Verwaltungsgericht Trier Urteil, 07. Okt. 2016 - 1 K 5093/16.TR
Tenor
Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 10. August 2016 verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckungsfähigen Betrages abzuwenden, soweit nicht die Kläger zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Tatbestand
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Die Kläger, syrische Staatsangehörige mit arabischer Volks- und christlicher Glaubenszugehörigkeit, begehren die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus.
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Der am ... geborene Kläger zu 1) und die am ... geborene Klägerin zu 2) reisten eigenen Angaben zufolge gemeinsam mit ihren Kindern, der am ... geborenen Klägerin zu 3) und der am ... geborenen Klägerin zu 4), am 21. November 2015 auf der „Balkanroute“ in das Bundesgebiet ein, wurden am 23. November 2015 als Asylbewerber registriert und stellten am 8. Juli 2016 förmliche Asylanträge.
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Im Rahmen ihrer mündlichen Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Außenstelle Hermeskeil - am 21. Juli 2016 gab die Klägerin zu 2) an, sie habe mit ihrem Ehemann und ihren Kindern vor der Ausreise aus Syrien in Aleppo in einem Stadtteil gelebt, der seinerzeit unter der Kontrolle der Regierungstruppen gestanden habe. Sie habe dort einen Textilladen betrieben, obschon sie zuvor mehrere Semester Jura studiert gehabt habe. Ihr Wohnhaus, der Laden und die Schule der Kinder seien von Raketen der Opposition getroffen worden, wobei es viele Tote und Verletzte gegeben habe. Ihnen selbst seien jedoch keine körperlichen Schäden entstanden. Aus Angst vor weiteren Angriffen und zum Schutz ihrer Kinder hätten sie sich im Oktober 2015 entschieden, das Land zu verlassen. Sie seien illegal mit dem Bus in den Libanon, mit dem Schiff in die Türkei und mit dem Schlauchboot unter Zuhilfenahme eines Schleppers auf die griechischen Inseln gereist. Über Mazedonien, Serbien, Kroatien, Slowenien und Österreich seien sie schließlich nach Deutschland gelangt.
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Der Kläger zu 1) schloss sich in seiner Anhörung am selben Tag den Ausführungen seiner Ehefrau an. Er habe mehrere Semester Physik für das Lehramt studiert, aber letztlich als Schneider gearbeitet und eigene Kleider entworfen. In den Jahren 1989 bis 1991 habe er seinen Wehrdienst bei der syrischen Armee geleistet. Syrien habe er aus Angst um seine Familie verlassen, nachdem ihre Wohnung und die Schule der Kinder von Raketen beschädigt worden seien. Er habe viele Verletzte und Tote gesehen. Sein Bruder sei auf der Straße von einem Querschläger verletzt worden. Auch sei sein Nachbar, der ebenfalls Christ gewesen sei, entführt worden und verschwunden.
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Mit Bescheid vom 10. August 2016, zugestellt am 17. August 2016, erkannte die Beklagte den Klägern den subsidiären Schutzstatus zu. Im Übrigen wurde ihr Antrag abgelehnt, da nach Ansicht der Beklagten die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder die Anerkennung als Asylberechtigte nicht vorlagen. Aus dem Sachvortrag sei weder eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung noch ein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal ersichtlich.
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Hiergegen richtet sich die am 24. August 2016 erhobene Klage, mit der die Kläger die Zuerkennung des weitergehenden Flüchtlingsstatus begehren. Zur Begründung verweisen sie darauf, dass sie allein schon wegen ihrer illegalen Ausreise, dem längerfristigen Aufenthalt im westlichen Ausland und der Stellung des Asylantrags im Falle der hypothetischen Rückkehr nach Syrien von der Regierung als potenziell regimekritisch erachtet werden würden. Man werde ihnen Illoyalität gegenüber dem Staat und der Regierung vorwerfen. Es sei daher zu befürchten, dass sie schon bei der Ankunft von den Sicherheitskräften verhaftet und befragt würden, um Informationen über die ausländische Vernetzung der Opposition zu erlangen, was mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Menschenrechtsverletzungen bis hin zur Folter führen werde. Hierin liege jedenfalls eine Verfolgung aus vermuteter politischer Überzeugung.
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Die Prozessbevollmächtigte der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 10. August 2016 zu verpflichten, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
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Die in der mündlichen Verhandlung nicht vertretene Beklagte beantragt schriftsätzlich,
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die Klage abzuweisen.
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Sie bezieht sich zur Begründung ihres Antrags auf den angefochtenen Bescheid vom 10. August 2016.
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Die Kammer hat das Verfahren aufgrund ihrer bisherigen Rechtsprechung durch Beschluss vom 12. September 2016 zunächst dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Nachdem das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in einem ähnlich gelagerten Parallelverfahren die Berufung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 Asylgesetz - AsylG - wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen hat (vgl. OVG Rheinland- Pfalz, Beschluss vom 15. September 2016 - 1 A 10655/16.OVG -, asyl.net), hat der Einzelrichter das Verfahren am 28. September 2016 gemäß § 76 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 6 Abs. 3 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - zur Entscheidung auf die Kammer zurückübertragen. Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands ergeben sich aus den zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätzen der Beteiligten, der bei der Akte befindlichen Asyldokumentation über die asyl- und abschiebungsrelevanten Verhältnisse in Syrien und den vorgelegten Verwaltungsvorgängen der Beklagten, die jeweils Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
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Die Klage, über das Gericht aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und nach der bindenden Rückübertragung durch den Einzelrichter als Kammer entscheidet (§ 76 Abs. 1 AsylG), hat Erfolg. Das Gericht ist dabei durch das Ausbleiben der Beklagten in der mündlichen Verhandlung nicht gehindert, diese Entscheidung zu treffen, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen und mit der Ladung gemäß § 102 Abs. 2 VwGO darauf hingewiesen worden ist, dass auch im Falle ihres Ausbleibens verhandelt und entschieden werden kann.
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Das Klagebegehren ist gemäß § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass sich die Kläger nur insoweit gegen Ziffer 2 des Bescheids vom 10. August 2016 wenden, als ihnen die Beklagte die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft verwehrt hat. Die ebenfalls in Ziffer 2 des Bescheids enthaltene Ablehnung ihrer Anerkennung als Asylberechtigte ist demgegenüber nach dem Klagevorbringen nicht Streitgegenstand geworden und insoweit in Bestandskraft erwachsen.
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In dieser Fassung ist die Klage als Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Var. 2 VwGO zulässig und begründet. Den Klägern steht im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der geltend gemachte Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu. Der Bescheid der Beklagten vom 10. August 2016 erweist sich als rechtswidrig und verletzt die Kläger in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), soweit er zu einem hiervon abweichenden Ergebnis gelangt.
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1. Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist. Hiernach ist Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juni 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK -, BGBl. 1953 II S. 560) unter anderem, wer sich wegen begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
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a. Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten gemäß § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK -, BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Als Verfolgung gelten gemäß § 3a Abs. 2 AsylG unter anderem die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt (§ 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG), eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung (§ 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG), die Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung (§ 3a Abs. 2 Nr. 4 AsylG) und die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (§ 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG).
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b. Zwischen den in den § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen und den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründen muss gemäß § 3a Abs. 3 AsylG eine Verknüpfung bestehen. Zu dem in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Verfolgungsgrund der Rasse stellt § 3b Abs. 1 Nr. 1 AsylG klar, dass dies insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe umfasst. Den Verfolgungsgrund der Religion definiert § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG insbesondere als theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Der Verfolgungsgrund der Nationalität beschränkt sich gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 3 AsylG nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird. Dabei ist eine soziale Gruppe insbesondere dann gegeben, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (vgl. § 3b Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 1 AsylG). Den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Verfolgungsgrund der politischen Überzeugung konkretisiert § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG dahingehend, dass hierunter insbesondere zu verstehen ist, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist. Bei allen genannten Verfolgungsgründen ist gemäß § 3b Abs. 2 AsylG bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen. Es genügt vielmehr, dass ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.
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c. Nach § 3c AsylG kann eine Verfolgung vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, es sei denn, es besteht eine inländische Fluchtalternative (sog. „interner Schutz“). Dieser ist nach Maßgabe des § 3e Abs. 1 AsylG zu bestimmen und führt zur Nichtanerkennung des Ausländers als Flüchtling, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und wenn er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
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2. Ob Bedrohungen der vorgenannten Art und damit eine politische Verfolgung drohen, ist anhand einer Prognose zu beurteilen, die von einer zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhaltes auszugehen und die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat zum Gegenstand hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. März 1990- 9 C 14.89 -, BVerwGE 85, 12, juris Rn. 13, m.w.N.).
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a. Ausgangspunkt der zu treffenden Prognoseentscheidung ist das bisherige Schicksal des Schutzsuchenden. Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat beziehungsweise von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war (Vorverfolgung), ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein ernsthafter Hinweis auf die Begründetheit seiner Furcht vor Verfolgung. Dies gilt nicht, wenn stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Antragsteller im Falle der hypothetischen Rückkehr erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Die hierdurch bewirkte Beweiserleichterung setzt jedoch einen inneren Zusammenhang zwischen dem vor Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden Schaden einerseits und dem befürchteten künftigen Schaden voraus. Diese sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) orientierende, auf die tatsächliche Gefahr (real risk) abstellende, Verfolgungsprognose hat in Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie, ABl. EU L 337 vom 20. Dezember 2011, S. 9 ff.) anhand des Maßstabs der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu erfolgen (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. März 2012 - 10 C 7.11 -, juris Rn. 12, m.w.N.). In der Vergangenheit liegenden Umständen kommt damit Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft zu (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 5.09 -, BVerwGE 136, 377, juris Rn. 23, unter Hinweis auf: EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - C-175/08 u.a. [Abdulla u.a.] -, NVwZ 2010, 505, juris Rn. 92 ff.).
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Der Asylsuchende muss danach bei verständiger Würdigung der gesamten Um- stände seines Falles sein Heimatland aus Furcht vor politischer Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG verlassen haben. Aufgabe des Schutzsuchenden ist es insoweit, von sich aus unter genauer Angabe von Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich - als wahr unterstellt - ergibt, dass ihm bei verständiger Würdigung Verfolgung droht. Der Vortrag eines Schutzsuchenden, der sein Verfolgungsschicksal wie viele Asylbewerber nicht durch andere Beweismittel nachweisen kann, ist dabei gemäß dem Gebot der freien richterlichen Beweiswürdigung zu würdigen (§ 108 Abs. 1 VwGO). Diese bindet das Gericht dabei nicht an starre Regeln, sondern ermöglicht ihm, den jeweiligen besonderen Umständen des Einzelfalles gerecht zu werden. Im Ergebnis muss das Gericht von der Wahrheit der klägerischen Behauptung eines individuellen Verfolgungsschicksals und nicht nur von der Wahrscheinlichkeit die volle Überzeugung gewinnen. Hierbei darf das Gericht jedoch insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. April 1985 - 9 C 109.84 -, BVerwGE 71, 180, juris Rn. 16).
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b. Die begründete Furcht vor Verfolgung kann jedoch gemäß § 28 Abs. 1a AsylG auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während eines Erstverfahrens oder durch das Erstverfahren verwirklicht worden sind, greift damit keine Einschränkung. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18. Juli 2012 - 3 L 147/12 -, juris Rn. 26). Erst für nach dem erfolglosen Abschluss des Erstverfahrens selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (vgl. § 28 Abs. 2 AsylG; BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2008 - 10 C 27/07 -, BVerwGE 133, 31, juris Rn. 14).
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Auch soweit die begründete Furcht vor Verfolgung auf Nachfluchttatbeständen beruht, genügt es bei der Prüfung der Verfolgungsgründe, wenn der Antragsteller befürchten muss, dass ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (vgl. § 3b Abs. 2 AsylG). Der Gesetzgeber hat mit der Einführung des § 28 Abs. 1a AsylG die entsprechenden Vorgaben des Art. 5 Abs. 1 und 2 der Qualifikationsrichtlinie umgesetzt und hiermit zugleich die grundsätzliche Relevanz von Nachfluchttatbeständen klargestellt. Der beachtliche Nachfluchttatbestand ist damit kein Ausnahmetatbestand, sondern ebenso wie der Vorfluchtgrund ein Regelfall des § 3 AsylG (vgl. auch VG Regensburg, Urteil vom 29. Juni 2016 - RO 11 K 16.30707 -, juris Rn. 22).
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Ist der Asylsuchende unverfolgt ausgereist, liegt eine Verfolgungsgefahr und damit eine begründete Furcht vor Verfolgung vor, wenn ihm bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Antragstellers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen“ oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50 % Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden „zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts“ die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Februar 1988 - 9 C 32.87 -, DVBl. 1988, 653, juris Rn. 16; BVerwG, Urteil vom 15. März 1988 - 9 C 278.86 -, BVerwGE 79, 143, juris Rn. 23; BVerwG, Vorlagebeschluss vom 7. Februar 2008 - 10 C 33.07 -, DVBl. 2008, 118, juris Rn. 37).
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Maßgebend ist damit nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich die Kammer anschließt, letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Juli 1991 - 9 C 154.90 -, BVerwGE 88, 367, juris Rn. 28; BVerwG, Urteil vom 5. November 1991 - 9 C 118.90-, BVerwGE 89, 16, juris Rn. 17). Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar er- scheint. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1990- 9 C 60.89 -, BVerwGE 87, 52, juris Rn. 31; BVerwG, Urteil vom 5. November 1991 - 9 C 118.90-, BVerwGE 89, 16, juris Rn. 17; BVerwG, Vorlagebeschluss vom 7. Februar 2008 - 10 C 33.07 -, DVBl. 2008, 118, juris Rn. 37). Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. November 1991 - 9 C 118.90-, BVerwGE 89, 16, juris Rn. 17; BVerwG, Vorlagebeschluss vom 7. Februar 2008 - 10 C 33.07 -, DVBl. 2008, 118, juris Rn. 37).
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3. Ausgehend von diesen Maßstäben ist den Klägern die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 4 AsylG zuzuerkennen. Sie haben Syrien zwar nicht wegen einer Vorverfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG verlassen (nachfolgend a.). Ihnen droht jedoch bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände im Falle der hypothetischen Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung, so dass ihnen nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren (nachfolgend b. und c.).
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a) Die Kläger sind nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Eine flüchtlingsrechtlich relevante Vorverfolgung durch den syrischen Staat oder durch nichtstaatliche Akteure wegen eines der vorstehend genannten Gründe haben die Kläger weder beim Bundesamt noch im Klageverfahren substantiiert geltend gemacht.
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In ihren Anhörungen vom 21. Juli 2016 gaben der Kläger zu 1)
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und die Klägerin zu 2) als Gründe für die Ausreise aus Syrien im Wesentlichen das allgemeine Kriegsgeschehen in Aleppo und die damit verbundene Gefährdung von Leben und Gesundheit ihrer selbst sowie ihrer Kinder an. Diese Darstellung haben die Kläger auch in der mündlichen Verhandlung vor der erkennenden Kammer im Wesentlichen bestätigt. Soweit der Kläger zu 1) im Verwaltungsverfahren das Verschwinden eines Nachbarn christlichen Glaubens erwähnt hat, so ist die Darstellung des zugrundeliegenden Sachverhalts im gesamten Verfahren zu unspezifisch geblieben, um der Kammer die Überzeugung einer religiös motivierten (Vor-)Verfolgungssituation glaubhaft zu vermitteln. Die Beklagte ist im angefochtenen Bescheid vom 10. August 2016 (jedenfalls insoweit) zutreffend davon ausgegangen, dass die Kläger weder eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a AsylG noch einen Verfolgungsgrund im Sinne des § 3b AsylG substantiiert vorgetragen haben, wozu sie jedoch im Falle ihres Vorliegens gemäß §§ 15 Abs. 1, 25 Abs. 1 und 2 AsylG verpflichtet gewesen wären.
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Unzutreffend hat die Beklagte jedoch ihrer Entscheidung zugrunde gelegt, dass in den Personen der Kläger „lediglich“ stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen, dass ihnen in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden in Gestalt ernsthafter individueller Bedrohungen des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht und hat dementsprechend den Klägern rechtsfehlerhaft nur den subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG zuerkannt. Dabei hat die Beklagte ihre Entscheidung über das Nichtvorliegen der Flüchtlingseigenschaft ausschließlich auf die fehlende Vorverfolgung der Kläger gestützt, ohne das Vorliegen von Nachfluchttatbeständen im Sinne des § 28 AsylG auch nur in Betracht zu ziehen. Allein aus diesem Grund erweist sich der Bescheid vom 10. August 2016 als rechtswidrig und ist - soweit die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abgelehnt worden ist - aufzuheben.
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b) Die rechtliche Bewertung des Sachverhalts durch die Kammer führt indes auch zu dem Ergebnis, dass Nachfluchtgründe in den Personen der Kläger vorhanden sind. Ihnen droht aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen nach Abwägung aller bekannten Umstände bei hypothetischer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Verfolgung jedenfalls wegen zugeschriebener politischer Überzeugung (§ 3a Abs. 1 i.V.m. § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG), die eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheinen lässt.
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aa) Das Gericht ist im Rahmen seiner bisherigen Rechtsprechung auf der Grundlage der vorhandenen Erkenntnisquellen davon ausgegangen, dass die syrische Regierung die illegale Ausreise aus dem Land, den entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland und die dortige Stellung eines Asylantrags als Anknüpfung und Ausdruck einer politisch missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System ansieht, die das Gebot der Loyalität gegenüber diesem verletzt (vgl. nur VG Trier, Urteil vom 14. Juni 2016 - 1 K 1105/16.TR -, n.v.; VG Trier, Urteil vom 16. Juni 2016 - 1 K 1576/16.TR -, juris, jeweils m.w.N.). Daher war Asylbewerbern aus Syrien ungeachtet zusätzlich individuell geltend gemachter Gründe und deren Glaubhaftigkeit bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen der Flüchtlingsstatus zuzusprechen, weil mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten stand, dass ihnen im Falle der hypothetischen Rückkehr nach Syrien die Festnahme und damit verbunden die Gefahr von Folter seitens der Sicherheitskräfte drohte, um einer vermuteten Einstellung gegen das derzeitige politische System nachzugehen.
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Diese Rechtsprechung folgte erstens aus Berichten über die Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des europaweiten Abschiebestopps im April 2011 nach Syrien abgeschoben wurden und dem Umgang der syrischen Behörden insbesondere seit Beginn 2012 mit Personen, die aus Sicht der Sicherheitsbehörden verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen (nachfolgend 1.), zweitens der umfassenden Beobachtung von oppositionsverdächtigen syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste (nachfolgend 2.) sowie drittens der Eskalation der innenpolitischen Situation in Syrien seit März 2011 und aus der aktuellen Berichterstattung zur Situation des Regimes (nachfolgend 3.).
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(1) So hatte das Auswärtige Amt bei der Bewertung der asyl- und abschiebungsrechtlichen Lage in Syrien festgestellt, dass Personen, die im Rahmen des deutsch-syrischen Rückübernahmeabkommens vor dem Abschiebestopp 2011 zwangsweise nach Syrien zurückgeführt worden waren, bei ihrer Einreise nicht nur - wie üblich - durch die Geheimdienste über ihren Auslandsaufenthalt und den Grund ihrer Abschiebung befragt, sondern auch willkürlich verhaftet und ohne Kontakt zur Außenwelt zum Teil mehrwöchig inhaftiert sowie körperlich und psychisch misshandelt worden waren (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrechtlich relevante Lage in der Republik Syrien vom 27. September 2010, S. 20).
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Seit dem Ausbruch der Unruhen im März 2011 ging das syrische Regime nach den seinerzeit vorliegenden Erkenntnissen zudem mit massiver Gewalt gegen tatsächliche und vermeintliche Oppositionelle vor. Das Auswärtige Amt sah zugleich eine präzedenzlose Verhaftungswelle gegen die Protestbewegung (vgl. Auswärtiges Amt, ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrechtlich relevante Lage in der Republik Syrien vom 17. Februar 2012, S. 7). Die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung war nach Auffassung des Auswärtigen Amtes in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste, zu denen weder Anwälte noch Familienangehörige Zugang hatten, als besonders hoch einzustufen, zumal jeder der vier großen militärischen und zivilen Geheimdienste in Syrien eigene Gefängnisse und Verhörzentralen unterhielt, bei denen es sich um rechtsfreie Räume handelte. Vieles deutete nach Auffassung des Auswärtigen Amtes darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste vom Regime eine carte blanche erhalten hätten (vgl. Auswärtiges Amt, ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrechtlich relevante Lage in der Republik Syrien vom 17. Februar 2012, S. 6, 11).
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(2) Zugleich hatte nach den damals vorliegenden Erkenntnissen das Interesse der syrischen Geheimdienste an der Exilopposition auch nach der Eskalation der innenpolitischen Lage in Syrien nicht abgenommen. Im Ausland lebende Syrer wurden systematisch von Angehörigen der syrischen Auslandsvertretungen oder anderen Personen im Auftrag der syrischen Regierung überwacht und eingeschüchtert. Ziel war vor allem die Ausforschung von oppositionellen Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus Sicht des Regimes eine Gefahr darstellen konnten. Der Verfassungsschutz verzeichnete laut Verfassungsschutzbericht 2012 seit der Eskalation des syrischen Konflikts im Frühjahr 2011 sogar eine gesteigerte Aktivität der syrischen Geheimdienste in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2012, S. 400). Hieraus schloss das Gericht, dass der syrische Staat bei Rückkehrern, die die Situation in Syrien vom Ausland aus unter Zuhilfenahme unabhängiger Berichterstattung beurteilen konnten, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit oppositionelles Gedankengut vermuten werde (vgl. auch VG München, Urteil vom 9. Juli 2014 - 22 K 14. 30752 -, juris Rn. 35 ff.).
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Da schon der bloße Verdacht oppositioneller Umtriebe oder exilpolitischer Betätigung, die bereits niederschwellig angenommen werde, zu einem hohen Folterrisiko führte (vgl. Auswärtiges Amt, ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungs- rechtlich relevante Lage in der Republik Syrien vom 17. Februar 2012, S. 10 f.), war auch vor diesem Hintergrund von der realen Möglichkeit einer Befragung und körperlichen Misshandlung von Personen auszugehen, die nach einem längeren Aufenthalt im westlichen Ausland in ihre Heimat zurückkehren.
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(3) Dem stand bereits seinerzeit auch nicht die Annahme entgegen, dass die syrische Regierung keine Veranlassung und angesichts der Bürgerkriegssituation in vielen Landesteilen auch keine Ressourcen habe, alle zurückgeführten Asylbewerber ohne erkennbaren zusätzlichen individuellen Grund oder konkreten Bezug zu einer regimegegnerischen Haltung aus den in § 3 AsylG genannten Gründen zu verfolgen. Vielmehr sprach nach den damaligen Erkenntnissen zur militärischen Lage im Land alles dafür, dass die syrische Regierung sich zwar in vielen Landesteilen mit den jeweiligen aufständischen Gruppierungen in massiven Kampfhandlungen befand, es dieser jedoch lokal auch des Öfteren gelang, Gebiete zurückzuerobern. Das syrische Militär und die von ihm eingesetzten verbündeten Milizen konnten vielfache Erfolge gegenüber den Aufständischen verbuchen und waren trotz der Desertionswelle in den Jahren 2011 und 2012 nach wie vor in der Lage, zumindest weitere Teile des Kernlandes unter Kontrolle zu behalten (vgl. VG Trier, Urteil vom 14. Juni 2016 - 1 K 1105/16.TR -, n.v., m.w.N.). Gerade der Flughafen in Damaskus als Einreisepunkt aus dem europäischen Ausland rückkehrender Asylantragsteller war jederzeit in der Hand der Regierungstruppen, so dass diese ohne weiteres in der Lage waren, Rückkehrer zu kontrollieren oder zu inhaftieren.
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Daher sprach alles dafür, dass die Behandlung, der sich abgelehnte Asylantragsteller bei einer Rückkehr nach Syrien würden unterziehen müssen, an eine vermutete regimegegnerische Haltung oder an die vermutete Nähe zu einer solchen anknüpfen würde (vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. Oktober 2013 - A 11 S 2046/13 -, juris Rn. 5 ff.). Das Gericht folgte insoweit insbesondere der durch das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt erarbeiteten und nach wie vor gültigen Gesamtschau der Situation, wonach der syrische Staat infolge einer sämtliche Lebensbereiche umfassenden autoritären Struktur und seiner totalitären Ausrichtung in so hohem Maße unduldsam war, dass er schon im Grunde belanglose Handlungen wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und den längeren Aufenthalt im westlichen Ausland zum Anlass für Verfolgungsmaßnahmen nahm und auch die Möglichkeit zu deren Durchsetzung hatte (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18. Juli 2012 - 3 L 147/12 -, juris).
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(4) Diese Rechtsprechung der Kammer stand im Einklang mit der weit überwiegenden Zahl der Verwaltungsgerichte und Oberverwaltungsgerichte/Verwaltungsgerichtshöfe (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18. Juli 2012 - 3 L 147/12 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. Juni 2013 - A 11 S 927/13 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. Oktober 2013 - A 11 S 2046/13 -, juris; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. Januar 2014 - OVG 3 N 91.13 -, juris; HessVGH, Beschluss vom 27. Januar 2014 - 3 A 917/13.Z.A -, juris; VG Regensburg, Urteil vom 14. März 2013 - RN 6 K 12.30059 -, juris; VG Stuttgart, Urteil vom 15. März 2013 - A 7 K 2987/12 -, juris; VG Kassel, Urteil vom 2. Juli 2013 - 5 K 200/13.KS.A -, juris; VG Saarland, Urteil vom 16. Oktober 2013 - 3 K 986/13 -, juris; VG Aachen, Urteil vom 21. November 2013 - 9 K 1844/13.A -, juris; VG München, Urteil vom 9. Juli 2014 - M 22 K 14.30752 -, juris; VG Gießen, Urteil vom 17. Juli 2014 - 2 K 3472/12.GI.A -, juris; VG Regensburg, Urteil vom 9. September 2014 - RN 1 K 14.30205 -, n.v.; VG Frankfurt (Oder), Urteil vom 26. September 2014 - 3 K 1489/13.A -, n.v.; VG Augsburg, Urteil vom 25. November 2014 - Au 2 K 14.30422 -, juris; VG Köln, Urteil vom 18. Juni 2015 - 20 K 4052/14.A -, juris; aA OVG NRW, Beschluss vom 9. Juli 2012 - 14 A 2485/11.A -, juris). Auch Gerichte aus dem europäischen Ausland vertraten diese Rechtsprechung (vgl. UK Upper Tribunal [Immigration and Asylum Chamber], Urteil vom 7. August 2012 - Syria CG UKUT 00426 [KB ./. Secretary of State for the Home Department] -, verfügbar unter: https://moj-tribunals-documents-prod.s3.amazonaws.com/decision/pdf_file/37443/00426_ukut_iac_2012_kb_syria_cg.pdf, letzter Aufruf: 7. Oktober 2016). Bis vor kurzer Zeit - Frühjahr 2016 - entsprach es zudem der Praxis der Beklagten, syrischen Flüchtlingen aus eben diesen Gründen grundsätzlich den Flüchtlingsstatus zuzuerkennen.
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bb) Die Verfolgungssituation gegenüber tatsächlichen und vermuteten politischen Gegnern in Syrien hat sich - entgegen der Ansicht der Beklagten - nicht maßgeblich geändert. Zur Überzeugung des Gerichts liegt auch zu dem gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weiterhin eine Verfolgungsgefahr und damit eine begründete Furcht der Kläger vor Verfolgung vor. Ihnen droht nach dem vorstehend beschriebenen Maßstab bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände ihres Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung, so dass ihnen nicht zumutbar ist, nach Syrien zu- rückzukehren.
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Zwar sind hinsichtlich der Behandlung von aus westlichen Ländern abgeschobenen Personen belastbare Fakten aus der jüngeren Vergangenheit nur lückenhaft vorhanden. Dies ist darauf zurückzuführen, dass mit der Verschärfung des inneren Konfliktes in Syrien in den Jahren 2011 und 2012 wegen verschiedener Abschiebestopps keine abgelehnten Flüchtlinge aus Syrien mehr in ihre Heimat abgeschoben wurden. Die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit einer im Falle der Rückkehr drohenden Verfolgung, ihres Charakters und ihrer Schwere muss daher in erster Linie im Wege einer Prognose aufgrund der zur Verfügung stehenden verifizierbaren Tatsachenberichte zu Verfolgungshandlungen gegenüber politischen Gegnern im Inland erfolgen (vgl. VG Regensburg, Urteil vom 29. Juni 2016 – RO 11 K 16.30707 -, juris Rn. 32; VG Meiningen, Urteil vom 27. März 2014 - 1 K 20092/12 Me -, juris Rn. 31). Dies zugrunde gelegt, führt die „qualifizierende Betrachtungsweise“ im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu dem Ergebnis, dass in einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage der Kläger berechtigt die Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann, da die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen.
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(1) Nach der gegenwärtigen Erkenntnislage werden Personen, die aus Sicht der Sicherheitsbehörden verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen, weiterhin systematisch Opfer einer Behandlung, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend ist, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt (vgl. § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG).
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(a) Das US State Department, dem auch Erkenntnisse über das Schicksal von Personen vorliegen, die in jüngerer Vergangenheit durch nichteuropäische Staaten nach Syrien zurückgeführt worden sind, führt in seinem jüngsten Menschenrechtsbericht 2016 zur Lage in Syrien aus, dass bei ihrer Rückkehr in das Land sowohl Personen, die erfolglos in anderen Ländern um Asyl nachgesucht haben, als auch solche, die Verbindungen zur syrischen Muslimbruderschaft hatten, verschärften Ermittlungen ausgesetzt waren. Das Gesetz erlaube die Verfolgung jeder Person, die in einem anderen Land um Asyl nachgesucht habe, um einer Bestrafung in Syrien zu entgehen. Die Regierung inhaftiere regelmäßig Dissidenten und ehemalige Bürger ohne bekannte politische Verbindungen, die nach Jahren oder sogar nach Jahrzehnten des selbstgewählten Exils versuchten, in das Land zurückzukehren (vgl. United States Department of State, 2015 Human Rights Report: Syria, Bureau of Democracy, Human Rights and Labor. 2015 Country Reports on Human Rights Practices, April 13th, 2016, S. 35/36, verfügbar unter http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm, letzter Aufruf: 7. Oktober 2016).
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(b) Das Immigration and Refugee Board of Canada stellt in seinem Jahresbericht Syrien 2015 vom 19. Januar 2016 fest, dass Personen, die erfolglos im Ausland um Asyl nachgesucht hätten, im Falle ihrer Rückkehr regelmäßig inhaftiert würden und in konkreter Gefahr stünden, gefoltert zu werden, um die Gründe ihrer Ausreise zu offenbaren. Zudem werde in vielen Fällen der Vorwurf gegen die Rückkehrer erhoben, der Regierung gegenüber feindselig eingestellt zu sein und im Ausland falsche Informationen über Syrien verbreitet zu haben. In diesen Fällen riskiere der erfolglose Asylsuchende eine lange Inhaftierung oder Folter. Zwar bestehe insoweit kein Automatismus. Während traditionell ausgerichtete Entscheidungsträger einen Rückkehrer immer als potenziellen Oppositionellen erachten würden, gebe es auch Fälle, in denen etwa eine Ausreise aus wirtschaftlichen Gründen als berechtigt anerkannt werde. Die Zuspitzung des Bürgerkrieges habe jedoch die Schwelle für Verdächtigungen erheblich gesenkt. Besonderes Augenmerk werde bei Rückkehrern zudem auf die Form der Ausreise aus Syrien gerichtet. Da eine Genehmigung der Regierung für die Ausreise erforderlich sei und Frauen zudem die Erlaubnis eines männlichen Verwandten vorlegen müssten, könne die Regierung jederzeit feststellen, ob eine Person das Land legal verlassen habe und zu welchem Zeitpunkt dies erfolgt sei (vgl. Immigration an Refugee Board of Canada [IRB], Syria: Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, including failed refugee claimants, people who exited the country illegally, and people who have not completed milita- ry service; factors affecting treatment, including age, ethnicity and religion [2014- December 2015], January 19th, 2016, verfügbar unter http://www.ecoi.net/local_link/320204/445626_en.html, letzter Aufruf: 7. Oktober 2016).
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(c) Diese Verhaltensmuster finden ihre Bestätigung im allgemeinen Vorgehen der syrischen Regierung gegen Personen, die im Verdacht stehen, die Oppositionsbewegungen zu unterstützen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International führt im jüngsten Bericht zu den Haftbedingungen in Syrien betreffend das Jahr 2016 an, dass die Nachforschungen der Organisation seit dem Beginn der Krise 2011 darauf hindeuten würden, dass jeder, der als oppositionell wahrgenommen werden könnte, Gefahr laufe, willkürlich inhaftiert zu werden, zu „verschwinden“ oder gefoltert bzw. misshandelt zu werden und möglicherweise in der Haft zu sterben. Die Gründe für eine Verhaftung wegen des Verdachts der Regimefeindlichkeit würden variieren und könnten sowohl friedliche Aktivitäten wie die eines Menschenrechtsaktivisten, medizinische Hilfe für bedürftige Zivilisten als auch die Mitorganisation von reformbestrebten Demonstrationen umfassen (vgl. Amnesty International, It breaks the human - torture, disease and death in Syria’s prisons, 2016, S. 16, verfügbar unter https://www.amnesty.org/en/documents/mde24/4508 /2016/en/, letzter Aufruf: 7. Oktober 2016).
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Inhaftierungen nach freiem Ermessen der Sicherheitsbehörden werden auch dadurch gefördert, dass der syrische Staat mit dem „Gesetz Nr. 55“ vom 21. April 2011 regelt, dass eine Inhaftierung ohne konkreten Vorwurf oder gar eine förmliche Anklage für eine Dauer von bis zu 60 Tagen möglich ist. Ein Zugang zu staatlichen Gerichten ist den so Inhaftierten nicht möglich. Seit 2012 wurde zudem ein sog. Anti-Terrorismus-Gericht etabliert, dessen Verfahrensgestaltung grundsätzliche rechtsstaatliche Verfahrensregeln missachtet (vgl. Amnesty International, It breaks the human - torture, disease and death in Syria’s prisons, 2016, S. 14, Fn. 23, verfügbar unter https://www.amnesty.org/en/documents/mde24/4508/2016/en/, letzter Aufruf: 7. Oktober 2016).
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(d) Die Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen hat in ihrem Bericht vom 11. August 2016 das Vorliegen zehntausendfacher Fälle des Verschwindenlassens von Personen seitens der syrischen Regierung festgestellt:
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„75. Civilians, mainly men of fighting age, continue to vanish from the streets of the Syrian Arab Republic. Tens of thousands of Syrians are missing, many in circumstances that suggest they have been forcibly disappeared. (…)
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77. In a pattern that began in March 2011 and which continues to this day, Syrians are arrested or abducted by State agents and thereafter disappear from public view. Relatives continue to report cases of those who disappeared between 2011 and 2015. Common sites of arrest and abduction include checkpoints, hospitals, workplaces and homes.
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78. Throughout the Commission’s existence, Syrians have recounted the terror they feel when passing through government checkpoints for fear of being taken and never heard from again. Some women indicated the final trigger for their becoming refugees was the fact that their adolescent sons faced increasing risks of being held at checkpoints. This fear is well justified: many Syrians have had family members vanish following arrest or abduction by government forces. (…)
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79. Other victims have disappeared while imprisoned, having been transferred from a known detention centre to an unknown location. (…)” (Human Rights Council, 33rd session, Report of the Independent International Commission Inquiry on the Syrian Arab Re- public, August 11th, 2016, UN-Doc A/HRC/33/35, verfügbar unter: https://documents-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/G16/178/60/PDF/G1617860.pdf?OpenElement, letzter Aufruf: 7. Oktober 2016).
