Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 13. März 2017 - 10 ZB 16.965

bei uns veröffentlicht am13.03.2017

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Durchsuchung seines PKW am 22. Dezember 2014 gegen 3:00 Uhr im Zuge einer Verkehrskontrolle sowie des ihm gegenüber während der Kontrolle ausgesprochenen Verbots, Schreibzeug aus dem PKW herauszuholen, weiter.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht (1.). Die weiter geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, 2.) ist bereits nicht hinreichend dargelegt.

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11). Das ist jedoch nicht der Fall.

Das Erstgericht hat die Fortsetzungsfeststellungsklage deshalb als unzulässig abgewiesen, weil der Kläger kein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der beiden polizeilichen Maßnahmen vom 22. Dezember 2014 geltend machen könne. Ein solches Interesse könne sich vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 16.5.2013 - 8 C 38.12 - juris Rn. 13 f.) hier aus einer bestehenden Wiederholungsgefahr oder aufgrund eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffs bei kurzfristiger Erledigung der polizeilichen Maßnahme ergeben. Tiefgreifend sei ein Grundrechtseingriff vor allem dann, wenn es um eine vom Grundgesetz einem Richter vorbehaltene Anordnung (etwa einer Wohnungsdurchsuchung) gehe und sich die Belastung nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränke, in welcher der Betroffene eine gerichtliche Entscheidung kaum erreichen könne. Ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit des Klägers als Rechtsanwalt sei schon im Hinblick auf die geringe Zeitspanne, während der er durch eine nächtliche Polizeikontrolle an der Ausübung seines Berufs gehindert worden sein solle, nicht erkennbar. Auch sein Vortrag, er sei als Organ der Rechtspflege selbst nach Vorlage seines Rechtsanwaltsausweises nicht ernst genommen worden und er fühle sich durch das Vorgehen der Polizeibeamten gekränkt, genüge nicht für ein berechtigtes Interesse. Ein Rehabilitierungsinteresse scheide schon deswegen aus, weil nicht ersichtlich sei, dass die nächtlichen polizeilichen Maßnahmen von Dritten beobachtet worden wären und dadurch möglicherweise für das Persönlichkeitsrecht des Klägers abträgliche Nachwirkungen fortbestehen könnten. Eine Wiederholungsgefahr in dem Sinn, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen erneut eine gleichartige Maßnahme ergehen werde, bestehe nicht. Deshalb könne auch eine Gerichtsentscheidung keine Richtschnur für künftiges polizeiliches Vorgehen bei im Wesentlichen gleichen Bedingungen bilden. Die Vielzahl der zur polizeilichen Kontrolle führenden Umstände in jener Nacht lasse es als unwahrscheinlich erscheinen, dass der Kläger unter im Wesentlichen unveränderten Umständen erneut von derartigen Maßnahmen betroffen sein werde. Zudem sei der Kofferraum des PKW des Klägers nicht durchsucht, sondern nur einer oberflächlichen Sichtung unterzogen worden. Das Verbot, Schreibutensilien aus dem Fahrzeuginneren zu holen, sei wegen der unübersichtlichen Situation aus Gründen der Eigensicherung ausgesprochen worden.

Der Kläger bringt hierzu vor, dass die auf polizeilicher Erfahrung beruhende Prognose, er sei wegen seines nächtlichen Aufenthalts auf einem zu einem Freibad gehörenden Parkplatz einer möglichen Beteiligung an einer Straftat verdächtig, aus objektivierter Sicht zum damaligen Zeitpunkt falsch gewesen sei. Auch wenn er damals auf die Frage, warum er sich zu Nachtzeiten auf dem Parkplatz aufhalte, keine Antwort gegeben habe, fehle es an der nach der Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 7. Februar 2006 (Vf. 69-VI-04) für eine Durchsuchung erforderlichen erhöhten abstrakten Gefahr. Bereits aus dem vom Verwaltungsgericht herangezogenen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ergebe sich das Bestehen eines Fortsetzungsfeststellungsinteresse in seinem Fall, weil sich derartige Polizeimaßnahmen typischerweise vor Klageerhebung erledigten und Rechtsschutz andernfalls nie zu erlangen sei. Nationale Gerichte seien zudem verpflichtet, wegen des Grundsatzes der praktischen Wirksamkeit dem europäischen Recht größtmögliche Wirksamkeit zukommen zu lassen; ohne eine gerichtliche Feststellung würden hier die Rechte des Klägers aus Art. 20, 21 Schengener Grenzkodex leerlaufen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs stünden polizeiliche Befugnisnormen, die selbst keine Voraussetzungen für Maßnahmen festlegten, mit der Verordnung EG Nr. 562/2006 nicht in Einklang, da ihnen das notwendige Maß an Rechtssicherheit fehle. Auch sei entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts eine Wiederholungsgefahr zu bejahen, weil die konkreten Entscheidungsfaktoren nicht sehr speziell gewesen seien und er jederzeit im öffentlichen Straßenverkehr vergleichbaren nächtlichen Kontrollen unterzogen werden könne, die zunächst als bloße Verkehrskontrollen beginnen würden, dann aber bei der Frage nach dem meist im Kofferraum befindlichen Verbandskasten schnell andere Verdachtsmomente hervorrufen und Folgemaßnahmen nach sich ziehen könnten. Er werde jedenfalls bei künftigen Kontrollen weiterhin seinen Rechtsanwaltsausweis vorzeigen und gegenüber den Polizeibeamten juristische Erläuterungen abgeben.

Mit diesem Vorbringen vermag der Kläger keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Abweisung seiner Klage als unzulässig wegen Fehlens des besonderen Rechtsschutzinteresses zu begründen. Weder hinsichtlich der Kontrolle des Kofferraums (1.1) noch des Verbots, Schreibutensilien aus dem Fahrzeuginneren herauszuholen (1.2), liegt ein besonderes Feststellungsinteresse in Form einer der für § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO in der Rechtsprechung anerkannten Fallgruppen vor; insbesondere hat das Verwaltungsgericht zu Recht die Voraussetzungen eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffs (1.1.1 / 1.2.1) und die konkrete Gefahr der Wiederholung vergleichbarer polizeilicher Maßnahmen (1.1.2 / 1.2.2) verneint. Nicht streitgegenständlich ist die Frage, ob die Anhaltung des Klägers und die Feststellung seiner Identität entsprechend Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 PAG zulässig waren.

1.1 Der Senat kann hier dahinstehen lassen, ob sich nicht schon die mit dem Öffnen des Kofferraums und seiner kurzen Inaugenscheinnahme verbundene Maßnahme als Durchsuchung einer Sache nach Art. 22 Abs. 1 Nr. 1 i.Vm. Art. 21 Abs. 1 Nr. 3, Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 PAG darstellt, obwohl mehr dagegen als dafür spricht und auch der Beklagte in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht davon ausgeht, dass ein Polizeibeamter unter Zuhilfenahme einer Taschenlampe lediglich in den Kofferraum hineingeleuchtet hat. Für eine Durchsuchung ist das ziel- und zweckgerichtete Suchen staatlicher Organe kennzeichnend, um dort planmäßig etwas aufzuspüren, was der Besitzer von sich aus nicht offen legen oder herausgeben will, um etwas nicht klar zu Tage liegendes, vielleicht Verborgenes aufzudecken oder ein Geheimnis zu lüften, mithin das Ausforschen eines für die freie Entfaltung der Persönlichkeit wesentlichen Lebensbereichs, das unter Umständen bis in die Intimsphäre des Betroffenen dringen kann (vgl. für eine Wohnungsdurchsuchung: BVerwG, U.v. 6.9.1974 - I C 17.73 - juris; BayVGH, U.v. 20.3.2015 - 10 B 12.2280 - juris Rn. 40). Unter Anlegung dieser Maßstäbe erscheint die Annahme einer Durchsuchung auch wegen der Durchführung der hierfür notwendigen Vorbereitungshandlung (Öffnung des Kofferraums) nicht von vornherein ausgeschlossen. Selbst wenn man - im Sinne des Klägers, der die Rechtswidrigkeit der „Durchsuchung des PKW“ festgestellt wissen will - von einer Durchsuchung ausgeht, bleibt es bei der vom Erstgericht festgestellten Unzulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage.

1.1.1 Das erforderliche besondere Rechtsschutzinteresse ergibt sich hier nicht deshalb, weil die polizeiliche Durchsuchung mit einem tiefgreifenden Grundrechtseingriff im Sinne der Rechtsprechung (vgl. etwa BVerwG, U.v. 16.5.2013 - 8 C 38.12 - juris) verbunden gewesen wäre.

Hierzu fehlt es bereits an einem gewichtigen Grundrechtseingriff. Von besonderem Gewicht sind insbesondere Grundrechtseingriffe, die das Grundgesetz selbst unter Richtervorbehalt gestellt hat (z. B. BVerfG, B.v. 5.7.2013 - 2 BvR 370/13 - juris Rn. 19: Wohnungsdurchsuchung) oder die besonders sensible Rechtsgüter wie die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) oder die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG; BVerfG, B.v. 5.12.2001 - 2 BvR 527/99 - juris: Abschiebungshaft) tangieren. Eine vergleichbare Grundrechtsbetroffenheit ist im vorliegenden Fall auszuschließen. Denn nachdem der Kläger eine vom Verwaltungsgericht zu Recht verneinte Beeinträchtigung seiner von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsausübungsfreiheit als Rechtsanwalt infolge der polizeilichen Durchsuchung im Zulassungsverfahren nicht mehr geltend macht, stehen unter grundrechtlichen Gesichtspunkten ausschließlich eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG; vgl. m.w.N. BeckOK GG/Lang, Stand 1.3.2015, GG Art. 2 Rn. 1) im Raum. Damit ist jedoch im vorliegenden Fall kein tiefgreifender Grundrechtseingriff verbunden. Zwar stellt sich nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs (vgl. Entscheidung v. 28.2.2011 - Vf. 84-VI-10 - juris Rn. 41) die polizeiliche Durchsuchung eines PKW in der Öffentlichkeit grundsätzlich als schwerwiegender Eingriff in die Privatsphäre dar; angesichts der besonderen Umstände des Einzelfalls kann gleichwohl eine tiefgreifende Grundrechtsverletzung zu verneinen sein. So liegt der Fall hier, denn die Durchsuchungsmaßnahme, die sich auf eine Öffnung des Kofferraums des PKW mit anschließender kurzer „Sichtung“ beschränkt hat, greift schon von ihrer Zielrichtung, Dauer und vor allem ihrer Intensität der Beeinträchtigung des geschützten Rechtsguts lediglich in unbedeutender Weise ohne erkennbare nachhaltige Wirkung in das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder die allgemeine Handlungsfreiheit des Klägers ein. Seine Rüge, er sei als Rechtsanwalt Organ der Rechtspflege, führt diesbezüglich zu keiner unterschiedlichen Bewertung im Vergleich zu einem Bürger, der nicht Rechtsanwalt ist.

Vermag die hier streitgegenständliche Sichtkontrolle des Kofferraums aber schon keinen gewichtigen Eingriff in ein Grundrecht des Klägers zu begründen, kommt es nicht mehr darauf an, dass es sich um einen Eingriffsakt handelt, der wegen seiner typischerweise kurzfristigen Erledigung kaum einer gerichtlichen Entscheidung zugeführt werden kann (vgl. BVerfG, B.v. 6.7.2016 - 1 BvR 1705/15 - juris Rn. 11, 14). Der Vortrag des Klägers, ein Feststellungsinteresse sei zu bejahen, weil sich „solche polizeilichen Maßnahmen typischerweise vor Klageerhebung erledigen und Rechtsschutz somit niemals zu erlangen wäre“, übersieht, dass bei dieser Betrachtung angesichts des umfassenden Schutzes der Rechtssphäre des Bürgers durch die Grundrechte - letztlich durch Art. 2 Abs. 1 GG - das Kriterium des berechtigten Interesses praktisch leerlaufen würde (Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 113 Rn. 146) und damit jede noch so geringfügige erledigte Polizeimaßnahme Gegenstand einer zulässigen Fortsetzungsfeststellungsklage sein könnte. Das Erfordernis einer typischerweise vor Erlangung von Rechtsschutz eintretenden Erledigung hat dementsprechend eine den Anwendungsbereich des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO einengende Funktion, die es ausschließt, ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse allein wegen der Schwere des erledigten Eingriffs in ein Grundrecht anzunehmen (BVerwG, U.v. 16.5.2013, a.a.O., Rn. 27). Eine wie vom Kläger beanspruchte Ausweitung dieser von der Rechtsprechung ausgestalteten Fallgruppe des besonderen Rechtsschutzinteresses wäre mit seiner prozessrechtlichen Funktion, eine Fortsetzungsfeststellungsklage nur in bestimmten Fällen zuzulassen, nicht vereinbar.

1.1.2 Auch ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr hat das Verwaltungsgericht (UA, S. 11, 12) mit guten Gründen nicht anerkannt. Das berechtigte Interesse für eine Fortsetzungsfeststellungsklage wegen Wiederholungsgefahr setzt voraus, dass auch in Zukunft unter im Wesentlichen unveränderten Umständen die hinreichend bestimmte Gefahr besteht, dass der Kläger erneut einer gleichartigen Polizeimaßnahme unterzogen wird (vgl. BVerwG, U.v. 12.10.2006 - 4 C 12.04 - juris Rn. 8; BayVGH, U.v. 12.5.2015 - 10 ZB 13.629 - juris; OVG NW, B.v. 5.7.2012 - 12 A 1423/11 - juris Rn. 37; Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 113 Rn. 271; BeckOK VwGO/Decker VwGO § 113 Rn. 87.2). Daran fehlt es bei einer nur vagen Möglichkeit einer Wiederholung; auch der Wunsch nach Klärung von abstrakten Rechtsfragen genügt nicht (Gerhardt in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 113 Rn. 93).

Im angefochtenen Urteil werden die konkreten, für die hier allein zur Beurteilung anstehende polizeiliche Kontrolle des Kofferraums am 22. Dezember 2014 den Anlass gebenden Umstände benannt, die in ihrer signifikanten Gesamtheit sehr wahrscheinlich so nicht mehr eintreten werden; damit wird der Kläger nicht unter im Wesentlichen unveränderten Umständen erneut von einer gleichartige Polizeimaßnahme betroffen werden. Nicht ausreichend ist in diesem Zusammenhang die lediglich abstrakte Möglichkeit, wiederum einer nächtlichen Durchsuchung des PKW-Kofferraums unterworfen zu werden; vielmehr muss die Gefahr bestehen, dass sein Fahrzeug erneut auf der Grundlage des Art. 22 Abs. 1 Nr. 4 PAG im Rahmen einer präventiven Polizeikontrolle angehalten und durchsucht wird, deren Anlass eine durch aktuelle Lageerkenntnisse beruhende Bekämpfung der allgemeinen Kriminalität bildet. Eine derartige Gefahr hat der Kläger nicht dargetan.

In diesem Zusammenhang hat der Beklagte zu Recht auf die der Durchsuchung vorgelagerten besonderen Umstände hingewiesen. So hätten gerade in der betreffenden Stadtregion im zurückliegenden Zeitraum vermehrt Wohnungseinbrüche stattgefunden; es seien dort auch andere Straftaten verübt worden. Auch das aus Sicht der Polizei auffällige Verhalten des Klägers habe für die Maßnahme eine Rolle gespielt; er habe seinen PKW mitten in der Nacht zunächst von dem nicht belebten Parkplatz eines Schwimmbads gestartet und sei anschließend durch mehrmaliges Wenden des Fahrzeugs auf der U.-straße aufgefallen. Mit der zutreffenden Bewertung dieses für das Verwaltungsgericht im Hinblick auf die Verneinung einer Wiederholungsgefahr maßgeblichen Sachverhalts setzt sich der Kläger in seinem Zulassungsvorbringen nicht auseinander. Auch wenn er selbstverständlich nicht verpflichtet war, sich „kooperativ“ zu verhalten und Fragen der kontrollierenden Polizeibeamten zu den näheren Umständen seines nächtlichen Aufenthalts vor Ort zu beantworten, kann er nicht mit Hinweis darauf, er werde sich auch künftig in einer entsprechenden Situation wieder gleichermaßen verhalten, das besondere Rechtsschutzinteresse an einer Fortsetzungsfeststellungsklage begründen; anderenfalls wäre die Beantwortung der Frage nach der Wiederholungsgefahr als Zulässigkeitsvoraussetzung nicht - zumindest nicht überwiegend - von objektivierbaren Umständen abhängig, sondern könnte durch vom Kläger willentlich beeinflusste Faktoren gesteuert werden.

Schließlich ist ein Hinweis darauf, er könne jederzeit „wie jeder andere Autofahrer nachts im öffentlichen Straßenverkehr von Verkehrskontrollen betroffen“ sein, zur Begründung ernstlicher Zweifel an der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht geeignet. Zum einen reicht die abstrakte Möglichkeit einer Wiederholung für die Annahme einer entsprechenden Gefahr gerade nicht aus; zum anderen wird im vorliegenden Fall nicht die Feststellung der Rechtswidrigkeit der „Verkehrskontrolle“ begehrt, sondern der hiervon gesonderten Maßnahme „Durchsuchung des Kofferraums“. Deshalb ist auch der Hinweis des Klägers unbehelflich, er habe schon des Öfteren die Durchführung polizeilicher Kontrollen am gleichen Ort beobachtet. Im Übrigen konnte der Kläger seinen vor dem Verwaltungsgericht gemachten Vortrag, er selbst sei schon einmal vor der streitgegenständlichen Maßnahme einer Polizeikontrolle an der Auffahrt zur Autobahn A9 unterzogen worden, nicht glaubhaft machen. Die von ihm im Laufe des Zulassungsverfahrens angegebene neuerliche polizeiliche Kontrolle seines Fahrzeugs am 12. Februar 2017 erfolgte unter völlig anderen Umständen im Rahmen einer Schengen-Kontrolle („Schleierfahndung“) auf einem Autobahnpark Platz.

Die in der Zulassungsschrift aufgeworfenen materiellen Rechtsfragen (insbesondere zur Vereinbarkeit der polizeiaufgabenrechtlichen Vorschriften des Landesrechts mit dem Schengener Grenzkodex) und die vom Kläger daraus gezogene Folgerung, die streitgegenständliche Öffnung des Kofferraums sei rechtswidrig gewesen, sind nicht geeignet, das nach dem Verwaltungsprozessrecht erforderliche besondere Feststellungsinteresse in Form der Wiederholungsgefahr zu begründen, deren Vorliegen vielmehr gerade Voraussetzung dafür ist, dass sich die Gerichte mit den genannten Rechtsfragen inhaltlich befassen können. Es mangelt an der konkreten Gefahr einer Wiederholung der Durchsuchungsmaßnahme unter im Wesentlichen gleichen Bedingungen, weshalb eine gerichtliche Entscheidung dem Zweck der Fortsetzungsfeststellungsklage, für künftig zu treffende Polizeimaßnahmen eine Richtschnur rechtmäßigen Handelns aufzuzeigen und so weitere gerichtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden, nicht gerecht werden kann (BayVGH, B.v. 28.11.2011 - 8 ZB 11.886 - juris Rn. 11).

1.2 Auch im Hinblick auf das von den Polizeibeamten gegenüber dem Kläger angeordnete Verbot, während der laufenden Kontrolle Schreibutensilien aus dem Fahrzeuginneren herauszuholen, hat das Verwaltungsgericht das für eine Fortsetzungsfeststellungsklage notwendige besondere Rechtsschutzinteresse zu Recht verneint.

1.2.1 Dass das Verbot nicht mit einem tiefgreifenden oder gewichtigen Grundrechtseingriff verbunden war, bedarf angesichts der zu diesem Begriff bereits gemachten Erläuterungen (s.o. 1.1.1) keiner weiteren Ausführungen.

1.2.2 Es besteht auch nicht die Gefahr, dass der Kläger künftig im Rahmen einer polizeilichen Kontrolle unter im Wesentlichen gleichen Verhältnissen erneut mit einem vergleichbaren Verbot konfrontiert wird. Vielmehr ist die vorliegend zur Beurteilung stehende Situation durch die besonderen, bereits näher dargestellten Umstände der nächtlichen Kontrolle gekennzeichnet, die eine Wiederholung unter im Wesentlichen gleichen Umständen als nahezu ausgeschlossen erscheinen lassen (vgl. 1.1.2).

2. Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist bereits nicht hinreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Um den auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, ausführen, weshalb diese Frage entscheidungserheblich ist, erläutern, weshalb die vorformulierte Frage klärungsbedürftig ist, und darlegen, weshalb der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. BayVGH, B.v. 9.5.2016 - 10 ZB 15.677 - juris Rn. 16 m.w.N.).

Im vorliegenden Fall fehlt es aber bereits an der Entscheidungserheblichkeit der als grundsätzlich erachteten Rechtsfrage. Der Kläger wirft die als grundsätzlich bezeichnete Rechtsfrage auf, ob die „Schleierfahndung nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 PAG…mit Art. 21 der Verordnung EG Nr. 562/2006 Schengen Grenzkodex vereinbar ist“. Diese Frage würde sich jedoch allenfalls bei Vorliegen einer zulässigen Fortsetzungsfeststellungsklage stellen. Die Berufung gegen ein die Klage als unzulässig abweisendes Urteil kann nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO unter Hinweis auf die (angebliche) grundsätzliche Bedeutung einer sich erst im Rahmen einer zulässigen Klage ergebenden Begründetheitsfrage zugelassen werden.

Die Kostenentscheidung folgt nach alledem aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
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5.
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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Gründe

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof München

10 B 12.2280

Im Namen des Volkes

Urteil

vom 20. März 2015

(VG München, Entscheidung vom 20. April 2011, Az.: M 7 K 10.2352)

10. Senat

Sachgebietsschlüssel: 510

Hauptpunkte: Feststellungs- bzw. Fortsetzungsfeststellungsklage - polizeiliche Maßnahmen - Einsatz wegen Ruhestörung - Nachschau nach verletzten Personen - Betreten und Verweilen in der klägerischen Wohnung - Fesselung der Kläger - Durchsuchung

Rechtsquellen:

Leitsätze:

In der Verwaltungsstreitsache

...,

gegen

Freistaat ...,

vertreten durch die Landesanwaltschaft B., L.-str. ..., M.,

- Beklagter -

wegen polizeilicher Maßnahmen;

hier: Berufung der Kläger gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 20. April 2011,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 10. Senat, durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Senftl, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Eich, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Martini aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 2. und 18. März 2015 am 20. März 2015 folgendes Urteil:

I.

Unter Abänderung der Nr. I des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 20. April 2011 wird festgestellt, dass die Fesselung der Kläger durch die Polizei am 11. Januar 2010 rechtswidrig war.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

II.

Unter Abänderung der Nr. II des angefochtenen Urteils tragen die Kläger jeweils 3/8, der Beklagte 1/4 der Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

III.

Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger wenden sich mit ihrer Klage gegen Polizeieinsätze in ihrer früheren gemeinsamen Wohnung.

Die Kläger wohnten zusammen mit ihren drei Kindern von Oktober 2008 bis zum Jahr 2011 in M., T. Straße 214a. In dieser Wohnung kam es des Öfteren zu Polizeieinsätzen wegen Streitigkeiten innerhalb der Familie und Lärmbelästigungen der Nachbarn durch Familienmitglieder.

