich folglich in jedem Einzelfall darüber Gedanken machen, ob ein Unterschreiten des eigentlich erforderlichen "angemessenen Abstands" im Hinblick auf sonstige - nicht störfallspezifische - Faktoren vertretbar ist (Uechtritz, BauR 2012, 1039 <1047>), sofern dies nicht bereits seitens der Planungsbehörden geschehen ist (EuGH a.a.O. Rn. 28). Das verkennt die Klägerin, die sich auf den Standpunkt stellt, der EuGH habe das in § 34 Abs. 1 BauGB zum Ausdruck kommende Konzept des deutschen Gesetzgebers gebilligt, der bereits auf gesetzlicher Grundlage eine "generalisierende Risikobewertung" in der Weise vorgenommen habe, dass die Genehmigung im Falle einer Vorbelastung stets zu erteilen sei.

24

Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG enthält ferner die zeitliche Vorgabe, dass dem Erfordernis der Wahrung eines angemessenen Abstands "langfristig" Rechnung zu tragen ist. Diese zielt darauf ab, dass Abstände dort, wo sie bereits eingehalten werden, gewahrt bleiben, und dass sie für die Zukunft als langfristiges Ziel aufgestellt werden, wenn sie noch nicht umgesetzt worden sind (EuGH a.a.O. Rn. 47; vgl. auch Schlussanträge a.a.O. Rn. 40). Liegt ein Neuansiedlungsvorhaben innerhalb der angemessenen Abstände, ist deshalb wie folgt zu differenzieren: Die erstmalige Schaffung einer Gemengelage wird im Regelfall unzulässig sein, weil ein angemessener Abstand, der bisher eingehalten ist, auch in Zukunft - langfristig - gewahrt bleiben muss (Schlussanträge a.a.O.; Uechtritz, a.a.O. S. 1048). Ist der angemessene Abstand demgegenüber schon bisher nicht eingehalten, greift der Wertungsspielraum, den der EuGH den Genehmigungsbehörden im Rahmen des Erfordernisses, der Wahrung angemessener Abstände Rechnung zu tragen, zuerkannt hat.

25

In welcher Weise dieser Wertungsspielraum auszufüllen ist, gibt Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG den Mitgliedstaaten nicht vor. Insbesondere legt die Norm die Mitgliedstaaten nicht auf eine durch planerische Gestaltungsspielräume gekennzeichnete, prinzipiell ergebnisoffene Abwägung fest (a.A. Jäde, Publicus 2011.11, 4 <5> (online); vgl. auch Uechtritz, a.a.O. S. 1052), etwa im Sinne des § 1 Abs. 7 BauGB. Der Vorabentscheidung lassen sich auch keine Hinweise entnehmen, die erkennen ließen, dass der EuGH die Berücksichtigung des Abstandserfordernisses im Wege der Vorhabenzulassung verfahrensrechtlich nur um den Preis einer Systemänderung akzeptieren würde (a.A. Jäde, a.a.O. und Uechtritz, a.a.O. S. 1051 ff.). Die Richtlinie verlangt nur, dass das fragliche Erfordernis zu irgendeinem Zeitpunkt des Verfahrens zur Durchführung der Pläne oder Politiken zur Flächennutzung oder Flächenausweisung beachtet werden muss, der aber von den Mitgliedstaaten frei bestimmt werden kann (EuGH a.a.O. z.B. Rn. 26, 27, 28). Im Übrigen respektiert sie die mitgliedstaatlichen Systementscheidungen. Schon gar nicht erzwingt sie eine "Strukturrevolution" (so aber Jäde, a.a.O.). Auch die auf eine umfassende Öffentlichkeitsbeteiligung gerichteten Reformvorschläge der Kommission (KOM(2010)781 vom 21. Dezember 2010; BTDrucks 17/5891 vom 24. Mai 2011) bei allen von Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG erfassten "neuen Bauprojekten", stellen den Weg einer Umsetzung des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG im Rahmen der gebundenen Entscheidung nicht in Frage. Öffentlichkeitsbeteiligungen sind auch nach bisherigen nationalrechtlichen Maßstäben einem gebundenen Genehmigungsanspruch nicht fremd (vgl. etwa § 10 Abs. 3 bis 6 BImSchG). Die Richtlinie lässt den Mitgliedstaaten mithin auch in instrumenteller Hinsicht Spielräume, um das Abstandserfordernis in bestehende nationalrechtliche Systementscheidungen einzupassen, sei es "in allgemeiner Weise bei der Aufstellung der Flächenausweisungs- oder Flächennutzungspläne", sei es - mangels einer Planung - "in spezifischer Weise ... beim Erlass von Entscheidungen über Baugenehmigungen" (EuGH, Urteil vom 15. September 2011 - Rs. C-53/10 - UPR 2011, 443 Rn. 50). Beide Wege sieht der EuGH insoweit grundsätzlich als gleichwertig an. Die Planungsbehörden sind deshalb nicht gehindert, die Pflicht zur Berücksichtigung angemessener Abstände auf die Genehmigungsbehörden zu übertragen (EuGH a.a.O. Rn. 26).

26

Entscheidet sich die Gemeinde für das Instrument der Bauleitplanung, ist den Erfordernissen des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG in planerischer Weise Rechnung zu tragen. Die von der Richtlinie geforderten Wertungsspielräume gehen im bauleitplanerischen Abwägungsgebot (§ 1 Abs. 7, § 2 Abs. 3 BauGB) auf, in dessen Rahmen der Trennungsgrundsatz (§ 50 BImSchG) als Abwägungsdirektive zu beachten ist. Die Ergebnisse der Planung unterliegen einer nur eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Unterbleibt eine Planung, ist dem Abstandserfordernis "in spezifischer Weise" im Rahmen der Vorhabenzulassung Rechnung zu tragen. Unionsrechtlich gefordert, aber auch ausreichend ist insoweit eine "nachvollziehende" Abwägung (im Ergebnis ebenso OVG Münster, Beschluss vom 21. Februar 2012 - 2 B 15/12 - juris Rn. 22 und - vorausgehend - VG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Dezember 2011 - 25 L 581/11 - juris Rn. 62; zum Begriff der "nachvollziehenden" Abwägung BVerwG, Urteil vom 19. Juli 2001 - BVerwG 4 C 4.00 - BVerwGE 115, 17 <24 f.>; vgl. im Überblick auch Roeser, in: Berliner Kommentar zum BauGB, Stand November 2012, § 35 Rn. 10), verstanden als ein Vorgang der Rechtsanwendung, der eine auf den Einzelfall ausgerichtete Gewichtsbestimmung verlangt. Sie ist nicht planerische Abwägung im Sinne rechtsgeleiteter politischer Dezision, sondern sachgeleitete Wertung, und unterliegt insoweit der vollen gerichtlichen Kontrolle (Uechtritz, BauR 2012, 1039 <1050 f.>; Kraft, in: Spannowsky/Uechtritz, BauGB, 2009, § 38 Rn. 25).

27

Wie weit die Leistungsfähigkeit des Instruments der "nachvollziehenden" Abwägung reicht, ist keine Frage des Unionsrechts, sondern des nationalen Rechts. Ist die Leistungsfähigkeitsgrenze überschritten, ist der Weg einer gebundenen Entscheidung mit einer lediglich "nachvollziehenden" Abwägung versperrt. Einer Vorhabenzulassung kann dann nur auf der Grundlage eines Bebauungsplans näher getreten werden, bei dessen Aufstellung die Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG im Rahmen des Abwägungsgebots planerisch zu bewältigen und zu verantworten sind.

28

2. Den Anforderungen, die Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG an die Zulassung von Vorhaben in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs stellt, ist durch eine richtlinienkonforme Auslegung des in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltenen Rücksichtnahmegebots Rechnung zu tragen.

29

Unter Zugrundelegung der Entscheidung des EuGH (a.a.O.) und der unter 1. b) gemachten Ausführungen ist zunächst davon auszugehen, dass Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG keine unmittelbare Wirkung im Sinne der Rechtsprechung des EuGH (vgl. hierzu etwa Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 288 Rn. 47 ff.) entfaltet. Damit bleibt nationales Recht - hier § 34 Abs. 1 BauGB - weiter anwendbar. Der Senat hat allerdings das nationale Gesetz soweit wie möglich richtlinienkonform auszulegen, um sich dadurch die Möglichkeit zu verschaffen, im Rahmen seiner Zuständigkeit die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten (EuGH a.a.O. Rn. 32 bis 34 und 52). Dieses Ziel wird durch eine richtlinienkonforme Handhabung des in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltenen Rücksichtnahmegebots erreicht, die sich auch mit den in § 34 Abs. 1 BauGB angelegten Systemmerkmalen verträgt. Eines Rückgriffs auf die im Schrifttum erörterten sonstigen Möglichkeiten der Implementierung des Unionsrechts (vgl. dazu im Überblick Uechtritz, a.a.O. S. 1049 ff.) bedarf es mithin nicht.

30

a) Einer richtlinienkonformen Auslegung steht nicht entgegen, dass sich das Vorhaben in die Eigenart der "näheren Umgebung" einfügen muss. Schon nach bisherigem Verständnis ist hierbei auf diejenige Umgebung abzustellen, auf die sich die Ausführung des Vorhabens auswirken kann und die ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst (Urteil vom 26. Mai 1978 - BVerwG 4 C 9.77 - BVerwGE 55, 369 <380>). Störfallrechtliche Konfliktlagen lassen sich hierunter auch insoweit subsumieren, als sie über den unmittelbaren Nahbereich hinausreichen, weil und soweit sie die bodenrechtliche Situation eines Vorhabengrundstücks prägen. Abgesehen davon sind städtebauliche Fernwirkungen dem Entscheidungsprogramm des § 34 BauGB generell nicht mehr fremd, seit der Gesetzgeber mit dem EAG Bau 2004 den Maßstab des § 34 Abs. 3 BauGB in das Prüfprogramm integriert hat (Kraus, ZfBR 2012, 324<329>).

31

b) Das in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltene Rücksichtnahmegebot bietet eine geeignete Anknüpfung für die unionsrechtlich geforderte "nachvollziehende" Abwägung.

32

Ein Vorhaben, das sich in jeder Hinsicht innerhalb des aus seiner Umgebung hervorgehenden Rahmens hält, fügt sich in die Eigenart der näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB dann nicht ein, wenn das Vorhaben es an der gebotenen Rücksichtnahme auf die sonstige, d.h. vor allem auf die in seiner unmittelbaren Nähe vorhandene Bebauung fehlen lässt (Urteil vom 26. Mai 1978 a.a.O. S. 386 m.w.N.). Ziel des Rücksichtnahmegebots ist es, einander abträgliche Nutzungen in rücksichtsvoller Weise zuzuordnen sowie Spannungen und Störungen zu vermeiden. Welche Anforderungen sich hieraus ergeben, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab, namentlich davon, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist (stRspr; zuletzt Urteil vom 29. November 2012 - BVerwG 4 C 8.11 - juris Rn. 16 m.w.N.). Es wird dabei durch die Begriffsbestimmungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und den auf dieser Grundlage ergangenen rechtsförmlichen technischen Regelwerken und normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften näher bestimmt (vgl. Urteil vom 23. September 1999 - BVerwG 4 C 6.98 - BVerwGE 109, 314 <319 f.>). Im Übrigen ist eine Einzelfallbeurteilung geboten.

33

Das Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme erweist sich insoweit als wertungsoffenes Korrektiv (vgl. auch Berkemann, ZfBR 2010, 18 <30>: "planerisches Korrektiv"), das auch für störfallrechtlich vorgegebene Wertungen offensteht. Es erlaubt die in Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG geforderte abwägende Gegenüberstellung von störfallspezifischen und nicht störfallspezifischen, insbesondere "sozioökonomischen" Faktoren, um auf dieser Grundlage entscheiden zu können, ob im Einzelfall ein Unterschreiten des eigentlich erforderlichen "angemessenen" Abstands ausnahmsweise vertretbar ist. Insoweit unterscheiden sich störfallrechtliche nicht grundlegend von anderen immissionsschutzrechtlichen Konfliktsituationen. Das Rücksichtnahmegebot ist deshalb ein geeigneter Rahmen auch für die unionsrechtlich geforderte "nachvollziehende" Abwägung, innerhalb derer die Genehmigungsbehörde den ihr nach Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG zukommenden Wertungsspielraum auszufüllen hat. Unerheblich ist, dass der Begriff der "nachvollziehenden" Abwägung in der Senatsrechtsprechung für Fälle im Anwendungsbereich des § 35 BauGB entwickelt und darüber hinaus bisher - soweit ersichtlich - lediglich im Bereich des § 38 BauGB thematisiert worden ist. Der Sache nach ist auch die im Rahmen des Rücksichtnahmegebots zu treffende Entscheidung sachgeleitete Wertung, die ebenfalls der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt (vgl. Kraft, a.a.O.).

34

Einer Anpassung bedarf die Dogmatik des Rücksichtnahmegebots im störfallrechtlichen Zusammenhang allerdings insoweit, als Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG verlangt, dass der angemessene Abstand bei der Risikobewertung neben anderen Faktoren - wie dargestellt - auch im Fall einer bestehenden Vorbelastung tatsächlich berücksichtigt wird. In Anbetracht der in der Richtlinie zum Ausdruck kommenden besonderen Zielsetzung (Art. 1 der Richtlinie 96/82/EG), die Folgen schwerer Unfälle für Mensch und Umwelt nicht nur durch eine entsprechende Ausgestaltung der Betreiberpflichten (Art. 5 der Richtlinie 96/82/EG), sondern auch durch die Wahrung angemessener Abstände (Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG) zu begrenzen, darf eine bestehende Vorbelastung nicht dazu führen, die durch eine Neuansiedlung im Fall eines Störfalls zusätzlich exponierten Menschen auszublenden. Bedenkt man ferner, dass die erstmalige Schaffung einer störfallrechtlichen Gemengelage - wie dargestellt - im Regelfall ohnehin unzulässig sein wird, weil ein angemessener Abstand, der bisher eingehalten ist, "langfristig", also auch in Zukunft gewahrt bleiben muss (Beschluss vom 3. Dezember 2009 - BVerwG 4 C 5.09 - juris Rn. 32; Uechtritz, BauR 2012, 1039 <1048 ff.>), liegt auf der Hand, dass eine bestehende Vorbelastung im Störfallrecht nicht Grenze, sondern vielmehr gerade Voraussetzung des Wertungsspielraums ist, den Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG eröffnet. Das Kriterium der Vorbelastung ist deshalb im Störfallrecht bei richtlinienkonformer Handhabung unbrauchbar.

35

c) Von vornherein überschritten sind allerdings die Leistungsgrenzen des Rücksichtnahmegebots, wenn die nach Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG zu berücksichtigenden "sozioökonomischen Faktoren" den Rahmen der im Rücksichtnahmegebot abgebildeten gegenseitigen Interessenbeziehung zwischen Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits verlassen, etwa dann, wenn nicht individuelle, sondern städtebauliche Gründe für eine Zulassung eines Vorhabens in der Gefahrenzone eines Störfallbetriebs streiten, oder wenn Alternativstandorte für die Verwirklichung des Vorhabens in Frage stehen. Entsprechendes gilt, wenn ein Neuansiedlungsvorhaben städtebauliche Spannungen bewirkt, die im Wege einer "nachvollziehenden" Abwägung nicht beseitigt werden können, sondern einer planerischen Bewältigung bedürfen, oder wenn eine rechtsfehlerfreie Konfliktbewältigung auf das Festsetzungsinstrumentarium der Bauleitplanung angewiesen ist. In all diesen Fällen ist eine Zulassung des Vorhabens auf der Grundlage des § 34 Abs. 1 BauGB abzulehnen, weil es einen Koordinierungsbedarf auslöst, dem nicht das Konditionalprogramm des Rechts der Vorhabenzulassung, sondern nur eine förmliche Planung Rechnung zu tragen vermag (vgl. Urteil vom 1. August 2002 - BVerwG 4 C 5.01 - BVerwGE 117, 25 <29 f.>; jüngst auch Urteil vom 2. Februar 2012 - BVerwG 4 C 14.10 - BVerwGE 142, 1 ). Entschließt sich die Gemeinde in diesen Fällen zur Bauleitplanung, ist auch dem Abstandserfordernis planerisch Rechnung zu tragen.

36

3. Diesen Einfluss des Unionsrechts auf die Handhabung des Rücksichtnahmegebots hat das Berufungsurteil verkannt.

37

Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar zu Recht angenommen, dass die Pflicht zur Rücksichtnahme grundsätzlich nicht unabhängig von etwaigen Vorbelastungen bewertet werden kann (Beschluss vom 3. Dezember 2009 a.a.O. Rn. 14 m.w.N.). Er hat allerdings nicht erkannt, dass das Kriterium der Vorbelastung im Störfallrecht unbrauchbar ist, weil es - wie der EuGH mit bindender Wirkung für die mitgliedstaatliche Rechtsanwendung vorgegeben hat - die Mitgliedstaaten nicht von der sich aus Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG ergebenden Verpflichtung befreit, die Risiken der Neuansiedlung eines öffentlich genutzten Gebäudes innerhalb des angemessenen Abstands gebührend zu würdigen.

38

Mangels Bebauungsplanung war die Genehmigungsbehörde in der Pflicht, bei der Entscheidung über den von der Klägerin beantragten Bauvorbescheid dem Abstandserfordernis Rechnung zu tragen. Dieser Verpflichtung ist sie nicht nachgekommen. Sie hat es unterlassen, vor ihrer Entscheidung zu ermitteln, welcher Abstand gegenüber dem Störfallbetrieb der Beigeladenen angemessen ist und ob das streitgegenständliche Gartencenter innerhalb dieser Abstandsgrenze liegt; den TÜV hatte sie erst im Zusammenhang mit dem Bauantrag der Klägerin im Verfahren BVerwG 4 C 12.11 mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt.

39

Dieses Versäumnis hätte der Verwaltungsgerichtshof zum Anlass nehmen müssen, die erforderlichen Ermittlungen und Bewertung im Rahmen seiner uneingeschränkten gerichtlichen Prüfungskompetenz selbst vorzunehmen. Er hätte feststellen müssen, welcher Abstand angemessen ist und ob das streitgegenständliche Gartencenter innerhalb dieses angemessenen Abstands liegt, etwa weil die vom TÜV gutachtlich ermittelten "Achtungsgrenzen" die Abstandsgrenzen zutreffend wiedergeben. Bejahendenfalls wäre er gehalten gewesen, zu ermitteln, ob und gegebenenfalls welche nicht-störfallspezifischen Faktoren dem Abstandserfordernis gegenüberstehen. Er hätte sich vergewissern müssen, dass die in Betracht kommenden Faktoren das Entscheidungsprogramm des § 34 Abs. 1 BauGB nicht überfordern, etwa, weil nur individuelle Gründe der Vorhabenträgerin in Frage stehen. Schließlich hätte er auf dieser Grundlage im Wege der "nachvollziehenden" Abwägung darüber befinden müssen, ob im Hinblick auf diese Gründe ein Unterschreiten des "angemessenen Abstands" vertretbar und deshalb eine Zulassung des Vorhabens innerhalb der Abstandsgrenzen gerechtfertigt erscheint. An all dem fehlt es.

40

4. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden (§ 144 Abs. 3 VwGO). Es fehlen bereits abschließende tatrichterliche Feststellungen zu den maßgeblichen Faktoren zur Bestimmung des angemessenen Abstands (vgl. oben 1.) sowie dazu, ob das streitgegenständliche Gartencenter innerhalb dieses Abstands liegt. Die Sache ist deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

(1) Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden.

(2) Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der auf Grund des § 9a erlassenen Verordnung bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre; auf die nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31 Absatz 1, im Übrigen ist § 31 Absatz 2 entsprechend anzuwenden.

(3) Von Vorhaben nach Absatz 1 oder 2 dürfen keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein.

(3a) Vom Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nach Absatz 1 Satz 1 kann im Einzelfall abgewichen werden, wenn die Abweichung

1.
einem der nachfolgend genannten Vorhaben dient:
a)
der Erweiterung, Änderung, Nutzungsänderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten Gewerbe- oder Handwerksbetriebs,
b)
der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten, Wohnzwecken dienenden Gebäudes oder
c)
der Nutzungsänderung einer zulässigerweise errichteten baulichen Anlage zu Wohnzwecken, einschließlich einer erforderlichen Änderung oder Erneuerung,
2.
städtebaulich vertretbar ist und
3.
auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
Satz 1 findet keine Anwendung auf Einzelhandelsbetriebe, die die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung beeinträchtigen oder schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden haben können. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 Buchstabe b und c kann darüber hinaus vom Erfordernis des Einfügens im Einzelfall im Sinne des Satzes 1 in mehreren vergleichbaren Fällen abgewichen werden, wenn die übrigen Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und die Aufstellung eines Bebauungsplans nicht erforderlich ist.

(4) Die Gemeinde kann durch Satzung

1.
die Grenzen für im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen,
2.
bebaute Bereiche im Außenbereich als im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, wenn die Flächen im Flächennutzungsplan als Baufläche dargestellt sind,
3.
einzelne Außenbereichsflächen in die im Zusammenhang bebauten Ortsteile einbeziehen, wenn die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt sind.
Die Satzungen können miteinander verbunden werden.

(5) Voraussetzung für die Aufstellung von Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 ist, dass

1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sind,
2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und
3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
In den Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 können einzelne Festsetzungen nach § 9 Absatz 1 und 3 Satz 1 sowie Absatz 4 getroffen werden. § 9 Absatz 6 und § 31 sind entsprechend anzuwenden. Auf die Satzung nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 3 sind ergänzend § 1a Absatz 2 und 3 und § 9 Absatz 1a entsprechend anzuwenden; ihr ist eine Begründung mit den Angaben entsprechend § 2a Satz 2 Nummer 1 beizufügen.

(6) Bei der Aufstellung der Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 sind die Vorschriften über die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 13 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3 sowie Satz 2 entsprechend anzuwenden. Auf die Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 bis 3 ist § 10 Absatz 3 entsprechend anzuwenden.

(1) Die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen sind im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Sie sind auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden.

(2) Die Anwendung des Absatzes 1 hat nach den städtebaulichen Zielen und Grundsätzen des § 1 Absatz 5 des Baugesetzbuchs zu erfolgen.

(3) Die Zulässigkeit der Anlagen in den Baugebieten ist nicht allein nach den verfahrensrechtlichen Einordnungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und der auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen zu beurteilen.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Nutzungsänderung einer Fabrikhalle in ein Mehrfamilienhaus mit fünf Wohneinheiten.

2

Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks, auf dem er ein Holzbearbeitungsunternehmen betreibt. Auf dem angrenzenden Vorhabengrundstück des Beigeladenen steht eine nicht mehr genutzte Fabrikhalle, die mit dem Betriebsgebäude des Klägers baulich verbunden ist. Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich eines Bebauungsplans der Beklagten, der ein allgemeines Wohngebiet ausweist und für die Grundstücke des Klägers und des Beigeladenen erweiterten "Bestandsschutz gemäß § 1 Abs. 10 BauNVO für bestehende Nutzung" festsetzt. Aus einem von der Beklagten im Planaufstellungsverfahren eingeholten Gutachten ergibt sich, dass die im Betrieb des Klägers vorhandenen Schallquellen an der nächstgelegenen Seite des Gebäudes des Beigeladenen Beurteilungspegel bis 70 dB(A) hervorrufen.

3

Die Baugenehmigung erteilte die Beklagte "nach Maßgabe der beigefügten geprüften Bauvorlagen". In einer mit einem Grünstempel versehenen schalltechnischen Untersuchung eines Ingenieurbüros heißt es, zur Beurteilung der Geräuschimmissionen des Betriebs des Klägers würden in Abstimmung mit der Beklagten die Beurteilungspegel des im Planaufstellungsverfahren eingeholten Gutachtens herangezogen. In Abstimmung mit der Beklagten würden im Hinblick auf die ausschließlich an einer Seite des Gebäudes des Beigeladenen auftretende Überschreitung des Immissionsrichtwerts tags um 10 dB(A) keine aktiven Schallschutzmaßnahmen, sondern passive in Form von Schallschutzfenstern mit Belüftungseinrichtungen und einem Schalldämmmaß von mindestens 41 dB(A) für alle schutzbedürftigen Räume ausgearbeitet. Damit würden die Anhaltswerte für Innenschallpegel eingehalten. In einem ebenfalls grüngestempelten Schreiben des vom Beigeladenen beauftragten Planungsbüros an die Beklagte wird zur Ergänzung der Baubeschreibung ausgeführt, die Schallschutzmaßnahmen der schalltechnischen Untersuchung des Ingenieurbüros würden eingebaut und unterhalten.

4

Das die Baugenehmigung aufhebende Urteil des Verwaltungsgerichts hat das Oberverwaltungsgericht auf die Berufungen der Beklagten und des Beigeladenen geändert und die Klage abgewiesen. Weder bei unterstellter Wirksamkeit des Bebauungsplans noch bei unterstellter Unwirksamkeit bestehe ein Aufhebungsanspruch des Klägers. Die genehmigte Wohnnutzung sei jedenfalls zulässig und verstoße nicht zum Nachteil des Klägers gegen das in § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO verankerte Gebot der Rücksichtnahme, das auch im Fall der Wirksamkeit des Bebauungsplans anwendbar sei, weil der Bebauungsplan den konkreten Immissionskonflikt nicht abschließend bewältige. Ob dem betroffenen Nachbarn Geräuschimmissionen zuzumuten seien, sei grundsätzlich anhand der TA Lärm zu bestimmen. Nach ihrer Nr. 6.1 sei am Wohnbauvorhaben des Beigeladenen an Immissionsorten außerhalb von Gebäuden grundsätzlich der hier allein maßgebliche Tag-Immissionsrichtwert von 55 dB(A) einzuhalten. Dieser Wert sei in Anwendung von Nr. 6.1 c und Nr. 6.7 der TA Lärm auf einen "Mittelwert" von tagsüber 60 dB(A) zu erhöhen, weil sich das Wohnbauvorhaben in einer faktischen Gemengelage befinde. Ein solcher Wert lasse sich zwar nicht vollumfänglich einhalten. Das Rücksichtnahmegebot ermögliche und gebiete aber zusätzliche Differenzierungen mit der Folge, dass die grobmaschigen baugebietsbezogenen Richtwerte je nach Lage des Einzelfalls durch situationsbezogene Zumutbarkeitskriterien zu ergänzen seien. So sei ein Wohnbauvorhaben auf einem durch gewerblichen Lärm erheblich vorbelasteten Grundstück rücksichtslos und daher unzulässig, wenn bei seiner Verwirklichung auf naheliegende, technisch mögliche und wirtschaftlich vertretbare Gestaltungsmittel oder bauliche Vorkehrungen verzichtet werde, welche eine erhebliche Lärmbetroffenheit der Wohnnutzung spürbar mindern würden. § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO begründe insoweit eine Obliegenheit des Bauherrn zu "architektonischer Selbsthilfe", verlange aber auch vom Betreiber des - bestands-geschützten - emittierenden Gewerbebetriebs, auf die für das Nachbargrundstück festgesetzte (heranrückende) Wohnbebauung Rücksicht zu nehmen. Welche Maßnahmen dem zur Rücksichtnahme auf seine Nachbarschaft verpflichteten Anlagenbetreiber zumutbar seien, bestimme sich nach den (dynamischen) Betreiberpflichten des § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG. Auch passiver Schallschutz könne ein zu berücksichtigender Baustein der "architektonischen Selbsthilfe" sein. Die im Gutachten des Ingenieurbüros vorgesehenen passiven Schallschutzmaßnahmen, die Bestandteil der Baugenehmigung geworden seien und ausweislich der Erklärung von Beklagter und Beigeladenem in der mündlichen Verhandlung für alle schutzbedürftigen Räume einschließlich Loggia gälten, sicherten, dass die Anhaltswerte für Innenschallpegel in Wohnräumen von tags 30 bis 35 dB(A) und in Schlafräumen von 25 bis 30 dB(A) (Mittelungspegel) von schutzbedürftigen Räumen nach VDI 2179 eingehalten werden könnten.

5

Zur Begründung seiner vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, die Vorinstanz gehe rechtsfehlerhaft davon aus, dass das Vorhaben trotz einer Überschreitung der (Außen-)Immissionsrichtwerte der Nr. 6.1 und Nr. 6.7 der TA Lärm aufgrund der festgesetzten passiven Schallschutzmaßnahmen zulässig sei. Passive Schallschutzmaßnahmen führten nicht zu einer Reduzierung des maßgeblichen Außen-Immissionsrichtwertes und seien nur in den gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Fällen zulässig. Ohnehin sei das Rücksichtnahmegebot bereits in der den Feststellungen des Bebauungsplans zugrundeliegenden Abwägung aufgegangen, weil auch für den Konflikt zwischen den streitbefangenen Grundstücken der für andere Grundstücke festgesetzte Immissionswert von 60 dB(A) gelte. Außerdem verstoße die streitgegenständliche Baugenehmigung gegen das Bestimmtheitsgebot. Schließlich habe das Oberverwaltungsgericht unter Verletzung der Aufklärungspflicht und des Anspruchs auf rechtliches Gehör den unter Beweis gestellten Sachvortrag, dass die Immissionsrichtwerte im Gebäudeinneren gemäß Nr. 6.2 der TA Lärm aufgrund der vorhandenen Gebäudeverbindung nicht eingehalten würden, zu Unrecht unbeachtet gelassen.

6

Beklagte und Beigeladener verteidigen das angegriffene Urteil.

7

Nach Ansicht der Beklagten zählen passive Schallschutzmaßnahmen zu den Mitteln der "architektonischen Selbsthilfe". Das ergebe sich auch aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Je nach den Umständen des Einzelfalls könne es - zumal wenn wie hier Außenwohnbereiche nicht betroffen seien - abwägungsfehlerfrei sein, eine Minderung der Immissionen durch eine Kombination von passivem Schallschutz, Stellung und Gestaltung von Gebäuden sowie Anordnung der Wohn- und Schlafräume zu erreichen.

8

Der Beigeladene hält den Bebauungsplan für unwirksam, weil er keine Konfliktlösung in Bezug auf sein Grundstück biete. Deswegen sei sein Vorhaben an § 34 Abs. 1 BauGB zu messen. Es halte sich im vorgezeichneten Rahmen und verstoße auch nicht gegen das Rücksichtnahmegebot. Zum einen seien die Lärmgutachten von Betriebszuständen ausgegangen, die nicht dem Stand der Lärmminderungstechnik entsprächen und die, würden sie real ausgeführt, nach § 22 BImSchG untersagt werden könnten. Zum anderen seien die von ihm angebotenen und damit zum Bestandteil der Baugenehmigung gewordenen Maßnahmen der architektonischen Selbsthilfe prinzipiell geeignet, im Rahmen einer Bewertung anhand des Gebotes der Rücksichtnahme Berücksichtigung zu finden. So würden die unmittelbar dem Grundstück des Klägers zugewandten Aufenthaltsräume während der Betriebszeiten ständig geschlossen gehalten und Fenster mit einem Schalldämmmaß ausgestattet, das die Einhaltung der Nr. 6.2 TA Lärm (Innenraumschutz) sicherstelle. Die Außenwohnbereiche befänden sich im Lärmschatten des Gebäudes.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist begründet. Das Berufungsurteil verstößt gegen Bundesrecht.

10

1. Die Verfahrensrügen des Klägers greifen allerdings nicht durch. Sie genügen nicht den Darlegungsanforderungen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO.

11

a) Mit seiner Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 VwGO) macht der Kläger geltend, das Gericht hätte die Beschaffenheit des Verbindungstunnels zwischen den Gebäuden des Klägers und des Beigeladenen weiter aufklären müssen. Da er hierzu in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht keinen Beweisantrag gestellt hat, hätte er mit der Revision darlegen müssen, aus welchen Gründen sich der Vorinstanz die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen (vgl. hierzu etwa Urteil vom 11. Juli 2002 - BVerwG 4 C 9.00 - Buchholz 451.17 § 12 EnergG Nr. 1 S. 12 f.). Das ist nicht geschehen. Aufgrund des - auch auf Nachfrage der Vorinstanz - lediglich allgemein gehaltenen und nicht gebäudebezogenen privatgutachterlichen Vorbringens des Klägers und der Feststellungen des Berichterstatters im Rahmen der Ortsbesichtigung ist für den Senat auch nicht erkennbar, dass sich solche Aufklärungsmaßnahmen aufgedrängt hätten.

12

b) Die Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann nicht erheben, wer sich rechtliches Gehör durch entsprechende Beweis- oder Vertagungsanträge in der mündlichen Verhandlung hätte verschaffen können (Beschluss vom 4. August 2008 - BVerwG 1 B 3.08 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 3 VwGO Nr. 70 Rn. 9 m.w.N.). Es ist weder dargelegt noch erkennbar, warum der Kläger dies im Hinblick auf die nach seiner Ansicht zeitlich und inhaltlich unzumutbare Aufforderung des Oberverwaltungsgerichts zur Substantiierung seines Vorbringens zum Verbindungstunnel nicht getan hat.

13

2. Dass das Oberverwaltungsgericht die Bestimmtheit der angegriffenen Baugenehmigung auf der Grundlage seiner Auslegung dieses Verwaltungsakts bejaht hat, lässt ebenfalls keinen Verstoß gegen Bundesrecht erkennen. Mit seiner Rüge eines Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz setzt der Kläger dieser Auslegung lediglich eine eigene Auslegung der Baugenehmigung gegenüber, aus der er ihre unzureichende Bestimmtheit ableitet. Die Auslegung eines Verwaltungsakts ist jedoch Sache des Tatsachengerichts und jedenfalls dann, wenn dieses sich - wie hier - dazu verhalten hat (Beschluss vom 6. April 2004 - BVerwG 4 B 2.04 - juris Rn. 8) und die Auslegung keinen Rechtsirrtum oder einen Verstoß gegen allgemeine Erfahrungssätze, Denkgesetze oder Auslegungsregeln erkennen lässt (Urteil vom 10. Oktober 2012 - BVerwG 6 C 36.11 - juris Rn. 26), der revisionsgerichtlichen Prüfung entzogen. Die Anforderungen des - revisiblen - Bestimmtheitsgebots (dazu etwa Urteil vom 2. Juli 2008 - BVerwG 7 C 38.07 - BVerwGE 131, 259 Rn. 11) hat das Oberverwaltungsgericht nicht verkannt. Soweit es dabei die Einbeziehung von grüngestempelten und damit eindeutig von der Behörde gekennzeichneten Antragsunterlagen des Beigeladenen sowie in der mündlichen Verhandlung abgegebenen und somit dem Kläger bekannten Erklärungen der Beklagten und des Beigeladenen als zulässig angesehen hat, ist dies bundesrechtlich nicht zu beanstanden.

14

3. Das Oberverwaltungsgericht durfte jedoch das Rücksichtnahmegebot des § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO nicht deswegen als gewahrt ansehen, weil der Beigeladene im Wege der architektonischen Selbsthilfe passive Schallschutzmaßnahmen für die ihm genehmigte Wohnnutzung vorgesehen hat.

15

a) Zu Recht ist das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen, dass das Rücksichtnahmegebot im vorliegenden Fall unabhängig von der Wirksamkeit des Bebauungsplans Anwendung findet. Der Einwand des Klägers, das Rücksichtnahmegebot sei im Falle der Wirksamkeit des Bebauungsplans bereits aufgrund der den Feststellungen des Bebauungsplans zugrundeliegenden Abwägung des Ortsgesetzgebers "aufgezehrt" (vgl. hierzu Beschluss vom 11. Juli 1983 - BVerwG 4 B 123.81 - Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 54), greift nicht durch. Auch insoweit stellt der Kläger der bindenden und irrevisiblen Auslegung durch das Oberverwaltungsgericht (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO) lediglich seine eigene Auslegung gegenüber.

16

b) Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 23. September 1999 - BVerwG 4 C 6.98 - BVerwGE 109, 314 <318 f.> und vom 18. Mai 1995 - BVerwG 4 C 20.94 - BVerwGE 98, 235 <243>) stellt sich § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO als eine besondere Ausprägung des Rücksichtnahmegebots und als eine zulässige Bestimmung des Eigentumsinhalts (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) dar. Diese Vorschrift soll ebenso wie die übrigen Tatbestandsalternativen des § 15 Abs. 1 BauNVO gewährleisten, Nutzungen, die geeignet sind, Spannungen und Störungen hervorzurufen, einander so zuzuordnen, dass Konflikte möglichst vermieden werden. Welche Anforderungen sich hieraus im Einzelnen ergeben, hängt maßgeblich davon ab, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Ist die Grundstücksnutzung aufgrund der konkreten örtlichen Gegebenheiten mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet, so führt dies nicht nur zu einer Pflichtigkeit desjenigen, der Immissionen verursacht, sondern auch zu einer Duldungspflicht desjenigen, der sich solchen Immissionen aussetzt. Von diesen Grundsätzen ist das Oberverwaltungsgericht in seiner Entscheidung zutreffend ausgegangen.

17

c) Ebenfalls zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht als Maßstab für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Störung die TA Lärm herangezogen. Obwohl aber nach seinen bindenden Feststellungen das genehmigte Wohnbauvorhaben gemessen an den Immissionsrichtwerten der Nr. 6.1 einschließlich Zwischenwertbildung nach Nr. 6.7 der TA Lärm an Immissionsorten außerhalb von Gebäuden unzumutbaren Geräuschimmissionen ausgesetzt ist, hat das Oberverwaltungsgericht eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots verneint, weil es angesichts der Vorbelastung des Vorhabengrundstücks durch gewerblichen Lärm noch Raum lasse, den gebotenen Interessenausgleich im Wege der architektonischen Selbsthilfe durch passive Schallschutzmaßnahmen zu bewirken. Diese Annahme verstößt gegen Bundesrecht.

18

aa) Als normkonkretisierender Verwaltungsvorschrift kommt der TA Lärm, soweit sie für Geräusche den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen konkretisiert, eine im gerichtlichen Verfahren zu beachtende Bindungswirkung zu. Die normative Konkretisierung des gesetzlichen Maßstabs für die Schädlichkeit von Geräuschen ist jedenfalls insoweit abschließend, als sie bestimmte Gebietsarten und Tageszeiten entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit bestimmten Immissionsrichtwerten zuordnet und das Verfahren der Ermittlung und Beurteilung der Geräuschimmissionen vorschreibt. Für eine einzelfallbezogene Beurteilung der Schädlichkeitsgrenze aufgrund tatrichterlicher Würdigung lässt das normkonkretisierende Regelungskonzept der TA Lärm nur insoweit Raum, als es insbesondere durch Kann-Vorschriften (z.B. Nr. 6.5 Satz 3 und Nr. 7.2) und Bewertungsspannen (z.B. A.2.5.3) Spielräume eröffnet (Urteil vom 29. August 2007 - BVerwG 4 C 2.07 - BVerwGE 129, 209 Rn. 12 m.w.N.).