- 54
„75. Zivilisten, vor allem Männer im wehrfähigen Alter, verschwinden nach wie vor von den Straßen Syriens. Zehntausende Syrer werden vermisst, viele sind unter solchen Umständen verschwunden, die eine Gewaltanwendung nahe legen. (…)
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77. Nach einem Muster, das im März 2011 erstmals auftauchte und bis heute anhält, werden Syrer durch Staatsorgane verhaftet oder entführt und verschwinden dann aus der öffentlichen Wahrnehmung. Angehörige berichten regelmäßig über 'verschwundene' Verwandte zwischen 2011 und 2015. Zu den Orten, an denen Verhaftungen oder Entführungen für gewöhnlich stattfinden, gehören Checkpoints, Krankenhäuser, Arbeitsstätten und Wohnungen.
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78. Während des gesamten Bestehens der Kommission haben Syrer über ihre panische Angst davor erzählt, mitgenommen zu werden und zu 'verschwinden', wenn sie Checkpoints der Regierung passieren müssen. Einige Frauen wiesen darauf hin, dass der entscheidende Auslöser für ihre Flucht darin lag, dass ihre erwachsenen Söhne zunehmend dem Risiko ausgesetzt waren, an den Checkpoints festgehalten zu werden. Diese Furcht ist wohl- begründet: Viele Syrer beklagen verschwundene Familienangehörige, nachdem diese von Regierungskräften verhaftet oder entführt wurden. (…)
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79. Andere Opfer verschwanden während ihrer Inhaftierung, als sie von einem bekannten Gefängnis zu einem unbekannten Ort verbracht wurden.“ (sinngemäße Übersetzung durch die Kammer)
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(e) Dabei beschränken sich nach der bestehenden Erkenntnislage die Verhaftungen, Befragungen und dauerhaften Inhaftierungen sowie Folterungen nicht nur auf Personen, bei denen eine regierungsfeindliche Haltung bereits durch die Teilnahme an öffentlichen Kundgebungen, Internetaktivitäten oder sonstige Handlungen nachweislich kundgetan worden ist. Vielmehr werden in zunehmendem Maße menschenrechtsrelevante Eingriffe auf Grundlage von Vermutungen, Denunziationen, bestehender Verwandtschaft mit anderen Verdächtigen oder kraft reiner Willkür vorgenommen. Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UN- HCR) stellt insoweit in seinen Erwägungen zum Schutzbedarf syrischer Flüchtlinge in der aktualisierten Fassung vom November 2015 fest:
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„Eine sich verstärkende Besonderheit des Konflikts ist der Umstand, dass die verschiedenen Konfliktparteien oftmals größere Personengruppen, einschließlich Familien, Stämmen, religiösen bzw. ethnischen Gruppen sowie ganzen Städten, Dörfern und Wohngebieten, eine politische Meinung unterstellen. So sind die Mitglieder größerer Einheiten, ohne dass sie individuell ausgewählt werden, aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Unterstützung einer gegnerischen Konfliktpartei zum Ziel von Gegenschlägen verschiedener Akteure geworden, einschließlich Streitkräften die Regierung, ISIS und bewaffneter oppositioneller Gruppen.
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Laut übereinstimmenden Berichten sind ganze Gemeinden, denen eine bestimmte politische Meinung oder die Unterstützung einer bestimmten Konfliktpartei unterstellt wird, von Luftangriffen, Beschießungen, Belagerungen, Selbstmordattentaten und Autobomben, willkürlichen Verhaftungen, Geiselnahmen, Folterungen, Vergewaltigungen und sonstigen Formen sexueller Gewalt und extra- legalen Hinrichtungen betroffen. Die Annahme, dass eine Person eine bestimmte politische Meinung hat, oder eine bestimmte Konfliktpartei unterstützt, basiert oft nur auf wenig mehr als der physischen Anwesenheit dieser Person in einem bestimmten Gebiet oder ihrer Abstammung aus diesem Gebiet oder auf ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund oder ihrer Stammeszugehörigkeit. Es besteht die große und reale Gefahr eines Schadens und diese ist keineswegs durch den Umstand gemindert, dass ein Verletzungsvorsatz nicht speziell auf die betreffende Person gerichtet ist.“ (UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. Aktualisierte Fassung, November 2015, S. 11-14, verfügbar unter: http://www.ref world.org/cgi-bin/texis/vtx/rwmain/opendocpdf.pdf?reldoc=y&docid=56ba17344, letzter Aufruf: 7. Oktober 2016).
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Den Berichten des UNHCR kommt dabei besonderes Gewicht zu, da er gemäß Art. 35 Nr. 1 GFK und Art. 2 Nr. 1 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967 (BGBl. 1969 II S. 1293) zur Überwachung der Durchführung der Genfer Flüchtlingskonvention berufen ist (vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. März 2008 - 2 BvR 378/05 -, juris Rn. 38).
- 62
(f) Bestätigt werden diese Erkenntnisse auch durch die Schweizerische Flüchtlingshilfe. Diese hat im Rahmen einer Schnellrecherche vom 10. September 2015 unter Bezugnahme auf verschiedene sonstige Quellen und unter Auswertung der seinerzeit bekannten Erkenntnislage festgestellt, dass in zahllosen Fällen von Familienangehörigen berichtet werde, die von den Sicherheitskräften verhaftet und gefoltert würden, um Oppositionelle zu erpressen oder zur Aufgabe zu zwingen (sog. Reflexverfolgung). Auch Kinder seien von den Maßnahmen betroffen gewesen, die sich zum einen gegen Angehörige bewaffneter Gruppierungen, zum anderen aber auch gegen politische Aktivistinnen und Aktivisten, Regierungskritiker wie auch gegen Mitglieder von Menschenrechtsgruppen richteten. Die meisten Verhaftungen seien im Geheimen und auf Befehl eines der Sicherheitsapparate durchgeführt worden. Dabei habe in vielen Fällen eine offizielle Begründung für die Verhaftung gefehlt, häufig habe es sich um willkürliches Vorgehen gehandelt. Diese Dynamik der Reflexverfolgung stelle eine „ganz entscheidende Charakteristik des anhaltenden syrischen Konflikts“ dar. Betroffen seien demnach insbesondere Familienangehörige von mutmaßlichen Protestierenden, Aktivisten, Mitglieder von Oppositionsparteien und bewaffneten regierungsfeindlichen Gruppierungen, Dienstverweigerer und Überläufer. Zudem seien Fälle bekannt, in denen es durch Reflexverfolgung zu „willkürlichen Festnahmen, Isolationshaft, Folter und anderen Misshandlungen, sexueller Gewalt sowie standrechtlichen Hinrichtungen“ gekommen sei (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH- Länderanalyse vom 10. September 2015 zu Syrien: Reflexverfolgung, verfügbar unter https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/syrien/150908-syr-reflexverfolgung.pdf, letzter Aufruf: 7. Oktober 2016).
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(g) Die so Inhaftierten sind zudem jenseits der bestehenden Gefahr der Folter, des Verschwindenlassens und der willkürlichen Tötungen jedenfalls Haftbedingungen ausgesetzt, die ihrerseits Menschenrechtsverletzungen im Sinne von § 3a Abs. 1 AsylG darstellen. Die Süddeutsche Zeitung berichtete am 23. Mai 2016 darüber, dass nach Angaben der in London ansässigen „Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte“ in den Gefängnissen der syrischen Regierung mindestens 60.000 Menschen zu Tode gekommen seien, seitdem die Kampfhandlungen im Jahr 2011 ausbrachen (vgl. Süddeutsche Zeitung vom 23. Mai 2016, S. 7).
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(h) Eine Recherche von Amnesty International, die in ihrem aktuellen Bericht zu den Haftbedingungen in Syrien anhand zahlreicher Beispiele umfassend darlegt, bestätigt, dass die Verhörpraktiken der syrischen Behörden maßgeblich auf Folter und Erniedrigung beruhen und dass die Häftlinge in überfüllten Gefängnissen keinen Zugang zu medizinischer Versorgung, Wasser und Nahrung sowie adäquaten Unterkünften und sanitären Einrichtungen haben (vgl. Amnesty International, It breaks the human - torture, disease and death in Syria’s prisons, 2016, S. 37 ff., verfügbar unter https://www.amnesty.org/en/docu-ments/mde24/4508/2016/en/, letzter Aufruf: 7. Oktober 2016).
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(i) Gleichlautend ist ein Bericht der Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch aus dem Dezember 2015, in dem unter anderem systematisch Augenzeugenberichte zur Lage in den staatlichen Gefängnissen ausgewertet wurden. Darin heißt es exemplarisch:
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„Alle von Human Rights Watch befragten ehemaligen Gefangenen beschrieben Zustände in ihren Zellen, welche das Recht der Inhaftierten auf Leben und körperliche Unversehrtheit verletzten. In einigen Fällen lag eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bzw. Folter vor. Nach der Auskunft von Gefangenen, die nach verbesserten Haftbedingungen fragten und von einem Deserteur, der als Gefängniswärter arbeitete, wussten die Behörden von diesen Bedingungen und förderten sie durch die Verweigerung von angemessener Nahrung, gesundheitlicher Versorgung, Hygieneartikeln, ausreichender Durchlüftung und ausreichend Raum.“ (vgl. Human Rights Watch, If the Dead could speak - Mass Deaths and Torture in Syria’s Detention Fecilities, Dezember 2015, verfügbar unter https://www.hrw.org/report/2015/12/16/if-dead-could- speak/ mass-deaths-and-torture-syrias-detention-facilities, letzter Aufruf: 7. Oktober 2016).
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(j) Die Gesamtschau der verfügbaren Erkenntnisquellen, im Rahmen derer den regelmäßigen und übereinstimmenden Berichten von internationalen Nichtregierungsorganisationen besondere Bedeutung zukommt (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 21. April 2016 - 2 BvR 273/16 -, juris Rn. 11, unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 u.a. [N.S../. Secretary of State for the Home Department] -, NVwZ 2012, 417, juris Rn. 90), führt die Kammer zu der Überzeugung, dass tatsächlichen oder vermeintlichen Anhängern der syrischen Oppositionsbewegungen sowie ihren Angehörigen die konkrete Gefahr der willkürlichen Inhaftierung zu menschenunwürdigen Bedingungen und der Misshandlung bis hin zur Folter und der willkürlichen Tötung droht. In der Durchführung der willkürlichen Inhaftierungen liegen Verletzungen von Art. 7 EMRK, in der Durchführung der Folter und der unmenschlichen Behandlung in der Haft Verletzungen von Art. 3 EMRK und in der willkürlichen Tötung oder dem Verschwindenlassen Verletzungen von Art. 2 Abs. 1 EMRK. Alle genannten Konventionsrechte sind nach Art. 15 Abs. 2 EMRK notstandsfest, so dass jedwede der genannten Verletzungen eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG darstellt.
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Die übereinstimmenden Berichte belegen zudem, dass sich die Verfolgung in erster Linie gegen Personen und Personengruppen richtet, die seitens der syrischen Regierung in dem - berechtigten oder unberechtigten - Verdacht stehen, politisch nicht fest im Regime verankert zu sein und die aus Sicht der Regierung gebotene Treuepflicht durch ein vermeintlich illoyales Verhalten oder schlichte Passivität in der Bürgerkriegssituation verletzt zu haben. Hierin liegt eine Verfolgung wegen der tatsächlichen oder zugeschriebenen politischen Überzeugung der Betroffenen im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 AsylG, die eine in hinreichendem Maße gefestigte Verknüpfung zur Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a Abs. 3 AsylG aufweist.
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(2) Auch die Erkenntnislage zum fortbestehenden Interesse der syrischen Regierung an der Exilopposition im Ausland lässt keine maßgebliche Änderung der Sachlage erkennen. Es ist weiterhin davon auszugehen, dass die syrischen Geheimdienste im Rahmen ihrer Möglichkeiten eine weitreichende Beobachtung von oppositionsverdächtigen syrischen Staatsangehörigen im Ausland vornehmen.
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(a) Der Verfassungsschutzbericht 2015 des Bundesministeriums des Innern stellt insoweit unmissverständlich fest:
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„Die syrischen Nachrichtendienste verfügen ungeachtet des Bürgerkriegs und damit einhergehender Auflösungserscheinungen in Teilen des Machtapparates unverändert über leistungsfähige Strukturen. Ihr Aufgabenschwerpunkt ist die Ausforschung von Gegnern des syrischen Regimes, zu denen sowohl islamistische und islamistisch-terroristische Gruppierungen als auch die breit gefächerte säkulare und kurdische Opposition zählen.
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Bei anhaltenden unkontrollierten Einreisen syrischer Staatsangehöriger in die EU ist auch mit weiteren Ausforschungsaktivitäten syrischer Nachrichtendienste zu rechnen.“ (vgl. Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 263 f.)
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(b) Dies deckt sich mit den Erkenntnissen aus den Verfassungsschutzberichten der Länder. So hat der Verfassungsschutz des Landes Rheinland-Pfalz festgestellt, dass die Geheimdienste aus den Staaten des Nahen Ostens und aus Nordafrika ihre Aktivitäten gegen Regimegegner und Oppositionelle in der Bundesrepublik Deutschland „forcieren“ (vgl. Ministerium des Innern und für Sport, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 82). Der Verfassungsschutz des Freistaats Sachsen führt in seinem Verfassungsschutzbericht 2015 explizit aus:
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„Insbesondere die syrischen Nachrichtendienste dürften starkes Interesse am Verbleib bekannter Oppositioneller und deren Rolle im syrischen Bürgerkrieg haben. Die Ausforschung persönlicher Umstände kann dann zur Repression gegen spätere Rückkehrer oder gegen in der Heimat verbliebene Verwandte genutzt werden. Als Agenten können vermeintliche Flüchtlinge oder seit längerem in Deutschland lebende Landsleute zum Einsatz kommen.“ (vgl. Staatsministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S.236).
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Der Verfassungsschutz der Freien und Hansestadt Hamburg stellt in seinem Verfassungsschutzbericht 2015 fest, dass verschiedene Nachrichtendienste des Mittleren und Nahen Ostens in der Hansestadt aktiv seien, die ein „besonderes Interesse (…) an oppositionellen Gruppierungen, die als Bedrohung für das eigene Regime angesehen werden“, haben (vgl. Landesamt für Verfassungsschutz, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 215). Der Hessische Verfassungsschutzbericht 2015 beschreibt die Aktivitäten syrischer Geheimdienste im Land folgendermaßen:
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„Der überwiegende Teil der im Berichtsjahr in die Bundesrepublik eingereisten Flüchtlinge stammt aus Ländern, in denen staatliche Strukturen nur noch begrenzt vorhanden sind, wie etwa Syrien und Irak. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Nachrichtendienste dieser Länder nach wie vor existent sind. Daher gilt für die in Deutschland ankommenden Flüchtlinge: Wer sich im Heimatland gegen das Regime engagierte, gerät eventuell auch in Deutschland in das Visier fremder Nachrichtendienste. Flüchtlinge und deren Familie in der Heimat können ausgespäht werden, gegebenenfalls versuchen fremde Nachrichtendienste, sie als menschliche Quelle zu gewinnen. Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass ausländische Nachrichtendienste daran interessiert sind, Informationen über bestimmte Flüchtlingsgruppen und das Agieren der in den Herkunftsländern verbliebenen Opposition zu erhalten.“ (vgl. Hessisches Ministerium des Innern und für Sport, Verfassungsschutz in Hessen, Bericht 2015, S. 162).
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(c) Diese übereinstimmende Erkenntnislage der deutschen Verfassungsschutzbehörden belegt das uneingeschränkt fortbestehende Interesse der syrischen Regierung an der Erlangung von Kenntnissen über die bestehenden Strukturen der Exilopposition sowie an deren perspektivischer Schwächung oder Zerschlagung. Zugleich dürften bereits aufgrund der hohen Zahl von Asylsuchenden aus Syrien in den Jahren 2014 und 2015 die personellen und sachlichen Mittel der syrischen Geheimdienste unzureichend sein, um eine systematische Erfassung und Bewertung der Oppositionsnähe aller in Deutschland lebenden Syrer zuverlässig zu gewährleisten. Aus diesen Grund steht mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass Personen, die illegal aus Syrien ausgereist sind, sich längere Zeit im westlichen Ausland aufgehalten und dort um internationalen Schutz nachgesucht haben, im Falle ihrer hypothetischen Rückkehr allein schon aufgrund der lückenhaften geheimdienstlichen Erkenntnislage verdachtsunabhängig Befragungen und Inhaftierungen unterzogen werden, um die Motive der Ausreise sowie die etwaige Verbindung zu oppositionellen Gruppierungen in Erfahrung zu bringen.
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(d) Schließlich hat auch die immer stärker eskalierende Situation in Syrien mit der steigenden Zahl an Flüchtlingen nicht zur Folge, dass der Einzelne sich im westlichen Ausland aufhaltende Flüchtling wegen dieses Massenphänomens nicht mehr als potenzieller politischer Gegner angesehen wird. Nach der Auffassung der syrischen Regierung handelt es sich bei dem sich zu einem Bürgerkrieg ausgewachsenen Aufstand um eine von außen organisierte und finanzierte Verschwörung gegen das Land, der mit allen verfügbaren Mitteln zu begegnen sei. Daher muss mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer politischen Verfolgung von zurückkehrenden Asylbewerbern gerechnet werden (vgl. VG Regensburg, Urteil vom 29. Juni 2016 - RO 11 K 16.30707 -, juris Rn. 34; VG Stuttgart, Urteil vom 15. März 2013 - A 7 K 2987/12 -, juris Rn. 27). Während schon vor Beginn der Aufstände teilweise wochenlange Inhaftierungen und Verhöre von aus dem Ausland kommenden und nicht exponiert auftretenden Syrern nicht unüblich waren, wird unter den konkreten derzeitigen Umständen jeder sich im westlichen Ausland aufhaltende Syrer im Falle seiner Rückkehr als möglicher Oppositioneller angesehen werden (vgl. auch VG Regensburg, Urteil vom 29. Juni 2016 - RO 11 K 16.30707 -, juris Rn. 34; VG Aachen, Urteil vom 11. Januar 2012 - 9 K 1698/10.A -, juris Rn. 20 ff.).
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(3) Die Entwicklung der innenpolitischen und militärischen Lage in Syrien rechtfertigt auch nicht die Annahme, dass der syrischen Regierung im Falle der hypothetischen Rückkehr der Kläger keine ausreichenden finanziellen oder personellen Ressourcen zur Verfügung stehen könnten, so dass aus diesem Grunde die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung nicht bestünde.
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(a) Es bestehen gegenwärtig keine Anhaltspunkte dafür, dass die syrische Regierung in absehbarer Zukunft militärisch oder wirtschaftlich kollabieren könnte. Vielmehr hat sich die militärische Situation seit Frühjahr 2013 aufgrund des zunächst kleineren zu verteidigenden Gebiets, dem Ende der Massendesertionen und gestützt auf die Luftwaffe sowie massierte Artillerieeinsätze stabilisiert. Die Regierungstruppen konnten im Wesentlichen ihre Stellungen halten und lokal begrenzte Erfolge erzielen. Im Mai 2013 trafen Milizen der schiitischen Hisbollah in großer Zahl aus dem Libanon kommend in Syrien ein und schlossen sich den Regierungstruppen an. Mit dieser Unterstützung gelang es den syrischen Streitkräften an mehreren Stellen, die Rebellen zu schlagen und größere Gebiete, etwa die als Schlüsselstellung für den Rebellennachschub wichtige Stadt Kusseir, zu erobern.
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Mitte August 2015 begann Russland mit dem Aufbau einer Basis in Latakia, die es den Luftstreitkräften ermöglichen sollte, die Regierungstruppen zu unterstützen. Im September 2015 begannen russische Kampfflugzeuge, Stellungen des Islamischen Staates, aber auch anderer Oppositionsgruppen aus der Luft anzugreifen.
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Anfang des Jahres 2016 rückten regimetreue Kräfte aus dem Iran, dem Libanon und aus Afghanistan unter dem Schutz russischer Luftangriffe in die Region nördlich von Aleppo vor und vertrieben die dortigen Oppositionsgruppen. Die Stadt ist seit Sommer 2016 eingekesselt. Im September 2016 kam es zu massiven Luftangriffen gegen das Stadtzentrum, die von einer Bodenoffensive gefolgt wurde (vgl. The New York Times vom 23. September 2016, 'Doomsday Today in Aleppo': As- sad and Russian Forces Bombard City, verfügbar unter http://www.ny- times.com/2016/09/24/world/middleeast/aleppo-syria-airstrikes.html; Süddeutsche Zeitung vom 24. September 2016, Massive Luftangriffe gegen Aleppo, verfügbar unter http://www.sueddeutsche.de/news/politik/konflikte-massive-luftangriffe-gegen-aleppo-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-160924-99-573005; Tagesschau vom 27. September 2016, Auf Luftangriffe folgt Bodenoffensive, verfügbar unter https://www.tagesschau.de/ausland/syrien-aleppo-offensive-101.html, letzter Auf- ruf jeweils: 7. Oktober 2016).
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(b) Russische Streitkräfte unterstützen die Regierungstruppen weiterhin uneingeschränkt militärisch, logistisch und mit Geheimdienstinformationen (vgl. The New York Times vom 30. September 2016, Russia Fighting in Syria for a Year, Still at Odds With US, verfügbar unter http://www.nytimes.com/aponline/2016/09/30/us/ politics/ap-us-united-states-russia.html; Spiegel-Online vom 1. Oktober 2016, Luftangriffe in Syrien - Krankenhaus in Aleppo bombadiert, verfügbar unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/syrien-krankhaus-in-aleppo-bombardiert- russland-schickt-flugzeuge-a-1114858.html, letzter Aufruf jeweils: 7. Oktober 2016). Diese fortdauernde Unterstützung der syrischen Regierung trotz ausgehandelter Waffenruhe hat auch zum Scheitern der Friedensgespräche geführt (vgl. The New York Times, Tension With Russia Rises as US Halts Syria Negotiations, verfügbar unter http://www.nytimes.com/2016/10/04/world/middleeast/us-sus pends-talks-with-russia-on-syria.html, letzter Aufruf: 7. Oktober 2016). Dieses Vorgehen beweist, dass offensichtlich jedenfalls ausreichende personelle und wirtschaftliche Ressourcen vorhanden sein müssen, um neben militärischen Erfolgen zumindest die überwiegende Zahl der Rückkehrer einer Befragung und Inhaftierung zu unterziehen, zumal für diese Tätigkeiten auch die Rekrutierung oder Reaktivierung von Soldaten und Sicherheitskräften in Betracht kommt, die - etwa aufgrund ihres Alters oder ihres Gesundheitszustands - nicht mehr zur Beteiligung an aktiven Kampfhandlungen an der Front geeignet sind.
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(c) Auch steht der internationale Flughafen in Damaskus als einziges mögliches Ziel einer zwangsweisen Rückführung nach Syrien unverändert unter der Kontrolle der Regierungskräfte. Bereits aus diesem Grund fehlt den Klägern auch eine inländische Fluchtalternative („interner Schutz“). Selbst wenn innerhalb eines beschränkten Teils von Syrien keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG für die Kläger bestünde (vgl. hierzu aber bereits Auswärtiges Amt, ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungs- rechtlich relevante Lage in der Republik Syrien vom 17. Februar 2012, S. 10), könnten diese jedenfalls nicht sicher und legal in diesen Landesteil reisen, bevor sie in die Hände der Sicherheitskräfte der Regierung fallen (§ 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Die Kammer bezweifelt freilich, dass die Kläger selbst bei der unterstellten Möglichkeit, im Falle der hypothetischen Rückkehr sicher und frei innerhalb Syriens zu reisen, eine inländische Fluchtalternative bestünde, da die dortigen Machthaber der Opposition oder des Islamischen Staats Ausreisenden aus regierungskontrollierten Gebieten ebenfalls mit Misstrauen und Zwangsmaßnahmen begegnen dürften. Hiervon ist ersichtlich auch die Beklagte ausgegangen, da sie den Klägern den subsidiären Schutzstatus zugebilligt hat, der ebenfalls von dem Fehlen internen Schutzes abhängig ist (vgl. § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e AsylG).
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(4) Nach alledem muss in Ansehung der vorliegenden Erkenntnisse trotz gestiegener Ausreisezahlen nach wie vor davon ausgegangen werden, dass wegen der illegalen Ausreise der Kläger, ihrem Aufenthalt in westlichen Ausland und der hiesigen Asylantragstellung im Falle ihrer Abschiebung nach Syrien eine Befragung und gegebenenfalls Inhaftierung durch syrische Sicherheitskräfte erfolgen wird, bei der mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine konkrete Gefährdung in Form menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zur Folter zu erwarten ist und die zumindest auf einer den Klägern durch die Verfolger zugeschriebenen politischen Überzeugung beruht.
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Dieses Ergebnis entspricht auch der weit überwiegenden aktuellen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte (vgl. VG Köln, Urteil vom 23. Juni 2016 - 20 K 1599/16.A -, juris; VG Regensburg, Urteil vom 29. Juni 2016 - RO 11 K 16.30707-, juris; VG Meiningen, Urteil vom 1. Juli 2016 - 1 K 20205/16 Me -, n.v.; VG Regensburg, Urteil vom 6. Juli 2016 - RN 11 K 16.30889 -, juris; VG Berlin, Beschluss vom 20. Juli 2016 - VG 23 K 486.16 A -, n.v.; VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 10. August 2016 - 3 K 7501/16.A -, juris; VG Schleswig-Holstein, Gerichtsbescheid vom 15. August 2016 - 12 A 149/16 -, asyl.net; VG Köln, Urteil vom 25. August 2016 - 20 K 664/15.A -, juris; VG Würzburg, Urteil vom 7. September 2016 - W 2 K 16.30603 -, asyl.net).
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Daneben hat auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dessen Rechtsprechung eine faktische Orientierungs- und Leitfunktion für die Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention auch über den konkret entschiedenen Einzelfall hinaus zukommt und die damit mittelbar die Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes beeinflusst (vgl. statt vieler: BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2333/08 u.a.-, BVerfGE 128, 326, juris Rn. 88, 89, m.w.N.) in einer Entscheidung vom 15. Oktober 2015 die beabsichtigte Rückführung von erfolglosen Asylbewerbern aus der Russischen Föderation nach Syrien aufgrund der dortigen Verfolgungsgefahr wegen zugeschriebener oppositioneller Einstellung als Verletzungen von Art. 2 EMRK und Art. 3 EMRK bewertet. Hierfür hat er neben den im Einzelnen aufgeführten Erkenntnisquellen als ausreichend erachtet, dass es sich bei einem Beschwerdeführer um einen staatenlosen Palästinenser handelte, ein weiterer Beschwerdeführer einen Verwandten in dem Konflikt verloren hatte, alle Beschwerdeführer im wehrfähigen Alter waren und aus Aleppo bzw. Damaskus stammten, wo besonders schwere Kämpfe stattgefunden hatten (vgl. EGMR, Urteil vom 15. Oktober 2015 - 40081/14, 40088/14, 40127/14 [L.M. u.a../. Russische Föderation] -, HUDOC, Rn. 123-125).
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cc) Soweit die Beklagte in anderen Verfahren die Auffassung vertreten hat, dass sich die Zusammensetzung der Flüchtlinge im Rahmen der Massenausreise geändert habe und daher im Vergleich zu früheren Jahren nur noch ein geringeres Interesse der syrischen Regierung zur Befragung von Rückkehrern bestehe, verkennt die Kammer nicht, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Beginn des Bürgerkriegs mehr (tatsächliche) Oppositionelle aus dem Land geflohen sind, während die in den Jahren 2014 bis 2016 ausgereisten Personen überwiegend wegen der Kriegsereignisse das Land verlassen haben. Dies führt jedoch zur Überzeugung der Kammer nicht dazu, dass die beachtliche Wahrscheinlichkeit von Menschenrechtsverletzungen im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG entfiele. Erstens ist angesichts der weiteren Zuspitzung des Konflikts in Syrien nicht zu erwarten, dass die totalitär ausgerichtete Regierung den Verfolgungsdruck auf potenzielle Gegner mit der Erwägung mildert oder gar aufgibt, dass eine etwas geringere Wahrscheinlichkeit besteht, einen schon vor der Ausreise aktiven Oppositionellen ausfindig zu machen. Zweitens dürfte sich aufgrund des Umstands der illegalen Ausreise für den Rückkehrer im Einzelfall auch nicht mehr belegen lassen, dass er erst zu einem Zeitpunkt das Land verlassen hat, als sich die Zusammensetzung der Flüchtlinge bereits von den mehrheitlichen Regimegegnern zu den mehrheitlichen Kriegsopfern verschoben hatte.
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Zudem ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die Zahl von über 4 Millionen Flüchtlingen, die Syrien seit dem Beginn des Bürgerkriegs verlassen haben, und von der die Beklagte jeweils bei der Darstellung der Massenauswanderung im Rahmen ihrer Anträge auf Zulassung der Berufung ausgeht, nur zu einem untergeordneten Anteil Personen beinhaltet, die - wie die Kläger - in das westliche Ausland geflohen sind. Die weit überwiegende Mehrzahl verbleibt in den Nachbarstaaten Syriens. Ausweislich des jüngsten Berichts des UNHCR über die globale Flüchtlingssituation 2015 sind von den 4,9 Millionen Flüchtlingen aus Syrien rund 2,5 Millionen in die Türkei, circa 1,1 Millionen in den Libanon und etwa 600.000 nach Jordanien geflohen (vgl. UNHCR, Global Trends. Forced Displacement in 2015, June 20th, 2016, S. 21; verfügbar unter https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/fileadmin/redaktion/Infomaterial/global_trends_2015.pdf, letzter Aufruf: 7. Oktober 2016). Damit hat im Ergebnis nur rund ein Siebtel der aus Syrien ausgereisten Personen in anderen als den genannten Staaten um internationalen Schutz nachgesucht. In Anbetracht dessen erscheint es nach dem Maßstab eines vernünftigen und besonnenen Menschen ebenfalls nicht als weniger wahrscheinlich, dass dem wiederum geringeren Anteil der Ausreisenden, der im westlichen Ausland um internationalen Schutz nachgesucht hat, im Falle der Rückkehr ins Heimatland im Vergleich zu den in der Großregion verbliebenen Kriegsflüchtlingen eine erhöhte Aufmerksamkeit seitens der Sicherheitskräfte zuteil wird.
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dd) Soweit einzelne Gerichte davon ausgehen, dass die syrische Regierung zu systematischen Verfolgungsmaßnahmen angesichts der Massenausreise und des partiellen Zusammenbruchs staatlicher Strukturen schon aus Kapazitätsgründen nicht mehr in der Lage sei oder kein Interesse mehr an solchen hätte (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. Mai 2013 - 14 A 1008/13.A -, juris Rn. 11; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13. Februar 2014 - 14 A 215/14.A -, juris; bestätigt durch: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 5. September 2016 - 14 A 1802/16.A -, juris Rn. 12), handelt es sich dabei um eine Mutmaßung, die die Kammer den vorliegenden Erkenntnisquellen so nicht zu entnehmen vermag (vgl. auch VG Regensburg, Urteil vom 29. Juni 2016 - RO 11 K 16.30707 -, juris) und die auch die gestärkte Position der syrischen Regierung in der allerjüngsten Vergangenheit verkennt.
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Zudem entfällt die beachtliche Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen nicht dadurch, dass ein Regime möglicherweise durch Überlastung seiner Sicherheitskräfte im Falle massenhafter Rückkehr/Abschiebung ab einem gewissen Moment nicht mehr in der Lage ist, die Verfolgungsmaßnahmen effektiv und systematisch durchzusetzen. Es kann bereits bei der Prognose der Verfolgungswahrscheinlichkeit nicht unterstellt werden, dass die Masse der Flüchtlinge „auf einen Schlag“ in die Heimat zurückkehrt. Vielmehr muss bei realitätsnaher Betrachtung davon ausgegangen werden, dass die Rückkehrer allenfalls in Gruppen von einigen Hundert bis wenigen Tausend Personen pro Tag zurückgeführt werden. Diese Größenordnung dürften auch auf lange Sicht durch einen effektiven Sicherheitsapparat, der faktisch keinen verfahrensrechtlichen oder sonstigen rechtsstaatlichen Beschränkungen unterliegt, zu bewältigen sein. Daneben kann der Wahrscheinlichkeitsprognose des individuellen Asylsuchenden nicht zulässigerweise zugrunde gelegt werden, dass er erst zu einem Zeitpunkt in das Heimatland zurückgeführt wird, zu dem das Sicherheitssystem zusammengebrochen ist und daher keine effektive Verfolgung mehr stattfindet. Im Gegenteil muss auch die Möglichkeit berücksichtigt werden, dass er vor diesem Zeitpunkt nach Syrien gelangt und (noch) Opfer systematischer Verfolgung wird oder dass seine Rückkehr in die Phase des Zusammenbruchs fällt, die nach den empirischen historischen Erfahrungen mit im Untergang befindlichen totalitären Systemen in der Regel von besonderer Unnachgiebigkeit und Brutalität geprägt ist. Angesichts dieser Ungewissheit kann die Rückkehr aus der Sicht eines besonnen und vernünftigen Menschen, gerade auch in Ansehung der Schwere der zu befürchtenden Menschenrechtsverletzungen, nicht mehr als zumutbar erachtet werden.
- 92
ee) Soweit das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz im Beschluss vom 15. September 2016 - 1 A 10655/16.OVG - die Frage als klärungsbedürftig angesehen hat, ob Flüchtlingen aus Syrien im Falle ihrer Rückkehr dorthin allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich politische Verfolgung droht oder ob individuelle Gründe hinzutreten müssen, ist zu betonen, dass die genannten Voraussetzungen bereits für sich genommen individuelle Verfolgungsgründe darstellen. Es handelt sich nämlich nicht um eine Gruppenverfolgung, sondern um eine „Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit“ (vgl. bereits OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18. Juli 2012 - 3 L 147/12 -, juris Rn. 24 ff.). Das Merkmal, das seinen Träger als Angehörigen einer missliebigen Gruppe ausweist, stellt in dieser Konstellation für den Verfolger nur ein Element in seinem Feindbild dar, das die Verfolgung erst bei Hinzutreten weiterer Umstände auslöst. Das vom Verfolgungsstaat zum Anlass für eine Verfolgung genommene Merkmal ist hierbei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein mehr oder minder deutlich im Vordergrund stehender, die Verfolgungsbetroffenheit des Opfers mitprägender Umstand, der für sich allein noch nicht die Annahme politischer Verfolgung jedes einzelnen Merkmalsträgers rechtfertigt, wohl aber bestimmter unter ihnen, etwa solcher, die durch weitere Besonderheiten in den Augen des Verfolgerstaates zusätzlich belastet sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Februar 1996 - 9 B 14.96 -, DVBl. 1996, 623, juris Rn. 5).