Am 11. Januar 2010 gegen 23.30 Uhr erging erneut ein Einsatzauftrag an die Polizei wegen eines lauten Familienstreits bei den Klägern. Dabei kam auch ein Unterstützungskommando (USK) zum Einsatz. Im Laufe der polizeilichen Maßnahme drangen die Polizeibeamten in die klägerische Wohnung ein. Im Wohnzimmer warf der Sohn M. L. der Kläger dann mit Gegenständen nach den Polizeibeamten und beleidigte sie. Daraufhin wurden die Kläger und der Sohn M. L. von der Polizei fixiert und gefesselt. Um eine Behinderung des M. L. nachzuweisen, wurden in einem Leitzordner Atteste gesucht. Schließlich wurden bei den Klägern und M. L. Atemalkoholtests durchgeführt. Der Sohn J. L. wurde in Gewahrsam genommen, auf die Polizeiinspektion gebracht und dort bis zum 12. Januar 2010 festgehalten. Der Einsatz in der Wohnung war am 12. Januar 2010 gegen 1.00 Uhr beendet.

Am 16. Mai 2010 erfolgte ein weiterer Polizeieinsatz in der Wohnung der Kläger. Grund hierfür waren erneut Beschwerden von Nachbarn, die sich in ihrer Ruhe gestört fühlten, weil ihren Angaben zufolge bei der Familie der Kläger bereits den ganzen Tag geschrien und randaliert worden sei. Auch bei diesem Einsatz drangen Polizeibeamte in die Wohnung der Kläger ein.

Mit Schriftsatz vom 19. Mai 2010 ließen die Kläger Klage erheben und beantragten festzustellen, dass das Eindringen in die Wohnung der Kläger, die Fesselung der Kläger und ihrer Kinder, die Durchsuchung ihrer Privatunterlagen sowie die Gewaltanwendung in ihrer Wohnung am „10. Januar 2010“ (gemeint ist offensichtlich der 11. Januar 2010) sowie das Eindringen und der Aufenthalt in der Wohnung der Kläger am 16. Mai 2010 durch die Polizei rechtswidrig gewesen seien. Zur Begründung wurde vorgebracht, die Kläger bewohnten eine Wohnung ohne ausreichende Lärmdämmung. Bereits seit längerem werde versucht, sie unter Mitwirkung der Polizei aus der Wohnung „herauszumobben“. Aufgrund der zunehmenden Häufung von Übergriffen durch Polizeibeamte und einer Androhung von weiteren Übergriffen sei es erforderlich, Feststellungsklage zu erheben, weil es keinen rechtfertigenden Grund gegeben habe, in die Wohnung einzudringen und sich darin aufzuhalten. Das Eindringen der Polizei in die Wohnung der Kläger am 11. Januar 2010 sei rechtswidrig gewesen und stelle einen Hausfriedensbruch durch die Polizei dar. Zudem seien die Kläger und die Söhne der Klägerin ohne rechtfertigenden Grund gefesselt worden. Auf den blinden Kläger sei mit einem Schlagstock eingeprügelt worden. Die Polizei habe ohne rechtliche Grundlage in den Privatunterlagen der Betroffenen „geschnüffelt“ und die Klägerin gewaltsam zu einem Alkoholtest gezwungen. Es habe sich insgesamt um einen klassischen Fall eines Überfalls durch Polizeibeamte außerhalb von rechtsstaatlichen Grenzen gehandelt. Die Kläger hätten Dienstaufsichtsbeschwerde erhoben und Strafanzeigen gestellt. Am 16. Mai 2010 seien die Polizeibeamten wiederum gewaltsam in die klägerische Wohnung eingedrungen. Auch hierfür gebe es keine Rechtfertigung. Die Rechtswidrigkeit des Einsatzes am 11. Januar 2010 und die Gewaltexzesse seien durch das beim Einsatz gefertigte Video der Polizei belegt. Allerdings sei es trotz der erheblich belastenden Aufnahmen nicht vollständig. Es seien nämlich mehr als zwei Minuten herausgeschnitten worden. Damit sei ein Beweismittel verfälscht worden.

Das Polizeipräsidium M. äußerte sich zur Klage wie folgt: Bei der Familie der Kläger habe es in der Vergangenheit bereits mehrere ähnliche Einsätze gegeben. Die Familienmitglieder seien den Beamten als äußerst aggressiv bekannt. Aufgrund der gesammelten Erfahrungswerte bei vorausgegangenen Einsätzen (aufgelistet im Schreiben des Polizeipräsidiums M. vom 14. April 2011 [Bl. 92 der VG-Akte]), sei die Polizei von einem erhöhten Gefahrenpotential bei der Familie der Kläger ausgegangen und habe deshalb um Unterstützung durch Teilkräfte des USK gebeten, zumal nicht bekannt gewesen sei, wie viele Personen sich in der Wohnung aufhielten. Die Kläger seien zunächst gesprächsbereit gewesen und hätten die Polizeibeamten freiwillig in die Wohnung zur Nachschau gelassen. Anlass für die Nachschau sei gewesen, dass Handgreiflichkeiten beim Streit und die Verletzung von Personen nicht auszuschließen gewesen seien. Im Wohnungsflur habe es eine lautstarke Auseinandersetzung zwischen mehreren Familienmitgliedern gegeben, deren Stimmung gegenüber den Beamten immer aggressiver geworden sei. Der Sohn J. L. sei zur Eigensicherung in das Schlafzimmer gebracht, dann aber wegen Bedrohungen gegen die Mitteiler in Unterbindungsgewahrsam genommen worden. Im Wohnzimmer habe der Sohn M. L. die Polizeibeamten massiv beleidigt und bedroht. Nachdem er mit Gegenständen auf die Polizisten geworfen habe, habe man ihn und die Kläger, die sich dazwischen geworfen hätten, zu Boden gebracht und gefesselt. Die Klägerin habe dann die Polizeibeamten darauf hingewiesen, dass M. L. aufgrund einer geistigen Krankheit in Behandlung sei und POM Ri. gebeten, ein Gutachten über den Gesundheitszustand von M. L. zu suchen und durchzulesen. Der Beamte habe aber das Dokument nicht selbst gesucht, sondern den gesamten Ordner der Klägerin übergeben, die ihn dann durchsucht habe. Auch der Alkoholtest bei der Klägerin sei freiwillig erfolgt. Die gesamte Maßnahme sei rechtmäßig gewesen.

Der Polizeieinsatz am 16. Mai 2010 gegen 18.33 Uhr sei ebenfalls wegen Lärmbelästigung der Nachbarn erfolgt. Zwei Polizeibeamte seien zwar ohne Zustimmung der Kläger, aber auch ohne Gewaltanwendung in die Wohnung eingedrungen und hätten die Familienmitglieder gebeten, sich leiser zu verhalten. Dies habe jedoch keinen Erfolg gehabt; vielmehr seien die Polizeibeamten vom Sohn J. L. beleidigt worden. Nach Feststellung der Personalien der beteiligten Personen und nochmaligem Hinweis auf die Ruhestörung hätten die Polizeibeamten die Wohnung verlassen.

Die strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen die an den streitgegenständlichen polizeilichen Maßnahmen beteiligten Polizeibeamten seien allesamt gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden.

Das Bayerische Verwaltungsgericht München wies die Klage mit Urteil vom 20. April 2011 ab. Diese sei zwar als Fortsetzungsfeststellungsklage statthaft, aber hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Fesselung des Sohnes M. L. unzulässig und bleibe im Übrigen in der Sache ohne Erfolg. Die angegriffenen polizeilichen Maßnahmen am 11./12. Januar 2010 sowie am 16. Mai 2010 seien rechtmäßig gewesen.

Mit Beschluss vom 12. Oktober 2012 (Az. 10 ZB 11.2277) ließ der Bayerische Verwaltungsgerichtshof antragsgemäß die Berufung zu.

Die zugelassene Berufung wurde im Wesentlichen wie folgt begründet: Das Verfahren weise mehrere Begleiterscheinungen auf, die ungeachtet der Rechtswidrigkeit der angefochtenen polizeilichen Maßnahmen bemerkenswert seien. So sei es ein besonderes Merkmal des Falles, dass ein Polizeibeamter, der persönlichen Kontakt zum USK habe, bereits mit Polizeieinsätzen gedroht habe. Zudem würden die Kläger und ihre Familienangehörigen regelmäßig nach Übergriffen von Polizeibeamten mit Strafanzeigen überzogen. Besonders gravierend sei, dass die Aussagen der USK-Beamten in den strafrechtlichen Verfahren in weiten Bereichen falsch seien. Dies werde durch das von der Polizei anlässlich des Einsatzes am 11. Januar 2010 gefertigte Einsatzvideo belegt, das keine Widerstandshandlungen der Kläger gegen Vollzugsbeamte zeige.

Der Polizeieinsatz vom 11. Januar 2010 sei rechtswidrig gewesen, weil die Voraussetzungen für einen USK-Einsatz nicht vorgelegen hätten und die Polizeibeamten die Wohnung der Kläger nicht hätten betreten dürfen. Sie seien weder zum Betreten aufgefordert worden noch habe es einen Grund für das Eindringen gegeben. Nach Art. 23 PAG bestehe nur ein eingeschränktes Recht, in der Nacht in eine Wohnung einzudringen. Der laut Einsatzvideo alleinige Einsatzgrund „Ruhestörung“ erlaube eine Einschränkung des durch Art. 13 GG besonders geschützten Rechts auf Unverletztlichkeit der Wohnung nicht. Spätestens nach der Aufforderung durch die Klägerin, die Wohnung zu verlassen, und dem Hinweis auf die Behinderung von M. L. hätten sich die Polizeibeamten zurückziehen müssen. Rechtswidrig seien auch die Angriffe der USK-Beamten auf die Kläger und deren Fesselung gewesen. Hierfür habe jeweils keine Rechtsgrundlage vorgelegen, zumal von der Klägerin und dem blinden Kläger keinerlei Gefahr ausgegangen sei. Sie hätten sich lediglich schützend vor ihren Sohn M. L. gestellt. Hätten die Polizeibeamten die Wohnung nach Aufforderung durch die Klägerin verlassen, wäre eine mögliche Gefährdung durch M. L. beseitigt gewesen und ein rechtmäßiger Zustand hergestellt worden. Auch die Fesselung des Sohnes M. L. sei nicht nachvollziehbar. Von dem behinderten und erkennbar überforderten Sohn M. L. sei ebenfalls keine Gefahr ausgegangen. Nach der Fesselung habe sich ein USK-Beamter auf die Klägerin gesetzt und deren Kopf in eine Matratze gedrückt. Ein anderer Beamter habe den Kläger auf den Kopf geschlagen. Für diese körperverletzenden Maßnahmen habe es ebenfalls keine Rechtfertigung gegeben. Schließlich hätten die Polizeibeamten die rechtswidrige Fesselung der Kläger ausgenutzt, um die Wohnung zu durchsuchen. Dies sei auf dem Einsatzvideo festgehalten. Die Passagen auf dem Einsatzvideo, die die rechtswidrige, wenn nicht sogar kriminelle Intention des Einsatzes belegen könnten, seien nachträglich herausgeschnitten worden. Hierin liege eine strafbare Urkundenfälschung bzw. Urkundenvernichtung.

Auch der Einsatz am 16. Mai 2010 sei rechtswidrig gewesen, da keine über Stunden anhaltende Lärmbelästigung vorgelegen habe. Man habe sich lediglich laut unterhalten. Aber auch eine Ruhestörung rechtfertige grundsätzlich nicht das Betreten einer Wohnung. Hinzu komme, dass die Beamten auch bei diesem Einsatz trotz des Abschlusses ihrer Ermittlungen in der Wohnung verblieben seien und diese nicht unverzüglich wieder verlassen hätten.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 20. April 2011 aufzuheben und festzustellen, dass das Eindringen und Verbleiben der Polizei in der Wohnung der Kläger am 11./12. Januar 2010, die Fesselung der Kläger und ihres Sohnes M. L. am 11. Januar 2010, die Durchsuchung der Privatunterlagen der Kläger am 11. Januar 2010, die Gewaltanwendung gegenüber den Klägern in der Wohnung am 11. Januar 2010 sowie das Eindringen und der Aufenthalt der Polizeibeamten in der Wohnung der Kläger am 16. Mai 2010 rechtswidrig waren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung wies er vorweg darauf hin, dass der Kläger mit Urteil des Amtsgerichts München vom 14. Oktober 2011 wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte anlässlich der streitgegenständlichen Maßnahme am 11. Januar 2010 zu einer Geldstrafe verurteilt worden sei. Das Verfahren gegen die Klägerin sei nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Bei der Familie der Kläger handle es sich um eine polizeibekannte Familie, die durch aggressives Verhalten untereinander sowie gegen Mitbürger und Polizeibeamte auffalle und gegen die zahlreiche Strafverfahren gelaufen seien bzw. liefen. Mit dem in der Nachbarschaft lebenden Polizeibeamten hätten die Einsätze nichts zu tun. Vielmehr sei es bereits kurz nach dem Einzug der Kläger zu ersten Konflikten mit Nachbarn und deshalb zu Polizeieinsätzen gekommen. Beim Einsatz am 11./12. Januar 2010 sei das USK zur Unterstützung angefordert worden, wie dies auch ansonsten in vergleichbaren Fällen gehandhabt werde. Die Beamten hätten die Wohnung auch rechtmäßig betreten. Da den Beamten bekannt gewesen sei, dass es in der Vergangenheit zu gegenseitigen körperlichen Auseinandersetzungen innerhalb der Familie gekommen sei, habe die Gefahr bestanden, dass sich erneut eine Person in der Wohnung befinde, die Hilfe benötige. Bereits anlässlich eines Polizeieinsatzes am 23. Mai 2009 habe man eine unbekannte Person mit Verletzungen in der Wohnung gefunden, nachdem die Brüder M. L. und J. L. mit der Klägerin und dieser Person in Streit geraten seien und sich geschlagen hätten. Die Fesselung des Sohnes M. L. sei erfolgt, weil dieser die Beamten auf übelste Weise beschimpft habe und diese eine Eskalation hätten verhindern wollen. M. L. habe zudem nach einem Beamten getreten und einen anderen mit Gegenständen beworfen. Die Kläger, die versucht hätten, die Polizei daran zu hindern, gegen M. L. einzuschreiten, hätten damit rechtmäßige Vollstreckungshandlungen erschwert, sich dadurch strafbar gemacht und zudem ihrem Sohn M. L. einen weiteren Handlungsspielraum verschafft, um erneut Gegenstände in Richtung der Polizeibeamten zu werfen. Dass der blinde Kläger angeblich lediglich mit den Armen gerudert habe, sei durch die Aussagen der Polizeibeamten im Strafverfahren gegen den Kläger widerlegt. Die Beamten hätten auch weder gewusst noch bemerkt, dass der Kläger blind ist. Körperverletzende Maßnahmen hätten die Beamten nicht ergriffen. Wegen der Erforderlichkeit eines schnellen Handelns sei die Anwendung unmittelbaren Zwangs erforderlich gewesen. Es sei abzusehen gewesen, dass die Kläger einem Verwaltungsakt in Form einer Unterlassungsverfügung keine Folge geleistet hätten. Entgegen der Ansicht der Kläger habe weder eine Wohnungsdurchsuchung noch eine Durchsuchung der privaten Unterlagen der Klägerin stattgefunden. Vielmehr habe diese in dem ihr übergebenen Ordner selbst nach einem bestimmten Dokument gesucht.

Auch der Polizeieinsatz am 16. Mai 2010 sei rechtmäßig gewesen, denn aufgrund der belegten anhaltenden Lärmbelästigung der Nachbarn während des ganzen Sonntags habe eine gegenwärtige Gefahr für deren Gesundheit bestanden. Da die Beamten von einer Gefahrenlage in der Wohnung ausgegangen seien, habe die Nachschau auch der Ermittlung gedient, ob verletzte Personen anwesend und Rettungsmaßnahmen zu ergreifen seien. Hierfür hätten objektiv ausreichende Anhaltspunkte vorgelegen. Die Beamten selbst hätten deutliches Geschrei und lautes Gepolter in der Wohnung vernommen. Sobald die Beamten festgestellt hätten, dass keiner der Anwesenden ihre Hilfe benötige, und sie die Familienmitglieder zur Ruhe aufgefordert hätten, hätten die Beamten die Wohnung unverzüglich verlassen.

In der mündlichen Verhandlung am 2. und 18. März 2015 wurde die Sach- und Rechtslage eingehend erörtert. Auf die Niederschriften, insbesondere über die Aussagen der vernommenen Zeugen, wird Bezug genommen, ebenso auf die beigezogenen Strafakten zu Verfahren gegen die Kläger, ihre Söhne und gegen an den Maßnahmen beteiligte Polizeibeamte sowie auf die beigezogenen Gerichts- und Behördenakten.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Kläger ist zulässig, jedoch nur teilweise begründet. Das Verwaltungsgericht hat die gegen polizeiliche Maßnahmen am 11./12. Januar 2010 und am 16. Mai 2010 gerichtete Klage der Kläger (dazu 1.) zu Recht im Wesentlichen als zulässig erachtet (2.). Die Berufung ist insoweit begründet, als antragsgemäß festzustellen ist, dass die Fesselung der Kläger durch die Polizei am 11. Januar 2010 rechtswidrig war. Im Übrigen ist sie zurückzuweisen (3.).

1. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die von den Klägern erhobene Klage, mit der sie die Feststellung begehren, dass das Eindringen und Verbleiben der Polizei in der Wohnung der Kläger am 11./12. Januar 2010, die Fesselung der Kläger und ihres Sohnes M. L. am 11. Januar 2010, die Durchsuchung der Privatunterlagen der Kläger am 11. Januar 2010, die Gewaltanwendung gegenüber den Klägern in der Wohnung am 11. Januar 2010 sowie das Eindringen und der Aufenthalt der Polizeibeamten in der Wohnung der Kläger am 16. Mai 2010 rechtswidrig waren. Demgegenüber sind der am 12. Januar 2010 im Zusammenhang mit den oben genannten polizeilichen Maßnahmen bei der Klägerin durchgeführte Alkoholtest einschließlich ihres Verbringens in das Polizeiauto und die Gewahrsamnahme des Sohnes J. L. am selben Tag nicht Streitgegenstand dieses Verfahrens.

2. Die auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der danach streitgegenständlichen polizeilichen Maßnahmen gerichtete Klage der Kläger ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, soweit sie eigene Rechte betrifft. Hinsichtlich der begehrten Feststellung der Rechtswidrigkeit der Fesselung des Sohnes M. L. ist sie, wovon bereits das Verwaltungsgericht ausgegangen ist, jedoch unzulässig.

2.1. Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO oder als allgemeine Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO statthaft. Es kann letztlich offen bleiben, ob man die streitbefangenen Maßnahmen, die von den Klägern als polizeiliche „Übergriffe“ beanstandet werden, jeweils als eigenständige polizeiliche Verwaltungsakte mit entsprechendem Regelungsgehalt (etwa des befehlenden Inhalts, diese Maßnahmen oder Beschränkungen zu dulden) im Sinne des Art. 35 Satz 1 BayVwVfG oder als (bloße) auf einen rein tatsächlichen Erfolg gerichtete Realakte im Rahmen des polizeilichen Handelns einstuft (vgl. Schmidbauer/Steiner, Bayerisches Polizeiaufgabengesetz, 4. Auflage 2014, Art. 12 POG Rn. 53 ff.; Rachor in Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Auflage 2012, E Rn. 22 ff.).

Denn in jedem Fall, also sowohl mit der Fortsetzungsfeststellungsklage als auch mit der allgemeinen Feststellungsklage, ist ein effektiver nachträglicher gerichtlicher Rechtsschutz (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG) der bereits vor Klageerhebung beendeten Maßnahmen gewährleistet.

2.2. Die Kläger haben ein hinreichendes Rechtsschutzinteresse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der gegen sie selbst gerichteten streitgegenständlichen Maßnahmen dargetan.

2.2.1. Für eine wie hier auf die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit bereits vollzogener und damit erledigter (s. auch Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG) polizeilicher Maßnahmen gerichtete Klage ist in jedem Fall ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung erforderlich. Ein solches liegt unabhängig von der hier statthaften Klageart jedenfalls bei Bestehen einer Wiederholungsgefahr oder einer fortwirkenden Beeinträchtigung durch einen an sich beendeten Eingriff vor. Darüber hinaus kommt ein trotz Erledigung fortbestehendes Rechtsschutzinteresse in Fällen tiefgreifender Grundrechtseingriffe in Betracht (vgl. BVerfG, B. v. 13.12.2005 -2 BvR 447/05 - juris Rn. 55; BVerfG, B. v. 5.12.2001 - 2 BvR 527/99 u. a. - juris Rn. 36; BayVGH, U. v. 27.1.2012 - 10 B 08.2849 - juris Rn. 33; VGH BW, U. v. 22.7.2004 - 1 S 410/03 - juris Rn. 20). Bei derart schweren Grundrechtseingriffen hat das Bundesverfassungsgericht ein durch Art. 19 Abs. 4 GG geschütztes Rechtsschutzinteresse u. a. in Fällen angenommen, in denen sich die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in der der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung eröffneten Instanz nicht erlangen kann (vgl. BVerfG, B. v. 5.12.2001 a. a. O.).

Ein solcher Fall ist hier gegeben. Während der polizeilichen Maßnahmen in der Wohnung der Kläger am 11./12. Januar 2010 und am 16. Mai 2010 konnten sie keinen gerichtlichen Rechtsschutz gegen diese Maßnahmen erreichen. Eine tiefgreifende Grundrechtsbeeinträchtigung durch die streitgegenständlichen polizeilichen Maßnahmen wie insbesondere das Betreten der Wohnung zur Nachtzeit und die Fesselung der Kläger ist nicht von der Hand zu weisen. Die Kläger berufen sich insoweit auf die Verletzung ihrer Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG wegen der diskriminierenden Wirkung der polizeilichen Maßnahmen, auf ihr Recht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG und ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit sowie die Freiheit der Person nach Art. 2 Abs. 2 GG hinsichtlich der Fesselung und der behaupteten Gewaltanwendung sowie auf ihr Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 Abs. 1 GG im Hinblick auf das Betreten und Verweilen der Polizisten in ihrer Wohnung und die behauptete Durchsuchung.

Dahinstehen kann deshalb, ob daneben eine das berechtigte Interesse für eine allgemeine Feststellungsklage ebenfalls möglicherweise begründende Wiederholungsgefahr anzunehmen ist. Dafür sprach zunächst einiges, da die Kläger in ihrer Wohnung in M. häufig Anlass zu polizeilichen Maßnahmen gegeben haben. Andererseits sind die Kläger inzwischen nach N. verzogen. Dortige Vorfälle sind dem Senat weder bekannt noch wurden solche vom Beklagten vorgetragen.