19

Diese Bindungswirkung besteht in gleicher Weise bei der Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze in Nachbarkonflikten, wie sie das in § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO konkretisierte Rücksichtnahmegebot fordert. Denn das Bundesimmissionsschutzrecht und damit auch die auf der Grundlage von § 48 BImSchG erlassene TA Lärm legen die Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen für den Nachbarn und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht im Umfang seines Regelungsbereichs grundsätzlich allgemein fest (vgl. Urteil vom 23. September 1999 a.a.O. S. 319 f.). Dem lässt sich nicht entgegenhalten, die TA Lärm enthalte lediglich Anforderungen an die Errichtung und den Betrieb von emittierenden Anlagen, regele aber nicht den Konflikt mit einer an eine latent störende gewerbliche Nutzung heranrückenden Wohnbebauung und sei deswegen für deren bauaufsichtliche Genehmigung nicht maßgeblich (so aber VGH Mannheim, Beschluss vom 11. Oktober 2006 - 5 S 1904/06 - NVwZ-RR 2007, 168 <169 f.>). Aus der Spiegelbildlichkeit der dargelegten gegenseitigen Verpflichtungen aus dem Rücksichtnahmegebot für die konfligierenden Nutzungen ergibt sich vielmehr, dass mit der Bestimmung der Anforderungen an den emittierenden Betrieb auf der Grundlage der TA Lärm zugleich das Maß der vom Nachbarn zu duldenden Umwelteinwirkungen und mithin die - gemeinsame - Zumutbarkeitsgrenze im Nutzungskonflikt feststeht. Dass etwaige Lärmminderungspflichten, die sich aus der Anwendung der TA Lärm für den emittierenden Gewerbebetrieb ergeben können, nicht - etwa in Form einer Auflage - zum Gegenstand der Baugenehmigung gemacht werden können, steht nicht entgegen. Denn als Teil der vom Rücksichtnahmegebot geforderten Zuordnung der Nutzungen gehören die gebotenen Lärmminderungsmaßnahmen zur Entscheidungsgrundlage für die Baugenehmigung und sind gegebenenfalls im Wege der §§ 24 und 22 BImSchG gegen den Gewerbebetrieb durchzusetzen. Auch aus der in der früheren Rechtsprechung des Senats verwendeten Formulierung, die TA Lärm gelte in diesen Fällen "nicht unmittelbar" (Urteil vom 23. September 1999 a.a.O. S. 319), folgt nichts anderes. Der Senat hat hiermit keine Abstriche am Umfang ihrer Anwendbarkeit und Bindungswirkung verbunden.

20

bb) Passive Lärmschutzmaßnahmen als Mittel der Konfliktlösung zwischen Gewerbe und Wohnen sieht die TA Lärm nicht vor. Nach ihrer Nr. 6.1 sind für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Lärmbeeinträchtigung außerhalb der betroffenen Gebäude gelegene Immissionsorte maßgeblich. Sie können durch passive Schallschutzmaßnahmen, wie sie die angefochtene Baugenehmigung vorschreibt, nicht beeinflusst werden. Aus Nr. 6.2 der TA Lärm folgt nichts anderes. Die Vorschrift regelt den Sonderfall der Körperschallübertragung und kann deswegen nicht als "Auffangregelung" verstanden werden, aus der abzuleiten wäre, dass letztlich maßgeblich auf - durch passive Schallschutzmaßnahmen beeinflussbare - Innen-Immissionswerte abzustellen ist. Soweit es - wie hier - um die Beurteilung von Luftschall geht, der über die Außenfassade einwirkt, sind die Außen-Immissionsrichtwerte der Nr. 6.1 anzuwenden (vgl. auch Feldhaus, Bundesimmissionsrecht, Bd. 4, Stand August 2012, Rn. 29 zu Nr. 6 TA Lärm).

21

cc) Auch die von der TA Lärm belassenen Spielräume bei der Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze eröffnen nicht die Möglichkeit, der Überschreitung der Außen-Immissionsrichtwerte durch Anordnung von passivem Lärmschutz zu begegnen.

22

Entgegen der Ansicht des Beigeladenen kann insoweit nicht Nr. 3.2.2 der TA Lärm herangezogen werden, die eine ergänzende Prüfung im Sonderfall ermöglicht. Die Voraussetzungen der in Buchstaben a bis d genannten Umstände, bei deren Vorliegen eine solche Sonderfallprüfung "insbesondere" in Betracht kommt, sind nicht gegeben. Namentlich sind besondere Gesichtspunkte der Herkömmlichkeit und der sozialen Adäquanz der Geräuschimmission (Buchst. d) nicht schon dann zu bejahen, wenn sie von einer bestandskräftigen Genehmigung des emittierenden Gewerbebetriebs gedeckt ist. Auch begründet wegen des anzulegenden strengen Maßstabs für eine Sonderfallprüfung (Feldhaus a.a.O. Rn. 63 zu Nr. 3 TA Lärm) allein der Umstand, dass der Konflikt durch eine Gemengelage bedingt ist, noch keine besondere Standortbindung (Buchst. b).

23

Ein unbenannter Anwendungsfall der Regelung ist auf der Grundlage der Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts auszuschließen. Das folgt schon daraus, dass die insoweit allein in Betracht kommenden Umstände (Gemengelage, Vorbelastung, Prioritätsprinzip, konkrete Schutzwürdigkeit und Gebietsprägung) bereits Gegenstand der Regelung in Nr. 6.7 sind, die mit der Zwischenwertbildung eine auf die Gemengelagesituation und die genannten Umstände zugeschnittene Lösung enthält (vgl. auch Feldhaus a.a.O. m.w.N.). Es liegt fern, dass die TA Lärm für den Fall, dass - wie hier - trotz Zwischenwertbildung die Zumutbarkeit des Vorhabens nicht gewährleistet werden kann, aus denselben Gesichtspunkten einen zusätzlichen Spielraum für eine Lösung eröffnet, die, wie das Oberverwaltungsgericht nicht verkennt, die Rechtsordnung nur in gesetzlich ausdrücklich normierten Fällen unter strengen Voraussetzungen vorsieht.

24

Die Möglichkeit, einer Überschreitung der nach Nr. 6.1 und Nr. 6.7 maßgeblichen Immissionsrichtwerte mit passivem Lärmschutz zu begegnen, müsste auch das Schutzziel der TA Lärm verfehlen. Aus der Maßgeblichkeit der Außen-Immissionsrichtwerte nach Nr. 6.1 und der Definition des maßgeblichen Immissionsortes in A.1.3 des Anhangs der TA Lärm - bei bebauten Flächen 0,5 m außerhalb vor der Mitte des geöffneten Fensters des vom Geräusch am stärksten betroffenen schutzbedürftigen Raumes - ergibt sich, dass dieses Regelungswerk - anders als etwa für Verkehrsanlagen die 16. und 24. BImSchV - den Lärmkonflikt zwischen Gewerbe und schutzwürdiger (insbesondere Wohn-) Nutzung bereits an deren Außenwand und damit unabhängig von der Möglichkeit und Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen gelöst wissen will. Damit sichert die TA Lärm von vornherein für Wohnnutzungen einen Mindestwohnkomfort, der darin besteht, Fenster trotz der vorhandenen Lärmquellen öffnen zu können und eine natürliche Belüftung sowie einen erweiterten Sichtkontakt nach außen zu ermöglichen, ohne dass die Kommunikationssituation im Innern oder das Ruhebedürfnis und der Schlaf nachhaltig gestört werden können. Soweit andere Regelwerke wie die schon genannte 16. und 24. BImSchV passiven Lärmschutz zur Lösung des Nutzungskonflikts zulassen und damit einen geringeren Mindestwohnkomfort als Schutzziel zugrundelegen, beruht dies auf dem öffentlichen Interesse, das an den von diesen Regelungen erfassten (Verkehrs-)Anlagen besteht und weiterreichende Beschränkungen des Eigentumsinhalts zulasten der von Immissionen betroffenen Anliegern rechtfertigt.

25

Der von der TA Lärm gewährte Schutzstandard steht auch nicht zur Disposition des Lärmbetroffenen und kann nicht durch dessen Einverständnis mit passiven Schallschutzmaßnahmen suspendiert werden. Denn das Bauplanungsrecht regelt die Nutzbarkeit der Grundstücke in öffentlich-rechtlicher Beziehung auf der Grundlage objektiver Umstände und Gegebenheiten mit dem Ziel einer möglichst dauerhaften städtebaulichen Ordnung und Entwicklung. Das schließt es aus, das bei objektiver Betrachtung maßgebliche Schutzniveau auf das Maß zu senken, das der lärmbetroffene Bauwillige nach seiner persönlichen Einstellung bereit ist hinzunehmen (Urteil vom 23. September 1999 - BVerwG 4 C 6.98 - BVerwGE 109, 314 <324>).

26

dd) Schließlich bietet auch der Gesichtspunkt der architektonischen Selbsthilfe keine Rechtfertigung für die vom Oberverwaltungsgericht für zulässig angesehene Konfliktlösung mit Mitteln des passiven Lärmschutzes. Zwar trifft es im Ausgangspunkt zu, dass sich aus dem Rücksichtnahmegebot die Obliegenheit des Bauherrn ergeben kann, durch Maßnahmen der architektonischen Selbsthilfe den Lärmkonflikt mit einem benachbarten Gewerbebetrieb in einer Weise zu lösen, die die Zumutbarkeit der ihn treffenden Immissionen gewährleistet und somit die Erteilung der Baugenehmigung für sein Vorhaben ermöglicht. Auf dieser Grundlage können dem Bauherrn im Anwendungsbereich der TA Lärm aber nur mit diesem Regelwerk vereinbare Gestaltungsmittel oder bauliche Vorkehrungen abverlangt werden. Das schließt immissionsreduzierende Maßnahmen wie Veränderungen der Stellung des Gebäudes, des äußeren Zuschnitts des Hauses oder der Anordnung der Wohnräume und der notwendigen Fenster, ohne Weiteres mit ein (vgl. Urteil vom 23. September 1999 a.a.O. S. 323). Dasselbe gilt, soweit dies bauordnungsrechtlich zulässig ist, für den Einbau nicht zu öffnender Fenster (vgl. Beschluss vom 7. Juni 2012 - BVerwG 4 BN 6.12 - juris), die keine relevanten Messpunkte im Sinne von Nr. 2.3 der TA Lärm i.V.m. Nr. A.1.3 ihres Anhangs darstellen. Passiver Lärmschutz als Mittel der architektonischen Selbsthilfe kann daher nur außerhalb des Anwendungsbereichs der TA Lärm und bei - hier nicht einschlägiger - Anwendung solcher Regelwerke in Betracht kommen, die diese Möglichkeit zulassen (vgl. Urteil vom 22. März 2007 - BVerwG 4 CN 2.06 - BVerwGE 128, 238 Rn. 16 f.).

27

4. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz kann der Senat nicht entscheiden, ob sich das Urteil des Oberverwaltungsgerichts aus anderen Gründen als richtig darstellt (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - die nach § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO maßgebliche Zumutbarkeitsgrenze mit Blick auf die Bereitschaft des Beigeladenen, passiven Lärmschutz vorzusehen, unter Zugrundelegung derjenigen Lärmimmissionen ermittelt, die für das Grundstück des Beigeladenen im ungünstigsten Fall zu erwarten sind. Der Frage, welche Lärmminderungsmaßnahmen dem Kläger nach den (unter 3. b) dargelegten Vorgaben des Rücksichtnahmegebots obliegen, ist das Oberverwaltungsgericht nicht nachgegangen. Das wird es nachzuholen haben. Die dem zur Rücksichtnahme verpflichteten Kläger insoweit zumutbaren Maßnahmen bestimmen sich nach § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG (Urteil vom 18. Mai 1995 - BVerwG 4 C 20.94 - BVerwGE 98, 235 <246 f.> m.w.N). Dass Möglichkeiten der Lärmminderung beim Gewerbebetrieb des Klägers, mit denen der nach den bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts maßgebliche Außen-Immissionswert von 60 dB(A) eingehalten werden könnte, schon aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen wären, hat das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt. Auf die bestandskräftige Genehmigung seines Betriebs kann sich der Kläger gegenüber seinen dynamisch angelegten Grundpflichten aus § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG nicht berufen (vgl. Urteil vom 18. Mai 1995 a.a.O). Anders als das Oberverwaltungsgericht (UA S. 21 f.) offenbar annimmt, sind diese Pflichten gegenüber - wie hier - heranrückender Wohnbebauung nicht von vornherein auf solche Lärmminderungsmaßnahmen beschränkt, zu denen der Gewerbebetrieb bereits gegenüber der vorhandenen Wohnbebauung verpflichtet gewesen wäre.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Zurückweisung eines Nachbarwiderspruchs gegen einen ihr erteilten Bauvorbescheid für ein großflächiges Gartencenter in der Nachbarschaft eines sog. Störfallbetriebs.

2

Die Klägerin ist Eigentümerin von Grundstücken im unbeplanten Innenbereich in D. mit einer Gesamtfläche von über 3 ha, die in der Nachbarschaft des Betriebs der Beigeladenen (eines Störfallbetriebs, der unter die Richtlinie 96/82/EG - kurz: "Seveso-II-Richtlinie" - fällt) liegen und die derzeit u.a. für eine Schrott- und Metallrecyclinganlage genutzt werden. Sie beantragte die Erteilung einer Bebauungsgenehmigung für die Errichtung eines Gartencenters (Verkaufsfläche 9 368 qm, davon 1 340 qm Freifläche). Zu diesem Zeitpunkt hatte die Klägerin das Baugrundstück bereits an die Klägerin im Verfahren BVerwG 4 C 12.11 verkauft. Der Vertrag soll jedoch erst wirksam werden, wenn u.a. der Nachweis des Vorliegens der Bestandskraft des beantragten Vorbescheids oder der Bestandskraft einer Baugenehmigung erbracht worden sei. Die Stadt D. erteilte der Klägerin den Vorbescheid antragsgemäß. Hiergegen erhob die Beigeladene Widerspruch, über den das beklagte Land Hessen bisher nicht (abschließend) entschieden hat.

3

Auf die Untätigkeitsklage der Klägerin hat das Verwaltungsgericht den Beklagten verpflichtet, den Widerspruch der Beigeladenen gegen den der Klägerin erteilten Bauvorbescheid zurückzuweisen. Die Berufungen des Beklagten und der Beigeladenen blieben erfolglos. Der erteilte Bauvorbescheid - so die Begründung des Berufungsurteils - sei rechtmäßig, so dass die Unterlassung der begehrten Zurückweisung des Widerspruchs die Klägerin in ihren Rechten verletze. Das Bauvorhaben sei bauplanungsrechtlich zulässig und verstoße auch nicht gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme. Eine Verletzung der gegenüber dem Störfallbetrieb gebotenen Rücksichtnahme scheide deswegen aus, weil sich innerhalb der gutachtlich ermittelten "Achtungsgrenzen" bereits verschiedene gewerbliche Nutzungen befänden, darunter auch Baumärkte, die ebenfalls Freiverkaufsflächen aufwiesen und nur unwesentlich weiter als das geplante Gartencenter vom Betriebsgelände der Beigeladenen entfernt lägen. Auch bei etwaiger Nichteinhaltung eines erforderlichen Sicherheitsabstands sei deshalb nicht erkennbar, dass es durch das Heranrücken einer weiteren schutzwürdigen Bebauung zu einer Verschärfung der immissionsschutzrechtlichen Anforderungen für die Beigeladene kommen könne. Eine Verpflichtung der Klägerin zur Einhaltung eines Abstands gegenüber dem Störfallbetrieb ergebe sich auch nicht aus § 50 BImSchG. Selbst wenn man § 50 BImSchG im Rahmen von § 34 BauGB für anwendbar halten wollte, scheitere eine Anwendung im vorliegenden Fall daran, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Vorhaben nicht um eine raumbedeutsame Maßnahme im Sinne der Vorschrift handle. Das Vorhaben verstoße auch nicht gegen die gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB zu wahrenden Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse, die auf die Abwehr städtebaulicher Missstände beschränkt seien. Eine unmittelbare Anwendung des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG bzw. eine richtlinienkonforme Auslegung des § 50 BImSchG komme nicht in Betracht. Ein zwingendes Gebot der Abstandswahrung, das auch bei der Zulassung von Einzelvorhaben zu beachten sei, sei der Richtlinie nicht zu entnehmen. Selbst wenn man annehme, dass der deutsche Gesetzgeber Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG nicht vollständig umgesetzt habe, fehle es an der für eine unmittelbare Anwendung der Richtlinie erforderlichen inhaltlichen Unbedingtheit und hinreichenden Genauigkeit.

4

Der Senat hat die Revisionen des Beklagten und der Beigeladenen zum Anlass genommen, das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht auszusetzen und den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in Luxemburg im Wege der Vorabentscheidung (Art. 267 AEUV) um Klärung mehrerer Fragen zu bitten (Beschluss vom 3. Dezember 2009 - BVerwG 4 C 5.09 - juris). Der Senat war der Auffassung, dass die Revisionen auf der Grundlage des nationalen Rechts zurückzuweisen wären, hatte es allerdings für zweifelhaft gehalten, ob die Zulassung des Vorhabens unter den hier gegebenen bzw. unterstellten Umständen mit Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG vereinbar ist (Beschluss vom 3. Dezember 2009 a.a.O. Rn. 11 ff. und 22 ff.).

5

Mit Urteil vom 15. September 2011 - Rs. C-53/10 - (ABl EU 2011 Nr. C 319 S. 5 = ZfBR 2011, 763) hat der EuGH über die Vorlagefragen entschieden.

6

Die erste Vorlagefrage hat er wie folgt beantwortet:

Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG ist dahin auszulegen, dass die Pflicht der Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass langfristig dem Erfordernis Rechnung getragen wird, dass zwischen den unter diese Richtlinie fallenden Betrieben einerseits und öffentlich genutzten Gebäuden andererseits ein angemessener Abstand gewahrt bleibt, auch von einer Behörde wie der für die Erteilung von Baugenehmigungen zuständigen Stadt D. zu beachten ist, und zwar auch dann, wenn sie in Ausübung dieser Zuständigkeit eine gebundene Entscheidung zu erlassen hat.

7

Auf die zweite und dritte Frage hat der EuGH geantwortet:

Die in Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG vorgesehene Verpflichtung, langfristig dem Erfordernis Rechnung zu tragen, dass zwischen den unter diese Richtlinie fallenden Betrieben einerseits und öffentlich genutzten Gebäuden andererseits ein angemessener Abstand gewahrt bleibt, schreibt den zuständigen nationalen Behörden nicht vor, unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Ansiedlung eines öffentlich genutzten Gebäudes zu verbieten. Dagegen steht diese Verpflichtung nationalen Rechtsvorschriften entgegen, nach denen eine Genehmigung für die Ansiedlung eines solchen Gebäudes zwingend zu erteilen ist, ohne dass die Risiken der Ansiedlung innerhalb der genannten Abstandsgrenzen im Stadium der Planung oder der individuellen Entscheidung gebührend gewürdigt worden wären.

8

Der Beklagte und die Beigeladene sehen ihre Rechtsauffassungen durch die Vorabentscheidung des EuGH im Wesentlichen bestätigt. Die Verpflichtung zur gebührenden Würdigung der mit einer Neuansiedlung verbundenen Risiken bestehe nicht erst dann, wenn ein hinzukommendes Vorhaben im Hinblick auf die Auswirkungen eines Störfalls einen weitergehenden Schutzbedarf als die bisherige Bebauung auslöse, sondern bereits dann, wenn durch die Neuansiedlung - wie hier - eine wesentliche Verschlechterung des Status quo u.a. im Hinblick auf das Ziel der Begrenzung der Folgen eines schweren Unfalls eintrete. Die vom EuGH geforderten Bewertungen, insbesondere unter Berücksichtigung "sozioökonomischer" Faktoren, seien hier noch nicht vorgenommen worden. Der Entscheidung des EuGH könne im Ergebnis mit der Auslegung des § 34 BauGB entsprechend Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG nur dadurch Rechnung getragen werden, dass die Klage abgewiesen werde. Welche Faktoren dazu führen sollten, dass diese Risikoermittlung und -bewertung nicht maßgeblich sei bzw. überwunden werden könne, sei nicht ersichtlich.

9

Die Klägerin hält das Vorhaben nach wie vor für bauplanungsrechtlich zulässig. Der EuGH habe das Konzept des deutschen Gesetzgebers zur Umsetzung der Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG im Hinblick auf bereits bebaute Einwirkungsbereiche von Störfallbetrieben akzeptiert. Die von Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG geforderte störfallrechtliche Risikobewertung sei schon bislang in einem ausreichenden Maße im Rahmen von § 34 Abs. 1 BauGB erfolgt.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässigen Revisionen sind begründet. Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

11

Der Verwaltungsgerichtshof hat zu Recht die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des streitgegenständlichen Gartencenters und damit die Rechtmäßigkeit des der Klägerin erteilten Bauvorbescheids an § 34 Abs. 1 BauGB und dem über das Tatbestandsmerkmal des Einfügens darin enthaltenen Rücksichtnahmegebot gemessen. Mit Bundesrecht unvereinbar ist allerdings die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, dass eine Verletzung der gegenüber dem Störfallbetrieb der Beigeladenen gebotenen Rücksichtnahme deshalb ausscheide, weil sich innerhalb der gutachtlich ermittelten "Achtungsgrenzen" bereits verschiedene gewerbliche Nutzungen befänden und wegen dieser Vorbelastung - die Nichteinhaltung des angemessenen Abstands unterstellt - nicht erkennbar sei, dass es durch die Neuansiedlung zu einer Verschärfung der immissionsschutzrechtlichen Anforderungen für die Beigeladene kommen könne.

12

Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG verlangt, dass die Risiken der Zulassung eines öffentlich genutzten Gebäudes in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs ungeachtet etwaiger Vorbelastungen gebührend gewürdigt werden (1). Diesem unionsrechtlichen Erfordernis ist durch eine richtlinienkonforme Handhabung des in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltenen Rücksichtnahmegebots Geltung zu verschaffen (2). Dessen Anforderungen hat der Verwaltungsgerichtshof verkannt (3). Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, weil die hierfür erforderlichen Tatsachenfeststellungen fehlen (4).

13

1. Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG schließt es aus, die Neuansiedlung eines öffentlich genutzten Gebäudes in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs allein im Hinblick auf bestehende Vorbelastungen zuzulassen, ohne zuvor ermittelt zu haben, welcher Abstand angemessen ist und welche Risiken mit der Neuansiedlung innerhalb dieser Abstandsgrenzen einhergehen.

14

Der EuGH (Urteil vom 15. September 2011 - Rs. C-53/10 - UPR 2011, 443 LS 1) hat Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG dahin ausgelegt, dass die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, langfristig dem Erfordernis der Wahrung angemessener Abstände zwischen einem Störfallbetrieb und öffentlich genutzten Gebäuden Rechnung zu tragen, auch von Baugenehmigungsbehörden bei gebundenen Entscheidungen über die Zulassung von Vorhaben zu beachten ist. Dass der Betrieb der Beigeladenen ein Störfallbetrieb und das von der Klägerin beantragte Gartencenter ein öffentlich genutztes Gebäude im Sinne der Richtlinie ist, ist unstreitig (EuGH a.a.O. Rn. 2 und 3). Die als Baugenehmigungsbehörde tätig gewordene Stadt D. war deshalb bei der Entscheidung über den von der Klägerin beantragten Bauvorbescheid verpflichtet, dem Abstandserfordernis des Art. 12 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 96/82/EG Rechnung zu tragen.

15

Diese Verpflichtung hat der EuGH (a.a.O. LS 2) zwar nicht in dem Sinne ausgelegt, dass jede Neuansiedlung eines öffentlich genutzten Gebäudes innerhalb des angemessenen Abstands zwingend untersagt werden müsste. Es ist mit der Richtlinie aber nicht vereinbar, wenn die Ansiedlung zugelassen wird, ohne dass die Risiken einer Ansiedlung innerhalb des angemessenen Abstands gebührend gewürdigt worden wären (EuGH a.a.O. Rn. 49). Die Genehmigungsbehörde muss deshalb in einem ersten Schritt ermitteln, welcher Abstand "angemessen" ist und ob das Neuansiedlungsvorhaben innerhalb dieser Abstandsgrenze liegt. Ist der angemessene Abstand nicht eingehalten, muss sich die Behörde in einem zweiten Schritt darüber Gedanken machen, ob ein Unterschreiten des angemessenen Abstands im Einzelfall vertretbar ist.

16

a) Welcher Abstand "angemessen" ist, ist im Unionsrecht nicht geregelt. Damit obliegt es den zuständigen nationalen Genehmigungsbehörden und Gerichten zumindest implizit, die angemessenen Abstände im jeweiligen Einzelfall anhand aller relevanten störfallspezifischen Faktoren festzulegen (EuGH a.a.O. Rn. 45 und 50).

17

Die nationalen Behörden haben im Falle der Ansiedlung eines öffentlich genutzten Gebäudes in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs den Anstieg des Unfallrisikos oder die Verschlimmerung der Unfallfolgen zu bewerten (Art. 12 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 96/82/EG; EuGH a.a.O. Rn. 43). Das erfordert jedenfalls dann, wenn die Behörde Anhaltspunkte dafür hat, dass das zur Genehmigung gestellte Vorhaben den angemessenen Abstand nicht einhält (vgl. Uechtritz, BauR 2012, 1039 <1047>), eine Abschätzung nicht nur der Risiken und Schäden, sondern auch aller anderen in jedem Einzelfall relevanten (störfall-) "spezifischen Faktoren", die je nach den besonderen Gegebenheiten der Gebiete unterschiedlich ausfallen können (EuGH a.a.O. Rn. 43 f.). Das wird in aller Regel nicht ohne eine Heranziehung technisch-fachlichen Sachverstands möglich sein. Gegebenenfalls kann auch in Betracht kommen, vom Vorhabenträger die Vorlage eines entsprechenden Gutachtens zu verlangen (Uechtritz, a.a.O. S. 1047).

18

Als störfallspezifische Faktoren, die im jeweiligen Einzelfall relevant sein können, nennt der EuGH (a.a.O. Rn. 44) die Art der jeweiligen gefährlichen Stoffe, die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines schweren Unfalls, die Folgen eines etwaigen Unfalls für die menschliche Gesundheit und die Umwelt, die Art der Tätigkeit der neuen Ansiedlung, die Intensität ihrer öffentlichen Nutzung sowie die Leichtigkeit, mit der Notfallkräfte bei einem Unfall eingreifen können. Die Nennungen sind nur beispielhaft. In Betracht zu ziehen sind ferner, wie der EuGH (a.a.O. Rn. 43) betont, vorhabenbedingte Veränderungen, etwa die Verschlimmerung von Unfallfolgen durch einen vorhabenbedingten Anstieg der möglicherweise betroffenen Personen. Andererseits können aber auch technische Maßnahmen zur Verminderung des Unfallrisikos oder zur weiteren Begrenzung möglicher Unfallfolgen zu berücksichtigen sein, sei es im Betriebsbereich, soweit diese dem Betreiber des Störfallbetriebs auferlegt werden können, sei es außerhalb des Betriebsbereichs, wie etwa Nutzungseinschränkungen oder besondere bauliche Anforderungen an das an den Störfallbetrieb heranrückende Vorhaben, sofern über diese Maßnahmen mögliche Schadensfolgen und damit auch die Angemessenheit des Abstands beeinflusst werden können (vgl. auch Berkemann, ZfBR 2010, 18 <24>).

19

Im Hinblick auf sonstige - nicht störfallspezifische - Belange unterliegt der angemessene Abstand demgegenüber keiner Relativierung (zutreffend Uechtritz, a.a.O. S. 1046 f.). Insbesondere haben "sozioökonomische" Faktoren, die der EuGH (a.a.O. Rn. 46) in diesem Zusammenhang nennt, bei der Festlegung des "angemessenen" Abstands außer Betracht zu bleiben. Das ergibt sich zum einen daraus, dass der EuGH die vom Senat im Vorlagebeschluss vertretene Auffassung ausdrücklich bestätigt hat, wonach insbesondere soziale, ökologische und wirtschaftliche Belange zwar im jeweiligen Einzelfall "abwägungsrelevante" sonstige Faktoren sein können, die den Ausschlag für die Zulassung eines öffentlich genutzten Gebäudes innerhalb der gegenüber einem Störfallbetrieb grundsätzlich zu wahrenden angemessenen Abstände geben können, aber den störfallspezifischen Faktoren gerade gegenüberstehen. Zum anderen bestimmen die "angemessenen" Abstände generell den Anwendungsbereich der Richtlinie 96/82/EG, und zwar auch insoweit, als die Verhütung schwerer Unfälle sowie die Begrenzung der Unfallfolgen durch Betreiberpflichten nach deren Art. 5 sichergestellt werden soll (EuGH a.a.O. Rn. 37); es ist nicht ernstlich in Erwägung zu ziehen, dass die Richtlinie den Umfang der Betreiberpflichten und damit auch das Risikopotential eines Störfallbetriebs von sozioökonomischen Faktoren abhängig machen will (Uechtritz, a.a.O.).

20

Der Begriff des "angemessenen" Abstands ist ein zwar unbestimmter, aber technisch-fachlich bestimmbarer Rechtsbegriff. Im Einzelfall können erhebliche Unsicherheiten bestehen, welcher Abstand angemessen ist. Die Angemessenheit kann von einer Vielzahl störfallrelevanter technischer Faktoren abhängen und je nach den besonderen Gegebenheiten der Gebiete und den Besonderheiten des Einzelfalls in erheblichem Maße unterschiedlich ausfallen (EuGH, Urteil vom 15. September 2011 - Rs. C-53/10 - UPR 2011, 443 Rn. 44). Präzise, absolute und objektive Grenzen der "Gefahrenzone" um einen Störfallbetrieb kann es insoweit nicht geben (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 14. April 2011 in der Rs. C-53/10 - im Folgenden: Schlussanträge - juris Rn. 39). Gleichwohl unterliegt die behördliche Festlegung des angemessenen Abstands der vollen gerichtlichen Überprüfung (Kraus, ZfBR 2012, 324 <329 f.>; vgl. Berkemann, a.a.O. S. 27); ein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum kommt der Genehmigungsbehörde insoweit nicht zu. Die in der Vorabentscheidung (EuGH a.a.O. Rn. 24) verwendete Formulierung, Art. 12 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 96/82/EG lasse den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Festlegung dieser Abstände einen "Wertungsspielraum", von dem aber jedenfalls innerhalb der Grenzen der Verpflichtung, der Wahrung angemessener Abstände Rechnung zu tragen, Gebrauch gemacht werden müsse, bezieht sich nach dem Verständnis des EuGH (z.B. a.a.O. Rn. 45 f.) ersichtlich nicht auf die Ermittlung, sondern auf die "Berücksichtigung" des angemessenen Abstands.

21

b) Dieser Berücksichtigungspflicht hat die Genehmigungsbehörde in einem zweiten Schritt nachzukommen, wenn das Neuansiedlungsvorhaben innerhalb des angemessenen Abstands liegt.

22

Diese Verpflichtung ist nicht im Sinne eines Verschlechterungsverbots zu verstehen. Zwar wird mit jedem Vorhaben, das den angemessenen Abstand unterschreitet, der störfallrechtlich unerwünschte Zustand in der Regel weiter verfestigt. Gleichwohl zwingt Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG die Baugenehmigungsbehörden nicht dazu, Neuansiedlungen in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs ausnahmslos abzulehnen und das Abstandskriterium damit zum alleinigen Genehmigungs- oder Ablehnungskriterium zu machen. Allein die Zuerkennung eines Wertungsspielraums ermöglicht es, die volle praktische Wirksamkeit des Erfordernisses sicherzustellen (EuGH a.a.O. Rn. 45). Deshalb erscheint es grundsätzlich denkbar, ein öffentlich genutztes Gebäude je nach den Umständen des Einzelfalls auch innerhalb der angemessenen Abstände zuzulassen. Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG gestattet es, den "störfalltechnisch" ermittelten angemessenen Abstand zu unterschreiten, wenn im Einzelfall hinreichend gewichtige Belange für die Zulassung des Vorhabens streiten. In Betracht kommen insbesondere soziale, ökologische und wirtschaftliche Belange. Diese Auffassung hatte der Senat bereits in seinem Vorlagebeschluss vertreten. Der EuGH (a.a.O. Rn. 44) hat sie in seiner Vorabentscheidung ausdrücklich bestätigt. Störfallspezifische Faktoren können nach den Worten des EuGH (a.a.O.) mit "sozioökonomischen Faktoren zusammentreffen". Es unterliegt keinen Zweifeln, dass der EuGH ihnen die Eigenschaft von Belangen zumisst, die den störfallspezifischen Faktoren gegenüberstehen, die mithin auf der anderen Seite "in die Gleichung" (Schlussanträge a.a.O. Rn. 41) einzustellen sind.

23

Andererseits kann der Wertungsspielraum der Mitgliedstaaten nicht so ausgelegt werden, dass er es ihnen gestatten würde, von der Berücksichtigung angemessener Abstände abzusehen (EuGH a.a.O. Rn. 49). Die "Berücksichtigung" angemessener Abstände verlangt, dass diese bei der Risikobewertung - sei es auf planerischer Ebene, sei es bei der Vorhabenzulassung - neben anderen Faktoren auch tatsächlich berücksichtigt werden (EuGH a.a.O. Rn. 50). Daraus folgt, dass Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG einer nationalen Regelung entgegensteht, soweit sie vorschreibt, dass die Genehmigung eines öffentlich genutzten Gebäudes in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs zwingend zu erteilen ist, ohne dass die Risiken der Ansiedlung innerhalb der angemessenen Abstände im Genehmigungsverfahren gebührend gewürdigt worden wären (EuGH a.a.O. LS 2 Satz 2 und Rn. 51). Die Genehmigungsbehörde muss sich folglich in jedem Einzelfall darüber Gedanken machen, ob ein Unterschreiten des eigentlich erforderlichen "angemessenen Abstands" im Hinblick auf sonstige - nicht störfallspezifische - Faktoren vertretbar ist (Uechtritz, BauR 2012, 1039 <1047>), sofern dies nicht bereits seitens der Planungsbehörden geschehen ist (EuGH a.a.O. Rn. 28). Das verkennt die Klägerin, die sich auf den Standpunkt stellt, der EuGH habe das in § 34 Abs. 1 BauGB zum Ausdruck kommende Konzept des deutschen Gesetzgebers gebilligt, der bereits auf gesetzlicher Grundlage eine "generalisierende Risikobewertung" in der Weise vorgenommen habe, dass die Genehmigung im Falle einer Vorbelastung stets zu erteilen sei.

24

Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG enthält ferner die zeitliche Vorgabe, dass dem Erfordernis der Wahrung eines angemessenen Abstands "langfristig" Rechnung zu tragen ist. Diese zielt darauf ab, dass Abstände dort, wo sie bereits eingehalten werden, gewahrt bleiben, und dass sie für die Zukunft als langfristiges Ziel aufgestellt werden, wenn sie noch nicht umgesetzt worden sind (EuGH a.a.O. Rn. 47; vgl. auch Schlussanträge a.a.O. Rn. 40). Liegt ein Neuansiedlungsvorhaben innerhalb der angemessenen Abstände, ist deshalb wie folgt zu differenzieren: Die erstmalige Schaffung einer Gemengelage wird im Regelfall unzulässig sein, weil ein angemessener Abstand, der bisher eingehalten ist, auch in Zukunft - langfristig - gewahrt bleiben muss (Schlussanträge a.a.O.; Uechtritz, a.a.O. S. 1048). Ist der angemessene Abstand demgegenüber schon bisher nicht eingehalten, greift der Wertungsspielraum, den der EuGH den Genehmigungsbehörden im Rahmen des Erfordernisses, der Wahrung angemessener Abstände Rechnung zu tragen, zuerkannt hat.

25

In welcher Weise dieser Wertungsspielraum auszufüllen ist, gibt Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG den Mitgliedstaaten nicht vor. Insbesondere legt die Norm die Mitgliedstaaten nicht auf eine durch planerische Gestaltungsspielräume gekennzeichnete, prinzipiell ergebnisoffene Abwägung fest (a.A. Jäde, Publicus 2011.11, 4 <5> (online); vgl. auch Uechtritz, a.a.O. S. 1052), etwa im Sinne des § 1 Abs. 7 BauGB. Der Vorabentscheidung lassen sich auch keine Hinweise entnehmen, die erkennen ließen, dass der EuGH die Berücksichtigung des Abstandserfordernisses im Wege der Vorhabenzulassung verfahrensrechtlich nur um den Preis einer Systemänderung akzeptieren würde (a.A. Jäde, a.a.O. und Uechtritz, a.a.O. S. 1051 ff.). Die Richtlinie verlangt nur, dass das fragliche Erfordernis zu irgendeinem Zeitpunkt des Verfahrens zur Durchführung der Pläne oder Politiken zur Flächennutzung oder Flächenausweisung beachtet werden muss, der aber von den Mitgliedstaaten frei bestimmt werden kann (EuGH a.a.O. z.B. Rn. 26, 27, 28). Im Übrigen respektiert sie die mitgliedstaatlichen Systementscheidungen. Schon gar nicht erzwingt sie eine "Strukturrevolution" (so aber Jäde, a.a.O.). Auch die auf eine umfassende Öffentlichkeitsbeteiligung gerichteten Reformvorschläge der Kommission (KOM(2010)781 vom 21. Dezember 2010; BTDrucks 17/5891 vom 24. Mai 2011) bei allen von Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG erfassten "neuen Bauprojekten", stellen den Weg einer Umsetzung des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG im Rahmen der gebundenen Entscheidung nicht in Frage. Öffentlichkeitsbeteiligungen sind auch nach bisherigen nationalrechtlichen Maßstäben einem gebundenen Genehmigungsanspruch nicht fremd (vgl. etwa § 10 Abs. 3 bis 6 BImSchG). Die Richtlinie lässt den Mitgliedstaaten mithin auch in instrumenteller Hinsicht Spielräume, um das Abstandserfordernis in bestehende nationalrechtliche Systementscheidungen einzupassen, sei es "in allgemeiner Weise bei der Aufstellung der Flächenausweisungs- oder Flächennutzungspläne", sei es - mangels einer Planung - "in spezifischer Weise ... beim Erlass von Entscheidungen über Baugenehmigungen" (EuGH, Urteil vom 15. September 2011 - Rs. C-53/10 - UPR 2011, 443 Rn. 50). Beide Wege sieht der EuGH insoweit grundsätzlich als gleichwertig an. Die Planungsbehörden sind deshalb nicht gehindert, die Pflicht zur Berücksichtigung angemessener Abstände auf die Genehmigungsbehörden zu übertragen (EuGH a.a.O. Rn. 26).

26

Entscheidet sich die Gemeinde für das Instrument der Bauleitplanung, ist den Erfordernissen des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG in planerischer Weise Rechnung zu tragen. Die von der Richtlinie geforderten Wertungsspielräume gehen im bauleitplanerischen Abwägungsgebot (§ 1 Abs. 7, § 2 Abs. 3 BauGB) auf, in dessen Rahmen der Trennungsgrundsatz (§ 50 BImSchG) als Abwägungsdirektive zu beachten ist. Die Ergebnisse der Planung unterliegen einer nur eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Unterbleibt eine Planung, ist dem Abstandserfordernis "in spezifischer Weise" im Rahmen der Vorhabenzulassung Rechnung zu tragen. Unionsrechtlich gefordert, aber auch ausreichend ist insoweit eine "nachvollziehende" Abwägung (im Ergebnis ebenso OVG Münster, Beschluss vom 21. Februar 2012 - 2 B 15/12 - juris Rn. 22 und - vorausgehend - VG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Dezember 2011 - 25 L 581/11 - juris Rn. 62; zum Begriff der "nachvollziehenden" Abwägung BVerwG, Urteil vom 19. Juli 2001 - BVerwG 4 C 4.00 - BVerwGE 115, 17 <24 f.>; vgl. im Überblick auch Roeser, in: Berliner Kommentar zum BauGB, Stand November 2012, § 35 Rn. 10), verstanden als ein Vorgang der Rechtsanwendung, der eine auf den Einzelfall ausgerichtete Gewichtsbestimmung verlangt. Sie ist nicht planerische Abwägung im Sinne rechtsgeleiteter politischer Dezision, sondern sachgeleitete Wertung, und unterliegt insoweit der vollen gerichtlichen Kontrolle (Uechtritz, BauR 2012, 1039 <1050 f.>; Kraft, in: Spannowsky/Uechtritz, BauGB, 2009, § 38 Rn. 25).