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In diesem Sinne liegen die zum Anlass für die Verfolgung genommenen Merkmale vorliegend erstens in der illegalen Ausreise und der damit verbundenen Aufkündigung der von der syrischen Regierung geforderten Loyalität im Kampf gegen die Oppositionsgruppierungen, zweitens in der Flucht und dem längeren Aufenthalt in einem westlichen Land, durch die die Ausreisenden nach Sicht der Regierung eine Identifikation mit der dortigen Werteordnung und der westlichen Unterstützung der Opposition in Syrien zum Ausdruck bringen sowie drittens der Asylantragstellung, die den dauerhaften Bruch mit dem syrischen Staat nach außen zum Ausdruck bringt. Da die Prognose einer Einzelverfolgung, die neben anderen die Verfolgungsgefahr auslösenden Umständen auch die Zugehörigkeit zu einer dem Verfolger missliebigen Gruppe berücksichtigt, nicht voraussetzt, dass die Verfolgung von Angehörigen dieser Gruppe bereits eine Dichte erreicht hat, die die Annahme einer Gruppenverfolgung rechtfertigt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Februar 1996 - 9 B 14.96 -, DVBl. 1996, 623, juris Rn. 4), ist es angesichts dessen auch unschädlich, dass vor dem Hintergrund der Massenausreise einzelne Rückkehrer möglicherweise von Verfolgungsmaßnahmen verschont bleiben.
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c) Die Kläger weisen die genannten Merkmale auf. Ihre hierzu in den Anhörungen vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge getätigten Angaben sind durch ihre Einlassungen in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer bestätigt worden. Sie sind illegal aus Syrien ausgereist, da der Grenzübertritt nur durch Zahlung eines Bestechungsgeldes an der Kontrollstelle ermöglicht wurde, die Reisepässe keinen Ausreisestempel aufweisen und zudem keine Genehmigung der syrischen Behörden für die Ausreise eingeholt worden ist. Sie halten sich zudem nunmehr seit rund einem Jahr im Bundesgebiet und damit dem westlichen Ausland auf und haben einen Asylantrag sowie einen Antrag auf Zuerkennung internationalen Schutzes gestellt. Angesichts dessen droht den Klägern für den Fall der Rückkehr ungeachtet weiterer individuell geltend gemachter Fluchtgründe und deren Glaubhaftigkeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung, weil davon auszugehen ist, dass im Falle ihrer hypothetischen Rückkehr einer vermuteten Einstellung gegen das derzeitige politische System nachgegangen werden wird.
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d) Erschwerend kommt hinzu, dass die Kläger als Christen und ehemalige Bewohner der durch die Regierung als oppositionsgeprägt erachteten Stadt Aleppo zumindest zwei besonders vulnerablen Zielgruppen angehören (vgl. UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. Aktualisierte Fassung, November 2015, S. 26; EGMR, Urteil vom 15. Oktober 2015 - 40081/14, 40088/14, 40127/14 [L.M. u.a. ./. Russische Föderation] -, HUDOC, Rn. 124), was die individuelle Wahrscheinlichkeit, im Falle der hypothetischen Rückkehr nach Syrien Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu sein, weiter erhöht. Zwar kommt diesem Umstand für die Begründung des Anspruchs auf Zuerkennung er Flüchtlingseigenschaft keine eigenständige Bedeutung mehr zu, da die Merkmale der illegalen Ausreise, des längeren Aufenthalts im westlichen Ausland und der hiesigen Asylantragstellung den Anspruch bereits für sich genommen tragen. Die Kammer stützt ihre Entscheidung gleichwohl ergänzend auf die besondere Vulnerabilität der Kläger.
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4. Die Ausspruch über die Kosten resultiert aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
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5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten findet ihre Rechtsgrundlage in § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung - ZPO -.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Trier Urteil, 07. Okt. 2016 - 1 K 5093/16.TR
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Urteil einreichenVerwaltungsgericht Trier Urteil, 07. Okt. 2016 - 1 K 5093/16.TR zitiert oder wird zitiert von 28 Urteil(en).
(1) Die Kammer soll in der Regel in Streitigkeiten nach diesem Gesetz den Rechtsstreit einem ihrer Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen, wenn nicht die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist oder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.
(2) Der Rechtsstreit darf dem Einzelrichter nicht übertragen werden, wenn bereits vor der Kammer mündlich verhandelt worden ist, es sei denn, dass inzwischen ein Vorbehalts-, Teil- oder Zwischenurteil ergangen ist.
(3) Der Einzelrichter kann nach Anhörung der Beteiligten den Rechtsstreit auf die Kammer zurückübertragen, wenn sich aus einer wesentlichen Änderung der Prozesslage ergibt, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Eine erneute Übertragung auf den Einzelrichter ist ausgeschlossen.
(4) In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entscheidet ein Mitglied der Kammer als Einzelrichter. Der Einzelrichter überträgt den Rechtsstreit auf die Kammer, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder wenn er von der Rechtsprechung der Kammer abweichen will.
(5) Ein Richter auf Probe darf in den ersten sechs Monaten nach seiner Ernennung nicht Einzelrichter sein.
(1) Die Kammer soll in der Regel den Rechtsstreit einem ihrer Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen, wenn
- 1.
die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat.
(2) Der Rechtsstreit darf dem Einzelrichter nicht übertragen werden, wenn bereits vor der Kammer mündlich verhandelt worden ist, es sei denn, daß inzwischen ein Vorbehalts-, Teil- oder Zwischenurteil ergangen ist.
(3) Der Einzelrichter kann nach Anhörung der Beteiligten den Rechtsstreit auf die Kammer zurückübertragen, wenn sich aus einer wesentlichen Änderung der Prozeßlage ergibt, daß die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist. Eine erneute Übertragung auf den Einzelrichter ist ausgeschlossen.
(4) Beschlüsse nach den Absätzen 1 und 3 sind unanfechtbar. Auf eine unterlassene Übertragung kann ein Rechtsbehelf nicht gestützt werden.
(1) Die Kammer soll in der Regel in Streitigkeiten nach diesem Gesetz den Rechtsstreit einem ihrer Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen, wenn nicht die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist oder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.
(2) Der Rechtsstreit darf dem Einzelrichter nicht übertragen werden, wenn bereits vor der Kammer mündlich verhandelt worden ist, es sei denn, dass inzwischen ein Vorbehalts-, Teil- oder Zwischenurteil ergangen ist.
(3) Der Einzelrichter kann nach Anhörung der Beteiligten den Rechtsstreit auf die Kammer zurückübertragen, wenn sich aus einer wesentlichen Änderung der Prozesslage ergibt, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Eine erneute Übertragung auf den Einzelrichter ist ausgeschlossen.
(4) In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entscheidet ein Mitglied der Kammer als Einzelrichter. Der Einzelrichter überträgt den Rechtsstreit auf die Kammer, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder wenn er von der Rechtsprechung der Kammer abweichen will.
(5) Ein Richter auf Probe darf in den ersten sechs Monaten nach seiner Ernennung nicht Einzelrichter sein.
(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.
(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.
(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.
(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.
Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich
- 1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - 2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, - a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder - b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, - 2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder - 3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er
- 1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder - 2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.
(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die
- 1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder - 2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.
(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:
- 1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, - 2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, - 3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, - 4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, - 5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen, - 6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.
(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.
(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich
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aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - 2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, - a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder - b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er
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ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, - 2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder - 3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er
- 1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder - 2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.
(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die
- 1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder - 2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.
(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:
- 1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, - 2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, - 3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, - 4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, - 5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen, - 6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.
(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.
(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich
- 1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - 2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, - a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder - b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, - 2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder - 3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er
- 1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder - 2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.
(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die
- 1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder - 2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.
(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:
- 1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, - 2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, - 3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, - 4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, - 5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen, - 6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.
(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.
(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich
- 1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - 2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, - a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder - b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, - 2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder - 3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er
- 1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder - 2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.
(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:
- 1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe; - 2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind; - 3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird; - 4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn - a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und - b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
- 5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.
(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.
(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich
- 1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - 2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, - a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder - b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, - 2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder - 3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er
- 1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder - 2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.
(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:
- 1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe; - 2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind; - 3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird; - 4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn - a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und - b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
- 5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.
(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.
Die Verfolgung kann ausgehen von
- 1.
dem Staat, - 2.
Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder - 3.
nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:
- 1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe; - 2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind; - 3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird; - 4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn - a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und - b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
- 5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.
(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.
Die Verfolgung kann ausgehen von
- 1.
dem Staat, - 2.
Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder - 3.
nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er
- 1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und - 2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.
(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden
- 1.
vom Staat oder - 2.
von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,
(2) Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.
(3) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine internationale Organisation einen Staat oder einen wesentlichen Teil seines Staatsgebiets beherrscht und den in Absatz 2 genannten Schutz bietet, sind etwaige in einschlägigen Rechtsakten der Europäischen Union aufgestellte Leitlinien heranzuziehen.
(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich
- 1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - 2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, - a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder - b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, - 2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder - 3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er
- 1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder - 2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.
(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.
(1) Ein Ausländer wird in der Regel nicht als Asylberechtigter anerkannt, wenn die Gefahr politischer Verfolgung auf Umständen beruht, die er nach Verlassen seines Herkunftslandes aus eigenem Entschluss geschaffen hat, es sei denn, dieser Entschluss entspricht einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung. Satz 1 findet insbesondere keine Anwendung, wenn der Ausländer sich auf Grund seines Alters und Entwicklungsstandes im Herkunftsland noch keine feste Überzeugung bilden konnte.
(1a) Die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 zu erleiden, kann auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist.
(2) Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines Asylantrags erneut einen Asylantrag und stützt diesen auf Umstände, die er nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrags selbst geschaffen hat, kann in einem Folgeverfahren in der Regel die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden.
Tatbestand
- 1
Der 1979 in A./Syrien geborene Kläger ist nach eigenen Angaben syrischer Staatsangehöriger, muslimischen Glaubens und kurdischer Volkszugehörigkeit. Nach seinen Schilderungen reiste er am 30. November 2010 aus der Türkei kommend auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein.
- 2
Am 14. Januar 2011 wurde der Kläger vom Bundesamt zu seinem Asylbegehren angehört. Zur Begründung gab er an: Er sei ungefähr von 2001 bis 2007 inhaftiert gewesen. Aufgrund einer Bürgschaft sei er freigelassen worden. Er sei Sympathisant der Kurdischen Volksunion gewesen. Im Rahmen der Vorbereitung des Newroz-Festes am 21. März 2010 habe man sich versammelt. Daraus sei eine Demonstration entstanden. Irgendwann habe man begonnen, Leute zu verhaften. Er sei geflüchtet und habe sich bei seinem Cousin versteckt. Er habe dann erfahren, dass sein Bruder verhaftet worden sei. Es sei ihm klar geworden, dass dies erfolgt sei, weil man in Wirklichkeit seiner habhaft werden wollte. Er habe sich sechs Monate bei seinem Cousin versteckt und dann seine Ausreise organisieren lassen.
- 3
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid vom 23. März 2011 ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland binnen eines Monats nach Rechtskraft der Entscheidung zu verlassen, anderenfalls würde er nach Syrien abgeschoben. Der Kläger könnte auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet sei. Zur Begründung ist ausgeführt, der Kläger könnte kein Asyl beanspruchen, weil davon auszugehen sei, dass er auf dem Landweg über einen sicheren Drittstaat eingereist sei. Der Kläger hätte ein individuelles Verfolgungsschicksal nicht glaubhaft gemacht. Auch die illegale Ausreise bzw. die Asylantragstellung im Ausland führe nicht zu einer politischen Verfolgung. Mangels einer politischen Verfolgung könne er daher nicht die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft beanspruchen. Auch Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen nicht vor.
- 4
Am 5. April 2011 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Magdeburg Klage erhoben. Zur Begründung berief er sich auf die aktuelle politische Situation in Syrien. Ferner sei bei ihm im Jahr 2011 eine kryptogene Epilepsie und der Verdacht auf das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung festgestellt worden.
- 5
Der Kläger hat beantragt,
- 6
unter Aufhebung des Bescheides vom 23. März 2011 festzustellen, dass für ihn die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft des § 60 Abs. 1 AufenthG, hilfsweise Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.
- 7
Die Beklagte hat beantragt,
- 8
die Klage abzuweisen.
- 9
Mit Gerichtsbescheid vom 23. April 2012 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter teilweiser Aufhebung ihres Bescheides vom 23. März 2011 verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG für den Kläger vorliegen.
- 10
Mit der vom Senat zugelassenen Berufung macht die Beklagte geltend, dass das Verwaltungsgericht für seine tragende Argumentation hinsichtlich der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft keine Referenzfälle benannt habe. Sie hat sich im Verlauf des Berufungsverfahrens verpflichtet festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG im Hinblick auf den Kläger vorliegt.
- 11
Die Beklagte beantragt,
- 12
die Klage unter Abänderung des Gerichtsbescheides des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 23. April 2012 abzuweisen.
- 13
Der Kläger beantragt,
- 14
die Berufung zurückzuweisen.
- 15
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Vorbringen der Beteiligten sowie auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten und auf die vom Senat in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
- 16
Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Der Kläger hat zu dem gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat einen Anspruch auf die Feststellung, dass in seiner Person die Voraussetzungen auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG vorliegen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
- 17
Maßgeblich für die Beurteilung, ob dem Kläger der Flüchtlingsstatus zuzuerkennen ist, sind § 3 Abs. 1 und 4 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798, zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.11.2011, BGBl. I S. 2258) sowie § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162, zuletzt geändert durch Gesetz vom 01.06.2012, BGBl. I S. 1224).
- 18
Nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf in Anwendung dieses Abkommens ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist.
- 19
Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorliegt, Art. 4 Abs. 4 und Art. 7 bis 10 derRichtlinie 2004/83/EG (sog. Qualifikationsrichtlinie, nachfolgend QRL) des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. Nr. L 304 S. 12) ergänzend anzuwenden. Wie nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist auch unionsrechtlich eine Verfolgungshandlung für die Flüchtlingsanerkennung nur dann von Bedeutung, wenn sie an einen der in Art. 10 QRL genannten Verfolgungsgründe anknüpft (Art. 9 Abs. 3 QRL). Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Antragsteller in einer Angelegenheit, die die in Art. 6 QRL genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob der Antragsteller aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist (Art. 10 Abs. 1 lit. e QRL). Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe reicht es aus, wenn diese Merkmale dem Antragsteller von seinem Verfolger lediglich zugeschrieben werden (Art. 10 Abs. 2 QRL). Die Qualifikationsrichtlinie hat sich insofern an dem aus dem angloamerikanischen Rechtsraum bekannten Auslegungsprinzip der „imputed political opinion“ orientiert, wonach es ausreicht, dass ein Verfolger seine Maßnahmen deshalb gegen den Antragsteller richtet, weil er davon ausgeht, dass dieser eine abweichende politische Überzeugung vertritt (vgl. Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, § 15 Rdnr. 26; Nachweise aus der Rechtsprechung bei UNHCR, „Auslegung von Artikel 1 des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“, 2001, Fußnote 54 zu Rdnr. 25). Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Asylgrundrecht des Art. 16a GG kann eine politische Verfolgung dann vorliegen, wenn staatliche Maßnahmen gegen - an sich unpolitische - Personen ergriffen werden, weil sie dem persönlichen Umfeld einer anderen Person zugerechnet werden, die ihrerseits Objekt politischer Verfolgung ist. Dienen diese Maßnahmen der Ausforschung der Verhältnisse des Dritten, so kann ihnen die Asylerheblichkeit nicht von vornherein mit dem Argument abgesprochen werden, sie seien nicht gegen die politische Überzeugung des Betroffenen gerichtet (BVerfG, Beschl. v. 28.01.1993 - 2 BvR 1803/92 -, juris).
- 20
Als Verfolgung im Sinne des Art. 1 A GFK gelten nach Art. 9 Abs. 1 QRL Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (lit. a) oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter lit. a) beschriebenen Weise betroffen ist (lit. b).
- 21
Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird, Art. 4 Abs. 4 QRL. Art. 4 Abs. 4 QRL ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht. Die Qualifikationsrichtlinie modifiziert diese - asylrechtliche - Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4. Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab bleibt unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 QRL erlitten hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, NVwZ 2011, 51; EuGH, Urteil v. 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - Abdulla -, NVwZ 2010, 505). Der in dem Tatbestandsmerkmal „... tatsächlich Gefahr liefe ...“ des Art. 2 lit. e QRL enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“; vgl. EGMR, Urt. v. 28.02.2008 - Nr. 37201/06 -, NVwZ 2008, 1330); dies entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.04.2010, a. a. O).Art. 4 Abs. 4 QRL privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (vgl. EuGH, Urt. v. 02.03.2010, a. a. O.). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.04.2010, a. a. O.).
- 22
Nach der Überzeugung des Senates ist der Kläger nicht im oben dargestellten Sinne vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Der die Flüchtlingsanerkennung Begehrende hat aufgrund seiner Mitwirkungspflicht seine Gründe für eine politische Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich - als wahr unterstellt - bei verständiger Würdigung die drohende Verfolgung ergibt (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.03.1987 - 9 C 321.85 -, NVwZ 1987, 701). Daher hat sich das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit - und nicht nur von der Wahrscheinlichkeit - des vom Schutzsuchenden behaupteten Sachverhalts zu verschaffen (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.04.1985 - 9 C 109.84 -, NVwZ 1985, 658). Für diese Überzeugungsbildung ist wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich ein Schutzsuchender bezüglich der Vorgänge in seinem Heimatland regelmäßig befindet, nicht die volle Beweiserhebung notwendig, sondern die Glaubhaftmachung ausreichend.
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Der Kläger hat keine Vorverfolgung glaubhaft gemacht, da er unter Berücksichtigung und Würdigung seines gesamten Vorbringens bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt und dem erkennenden Senat keinen zusammenhängenden, in sich schlüssigen, im Wesentlichen widerspruchsfrei geschilderten Sachverhalt vorgetragen hat. Der Kläger hat bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt als wesentliches fluchtauslösendes Motiv die Verhaftung seines Bruders geschildert, aus der er den Schluss gezogen haben will, dass der syrische Staat auch seiner Person habhaft werden wolle. Diesen Umstand hat der Kläger bei der Anhörung in der mündlichen Verhandlung zu den Gründen seiner Ausreise nicht mehr erwähnt. Vielmehr hat er nunmehr bei seiner Anhörung vor dem Senat als maßgeblich ausgeführt, dass er aufgrund des Umstandes, dass er bei der anlässlich des Newroz-Festes durchgeführten Versammlung fotografiert worden sei, sich zur Ausreise entschlossen habe. Die Leute, die dort festgenommen worden seien, seien auch nach Jahren nicht mehr zurückgekehrt. Er habe befürchtet, dass ihm Gleiches widerfahre. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt hatte er eine mögliche Gefährdung wegen der Fertigung von Bildaufnahmen der Demonstration nicht erwähnt.
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Unabhängig von einer Vorverfolgung muss aufgrund der aktuellen Situation in Syrien jedoch davon ausgegangen werden, dass der Kläger aus beachtlichen Nachfluchtgründen von Verfolgung im vorgenannten Sinne bedroht ist. Der Kläger ist wegen seiner illegalen Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung und seinem mehrjährigen Aufenthalt im Ausland von einer Verfolgung bedroht, wobei hinsichtlich der Personen, die die genannten Merkmale erfüllen, von einer drohenden „Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit“ auszugehen ist. Der Senat geht davon aus, dass diese Handlungen ungeachtet einer oppositionellen Haltung des Einzelnen bei Vorliegen der zuvor genannten Kriterien vom syrischen Staat generell und unterschiedslos als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung aufgefasst werden und der Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an seine tatsächliche oder jedenfalls vermutete politische Überzeugung mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen hat.
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Die Vielfalt möglicher Verfolgungsgefährdungen verbietet es, die Zugehörigkeit zu einer gefährdeten Gruppe unberücksichtigt zu lassen, weil die Gefährdung unterhalb der Schwelle der Gruppenverfolgung liegt. Denn die Gefahr politischer Verfolgung, die sich für jemanden daraus ergibt, dass Dritte wegen eines Merkmals verfolgt werden, das auch er aufweist, kann von verschiedener Art sein: Der Verfolger kann von individuellen Merkmalen gänzlich absehen, seine Verfolgung vielmehr ausschließlich gegen die durch das gemeinsame Merkmal gekennzeichnete Gruppe als solche und damit grundsätzlich gegen alle Gruppenmitglieder betreiben. Dann handelt es sich um eine in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urt. v. 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237 m. w. N.) als Gruppenverfolgung bezeichnetes Verfolgungsgeschehen. Das Merkmal, das seinen Träger als Angehörigen einer missliebigen Gruppe ausweist, kann für den Verfolger aber auch nur ein Element in seinem Feindbild darstellen, das die Verfolgung erst bei Hinzutreten weiterer Umstände auslöst. Das vom Verfolgungsstaat zum Anlass für eine Verfolgung genommene Merkmal ist dann ein mehr oder minder deutlich im Vordergrund stehender, die Verfolgungsbetroffenheit des Opfers mitprägender Umstand, der für sich allein noch nicht die Annahme politischer Verfolgung jedes einzelnen Merkmalsträgers rechtfertigt, wohl aber bestimmter unter ihnen, etwa solcher, die durch weitere Besonderheiten in den Augen des Verfolgerstaates zusätzlich belastet sind. Löst die Zugehörigkeit zum Kreis der Vertreter einer bestimmten politischen Richtung, wie hier, nicht bei jedem Gruppenangehörigen unterschiedslos und ungeachtet sonstiger individueller Besonderheiten, sondern nur nach Maßgabe weiterer individueller Eigentümlichkeiten die Verfolgung des Einzelnen aus, so kann hiernach eine „Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit“ vorliegen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.02.1996 - 9 B 14.96 -, DVBl 1996, 623 m. w. N.).
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Die Verfolgungsgefahr ist auch nicht unbeachtlich, weil sie (auch) auf dem eigenen Nachfluchtverhalten des Klägers beruht. Nach § 28 Abs. 1a AsylVfG kann eine Bedrohung nach § 60 Abs. 1 AufenthG auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Art. 5 Abs. 2 QRL, der mit § 28 Abs. 1a AsylVfG in deutsches Recht umgesetzt wird, besagt, dass die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auf Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftslandes beruhen kann, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während eines Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit keine Einschränkung. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung gemäß § 28 Abs. 1 AsylVfG - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen. Erst in dem (erfolglosen) Abschluss eines Erstverfahrens liegt eine entscheidende zeitliche Zäsur; für nach diesem Zeitpunkt selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (BVerwG, Urt. v. 18.12.2008 - 10 C 27.07 -, NVwZ 2009, 730).
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Die dem Senat vorliegenden und ausgewerteten Erkenntnisse rechtfertigen den Schluss, dass für den Kläger aufgrund des Nachfluchtgeschehens mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr bei einer Rückkehr nach Syrien besteht. Dieser Schluss rechtfertigt sich aus mehreren Gründen, nämlich der Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, die umfassende Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste, die Eskalation der innenpolitischen Situation in Syrien seit März 2011 sowie dem Umgang der syrischen Behörden in Syrien insbesondere seit Beginn des Jahres 2012 mit Personen, die aus Sicht der syrischen Behörden verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen.
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Amnesty international (vgl. zum Nachfolgenden: Bericht „Menschenrechtskrise in Syrien erfordert Abschiebungsstopp und Aussetzung des Deutsch-Syrischen Rückübernahmeabkommens“ vom 14. März 2012) und der kurdische Informationsdienst KURDWATCH haben eine Reihe von Fällen dokumentiert, in denen seit 2009 abgelehnte syrische Asylbewerber nach ihrer Abschiebung (aus Deutschland und anderen europäischen Staaten) festgenommen und ohne Kontakt zur Außenwelt unter erheblicher Foltergefahr von den Geheimdiensten inhaftiert wurden.
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Der syrische Kurde Berzani Karro wurde im Juni 2009 von den zypriotischen Behörden nach Syrien abgeschoben. Er hatte im Jahr 2006 in Zypern einen Asylantrag gestellt, der abgelehnt wurde. Berzani Karro wurde bei seiner Ankunft auf dem Flughafen in Damaskus festgenommen und vier Monate ohne Kontakt zur Außenwelt von den Geheimdiensten inhaftiert und offenbar misshandelt und gefoltert. Nach den Erkenntnissen von amnesty international war Karro bereits Anfang 2005 als Jugendlicher für zweieinhalb Monate u.a. in der Haftanstalt der „Palästinensischen Abteilung“ beim Militärischen Geheimdienst in Haft. Im März 2010 wurde Berzani Karro von einem Militärgericht zu einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt. Er wurde der „versuchten Abspaltung von syrischem Territorium und dessen Angliederung an einen anderen Staat“ für schuldig befunden.
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Ein weiterer Fall ist der am 1. September 2009 von deutschen Behörden nach Syrien abgeschobene abgelehnte kurdische Asylbewerber Khalid Kandschu. Zwei Wochen nach seiner Rückkehr wurde er bei der Vorsprache beim Geheimdienst festgenommen und drei Wochen lang ohne Kontakt zur Außenwelt inhaftiert, verhört und eigenen Angaben zufolge gefoltert und misshandelt. Im Rahmen seiner Verhöre wurden ihm auch Angaben aus seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorgehalten (KURDWATCH, Meldung vom 29.08.2010). Gegen Kandschu wurde Anklage wegen „Verbreitung falscher Informationen im Ausland“ gemäß § 287 des syrischen Strafgesetzbuches vor dem Militärgericht erhoben. Anfang 2010 wurde Kandschu vorläufig aus der Haft entlassen. Das Verfahren gegen ihn vor dem Militärgericht wurde fortgesetzt. Er wurde in Abwesenheit zu einer Haftstrafe von vier Monaten sowie einer geringfügigen Geldbuße verurteilt. Im Juli 2010 konnte Kandschu wieder in die Bundesrepublik einreisen und wurde als Asylberechtigter anerkannt.
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Amnesty international hat ferner den Fall des syrischen Kurden Abd al-Karim Hussein dokumentiert, der im August 2010 aus Norwegen abgeschoben wurde. Er wurde bei seiner Ankunft auf dem Flughafen Damaskus festgenommen. Abd al-Karim Hussein ist stellvertretender Direktor des Vereins syrischer Kurden in Norwegen, einer Nichtregierungsorganisation, die auf die Situation der kurdischen Minderheit in Syrien aufmerksam macht. Der an Diabetes erkrankte Hussein war zwei Wochen ohne Kontakt zur Außenwelt beim Geheimdienst in Damaskus inhaftiert. Berichten zufolge soll er bei der Haftentlassung aufgefordert worden sein, sich beim Geheimdienst in Aleppo zu melden, was ihn zur Flucht aus Syrien veranlasst hat.
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Nach einem weiteren von KURDWATCH dokumentierten Fall hatte die Ausländerbehörde Essen am 27. Juli 2010 eine sechsköpfige Familie nach Damaskus abschieben lassen. Hamza Hasan und Khalid Hasan wurden bei der Ankunft am Flughafen Damaskus von syrischen Sicherheitskräften festgenommen. Von den Abgeschobenen sind drei - Hamza, Mariam und Imad Hasan - in Deutschland geboren. Ihre Eltern hatten in Deutschland Asyl beantragt und dabei eine falsche Identität angegeben. Ursprünglich hatten sie behauptet, aus dem Libanon zu stammen und erst später ihre syrische Staatsangehörigkeit offenbart. Anscheinend wurden Hamza und Khalid Hasan festgenommen, da sie in Deutschland straffällig geworden waren. Unklar blieb, wer die syrischen Sicherheitskräfte über ihre Straffälligkeit informiert hat. Am 24. August 2010 wurde Hamza Hasan aus der Haft in Damaskus entlassen worden. Hasans Aussagen zufolge wurde er an drei unterschiedlichen Orten festgehalten - von welchen Sicherheitsorganen war für den in der Bundesrepublik geborenen Kurden nicht ersichtlich. Begründet wurde seine Festnahme damit, dass er in Deutschland wegen Diebstahls verurteilt worden sei und diese Strafe noch in Syrien ableisten müsse. Tatsächlich, so Hasan, sei die Strafe zur Bewährung ausgesetzt worden. Darüber hinaus sei ihm, ebenfalls unter Verweis auf seine aus Deutschland stammenden Akten, zu Unrecht Drogenabhängigkeit vorgeworfen worden (KURDWATCH, Meldung vom 7. September 2010).
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Nach seiner Abschiebung aus Dänemark wurde der staatenlose Kurde Amir Muhammad Dschan Ato am 15. November 2010 auf dem Flughafen Damaskus verhaftet. Ato war in Dänemark politisch aktiv (KURDWATCH, Meldung vom 21. November 2010).
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Mitglieder des Direktorats für politische Sicherheit in Syrien hatten am 4. Dezember 2010 Dschuan Yusuf Muhammad vorgeladen und festgenommen. Nach seiner Abschiebung aus Zypern im Juni 2010 hatte er am Flughafen Damaskus seinen Pass abgeben müssen. Es folgten mehrere Verhöre durch verschiedene Geheimdienste. In Zypern hatte Muhammad gemeinsam mit anderen kurdischen Flüchtlingen gegen seine Abschiebung demonstriert und an einem mehrtätigen Hungerstreik teilgenommen (KURDWATCH, Meldung vom 17.12.2010)
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Die Ausländerbehörde Hildesheim hatte am 1. Februar 2011 die registrierten Staatenlosen Badr Naso und seinen Sohn Anwar Naso nach Syrien abschieben lassen. Badr und Anwar Naso wurden unmittelbar nach ihrer Ankunft in Damaskus festgenommen und der Auswanderungs- und Passbehörde überstellt. Anwar Naso wurde vorgeworfen, unrichtige Angaben zu seinem Alter gemacht zu haben. Er wurde bei der Auswanderungs- und Passbehörde festgehalten, wo er auf eine Identitätsbescheinigung aus Al-Hassake warten musste. Sein Vater wurde zunächst dem Direktorat für politische Sicherheit vorgeführt und dort verhört. Badr Naso wurde am 13. Februar 2011, sein Sohn am 3. März 2011 freigelassen (KURDWATCH, Meldungen vom 13.02.2011, 26.02.2011 und 15.03.2011).
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Am 8. Februar 2011 wurde Annas Abdullah von Dänemark über Wien nach Syrien abgeschoben. Obgleich Dänemark zuvor die Rücknahme Abdullahs zugesichert worden war, erhielt er am Flughafen Damaskus die Information, er könne nicht einreisen, da es sich bei ihm nicht um einen syrischen Staatsangehörigen handele. Entweder, er verlasse das Land oder er werde inhaftiert, bis seine Identität geklärt sei. Die drei dänischen Beamten, die Abdullah begleiteten, hielten daraufhin Rücksprache mit der dänischen Botschaft und erhielten die Anweisung, noch am selben Tag mit Abdullah nach Kopenhagen zurückzufliegen. In diesem Moment wurde Abdullah von einem Geheimdienstmitarbeiter erkannt, der einen Beitrag des kurdischen Senders Roj-TV gesehen hatte, in dem der Kurde im September 2010 als Sprecher von Hungerstreikenden aufgetreten war. Der Geheimdienstmitarbeiter nahm Abdullah mit in sein Büro und warf ihm vor, im Ausland falsche Informationen über Syrien verbreitet zu haben. Abdullah leugnete dies und behauptete, es handele sich bei ihm um eine andere Person, es sei doch gerade festgestellt worden, dass er kein syrischer Staatangehöriger sei. Daraufhin, so Abdullah gegenüber KURDWATCH, sei er von dem Geheimdienstmitarbeiter massiv mit Kabeln auf den Rücken geschlagen und gezwungen worden, ein Papier zu unterschreiben, dass er nicht wieder nach Syrien einreisen werde. Schließlich wurde er entlassen und flog noch am selben Tag mit den dänischen Beamten nach Kopenhagen zurück. In Dänemark angekommen informierte Abdullah die dänische Polizei über die erlittene Folter, die durch entsprechende Spuren auf seinem Rücken belegt sind (KURDWATCH, Meldung vom 29.03.2011).
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Nach seiner Abschiebung nach Syrien wurde am 13. April 2011 Khalid Hamid Hamid am Flughafen Damaskus festgenommen. Er war am 12. April 2011 in Lebach festgenommen worden, als er bei der dortigen Ausländerbehörde seine Duldung verlängern lassen wollte. Hamid hatte im Jahr 2002 einen Asylantrag in Deutschland gestellt. Am 20. April 2011 wurde er in Damaskus aus der Haft entlassen. Nach seiner Abschiebung aus Deutschland war er eine Woche lang im Gefängnis der Fara Filastin, einer Abteilung des Militärischen Nachrichtendienstes, festgehalten worden. Dort war er zu seinen exilpolitischen Aktivitäten und zu in Deutschland lebenden Syrern verhört und dabei mit einer als „al kursi al almani“ („deutscher Stuhl“) bezeichneten Methode gefoltert worden, bei der das Opfer auf einem beweglichen Stuhl fixiert wird, der die Wirbelsäule nach hinten biegt (KURDWATCH, Meldungen vom 14.04.2011 und 28.04.2011).
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Ein weiteres gefahrbegründendes Moment besteht in dem Umstand, dass syrische Geheimdienste mit ihren Verbindungen zur syrischen Botschaft in der Bundesrepublik Deutschland über ein Agentennetz verfügen, mit dem die im Ausland lebenden Syrerinnen und Syrer flächendeckend überwacht werden. Seit Beginn des „arabischen Frühlings“ hat sich nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes die Aktivität des syrischen Geheimdienstes in der Bundesrepublik Deutschland intensiviert. In der syrischen Botschaft in Berlin, die auch als Legalresidentur für Spionageaktivitäten fungiere, seien hauptamtlich abgetarnte Nachrichtendienstler beschäftigt, die ein Agentennetz in Deutschland führen. Bei der Anwerbung von neuen Agenten würden auch Repressalien angewandt. In Syrien lebende Angehörige könnten dabei auch als Druckmittel missbraucht werden (Protokoll der Sitzung des Ausschusses für Verfassungsschutz des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 15. Februar 2012 zum Thema „Aktivitäten des syrischen Geheimdienstes in Berlin“, Seite 4 f.). Anfang Februar 2012 hat die Bundesregierung vier syrische Diplomaten ausgewiesen, die ihm Verdacht stehen, an Einschüchterungsversuchen gegen Oppositionelle beteiligt gewesen zu sein. Ebenfalls Anfang Februar 2012 sind ein Deutsch-Libanese und ein syrischer Staatsangehöriger unter dem Verdacht der geheimdienstlichen Agententätigkeit (§ 99 StGB) für die Arabische Republik Syrien aufgrund vom Bundesgerichtshof erlassener Haftbefehle in Untersuchungshaft genommen worden. Die beiden sollen intensiv an der Ausforschung Oppositioneller beteiligt gewesen sein. Bei Demonstrationen hätten sie Teilnehmer fotografiert sowie Bilder und andere Informationen nach Damaskus weitergeleitet (vgl. Zeit Online vom 09.02.2012: „Deutschland weist vier syrische Diplomaten aus“; Tagesspiegel vom 09.02.2012: „Mutmaßliche Spione forschten Syrer in Berlin aus“; Zeit Online vom 10.02.2012: „Worauf die Syrer in Deutschland hoffen“; FAZ vom 11.02.2012: „Assad sieht dich - Syrische Spione in Berlin“ und Abgeordnetenhaus Berlin,“; zur fortdauernden Beobachtung der syrischen Staatsangehörigen in der Bundesrepublik Deutschland: Dradio.de, Transkript eines Radioberichts vom 05.06.2012: „Warten im Niemandsland - Die syrische Opposition im Exil“). Hieran anschließend hat unter anderem das Innenministerium des Landes Sachsen-Anhalt mit Erlass vom 16. Februar 2012 die Ausländerbehörden aufgefordert, keinen Kontakt mehr mit syrischen Stellen zwecks Feststellung der Identität bzw. der Staatsangehörigkeit bei aus Syrien stammenden Ausländern aufzunehmen.