2.2.2. Auch wenn man die von den Klägern angegriffenen gegen sie gerichteten polizeilichen Maßnahmen nicht als Realakte, sondern als polizeiliche Verwaltungsakte ansehen würde, hätten die Kläger ein berechtigtes Interesse i. S. d. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO für ihr Klagebegehren. Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. BVerwG, U. v. 20.4.1994 - 11 C 60.92 - juris Rn. 9; Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, Rn. 129 zu § 113 VwGO) genügt dafür jedes nach vernünftigen Erwägungen nach Lage des Falles anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art. Im vorliegenden Fall kann den Klägern das für eine Fortsetzungsfeststellungsklage erforderliche Rehabilitationsinteresse nicht abgesprochen werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein schutzwürdiges ideelles Feststellungsinteresse auch in Betracht kommen, wenn die jeweils in Frage stehende Maßnahme die Kläger objektiv in ihrem grundrechtlich geschützten Bereich tiefgreifend beeinträchtigt hat, die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich aber nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann (vgl. BVerwG, U. v. 23.3.1999 - 1 C 12.97 - juris Rn. 13). Hierzu zählen namentlich Feststellungsbegehren, die polizeiliche Maßnahmen zum Gegenstand haben (vgl. BVerwG, U. v. 29.4.1997 - 1 C 2.95 - juris Rn. 21).

2.3. Die Klage erweist sich jedoch insoweit als unzulässig, als die Kläger auch die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Fesselung ihres Sohnes M. L. erreichen wollen. Denn ebenso wie bei der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist das Bestehen einer Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO nach allgemeiner Auffassung Sachurteilsvoraussetzung der Fortsetzungsfeststellungsklage (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, § 113 Rn. 125) und auch bei der Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO ist die Betroffenheit einer eigenen Rechtsposition des Klägers erforderlich (zur entspr. Anwendbarkeit von § 42 Abs. 2 VwGO vgl. z. B. BVerwG, NVwZ 2008, 423 Rn. 14). Mit ihrem Klageantrag, die Rechtswidrigkeit der Fesselung ihres Sohnes M. L. festzustellen, machen die Kläger aber die Rechtsposition des M. L. geltend bzw. die Verletzung von dessen Rechten.

Das Argument der Kläger, sie hätten deshalb ein Rechtsschutzinteresse, weil ihr am 24. Mai 1992 geborener Sohn im Zeitpunkt der streitgegenständlichen polizeilichen Maßnahmen noch nicht volljährig war, greift dagegen nicht. Denn auch ein minderjähriges Kind besitzt eine eigene Klagebefugnis für die Geltendmachung der Verletzung seiner Rechte; es wird in diesen Fällen lediglich durch seine Eltern gesetzlich vertreten. Eine eigene Klage hat M. L. aber nicht erhoben. Der Klageantrag vom 19. Mai 2010 ist insoweit eindeutig (s. § 82 Abs. 1 VwGO). Kläger sind danach nur die Eltern von M. L., nicht aber auch deren Kinder, für die zunächst die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Fesselung beantragt worden ist, wobei ohnehin nur M. L. tatsächlich gefesselt wurde. M. L. hat auch später keine Klage erhoben. Der Klageantrag ist auch nicht entsprechend erweitert worden.

2.4. Der Klagebefugnis der Kläger hinsichtlich des Betretens und Verweilens der Polizei in der Wohnung steht nicht entgegen, dass sie nicht Eigentümer der von ihnen bewohnten Wohnung waren. Sie sind nämlich auch als Mieter klagebefugt, soweit sie die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Eindringens und Verweilens in ihrer Wohnung am 11./12. Januar 2010 und am 16. Mai 2010 begehren. Träger des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 Abs. 1 GG, das sie durch die polizeilichen Maßnahmen verletzt sehen, ist nämlich jeder Bewohner oder Inhaber eines Wohnraums ohne Rücksicht darauf, auf welchen Rechtsverhältnissen sein Wohnen oder Wirken in diesem Raum beruht (vgl. Papier in Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Stand: 2014, Art. 13 Rn. 12). Daher ist auch der Mieter, der berechtigt in der Wohnung wohnt, befugt, eine Verletzung dieses Grundrechts geltend zu machen. Dass die Kläger im Zeitpunkt der angegriffenen polizeilichen Maßnahmen rechtmäßige Mieter der Wohnung T. Straße 214a in M. waren, ist unstrittig.

3. Die Berufung ist begründet, soweit die Kläger die Aufhebung bzw. Abänderung des erstinstanzlichen Urteils in dem Umfang begehren, in dem das Verwaltungsgericht die Klage bezüglich ihrer Fesselung während des Polizeieinsatzes am 11./12. Januar 2010 abgewiesen hat. Im Übrigen hat die Berufung in der Sache keinen Erfolg.

3.1. Das Betreten der Wohnung der Kläger durch die beim Einsatz am 11./12. Januar 2010 beteiligten Polizeibeamten erfolgte rechtmäßig. Die Kläger wurden durch diese polizeiliche Maßnahme nicht in ihren Rechten verletzt.

Rechtsgrundlage für diese Maßnahme ist Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 in Verbindung mit Abs. 2 des Gesetzes über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Staatlichen Polizei (Polizeiaufgabengesetz - PAG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. September 1990 (GVBl S. 397), zuletzt geändert durch § 1 ÄndG vom 24. Juni 2013 (GVBl S. 373).

Nach Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 PAG kann die Polizei eine Wohnung ohne Einwilligung des Inhabers betreten und durchsuchen, wenn das zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für Sachen von bedeutendem Wert erforderlich ist. Nach Art. 23 Abs. 2 PAG ist während der Nachtzeit (§ 104 Abs. 3 StPO) das Betreten und Durchsuchen einer Wohnung in den Fällen des Abs. 1 nur zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für Sachen von bedeutendem Wert zulässig. Art. 23 Abs. 1 Satz 2 PAG bestimmt, dass die Wohnung die Wohn- und Nebenräume umfasst.

3.1.1. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 PAG liegen vor.

3.1.1.1. Die Wohnung der Kläger ist am 11. Januar 2010 von Polizeibeamten betreten worden. Dies steht zweifelsfrei fest und wird auch vom Beklagten nicht bestritten.

Eine Durchsuchung der Wohnung im Sinne von Art. 23 Abs. 1 Satz 1 PAG ist demgegenüber nicht erfolgt. Soweit die Kläger unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. September 1974 (I C 17.73 - juris) meinen, die Suche nach Verletzten in einer Wohnung sei rechtlich eindeutig als Durchsuchungsmaßnahme zu werten, greift dieser Durchsuchungsbegriff zu kurz. Denn nach dem genannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (a. a. O. juris Rn. 16) ist kennzeichnend für die Durchsuchung das ziel- und zweckgerichtete Suchen staatlicher Organe in einer Wohnung, um dort planmäßig etwas aufzuspüren, was der Inhaber der Wohnung von sich aus nicht offen legen oder herausgeben will, etwas nicht klar zu Tage liegendes, vielleicht Verborgenes aufzudecken oder ein Geheimnis zu lüften, mithin das Ausforschen eines für die freie Entfaltung der Persönlichkeit wesentlichen Lebensbereichs, das unter Umständen bis in die Intimsphäre des Betroffenen dringen kann. Demgemäß macht die beim Betreten einer Wohnung unvermeidliche Kenntnisnahme von Personen, Sachen und Zuständen den Eingriff in die Wohnungsfreiheit noch nicht zu einer „Durchsuchung“. Denn die „Durchsuchung“ umfasst als zweites Element neben dem Betreten der Wohnung die Vornahme von Handlungen in den Räumen (vgl. BVerwG, U. v. 25.8.2004 - 6 C 26.03 - juris Rn. 24). Daran fehlt es aber hier. Die Polizisten, die wegen der Lärmentwicklung in der Wohnung befürchteten, dort sei es zu Handgreiflichkeiten gekommen und in der Wohnung befänden sich womöglich verletzte hilfebedürftige Menschen, wollten nicht plangemäß bestimmte Personen aufspüren und dabei Handlungen vornehmen, wie z. B. das Öffnen von Behältnissen oder Wegschieben von Möbeln etc., sondern sie wollten sich lediglich durch eine sogenannte „Nachschau“ vergewissern, dass alle in der Wohnung befindlichen Personen wohlauf sind. Dass sie dabei auch Türen zu Nebenräumen öffneten (vgl. die Aussage des Zeugen T., wonach dieser die Tür zum Badezimmer in der Wohnung geöffnet hat, um dort womöglich befindliche Personen zu kontrollieren), diente lediglich zum Betreten des jeweiligen Raumes und nur zur Nachschau, ob sich dort verletzte Personen befinden. Die Polizei wollte also gerade nicht die Wohnung nach einer Person durchsuchen, sondern nur den (gesundheitlichen) Zustand der in der Wohnung angetroffenen Personen feststellen bzw. überprüfen (vgl. Schmidbauer/Steiner, a. a. O., Art. 23 Rn. 29). Demgegenüber wäre dann von einer Durchsuchung zu sprechen, wenn die Polizei nach einer bestimmten Person gesucht hätte, von der sie konkrete Anhaltspunkte gehabt hätte, dass sie sich in der Wohnung aufhält und die Wohnungsinhaber dies zu verbergen trachten (vgl. zum funktionalen oder deskriptiven Durchsuchungsbegriff: Zeitler, ZAR 2014, 365 ff.). Beides war aber in der Wohnung der Kläger am 11. Januar 2010 nicht der Fall.

3.1.1.2. Ob die Polizeibeamten am 11. Januar 2010 die Wohnung der Kläger zunächst ohne deren Einwilligung betreten haben oder ob die Polizeibeamten zumindest von einem der beiden Kläger in die Wohnung eingelassen worden sind, konnte auch durch die Vernehmung der an diesem Tag vor Ort im Einsatz befindlichen Polizisten nicht geklärt werden.

Da sowohl der Kläger als auch die Klägerin als rechtmäßige Mieter Inhaber der Wohnung im Sinne des Art. 23 Abs. 1 Satz 1 PAG waren, also die tatsächliche Gewalt über die Wohnung hatten, und jeweils in das Betreten der Wohnung einwilligen oder den Polizisten das Betreten untersagen konnten (vgl. Nr. 23.4 Vollz. B.ek zu Art. 23 PAG), hätte zumindest einer der beiden in das Betreten ihrer Wohnung einwilligen müssen. Jedoch bestreiten sowohl die Klägerin als auch der Kläger vehement, die Polizisten freiwillig in die Wohnung eingelassen zu haben. Demgegenüber sagte nur der Zeuge Ri. aus, die Klägerin hätte ihm und seinen Kollegen das Betreten der Wohnung erlaubt, nachdem sie ihr erklärt hätten, warum sie in die Wohnung wollten. Die anderen in der mündlichen Verhandlung vom 2. März 2015 hierzu vernommenen Zeugen konnten sich nicht mehr daran erinnern, ob sie von der Klägerin in die Wohnung eingelassen wurden oder nicht.

Letztendlich bedarf es aber keiner endgültigen Klärung der Frage, ob eine Einwilligung eines der Kläger vorlag, denn selbst wenn den Polizisten das Betreten der Wohnung gestattet worden wäre, wurde diese Einwilligung bereits wenig später widerrufen. Dies ergibt sich eindeutig aus dem über den Einsatz am 11./12. Januar 2010 gefertigten und bei den Gerichtsakten befindlichen Einsatzvideo des Beklagten, das mit Einverständnis der Parteien vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 2. März 2015 zu Beweiszwecken herangezogen und angesehen wurde. Auf dem Video ist, kurz nachdem mehrere Einsatzkräfte durch die Wohnungstür in den Flur und in das Wohnzimmer der klägerischen Wohnung eingedrungen sind, die Stimme der Klägerin zu hören, die laut und deutlich ruft: „Raus aus meiner Wohnung.“ Spätestens ab diesem Zeitpunkt erfolgte das Betreten der Wohnung ohne Einwilligung der Wohnungsinhaber.

3.1.1.3. Nach Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 PAG ist das Betreten einer Wohnung ohne Einwilligung der Inhaber durch die Polizei dann rechtmäßig, wenn dies zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für Sachen von bedeutendem Wert erforderlich ist. Der Senat ist aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens und insbesondere der umfangreichen Beweisaufnahme zur Überzeugung gelangt (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), dass die Polizei im Zeitpunkt des Betretens der klägerischen Wohnung am 11. Januar 2010 um ca. 23.30 Uhr zutreffend von einer solchen Gefahrenlage ausgegangen ist.

Das Betreten einer Wohnung ohne Einwilligung der Wohnungsinhaber ist nicht bereits bei jeder denkbaren Gefahr zulässig, sondern nur zum Schutz der in Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 PAG genannten Rechtsgüter. Dabei bedeutet eine Gefahr für „Leib“ einer Person eine Gefahr für die Gesundheit, wobei jeder Gesundheitsschaden genügt. Er braucht weder besonders schwer noch besonders langandauernd sein (vgl. Schmidbauer/Steiner, a. a. O., Art. 23 Rn. 22). Hinzukommen muss, dass die Gefahr, die abgewehrt werden soll, gegenwärtig ist. Dies ist dann der Fall, wenn das schädigende Ereignis bereits begonnen hat oder doch so unmittelbar bevorsteht, dass mit seinem Eintritt jederzeit zu rechnen ist (vgl. Schmidbauer/Steiner, a. a. O., Rn. 21).

Davon ausgehend bestand die gegenwärtige Gefahr, dass sich in der Wohnung der Kläger nach den langandauernden und lauten Streitereien am Abend des 11. Januar 2010 zum einen verletzte und hilfsbedürftige Personen befanden und zum anderen durch die erhebliche Ruhestörung durch die Kläger die Gesundheit der Nachbarn ernsthaft beeinträchtigt und womöglich geschädigt wurde. Maßgeblich für die danach anzustellende Gefahrenprognose sind die konkreten Verhältnisse bzw. Gegebenheiten zum Zeitpunkt der Maßnahme (ex-ante-Betrachtung).

Den polizeilichen Maßnahmen gingen erhebliche Lärmbelästigungen durch die Familie der Kläger voraus, die einen Mitbewohner veranlasst haben, am späten Abend die Polizei zu informieren und um Hilfe zu bitten. Mit dem in der mündlichen Verhandlung vom 18. März 2015 vom Beklagten vorgelegten Ausdruck des „ZEUS-Programms“ über den streitgegenständlichen Polizeieinsatz ist dieser Anruf dokumentiert. In Verbindung mit einer Abfrage bei der polizeilichen Datei „igweb 23“, wonach es bereits ein halbes Jahr zuvor einen Familienstreit gegeben hat und Familienmitglieder Straftaten, unter anderem Beleidigung, gefährliche Körperverletzung und Sachbeschädigung begangen haben, ist die zuständige Einsatzzentrale beim Polizeipräsidium München in nachvollziehbarer Weise davon ausgegangen, dass sich womöglich verletzte Personen in der Wohnung befinden und deshalb eine Nachschau erforderlich ist. Dies hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung am 18. März 2015 glaubhaft und nachvollziehbar geschildert. Zudem ergibt sich aus den beigezogenen Strafakten, dass ein Strafverfahren gegen den Sohn der Kläger, M. L., wegen Beleidigungen und Bedrohung nach § 47 Abs. 1 Nr. 4 JGG wegen Zweifels an seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit mit Beschluss des Amtsgerichts M. (1022 Ds 462 Js 301781/09) vom 20. Oktober 2009 eingestellt worden ist. Am 24. Oktober 2008 hat die Klägerin im Streit einem Nachbarn angeblich auf den Kopf geschlagen; ein diesbezügliches Strafverfahren wurde auf den Privatklageweg verwiesen (ebenfalls Beschl. des Amtsgerichts M. v. 20.10.2009, 1022 Ds 462 Js 307498/09). Am 23. Mai 2009 kam es in der Wohnung der Kläger zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen den Brüdern M. L. und J. L. mit gegenseitigen Schlägen. Die Schlägerei konnte erst durch einen Polizeieinsatz beendet werden. Schließlich zeigt auch die Übersicht des Polizeipräsidiums M. vom 14. April 2011 (Bl. 92 der Akten des VG) ein erhebliches Aggressionspotential bei allen Familienmitgliedern der Kläger auf. Denn daraus sind im Zeitraum 17. Oktober 2008 bis 2. März 2011 insgesamt 23 polizeiliche Einsätze bei den Klägern ersichtlich, die allesamt auf Streitigkeiten sowohl innerhalb der Familie als auch mit dritten Personen beruhten und die den Rahmen üblicher Streitigkeiten erheblich sprengten. Neben der Aufzählung von üblen Beleidigungen, Bedrohungen und Sachbeschädigungen werden die Streitigkeiten als „lautstark“, „heftig“, „sehr laut“ und „eskaliert“ bezeichnet, die Stimmung als „explosiv“. Der Sohn M. L. der Kläger wurde seit dem 16. Februar 2009 zwei Jahre lang wegen verschiedener Delikte, darunter mehrfache (gefährliche) Körperverletzung, polizeilich beobachtet (vgl. Stellungnahme des Polizeipräsidiums M. v. 9.11.2011 zur Zulassungsbegründung der Kläger, Bl. 47 der VGH-Akte). Frühere Einsätze wegen massiver Lärmbelästigung durch die Kläger bestätigte schließlich der Zeuge P., der die Familie der Kläger von diesen Einsätzen her kennt.

Die Gefahr für Leib und Leben einer Person in der Wohnung der Kläger war auch gegenwärtig und nur durch eine sofortige Nachschau abzuwehren. Denn die Polizei hatte keine gesicherten Angaben über die Anzahl der Personen in der Wohnung, die Art des Streits und über mögliche Verletzte. Es galt, eine etwaige verletzte Person zu bergen und der ärztlichen Betreuung zuzuführen und zugleich die vermuteten Streitigkeiten in der Familie oder mit Dritten zu schlichten.

Der Rechtmäßigkeit des Betretens der Wohnung der Kläger durch die Polizei steht nicht entgegen, dass in der Wohnung tatsächlich keine verletzten Personen oder Hilfsbedürftige aufgefunden wurden. Denn auch eine solche Anscheinsgefahr rechtfertigt ein Einschreiten der Polizei. Eine Anscheinsgefahr ist nämlich immer dann gegeben, wenn bei objektiver Betrachtung zur Zeit der polizeilichen Maßnahme Tatsachen auf eine drohende Gefahr hindeuten, sie aber in Wirklichkeit nicht vorliegt. Die Anscheinsgefahr steht einer tatsächlich vorliegenden konkreten Gefahr gleich (vgl. Schmidbauer/Steiner, a. a. O., Art. 11 Rn. 41). Aufgrund der aus der Wohnung dringenden Geräusche, die auf Streitigkeiten zwischen den in der Wohnung befindlichen Personen hindeuteten, konnte ohne weiteres der Schluss gezogen werden, dass es aufgrund des Streits womöglich auch zur Begehung von Straftaten wie Körperverletzungsdelikten gekommen war und sich eine hilfsbedürftige Person in der Wohnung befand.

Eine gegenwärtige Gefahr für die Gesundheit („Leib“) von Menschen, insbesondere unmittelbare Nachbarn, stellte im Übrigen aber auch der erhebliche Lärm dar, den die Kläger zur Nachtzeit verursachten. Auch wenn nicht jede Ruhestörung und Lärmentwicklung zu einer Gesundheitsgefahr für andere führt, ist ein den üblichen Rahmen erheblich übersteigendes Lärmen geeignet, die Gesundheit der umwohnenden Nachbarn nachhaltig zu beeinträchtigen, wenn diese aufgrund der Störung ihrer Nachtruhe keinen Schlaf finden und dies auch noch häufiger vorkommt (vgl. VG München, U. v. 24.10.2011 - M 17 K 99.5345 - juris Rn. 21; VG Chemnitz, U. v. 30.11.2009 - 3 K 431/09 - juris Rn. 19; vgl. auch Lisken/Denninger, a. a. O., E Rn. 654). Dabei spielt es keine Rolle, ob die störenden Mitbewohner sich „nur“ laut unterhalten oder telefonieren oder ob sie streiten. Ebenfalls irrelevant ist, ob die Wohnung wie bei den Klägern hellhörig ist und keine richtige Wohnungstür, sondern nur eine Zimmertür als Zugang zur Wohnung besitzt. Denn von ihnen als den Verursachern des Lärms ging die Gefahr aus, die den Polizeieinsatz erforderlich machte, und nicht von dem Zustand ihrer Wohnung.

Sowohl den Einsatzgrund „verletzte Person in der Wohnung der Kläger“ als auch den Einsatzgrund „erhebliche Ruhestörung“ haben die einvernommenen Zeugen glaubhaft bestätigt. So hat der für den Einsatz bei den Klägern verantwortliche P. ausgesagt, als Einsatzgrund sei von der Zentrale „Ruhestörung“ angegeben worden. Andere Zeugen geben als Einsatzgrund „überlauten Streit“ bzw. „Streit“ oder „Familienstreit“ an (z. B. die Zeugen W., Ri., Go., Gr.). Der Zeuge P. hat darüber hinaus bei Ankunft vor der Wohnung der Kläger den Eindruck eines lautstarken Streits in der Wohnung gehabt, was für ihn entscheidend dafür war, die Wohnung zum Zwecke der Nachschau und zur eventuellen Feststellung von verletzten Personen zu betreten. Den Einsatzgrund „Feststellung von geschädigten oder verletzten Personen“ hat auch der Zeuge Ro. genannt. Auch der Zeuge Gr. bestätigte ein erhebliches Geschrei der Kläger in ihrem Wohnzimmer. Seiner Erinnerung nach war der Einsatzzweck „Familienstreit“. An den überlauten Lärm in der klägerischen Wohnung konnte sich auch der Zeuge Go. erinnern, der als Einsatzgrund ebenfalls „Streitigkeiten“ angab. In seiner (zeitnahen) Stellungnahme zur Anzeige gegen die Klägerin hatte der Zeuge T. als Einsatzgrund außerdem „randalierende Person“ angegeben (Bl. 255 der Akten des Beklagten).

Damit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass aus der Wohnung der Kläger unmittelbar vor dem Polizeieinsatz tatsächlich erheblicher Lärm in den Hausflur drang und dies ebenso wie die Nachschau nach verletzten Personen ein berechtigter Grund für das Betreten der Wohnung war und dass es sich nicht etwa um eine Verschwörung Dritter gehandelt hat, wie die Kläger mutmaßen.

Als weiterer möglicher Einsatzgrund kommen die gefährliche Körperverletzung durch M. L. (Werfen mit Gegenständen auf die Polizeibeamten) sowie die Drohungen des J. L. gegen den anzeigenden Nachbarn hinzu. Allerdings kam es zu dem Verhalten der Söhne der Kläger erst nach dem Betreten der Wohnung durch die Polizei. Sie waren nicht von Anfang an ursächlich, sondern führten später zu einem womöglich längeren Verbleiben der Polizei in der Wohnung (dazu 3.2.).

3.1.1.4. Das Betreten der klägerischen Wohnung war trotz der zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen polizeilichen Maßnahme herrschenden Nachtzeit zulässig.

Nach Art. 23 Abs. 2 PAG ist das Betreten einer Wohnung während der Nachtzeit in den Fällen des Abs. 1 nur zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für Sachen von bedeutendem Wert zulässig.

Die Nachtzeit umfasst nach § 104 Abs. 3 StPO, der hier Anwendung findet, im Winterhalbjahr (1.10. bis 31.3.) die Zeit von 9.00 Uhr abends bis 6.00 Uhr morgens, also auch die Zeit von ca. 23.30 Uhr am 11. Januar bis ca. 1.00 Uhr am 12. Januar 2010, in der der streitgegenständliche Polizeieinsatz stattfand. Dass die Voraussetzungen des Art. 23 Abs. 1 PAG vorlagen und insbesondere das Betreten zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person erforderlich war, wurde oben bereits ausgeführt (vgl. 3.1.1.3.).