27

Wie weit die Leistungsfähigkeit des Instruments der "nachvollziehenden" Abwägung reicht, ist keine Frage des Unionsrechts, sondern des nationalen Rechts. Ist die Leistungsfähigkeitsgrenze überschritten, ist der Weg einer gebundenen Entscheidung mit einer lediglich "nachvollziehenden" Abwägung versperrt. Einer Vorhabenzulassung kann dann nur auf der Grundlage eines Bebauungsplans näher getreten werden, bei dessen Aufstellung die Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG im Rahmen des Abwägungsgebots planerisch zu bewältigen und zu verantworten sind.

28

2. Den Anforderungen, die Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG an die Zulassung von Vorhaben in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs stellt, ist durch eine richtlinienkonforme Auslegung des in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltenen Rücksichtnahmegebots Rechnung zu tragen.

29

Unter Zugrundelegung der Entscheidung des EuGH (a.a.O.) und der unter 1. b) gemachten Ausführungen ist zunächst davon auszugehen, dass Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG keine unmittelbare Wirkung im Sinne der Rechtsprechung des EuGH (vgl. hierzu etwa Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 288 Rn. 47 ff.) entfaltet. Damit bleibt nationales Recht - hier § 34 Abs. 1 BauGB - weiter anwendbar. Der Senat hat allerdings das nationale Gesetz soweit wie möglich richtlinienkonform auszulegen, um sich dadurch die Möglichkeit zu verschaffen, im Rahmen seiner Zuständigkeit die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten (EuGH a.a.O. Rn. 32 bis 34 und 52). Dieses Ziel wird durch eine richtlinienkonforme Handhabung des in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltenen Rücksichtnahmegebots erreicht, die sich auch mit den in § 34 Abs. 1 BauGB angelegten Systemmerkmalen verträgt. Eines Rückgriffs auf die im Schrifttum erörterten sonstigen Möglichkeiten der Implementierung des Unionsrechts (vgl. dazu im Überblick Uechtritz, a.a.O. S. 1049 ff.) bedarf es mithin nicht.

30

a) Einer richtlinienkonformen Auslegung steht nicht entgegen, dass sich das Vorhaben in die Eigenart der "näheren Umgebung" einfügen muss. Schon nach bisherigem Verständnis ist hierbei auf diejenige Umgebung abzustellen, auf die sich die Ausführung des Vorhabens auswirken kann und die ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst (Urteil vom 26. Mai 1978 - BVerwG 4 C 9.77 - BVerwGE 55, 369 <380>). Störfallrechtliche Konfliktlagen lassen sich hierunter auch insoweit subsumieren, als sie über den unmittelbaren Nahbereich hinausreichen, weil und soweit sie die bodenrechtliche Situation eines Vorhabengrundstücks prägen. Abgesehen davon sind städtebauliche Fernwirkungen dem Entscheidungsprogramm des § 34 BauGB generell nicht mehr fremd, seit der Gesetzgeber mit dem EAG Bau 2004 den Maßstab des § 34 Abs. 3 BauGB in das Prüfprogramm integriert hat (Kraus, ZfBR 2012, 324<329>).

31

b) Das in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltene Rücksichtnahmegebot bietet eine geeignete Anknüpfung für die unionsrechtlich geforderte "nachvollziehende" Abwägung.

32

Ein Vorhaben, das sich in jeder Hinsicht innerhalb des aus seiner Umgebung hervorgehenden Rahmens hält, fügt sich in die Eigenart der näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB dann nicht ein, wenn das Vorhaben es an der gebotenen Rücksichtnahme auf die sonstige, d.h. vor allem auf die in seiner unmittelbaren Nähe vorhandene Bebauung fehlen lässt (Urteil vom 26. Mai 1978 a.a.O. S. 386 m.w.N.). Ziel des Rücksichtnahmegebots ist es, einander abträgliche Nutzungen in rücksichtsvoller Weise zuzuordnen sowie Spannungen und Störungen zu vermeiden. Welche Anforderungen sich hieraus ergeben, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab, namentlich davon, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist (stRspr; zuletzt Urteil vom 29. November 2012 - BVerwG 4 C 8.11 - juris Rn. 16 m.w.N.). Es wird dabei durch die Begriffsbestimmungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und den auf dieser Grundlage ergangenen rechtsförmlichen technischen Regelwerken und normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften näher bestimmt (vgl. Urteil vom 23. September 1999 - BVerwG 4 C 6.98 - BVerwGE 109, 314 <319 f.>). Im Übrigen ist eine Einzelfallbeurteilung geboten.

33

Das Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme erweist sich insoweit als wertungsoffenes Korrektiv (vgl. auch Berkemann, ZfBR 2010, 18 <30>: "planerisches Korrektiv"), das auch für störfallrechtlich vorgegebene Wertungen offensteht. Es erlaubt die in Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG geforderte abwägende Gegenüberstellung von störfallspezifischen und nicht störfallspezifischen, insbesondere "sozioökonomischen" Faktoren, um auf dieser Grundlage entscheiden zu können, ob im Einzelfall ein Unterschreiten des eigentlich erforderlichen "angemessenen" Abstands ausnahmsweise vertretbar ist. Insoweit unterscheiden sich störfallrechtliche nicht grundlegend von anderen immissionsschutzrechtlichen Konfliktsituationen. Das Rücksichtnahmegebot ist deshalb ein geeigneter Rahmen auch für die unionsrechtlich geforderte "nachvollziehende" Abwägung, innerhalb derer die Genehmigungsbehörde den ihr nach Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG zukommenden Wertungsspielraum auszufüllen hat. Unerheblich ist, dass der Begriff der "nachvollziehenden" Abwägung in der Senatsrechtsprechung für Fälle im Anwendungsbereich des § 35 BauGB entwickelt und darüber hinaus bisher - soweit ersichtlich - lediglich im Bereich des § 38 BauGB thematisiert worden ist. Der Sache nach ist auch die im Rahmen des Rücksichtnahmegebots zu treffende Entscheidung sachgeleitete Wertung, die ebenfalls der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt (vgl. Kraft, a.a.O.).

34

Einer Anpassung bedarf die Dogmatik des Rücksichtnahmegebots im störfallrechtlichen Zusammenhang allerdings insoweit, als Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG verlangt, dass der angemessene Abstand bei der Risikobewertung neben anderen Faktoren - wie dargestellt - auch im Fall einer bestehenden Vorbelastung tatsächlich berücksichtigt wird. In Anbetracht der in der Richtlinie zum Ausdruck kommenden besonderen Zielsetzung (Art. 1 der Richtlinie 96/82/EG), die Folgen schwerer Unfälle für Mensch und Umwelt nicht nur durch eine entsprechende Ausgestaltung der Betreiberpflichten (Art. 5 der Richtlinie 96/82/EG), sondern auch durch die Wahrung angemessener Abstände (Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG) zu begrenzen, darf eine bestehende Vorbelastung nicht dazu führen, die durch eine Neuansiedlung im Fall eines Störfalls zusätzlich exponierten Menschen auszublenden. Bedenkt man ferner, dass die erstmalige Schaffung einer störfallrechtlichen Gemengelage - wie dargestellt - im Regelfall ohnehin unzulässig sein wird, weil ein angemessener Abstand, der bisher eingehalten ist, "langfristig", also auch in Zukunft gewahrt bleiben muss (Beschluss vom 3. Dezember 2009 - BVerwG 4 C 5.09 - juris Rn. 32; Uechtritz, BauR 2012, 1039 <1048 ff.>), liegt auf der Hand, dass eine bestehende Vorbelastung im Störfallrecht nicht Grenze, sondern vielmehr gerade Voraussetzung des Wertungsspielraums ist, den Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG eröffnet. Das Kriterium der Vorbelastung ist deshalb im Störfallrecht bei richtlinienkonformer Handhabung unbrauchbar.

35

c) Von vornherein überschritten sind allerdings die Leistungsgrenzen des Rücksichtnahmegebots, wenn die nach Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG zu berücksichtigenden "sozioökonomischen Faktoren" den Rahmen der im Rücksichtnahmegebot abgebildeten gegenseitigen Interessenbeziehung zwischen Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits verlassen, etwa dann, wenn nicht individuelle, sondern städtebauliche Gründe für eine Zulassung eines Vorhabens in der Gefahrenzone eines Störfallbetriebs streiten, oder wenn Alternativstandorte für die Verwirklichung des Vorhabens in Frage stehen. Entsprechendes gilt, wenn ein Neuansiedlungsvorhaben städtebauliche Spannungen bewirkt, die im Wege einer "nachvollziehenden" Abwägung nicht beseitigt werden können, sondern einer planerischen Bewältigung bedürfen, oder wenn eine rechtsfehlerfreie Konfliktbewältigung auf das Festsetzungsinstrumentarium der Bauleitplanung angewiesen ist. In all diesen Fällen ist eine Zulassung des Vorhabens auf der Grundlage des § 34 Abs. 1 BauGB abzulehnen, weil es einen Koordinierungsbedarf auslöst, dem nicht das Konditionalprogramm des Rechts der Vorhabenzulassung, sondern nur eine förmliche Planung Rechnung zu tragen vermag (vgl. Urteil vom 1. August 2002 - BVerwG 4 C 5.01 - BVerwGE 117, 25 <29 f.>; jüngst auch Urteil vom 2. Februar 2012 - BVerwG 4 C 14.10 - BVerwGE 142, 1 ). Entschließt sich die Gemeinde in diesen Fällen zur Bauleitplanung, ist auch dem Abstandserfordernis planerisch Rechnung zu tragen.

36

3. Diesen Einfluss des Unionsrechts auf die Handhabung des Rücksichtnahmegebots hat das Berufungsurteil verkannt.

37

Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar zu Recht angenommen, dass die Pflicht zur Rücksichtnahme grundsätzlich nicht unabhängig von etwaigen Vorbelastungen bewertet werden kann (Beschluss vom 3. Dezember 2009 a.a.O. Rn. 14 m.w.N.). Er hat allerdings nicht erkannt, dass das Kriterium der Vorbelastung im Störfallrecht unbrauchbar ist, weil es - wie der EuGH mit bindender Wirkung für die mitgliedstaatliche Rechtsanwendung vorgegeben hat - die Mitgliedstaaten nicht von der sich aus Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG ergebenden Verpflichtung befreit, die Risiken der Neuansiedlung eines öffentlich genutzten Gebäudes innerhalb des angemessenen Abstands gebührend zu würdigen.

38

Mangels Bebauungsplanung war die Genehmigungsbehörde in der Pflicht, bei der Entscheidung über den von der Klägerin beantragten Bauvorbescheid dem Abstandserfordernis Rechnung zu tragen. Dieser Verpflichtung ist sie nicht nachgekommen. Sie hat es unterlassen, vor ihrer Entscheidung zu ermitteln, welcher Abstand gegenüber dem Störfallbetrieb der Beigeladenen angemessen ist und ob das streitgegenständliche Gartencenter innerhalb dieser Abstandsgrenze liegt; den TÜV hatte sie erst im Zusammenhang mit dem Bauantrag der Klägerin im Verfahren BVerwG 4 C 12.11 mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt.

39

Dieses Versäumnis hätte der Verwaltungsgerichtshof zum Anlass nehmen müssen, die erforderlichen Ermittlungen und Bewertung im Rahmen seiner uneingeschränkten gerichtlichen Prüfungskompetenz selbst vorzunehmen. Er hätte feststellen müssen, welcher Abstand angemessen ist und ob das streitgegenständliche Gartencenter innerhalb dieses angemessenen Abstands liegt, etwa weil die vom TÜV gutachtlich ermittelten "Achtungsgrenzen" die Abstandsgrenzen zutreffend wiedergeben. Bejahendenfalls wäre er gehalten gewesen, zu ermitteln, ob und gegebenenfalls welche nicht-störfallspezifischen Faktoren dem Abstandserfordernis gegenüberstehen. Er hätte sich vergewissern müssen, dass die in Betracht kommenden Faktoren das Entscheidungsprogramm des § 34 Abs. 1 BauGB nicht überfordern, etwa, weil nur individuelle Gründe der Vorhabenträgerin in Frage stehen. Schließlich hätte er auf dieser Grundlage im Wege der "nachvollziehenden" Abwägung darüber befinden müssen, ob im Hinblick auf diese Gründe ein Unterschreiten des "angemessenen Abstands" vertretbar und deshalb eine Zulassung des Vorhabens innerhalb der Abstandsgrenzen gerechtfertigt erscheint. An all dem fehlt es.

40

4. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden (§ 144 Abs. 3 VwGO). Es fehlen bereits abschließende tatrichterliche Feststellungen zu den maßgeblichen Faktoren zur Bestimmung des angemessenen Abstands (vgl. oben 1.) sowie dazu, ob das streitgegenständliche Gartencenter innerhalb dieses Abstands liegt. Die Sache ist deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Nutzungsänderung einer Fabrikhalle in ein Mehrfamilienhaus mit fünf Wohneinheiten.

2

Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks, auf dem er ein Holzbearbeitungsunternehmen betreibt. Auf dem angrenzenden Vorhabengrundstück des Beigeladenen steht eine nicht mehr genutzte Fabrikhalle, die mit dem Betriebsgebäude des Klägers baulich verbunden ist. Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich eines Bebauungsplans der Beklagten, der ein allgemeines Wohngebiet ausweist und für die Grundstücke des Klägers und des Beigeladenen erweiterten "Bestandsschutz gemäß § 1 Abs. 10 BauNVO für bestehende Nutzung" festsetzt. Aus einem von der Beklagten im Planaufstellungsverfahren eingeholten Gutachten ergibt sich, dass die im Betrieb des Klägers vorhandenen Schallquellen an der nächstgelegenen Seite des Gebäudes des Beigeladenen Beurteilungspegel bis 70 dB(A) hervorrufen.

3

Die Baugenehmigung erteilte die Beklagte "nach Maßgabe der beigefügten geprüften Bauvorlagen". In einer mit einem Grünstempel versehenen schalltechnischen Untersuchung eines Ingenieurbüros heißt es, zur Beurteilung der Geräuschimmissionen des Betriebs des Klägers würden in Abstimmung mit der Beklagten die Beurteilungspegel des im Planaufstellungsverfahren eingeholten Gutachtens herangezogen. In Abstimmung mit der Beklagten würden im Hinblick auf die ausschließlich an einer Seite des Gebäudes des Beigeladenen auftretende Überschreitung des Immissionsrichtwerts tags um 10 dB(A) keine aktiven Schallschutzmaßnahmen, sondern passive in Form von Schallschutzfenstern mit Belüftungseinrichtungen und einem Schalldämmmaß von mindestens 41 dB(A) für alle schutzbedürftigen Räume ausgearbeitet. Damit würden die Anhaltswerte für Innenschallpegel eingehalten. In einem ebenfalls grüngestempelten Schreiben des vom Beigeladenen beauftragten Planungsbüros an die Beklagte wird zur Ergänzung der Baubeschreibung ausgeführt, die Schallschutzmaßnahmen der schalltechnischen Untersuchung des Ingenieurbüros würden eingebaut und unterhalten.

4

Das die Baugenehmigung aufhebende Urteil des Verwaltungsgerichts hat das Oberverwaltungsgericht auf die Berufungen der Beklagten und des Beigeladenen geändert und die Klage abgewiesen. Weder bei unterstellter Wirksamkeit des Bebauungsplans noch bei unterstellter Unwirksamkeit bestehe ein Aufhebungsanspruch des Klägers. Die genehmigte Wohnnutzung sei jedenfalls zulässig und verstoße nicht zum Nachteil des Klägers gegen das in § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO verankerte Gebot der Rücksichtnahme, das auch im Fall der Wirksamkeit des Bebauungsplans anwendbar sei, weil der Bebauungsplan den konkreten Immissionskonflikt nicht abschließend bewältige. Ob dem betroffenen Nachbarn Geräuschimmissionen zuzumuten seien, sei grundsätzlich anhand der TA Lärm zu bestimmen. Nach ihrer Nr. 6.1 sei am Wohnbauvorhaben des Beigeladenen an Immissionsorten außerhalb von Gebäuden grundsätzlich der hier allein maßgebliche Tag-Immissionsrichtwert von 55 dB(A) einzuhalten. Dieser Wert sei in Anwendung von Nr. 6.1 c und Nr. 6.7 der TA Lärm auf einen "Mittelwert" von tagsüber 60 dB(A) zu erhöhen, weil sich das Wohnbauvorhaben in einer faktischen Gemengelage befinde. Ein solcher Wert lasse sich zwar nicht vollumfänglich einhalten. Das Rücksichtnahmegebot ermögliche und gebiete aber zusätzliche Differenzierungen mit der Folge, dass die grobmaschigen baugebietsbezogenen Richtwerte je nach Lage des Einzelfalls durch situationsbezogene Zumutbarkeitskriterien zu ergänzen seien. So sei ein Wohnbauvorhaben auf einem durch gewerblichen Lärm erheblich vorbelasteten Grundstück rücksichtslos und daher unzulässig, wenn bei seiner Verwirklichung auf naheliegende, technisch mögliche und wirtschaftlich vertretbare Gestaltungsmittel oder bauliche Vorkehrungen verzichtet werde, welche eine erhebliche Lärmbetroffenheit der Wohnnutzung spürbar mindern würden. § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO begründe insoweit eine Obliegenheit des Bauherrn zu "architektonischer Selbsthilfe", verlange aber auch vom Betreiber des - bestands-geschützten - emittierenden Gewerbebetriebs, auf die für das Nachbargrundstück festgesetzte (heranrückende) Wohnbebauung Rücksicht zu nehmen. Welche Maßnahmen dem zur Rücksichtnahme auf seine Nachbarschaft verpflichteten Anlagenbetreiber zumutbar seien, bestimme sich nach den (dynamischen) Betreiberpflichten des § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG. Auch passiver Schallschutz könne ein zu berücksichtigender Baustein der "architektonischen Selbsthilfe" sein. Die im Gutachten des Ingenieurbüros vorgesehenen passiven Schallschutzmaßnahmen, die Bestandteil der Baugenehmigung geworden seien und ausweislich der Erklärung von Beklagter und Beigeladenem in der mündlichen Verhandlung für alle schutzbedürftigen Räume einschließlich Loggia gälten, sicherten, dass die Anhaltswerte für Innenschallpegel in Wohnräumen von tags 30 bis 35 dB(A) und in Schlafräumen von 25 bis 30 dB(A) (Mittelungspegel) von schutzbedürftigen Räumen nach VDI 2179 eingehalten werden könnten.

5

Zur Begründung seiner vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, die Vorinstanz gehe rechtsfehlerhaft davon aus, dass das Vorhaben trotz einer Überschreitung der (Außen-)Immissionsrichtwerte der Nr. 6.1 und Nr. 6.7 der TA Lärm aufgrund der festgesetzten passiven Schallschutzmaßnahmen zulässig sei. Passive Schallschutzmaßnahmen führten nicht zu einer Reduzierung des maßgeblichen Außen-Immissionsrichtwertes und seien nur in den gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Fällen zulässig. Ohnehin sei das Rücksichtnahmegebot bereits in der den Feststellungen des Bebauungsplans zugrundeliegenden Abwägung aufgegangen, weil auch für den Konflikt zwischen den streitbefangenen Grundstücken der für andere Grundstücke festgesetzte Immissionswert von 60 dB(A) gelte. Außerdem verstoße die streitgegenständliche Baugenehmigung gegen das Bestimmtheitsgebot. Schließlich habe das Oberverwaltungsgericht unter Verletzung der Aufklärungspflicht und des Anspruchs auf rechtliches Gehör den unter Beweis gestellten Sachvortrag, dass die Immissionsrichtwerte im Gebäudeinneren gemäß Nr. 6.2 der TA Lärm aufgrund der vorhandenen Gebäudeverbindung nicht eingehalten würden, zu Unrecht unbeachtet gelassen.

6

Beklagte und Beigeladener verteidigen das angegriffene Urteil.

7

Nach Ansicht der Beklagten zählen passive Schallschutzmaßnahmen zu den Mitteln der "architektonischen Selbsthilfe". Das ergebe sich auch aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Je nach den Umständen des Einzelfalls könne es - zumal wenn wie hier Außenwohnbereiche nicht betroffen seien - abwägungsfehlerfrei sein, eine Minderung der Immissionen durch eine Kombination von passivem Schallschutz, Stellung und Gestaltung von Gebäuden sowie Anordnung der Wohn- und Schlafräume zu erreichen.

8

Der Beigeladene hält den Bebauungsplan für unwirksam, weil er keine Konfliktlösung in Bezug auf sein Grundstück biete. Deswegen sei sein Vorhaben an § 34 Abs. 1 BauGB zu messen. Es halte sich im vorgezeichneten Rahmen und verstoße auch nicht gegen das Rücksichtnahmegebot. Zum einen seien die Lärmgutachten von Betriebszuständen ausgegangen, die nicht dem Stand der Lärmminderungstechnik entsprächen und die, würden sie real ausgeführt, nach § 22 BImSchG untersagt werden könnten. Zum anderen seien die von ihm angebotenen und damit zum Bestandteil der Baugenehmigung gewordenen Maßnahmen der architektonischen Selbsthilfe prinzipiell geeignet, im Rahmen einer Bewertung anhand des Gebotes der Rücksichtnahme Berücksichtigung zu finden. So würden die unmittelbar dem Grundstück des Klägers zugewandten Aufenthaltsräume während der Betriebszeiten ständig geschlossen gehalten und Fenster mit einem Schalldämmmaß ausgestattet, das die Einhaltung der Nr. 6.2 TA Lärm (Innenraumschutz) sicherstelle. Die Außenwohnbereiche befänden sich im Lärmschatten des Gebäudes.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist begründet. Das Berufungsurteil verstößt gegen Bundesrecht.

10

1. Die Verfahrensrügen des Klägers greifen allerdings nicht durch. Sie genügen nicht den Darlegungsanforderungen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO.

11

a) Mit seiner Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 VwGO) macht der Kläger geltend, das Gericht hätte die Beschaffenheit des Verbindungstunnels zwischen den Gebäuden des Klägers und des Beigeladenen weiter aufklären müssen. Da er hierzu in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht keinen Beweisantrag gestellt hat, hätte er mit der Revision darlegen müssen, aus welchen Gründen sich der Vorinstanz die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen (vgl. hierzu etwa Urteil vom 11. Juli 2002 - BVerwG 4 C 9.00 - Buchholz 451.17 § 12 EnergG Nr. 1 S. 12 f.). Das ist nicht geschehen. Aufgrund des - auch auf Nachfrage der Vorinstanz - lediglich allgemein gehaltenen und nicht gebäudebezogenen privatgutachterlichen Vorbringens des Klägers und der Feststellungen des Berichterstatters im Rahmen der Ortsbesichtigung ist für den Senat auch nicht erkennbar, dass sich solche Aufklärungsmaßnahmen aufgedrängt hätten.

12

b) Die Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann nicht erheben, wer sich rechtliches Gehör durch entsprechende Beweis- oder Vertagungsanträge in der mündlichen Verhandlung hätte verschaffen können (Beschluss vom 4. August 2008 - BVerwG 1 B 3.08 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 3 VwGO Nr. 70 Rn. 9 m.w.N.). Es ist weder dargelegt noch erkennbar, warum der Kläger dies im Hinblick auf die nach seiner Ansicht zeitlich und inhaltlich unzumutbare Aufforderung des Oberverwaltungsgerichts zur Substantiierung seines Vorbringens zum Verbindungstunnel nicht getan hat.

13

2. Dass das Oberverwaltungsgericht die Bestimmtheit der angegriffenen Baugenehmigung auf der Grundlage seiner Auslegung dieses Verwaltungsakts bejaht hat, lässt ebenfalls keinen Verstoß gegen Bundesrecht erkennen. Mit seiner Rüge eines Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz setzt der Kläger dieser Auslegung lediglich eine eigene Auslegung der Baugenehmigung gegenüber, aus der er ihre unzureichende Bestimmtheit ableitet. Die Auslegung eines Verwaltungsakts ist jedoch Sache des Tatsachengerichts und jedenfalls dann, wenn dieses sich - wie hier - dazu verhalten hat (Beschluss vom 6. April 2004 - BVerwG 4 B 2.04 - juris Rn. 8) und die Auslegung keinen Rechtsirrtum oder einen Verstoß gegen allgemeine Erfahrungssätze, Denkgesetze oder Auslegungsregeln erkennen lässt (Urteil vom 10. Oktober 2012 - BVerwG 6 C 36.11 - juris Rn. 26), der revisionsgerichtlichen Prüfung entzogen. Die Anforderungen des - revisiblen - Bestimmtheitsgebots (dazu etwa Urteil vom 2. Juli 2008 - BVerwG 7 C 38.07 - BVerwGE 131, 259 Rn. 11) hat das Oberverwaltungsgericht nicht verkannt. Soweit es dabei die Einbeziehung von grüngestempelten und damit eindeutig von der Behörde gekennzeichneten Antragsunterlagen des Beigeladenen sowie in der mündlichen Verhandlung abgegebenen und somit dem Kläger bekannten Erklärungen der Beklagten und des Beigeladenen als zulässig angesehen hat, ist dies bundesrechtlich nicht zu beanstanden.

14

3. Das Oberverwaltungsgericht durfte jedoch das Rücksichtnahmegebot des § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO nicht deswegen als gewahrt ansehen, weil der Beigeladene im Wege der architektonischen Selbsthilfe passive Schallschutzmaßnahmen für die ihm genehmigte Wohnnutzung vorgesehen hat.

15

a) Zu Recht ist das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen, dass das Rücksichtnahmegebot im vorliegenden Fall unabhängig von der Wirksamkeit des Bebauungsplans Anwendung findet. Der Einwand des Klägers, das Rücksichtnahmegebot sei im Falle der Wirksamkeit des Bebauungsplans bereits aufgrund der den Feststellungen des Bebauungsplans zugrundeliegenden Abwägung des Ortsgesetzgebers "aufgezehrt" (vgl. hierzu Beschluss vom 11. Juli 1983 - BVerwG 4 B 123.81 - Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 54), greift nicht durch. Auch insoweit stellt der Kläger der bindenden und irrevisiblen Auslegung durch das Oberverwaltungsgericht (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO) lediglich seine eigene Auslegung gegenüber.

16

b) Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 23. September 1999 - BVerwG 4 C 6.98 - BVerwGE 109, 314 <318 f.> und vom 18. Mai 1995 - BVerwG 4 C 20.94 - BVerwGE 98, 235 <243>) stellt sich § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO als eine besondere Ausprägung des Rücksichtnahmegebots und als eine zulässige Bestimmung des Eigentumsinhalts (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) dar. Diese Vorschrift soll ebenso wie die übrigen Tatbestandsalternativen des § 15 Abs. 1 BauNVO gewährleisten, Nutzungen, die geeignet sind, Spannungen und Störungen hervorzurufen, einander so zuzuordnen, dass Konflikte möglichst vermieden werden. Welche Anforderungen sich hieraus im Einzelnen ergeben, hängt maßgeblich davon ab, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Ist die Grundstücksnutzung aufgrund der konkreten örtlichen Gegebenheiten mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet, so führt dies nicht nur zu einer Pflichtigkeit desjenigen, der Immissionen verursacht, sondern auch zu einer Duldungspflicht desjenigen, der sich solchen Immissionen aussetzt. Von diesen Grundsätzen ist das Oberverwaltungsgericht in seiner Entscheidung zutreffend ausgegangen.

17

c) Ebenfalls zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht als Maßstab für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Störung die TA Lärm herangezogen. Obwohl aber nach seinen bindenden Feststellungen das genehmigte Wohnbauvorhaben gemessen an den Immissionsrichtwerten der Nr. 6.1 einschließlich Zwischenwertbildung nach Nr. 6.7 der TA Lärm an Immissionsorten außerhalb von Gebäuden unzumutbaren Geräuschimmissionen ausgesetzt ist, hat das Oberverwaltungsgericht eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots verneint, weil es angesichts der Vorbelastung des Vorhabengrundstücks durch gewerblichen Lärm noch Raum lasse, den gebotenen Interessenausgleich im Wege der architektonischen Selbsthilfe durch passive Schallschutzmaßnahmen zu bewirken. Diese Annahme verstößt gegen Bundesrecht.

18

aa) Als normkonkretisierender Verwaltungsvorschrift kommt der TA Lärm, soweit sie für Geräusche den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen konkretisiert, eine im gerichtlichen Verfahren zu beachtende Bindungswirkung zu. Die normative Konkretisierung des gesetzlichen Maßstabs für die Schädlichkeit von Geräuschen ist jedenfalls insoweit abschließend, als sie bestimmte Gebietsarten und Tageszeiten entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit bestimmten Immissionsrichtwerten zuordnet und das Verfahren der Ermittlung und Beurteilung der Geräuschimmissionen vorschreibt. Für eine einzelfallbezogene Beurteilung der Schädlichkeitsgrenze aufgrund tatrichterlicher Würdigung lässt das normkonkretisierende Regelungskonzept der TA Lärm nur insoweit Raum, als es insbesondere durch Kann-Vorschriften (z.B. Nr. 6.5 Satz 3 und Nr. 7.2) und Bewertungsspannen (z.B. A.2.5.3) Spielräume eröffnet (Urteil vom 29. August 2007 - BVerwG 4 C 2.07 - BVerwGE 129, 209 Rn. 12 m.w.N.).

19

Diese Bindungswirkung besteht in gleicher Weise bei der Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze in Nachbarkonflikten, wie sie das in § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO konkretisierte Rücksichtnahmegebot fordert. Denn das Bundesimmissionsschutzrecht und damit auch die auf der Grundlage von § 48 BImSchG erlassene TA Lärm legen die Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen für den Nachbarn und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht im Umfang seines Regelungsbereichs grundsätzlich allgemein fest (vgl. Urteil vom 23. September 1999 a.a.O. S. 319 f.). Dem lässt sich nicht entgegenhalten, die TA Lärm enthalte lediglich Anforderungen an die Errichtung und den Betrieb von emittierenden Anlagen, regele aber nicht den Konflikt mit einer an eine latent störende gewerbliche Nutzung heranrückenden Wohnbebauung und sei deswegen für deren bauaufsichtliche Genehmigung nicht maßgeblich (so aber VGH Mannheim, Beschluss vom 11. Oktober 2006 - 5 S 1904/06 - NVwZ-RR 2007, 168 <169 f.>). Aus der Spiegelbildlichkeit der dargelegten gegenseitigen Verpflichtungen aus dem Rücksichtnahmegebot für die konfligierenden Nutzungen ergibt sich vielmehr, dass mit der Bestimmung der Anforderungen an den emittierenden Betrieb auf der Grundlage der TA Lärm zugleich das Maß der vom Nachbarn zu duldenden Umwelteinwirkungen und mithin die - gemeinsame - Zumutbarkeitsgrenze im Nutzungskonflikt feststeht. Dass etwaige Lärmminderungspflichten, die sich aus der Anwendung der TA Lärm für den emittierenden Gewerbebetrieb ergeben können, nicht - etwa in Form einer Auflage - zum Gegenstand der Baugenehmigung gemacht werden können, steht nicht entgegen. Denn als Teil der vom Rücksichtnahmegebot geforderten Zuordnung der Nutzungen gehören die gebotenen Lärmminderungsmaßnahmen zur Entscheidungsgrundlage für die Baugenehmigung und sind gegebenenfalls im Wege der §§ 24 und 22 BImSchG gegen den Gewerbebetrieb durchzusetzen. Auch aus der in der früheren Rechtsprechung des Senats verwendeten Formulierung, die TA Lärm gelte in diesen Fällen "nicht unmittelbar" (Urteil vom 23. September 1999 a.a.O. S. 319), folgt nichts anderes. Der Senat hat hiermit keine Abstriche am Umfang ihrer Anwendbarkeit und Bindungswirkung verbunden.

20

bb) Passive Lärmschutzmaßnahmen als Mittel der Konfliktlösung zwischen Gewerbe und Wohnen sieht die TA Lärm nicht vor. Nach ihrer Nr. 6.1 sind für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Lärmbeeinträchtigung außerhalb der betroffenen Gebäude gelegene Immissionsorte maßgeblich. Sie können durch passive Schallschutzmaßnahmen, wie sie die angefochtene Baugenehmigung vorschreibt, nicht beeinflusst werden. Aus Nr. 6.2 der TA Lärm folgt nichts anderes. Die Vorschrift regelt den Sonderfall der Körperschallübertragung und kann deswegen nicht als "Auffangregelung" verstanden werden, aus der abzuleiten wäre, dass letztlich maßgeblich auf - durch passive Schallschutzmaßnahmen beeinflussbare - Innen-Immissionswerte abzustellen ist. Soweit es - wie hier - um die Beurteilung von Luftschall geht, der über die Außenfassade einwirkt, sind die Außen-Immissionsrichtwerte der Nr. 6.1 anzuwenden (vgl. auch Feldhaus, Bundesimmissionsrecht, Bd. 4, Stand August 2012, Rn. 29 zu Nr. 6 TA Lärm).

21

cc) Auch die von der TA Lärm belassenen Spielräume bei der Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze eröffnen nicht die Möglichkeit, der Überschreitung der Außen-Immissionsrichtwerte durch Anordnung von passivem Lärmschutz zu begegnen.

22

Entgegen der Ansicht des Beigeladenen kann insoweit nicht Nr. 3.2.2 der TA Lärm herangezogen werden, die eine ergänzende Prüfung im Sonderfall ermöglicht. Die Voraussetzungen der in Buchstaben a bis d genannten Umstände, bei deren Vorliegen eine solche Sonderfallprüfung "insbesondere" in Betracht kommt, sind nicht gegeben. Namentlich sind besondere Gesichtspunkte der Herkömmlichkeit und der sozialen Adäquanz der Geräuschimmission (Buchst. d) nicht schon dann zu bejahen, wenn sie von einer bestandskräftigen Genehmigung des emittierenden Gewerbebetriebs gedeckt ist. Auch begründet wegen des anzulegenden strengen Maßstabs für eine Sonderfallprüfung (Feldhaus a.a.O. Rn. 63 zu Nr. 3 TA Lärm) allein der Umstand, dass der Konflikt durch eine Gemengelage bedingt ist, noch keine besondere Standortbindung (Buchst. b).

23

Ein unbenannter Anwendungsfall der Regelung ist auf der Grundlage der Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts auszuschließen. Das folgt schon daraus, dass die insoweit allein in Betracht kommenden Umstände (Gemengelage, Vorbelastung, Prioritätsprinzip, konkrete Schutzwürdigkeit und Gebietsprägung) bereits Gegenstand der Regelung in Nr. 6.7 sind, die mit der Zwischenwertbildung eine auf die Gemengelagesituation und die genannten Umstände zugeschnittene Lösung enthält (vgl. auch Feldhaus a.a.O. m.w.N.). Es liegt fern, dass die TA Lärm für den Fall, dass - wie hier - trotz Zwischenwertbildung die Zumutbarkeit des Vorhabens nicht gewährleistet werden kann, aus denselben Gesichtspunkten einen zusätzlichen Spielraum für eine Lösung eröffnet, die, wie das Oberverwaltungsgericht nicht verkennt, die Rechtsordnung nur in gesetzlich ausdrücklich normierten Fällen unter strengen Voraussetzungen vorsieht.

24

Die Möglichkeit, einer Überschreitung der nach Nr. 6.1 und Nr. 6.7 maßgeblichen Immissionsrichtwerte mit passivem Lärmschutz zu begegnen, müsste auch das Schutzziel der TA Lärm verfehlen. Aus der Maßgeblichkeit der Außen-Immissionsrichtwerte nach Nr. 6.1 und der Definition des maßgeblichen Immissionsortes in A.1.3 des Anhangs der TA Lärm - bei bebauten Flächen 0,5 m außerhalb vor der Mitte des geöffneten Fensters des vom Geräusch am stärksten betroffenen schutzbedürftigen Raumes - ergibt sich, dass dieses Regelungswerk - anders als etwa für Verkehrsanlagen die 16. und 24. BImSchV - den Lärmkonflikt zwischen Gewerbe und schutzwürdiger (insbesondere Wohn-) Nutzung bereits an deren Außenwand und damit unabhängig von der Möglichkeit und Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen gelöst wissen will. Damit sichert die TA Lärm von vornherein für Wohnnutzungen einen Mindestwohnkomfort, der darin besteht, Fenster trotz der vorhandenen Lärmquellen öffnen zu können und eine natürliche Belüftung sowie einen erweiterten Sichtkontakt nach außen zu ermöglichen, ohne dass die Kommunikationssituation im Innern oder das Ruhebedürfnis und der Schlaf nachhaltig gestört werden können. Soweit andere Regelwerke wie die schon genannte 16. und 24. BImSchV passiven Lärmschutz zur Lösung des Nutzungskonflikts zulassen und damit einen geringeren Mindestwohnkomfort als Schutzziel zugrundelegen, beruht dies auf dem öffentlichen Interesse, das an den von diesen Regelungen erfassten (Verkehrs-)Anlagen besteht und weiterreichende Beschränkungen des Eigentumsinhalts zulasten der von Immissionen betroffenen Anliegern rechtfertigt.

25

Der von der TA Lärm gewährte Schutzstandard steht auch nicht zur Disposition des Lärmbetroffenen und kann nicht durch dessen Einverständnis mit passiven Schallschutzmaßnahmen suspendiert werden. Denn das Bauplanungsrecht regelt die Nutzbarkeit der Grundstücke in öffentlich-rechtlicher Beziehung auf der Grundlage objektiver Umstände und Gegebenheiten mit dem Ziel einer möglichst dauerhaften städtebaulichen Ordnung und Entwicklung. Das schließt es aus, das bei objektiver Betrachtung maßgebliche Schutzniveau auf das Maß zu senken, das der lärmbetroffene Bauwillige nach seiner persönlichen Einstellung bereit ist hinzunehmen (Urteil vom 23. September 1999 - BVerwG 4 C 6.98 - BVerwGE 109, 314 <324>).

26

dd) Schließlich bietet auch der Gesichtspunkt der architektonischen Selbsthilfe keine Rechtfertigung für die vom Oberverwaltungsgericht für zulässig angesehene Konfliktlösung mit Mitteln des passiven Lärmschutzes. Zwar trifft es im Ausgangspunkt zu, dass sich aus dem Rücksichtnahmegebot die Obliegenheit des Bauherrn ergeben kann, durch Maßnahmen der architektonischen Selbsthilfe den Lärmkonflikt mit einem benachbarten Gewerbebetrieb in einer Weise zu lösen, die die Zumutbarkeit der ihn treffenden Immissionen gewährleistet und somit die Erteilung der Baugenehmigung für sein Vorhaben ermöglicht. Auf dieser Grundlage können dem Bauherrn im Anwendungsbereich der TA Lärm aber nur mit diesem Regelwerk vereinbare Gestaltungsmittel oder bauliche Vorkehrungen abverlangt werden. Das schließt immissionsreduzierende Maßnahmen wie Veränderungen der Stellung des Gebäudes, des äußeren Zuschnitts des Hauses oder der Anordnung der Wohnräume und der notwendigen Fenster, ohne Weiteres mit ein (vgl. Urteil vom 23. September 1999 a.a.O. S. 323). Dasselbe gilt, soweit dies bauordnungsrechtlich zulässig ist, für den Einbau nicht zu öffnender Fenster (vgl. Beschluss vom 7. Juni 2012 - BVerwG 4 BN 6.12 - juris), die keine relevanten Messpunkte im Sinne von Nr. 2.3 der TA Lärm i.V.m. Nr. A.1.3 ihres Anhangs darstellen. Passiver Lärmschutz als Mittel der architektonischen Selbsthilfe kann daher nur außerhalb des Anwendungsbereichs der TA Lärm und bei - hier nicht einschlägiger - Anwendung solcher Regelwerke in Betracht kommen, die diese Möglichkeit zulassen (vgl. Urteil vom 22. März 2007 - BVerwG 4 CN 2.06 - BVerwGE 128, 238 Rn. 16 f.).