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Diese Einschätzung deutscher amtlicher Stellen über die umfassende Überwachung von im Ausland lebenden syrischen Staatsangehörigen durch im Ausland operierende syrische Geheimdienste deckt sich mit den Erkenntnissen von amnesty international. Im Ausland lebende Syrer werden systematisch von Angehörigen der syrischen Auslandsvertretungen oder anderen Personen im Auftrag der syrischen Regierung überwacht und eingeschüchtert. In einigen Fällen von im Ausland politisch aktiven Syrern wurden auch die in Syrien lebenden Familienangehörigen unter Druck gesetzt (vgl. auch Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 17.02.2012, S. 10).
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In einem Bericht von Anfang Oktober 2011 hat amnesty international exemplarisch 30 Fälle in acht Ländern - darunter auch Deutschland - dokumentiert („The long reach of the Mukhabaraat - violence and harassment against Syrians abroad and their relatives back home“), welche eine umfassende und systematische Überwachung der im Ausland lebenden Syrer belegen. Bereits objektiv vergleichsweise geringfügige Anlässe lösen Maßnahmen der syrischen staatlichen Stellen aus, welche sich auch gegen Familienangehörige in Syrien richten.
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So rief die in Chile lebende Syrerin Naima Darwish am 25. Februar 2011 auf ihrer Facebook-Seite zu einer Protestveranstaltung vor der syrischen Botschaft in Santiago auf. Nur zwei Stunden später erreichten sie Anrufe von Freunden, welche sie darüber unterrichteten, dass die syrische Botschaft versuche, ihre Telefonnummer in Erfahrung zu bringen. Zwei Tage nach dem Aufruf erhielt sie einen Anruf eines Botschaftsangehörigen, welcher sie aufforderte, in die Botschaft zu kommen. Nach dem dies durch Darwish abgelehnt wurde, fand ein Treffen außerhalb der Botschaft statt. Auf diesem Treffen wurde sie beleidigt und ihr damit gedroht, dass sie nicht mehr nach Syrien zurückkehren könne, wenn sie die oppositionellen Tätigkeiten fortsetze.
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Ferner wurde der Bruder des in Spanien lebenden Syrers Imad Mouhalhel, Aladdin, im Juli 2011 für vier Tage in Syrien inhaftiert. Nachdem Aladdin Mouhalhel offenbar gefoltert worden war, wurden ihm Fotos und Videos von Protesten vor der syrischen Botschaft in Spanien gezeigt und er wurde aufgefordert, seinen Bruder Imad unter den Teilnehmern der Demonstration zu identifizieren. Am 29. August 2011 wurde Aladdin erneut verhaftet und offenbar gezwungen, seinen Bruder Imad anzurufen und ihn aufzufordern, nicht mehr an den Protesten teilzunehmen. Imad und seine Familie haben seitdem kein Lebenszeichen von Aladdin erhalten.
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Malek Jandali, ein 38-jähriger Komponist und Pianist, war im Juli 2011 bei einer reformorientierten Versammlung vor dem Weißen Haus in Washington aufgetreten. Wenige Tage später wurden seine 66-jährige Mutter und sein 73 Jahre alter Vater in ihrem Haus in Homs von Sicherheitskräften angegriffen. Malek Jandali berichtete amnesty international, dass seine Eltern geschlagen und ins Badezimmer eingesperrt wurden, während ihre Wohnung von Agenten durchsucht und geplündert wurde. Man sagte ihnen, dies sei die Strafe dafür, dass sich ihr Sohn über die syrische Regierung lustig gemacht habe. Nach diesem Vorfall flüchteten seine Eltern aus Syrien.
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Einige Familien in Syrien wurden offenbar auch dazu gezwungen, ihre im Ausland lebenden Familienangehörigen öffentlich zu verleugnen. So wurde der Bruder der in Deutschland lebenden Sondos Sulaiman, die im Juni 2011 in einem Video bei YouTube zum Widerstand gegen den syrischen Präsidenten aufrief, im syrischen Staatsfernsehen gezeigt, wie er ihr Video denunzierte und sich abfällig über seine Schwester äußerte. Sondos Sulaiman ist davon überzeugt, dass ihr Bruder zu diesem Fernseh-Auftritt gezwungen wurde. Ihr war es seitdem nicht möglich, Kontakt zu ihrer Familie aufzunehmen, um herauszufinden, was mit ihnen, insbesondere mit ihrem Bruder, passiert ist.
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Ein weiteres gefahrbegründendes Element liegt in der innenpolitischen Eskalation der Lage in Syrien seit dem Frühjahr 2011. Ganz allgemein können die Ereignisse des „Arabischen Frühlings“ in anderen Ländern der Region als Anlass für die Demonstrationen in Syrien genannt werden (zur nachfolgend dargestellten Entwicklung in Syrien von Januar 2011 bis Januar 2012: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration, „Syrien“, Januar 2012).
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Am 17. März 2011 kam es erstmals zu schweren Zusammenstößen in der südsyrischen Stadt Daraa. Die Sicherheitskräfte gingen z. T. gewaltsam (mit scharfer Munition und Tränengas) gegen die Demonstrierenden vor und töteten dabei in Daraa mehrere Demonstranten. Die Demonstranten hatten u. a. ein Ende des Ausnahmezustandes, mehr Freiheiten, die Entlassung politischer Gefangener und eine Bekämpfung der Korruption gefordert. Tausende demonstrierten auch an den Folgetagen. Die Unruhen verbreiteten sich, auch aufgrund der gewaltsamen Reaktion des Regimes auf die Demonstrationen, in der Folgezeit landesweit (u. a. in Damaskus, Homs, Aleppo, Deir al-Zor, Banjas und anderen Städten), wobei die Stadt Daraa zunächst zum Brennpunkt der Unruhen wurde. Die Regierung reagierte auf die Demonstrationen auf der einen Seite mit brutaler Gewalt, versuchte auf der anderen Seite aber auch konziliante Töne anzuschlagen. Am 20. März 2011 wurden z. B. 15 inhaftierte Kinder freigelassen. Präsident Assad entließ auch den Gouverneur der Provinz Daraa wegen „krasser Fehler beim Umgang mit Protesten in der Region“. In der Folgezeit breiteten sich die Demonstrationen im ganzen Land aus (im Süden, in Damaskus, in der Hafenstadt Latakia, Tafas und in Homs), wobei es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten kam, bei denen es Tote und Verletzte gab. Die Protestbewegung, die sich auch mit Hilfe des Internetnetzwerkes Facebook organisierte, forderte u. a. demokratische Reformen, Aufhebung des Ausnahmezustandes, Achtung der Menschenrechte und freie Meinungsäußerung. Zahlreiche Verhaftungen wurden durchgeführt. Als Reaktion auf die landesweiten Unruhen wurden z. T. Reformen versprochen und das Kabinett des Ministerpräsidenten Naji Otri trat am 29. März 2011 zurück. Am 3. April 2011 beauftragte Präsident Assad den bisherigen Agrarminister, Adel Safar, mit der Bildung einer neuen Regierung. Um den Kurden in der gespannten Situation entgegen zu kommen, entschied Präsident Assad am 7. April 2011 mit Dekret 49/2011, dass die im Ausländerregister der Provinz Hassake eingetragenen Ausländer (ajanib) die Staatsbürgerschaft Syriens erhalten. Am 19. April 2011 beschloss die syrische Regierung die Aufhebung der seit 1963 geltenden Notstandsgesetze. Auch das Staatssicherheitsgericht wurde abgeschafft und ein Gesetz beschlossen, das friedliche Demonstrationen erlaubt.
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Trotz dieser Zugeständnisse gingen die Demonstrationen jedoch weiter und weiteten sich u. a. auch auf die Provinz Idlib und auf den kurdisch geprägten Nordosten aus. Den Druck auf die Opposition in Syrien lockerte die Führung in Damaskus nicht. Auch das gewaltsame Vorgehen des Regimes und seine Repressionsmaßnahmen hielten an. Im April 2011 verschärfte die syrische Regierung mit einem großen Militäreinsatz erneut ihr Vorgehen gegen Regimegegner.
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Armeeeinheiten stürmten am 25. April 2011 Daraa, wobei Artillerie und Scharfschützen beteiligt waren. Elektrizität und alle Kommunikationsmöglichkeiten in der Stadt wurden unterbrochen, die Bewegungsfreiheit dadurch eingeschränkt, dass Heckenschützen das Feuer auf jeden eröffneten, der versuchte sein Haus zu verlassen. Auch im Mai 2011 gingen die Proteste weiter, obwohl die größeren Städte und Protesthochburgen Banjas, Daraa und Homs abgeriegelt, Moscheen besetzt und zentrale Plätze abgesperrt worden waren. Die Armee weitete ihre Operationen entlang der Küstenlinie aus, Truppen zogen sich außer in den bereits genannten Städten z. B. auch in Hama oder in kleineren Dörfern zusammen. Kontrollstellen wurden eingerichtet, Strom, Wasser und Telefonleitungen wurden immer wieder abgeschaltet. Auch Mobiltelefone, Festnetz und Internet wurden sporadisch blockiert. Nachdem zunächst hauptsächlich am Freitagabend protestiert worden war, wurden die Demonstrationen auch auf andere Tage nach Sonnenuntergang verlegt. Mitte Mai 2011 kreisten schwer bewaffnete Sicherheitskräfte die Kleinstadt Tell Kalakh in der Nähe der libanesischen Grenze ein. Aus Angst versuchten viele Menschen in Richtung Libanon zu fliehen, darunter Familien, wobei sie von syrischen Kräften beschossen und zum Teil tödlich getroffen wurden. Ende Mai 2011 trat nach einem Erlass Assads eine Generalamnestie für alle politischen Gefangenen in Kraft, darunter auch für Angehörige der Muslimbruderschaft. Auch im Juni 2011 hielten die Unruhen und ihre gewaltsame Bekämpfung an. Während der ersten drei Monate der Proteste sollen mehr als 1.300 Personen getötet und ca. 10.000 - 12.000 verhaftet worden sein.
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Mitte Juni 2011 führte die syrische Armee Razzien in den grenznahen Dörfern durch und begann mit der Abriegelung von grenznahen Gebieten, um das Absetzen weiterer Flüchtlinge in die Türkei zu verhindern.
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In seiner dritten Rede an die Nation während der Krise schlug Präsident Assad am 20. Juni 2011 einen „nationalen Dialog“ vor und versprach Änderungen der Verfassung, ein neues Wahl- und Mehrparteiengesetz sowie Schritte gegen die Korruption. Die Aktivisten lehnten einen Dialog „mit Mördern“ ab, die Unruhen in Homs, Hama und Latakia, aber auch in den Vororten von Damaskus gingen weiter. An der Universität in Aleppo wurden mehr als 200 Studenten festgenommen. Angehörige des militärischen Geheimdienstes kontrollierten die Straßen. Der syrische Präsident setzte im Juni 2011 auch eine Generalamnestie in Kraft, die für alle vor dem 20. Juni begangenen Straftaten gelten sollte, so die amtliche syrische Nachrichtenagentur Sana. Streitkräfte des syrischen Regimes rückten am 23. Juni 2011 in Khirbet al-Jouz ein und weiter in Richtung der syrischen Grenzdörfer vor. Soldaten und Angehörige der Schabihha-Miliz sollen mit Namenslisten durch das Dorf gegangen und Häuser von Anti-Regime-Aktivisten zerstört haben. Als Anführer der Schabihha-Milizen gelten die Cousins des Präsidenten Assad, Fawaz und Munhir Assad; aus diesem Grund gehörten sie zu den ersten Regimeangehörigen, die von der Europäischen Union im Frühjahr 2011 mit Sanktionen belegt wurden. Die Miliz wird meist im „Windschatten“ der Streitkräfte aktiv; wenn ein Ort durch das Militär unterworfen wurde, plündert und mordet die Schabihha-Miliz im Anschluss daran. Sie richtet auch die Soldaten hin, die sich weigerten, auf die eigenen Bürger zu schießen. Sie rekrutieren sich aus Angehörigen der alawitischen Glaubensgemeinschaft.
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Am 30. Juni /1. Juli 2011 wurden erstmals aus Aleppo größere Proteste gemeldet, an denen über 1.000 Demonstranten teilgenommen haben sollen. Es kam zu zahlreichen Festnahmen. Am 01. Juli 2011 sollen sich in Hama bis zu 300.000 oder sogar 500.000 Demonstranten getroffen haben. Die Sicherheitskräfte griffen zunächst nicht an, sondern beschränkten sich darauf, Checkpoints zu errichten und die Zugänge zur Stadt zu kontrollieren. Am 04. Juli 2011 kamen 30 Busse mit regimetreuen Milizionären, die 250 Menschen verhaftet und drei erschossen haben sollen; Panzer bildeten einen Belagerungsring um die Stadt. Präsident Assad erließ weitere personelle Maßnahmen, so entließ er am 2. Juli 2011 den Gouverneur der Provinz Hama, nachdem bereits die Gouverneure in den Provinzen Daraa und Homs hatten gehen müssen. Am 08. Juli 2011 demonstrierten in mehreren Städten Syriens (u.a. in Hama und Damaskus) erneut Hunderttausende, wobei mindestens 15 Personen erschossen worden sein sollen, rund 200 Menschen sollen an dem Wochenende verhaftet worden sein.
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Am 22. Juli 2011 und dem nachfolgenden Wochenende setzten sich die Demonstrationen fort; in Damaskus, Homs und Hama gingen Hunderttausende auf die Straße und wurden von den Truppen bekämpft. In Damaskus soll die Armee in einigen Stadtteilen Straßensperren errichtet haben, Hunderte sollen festgenommen worden sein. In Hama sollen 650.000 Menschen demonstriert haben, in Deir al-Zor ca. eine halbe Million, auch in Latakia, Homs, Daraa, Vororten von Damaskus und in zahlreichen kurdischen Orten sollen große Proteste stattgefunden haben. In Homs sollen vom 18. Juli bis 23. Juli 2011 durch Beschuss von Wohnvierteln und Scharfschützen auf den Dächern mindestens 50 Personen getötet worden sein. Auch in den Kurdengebieten soll es Auseinandersetzungen gegeben haben. Präsident Assad kündigte ein Mehrparteiensystem an, die Parteiprogramme dürften jedoch keine Sonderstellung einzelner Religionsgruppen oder Ethnien beinhalten.
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Nachdem die Stadt fast einen Monat belagert worden war, begannen am Morgen des 31. Juli 2011 syrische Truppen mit einer Militäroffensive gegen die Stadt Hama. Spezialisten kappten zunächst die Strom- und Wasserversorgung, danach sollen Panzer in Wohngebieten und Scharfschützen auf Dächern nach Augenzeugenberichten auf alles gefeuert haben, was sich bewegte. Auch in anderen Landesteilen kam es zu Angriffen mit Panzern, u. a. in Harak, in der südlichen Provinz Daraa, in Deir al-Zor und einem Vorort von Damaskus, landesweit soll es mindestens 140 Tote gegeben haben. Der syrische Präsident Assad verteidigte das Vorgehen als Reaktion auf eine Verschwörung mit dem Ziel der Zerschlagung Syriens.
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Die syrische Regierung erließ laut Meldung vom 25. Juli 2011 ein neues Parteiengesetz, das die freie Gründung von politischen Parteien gestattet, wenn sie sich nicht auf konfessioneller, ethnischer, clanmäßiger, regionaler oder berufsständischer Grundlage befinden. Neue Parteien, die mindestens 1.000 Mitglieder haben müssen, müssen die geltende Verfassung (und damit die „führende Rolle“ der Baath-Partei) respektieren und die Gründung muss von einem Komitee des Justizministeriums genehmigt werden. Auch Wahlgesetze wurden im August 2011 in Kraft gesetzt. Die Opposition lehnte die Gesetze jedoch ab und forderte weiterhin den Rücktritt des Präsidenten und echte politische Reformen in Syrien. Seit Beginn des Fastenmonats Ramadan am 01. August 2011 verstärkte der syrische Präsident die Offensive gegen Regimegegner, wobei es täglich zu weiteren Demonstrationen kam, in deren Verlauf es jeweils zu zahlreichen Todesopfern kam. Am 14. August 2011 griffen syrische Sicherheitskräfte von Kanonenbooten aus mehrere Bezirke der Stadt Latakia an, gleichzeitig stürmten Bodentruppen einige Viertel der Stadt. Mindestens 26 Zivilisten sollen dabei nach Angaben der Syrischen Nationalen Organisation für Menschenrechte getötet worden sein, darunter eine Zweijährige. Angegriffen wurde auch ein Viertel mit einem palästinensischen Flüchtlingslager, aus dem Tausende flohen. Am 20. August 2011 rückte die syrische Armee erneut in Homs ein, obwohl der syrische Präsident dem UN-Generalsekretär Ban Ki Moon gegenüber am 18. August 2011 versichert hatte, die Militäroffensive sei beendet. Am 21. August 2011 lehnte Präsident Assad Rücktrittsforderungen ab und warnte vor einer ausländischen Intervention. Er kündigte eine Verfassungsreform und Neuwahlen im Februar 2012 an.
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Nach UN-Informationen sollen seit Beginn der Proteste gegen das Assad-Regime im März bis Anfang September 2011 2.600 Menschen getötet worden sein, die meisten von ihnen friedliche Demonstranten. Nach Angaben der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte sollen außerdem mehr als 70.000 Menschen festgenommen worden sein, von denen zum damaligen Zeitpunkt noch 15.000 in Haft gewesen seien.
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Nach der Ermordung des bekannten kurdischen Oppositionspolitikers Mishaal Tammo am 7. Oktober 2011 nahmen an seinem Trauerzug am 08. Oktober 2011 in Qamishli ca. 50.000 Personen teil, so viele wie nie zuvor in den kurdischen Regionen in Syrien. Syrische Sicherheitskräfte sollen in die Menge gefeuert haben, mindestens zwei Personen sollen getötet worden sein. Für die Ermordung Tammos wurde von Beobachtern das syrische Regime verantwortlich gemacht. Aufgrund der Ermordung Tammos wurden am Wochenende (08.10./09.10.2011) syrische Botschaften im Ausland angegriffen, u.a. in London, Berlin und Wien, wobei erheblicher Sachschaden entstand. Auch die syrische UNO-Mission in Genf wurde am 08. Oktober 2011 von kurdischen Syrern attackiert, es kam zu fünf Festnahmen. In Berlin stürmten rund 30 Demonstranten die Botschaft, in Wien wurden elf Personen festgenommen. Auch das Gebäude des syrischen Honorarkonsulats in Hamburg wurde in der Nacht zum 09. Oktober 2011 von 30 Regimegegnern gestürmt.
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Am 27. Oktober 2011 begann die syrische Armee damit, an der Grenze zum Libanon in der Provinz Homs und in mindestens einem weiteren Landesteil Minen zu verlegen. Die syrischen Behörden gaben an, den Waffenschmuggel aus dem Libanon damit eindämmen zu wollen, während es auch als Zeichen dafür gewertet werden kann, dass die syrische Regierung verhindern wollte, dass der Libanon ein Rückzugsgebiet für die syrische Opposition wird. Obwohl die syrische Regierung dem Friedensplan der Arabischen Liga, der u. a. den Rückzug des Militärs aus den syrischen Städten und die Freilassung aller politischen Gefangenen vorsieht, am 2. November 2011 zugestimmt hatte, wurde von den syrischen Truppen weiterhin mit Gewalt gegen Aktivisten vorgegangen. Soldaten feuerten auf Gläubige, die zu Beginn des Opferfestes die Moscheen verließen, um gegen das syrische Regime zu protestieren. Besonders betroffen war der Norden des Landes.
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Nach der Zustimmung Syriens zum Friedensplan der Arabischen Liga am 2. November 2011 verschärfte das Regime sein Vorgehen gegen die Demonstranten. Im Anschluss sollen innerhalb von zwei Wochen mehr als 250 Menschen getötet worden sein, allein in Homs über 104. Es wurde befürchtet, dass der November 2011 zum „blutigsten Monat“ seit Beginn der Proteste im März werden könnte. Die Anzahl der bei den Unruhen Getöteten soll Anfang November nach Schätzungen der Vereinten Nationen bei mehr als 3.500 Personen gelegen haben. Am 2. Dezember 2011 untersagte die syrische Regierung den Bürgern die Nutzung von iPhone-Mobiltelefonen, um zu verhindern, dass Videos ins Internet gestellt werden.
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Ein Aufruf zum Generalstreik am 11. Dezember 2011, mit dem die Opposition in Syrien den Druck auf das Regime verstärken wollte, soll in vielen Städten befolgt worden sein, u. a. blieben in den Provinzen Daraa und Idlib und in den Städten Homs und Harasta viele Geschäfte geschlossen. Es soll Gefechte in Idlib und Daraa gegeben haben. Die Opposition forderte auch zu einem Boykott der für den 12. Dezember 2011 geplanten Kommunalwahlen auf. Am 12. Dezember 2011 gab die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Pillay an, dass durch das gewaltsame Vorgehen der syrischen Regierung die Zahl der ums Leben gekommenen Personen auf mehr als 5.000, darunter mindestens 300 Kinder, angewachsen sei.
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Bei zwei Selbstmordanschlägen in der Hauptstadt Damaskus wurden am 23.Dezember 2011 nach offiziellen Angaben 44 Menschen getötet und 166 verletzt. Die Sicherheitskräfte begannen mit einer groß angelegten Suche nach den Tätern. Es kam zu zahlreichen Verhaftungen. Die Regierung erklärte, dass es sich bei den Unruhen im Land nicht um einen Volksaufstand, sondern um das Werk von Terroristen handele.
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Die Arabische Liga entsandte eine erste offizielle Beobachtermission mit zunächst mehr als 50 Beobachtern am 26. Dezember 2011 nach Syrien.
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In einer Rede am 10. Januar 2012 stellte der syrische Präsident Assad erneut Reformen in Aussicht, u. a. kündigte er für März ein Referendum über eine neue Verfassung an, und führte die Proteste im Land auf eine „internationale Verschwörung“ und auf ausländische Einmischung zurück. Er kritisierte auch die Arabische Liga und die Golfstaaten. Nach dem öffentlichen Auftritt Assads nahmen die Kämpfe zwischen Sicherheitskräften und Regimegegnern zu. Am 15. Januar 2012 erließ Präsident Assad eine Generalamnestie für die seit Beginn der Protestwelle begangenen Straftaten, von der friedliche Demonstranten, inhaftierte Besitzer nicht registrierter Waffen, diejenigen, die ihre Waffen bis Ende Januar abgeben, und Deserteure betroffen sein sollen, die sich bis Ende Januar selbst stellen.
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Ende Januar 2012 unterbrach die Arabische Liga nach etwas über einem Monat ihre Beobachtermission in Syrien, deren erklärtes Ziel die Beendigung der Gewalt im Land war. Mitglieder der Mission gaben unterschiedliche Einschätzungen der Lage in Syrien ab, einige beendeten ihre Teilnahme sogar vorzeitig (Zeit Online vom 30.01.2012).
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Ein weiterer Versuch, im UN-Sicherheitsrat eine Resolution zur Verurteilung der Gewalt in Syrien zu verabschieden, scheiterte bei der Abstimmung am 4. Februar 2012 am Veto Russlands und Chinas. Der Resolutionsentwurf war zuvor schon abgeschwächt worden, um ein Veto zu verhindern. Westliche Staaten und der oppositionelle Syrische Nationalrat verurteilten das Verhalten der beiden Vetomächte scharf (Zeit Online vom 04.02.2012).
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Der 4. Februar 2012 wurde zudem zu einem der bisher blutigsten Tage in Syrien, als die syrische Armee die Stadt Homs bombardierte. Nach verschiedenen Angaben von Aktivisten wurden dabei 55 – 200 Menschen getötet. Seit dem 4. Februar 2012 befand sich die Stadt unter kontinuierlicher Bombardierung (Zeit Online vom 08.02.2012).
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Nach der ersten Beobachtermission der Arabischen Liga trat deren Leiter General al-Dabi am 12. Februar 2012 zurück. In seinen Berichten über die Arbeit der Beobachter in Syrien hatte er die erfolgreiche Mitarbeit der syrischen Behörden gelobt und darauf verwiesen, dass bewaffnete Extremisten und Söldner gegen die syrischen Militärs vorgingen (Zeit Online vom 12.02.2012).
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Am 15. Februar 2012 kündigte die syrische Regierung ein Verfassungsreferendum für den 26. Februar 2012 an. Die neue Verfassung solle die Gründung von Parteien vereinfachen. Gleichzeitig bombardierte die Regierung nach Angaben von Oppositionellen die Stadt Homs. In Damaskus kam es am 18. Februar 2012 zu einer großen Demonstration, die sich aus einem Begräbnis von Toten des Vortages entwickelte. Es handelte sich um eine der größten Demonstrationen in Damaskus seit Beginn des Aufstandes. Auch diese Demonstration wurde durch Sicherheitskräfte beschossen (Zeit Online vom 19.02.2012).
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Am 24. Februar 2012 wurde bekanntgegeben, dass der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan von den Vereinten Nationen und der Arabischen Liga zum Sondergesandten für Syrien ernannt wurde, der zwischen den Oppositionellen und der Regierung vermitteln soll. Am selben Tag erhielten Nothelfer des Roten Kreuzes und des Roten Halbmonds erstmals Zugang nach Homs, um Verletzte sowie Frauen und Kinder zu versorgen bzw. zu evakuieren. Die Rettungseinsätze wurden am 26. Februar 2012 - nach erfolglosen Verhandlungen über einen sicheren Korridor zur Evakuierung von Verletzten aus Homs - wieder eingestellt (Zeit Online vom 29.02.2012).
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Das nur 10 Tage zuvor angekündigte Referendum über eine neue Verfassung fand am 26. Februar 2012 statt. Die Opposition hatte zuvor zum Boykott des Referendums aufgerufen (Zeit Online vom 27.02.2012).
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Erstmals wurden auch Flüchtlinge auf türkischen Boden nahe der Grenze von syrischen Soldaten getötet (Zeit Online vom 09.04.2012). Am 21. April 2012 sprach sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in der Resolution 2043 einstimmig dafür aus, die Zahl der Beobachter von 30 auf 300 zu erhöhen. Diese sollten jedoch erst nach Syrien reisen, wenn UN-Generalsekretär Ban Ki Moon die Waffenruhe als hinreichend stabil bewertet. Bei den Beobachtern im Rahmen der United Nations Supervision Mission in Syria (UNSMIS) handelt es sich durchweg um unbewaffnete Soldaten, die den Waffenstillstand zwischen den Truppen Assads und den Oppositionellen überwachen sollen. Zuvor hatten in der ersten Feuerpause seit mehreren Wochen internationale Beobachter die Stadt Homs besucht (Zeit Online vom 21.04.2012).
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Ungeachtet der Entsendung der UN-Beobachter kam es zu Bombenanschlägen in Aleppo und Damaskus. Bei einer Doppelexplosion in der Hauptstadt Damaskus starben am 10. Mai 2012 70 Menschen. Es war der schwerste Anschlag seit dem Ausbruch der Proteste im März 2011 (Zeit Online vom 10.05.2012).
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Nachdem es am 25. Mai 2012 zunächst zu Schusswechseln zwischen Regierungstruppen und Aufständischen gekommen war, beschossen die Truppen des Regimes die Siedlung Taldo bei Hula in der Provinz Homs mit Artillerie. UN-Beobachter bestätigten den Tod von 116 Menschen, darunter mindestens 32 Kinder, sowie die Zahl von etwa 300 Verletzten. Syriens Regierung wies Beschuldigungen zurück, dass das Massaker von der Armee verübt worden sei. Das syrische Außenministerium gab an, „Hunderte von Kämpfern“ hätten angegriffen und dabei „schwere Waffen wie Granatwerfer, Maschinengewehre und Panzerabwehrraketen verwendet, die seit Neuestem in der Konfrontation mit den staatlichen Sicherheitskräften eingesetzt“ würden (Zeit Online vom 26.05. und 28.05.2012).
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Am 29. Mai 2012 wiesen mehrere Staaten, darunter Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien und die Vereinigten Staaten den jeweils ranghöchsten syrischen Diplomaten aus Protest gegen das Massaker in Hula aus (Zeit Online vom 29.05.2012).
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Am 3. Juni 2012 sprach Assad erstmals nach dem Massaker von Hula vor dem syrischen Parlament. Er sagte Syrien befinde sich in einem echten Krieg und er würde die „Schlacht gegen Terroristen“ fortsetzen. Als Reaktion auf die Ausweisung syrischer Diplomaten aus zahlreichen Staaten Ende Mai wurden zahlreiche westliche Diplomaten am 5. Juni 2012 des Landes verwiesen (Zeit Online vom 03.06 und 05.06.2012).
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Am 7. Juni 2012 berichteten Oppositionsgruppen über ein Massaker im Dorf Al-Kobir welches sich in der Provinz Hama befindet. UN-Beobachter, die sich auf dem Weg nach Al-Kobir befanden, wurde die Weiterfahrt seitens der Regierungstruppen untersagt. Berichten zufolge gerieten sie unter Beschuss (Zeit Online vom 07.06.2012). Aufgrund der anhaltenden Gewalt wurde die UN-Beobachtermission am 16. Juni 2012 ausgesetzt (Zeit Online vom 16.06.2012).
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Anfang Juli 2012 hat der syrische Präsident neue sog. Anti-Terror-Gesetze erlassen. Gründer oder Führer einer terroristischen Vereinigung müssen demnach mit bis zu 20 Jahren Zwangsarbeit rechnen. Die Strafe könne aber noch härter ausfallen, sollte es das Ziel sein, die Regierung oder die Staatsform zu ändern, hieß es. Mitgliedern einer Terrorgruppe drohen bis zu sieben Jahre Haft. Werden bei den begangenen Taten Menschen verletzt oder getötet, kann zudem die Todesstrafe verhängt werden. Die Unterstützung von Terrorgruppen mit Geld, Waffen oder Kommunikationsmitteln kann mit bis zu 20 Jahren Haft bestraft werden (Zeit Online vom 02.07.2012).
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Ein weiteres, eine Verfolgungsgefahr begründendes Moment ist darin zu sehen, dass die syrischen Behörden insbesondere seit Beginn des Jahres 2012 vergleichsweise geringfügige Umstände ausreichen lassen, damit ein Betroffener in den Verdacht einer oppositionellen Haltung gerät und damit der reellen Gefahr von Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des Artikel 9 QRL ausgesetzt ist.
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So heißt es schon in dem Ad-hoc-Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 17. Februar 2012, dass Oppositionsgruppen im Jahr 2011 mehrfach Anträge zur Genehmigung von Mahnwachen gestellt haben, die mit einer Ausnahme sämtlich abgelehnt worden seien. Demonstrationen der Opposition werden grundsätzlich nicht genehmigt. Vielmehr werden Demonstrationen, die sich gegen das Regime richten, gewaltsam von staatlicher Seite bekämpft, d.h. Sicherheitskräfte und Schabihha-Milizen gehen mit Schlag- und Schusswaffen gegen Demonstranten vor. Regelmäßig werden auch Scharfschützen eingesetzt, die wahllos auf Menschen schießen. Glaubhaften Informationen syrischer Menschenrechtsverteidiger zufolge komme es auch zur Gewaltanwendung durch Sicherheitskräfte und staatlich organisierte Milizen gegen Teilnehmer von Beerdigungszügen für Opfer staatlicher Gewalt. In den letzten Monaten haben zahlreiche Akteure der Zivilgesellschaft und des Menschenrechtsbereiches zu ihrem eigenen Schutz auf legalem oder illegalem Weg auf Grund der Bedrohungslage Syrien verlassen. Unliebsame öffentliche Äußerungen werden auf Grundlage des Strafgesetzes verfolgt (insbesondere nach Art. 285 und 286, die „Propaganda zur Schwächung nationaler Gefühle“ bzw. das „Verbreiten falscher Informationen“ unter Strafe stellen). Im Sommer 2011 wurde ein neues Mediengesetz erlassen, das das syrische Pressegesetz von 2001 ersetzt. In dem neuen Gesetz wird das Recht des Bürgers auf Information anerkannt und die Reichweite der Zensur eingeschränkt. Allerdings werden die Medienvertreter zur „wahrheitsgemäßen Berichterstattung“ verpflichtet. Faktisch habe sich nach Auffassung des Auswärtigen Amtes die Pressefreiheit jedoch nicht verbessert. Der Raum für Meinungs- und Pressefreiheit habe sich in den letzten Monaten vielmehr stark verringert: Filmemacher, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger und „citizen journalists“, die über die Aktivitäten der Opposition, die Anti-Regime-Demonstrationen sowie die staatliche Repression zu berichten versuchen, werden verfolgt, festgenommen, angegriffen oder sogar ermordet. Unter Menschenrechtsverteidigern ist der Eindruck verbreitet, dass das Regime mit besonderer Härte gegen diejenigen Personen vorgehe, denen nachgewiesen werden könne, dass sie Informationen über die Lage im Land an ausländische Medien weitergeben würden. In den letzten zehn Monaten (von Februar 2012 an gerechnet) sind zahlreiche Journalisten in Syrien inhaftiert und mehrere Medienvertreter getötet worden. Internetnutzung wird mit ausgefeilter Software überwacht und reguliert. In Regionen und Stadtteilen, in denen Operationen von Sicherheit und Militär liefen, werden Internet- und Telekommunikationsverbindungen oft tagelang abgestellt. In dem Lagebericht wird ausgeführt, dass obwohl die syrische Verfassung und das syrische Strafrecht Folter verbiete und Syrien das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 ratifiziert hat, Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste systematisch Gewalt anwenden. Die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung sei nach Auffassung des Auswärtigen Amtes in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste, zu denen weder Anwälte noch Familienangehörige Zugang haben, als besonders hoch einzustufen. Personen, die unter dem Verdacht oppositioneller Umtriebe stehen, sind ebenfalls einem hohen Folterrisiko ausgesetzt. Seit März 2011 sind zahlreiche Fälle von Tötungen im Gewahrsam der Sicherheitsdienste belegt. Offizielle Angaben zu Todesfällen in Folge von Gewaltanwendung in syrischen Haftanstalten gibt es nicht. Es bestehen nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes keine Möglichkeiten einer effektiven strafrechtlichen Verfolgung von Folter oder anderen kriminellen Handlungen durch Sicherheitskräfte. Bereits vor März 2011 habe es Hinweise dafür gegeben, dass Personen, die sich über die Behandlung durch Sicherheitskräfte beschwerten, Gefahr liefen, dafür strafrechtlich verfolgt zu werden. Vieles deutet nach Auffassung des Auswärtigen Amtes darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste und die Schabihha-Miliz vom Regime eine Art „carte blanche“ erhalten hätten.
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Amnesty international hat in dem Bericht vom 14. Juni 2012 („Deadly Reprisals: Deliberate killings and other abuses by Syria´s armed forces“) nicht nur die zunehmend massiver werdende Anwendung von militärischer Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung, sondern auch bestimmte Muster von politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen geschildert. Die Maßnahmen der syrischen Armee und der regimetreuen Milizen richten sich in erster Linie gegen Ortschaften, in denen aus Sicht der Regierung oppositionelle Personen leben oder dies nur vermutet wird. Die Aktionen beginnen in der Regel so, dass zunächst mit Artillerie und Gewehrfeuer in die Orte geschossen wird. Ist aus Sicht der Regierungseinheiten nicht mehr mit nennenswertem Widerstand zu rechnen, gehen reguläre Soldaten und Milizionäre von Haus zu Haus, brennen die Häuser nieder und töten häufig wahllos die Einwohner. Nach Einschätzung der Regierungstruppen ist allein der Umstand, dass Personen in einem Ort leben, in denen Oppositionelle vermutet werden, Grund für eine willkürliche Verhaftung oder Ermordung (S. 9 und 11 f. des Berichts). Anlass für Verhaftung und Ermordung kann auch das Tragen von Kleidungsstücken sein, welche aus Sicht der Regierungseinheiten bevorzugt von den bewaffneten Oppositionsgruppen getragen werden (Bericht, S. 17).