3.1.2. Mit dem Betreten der klägerischen Wohnung im Zuge des Polizeieinsatzes am 11./12. Januar 2010 hat die Polizei nicht gegen den für alle staatlichen Maßnahmen geltenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (s. Art. 4 PAG) verstoßen. Die mögliche Maßnahme des Betretens der Wohnung gegen den Willen der Kläger war geeignet (dazu 3.1.2.1.), erforderlich (dazu 3.1.2.2.) und verhältnismäßig im engeren Sinne (dazu 3.1.2.3.).

3.1.2.1. Dass das Betreten der Kläger geeignet war, gegebenenfalls verletzten Personen Hilfe zu leisten und für eine Beilegung der lautstarken Streitigkeiten innerhalb der Familie zu sorgen, versteht sich von selbst und wird auch von den Klägern nicht bestritten.

3.1.2.2. Das Betreten der Wohnung war auch erforderlich (Art. 23 Abs. 1 Satz 1, Art. 4 Abs. 1 PAG). Danach hat die Polizei von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen diejenige zu treffen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit am Wenigsten beeinträchtigt (Art. 4 Abs. 1 PAG).

3.1.2.2.1. Das Betreten der Wohnung war sowohl zur Nachschau nach verletzten Personen als auch zur Beilegung der Streitigkeiten der Kläger grundsätzlich erforderlich. Das Vorbringen der Kläger, die Polizei dürfe auch bei Ruhestörungen durch Lärm eine Wohnung nicht einfach betreten, sondern sie müsse zunächst einmal zur Ruhe auffordern, was hier nicht geschehen sei, greift nicht, denn die Kläger selbst haben bei ihrer Anhörung durch den Verwaltungsgerichtshof in der mündlichen Verhandlung vom 2. März 2015 ausgesagt, der Kläger sei zunächst vor die Wohnungstür gegangen und sollte dort „die Sache mit der Polizei“ klären. Eine solche Unterredung des Klägers im Hausflur vor der klägerischen Wohnungstür haben verschiedene Zeugen bestätigt (so auch der Zeuge P., der mit dem Kläger gesprochen hat). Dieses Gespräch brachte aber offensichtlich nicht den erwünschten Erfolg, denn während dessen Verlauf ging der lautstarke Streit in der Wohnung weiter (vgl. die Aussage des Zeugen P.). Auch die Antwort des Klägers auf die Frage, ob es Verletzte in der Wohnung gebe, es sei alles in Ordnung, konnte angesichts des im Hintergrund hörbaren lautstarken Streits den Verdacht, in der klägerischen Wohnung befänden sich womöglich verletzte und hilfebedürftige Personen, nicht ausräumen, zumal der Kläger selbst das vom Zeugen P. geschilderte Gespräch nicht bestätigt, sondern erklärt hat, sich an eine solche Frage (nach Verletzten) nicht erinnern zu können. Auch der Lärm, der von den Streitereien der Personen in der Wohnung ausging, war allein durch das Gespräch des Polizeibeamten P. mit dem Kläger vor der Wohnungstüre der Kläger nicht abzustellen. Vielmehr zeigte sich, dass es für die Polizei erforderlich war, direkt mit den lärmenden Personen in der klägerischen Wohnung zu sprechen und sie anzuhalten, ruhiger zu sein.

In Zusammenschau mit den polizeilichen Erkenntnissen über die Familie der Kläger und die früheren Polizeieinsätze war das Betreten der klägerischen Wohnung daher erforderlich. Andere weniger beeinträchtigende Maßnahmen waren tatsächlich nicht möglich oder von vorneherein nicht geeignet (z. B. Beendigung der Ruhestörung durch ein Gespräch nur mit dem Kläger).

3.1.2.2.2. Erforderlich zur polizeilichen Gefahrenabwehr war nach der Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) nicht nur das Betreten der klägerischen Wohnung an sich, sondern auch das Betreten der Wohnung durch eine Polizeistreife zusammen mit einer zur Unterstützung des Einsatzes zum Einsatzort beorderten USK-Einheit.

Das Erforderlichkeitsprinzip, also das Prinzip des geringstmöglichen Eingriffs, erfordert nicht nur, dass die Maßnahme selbst das mildeste wirksame Mittel darstellt, um mögliche Gefahren abzuwehren, sondern auch, dass der Umfang der Maßnahme erforderlich in diesem Sinne ist. Dies war hier der Fall.

Anlässlich des Polizeieinsatzes bei den Klägern am 11./12. Januar 2010 sind nicht nur die zunächst informierten beiden Beamten einer Polizeistreife, sondern eine zusätzlich angeforderte USK-Einheit zur Wohnung der Kläger gefahren und in diese eingedrungen. Während die Kläger der Auffassung sind, die USK-Einsatzkräfte hätten sich für den betreffenden Einsatz am 11. Januar 2010 selbst aufgedrängt, womöglich im Zusammenwirken mit einem ebenfalls einer USK-Einheit angehörenden Nachbarn, mit dem die Kläger Streit hatten, steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Teilnahme einer USK-Einheit am streitgegenständlichen Einsatz der Polizei zu Recht und außerdem formal ordnungsgemäß angeordnet worden ist.

Der für den Einsatz verantwortliche Polizeibeamte P. hat in der mündlichen Verhandlung vom 2. März 2015 glaubhaft und überzeugend dargelegt, dass er aus nachvollziehbaren Gründen nicht ohne Unterstützung zur Wohnung der Kläger fahren wollte. Dies war zum einen der Umstand, dass der ihn begleitende Kollege seinerzeit lediglich Praktikant war und ihm daher die Erfahrung für einen solchen Einsatz fehlte, und zudem die ihm bekannte örtliche Situation bei den Klägern. Er hat weiter glaubhaft geschildert, dass der Einsatz von Verstärkungskräften auch bei Ruhestörungen oder Streitigkeiten möglich ist und er selbst bereits früher einmal zur Wohnung der Kläger mit (anderweitiger) Verstärkung gefahren ist. Die Beweisaufnahme hat darüber hinaus ergeben, dass der Zeuge P. die Verstärkung nicht selbst angefordert hat, weil dies bereits im Rahmen des Einsatzauftrags durch die Einsatzzentrale beim Polizeipräsidium M. veranlasst war. Dies ergibt sich auch aus den Ausführungen des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 18. März 2015, in der anhand eines Einsatzprotokolls (ZEUS-Programm-Ausdruck), das dazu dient, den Polizeieinsatz zeitlich nachvollziehbar darzustellen, der Ablauf des Einsatzes von der Benachrichtigung des Nachbarn über die Ruhestörung bei den Klägern bis zum tatsächlichen Beginn des Einsatzes an der Wohnung der Kläger ausführlich geschildert wurde. Danach wurde im Polizeipräsidium nach Eingang des Anrufs des Nachbarn der Kläger über den Streit in deren Wohnung zunächst eine „igweb23“-Abfrage gestartet, die einen Eintrag über den Familienstreit am 26. August 2009 und über mehrere von den Klägern und ihren Söhnen begangene Strafdelikte enthielt. Danach beorderte die Einsatzzentrale zunächst die Polizeistreife und unmittelbar danach die USK-Einheit zur Wohnung der Kläger.

Angesichts der besonderen Umstände, die vor dem tatsächlichen Einsatz in der klägerischen Wohnung bekannt wurden, hat der Beklagte die Hinzuziehung des Unterstützungskommandos zu Recht als erforderlich erachtet. Nachdem bereits mehrere Polizeieinsätze bei der Familie der Kläger wegen Streitigkeiten erfolgt waren, war es nicht zuletzt wegen der im „igweb23“ verzeichneten Daten sachgerecht, nicht nur die beiden Streifenpolizisten in die Wohnung der Kläger zu schicken, zumal einer der beiden als Praktikant nicht die erforderliche Erfahrung hatte, mit mehreren, vermutlich aggressiven Personen in entsprechender Weise umzugehen, sondern eine USK-Einheit zur Unterstützung hinzuziehen. Hinzu kommt, dass vor dem Betreten der Wohnung bereits zu erkennen war, dass es sich bei den Klägern nicht nur um eine „normale“ Ruhestörung handelte, sondern wegen des lauten Geschreis von Streitigkeiten mit womöglich verletzten Personen ausgegangen werden musste. Zu diesem Zeitpunkt war insbesondere nicht klar, ob und wie viele Personen in der Wohnung waren. Rückschlüsse aus dem Lärmen und Schreien ließen allerdings bereits erkennen, dass sich in der Wohnung nicht nur zwei Leute aufhielten, sondern dass von mehreren womöglich aggressiven Personen ausgegangen werden musste. Die Polizei wusste auch nicht, mit welchen Aggressionen sie zu rechnen hatte. Bei der Anforderung der USK-Einheit gab es noch keine präzisen Angaben zu der Anzahl der Personen in der Wohnung, zur Art des Streits und zu möglichen Verletzten. Es war daher Vorsorge zu treffen, dass ausreichend Beamte für den Einsatzzweck, insbesondere zur Behebung der Streitigkeiten und der Beschwichtigung der aufgeheizten Stimmung in der Wohnung sowie zur Hilfeleistung für womöglich verletzte Personen, vor Ort waren. Aber auch der Gedanke des Eigenschutzes spielt bei der Einsatzstärke im Rahmen von polizeilichen Maßnahmen eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Die Polizei ist nicht gezwungen, sich selbst in Gefahr zu begeben. Es waren daher ausreichend Polizeibeamte an der Maßnahme zu beteiligen, um sowohl eine größere Anzahl von Personen - auch im Falle einer Eskalation - notfalls überwältigen zu können - die Polizei geht nach Aussage des Beklagten von zwei Beamten pro Person aus - und auch um gleichzeitig mehrere Räume in der Wohnung überprüfen zu können (vgl. auch die Aussagen der Zeugen W. und Gr. am 2. März 2015). Insofern erwies sich die Anzahl der beteiligten Beamten auch deshalb als erforderlich, denn nach dem Betreten der Wohnung kristallisierten sich drei Schwerpunkte heraus, nämlich das Wohnzimmer, in dem sich die Kläger und M. L. aufhielten, das Zimmer des J. L. mit mehreren Personen und das Zimmer des P. L. Bei Verteilung der Polizeibeamten auf die verschiedenen Zimmer und Zuordnung von je zwei Beamten zu den in der Wohnung befindlichen Personen war damit letztlich auch die Anzahl der beteiligten Polizeikräfte erforderlich und nicht überzogen.

Das USK-Kommando ist des weiteren der aus zwei Beamten bestehenden Polizeistreife ordnungsgemäß von der Einsatzzentrale des Polizeipräsidiums M. zugeordnet worden. Auch dies steht für den Senat aufgrund der Äußerungen des Beklagten und der Zeugeneinvernahme fest. Insbesondere hat sich die USK-Streife für den Einsatz nicht wie die Kläger meinen von selbst aufgedrängt. Dafür, dass der angeblich bei der USK beschäftigte Nachbar der Kläger „hinter der Sache steckt“, bestehen keinerlei Anhaltspunkte. Vielmehr werden die Aussage des Zeugen P. und die Ausführungen des Beklagten zum Einsatz des USK durch den Zeugen W. bestätigt, der Leiter der USK-Einheit ist und vom Leiter der Einsatzzentrale beim Polizeipräsidium M. die Unterstützungsanfrage für den streitgegenständlichen Einsatz erhalten hat. Dem Umstand, dass die vor der Zuordnung der USK-Einheit zwischen den betreffenden Polizeieinheiten und der Einsatzzentrale geführten Gespräche, denen nach Auffassung der Kläger entscheidende Bedeutung zukommt, nicht aufgezeichnet und damit nicht im Wortlaut nachvollziehbar sind, kommt demgegenüber keine relevante Bedeutung zu.

Die USK-Unterstützung beruhte des weiteren formal ordnungsgemäß auf einer entsprechenden Anordnung des Polizeipräsidiums München, weil es sich bei dem am Einsatz in der Wohnung der Kläger beteiligten Unterstützungskommando um die Polizeiinspektion Ergänzungsdienste handelt, d. h. um eine dritte Einsatzhundertschaft, die im Rahmen des täglichen Dienstes innerhalb des Polizeipräsidiums M. auch alle allgemein dienstlichen Aufgaben erfüllt. Das genannte Unterstützungskommando ist mit funktionalen Einsatzaufgaben betraut und in die Organisation des Polizeipräsidiums eingegliedert (vgl. Schmidbauer/Steiner, a. a. O., Art. 4 POG Rn. 19). Damit steht fest, dass das Polizeipräsidium M. den Einsatz der USK-Unterstützung in rechtmäßiger Weise anordnen konnte.

Das Betreten der klägerischen Wohnung durch alle anwesenden Polizeibeamten gemeinsam bzw. kurz hintereinander, also der beiden Beamten der Polizeistreife und der Mitglieder der USK-Einheit, war auch insofern erforderlich, als es unter Berücksichtigung der Gesamtumstände nicht veranlasst oder geboten war, zunächst nur zu zweit oder zu dritt die Wohnung zu betreten und die übrigen Einsatzkräfte noch vor der Wohnungstüre warten zu lassen. Denn die Entwicklung in der Wohnung, nämlich weiter lautes Streiten, die im Laufe des Betretens festgestellte Anwesenheit von mehreren Personen in der Wohnung sowie die Verteilung der Personen auf mehrere Zimmer und aggressives Verhalten gegenüber den eindringenden Polizisten insbesondere durch den Sohn M. L. der Kläger, machte den Einsatz von allen anwesenden Polizisten erforderlich. Dies hat sich im Übrigen auch im weiteren Verlauf der Einsatzdynamik bestätigt.

3.1.2.3. Das Betreten der klägerischen Wohnung war schließlich verhältnismäßig im engeren Sinne.

Nach Art. 4 Abs. 2 PAG darf eine Maßnahme nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. Bei einem polizeilichen Eingriff in Grundrechte der Betroffenen bedeutet dies, dass Einbußen an grundrechtlich geschützter Freiheit nicht in unangemessenem Verhältnis zu den Zwecken stehen dürfen, denen die Grundrechtsbeschränkung dient (vgl. BVerwG, U. v. 25.1.2012 -6 C 9.11 - juris Rn. 47). Geht man von diesen Vorgaben aus, erweist sich das Betreten der Wohnung der Kläger am 11. Januar 2010 ohne deren Zustimmung als verhältnismäßig.

Die Kläger wurden durch das Betreten der Wohnung in ihrem Recht auf Unverletztlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG beeinträchtigt. Eine Grundrechtsbeeinträchtigung lag nicht nur darin, dass die Polizei ihre Wohnung zur Nachtzeit betreten hat, sondern erschwerend kommt hinzu, dass an der Maßnahme eine größere Anzahl von Polizeibeamten beteiligt war und die Beeinträchtigungen entsprechend intensiv waren. Demgegenüber waren die lautstarken Streitigkeiten der Kläger Ursache für womöglich bereits erfolgte, jedenfalls aber für drohende Gesundheitsschäden der Nachbarn, die wegen der Lärmbelästigung durch die Kläger zum wiederholten Mal keinen Schlaf finden konnten. Zudem sollte das Betreten der Wohnung, wie oben bereits ausgeführt wurde, auch dazu dienen, möglicherweise verletzten Personen Hilfe zu leisten. Auch insofern diente die Maßnahme zum Schutz des Rechts auf körperliche Unversehrtheit eines Menschen aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Wägt man diese Schutzgüter gegeneinander ab, so ist dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit im konkreten Fall ein höherer Wert beizumessen als dem Grundrecht auf Unverletztlichkeit der Wohnung. Denn hätte es tatsächlich in der Wohnung der Kläger Verletzte gegeben und wären diese nicht rechtzeitig entdeckt worden, hätte dies zu möglicherweise gravierenden Gesundheitsschäden der verletzten Personen führen können, wohingegen die Kläger zwar durch das Eindringen in ihre Wohnung in ihrem Privatleben beeinträchtigt wurden, die gesamte Maßnahme aber lediglich eineinhalb Stunden gedauert hat und soweit ersichtlich folgenlos blieb. Die Nachteile für gegebenenfalls verletzte Personen und die durch den Lärm beeinträchtigten Nachbarn wären daher bei einem Unterbleiben der polizeilichen Maßnahme erheblich größer gewesen als es die Nachteile für die Kläger durch das Betreten der Wohnung waren. Damit erweist sich aber die Maßnahme des Betretens der Wohnung als verhältnismäßig im engeren Sinne.

3.1.3. Die polizeiliche Maßnahme des Betretens der klägerischen Wohnung erweist sich auch insofern als rechtmäßig, als auch im Übrigen Ermessensfehler nicht erkennbar sind.

3.2. Das Verbleiben der Polizeibeamten in der klägerischen Wohnung bis zum Ende der Maßnahme um ca. 1.00 Uhr am 12. Januar 2010 ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden.

3.2.1. Rechtsgrundlage für das Verbleiben der Polizei in der Wohnung der Kläger ohne deren Einwilligung ist ebenso wie das Betreten der Wohnung Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i. V. m. Abs. 2 PAG.

Wie unter 3.1.1. bereits dargelegt, waren die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt. In der Zeit ab dem Betreten der Wohnung bis zum Verlassen der Wohnung, also während des gesamten Zeitraums des Verbleibens der Polizei in der Wohnung, hat sich am Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i. V. m. Abs. 2 PAG auch nichts wesentlich geändert. Insbesondere ist das Verbleiben der Polizei in der Wohnung weiter ohne Einwilligung der Kläger erfolgt, denn die Klägerin hat, wie ebenfalls oben ausgeführt wurde, bereits kurz nach dem Betreten der Wohnung durch die Polizisten diese laut aufgefordert, die Wohnung zu verlassen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war eine womöglich erteilte Einwilligung in das Betreten der Wohnung erloschen.

Während der Dauer des Verbleibens der Polizei in der Wohnung bestand durchgehend eine gegenwärtige Gefahr für die Gesundheit von Personen, die es mit der Maßnahme abzuwehren galt. Dies war einerseits die übermäßige Lärmverursachung durch die Kläger selbst, die auch nach dem Betreten der Wohnung durch die Polizisten anhielt. Zudem bestand nach wie vor die Gefahr, dass sich verletzte Personen in der Wohnung befanden und der Hilfe bedurften. Dazu kam im Verlauf des Einsatzes sehr bald die Eskalation im Wohnzimmer der Kläger, als deren Sohn M. L. anfing, die Polizisten zu beschimpfen und zu beleidigen und mit Gegenständen nach ihnen zu werfen. Dabei bedarf es in diesem Zusammenhang keiner Beantwortung der Frage, ob die Gefährdung der Gesundheit der Polizeibeamten durch die Würfe des M. L. auch dadurch hätte beseitigt werden können, dass die Beamten die Wohnung verließen. Denn jedenfalls war bis zu diesem Zeitpunkt der Zweck des Einsatzes noch nicht erreicht, weil noch nicht geklärt war, ob sich nicht doch noch verletzte Personen in der Wohnung befinden, wobei es nicht ausreichte festzustellen, dass die Familienmitglieder der Kläger unverletzt waren. Es hätten sich nämlich auch hilfebedürftige Dritte in der Wohnung befinden können. Zwar hatten die Beamten, die nicht in den Wohnraum vorgedrungen waren, die Zimmer in Augenschein genommen, in denen sich J. L. bzw. P. L. aufhielten und auch im Badezimmer Nachschau gehalten, jedoch hatte die Polizei noch nicht das hinter dem Wohnzimmer liegende weitere Zimmer im Wege der Nachschau kontrolliert (vgl. die Aussage des Zeugen Ri.). Denn sobald die Polizisten das Wohnzimmer betreten hatten, mussten sie sich mit M. L. befassen und waren im weiteren Verlauf des Einsatzes mit der Fesselung der Kläger und ihres Sohnes M. L. beschäftigt. Auch die Kläger haben nicht ausgesagt, dass die Polizei dieses Zimmer hinter dem Wohnzimmer zuvor bereits kontrolliert hätte. Aus dem Einsatzvideo ist hierzu ebenfalls nichts ersichtlich. Vielmehr ist auf dem Videoband lediglich die geschlossene Türe zu dem hinter dem Wohnzimmer liegenden Raum zu sehen. Da somit die Nachschau nach verletzten Personen noch nicht beendet war, ist nicht entscheidungserheblich, ob gegebenenfalls von J. L. eine Gefahr für die Gesundheit oder das Leben anderer Personen ausging, als er erhebliche Drohungen gegen die Nachbarn der Familie aussprach und deshalb letztendlich in Gewahrsam genommen worden ist. Zudem befanden sich die drei Polizisten, die im Zimmer von J. L. waren, auch deshalb dort, weil sie verhindern wollten, dass J. L. zu den anderen Familienmitgliedern in das Wohnzimmer zurückkehrte und dort die Streitigkeiten wieder begannen (vgl. die Aussage der Zeugen P. und K. B.). Auch dies war ein berechtigter Grund, solange in der Wohnung der Kläger zu bleiben, bis eine Deeskalation der Streitigkeiten erreicht worden ist. Dies war frühestens mit der In-Gewahrsamnahme des J. L. der Fall. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich aber auch die Lage im Wohnzimmer bereits beruhigt und der Einsatz wurde von den Polizisten noch abgewickelt (Aufnahme der Personalien der beteiligten Personen, Sicherstellung von Beweismitteln, Protokollierung etc.), bevor sie dann endgültig die Wohnung verlassen haben (so der Zeuge W.). Bis dahin war aber von einer gegenwärtigen Gefahrenlage im Sinne von Art. 23 Abs. 1 Nr. 3 PAG auszugehen (Art. 4 Abs. 3 PAG).

3.2.2. Das Verbleiben der Polizei in der Wohnung bis gegen ca. 1.00 Uhr des 12. Januar 2010 war verhältnismäßig.

Es war geeignet und erforderlich, weil eine entsprechende Gefahrenlage weiter bestand (vgl. dazu 3.2.1.). Insoweit kann, auch zur Erforderlichkeit der Anwesenheit der USK-Einheit, auf die Ausführungen zum Betreten der Wohnung verwiesen werden (vgl. 3.1.2.). Schließlich erwies sich das Verbleiben auch als verhältnismäßig im engeren Sinne. Auch insoweit ergibt sich nichts anderes als bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Betretens der Wohnung.

3.2.3. Schließlich sind auch keine sonstigen Ermessensfehler ersichtlich.

3.3. Soweit sich die Kläger gegen ihre Fesselung am 11./12. Januar 2010 wenden, hat ihre Berufung Erfolg. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist insoweit abzuändern und festzustellen, dass die Fesselung der Kläger durch die Polizei rechtswidrig war und die Kläger durch die Fesselung in ihren Rechten verletzt worden sind.