27

4. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz kann der Senat nicht entscheiden, ob sich das Urteil des Oberverwaltungsgerichts aus anderen Gründen als richtig darstellt (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - die nach § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO maßgebliche Zumutbarkeitsgrenze mit Blick auf die Bereitschaft des Beigeladenen, passiven Lärmschutz vorzusehen, unter Zugrundelegung derjenigen Lärmimmissionen ermittelt, die für das Grundstück des Beigeladenen im ungünstigsten Fall zu erwarten sind. Der Frage, welche Lärmminderungsmaßnahmen dem Kläger nach den (unter 3. b) dargelegten Vorgaben des Rücksichtnahmegebots obliegen, ist das Oberverwaltungsgericht nicht nachgegangen. Das wird es nachzuholen haben. Die dem zur Rücksichtnahme verpflichteten Kläger insoweit zumutbaren Maßnahmen bestimmen sich nach § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG (Urteil vom 18. Mai 1995 - BVerwG 4 C 20.94 - BVerwGE 98, 235 <246 f.> m.w.N). Dass Möglichkeiten der Lärmminderung beim Gewerbebetrieb des Klägers, mit denen der nach den bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts maßgebliche Außen-Immissionswert von 60 dB(A) eingehalten werden könnte, schon aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen wären, hat das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt. Auf die bestandskräftige Genehmigung seines Betriebs kann sich der Kläger gegenüber seinen dynamisch angelegten Grundpflichten aus § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG nicht berufen (vgl. Urteil vom 18. Mai 1995 a.a.O). Anders als das Oberverwaltungsgericht (UA S. 21 f.) offenbar annimmt, sind diese Pflichten gegenüber - wie hier - heranrückender Wohnbebauung nicht von vornherein auf solche Lärmminderungsmaßnahmen beschränkt, zu denen der Gewerbebetrieb bereits gegenüber der vorhandenen Wohnbebauung verpflichtet gewesen wäre.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Zurückweisung eines Nachbarwiderspruchs gegen einen ihr erteilten Bauvorbescheid für ein großflächiges Gartencenter in der Nachbarschaft eines sog. Störfallbetriebs.

2

Die Klägerin ist Eigentümerin von Grundstücken im unbeplanten Innenbereich in D. mit einer Gesamtfläche von über 3 ha, die in der Nachbarschaft des Betriebs der Beigeladenen (eines Störfallbetriebs, der unter die Richtlinie 96/82/EG - kurz: "Seveso-II-Richtlinie" - fällt) liegen und die derzeit u.a. für eine Schrott- und Metallrecyclinganlage genutzt werden. Sie beantragte die Erteilung einer Bebauungsgenehmigung für die Errichtung eines Gartencenters (Verkaufsfläche 9 368 qm, davon 1 340 qm Freifläche). Zu diesem Zeitpunkt hatte die Klägerin das Baugrundstück bereits an die Klägerin im Verfahren BVerwG 4 C 12.11 verkauft. Der Vertrag soll jedoch erst wirksam werden, wenn u.a. der Nachweis des Vorliegens der Bestandskraft des beantragten Vorbescheids oder der Bestandskraft einer Baugenehmigung erbracht worden sei. Die Stadt D. erteilte der Klägerin den Vorbescheid antragsgemäß. Hiergegen erhob die Beigeladene Widerspruch, über den das beklagte Land Hessen bisher nicht (abschließend) entschieden hat.

3

Auf die Untätigkeitsklage der Klägerin hat das Verwaltungsgericht den Beklagten verpflichtet, den Widerspruch der Beigeladenen gegen den der Klägerin erteilten Bauvorbescheid zurückzuweisen. Die Berufungen des Beklagten und der Beigeladenen blieben erfolglos. Der erteilte Bauvorbescheid - so die Begründung des Berufungsurteils - sei rechtmäßig, so dass die Unterlassung der begehrten Zurückweisung des Widerspruchs die Klägerin in ihren Rechten verletze. Das Bauvorhaben sei bauplanungsrechtlich zulässig und verstoße auch nicht gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme. Eine Verletzung der gegenüber dem Störfallbetrieb gebotenen Rücksichtnahme scheide deswegen aus, weil sich innerhalb der gutachtlich ermittelten "Achtungsgrenzen" bereits verschiedene gewerbliche Nutzungen befänden, darunter auch Baumärkte, die ebenfalls Freiverkaufsflächen aufwiesen und nur unwesentlich weiter als das geplante Gartencenter vom Betriebsgelände der Beigeladenen entfernt lägen. Auch bei etwaiger Nichteinhaltung eines erforderlichen Sicherheitsabstands sei deshalb nicht erkennbar, dass es durch das Heranrücken einer weiteren schutzwürdigen Bebauung zu einer Verschärfung der immissionsschutzrechtlichen Anforderungen für die Beigeladene kommen könne. Eine Verpflichtung der Klägerin zur Einhaltung eines Abstands gegenüber dem Störfallbetrieb ergebe sich auch nicht aus § 50 BImSchG. Selbst wenn man § 50 BImSchG im Rahmen von § 34 BauGB für anwendbar halten wollte, scheitere eine Anwendung im vorliegenden Fall daran, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Vorhaben nicht um eine raumbedeutsame Maßnahme im Sinne der Vorschrift handle. Das Vorhaben verstoße auch nicht gegen die gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB zu wahrenden Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse, die auf die Abwehr städtebaulicher Missstände beschränkt seien. Eine unmittelbare Anwendung des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG bzw. eine richtlinienkonforme Auslegung des § 50 BImSchG komme nicht in Betracht. Ein zwingendes Gebot der Abstandswahrung, das auch bei der Zulassung von Einzelvorhaben zu beachten sei, sei der Richtlinie nicht zu entnehmen. Selbst wenn man annehme, dass der deutsche Gesetzgeber Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG nicht vollständig umgesetzt habe, fehle es an der für eine unmittelbare Anwendung der Richtlinie erforderlichen inhaltlichen Unbedingtheit und hinreichenden Genauigkeit.

4

Der Senat hat die Revisionen des Beklagten und der Beigeladenen zum Anlass genommen, das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht auszusetzen und den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in Luxemburg im Wege der Vorabentscheidung (Art. 267 AEUV) um Klärung mehrerer Fragen zu bitten (Beschluss vom 3. Dezember 2009 - BVerwG 4 C 5.09 - juris). Der Senat war der Auffassung, dass die Revisionen auf der Grundlage des nationalen Rechts zurückzuweisen wären, hatte es allerdings für zweifelhaft gehalten, ob die Zulassung des Vorhabens unter den hier gegebenen bzw. unterstellten Umständen mit Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG vereinbar ist (Beschluss vom 3. Dezember 2009 a.a.O. Rn. 11 ff. und 22 ff.).

5

Mit Urteil vom 15. September 2011 - Rs. C-53/10 - (ABl EU 2011 Nr. C 319 S. 5 = ZfBR 2011, 763) hat der EuGH über die Vorlagefragen entschieden.

6

Die erste Vorlagefrage hat er wie folgt beantwortet:

Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG ist dahin auszulegen, dass die Pflicht der Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass langfristig dem Erfordernis Rechnung getragen wird, dass zwischen den unter diese Richtlinie fallenden Betrieben einerseits und öffentlich genutzten Gebäuden andererseits ein angemessener Abstand gewahrt bleibt, auch von einer Behörde wie der für die Erteilung von Baugenehmigungen zuständigen Stadt D. zu beachten ist, und zwar auch dann, wenn sie in Ausübung dieser Zuständigkeit eine gebundene Entscheidung zu erlassen hat.

7

Auf die zweite und dritte Frage hat der EuGH geantwortet:

Die in Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG vorgesehene Verpflichtung, langfristig dem Erfordernis Rechnung zu tragen, dass zwischen den unter diese Richtlinie fallenden Betrieben einerseits und öffentlich genutzten Gebäuden andererseits ein angemessener Abstand gewahrt bleibt, schreibt den zuständigen nationalen Behörden nicht vor, unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Ansiedlung eines öffentlich genutzten Gebäudes zu verbieten. Dagegen steht diese Verpflichtung nationalen Rechtsvorschriften entgegen, nach denen eine Genehmigung für die Ansiedlung eines solchen Gebäudes zwingend zu erteilen ist, ohne dass die Risiken der Ansiedlung innerhalb der genannten Abstandsgrenzen im Stadium der Planung oder der individuellen Entscheidung gebührend gewürdigt worden wären.

8

Der Beklagte und die Beigeladene sehen ihre Rechtsauffassungen durch die Vorabentscheidung des EuGH im Wesentlichen bestätigt. Die Verpflichtung zur gebührenden Würdigung der mit einer Neuansiedlung verbundenen Risiken bestehe nicht erst dann, wenn ein hinzukommendes Vorhaben im Hinblick auf die Auswirkungen eines Störfalls einen weitergehenden Schutzbedarf als die bisherige Bebauung auslöse, sondern bereits dann, wenn durch die Neuansiedlung - wie hier - eine wesentliche Verschlechterung des Status quo u.a. im Hinblick auf das Ziel der Begrenzung der Folgen eines schweren Unfalls eintrete. Die vom EuGH geforderten Bewertungen, insbesondere unter Berücksichtigung "sozioökonomischer" Faktoren, seien hier noch nicht vorgenommen worden. Der Entscheidung des EuGH könne im Ergebnis mit der Auslegung des § 34 BauGB entsprechend Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG nur dadurch Rechnung getragen werden, dass die Klage abgewiesen werde. Welche Faktoren dazu führen sollten, dass diese Risikoermittlung und -bewertung nicht maßgeblich sei bzw. überwunden werden könne, sei nicht ersichtlich.

9

Die Klägerin hält das Vorhaben nach wie vor für bauplanungsrechtlich zulässig. Der EuGH habe das Konzept des deutschen Gesetzgebers zur Umsetzung der Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG im Hinblick auf bereits bebaute Einwirkungsbereiche von Störfallbetrieben akzeptiert. Die von Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG geforderte störfallrechtliche Risikobewertung sei schon bislang in einem ausreichenden Maße im Rahmen von § 34 Abs. 1 BauGB erfolgt.

Entscheidungsgründe

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Die zulässigen Revisionen sind begründet. Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

11

Der Verwaltungsgerichtshof hat zu Recht die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des streitgegenständlichen Gartencenters und damit die Rechtmäßigkeit des der Klägerin erteilten Bauvorbescheids an § 34 Abs. 1 BauGB und dem über das Tatbestandsmerkmal des Einfügens darin enthaltenen Rücksichtnahmegebot gemessen. Mit Bundesrecht unvereinbar ist allerdings die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, dass eine Verletzung der gegenüber dem Störfallbetrieb der Beigeladenen gebotenen Rücksichtnahme deshalb ausscheide, weil sich innerhalb der gutachtlich ermittelten "Achtungsgrenzen" bereits verschiedene gewerbliche Nutzungen befänden und wegen dieser Vorbelastung - die Nichteinhaltung des angemessenen Abstands unterstellt - nicht erkennbar sei, dass es durch die Neuansiedlung zu einer Verschärfung der immissionsschutzrechtlichen Anforderungen für die Beigeladene kommen könne.

12

Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG verlangt, dass die Risiken der Zulassung eines öffentlich genutzten Gebäudes in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs ungeachtet etwaiger Vorbelastungen gebührend gewürdigt werden (1). Diesem unionsrechtlichen Erfordernis ist durch eine richtlinienkonforme Handhabung des in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltenen Rücksichtnahmegebots Geltung zu verschaffen (2). Dessen Anforderungen hat der Verwaltungsgerichtshof verkannt (3). Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, weil die hierfür erforderlichen Tatsachenfeststellungen fehlen (4).

13

1. Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG schließt es aus, die Neuansiedlung eines öffentlich genutzten Gebäudes in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs allein im Hinblick auf bestehende Vorbelastungen zuzulassen, ohne zuvor ermittelt zu haben, welcher Abstand angemessen ist und welche Risiken mit der Neuansiedlung innerhalb dieser Abstandsgrenzen einhergehen.

14

Der EuGH (Urteil vom 15. September 2011 - Rs. C-53/10 - UPR 2011, 443 LS 1) hat Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG dahin ausgelegt, dass die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, langfristig dem Erfordernis der Wahrung angemessener Abstände zwischen einem Störfallbetrieb und öffentlich genutzten Gebäuden Rechnung zu tragen, auch von Baugenehmigungsbehörden bei gebundenen Entscheidungen über die Zulassung von Vorhaben zu beachten ist. Dass der Betrieb der Beigeladenen ein Störfallbetrieb und das von der Klägerin beantragte Gartencenter ein öffentlich genutztes Gebäude im Sinne der Richtlinie ist, ist unstreitig (EuGH a.a.O. Rn. 2 und 3). Die als Baugenehmigungsbehörde tätig gewordene Stadt D. war deshalb bei der Entscheidung über den von der Klägerin beantragten Bauvorbescheid verpflichtet, dem Abstandserfordernis des Art. 12 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 96/82/EG Rechnung zu tragen.

15

Diese Verpflichtung hat der EuGH (a.a.O. LS 2) zwar nicht in dem Sinne ausgelegt, dass jede Neuansiedlung eines öffentlich genutzten Gebäudes innerhalb des angemessenen Abstands zwingend untersagt werden müsste. Es ist mit der Richtlinie aber nicht vereinbar, wenn die Ansiedlung zugelassen wird, ohne dass die Risiken einer Ansiedlung innerhalb des angemessenen Abstands gebührend gewürdigt worden wären (EuGH a.a.O. Rn. 49). Die Genehmigungsbehörde muss deshalb in einem ersten Schritt ermitteln, welcher Abstand "angemessen" ist und ob das Neuansiedlungsvorhaben innerhalb dieser Abstandsgrenze liegt. Ist der angemessene Abstand nicht eingehalten, muss sich die Behörde in einem zweiten Schritt darüber Gedanken machen, ob ein Unterschreiten des angemessenen Abstands im Einzelfall vertretbar ist.

16

a) Welcher Abstand "angemessen" ist, ist im Unionsrecht nicht geregelt. Damit obliegt es den zuständigen nationalen Genehmigungsbehörden und Gerichten zumindest implizit, die angemessenen Abstände im jeweiligen Einzelfall anhand aller relevanten störfallspezifischen Faktoren festzulegen (EuGH a.a.O. Rn. 45 und 50).

17

Die nationalen Behörden haben im Falle der Ansiedlung eines öffentlich genutzten Gebäudes in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs den Anstieg des Unfallrisikos oder die Verschlimmerung der Unfallfolgen zu bewerten (Art. 12 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 96/82/EG; EuGH a.a.O. Rn. 43). Das erfordert jedenfalls dann, wenn die Behörde Anhaltspunkte dafür hat, dass das zur Genehmigung gestellte Vorhaben den angemessenen Abstand nicht einhält (vgl. Uechtritz, BauR 2012, 1039 <1047>), eine Abschätzung nicht nur der Risiken und Schäden, sondern auch aller anderen in jedem Einzelfall relevanten (störfall-) "spezifischen Faktoren", die je nach den besonderen Gegebenheiten der Gebiete unterschiedlich ausfallen können (EuGH a.a.O. Rn. 43 f.). Das wird in aller Regel nicht ohne eine Heranziehung technisch-fachlichen Sachverstands möglich sein. Gegebenenfalls kann auch in Betracht kommen, vom Vorhabenträger die Vorlage eines entsprechenden Gutachtens zu verlangen (Uechtritz, a.a.O. S. 1047).

18

Als störfallspezifische Faktoren, die im jeweiligen Einzelfall relevant sein können, nennt der EuGH (a.a.O. Rn. 44) die Art der jeweiligen gefährlichen Stoffe, die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines schweren Unfalls, die Folgen eines etwaigen Unfalls für die menschliche Gesundheit und die Umwelt, die Art der Tätigkeit der neuen Ansiedlung, die Intensität ihrer öffentlichen Nutzung sowie die Leichtigkeit, mit der Notfallkräfte bei einem Unfall eingreifen können. Die Nennungen sind nur beispielhaft. In Betracht zu ziehen sind ferner, wie der EuGH (a.a.O. Rn. 43) betont, vorhabenbedingte Veränderungen, etwa die Verschlimmerung von Unfallfolgen durch einen vorhabenbedingten Anstieg der möglicherweise betroffenen Personen. Andererseits können aber auch technische Maßnahmen zur Verminderung des Unfallrisikos oder zur weiteren Begrenzung möglicher Unfallfolgen zu berücksichtigen sein, sei es im Betriebsbereich, soweit diese dem Betreiber des Störfallbetriebs auferlegt werden können, sei es außerhalb des Betriebsbereichs, wie etwa Nutzungseinschränkungen oder besondere bauliche Anforderungen an das an den Störfallbetrieb heranrückende Vorhaben, sofern über diese Maßnahmen mögliche Schadensfolgen und damit auch die Angemessenheit des Abstands beeinflusst werden können (vgl. auch Berkemann, ZfBR 2010, 18 <24>).

19

Im Hinblick auf sonstige - nicht störfallspezifische - Belange unterliegt der angemessene Abstand demgegenüber keiner Relativierung (zutreffend Uechtritz, a.a.O. S. 1046 f.). Insbesondere haben "sozioökonomische" Faktoren, die der EuGH (a.a.O. Rn. 46) in diesem Zusammenhang nennt, bei der Festlegung des "angemessenen" Abstands außer Betracht zu bleiben. Das ergibt sich zum einen daraus, dass der EuGH die vom Senat im Vorlagebeschluss vertretene Auffassung ausdrücklich bestätigt hat, wonach insbesondere soziale, ökologische und wirtschaftliche Belange zwar im jeweiligen Einzelfall "abwägungsrelevante" sonstige Faktoren sein können, die den Ausschlag für die Zulassung eines öffentlich genutzten Gebäudes innerhalb der gegenüber einem Störfallbetrieb grundsätzlich zu wahrenden angemessenen Abstände geben können, aber den störfallspezifischen Faktoren gerade gegenüberstehen. Zum anderen bestimmen die "angemessenen" Abstände generell den Anwendungsbereich der Richtlinie 96/82/EG, und zwar auch insoweit, als die Verhütung schwerer Unfälle sowie die Begrenzung der Unfallfolgen durch Betreiberpflichten nach deren Art. 5 sichergestellt werden soll (EuGH a.a.O. Rn. 37); es ist nicht ernstlich in Erwägung zu ziehen, dass die Richtlinie den Umfang der Betreiberpflichten und damit auch das Risikopotential eines Störfallbetriebs von sozioökonomischen Faktoren abhängig machen will (Uechtritz, a.a.O.).

20

Der Begriff des "angemessenen" Abstands ist ein zwar unbestimmter, aber technisch-fachlich bestimmbarer Rechtsbegriff. Im Einzelfall können erhebliche Unsicherheiten bestehen, welcher Abstand angemessen ist. Die Angemessenheit kann von einer Vielzahl störfallrelevanter technischer Faktoren abhängen und je nach den besonderen Gegebenheiten der Gebiete und den Besonderheiten des Einzelfalls in erheblichem Maße unterschiedlich ausfallen (EuGH, Urteil vom 15. September 2011 - Rs. C-53/10 - UPR 2011, 443 Rn. 44). Präzise, absolute und objektive Grenzen der "Gefahrenzone" um einen Störfallbetrieb kann es insoweit nicht geben (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 14. April 2011 in der Rs. C-53/10 - im Folgenden: Schlussanträge - juris Rn. 39). Gleichwohl unterliegt die behördliche Festlegung des angemessenen Abstands der vollen gerichtlichen Überprüfung (Kraus, ZfBR 2012, 324 <329 f.>; vgl. Berkemann, a.a.O. S. 27); ein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum kommt der Genehmigungsbehörde insoweit nicht zu. Die in der Vorabentscheidung (EuGH a.a.O. Rn. 24) verwendete Formulierung, Art. 12 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 96/82/EG lasse den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Festlegung dieser Abstände einen "Wertungsspielraum", von dem aber jedenfalls innerhalb der Grenzen der Verpflichtung, der Wahrung angemessener Abstände Rechnung zu tragen, Gebrauch gemacht werden müsse, bezieht sich nach dem Verständnis des EuGH (z.B. a.a.O. Rn. 45 f.) ersichtlich nicht auf die Ermittlung, sondern auf die "Berücksichtigung" des angemessenen Abstands.

21

b) Dieser Berücksichtigungspflicht hat die Genehmigungsbehörde in einem zweiten Schritt nachzukommen, wenn das Neuansiedlungsvorhaben innerhalb des angemessenen Abstands liegt.

22

Diese Verpflichtung ist nicht im Sinne eines Verschlechterungsverbots zu verstehen. Zwar wird mit jedem Vorhaben, das den angemessenen Abstand unterschreitet, der störfallrechtlich unerwünschte Zustand in der Regel weiter verfestigt. Gleichwohl zwingt Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG die Baugenehmigungsbehörden nicht dazu, Neuansiedlungen in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs ausnahmslos abzulehnen und das Abstandskriterium damit zum alleinigen Genehmigungs- oder Ablehnungskriterium zu machen. Allein die Zuerkennung eines Wertungsspielraums ermöglicht es, die volle praktische Wirksamkeit des Erfordernisses sicherzustellen (EuGH a.a.O. Rn. 45). Deshalb erscheint es grundsätzlich denkbar, ein öffentlich genutztes Gebäude je nach den Umständen des Einzelfalls auch innerhalb der angemessenen Abstände zuzulassen. Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG gestattet es, den "störfalltechnisch" ermittelten angemessenen Abstand zu unterschreiten, wenn im Einzelfall hinreichend gewichtige Belange für die Zulassung des Vorhabens streiten. In Betracht kommen insbesondere soziale, ökologische und wirtschaftliche Belange. Diese Auffassung hatte der Senat bereits in seinem Vorlagebeschluss vertreten. Der EuGH (a.a.O. Rn. 44) hat sie in seiner Vorabentscheidung ausdrücklich bestätigt. Störfallspezifische Faktoren können nach den Worten des EuGH (a.a.O.) mit "sozioökonomischen Faktoren zusammentreffen". Es unterliegt keinen Zweifeln, dass der EuGH ihnen die Eigenschaft von Belangen zumisst, die den störfallspezifischen Faktoren gegenüberstehen, die mithin auf der anderen Seite "in die Gleichung" (Schlussanträge a.a.O. Rn. 41) einzustellen sind.

23

Andererseits kann der Wertungsspielraum der Mitgliedstaaten nicht so ausgelegt werden, dass er es ihnen gestatten würde, von der Berücksichtigung angemessener Abstände abzusehen (EuGH a.a.O. Rn. 49). Die "Berücksichtigung" angemessener Abstände verlangt, dass diese bei der Risikobewertung - sei es auf planerischer Ebene, sei es bei der Vorhabenzulassung - neben anderen Faktoren auch tatsächlich berücksichtigt werden (EuGH a.a.O. Rn. 50). Daraus folgt, dass Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG einer nationalen Regelung entgegensteht, soweit sie vorschreibt, dass die Genehmigung eines öffentlich genutzten Gebäudes in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs zwingend zu erteilen ist, ohne dass die Risiken der Ansiedlung innerhalb der angemessenen Abstände im Genehmigungsverfahren gebührend gewürdigt worden wären (EuGH a.a.O. LS 2 Satz 2 und Rn. 51). Die Genehmigungsbehörde muss sich folglich in jedem Einzelfall darüber Gedanken machen, ob ein Unterschreiten des eigentlich erforderlichen "angemessenen Abstands" im Hinblick auf sonstige - nicht störfallspezifische - Faktoren vertretbar ist (Uechtritz, BauR 2012, 1039 <1047>), sofern dies nicht bereits seitens der Planungsbehörden geschehen ist (EuGH a.a.O. Rn. 28). Das verkennt die Klägerin, die sich auf den Standpunkt stellt, der EuGH habe das in § 34 Abs. 1 BauGB zum Ausdruck kommende Konzept des deutschen Gesetzgebers gebilligt, der bereits auf gesetzlicher Grundlage eine "generalisierende Risikobewertung" in der Weise vorgenommen habe, dass die Genehmigung im Falle einer Vorbelastung stets zu erteilen sei.

24

Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG enthält ferner die zeitliche Vorgabe, dass dem Erfordernis der Wahrung eines angemessenen Abstands "langfristig" Rechnung zu tragen ist. Diese zielt darauf ab, dass Abstände dort, wo sie bereits eingehalten werden, gewahrt bleiben, und dass sie für die Zukunft als langfristiges Ziel aufgestellt werden, wenn sie noch nicht umgesetzt worden sind (EuGH a.a.O. Rn. 47; vgl. auch Schlussanträge a.a.O. Rn. 40). Liegt ein Neuansiedlungsvorhaben innerhalb der angemessenen Abstände, ist deshalb wie folgt zu differenzieren: Die erstmalige Schaffung einer Gemengelage wird im Regelfall unzulässig sein, weil ein angemessener Abstand, der bisher eingehalten ist, auch in Zukunft - langfristig - gewahrt bleiben muss (Schlussanträge a.a.O.; Uechtritz, a.a.O. S. 1048). Ist der angemessene Abstand demgegenüber schon bisher nicht eingehalten, greift der Wertungsspielraum, den der EuGH den Genehmigungsbehörden im Rahmen des Erfordernisses, der Wahrung angemessener Abstände Rechnung zu tragen, zuerkannt hat.

25

In welcher Weise dieser Wertungsspielraum auszufüllen ist, gibt Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG den Mitgliedstaaten nicht vor. Insbesondere legt die Norm die Mitgliedstaaten nicht auf eine durch planerische Gestaltungsspielräume gekennzeichnete, prinzipiell ergebnisoffene Abwägung fest (a.A. Jäde, Publicus 2011.11, 4 <5> (online); vgl. auch Uechtritz, a.a.O. S. 1052), etwa im Sinne des § 1 Abs. 7 BauGB. Der Vorabentscheidung lassen sich auch keine Hinweise entnehmen, die erkennen ließen, dass der EuGH die Berücksichtigung des Abstandserfordernisses im Wege der Vorhabenzulassung verfahrensrechtlich nur um den Preis einer Systemänderung akzeptieren würde (a.A. Jäde, a.a.O. und Uechtritz, a.a.O. S. 1051 ff.). Die Richtlinie verlangt nur, dass das fragliche Erfordernis zu irgendeinem Zeitpunkt des Verfahrens zur Durchführung der Pläne oder Politiken zur Flächennutzung oder Flächenausweisung beachtet werden muss, der aber von den Mitgliedstaaten frei bestimmt werden kann (EuGH a.a.O. z.B. Rn. 26, 27, 28). Im Übrigen respektiert sie die mitgliedstaatlichen Systementscheidungen. Schon gar nicht erzwingt sie eine "Strukturrevolution" (so aber Jäde, a.a.O.). Auch die auf eine umfassende Öffentlichkeitsbeteiligung gerichteten Reformvorschläge der Kommission (KOM(2010)781 vom 21. Dezember 2010; BTDrucks 17/5891 vom 24. Mai 2011) bei allen von Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG erfassten "neuen Bauprojekten", stellen den Weg einer Umsetzung des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG im Rahmen der gebundenen Entscheidung nicht in Frage. Öffentlichkeitsbeteiligungen sind auch nach bisherigen nationalrechtlichen Maßstäben einem gebundenen Genehmigungsanspruch nicht fremd (vgl. etwa § 10 Abs. 3 bis 6 BImSchG). Die Richtlinie lässt den Mitgliedstaaten mithin auch in instrumenteller Hinsicht Spielräume, um das Abstandserfordernis in bestehende nationalrechtliche Systementscheidungen einzupassen, sei es "in allgemeiner Weise bei der Aufstellung der Flächenausweisungs- oder Flächennutzungspläne", sei es - mangels einer Planung - "in spezifischer Weise ... beim Erlass von Entscheidungen über Baugenehmigungen" (EuGH, Urteil vom 15. September 2011 - Rs. C-53/10 - UPR 2011, 443 Rn. 50). Beide Wege sieht der EuGH insoweit grundsätzlich als gleichwertig an. Die Planungsbehörden sind deshalb nicht gehindert, die Pflicht zur Berücksichtigung angemessener Abstände auf die Genehmigungsbehörden zu übertragen (EuGH a.a.O. Rn. 26).

26

Entscheidet sich die Gemeinde für das Instrument der Bauleitplanung, ist den Erfordernissen des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG in planerischer Weise Rechnung zu tragen. Die von der Richtlinie geforderten Wertungsspielräume gehen im bauleitplanerischen Abwägungsgebot (§ 1 Abs. 7, § 2 Abs. 3 BauGB) auf, in dessen Rahmen der Trennungsgrundsatz (§ 50 BImSchG) als Abwägungsdirektive zu beachten ist. Die Ergebnisse der Planung unterliegen einer nur eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Unterbleibt eine Planung, ist dem Abstandserfordernis "in spezifischer Weise" im Rahmen der Vorhabenzulassung Rechnung zu tragen. Unionsrechtlich gefordert, aber auch ausreichend ist insoweit eine "nachvollziehende" Abwägung (im Ergebnis ebenso OVG Münster, Beschluss vom 21. Februar 2012 - 2 B 15/12 - juris Rn. 22 und - vorausgehend - VG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Dezember 2011 - 25 L 581/11 - juris Rn. 62; zum Begriff der "nachvollziehenden" Abwägung BVerwG, Urteil vom 19. Juli 2001 - BVerwG 4 C 4.00 - BVerwGE 115, 17 <24 f.>; vgl. im Überblick auch Roeser, in: Berliner Kommentar zum BauGB, Stand November 2012, § 35 Rn. 10), verstanden als ein Vorgang der Rechtsanwendung, der eine auf den Einzelfall ausgerichtete Gewichtsbestimmung verlangt. Sie ist nicht planerische Abwägung im Sinne rechtsgeleiteter politischer Dezision, sondern sachgeleitete Wertung, und unterliegt insoweit der vollen gerichtlichen Kontrolle (Uechtritz, BauR 2012, 1039 <1050 f.>; Kraft, in: Spannowsky/Uechtritz, BauGB, 2009, § 38 Rn. 25).

27

Wie weit die Leistungsfähigkeit des Instruments der "nachvollziehenden" Abwägung reicht, ist keine Frage des Unionsrechts, sondern des nationalen Rechts. Ist die Leistungsfähigkeitsgrenze überschritten, ist der Weg einer gebundenen Entscheidung mit einer lediglich "nachvollziehenden" Abwägung versperrt. Einer Vorhabenzulassung kann dann nur auf der Grundlage eines Bebauungsplans näher getreten werden, bei dessen Aufstellung die Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG im Rahmen des Abwägungsgebots planerisch zu bewältigen und zu verantworten sind.

28

2. Den Anforderungen, die Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG an die Zulassung von Vorhaben in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs stellt, ist durch eine richtlinienkonforme Auslegung des in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltenen Rücksichtnahmegebots Rechnung zu tragen.

29

Unter Zugrundelegung der Entscheidung des EuGH (a.a.O.) und der unter 1. b) gemachten Ausführungen ist zunächst davon auszugehen, dass Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG keine unmittelbare Wirkung im Sinne der Rechtsprechung des EuGH (vgl. hierzu etwa Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 288 Rn. 47 ff.) entfaltet. Damit bleibt nationales Recht - hier § 34 Abs. 1 BauGB - weiter anwendbar. Der Senat hat allerdings das nationale Gesetz soweit wie möglich richtlinienkonform auszulegen, um sich dadurch die Möglichkeit zu verschaffen, im Rahmen seiner Zuständigkeit die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten (EuGH a.a.O. Rn. 32 bis 34 und 52). Dieses Ziel wird durch eine richtlinienkonforme Handhabung des in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltenen Rücksichtnahmegebots erreicht, die sich auch mit den in § 34 Abs. 1 BauGB angelegten Systemmerkmalen verträgt. Eines Rückgriffs auf die im Schrifttum erörterten sonstigen Möglichkeiten der Implementierung des Unionsrechts (vgl. dazu im Überblick Uechtritz, a.a.O. S. 1049 ff.) bedarf es mithin nicht.

30

a) Einer richtlinienkonformen Auslegung steht nicht entgegen, dass sich das Vorhaben in die Eigenart der "näheren Umgebung" einfügen muss. Schon nach bisherigem Verständnis ist hierbei auf diejenige Umgebung abzustellen, auf die sich die Ausführung des Vorhabens auswirken kann und die ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst (Urteil vom 26. Mai 1978 - BVerwG 4 C 9.77 - BVerwGE 55, 369 <380>). Störfallrechtliche Konfliktlagen lassen sich hierunter auch insoweit subsumieren, als sie über den unmittelbaren Nahbereich hinausreichen, weil und soweit sie die bodenrechtliche Situation eines Vorhabengrundstücks prägen. Abgesehen davon sind städtebauliche Fernwirkungen dem Entscheidungsprogramm des § 34 BauGB generell nicht mehr fremd, seit der Gesetzgeber mit dem EAG Bau 2004 den Maßstab des § 34 Abs. 3 BauGB in das Prüfprogramm integriert hat (Kraus, ZfBR 2012, 324<329>).

31

b) Das in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltene Rücksichtnahmegebot bietet eine geeignete Anknüpfung für die unionsrechtlich geforderte "nachvollziehende" Abwägung.

32

Ein Vorhaben, das sich in jeder Hinsicht innerhalb des aus seiner Umgebung hervorgehenden Rahmens hält, fügt sich in die Eigenart der näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB dann nicht ein, wenn das Vorhaben es an der gebotenen Rücksichtnahme auf die sonstige, d.h. vor allem auf die in seiner unmittelbaren Nähe vorhandene Bebauung fehlen lässt (Urteil vom 26. Mai 1978 a.a.O. S. 386 m.w.N.). Ziel des Rücksichtnahmegebots ist es, einander abträgliche Nutzungen in rücksichtsvoller Weise zuzuordnen sowie Spannungen und Störungen zu vermeiden. Welche Anforderungen sich hieraus ergeben, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab, namentlich davon, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist (stRspr; zuletzt Urteil vom 29. November 2012 - BVerwG 4 C 8.11 - juris Rn. 16 m.w.N.). Es wird dabei durch die Begriffsbestimmungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und den auf dieser Grundlage ergangenen rechtsförmlichen technischen Regelwerken und normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften näher bestimmt (vgl. Urteil vom 23. September 1999 - BVerwG 4 C 6.98 - BVerwGE 109, 314 <319 f.>). Im Übrigen ist eine Einzelfallbeurteilung geboten.

33

Das Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme erweist sich insoweit als wertungsoffenes Korrektiv (vgl. auch Berkemann, ZfBR 2010, 18 <30>: "planerisches Korrektiv"), das auch für störfallrechtlich vorgegebene Wertungen offensteht. Es erlaubt die in Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG geforderte abwägende Gegenüberstellung von störfallspezifischen und nicht störfallspezifischen, insbesondere "sozioökonomischen" Faktoren, um auf dieser Grundlage entscheiden zu können, ob im Einzelfall ein Unterschreiten des eigentlich erforderlichen "angemessenen" Abstands ausnahmsweise vertretbar ist. Insoweit unterscheiden sich störfallrechtliche nicht grundlegend von anderen immissionsschutzrechtlichen Konfliktsituationen. Das Rücksichtnahmegebot ist deshalb ein geeigneter Rahmen auch für die unionsrechtlich geforderte "nachvollziehende" Abwägung, innerhalb derer die Genehmigungsbehörde den ihr nach Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG zukommenden Wertungsspielraum auszufüllen hat. Unerheblich ist, dass der Begriff der "nachvollziehenden" Abwägung in der Senatsrechtsprechung für Fälle im Anwendungsbereich des § 35 BauGB entwickelt und darüber hinaus bisher - soweit ersichtlich - lediglich im Bereich des § 38 BauGB thematisiert worden ist. Der Sache nach ist auch die im Rahmen des Rücksichtnahmegebots zu treffende Entscheidung sachgeleitete Wertung, die ebenfalls der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt (vgl. Kraft, a.a.O.).

34

Einer Anpassung bedarf die Dogmatik des Rücksichtnahmegebots im störfallrechtlichen Zusammenhang allerdings insoweit, als Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG verlangt, dass der angemessene Abstand bei der Risikobewertung neben anderen Faktoren - wie dargestellt - auch im Fall einer bestehenden Vorbelastung tatsächlich berücksichtigt wird. In Anbetracht der in der Richtlinie zum Ausdruck kommenden besonderen Zielsetzung (Art. 1 der Richtlinie 96/82/EG), die Folgen schwerer Unfälle für Mensch und Umwelt nicht nur durch eine entsprechende Ausgestaltung der Betreiberpflichten (Art. 5 der Richtlinie 96/82/EG), sondern auch durch die Wahrung angemessener Abstände (Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG) zu begrenzen, darf eine bestehende Vorbelastung nicht dazu führen, die durch eine Neuansiedlung im Fall eines Störfalls zusätzlich exponierten Menschen auszublenden. Bedenkt man ferner, dass die erstmalige Schaffung einer störfallrechtlichen Gemengelage - wie dargestellt - im Regelfall ohnehin unzulässig sein wird, weil ein angemessener Abstand, der bisher eingehalten ist, "langfristig", also auch in Zukunft gewahrt bleiben muss (Beschluss vom 3. Dezember 2009 - BVerwG 4 C 5.09 - juris Rn. 32; Uechtritz, BauR 2012, 1039 <1048 ff.>), liegt auf der Hand, dass eine bestehende Vorbelastung im Störfallrecht nicht Grenze, sondern vielmehr gerade Voraussetzung des Wertungsspielraums ist, den Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG eröffnet. Das Kriterium der Vorbelastung ist deshalb im Störfallrecht bei richtlinienkonformer Handhabung unbrauchbar.

35

c) Von vornherein überschritten sind allerdings die Leistungsgrenzen des Rücksichtnahmegebots, wenn die nach Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG zu berücksichtigenden "sozioökonomischen Faktoren" den Rahmen der im Rücksichtnahmegebot abgebildeten gegenseitigen Interessenbeziehung zwischen Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits verlassen, etwa dann, wenn nicht individuelle, sondern städtebauliche Gründe für eine Zulassung eines Vorhabens in der Gefahrenzone eines Störfallbetriebs streiten, oder wenn Alternativstandorte für die Verwirklichung des Vorhabens in Frage stehen. Entsprechendes gilt, wenn ein Neuansiedlungsvorhaben städtebauliche Spannungen bewirkt, die im Wege einer "nachvollziehenden" Abwägung nicht beseitigt werden können, sondern einer planerischen Bewältigung bedürfen, oder wenn eine rechtsfehlerfreie Konfliktbewältigung auf das Festsetzungsinstrumentarium der Bauleitplanung angewiesen ist. In all diesen Fällen ist eine Zulassung des Vorhabens auf der Grundlage des § 34 Abs. 1 BauGB abzulehnen, weil es einen Koordinierungsbedarf auslöst, dem nicht das Konditionalprogramm des Rechts der Vorhabenzulassung, sondern nur eine förmliche Planung Rechnung zu tragen vermag (vgl. Urteil vom 1. August 2002 - BVerwG 4 C 5.01 - BVerwGE 117, 25 <29 f.>; jüngst auch Urteil vom 2. Februar 2012 - BVerwG 4 C 14.10 - BVerwGE 142, 1 ). Entschließt sich die Gemeinde in diesen Fällen zur Bauleitplanung, ist auch dem Abstandserfordernis planerisch Rechnung zu tragen.

