Sicherungsverfügung im Sicherheitenprozess - Erleichterte Sicherheitsleistung nach Kündigung

bei uns veröffentlicht am12.10.2021

Autoren

Rechtsanwalt

Dr. Andreas Neumann

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Zusammenfassung des Autors

Nicht nur Verbraucherinnen und Verbraucher können unter Umständen eine Sicherheitsleistung vom Werkunternehmer verlangen, damit das Vorleistungsrisiko vermindert wird. Sondern auch Auftragnehmerinnen und Auftragnehmern steht eine Sicherheitsleistung in vielen Fällen zu. Der Bundesgerichtshof erleichtert mit der hier besprochenen Grundlagenentscheidung den Zugang zu einer solchen Sicherheitsleistung.

Verlangen nach einer Bauhandwerkersicherung kommt während der Durchführung eines Bauvorhabens in vielen Fällen einer Kriegserklärung gleich. Es wird in der Regel erst dann von der Unternehmerin oder vom Unternehmer gestellt, wenn es in der Abwicklung des Bauvertragsverhältnisses bereits zu Problemen gekommen ist und weitere Probleme zu befürchten sind. 

Der Auftraggeber, der in vielen Fällen gleichsam „am längeren Hebel sitzt“, versucht dann möglicherweise, nicht zuletzt aufgrund der mit der Stellung dieser Sicherheit verbundenen Kosten und Nachteile (etwa aufgrund zusätzlicher Belastung seiner Kreditlinie), sich diesem Verlangen entgegenzustellen. 

Verschärft treffen die widerstreitenden Interessen nach einer Kündigung aufeinander, zumal ein zur Fortführung etwa beauftragter weiterer Unternehmer ebenfalls Sicherheit verlangen könnte. Zudem ist die Auftraggeberin oder der Auftraggeber nach einer Kündigung noch weniger geneigt, dem gekündigten Unternehmer eine Sicherheit zu erteilen, die dann möglicherweise nur schwierig zurückerlangt werden kann. 

Andererseits würden seine Einwendungen gegen die Sicherheit deren Erteilung unter Umständen bis zur Entscheidung über die Vergütung selbst verzögern und könnte der Besteller zwischenzeitlich insolvent werden, so dass die Bauhandwerkersicherheit den Vergütungsanspruch nicht mehr effektiv schützen würde. Der Anspruch auf Sicherheit würde entwertet, wenn der Unternehmer genauso schnell zu einem Titel über seine Vergütung gelangen könnte.

Sachverhalt In seinem sehr lesenswerten Grundsatzurteil vom 06.03.2014 – Aktenzeichen VII ZR 349/12  hat der Bundesgerichtshof die Position des nach einer Kündigung Sicherheit verlangenden Unternehmers gestärkt. 

 

a)    Sachverhalt

Zugrunde liegt folgender vereinfachter Sachverhalt:

Wegen behaupteter Nichteinhaltung von Sicherheitsvorschriften kündigt der Besteller (Beklagte) dem mit der Ausführung von Bauarbeiten betrauten Unternehmer, einer Gesellschaft mit Sitz in Luxemburg (Klägerin), mit sofortiger Wirkung. Zwar ist im Rahmen der Vergütung Mehrwertsteuer nach luxemburgischem Recht vereinbart.

In der Einbeziehung der VOB/B und VOB/C, der Orientierung des deutschen Vertragstexts daran und an deutsches Vertragsrecht sowie der Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten Berliner Gerichte sieht der Bundesgerichtshof aber zu Recht ausreichende Umstände für eine konkludente Rechtswahl zugunsten des deutschen Rechts. Die Klägerin geht von einer freien Kündigung aus und verlangt zuletzt in Höhe der Vergütung für die bereits erbrachte Leistung sowie des entgangenen Gewinns für die nicht erbrachte Leistung einschließlich Nebenforderungen i.H.v. 10 % Sicherheit.

 

b)    Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der Bundesgerichtshof spricht der Klägerin die Sicherheit nur in Höhe der schlüssig dargelegten Vergütung für die bereits erbrachten Leistungen einschließlich Nebenforderungen zu und weist die Klage im Übrigen ab.