Rechtsgrundlage für die Fesselung ist Art. 65 Nr. 1 PAG i. V. m. Art. 53 Abs. 2, Art. 58 Abs. 1, Art. 60 Abs. 1, Art. 61 Abs. 1, 2 und 3 und Art. 64 Abs. 1 Satz 2 PAG. Danach darf eine Person, die nach diesem Gesetz oder anderen Rechtsvorschriften festgehalten wird, gefesselt werden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Polizeibeamte oder Dritte angreifen, Widerstand leisten oder Sachen beschädigen wird (Art. 65 Nr. 1 PAG.). Die Fesselung ist ein Mittel der Anwendung von Verwaltungszwang, der nach Art. 53 Abs. 2 PAG ausnahmsweise ohne vorausgehenden Verwaltungsakt angewendet werden kann, wenn das zur Abwehr einer Gefahr notwendig ist. Unmittelbarer Zwang kann angewendet werden, wenn andere Zwangsmittel nicht in Betracht kommen oder keinen Erfolg versprechen oder unzweckmäßig sind (Art. 58 Abs. 1 Satz 1 PAG). Unter unmittelbarem Zwang versteht der Gesetzgeber die Einwirkung auf Personen oder Sachen durch körperliche Gewalt, ihre Hilfsmittel und durch Waffen (Art. 61 Abs. 1 PAG). Dabei ist körperliche Gewalt jede unmittelbare körperliche Einwirkung auf Personen oder Sachen (Art. 61 Abs. 2 PAG). Hilfsmittel der körperlichen Gewalt sind insbesondere Fesseln (Art. 61 Abs. 3 PAG).

Nach Auffassung des Senats führte die Fesselung der Kläger zwar nicht zu einer Freiheitsentziehung, für die der sog. Richtervorbehalt des Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG gilt, denn das mit der Fesselung einhergehende Festhalten der Kläger war nur kurzzeitig (allenfalls ca. eine Stunde) und gefesselt waren die Kläger nur an den Händen. Es erfolgte insbesondere keine Gewahrsamnahme im Sinne von Art. 17 PAG, denn die Kläger sind nur kurzfristig und lediglich zur Verhinderung weiterer Straftaten oder Widerstandshandlungen in der eigenen Wohnung gefesselt worden. Eine Freiheitsentziehung liegt nämlich nur dann vor, wenn die - tatsächlich und rechtlich an sich gegebene - körperliche Bewegungsfreiheit durch staatliche Maßnahmen nach jeder Richtung hin aufgehoben wird (vgl. BayVGH, U. v. 27.1.2012 - 10 B 08.2849 - juris Rn. 44 unter Hinweis auf BVerfG, U. v. 14.5.1996 - 2 BvR 1516/93 - juris Rn. 114; vgl. auch BVerfG, B. v. 8.3.2011 - 1 BvR 47/05 - juris Rn. 20). Dies war hier nicht der Fall. Der für eine Freiheitsentziehung erforderliche höhere Grad der Eingriffsintensität sowohl in zeitlicher als auch insbesondere räumlicher Hinsicht (vgl. Radtke in BeckOK GG, Stand: 1.3.2015, Art. 104 Rn. 3) lag hier (noch) nicht vor. Denn die Fesselung (und das Festhalten) erfolgten nur zum Zwecke der Sicherung der polizeilichen Maßnahmen (Fixierung und Fesselung) gegenüber M. L. Hätten die Kläger der Polizei nicht „im Wege gestanden“ und wären sie freiwillig zur Seite getreten, hätte die Polizei ohne Fesselung der Kläger zu M. L. vordringen und dessen Angriffe abwehren können. Es war von vornherein nicht beabsichtigt, die Kläger aus anderen Gründen für längere Zeit festzuhalten oder in Gewahrsam zu nehmen. Diese Fesselung erweist sich allerdings gleichwohl als nicht rechtmäßig.

3.3.1. Es ist bereits fraglich, ob die Voraussetzungen einer Fesselung nach dem hier allein in Betracht kommenden Art. 65 Nr. 1 PAG vorliegen. Danach ist erforderlich, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine nach diesem Gesetz oder anderen Rechtsvorschriften festgehaltene Person Polizeibeamte oder Dritte angreifen, Widerstand leisten oder Sachen beschädigen wird. Das Festhalten der Person muss auf gesetzlicher Grundlage erfolgen.

Ob diese Voraussetzungen bei der Klägerin, die wohl im Wege einer eigenständigen freiheitsbeschränkenden Maßnahme der Polizei nach Art. 11 PAG festgehalten wurde, vorgelegen haben, ist schon zweifelhaft. Es ist nämlich bereits fraglich, ob hinreichende Tatsachen vorlagen, die die Annahme der Polizei, die Klägerin werde Widerstand gegen Polizeibeamte leisten, bestätigen könnten.

Es steht zur Überzeugung des Gerichts (vgl. § 108 Abs. 1 VwGO) fest, dass die Klägerin nach dem Betreten der Wohnung durch die Polizeibeamten im Wohnzimmer ihren behinderten und durch die aufgeheizte Stimmung in der Wohnung aggressiv gewordenen Sohn beruhigen und verhindern wollte, dass dieser mit den Polizeibeamten in Streit gerät. Ihr Vorbringen in der mündlichen Verhandlung, sie habe sich vor ihren Sohn M. L. gestellt und dieser habe dann mit Gegenständen in Richtung der Polizeibeamten geworfen, wird durch die Einvernahme der am Einsatz beteiligten Polizisten insoweit bestätigt, als z. B. der Zeuge Go. ausgesagt hat, dass die Klägerin versucht habe, M. L. zu beruhigen. Sie habe ihn aber nicht in den Griff bekommen. Bestätigt wurde auch, dass die Kläger „gleichsam in der Schusslinie“ vor ihrem Sohn (so der Zeuge Ri.) und damit den Polizeibeamten, die M. L. festnehmen wollten, im Wege standen. Ebenso hat sich der Zeuge T. geäußert, nämlich dass die Klägerin versucht habe, ihren Sohn zu beschwichtigen, sich dann umgedreht und ihm im Weg gestanden habe. „Deshalb habe ich sie dann zur Seite auf die Couch geworfen bzw. wir sind dort hingefallen.“ Letztendlich wird das Geschehen bestätigt durch das Einsatzvideo, das deutlich zeigt, wie die Klägerin ihren Sohn zu beruhigen versucht, dann laut und deutlich den Polizisten zuruft, dass er behindert sei und sich dann erneut in Richtung ihres Sohnes umdreht, während die Polizeibeamten von hinten auf sie zustürmen und sie dann auf das Bett geworfen, fixiert und gefesselt wird. Damit hat die Beweisaufnahme einschließlich der Inaugenscheinnahme des Videos aber ergeben, dass von der Klägerin jedenfalls keine konkreten Widerstandshandlungen ausgegangen sind. Allenfalls die Befürchtung, die Klägerin werde die Polizisten angreifen, wenn diese ihren Sohn festnehmen, könnte die Annahme der Polizei begründen, sie werde demnächst Widerstand leisten. Die Klägerin war sehr erregt und sprach mit lauter Stimme, auch hatte sie zuvor bereits Körperkontakt zu einem Polizisten. Aus dem Video ist allerdings nicht klar zu ersehen, ob sie von der Polizei abgedrängt wurde oder ob sie den Polizeibeamten geschoben hat. Deutlich erkennbar ist hingegen, dass die Klägerin kaum eine Möglichkeit hatte, die Ecke, in der sie stand, zu verlassen, ohne mit dem Polizisten zusammenzustoßen, da vor ihr die Polizeibeamten aufgebaut waren und hinter ihr ganz in der Ecke ihr aggressiver Sohn stand. Letztendlich kann die Frage, ob in der geschilderten Situation die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Fesselung vorlagen, bei der Klägerin offen bleiben.

Beim Kläger spricht dagegen einiges dafür, dass er entweder tatsächlich Widerstand gegen ein Vordringen der Polizeibeamten zu seinem behinderten Sohn geleistet hat, oder dass das auf dem Einsatzvideo erkennbare Rudern des Klägers mit den Armen, das er selbst als ein Tasten wegen seiner Blindheit erklärt, bei den Polizeibeamten zumindest den Anschein von Widerstandshandlungen erweckte, zumal diese offenbar zu diesem Zeitpunkt noch keine Kenntnis davon hatten, dass der Kläger sie nicht sehen konnte. Zwar hat die Klägerin behauptet, sie habe dies den Polizeibeamten gesagt. Auf dem Video, das auch das beim Einsatz Gesprochene klar und deutlich widergibt, ist eine solche Aussage der Klägerin aber nicht zu hören. Auf die Blindheit des Klägers hat sie danach erst später hingewiesen. Jedenfalls hat sich der Kläger sowohl nach den Aussagen der Zeugen als auch nach dem vom Senat eingesehenen Einsatzvideo körperlich gegen die Polizisten „gestemmt“. Ob er sich dabei nur vor dem weiteren Eindringen der Polizeibeamten in die Wohnung schützen oder ob er Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte leisten wollte, kann dahinstehen. Denn es reicht nach Art. 65 Abs. 1 PAG aus, dass mit Widerstandshandlungen zu rechnen ist. Insbesondere greift der Einwand des Klägers nicht, er sei blind und schon deshalb nicht in der Lage gewesen, gezielt Widerstand zu leisten. Denn gerade das Einsatzvideo zeigt, dass der Kläger direkt in Richtung der beteiligten Polizisten stand und diese - wohl über seinen Hörsinn - wahrnehmen und damit auch attackieren konnte. Seine Arme waren auch gegen die vorrückenden Polizeibeamten gerichtet, wohingegen der vom Zeugen Ri. verspürte Tritt im Fußbereich offensichtlich von M. L. herrührte. Nicht entscheidend sind in diesem Zusammenhang allerdings sowohl die Tatsache, dass der Kläger mit Urteil des Amtsgerichts München vom 14. Oktober 2011 wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig verurteilt worden ist, als auch die in diesem Urteil enthaltene Bewertung des Polizeieinsatzes und insbesondere der Fesselung des Klägers als rechtmäßig. Denn der Senat ist an diese Entscheidung nicht gebunden. Nicht entscheidend ist auch im Hinblick auf die nachfolgenden Ausführungen, ob die Fesselung des Sohnes M. L., die im vorliegenden Verfahren ohnehin nicht Streitgegenstand ist, rechtmäßig war.

3.3.2. Geht man trotz der dargelegten Bedenken des Senats davon aus, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 65 Nr. 1 PAG bei beiden Klägern vorlagen, erweist sich deren Fesselung jedoch nicht als verhältnismäßig im weiteren Sinne.

Die Fesselung mag zwar grundsätzlich geeignet gewesen sein, die Kläger von Widerstandshandlungen abzuhalten und damit die Fesselung des M. L. zu ermöglichen, um diesen wiederum von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten, weil er nach seiner eigenen Fesselung keine Gegenstände mehr zielgerichtet auf die Polizeibeamten werfen konnte. Es ist aber fraglich, ob sie erforderlich war. Erforderlich ist eine polizeiliche Maßnahme nämlich nur, wenn nicht eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Maßnahme, ein milderes Mittel also, in Betracht kommt (vgl. Lisken/Denninger, a. a. O., E Rn. 172). Verfassungsrechtlich geboten ist die Anwendung eines milderen Mittels allerdings nur bei dessen voraussichtlich gleicher Eignung für die Erreichung des angestrebten Zwecks (Lisken/Denninger, a. a. O., Rn. 173).

Die Fesselung einer Person bedeutet einen schweren Eingriff in ihre persönliche Freiheit (Schmidbauer/Steiner, a. a. O., Art. 65 Rn. 13). Sie bedeutet eine Einschränkung der Bewegung der Kläger, auch wenn ihnen nur Handfesseln angelegt worden sind. Bei der Klägerin kommt hinzu, dass sie mit dem Gesicht nach unten auf die Couch geworfen worden ist und sich der die Klägerin fesselnde Polizeibeamte auf sie gesetzt hat. Der Kläger wurde anlässlich seiner Fesselung auf den Boden geworfen und hat sich dabei im Gesicht verletzt. Angesichts dieses schweren Grundrechtseingriffs in die Rechte der Kläger aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG (Recht auf körperliche Unversehrtheit und Freiheit der Person) darf eine Fesselung nur als letztes Mittel zur Erreichung des bestimmten Zwecks eingesetzt werden, wenn andere Maßnahmen keinen Erfolg versprechen.

Das Ziel, die Kläger von Widerstandshandlungen gegen die Polizei im Rahmen der beabsichtigten Festnahme ihres Sohnes, die wiederum der Verhinderung weiterer Straftaten dienen sollte, abzuhalten, hätte aber womöglich schon durch andere mildere Maßnahmen erreicht werden können. Denkbar sind insoweit ein Festhalten der Kläger, ohne sie gleich zu fesseln, ein kurzfristiges Zurückweichen der Polizei aus dem Wohnzimmer und damit aus dem Wurfbereich des M. L., und womöglich hätte schon ein Einreden auf die Eltern, ihren Sohn festzuhalten, zu einer wesentlichen Entspannung des Geschehens geführt. Die Klägerin war ohnehin bereits von Anfang an darum bemüht, ihren Sohn zumindest mit Worten zu bändigen und hätte womöglich einer entsprechenden Aufforderung der Polizei durchaus Folge geleistet. Geht man davon aus, dass die hier angesprochenen anderen Maßnahmen als mildere Mittel ebenso wie die Fesselung der Kläger zum Erreichen des angestrebten Zwecks geführt hätten, stellt sich allenfalls die Frage, ob dieser Zweck genauso schnell erreicht worden wäre wie mit der Fesselung oder ob etwa der Rückzug der Polizeibeamten angesichts der Vielzahl von Beamten, die sich im Wohnzimmer und in dem engen Flur der Kläger befanden, zu lange gedauert hätte und M. L. bis zum endgültigen Rückzug noch weitere Gegenstände auf die Polizisten hätte werfen können. Letztendlich bedarf dies aber keiner abschließenden Bewertung, denn die Fesselung der Kläger erweist sich jedenfalls als unverhältnismäßig im engeren Sinne.

Wie unter 3.1.2.3. bereits ausgeführt wurde, ist eine Maßnahme nur dann nach Art. 4 Abs. 2 PAG verhältnismäßig (im engeren Sinne), wenn der mit der Maßnahme erstrebte Erfolg in einem angemessenen Verhältnis zu den damit verbundenen Eingriffen in Grundrechte der Betroffenen steht. Wenn die Intensität des Eingriffs in einem Missverhältnis zu dem mit der Maßnahme verfolgten Zweck steht, wenn mit anderen Worten dem Einzelnen die ihm auferlegte Belastung nicht zuzumuten ist, hat die Maßnahme zu unterbleiben (vgl. Lisken/Denninger, a. a. O., E Rn. 180). Danach ist die Verhältnismäßigkeit der Fesselung nicht gegeben.

Im Fall der Kläger ist der mit ihrer Fesselung verbundene Eingriff in ihre Grundrechte in Verhältnis zu setzen zu dem Bestreben der Polizei, von den Klägern nicht an der Festnahme ihres Sohnes gehindert zu werden. Bei der danach gebotenen Abwägung überwiegen die Belange der Kläger das oben aufgezeigte öffentliche Interesse.

Die Kläger sind durch die Fesselung und die damit zusammenhängenden weiteren Beeinträchtigungen in ihren Grundrechten auf Freiheit und körperliche Unversehrtheit betroffen worden. Sie sind beide ohne jegliche Vorwarnung von Polizeibeamten ergriffen worden, die Klägerin noch dazu, als sie dem Polizisten den Rücken zugekehrt hatte und mit einer Fesselung nicht rechnen musste. Ihnen wurde also entgegen Art. 64 Abs. 1 Satz 1 PAG die Fesselung nicht angedroht. Zwar kann nach Art. 64 Abs. 1 Satz 2 PAG von der Androhung abgesehen werden, wenn die Umstände sie nicht zulassen, insbesondere, wenn die sofortige Anwendung des Zwangsmittels zur Abwehr einer Gefahr notwendig ist, jedoch ist zweifelhaft, ob ein solcher Fall hier vorlag. Auch angesichts der aufgeheizten Stimmung im Wohnzimmer der Kläger hätte die Androhung der Fesselung womöglich dazu geführt, dass die Kläger die Polizei entweder zu ihrem Sohn vordringen lassen oder diesen selbst festhalten, damit er nicht mehr mit Gegenständen werfen kann. Der geistig behinderte Sohn der Kläger war nämlich bei seinen Aktionen, wie im Einsatzvideo deutlich zu sehen ist, nicht sehr schnell und geschickt. Eine Androhung der Fesselung wäre daher noch vor dem nächsten Wurf durchaus möglich gewesen.

Über die bloße Fesselung hinaus erlitten die Kläger erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigungen. Der Kläger hatte nachweislich Verletzungen in Form von Schürfwunden im Gesicht. Die Klägerin war dadurch in ihrer Gesundheit beeinträchtigt, dass der sie fesselnde Polizeibeamte zeitweise auf ihr kniete. Dass sie dadurch beim Atmen Probleme hatte, ist glaubhaft und nach der filmischen Darstellung dieser Maßnahme auf dem Einsatzvideo auch nachvollziehbar. Hinzu kommt die psychische Beeinträchtigung in Form der Angst um die eigene Gesundheit ebenso wie um den Zustand des Sohnes, der als Behinderter besonders empfindlich auf die polizeilichen Maßnahmen reagiert hat, wie sich aus dem späteren Verlauf erkennen lässt, als M. L. nur noch jammernd und weinend auf dem Boden saß. Schließlich ist auch die Dauer der Fesselung als weitere Erschwerung der ohnehin erfolgten Beeinträchtigung der Rechte der Kläger in die Abwägung einzustellen, denn die Kläger blieben, wie das Einsatzvideo zeigt, auch dann noch gefesselt, als der Sohn M. L. sich bereits beruhigt hatte, was bereits unmittelbar nach der Fesselung aller drei Personen der Fall war.

Andererseits hätte, wie oben bereits ausgeführt worden ist, das Ziel der Polizeibeamten, die Kläger daran zu hindern, ihren Sohn abzuschirmen, auch auf eine weniger intensive Art und Weise als durch eine Fesselung erreicht werden können. Auch waren die Angriffe durch M. L. nicht derart gefährlich, dass sie die von der Polizei ergriffenen Maßnahmen rechtfertigen konnten. Die Beleidigungen und verbalen Aggressionen des M. L. rechtfertigten ohnehin keine Fesselung seiner Eltern, denn insoweit hätte es ausgereicht, den Kläger zur Anzeige zu bringen. Aber auch die oben (vgl. S. 31) dargelegte Gefahr durch weitere Würfe des M. L. war relativ gering, zumal die Polizeibeamten alle in voller Ausrüstung waren und eventuellen weiteren Würfen hätten ausweichen können. Hinzu kommt, dass die Polizeibeamten leicht hätten erkennen können, dass der Kläger geistig behindert ist. Dies wird auf dem Einsatzvideo sehr deutlich. Sein gesamtes Verhalten, insbesondere sein Gesichtsausdruck, lassen ohne Weiteres auf eine gewisse geistige Retardierung schließen. Auf dem Einsatzvideo ist auch deutlich zu sehen, dass M. L. aufgrund seiner Behinderung sehr langsam reagiert und immer erst nach einem Gegenstand sucht, den er gegebenenfalls werfen kann. Die Gefahrenlage war daher auch in der konkreten Situation ausreichend vorhersehbar und einschätzbar. Zwar steht außer Frage, dass die Polizei Widerstand oder sonstige körperliche Beeinträchtigungen nicht hinnehmen muss und dafür auch härtere Mittel einsetzen kann. Jedoch ist der Senat, auch aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme, in diesem konkreten Fall angesichts der besonderen Einsatzsituation und der Anzahl der damals in der Wohnung anwesenden besonders ausgebildeten USK-Kräfte der Auffassung, dass die streitgegenständliche Fesselung nicht verhältnismäßig war, zumal im Hinblick auf den den Klägern vorgeworfenen „Widerstand“ in keiner Weise berücksichtigt worden ist, dass Eltern eines behinderten Kindes in der Regel intensiver bemüht sind, dieses in Schutz zu nehmen als dies womöglich bei einem gesunden Kind geschieht.

3.4. Eine Rechtsverletzung der Kläger aufgrund einer rechtswidrigen Durchsuchung durch die Polizei liegt nicht vor, denn eine Durchsuchung hat im Rahmen der hier streitgegenständlichen polizeilichen Maßnahmen am 11./12. Januar 2010 nicht stattgefunden.

Durchsuchungen gehören zu den möglichen Maßnahmen, die die Polizei zur Gefahrenabwehr ergreifen kann. Dazu ist in Art. 23 PAG die Durchsuchung von Wohnungen geregelt und in Art. 22 PAG die Durchsuchung von Sachen (zum Verhältnis zwischen diesen beiden Vorschriften vgl. Nr. 22.2 Vollz. B.ek zu Art. 22 PAG). Am 11. Januar 2010 sind aber weder die Wohnung noch Sachen der Kläger durchsucht worden.

Dass die Wohnung der Kläger nicht nach Personen durchsucht worden ist, wurde bereits oben (vgl. 3.1.1.1.) dargelegt. Über das bisher Ausgeführte hinaus ist aber auch die behauptete „Durchsuchung“ eines Ordners, um den es den Klägern im Wesentlichen geht, keine Durchsuchung der klägerischen Wohnung. Denn die Polizei hat die Wohnung der Kläger nicht mit der Absicht betreten, dort eine Durchsuchung vorzunehmen. Insbesondere hatte sie nicht vor, den Ordner der Klägerin und dort wiederum die im Ordner befindliche Unterlage über den Gesundheitszustand des Sohnes M. L. zu „suchen“. Von dem Ordner und der Unterlage war der Polizei nämlich bis zu dem Augenblick, in dem die Klägerin selbst auf den Ordner hingewiesen hat, nichts bekannt. Es war auch nicht die Polizei, die den Ordner gesucht hat, sondern, wie die Beweisaufnahme zweifelsfrei ergeben hat, wollte die Klägerin zum Beweis dafür, dass ihr Sohn M. L. geistig behindert ist, ein bestimmtes Gutachten, das sich in dem fraglichen Ordner befand, vorzeigen. Sie selbst hat in der mündlichen Verhandlung am 2. März 2015 ausgesagt, sie habe die Unterlagen wegen ihrer Fesselung nicht holen können und deshalb dem Polizisten gesagt, das Gutachten befinde sich in einem Ordner. Da sie nicht gewusst habe, in welchem Ordner das betreffende Attest sei, habe der Polizist einen dicken Ordner genommen und durchgesehen. Der Polizeibeamte Ri., der den beschriebenen Ordner an sich genommen hat, bestätigte im Wesentlichen die Aussage der Klägerin. Allerdings erklärte er, die Klägerin habe einen konkreten Ordner bezeichnet, den er dann ergriffen und kurz nach dem ihm genannten Attest durchgesehen habe. Den Ordner habe er dann der Klägerin vorgelegt, damit diese das gesuchte Attest entnehmen konnte. Selbst wenn die Angaben der Klägerin zutreffen sollten, dass sie auf keinen bestimmten Ordner gezeigt habe, ist das Ergreifen des Ordners durch den Polizisten und die kurze Durchsicht nach dem betreffenden Attest nicht als Durchsuchen der Wohnung zu werten. Es handelt sich aber auch nicht um eine Durchsuchung von Sachen, denn der Polizeibeamte hat den Ordner gerade nicht durchsucht, sondern nur kurz durchblättert und ihn dann der Klägerin weitergereicht. Hier fehlt es bereits an dem eine Durchsuchung kennzeichnenden Merkmal des Aufspürens einer Sache, die der Verfügungsberechtigte nicht herausgeben, sondern vielmehr verbergen möchte. Die Klägerin wollte im Gegenteil das Attest über ihren Sohn übergeben, um damit den Nachweis zu führen, dass M. L. für die zuvor von ihm begangenen Delikte nicht zur Verantwortung gezogen werden kann. Es war ihr Interesse, die Polizei über den Umstand, dass M. L. geistig behindert ist, zu informieren. Hielt sie aber nichts verborgen und war sie mit der Suche nach dem Attest ausdrücklich einverstanden, konnte auch kein Durchsuchen im Sinne der Art. 22 oder 23 PAG stattfinden.