36

3. Diesen Einfluss des Unionsrechts auf die Handhabung des Rücksichtnahmegebots hat das Berufungsurteil verkannt.

37

Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar zu Recht angenommen, dass die Pflicht zur Rücksichtnahme grundsätzlich nicht unabhängig von etwaigen Vorbelastungen bewertet werden kann (Beschluss vom 3. Dezember 2009 a.a.O. Rn. 14 m.w.N.). Er hat allerdings nicht erkannt, dass das Kriterium der Vorbelastung im Störfallrecht unbrauchbar ist, weil es - wie der EuGH mit bindender Wirkung für die mitgliedstaatliche Rechtsanwendung vorgegeben hat - die Mitgliedstaaten nicht von der sich aus Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG ergebenden Verpflichtung befreit, die Risiken der Neuansiedlung eines öffentlich genutzten Gebäudes innerhalb des angemessenen Abstands gebührend zu würdigen.

38

Mangels Bebauungsplanung war die Genehmigungsbehörde in der Pflicht, bei der Entscheidung über den von der Klägerin beantragten Bauvorbescheid dem Abstandserfordernis Rechnung zu tragen. Dieser Verpflichtung ist sie nicht nachgekommen. Sie hat es unterlassen, vor ihrer Entscheidung zu ermitteln, welcher Abstand gegenüber dem Störfallbetrieb der Beigeladenen angemessen ist und ob das streitgegenständliche Gartencenter innerhalb dieser Abstandsgrenze liegt; den TÜV hatte sie erst im Zusammenhang mit dem Bauantrag der Klägerin im Verfahren BVerwG 4 C 12.11 mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt.

39

Dieses Versäumnis hätte der Verwaltungsgerichtshof zum Anlass nehmen müssen, die erforderlichen Ermittlungen und Bewertung im Rahmen seiner uneingeschränkten gerichtlichen Prüfungskompetenz selbst vorzunehmen. Er hätte feststellen müssen, welcher Abstand angemessen ist und ob das streitgegenständliche Gartencenter innerhalb dieses angemessenen Abstands liegt, etwa weil die vom TÜV gutachtlich ermittelten "Achtungsgrenzen" die Abstandsgrenzen zutreffend wiedergeben. Bejahendenfalls wäre er gehalten gewesen, zu ermitteln, ob und gegebenenfalls welche nicht-störfallspezifischen Faktoren dem Abstandserfordernis gegenüberstehen. Er hätte sich vergewissern müssen, dass die in Betracht kommenden Faktoren das Entscheidungsprogramm des § 34 Abs. 1 BauGB nicht überfordern, etwa, weil nur individuelle Gründe der Vorhabenträgerin in Frage stehen. Schließlich hätte er auf dieser Grundlage im Wege der "nachvollziehenden" Abwägung darüber befinden müssen, ob im Hinblick auf diese Gründe ein Unterschreiten des "angemessenen Abstands" vertretbar und deshalb eine Zulassung des Vorhabens innerhalb der Abstandsgrenzen gerechtfertigt erscheint. An all dem fehlt es.

40

4. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden (§ 144 Abs. 3 VwGO). Es fehlen bereits abschließende tatrichterliche Feststellungen zu den maßgeblichen Faktoren zur Bestimmung des angemessenen Abstands (vgl. oben 1.) sowie dazu, ob das streitgegenständliche Gartencenter innerhalb dieses Abstands liegt. Die Sache ist deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Gründe

1

Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

2

1. Die Sache hat keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung.

3

Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), d.h. näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr; so bereits Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>; siehe auch Beschluss vom 1. Februar 2011 - BVerwG 7 B 45.10 - juris Rn. 15).

4

Die Klägerin hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,

ob § 3 Abs. 3 der 12. BImSchV (ggf. i.V.m. § 9 Abs. 1 der Bergverordnung für Tiefbohrungen, Untergrundspeicher und für die Gewinnung von Bodenschätzen durch Bohrungen im Land Nordrhein-Westfalen), soweit nach dieser Vorschrift Sicherheitsabstände (Achtungsabstände) einzuhalten sind, um die Auswirkungen von Dennoch-Störfällen so gering wie möglich zu halten, die Pflicht zur Vermeidung schädlicher Umwelteinwirkungen im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG konkretisiert oder aber die Pflicht des Errichters und Betreibers einer genehmigungspflichtigen Anlage gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG näher bestimmt, Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren zu treffen mit der Folge, dass die Pflicht, gemäß § 3 Abs. 3 der 12. BImSchV (ggf. i.V.m. § 9 Abs. 1 BVOT) einen Sicherheitsabstand zur Auswirkungsbegrenzung von vernünftigerweise ausgeschlossenen Dennoch-Störfällen einzuhalten, nicht nachbarschützend ist und keine bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmepflichten nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB zwischen dem Anlagenbetreiber und einem benachbarten Bauherrn begründet,

und

ob bei der Bemessung des erforderlichen Sicherheitsabstandes nach § 9 Abs. 1 BVOT, § 3 Abs. 3 der 12. BlmSchV dann, wenn als Grenze eine Wärmestrahlung gewählt wird, bei der letale Folgen selbst innerhalb eines Wohngebäudes unmittelbar zu erwarten stehen, im Gegenzug bei der Betrachtung des Störfallszenarios eine Windstärke von 10 m/s, d.h. eine Starkwindlage, von dem Störfallbetrieb in Richtung auf das schutzwürdige Vorhaben ungeachtet ihrer konkreten Wahrscheinlichkeit nach Maßgabe der örtlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen ist.

5

Diese Fragen rechtfertigen - soweit sie überhaupt einer rechtsgrundsätzlichen Klärung zugänglich sind - die Zulassung der Revision nicht, weil es auf sie nicht (mehr) entscheidungserheblich ankommt. Nach der Grundsatzentscheidung des Senats vom 20. Dezember 2012 - BVerwG 4 C 11.11 - (zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung vorgesehen) ist den Anforderungen, die Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG (sog. Seveso-II-Richtlinie) an die Zulassung von Vorhaben in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs stellt, durch eine richtlinienkonforme Auslegung des in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltenen Rücksichtnahmegebots Rechnung zu tragen. Die Grundsätze, die der Senat in der vorbezeichneten Entscheidung entwickelt hat, finden - ohne dass es hierfür der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedürfte - im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Belangs des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB, der eine besondere Ausprägung des nachbarlichen Gebots der Rücksichtnahme darstellt, entsprechende Anwendung. Damit kann sich ein unter die Richtlinie 96/82/EG fallender Betrieb (wie hier - nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts - der Betrieb der Beigeladenen) darauf berufen, der von Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG geforderte "angemessene Abstand" werde durch ein geplantes Wohnbauvorhaben nicht eingehalten; dieses sei gegenüber dem Betrieb rücksichtslos. Dem entsprechend kommt es nicht mehr darauf an, ob § 3 Abs. 3 der 12. BImSchV (ggf. i.V.m. § 9 Abs. 1 BVOT) selbst drittschützende Wirkung zukommt bzw. anhand welcher Faktoren der nach § 9 Abs. 1 BVOT bzw. § 3 Abs. 3 der 12. BImSchV erforderliche Sicherheitsabstand zu bemessen ist.

6

2. Die Entscheidung des Senats vom 20. Dezember 2012 (a.a.O.) nötigt nicht zur Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (siehe zur "überholten" Grundsatzrüge etwa Beschlüsse vom 11. Februar 1986 - BVerwG 8 B 7.85 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 240 = juris Rn. 3, vom 9. April 1999 - BVerwG 9 B 21.99 - juris Rn. 3 und vom 21. Februar 2000 - BVerwG 9 B 57.00 - juris Rn. 6). Das Oberverwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass das Vorhaben der Klägerin deshalb planungsrechtlich unzulässig sei, weil es Belange im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB beeinträchtige und damit zugleich zulasten der Beigeladenen einen Verstoß gegen das in dieser Vorschrift enthaltene Rücksichtnahmegebot begründe (UA S. 24); auf S. 47 des Urteilsabdrucks werden zudem die Kriterien angewendet, die der Europäische Gerichtshof in der Vorabentscheidung vom 15. September 2011 - Rs. C-53/10 - (ABl EU 2011 Nr. C 319 S. 5 = ZfBR 2011, 763) genannt hat. Das entspricht dem Urteil des Senats vom 20. Dezember 2012 (a.a.O.).

7

3. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Die geltend gemachten Verfahrensfehler sind entweder schon nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechenden Weise dargelegt oder liegen jedenfalls nicht vor.

8

Ein Verfahrensmangel ist im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nur dann bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird (vgl. Beschlüsse vom 10. November 1992 - BVerwG 3 B 52.92 - Buchholz 303 § 314 ZPO Nr. 5 und vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26). Die Frage, ob das vorinstanzliche Verfahren an einem Verfahrensmangel leidet, ist dabei vom materiellrechtlichen Standpunkt der Tatsacheninstanz aus zu beurteilen, selbst wenn dieser verfehlt sein sollte (stRspr, vgl. etwa Urteil vom 14. Januar 1998 - BVerwG 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <119>; Beschlüsse vom 25. Januar 2005 - BVerwG 9 B 38.04 - NVwZ 2005, 447 <449> = juris Rn. 21, insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 406.25 § 43 BImSchG Nr. 22 und vom 20. Dezember 2010 - BVerwG 5 B 38.10 - juris Rn. 18).

9

a) Soweit die Klägerin geltend macht, ein Verfahrensfehler liege darin, dass bereits der Beschluss über die Zulassung der Berufung verfahrensfehlerhaft ergangen sei, verkennt sie, dass sie die Zulassung der Revision mit einer solchen Rüge schon deshalb nicht erreichen kann, weil die Zulassung der Berufung als unanfechtbare Vorentscheidung nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 557 Abs. 2 ZPO einer Überprüfung durch das Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich entzogen ist (vgl. etwa Beschlüsse vom 30. September 2005 - BVerwG 1 B 26.05 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 82 = juris Rn. 6 und vom 14. Dezember 2006 - BVerwG 1 B 272.06 - Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 33 Rn. 3). Das gleiche gilt, soweit die Beschwerde einen Verfahrensfehler darin sieht, dass das Oberverwaltungsgericht den Antrag der Klägerin auf Aussetzung des Verfahrens (§ 94 VwGO) abgelehnt hat (Beschluss vom 13 September 2005 - BVerwG 7 B 14.05 - juris Rn. 20 f.); diese Entscheidung ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO ebenfalls unanfechtbar.

10

Der weiter in diesem Zusammenhang erhobene Einwand, das Oberverwaltungsgericht habe die Berufung zu Unrecht als zulässig erachtet, weil die Beigeladene als Berufungsführerin zur Zeit der Zulassung der Berufung zwar Eigentümerin, nicht aber Betreiberin des Gaskavernenspeichers gewesen sei, greift nicht, denn jedenfalls im für die Zulässigkeit der Berufung maßgeblichen Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung am 15. Dezember 2011 war die Beigeladene (unstreitig auch) Betreiberin, womit unter diesem Gesichtspunkt gegen die Zulässigkeit der Berufung keine Bedenken bestehen.

11

b) Das Oberverwaltungsgericht hat nicht das Recht der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) verletzt. Das gilt sowohl hinsichtlich des Vorwurfs, das Oberverwaltungsgericht habe sich mit bestimmten Ausführungen der Klägerin nicht auseinander gesetzt (1), nicht in das Verfahren eingeführte und zudem in Englisch verfasste Beweismittel im Urteil verwertet (2) als auch in Bezug auf den Vorhalt, es habe Beweisanträge zu Unrecht abgelehnt (3).

12

(1) Ein Verstoß gegen das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, liegt vor, wenn das Gericht seiner Verpflichtung, die für die Entscheidung erheblichen Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht nachkommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. November 1992 - 1 BvR 168/89 u.a. - BVerfGE 87, 363 <392>; BVerwG, Urteile vom 29. November 1985 - BVerwG 9 C 49.85 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 177 und vom 20. November 1995 - BVerwG 4 C 10.95 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 267 S. 22 f.; jeweils m.w.N.). Daraus folgt aber keine Verpflichtung des Gerichts, jeglichen Vortrag in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu bescheiden (Beschluss vom 21. Februar 2000 a.a.O. Rn. 8). Vielmehr ist regelmäßig davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Anderes gilt nur dann, wenn besondere Umstände deutlich ergeben, dass das Gericht ein bestimmtes Vorbringen nicht berücksichtigt hat. Dieser Ausnahmefall liegt indessen nicht vor, wenn das Gericht den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt gelassen hat, namentlich wenn er nach der materiellrechtlichen Auffassung des Gerichts nicht entscheidungserheblich war (vgl. etwa Beschlüsse vom 22. Mai 2006 - BVerwG 10 B 9.06 - juris Rn. 14, vom 13. Dezember 2010 - BVerwG 7 B 64.10 - juris Rn. 24 und vom 21. Mai 2012 - BVerwG 7 B 70.11 - juris Rn. 12). Zudem verpflichten Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO die Gerichte nicht dazu, der Rechtsansicht einer Partei zu folgen (BVerfG, Urteil vom 7. Juli 1992 - 1 BvL 51/86 u.a. - BVerfGE 87, 1 <33>).

13

Vor diesem Hintergrund erweist sich die Rüge der Klägerin, das Oberverwaltungsgericht habe sich mit ihrem Vortrag nicht auseinandergesetzt, die mit ihrem Bauantrag verfolgte Nutzung der ehemaligen Katstelle als Wohnung verlange von der Beigeladenen keine größeren Rücksichtnahmepflichten und keine weiteren Vorkehrungen als die auf dem Grundstück bereits regelmäßig praktizierte Nutzung der Katstelle als Wochenend- und Freizeitwohnung sowie des Grundstückes als Garten, als unbegründet. Ausweislich der Urteilsgründe (UA S. 3, 34, 48, 49) beleuchtet das Oberverwaltungsgericht die Folgen der Zulassung des klägerischen Vorhabens für die Beigeladene. Dabei stellt es fest, dass die von der Klägerin derzeit ausgeübte Nutzung nicht genehmigt ist, mithin keinen Bestandsschutz genießt, und die Beigeladene bei Zulassung des klägerischen Vorhabens erstmals auf eine legalerweise ausgeübte Wohnnutzung Rücksicht nehmen müsste, was gegebenenfalls zu nachträglichen Betriebseinschränkungen führen könne. Damit erübrigen sich aber weitere Erörterungen im Hinblick auf eine etwaige "Vorbelastung", auf die die Klägerin offensichtlich abstellt. Soweit sie in diesem Zusammenhang auf den Vorlagebeschluss des Senats vom 3. Dezember 2009 - BVerwG 4 C 5.09 - (Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 209 Rn. 14) an den Europäischen Gerichtshof verweist, sind die vom Senat dort gemachten Ausführungen zur Berücksichtigung einer etwaigen Vorbelastung durch die - auch schon vom Oberverwaltungsgericht berücksichtigte - Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 15. September 2011 (a.a.O.) sowie das Urteil des Senats vom 20. Dezember 2012 (a.a.O.) sachlich überholt. Danach ist das Kriterium der Vorbelastung im Störfallrecht bei richtlinienkonformer Handhabung unbrauchbar (Urteil vom 20. Dezember 2012 a.a.O. Rn. 34 a.E.).

14

(2) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts setzt die schlüssige Rüge, das rechtliche Gehör sei verletzt worden, regelmäßig die substantiierte Darlegung dessen voraus, was der Beteiligte bei ausreichender Gehörsgewährung noch vorgetragen hätte und inwiefern der weitere Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre (vgl. etwa Beschlüsse 31. Juli 1985 - BVerwG 9 B 71.85 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 28 = juris Rn. 6 m.w.N., vom 19. März 1991 - BVerwG 9 B 56.91 - Buchholz 310 § 104 VwGO Nr. 25 = juris Rn. 7, vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 = juris Rn. 4, vom 22. April 1999 - BVerwG 9 B 188.99 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 44 = juris Rn. 3 und vom 28. Januar 2003 - BVerwG 4 B 4.03 - Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 53 = juris Rn. 4). Daran fehlt es hier, soweit die Klägerin rügt, dass sich das Oberverwaltungsgericht das Handbuch zum Programm ALOHA aus dem Internet besorgt, es selbst vom Englischen ins Deutsche - soweit erforderlich - übersetzt und im Urteil verwertet habe, obwohl das Handbuch nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung und schon gar nicht in deutscher Übersetzung gewesen sei. Insofern legt sie schon nicht dar, was sie diesbezüglich bei ausreichender Gehörsgewährung (noch) vorgetragen hätte. Das bedarf jedoch keiner Vertiefung, denn die vom Oberverwaltungsgericht verwendeten Aussagen im englischen Handbuch (es handelt sich um einen Satz) waren für das Gericht jedenfalls nicht entscheidungserheblich, das Urteil beruht mithin nicht hierauf. Denn das Berufungsgericht hat die Berechnungen des Gutachters der Klägerin auf der Grundlage des Programms ALOHA bereits aufgrund der Angaben im TÜV-Gutachten sowie in dem Gutachten des LANUV als falsch bewertet (UA S. 42) und dieses Ergebnis nur noch ergänzend - im Wege einer Hilfsbegründung - durch das Handbuch zu besagtem Programm als bestätigt angesehen (UA S. 42). Diese Hilfsbegründung kann jedoch hinweggedacht werden, ohne dass sich am Ergebnis (Feststellung der fehlerhaften Anwendung des Programms ALOHA durch die Gutachter der Klägerin) etwas ändert.

15

(3) Ein Gehörsverstoß kann auch nicht darin gesehen werden, dass das Oberverwaltungsgericht die Beweisanträge Nr. 1 und 4 der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 15. Dezember 2011 abgelehnt hat.

16

Der Anspruch auf rechtliches Gehör schützt nicht gegen eine nach Meinung eines Beteiligten sachlich unrichtige Ablehnung eines Beweisantrags (Beschlüsse vom 7. Oktober 1987 - BVerwG 9 CB 20.87 - Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 31 und vom 14. Mai 2008 - BVerwG 4 B 46.07 - juris Rn. 28). Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings dann verletzt, wenn die Ablehnung eines als sachdienlich und erheblich angesehenen Beweisantrags im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfG, Beschlüsse vom 30. Januar 1985 - 1 BvR 393/84 - BVerfGE 69, 141 <143 f.> und vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 670/91 - BVerfGE 105, 279 <311>; BVerwG, Beschluss vom 24. März 2000 - BVerwG 9 B 530.99 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 308 S. 16), mithin auf sachfremde Erwägungen gestützt ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Oktober 1988 - 1 BvR 818.88 - BVerfGE 79, 51 <62>). Wie bereits ausgeführt, ist hierfür maßgebend auf den materiellrechtlichen Standpunkt der angegriffenen Entscheidung abzustellen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht erfordert eine entsprechende Rüge den substantiierten Vortrag, dass die Ablehnung des Beweisantrags fehlerhaft erfolgt ist, die Begründung der Ablehnungsentscheidung im Gesetz keine Stütze findet und deshalb das rechtliche Gehör verletzt worden ist (Beschluss vom 13. Dezember 2002 - BVerwG 1 B 95.02 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 67 = juris Rn. 6). Hieran fehlt es vorliegend.

17

(3.1) Der Beweisantrag Nr. 1 der Klägerin zielte auf die Einholung eines Gutachtens durch einen Sachverständigen für Physik, insbesondere für Strömungsphysik, bezüglich der Innenrauhigkeit des Steigrohres in der Kaverne Victor 2 (Nr. 1.1), der Unwahrscheinlichkeit eines sog. Guillotinebruchs am Kavernenkopf (Nr. 1.2), der fehlenden Berücksichtigung einer starken Kontraktion und eines starken Reibungsverlusts am Übergang von Kaverne zum Rohrschuh in den Berechnungen des TÜV von 2006 und des LANUV von 2011 (Nr. 1.3), der maximalen Höhe des Massestroms am Kavernenkopf (Nr. 1.4) sowie dazu, dass die zum Abriss des Kavernenkopfes notwendige Druckbelastung am Kavernenkopf nicht auftreten könne (Nr. 1.5).

18

Diesen Beweisantrag hat das Oberverwaltungsgericht abgelehnt. Die Klägerin sieht hierin einen Verfahrensfehler. Ausweislich der in der mündlichen Verhandlung gegebenen Begründung stelle dies eine vorweggenommene Beweiswürdigung dar und beinhalte die Aussage, das Gericht halte den Sachverhalt bereits für hinreichend geklärt. Mit einer solchen Begründung könne ein Beweisantrag nicht in rechtmäßiger Weise abgelehnt werden.

19

Nach § 86 Abs. 1 VwGO obliegt den Tatsachengerichten die Pflicht, jede mögliche Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts bis zur Grenze der Zumutbarkeit zu versuchen, sofern dies für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich ist (Urteile vom 6. Februar 1985 - BVerwG 8 C 15.84 - BVerwGE 71, 38 <41> und vom 6. Oktober 1987 - BVerwG 9 C 12.87 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 31 = juris Rn. 10). Die Entscheidung eines Tatsachengerichts über Art und Anzahl einzuholender Sachverständigengutachten steht dabei gemäß § 98 VwGO in entsprechender Anwendung des § 412 ZPO grundsätzlich in seinem tatrichterlichen Ermessen (z.B. Urteil vom 8. Juni 1979 - BVerwG 4 C 1.79 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 120 = NJW 1980, 900). Die unterlassene Einholung eines Obergutachtens stellt deshalb nur dann einen Verfahrensmangel dar, wenn sich dem Berufungsgericht die Notwendigkeit einer weiteren Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen (Beschluss vom 13. März 1992 - BVerwG 4 B 39.92 - NVwZ 1993, 268 = juris Rn. 5), weil die bereits vorliegenden Gutachten nicht den ihnen obliegenden Zweck zu erfüllen vermögen, dem Gericht die zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts erforderliche Sachkunde zu vermitteln und ihm dadurch die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung zu ermöglichen. In diesem Sinne kann ein Sachverständigengutachten für die Überzeugungsbildung des Gerichts ungeeignet oder jedenfalls unzureichend sein, wenn es grobe, offen erkennbare Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweist, wenn es von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgeht oder wenn Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters besteht (stRspr, u.a. Urteil vom 19. Dezember 1968 - BVerwG 8 C 29.67 - BVerwGE 31, 149 <156> = Buchholz 448.0 § 8a WPflG Nr. 2; Beschlüsse vom 10. März 1977 - BVerwG 6 B 38.76 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 21 und vom 30. August 1993 - BVerwG 2 B 106.93 - juris Rn. 2). Von diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht ausweislich der Begründung der Entscheidung über die Ablehnung des Beweisantrags, die es in seinem Urteil (UA S. 43, 45, 46) noch weiter präzisiert hat, rechtsfehlerfrei ausgegangen. Von einer unzulässigen vorweggenommenen Beweiswürdigung kann damit keine Rede sein. Das Oberverwaltungsgericht hat vielmehr angenommen, dass durch die in das Verfahren eingeführten Gutachten ihm die erforderliche Sachkunde bereits soweit vermittelt wurde, um im Wege der richterlichen Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 VwGO) den vorliegend maßgeblichen Mindestabstand zwischen dem klägerischen Vorhaben und dem Gaskavernenspeicher der Beigeladenen bestimmen zu können. Das Oberverwaltungsgericht hat sich des Weiteren auf den Seiten 39 bis 46 des Entscheidungsabdrucks ausführlich mit den in das Verfahren - auch von Seiten der Klägerin - eingebrachten bzw. den von ihm eingeholten Gutachten auseinander gesetzt, hat diese umfassend gewürdigt und ist bezüglich des maßgeblichen Sicherheitsabstandes letztlich der durch das LANUV-Gutachten bestätigten Ansicht des TÜV gefolgt, weil es dieses für überzeugend gehalten hat (UA S. 37). Hiermit setzt sich die Klägerin nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise auseinander.

20

(3.2) Schließlich rügt die Klägerin, auch Beweisantrag Nr. 4 sei in der mündlichen Verhandlung unzulässigerweise abgelehnt worden. Danach sollte den Gutachtern der Gegenseite aufgegeben werden, ihre iterative Berechnung des Massestroms einschließlich der zugehörigen Excel-Tabellen vorzulegen, sowie der Klägerin und ihrem Sachverständigen Gelegenheit gegeben werden, dazu Stellung zu nehmen. Das Oberverwaltungsgericht lehnte diesen Beweisantrag mit der Begründung ab, die eingeforderten Vorlagen würden erkennbar keine relevanten Erkenntnisse erbringen. Die Beschwerde wirft dem Oberverwaltungsgericht insofern vor, den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt zu haben (§ 86 Abs. 1 VwGO), weil es seine Entscheidung nur auf ein Gutachten stützen dürfe, das schlüssig und nachvollziehbar sei. Das setze gerade im Streit um wissenschaftliche Fragen voraus, dass die methodischen und rechnerischen Schritte, mit denen ein Sachverständiger zu einer Erkenntnis gelangt sei, nachvollzogen werden könnten. Dem habe der Beweisantrag Nr. 4 gedient. Ein Verfahrensfehler ist damit nicht dargetan. Inwieweit Ausgangsdaten und Verarbeitungsschritte einer gutachterlichen Stellungnahme offen gelegt werden müssen, um deren Verwertbarkeit überprüfen zu können, ist eine Frage der Beweiswürdigung und der richterlichen Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 VwGO), die sich regelmäßig nicht allgemeingültig beantworten lässt (Beschlüsse vom 1. April 2009 - BVerwG 4 B 61.08 - NVwZ 2009, 910 Rn. 24 und vom 14. April 2011 - BVerwG 4 B 77.09 - juris Rn. 44). Das Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, dass die Eingabegrößen und die Berechnungsgrundlagen im Anhang der Stellungnahme des LANUV aufgeführt sind (UA S. 44). Hinweise, auf durchgreifende, die Aussagekraft der Abschätzung in relevantem Umfang relativierende Fehler bei den Berechnungsgrundlagen, welche Anlass hätten geben können, die angelegten Excel-Tabellen anzufordern, hat das Oberverwaltungsgericht ausweislich der Urteilsgründe (UA S. 44) nicht gefunden. Vor diesem Hintergrund hätte die Beschwerde darlegen müssen, dass bei der Aufnahme der Grundlagendaten und der Berechnungen Fehler unterlaufen sein könnten (Urteil vom 13. Oktober 2011 - BVerwG 4 A 4000.09 - juris Rn. 61 a.E. für eine Verkehrsprognose). Daran fehlt es.

21

c) Letztlich liegt auch keine sogenannte aktenwidrige Entscheidung vor.

22

Die Verfahrensrüge, das Gericht habe den Sachverhalt "aktenwidrig" festgestellt, betrifft den Grundsatz der freien Beweiswürdigung und das Gebot der sachgerechten Ausschöpfung des vorhandenen Prozessstoffes (§ 86 Abs. 1, § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Sie bedingt die schlüssig vorgetragene Behauptung, zwischen den in der angegriffenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Annahmen und dem insoweit unumstrittenen Akteninhalt sei ein Widerspruch gegeben (Beschluss vom 19. November 1997 - BVerwG 4 B 182.97 - Buchholz 406.11 § 153 BauGB Nr. 1 = juris Rn. 6). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss dieser Widerspruch offensichtlich sein, so dass es einer weiteren Beweiserhebung zur Klärung des Sachverhalts nicht bedarf; der Widerspruch muss "zweifelsfrei" sein (z.B. Urteil vom 2. Februar 1984 - BVerwG 6 C 134.81 - BVerwGE 68, 338). Diese Voraussetzungen sind durch die Beschwerde nicht dargetan.

23

(1) Die Klägerin rügt, das Gericht habe den Sachverhalt "aktenwidrig" festgestellt, weil es davon ausgehe, dass bei Erreichen einer Wärmestrahlung von 12 kW/qm ein Wohngebäude regelmäßig keinen hinreichenden Schutz mehr biete, sondern mit letalen Folgen zu rechnen sei (UA S. 39). Aus den Akten ergebe sich - so die Klägerin - jedoch genau das Gegenteil. Dieser Einwand greift nicht durch. Vielmehr ist davon auszugehen, dass es sich bei der genannten Passage im Urteil vom 15. Dezember 2011 lediglich um eine Ungenauigkeit in der Diktion handelt. Das folgt daraus, dass das Oberverwaltungsgericht im weiteren Verlauf seiner Prüfung davon ausgeht, dass der Wert von 12 kW/qm aufgrund der Unterschreitung des Sicherheitsabstandes von 85 m durch das verfahrensgegenständliche Gebäude (ca. 75 m Entfernung) überschritten wird und es infolgedessen zu einer Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme komme. Die Annahme, dass die typischen in Deutschland anzutreffenden Gebäude bei einer Wärmestrahlung von mehr als 12 kW/qm - somit auch das klägerische Gebäude - keinen ausreichenden Schutz vor letalen Folgen mehr bieten, entspricht jedoch der Aktenlage.

24

(2) Die Klägerin rügt des Weiteren, dass das Oberverwaltungsgericht bezüglich des der Ausbreitungsbetrachtung zugrunde zu legenden Massenstroms, d.h. der im Störfall auftretenden Emissionen am Kavernenkopf, hinsichtlich der insoweit maßgeblichen Parameter (Ideal-/Realgasverhalten, Druck, Strömungsdurchmesser/Ausströmungsquerschnitt, Inburex-Sicherheitsbericht 2002) von einem aktenwidrigen Sachverhalt ausgegangen sei. Insofern legt sie jedoch schon keinen "offensichtlichen" bzw. "zweifelsfreien" Widerspruch entsprechend obigen Grundsätzen dar, sondern ersetzt die Beweiswürdigung des Oberverwaltungsgerichts durch eine eigene. Das gilt umso mehr, als die genannten Parameter, ihre Bestimmung und ihre Bedeutung für den maßgeblichen Sicherheitsabstand zwischen den Beteiligten sowie den Gutachtern im Verfahren heftig umstritten waren. Damit fehlt es bereits an der nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderlichen Darlegung.

25

4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO ab.

(1) Zur Erfüllung der sich aus diesem Gesetz und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen ergebenden Pflichten können nach Erteilung der Genehmigung sowie nach einer nach § 15 Absatz 1 angezeigten Änderung Anordnungen getroffen werden. Wird nach Erteilung der Genehmigung sowie nach einer nach § 15 Absatz 1 angezeigten Änderung festgestellt, dass die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft nicht ausreichend vor schädlichen Umwelteinwirkungen oder sonstigen Gefahren, erheblichen Nachteilen oder erheblichen Belästigungen geschützt ist, soll die zuständige Behörde nachträgliche Anordnungen treffen.

(1a) Bei Anlagen nach der Industrieemissions-Richtlinie ist vor dem Erlass einer nachträglichen Anordnung nach Absatz 1 Satz 2, durch welche Emissionsbegrenzungen neu festgelegt werden sollen, der Entwurf der Anordnung öffentlich bekannt zu machen. § 10 Absatz 3 und 4 Nummer 1 und 2 gilt für die Bekanntmachung entsprechend. Einwendungsbefugt sind Personen, deren Belange durch die nachträgliche Anordnung berührt werden, sowie Vereinigungen, welche die Anforderungen von § 3 Absatz 1 oder § 2 Absatz 2 des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes erfüllen. Für die Entscheidung über den Erlass der nachträglichen Anordnung gilt § 10 Absatz 7 bis 8a entsprechend.

(1b) Absatz 1a gilt für den Erlass einer nachträglichen Anordnung entsprechend, bei der von der Behörde auf Grundlage einer Verordnung nach § 7 Absatz 1b oder einer Verwaltungsvorschrift nach § 48 Absatz 1b weniger strenge Emissionsbegrenzungen festgelegt werden sollen.

(2) Die zuständige Behörde darf eine nachträgliche Anordnung nicht treffen, wenn sie unverhältnismäßig ist, vor allem wenn der mit der Erfüllung der Anordnung verbundene Aufwand außer Verhältnis zu dem mit der Anordnung angestrebten Erfolg steht; dabei sind insbesondere Art, Menge und Gefährlichkeit der von der Anlage ausgehenden Emissionen und der von ihr verursachten Immissionen sowie die Nutzungsdauer und technische Besonderheiten der Anlage zu berücksichtigen. Darf eine nachträgliche Anordnung wegen Unverhältnismäßigkeit nicht getroffen werden, soll die zuständige Behörde die Genehmigung unter den Voraussetzungen des § 21 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 ganz oder teilweise widerrufen; § 21 Absatz 3 bis 6 sind anzuwenden.

(2a) § 12 Absatz 1a gilt für Anlagen nach der Industrieemissions-Richtlinie entsprechend.

(2b) Abweichend von Absatz 2a kann die zuständige Behörde weniger strenge Emissionsbegrenzungen festlegen, wenn

1.
wegen technischer Merkmale der Anlage die Anwendung der in den BVT-Schlussfolgerungen genannten Emissionsbandbreiten unverhältnismäßig wäre und die Behörde dies begründet oder
2.
in Anlagen Zukunftstechniken für einen Gesamtzeitraum von höchstens neun Monaten erprobt oder angewendet werden sollen, sofern nach dem festgelegten Zeitraum die Anwendung der betreffenden Technik beendet wird oder in der Anlage mindestens die mit den besten verfügbaren Techniken assoziierten Emissionsbandbreiten erreicht werden.
§ 12 Absatz 1b Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Absatz 1a gilt entsprechend.

(3) Soweit durch Rechtsverordnung die Anforderungen nach § 5 Absatz 1 Nummer 2 abschließend festgelegt sind, dürfen durch nachträgliche Anordnungen weitergehende Anforderungen zur Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen nicht gestellt werden.

(3a) Die zuständige Behörde soll von nachträglichen Anordnungen absehen, soweit in einem vom Betreiber vorgelegten Plan technische Maßnahmen an dessen Anlagen oder an Anlagen Dritter vorgesehen sind, die zu einer weitergehenden Verringerung der Emissionsfrachten führen als die Summe der Minderungen, die durch den Erlass nachträglicher Anordnungen zur Erfüllung der sich aus diesem Gesetz oder den auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen ergebenden Pflichten bei den beteiligten Anlagen erreichbar wäre und hierdurch der in § 1 genannte Zweck gefördert wird. Dies gilt nicht, soweit der Betreiber bereits zur Emissionsminderung auf Grund einer nachträglichen Anordnung nach Absatz 1 oder einer Auflage nach § 12 Absatz 1 verpflichtet ist oder eine nachträgliche Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 getroffen werden soll. Der Ausgleich ist nur zwischen denselben oder in der Wirkung auf die Umwelt vergleichbaren Stoffen zulässig. Die Sätze 1 bis 3 gelten auch für nicht betriebsbereite Anlagen, für die die Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb erteilt ist oder für die in einem Vorbescheid oder einer Teilgenehmigung Anforderungen nach § 5 Absatz 1 Nummer 2 festgelegt sind. Die Durchführung der Maßnahmen des Plans ist durch Anordnung sicherzustellen.

(4) Ist es zur Erfüllung der Anordnung erforderlich, die Lage, die Beschaffenheit oder den Betrieb der Anlage wesentlich zu ändern und ist in der Anordnung nicht abschließend bestimmt, in welcher Weise sie zu erfüllen ist, so bedarf die Änderung der Genehmigung nach § 16. Ist zur Erfüllung der Anordnung die störfallrelevante Änderung einer Anlage erforderlich, die Betriebsbereich oder Bestandteil eines Betriebsbereichs ist, und wird durch diese Änderung der angemessene Sicherheitsabstand erstmalig unterschritten, wird der bereits unterschrittene Sicherheitsabstand räumlich noch weiter unterschritten oder wird eine erhebliche Gefahrenerhöhung ausgelöst, so bedarf die Änderung einer Genehmigung nach § 16 oder § 16a, wenn in der Anordnung nicht abschließend bestimmt ist, in welcher Weise sie zu erfüllen ist.

(4a) Zur Erfüllung der Pflichten nach § 5 Absatz 3 soll bei Abfallentsorgungsanlagen im Sinne des § 4 Absatz 1 Satz 1 auch eine Sicherheitsleistung angeordnet werden. Nach der Einstellung des gesamten Betriebs können Anordnungen zur Erfüllung der sich aus § 5 Absatz 3 ergebenden Pflichten nur noch während eines Zeitraums von einem Jahr getroffen werden.

(4b) Anforderungen im Sinne des § 12 Absatz 2c können auch nachträglich angeordnet werden.

(5) Die Absätze 1 bis 4b gelten entsprechend für Anlagen, die nach § 67 Absatz 2 anzuzeigen sind oder vor Inkrafttreten dieses Gesetzes nach § 16 Absatz 4 der Gewerbeordnung anzuzeigen waren.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) Schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne dieses Gesetzes sind Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen.

(2) Immissionen im Sinne dieses Gesetzes sind auf Menschen, Tiere und Pflanzen, den Boden, das Wasser, die Atmosphäre sowie Kultur- und sonstige Sachgüter einwirkende Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen und ähnliche Umwelteinwirkungen.

(3) Emissionen im Sinne dieses Gesetzes sind die von einer Anlage ausgehenden Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen und ähnlichen Erscheinungen.

(4) Luftverunreinigungen im Sinne dieses Gesetzes sind Veränderungen der natürlichen Zusammensetzung der Luft, insbesondere durch Rauch, Ruß, Staub, Gase, Aerosole, Dämpfe oder Geruchsstoffe.

(5) Anlagen im Sinne dieses Gesetzes sind

1.
Betriebsstätten und sonstige ortsfeste Einrichtungen,
2.
Maschinen, Geräte und sonstige ortsveränderliche technische Einrichtungen sowie Fahrzeuge, soweit sie nicht der Vorschrift des § 38 unterliegen, und
3.
Grundstücke, auf denen Stoffe gelagert oder abgelagert oder Arbeiten durchgeführt werden, die Emissionen verursachen können, ausgenommen öffentliche Verkehrswege.

(5a) Ein Betriebsbereich ist der gesamte unter der Aufsicht eines Betreibers stehende Bereich, in dem gefährliche Stoffe im Sinne des Artikels 3 Nummer 10 der Richtlinie 2012/18/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 zur Beherrschung der Gefahren schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen, zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinie 96/82/EG des Rates (ABl. L 197 vom 24.7.2012, S. 1) in einer oder mehreren Anlagen einschließlich gemeinsamer oder verbundener Infrastrukturen oder Tätigkeiten auch bei Lagerung im Sinne des Artikels 3 Nummer 16 der Richtlinie in den in Artikel 3 Nummer 2 oder Nummer 3 der Richtlinie bezeichneten Mengen tatsächlich vorhanden oder vorgesehen sind oder vorhanden sein werden, soweit vernünftigerweise vorhersehbar ist, dass die genannten gefährlichen Stoffe bei außer Kontrolle geratenen Prozessen anfallen; ausgenommen sind die in Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie 2012/18/EU angeführten Einrichtungen, Gefahren und Tätigkeiten, es sei denn, es handelt sich um eine in Artikel 2 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2012/18/EU genannte Einrichtung, Gefahr oder Tätigkeit.

(5b) Eine störfallrelevante Errichtung und ein Betrieb oder eine störfallrelevante Änderung einer Anlage oder eines Betriebsbereichs ist eine Errichtung und ein Betrieb einer Anlage, die Betriebsbereich oder Bestandteil eines Betriebsbereichs ist, oder eine Änderung einer Anlage oder eines Betriebsbereichs einschließlich der Änderung eines Lagers, eines Verfahrens oder der Art oder physikalischen Form oder der Mengen der gefährlichen Stoffe im Sinne des Artikels 3 Nummer 10 der Richtlinie 2012/18/EU, aus der sich erhebliche Auswirkungen auf die Gefahren schwerer Unfälle ergeben können. Eine störfallrelevante Änderung einer Anlage oder eines Betriebsbereichs liegt zudem vor, wenn eine Änderung dazu führen könnte, dass ein Betriebsbereich der unteren Klasse zu einem Betriebsbereich der oberen Klasse wird oder umgekehrt.