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Auch in dem Bericht des United Nations High Commissioner for Human Rights (Bericht zur Lage in Syrien vom 24. Mai 2012) wird geschildert, dass Anknüpfungspunkt für eine auf der Vermutung der oppositionellen Haltung beruhende Verhaftung, Folter und Bestrafung bereits der Umstand sein kann, dass eine Person in unmittelbarer Nachbarschaft oder in einem Ort lebt, in dem sich Personen aufhalten sollen, die gegen die syrische Regierung eingestellt sind (dort Randziffer 10). Ferner wird in dem Bericht der Fall eines Mannes geschildert, der allein aufgrund des Umstandes, dass er eine größere Menge Geld besaß, unter dem Verdacht der oppositionellen Haltung und des Waffenschmuggels zugunsten der bewaffneten Rebellengruppierungen festgenommen und gefoltert wurde (dort Randziffer 13).
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Human Rights Watch schildert bereits in seinem im Dezember 2011 erschienenen Bericht „By all means necessary!“ die Verhaftung und Folter von Rechtsanwälten und Journalisten, welche die Proteste unterstützen, aber auch von Ärzten und Pflegepersonal, welche verdächtigt wurden, verletzte Demonstrationen in Privathäusern oder provisorischen Feldlazaretten versorgt zu haben (Bericht S. 16 und 51). Ausreichend für eine Verhaftung und anschließende Foltermaßnahmen in der Region Hama waren bereits „verdächtige Blicke“ und „freche“ Antworten gegenüber Soldaten (Bericht S. 45).
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In dem im Juli 2012 erschienenen Bericht von Human Rights Watch „Torture Archipelago“ wird anhand einer Vielzahl von Einzelbeispielen ausgeführt, dass Ziel der Folter in den z. T. provisorischen Hafteinrichtungen der staatlichen Stellen nicht die Gewinnung von Informationen, sondern die Einschüchterung und Bestrafung von als illoyal gegenüber der syrischen Regierung angesehenen Personen ist. Auch in diesem Bericht werden im Grunde belanglose Handlungen und Äußerungen von Inhaftierten geschildert, welche jeweils Foltermaßnahmen nach sich gezogen haben. So wird der Fall eines in Idlib Verhafteten geschildert, welcher in einem Verhör die bei den Demonstrationen Getöteten als „Märtyrer“ bezeichnet hatte und daraufhin Elektroschocks erhielt. Diese Maßnahme wurde erst eingestellt, nachdem er erklärt hatte, dass er die Getöteten nicht mehr als Märtyrer, sondern nur noch als tote Personen bezeichnen werde.
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Der Senat geht bei einer Gesamtschau davon aus, dass der syrische Staat infolge einer sämtliche Lebensbereiche umfassenden autoritären Struktur und seiner totalitären Ausrichtung in so hohem Maße unduldsam ist, dass er schon im Grunde belanglose Handlungen wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und den langjährigen Aufenthalt im Ausland als Ausdruck einer von seiner Ideologie abweichenden illoyalen Gesinnung ansieht und zum Anlass von Verfolgungsmaßnahmen nimmt.
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Der Auffassung der Beklagten, eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer politischen Verfolgung allein wegen der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung und des längeren Aufenthalts im Ausland könne bei der erforderlichen Anwendung der anzuwendenden Maßstäbe mangels Referenzfällen nicht festgestellt werden, berücksichtigt nicht hinreichend die aktuelle Situation seit Erlass des Abschiebungsstopps im Frühjahr 2011. Wenn Asylsuchende abgeschoben würden, wäre tatsächlich die Häufigkeit von Verfolgungsmaßnahmen in Syrien allein anknüpfend an die vorgenannten Aspekte nach den oben dargestellten Kriterien für die Feststellung einer Verfolgungswahrscheinlichkeit zu ermitteln. Die Beklagte selbst hat jedoch in Reaktion auf die eskalierende Lage in Syrien die Möglichkeit der Feststellung solcher Referenzfälle verhindert, indem sie mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 28. April 2011 an die Länderinnenverwaltungen geraten hat, von Abschiebungen nach Syrien vorläufig abzusehen. Sonstige Erkenntnismöglichkeiten zur Frage der Behandlung von Rückkehrern durch Auskünfte anderer Stellen sieht die Beklagte offenkundig auch nicht. Ebenso bestätigt das Auswärtige Amt, dass wegen fehlender Rückführungen keine aktuellen Erfahrungswerte bezüglich eines etwaigen Verhaltens der syrischen Sicherheitsbehörden gegenüber zurückgeführten abgelehnten Asylbewerbern vorliegen (Auswärtiges Amt, Stellungnahme gegenüber dem Verwaltungsgericht Augsburg vom 02.11.2011). Die Gefahrendichte ist also nicht mangels hinreichender Referenzfälle zu verneinen, vielmehr kann sie nur nicht durch Referenzfälle nachgewiesen werden, weil die deutschen wie auch andere europäische Behörden Abschiebungen nach Syrien zur Zeit nicht vornehmen (so ausdrücklich zur Gefahr der Folter im Rahmen von Verhören: OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, juris). Der Senat hat daher auf der Basis der vorgenannten Erkenntnisse und allgemeinkundigen Tatsachen festgestellt, dass eine flüchtlingsrechtlich relevante Gefahrendichte gegeben ist und insofern die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung für den Kläger besteht.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83 b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 VwGO) sind nicht gegeben.
(1) Ein Ausländer wird in der Regel nicht als Asylberechtigter anerkannt, wenn die Gefahr politischer Verfolgung auf Umständen beruht, die er nach Verlassen seines Herkunftslandes aus eigenem Entschluss geschaffen hat, es sei denn, dieser Entschluss entspricht einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung. Satz 1 findet insbesondere keine Anwendung, wenn der Ausländer sich auf Grund seines Alters und Entwicklungsstandes im Herkunftsland noch keine feste Überzeugung bilden konnte.
(1a) Die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 zu erleiden, kann auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist.
(2) Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines Asylantrags erneut einen Asylantrag und stützt diesen auf Umstände, die er nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrags selbst geschaffen hat, kann in einem Folgeverfahren in der Regel die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden.
(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:
- 1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe; - 2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind; - 3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird; - 4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn - a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und - b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
- 5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.
(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.
(1) Ein Ausländer wird in der Regel nicht als Asylberechtigter anerkannt, wenn die Gefahr politischer Verfolgung auf Umständen beruht, die er nach Verlassen seines Herkunftslandes aus eigenem Entschluss geschaffen hat, es sei denn, dieser Entschluss entspricht einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung. Satz 1 findet insbesondere keine Anwendung, wenn der Ausländer sich auf Grund seines Alters und Entwicklungsstandes im Herkunftsland noch keine feste Überzeugung bilden konnte.
(1a) Die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 zu erleiden, kann auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist.
(2) Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines Asylantrags erneut einen Asylantrag und stützt diesen auf Umstände, die er nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrags selbst geschaffen hat, kann in einem Folgeverfahren in der Regel die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden.
(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich
- 1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - 2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, - a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder - b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, - 2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder - 3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er
- 1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder - 2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.
Tenor
I.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen. Der Bescheid vom
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Der nach seinen Angaben am ...1991 geborene Kläger gibt an, syrischer Staatsangehöriger arabischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit zu sein. Er brachte in der Anhörung gemäß § 25 AsylG am 1. April 2016 vor, in Syrien zuletzt in Damaskus, Stadtteil D., ... gelebt zu haben. Er verließ sein Heimatland am 15. September 2015, reiste ca. am 3. Oktober 2015 auf dem Landweg in Deutschland ein und stellte nach den Angaben im Behördenakt am 14. März 2016 einen Asylantrag.
In der Anhörung brachte er u. a. vor, dass es zwei Armeen gebe. Die eine sei für Assad. Ein freies Militär sei gegen Assad. Das freie Militär habe seinen Stadtteil besetzt gehabt. Dieses habe gegen das Assad-Militär gekämpft. Deswegen habe man nicht mehr rausgehen können. Alle Geschäfte seien geschlossen gewesen. Man habe nicht mehr einkaufen können. Dieses freie Militär sei zu ihm gekommen und hätte gewollt, dass er ihnen beitrete. Diese seien auch untereinander getrennt. Es gebe viele verschiedene Anführer und alle wollten, dass er mitkämpfe. Jeder Anführer wolle viele Soldaten. Alle zwei, drei Tage seien diese zu ihm gekommen und hätten ihn gefragt, ob er ihnen beitrete. Diese zerstrittenen Gruppen würden „Loak Alislam“ und „Tahreer Alscham“ heißen. Wenn er in einen anderen Stadtteil gehe, werde er vom Baschar Militär entführt, damit er in dieses eintrete. Normalerweise müsse man zwei Jahre Wehrdienst machen. Da er eine Ausbildung gemacht habe, sei er nicht mit 18 Jahren eingezogen worden. Aber 2013 sei ihm gesagt worden, dass er eingezogen werden solle. Aber er sei geflohen. Er habe in D. gewohnt. Dort herrsche nicht das Assad-Militär. Also hätten sie ihn dort nicht entführen können. Normalerweise habe man ein Wehrbuch. Dort stehe das Datum und wenn dieses erreicht sei, müsse man sich melden.
Im September 2015 sei er zum ersten Mal von diesen zerstrittenen Gruppen gefragt worden. Auf Nachfrage erklärte der Kläger, dass sie nicht alle zwei bis drei Tage gekommen seien. Aber er habe sich entscheiden müssen. Er sei lieber geflohen. Die Leute kämen nicht direkt zu einem. Man müsse sich entscheiden. Er hätte sich bald entscheiden müssen. Die Leute in seinem Viertel hätten gewusst, dass er sich noch nicht entschieden habe. Er sei davon ausgegangen, dass er bald gefragt werde und sei deshalb vorsichtshalber geflohen. Wenn er sich geweigert hätte, wäre er mit Gewalt dazu gezwungen oder entführt worden. Einer seiner Brüder sei 18 Jahre alt und studiere in Damaskus. Seine Einberufung sei immer wieder verschoben worden. Sein anderer Bruder sei 27 Jahre alt und verheiratet. Er sei nicht so interessant wie der Kläger. Irgendwann werde es ihnen gehen wie ihm. Dann müssten sie auch fliehen. Bei einer Rückkehr nach Syrien befürchte er, entführt zu werden. Oder er müsse zum Militär gehen oder werde getötet. Die allgemeine Situation in Syrien sei schlecht. Man könne dort nicht leben. Auch wenn er allein geflohen sei, heiße das nicht, dass seine Familie dort glücklich sei.
Das Bundesamt erkannte dem Kläger mit Bescheid vom
Mit Schriftsatz vom 21. April 2016, eingegangen beim Verwaltungsgericht Regensburg
Zur Begründung der Klage wird im Wesentlichen vorgebracht, dass der Kläger Syrien verlassen habe, um sich dem Militärdienst und der Rekrutierung durch kämpferische Gruppen zu entziehen. Er sei mit dem Schiff über das Mittelmeer nach Europa gekommen. Er habe sein Land aber auch wegen der Kriegsführung verlassen. Insoweit werde er noch Fotos der Situation seiner Heimatstadt nachreichen. Er habe vorgetragen, dass er Angst gehabt habe, in die Kriegsführung mit einbezogen zu werden. Näheres hierzu werde noch vorgetragen.
Der Kläger sei seit 2011 Mitglied der syrischen Armee gewesen. Er sei allerdings desertiert und habe sich drei Jahre innerhalb Syriens versteckt. Stationiert sei er in der Stadt D2. gewesen. Seine Eltern hätten in der Stadt A. gewohnt. Dort sei er dann auch gesucht worden und die Eltern hätten Nachteile erlitten, weil es in Fällen dieser Art üblich sei, das Eigentum zu beschlagnahmen. Die Eltern hätten ihr Haus verloren. Der Kläger habe Zuflucht bei seinem Großvater gesucht. Dies sei in der Stadt A2... gewesen, die mittlerweile in Schutt und Asche liege. Bis zu dem Termin werde der Kläger den Pass erhalten, der ihn als Mitglied der syrischen Armee ausweise.
Der Kläger lässt beantragen,
die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen und den Bescheid vom 6. April 2015 (richtig: 2016) in Nr. 2 insoweit aufzuheben, als er dieser Verpflichtung entgegensteht.
Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die angefochtene Entscheidung,
die Klage abzuweisen.
Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze, den Inhalt der Asylakten und die Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen. Der Gerichtsakt im Verfahren RO 1 K 16.30671 wurde beigezogen.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist in Nr. 2 hinsichtlich der Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Dieser hat im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG.
Diese ist ihm zuzuerkennen, da er sich nach der Überzeugung des Gerichts aus begründeter Furcht vor Verfolgung durch den syrischen Staat wegen seiner vermuteten politischen Überzeugung außerhalb Syriens befindet, § 3 Abs. 1, 4 AsylG. Er hat Syrien zwar nicht wegen Verfolgung im Sinne dieser Vorschrift verlassen, es droht ihm jedoch bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine solche.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Die Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von
1. dem Staat,
2. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen oder
3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn eine interne Schutzmöglichkeit besteht, vgl. § 3e AsylG.
Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist. Es kommt auch nicht darauf an, ob er diese Merkmale tatsächlich aufweist. Vielmehr reicht es aus, wenn ihm diese von seinem Verfolger zugeschrieben werden, § 3b Abs. 2 AsylG. Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt auch bei einer erlittenen Vorverfolgung der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG
Die begründete Furcht vor Verfolgung kann gemäß § 28 Abs. 1a AsylG auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während eines Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit keine Einschränkung. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen (vgl. OVG Sachsen-Anhalt
Schutz nach § 3 Abs. 1 AsylG kann nur derjenige beanspruchen, der politische Verfolgung bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat. Eine Verfolgungsgefahr für einen nicht verfolgt Ausgereisten und damit dessen begründete Furcht vor Verfolgung liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unter folgenden Voraussetzungen vor (BVerwG
„Ist der Asylsuchende unverfolgt ausgereist, liegt eine Verfolgungsgefahr und damit eine begründete Furcht vor Verfolgung vor, wenn ihm bei verständiger, nämlich objektiver, Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Antragstellers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen“ oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50% Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden „zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts“ die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr „beachtlich“ ist. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50% für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z. B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert
1. Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist.
Eine Verfolgung durch den syrischen Staat und/oder durch nichtstaatliche Akteure im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG wegen eines der oben genannten Gründe hat er weder beim Bundesamt noch im Klageverfahren substantiiert und glaubhaft geltend gemacht. Es ist jedoch Sache des Schutzsuchenden, die Umstände, aus denen sich eine politische Verfolgung ergibt, in schlüssiger Form von sich aus vorzutragen, vgl. § 15 Abs. 1, § 25 Abs. 1 und 2 AsylG. Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten individuellen Schicksals und der Richtigkeit der Prognose drohender politischer Verfolgung gewinnen. Dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden kommt dabei besondere Bedeutung zu. Ihm selbst obliegt es, seine Gründe für das Vorliegen politischer Verfolgung folgerichtig, substantiiert, widerspruchsfrei und mit genauen Einzelheiten vorzutragen (vgl. BVerwG
Das Vorbringen des Klägers ist zu unsubstantiiert, oberflächlich und widersprüchlich, um eine Vorverfolgung glaubhaft machen zu können. Er vermochte nicht widerspruchsfrei darzulegen, wann und unter welchen Umständen er sich zu einer Mitwirkung bei dem „freien Militär“ entschließen hätte müssen. Zunächst behauptete er, dass diese alle zwei, drei Tage zu ihm gekommen seien. Auf Nachfrage erklärte er dagegen, dass sie nicht zu ihm gekommen seien, er sich aber bald hätte entscheiden müssen. Letztlich brachte er vor, dass die allgemeine Situation in Syrien schlecht sei und man dort nicht leben könne. Relevante Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a AsylG legte er damit jedoch nicht dar.
Das Vorbringen des Klägers weist außerdem unglaubwürdige Steigerungen auf. Erst in der zweiten Klagebegründung ließ er vorbringen, dass er seit 2011 Mitglied der syrischen Armee gewesen und desertiert sei. Er habe sich drei Jahre innerhalb Syriens versteckt. Nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung soll er sogar in Dunkelhaft gefangen gehalten und gefoltert worden sein. Es wäre zu erwarten gewesen, dass er dieses Geschehen bereits in seiner Anhörung beim Bundesamt von sich aus schildert. Warum dies nicht geschah, konnte er nicht nachvollziehbar erklären. Sein Hinweis auf eine mögliche Kenntniserlangung durch den syrischen Geheimdienst ist weder glaubwürdig noch nachvollziehbar.
2. Dem Kläger droht jedoch bei einer Rückkehr in seine Heimat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche Verfolgung.
a. Das Gericht geht auf der Grundlage der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen davon aus, dass der syrische Staat gegenwärtig das Stellen eines Asylantrages im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Anknüpfung und Ausdruck einer politischen missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System ansieht, die das Gebot der Loyalität gegenüber diesem verletzt (so auch z. B. VG Köln
Diese Beurteilung rechtfertigt sich nach wie vor aus der Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebestopps im April 2011 aus Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, der umfassenden Beobachtung syrischer Staatsangehöriger im Ausland durch die syrischen Geheimdienste, der Eskalation der innenpolitischen Situation seit dem März 2011 und dem Umgang der syrischen Behörden insbesondere seit Beginn 2012 mit Personen, die aus ihrer Sicht verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen (vgl. VG Augsburg
Hinsichtlich der Behandlung der aus westlichen Ländern abgeschobenen Personen fehlt es zwar für die letzten Jahre an belastbaren Zahlen der Rückkehrer. Dies ist darauf zurückzuführen, dass mit der Verschärfung des inneren Konfliktes in Syrien in den Jahren 2011/2012 wegen verschiedener Abschiebestopps keine abgelehnten Flüchtlinge abgeschoben wurden. Bis vor kurzer Zeit entsprach es der Praxis der Beklagten syrischen Flüchtlingen grundsätzlich den Flüchtlingsstatus zuzuerkennen, so dass keine Abschiebungen erfolgten. Dies gilt auch im Hinblick auf die mittlerweile stärker verbreitete Entscheidungspraxis der Beklagten, Syrern nur noch den subsidiären Schutzstatus zu gewähren. Die Beurteilung der im Falle einer Rückkehr drohenden Verfolgung und ihres Charakters kann daher nach wie vor nur im Wege einer Prognose aufgrund der zur Verfügung stehenden verifizierbaren Tatsachenberichte zu Verfolgungshandlungen gegenüber politischen Gegnern im Inland erfolgen (vgl. VG Meiningen
b. Es sind keine Anhaltspunkte erkennbar, dass sich an dieser Einschätzung etwas entscheidend zum Besseren geändert hat. Die Beklagte ist weder in dem streitgegenständlichen Bescheid noch im gerichtlichen Verfahren auf eine - mögliche - Gefährdung des Klägers bei einer Rückkehr nach Syrien eingegangen. Eine (vertiefte) Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation in Syrien fehlt. Stichhaltige Argumente, die zur Überzeugung des Gerichts eine - teilweise - Abkehr von der bisherigen Entscheidungspraxis der grundsätzlichen Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und den in den vergangenen Monaten zunehmenden Übergang auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus rechtfertigen könnten, wurden nicht vorgebracht.
Die immer stärker eskalierende Situation in Syrien mit der steigenden Zahl an Flüchtlingen hat nicht zur Folge, dass der einzelne sich im westlichen Ausland aufhaltende Flüchtling wegen dieses Massenphänomens nicht mehr als potenzieller politischer Gegner angesehen wird. Nach der Auffassung der syrischen Regierung handelt es sich bei dem sich zu einem Bürgerkrieg entwickelten Aufstand um eine von außen organisierte und finanzierte Verschwörung gegen das Land, der mit allen Mitteln zu begegnen ist. Daher muss mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer politischen Verfolgung von zurückkehrenden Asylbewerbern gerechnet werden (vgl. VG Stuttgart
Hinzu kommt, dass die Situation der Flüchtlinge, die in die Nachbarländer Syriens geflohen sind, nicht mit der von aus dem westlichen Ausland und Deutschland zurückgeführten Syrern vergleichbar ist, die bereits zahlenmäßig deutlich in der Minderzahl sind. Bei einer Rückführung letzterer über den von den syrischen Regierungskräften kontrollierten Flughafen in Damaskus bedarf es für eine Befragung mit der Gefahr anschließender Folterung durch Mitarbeiter der verschiedenen Geheimdienste keiner großen Ressourcen (vgl. VG Hannover
Diese Einschätzung wird durch die aktuellen Erkenntnisquellen bestätigt. Dem Auswärtigen Amt war es wegen der Lage in Syrien nicht möglich, seine Lageberichte, wie üblich, in regelmäßigen Zeitabständen zu aktualisieren. Der letzte reguläre Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien datiert vom 27. September 2010, also vor den im Frühjahr 2011 aufgeflammten Unruhen. Seitdem hat das Auswärtige Amt nur einen einzigen „Ad hoc-Bericht“ veröffentlicht. Die Deutsche Botschaft Damaskus hat den operativen Dienstbetrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt (vgl. Auskunft AA an BAMF vom 8.3.2012).
Zwar lägen dem Auswärtigen Amt keine Erkenntnisse dazu vor, dass ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erleiden hätten. Allerdings seien Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt, zeitweilig inhaftiert oder dauerhaft verschwunden seien (vgl. Auskunft der Botschaft Beirut vom 3.2.2016). Dies stehe überwiegend im Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten oder mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst. Nach einer nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes verlässlichen Studie des „Danish Immigration Service“ vom September 2015 würden desertierten Syrern Militärtribunale, Folter, lebenslange Haft oder Hinrichtung drohen. Werde der Deserteur mit Oppositionsgruppierungen in Verbindung gebracht, bestehe laut dieser Studie für die Familie das Risiko von Sippenhaft. Bezüglich der Motivation zur vermehrten Ausstellung syrischer Pässe durch Stellen innerhalb Syriens, aber auch durch die syrischen Auslandsvertretungen, weist das Auswärtige Amt darauf hin, dass sich die wirtschaftliche Lage des syrischen Regimes im ersten Quartal 2015 vermutlich weiter verschlechtert habe. Hierauf würden damalige intensive Verhandlungen über neue Kreditlinien mit Russland und dem Iran, die steigende Inflation, der Verfall der Infrastruktur, sowie der Verlust von Wirtschaftsräumen hindeuten. Es sei zu vermuten, dass speziell Einnahmen aus Passgebühren dem allgemeinen syrischen Staatshaushalt zugute kämen.
Wie sich den „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ (3. aktualisierte Fassung) vom Oktober 2014 entnehmen lässt, hat sich die Lage in Syrien seit der zweiten aktualisierten Fassung vom Oktober 2013 im Hinblick auf Sicherheit, Menschenrechte, Vertreibung und Bedarf an humanitärer Hilfe weiter verschlechtert. Fast alle Teile des Landes seien zum jetzigen Zeitpunkt in Gewalt verstrickt, wobei die Gewalthandlungen zwischen verschiedenen Akteuren mit teilweise überlappenden Konflikten ausgetragen und durch die Beteiligung ausländischer Kämpfer auf allen Seiten verschärft würden. Kampfhandlungen zwischen den syrischen Regierungstruppen und einer Vielzahl bewaffneter oppositioneller Gruppen würden unvermindert fortgesetzt.
Die aktuellen UNHCR-Erwägungen vom November 2015 (4. aktualisierte Fassung) führen aus, dass der Konflikt mit unverminderter Intensität fortgesetzt werde. Er sei mit verheerenden Konsequenzen für die syrische Bevölkerung, einschließlich einer steigenden Zahl ziviler Opfer, interner und externer Vertreibung in großem Maßstab und einer humanitären Krise von bislang unbekanntem Ausmaß verbunden. Die meisten Hauptstädte der Gouvernements (ausgenommen Raqqa und Idlib) einschließlich der Hauptstadt Damaskus sowie die Küstengebiete der Gouvernements Latakia und Tartus stünden weiterhin unter der teilweisen oder vollständigen Kontrolle der syrischen Streitkräfte. Diese hätten jedoch Berichten zufolge im Laufe des vergangenen Jahres strategisch wichtige Standorte und militärische Stellungen in einigen Gouvernements verloren. In jüngerer Zeit hätten Berichten zufolge Regierungskräfte mit zunehmender Unterstützung von Verbündeten aus dem Ausland eine größere Militäroffensive an mehreren Fronten gestartet, um verlorene Gebiete zurückzuerobern.
Nach Einschätzung des UNHCR sei es wahrscheinlich, dass die meisten asylsuchenden Syrer die Kriterien für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllten, da sie eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen eines oder mehrerer Gründe der GFK hätten. Syrischen Staatsangehörigen und Personen mit gewöhnlichen Aufenthaltsort in Syrien, die aus dem Land geflohen seien, könne beispielsweise Verfolgung aufgrund einer politischen Überzeugung drohen, die ihnen gemäß einer vermeintlichen Verbindung mit einer Konfliktpartei unterstellt werde, oder aufgrund ihrer religiösen Überzeugung, ihrer ethnischen Identität oder abhängig davon, welche Konfliktpartei die Nachbarschaft oder das Dorf kontrolliere, aus dem die Betroffenen stammen. Im Lichte der immer schwierigeren Sicherheits- und Menschenrechtslage und humanitären Situation in Syrien und einer fehlenden politischen Lösung zum jetzigen Zeitpunkt begrüße UNHCR die Tatsache, dass viele Regierungen Maßnahmen ergriffen hätten, um die zwangsweise Rückführung von syrischen Staatsangehörigen oder Personen mit gewöhnlichen Aufenthaltsort in Syrien auszusetzen, einschließlich solcher Personen, deren Asylanträge abgelehnt worden seien. Derartige Maßnahmen sollten bis auf weiteres aufrechterhalten werden.
Das Gericht teilt die Einschätzung des UNHCR, dass sich die Lage in Syrien im Vergleich zu den Jahren 2012/2013 verschlechtert hat. Die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente sind angesichts der Rolle, die dem UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden sind, besonders relevant (vgl. EuGH vom 30.5.2013 Az. C-528/11), auch wenn das Gericht an die rechtliche Beurteilung des UNHCR nicht gebunden ist.
Nach den Erkenntnissen von Amnesty International halten die staatlichen Sicherheitskräfte nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft (vgl. Amnesty Report 2016). Zehntausende Menschen, die seit Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 inhaftiert worden waren, seien „verschwunden“ geblieben. Unter ihnen hätten sich friedliche Regierungskritiker und -gegner sowie Familienangehörige, die anstelle ihrer von den Behörden gesuchten Angehörigen inhaftiert worden seien, befunden. Folter und andere Misshandlungen von Inhaftierten in Gefängnissen sowie durch den staatlichen Sicherheitsdienst und die Geheimdienste seien auch im Jahr 2015 weit verbreitet gewesen und würden systematisch angewendet, was erneut zu vielen Todesfällen im Gewahrsam geführt habe. Zehntausende Zivilpersonen, darunter auch friedliche Aktivisten, seien von Sicherheitskräften der Regierung festgenommen worden. Viele von ihnen hätten lange Zeiträume in Untersuchungshaft verbracht, wo sie gefoltert oder anderweitig misshandelt worden seien. Nach der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 14. April 2015 wurden die von Baschar al Assad erlassenen Amnestien nur mangelhaft und willkürlich umgesetzt.
c. Das Gericht teilt nicht die Auffassung, dass unverfolgt ausgereiste Rückkehrer nach Syrien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr politisch verfolgt werden (so aber z. B. VG Düsseldorf
d. Eine innerstaatliche Fluchtalternative steht dem Kläger nicht zur Verfügung, da er bei einer Einreise über den Flughafen in Damaskus keinen sicheren Landesteil sicher und legal erreichen kann, vgl. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG.
e. Schließlich scheidet die Flüchtlingsanerkennung auch nicht aus anderen Gründen, wie z. B. dem Alter des Klägers, aus. Dieser ist ein junger sunnitischer Mann im wehrfähigen Alter. Es besteht die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass er bei einer Rückkehr nach Syrien staatliche Verfolgung erleiden wird, weil er die vermutete Systemfeindlichkeit bei einer Befragung durch die syrischen Sicherheitsbehörden nicht wird widerlegen können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.
Die Höhe des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 30 RVG.
(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich
- 1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - 2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, - a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder - b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, - 2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder - 3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er
- 1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder - 2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.
(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die
- 1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder - 2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.
(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:
- 1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, - 2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, - 3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, - 4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, - 5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen, - 6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.
(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.
(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:
- 1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe; - 2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind; - 3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird; - 4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn - a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und - b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
- 5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.
(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.
(1) Der Ausländer ist persönlich verpflichtet, bei der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken. Dies gilt auch, wenn er sich durch einen Bevollmächtigten vertreten lässt.
(2) Er ist insbesondere verpflichtet,
- 1.
den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden die erforderlichen Angaben mündlich und nach Aufforderung auch schriftlich zu machen; - 2.
das Bundesamt unverzüglich zu unterrichten, wenn ihm ein Aufenthaltstitel erteilt worden ist; - 3.
den gesetzlichen und behördlichen Anordnungen, sich bei bestimmten Behörden oder Einrichtungen zu melden oder dort persönlich zu erscheinen, Folge zu leisten; - 4.
seinen Pass oder Passersatz den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden vorzulegen, auszuhändigen und zu überlassen; - 5.
alle erforderlichen Urkunden und sonstigen Unterlagen, die in seinem Besitz sind, den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden vorzulegen, auszuhändigen und zu überlassen; - 6.
im Falle des Nichtbesitzes eines gültigen Passes oder Passersatzes an der Beschaffung eines Identitätspapiers mitzuwirken und auf Verlangen alle Datenträger, die für die Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit von Bedeutung sein können und in deren Besitz er ist, den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden vorzulegen, auszuhändigen und zu überlassen; - 7.
die vorgeschriebenen erkennungsdienstlichen Maßnahmen zu dulden.
(3) Erforderliche Urkunden und sonstige Unterlagen nach Absatz 2 Nr. 5 sind insbesondere
- 1.
alle Urkunden und Unterlagen, die neben dem Pass oder Passersatz für die Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit von Bedeutung sein können, - 2.
von anderen Staaten erteilte Visa, Aufenthaltstitel und sonstige Grenzübertrittspapiere, - 3.
Flugscheine und sonstige Fahrausweise, - 4.
Unterlagen über den Reiseweg vom Herkunftsland in das Bundesgebiet, die benutzten Beförderungsmittel und über den Aufenthalt in anderen Staaten nach der Ausreise aus dem Herkunftsland und vor der Einreise in das Bundesgebiet sowie - 5.
alle sonstigen Urkunden und Unterlagen, auf die der Ausländer sich beruft oder die für die zu treffenden asyl- und ausländerrechtlichen Entscheidungen und Maßnahmen einschließlich der Feststellung und Geltendmachung einer Rückführungsmöglichkeit in einen anderen Staat von Bedeutung sind.
(4) Die mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden können den Ausländer und Sachen, die von ihm mitgeführt werden, durchsuchen, wenn der Ausländer seinen Verpflichtungen nach Absatz 2 Nr. 4 und 5 nicht nachkommt sowie nicht gemäß Absatz 2 Nummer 6 auf Verlangen die Datenträger vorlegt, aushändigt oder überlässt und Anhaltspunkte bestehen, dass er im Besitz solcher Unterlagen oder Datenträger ist. Der Ausländer darf nur von einer Person gleichen Geschlechts durchsucht werden.
(5) Durch die Rücknahme des Asylantrags werden die Mitwirkungspflichten des Ausländers nicht beendet.
(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:
- 1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, - 2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder - 3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen, - 2.
eine schwere Straftat begangen hat, - 3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder - 4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.
(1) Ein Ausländer wird in der Regel nicht als Asylberechtigter anerkannt, wenn die Gefahr politischer Verfolgung auf Umständen beruht, die er nach Verlassen seines Herkunftslandes aus eigenem Entschluss geschaffen hat, es sei denn, dieser Entschluss entspricht einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung. Satz 1 findet insbesondere keine Anwendung, wenn der Ausländer sich auf Grund seines Alters und Entwicklungsstandes im Herkunftsland noch keine feste Überzeugung bilden konnte.
(1a) Die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 zu erleiden, kann auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist.
(2) Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines Asylantrags erneut einen Asylantrag und stützt diesen auf Umstände, die er nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrags selbst geschaffen hat, kann in einem Folgeverfahren in der Regel die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden.
(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:
- 1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe; - 2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind; - 3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird; - 4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn - a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und - b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
- 5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.
(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.
(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich
- 1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - 2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, - a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder - b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, - 2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder - 3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er
- 1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder - 2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.
Tatbestand
- 1
Der 1979 in A./Syrien geborene Kläger ist nach eigenen Angaben syrischer Staatsangehöriger, muslimischen Glaubens und kurdischer Volkszugehörigkeit. Nach seinen Schilderungen reiste er am 30. November 2010 aus der Türkei kommend auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein.
- 2
Am 14. Januar 2011 wurde der Kläger vom Bundesamt zu seinem Asylbegehren angehört. Zur Begründung gab er an: Er sei ungefähr von 2001 bis 2007 inhaftiert gewesen. Aufgrund einer Bürgschaft sei er freigelassen worden. Er sei Sympathisant der Kurdischen Volksunion gewesen. Im Rahmen der Vorbereitung des Newroz-Festes am 21. März 2010 habe man sich versammelt. Daraus sei eine Demonstration entstanden. Irgendwann habe man begonnen, Leute zu verhaften. Er sei geflüchtet und habe sich bei seinem Cousin versteckt. Er habe dann erfahren, dass sein Bruder verhaftet worden sei. Es sei ihm klar geworden, dass dies erfolgt sei, weil man in Wirklichkeit seiner habhaft werden wollte. Er habe sich sechs Monate bei seinem Cousin versteckt und dann seine Ausreise organisieren lassen.
- 3
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid vom 23. März 2011 ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland binnen eines Monats nach Rechtskraft der Entscheidung zu verlassen, anderenfalls würde er nach Syrien abgeschoben. Der Kläger könnte auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet sei. Zur Begründung ist ausgeführt, der Kläger könnte kein Asyl beanspruchen, weil davon auszugehen sei, dass er auf dem Landweg über einen sicheren Drittstaat eingereist sei. Der Kläger hätte ein individuelles Verfolgungsschicksal nicht glaubhaft gemacht. Auch die illegale Ausreise bzw. die Asylantragstellung im Ausland führe nicht zu einer politischen Verfolgung. Mangels einer politischen Verfolgung könne er daher nicht die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft beanspruchen. Auch Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen nicht vor.
- 4
Am 5. April 2011 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Magdeburg Klage erhoben. Zur Begründung berief er sich auf die aktuelle politische Situation in Syrien. Ferner sei bei ihm im Jahr 2011 eine kryptogene Epilepsie und der Verdacht auf das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung festgestellt worden.
- 5
Der Kläger hat beantragt,
- 6
unter Aufhebung des Bescheides vom 23. März 2011 festzustellen, dass für ihn die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft des § 60 Abs. 1 AufenthG, hilfsweise Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.
- 7
Die Beklagte hat beantragt,
- 8
die Klage abzuweisen.