Die Polizei hat zur Überzeugung des Senats auch nicht den Zustand der Klägerin, dass sie wegen der zuvor erfolgten Fesselung den Ordner nicht selbst holen konnte, ausgenutzt und so eine Durchsuchung vorgenommen. Denn die Polizei war an dem Inhalt dieses Ordners überhaupt nicht interessiert. Vielmehr war es die Klägerin selbst, die das Attest dem Polizisten zeigen wollte. Schon gar nicht wurde eine „Durchsuchung“ der „Privatunterlagen der Klägerin“ durch den „Gewalteinsatz“ zuvor „erzwungen“, wie die Kläger meinen. Der Hinweis der Klägerin auf das Gutachten über M. L. erfolgte nämlich erst nach der Fesselung der Kläger und des M. L., so dass der „Gewalteinsatz zuvor“ keinesfalls mehr ursächlich für eine erzwungene Durchsicht des Ordners sein konnte.

Schließlich ist auch die Tatsache, dass die Polizeibeamten vor dem Einsatz Handschuhe angezogen haben, kein Indiz dafür, dass sie rechtswidrige Durchsuchungen durchführen und keine damit verbundenen Fingerabdrücke hinterlassen wollten. Vielmehr wurde vom Beklagten glaubhaft erklärt, dass es zur Ausrüstung eines Polizeibeamten gehört, bei Einsätzen Handschuhe zu tragen, u. a. auch zum Selbstschutz. Dass das Anziehen von Handschuhen beim streitgegenständlichen Einsatz sinnvoll war, ist bereits daraus zu ersehen, dass einer der Beamten einen Gegenstand, den M. L. durch das Zimmer geworfen hat, mit dem Handschuh auffangen konnte. Hätte er keine Handschuhe angehabt, wäre es womöglich zu einer Verletzung des Polizeibeamten gekommen.

3.5. Im Verlauf der polizeilichen Maßnahmen am 11./12. Januar 2010 in der Wohnung der Kläger kam es auch nicht zu Gewaltanwendungen gegenüber den Klägern, die über die mit der Erzwingung der anderen Maßnahmen verbundenen Zwangsmittel, z. B. beim Betreten der Wohnung und der Fesselung der Kläger, hinausgingen. Für einen derartigen „Gewaltexzess“ durch die Polizei gibt es weder Nachweise noch greifbare Anhaltspunkte.

Das von den Klägern hierzu angeführte Beiseiteschieben des Klägers im Wohnungsflur durch den Polizeibeamten G. ist bereits nicht als „Gewaltanwendung“ anzusehen, weil es hierzu keines über eine leichte Körperberührung hinausgehenden körperlichen Einsatzes bedurfte. Außerdem diente es lediglich der Durchsetzung des Betretens der Wohnung und war damit allenfalls der - rechtmäßige - Vollzug (s. Art. 53 ff PAG) der Maßnahme „Betreten“.

Keine eigenständige Gewaltanwendung ist des weiteren die Durchsetzung der Fesselung des Klägers. Auch wenn er dabei verletzt worden ist, kommt dieser Tatsache keine eigenständige Bedeutung bei, denn diese Gesundheitsbeschädigung ist zweifelsohne im Verlauf der zwangsweisen Fesselung des Klägers erfolgt. Der Kläger hat selbst in der mündlichen Verhandlung vom 2. März 2015 angegeben, er sei gefesselt und „bei dieser Aktion“ verletzt worden. Auch daraus ergibt sich, dass die Verletzungen des Klägers Folge des mit der Fesselung einhergehenden unmittelbaren Zwangs waren. Von der Feststellung der Rechtswidrigkeit der zwangsweisen Fesselung selbst sind deshalb auch die dabei dem Kläger zugefügten Verletzungen (seinen Angaben nach Schürfwunden) erfasst.

Eine über diesen unmittelbaren Zwang hinausgehende Gewaltanwendung gegen den Kläger, insbesondere ein Schlagen mit einem Schlagstock, ist demgegenüber weder belegt noch gibt es dafür greifbare Anhaltspunkte. Schon die Art der Verletzungen, nämlich die dokumentierten Schürfwunden im Gesicht des Klägers (vgl. Bl. 31 und 32 der Akten der Staatsanwaltschaft München I in der Strafsache 457 Js 311699/10) deuten darauf hin, dass sich der Kläger die Verletzungen zugezogen hat, als er gefesselt und auf den Boden geworfen worden ist. Soweit er einen Schlag verspürt hat, dürfte dies vom Tumult bei der Fesselung herrühren. Da der Kläger blind ist, konnte er nicht erkennen, wodurch die von ihm als Schlag mit einem Schlagstock wahrgenommene Einwirkung auf seinen Kopf herrührte. Aber auch auf dem Einsatzvideo ist keine zielgerichtete Gewaltanwendung gegen ihn erkennbar. Der auf dem Video deutlich zu sehende fortlaufende Vorgang der Fesselung des Klägers dokumentiert zwar die zwangsweise Fesselung des Klägers, zeigt aber kein Einschlagen auf den Kläger mit einem Schlagstock. Vielmehr sind die an der Maßnahme beteiligten Polizeibeamten zwar mit einem Schlagstock ausgerüstet, was auf dem Video gut zu erkennen ist, jedoch hat keiner der beteiligten Polizeibeamten diesen Schlagstock eingesetzt.

Nicht nachvollziehbar ist insoweit auch der Verdacht der Kläger, das vom Einsatz gefertigte Video sei manipuliert und es seien Sequenzen herausgeschnitten worden, um die von ihnen behauptete Gewaltanwendung, nämlich das Einprügeln auf den Kläger mit einem Schlagstock, zu vertuschen. Zwar lässt die Videoaufnahme erkennen, dass während des Vorgangs der Fesselung ein Wechsel in der Kameraführung stattgefunden hat, was auch von den Zeugen Ri. und Ro. bestätigt wurde, jedoch ist auch zu sehen, dass die Videoaufzeichnung weiterläuft. Im Fortgang des Geschehens sind keine Unterbrechungen zu erkennen. Auch spätere Manipulationen sind nicht feststellbar. Das Video ist zwar, wie der Zeuge Go. ausgesagt hat, bearbeitet worden, indem er „die Straftaten geschnitten und hervorgehoben“ hat. Das Originalvideo ist aber in ungeschnittener Länge auf der bei den Akten befindlichen und vom Senat im Rahmen der Beweisaufnahme eingesehenen DVD enthalten. Davon konnte sich der Verwaltungsgerichtshof hinreichend überzeugen. Das weitere Video, das sich auf der DVD befindet, enthält tatsächlich nur einzelne ausgeschnittene Sequenzen (zum Teil in Zeitlupe), die durch Untertitel und hörbare Kommentare erläutert werden, dient aber erkennbar nur der Verdeutlichung einzelner Szenen und ist unabhängig vom Originalvideo. Dass auf dem dokumentierten Teil nicht alle Szenen enthalten sind, steht fest und wird vom Beklagten auch nicht bestritten. Ebenso steht fest, dass das Originalvideo in voller Länge ungeschnitten auf der DVD enthalten ist.

3.6. Schließlich war auch das Betreten und der Aufenthalt in der Wohnung der Kläger anlässlich des Einsatzes am 16. Mai 2010 um ca. 18.30 Uhr rechtmäßig. Die Kläger wurden durch diese Maßnahme nicht in ihren Rechten verletzt.

Rechtsgrundlage für das Betreten und den Aufenthalt in der klägerischen Wohnung ist ebenso wie für das Betreten und Verweilen in der Wohnung am 11./12. Januar 2010 Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 PAG, wobei im Gegensatz zum Einsatz im Januar 2010 das Betreten und Verweilen in der Wohnung nicht zur Nachtzeit erfolgte.

3.6.1. Auch am 16. Mai 2010 lagen die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 PAG vor.

So fand auch an diesem Tag keine Durchsuchung der Wohnung statt, sondern die Polizeibeamten haben die Wohnung lediglich betreten, um nachzusehen, ob sich dort verletzte Personen befanden und um die bereits seit langem anhaltende massive Ruhestörung durch die Kläger zu beenden. Hinsichtlich der Unterscheidung zwischen Durchsuchung und Betreten einer Wohnung kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf die obigen Ausführungen unter 3.1.1.1. verwiesen werden. Für den 16. Mai 2010 ist der Einsatzgrund Ruhestörung durch die vor dem Verwaltungsgerichtshof am 2. März 2015 vernommenen Zeugen ebenso belegt wie der Einsatzgrund Nachschau nach Verletzten. So hat der Zeuge H. glaubhaft ausgesagt, Anlass für den Einsatz sei die Mitteilung eines Hausbewohners gewesen, der vom Randalieren der Kläger und Ruhestörung gesprochen habe. Es seien bereits im Treppenhaus Schreie und „ein Gerumpel von oben“ zu hören gewesen. Die Nachschau nach Verletzten habe sich daraus ergeben, dass der Nachbar sich sinngemäß dahingehend geäußert habe, „dass da oben möglicherweise etwas passiert sei“. Auch der Zeuge D. hat überzeugend ausgeführt, dass Geschrei und Getrampel aus der Wohnung gekommen sei. Er und seine Kollegen hätten sich in der Wohnung umgesehen, aber keine Feststellung von verletzten Personen treffen können. Auch der Zeuge Ga. hat aus der Wohnung Schreie gehört, die ihn veranlasst haben nachzusehen, ob alle Personen in der Wohnung unversehrt waren.

Dass die Polizeibeamten ohne Einwilligung im Wege des Verwaltungszwangs (s. Art. 53 ff. PAG) in die Wohnung eingedrungen sind, ist für den 16. Mai 2010 unstreitig. Auch die am Einsatz beteiligten Polizisten haben ausgesagt, dass die Klägerin den Zutritt zur Wohnung verweigert hat und die Türe schließen wollte, jedoch der Zeuge D. seinen Fuß in die Tür gesetzt und die Wohnungstür gegen den Willen der Klägerin geöffnet und die Wohnung betreten habe. Dahinstehen kann, ob als Einsatzgrund auch Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PAG in Betracht kam, wonach eine Wohnung ohne Einwilligung des Inhabers betreten werden kann, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich in ihr eine Person befindet, die nach Art. 17 in Gewahrsam genommen werden darf. In Gewahrsam genommen werden darf eine Person nach Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG dann, wenn dies unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern. Eine solche Ordnungswidrigkeit könnten die Kläger oder ihre Söhne dadurch begangen haben, dass sie am 16. Mai 2010 die sonntägliche Ruhe ihrer Mitbewohner erheblich gestört und dadurch deren Gesundheit geschädigt haben. Damit hätten sie eine Ordnungswidrigkeit nach § 117 Abs. 1 OWiG begangen, wonach ordnungswidrig handelt, wer ohne berechtigten Anlass oder in einem unzulässigen oder nach den Umständen vermeidbaren Ausmaß Lärm erregt, der geeignet ist, die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft erheblich zu belästigen oder die Gesundheit eines anderen zu schädigen.

3.6.2. Das Betreten und Verbleiben in der klägerischen Wohnung am 16. Mai 2010 war auch verhältnismäßig im weiteren Sinne. Die Maßnahmen waren geeignet (dazu 3.6.2.1.), erforderlich (dazu 3.6.2.3.) und verhältnismäßig im engeren Sinne (dazu 3.6.2.3.).

3.6.2.1. Dass das Betreten und Verweilen in der Wohnung der Kläger geeignet war, die übermäßige Lärmbelästigung durch die Kläger, die zum Zeitpunkt des Einsatzes vor allem von Streitigkeiten oder Schreien der beiden Brüder J. L. und M. L. herrührten, zu beenden und um zugleich nachzusehen, ob sich in der Wohnung verletzte Personen befinden, ist offensichtlich und bedarf keiner näheren Erläuterung.

3.6.2.2. Das Betreten und Verweilen in der Wohnung war erforderlich im Sinne von Art. 4 Abs. 1 PAG, denn nur durch eine Inaugenscheinnahme der Räume in der klägerischen Wohnung, zumindest durch einen kurzen Blick in die Räumlichkeiten, konnte die Polizei feststellen, ob sich eventuell verletzte Personen in der Wohnung befinden. Dies war vom Hausflur aus ohne durch die Wohnungstür zu treten nicht möglich. Auch das Geschrei und Gerumpel in der Wohnung konnte ohne Betreten der Wohnung nicht abgestellt werden. Dies zeigt bereits die Tatsache, dass die Klägerin die Beamten nicht nur am Betreten der Wohnung hindern, sondern auch nicht mit ihnen sprechen wollte, denn sie hat versucht, sofort nachdem sie die Polizeibeamten gesehen hatte, die Wohnungstüre wieder zu schließen. Angesichts der Erkenntnisse der Polizeibeamten, die sie über die Kläger und ihre Familie hatten - der Zeuge Ga. wusste, dass es in der Vergangenheit bereits Auseinandersetzungen in der Familie der Kläger gegeben hatte - war das Betreten der Wohnung jedenfalls erforderlich.

Erforderlich war auch die Anzahl der am Einsatz am 16. Mai 2010 beteiligten Polizeibeamten. Dazu hat der Zeuge H. anlässlich seiner Vernehmung am 2. März 2015 ausgesagt, dass er und sein Kollege sich entschlossen hätten, zwei weitere Kollegen zur Unterstützung heranzuziehen, „weil die Verhältnisse dieser Familie bei uns bekannt waren“. Auch der Zeuge Ga. konnte sich erinnern, dass Unterstützung angefordert wurde, weil aus der Vergangenheit Auseinandersetzungen in der Familie der Kläger bekannt gewesen seien. Angesichts des von allen Zeugen bestätigten Lärmens in der Wohnung und der bekannten früheren Einsätze bei den Klägern hält auch der Verwaltungsgerichtshof eine Einsatzstärke von vier Polizisten im konkreten Fall für erforderlich. Bestätigt wird die Erforderlichkeit auch durch den Umstand, dass nach Aussage der Zeugen H. und Ga. beim Betreten der Wohnung durch die Polizei sofort der Sohn der Kläger J. L. aus einem Zimmer kam und die Polizisten massiv beleidigte. Auch anlässlich dieses Einsatzes war deshalb mit einer Eskalation durch das Verhalten der Söhne der Kläger zu rechnen, die einen Einsatz von mehreren Polizeibeamten rechtfertigte.

3.6.2.3. Das Betreten und Verweilen der Polizeibeamten in der klägerischen Wohnung am 16. Mai 2010 war auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Die polizeiliche Maßnahme führte nicht zu einem Nachteil der Kläger, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis gestanden wäre.

Die Kläger wurden nur geringfügig in ihren Rechten beeinträchtigt. Zwar wurden sie durch das Betreten der Wohnung in ihrem Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG beeinträchtigt. Jedoch hat der Zeuge H. erklärt, die Maßnahme sei bald erledigt gewesen. Er und seine Kollegen hätten zwar kurz in die Zimmer der Wohnung gesehen, das Wesentliche hätte sich aber im Gangbereich der Wohnung zugetragen. Nach Aussage des Zeugen D. dauerte der Einsatz keine halbe Stunde.

Demgegenüber wäre in dem Fall, dass sich verletzte Personen in der Wohnung befunden hätten, mit einer erheblichen Gesundheitsgefährdung dieser Personen zu rechnen gewesen. Deren Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und die Gesundheit der Nachbarn vor erheblichen Lärmbelästigungen (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) galt es mit dem Einsatz zu schützen. Diese Schutzgüter wiegen zweifelsohne schwerer als die geringfügige Beeinträchtigung der Kläger in ihrem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG durch das kurzfristige Betreten ihrer Wohnung. Damit erweist sich aber auch das Betreten der Wohnung am 16. Mai 2010 als verhältnismäßig und insgesamt rechtmäßig, denn Ermessensfehler sind ebenfalls nicht zu erkennen.

Nach alledem war der Berufung in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang stattzugeben, im Übrigen war sie zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m § 100 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Revisionsgründe nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Rechtsmittelbelehrung

Nach § 133 VwGO kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden. Die Beschwerde ist beim Bayerischen Verwaltungs-gerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Beschwerde muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen. In der Beschwerdebegründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer in Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt nur die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen. Für die in § 67 Abs. 4 Satz 5 VwGO genannten Angelegenheiten (u. a. Verfahren mit Bezügen zu Dienst- und Arbeitsverhältnissen) sind auch die dort bezeichneten Organisationen und juristischen Personen als Bevollmächtigte zugelassen. Sie müssen in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln.

...

Beschluss:

Unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 20. April 2011 wird der Streitwert für das Verfahren in beiden Instanzen auf jeweils 40.000,- Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Streitwertfestsetzung für beide Instanzen beruht auf § 39 Abs. 1, § 52 Abs. 2, § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG. Unter Abänderung des Streitwertbeschlusses des Verwaltungsgerichts nach § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG waren folgende Streitgegenstände in Höhe von jeweils 5.000 Euro zusammenzurechnen, weshalb sich ein Gesamtstreitwert von 40.000 Euro ergibt:

- Eindringen und Verweilen in der Wohnung am 11. Januar 2010 - wegen

wirtschaftlicher Identität bei beiden Klägern 5.000,- €

- Fesseln der Kläger und von M. L. - 3 x 5.000,-€

- Durchsuchen der Privatunterlagen -

wegen wirtschaftlicher Identität bei beiden Klägern 5.000,- €

- Gewaltanwendung gegenüber den Klägern - 2 x 5.000,- €

- Eindringen und Verweilen in der Wohnung am 16. Mai 2010 -

wegen wirtschaftlicher Identität bei beiden Klägern - 5.000,- €.

Tenor

Der Beschluss des Landgerichts Neubrandenburg vom 14. Januar 2013 - 82/8 Qs 239/12 - verletzt, soweit er sich auf die richterliche Anordnung der Durchsuchung der Geschäftsräume bezieht, den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 in Verbindung mit Artikel 13 des Grundgesetzes.

Der Beschluss wird im vorgenannten Umfang aufgehoben und die Sache insoweit zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Neubrandenburg zurückverwiesen.

...

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft das Rechtsschutzbedürfnis nach Durchsuchung von Geschäftsräumen.

I.

2

1. Der Beschwerdeführer betreibt gemeinsam mit seiner Ehefrau ein Gewerbe, dessen Geschäftsgegenstand unter anderem die Wintereinlagerung von Booten, deren Kranung und auch Reparatur sind. Des Weiteren betreibt der Beschwerdeführer einen Kfz-Handel und einen dazugehörigen Reparaturbetrieb mit allen mit diesen werbenden Tätigkeiten in Zusammenhang stehenden Arbeiten. Die Gewerbetätigkeiten üben der Beschwerdeführer und seine Ehefrau in den Hallen der ehemaligen Justizvollzugsanstalt in Ueckermünde-Berndshof aus.

3

2. Auf den Hinweis eines Zeugen, der gegenüber der zuständigen Staatsanwaltschaft Neubrandenburg mitgeteilt hatte, dass er bei einer Begehung der Geschäftsräume des Beschwerdeführers sehr große Mengen an Kleidung habe feststellen können, die noch mit Preisschildern versehen gewesen sei, sowie eine größere Anzahl von Außenbordmotoren, die unfachmännisch gelagert worden seien, beantragte die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg noch am selben Tag, dem 23. Oktober 2012, gegenüber dem Amtsgericht Neubrandenburg fernmündlich den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses gegen den Beschwerdeführer sowie seine Ehefrau gemäß §§ 102, 105 StPO wegen des Verdachts der gewerbsmäßigen Hehlerei (§§ 259, 260 StGB).

4

Das Amtsgericht Neubrandenburg ordnete die Durchsuchung sowohl der Wohn- als auch der Geschäftsräume in Ueckermünde-Berndshof gemäß §§ 102, 105 StPO antragsgemäß - ebenfalls fernmündlich - an.

5

3. Die Durchsuchungsanordnung wurde am 23. Oktober 2012 vollstreckt. Es konnten keine verfahrensrelevanten Beweismittel aufgefunden und sichergestellt werden.

6

4. a) Auf die gegen den Durchsuchungsbeschluss gerichtete Beschwerde des Beschwerdeführers vom 5. November 2012 stellte das Landgericht Neubrandenburg mit angegriffenem Beschluss vom 14. Januar 2013 fest, dass die durch das Amtsgericht Neubrandenburg erlassene Durchsuchungsanordnung rechtswidrig gewesen sei, soweit sie die Wohnräume des Beschwerdeführers betroffen habe. Der erforderliche Anfangsverdacht hinsichtlich der Begehung einer gewerbsmäßigen Hehlerei habe aufgrund des Fehlens zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte nicht vorgelegen. Grundlage der Durchsuchungsanordnung seien ein bloßes Gerücht beziehungsweise vage Verdächtigungen gewesen, welche nicht geeignet gewesen seien, den erforderlichen Anfangsverdacht zu begründen.

7

b) Im Übrigen - soweit sich die Beschwerde gegen die richterliche Anordnung der Durchsuchung der Geschäftsräume des Beschwerdeführers richtete - verwarf das Landgericht Neubrandenburg die Beschwerde als unzulässig.

8

Hinsichtlich der Geschäftsräume des Beschwerdeführers sei die Beschwerde aufgrund prozessualer Überholung unzulässig. Die angegriffene Entscheidung enthalte aufgrund deren Vollzugs keine Beschwer mehr für den Beschwerdeführer. Zwar sei die Durchsuchung auch der Wohnung aufgrund ihrer tatsächlichen Durchführung am 23. Oktober 2012 abgeschlossen und damit ebenfalls prozessual überholt. Für eine Aufhebung der Durchsuchungsanordnung bestehe daher kein Raum. Der Beschwerdeführer habe aber in Bezug auf seine Wohnräume ein berechtigtes Interesse an der nachträglichen Feststellung einer etwaigen Rechtswidrigkeit der richterlichen Durchsuchungsanordnung.

II.

9

Der Beschwerdeführer sieht sich durch den angegriffenen Beschluss des Landgerichts Neubrandenburg in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG in Verbindung mit Art. 13 GG verletzt.