(5c) Der angemessene Sicherheitsabstand im Sinne dieses Gesetzes ist der Abstand zwischen einem Betriebsbereich oder einer Anlage, die Betriebsbereich oder Bestandteil eines Betriebsbereichs ist, und einem benachbarten Schutzobjekt, der zur gebotenen Begrenzung der Auswirkungen auf das benachbarte Schutzobjekt, welche durch schwere Unfälle im Sinne des Artikels 3 Nummer 13 der Richtlinie 2012/18/EU hervorgerufen werden können, beiträgt. Der angemessene Sicherheitsabstand ist anhand störfallspezifischer Faktoren zu ermitteln.

(5d) Benachbarte Schutzobjekte im Sinne dieses Gesetzes sind ausschließlich oder überwiegend dem Wohnen dienende Gebiete, öffentlich genutzte Gebäude und Gebiete, Freizeitgebiete, wichtige Verkehrswege und unter dem Gesichtspunkt des Naturschutzes besonders wertvolle oder besonders empfindliche Gebiete.

(6) Stand der Technik im Sinne dieses Gesetzes ist der Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen, der die praktische Eignung einer Maßnahme zur Begrenzung von Emissionen in Luft, Wasser und Boden, zur Gewährleistung der Anlagensicherheit, zur Gewährleistung einer umweltverträglichen Abfallentsorgung oder sonst zur Vermeidung oder Verminderung von Auswirkungen auf die Umwelt zur Erreichung eines allgemein hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt gesichert erscheinen lässt. Bei der Bestimmung des Standes der Technik sind insbesondere die in der Anlage aufgeführten Kriterien zu berücksichtigen.

(6a) BVT-Merkblatt im Sinne dieses Gesetzes ist ein Dokument, das auf Grund des Informationsaustausches nach Artikel 13 der Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) (Neufassung) (ABl. L 334 vom 17.12.2010, S. 17) für bestimmte Tätigkeiten erstellt wird und insbesondere die angewandten Techniken, die derzeitigen Emissions- und Verbrauchswerte, alle Zukunftstechniken sowie die Techniken beschreibt, die für die Festlegung der besten verfügbaren Techniken sowie der BVT-Schlussfolgerungen berücksichtigt wurden.

(6b) BVT-Schlussfolgerungen im Sinne dieses Gesetzes sind ein nach Artikel 13 Absatz 5 der Richtlinie 2010/75/EU von der Europäischen Kommission erlassenes Dokument, das die Teile eines BVT-Merkblatts mit den Schlussfolgerungen in Bezug auf Folgendes enthält:

1.
die besten verfügbaren Techniken, ihrer Beschreibung und Informationen zur Bewertung ihrer Anwendbarkeit,
2.
die mit den besten verfügbaren Techniken assoziierten Emissionswerte,
3.
die zu den Nummern 1 und 2 gehörigen Überwachungsmaßnahmen,
4.
die zu den Nummern 1 und 2 gehörigen Verbrauchswerte sowie
5.
die gegebenenfalls einschlägigen Standortsanierungsmaßnahmen.

(6c) Emissionsbandbreiten im Sinne dieses Gesetzes sind die mit den besten verfügbaren Techniken assoziierten Emissionswerte.

(6d) Die mit den besten verfügbaren Techniken assoziierten Emissionswerte im Sinne dieses Gesetzes sind der Bereich von Emissionswerten, die unter normalen Betriebsbedingungen unter Verwendung einer besten verfügbaren Technik oder einer Kombination von besten verfügbaren Techniken entsprechend der Beschreibung in den BVT-Schlussfolgerungen erzielt werden, ausgedrückt als Mittelwert für einen vorgegebenen Zeitraum unter spezifischen Referenzbedingungen.

(6e) Zukunftstechniken im Sinne dieses Gesetzes sind neue Techniken für Anlagen nach der Industrieemissions-Richtlinie, die bei gewerblicher Nutzung entweder ein höheres allgemeines Umweltschutzniveau oder zumindest das gleiche Umweltschutzniveau und größere Kostenersparnisse bieten könnten als der bestehende Stand der Technik.

(7) Dem Herstellen im Sinne dieses Gesetzes steht das Verarbeiten, Bearbeiten oder sonstige Behandeln, dem Einführen im Sinne dieses Gesetzes das sonstige Verbringen in den Geltungsbereich dieses Gesetzes gleich.

(8) Anlagen nach der Industrieemissions-Richtlinie im Sinne dieses Gesetzes sind die in der Rechtsverordnung nach § 4 Absatz 1 Satz 4 gekennzeichneten Anlagen.

(9) Gefährliche Stoffe im Sinne dieses Gesetzes sind Stoffe oder Gemische gemäß Artikel 3 der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen, zur Änderung und Aufhebung der Richtlinien67/548/EWGund 1999/45/EG und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (ABl. L 353 vom 31.12.2008, S. 1), die zuletzt durch die Verordnung (EG) Nr. 286/2011 (ABl. L 83 vom 30.3.2011, S. 1) geändert worden ist.

(10) Relevante gefährliche Stoffe im Sinne dieses Gesetzes sind gefährliche Stoffe, die in erheblichem Umfang in der Anlage verwendet, erzeugt oder freigesetzt werden und die ihrer Art nach eine Verschmutzung des Bodens oder des Grundwassers auf dem Anlagengrundstück verursachen können.

(1) Genehmigungsbedürftige Anlagen sind so zu errichten und zu betreiben, dass zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt

1.
schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können;
2.
Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen getroffen wird, insbesondere durch die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen;
3.
Abfälle vermieden, nicht zu vermeidende Abfälle verwertet und nicht zu verwertende Abfälle ohne Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit beseitigt werden; Abfälle sind nicht zu vermeiden, soweit die Vermeidung technisch nicht möglich oder nicht zumutbar ist; die Vermeidung ist unzulässig, soweit sie zu nachteiligeren Umweltauswirkungen führt als die Verwertung; die Verwertung und Beseitigung von Abfällen erfolgt nach den Vorschriften des Kreislaufwirtschaftsgesetzes und den sonstigen für die Abfälle geltenden Vorschriften;
4.
Energie sparsam und effizient verwendet wird.

(2) Soweit genehmigungsbedürftige Anlagen dem Anwendungsbereich des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes unterliegen, sind Anforderungen zur Begrenzung von Emissionen von Treibhausgasen nur zulässig, um zur Erfüllung der Pflichten nach Absatz 1 Nummer 1 sicherzustellen, dass im Einwirkungsbereich der Anlage keine schädlichen Umwelteinwirkungen entstehen; dies gilt nur für Treibhausgase, die für die betreffende Tätigkeit nach Anhang 1 des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes umfasst sind. Bei diesen Anlagen dürfen zur Erfüllung der Pflicht zur effizienten Verwendung von Energie in Bezug auf die Emissionen von Kohlendioxid, die auf Verbrennungs- oder anderen Prozessen der Anlage beruhen, keine Anforderungen gestellt werden, die über die Pflichten hinausgehen, welche das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz begründet.

(3) Genehmigungsbedürftige Anlagen sind so zu errichten, zu betreiben und stillzulegen, dass auch nach einer Betriebseinstellung

1.
von der Anlage oder dem Anlagengrundstück keine schädlichen Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft hervorgerufen werden können,
2.
vorhandene Abfälle ordnungsgemäß und schadlos verwertet oder ohne Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit beseitigt werden und
3.
die Wiederherstellung eines ordnungsgemäßen Zustandes des Anlagengrundstücks gewährleistet ist.

(4) Wurden nach dem 7. Januar 2013 auf Grund des Betriebs einer Anlage nach der Industrieemissions-Richtlinie erhebliche Bodenverschmutzungen oder erhebliche Grundwasserverschmutzungen durch relevante gefährliche Stoffe im Vergleich zu dem im Bericht über den Ausgangszustand angegebenen Zustand verursacht, so ist der Betreiber nach Einstellung des Betriebs der Anlage verpflichtet, soweit dies verhältnismäßig ist, Maßnahmen zur Beseitigung dieser Verschmutzung zu ergreifen, um das Anlagengrundstück in jenen Ausgangszustand zurückzuführen. Die zuständige Behörde hat der Öffentlichkeit relevante Informationen zu diesen vom Betreiber getroffenen Maßnahmen zugänglich zu machen, und zwar auch über das Internet. Soweit Informationen Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse enthalten, gilt § 10 Absatz 2 entsprechend.

(1) Nicht genehmigungsbedürftige Anlagen sind so zu errichten und zu betreiben, dass

1.
schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind,
2.
nach dem Stand der Technik unvermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmaß beschränkt werden und
3.
die beim Betrieb der Anlagen entstehenden Abfälle ordnungsgemäß beseitigt werden können.
Die Bundesregierung wird ermächtigt, nach Anhörung der beteiligten Kreise (§ 51) durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates auf Grund der Art oder Menge aller oder einzelner anfallender Abfälle die Anlagen zu bestimmen, für die die Anforderungen des § 5 Absatz 1 Nummer 3 entsprechend gelten. Für Anlagen, die nicht gewerblichen Zwecken dienen und nicht im Rahmen wirtschaftlicher Unternehmungen Verwendung finden, gilt die Verpflichtung des Satzes 1 nur, soweit sie auf die Verhinderung oder Beschränkung von schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche oder von Funkanlagen ausgehende nichtionisierende Strahlen gerichtet ist.

(1a) Geräuscheinwirkungen, die von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen wie beispielsweise Ballspielplätzen durch Kinder hervorgerufen werden, sind im Regelfall keine schädliche Umwelteinwirkung. Bei der Beurteilung der Geräuscheinwirkungen dürfen Immissionsgrenz- und -richtwerte nicht herangezogen werden.

(2) Weitergehende öffentlich-rechtliche Vorschriften bleiben unberührt.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Gründe

I.

1

Die Beklagte hat dem Beigeladenen am 6. März 2007 eine Baugenehmigung mit dem Betreff "Nutzungsänderung: Gewerbebetrieb (von gewerbliches Lager in Büroräume)" erteilt. Während des Berufungsverfahrens hat sie die Genehmigung mit Bescheid vom 5. Mai 2010 dahin abgeändert, dass die Anzahl der Pkw-Bewegungen, die gemäß Nr. 6 der Nebenbestimmung in den rückwärtigen Grundstücksbereich fahren dürfen, monatlich 300 Fahrzeuge nicht überschreiten darf; außerdem hat sie die Betriebszeit auf werktags von 7.00 Uhr bis 18.00 Uhr beschränkt. Der Beigeladene hatte zuvor in einem "Teilverzicht" erklärt, dass er insoweit von der Baugenehmigung nicht mehr Gebrauch machen werde.

2

Die Klägerin hat geltend gemacht, dass auf die Genehmigung nicht teilweise verzichtet werden könne, denn der "Teilverzicht" beziehe sich nicht auf einen objektiv abgrenzbaren und benennbaren Teil der Genehmigung; jede Änderung einer Baugenehmigung lasse in der Regel ein aliud entstehen.

3

Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Klägerin gegen das klagabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass hier auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung vom 6. März 2007 abzustellen sei. Die Änderungsgenehmigung vom 5. Mai 2010 führe nicht dazu, dass es für die baurechtliche Zulässigkeit des Vorhabens auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erteilung der Änderungsgenehmigung ankommen würde, denn mit ihr habe die Beklagte keine Genehmigung für ein sogenanntes aliud, also für ein Vorhaben erteilt, das von dem zuvor Genehmigten so erheblich abweicht, dass sich die Genehmigungsfrage neu gestellt hätte. Vielmehr bestätige die Änderungsgenehmigung der Sache nach lediglich den Teilverzicht des Beigeladenen, mit dem dieser eine in der Bandbreite der zuvor genehmigten Nutzung liegende Reduzierung des betrieblichen Geschehens erklärt habe (UA S. 15). Die nähere Umgebung habe jedenfalls am 6. März 2007 einem allgemeinen Wohngebiet entsprochen, in dem das Vorhaben des Beigeladenen als nicht störender Gewerbebetrieb ausnahmsweise habe zugelassen werden dürfen.

II.

4

Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.

5

1. Die Rechtssache hat nicht die von der Klägerin geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung.

6

Die Klägerin möchte rechtsgrundsätzlich geklärt wissen,

ob und ggf. in welcher Konstellation im Rahmen einer Änderungs-/Nachtragsgenehmigung auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erteilung der Ausgangsgenehmigung oder auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erteilung der Änderungsgenehmigung abzustellen ist.

7

Sie macht geltend, dass die nähere Umgebung jedenfalls bei Erteilung der Änderungsgenehmigung einem reinen Wohngebiet entsprochen habe, in dem der Gewerbebetrieb des Beigeladenen unzulässig sei.

8

Die bezeichnete Frage bedarf, soweit sie entscheidungserheblich wäre, nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. In einem Fall wie dem vorliegenden ist sie ohne Weiteres in dem vom Oberverwaltungsgericht entschiedenen Sinne zu beantworten.

9

Ob eine angefochtene Baugenehmigung den Nachbarn in seinen Rechten verletzt, beurteilt sich grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung. Nur nachträgliche Änderungen zugunsten des Bauherrn sind zu berücksichtigen. Änderungen zu seinen Lasten haben außer Betracht zu bleiben (Beschluss vom 23. April 1998 - BVerwG 4 B 40.98 - Buchholz 406.11 § 9 BauGB Nr. 87; Urteil vom 19. September 1969 - BVerwG 4 C 18.67 - Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 25 S. 59). Die erteilte Baugenehmigung vermittelt dem Bauherrn eine Rechtsposition, die sich, wenn ein Nachbar die Genehmigung anficht, gegenüber während des Rechtsmittelverfahrens eintretenden Änderungen der Sach- und Rechtslage durchsetzen kann (Urteil vom 13. Dezember 2007 - BVerwG 4 C 9.07 - BVerwGE 130, 113 Rn. 13). Das ist in der Rechtsprechung geklärt. Auch das Oberverwaltungsgericht ist von diesem Grundsatz ausgegangen (UA S. 15).

10

Verzichtet der Bauherr teilweise auf die Ausnutzung der erteilten Baugenehmigung und schreibt die Genehmigungsbehörde diesen Verzicht durch eine Änderung der Genehmigung fest, richtet sich die Frage, ob der aufrechterhaltene Teil der Baugenehmigung den Nachbarn in seinen Rechten verletzt, weiterhin nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erteilung der ursprünglichen Baugenehmigung. Denn auch für den aufrechterhaltenen Teil des Vorhabens hat der Bauherr bereits durch die Erteilung der Baugenehmigung eine gegenüber nachträglichen Änderungen der Sach- und Rechtslage geschützte Rechtsposition erlangt. Durch die Änderung der Genehmigung wird in einem solchen Fall lediglich deren Umfang nachträglich eingeschränkt. Ein teilweiser Verzicht auf die Ausnutzung einer Baugenehmigung und eine entsprechende Änderung der Genehmigung sind allerdings nur möglich, wenn das genehmigte Vorhaben teilbar ist. Ob und inwieweit das der Fall ist, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Hier hat das Oberverwaltungsgericht die Reduzierung der höchstzulässigen Anzahl von Pkw-Bewegungen und der Betriebszeit als "eine in der Bandbreite der zuvor genehmigten Nutzung liegende Reduzierung des betrieblichen Geschehens" (UA S. 15), das reduzierte Vorhaben also nicht als aliud, sondern als abtrennbaren Teil des ursprünglichen Vorhabens angesehen. An diese tatrichterliche Würdigung der hier gegebenen Umstände wäre der Senat in einem Revisionsverfahren gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden. Dass der Betrieb durch die genannte Reduzierung des Betriebsumfangs von einem störenden zu einem nicht störenden Gewerbebetrieb wird, steht der Teilbarkeit des Vorhabens nicht entgegen.

11

2. Als Divergenzrüge macht die Klägerin geltend, dass das Oberverwaltungsgericht von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Oktober 1965 - BVerwG 4 C 3.65 - (BVerwGE 22, 129) abgewichen sei. In diesem Urteil habe das Bundesverwaltungsgericht den Grundsatz aufgestellt, dass es für die Frage der Rechtswidrigkeit einer Baugenehmigung grundsätzlich darauf ankomme, wie die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung beschaffen sei. Demgegenüber habe das Oberverwaltungsgericht den Rechtssatz zugrunde gelegt, dass es bei der zu beurteilenden Änderungsgenehmigung nicht auf den Zeitpunkt der Erteilung der Änderungsgenehmigung für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ankomme, sondern auf den Zeitpunkt der Erteilung der Ursprungsgenehmigung.

12

Die geltend gemachte Divergenz liegt nicht vor. Einen Rechtssatz zu der hier entscheidungserheblichen Frage, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung einer Nachbarklage gegen eine Baugenehmigung maßgebend ist, wenn der Bauherr auf die Ausnutzung der Baugenehmigung teilweise verzichtet und die Baugenehmigungsbehörde die Baugenehmigung entsprechend geändert hat, hat der Senat in seinem Urteil vom 5. Oktober 1965 nicht aufgestellt. Um eine derartige Fallkonstellation ging es in der damaligen Entscheidung nicht.

(1) Genehmigungsbedürftige Anlagen sind so zu errichten und zu betreiben, dass zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt

1.
schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können;
2.
Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen getroffen wird, insbesondere durch die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen;
3.
Abfälle vermieden, nicht zu vermeidende Abfälle verwertet und nicht zu verwertende Abfälle ohne Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit beseitigt werden; Abfälle sind nicht zu vermeiden, soweit die Vermeidung technisch nicht möglich oder nicht zumutbar ist; die Vermeidung ist unzulässig, soweit sie zu nachteiligeren Umweltauswirkungen führt als die Verwertung; die Verwertung und Beseitigung von Abfällen erfolgt nach den Vorschriften des Kreislaufwirtschaftsgesetzes und den sonstigen für die Abfälle geltenden Vorschriften;
4.
Energie sparsam und effizient verwendet wird.

(2) Soweit genehmigungsbedürftige Anlagen dem Anwendungsbereich des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes unterliegen, sind Anforderungen zur Begrenzung von Emissionen von Treibhausgasen nur zulässig, um zur Erfüllung der Pflichten nach Absatz 1 Nummer 1 sicherzustellen, dass im Einwirkungsbereich der Anlage keine schädlichen Umwelteinwirkungen entstehen; dies gilt nur für Treibhausgase, die für die betreffende Tätigkeit nach Anhang 1 des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes umfasst sind. Bei diesen Anlagen dürfen zur Erfüllung der Pflicht zur effizienten Verwendung von Energie in Bezug auf die Emissionen von Kohlendioxid, die auf Verbrennungs- oder anderen Prozessen der Anlage beruhen, keine Anforderungen gestellt werden, die über die Pflichten hinausgehen, welche das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz begründet.

(3) Genehmigungsbedürftige Anlagen sind so zu errichten, zu betreiben und stillzulegen, dass auch nach einer Betriebseinstellung

1.
von der Anlage oder dem Anlagengrundstück keine schädlichen Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft hervorgerufen werden können,
2.
vorhandene Abfälle ordnungsgemäß und schadlos verwertet oder ohne Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit beseitigt werden und
3.
die Wiederherstellung eines ordnungsgemäßen Zustandes des Anlagengrundstücks gewährleistet ist.

(4) Wurden nach dem 7. Januar 2013 auf Grund des Betriebs einer Anlage nach der Industrieemissions-Richtlinie erhebliche Bodenverschmutzungen oder erhebliche Grundwasserverschmutzungen durch relevante gefährliche Stoffe im Vergleich zu dem im Bericht über den Ausgangszustand angegebenen Zustand verursacht, so ist der Betreiber nach Einstellung des Betriebs der Anlage verpflichtet, soweit dies verhältnismäßig ist, Maßnahmen zur Beseitigung dieser Verschmutzung zu ergreifen, um das Anlagengrundstück in jenen Ausgangszustand zurückzuführen. Die zuständige Behörde hat der Öffentlichkeit relevante Informationen zu diesen vom Betreiber getroffenen Maßnahmen zugänglich zu machen, und zwar auch über das Internet. Soweit Informationen Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse enthalten, gilt § 10 Absatz 2 entsprechend.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Zurückweisung eines Nachbarwiderspruchs gegen einen ihr erteilten Bauvorbescheid für ein großflächiges Gartencenter in der Nachbarschaft eines sog. Störfallbetriebs.

2

Die Klägerin ist Eigentümerin von Grundstücken im unbeplanten Innenbereich in D. mit einer Gesamtfläche von über 3 ha, die in der Nachbarschaft des Betriebs der Beigeladenen (eines Störfallbetriebs, der unter die Richtlinie 96/82/EG - kurz: "Seveso-II-Richtlinie" - fällt) liegen und die derzeit u.a. für eine Schrott- und Metallrecyclinganlage genutzt werden. Sie beantragte die Erteilung einer Bebauungsgenehmigung für die Errichtung eines Gartencenters (Verkaufsfläche 9 368 qm, davon 1 340 qm Freifläche). Zu diesem Zeitpunkt hatte die Klägerin das Baugrundstück bereits an die Klägerin im Verfahren BVerwG 4 C 12.11 verkauft. Der Vertrag soll jedoch erst wirksam werden, wenn u.a. der Nachweis des Vorliegens der Bestandskraft des beantragten Vorbescheids oder der Bestandskraft einer Baugenehmigung erbracht worden sei. Die Stadt D. erteilte der Klägerin den Vorbescheid antragsgemäß. Hiergegen erhob die Beigeladene Widerspruch, über den das beklagte Land Hessen bisher nicht (abschließend) entschieden hat.

3

Auf die Untätigkeitsklage der Klägerin hat das Verwaltungsgericht den Beklagten verpflichtet, den Widerspruch der Beigeladenen gegen den der Klägerin erteilten Bauvorbescheid zurückzuweisen. Die Berufungen des Beklagten und der Beigeladenen blieben erfolglos. Der erteilte Bauvorbescheid - so die Begründung des Berufungsurteils - sei rechtmäßig, so dass die Unterlassung der begehrten Zurückweisung des Widerspruchs die Klägerin in ihren Rechten verletze. Das Bauvorhaben sei bauplanungsrechtlich zulässig und verstoße auch nicht gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme. Eine Verletzung der gegenüber dem Störfallbetrieb gebotenen Rücksichtnahme scheide deswegen aus, weil sich innerhalb der gutachtlich ermittelten "Achtungsgrenzen" bereits verschiedene gewerbliche Nutzungen befänden, darunter auch Baumärkte, die ebenfalls Freiverkaufsflächen aufwiesen und nur unwesentlich weiter als das geplante Gartencenter vom Betriebsgelände der Beigeladenen entfernt lägen. Auch bei etwaiger Nichteinhaltung eines erforderlichen Sicherheitsabstands sei deshalb nicht erkennbar, dass es durch das Heranrücken einer weiteren schutzwürdigen Bebauung zu einer Verschärfung der immissionsschutzrechtlichen Anforderungen für die Beigeladene kommen könne. Eine Verpflichtung der Klägerin zur Einhaltung eines Abstands gegenüber dem Störfallbetrieb ergebe sich auch nicht aus § 50 BImSchG. Selbst wenn man § 50 BImSchG im Rahmen von § 34 BauGB für anwendbar halten wollte, scheitere eine Anwendung im vorliegenden Fall daran, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Vorhaben nicht um eine raumbedeutsame Maßnahme im Sinne der Vorschrift handle. Das Vorhaben verstoße auch nicht gegen die gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB zu wahrenden Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse, die auf die Abwehr städtebaulicher Missstände beschränkt seien. Eine unmittelbare Anwendung des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG bzw. eine richtlinienkonforme Auslegung des § 50 BImSchG komme nicht in Betracht. Ein zwingendes Gebot der Abstandswahrung, das auch bei der Zulassung von Einzelvorhaben zu beachten sei, sei der Richtlinie nicht zu entnehmen. Selbst wenn man annehme, dass der deutsche Gesetzgeber Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG nicht vollständig umgesetzt habe, fehle es an der für eine unmittelbare Anwendung der Richtlinie erforderlichen inhaltlichen Unbedingtheit und hinreichenden Genauigkeit.

4

Der Senat hat die Revisionen des Beklagten und der Beigeladenen zum Anlass genommen, das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht auszusetzen und den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in Luxemburg im Wege der Vorabentscheidung (Art. 267 AEUV) um Klärung mehrerer Fragen zu bitten (Beschluss vom 3. Dezember 2009 - BVerwG 4 C 5.09 - juris). Der Senat war der Auffassung, dass die Revisionen auf der Grundlage des nationalen Rechts zurückzuweisen wären, hatte es allerdings für zweifelhaft gehalten, ob die Zulassung des Vorhabens unter den hier gegebenen bzw. unterstellten Umständen mit Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG vereinbar ist (Beschluss vom 3. Dezember 2009 a.a.O. Rn. 11 ff. und 22 ff.).

5

Mit Urteil vom 15. September 2011 - Rs. C-53/10 - (ABl EU 2011 Nr. C 319 S. 5 = ZfBR 2011, 763) hat der EuGH über die Vorlagefragen entschieden.

6

Die erste Vorlagefrage hat er wie folgt beantwortet:

Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG ist dahin auszulegen, dass die Pflicht der Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass langfristig dem Erfordernis Rechnung getragen wird, dass zwischen den unter diese Richtlinie fallenden Betrieben einerseits und öffentlich genutzten Gebäuden andererseits ein angemessener Abstand gewahrt bleibt, auch von einer Behörde wie der für die Erteilung von Baugenehmigungen zuständigen Stadt D. zu beachten ist, und zwar auch dann, wenn sie in Ausübung dieser Zuständigkeit eine gebundene Entscheidung zu erlassen hat.

7

Auf die zweite und dritte Frage hat der EuGH geantwortet:

Die in Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG vorgesehene Verpflichtung, langfristig dem Erfordernis Rechnung zu tragen, dass zwischen den unter diese Richtlinie fallenden Betrieben einerseits und öffentlich genutzten Gebäuden andererseits ein angemessener Abstand gewahrt bleibt, schreibt den zuständigen nationalen Behörden nicht vor, unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Ansiedlung eines öffentlich genutzten Gebäudes zu verbieten. Dagegen steht diese Verpflichtung nationalen Rechtsvorschriften entgegen, nach denen eine Genehmigung für die Ansiedlung eines solchen Gebäudes zwingend zu erteilen ist, ohne dass die Risiken der Ansiedlung innerhalb der genannten Abstandsgrenzen im Stadium der Planung oder der individuellen Entscheidung gebührend gewürdigt worden wären.

8

Der Beklagte und die Beigeladene sehen ihre Rechtsauffassungen durch die Vorabentscheidung des EuGH im Wesentlichen bestätigt. Die Verpflichtung zur gebührenden Würdigung der mit einer Neuansiedlung verbundenen Risiken bestehe nicht erst dann, wenn ein hinzukommendes Vorhaben im Hinblick auf die Auswirkungen eines Störfalls einen weitergehenden Schutzbedarf als die bisherige Bebauung auslöse, sondern bereits dann, wenn durch die Neuansiedlung - wie hier - eine wesentliche Verschlechterung des Status quo u.a. im Hinblick auf das Ziel der Begrenzung der Folgen eines schweren Unfalls eintrete. Die vom EuGH geforderten Bewertungen, insbesondere unter Berücksichtigung "sozioökonomischer" Faktoren, seien hier noch nicht vorgenommen worden. Der Entscheidung des EuGH könne im Ergebnis mit der Auslegung des § 34 BauGB entsprechend Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG nur dadurch Rechnung getragen werden, dass die Klage abgewiesen werde. Welche Faktoren dazu führen sollten, dass diese Risikoermittlung und -bewertung nicht maßgeblich sei bzw. überwunden werden könne, sei nicht ersichtlich.

9

Die Klägerin hält das Vorhaben nach wie vor für bauplanungsrechtlich zulässig. Der EuGH habe das Konzept des deutschen Gesetzgebers zur Umsetzung der Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG im Hinblick auf bereits bebaute Einwirkungsbereiche von Störfallbetrieben akzeptiert. Die von Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG geforderte störfallrechtliche Risikobewertung sei schon bislang in einem ausreichenden Maße im Rahmen von § 34 Abs. 1 BauGB erfolgt.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässigen Revisionen sind begründet. Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

11

Der Verwaltungsgerichtshof hat zu Recht die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des streitgegenständlichen Gartencenters und damit die Rechtmäßigkeit des der Klägerin erteilten Bauvorbescheids an § 34 Abs. 1 BauGB und dem über das Tatbestandsmerkmal des Einfügens darin enthaltenen Rücksichtnahmegebot gemessen. Mit Bundesrecht unvereinbar ist allerdings die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, dass eine Verletzung der gegenüber dem Störfallbetrieb der Beigeladenen gebotenen Rücksichtnahme deshalb ausscheide, weil sich innerhalb der gutachtlich ermittelten "Achtungsgrenzen" bereits verschiedene gewerbliche Nutzungen befänden und wegen dieser Vorbelastung - die Nichteinhaltung des angemessenen Abstands unterstellt - nicht erkennbar sei, dass es durch die Neuansiedlung zu einer Verschärfung der immissionsschutzrechtlichen Anforderungen für die Beigeladene kommen könne.

12

Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG verlangt, dass die Risiken der Zulassung eines öffentlich genutzten Gebäudes in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs ungeachtet etwaiger Vorbelastungen gebührend gewürdigt werden (1). Diesem unionsrechtlichen Erfordernis ist durch eine richtlinienkonforme Handhabung des in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltenen Rücksichtnahmegebots Geltung zu verschaffen (2). Dessen Anforderungen hat der Verwaltungsgerichtshof verkannt (3). Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, weil die hierfür erforderlichen Tatsachenfeststellungen fehlen (4).

13

1. Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG schließt es aus, die Neuansiedlung eines öffentlich genutzten Gebäudes in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs allein im Hinblick auf bestehende Vorbelastungen zuzulassen, ohne zuvor ermittelt zu haben, welcher Abstand angemessen ist und welche Risiken mit der Neuansiedlung innerhalb dieser Abstandsgrenzen einhergehen.

14

Der EuGH (Urteil vom 15. September 2011 - Rs. C-53/10 - UPR 2011, 443 LS 1) hat Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG dahin ausgelegt, dass die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, langfristig dem Erfordernis der Wahrung angemessener Abstände zwischen einem Störfallbetrieb und öffentlich genutzten Gebäuden Rechnung zu tragen, auch von Baugenehmigungsbehörden bei gebundenen Entscheidungen über die Zulassung von Vorhaben zu beachten ist. Dass der Betrieb der Beigeladenen ein Störfallbetrieb und das von der Klägerin beantragte Gartencenter ein öffentlich genutztes Gebäude im Sinne der Richtlinie ist, ist unstreitig (EuGH a.a.O. Rn. 2 und 3). Die als Baugenehmigungsbehörde tätig gewordene Stadt D. war deshalb bei der Entscheidung über den von der Klägerin beantragten Bauvorbescheid verpflichtet, dem Abstandserfordernis des Art. 12 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 96/82/EG Rechnung zu tragen.

15

Diese Verpflichtung hat der EuGH (a.a.O. LS 2) zwar nicht in dem Sinne ausgelegt, dass jede Neuansiedlung eines öffentlich genutzten Gebäudes innerhalb des angemessenen Abstands zwingend untersagt werden müsste. Es ist mit der Richtlinie aber nicht vereinbar, wenn die Ansiedlung zugelassen wird, ohne dass die Risiken einer Ansiedlung innerhalb des angemessenen Abstands gebührend gewürdigt worden wären (EuGH a.a.O. Rn. 49). Die Genehmigungsbehörde muss deshalb in einem ersten Schritt ermitteln, welcher Abstand "angemessen" ist und ob das Neuansiedlungsvorhaben innerhalb dieser Abstandsgrenze liegt. Ist der angemessene Abstand nicht eingehalten, muss sich die Behörde in einem zweiten Schritt darüber Gedanken machen, ob ein Unterschreiten des angemessenen Abstands im Einzelfall vertretbar ist.

16

a) Welcher Abstand "angemessen" ist, ist im Unionsrecht nicht geregelt. Damit obliegt es den zuständigen nationalen Genehmigungsbehörden und Gerichten zumindest implizit, die angemessenen Abstände im jeweiligen Einzelfall anhand aller relevanten störfallspezifischen Faktoren festzulegen (EuGH a.a.O. Rn. 45 und 50).

17

Die nationalen Behörden haben im Falle der Ansiedlung eines öffentlich genutzten Gebäudes in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs den Anstieg des Unfallrisikos oder die Verschlimmerung der Unfallfolgen zu bewerten (Art. 12 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 96/82/EG; EuGH a.a.O. Rn. 43). Das erfordert jedenfalls dann, wenn die Behörde Anhaltspunkte dafür hat, dass das zur Genehmigung gestellte Vorhaben den angemessenen Abstand nicht einhält (vgl. Uechtritz, BauR 2012, 1039 <1047>), eine Abschätzung nicht nur der Risiken und Schäden, sondern auch aller anderen in jedem Einzelfall relevanten (störfall-) "spezifischen Faktoren", die je nach den besonderen Gegebenheiten der Gebiete unterschiedlich ausfallen können (EuGH a.a.O. Rn. 43 f.). Das wird in aller Regel nicht ohne eine Heranziehung technisch-fachlichen Sachverstands möglich sein. Gegebenenfalls kann auch in Betracht kommen, vom Vorhabenträger die Vorlage eines entsprechenden Gutachtens zu verlangen (Uechtritz, a.a.O. S. 1047).

18

Als störfallspezifische Faktoren, die im jeweiligen Einzelfall relevant sein können, nennt der EuGH (a.a.O. Rn. 44) die Art der jeweiligen gefährlichen Stoffe, die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines schweren Unfalls, die Folgen eines etwaigen Unfalls für die menschliche Gesundheit und die Umwelt, die Art der Tätigkeit der neuen Ansiedlung, die Intensität ihrer öffentlichen Nutzung sowie die Leichtigkeit, mit der Notfallkräfte bei einem Unfall eingreifen können. Die Nennungen sind nur beispielhaft. In Betracht zu ziehen sind ferner, wie der EuGH (a.a.O. Rn. 43) betont, vorhabenbedingte Veränderungen, etwa die Verschlimmerung von Unfallfolgen durch einen vorhabenbedingten Anstieg der möglicherweise betroffenen Personen. Andererseits können aber auch technische Maßnahmen zur Verminderung des Unfallrisikos oder zur weiteren Begrenzung möglicher Unfallfolgen zu berücksichtigen sein, sei es im Betriebsbereich, soweit diese dem Betreiber des Störfallbetriebs auferlegt werden können, sei es außerhalb des Betriebsbereichs, wie etwa Nutzungseinschränkungen oder besondere bauliche Anforderungen an das an den Störfallbetrieb heranrückende Vorhaben, sofern über diese Maßnahmen mögliche Schadensfolgen und damit auch die Angemessenheit des Abstands beeinflusst werden können (vgl. auch Berkemann, ZfBR 2010, 18 <24>).

19

Im Hinblick auf sonstige - nicht störfallspezifische - Belange unterliegt der angemessene Abstand demgegenüber keiner Relativierung (zutreffend Uechtritz, a.a.O. S. 1046 f.). Insbesondere haben "sozioökonomische" Faktoren, die der EuGH (a.a.O. Rn. 46) in diesem Zusammenhang nennt, bei der Festlegung des "angemessenen" Abstands außer Betracht zu bleiben. Das ergibt sich zum einen daraus, dass der EuGH die vom Senat im Vorlagebeschluss vertretene Auffassung ausdrücklich bestätigt hat, wonach insbesondere soziale, ökologische und wirtschaftliche Belange zwar im jeweiligen Einzelfall "abwägungsrelevante" sonstige Faktoren sein können, die den Ausschlag für die Zulassung eines öffentlich genutzten Gebäudes innerhalb der gegenüber einem Störfallbetrieb grundsätzlich zu wahrenden angemessenen Abstände geben können, aber den störfallspezifischen Faktoren gerade gegenüberstehen. Zum anderen bestimmen die "angemessenen" Abstände generell den Anwendungsbereich der Richtlinie 96/82/EG, und zwar auch insoweit, als die Verhütung schwerer Unfälle sowie die Begrenzung der Unfallfolgen durch Betreiberpflichten nach deren Art. 5 sichergestellt werden soll (EuGH a.a.O. Rn. 37); es ist nicht ernstlich in Erwägung zu ziehen, dass die Richtlinie den Umfang der Betreiberpflichten und damit auch das Risikopotential eines Störfallbetriebs von sozioökonomischen Faktoren abhängig machen will (Uechtritz, a.a.O.).

20

Der Begriff des "angemessenen" Abstands ist ein zwar unbestimmter, aber technisch-fachlich bestimmbarer Rechtsbegriff. Im Einzelfall können erhebliche Unsicherheiten bestehen, welcher Abstand angemessen ist. Die Angemessenheit kann von einer Vielzahl störfallrelevanter technischer Faktoren abhängen und je nach den besonderen Gegebenheiten der Gebiete und den Besonderheiten des Einzelfalls in erheblichem Maße unterschiedlich ausfallen (EuGH, Urteil vom 15. September 2011 - Rs. C-53/10 - UPR 2011, 443 Rn. 44). Präzise, absolute und objektive Grenzen der "Gefahrenzone" um einen Störfallbetrieb kann es insoweit nicht geben (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 14. April 2011 in der Rs. C-53/10 - im Folgenden: Schlussanträge - juris Rn. 39). Gleichwohl unterliegt die behördliche Festlegung des angemessenen Abstands der vollen gerichtlichen Überprüfung (Kraus, ZfBR 2012, 324 <329 f.>; vgl. Berkemann, a.a.O. S. 27); ein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum kommt der Genehmigungsbehörde insoweit nicht zu. Die in der Vorabentscheidung (EuGH a.a.O. Rn. 24) verwendete Formulierung, Art. 12 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 96/82/EG lasse den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Festlegung dieser Abstände einen "Wertungsspielraum", von dem aber jedenfalls innerhalb der Grenzen der Verpflichtung, der Wahrung angemessener Abstände Rechnung zu tragen, Gebrauch gemacht werden müsse, bezieht sich nach dem Verständnis des EuGH (z.B. a.a.O. Rn. 45 f.) ersichtlich nicht auf die Ermittlung, sondern auf die "Berücksichtigung" des angemessenen Abstands.

21

b) Dieser Berücksichtigungspflicht hat die Genehmigungsbehörde in einem zweiten Schritt nachzukommen, wenn das Neuansiedlungsvorhaben innerhalb des angemessenen Abstands liegt.

22

Diese Verpflichtung ist nicht im Sinne eines Verschlechterungsverbots zu verstehen. Zwar wird mit jedem Vorhaben, das den angemessenen Abstand unterschreitet, der störfallrechtlich unerwünschte Zustand in der Regel weiter verfestigt. Gleichwohl zwingt Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG die Baugenehmigungsbehörden nicht dazu, Neuansiedlungen in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs ausnahmslos abzulehnen und das Abstandskriterium damit zum alleinigen Genehmigungs- oder Ablehnungskriterium zu machen. Allein die Zuerkennung eines Wertungsspielraums ermöglicht es, die volle praktische Wirksamkeit des Erfordernisses sicherzustellen (EuGH a.a.O. Rn. 45). Deshalb erscheint es grundsätzlich denkbar, ein öffentlich genutztes Gebäude je nach den Umständen des Einzelfalls auch innerhalb der angemessenen Abstände zuzulassen. Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG gestattet es, den "störfalltechnisch" ermittelten angemessenen Abstand zu unterschreiten, wenn im Einzelfall hinreichend gewichtige Belange für die Zulassung des Vorhabens streiten. In Betracht kommen insbesondere soziale, ökologische und wirtschaftliche Belange. Diese Auffassung hatte der Senat bereits in seinem Vorlagebeschluss vertreten. Der EuGH (a.a.O. Rn. 44) hat sie in seiner Vorabentscheidung ausdrücklich bestätigt. Störfallspezifische Faktoren können nach den Worten des EuGH (a.a.O.) mit "sozioökonomischen Faktoren zusammentreffen". Es unterliegt keinen Zweifeln, dass der EuGH ihnen die Eigenschaft von Belangen zumisst, die den störfallspezifischen Faktoren gegenüberstehen, die mithin auf der anderen Seite "in die Gleichung" (Schlussanträge a.a.O. Rn. 41) einzustellen sind.