- 9
Mit Gerichtsbescheid vom 23. April 2012 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter teilweiser Aufhebung ihres Bescheides vom 23. März 2011 verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG für den Kläger vorliegen.
- 10
Mit der vom Senat zugelassenen Berufung macht die Beklagte geltend, dass das Verwaltungsgericht für seine tragende Argumentation hinsichtlich der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft keine Referenzfälle benannt habe. Sie hat sich im Verlauf des Berufungsverfahrens verpflichtet festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG im Hinblick auf den Kläger vorliegt.
- 11
Die Beklagte beantragt,
- 12
die Klage unter Abänderung des Gerichtsbescheides des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 23. April 2012 abzuweisen.
- 13
Der Kläger beantragt,
- 14
die Berufung zurückzuweisen.
- 15
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Vorbringen der Beteiligten sowie auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten und auf die vom Senat in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
- 16
Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Der Kläger hat zu dem gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat einen Anspruch auf die Feststellung, dass in seiner Person die Voraussetzungen auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG vorliegen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
- 17
Maßgeblich für die Beurteilung, ob dem Kläger der Flüchtlingsstatus zuzuerkennen ist, sind § 3 Abs. 1 und 4 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798, zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.11.2011, BGBl. I S. 2258) sowie § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162, zuletzt geändert durch Gesetz vom 01.06.2012, BGBl. I S. 1224).
- 18
Nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf in Anwendung dieses Abkommens ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist.
- 19
Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorliegt, Art. 4 Abs. 4 und Art. 7 bis 10 derRichtlinie 2004/83/EG (sog. Qualifikationsrichtlinie, nachfolgend QRL) des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. Nr. L 304 S. 12) ergänzend anzuwenden. Wie nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist auch unionsrechtlich eine Verfolgungshandlung für die Flüchtlingsanerkennung nur dann von Bedeutung, wenn sie an einen der in Art. 10 QRL genannten Verfolgungsgründe anknüpft (Art. 9 Abs. 3 QRL). Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Antragsteller in einer Angelegenheit, die die in Art. 6 QRL genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob der Antragsteller aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist (Art. 10 Abs. 1 lit. e QRL). Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe reicht es aus, wenn diese Merkmale dem Antragsteller von seinem Verfolger lediglich zugeschrieben werden (Art. 10 Abs. 2 QRL). Die Qualifikationsrichtlinie hat sich insofern an dem aus dem angloamerikanischen Rechtsraum bekannten Auslegungsprinzip der „imputed political opinion“ orientiert, wonach es ausreicht, dass ein Verfolger seine Maßnahmen deshalb gegen den Antragsteller richtet, weil er davon ausgeht, dass dieser eine abweichende politische Überzeugung vertritt (vgl. Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, § 15 Rdnr. 26; Nachweise aus der Rechtsprechung bei UNHCR, „Auslegung von Artikel 1 des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“, 2001, Fußnote 54 zu Rdnr. 25). Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Asylgrundrecht des Art. 16a GG kann eine politische Verfolgung dann vorliegen, wenn staatliche Maßnahmen gegen - an sich unpolitische - Personen ergriffen werden, weil sie dem persönlichen Umfeld einer anderen Person zugerechnet werden, die ihrerseits Objekt politischer Verfolgung ist. Dienen diese Maßnahmen der Ausforschung der Verhältnisse des Dritten, so kann ihnen die Asylerheblichkeit nicht von vornherein mit dem Argument abgesprochen werden, sie seien nicht gegen die politische Überzeugung des Betroffenen gerichtet (BVerfG, Beschl. v. 28.01.1993 - 2 BvR 1803/92 -, juris).
- 20
Als Verfolgung im Sinne des Art. 1 A GFK gelten nach Art. 9 Abs. 1 QRL Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (lit. a) oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter lit. a) beschriebenen Weise betroffen ist (lit. b).
- 21
Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird, Art. 4 Abs. 4 QRL. Art. 4 Abs. 4 QRL ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht. Die Qualifikationsrichtlinie modifiziert diese - asylrechtliche - Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4. Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab bleibt unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 QRL erlitten hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, NVwZ 2011, 51; EuGH, Urteil v. 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - Abdulla -, NVwZ 2010, 505). Der in dem Tatbestandsmerkmal „... tatsächlich Gefahr liefe ...“ des Art. 2 lit. e QRL enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“; vgl. EGMR, Urt. v. 28.02.2008 - Nr. 37201/06 -, NVwZ 2008, 1330); dies entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.04.2010, a. a. O).Art. 4 Abs. 4 QRL privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (vgl. EuGH, Urt. v. 02.03.2010, a. a. O.). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.04.2010, a. a. O.).
- 22
Nach der Überzeugung des Senates ist der Kläger nicht im oben dargestellten Sinne vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Der die Flüchtlingsanerkennung Begehrende hat aufgrund seiner Mitwirkungspflicht seine Gründe für eine politische Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich - als wahr unterstellt - bei verständiger Würdigung die drohende Verfolgung ergibt (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.03.1987 - 9 C 321.85 -, NVwZ 1987, 701). Daher hat sich das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit - und nicht nur von der Wahrscheinlichkeit - des vom Schutzsuchenden behaupteten Sachverhalts zu verschaffen (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.04.1985 - 9 C 109.84 -, NVwZ 1985, 658). Für diese Überzeugungsbildung ist wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich ein Schutzsuchender bezüglich der Vorgänge in seinem Heimatland regelmäßig befindet, nicht die volle Beweiserhebung notwendig, sondern die Glaubhaftmachung ausreichend.
- 23
Der Kläger hat keine Vorverfolgung glaubhaft gemacht, da er unter Berücksichtigung und Würdigung seines gesamten Vorbringens bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt und dem erkennenden Senat keinen zusammenhängenden, in sich schlüssigen, im Wesentlichen widerspruchsfrei geschilderten Sachverhalt vorgetragen hat. Der Kläger hat bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt als wesentliches fluchtauslösendes Motiv die Verhaftung seines Bruders geschildert, aus der er den Schluss gezogen haben will, dass der syrische Staat auch seiner Person habhaft werden wolle. Diesen Umstand hat der Kläger bei der Anhörung in der mündlichen Verhandlung zu den Gründen seiner Ausreise nicht mehr erwähnt. Vielmehr hat er nunmehr bei seiner Anhörung vor dem Senat als maßgeblich ausgeführt, dass er aufgrund des Umstandes, dass er bei der anlässlich des Newroz-Festes durchgeführten Versammlung fotografiert worden sei, sich zur Ausreise entschlossen habe. Die Leute, die dort festgenommen worden seien, seien auch nach Jahren nicht mehr zurückgekehrt. Er habe befürchtet, dass ihm Gleiches widerfahre. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt hatte er eine mögliche Gefährdung wegen der Fertigung von Bildaufnahmen der Demonstration nicht erwähnt.
- 24
Unabhängig von einer Vorverfolgung muss aufgrund der aktuellen Situation in Syrien jedoch davon ausgegangen werden, dass der Kläger aus beachtlichen Nachfluchtgründen von Verfolgung im vorgenannten Sinne bedroht ist. Der Kläger ist wegen seiner illegalen Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung und seinem mehrjährigen Aufenthalt im Ausland von einer Verfolgung bedroht, wobei hinsichtlich der Personen, die die genannten Merkmale erfüllen, von einer drohenden „Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit“ auszugehen ist. Der Senat geht davon aus, dass diese Handlungen ungeachtet einer oppositionellen Haltung des Einzelnen bei Vorliegen der zuvor genannten Kriterien vom syrischen Staat generell und unterschiedslos als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung aufgefasst werden und der Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an seine tatsächliche oder jedenfalls vermutete politische Überzeugung mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen hat.
- 25
Die Vielfalt möglicher Verfolgungsgefährdungen verbietet es, die Zugehörigkeit zu einer gefährdeten Gruppe unberücksichtigt zu lassen, weil die Gefährdung unterhalb der Schwelle der Gruppenverfolgung liegt. Denn die Gefahr politischer Verfolgung, die sich für jemanden daraus ergibt, dass Dritte wegen eines Merkmals verfolgt werden, das auch er aufweist, kann von verschiedener Art sein: Der Verfolger kann von individuellen Merkmalen gänzlich absehen, seine Verfolgung vielmehr ausschließlich gegen die durch das gemeinsame Merkmal gekennzeichnete Gruppe als solche und damit grundsätzlich gegen alle Gruppenmitglieder betreiben. Dann handelt es sich um eine in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urt. v. 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237 m. w. N.) als Gruppenverfolgung bezeichnetes Verfolgungsgeschehen. Das Merkmal, das seinen Träger als Angehörigen einer missliebigen Gruppe ausweist, kann für den Verfolger aber auch nur ein Element in seinem Feindbild darstellen, das die Verfolgung erst bei Hinzutreten weiterer Umstände auslöst. Das vom Verfolgungsstaat zum Anlass für eine Verfolgung genommene Merkmal ist dann ein mehr oder minder deutlich im Vordergrund stehender, die Verfolgungsbetroffenheit des Opfers mitprägender Umstand, der für sich allein noch nicht die Annahme politischer Verfolgung jedes einzelnen Merkmalsträgers rechtfertigt, wohl aber bestimmter unter ihnen, etwa solcher, die durch weitere Besonderheiten in den Augen des Verfolgerstaates zusätzlich belastet sind. Löst die Zugehörigkeit zum Kreis der Vertreter einer bestimmten politischen Richtung, wie hier, nicht bei jedem Gruppenangehörigen unterschiedslos und ungeachtet sonstiger individueller Besonderheiten, sondern nur nach Maßgabe weiterer individueller Eigentümlichkeiten die Verfolgung des Einzelnen aus, so kann hiernach eine „Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit“ vorliegen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.02.1996 - 9 B 14.96 -, DVBl 1996, 623 m. w. N.).
- 26
Die Verfolgungsgefahr ist auch nicht unbeachtlich, weil sie (auch) auf dem eigenen Nachfluchtverhalten des Klägers beruht. Nach § 28 Abs. 1a AsylVfG kann eine Bedrohung nach § 60 Abs. 1 AufenthG auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Art. 5 Abs. 2 QRL, der mit § 28 Abs. 1a AsylVfG in deutsches Recht umgesetzt wird, besagt, dass die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auf Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftslandes beruhen kann, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während eines Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit keine Einschränkung. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung gemäß § 28 Abs. 1 AsylVfG - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen. Erst in dem (erfolglosen) Abschluss eines Erstverfahrens liegt eine entscheidende zeitliche Zäsur; für nach diesem Zeitpunkt selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (BVerwG, Urt. v. 18.12.2008 - 10 C 27.07 -, NVwZ 2009, 730).
- 27
Die dem Senat vorliegenden und ausgewerteten Erkenntnisse rechtfertigen den Schluss, dass für den Kläger aufgrund des Nachfluchtgeschehens mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr bei einer Rückkehr nach Syrien besteht. Dieser Schluss rechtfertigt sich aus mehreren Gründen, nämlich der Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, die umfassende Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste, die Eskalation der innenpolitischen Situation in Syrien seit März 2011 sowie dem Umgang der syrischen Behörden in Syrien insbesondere seit Beginn des Jahres 2012 mit Personen, die aus Sicht der syrischen Behörden verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen.
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Amnesty international (vgl. zum Nachfolgenden: Bericht „Menschenrechtskrise in Syrien erfordert Abschiebungsstopp und Aussetzung des Deutsch-Syrischen Rückübernahmeabkommens“ vom 14. März 2012) und der kurdische Informationsdienst KURDWATCH haben eine Reihe von Fällen dokumentiert, in denen seit 2009 abgelehnte syrische Asylbewerber nach ihrer Abschiebung (aus Deutschland und anderen europäischen Staaten) festgenommen und ohne Kontakt zur Außenwelt unter erheblicher Foltergefahr von den Geheimdiensten inhaftiert wurden.
- 29
Der syrische Kurde Berzani Karro wurde im Juni 2009 von den zypriotischen Behörden nach Syrien abgeschoben. Er hatte im Jahr 2006 in Zypern einen Asylantrag gestellt, der abgelehnt wurde. Berzani Karro wurde bei seiner Ankunft auf dem Flughafen in Damaskus festgenommen und vier Monate ohne Kontakt zur Außenwelt von den Geheimdiensten inhaftiert und offenbar misshandelt und gefoltert. Nach den Erkenntnissen von amnesty international war Karro bereits Anfang 2005 als Jugendlicher für zweieinhalb Monate u.a. in der Haftanstalt der „Palästinensischen Abteilung“ beim Militärischen Geheimdienst in Haft. Im März 2010 wurde Berzani Karro von einem Militärgericht zu einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt. Er wurde der „versuchten Abspaltung von syrischem Territorium und dessen Angliederung an einen anderen Staat“ für schuldig befunden.
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Ein weiterer Fall ist der am 1. September 2009 von deutschen Behörden nach Syrien abgeschobene abgelehnte kurdische Asylbewerber Khalid Kandschu. Zwei Wochen nach seiner Rückkehr wurde er bei der Vorsprache beim Geheimdienst festgenommen und drei Wochen lang ohne Kontakt zur Außenwelt inhaftiert, verhört und eigenen Angaben zufolge gefoltert und misshandelt. Im Rahmen seiner Verhöre wurden ihm auch Angaben aus seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorgehalten (KURDWATCH, Meldung vom 29.08.2010). Gegen Kandschu wurde Anklage wegen „Verbreitung falscher Informationen im Ausland“ gemäß § 287 des syrischen Strafgesetzbuches vor dem Militärgericht erhoben. Anfang 2010 wurde Kandschu vorläufig aus der Haft entlassen. Das Verfahren gegen ihn vor dem Militärgericht wurde fortgesetzt. Er wurde in Abwesenheit zu einer Haftstrafe von vier Monaten sowie einer geringfügigen Geldbuße verurteilt. Im Juli 2010 konnte Kandschu wieder in die Bundesrepublik einreisen und wurde als Asylberechtigter anerkannt.
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Amnesty international hat ferner den Fall des syrischen Kurden Abd al-Karim Hussein dokumentiert, der im August 2010 aus Norwegen abgeschoben wurde. Er wurde bei seiner Ankunft auf dem Flughafen Damaskus festgenommen. Abd al-Karim Hussein ist stellvertretender Direktor des Vereins syrischer Kurden in Norwegen, einer Nichtregierungsorganisation, die auf die Situation der kurdischen Minderheit in Syrien aufmerksam macht. Der an Diabetes erkrankte Hussein war zwei Wochen ohne Kontakt zur Außenwelt beim Geheimdienst in Damaskus inhaftiert. Berichten zufolge soll er bei der Haftentlassung aufgefordert worden sein, sich beim Geheimdienst in Aleppo zu melden, was ihn zur Flucht aus Syrien veranlasst hat.
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Nach einem weiteren von KURDWATCH dokumentierten Fall hatte die Ausländerbehörde Essen am 27. Juli 2010 eine sechsköpfige Familie nach Damaskus abschieben lassen. Hamza Hasan und Khalid Hasan wurden bei der Ankunft am Flughafen Damaskus von syrischen Sicherheitskräften festgenommen. Von den Abgeschobenen sind drei - Hamza, Mariam und Imad Hasan - in Deutschland geboren. Ihre Eltern hatten in Deutschland Asyl beantragt und dabei eine falsche Identität angegeben. Ursprünglich hatten sie behauptet, aus dem Libanon zu stammen und erst später ihre syrische Staatsangehörigkeit offenbart. Anscheinend wurden Hamza und Khalid Hasan festgenommen, da sie in Deutschland straffällig geworden waren. Unklar blieb, wer die syrischen Sicherheitskräfte über ihre Straffälligkeit informiert hat. Am 24. August 2010 wurde Hamza Hasan aus der Haft in Damaskus entlassen worden. Hasans Aussagen zufolge wurde er an drei unterschiedlichen Orten festgehalten - von welchen Sicherheitsorganen war für den in der Bundesrepublik geborenen Kurden nicht ersichtlich. Begründet wurde seine Festnahme damit, dass er in Deutschland wegen Diebstahls verurteilt worden sei und diese Strafe noch in Syrien ableisten müsse. Tatsächlich, so Hasan, sei die Strafe zur Bewährung ausgesetzt worden. Darüber hinaus sei ihm, ebenfalls unter Verweis auf seine aus Deutschland stammenden Akten, zu Unrecht Drogenabhängigkeit vorgeworfen worden (KURDWATCH, Meldung vom 7. September 2010).
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Nach seiner Abschiebung aus Dänemark wurde der staatenlose Kurde Amir Muhammad Dschan Ato am 15. November 2010 auf dem Flughafen Damaskus verhaftet. Ato war in Dänemark politisch aktiv (KURDWATCH, Meldung vom 21. November 2010).
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Mitglieder des Direktorats für politische Sicherheit in Syrien hatten am 4. Dezember 2010 Dschuan Yusuf Muhammad vorgeladen und festgenommen. Nach seiner Abschiebung aus Zypern im Juni 2010 hatte er am Flughafen Damaskus seinen Pass abgeben müssen. Es folgten mehrere Verhöre durch verschiedene Geheimdienste. In Zypern hatte Muhammad gemeinsam mit anderen kurdischen Flüchtlingen gegen seine Abschiebung demonstriert und an einem mehrtätigen Hungerstreik teilgenommen (KURDWATCH, Meldung vom 17.12.2010)
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Die Ausländerbehörde Hildesheim hatte am 1. Februar 2011 die registrierten Staatenlosen Badr Naso und seinen Sohn Anwar Naso nach Syrien abschieben lassen. Badr und Anwar Naso wurden unmittelbar nach ihrer Ankunft in Damaskus festgenommen und der Auswanderungs- und Passbehörde überstellt. Anwar Naso wurde vorgeworfen, unrichtige Angaben zu seinem Alter gemacht zu haben. Er wurde bei der Auswanderungs- und Passbehörde festgehalten, wo er auf eine Identitätsbescheinigung aus Al-Hassake warten musste. Sein Vater wurde zunächst dem Direktorat für politische Sicherheit vorgeführt und dort verhört. Badr Naso wurde am 13. Februar 2011, sein Sohn am 3. März 2011 freigelassen (KURDWATCH, Meldungen vom 13.02.2011, 26.02.2011 und 15.03.2011).
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Am 8. Februar 2011 wurde Annas Abdullah von Dänemark über Wien nach Syrien abgeschoben. Obgleich Dänemark zuvor die Rücknahme Abdullahs zugesichert worden war, erhielt er am Flughafen Damaskus die Information, er könne nicht einreisen, da es sich bei ihm nicht um einen syrischen Staatsangehörigen handele. Entweder, er verlasse das Land oder er werde inhaftiert, bis seine Identität geklärt sei. Die drei dänischen Beamten, die Abdullah begleiteten, hielten daraufhin Rücksprache mit der dänischen Botschaft und erhielten die Anweisung, noch am selben Tag mit Abdullah nach Kopenhagen zurückzufliegen. In diesem Moment wurde Abdullah von einem Geheimdienstmitarbeiter erkannt, der einen Beitrag des kurdischen Senders Roj-TV gesehen hatte, in dem der Kurde im September 2010 als Sprecher von Hungerstreikenden aufgetreten war. Der Geheimdienstmitarbeiter nahm Abdullah mit in sein Büro und warf ihm vor, im Ausland falsche Informationen über Syrien verbreitet zu haben. Abdullah leugnete dies und behauptete, es handele sich bei ihm um eine andere Person, es sei doch gerade festgestellt worden, dass er kein syrischer Staatangehöriger sei. Daraufhin, so Abdullah gegenüber KURDWATCH, sei er von dem Geheimdienstmitarbeiter massiv mit Kabeln auf den Rücken geschlagen und gezwungen worden, ein Papier zu unterschreiben, dass er nicht wieder nach Syrien einreisen werde. Schließlich wurde er entlassen und flog noch am selben Tag mit den dänischen Beamten nach Kopenhagen zurück. In Dänemark angekommen informierte Abdullah die dänische Polizei über die erlittene Folter, die durch entsprechende Spuren auf seinem Rücken belegt sind (KURDWATCH, Meldung vom 29.03.2011).
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Nach seiner Abschiebung nach Syrien wurde am 13. April 2011 Khalid Hamid Hamid am Flughafen Damaskus festgenommen. Er war am 12. April 2011 in Lebach festgenommen worden, als er bei der dortigen Ausländerbehörde seine Duldung verlängern lassen wollte. Hamid hatte im Jahr 2002 einen Asylantrag in Deutschland gestellt. Am 20. April 2011 wurde er in Damaskus aus der Haft entlassen. Nach seiner Abschiebung aus Deutschland war er eine Woche lang im Gefängnis der Fara Filastin, einer Abteilung des Militärischen Nachrichtendienstes, festgehalten worden. Dort war er zu seinen exilpolitischen Aktivitäten und zu in Deutschland lebenden Syrern verhört und dabei mit einer als „al kursi al almani“ („deutscher Stuhl“) bezeichneten Methode gefoltert worden, bei der das Opfer auf einem beweglichen Stuhl fixiert wird, der die Wirbelsäule nach hinten biegt (KURDWATCH, Meldungen vom 14.04.2011 und 28.04.2011).
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Ein weiteres gefahrbegründendes Moment besteht in dem Umstand, dass syrische Geheimdienste mit ihren Verbindungen zur syrischen Botschaft in der Bundesrepublik Deutschland über ein Agentennetz verfügen, mit dem die im Ausland lebenden Syrerinnen und Syrer flächendeckend überwacht werden. Seit Beginn des „arabischen Frühlings“ hat sich nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes die Aktivität des syrischen Geheimdienstes in der Bundesrepublik Deutschland intensiviert. In der syrischen Botschaft in Berlin, die auch als Legalresidentur für Spionageaktivitäten fungiere, seien hauptamtlich abgetarnte Nachrichtendienstler beschäftigt, die ein Agentennetz in Deutschland führen. Bei der Anwerbung von neuen Agenten würden auch Repressalien angewandt. In Syrien lebende Angehörige könnten dabei auch als Druckmittel missbraucht werden (Protokoll der Sitzung des Ausschusses für Verfassungsschutz des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 15. Februar 2012 zum Thema „Aktivitäten des syrischen Geheimdienstes in Berlin“, Seite 4 f.). Anfang Februar 2012 hat die Bundesregierung vier syrische Diplomaten ausgewiesen, die ihm Verdacht stehen, an Einschüchterungsversuchen gegen Oppositionelle beteiligt gewesen zu sein. Ebenfalls Anfang Februar 2012 sind ein Deutsch-Libanese und ein syrischer Staatsangehöriger unter dem Verdacht der geheimdienstlichen Agententätigkeit (§ 99 StGB) für die Arabische Republik Syrien aufgrund vom Bundesgerichtshof erlassener Haftbefehle in Untersuchungshaft genommen worden. Die beiden sollen intensiv an der Ausforschung Oppositioneller beteiligt gewesen sein. Bei Demonstrationen hätten sie Teilnehmer fotografiert sowie Bilder und andere Informationen nach Damaskus weitergeleitet (vgl. Zeit Online vom 09.02.2012: „Deutschland weist vier syrische Diplomaten aus“; Tagesspiegel vom 09.02.2012: „Mutmaßliche Spione forschten Syrer in Berlin aus“; Zeit Online vom 10.02.2012: „Worauf die Syrer in Deutschland hoffen“; FAZ vom 11.02.2012: „Assad sieht dich - Syrische Spione in Berlin“ und Abgeordnetenhaus Berlin,“; zur fortdauernden Beobachtung der syrischen Staatsangehörigen in der Bundesrepublik Deutschland: Dradio.de, Transkript eines Radioberichts vom 05.06.2012: „Warten im Niemandsland - Die syrische Opposition im Exil“). Hieran anschließend hat unter anderem das Innenministerium des Landes Sachsen-Anhalt mit Erlass vom 16. Februar 2012 die Ausländerbehörden aufgefordert, keinen Kontakt mehr mit syrischen Stellen zwecks Feststellung der Identität bzw. der Staatsangehörigkeit bei aus Syrien stammenden Ausländern aufzunehmen.
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Diese Einschätzung deutscher amtlicher Stellen über die umfassende Überwachung von im Ausland lebenden syrischen Staatsangehörigen durch im Ausland operierende syrische Geheimdienste deckt sich mit den Erkenntnissen von amnesty international. Im Ausland lebende Syrer werden systematisch von Angehörigen der syrischen Auslandsvertretungen oder anderen Personen im Auftrag der syrischen Regierung überwacht und eingeschüchtert. In einigen Fällen von im Ausland politisch aktiven Syrern wurden auch die in Syrien lebenden Familienangehörigen unter Druck gesetzt (vgl. auch Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 17.02.2012, S. 10).
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In einem Bericht von Anfang Oktober 2011 hat amnesty international exemplarisch 30 Fälle in acht Ländern - darunter auch Deutschland - dokumentiert („The long reach of the Mukhabaraat - violence and harassment against Syrians abroad and their relatives back home“), welche eine umfassende und systematische Überwachung der im Ausland lebenden Syrer belegen. Bereits objektiv vergleichsweise geringfügige Anlässe lösen Maßnahmen der syrischen staatlichen Stellen aus, welche sich auch gegen Familienangehörige in Syrien richten.
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So rief die in Chile lebende Syrerin Naima Darwish am 25. Februar 2011 auf ihrer Facebook-Seite zu einer Protestveranstaltung vor der syrischen Botschaft in Santiago auf. Nur zwei Stunden später erreichten sie Anrufe von Freunden, welche sie darüber unterrichteten, dass die syrische Botschaft versuche, ihre Telefonnummer in Erfahrung zu bringen. Zwei Tage nach dem Aufruf erhielt sie einen Anruf eines Botschaftsangehörigen, welcher sie aufforderte, in die Botschaft zu kommen. Nach dem dies durch Darwish abgelehnt wurde, fand ein Treffen außerhalb der Botschaft statt. Auf diesem Treffen wurde sie beleidigt und ihr damit gedroht, dass sie nicht mehr nach Syrien zurückkehren könne, wenn sie die oppositionellen Tätigkeiten fortsetze.
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Ferner wurde der Bruder des in Spanien lebenden Syrers Imad Mouhalhel, Aladdin, im Juli 2011 für vier Tage in Syrien inhaftiert. Nachdem Aladdin Mouhalhel offenbar gefoltert worden war, wurden ihm Fotos und Videos von Protesten vor der syrischen Botschaft in Spanien gezeigt und er wurde aufgefordert, seinen Bruder Imad unter den Teilnehmern der Demonstration zu identifizieren. Am 29. August 2011 wurde Aladdin erneut verhaftet und offenbar gezwungen, seinen Bruder Imad anzurufen und ihn aufzufordern, nicht mehr an den Protesten teilzunehmen. Imad und seine Familie haben seitdem kein Lebenszeichen von Aladdin erhalten.
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Malek Jandali, ein 38-jähriger Komponist und Pianist, war im Juli 2011 bei einer reformorientierten Versammlung vor dem Weißen Haus in Washington aufgetreten. Wenige Tage später wurden seine 66-jährige Mutter und sein 73 Jahre alter Vater in ihrem Haus in Homs von Sicherheitskräften angegriffen. Malek Jandali berichtete amnesty international, dass seine Eltern geschlagen und ins Badezimmer eingesperrt wurden, während ihre Wohnung von Agenten durchsucht und geplündert wurde. Man sagte ihnen, dies sei die Strafe dafür, dass sich ihr Sohn über die syrische Regierung lustig gemacht habe. Nach diesem Vorfall flüchteten seine Eltern aus Syrien.
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Einige Familien in Syrien wurden offenbar auch dazu gezwungen, ihre im Ausland lebenden Familienangehörigen öffentlich zu verleugnen. So wurde der Bruder der in Deutschland lebenden Sondos Sulaiman, die im Juni 2011 in einem Video bei YouTube zum Widerstand gegen den syrischen Präsidenten aufrief, im syrischen Staatsfernsehen gezeigt, wie er ihr Video denunzierte und sich abfällig über seine Schwester äußerte. Sondos Sulaiman ist davon überzeugt, dass ihr Bruder zu diesem Fernseh-Auftritt gezwungen wurde. Ihr war es seitdem nicht möglich, Kontakt zu ihrer Familie aufzunehmen, um herauszufinden, was mit ihnen, insbesondere mit ihrem Bruder, passiert ist.
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Ein weiteres gefahrbegründendes Element liegt in der innenpolitischen Eskalation der Lage in Syrien seit dem Frühjahr 2011. Ganz allgemein können die Ereignisse des „Arabischen Frühlings“ in anderen Ländern der Region als Anlass für die Demonstrationen in Syrien genannt werden (zur nachfolgend dargestellten Entwicklung in Syrien von Januar 2011 bis Januar 2012: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration, „Syrien“, Januar 2012).
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Am 17. März 2011 kam es erstmals zu schweren Zusammenstößen in der südsyrischen Stadt Daraa. Die Sicherheitskräfte gingen z. T. gewaltsam (mit scharfer Munition und Tränengas) gegen die Demonstrierenden vor und töteten dabei in Daraa mehrere Demonstranten. Die Demonstranten hatten u. a. ein Ende des Ausnahmezustandes, mehr Freiheiten, die Entlassung politischer Gefangener und eine Bekämpfung der Korruption gefordert. Tausende demonstrierten auch an den Folgetagen. Die Unruhen verbreiteten sich, auch aufgrund der gewaltsamen Reaktion des Regimes auf die Demonstrationen, in der Folgezeit landesweit (u. a. in Damaskus, Homs, Aleppo, Deir al-Zor, Banjas und anderen Städten), wobei die Stadt Daraa zunächst zum Brennpunkt der Unruhen wurde. Die Regierung reagierte auf die Demonstrationen auf der einen Seite mit brutaler Gewalt, versuchte auf der anderen Seite aber auch konziliante Töne anzuschlagen. Am 20. März 2011 wurden z. B. 15 inhaftierte Kinder freigelassen. Präsident Assad entließ auch den Gouverneur der Provinz Daraa wegen „krasser Fehler beim Umgang mit Protesten in der Region“. In der Folgezeit breiteten sich die Demonstrationen im ganzen Land aus (im Süden, in Damaskus, in der Hafenstadt Latakia, Tafas und in Homs), wobei es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten kam, bei denen es Tote und Verletzte gab. Die Protestbewegung, die sich auch mit Hilfe des Internetnetzwerkes Facebook organisierte, forderte u. a. demokratische Reformen, Aufhebung des Ausnahmezustandes, Achtung der Menschenrechte und freie Meinungsäußerung. Zahlreiche Verhaftungen wurden durchgeführt. Als Reaktion auf die landesweiten Unruhen wurden z. T. Reformen versprochen und das Kabinett des Ministerpräsidenten Naji Otri trat am 29. März 2011 zurück. Am 3. April 2011 beauftragte Präsident Assad den bisherigen Agrarminister, Adel Safar, mit der Bildung einer neuen Regierung. Um den Kurden in der gespannten Situation entgegen zu kommen, entschied Präsident Assad am 7. April 2011 mit Dekret 49/2011, dass die im Ausländerregister der Provinz Hassake eingetragenen Ausländer (ajanib) die Staatsbürgerschaft Syriens erhalten. Am 19. April 2011 beschloss die syrische Regierung die Aufhebung der seit 1963 geltenden Notstandsgesetze. Auch das Staatssicherheitsgericht wurde abgeschafft und ein Gesetz beschlossen, das friedliche Demonstrationen erlaubt.
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Trotz dieser Zugeständnisse gingen die Demonstrationen jedoch weiter und weiteten sich u. a. auch auf die Provinz Idlib und auf den kurdisch geprägten Nordosten aus. Den Druck auf die Opposition in Syrien lockerte die Führung in Damaskus nicht. Auch das gewaltsame Vorgehen des Regimes und seine Repressionsmaßnahmen hielten an. Im April 2011 verschärfte die syrische Regierung mit einem großen Militäreinsatz erneut ihr Vorgehen gegen Regimegegner.
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Armeeeinheiten stürmten am 25. April 2011 Daraa, wobei Artillerie und Scharfschützen beteiligt waren. Elektrizität und alle Kommunikationsmöglichkeiten in der Stadt wurden unterbrochen, die Bewegungsfreiheit dadurch eingeschränkt, dass Heckenschützen das Feuer auf jeden eröffneten, der versuchte sein Haus zu verlassen. Auch im Mai 2011 gingen die Proteste weiter, obwohl die größeren Städte und Protesthochburgen Banjas, Daraa und Homs abgeriegelt, Moscheen besetzt und zentrale Plätze abgesperrt worden waren. Die Armee weitete ihre Operationen entlang der Küstenlinie aus, Truppen zogen sich außer in den bereits genannten Städten z. B. auch in Hama oder in kleineren Dörfern zusammen. Kontrollstellen wurden eingerichtet, Strom, Wasser und Telefonleitungen wurden immer wieder abgeschaltet. Auch Mobiltelefone, Festnetz und Internet wurden sporadisch blockiert. Nachdem zunächst hauptsächlich am Freitagabend protestiert worden war, wurden die Demonstrationen auch auf andere Tage nach Sonnenuntergang verlegt. Mitte Mai 2011 kreisten schwer bewaffnete Sicherheitskräfte die Kleinstadt Tell Kalakh in der Nähe der libanesischen Grenze ein. Aus Angst versuchten viele Menschen in Richtung Libanon zu fliehen, darunter Familien, wobei sie von syrischen Kräften beschossen und zum Teil tödlich getroffen wurden. Ende Mai 2011 trat nach einem Erlass Assads eine Generalamnestie für alle politischen Gefangenen in Kraft, darunter auch für Angehörige der Muslimbruderschaft. Auch im Juni 2011 hielten die Unruhen und ihre gewaltsame Bekämpfung an. Während der ersten drei Monate der Proteste sollen mehr als 1.300 Personen getötet und ca. 10.000 - 12.000 verhaftet worden sein.
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Mitte Juni 2011 führte die syrische Armee Razzien in den grenznahen Dörfern durch und begann mit der Abriegelung von grenznahen Gebieten, um das Absetzen weiterer Flüchtlinge in die Türkei zu verhindern.
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In seiner dritten Rede an die Nation während der Krise schlug Präsident Assad am 20. Juni 2011 einen „nationalen Dialog“ vor und versprach Änderungen der Verfassung, ein neues Wahl- und Mehrparteiengesetz sowie Schritte gegen die Korruption. Die Aktivisten lehnten einen Dialog „mit Mördern“ ab, die Unruhen in Homs, Hama und Latakia, aber auch in den Vororten von Damaskus gingen weiter. An der Universität in Aleppo wurden mehr als 200 Studenten festgenommen. Angehörige des militärischen Geheimdienstes kontrollierten die Straßen. Der syrische Präsident setzte im Juni 2011 auch eine Generalamnestie in Kraft, die für alle vor dem 20. Juni begangenen Straftaten gelten sollte, so die amtliche syrische Nachrichtenagentur Sana. Streitkräfte des syrischen Regimes rückten am 23. Juni 2011 in Khirbet al-Jouz ein und weiter in Richtung der syrischen Grenzdörfer vor. Soldaten und Angehörige der Schabihha-Miliz sollen mit Namenslisten durch das Dorf gegangen und Häuser von Anti-Regime-Aktivisten zerstört haben. Als Anführer der Schabihha-Milizen gelten die Cousins des Präsidenten Assad, Fawaz und Munhir Assad; aus diesem Grund gehörten sie zu den ersten Regimeangehörigen, die von der Europäischen Union im Frühjahr 2011 mit Sanktionen belegt wurden. Die Miliz wird meist im „Windschatten“ der Streitkräfte aktiv; wenn ein Ort durch das Militär unterworfen wurde, plündert und mordet die Schabihha-Miliz im Anschluss daran. Sie richtet auch die Soldaten hin, die sich weigerten, auf die eigenen Bürger zu schießen. Sie rekrutieren sich aus Angehörigen der alawitischen Glaubensgemeinschaft.