10

Das Landgericht Neubrandenburg habe seinen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG in Verbindung mit Art. 13 GG verletzt, indem es seine Beschwerde in Bezug auf die Durchsuchung seiner Geschäftsräume mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig verworfen habe. Anders als vom Landgericht angenommen liege ein schwerwiegender Grundrechtseingriff auch in der Anordnung der Durchsuchung der Geschäftsräume. Das Bundesverfassungsgericht beziehe in den Schutzbereich von Art. 13 GG ausdrücklich neben der Unverletzlichkeit der Wohnung auch die Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsstätten mit ein (vgl. BVerfGE 76, 83 <88>). Bei einem derart tiefgreifenden, tatsächlich jedoch nicht mehr fortwirkenden Grundrechtseingriff bestehe das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fort. Die durch das Landgericht Neubrandenburg vorgenommene Differenzierung im Hinblick auf das Rechtsschutzbedürfnis danach, ob die Durchsuchung einer Wohnung oder von Geschäftsräumen angeordnet worden sei, sei nicht nachvollziehbar und in sich widersprüchlich. Zudem führe eine entsprechende Differenzierung dazu, dass die Anordnung der Durchsuchung von Geschäftsräumen aufgrund der Regelung des § 33 Abs. 4 StPO regelmäßig nicht mehr fachgerichtlich nachprüfbar sei und die gesetzlich vorgesehene Beschwerdemöglichkeit insofern leerlaufe.

III.

11

1. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hält die Verfassungsbeschwerde für begründet. Die teilweise Verwerfung der gegen den amtsgerichtlichen Durchsuchungsbeschluss gerichteten Beschwerde des Beschwerdeführers als unzulässig durch das Landgericht Neubrandenburg unter Hinweis auf ein fehlendes Interesse an der nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit der Durchsuchungsanordnung im Hinblick auf Geschäftsräume werde den sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebenden Anforderungen nicht gerecht.

12

Mit dem Gebot, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, sei es zwar grundsätzlich vereinbar, wenn die Gerichte ein Rechtsschutzbedürfnis nur so lange als gegeben ansähen, wie ein gerichtliches Verfahren dazu dienen könne, eine gegenwärtige Beschwer auszuräumen, einer Wiederholungsgefahr zu begegnen oder eine fortwirkende Beeinträchtigung durch einen an sich beendeten Eingriff zu beseitigen. Darüber hinaus sei ein Rechtsschutzbedürfnis aber auch in Fällen tiefgreifender Grundrechtseingriffe gegeben, in denen die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränke, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung gegebenen Instanz kaum erlangen könne. Effektiver Grundrechtsschutz gebiete es in diesen Fällen, dass der Betroffene Gelegenheit erhalte, die Berechtigung des schwerwiegenden - wenn auch tatsächlich nicht mehr fortwirkenden - Grundrechtseingriffs gerichtlich klären zu lassen. Zu der Fallgruppe tiefgreifender Grundrechtseingriffe, die ihrer Natur nach häufig vor möglicher gerichtlicher Überprüfung schon wieder beendet seien, gehöre die Durchsuchung von Wohn- und Geschäftsräumen aufgrund richterlicher Durchsuchungsanordnung. Der Begriff der "Wohnung" im Sinne von Art. 13 Abs. 1 GG umfasse dabei auch beruflich genutzte Räume, also Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume, so dass die durch das Landgericht Neubrandenburg vorgenommene Differenzierung den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genüge.

13

2. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten 731 Js 18041/12 der Staatsanwaltschaft Neubrandenburg vorgelegen.

B.

14

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG; vgl. BVerfGE 96, 27) und die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 13 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

I.

15

Der angegriffene Beschluss verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG in Verbindung mit Art. 13 GG.

16

1. a) Art. 13 Abs. 1 GG garantiert die Unverletzlichkeit der Wohnung. Sinn der Garantie ist die Abschirmung der Privatsphäre in räumlicher Hinsicht. Damit wird dem Einzelnen ein elementarer Lebensraum zur freien Entfaltung der Persönlichkeit gewährleistet. In seinen Wohnräumen hat er das Recht, in Ruhe gelassen zu werden (BVerfGE 27, 1 <6>; 51, 97 <107>). Im Interesse eines wirksamen Schutzes hat das Bundesverfassungsgericht den Begriff der Wohnung weit ausgelegt. Er umfasst auch Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume (vgl. BVerfGE 32, 54 <68 ff.>; 42, 212 <219>; 44, 353 <371>; 76, 83 <88>). In diese grundrechtlich geschützte Lebenssphäre greift eine Durchsuchung schwerwiegend ein (vgl. BVerfGE 96, 27 <40>; 103, 142 <150 f.>).

17

b) aa) Art. 19 Abs. 4 GG enthält ein Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 8, 274 <326>; 67, 43 <58>; 104, 220 <231>; stRspr). Die in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgte Effektivität des Rechtsschutzes wird in erster Linie von den Prozessordnungen gesichert. Sie treffen Vorkehrungen dafür, dass der Einzelne seine Rechte auch tatsächlich wirksam durchsetzen kann und die Folgen staatlicher Eingriffe im Regelfall nicht ohne gerichtliche Prüfung zu tragen hat (vgl. BVerfGE 94, 166 <213>; 104, 220 <231>; stRspr). Dabei fordert Art. 19 Abs. 4 GG zwar keinen Instanzenzug (vgl. BVerfGE 87, 48 <61>; 92, 365 <410>; stRspr). Eröffnet das Prozessrecht aber eine weitere Instanz, so gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG dem Bürger in diesem Rahmen die Effektivität des Rechtsschutzes im Sinne eines Anspruchs auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 40, 272 <274 f.>; 54, 94 <96 f.>). Ein Rechtsmittelgericht darf ein von der jeweiligen Prozessordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht ineffektiv machen und für den Betroffenen leerlaufen lassen (vgl. BVerfGE 78, 88 <98 f.>; 96, 27 <39>; 104, 220 <232>).

18

bb) Hiervon muss sich das Rechtsmittelgericht auch bei der Antwort auf die Frage leiten lassen, ob im jeweiligen Einzelfall für ein nach der Prozessordnung statthaftes Rechtsmittel ein Rechtsschutzbedürfnis besteht. Mit dem Gebot, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, ist es zwar grundsätzlich vereinbar, wenn die Rechtsmittelgerichte ein Rechtsschutzbedürfnis nur so lange als gegeben ansehen, wie ein gerichtliches Verfahren dazu dienen kann, eine gegenwärtige Beschwer auszuräumen, einer Wiederholungsgefahr zu begegnen oder eine fortwirkende Beeinträchtigung durch einen an sich beendeten Eingriff zu beseitigen. Darüber hinaus ist ein solches Rechtsschutzbedürfnis aber jedenfalls auch in Fällen gewichtiger Grundrechtseingriffe gegeben, in denen die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verlauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene eine gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann (vgl. BVerfGE 81, 138 <140 f.>; 110, 77 <86>; 117, 244 <268>). Effektiver Grundrechtsschutz gebietet es in diesen Fällen, dass der Betroffene Gelegenheit erhält, die Berechtigung des schwerwiegenden - wenn auch tatsächlich nicht mehr fortwirkenden - Grundrechtseingriffs gerichtlich klären zu lassen (vgl. BVerfGE 96, 27 <40>).

19

Von besonderem Gewicht sind insbesondere Grundrechtseingriffe, die das Grundgesetz selbst unter Richtervorbehalt gestellt hat (vgl. BVerfGE 104, 220 <233>; für weitere Fallkonstellationen siehe BVerfGE 110, 77 <86>; BVerfGK 3, 147 <150>). Zu der Fallgruppe tiefgreifender Grundrechtseingriffe, die ihrer Natur nach häufig vor möglicher gerichtlicher Überprüfung schon wieder beendet sind, gehört die Wohnungsdurchsuchung aufgrund richterlicher Durchsuchungsanordnung (BVerfGE 96, 27 <40>).

20

cc) Gemäß §§ 304 ff. StPO ist gegen die richterliche Durchsuchungsanordnung eine Beschwerde statthaft. Die Zulässigkeit einer solchen Beschwerde ist vom angerufenen Fachgericht unter Beachtung der soeben dargestellten verfassungsrechtlichen Anforderungen zu beurteilen. Danach darf eine Beschwerde nicht allein deswegen, weil die richterliche Anordnung vollzogen worden sei und die Maßnahme sich deshalb erledigt habe, unter dem Gesichtspunkt prozessualer Überholung als unzulässig verworfen werden (BVerfGE 96, 27 <41>).

21

2. Gemessen an diesen Maßstäben verletzt der angegriffene Beschluss des Landgerichts Neubrandenburg vom 14. Januar 2013 den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG in Verbindung mit Art. 13 GG.

22

a) Die Beschwerde des Beschwerdeführers betraf einen Fall, in dem das Beschwerdegericht entsprechend dem oben dargestellten Maßstab von dem Fortbestehen eines Rechtsschutzinteresses hätte ausgehen müssen. Ein schwerwiegender Grundrechtseingriff in Form einer Wohnungsdurchsuchung war erfolgt. Der Beschwerdeführer hatte daher ein berechtigtes Interesse an der nachträglichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit der richterlichen Anordnung. Die Verwerfung der Beschwerde als unzulässig, soweit sie sich gegen die richterliche Anordnung der Durchsuchung der Geschäftsräume richtet, hält mithin verfassungsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.

23

Das Bundesverfassungsgericht legt den Begriff der Wohnung weit aus, so dass neben den Wohnräumen vom Schutz des Art. 13 Abs. 1 GG auch Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume erfasst sind. Aus diesem Grund kann auch im Rahmen der Beurteilung der Schwere eines bereits erfolgten, tatsächlich allerdings nicht mehr fortwirkenden Grundrechtseingriffs und des anschließenden Rechtsschutzes keine Differenzierung dahingehend vorgenommen werden, ob die Durchsuchungsanordnung sich auf eine Wohnung oder auf Geschäftsräume bezogen hat. Beide Bereiche werden gleichermaßen vom Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG erfasst. Die durch das Landgericht Neubrandenburg dennoch vorgenommene Differenzierung genügt daher nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen.

24

b) Der angegriffene Beschluss des Landgerichts Neubrandenburg beruht auch auf dem dargelegten Grundrechtsverstoß. Das Landgericht Neubrandenburg hat seine Entscheidung nicht zusätzlich und selbständig tragend auf die Nichterfüllung anderer Zulässigkeitsvoraussetzungen gestützt, so dass davon auszugehen ist, dass es bei hinreichender Beachtung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 GG in Verbindung mit Art. 13 GG zu einem anderen Ergebnis im Hinblick auf die Zulässigkeit der gegen die richterliche Durchsuchungsanordnung gerichteten Beschwerde gelangt wäre.

II.

25

1. Der Beschluss des Landgerichts Neubrandenburg vom 14. Januar 2013 ist insoweit aufzuheben, als die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen die richterliche Anordnung der Durchsuchung der Geschäftsräume zurückgewiesen worden ist. Die Sache ist im vorgenannten Umfang an das Landgericht Neubrandenburg zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).

26

2. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Kläger verfolgt mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung seine in erster Instanz erfolglose Klage weiter, mit der er die Feststellung begehrt, dass die am 4. Mai 2011 am Flughafen München ihm gegenüber getroffenen Maßnahmen der Bundespolizei rechtswidrig waren.

Der Kläger, der gemeinsam mit seinem Vater am 4. Mai 2011 nach Manchester fliegen wollte, wurde im Hinblick darauf einer intensiven Ausreisekontrolle unterzogen, dass er selbst als „Gewalttäter Sport“ erfasst war, dass sein Vater im Jahr 1998 wegen Landfriedensbruchs erkennungsdienstlich behandelt worden war und dass am 4. Mai 2011 in Manchester ein Champions-League-Spiel zwischen Manchester United und dem FC Schalke 04 stattfinden sollte, bei dem mit Ausschreitungen gerechnet wurde. Die im Rahmen der Kontrolle getroffenen polizeilichen Maßnahmen dienten der Entscheidung über eine mögliche Untersagung der Ausreise. Die Dauer der Kontrolle führte dazu, dass der Kläger und sein Vater ihren Flug nach Manchester nicht mehr rechtzeitig antreten konnten.

Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe greifen nicht durch. Die Berufung ist weder wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; I.) noch wegen eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO; II.) zuzulassen.

I.

Die Berufung ist zunächst nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils zuzulassen.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils, die die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO rechtfertigen könnten, lägen nur vor, wenn der Kläger einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hätte (vgl. BVerfG, B. v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11). Dies ist jedoch nicht der Fall.

1. Dies gilt zunächst, soweit sich der Kläger dagegen wendet, dass das Verwaltungsgericht die Klage mangels des in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erforderlichen Feststellungsinteresses als unzulässig abgewiesen und in diesem Zusammenhang ein auf einer Wiederholungsgefahr beruhendes Feststellungsinteresse verneint hat.

Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich bei den polizeilichen Maßnahmen, auf die sich die Klage bezieht, jeweils um Verwaltungsakte handelt und deshalb die Klage als Fortsetzungsfeststellungsklage in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft ist, wovon das Verwaltungsgericht offenbar ausgegangen ist, oder ob die betreffenden Maßnahmen sich nicht als Verwaltungsakte darstellen und daher nur eine Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO in Betracht kommt. Denn die Zulässigkeit der Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO erfordert ebenso wie die der Fortsetzungsfeststellungsklage in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung (vgl. BVerwG, U. v. 10.2.2000 - 2 A 3.99 - juris Rn. 11; B. v. 18.7.2000 - 1 WB 34.00 - juris Rn. 2).

Dieses Feststellungsinteresse setzt unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr die hinreichend bestimmte Gefahr voraus, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen erneut eine gleichartige Maßnahme ergehen wird (vgl. BVerwG, U. v. 12.10.2006 - 4 C 12.04 - juris Rn. 8; U. v. 16.5.2013 - 8 C 14.12 - juris Rn. 21; U. v. 20.6.2013 - 8 C 39.12 - juris Rn. 20). Dabei hat der Kläger die Umstände darzulegen, aus denen sich sein Feststellungsinteresse ergibt (vgl. BVerwG, U. v. 4.3.1976 - 1 WB 54.74 - BVerwGE 53, 134/137 f.; U. v. 15.11.1990 - 3 C 49.87 - juris Rn. 25). Ist ungewiss, ob in Zukunft noch einmal die gleichen tatsächlichen Verhältnisse eintreten wie im Zeitpunkt der betreffenden Maßnahme, so kann ein Feststellungsinteresse nicht aus einer Wiederholungsgefahr hergeleitet werden (vgl. BVerwG, U. v. 12.10.2006 - 4 C 12.04 - juris Rn. 8).

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Verwaltungsgericht das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr verneint. Der Kläger habe seiner Darlegungslast nicht genügt. Ohne Angaben von Einzelheiten und ohne jeden Beleg habe er lediglich pauschal behauptet, er und sein Vater hätten den Flughafen München mehrmals im Jahr für Urlaubsreisen und die Anreise zu ausländischen Fußballspielen benutzt. Aus diesen Angaben sei aber nicht erkennbar, dass in absehbarer Zeit unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen mit gleichartigen Maßnahmen zulasten des Klägers zu rechnen sei. Es sei nicht davon auszugehen, dass es sich bei sämtlichen Auslandsspielen deutscher Fußballvereine um Risikospiele handele, die zu vergleichbaren Lageerkenntnissen wie bei der Begegnung in Manchester am 4. Mai 2011 und zu aufgrund solcher Erkenntnisse über die sonst üblichen Stichproben hinausgehenden Ausreisekontrollen führten. Bei Ausreisen im Rahmen von Urlaubsreisen könne im Hinblick auf die Kontrolldichte und die besondere Zielsetzung der Kontrollen am 4. Mai 2011 ebenfalls nicht von einer hinreichend konkreten Wiederholungsgefahr ausgegangen werden. Da der Kläger zudem trotz der von ihm behaupteten Reisehäufigkeit bislang offenbar nicht von einer weiteren vergleichbaren Ausreisekontrolle betroffen gewesen sei, sei ungewiss, ob in Zukunft noch einmal vergleichbare tatsächliche Verhältnisse eintreten könnten.

Dagegen wendet der Kläger lediglich ein, das Verwaltungsgericht verneine die Wiederholungsgefahr zu Unrecht. Es habe nicht davon ausgehen dürfen, dass ihn über den Vortrag hinaus, er nutze den Flughafen München mehrmals im Jahr zu Flugreisen, eine gesteigerte Darlegungslast treffe. Es sei Urlaubsreisen eigen, dass sie nicht mit stringenter Regelmäßigkeit stattfänden. Soweit das Gericht den Vortrag des Klägers für zu allgemein gehalten habe, habe es den Kläger im Rahmen seiner Aufklärungspflicht darauf hinweisen und ihn zu detaillierteren Schilderungen auffordern müssen, um ihm zu ermöglichen, durch die Vorlage „alter“ Belege die regelmäßige Nutzung des Flughafens darzulegen. Da auch dies die Wiederholungsgefahr in der Zukunft nicht belegt hätte, sei es Sache des Gerichts gewesen, dem Kläger zu erläutern, wie er eine regelmäßige Nutzung des Flughafens darlegen könne. Zumindest sei die Frage durch Anhörung des Klägers aufzuklären gewesen.

Diese Ausführungen rechtfertigen aber keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Denn sie stellen weder einen einzelnen tragenden Rechtssatz noch eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage. Der Kläger macht lediglich geltend, das Gericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass er seiner Darlegungslast insoweit nicht genügt habe, als er die regelmäßige Nutzung des Flughafens nicht ausreichend detailliert dargestellt und belegt habe. Das Verwaltungsgericht hat darüber hinaus jedoch unterstellt, dass der Kläger den Flughafen München immer wieder nutze, um in den Urlaub oder zu Fußballspielen im Ausland zu fliegen, und im Einzelnen begründet, warum gleichwohl in absehbarer Zeit unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen nicht mit gleichartigen Maßnahmen gegenüber dem Kläger zu rechnen sei. Mit dieser die Verneinung der Wiederholungsgefahr selbstständig tragenden Begründung hat sich der Kläger aber in seiner Zulassungsbegründung nicht auseinandergesetzt und sie daher auch nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt. Dies wäre aber zur Darlegung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils erforderlich gewesen. Denn ist dieses wie hier hinsichtlich der Frage der Wiederholungsgefahr auf mehrere selbstständig tragende Gründe gestützt, so kommt eine Zulassung der Berufung nur dann in Betracht, wenn Zulassungsgründe wegen eines jeden die Entscheidung tragenden Grundes dargelegt werden und vorliegen (vgl. etwa BayVGH, B. v. 3.6.2014 - 10 ZB 12.2312 - juris Rn. 16; B. v. 9.10.2013 - 10 ZB 13.1725 - juris Rn. 8; B. v. 10.10.2013 - 10 ZB 11.607 - juris Rn. 22; B. v. 30.10.2013 - 10 ZB 11.1390 - juris Rn. 12; B. v. 6.3.2014 - 10 ZB 11.2854 - juris Rn. 27; B. v. 29.7.2014 - 10 ZB 12.2448 - juris Rn. 9; B. v.16.12.2014 - 10 ZB 14.1741 - juris Rn. 9).

2. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen schließlich nicht, soweit sich der Zulassungsantrag dagegen richtet, dass das Verwaltungsgericht ein Feststellungsinteresse auch unter dem Gesichtspunkt eines Rehabilitierungsinteresses verneint hat.

Ein Rehabilitierungsinteresse begründet ein Feststellungsinteresse dann, wenn es bei vernünftiger Würdigung der Umstände des Einzelfalls als schutzwürdig anzusehen ist (vgl. BVerwG, B. v. 4.10.2006 - 6 B 64.06 - juris Rn. 10). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Kläger durch die streitige Maßnahme in seinem Persönlichkeitsrecht objektiv beeinträchtigt ist (vgl. BVerwG, U. v. 4.3.1976 - 1 WB 54.74 - BVerwGE 53, 134/138; B. v. 4.10.2006 - 6 B 64.06 - juris Rn. 10), weil diese geeignet ist, sein Ansehen in der Öffentlichkeit oder in seinem sozialen Umfeld herabzusetzen (vgl. BVerwG, U. v. 4.3.1976 - 1 WB 54.74 - BVerwGE 53, 134/138 f.; U. v. 16.5.2013 - 8 C 14.12 - juris Rn. 25; U. v. 20.06.2013 - 8 C 39.12 - juris Rn. 24). Dabei müssen die das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigenden Wirkungen noch in der Gegenwart fortbestehen (vgl. BVerwG, U. v. 4.3.1976 - 1 WB 54.74 - BVerwGE 53, 134/138 f.; U. v. 19.3.1992 - 5 C 44.87 - juris Rn. 9; B. v. 4.10.2006 - 6 B 64.06 - juris Rn. 10; U. v. 16.5.2013 - 8 C 14.12 - juris Rn. 25; U. v. 20.06.2013 - 8 C 39.12 - juris Rn. 24).

Diese Maßstäbe hat auch das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Es führt aus, dass der Kläger durch die polizeilichen Maßnahmen nicht diskriminiert oder sonst derart in seinem Persönlichkeitsrecht berührt worden sei, dass ihm mit Hilfe der Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit Genugtuung verschafft werden müsse. Das bloße Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit dieser Maßnahmen ohne Rücksicht darauf, ob abträgliche Nachwirkungen fortbestünden, reiche für die Annahme eines Rehabilitationsinteresses nicht aus. Ausreisekontrollen seien ein alltäglicher, Flugreisende massenhaft und ohne Ansehen der Person betreffender Vorgang, von dem bei vernünftiger Würdigung grundsätzlich keine diskriminierende, das Persönlichkeitsrecht objektiv beeinträchtigende Wirkung ausgehe. Dies gelte auch im Fall des Klägers. Die auf die Ansprache und den ersten Datenabgleich folgenden Maßnahmen der Befragung zu den Reiseabsichten, der Kontrolle der mitgeführten Gegenstände, der Oberbekleidung und der Reisedokumente sowie der weiteren telefonischen Ermittlungen seien nicht unter den Augen der Öffentlichkeit, sondern auf der Dienststelle durchgeführt worden. Sie hätten ausschließlich der Abklärung der Frage gedient, ob der Kläger zur Gruppe der Problemfans gehört und die Voraussetzungen für ein Ausreiseverbot erfüllt habe. Ohne ein Mindestmaß an Ermittlungen zum Eintrag des Klägers in der Datei „Gewalttäter Sport“ habe die Prognose, dass vom Kläger keine Gefahr für erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland ausgehe, nicht abgesichert und die Ermessensentscheidung über eine Ausreiseuntersagung nach § 10 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 7 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 PassG nicht fehlerfrei getroffen werden können. Der Vorwurf strafbarer Handlungen sei mit den Maßnahmen nicht verbunden gewesen. Auch die fast einstündige Dauer der Ermittlungen habe keinen diskriminierenden Charakter gehabt. Sie habe sich zwangsläufig daraus ergeben, dass sich beim Kläger und seinem Vater mehrere, teilweise unterschiedliche Anhaltspunkte für die Zugehörigkeit zur Problemfanszene gefunden hätten und beide daher zu Recht zur Abklärung auf die Dienststelle mitgenommen worden seien. Soweit die Dauer der Kontrolle darauf beruhe, dass der Kläger mit seinem Vater gemeinsam gereist sei und daher die diesen betreffenden Ermittlungen habe abwarten müssen, sei dies nicht der Beklagten anzulasten. Seien die Maßnahmen damit insgesamt nicht geeignet gewesen, das Ansehen des Klägers in der Öffentlichkeit herabzusetzen, so habe es auch nicht der Feststellung der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahmen bedurft, um den Kläger der Öffentlichkeit gegenüber zu rehabilitieren.

a) Insoweit macht der Kläger zunächst geltend, es stelle sehr wohl eine Diskriminierung dar, wenn die Reise aufgrund der überlangen Dauer der Kontrolle nicht angetreten werden könne, weil sich in einem Flugzeug eine Vielzahl von Personen befinde, die mitbekomme, wenn ein Reisender von der Polizei zur Seite gebeten werde. Dies sei zwar möglicherweise per se nicht diskriminierend. Wenn aber die betreffende Person anschließend nicht im gebuchten Flugzeug erscheine, dränge sich dem durchschnittlichen Bürger der Verdacht auf, dass ein Krimineller gerade noch so eben aussortiert worden sei.