23

Andererseits kann der Wertungsspielraum der Mitgliedstaaten nicht so ausgelegt werden, dass er es ihnen gestatten würde, von der Berücksichtigung angemessener Abstände abzusehen (EuGH a.a.O. Rn. 49). Die "Berücksichtigung" angemessener Abstände verlangt, dass diese bei der Risikobewertung - sei es auf planerischer Ebene, sei es bei der Vorhabenzulassung - neben anderen Faktoren auch tatsächlich berücksichtigt werden (EuGH a.a.O. Rn. 50). Daraus folgt, dass Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG einer nationalen Regelung entgegensteht, soweit sie vorschreibt, dass die Genehmigung eines öffentlich genutzten Gebäudes in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs zwingend zu erteilen ist, ohne dass die Risiken der Ansiedlung innerhalb der angemessenen Abstände im Genehmigungsverfahren gebührend gewürdigt worden wären (EuGH a.a.O. LS 2 Satz 2 und Rn. 51). Die Genehmigungsbehörde muss sich folglich in jedem Einzelfall darüber Gedanken machen, ob ein Unterschreiten des eigentlich erforderlichen "angemessenen Abstands" im Hinblick auf sonstige - nicht störfallspezifische - Faktoren vertretbar ist (Uechtritz, BauR 2012, 1039 <1047>), sofern dies nicht bereits seitens der Planungsbehörden geschehen ist (EuGH a.a.O. Rn. 28). Das verkennt die Klägerin, die sich auf den Standpunkt stellt, der EuGH habe das in § 34 Abs. 1 BauGB zum Ausdruck kommende Konzept des deutschen Gesetzgebers gebilligt, der bereits auf gesetzlicher Grundlage eine "generalisierende Risikobewertung" in der Weise vorgenommen habe, dass die Genehmigung im Falle einer Vorbelastung stets zu erteilen sei.

24

Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG enthält ferner die zeitliche Vorgabe, dass dem Erfordernis der Wahrung eines angemessenen Abstands "langfristig" Rechnung zu tragen ist. Diese zielt darauf ab, dass Abstände dort, wo sie bereits eingehalten werden, gewahrt bleiben, und dass sie für die Zukunft als langfristiges Ziel aufgestellt werden, wenn sie noch nicht umgesetzt worden sind (EuGH a.a.O. Rn. 47; vgl. auch Schlussanträge a.a.O. Rn. 40). Liegt ein Neuansiedlungsvorhaben innerhalb der angemessenen Abstände, ist deshalb wie folgt zu differenzieren: Die erstmalige Schaffung einer Gemengelage wird im Regelfall unzulässig sein, weil ein angemessener Abstand, der bisher eingehalten ist, auch in Zukunft - langfristig - gewahrt bleiben muss (Schlussanträge a.a.O.; Uechtritz, a.a.O. S. 1048). Ist der angemessene Abstand demgegenüber schon bisher nicht eingehalten, greift der Wertungsspielraum, den der EuGH den Genehmigungsbehörden im Rahmen des Erfordernisses, der Wahrung angemessener Abstände Rechnung zu tragen, zuerkannt hat.

25

In welcher Weise dieser Wertungsspielraum auszufüllen ist, gibt Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG den Mitgliedstaaten nicht vor. Insbesondere legt die Norm die Mitgliedstaaten nicht auf eine durch planerische Gestaltungsspielräume gekennzeichnete, prinzipiell ergebnisoffene Abwägung fest (a.A. Jäde, Publicus 2011.11, 4 <5> (online); vgl. auch Uechtritz, a.a.O. S. 1052), etwa im Sinne des § 1 Abs. 7 BauGB. Der Vorabentscheidung lassen sich auch keine Hinweise entnehmen, die erkennen ließen, dass der EuGH die Berücksichtigung des Abstandserfordernisses im Wege der Vorhabenzulassung verfahrensrechtlich nur um den Preis einer Systemänderung akzeptieren würde (a.A. Jäde, a.a.O. und Uechtritz, a.a.O. S. 1051 ff.). Die Richtlinie verlangt nur, dass das fragliche Erfordernis zu irgendeinem Zeitpunkt des Verfahrens zur Durchführung der Pläne oder Politiken zur Flächennutzung oder Flächenausweisung beachtet werden muss, der aber von den Mitgliedstaaten frei bestimmt werden kann (EuGH a.a.O. z.B. Rn. 26, 27, 28). Im Übrigen respektiert sie die mitgliedstaatlichen Systementscheidungen. Schon gar nicht erzwingt sie eine "Strukturrevolution" (so aber Jäde, a.a.O.). Auch die auf eine umfassende Öffentlichkeitsbeteiligung gerichteten Reformvorschläge der Kommission (KOM(2010)781 vom 21. Dezember 2010; BTDrucks 17/5891 vom 24. Mai 2011) bei allen von Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG erfassten "neuen Bauprojekten", stellen den Weg einer Umsetzung des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG im Rahmen der gebundenen Entscheidung nicht in Frage. Öffentlichkeitsbeteiligungen sind auch nach bisherigen nationalrechtlichen Maßstäben einem gebundenen Genehmigungsanspruch nicht fremd (vgl. etwa § 10 Abs. 3 bis 6 BImSchG). Die Richtlinie lässt den Mitgliedstaaten mithin auch in instrumenteller Hinsicht Spielräume, um das Abstandserfordernis in bestehende nationalrechtliche Systementscheidungen einzupassen, sei es "in allgemeiner Weise bei der Aufstellung der Flächenausweisungs- oder Flächennutzungspläne", sei es - mangels einer Planung - "in spezifischer Weise ... beim Erlass von Entscheidungen über Baugenehmigungen" (EuGH, Urteil vom 15. September 2011 - Rs. C-53/10 - UPR 2011, 443 Rn. 50). Beide Wege sieht der EuGH insoweit grundsätzlich als gleichwertig an. Die Planungsbehörden sind deshalb nicht gehindert, die Pflicht zur Berücksichtigung angemessener Abstände auf die Genehmigungsbehörden zu übertragen (EuGH a.a.O. Rn. 26).

26

Entscheidet sich die Gemeinde für das Instrument der Bauleitplanung, ist den Erfordernissen des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG in planerischer Weise Rechnung zu tragen. Die von der Richtlinie geforderten Wertungsspielräume gehen im bauleitplanerischen Abwägungsgebot (§ 1 Abs. 7, § 2 Abs. 3 BauGB) auf, in dessen Rahmen der Trennungsgrundsatz (§ 50 BImSchG) als Abwägungsdirektive zu beachten ist. Die Ergebnisse der Planung unterliegen einer nur eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Unterbleibt eine Planung, ist dem Abstandserfordernis "in spezifischer Weise" im Rahmen der Vorhabenzulassung Rechnung zu tragen. Unionsrechtlich gefordert, aber auch ausreichend ist insoweit eine "nachvollziehende" Abwägung (im Ergebnis ebenso OVG Münster, Beschluss vom 21. Februar 2012 - 2 B 15/12 - juris Rn. 22 und - vorausgehend - VG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Dezember 2011 - 25 L 581/11 - juris Rn. 62; zum Begriff der "nachvollziehenden" Abwägung BVerwG, Urteil vom 19. Juli 2001 - BVerwG 4 C 4.00 - BVerwGE 115, 17 <24 f.>; vgl. im Überblick auch Roeser, in: Berliner Kommentar zum BauGB, Stand November 2012, § 35 Rn. 10), verstanden als ein Vorgang der Rechtsanwendung, der eine auf den Einzelfall ausgerichtete Gewichtsbestimmung verlangt. Sie ist nicht planerische Abwägung im Sinne rechtsgeleiteter politischer Dezision, sondern sachgeleitete Wertung, und unterliegt insoweit der vollen gerichtlichen Kontrolle (Uechtritz, BauR 2012, 1039 <1050 f.>; Kraft, in: Spannowsky/Uechtritz, BauGB, 2009, § 38 Rn. 25).

27

Wie weit die Leistungsfähigkeit des Instruments der "nachvollziehenden" Abwägung reicht, ist keine Frage des Unionsrechts, sondern des nationalen Rechts. Ist die Leistungsfähigkeitsgrenze überschritten, ist der Weg einer gebundenen Entscheidung mit einer lediglich "nachvollziehenden" Abwägung versperrt. Einer Vorhabenzulassung kann dann nur auf der Grundlage eines Bebauungsplans näher getreten werden, bei dessen Aufstellung die Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG im Rahmen des Abwägungsgebots planerisch zu bewältigen und zu verantworten sind.

28

2. Den Anforderungen, die Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG an die Zulassung von Vorhaben in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs stellt, ist durch eine richtlinienkonforme Auslegung des in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltenen Rücksichtnahmegebots Rechnung zu tragen.

29

Unter Zugrundelegung der Entscheidung des EuGH (a.a.O.) und der unter 1. b) gemachten Ausführungen ist zunächst davon auszugehen, dass Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG keine unmittelbare Wirkung im Sinne der Rechtsprechung des EuGH (vgl. hierzu etwa Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 288 Rn. 47 ff.) entfaltet. Damit bleibt nationales Recht - hier § 34 Abs. 1 BauGB - weiter anwendbar. Der Senat hat allerdings das nationale Gesetz soweit wie möglich richtlinienkonform auszulegen, um sich dadurch die Möglichkeit zu verschaffen, im Rahmen seiner Zuständigkeit die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten (EuGH a.a.O. Rn. 32 bis 34 und 52). Dieses Ziel wird durch eine richtlinienkonforme Handhabung des in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltenen Rücksichtnahmegebots erreicht, die sich auch mit den in § 34 Abs. 1 BauGB angelegten Systemmerkmalen verträgt. Eines Rückgriffs auf die im Schrifttum erörterten sonstigen Möglichkeiten der Implementierung des Unionsrechts (vgl. dazu im Überblick Uechtritz, a.a.O. S. 1049 ff.) bedarf es mithin nicht.

30

a) Einer richtlinienkonformen Auslegung steht nicht entgegen, dass sich das Vorhaben in die Eigenart der "näheren Umgebung" einfügen muss. Schon nach bisherigem Verständnis ist hierbei auf diejenige Umgebung abzustellen, auf die sich die Ausführung des Vorhabens auswirken kann und die ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst (Urteil vom 26. Mai 1978 - BVerwG 4 C 9.77 - BVerwGE 55, 369 <380>). Störfallrechtliche Konfliktlagen lassen sich hierunter auch insoweit subsumieren, als sie über den unmittelbaren Nahbereich hinausreichen, weil und soweit sie die bodenrechtliche Situation eines Vorhabengrundstücks prägen. Abgesehen davon sind städtebauliche Fernwirkungen dem Entscheidungsprogramm des § 34 BauGB generell nicht mehr fremd, seit der Gesetzgeber mit dem EAG Bau 2004 den Maßstab des § 34 Abs. 3 BauGB in das Prüfprogramm integriert hat (Kraus, ZfBR 2012, 324<329>).

31

b) Das in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltene Rücksichtnahmegebot bietet eine geeignete Anknüpfung für die unionsrechtlich geforderte "nachvollziehende" Abwägung.

32

Ein Vorhaben, das sich in jeder Hinsicht innerhalb des aus seiner Umgebung hervorgehenden Rahmens hält, fügt sich in die Eigenart der näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB dann nicht ein, wenn das Vorhaben es an der gebotenen Rücksichtnahme auf die sonstige, d.h. vor allem auf die in seiner unmittelbaren Nähe vorhandene Bebauung fehlen lässt (Urteil vom 26. Mai 1978 a.a.O. S. 386 m.w.N.). Ziel des Rücksichtnahmegebots ist es, einander abträgliche Nutzungen in rücksichtsvoller Weise zuzuordnen sowie Spannungen und Störungen zu vermeiden. Welche Anforderungen sich hieraus ergeben, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab, namentlich davon, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist (stRspr; zuletzt Urteil vom 29. November 2012 - BVerwG 4 C 8.11 - juris Rn. 16 m.w.N.). Es wird dabei durch die Begriffsbestimmungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und den auf dieser Grundlage ergangenen rechtsförmlichen technischen Regelwerken und normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften näher bestimmt (vgl. Urteil vom 23. September 1999 - BVerwG 4 C 6.98 - BVerwGE 109, 314 <319 f.>). Im Übrigen ist eine Einzelfallbeurteilung geboten.

33

Das Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme erweist sich insoweit als wertungsoffenes Korrektiv (vgl. auch Berkemann, ZfBR 2010, 18 <30>: "planerisches Korrektiv"), das auch für störfallrechtlich vorgegebene Wertungen offensteht. Es erlaubt die in Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG geforderte abwägende Gegenüberstellung von störfallspezifischen und nicht störfallspezifischen, insbesondere "sozioökonomischen" Faktoren, um auf dieser Grundlage entscheiden zu können, ob im Einzelfall ein Unterschreiten des eigentlich erforderlichen "angemessenen" Abstands ausnahmsweise vertretbar ist. Insoweit unterscheiden sich störfallrechtliche nicht grundlegend von anderen immissionsschutzrechtlichen Konfliktsituationen. Das Rücksichtnahmegebot ist deshalb ein geeigneter Rahmen auch für die unionsrechtlich geforderte "nachvollziehende" Abwägung, innerhalb derer die Genehmigungsbehörde den ihr nach Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG zukommenden Wertungsspielraum auszufüllen hat. Unerheblich ist, dass der Begriff der "nachvollziehenden" Abwägung in der Senatsrechtsprechung für Fälle im Anwendungsbereich des § 35 BauGB entwickelt und darüber hinaus bisher - soweit ersichtlich - lediglich im Bereich des § 38 BauGB thematisiert worden ist. Der Sache nach ist auch die im Rahmen des Rücksichtnahmegebots zu treffende Entscheidung sachgeleitete Wertung, die ebenfalls der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt (vgl. Kraft, a.a.O.).

34

Einer Anpassung bedarf die Dogmatik des Rücksichtnahmegebots im störfallrechtlichen Zusammenhang allerdings insoweit, als Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG verlangt, dass der angemessene Abstand bei der Risikobewertung neben anderen Faktoren - wie dargestellt - auch im Fall einer bestehenden Vorbelastung tatsächlich berücksichtigt wird. In Anbetracht der in der Richtlinie zum Ausdruck kommenden besonderen Zielsetzung (Art. 1 der Richtlinie 96/82/EG), die Folgen schwerer Unfälle für Mensch und Umwelt nicht nur durch eine entsprechende Ausgestaltung der Betreiberpflichten (Art. 5 der Richtlinie 96/82/EG), sondern auch durch die Wahrung angemessener Abstände (Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG) zu begrenzen, darf eine bestehende Vorbelastung nicht dazu führen, die durch eine Neuansiedlung im Fall eines Störfalls zusätzlich exponierten Menschen auszublenden. Bedenkt man ferner, dass die erstmalige Schaffung einer störfallrechtlichen Gemengelage - wie dargestellt - im Regelfall ohnehin unzulässig sein wird, weil ein angemessener Abstand, der bisher eingehalten ist, "langfristig", also auch in Zukunft gewahrt bleiben muss (Beschluss vom 3. Dezember 2009 - BVerwG 4 C 5.09 - juris Rn. 32; Uechtritz, BauR 2012, 1039 <1048 ff.>), liegt auf der Hand, dass eine bestehende Vorbelastung im Störfallrecht nicht Grenze, sondern vielmehr gerade Voraussetzung des Wertungsspielraums ist, den Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG eröffnet. Das Kriterium der Vorbelastung ist deshalb im Störfallrecht bei richtlinienkonformer Handhabung unbrauchbar.

35

c) Von vornherein überschritten sind allerdings die Leistungsgrenzen des Rücksichtnahmegebots, wenn die nach Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG zu berücksichtigenden "sozioökonomischen Faktoren" den Rahmen der im Rücksichtnahmegebot abgebildeten gegenseitigen Interessenbeziehung zwischen Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits verlassen, etwa dann, wenn nicht individuelle, sondern städtebauliche Gründe für eine Zulassung eines Vorhabens in der Gefahrenzone eines Störfallbetriebs streiten, oder wenn Alternativstandorte für die Verwirklichung des Vorhabens in Frage stehen. Entsprechendes gilt, wenn ein Neuansiedlungsvorhaben städtebauliche Spannungen bewirkt, die im Wege einer "nachvollziehenden" Abwägung nicht beseitigt werden können, sondern einer planerischen Bewältigung bedürfen, oder wenn eine rechtsfehlerfreie Konfliktbewältigung auf das Festsetzungsinstrumentarium der Bauleitplanung angewiesen ist. In all diesen Fällen ist eine Zulassung des Vorhabens auf der Grundlage des § 34 Abs. 1 BauGB abzulehnen, weil es einen Koordinierungsbedarf auslöst, dem nicht das Konditionalprogramm des Rechts der Vorhabenzulassung, sondern nur eine förmliche Planung Rechnung zu tragen vermag (vgl. Urteil vom 1. August 2002 - BVerwG 4 C 5.01 - BVerwGE 117, 25 <29 f.>; jüngst auch Urteil vom 2. Februar 2012 - BVerwG 4 C 14.10 - BVerwGE 142, 1 ). Entschließt sich die Gemeinde in diesen Fällen zur Bauleitplanung, ist auch dem Abstandserfordernis planerisch Rechnung zu tragen.

36

3. Diesen Einfluss des Unionsrechts auf die Handhabung des Rücksichtnahmegebots hat das Berufungsurteil verkannt.

37

Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar zu Recht angenommen, dass die Pflicht zur Rücksichtnahme grundsätzlich nicht unabhängig von etwaigen Vorbelastungen bewertet werden kann (Beschluss vom 3. Dezember 2009 a.a.O. Rn. 14 m.w.N.). Er hat allerdings nicht erkannt, dass das Kriterium der Vorbelastung im Störfallrecht unbrauchbar ist, weil es - wie der EuGH mit bindender Wirkung für die mitgliedstaatliche Rechtsanwendung vorgegeben hat - die Mitgliedstaaten nicht von der sich aus Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG ergebenden Verpflichtung befreit, die Risiken der Neuansiedlung eines öffentlich genutzten Gebäudes innerhalb des angemessenen Abstands gebührend zu würdigen.

38

Mangels Bebauungsplanung war die Genehmigungsbehörde in der Pflicht, bei der Entscheidung über den von der Klägerin beantragten Bauvorbescheid dem Abstandserfordernis Rechnung zu tragen. Dieser Verpflichtung ist sie nicht nachgekommen. Sie hat es unterlassen, vor ihrer Entscheidung zu ermitteln, welcher Abstand gegenüber dem Störfallbetrieb der Beigeladenen angemessen ist und ob das streitgegenständliche Gartencenter innerhalb dieser Abstandsgrenze liegt; den TÜV hatte sie erst im Zusammenhang mit dem Bauantrag der Klägerin im Verfahren BVerwG 4 C 12.11 mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt.

39

Dieses Versäumnis hätte der Verwaltungsgerichtshof zum Anlass nehmen müssen, die erforderlichen Ermittlungen und Bewertung im Rahmen seiner uneingeschränkten gerichtlichen Prüfungskompetenz selbst vorzunehmen. Er hätte feststellen müssen, welcher Abstand angemessen ist und ob das streitgegenständliche Gartencenter innerhalb dieses angemessenen Abstands liegt, etwa weil die vom TÜV gutachtlich ermittelten "Achtungsgrenzen" die Abstandsgrenzen zutreffend wiedergeben. Bejahendenfalls wäre er gehalten gewesen, zu ermitteln, ob und gegebenenfalls welche nicht-störfallspezifischen Faktoren dem Abstandserfordernis gegenüberstehen. Er hätte sich vergewissern müssen, dass die in Betracht kommenden Faktoren das Entscheidungsprogramm des § 34 Abs. 1 BauGB nicht überfordern, etwa, weil nur individuelle Gründe der Vorhabenträgerin in Frage stehen. Schließlich hätte er auf dieser Grundlage im Wege der "nachvollziehenden" Abwägung darüber befinden müssen, ob im Hinblick auf diese Gründe ein Unterschreiten des "angemessenen Abstands" vertretbar und deshalb eine Zulassung des Vorhabens innerhalb der Abstandsgrenzen gerechtfertigt erscheint. An all dem fehlt es.

40

4. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden (§ 144 Abs. 3 VwGO). Es fehlen bereits abschließende tatrichterliche Feststellungen zu den maßgeblichen Faktoren zur Bestimmung des angemessenen Abstands (vgl. oben 1.) sowie dazu, ob das streitgegenständliche Gartencenter innerhalb dieses Abstands liegt. Die Sache ist deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

(1) Im Flächennutzungsplan können die für die Bebauung vorgesehenen Flächen nach der allgemeinen Art ihrer baulichen Nutzung (Bauflächen) dargestellt werden als

1.Wohnbauflächen(W)
2.gemischte Bauflächen(M)
3.gewerbliche Bauflächen(G)
4.Sonderbauflächen(S).

(2) Die für die Bebauung vorgesehenen Flächen können nach der besonderen Art ihrer baulichen Nutzung (Baugebiete) dargestellt werden als

1.Kleinsiedlungsgebiete(WS)
2.reine Wohngebiete(WR)
3.allgemeine Wohngebiete(WA)
4.besondere Wohngebiete(WB)
5.Dorfgebiete(MD)
6.dörfliche Wohngebiete(MDW)
7.Mischgebiete(MI)
8.urbane Gebiete(MU)
9.Kerngebiete(MK)
10.Gewerbegebiete(GE)
11.Industriegebiete(GI)
12.Sondergebiete(SO).

(3) Im Bebauungsplan können die in Absatz 2 bezeichneten Baugebiete festgesetzt werden. Durch die Festsetzung werden die Vorschriften der §§ 2 bis 14 Bestandteil des Bebauungsplans, soweit nicht auf Grund der Absätze 4 bis 10 etwas anderes bestimmt wird. Bei Festsetzung von Sondergebieten finden die Vorschriften über besondere Festsetzungen nach den Absätzen 4 bis 10 keine Anwendung; besondere Festsetzungen über die Art der Nutzung können nach den §§ 10 und 11 getroffen werden.

(4) Für die in den §§ 4 bis 9 bezeichneten Baugebiete können im Bebauungsplan für das jeweilige Baugebiet Festsetzungen getroffen werden, die das Baugebiet

1.
nach der Art der zulässigen Nutzung,
2.
nach der Art der Betriebe und Anlagen und deren besonderen Bedürfnissen und Eigenschaften
gliedern. Die Festsetzungen nach Satz 1 können auch für mehrere Gewerbegebiete einer Gemeinde im Verhältnis zueinander getroffen werden; dies gilt auch für Industriegebiete. Absatz 5 bleibt unberührt.

(5) Im Bebauungsplan kann festgesetzt werden, dass bestimmte Arten von Nutzungen, die nach den §§ 2 bis 9 sowie 13 und 13a allgemein zulässig sind, nicht zulässig sind oder nur ausnahmsweise zugelassen werden können, sofern die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets gewahrt bleibt.

(6) Im Bebauungsplan kann festgesetzt werden, dass alle oder einzelne Ausnahmen, die in den Baugebieten nach den §§ 2 bis 9 vorgesehen sind,

1.
nicht Bestandteil des Bebauungsplans werden oder
2.
in dem Baugebiet allgemein zulässig sind, sofern die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets gewahrt bleibt.

(7) In Bebauungsplänen für Baugebiete nach den §§ 4 bis 9 kann, wenn besondere städtebauliche Gründe dies rechtfertigen (§ 9 Absatz 3 des Baugesetzbuchs), festgesetzt werden, dass in bestimmten Geschossen, Ebenen oder sonstigen Teilen baulicher Anlagen

1.
nur einzelne oder mehrere der in dem Baugebiet allgemein zulässigen Nutzungen zulässig sind,
2.
einzelne oder mehrere der in dem Baugebiet allgemein zulässigen Nutzungen unzulässig sind oder als Ausnahme zugelassen werden können oder
3.
alle oder einzelne Ausnahmen, die in den Baugebieten nach den §§ 4 bis 9 vorgesehen sind, nicht zulässig oder, sofern die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets gewahrt bleibt, allgemein zulässig sind.

(8) Die Festsetzungen nach den Absätzen 4 bis 7 können sich auch auf Teile des Baugebiets beschränken.

(9) Wenn besondere städtebauliche Gründe dies rechtfertigen, kann im Bebauungsplan bei Anwendung der Absätze 5 bis 8 festgesetzt werden, dass nur bestimmte Arten der in den Baugebieten allgemein oder ausnahmsweise zulässigen baulichen oder sonstigen Anlagen zulässig oder nicht zulässig sind oder nur ausnahmsweise zugelassen werden können.

(10) Wären bei Festsetzung eines Baugebiets nach den §§ 2 bis 9 in überwiegend bebauten Gebieten bestimmte vorhandene bauliche und sonstige Anlagen unzulässig, kann im Bebauungsplan festgesetzt werden, dass Erweiterungen, Änderungen, Nutzungsänderungen und Erneuerungen dieser Anlagen allgemein zulässig sind oder ausnahmsweise zugelassen werden können. Im Bebauungsplan können nähere Bestimmungen über die Zulässigkeit getroffen werden. Die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets muss in seinen übrigen Teilen gewahrt bleiben. Die Sätze 1 bis 3 gelten auch für die Änderung und Ergänzung von Bebauungsplänen.

(1) Als sonstige Sondergebiete sind solche Gebiete darzustellen und festzusetzen, die sich von den Baugebieten nach den §§ 2 bis 10 wesentlich unterscheiden.

(2) Für sonstige Sondergebiete sind die Zweckbestimmung und die Art der Nutzung darzustellen und festzusetzen. Als sonstige Sondergebiete kommen insbesondere in Betracht
Gebiete für den Fremdenverkehr, wie Kurgebiete und Gebiete für die Fremdenbeherbergung, auch mit einer Mischung von Fremdenbeherbergung oder Ferienwohnen einerseits sowie Dauerwohnen andererseits,
Ladengebiete,
Gebiete für Einkaufszentren und großflächige Handelsbetriebe,
Gebiete für Messen, Ausstellungen und Kongresse,
Hochschulgebiete,
Klinikgebiete,
Hafengebiete,
Gebiete für Anlagen, die der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung erneuerbarer Energien, wie Windenergie und solare Strahlungsenergie, dienen.

(3)

1.
Einkaufszentren,
2.
großflächige Einzelhandelsbetriebe, die sich nach Art, Lage oder Umfang auf die Verwirklichung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung oder auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung nicht nur unwesentlich auswirken können,
3.
sonstige großflächige Handelsbetriebe, die im Hinblick auf den Verkauf an letzte Verbraucher und auf die Auswirkungen den in Nummer 2 bezeichneten Einzelhandelsbetrieben vergleichbar sind,
sind außer in Kerngebieten nur in für sie festgesetzten Sondergebieten zulässig. Auswirkungen im Sinne des Satzes 1 Nummer 2 und 3 sind insbesondere schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des § 3 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes sowie Auswirkungen auf die infrastrukturelle Ausstattung, auf den Verkehr, auf die Versorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich der in Satz 1 bezeichneten Betriebe, auf die Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden, auf das Orts- und Landschaftsbild und auf den Naturhaushalt. Auswirkungen im Sinne des Satzes 2 sind bei Betrieben nach Satz 1 Nummer 2 und 3 in der Regel anzunehmen, wenn die Geschossfläche 1 200 m2überschreitet. Die Regel des Satzes 3 gilt nicht, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Auswirkungen bereits bei weniger als 1 200 m2Geschossfläche vorliegen oder bei mehr als 1 200 m2Geschossfläche nicht vorliegen; dabei sind in Bezug auf die in Satz 2 bezeichneten Auswirkungen insbesondere die Gliederung und Größe der Gemeinde und ihrer Ortsteile, die Sicherung der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung und das Warenangebot des Betriebs zu berücksichtigen.

(1) Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden.

(2) Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der auf Grund des § 9a erlassenen Verordnung bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre; auf die nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31 Absatz 1, im Übrigen ist § 31 Absatz 2 entsprechend anzuwenden.

(3) Von Vorhaben nach Absatz 1 oder 2 dürfen keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein.

(3a) Vom Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nach Absatz 1 Satz 1 kann im Einzelfall abgewichen werden, wenn die Abweichung

1.
einem der nachfolgend genannten Vorhaben dient:
a)
der Erweiterung, Änderung, Nutzungsänderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten Gewerbe- oder Handwerksbetriebs,
b)
der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten, Wohnzwecken dienenden Gebäudes oder
c)
der Nutzungsänderung einer zulässigerweise errichteten baulichen Anlage zu Wohnzwecken, einschließlich einer erforderlichen Änderung oder Erneuerung,
2.
städtebaulich vertretbar ist und
3.
auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
Satz 1 findet keine Anwendung auf Einzelhandelsbetriebe, die die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung beeinträchtigen oder schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden haben können. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 Buchstabe b und c kann darüber hinaus vom Erfordernis des Einfügens im Einzelfall im Sinne des Satzes 1 in mehreren vergleichbaren Fällen abgewichen werden, wenn die übrigen Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und die Aufstellung eines Bebauungsplans nicht erforderlich ist.

(4) Die Gemeinde kann durch Satzung

1.
die Grenzen für im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen,
2.
bebaute Bereiche im Außenbereich als im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, wenn die Flächen im Flächennutzungsplan als Baufläche dargestellt sind,
3.
einzelne Außenbereichsflächen in die im Zusammenhang bebauten Ortsteile einbeziehen, wenn die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt sind.
Die Satzungen können miteinander verbunden werden.

(5) Voraussetzung für die Aufstellung von Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 ist, dass

1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sind,
2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und
3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
In den Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 können einzelne Festsetzungen nach § 9 Absatz 1 und 3 Satz 1 sowie Absatz 4 getroffen werden. § 9 Absatz 6 und § 31 sind entsprechend anzuwenden. Auf die Satzung nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 3 sind ergänzend § 1a Absatz 2 und 3 und § 9 Absatz 1a entsprechend anzuwenden; ihr ist eine Begründung mit den Angaben entsprechend § 2a Satz 2 Nummer 1 beizufügen.

(6) Bei der Aufstellung der Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 sind die Vorschriften über die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 13 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3 sowie Satz 2 entsprechend anzuwenden. Auf die Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 bis 3 ist § 10 Absatz 3 entsprechend anzuwenden.

(1) Als sonstige Sondergebiete sind solche Gebiete darzustellen und festzusetzen, die sich von den Baugebieten nach den §§ 2 bis 10 wesentlich unterscheiden.

(2) Für sonstige Sondergebiete sind die Zweckbestimmung und die Art der Nutzung darzustellen und festzusetzen. Als sonstige Sondergebiete kommen insbesondere in Betracht
Gebiete für den Fremdenverkehr, wie Kurgebiete und Gebiete für die Fremdenbeherbergung, auch mit einer Mischung von Fremdenbeherbergung oder Ferienwohnen einerseits sowie Dauerwohnen andererseits,
Ladengebiete,
Gebiete für Einkaufszentren und großflächige Handelsbetriebe,
Gebiete für Messen, Ausstellungen und Kongresse,
Hochschulgebiete,
Klinikgebiete,
Hafengebiete,
Gebiete für Anlagen, die der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung erneuerbarer Energien, wie Windenergie und solare Strahlungsenergie, dienen.

(3)

1.
Einkaufszentren,
2.
großflächige Einzelhandelsbetriebe, die sich nach Art, Lage oder Umfang auf die Verwirklichung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung oder auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung nicht nur unwesentlich auswirken können,
3.
sonstige großflächige Handelsbetriebe, die im Hinblick auf den Verkauf an letzte Verbraucher und auf die Auswirkungen den in Nummer 2 bezeichneten Einzelhandelsbetrieben vergleichbar sind,
sind außer in Kerngebieten nur in für sie festgesetzten Sondergebieten zulässig. Auswirkungen im Sinne des Satzes 1 Nummer 2 und 3 sind insbesondere schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des § 3 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes sowie Auswirkungen auf die infrastrukturelle Ausstattung, auf den Verkehr, auf die Versorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich der in Satz 1 bezeichneten Betriebe, auf die Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden, auf das Orts- und Landschaftsbild und auf den Naturhaushalt. Auswirkungen im Sinne des Satzes 2 sind bei Betrieben nach Satz 1 Nummer 2 und 3 in der Regel anzunehmen, wenn die Geschossfläche 1 200 m2überschreitet. Die Regel des Satzes 3 gilt nicht, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Auswirkungen bereits bei weniger als 1 200 m2Geschossfläche vorliegen oder bei mehr als 1 200 m2Geschossfläche nicht vorliegen; dabei sind in Bezug auf die in Satz 2 bezeichneten Auswirkungen insbesondere die Gliederung und Größe der Gemeinde und ihrer Ortsteile, die Sicherung der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung und das Warenangebot des Betriebs zu berücksichtigen.

(1) Im Bebauungsplan können aus städtebaulichen Gründen festgesetzt werden:

1.
die Art und das Maß der baulichen Nutzung;
2.
die Bauweise, die überbaubaren und die nicht überbaubaren Grundstücksflächen sowie die Stellung der baulichen Anlagen;
2a.
vom Bauordnungsrecht abweichende Maße der Tiefe der Abstandsflächen;
3.
für die Größe, Breite und Tiefe der Baugrundstücke Mindestmaße und aus Gründen des sparsamen und schonenden Umgangs mit Grund und Boden für Wohnbaugrundstücke auch Höchstmaße;
4.
die Flächen für Nebenanlagen, die auf Grund anderer Vorschriften für die Nutzung von Grundstücken erforderlich sind, wie Spiel-, Freizeit- und Erholungsflächen sowie die Flächen für Stellplätze und Garagen mit ihren Einfahrten;
5.
die Flächen für den Gemeinbedarf sowie für Sport- und Spielanlagen;
6.
die höchstzulässige Zahl der Wohnungen in Wohngebäuden;
7.
die Flächen, auf denen ganz oder teilweise nur Wohngebäude, die mit Mitteln der sozialen Wohnraumförderung gefördert werden könnten, errichtet werden dürfen;
8.
einzelne Flächen, auf denen ganz oder teilweise nur Wohngebäude errichtet werden dürfen, die für Personengruppen mit besonderem Wohnbedarf bestimmt sind;
9.
der besondere Nutzungszweck von Flächen;
10.
die Flächen, die von der Bebauung freizuhalten sind, und ihre Nutzung;
11.
die Verkehrsflächen sowie Verkehrsflächen besonderer Zweckbestimmung, wie Fußgängerbereiche, Flächen für das Parken von Fahrzeugen, Flächen für Ladeinfrastruktur elektrisch betriebener Fahrzeuge, Flächen für das Abstellen von Fahrrädern sowie den Anschluss anderer Flächen an die Verkehrsflächen; die Flächen können auch als öffentliche oder private Flächen festgesetzt werden;
12.
die Versorgungsflächen, einschließlich der Flächen für Anlagen und Einrichtungen zur dezentralen und zentralen Erzeugung, Verteilung, Nutzung oder Speicherung von Strom, Wärme oder Kälte aus erneuerbaren Energien oder Kraft-Wärme-Kopplung;
13.
die Führung von oberirdischen oder unterirdischen Versorgungsanlagen und -leitungen;
14.
die Flächen für die Abfall- und Abwasserbeseitigung, einschließlich der Rückhaltung und Versickerung von Niederschlagswasser, sowie für Ablagerungen;
15.
die öffentlichen und privaten Grünflächen, wie Parkanlagen, Naturerfahrungsräume, Dauerkleingärten, Sport-, Spiel-, Zelt- und Badeplätze, Friedhöfe;
16.
a)
die Wasserflächen und die Flächen für die Wasserwirtschaft,
b)
die Flächen für Hochwasserschutzanlagen und für die Regelung des Wasserabflusses,
c)
Gebiete, in denen bei der Errichtung baulicher Anlagen bestimmte bauliche oder technische Maßnahmen getroffen werden müssen, die der Vermeidung oder Verringerung von Hochwasserschäden einschließlich Schäden durch Starkregen dienen, sowie die Art dieser Maßnahmen,
d)
die Flächen, die auf einem Baugrundstück für die natürliche Versickerung von Wasser aus Niederschlägen freigehalten werden müssen, um insbesondere Hochwasserschäden, einschließlich Schäden durch Starkregen, vorzubeugen;
17.
die Flächen für Aufschüttungen, Abgrabungen oder für die Gewinnung von Steinen, Erden und anderen Bodenschätzen;
18.
a)
die Flächen für die Landwirtschaft und
b)
Wald;
19.
die Flächen für die Errichtung von Anlagen für die Kleintierhaltung wie Ausstellungs- und Zuchtanlagen, Zwinger, Koppeln und dergleichen;
20.
die Flächen oder Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Boden, Natur und Landschaft;
21.
die mit Geh-, Fahr- und Leitungsrechten zugunsten der Allgemeinheit, eines Erschließungsträgers oder eines beschränkten Personenkreises zu belastenden Flächen;
22.
die Flächen für Gemeinschaftsanlagen für bestimmte räumliche Bereiche wie Kinderspielplätze, Freizeiteinrichtungen, Stellplätze und Garagen;
23.
Gebiete, in denen
a)
zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes bestimmte Luft verunreinigende Stoffe nicht oder nur beschränkt verwendet werden dürfen,
b)
bei der Errichtung von Gebäuden oder bestimmten sonstigen baulichen Anlagen bestimmte bauliche und sonstige technische Maßnahmen für die Erzeugung, Nutzung oder Speicherung von Strom, Wärme oder Kälte aus erneuerbaren Energien oder Kraft-Wärme-Kopplung getroffen werden müssen,
c)
bei der Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung von nach Art, Maß oder Nutzungsintensität zu bestimmenden Gebäuden oder sonstigen baulichen Anlagen in der Nachbarschaft von Betriebsbereichen nach § 3 Absatz 5a des Bundes-Immissionsschutzgesetzes bestimmte bauliche und sonstige technische Maßnahmen, die der Vermeidung oder Minderung der Folgen von Störfällen dienen, getroffen werden müssen;
24.
die von der Bebauung freizuhaltenden Schutzflächen und ihre Nutzung, die Flächen für besondere Anlagen und Vorkehrungen zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen und sonstigen Gefahren im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes sowie die zum Schutz vor solchen Einwirkungen oder zur Vermeidung oder Minderung solcher Einwirkungen zu treffenden baulichen und sonstigen technischen Vorkehrungen, einschließlich von Maßnahmen zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geräusche, wobei die Vorgaben des Immissionsschutzrechts unberührt bleiben;
25.
für einzelne Flächen oder für ein Bebauungsplangebiet oder Teile davon sowie für Teile baulicher Anlagen mit Ausnahme der für landwirtschaftliche Nutzungen oder Wald festgesetzten Flächen
a)
das Anpflanzen von Bäumen, Sträuchern und sonstigen Bepflanzungen,
b)
Bindungen für Bepflanzungen und für die Erhaltung von Bäumen, Sträuchern und sonstigen Bepflanzungen sowie von Gewässern;
26.
die Flächen für Aufschüttungen, Abgrabungen und Stützmauern, soweit sie zur Herstellung des Straßenkörpers erforderlich sind.