Es komme für die Sicherheit nicht mehr darauf an, ob der Unternehmer noch Vorleistungen zu erbringen hat. Vielmehr solle dem Unternehmer eine Sicherheit für seine Vergütung – auch nach Kündigung – gewährt werden.

Danach muss der Unternehmer die Vergütung für die vertragsgemäß erbrachte und aufgrund Kündigung nicht mehr erbrachte Leistung, für die er eine Sicherheit verlangt, im Zeitpunkt des Sicherheitsverlangens jedoch schlüssig darlegen, regelmäßig im Rahmen einer Schlussrechnung. Ein etwaiger Streit über die tatsächlichen Voraussetzungen dieser Darlegung kann zunächst aber offenbleiben, wenn dessen Entscheidung zu einer Verzögerung führen würde.

 

c)     Anmerkungen und Praxishinweise

Im Klageverfahren auf Erteilung der Sicherheit wird ein Bestreiten der tatsächlichen Voraussetzungen der Höhe der Vergütung nicht gehört, um den Unternehmer vor Verzögerungen zu schützen. Der Besteller kann mithin gegen den Anspruch im Prozess über die Sicherheit nicht entgegenhalten, er habe außerordentlich aus wichtigem Grund gekündigt, der Unternehmer habe die Leistung bis zur Kündigung nicht vertragsgemäß – zu spät oder schlecht – erbracht oder nach Kündigung einen anderweitigen Erwerb gehabt. 

Nur wenn feststeht, dass die Vergütung nicht mehr entstehen und fällig werden kann oder erfüllt ist, kann ein Anspruch auf die Sicherheitsleistung ausgeschlossen sein. 

Diese Art der „Sicherungsverfügung im Sicherheitenprozess“ (allerdings ohne die entsprechenden Rechtsbehelfe und insbesondere die Schadensersatzpflicht nach § 945 ZPO) sei vom Gesetzgeber ausdrücklich so beabsichtigt worden, so der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs.

Andererseits reicht es für die Schlüssigkeit des zu sichernden Vergütungsanspruchs nicht aus, wenn der Unternehmer hinsichtlich der nicht mehr erbrachten Leistungen einen entgangenen Gewinn behauptet, ohne zu ersparten Aufwendungen und anderweitigem Erwerb vorzutragen. 

Der Unternehmer muss also die vereinbarte Vergütung und die Kosten darlegen, die er erspart hat und welchen anderweitigen Erwerb er sich anrechnen lassen muss. Insoweit dürfte eine Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO möglich bleiben. Umsatzsteuer darf der Unternehmer für die Vergütung für nicht erbrachte Leistungen nicht berechnen.

Nachtragsforderungen sind von dieser Erleichterung des Zugangs zu einer Sicherheit bezüglich daraus folgender zusätzlicher Vergütung nicht erfasst und müssten im Streitfall nach wie vor bewiesen werden.

Gesetze

Gesetze

2 Gesetze werden in diesem Text zitiert

Zivilprozessordnung - ZPO | § 287 Schadensermittlung; Höhe der Forderung


(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit e

Zivilprozessordnung - ZPO | § 945 Schadensersatzpflicht


Erweist sich die Anordnung eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung als von Anfang an ungerechtfertigt oder wird die angeordnete Maßregel auf Grund des § 926 Abs. 2 oder des § 942 Abs. 3 aufgehoben, so ist die Partei, welche die Anordnung er

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Referenzen

Erweist sich die Anordnung eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung als von Anfang an ungerechtfertigt oder wird die angeordnete Maßregel auf Grund des § 926 Abs. 2 oder des § 942 Abs. 3 aufgehoben, so ist die Partei, welche die Anordnung erwirkt hat, verpflichtet, dem Gegner den Schaden zu ersetzen, der ihm aus der Vollziehung der angeordneten Maßregel oder dadurch entsteht, dass er Sicherheit leistet, um die Vollziehung abzuwenden oder die Aufhebung der Maßregel zu erwirken.

(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Das Gericht kann den Beweisführer über den Schaden oder das Interesse vernehmen; die Vorschriften des § 452 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4 gelten entsprechend.

(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1, 2 sind bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.