Diese Ausführungen stellen jedoch die Argumentation des Verwaltungsgerichts nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage. Denn es ist daraus nicht hinreichend substantiiert zu entnehmen, dass das Ansehen des Klägers durch die polizeilichen Maßnahmen in der Öffentlichkeit oder in seinem sozialen Umfeld herabgesetzt worden wäre.

Es lässt sich insbesondere aus dem Vorbringen des Klägers nicht hinreichend erkennen, dass andere Passagiere seines Fluges bemerkt hätten, dass er diesen in Folge der polizeilichen Maßnahmen nicht mehr rechtzeitig erreicht hat, und dass deshalb für diese Passagiere Anlass zu Spekulationen über die Gründe bestanden hätte, aus denen die Polizei die Flugteilnahme des Klägers unterbunden hatte. Selbst wenn einzelnen Mitreisenden aufgefallen sein sollte, dass der Kläger intensiver als andere Reisende kontrolliert und - offenbar ohne großes Aufsehen - zur Dienststelle der Bundespolizei mitgenommen wurde, wäre es äußerst unwahrscheinlich, dass diese Fluggäste ohne Weiteres hätten überblicken können, ob sich der ihnen bis dahin unbekannte Kläger an Bord ihres Flugzeugs befand, und dass ihnen daher dessen Fehlen mit der Folge bewusst geworden wäre, dass das Ansehen des Klägers herabgesetzt gewesen wäre. Anders könnte es sich lediglich dann verhalten haben, wenn der Kläger nicht nur gemeinsam mit seinem Vater, sondern in einer größeren Gruppe unterwegs gewesen wäre, deren Mitgliedern sein Fehlen hätte auffallen müssen, oder wenn an dem Flug Personen teilgenommen hätten, die ihn kannten und ihn aus diesem Grund vermisst und sich deshalb Gedanken über seinen Verbleib gemacht hätten. Dies trägt der Kläger jedoch nicht vor.

War der Kläger den übrigen Passagieren aber nicht bekannt, so ist aus dem Vorbringen des Klägers nicht ersichtlich, wie sein Ansehen durch die polizeilichen Maßnahmen herabgesetzt worden sein könnte, zumal diese offenbar, soweit sie nicht ohnehin in der Dienststelle der Bundespolizei durchgeführt wurden, kein großes Aufsehen verursacht haben und auch sonst keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass andere Reisende den Grund für die Intensität der Kontrolle des Klägers hätten erkennen können.

b) Schließlich stellt der Kläger die Verneinung eines Rehabilitierungsinteresses durch das Verwaltungsgericht auch nicht insoweit mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage, als er geltend macht, die Dauer der Kontrolle habe bereits als solche diskriminierenden Charakter gehabt, weil sie trotz anderweitiger Möglichkeiten bewusst in die Länge gezogen worden sei und weil anders nicht erklärt werden könne, weshalb in Kenntnis der Abflugzeiten die Maßnahmen gegenüber dem Kläger und seinem Vater nicht parallel und damit in einem für die Flugteilnahme unschädlichen Zeitfenster durchgeführt worden seien. Denn das Verwaltungsgericht hat ausführlich dargelegt, dass die durchgeführten polizeilichen Maßnahmen zur Entscheidung über die Verhängung eines Ausreiseverbots erforderlich gewesen seien und dass sich ihre Dauer zwangsläufig aus den unterschiedlichen Anhaltspunkten für die Zugehörigkeit des Klägers und seines Vaters zur Problemfanszene ergeben habe, denen habe nachgegangen werden müssen. Mit dieser Argumentation hat sich der Kläger aber durch die pauschale Behauptung, die Dauer der Polizeikontrolle sei diskriminierend, weil anders nicht erklärlich sei, weshalb in Kenntnis der Abflugzeiten die Maßnahmen nicht parallel und damit in einem für die Flugteilnahme unschädlichen Zeitfenster durchgeführt worden seien, nicht hinreichend auseinandergesetzt und sie deshalb auch nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt.

II.

Die Berufung ist schließlich auch nicht wegen eines Verfahrensmangels nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen.

1. Dies gilt zunächst, soweit der Kläger der Sache nach geltend macht, das Verwaltungsgericht habe seine Verpflichtung nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO verletzt, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären und dabei die Beteiligten heranzuziehen.

Der Kläger vertritt insoweit die Auffassung, das Verwaltungsgericht habe die Wiederholungsgefahr nicht mit der Begründung verneinen dürfen, der Kläger habe seiner Darlegungslast nicht genügt, weil er ohne Angabe von Einzelheiten und ohne jeden Beleg behauptet habe, den Flughafen München mehrmals im Jahr für Urlaubsreisen oder für die Anreise zu Fußballspielen im Ausland zu nutzen. Vielmehr habe es den Kläger im Rahmen der Amtsaufklärungspflicht zu detaillierteren Schilderungen auffordern und erklären müssen, wie eine regelmäßige Nutzung des Flughafens hätte dargelegt werden sollen. Insbesondere hätte es den Kläger anhören müssen, um die Frage der Nutzung aufzuklären. Mit diesen Ausführungen ist der gerügte Verfahrensmangel aber nicht den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt.

Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Aufklärung des Sachverhalts grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter in der mündlichen Verhandlung nicht ausdrücklich beantragt hat. Dass ein solcher Beweisantrag wie hier nicht gestellt wurde, ist nur dann unerheblich, wenn sich dem Gericht auch ohne ausdrücklichen Beweisantrag eine weitere Ermittlung des Sachverhalts hätte aufdrängen müssen. Die Aufklärungsrüge ist dabei nur dann erfolgreich, wenn das Gericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung Anlass zu weiterer Sachaufklärung hätte sehen müssen. Außerdem muss der Kläger darlegen, welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Aufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern das unterstellte Ergebnis zu einer für ihn günstigen Entscheidung geführt hätte (vgl. BVerwG, B. v. 16.3.2011 - 6 B 47.10 - juris Rn. 12; BayVGH, B. v. 21.3.2012 - 10 ZB 10.100 - juris Rn. 22; B. v. 18.10.2013 - 10 ZB 11.618 - juris Rn. 25; B. v. 25.8.2014 - 10 ZB 12.2673 - juris Rn. 16; B. v. 8.10.2014 - 10 ZB 12.2742 - juris Rn. 52).

Diese Voraussetzungen sind jedoch nicht erfüllt. Denn der Kläger hat weder dargelegt, welche tatsächlichen Feststellungen das Verwaltungsgericht getroffen hätte, wenn es ihn unter Erläuterung seiner Erwartungen zu einer detaillierteren Schilderung aufgefordert und zur Aufklärung der regelmäßigen Nutzung angehört hätte, noch inwiefern dies zu einer für den Kläger günstigeren Entscheidung geführt hätte. Insbesondere hat er auch im Zulassungsverfahren weder Angaben dazu gemacht noch Belege dazu vorgelegt, wann der Flughafen München von ihm in der Vergangenheit für Urlaubsreisen oder für Reisen zu Fußballspielen im Ausland genutzt worden ist oder in Zukunft genutzt werden soll.

2. Ein Verfahrensmangel ist schließlich auch nicht den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt, soweit der Kläger mit seinem Vorbringen, das Verwaltungsgericht hätte ihn anhören müssen, um die Frage der Nutzung des Flughafens München durch ihn zu klären, eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG rügt.

Zwar kommt ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG dann in Betracht, wenn ein Gericht ohne vorherigen Hinweis auf rechtliche Gesichtspunkte abstellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl. BVerfG, B. v. 15.2.2011 - 1 BvR 980/10 - juris Rn. 13 m. w. N.). Jedoch erfordert die Rüge, das rechtliche Gehör sei verletzt, regelmäßig die substantiierte Darlegung, was der Betroffene bei ausreichender Gehörsgewährung noch vorgetragen hätte und inwiefern der weitere Vortrag entscheidungserheblich gewesen wäre (vgl. BVerwG, B. v. 19.8.1997 - 7 B 261/97 - juris Rn. 4). Dazu enthält die Begründung des Zulassungsantrags jedoch keinerlei Ausführungen. Denn der Kläger sieht den Verstoß gegen seinen Anspruch auf rechtliches Gehör zwar darin, dass ihn das Verwaltungsgericht nicht angehört hat, um die Nutzung des Flughafens zu klären. Er macht aber, wie dargelegt, gerade keine Angaben dazu, wie er den Flughafen in der Vergangenheit im Einzelnen genutzt hat oder in Zukunft zu nutzen beabsichtigt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5000 Euro festgesetzt.

IV.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren unter Beiordnung des Bevollmächtigten wird abgelehnt.

Gründe

Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die 1963 geborene Klägerin, eine georgische Staatsangehörige, ihre in erster Instanz erfolglose Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 AufenthG oder § 25 Abs. 5 AufenthG unter Aufhebung des entgegenstehenden Bescheides des Landratsamts Günzburg vom 22. August 2014 weiter. Zudem beantragt sie, ihr für das Zulassungsverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung ist bereits unzulässig (1.). Unabhängig hiervon würde auch das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen im Zulassungsantrag (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 3 VwGO) keine Zulassung der Berufung rechtfertigen (2.). Weder bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; 2.1) noch weist die Rechtssache die behaupteten tatsächlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO; 2.2). Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist schon nicht den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt (2.3).

1. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Rechtsmittels sind in jedem Stadium des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen. Der Klägerin fehlt für einen Antrag auf Zulassung der Berufung das Rechtsschutzbedürfnis, denn sie hat entgegen § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach ihrer am 18. September 2015 erfolgten Ausreise nach Georgien keine aktuelle ladungsfähige Anschrift angegeben. Selbst wenn also die geltend gemachten Zulassungsgründe vorliegen würden, erwiese sich das Urteil des Verwaltungsgerichts im Ergebnis als richtig, weil die auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichtete Klage unzulässig geworden ist (BayVGH, B. v. 3.2.2016 - 10 ZB 15.1413 - juris).

Zur Bezeichnung eines Klägers im Sinne des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO gehört nach § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 130 Nr. 1 ZPO auch die Angabe seines Wohnortes (Aulehner in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 82 Rn. 8 m. w. N.). Die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift, unter der die Klägerin tatsächlich zu erreichen ist, ist erforderlich, um sie zu individualisieren und ihre Erreichbarkeit für das Gericht sicherzustellen. Es soll dadurch darüber hinaus auch gewährleistet werden, dass die Klägerin nach entscheidungserheblichen Tatsachen befragt werden und sich im Fall des Unterliegens ihrer Kostentragungspflicht nicht entziehen kann. Dies gilt auch für ein verwaltungsgerichtliches Verfahren unter Mitwirkung eines Prozessbevollmächtigten (BVerwG, B. v. 14.2.2012 - 9 B 79.11 - juris Rn. 11) oder wenn sich - wie hier - während des Verfahrens die ladungsfähige Anschrift ändert. Die Pflicht zur Angabe der Anschrift entfällt nur, wenn deren Erfüllung ausnahmsweise unmöglich oder unzumutbar ist. Solches wird nur dann angenommen, wenn der Angabe der Anschrift unüberwindliche oder nur schwer zu beseitigende Schwierigkeiten oder ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse entgegenstehen (vgl. BayVGH, B. v. 5.12.2007 - 19 ZB 06.2329 - juris Rn. 6). Hierfür reicht der Vortrag des Bevollmächtigten nicht aus, die Klägerin habe derzeit in ihrer Heimat keine eigene Wohnung, sondern müsse „notgedrungen bei Freunden und Bekannten wohnen“. Die Klägerin ist jedenfalls im für die Zulässigkeit des Rechtsmittels maßgeblichen Zeitpunkt dieses Beschlusses weder für das Gericht noch offenbar für ihren Prozessbevollmächtigten tatsächlich erreichbar.

Entspricht die Klage oder das Rechtsmittel nicht (mehr) den Anforderungen des § 82 Abs. 1 VwGO, ist der Klägerin gemäß § 82 Abs. 2 VwGO eine Frist zur Ergänzung ihrer Angaben zu setzen. Im vorliegenden Fall wurde der Bevollmächtigte der Klägerin daher mit gerichtlichem Schreiben vom 23. September 2015 aufgefordert, ihre aktuelle ladungsfähige Anschrift mitzuteilen; dies ist bis zum heutigen Tage nicht geschehen, weshalb das Rechtsmittel unzulässig geworden ist.

2. Selbst wenn man den Antrag auf Zulassung der Berufung als zulässig ansehen wollte, bliebe er in der Sache ohne Erfolg.

2.1 Aus dem allein maßgeblichen Vorbringen der Klägerin im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne bestünden nur dann, wenn im Zulassungsverfahren ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt worden wäre (BVerfG, B. v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11); dies ist hier jedoch nicht der Fall.

2.1.1 Die Klägerin wendet sich zum einen gegen die Ablehnung eines Anspruchs auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1, 2 Satz 1 und 2 AufenthG. Sie trägt vor, wegen ihrer Eheschließung und Übersiedelung in das Bundesgebiet ihre Existenzgrundlage in Georgien verloren zu haben; dort habe sie eine gehobene Position in einem Hotel inne gehabt und damit Lebensunterhalt und Wohnung gesichert. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, sie könne sich nach ihrer Rückkehr auch als bereits 52-jährige Frau erneut eine Existenz in Georgien aufbauen, treffe angesichts der hohen Arbeitslosigkeit nicht zu. Sie könne auch nicht auf die Unterstützung ihrer inzwischen aus Georgien ausgewanderten Tochter zurückgreifen. Im Übrigen sei die Trennung der Eheleute allein vom Ehemann ausgegangen, von dem sie weitestgehend abhängig gewesen sei und der außereheliche Beziehungen geführt habe.

Mit diesem Vorbringen wird die im angefochtenen Urteil verneinte besondere Härte im Sinne von § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, zu deren Vermeidung der Klägerin ein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen sei, nicht dargetan. Eine solche besondere Härte erfordert eine Beeinträchtigung der schutzwürdigen Belange des ausländischen Ehegatten, die entweder wegen der aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenden Rückkehrverpflichtung droht oder die das weitere Festhalten der Ausländerin an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar macht, weil sie beispielsweise Opfer häuslicher Gewalt geworden ist. Der Umstand, dass die Klägerin wegen der Heirat und der Übersiedlung in das Bundesgebiet ihre Arbeitsstelle, ihre Wohnung und die bestehenden sozialen Kontakte in Georgien aufgegeben hat, stellt jedoch keine sich aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft ergebende Folge dar, die eine besondere Härte begründet. Vielmehr ist die Aufgabe des bisherigen Lebens in der Heimat unabdingbare Folge der Aufnahme einer ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet gewesen. Dass die Klägerin nach mehr als vierjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet bei Rückkehr in das Heimatland zunächst gewissen Schwierigkeiten (z. B. bei der Suche einer Wohnung und Arbeitsstelle) ausgesetzt ist, erscheint zwar ohne weiteres nachvollziehbar, vermag aber schon deswegen nicht den Begriff der besonderen Härte zu erfüllen, weil mit derartigen Schwierigkeiten alle nach einigen Jahren in ihre Heimat zurückkehrenden Ausländer konfrontiert sind und Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Herkunftsstaats als typisch anzusehen sind; es ist nicht erkennbar, warum die Klägerin hiervon härter als andere, in einer vergleichbaren Situation befindliche Ausländer getroffen werden könnte. Vor allem aber sind die geltend gemachten, aus der Rückkehrverpflichtung resultierenden Beeinträchtigungen nicht ehebedingter Natur. Beeinträchtigungen durch etwa eine Erkrankung oder die allgemeinen Lebensverhältnisse im Heimatland vermögen in der Regel keine besondere Härte im Sinn von § 31 Abs. 2 AufenthG zu begründen, weil sie nicht mit der Ehe und ihrer Auflösung in zumindest mittelbarem Zusammenhang stehen (z. B. BayVGH, B. v. 3.7.2014 - 10 CS 14.687 - juris Rn. 13; allgemein zum Begriff der besonderen Härte: Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Februar 2016, A1 § 31 Rn. 17 ff.) Auch das Alter der Klägerin vermag der Senat nicht als einen härtebegründenden Umstand anzusehen; im Gegenteil ist die Darstellung im angefochtenen Urteil überzeugend, wonach die Klägerin, die sich in der mündlichen Verhandlung als selbstständige Frau präsentiert habe, auf „soziale und berufliche Kontakte“ in Georgien zurückgreifen könne und dadurch eine Wiedereingliederung erleichtert werde. Keine Rolle spielt im vorliegenden Zusammenhang schließlich, ob die Klägerin tatsächlich unter teilweise falschen Versprechungen durch ihren Ehemann zur Übersiedlung in das Bundesgebiet veranlasst wurde, sowie der Umstand, dass er sich offenbar nicht „ehetreu“ verhalten hat.

2.1.2 Das angefochtene Urteil ist auch nicht insoweit ernstlich zweifelhaft, als es einen Anspruch der Klägerin auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG verneint.

Die Beurteilung, ob ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt, richtet sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts über den Zulassungsantrag. Demnach ist eine nachträgliche Änderung der Sachlage - wie hier die Rückkehr der Klägerin nach Georgien im September 2015 - bis zum Zeitpunkt der Entscheidung zu berücksichtigen (Seibert in Sodan/Ziekow, a. a. O., § 124a Rn.57; BayVGH, B. v. 16.3.2016 - 10 ZB 15.2109 - juris). Zum Zeitpunkt dieses Beschlusses ist die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG jedoch schon deswegen nicht zu beanstanden, weil das für diese Bestimmung erforderliche Tatbestandsmerkmal der vollziehbaren Ausreisepflicht nicht (mehr) gegeben ist, nachdem die Klägerin ihrer Ausreisepflicht nachgekommen und diese damit entfallen ist. Unabhängig hiervon war ihre Ausreise auch nicht aus rechtlichen Gründen unmöglich, wie dies § 25 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verlangt.

Zur Begründung ihres Zulassungsantrags trägt sie insoweit vor, die erstmals im Bundesgebiet festgestellte Erkrankung (Mammakarzinom) sei zwar erfolgreich behandelt worden, notwendig bleibe jedoch eine permanente Nachsorge, die aber entgegen der Meinung des Verwaltungsgerichts in Georgien wegen der dort unzureichenden medizinischen Versorgung nicht gewährleistet sei. Die notwendigen Medikamente seien sehr beschränkt nur in wenigen Krankenhäusern zugänglich und auch für normale Bürger wie die Klägerin unerschwinglich. Die vom Verwaltungsgericht in Bezug genommene Länderanalyse des georgischen Gesundheitswesens vom Juni 2011 sei unzutreffend und nicht ausreichend. Das dortige Gesundheitswesen entspreche bei weitem nicht deutschen Standards; dabei gehe es nicht um eine optimale Behandlung, sondern um die Frage, ob sich die Klägerin eine Behandlung überhaupt leisten könne. Nicht ausreichend sei, ihr einen gewissen Vorrat der benötigten Medikamente nach Georgien mitzugeben.

Mit diesem Vorbringen, mit dem die Klägerin keine Reiseunfähigkeit im engeren oder weiteren Sinne (vgl. hierzu: BayVGH, B. v. 23.10.2015 - 10 CS 15.2330 - juris Rn. 8; B. v. 23.10.2007 - 24 CE 07.484 - juris Rn. 15), sondern ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis rechtlicher Natur nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geltend macht, vermag sie ernstliche Zweifel am angefochtenen Urteil nicht zu begründen. Es wird schon nicht ausgeführt, warum die Analyse des georgischen Gesundheitswesens vom Juni 2011, nach der eine Versorgung der Bevölkerung mit den gängigen Medikamenten grundsätzlich sichergestellt ist, nicht mehr hätte zugrunde gelegt werden dürfen. Auch die von der Klägerin benötigten Medikamente stehen nach den insoweit nicht angegriffenen Ausführungen im Heimatland grundsätzlich zur Verfügung. Selbst wenn man die in der Zulassungsbegründung aufgezeigten Mängel der Gesundheitsversorgung (insbesondere fehlende Bezahlbarkeit und weitverbreitete Korruption) als gegeben ansieht, folgt hieraus noch nicht ohne weiteres eine der Klägerin drohende wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung ihres Gesundheitszustands, wie dies § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG verlangt. Insbesondere der Umstand, dass nach erfolgreichem Abschluss der Primärbehandlung des Karzinoms das Landratsamt Günzburg mit Schreiben vom 25. Juni 2015 (S. 3) zugesichert hat, die Kosten der für das von der Klägerin benötigte Präparat für einen Gesamtzeitraum von fünf Jahren (ab der am 21. Januar 2015 begonnenen antihormonellen Therapie) zu übernehmen, widerlegt die Behauptung einer drohenden Gesundheitsgefährdung. Infolge der Zusicherung kommt der Frage der Finanzierbarkeit der notwendigen Medikamente in Georgien keine Relevanz mehr zu. Soweit die Klägerin darauf hinweist, die ärztliche Versorgung im Bundesgebiet sei qualitativ hochwertiger als diejenige in Georgien, ist auf § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG (in der ab 17. März 2016 gültigen Fassung) hinzuweisen. Danach kann nicht verlangt werden, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist; ein Ausländer muss sich vielmehr auf den Standard der Gesundheitsversorgung in seinem Heimatland verweisen lassen (OVG NW, B. v. 27.7.2006 -18 B 586/06 - juris).

2.2 Die Rechtssache weist auch keine besonderen tatsächlichen Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf. Dies wäre dann der Fall, wenn die Angriffe der Rechtsmittelführerin begründeten Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung geben, die sich nicht ohne weiteres im Zulassungsverfahren klären lassen, sondern die Durchführung eines Berufungsverfahrens erfordern (Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 124 Rn. 106). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, wie die vorstehenden Ausführungen (2.1) zeigen.

2.3 Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist schon nicht den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend in ausreichender Weise dargelegt.

Um den auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, ausführen, weshalb diese Frage entscheidungserheblich ist, erläutern, weshalb die vorformulierte Frage klärungsbedürftig ist, und darlegen, weshalb der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72). Diesen Anforderungen wird das Vorbringen, von grundsätzlicher Bedeutung sei die Frage, „wie weit allgemeine Begründungen des Gerichts in einem solchen Fall…gehen müssen und ob eine mehrere Jahre alte Analyse ... für eine Entscheidung mit dieser Bedeutung … ausreichend“ sei, schon deswegen nicht gerecht, weil hiermit keine konkrete verallgemeinerungsfähige Rechtsfrage mit entscheidungserheblicher Bedeutung aufgeworfen wird.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten war abzulehnen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen. Da der Antrag auf Zulassung der Berufung nach den vorstehenden Ausführungen abzulehnen war, bot die Rechtsverfolgung der Klägerin auch zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. §§ 114, 121 ZPO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.

(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.

(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.

(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.

(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.