(1a) Flächen oder Maßnahmen zum Ausgleich im Sinne des § 1a Absatz 3 können auf den Grundstücken, auf denen Eingriffe in Natur und Landschaft zu erwarten sind, oder an anderer Stelle sowohl im sonstigen Geltungsbereich des Bebauungsplans als auch in einem anderen Bebauungsplan festgesetzt werden. Die Flächen oder Maßnahmen zum Ausgleich an anderer Stelle können den Grundstücken, auf denen Eingriffe zu erwarten sind, ganz oder teilweise zugeordnet werden; dies gilt auch für Maßnahmen auf von der Gemeinde bereitgestellten Flächen.

(2) Im Bebauungsplan kann in besonderen Fällen festgesetzt werden, dass bestimmte der in ihm festgesetzten baulichen und sonstigen Nutzungen und Anlagen nur

1.
für einen bestimmten Zeitraum zulässig oder
2.
bis zum Eintritt bestimmter Umstände zulässig oder unzulässig
sind. Die Folgenutzung soll festgesetzt werden.

(2a) Für im Zusammenhang bebaute Ortsteile (§ 34) kann zur Erhaltung oder Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche, auch im Interesse einer verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung und der Innenentwicklung der Gemeinden, in einem Bebauungsplan festgesetzt werden, dass nur bestimmte Arten der nach § 34 Abs. 1 und 2 zulässigen baulichen Nutzungen zulässig oder nicht zulässig sind oder nur ausnahmsweise zugelassen werden können; die Festsetzungen können für Teile des räumlichen Geltungsbereichs des Bebauungsplans unterschiedlich getroffen werden. Dabei ist insbesondere ein hierauf bezogenes städtebauliches Entwicklungskonzept im Sinne des § 1 Abs. 6 Nr. 11 zu berücksichtigen, das Aussagen über die zu erhaltenden oder zu entwickelnden zentralen Versorgungsbereiche der Gemeinde oder eines Gemeindeteils enthält. In den zu erhaltenden oder zu entwickelnden zentralen Versorgungsbereichen sollen die planungsrechtlichen Voraussetzungen für Vorhaben, die diesen Versorgungsbereichen dienen, nach § 30 oder § 34 vorhanden oder durch einen Bebauungsplan, dessen Aufstellung förmlich eingeleitet ist, vorgesehen sein.

(2b) Für im Zusammenhang bebaute Ortsteile (§ 34) kann in einem Bebauungsplan, auch für Teile des räumlichen Geltungsbereichs des Bebauungsplans, festgesetzt werden, dass Vergnügungsstätten oder bestimmte Arten von Vergnügungsstätten zulässig oder nicht zulässig sind oder nur ausnahmsweise zugelassen werden können, um

1.
eine Beeinträchtigung von Wohnnutzungen oder anderen schutzbedürftigen Anlagen wie Kirchen, Schulen und Kindertagesstätten oder
2.
eine Beeinträchtigung der sich aus der vorhandenen Nutzung ergebenden städtebaulichen Funktion des Gebiets, insbesondere durch eine städtebaulich nachteilige Häufung von Vergnügungsstätten,
zu verhindern.

(2c) Für im Zusammenhang bebaute Ortsteile nach § 34 und für Gebiete nach § 30 in der Nachbarschaft von Betriebsbereichen nach § 3 Absatz 5a des Bundes-Immissionsschutzgesetzes kann zur Vermeidung oder Verringerung der Folgen von Störfällen für bestimmte Nutzungen, Arten von Nutzungen oder für nach Art, Maß oder Nutzungsintensität zu bestimmende Gebäude oder sonstige bauliche Anlagen in einem Bebauungsplan festgesetzt werden, dass diese zulässig, nicht zulässig oder nur ausnahmsweise zulässig sind; die Festsetzungen können für Teile des räumlichen Geltungsbereichs des Bebauungsplans unterschiedlich getroffen werden.

(2d) Für im Zusammenhang bebaute Ortsteile (§ 34) können in einem Bebauungsplan zur Wohnraumversorgung eine oder mehrere der folgenden Festsetzungen getroffen werden:

1.
Flächen, auf denen Wohngebäude errichtet werden dürfen;
2.
Flächen, auf denen nur Gebäude errichtet werden dürfen, bei denen einzelne oder alle Wohnungen die baulichen Voraussetzungen für eine Förderung mit Mitteln der sozialen Wohnraumförderung erfüllen, oder
3.
Flächen, auf denen nur Gebäude errichtet werden dürfen, bei denen sich ein Vorhabenträger hinsichtlich einzelner oder aller Wohnungen dazu verpflichtet, die zum Zeitpunkt der Verpflichtung geltenden Förderbedingungen der sozialen Wohnraumförderung, insbesondere die Miet- und Belegungsbindung, einzuhalten und die Einhaltung dieser Verpflichtung in geeigneter Weise sichergestellt wird.
Ergänzend können eine oder mehrere der folgenden Festsetzungen getroffen werden:
1.
das Maß der baulichen Nutzung;
2.
die Bauweise, die überbaubaren und die nicht überbaubaren Grundstücksflächen sowie die Stellung der baulichen Anlagen;
3.
vom Bauordnungsrecht abweichende Maße der Tiefe der Abstandsflächen;
4.
Mindestmaße für die Größe, Breite und Tiefe der Baugrundstücke;
5.
Höchstmaße für die Größe, Breite und Tiefe der Wohnbaugrundstücke, aus Gründen des sparsamen und schonenden Umgangs mit Grund und Boden.
Die Festsetzungen nach den Sätzen 1 und 2 können für Teile des räumlichen Geltungsbereichs des Bebauungsplans getroffen werden. Die Festsetzungen nach den Sätzen 1 bis 3 können für Teile des räumlichen Geltungsbereichs des Bebauungsplans oder für Geschosse, Ebenen oder sonstige Teile baulicher Anlagen unterschiedlich getroffen werden. Das Verfahren zur Aufstellung eines Bebauungsplans nach diesem Absatz kann nur bis zum Ablauf des 31. Dezember 2024 förmlich eingeleitet werden. Der Satzungsbeschluss nach § 10 Absatz 1 ist bis zum Ablauf des 31. Dezember 2026 zu fassen.

(3) Bei Festsetzungen nach Absatz 1 kann auch die Höhenlage festgesetzt werden. Festsetzungen nach Absatz 1 für übereinanderliegende Geschosse und Ebenen und sonstige Teile baulicher Anlagen können gesondert getroffen werden; dies gilt auch, soweit Geschosse, Ebenen und sonstige Teile baulicher Anlagen unterhalb der Geländeoberfläche vorgesehen sind.

(4) Die Länder können durch Rechtsvorschriften bestimmen, dass auf Landesrecht beruhende Regelungen in den Bebauungsplan als Festsetzungen aufgenommen werden können und inwieweit auf diese Festsetzungen die Vorschriften dieses Gesetzbuchs Anwendung finden.

(5) Im Bebauungsplan sollen gekennzeichnet werden:

1.
Flächen, bei deren Bebauung besondere bauliche Vorkehrungen gegen äußere Einwirkungen oder bei denen besondere bauliche Sicherungsmaßnahmen gegen Naturgewalten erforderlich sind;
2.
Flächen, unter denen der Bergbau umgeht oder die für den Abbau von Mineralien bestimmt sind;
3.
Flächen, deren Böden erheblich mit umweltgefährdenden Stoffen belastet sind.

(6) Nach anderen gesetzlichen Vorschriften getroffene Festsetzungen, gemeindliche Regelungen zum Anschluss- und Benutzungszwang sowie Denkmäler nach Landesrecht sollen in den Bebauungsplan nachrichtlich übernommen werden, soweit sie zu seinem Verständnis oder für die städtebauliche Beurteilung von Baugesuchen notwendig oder zweckmäßig sind.

(6a) Festgesetzte Überschwemmungsgebiete im Sinne des § 76 Absatz 2 des Wasserhaushaltsgesetzes, Risikogebiete außerhalb von Überschwemmungsgebieten im Sinne des § 78b Absatz 1 des Wasserhaushaltsgesetzes sowie Hochwasserentstehungsgebiete im Sinne des § 78d Absatz 1 des Wasserhaushaltsgesetzes sollen nachrichtlich übernommen werden. Noch nicht festgesetzte Überschwemmungsgebiete im Sinne des § 76 Absatz 3 des Wasserhaushaltsgesetzes sowie als Risikogebiete im Sinne des § 73 Absatz 1 Satz 1 des Wasserhaushaltsgesetzes bestimmte Gebiete sollen im Bebauungsplan vermerkt werden.

(7) Der Bebauungsplan setzt die Grenzen seines räumlichen Geltungsbereichs fest.

(8) Dem Bebauungsplan ist eine Begründung mit den Angaben nach § 2a beizufügen.

(1) Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden.

(2) Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der auf Grund des § 9a erlassenen Verordnung bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre; auf die nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31 Absatz 1, im Übrigen ist § 31 Absatz 2 entsprechend anzuwenden.

(3) Von Vorhaben nach Absatz 1 oder 2 dürfen keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein.

(3a) Vom Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nach Absatz 1 Satz 1 kann im Einzelfall abgewichen werden, wenn die Abweichung

1.
einem der nachfolgend genannten Vorhaben dient:
a)
der Erweiterung, Änderung, Nutzungsänderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten Gewerbe- oder Handwerksbetriebs,
b)
der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten, Wohnzwecken dienenden Gebäudes oder
c)
der Nutzungsänderung einer zulässigerweise errichteten baulichen Anlage zu Wohnzwecken, einschließlich einer erforderlichen Änderung oder Erneuerung,
2.
städtebaulich vertretbar ist und
3.
auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
Satz 1 findet keine Anwendung auf Einzelhandelsbetriebe, die die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung beeinträchtigen oder schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden haben können. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 Buchstabe b und c kann darüber hinaus vom Erfordernis des Einfügens im Einzelfall im Sinne des Satzes 1 in mehreren vergleichbaren Fällen abgewichen werden, wenn die übrigen Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und die Aufstellung eines Bebauungsplans nicht erforderlich ist.

(4) Die Gemeinde kann durch Satzung

1.
die Grenzen für im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen,
2.
bebaute Bereiche im Außenbereich als im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, wenn die Flächen im Flächennutzungsplan als Baufläche dargestellt sind,
3.
einzelne Außenbereichsflächen in die im Zusammenhang bebauten Ortsteile einbeziehen, wenn die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt sind.
Die Satzungen können miteinander verbunden werden.

(5) Voraussetzung für die Aufstellung von Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 ist, dass

1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sind,
2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und
3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
In den Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 können einzelne Festsetzungen nach § 9 Absatz 1 und 3 Satz 1 sowie Absatz 4 getroffen werden. § 9 Absatz 6 und § 31 sind entsprechend anzuwenden. Auf die Satzung nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 3 sind ergänzend § 1a Absatz 2 und 3 und § 9 Absatz 1a entsprechend anzuwenden; ihr ist eine Begründung mit den Angaben entsprechend § 2a Satz 2 Nummer 1 beizufügen.

(6) Bei der Aufstellung der Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 sind die Vorschriften über die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 13 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3 sowie Satz 2 entsprechend anzuwenden. Auf die Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 bis 3 ist § 10 Absatz 3 entsprechend anzuwenden.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) Gewerbegebiete dienen vorwiegend der Unterbringung von nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben.

(2) Zulässig sind

1.
Gewerbebetriebe aller Art einschließlich Anlagen zur Erzeugung von Strom oder Wärme aus solarer Strahlungsenergie oder Windenergie, Lagerhäuser, Lagerplätze und öffentliche Betriebe,
2.
Geschäfts- , Büro- und Verwaltungsgebäude,
3.
Tankstellen,
4.
Anlagen für sportliche Zwecke.

(3) Ausnahmsweise können zugelassen werden

1.
Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter, die dem Gewerbebetrieb zugeordnet und ihm gegenüber in Grundfläche und Baumasse untergeordnet sind,
2.
Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale und gesundheitliche Zwecke,
3.
Vergnügungsstätten.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 11. Oktober 2012 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1

Die auf die Grundsatz- (1.) und die Verfahrensrüge (2.) gestützte Beschwerde des Klägers bleibt ohne Erfolg.

2

1. Seine Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) stützt der Kläger auf zwei Vorbringen, die beide unbegründet sind a) und b).

3

a) Für grundsätzlich klärungsbedürftig in einem Revisionsverfahren hält der Kläger die Frage, ob die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs zutreffe, dass schon das Ansprechen von Personen auf eine mögliche Schwangerschaft oder Schwangerschaftskonfliktsituation im Nahbereich einer anerkannten Konfliktberatungsstelle eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der angesprochenen Person(en) und damit eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit darstelle.

4

Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer revisionsgerichtlich bislang nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage führen kann (Beschluss vom 17. August 2009 - BVerwG 6 B 10.09 - juris Rn. 2). Zielt die Rüge des Beschwerdeführers - wie hier - auf die Nichtbeachtung von Bundesrecht bei der Auslegung und Anwendung von Landesrecht, vermag dies die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur dann zu begründen, wenn die Auslegung einer - gegenüber dem Landesrecht als korrigierender Maßstab angeführten - bundesrechtlichen Norm ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft. Die bezeichneten bundesrechtlichen Maßgaben, deren Tragweite und Klärungsbedürftigkeit im Hinblick auf die einschlägigen landesrechtlichen Normen sowie die Entscheidungserheblichkeit ihrer Klärung in dem anhängigen Verfahren sind in der Beschwerdebegründung anzugeben. Es muss hierbei dargelegt werden, dass und inwiefern die jeweils angeführten bundesrechtlichen Maßgaben Rechtsfragen aufwerfen, die sich nicht auf Grund der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung beantworten lassen (Beschluss vom 17. August 2009 a.a.O. Rn. 7).

5

Diesen Maßgaben wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Sie begnügt sich, neben allgemeiner, im Stile einer Berufungsbegründung vorgetragener Kritik an der vorinstanzlichen Entscheidung zur Begründung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO im Kern mit der Aussage, es gehe "um die Abgrenzung und Abwägung der Sphären des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu anderen Grundrechten (...), nämlich den Rechten auf Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit und allgemeine Handlungsfreiheit und das vom Kläger geschützte Lebensrecht des Kindes, das sich selbst nicht artikulieren kann" (S. 5 Beschwerdebegründung). Mit diesen Ausführungen unterschreitet die Beschwerde die durch § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO gestellten Anforderungen, weil sie lediglich den allgemeinen rechtlichen Rahmen beschreiben, innerhalb dessen das durch die Streitsache aufgeworfene Rechtsproblem anzusiedeln ist, nicht aber konkret verdeutlichen, welche seiner Aspekte Fragen hervorrufen, die auf Basis der vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung - hier insbesondere zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht und zum Grundrecht auf Meinungsfreiheit - nicht zu beantworten sind. Auch der Hinweis des Beschwerdeführers, die vom Verwaltungsgerichtshof entschiedene Fallkonstellation sei bisher nicht Gegenstand einer höchstrichterlichen Entscheidung gewesen, genügt nicht den Maßgaben, die § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO mit den Worten stellt, in der Begründung müsse "die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt" werden (vgl. Eyermann-Kraft, 13. Aufl. 2010, § 133 Rn. 26); andernfalls müsste jeder denkbaren Fallkonstellation, die bislang nicht unmittelbar Gegenstand einer höchstrichterlichen Entscheidung gewesen ist, rechtsgrundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugesprochen werden.

6

Für den Senat ist der Sache nach auch nicht erkennbar, dass die vorliegende Rechtsprechung - insbesondere des Bundesverfassungsgerichts - zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und zur Reichweite der Meinungsfreiheit lückenhaft in dem Sinne wäre, dass von ihr ausgehend eine Lösung des vorliegenden Falls nicht möglich wäre, ohne hiermit zugleich einen abstrakten Rechtssatz auf einer fallübergreifenden Ebene zu bilden, dessen Bildung bzw. Überprüfung im Interesse der Rechtseinheit und der Rechtsfortbildung einer revisionsgerichtlichen Klärung zugeführt werden sollte. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf eine in den Grundzügen vergleichbare Konstellation in seinem Beschluss vom 8. Juni 2010 - 1 BvR 1745/06 - ausgeführt hat, vor dem Hintergrund, dass Art. 5 Abs. 1 GG nicht Tätigkeiten schütze, mit denen anderen eine Meinung aufgedrängt werden solle, erscheine es nicht ausgeschlossen, auf den Gesichtspunkt, dass Patientinnen sich auf dem Weg in eine Arztpraxis durch Protestaktionen gleichsam einem Spießroutenlauf ausgesetzt sehen könnten, ein verfassungsrechtlich tragfähiges Verbot von bestimmten Formen von Protestaktionen zu stützen (juris Rn. 23). Hiermit ist aufgezeigt, dass die grundrechtliche Beurteilung von Konfliktfällen der vorliegenden Art im Wesentlichen davon abhängt, inwieweit auf der einen Seite eine dem Schutz ungeborenen Lebens verpflichtete Gehsteigaktion über eine bloße Meinungskundgabe hinausgeht und letztlich darauf zielt, Adressaten eine Meinung aufzudrängen, und inwiefern auf der anderen Seite die Adressaten eine solche Aktion als einen persönlichen Übergriff verstehen dürfen, der das Aufsuchen einer Arztpraxis oder - wie hier - einer Beratungsstelle einem Spießroutenlauf gleichen lässt. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist tatrichterlich anhand der jeweils maßgeblichen - von Fall zu Fall unterschiedlichen - Einzelumstände zu klären und entzieht sich weiter generalisierender Festlegungen auf einer fallübergreifenden Ebene. Sollte der Verwaltungsgerichtshof in der Anwendung der vorgenannten Maßgaben zu einer rechtlich falschen Würdigung gelangt sein, würde dies der Sache noch keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO verleihen.

7

b) Der Kläger hält außerdem die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob eine Persönlichkeitsrechtsverletzung in der Öffentlichkeit durch Ansprechen auf einen Schwangerschaftskonflikt ein polizeiliches Eingreifen auch ohne einen dahin geäußerten Wunsch dieser Person(en) rechtfertige.

8

Die Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision, denn sie ist nur anhand einer Auslegung des Polizeirechts des Landes Baden-Württemberg zu beantworten, das nicht Gegenstand eines solchen Verfahrens sein könnte (§ 137 Abs. 1 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof hat den vom Kläger gerügten Rechtsstandpunkt entscheidungstragend auch auf die Anwendung von § 1 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbs. PolG BW gestützt. Auf die Frage, ob die zusätzlich herangezogene Erwägung des Verwaltungsgerichtshofs, das öffentliche Interesse an einem polizeilichen Einschreiten sei auch im Lichte grundrechtlicher Schutzpflichten des Staats zu bejahen, eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO aufwirft, kommt es demnach nicht an.

9

2. Seine Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) stützt der Kläger auf vier Vorbringen a) bis d), die sämtlich unbegründet sind.

10

a) Eine Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 86 VwGO) und seines rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 GG) in dem Berufungsurteil sieht der Kläger darin, dass die von ihm benannten Zeuginnen und Zeugen durch den Verwaltungsgerichtshof nicht vernommen worden seien. Das Gericht hätte durch die Vernehmung dieser Personen erfahren, dass der Kläger die Gehsteigberaterinnen für ihre Tätigkeit schule und sie unter anderem darin unterweise, in welcher Weise sie den Kontakt mit Personen, die möglicherweise ein Schwangerschaftskonflikt beschäftige, aufnehmen könnten. Das Gericht hätte dadurch erfahren können, dass die Mitglieder des Klägers angewiesen seien, ihre Tätigkeit unauffällig auszuüben und insbesondere höflich und freundlich den von ihnen angesprochenen Personen gegenüberzutreten.

11

Die Rüge ist unbegründet. Sie benennt die Vernehmung von Zeuginnen und Zeugen für einen hypothetischen Sachverhalt, der nicht streitgegenständlich ist. Das Berufungsgericht hat den Sachverhalt zu Grunde gelegt und darüber auch Beweis erhoben, auf dem die Verbotsverfügung beruht. Darin wird von einer bestimmten Vorgehensweise von Mitarbeiterinnen des Klägers ausgegangen, und dieses hat die Gefahrenabwehr der Beklagten ausgelöst. Daneben ist es unerheblich, ob der Kläger auch in der Lage wäre, stattdessen ein Konzept anzuwenden, mit dem er nicht gegen die öffentliche Sicherheit i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1 PolG BW verstoßen würde. Nur dafür jedoch sind von ihm die Zeuginnen und Zeugen benannt worden. Ihre unterbliebene Vernehmung verletzt weder die Aufklärungspflicht (§ 86 VwGO) noch den klägerischen Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 GG).

12

b) Der Kläger sieht seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 GG) außerdem dadurch verletzt, dass die Beratung des Urteils durch das Berufungsgericht trotz einer vorangegangenen umfangreichen Beweisaufnahme nur wenige Minuten gedauert haben könne. Hätte es sich dafür mehr Zeit gelassen, wäre es zu dem Ergebnis gekommen, dass es die in der Verhandlung vom Kläger verlangte Gegenüberstellung von Zeugen hätte nachholen müssen.

13

Die Rüge ist unbegründet, weil sie einen unzutreffenden Sachverhalt bei der Urteilsfindung unterstellt. Sie geht davon aus, die mündliche Verhandlung des Berufungsgerichts am 11. Oktober 2012 habe ausweislich des Terminsprotokolls bis 19.30 Uhr gedauert. Kurze Zeit nach Beendigung des Termins habe der Prozessbevollmächtigte des Klägers beobachtet, wie die beiden beisitzenden Richter das Gerichtsgebäude in Richtung Hauptbahnhof verlassen hätten. Der Vorsitzende des erkennenden Senats habe zuvor erklärt "hier" zu bleiben, was eine anschließende gemeinsame Beratung des Gremiums ausgeschlossen habe. Hinzu komme, dass das 23 Seiten umfassende Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 11. Oktober 2012 erst am 15. Oktober 2012 geschrieben worden sei und somit nicht am 11. Oktober 2012 für eine Senatsberatung zur Verfügung gestanden haben könne.

14

Die geschilderten Umstände begründen nicht die Unterstellung, dass die Urteilsberatung nur kurze Zeit gedauert haben könne. Das Urteil ist nämlich nicht am 11. Oktober 2012 verkündet, sondern ausweislich der Akten den Beteiligten mit gerichtlicher Verfügung vom 22. Oktober 2012 zugestellt worden. Ausweislich der Empfangsbekenntnisse haben die Beteiligten es jeweils am 26. Oktober 2012 erhalten. Dieser zeitliche Ablauf widerlegt den notwendigen Ausgangspunkt der Rüge, dass dem Gericht nur sehr kurze Zeit für seine Urteilsberatung zur Verfügung gestanden habe. Für die Behauptung des Klägers, das Urteil sei bereits am 11. Oktober 2012 abschließend beraten worden, ergibt sich in der Gerichtsakte kein Beleg. Dass auf dem Vorblatt mit Leitsatz (GA II 337) das Urteil auf den letzten Tag der mündlichen Verhandlung datiert ist, entspricht üblicher Praxis, besagt aber noch nichts über den Abschluss der Beratung.

15

c) Der Kläger rügt weiter einen Verstoß gegen § 65 VwGO durch die Beiladung des pro familia, Ortsverband Freiburg e.V. und eine damit verbundene Verletzung des klägerischen Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 GG). Das erstinstanzliche Gericht habe die Beiladung mit Beschluss vom 6. Juli 2011 unternommen. Voraussetzung für die Beiladung sei aber, dass die rechtlichen Interessen des anderen durch die Entscheidung berührt würden. Das habe das Verwaltungsgericht nicht einmal festgestellt, sondern nur erklärt, die Interessen des Beigeladenen könnten berührt werden, also nicht festgestellt, dass die Interessen des Beigeladenen tatsächlich berührt würden. Gegen die unanfechtbare Entscheidung des Verwaltungsgerichts habe der Kläger mit Schriftsatz vom 30. November 2011 remonstriert und beantragt, die Beiladung wieder aufzuheben. In der Berufungsinstanz habe er erneut beantragt, die Beiladung aufzuheben. Der Verwaltungsgerichtshof habe dies mit begründetem Beschluss vom 8. August 2012 ebenfalls ausdrücklich abgelehnt.

16

Die Rüge ist unbegründet. Die erfolgte Beiladung ist unanfechtbar (§ 65 Abs. 4 Satz 2 VwGO) und daher grundsätzlich der Beurteilung durch das Revisionsgericht entzogen (§ 173 VwGO i.V.m. § 557 Abs. 2 ZPO). Eine Verfahrensrüge, die im Zusammenhang mit einer unanfechtbaren Vorentscheidung erhoben wird, ist deshalb nur dann zulässig, wenn sie sich nicht unmittelbar gegen die revisionsgerichtlich nicht nachprüfbare Vorentscheidung als solche wendet, sondern einen Mangel betrifft, der als Folge der beanstandeten Vorentscheidung weiterwirkend der angefochtenen Sachentscheidung anhaftet; andernfalls würde der gesetzlich angeordnete Beschwerdeausschluss umgangen und damit die aus prozessökonomischen Gründen vorgesehene Bindungswirkung des § 557 Abs. 2 ZPO missachtet werden können (Beschluss vom 22. Dezember 1997 - BVerwG 8 B 255.97 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 16 S. 12). Einen weiterwirkenden Mangel des angefochtenen Urteils in diesem Sinne zeigt der Kläger in seiner Beschwerdebegründung nicht auf. Er moniert mit dem Umstand, der Beigeladene habe Zeugen befragen können, eine typische prozessuale Begleiterscheinung der Beiladung und wendet sich hiermit lediglich gegen eine ihr unmittelbar anhaftende Konsequenz, deren Rüge ihm nach der Wertung des Gesetzgebers durch den Ausschluss der Anfechtbarkeit der Beiladungsentscheidung aber versagt sein soll. Unabhängig davon kann der Vortrag des Klägers, ohne die prozessualen Beiträge des Beigeladenen wäre der Beklagte nicht in der Lage gewesen, Tatsachen beizubringen, die seine Verfügung stützen, auch deshalb nicht auf einen Verfahrensfehler im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO führen, weil er den Wertungen des verwaltungsprozessualen Amtsermittlungsprinzips (§ 86 Abs. 1 VwGO) und der darin verbundenen Absage an den zivilprozessualen Beibringungsgrundsatz zuwiderläuft. Ist die gerichtliche Sachverhaltsermittlung nicht von der Tatsachenbeibringung der Prozessbeteiligten abhängig (§ 86 Abs. 2 Satz 1 VwGO) und auf eine umfassende Erforschung des Streitstoffs von Amts wegen gerichtet, kann die Möglichkeit, dass die Sachverhaltsermittlung einen geringeren Umfang angenommen hätte, wenn ein Beteiligter nicht am Verfahren beteiligt worden wäre, prinzipiell keinen Anlass für rechtliche Beanstandungen bilden. Einen Anspruch Beteiligter auf ein teilweises Unterbleiben der Sachverhaltsermittlung im Prozess vermittelt das Gesetz in keinem Fall.

17

d) Der Kläger rügt außerdem, er habe mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2012 den Antrag gestellt, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen. Als Begründung habe er angegeben, dass im Termin vom 11. Oktober 2012 mit wenigen Unterbrechungen von jeweils wenigen Minuten eine mehr als neunstündige Beweisaufnahme durchgeführt und zehn Zeugen ausführlich vernommen worden seien. Es sei ein umfangreiches Protokoll diktiert worden, in das die Zeugenaussagen im Wortlaut aufgenommen worden seien. Dem Kläger müsse Gelegenheit gegeben werden, die Beweisaufnahme anhand des Protokolls auszuwerten, zu würdigen und hierzu Stellung zu nehmen. Dies gelte insbesondere bezüglich neu erörterter angeblicher Vorgänge, die vom Beklagten nicht vorgetragen worden seien. Der Kläger sei bisher nur auf die handschriftlichen Notizen seines Prozessbevollmächtigten angewiesen gewesen. Damit sei sein Anspruch auf rechtliches Gehör nicht gewahrt worden (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 GG). Diese Rüge ist unbegründet, und zwar hinsichtlich des ausdrücklich geltend gemachten Gehörsverstoßes aa), als auch hinsichtlich der unterbliebenen Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung bb).

18

aa) Das Verwaltungsgericht hat den Beteiligten entsprechend § 108 Abs. 2 VwGO Gelegenheit gegeben, zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung zu nehmen. Dies ergibt sich aus dem Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 11. Oktober 2012. Weder dem Protokoll noch dem Beschwerdevorbringen ist zu entnehmen, inwiefern von dieser Gelegenheit Gebrauch gemacht wurde. Das Gericht ist in einem solchen Fall nicht verpflichtet, von sich aus eine Erörterung des Beweisergebnisses zu beginnen. Eine solche Erörterung wäre nur erforderlich gewesen, wenn dies zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung angezeigt gewesen wäre. Ohne einen solchen Anlass ist das Gericht nicht verpflichtet, zur Wahrung des rechtlichen Gehörs seine Einschätzung des Beweisergebnisses den Beteiligten vorab mitzuteilen. In der Regel bleiben die Beweiswürdigung, das daraus folgende Beweisergebnis und die hieraus zu ziehenden Schlussfolgerungen der Schlussberatung vorbehalten und entziehen sich deshalb einer vorherigen Erörterung mit den Beteiligten (Beschluss vom 5. Februar 1999 - BVerwG 9 B 797.98 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 4). Auch § 279 Abs. 3 ZPO verlangt nur eine Erörterung des Beweisergebnisses, soweit dies bereits möglich ist. Ein anderes Vorgehen war hier nicht geboten. Der Verwaltungsgerichtshof hätte die Beteiligten allenfalls darauf hinweisen können, dass es wesentlich auf die Glaubwürdigkeit der Zeugen und die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen ankommt. Das musste sich den Beteiligten aber auch ohne einen ausdrücklichen Hinweis aufdrängen (Beschluss vom 16. Juni 2003 - BVerwG 7 B 106.02 - Buchholz 303 § 279 ZPO Nr. 1 Rn. 27 ff.).

19

bb) Das Berufungsgericht war nicht verpflichtet, zur Wahrung des rechtlichen Gehörs die mündliche Verhandlung gemäß § 104 Abs. 3 Satz 2 VwGO wiederzueröffnen. Ob es die mündliche Verhandlung wiedereröffnen will, steht grundsätzlich im Ermessen des Tatsachengerichts. Eine Pflicht zur Wiedereröffnung besteht ausnahmsweise dann, wenn nur auf diese Weise das erforderliche rechtliche Gehör gewahrt werden kann. Es kann offen bleiben, ob zur weiteren Konkretisierung des Ermessens auf § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zurückzugreifen ist. Nach dieser Vorschrift hat das Gericht die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung anzuordnen, wenn das Gericht einen entscheidungserheblichen und rügbaren Verfahrensfehler, insbesondere eine Verletzung der Hinweis- und Aufklärungspflicht oder eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, feststellt. Der Beschwerdebegründung lässt sich keiner dieser Gründe für eine Pflicht zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung entnehmen. Der Verwaltungsgerichtshof hat seine Hinweispflichten nach Abschluss der Beweisaufnahme nicht verletzt. Seine Beweiswürdigung konnte die Beteiligten nicht überraschen. Der Kläger hatte auch ohne ausdrücklichen Hinweis des Gerichts Anlass, zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung zu nehmen. Die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ist nicht dafür da, den Beteiligten Gelegenheit zu geben, in der mündlichen Verhandlung Versäumtes nachzuholen (Beschluss vom 16. Juni 2003 - BVerwG 7 B 106.02 - Buchholz 303 § 279 ZPO Nr. 1 Rn. 29 ff.). Der Umstand, dass die Beweisaufnahme am 11. Oktober 2012 über neun Stunden gedauert hat, führte nicht dazu, dass sich bei der Entscheidung des Gerichts über den Wiedereröffnungsantrag sein Ermessen auf Null reduziert hätte. Dass es dem Kläger nicht hinreichend möglich gewesen sein sollte, bereits am 11. Oktober 2012 zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung zu nehmen, ist nicht ersichtlich.

20

cc) Auch das am Ende der Beschwerdebegründung angefügte Vorbringen, das Urteil sei widersprüchlich, führt nicht auf einen Verfahrensfehler. Aus der Länge der gerichtlichen Beweisaufnahme darf nicht auf eine Unzulänglichkeit der behördlichen Sachverhaltsermittlung geschlossen werden. Unterlässt ein Gericht einen solchen Schluss, verstößt es deshalb nicht gegen den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 VwGO.

21

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 2 GKG.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 19. Februar 2013 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 5 648,06 € festgesetzt.

Gründe

1

1. Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2

Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14). Die Begründungspflicht verlangt, dass sich die Beschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt. Soweit sich die Vorinstanz mit der Frage beschäftigt hat, gehört zu der erforderlichen Durchdringung des Prozessstoffes die Erörterung sämtlicher Gesichtspunkte, die im Einzelfall für die Zulassung der Revision rechtlich Bedeutung haben (vgl. Beschluss vom 22. August 2013 - BVerwG 5 B 33.13 - juris Rn. 2 m.w.N.). Ist die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung in der Rechtsprechung eines anderen obersten Bundesgerichts geklärt, gebietet die Begründungspflicht des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, dass sich die Beschwerde mit dieser (bekannten) Rechtsprechung substantiiert auseinandersetzt. Daran gemessen kommt die Zulassung der Revision nicht in Betracht.

3

a) Die von der Beschwerde als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnete Frage,

"ob sich der Arbeitgeber bei der Bewerbung eines Behinderten nach dem Grad der Behinderung erkundigen muss oder nicht, wenn der Bewerber die Behinderung zuvor offenbart hatte" (vgl. Beschwerdebegründung S. 3),

4

verhilft der Beschwerde schon deshalb nicht zum Erfolg, weil sich der Kläger nicht mit der zum Zeitpunkt der Beschwerdeeinlegung bekannten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu der als rechtsgrundsätzlich angesehenen Frage auseinandersetzt. Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 13. Oktober 2011 (- 8 AZR 608/10 - EzA § 15 AGG Nr. 16) entschieden, dass ein Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, sich nach einer Schwerbehinderteneigenschaft zu erkundigen, wenn ein Bewerber - wie im vorliegenden Fall - im Bewerbungsschreiben zwar seine Behinderung offenbart, aber seine Schwerbehinderteneigenschaft nicht anzeigt. Demzufolge kann der Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch (vgl. § 82 Satz 2 SGB IX) eine Indizwirkung im Sinne des § 22 AGG nicht mit der Begründung beigemessen werden, der Arbeitgeber habe es versäumt, den Bewerber nach dem Grad der Behinderung zu fragen. Die Pflicht des Arbeitgebers, den betreffenden Bewerber zu fragen, ob er im Sinne des Gesetzes schwerbehindert sei, sei von einem etwa bestehenden Recht des Arbeitgebers, sich nach einer Schwerbehinderteneigenschaft zu erkundigen, zu unterscheiden. Eine Fragepflicht bestehe schon deshalb nicht, weil der Arbeitgeber nicht berechtigt sei, sich tätigkeitsneutral nach dem Bestehen einer Schwerbehinderteneigenschaft zu erkundigen, wenn er hiermit keine positive Fördermaßnahme verbinden wolle. Mit einer Frage zur Schwerbehinderteneigenschaft könne der Arbeitgeber Indiztatsachen schaffen, die ihn bei einer Entscheidung gegen den schwerbehinderten Bewerber in einem späteren möglichen Prozess in die Darlegungslast nach § 22 AGG bringen könnten. Eine Pflicht zur Erkundigung zielte auf ein verbotenes Differenzierungsmerkmal nach § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX i.V.m. § 1 AGG und stellte eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung dar (Urteil vom 13. Oktober 2011 a.a.O. Rn. 43).

5

Die Beschwerdebegründung erwähnt das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 13. Oktober 2011 (a.a.O.) nicht. Auch in der Sache setzt sie sich nicht substantiiert mit den Erwägungen in jener Entscheidung auseinander.

6

Dass der Verwaltungsgerichtshof die Berufung zugelassen hat, weil der Frage, ob sich der Arbeitgeber im Hinblick auf § 1 AGG bei der Bewerbung eines Behinderten nach dem Grad der Behinderung erkundigen müsse, grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zukomme, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zwingt nicht zur Zulassung der Revision. Dies ergibt sich ohne weiteres schon daraus, dass auch nach der Berufungszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gegenüber dem Bundesverwaltungsgericht die grundsätzliche Bedeutung in dem aufgezeigten Sinne darzulegen ist und die Prüfung des Bundesverwaltungsgerichts sich auf diese Darlegung beschränkt (vgl. Beschluss vom 21. April 1999 - BVerwG 1 B 26.99 - Buchholz 418.5 Fleischbeschau Nr. 18).

7

b) Die weitere für grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnete Frage,

"ob die Ordnungsfunktion des Bewerbungsverfahrens höher zu bewerten ist als die Schutzfunktion des Bewerbers aufgrund seiner Schwerbehinderung, wenn er diese im Bewerbungsverfahren verspätet offenbart" (vgl. Beschwerdebegründung S. 11),

8

rechtfertigt die Zulassung der Revision schon mangels Erfüllung der Darlegungsanforderungen gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht.

9

Die aufgeworfene Frage bezieht sich auf die vom Verwaltungsgerichtshof seinem Urteil zugrunde gelegten Grundsätze zur Berücksichtigung einer nach Ablauf der Bewerbungsfrist angezeigten Schwerbehinderung. Der Verwaltungsgerichtshof hat insoweit ausgeführt, die Ausschreibung und das Setzen einer Bewerbungsfrist im öffentlichen Dienst seien kein Selbstzweck. Als Hilfsmittel der Personalgewinnung strukturierten sie das Stellenbesetzungsverfahren und sollten zu einer möglichst raschen Besetzung der ausgeschriebenen Stellen beitragen. Bewerbungsfristen seien daher keine Ausschlussfristen, die den Verfall von Ansprüchen bewirkten. Ihnen komme vielmehr eine Ordnungsfunktion zu. Der Bewerberkreis solle zum Stichtag abschließend feststehen, damit der öffentliche Arbeitgeber unter Beachtung der Beteiligungsrechte der Arbeitnehmervertretung und in Wahrung des Prinzips der Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 GG seine Auswahl treffen könne. Der öffentliche Arbeitgeber sei deshalb berechtigt, nachträgliche Bewerbungen zurückzuweisen, wenn das Bewerbungsverfahren schon weit fortgeschritten oder die Auswahlentscheidung (intern) getroffen sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. Urteil vom 18. November 2008 - 9 AZR 643/07 - juris Rn. 30 f.) seien diese Grundsätze auch auf die nachträgliche Offenlegung einer (Schwer-) Behinderung anzuwenden. Ob ein seine Schwerbehinderung verspätet offenbarender Bewerber in ein noch laufendes Stellenbesetzungsverfahren einzubeziehen sei, richte sich deshalb nach den Umständen des Einzelfalls.

10

Mit diesen Erwägungen des Verwaltungsgerichtshofs setzt sich die Beschwerde nicht im Einzelnen und substantiiert auseinander. Sie beschränkt sich vielmehr darauf festzustellen, dass die aufgeworfene Frage nicht geklärt und eine über diesen Fall hinausgreifende, im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsfortbildung klärungsfähige und klärungsbedürftige konkretisierte Rechtsfrage sei. Damit lässt sich die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht darlegen.

11

2. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO abgesehen.

12

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

13

4. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.

(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.

(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.

(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.