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Am 30. Juni /1. Juli 2011 wurden erstmals aus Aleppo größere Proteste gemeldet, an denen über 1.000 Demonstranten teilgenommen haben sollen. Es kam zu zahlreichen Festnahmen. Am 01. Juli 2011 sollen sich in Hama bis zu 300.000 oder sogar 500.000 Demonstranten getroffen haben. Die Sicherheitskräfte griffen zunächst nicht an, sondern beschränkten sich darauf, Checkpoints zu errichten und die Zugänge zur Stadt zu kontrollieren. Am 04. Juli 2011 kamen 30 Busse mit regimetreuen Milizionären, die 250 Menschen verhaftet und drei erschossen haben sollen; Panzer bildeten einen Belagerungsring um die Stadt. Präsident Assad erließ weitere personelle Maßnahmen, so entließ er am 2. Juli 2011 den Gouverneur der Provinz Hama, nachdem bereits die Gouverneure in den Provinzen Daraa und Homs hatten gehen müssen. Am 08. Juli 2011 demonstrierten in mehreren Städten Syriens (u.a. in Hama und Damaskus) erneut Hunderttausende, wobei mindestens 15 Personen erschossen worden sein sollen, rund 200 Menschen sollen an dem Wochenende verhaftet worden sein.
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Am 22. Juli 2011 und dem nachfolgenden Wochenende setzten sich die Demonstrationen fort; in Damaskus, Homs und Hama gingen Hunderttausende auf die Straße und wurden von den Truppen bekämpft. In Damaskus soll die Armee in einigen Stadtteilen Straßensperren errichtet haben, Hunderte sollen festgenommen worden sein. In Hama sollen 650.000 Menschen demonstriert haben, in Deir al-Zor ca. eine halbe Million, auch in Latakia, Homs, Daraa, Vororten von Damaskus und in zahlreichen kurdischen Orten sollen große Proteste stattgefunden haben. In Homs sollen vom 18. Juli bis 23. Juli 2011 durch Beschuss von Wohnvierteln und Scharfschützen auf den Dächern mindestens 50 Personen getötet worden sein. Auch in den Kurdengebieten soll es Auseinandersetzungen gegeben haben. Präsident Assad kündigte ein Mehrparteiensystem an, die Parteiprogramme dürften jedoch keine Sonderstellung einzelner Religionsgruppen oder Ethnien beinhalten.
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Nachdem die Stadt fast einen Monat belagert worden war, begannen am Morgen des 31. Juli 2011 syrische Truppen mit einer Militäroffensive gegen die Stadt Hama. Spezialisten kappten zunächst die Strom- und Wasserversorgung, danach sollen Panzer in Wohngebieten und Scharfschützen auf Dächern nach Augenzeugenberichten auf alles gefeuert haben, was sich bewegte. Auch in anderen Landesteilen kam es zu Angriffen mit Panzern, u. a. in Harak, in der südlichen Provinz Daraa, in Deir al-Zor und einem Vorort von Damaskus, landesweit soll es mindestens 140 Tote gegeben haben. Der syrische Präsident Assad verteidigte das Vorgehen als Reaktion auf eine Verschwörung mit dem Ziel der Zerschlagung Syriens.
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Die syrische Regierung erließ laut Meldung vom 25. Juli 2011 ein neues Parteiengesetz, das die freie Gründung von politischen Parteien gestattet, wenn sie sich nicht auf konfessioneller, ethnischer, clanmäßiger, regionaler oder berufsständischer Grundlage befinden. Neue Parteien, die mindestens 1.000 Mitglieder haben müssen, müssen die geltende Verfassung (und damit die „führende Rolle“ der Baath-Partei) respektieren und die Gründung muss von einem Komitee des Justizministeriums genehmigt werden. Auch Wahlgesetze wurden im August 2011 in Kraft gesetzt. Die Opposition lehnte die Gesetze jedoch ab und forderte weiterhin den Rücktritt des Präsidenten und echte politische Reformen in Syrien. Seit Beginn des Fastenmonats Ramadan am 01. August 2011 verstärkte der syrische Präsident die Offensive gegen Regimegegner, wobei es täglich zu weiteren Demonstrationen kam, in deren Verlauf es jeweils zu zahlreichen Todesopfern kam. Am 14. August 2011 griffen syrische Sicherheitskräfte von Kanonenbooten aus mehrere Bezirke der Stadt Latakia an, gleichzeitig stürmten Bodentruppen einige Viertel der Stadt. Mindestens 26 Zivilisten sollen dabei nach Angaben der Syrischen Nationalen Organisation für Menschenrechte getötet worden sein, darunter eine Zweijährige. Angegriffen wurde auch ein Viertel mit einem palästinensischen Flüchtlingslager, aus dem Tausende flohen. Am 20. August 2011 rückte die syrische Armee erneut in Homs ein, obwohl der syrische Präsident dem UN-Generalsekretär Ban Ki Moon gegenüber am 18. August 2011 versichert hatte, die Militäroffensive sei beendet. Am 21. August 2011 lehnte Präsident Assad Rücktrittsforderungen ab und warnte vor einer ausländischen Intervention. Er kündigte eine Verfassungsreform und Neuwahlen im Februar 2012 an.
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Nach UN-Informationen sollen seit Beginn der Proteste gegen das Assad-Regime im März bis Anfang September 2011 2.600 Menschen getötet worden sein, die meisten von ihnen friedliche Demonstranten. Nach Angaben der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte sollen außerdem mehr als 70.000 Menschen festgenommen worden sein, von denen zum damaligen Zeitpunkt noch 15.000 in Haft gewesen seien.
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Nach der Ermordung des bekannten kurdischen Oppositionspolitikers Mishaal Tammo am 7. Oktober 2011 nahmen an seinem Trauerzug am 08. Oktober 2011 in Qamishli ca. 50.000 Personen teil, so viele wie nie zuvor in den kurdischen Regionen in Syrien. Syrische Sicherheitskräfte sollen in die Menge gefeuert haben, mindestens zwei Personen sollen getötet worden sein. Für die Ermordung Tammos wurde von Beobachtern das syrische Regime verantwortlich gemacht. Aufgrund der Ermordung Tammos wurden am Wochenende (08.10./09.10.2011) syrische Botschaften im Ausland angegriffen, u.a. in London, Berlin und Wien, wobei erheblicher Sachschaden entstand. Auch die syrische UNO-Mission in Genf wurde am 08. Oktober 2011 von kurdischen Syrern attackiert, es kam zu fünf Festnahmen. In Berlin stürmten rund 30 Demonstranten die Botschaft, in Wien wurden elf Personen festgenommen. Auch das Gebäude des syrischen Honorarkonsulats in Hamburg wurde in der Nacht zum 09. Oktober 2011 von 30 Regimegegnern gestürmt.
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Am 27. Oktober 2011 begann die syrische Armee damit, an der Grenze zum Libanon in der Provinz Homs und in mindestens einem weiteren Landesteil Minen zu verlegen. Die syrischen Behörden gaben an, den Waffenschmuggel aus dem Libanon damit eindämmen zu wollen, während es auch als Zeichen dafür gewertet werden kann, dass die syrische Regierung verhindern wollte, dass der Libanon ein Rückzugsgebiet für die syrische Opposition wird. Obwohl die syrische Regierung dem Friedensplan der Arabischen Liga, der u. a. den Rückzug des Militärs aus den syrischen Städten und die Freilassung aller politischen Gefangenen vorsieht, am 2. November 2011 zugestimmt hatte, wurde von den syrischen Truppen weiterhin mit Gewalt gegen Aktivisten vorgegangen. Soldaten feuerten auf Gläubige, die zu Beginn des Opferfestes die Moscheen verließen, um gegen das syrische Regime zu protestieren. Besonders betroffen war der Norden des Landes.
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Nach der Zustimmung Syriens zum Friedensplan der Arabischen Liga am 2. November 2011 verschärfte das Regime sein Vorgehen gegen die Demonstranten. Im Anschluss sollen innerhalb von zwei Wochen mehr als 250 Menschen getötet worden sein, allein in Homs über 104. Es wurde befürchtet, dass der November 2011 zum „blutigsten Monat“ seit Beginn der Proteste im März werden könnte. Die Anzahl der bei den Unruhen Getöteten soll Anfang November nach Schätzungen der Vereinten Nationen bei mehr als 3.500 Personen gelegen haben. Am 2. Dezember 2011 untersagte die syrische Regierung den Bürgern die Nutzung von iPhone-Mobiltelefonen, um zu verhindern, dass Videos ins Internet gestellt werden.
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Ein Aufruf zum Generalstreik am 11. Dezember 2011, mit dem die Opposition in Syrien den Druck auf das Regime verstärken wollte, soll in vielen Städten befolgt worden sein, u. a. blieben in den Provinzen Daraa und Idlib und in den Städten Homs und Harasta viele Geschäfte geschlossen. Es soll Gefechte in Idlib und Daraa gegeben haben. Die Opposition forderte auch zu einem Boykott der für den 12. Dezember 2011 geplanten Kommunalwahlen auf. Am 12. Dezember 2011 gab die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Pillay an, dass durch das gewaltsame Vorgehen der syrischen Regierung die Zahl der ums Leben gekommenen Personen auf mehr als 5.000, darunter mindestens 300 Kinder, angewachsen sei.
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Bei zwei Selbstmordanschlägen in der Hauptstadt Damaskus wurden am 23.Dezember 2011 nach offiziellen Angaben 44 Menschen getötet und 166 verletzt. Die Sicherheitskräfte begannen mit einer groß angelegten Suche nach den Tätern. Es kam zu zahlreichen Verhaftungen. Die Regierung erklärte, dass es sich bei den Unruhen im Land nicht um einen Volksaufstand, sondern um das Werk von Terroristen handele.
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Die Arabische Liga entsandte eine erste offizielle Beobachtermission mit zunächst mehr als 50 Beobachtern am 26. Dezember 2011 nach Syrien.
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In einer Rede am 10. Januar 2012 stellte der syrische Präsident Assad erneut Reformen in Aussicht, u. a. kündigte er für März ein Referendum über eine neue Verfassung an, und führte die Proteste im Land auf eine „internationale Verschwörung“ und auf ausländische Einmischung zurück. Er kritisierte auch die Arabische Liga und die Golfstaaten. Nach dem öffentlichen Auftritt Assads nahmen die Kämpfe zwischen Sicherheitskräften und Regimegegnern zu. Am 15. Januar 2012 erließ Präsident Assad eine Generalamnestie für die seit Beginn der Protestwelle begangenen Straftaten, von der friedliche Demonstranten, inhaftierte Besitzer nicht registrierter Waffen, diejenigen, die ihre Waffen bis Ende Januar abgeben, und Deserteure betroffen sein sollen, die sich bis Ende Januar selbst stellen.
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Ende Januar 2012 unterbrach die Arabische Liga nach etwas über einem Monat ihre Beobachtermission in Syrien, deren erklärtes Ziel die Beendigung der Gewalt im Land war. Mitglieder der Mission gaben unterschiedliche Einschätzungen der Lage in Syrien ab, einige beendeten ihre Teilnahme sogar vorzeitig (Zeit Online vom 30.01.2012).
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Ein weiterer Versuch, im UN-Sicherheitsrat eine Resolution zur Verurteilung der Gewalt in Syrien zu verabschieden, scheiterte bei der Abstimmung am 4. Februar 2012 am Veto Russlands und Chinas. Der Resolutionsentwurf war zuvor schon abgeschwächt worden, um ein Veto zu verhindern. Westliche Staaten und der oppositionelle Syrische Nationalrat verurteilten das Verhalten der beiden Vetomächte scharf (Zeit Online vom 04.02.2012).
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Der 4. Februar 2012 wurde zudem zu einem der bisher blutigsten Tage in Syrien, als die syrische Armee die Stadt Homs bombardierte. Nach verschiedenen Angaben von Aktivisten wurden dabei 55 – 200 Menschen getötet. Seit dem 4. Februar 2012 befand sich die Stadt unter kontinuierlicher Bombardierung (Zeit Online vom 08.02.2012).
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Nach der ersten Beobachtermission der Arabischen Liga trat deren Leiter General al-Dabi am 12. Februar 2012 zurück. In seinen Berichten über die Arbeit der Beobachter in Syrien hatte er die erfolgreiche Mitarbeit der syrischen Behörden gelobt und darauf verwiesen, dass bewaffnete Extremisten und Söldner gegen die syrischen Militärs vorgingen (Zeit Online vom 12.02.2012).
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Am 15. Februar 2012 kündigte die syrische Regierung ein Verfassungsreferendum für den 26. Februar 2012 an. Die neue Verfassung solle die Gründung von Parteien vereinfachen. Gleichzeitig bombardierte die Regierung nach Angaben von Oppositionellen die Stadt Homs. In Damaskus kam es am 18. Februar 2012 zu einer großen Demonstration, die sich aus einem Begräbnis von Toten des Vortages entwickelte. Es handelte sich um eine der größten Demonstrationen in Damaskus seit Beginn des Aufstandes. Auch diese Demonstration wurde durch Sicherheitskräfte beschossen (Zeit Online vom 19.02.2012).
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Am 24. Februar 2012 wurde bekanntgegeben, dass der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan von den Vereinten Nationen und der Arabischen Liga zum Sondergesandten für Syrien ernannt wurde, der zwischen den Oppositionellen und der Regierung vermitteln soll. Am selben Tag erhielten Nothelfer des Roten Kreuzes und des Roten Halbmonds erstmals Zugang nach Homs, um Verletzte sowie Frauen und Kinder zu versorgen bzw. zu evakuieren. Die Rettungseinsätze wurden am 26. Februar 2012 - nach erfolglosen Verhandlungen über einen sicheren Korridor zur Evakuierung von Verletzten aus Homs - wieder eingestellt (Zeit Online vom 29.02.2012).
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Das nur 10 Tage zuvor angekündigte Referendum über eine neue Verfassung fand am 26. Februar 2012 statt. Die Opposition hatte zuvor zum Boykott des Referendums aufgerufen (Zeit Online vom 27.02.2012).
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Erstmals wurden auch Flüchtlinge auf türkischen Boden nahe der Grenze von syrischen Soldaten getötet (Zeit Online vom 09.04.2012). Am 21. April 2012 sprach sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in der Resolution 2043 einstimmig dafür aus, die Zahl der Beobachter von 30 auf 300 zu erhöhen. Diese sollten jedoch erst nach Syrien reisen, wenn UN-Generalsekretär Ban Ki Moon die Waffenruhe als hinreichend stabil bewertet. Bei den Beobachtern im Rahmen der United Nations Supervision Mission in Syria (UNSMIS) handelt es sich durchweg um unbewaffnete Soldaten, die den Waffenstillstand zwischen den Truppen Assads und den Oppositionellen überwachen sollen. Zuvor hatten in der ersten Feuerpause seit mehreren Wochen internationale Beobachter die Stadt Homs besucht (Zeit Online vom 21.04.2012).
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Ungeachtet der Entsendung der UN-Beobachter kam es zu Bombenanschlägen in Aleppo und Damaskus. Bei einer Doppelexplosion in der Hauptstadt Damaskus starben am 10. Mai 2012 70 Menschen. Es war der schwerste Anschlag seit dem Ausbruch der Proteste im März 2011 (Zeit Online vom 10.05.2012).
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Nachdem es am 25. Mai 2012 zunächst zu Schusswechseln zwischen Regierungstruppen und Aufständischen gekommen war, beschossen die Truppen des Regimes die Siedlung Taldo bei Hula in der Provinz Homs mit Artillerie. UN-Beobachter bestätigten den Tod von 116 Menschen, darunter mindestens 32 Kinder, sowie die Zahl von etwa 300 Verletzten. Syriens Regierung wies Beschuldigungen zurück, dass das Massaker von der Armee verübt worden sei. Das syrische Außenministerium gab an, „Hunderte von Kämpfern“ hätten angegriffen und dabei „schwere Waffen wie Granatwerfer, Maschinengewehre und Panzerabwehrraketen verwendet, die seit Neuestem in der Konfrontation mit den staatlichen Sicherheitskräften eingesetzt“ würden (Zeit Online vom 26.05. und 28.05.2012).
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Am 29. Mai 2012 wiesen mehrere Staaten, darunter Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien und die Vereinigten Staaten den jeweils ranghöchsten syrischen Diplomaten aus Protest gegen das Massaker in Hula aus (Zeit Online vom 29.05.2012).
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Am 3. Juni 2012 sprach Assad erstmals nach dem Massaker von Hula vor dem syrischen Parlament. Er sagte Syrien befinde sich in einem echten Krieg und er würde die „Schlacht gegen Terroristen“ fortsetzen. Als Reaktion auf die Ausweisung syrischer Diplomaten aus zahlreichen Staaten Ende Mai wurden zahlreiche westliche Diplomaten am 5. Juni 2012 des Landes verwiesen (Zeit Online vom 03.06 und 05.06.2012).
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Am 7. Juni 2012 berichteten Oppositionsgruppen über ein Massaker im Dorf Al-Kobir welches sich in der Provinz Hama befindet. UN-Beobachter, die sich auf dem Weg nach Al-Kobir befanden, wurde die Weiterfahrt seitens der Regierungstruppen untersagt. Berichten zufolge gerieten sie unter Beschuss (Zeit Online vom 07.06.2012). Aufgrund der anhaltenden Gewalt wurde die UN-Beobachtermission am 16. Juni 2012 ausgesetzt (Zeit Online vom 16.06.2012).
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Anfang Juli 2012 hat der syrische Präsident neue sog. Anti-Terror-Gesetze erlassen. Gründer oder Führer einer terroristischen Vereinigung müssen demnach mit bis zu 20 Jahren Zwangsarbeit rechnen. Die Strafe könne aber noch härter ausfallen, sollte es das Ziel sein, die Regierung oder die Staatsform zu ändern, hieß es. Mitgliedern einer Terrorgruppe drohen bis zu sieben Jahre Haft. Werden bei den begangenen Taten Menschen verletzt oder getötet, kann zudem die Todesstrafe verhängt werden. Die Unterstützung von Terrorgruppen mit Geld, Waffen oder Kommunikationsmitteln kann mit bis zu 20 Jahren Haft bestraft werden (Zeit Online vom 02.07.2012).
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Ein weiteres, eine Verfolgungsgefahr begründendes Moment ist darin zu sehen, dass die syrischen Behörden insbesondere seit Beginn des Jahres 2012 vergleichsweise geringfügige Umstände ausreichen lassen, damit ein Betroffener in den Verdacht einer oppositionellen Haltung gerät und damit der reellen Gefahr von Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des Artikel 9 QRL ausgesetzt ist.
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So heißt es schon in dem Ad-hoc-Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 17. Februar 2012, dass Oppositionsgruppen im Jahr 2011 mehrfach Anträge zur Genehmigung von Mahnwachen gestellt haben, die mit einer Ausnahme sämtlich abgelehnt worden seien. Demonstrationen der Opposition werden grundsätzlich nicht genehmigt. Vielmehr werden Demonstrationen, die sich gegen das Regime richten, gewaltsam von staatlicher Seite bekämpft, d.h. Sicherheitskräfte und Schabihha-Milizen gehen mit Schlag- und Schusswaffen gegen Demonstranten vor. Regelmäßig werden auch Scharfschützen eingesetzt, die wahllos auf Menschen schießen. Glaubhaften Informationen syrischer Menschenrechtsverteidiger zufolge komme es auch zur Gewaltanwendung durch Sicherheitskräfte und staatlich organisierte Milizen gegen Teilnehmer von Beerdigungszügen für Opfer staatlicher Gewalt. In den letzten Monaten haben zahlreiche Akteure der Zivilgesellschaft und des Menschenrechtsbereiches zu ihrem eigenen Schutz auf legalem oder illegalem Weg auf Grund der Bedrohungslage Syrien verlassen. Unliebsame öffentliche Äußerungen werden auf Grundlage des Strafgesetzes verfolgt (insbesondere nach Art. 285 und 286, die „Propaganda zur Schwächung nationaler Gefühle“ bzw. das „Verbreiten falscher Informationen“ unter Strafe stellen). Im Sommer 2011 wurde ein neues Mediengesetz erlassen, das das syrische Pressegesetz von 2001 ersetzt. In dem neuen Gesetz wird das Recht des Bürgers auf Information anerkannt und die Reichweite der Zensur eingeschränkt. Allerdings werden die Medienvertreter zur „wahrheitsgemäßen Berichterstattung“ verpflichtet. Faktisch habe sich nach Auffassung des Auswärtigen Amtes die Pressefreiheit jedoch nicht verbessert. Der Raum für Meinungs- und Pressefreiheit habe sich in den letzten Monaten vielmehr stark verringert: Filmemacher, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger und „citizen journalists“, die über die Aktivitäten der Opposition, die Anti-Regime-Demonstrationen sowie die staatliche Repression zu berichten versuchen, werden verfolgt, festgenommen, angegriffen oder sogar ermordet. Unter Menschenrechtsverteidigern ist der Eindruck verbreitet, dass das Regime mit besonderer Härte gegen diejenigen Personen vorgehe, denen nachgewiesen werden könne, dass sie Informationen über die Lage im Land an ausländische Medien weitergeben würden. In den letzten zehn Monaten (von Februar 2012 an gerechnet) sind zahlreiche Journalisten in Syrien inhaftiert und mehrere Medienvertreter getötet worden. Internetnutzung wird mit ausgefeilter Software überwacht und reguliert. In Regionen und Stadtteilen, in denen Operationen von Sicherheit und Militär liefen, werden Internet- und Telekommunikationsverbindungen oft tagelang abgestellt. In dem Lagebericht wird ausgeführt, dass obwohl die syrische Verfassung und das syrische Strafrecht Folter verbiete und Syrien das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 ratifiziert hat, Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste systematisch Gewalt anwenden. Die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung sei nach Auffassung des Auswärtigen Amtes in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste, zu denen weder Anwälte noch Familienangehörige Zugang haben, als besonders hoch einzustufen. Personen, die unter dem Verdacht oppositioneller Umtriebe stehen, sind ebenfalls einem hohen Folterrisiko ausgesetzt. Seit März 2011 sind zahlreiche Fälle von Tötungen im Gewahrsam der Sicherheitsdienste belegt. Offizielle Angaben zu Todesfällen in Folge von Gewaltanwendung in syrischen Haftanstalten gibt es nicht. Es bestehen nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes keine Möglichkeiten einer effektiven strafrechtlichen Verfolgung von Folter oder anderen kriminellen Handlungen durch Sicherheitskräfte. Bereits vor März 2011 habe es Hinweise dafür gegeben, dass Personen, die sich über die Behandlung durch Sicherheitskräfte beschwerten, Gefahr liefen, dafür strafrechtlich verfolgt zu werden. Vieles deutet nach Auffassung des Auswärtigen Amtes darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste und die Schabihha-Miliz vom Regime eine Art „carte blanche“ erhalten hätten.
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Amnesty international hat in dem Bericht vom 14. Juni 2012 („Deadly Reprisals: Deliberate killings and other abuses by Syria´s armed forces“) nicht nur die zunehmend massiver werdende Anwendung von militärischer Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung, sondern auch bestimmte Muster von politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen geschildert. Die Maßnahmen der syrischen Armee und der regimetreuen Milizen richten sich in erster Linie gegen Ortschaften, in denen aus Sicht der Regierung oppositionelle Personen leben oder dies nur vermutet wird. Die Aktionen beginnen in der Regel so, dass zunächst mit Artillerie und Gewehrfeuer in die Orte geschossen wird. Ist aus Sicht der Regierungseinheiten nicht mehr mit nennenswertem Widerstand zu rechnen, gehen reguläre Soldaten und Milizionäre von Haus zu Haus, brennen die Häuser nieder und töten häufig wahllos die Einwohner. Nach Einschätzung der Regierungstruppen ist allein der Umstand, dass Personen in einem Ort leben, in denen Oppositionelle vermutet werden, Grund für eine willkürliche Verhaftung oder Ermordung (S. 9 und 11 f. des Berichts). Anlass für Verhaftung und Ermordung kann auch das Tragen von Kleidungsstücken sein, welche aus Sicht der Regierungseinheiten bevorzugt von den bewaffneten Oppositionsgruppen getragen werden (Bericht, S. 17).
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Auch in dem Bericht des United Nations High Commissioner for Human Rights (Bericht zur Lage in Syrien vom 24. Mai 2012) wird geschildert, dass Anknüpfungspunkt für eine auf der Vermutung der oppositionellen Haltung beruhende Verhaftung, Folter und Bestrafung bereits der Umstand sein kann, dass eine Person in unmittelbarer Nachbarschaft oder in einem Ort lebt, in dem sich Personen aufhalten sollen, die gegen die syrische Regierung eingestellt sind (dort Randziffer 10). Ferner wird in dem Bericht der Fall eines Mannes geschildert, der allein aufgrund des Umstandes, dass er eine größere Menge Geld besaß, unter dem Verdacht der oppositionellen Haltung und des Waffenschmuggels zugunsten der bewaffneten Rebellengruppierungen festgenommen und gefoltert wurde (dort Randziffer 13).
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Human Rights Watch schildert bereits in seinem im Dezember 2011 erschienenen Bericht „By all means necessary!“ die Verhaftung und Folter von Rechtsanwälten und Journalisten, welche die Proteste unterstützen, aber auch von Ärzten und Pflegepersonal, welche verdächtigt wurden, verletzte Demonstrationen in Privathäusern oder provisorischen Feldlazaretten versorgt zu haben (Bericht S. 16 und 51). Ausreichend für eine Verhaftung und anschließende Foltermaßnahmen in der Region Hama waren bereits „verdächtige Blicke“ und „freche“ Antworten gegenüber Soldaten (Bericht S. 45).
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In dem im Juli 2012 erschienenen Bericht von Human Rights Watch „Torture Archipelago“ wird anhand einer Vielzahl von Einzelbeispielen ausgeführt, dass Ziel der Folter in den z. T. provisorischen Hafteinrichtungen der staatlichen Stellen nicht die Gewinnung von Informationen, sondern die Einschüchterung und Bestrafung von als illoyal gegenüber der syrischen Regierung angesehenen Personen ist. Auch in diesem Bericht werden im Grunde belanglose Handlungen und Äußerungen von Inhaftierten geschildert, welche jeweils Foltermaßnahmen nach sich gezogen haben. So wird der Fall eines in Idlib Verhafteten geschildert, welcher in einem Verhör die bei den Demonstrationen Getöteten als „Märtyrer“ bezeichnet hatte und daraufhin Elektroschocks erhielt. Diese Maßnahme wurde erst eingestellt, nachdem er erklärt hatte, dass er die Getöteten nicht mehr als Märtyrer, sondern nur noch als tote Personen bezeichnen werde.
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Der Senat geht bei einer Gesamtschau davon aus, dass der syrische Staat infolge einer sämtliche Lebensbereiche umfassenden autoritären Struktur und seiner totalitären Ausrichtung in so hohem Maße unduldsam ist, dass er schon im Grunde belanglose Handlungen wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und den langjährigen Aufenthalt im Ausland als Ausdruck einer von seiner Ideologie abweichenden illoyalen Gesinnung ansieht und zum Anlass von Verfolgungsmaßnahmen nimmt.
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Der Auffassung der Beklagten, eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer politischen Verfolgung allein wegen der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung und des längeren Aufenthalts im Ausland könne bei der erforderlichen Anwendung der anzuwendenden Maßstäbe mangels Referenzfällen nicht festgestellt werden, berücksichtigt nicht hinreichend die aktuelle Situation seit Erlass des Abschiebungsstopps im Frühjahr 2011. Wenn Asylsuchende abgeschoben würden, wäre tatsächlich die Häufigkeit von Verfolgungsmaßnahmen in Syrien allein anknüpfend an die vorgenannten Aspekte nach den oben dargestellten Kriterien für die Feststellung einer Verfolgungswahrscheinlichkeit zu ermitteln. Die Beklagte selbst hat jedoch in Reaktion auf die eskalierende Lage in Syrien die Möglichkeit der Feststellung solcher Referenzfälle verhindert, indem sie mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 28. April 2011 an die Länderinnenverwaltungen geraten hat, von Abschiebungen nach Syrien vorläufig abzusehen. Sonstige Erkenntnismöglichkeiten zur Frage der Behandlung von Rückkehrern durch Auskünfte anderer Stellen sieht die Beklagte offenkundig auch nicht. Ebenso bestätigt das Auswärtige Amt, dass wegen fehlender Rückführungen keine aktuellen Erfahrungswerte bezüglich eines etwaigen Verhaltens der syrischen Sicherheitsbehörden gegenüber zurückgeführten abgelehnten Asylbewerbern vorliegen (Auswärtiges Amt, Stellungnahme gegenüber dem Verwaltungsgericht Augsburg vom 02.11.2011). Die Gefahrendichte ist also nicht mangels hinreichender Referenzfälle zu verneinen, vielmehr kann sie nur nicht durch Referenzfälle nachgewiesen werden, weil die deutschen wie auch andere europäische Behörden Abschiebungen nach Syrien zur Zeit nicht vornehmen (so ausdrücklich zur Gefahr der Folter im Rahmen von Verhören: OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, juris). Der Senat hat daher auf der Basis der vorgenannten Erkenntnisse und allgemeinkundigen Tatsachen festgestellt, dass eine flüchtlingsrechtlich relevante Gefahrendichte gegeben ist und insofern die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung für den Kläger besteht.
- 85
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83 b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
- 86
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 VwGO) sind nicht gegeben.
Tenor
Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 29.08.2012 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass beim Kläger im Hinblick auf die Arabische Republik Syrien die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
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Gründe
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Tenor
I.
Die Beklagte wird unter Aufhebung der Nr. 2 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
Gründe
Tenor
Soweit der Kläger die Klage hinsichtlich der Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a GG zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18.07.2014 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Beklagte und der Kläger je zur Hälfte.
1
T a t b e s t a n d
2Der am 00.00.0000 geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger. Am 03.06.2014 wurde er auf der BAB A 3 durch die Bundespolizei Passau aufgegriffen und in die JVA Mühldorf eingeliefert. Eine Eurodac-Recherche ergab einen Treffer für Bulgarien. Nach seinen Angaben im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung bei der Bundespolizei befand sich der Kläger seit dem 22.05.2014 in Bulgarien in einem Asylverfahren.
3Am 05.06.2014 ersuchte das Bundesamt Bulgarien gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b) der Dublin III-VO um Wiederaufnahme des Klägers. Mit Schreiben vom 09.06.2014 stimmte Bulgarien dem Ersuchen zu. Mit Bescheid vom 11.06.2014 ordnete die Beklagte darauf die Abschiebung nach Bulgarien an. Der Bescheid wurde am 12.06.2014 zwecks Zustellung an den Kläger zur Post gegeben.
4Mit Beschluss vom 11.06.2014 wies das Amtsgericht Mühldorf den Antrag der Bundespolizei zur Sicherung der Zurückschiebung zurück und ordnete die umgehende Haftentlassung an.
5Mit Schreiben vom 05.06.2014, beim Bundesamt eingegangen am 13.06.2014, stellte der Kläger in der Bundesrepublik einen Asylantrag, den die Beklagte mit Bescheid vom 18.07.2014 als unzulässig ab lehnte. Zugleich ordnete sie (erneut) die Abschiebung nach Bulgarien an. Der Bescheid wurde dem Kläger am 21.07.2014 zugestellt.
6Am 28.07.2014 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, dass in Bulgarien ein rechtlichen Maßstäben entprechendes Asylverfahren nicht zu erwarten sei. Im Übrigen bezieht er sich auf die Situation in Syrien.
7Ein gleichzeitig gestellter Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage war erfolgreich (Beschluss vom 20.08.2014 – 20 L 1389/14.A).
8In der mündlichen Verhandlung vom 05.02.2015 hat der Kläger die Klage hinsichtlich der Anerkennung als Asylberechtigter zurückgenommen.
9Im Übrigen beantragt der Kläger,
10die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18.07.2014 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen sowie
11hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,
12weiter hilfsweise, nationale Abschiebungsverbote festzustellen.
13Die Beklagte beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Sie bezieht sich zur Begründung im Wesentlichen auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides.
16Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte in diesem Verfahren sowie in dem Verfahren 20 L 1389/14.A und den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorganges verwiesen.
17E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
18Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, war das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
19Im Übrigen ist die Klage zulässig und begründet.
20Der auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise Zuerkennung subsidiären Schutzes, weiter hilfsweise auf Feststellung nationaler Abschiebungsverbote gerichtete Klageantrag ist als Verpflichtungsantrag gemäß § 42 Abs. 1 VwGO zulässig. Das Verpflichtungsbegehren entspricht nicht nur dem ausdrücklich gestellten Klageantrag, sondern auch dem eigentlichen Klageziel des Klägers, das bei sachdienlicher Auslegung nicht lediglich auf die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, sondern auf die Gewährung internationalen Schutzes durch die Bundesrepublik gerichtet ist.
21Gemäß § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO spricht das Gericht die Verpflichtung der Behörde zum Erlass des begehrten Verwaltungsaktes aus, soweit die Ablehnung oder Unterlassung des begehrten Verwaltungsaktes rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Dabei hat das Gericht die Streitsache in vollem Umfang spruchreif zu machen. Es ist daher grundsätzlich nicht zulässig, bei rechtswidriger Verweigerung des begehrten Verwaltungsaktes lediglich die Ablehnung aufzuheben und die Sache zur Prüfung und Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen an die Behörde gewissermaßen zurückzuverweisen. Dieser grundsätzliche Vorrang der Verpflichtungsklage entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gerade auch in Asylverfahren,
22vgl. BVerwG, Urteil vom 10.02.1998 – 9 C 28/97 – E 106, 171-177,
23und es sind zur Überzeugung des Gerichts in sog. Dublin-Fällen keine Gesichtspunkte erkennbar, die eine Abweichung hiervon rechtfertigen. Nicht zuletzt unter dem Aspekt der im Asylverfahren geltenden Konzentrations- und Beschleunigungsmaxime gilt vielmehr auch hier, dass Zurückverweisungen an das Bundesamt zu vermeiden und Spruchreife herzustellen ist.
24Vgl. zuletzt Urteil der Kammer vom 23.05.2013 – 20 K 5506/12.A -; s. auch: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.06.2012 – A 2 S 1355/11 -; VG Braunschweig, Urteil vom 21.02.2013 – 2 A 126/11 -; VG Göttingen, Urteil vom 25.07.2013 – 2 A 652/12 -; VG Bremen, Gerichtsbescheid vom 10.04.2014 – 1 K 61/14 -.
25Soweit in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten wird, dass in sog. Dublin-Verfahren grundsätzlich nur eine Anfechtungsklage zulässige Klageart ist,
26vgl. u.a. OVG NRW, Urteil vom 07.03.2014 - 1 A 21.12.A – und Beschluss vom 18.05.2015 – 11 A 2639/14.A -; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16.04.2014 – A 11 S 1721/13 - ,
27teilt die Kammer diese Auffassung unverändert nicht. Dabei kann offen bleiben, ob je nach Klageantrag und Fallkonstellation im Einzelfall der grundsätzliche Vorrang der Verpflichtungsklage in Dublin-Fällen stets zur Unzulässigkeit einer isolierten Anfechtungsklage wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses führt,
28vgl. OVG NRW, Urteil vom 10.05.2011 – 3 A 133/10.A -; Eyermann, VwGO, § 42 Rn. 18 ff; Redeker/von Oertzen. VwGO, § 42 Rn. 19.
29Jedenfalls aber steht im Falle eines tatsächlich gestellten Verpflichtungsantrages – wie hier – der Zulässigkeit einer Verpflichtungsklage die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, wonach bei Ausfall des an sich zuständigen Mitgliedstaates wegen systemischer Mängel kraft Unionsrecht die Prüfung der Zuständigkeit anhand der Kriterien der Dublin III-Verordnung fortzusetzen ist,
30vgl. EuGH, Urteil vom 14.11.2013 – C-4/11 – Puid,
31nicht entgegen. Diese nach Unionsrecht von den Mitgliedstaaten geforderte weitere Prüfung der Zuständigkeit nimmt die Bundesrepublik bzw. das Bundesamt vor Erlass eines Bescheides bereits regelmäßig vor, soweit sich etwa auf der Grundlage von Eurodac-Treffern oder anderer konkreter Umstände, wie z.B. erteilte Visa, Anhaltspunkte für eine Fortsetzung der Zuständigkeitsprüfung ergeben. Liegen etwa in einem Verfahren zwei Eurodac-Treffer aus Griechenland und einem weiteren Mitgliedstaat wie Ungarn oder Bulgarien vor – was nicht selten der Fall ist -, so wendet sich das Bundesamt im Hinblick auf die systemischen Mängel in Griechenland an den zweiten in Betracht kommenden Mitgliedstaat mit dem Ersuchen um Übernahme des Verfahrens. Nach Erlass eines Bescheides durch das Bundesamt bzw. bei Klageerhebung vor dem Verwaltungsgericht ist eine weitere Fortsetzung der Suche nach einem anderen zuständigen Staat dagegen in der Regel nicht mehr möglich. Dies gilt zunächst deshalb, weil bereits keine weiteren, vom Bundesamt noch nicht berücksichtigten konkreten Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines weiteren Mitgliedstaates gegeben sein werden. Zu einer Fortsetzung der Prüfung „ins Blaue hinein“ bzw. einer Rückverweisung des Verfahrens an das Bundesamt zur Vornahme einer entsprechenden Überprüfung „ins Blaue hinein“ besteht aber keine Verpflichtung. Eine weitere Fortsetzung der Suche nach einem anderen zuständigen Staat ist in der Regel zudem deshalb nicht mehr möglich, weil die Fristen für die Stellung von Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 21 Abs. 1 bzw. Art. 23 Abs. 2 und 3 Dublin III-VO von nur zwei, allenfalls drei Monaten, bereits abgelaufen sein werden, so wie dies auch vorliegend der Fall ist.
32Hinzukommt gerade in Verfahren syrischer Asylbewerber, dass im Falle der Klärung der Zuständigkeitsfrage die Herstellung der Spruchreife bzw. die Prüfung der materiellen Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft in der Regel keiner umfangreichen weiteren Aufklärung mehr bedarf, sondern die Flüchtlingseigenschaft ohne Weiteres zuzuerkennen ist. Eine Zurückverweisung der Verfahren an das Bundesamt in dieser Situation wäre daher reine Formsache und liefe der Beschleunigungs- und Konzentrationsmaxime in besonders hohem Maße zuwider.
33Die Klage ist auch begründet.
34Der Asylantrag ist zunächst zulässig.
35Der Zulässigkeit steht § 27 a AsylVfG nicht entgegen. Denn die Bundesrepublik ist nunmehr aufgrund der Auffangzuständigkeit des Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO zuständig für die Entscheidung über das Asylbegehren des Klägers, da einer Überstellung nach Bulgarien systemische Mängel des dortigen Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegenstehen und eine weitere Prüfung nach einem zuständigen Mitgliedstaat nach Ablauf der Fristen für die Stellung von Aufnahme- oder Wiederaufnahmeersuchen nicht mehr möglich ist.
36Vgl. EuGH, Urteil vom 14.11.2013 – C-4/11 – Puid – ; Thym, Anmerkung zu Puid, NvwZ 2014, 130 ff.
37Die Dublin III-VO beruht auf der Annahme, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen. Aufgrund dieses Prinzips des gegenseitigen Vertrauens gilt daher grundsätzlich die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht. Allerdings handelt es sich dabei nicht um eine unwiderlegbare Vermutung. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten nicht vereinbar ist. Allerdings genügt nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat und nicht jeder geringste Verstoß gegen die Richtlinien, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Falls dagegen ernsthaft zu befürchten ist, das das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so ist die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar. In solchen Situationen obliegt es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den „zuständigen Mitgliedstaat“ im Sinne der Verordnung zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der EU ausgesetzt zu werden.
38Vgl. EuGH, Urteil vom 21.12.2011 – Rs C 411/10 und C-493/10, N.S. und M.E. – Juris; EGMR, Urteil vom 21.01.2011 – 30696/09 – M.S.S./Belgien u. Giechenland - und Urteil vom 04.11.2014 – 29217/12 – Tarakhel/Italien -.
39Der Begriff des systemischen Mangels ist weit zu verstehen. Mit „Asylverfahren und Aufnahmebedingungen“ ist der Gesamtkomplex des Asylsystems im Zielstaat gemeint. Dieses umfasst den Zugang zum Asylverfahren, das Asylverfahren selbst, die Behandlung während des Asylverfahrens, die Handhabung der Anerkennungsvoraussetzungen, das Rechtsschutzsystem und auch die in der Genfer Flüchtlingskonvention und der Qualifikationsrichtlinie geregelte Behandlung nach der Anerkennung.
40Vgl. Lübbe, „Systemische Mängel“ in Dublin-Verfahren, ZAR 2014, 105 ff; Bank/Hruschka, ZAR 2012, 182 ff.
41Systemische Mängel im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung des EuGH sind dabei nicht auf solche flächendeckenden gravierenden Systemausfälle, wie dies in Griechenland der Fall war und ist, beschränkt, sondern erfassen generell solche, die im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen und deshalb den Einzelnen vorhersehbar und regelhaft treffen. Auch tatsächliche Umstände, die dazu führen, dass ein theoretisch sachgerecht konzipiertes und nicht zu beanstandendes Asyl- und Aufnahmesystem - aus welchen Gründen auch immer - faktisch ganz oder in weiten Teilen seine ihm zugedachte Funktion nicht mehr erfüllen kann und weitgehend unwirksam wird, können einen systemischen Mangel darstellen. Nicht systemisch ist ein Mangel – im Unterschied dazu - dann, wenn es lediglich in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK kommt.
42Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19.03.2014 – 10 B 6.14 – und 06.06.2014 – 10 B 35.14 -; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10.11.2014 – A 11 S 1778/14 - .
43Nicht erforderlich ist aber, dass sich der systemische Mangel bzw. die strukturelle – systemische – Schwachstelle auf eine unüberschaubare Vielzahl, die Mehrheit aller Asylbewerber oder gar auf alle Asylbewerber auswirkt. Ein systemischer Mangel kann vielmehr auch dann vorliegen, wenn nur eine geringe Anzahl von Asylbewerbern betroffen ist, soweit dies vorhersehbar und regelhaft geschieht.
44Vgl. Lübbe, „Systemische Mängel“ in Dublin-Verfahren, ZAR 2014, 105 ff; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.03.2015 – A 11 S 2042/14 – und vom 10.11.2014 – A 11 S 1778/14 -.
45Bei der Beurteilung der Situation in einem Mitgliedstaat und der für einen Asylbewerber dort bestehenden tatsächlichen Risiken im Falle einer Überstellung sind Stellungnahmen des UNHCR ebenso heranzuziehen wie regelmäßige und übereinstimmende Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen sowie sonstige Berichte der europäischen Institutionen, insbesondere der Kommission.
46Vgl. EuGH, Urteil vom 21.12.2011 – Rs C 411/10 und C-493/10, N.S. und M.E. –.
47Auch bei Vorliegen systemischer Mängel bleibt es aber erforderlich, dass der einzelne Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, hiervon im Falle einer Überstellung in den Zielstaat selbst betroffen zu sein. Bei flächendeckenden systemischen Mängeln bedarf dies keiner besonderen Darlegung. Bei systemischen Mängeln, die sich nur auf Teilgruppen oder vereinzelt auswirken, müssen weitere besondere Umstände des Einzelfalls vorliegen bzw. geltend gemacht werden, die eine Betroffenheit des Einzelnen beachtlich wahrscheinlich machen.
48Vgl. Lübbe, „Systemische Mängel“ in Dublin-Verfahren, ZAR 2014, 105 ff.
49Wesentliche Kriterien für die Frage, ob eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung vorliegt, sind der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs der Menschenrechte zu Art. 3 EMRK zu entnehmen. Allerdings werden diese – eher niedrigen - völkerrechtlichen Schutzstandards durch die verbindlichen Festlegungen von Mindeststandards im Rahmen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, die für alle Mitgliedstaaten verbindlich vorgeben, was deren Asylsystem zu leisten im Stande sein muss, überlagert und konkretisiert. Die konkreten Anforderungen an die immer kumulativ festzustellende Schwere der Schlechtbehandlung sind daher niedriger anzusetzen, wobei gleichwohl die typischerweise für die Mehrheit der einheimischen Bevölkerung geltenden Standards nicht aus den Augen verloren werden dürfen.
50Vgl. EGMR, Urteil vom 21.01.2011 – 30696/9 - M.S.S./Belgien u. Griechenland -; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10.11.2014 – A 11 S 1778/14 – Juris.
51Wenngleich also Art. 3 EMRK die Vertragsparteien nicht dazu verpflichtet, jedem in ihrem Hoheitsgebiet ein Zuhause zur Verfügung zu stellen und auch keine allgemeine Verpflichtung einschließt, finanzielle Unterstützung zu gewähren, um ihnen zu ermöglichen, einen bestimmten Lebensstandard aufrechtzuerhalten, ist die Verpflichtung, Asylsuchenden Unterkunft und anständige materielle Bedingungen zu gewähren, Bestandteil des positiven Rechts in den EU-Mitgliedstaaten, wie sie insbesondere in der Aufnahmerichtlinie dargelegt sind. Eine Situation extremer materieller Armut kann zudem stets eine für Art. 3 EMRK relevante Frage darstellen, wenn Personen vollkommen von staatlicher Unterstützung abhängig sind und in einer Lage schwerwiegender Entbehrungen und Not, die nicht mit der Menschenwürde vereinbar ist, mit behördlicher Gleichgültigkeit konfrontiert sind. Stets ist eine gründliche und individuelle Prüfung der Situation der betroffenen Person vorzunehmen und zu berücksichtigen, dass Asylsuchende eine besonders unterprivilegierte und verletzliche Gruppe darstellen und besonderen Schutz benötigen. Der Situation von Minderjährigen und der extremen Verletzlichkeit von Kindern ist Rechnung zu tragen.
52Vgl. EGMR, Urteil vom 04.11.2014 – 29217/12 – Tarakhel/Italien -.
53Die Ursache für eine etwaige Gefahr einer Verletzung der Rechte aus Art. 3 EMRK hat keinerlei Auswirkungen auf das Schutzniveau.
54Vgl. EGMR, Urteil vom 04.11.2014 – 29217/12 – Tarakhel/Italien -.
55Neben dem Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK sind zudem solche Gewährleistungen in den Blick zu nehmen, die Teil des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems sind, aber von vorneherein nicht von der EMRK erfasst sind. Dies gilt namentlich für den gemäß Art. 18 GR-Charta gewährten Anspruch auf Asyl und den effektiven Zugang zu einem Asylverfahren, das den Anforderungen der einschlägigen EU-Rechtsnormen entspricht.
56Gemessen an diesen Kriterien liegen zur Überzeugung des Gerichts in Bezug auf Bulgarien – unverändert - systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen vor.
57Vgl. zuletzt Urteil der Kammer vom 22.05.2014 – 20 K 3425/13.A -; ebenso: VG Oldenburg, Beschluss vom 27.01.2015 – 12 B 245/15 -; VG Stuttgart, Urteil vom 24.06.2014 – A 11 K 741/14 -; VG München, Urteil vom 19.09.2014 – M 24 K 14.50343 -; a.A.: VGH München, Urteil vom 29.01.2015 – 13a B 14.50039 -; OVG NRW, Beschluss vom 29.01.2015 – 14 A 134/15.A – und Beschluss vom 13.05.2015 – 14 B 525/15.A -; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10.11.2014 – A 11 S 1778/14 -; VG Magdeburg, Urteil vom 08.04.2015 – 9 A 208/15 MD -; VG Minden, Urteil vom 10.02.2015 – 10 K 1660/14.A -.
58Ausgangspunkt der Beurteilung des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Bulgarien muss dabei – jenseits des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens - der Umstand sein, dass das System infolge einer starken Zunahme der Flüchtlingsströme im Herbst 2013 praktisch vollständig kollabiert war, was den UNHCR – ähnlich wie im Falle Griechenlands - zu der generellen Empfehlung veranlasste, von Überstellungen nach Bulgarien abzusehen. In seinem Bericht vom 2. Januar 2014 bejahte der UNHCR für Asylsuchende in Bulgarien eine ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung wegen systemischer Mängel der Aufnahmebedingungen und des Asylverfahrens in dem Land.
59Vgl. Observations on the Current Situation of Asylum in Bulgaria, 02.01.2014, abrufbar unter http://www.refworld.org/docid/52c598354.html.
60Diese Empfehlung hielt UNHCR in seinem Update vom April 2014 nicht mehr uneingeschränkt aufrecht und konstatierte signifikante Verbesserungen im Aufnahmesystem und in der Durchführung der Asylverfahren. Gleichwohl wurden weiterhin erhebliche Schwachstellen festgestellt nicht nur hinsichtlich der Situation besonders schutzbedürftiger Personen, sondern darüber hinaus u.a. hinsichtlich der Verhältnisse in zwei von sieben Aufnahmezentren (Vrazdebhna und Voenna Rampa) und auch hinsichtlich der Qualität der Anerkennungsverfahren. Vor allem aber bestanden aus Sicht des UNHCR Bedenken hinsichtlich der Nachhaltigkeit der unternommenen Anstrengungen. Zahlreiche Maßnahmen wurden nur auf einer ad hoc-Basis mit massiver Unterstützung der EU, von Nichtregierungsorganisationen und des UNHCR selbst durchgeführt, so dass die dauerhafte Sicherstellung der erreichten Verbesserungen auf mittlere und lange Sicht durch das staatliche bulgarische Aufnahmesystem nicht gewährleistet schien. Zudem wurde Besorgnis darüber ausgedrückt, dass der erhebliche Rückgang der Asylbewerberzahlen im ersten Quartal 2014 im Vergleich zu 2013 durch eine massive Verstärkung der Grenzkontrollen und den Einsatz auch brutaler Push-backs an der türkischen Grenze bedingt war.
61Vgl. Observations on the current asylum system in Bulgaria, April 2014, abrufbar unter: http://www.refworld.org/docid/534cd85b4.html.
62Auf – trotz durchgeführter Verbesserungen - fortbestehende erheblich unzureichende Bedingungen in einigen Aufnahmezentren (Überbelegung, schlechte sanitäre und sonstige materielle Bedingungen wie regelmäßige Verfügbarkeit von Warmwasser und Strom, unzureichende Versorgung mit Lebensmitteln) und Defizite im Asylverfahren wiesen auch weitere Berichte von Nichtregierungsorganisationen hin. Asylsuchende würden zudem nach wie vor routinemäßig inhaftiert. Der Zugang zur Gesundheitsversorgung und die Bereitstellung von Medikamenten seien unzureichend. Zugang zu Unterricht oder Schule gebe es für asylsuchende Kinder kaum. Infolge der Praxis der „externen Wohnadressen“ außerhalb der Lager bestehe das Risiko der Obdachlosigkeit. Es bestünden begründete Zweifel hinsichtlich der Nachhaltigkeit der erzielten Verbesserungen. Dublin-Überstellungen seien daher weiterhin auszusetzen.
63Vgl. Amnesty international, Suspension of Asylum-seekers to Bulgaria must continue, März 2014, Index: EUR 15/002/2014 (Deutsche Fassung Juli 2014, Rücküberstellungen von Asylsuchenden nach Bulgarien sind weiterhin auszusetzen); Ecre (European Council on Refugees and Exiles), Pressemitteilung vom 07.04.2014, www.asylumineurope.org; Pro Asyl/Flüchtlingsrat Niedersachsen, Syrische Flüchtlinge in Bulgarien: Misshandelt, erniedrigt, im Stich gelassen, Bericht vom 23.05.2014; Bordermonitoring EU, Trapped in Europe's Quagmire: The Situation of Asylum Seekers and Refugees in Bulgaria, Juli 2014 (Deutsche Fassung, Gefangen in Europas Morast: Die Situation von Asylsuchenden und Flüchtlingen in Bulgarien).
64Inzwischen ist das bulgarische Asyl- und Aufnahmesystem erneut an seine Grenzen gestoßen. Die erhoffte weitere Konsolidierung der maßgeblich mit Hilfe externer Unterstützung begonnenen positiven Entwicklung,
65vgl. VG Köln, Urteil vom 16.04.2014 – 20 K 3425/13.A -,
66ist zur Überzeugung des Gerichts nicht eingetreten. Mit der Einstellung bzw. Reduzierung der Unterstützung durch UNHCR und anderer Nichtregierungsorganisationen bei gleichzeitigem erneuten massiven Anstieg der Flüchtlingszahlen ist es im Gegenteil zu einem Stillstand oder gar Verschlechterung der Bedingungen gekommen.
67Die Flüchtlingszahlen sind seit Ende 2014 und zu Beginn des Jahres 2015 erneut massiv angestiegen. Beantragten im Jahr 2013 insgesamt 7144 Personen Asyl gegenüber nur 1387 Personen im Jahr 2012, so waren es im Jahr 2014 insgesamt 11.081 Personen bei kontinuierlicher Steigerung der Zugangszahlen seit August 2014,
68vgl. Bordermonitoring EU, Trapped in Europe’s Quagmire, Juli 2014; aida, Asylum Information Database, Country Report Bulgaria, 31.01.2015.
69Seit Januar 2015 ist der Zustrom weiter angeschwollen mit 3190 Asylanträgen im ersten Quartal 2015. Zusätzlich warten ca. 7.000 Dublin-Rückkehrer auf ihre Überstellungen nach Bulgarien, die im Falle ihrer Durchführung das Asylsystem zusätzlich erheblich belasten würden.
70Vgl. http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/File:First_time_asylum_applicants,_Q1_2014_-_Q1_2015.png; aida, Asylum Information Database, Country Report Bulgaria, 31.01.2015.
71Die Strategien der bulgarischen Regierung zur Bewältigung dieses Zustroms, mit dessen Versiegen nicht zu rechnen ist, oder das Fehlen notwendiger Strategien offenbaren an mehreren Stellen gravierende systemische Mängel.
72Dies gilt zunächst für die exzessiven Maßnahmen der Grenzsicherung, in deren Rahmen seit 2014 Grenzpatrouillen massiv ausgeweitet wurden und die Sicherung durch Stacheldrahtzäune erheblich verlängert wurde, Maßnahmen, die noch nicht abgeschlossen sind. Zudem dauern illegale und mit erheblicher Gewaltanwendung einhergehende Push-back-Aktionen an der türkisch-bulgarischen Grenze trotz scharfer internationaler Kritik an.
73Vgl. Bordermonitoring EU, Trapped in Europe‘s Quagmire, Juli 2014; UNHCR, Pressemitteilung vom 31.03.2015, “Todesfälle an bulgarischer Grenze aufklären”, Human Rights Watch, September 2014, Bulgaria: UPR Submission sowie Pressemitteilung vom 31.03.2015, “Dispatches: Stopping Pushbacks at Bulgaria‘s Border”.
74Gelingt der Zutritt zum bulgarischen Territorium haben Asylbewerber unverändert regelmäßig mit Inhaftierung in einem der Haftzentren für illegale Migranten – Busmantsi, Lyubimets und Elhovo – zu rechnen. Von 11.081 Personen, die im Jahr 2014 Asyl beantragt haben, haben 9843 Personen ihren Asylantrag in einem dieser Haftzentren gestellt. Die Haftdauer konnte während des Jahres 2014 von 45 Tagen durchschnittlich reduziert werden auf 9 Tage pro Person. Es liegt aber ein Gesetzentwurf vom 19.11.2013 vor, der Ende 2014 erneut dem Parlament vorgelegt wurde, wonach generell und voraussetzungslos die Inhaftierung aller Asylbewerber in geschlossenen Haftzentren die Regel sein soll, die Unterbringung in offenen Aufnahmeeinrichtungen dagegen die Ausnahme. Zudem gibt es unverändert keine wirksamen Mechanismen zur Identifizierung besonders schutzbedürftiger Personen. Die Haftzentren sind häufig überfüllt, verbale Erniedrigungen sind ebenfalls häufig. Die hygienischen Bedingungen sind unzureichend ebenso wie die Versorgung mit Nahrungsmitteln und die medizinische Versorgung. Hinzukommen wiederholte Berichte des Anti-Folter-Komitees des Europarats über erniedrigende und unmenschliche Behandlung von Insassen, auch konkret bezogen auf die Haftzentren, in denen Asylbewerber untergebracht werden. In einem jüngst veröffentlichten Bericht wird erneut auf schlechter werdende Haftbedingungen und zahlreiche Fälle von physischer Misshandlung hingewiesen sowie den Umstand, dass die bulgarische Regierung bis heute keine wirksamen Schritte zur Beseitigung der Missstände unternommen habe.
75Vgl. Aida, Asylum Information Database, Country Report Bulgaria, 31.01.2015; European Committee for the Prevention of Torture an Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT), Public Statement concerning Bulgaria, 26.03.2015.
76Wegen der seit Anfang 2014 erhöhten Aufnahme- und Bearbeitungskapazitäten funktionierte das Asylsystem nach Weiterleitung der Asylbewerber an eine Aufnahmeeinrichtung der Staatlichen Agentur für Flüchtlinge (SAR) „einigermaßen“. Zur Beibehaltung der erfolgten Verbesserungen benötigte die SAR allerdings weitere Mittel,
77vgl. UNHCR, Stellungnahme vom 23.12.2014 an VG Minden zum Verfahren 10 L 530/14.A -,
78über deren aktuelle Bereitstellung nichts bekannt ist.
79Die Lage in den Aufnahmeeinrichtungen bleibt schwierig. Es wird immer wieder von überfüllten Flüchtlingsunterkünften, Nahrungsmangel, katastrophalen hygienischen Bedingungen sowie von Schlägen und Misshandlungen durch das Lagerpersonal und Verweigerung notwendiger Gesundheitsversorgung berichtet. Unterstützungsleistungen durch NGO‘s und UNHCR, ohne die notwendige Verbesserungen etwa im Bereich der Information und Rechtsberatung nicht erreicht worden wären, wurden zu Beginn des Jahres 2015 eingestellt.
80Vgl. Pro Asyl, Pro Asyl, Erniedrigt, misshandelt, schutzlos: Flüchtlinge in Bulgarien, April 2015; aida, Asylum Information Database, Country Report Bulgaria, 31.01.2015.
81Die in den SAR-Einrichtungen untergebrachten Dublin-Rückkehrer haben grundsätzlich ein Recht auf dieselben Hilfe-/Dienstleistungen, die anderen Asylbewerbern zustehen. Es gibt aber auch hier keine hinreichende Systematik bei der Identifizierung von Personen mit besonderen Bedürfnissen, und kein System, um auf gegebenenfalls einmal identifizierte Bedürfnisse einzugehen. Im Übrigen ist die Behandlung von Dublin-Rückkehrern und deren Asylverfahren unklar bzw. hängt davon, welchen Stand der frühere Asylantrag des Asylbewerbers hatte. Erfolgt der Transfer mehr als drei Monate und 10 Tage nach der Registrierung des Asylantrags – was vorliegend der Fall ist – oder wurde der Anspruch während der Abwesenheit des Antragstellers abgelehnt, wird der Aufenthalt des Antragstellers als illegal angesehen und er kommt in Abschiebehaft. Er kann dann zwar grundsätzlich einen Folgeantrag unter Aufzeigen neuer zusätzlich Gründe im Vergleich zu seinem Erstverfahren stellen, werden aber neue Kriterien als nicht-existent befunden, wird der Folgeantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Auch wenn der Folgeantrag zur sachlichen Prüfung zugelassen wird, ist eine Haftfortdauer wahrscheinlich und kann sich auf einen längeren Zeitraum erstrecken, ohne dass es hinreichenden Rechtsschutz gibt.
82Vgl. UNHCR, Stellungnahme vom 23.12.2014 an VG Minden zum Verfahren 10 L 530/14.A -; aida, Asylum Information Database, Country Report Bulgaria, 31.01.2015.
83Bei dieser Auskunftslage besteht für jeden Dublin-Rückkehrer derzeit das tatsächliche Risiko, dass sein Asylbegehren nicht mehr geprüft wird und er als illegaler Migrant auf unbestimmte Zeit in Abschiebehaft kommt. Diese Einschätzung wird dadurch bestätigt, dass das Bundesamt auf konkrete Anfrage des Gerichts, mit welcher Behandlung des Asylantrages des Klägers vor dem Hintergrund der vorgenannten Stellungnahme des UNHCR zu rechnen ist, keine Antwort gegeben hat.
84Die Lage von Personen mit Schutzstatus in Bulgarien ist aussichtslos. Seit dem Auslaufen des Nationalen Integrationsprogramm im Jahr 2013 gibt es kein operatives Integrationsprogramm mehr in Bulgarien. Ein neues Programm wurde am 25.06.2014 veröffentlicht und sollte abhängig von der Finanzierung im Jahr 2015 beginnen, die Finanzierung ist bis heute nicht erfolgt. 2014 wird daher als „zero integration year“ bezeichnet, mit einer Änderung im laufenden Jahr 2015 ist nicht zu rechnen.
85Vgl. aida, Asylum Information Database, Country Report Bulgaria, 31.01.2015; Pro Asyl, Erniedrigt, misshandelt, schutzlos: Flüchtlinge in Bulgarien, April 2015; Bordermonitoring EU, Trapped in Europe‘s Quagmire, Juli 2014.
86Gerade die Entwicklung eines neuen Integrationsprogramms hatte auch UNHCR in seiner oben zitierten Stellungnahme vom April 2014 für entscheidend gehalten.
87Personen mit Schutzstatus haben zwar formal bis zu einem Zeitraum von 6 Monaten nach der positiven Entscheidung einen Anspruch auf finanzielle Unterstützung wie Asylbewerber in Höhe von 65 BGN/33,23 € pro Person, was dem Minimum der staatlichen Sozialhilfe in Bulgarien entspricht. Dieser Betrag reicht aber anerkanntermaßen nicht aus, um selbst grundlegende Bedürfnisse wie Nahrung zu befriedigen, geschweige denn eine Unterkunft oder Zugang zur Gesundheitsversorgung zu erlangen. Die einzige Option zur Erlangung einer Unterkunft während dieser sechsmonatigen Zeit besteht in dem weiteren Verbleib in einem der Aufnahmezentren, was nur ausnahmsweise der Fall ist und durch wiederholte Zwangsräumungsaktionen, von denen auch besonders schutzbedürftige Personengruppen betroffen sind, erschwert wird. In der Regel bleiben anerkannten Flüchtlingen nur 14 Tage, bevor sie des Lagers verwiesen werden.
88Vgl. aida, Asylum Information Database, Country Report Bulgaria, 31.01.2015; Pro Asyl, Erniedrigt, misshandelt, schutzlos: Flüchtlinge in Bulgarien, April 2015.
89Außerhalb der Aufnahmezentren besteht ein hohes Risiko von Obdachlosigkeit, das wegen des Fehlens eines Integrationsprogramms dadurch erhöht wird, dass Flüchtlinge keinerlei finanzielle Unterstützung wie Wohngeld oder Sozialhilfe erhalten und auch keine Unterkunft in Obdachlosenunterkünften oder Sozialwohnungen finden können. Ohne Wohnung ist auch der Zugang zu jeglichen anderen staatlichen und medizinischen Leistungen unmöglich, da hierfür eine Meldeadresse vorgewiesen werden muss. Mangels Integrationsprogramm, ohne Sprachkenntnisse und in Abwesenheit von Sozialarbeitern ist dies Schutzberechtigten nahezu unmöglich. So wurden bei ca. 7000 Personen, die allein 2014 einen Schutzstatus erhalten haben, nur in 12 Fällen Sozialleistungen ausgezahlt. Ebenso aussichtslos sind die Möglichkeiten, sich durch Erwerbstätigkeit das Existenzminimum zu sichern, zumal unter den in Bulgarien herrschenden schlechten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mit einer ohnehin hohen Arbeitslosenquote. Auch der Zugang zu Schule/Bildung ist für Flüchtlingskinder praktisch nicht gewährleistet.
90Vgl. aida, Asylum Information Database, Country Report Bulgaria, 31.01.2015; Pro Asyl, Erniedrigt, misshandelt, schutzlos: Flüchtlinge in Bulgarien, April 2015.
91Der Zugang zur Gesundheitsversorgung ist für Personen mit Schutzstatus ebenfalls nicht gewährleistet. Der monatliche Beitrag für das Gesundheitssystem muss selbst bezahlt werden, eine staatliche Unterstützung gibt es hierfür nicht. Selbst wenn der Beitrag irgendwie aufgebracht werden kann, sind Aufwendungen für Arzneimittel und psychologische Behandlung nicht abgedeckt. Auch kassenfinanzierte Leistungen können kaum in Anspruch genommen werden, da man hierzu auf eine Patientenliste eines Hausarztes gelangen muss, was oft mit unüberwindbaren Schwierigkeiten verbunden ist.
92Vgl. Pro Asyl, Erniedrigt, misshandelt, schutzlos: Flüchtlinge in Bulgarien, April 2015; Bordermonitoring EU, Trapped in Europe‘s Quagmire, Juli 2014, a.a.O.
93Die Darstellung in den zuvor ausgewerteten Berichten des UNHCR und von Nichtregierungsorganisationen wird durch eine Fülle von Medienberichten bestätigt,
94vgl. z.B. Deutsche Welle vom 16.01.2015: Flüchtlinge in Bulgarien nicht willkommen; Le Monde diplomatique vom März 2015: In Europa werde ich Zuflucht finden,
95und spiegelt sich auch in den zahlreichen Schilderungen der Kläger in Verfahren syrischer Staatsangehöriger vor der Kammer wider. Die Mehrheit der Asylsuchenden in Bulgarien im Jahr 2014 waren syrische Staatsangehörige, für die bulgarische Behörden inzwischen ein beschleunigtes Verfahren durchführen, das regelmäßig mit der Zuerkennung eines Schutzstatus endet. Ungeachtet dessen waren Zahllose von illegalen Zurückweisungen an der Grenze betroffen und anschließender Haft, viele berichten von katastrophalen hygienischen Bedingungen, Mangelernährung, der Verweigerung oder unangemessen langen Hinauszögerung medizinischer Versorgung, Beleidigungen und gewalttätigen Übergriffen durch Polizei und Lagerpersonal. Solche, die einen Schutzstatus in Bulgarien erhalten haben, berichten von existenzbedrohender Mittellosigkeit, Obdachlosigkeit und ständiger Angst vor fremdenfeindlichen Übergriffen, die sie oftmals selbst erlebt haben oder deren Zeugen sie waren.
96Die Auswertung aller zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel einschließlich der unmittelbaren Schilderung Betroffener offenbaren zur Überzeugung des Gerichts systemische Mängel, die alle Bereiche des bulgarischen Asylsystems erfassen und von denen jeder Schutzsuchende in jedem Stadium, vom Versuch, das bulgarische Territorium zu betreten angefangen, jederzeit betroffen sein kann. Ausgehend von dem oben dargelegten weiten Begriff des systemischen Mangels, der den Gesamtkomplex des Asylsystems im Zielstaat erfasst, können bei der Bewertung auch nicht von vorne herein Teilkomplexe ausgeklammert werden. Es ist daher etwa nicht gerechtfertigt, im Falle von Dublin-Rückkehrern die Situation von Personen mit Schutzstatus in Bulgarien nicht mit in den Blick zu nehmen, zumal wenn es sich um eine Person handelt, die die materiellen Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Schutzstatus erfüllt, wie dies im Falle syrischer Staatsangehöriger regelmäßig der Fall ist. Dies gilt gerade in einer Situation wie in Bulgarien, in der institutionelle Regelungen und Rahmenbedingungen und eigene oder von Dritten bereit gestellte notwendige finanzielle Ressourcen einem ständigen Wandel unterliegen, mögliche Verbesserungen in einem Bereich mit Verschlechterungen in einem anderen Bereich einhergehen und generell eine hinreichende Stabilisierung des Systems nicht erreicht ist.
97Die dargelegten Mängel begründen auch das tatsächliche Risiko für jeden einzelnen, einer Verletzung seiner Rechte aus Art. 3 EMRK und Art. 4 GR-Charta sowie Art. 18 GR-Charta ausgesetzt zu sein.
98Hinsichtlich der Mängel bei der Situation von Personen mit Schutzstatus berücksichtigt das Gericht dabei, dass die sozialen Gewährleistungen bereits hinter den Anforderungen der Qualifikationsrichtlinie einer Inländergleichbehandlung zurückbleiben. Allenfalls in den ersten 6 Monaten nach Zuerkennung des Schutzstatus wird der Minimalsatz der staatlichen Sozialhilfe gezahlt. Unabhängig davon aber muss in den Blick genommen werden, dass sich die Situation von Schutzberechtigten und Inländern auch bei formaler Gleichbehandlung strukturell und grundlegend unterscheidet. Bei Sozialleistungen, die – wie in Bulgarien unbestritten der Fall – so bemessen sind, dass sie objektiv nicht zum Überleben ausreichen und nicht die grundlegendsten Bedürfnisse an Unterkunft und medizinischer Versorgung decken, ist der Schutzberechtigte ohne Sprachkenntnisse, ohne jegliche sozialen Kontakte oder familiären Netzwerke und ohne eigene Mittel zu einem menschenunwürdigen Leben am Rande des Existenzminimums verdammt. Zudem stehen ihnen bei einem weitgehend verschlossenen Arbeitsmarkt auch keine Ausweichmöglichkeiten zur Existenzsicherung, wie etwa die Abwanderung auf andere Arbeitsmärkte in der EU, zur Verfügung, da sie anders als Inländer keine Freizügigkeit genießen. Insofern erweist sich bei der gegebenen völligen Abhängigkeit von staatlichen Zuwendungen das Fehlen eines Integrationsprogramms als Ausdruck einer institutionellen manifesten Gleichgültigkeit, die nach der Rechtsprechung des EGMR auch ohne die besonderen Gewährleistungen der Qualifikationsrichtlinie bereits zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen kann.
99Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, dass syrische Asylbewerber infolge der lang andauernden bewaffneten Auseinandersetzungen in ihrem Heimatland regelmäßig in erheblichem Maße traumatische Erfahrungen gemacht haben und häufig bereits einmal ihre gesamte Existenzgrundlage verloren haben. Sie sind daher in besonders hohem Maße vulnerabel und schutzbedürftig.
100Das Gericht weist klarstellend nochmals auf die oben bereits zitierte Rechtsprechung des EGMR hin, dass die Ursachen einer Verletzung des Art. 3 EMRK keine Auswirkungen auf das Schutzniveau haben. Es kommt deshalb in diesem Zusammenhang auch nicht auf politische oder gar moralische Schuldzuweisungen an, deren sich das Gericht vollständig enthält, insbesondere in Bezug auf die bulgarische Regierung und bulgarische Behörden. Maßgeblich sind ausschließlich die Bewertung der objektiv feststellbaren Bedingungen und deren Auswirkungen auf Schutzsuchende, hier insbesondere syrische Asylbewerber.
101Der nach alledem zulässige Asylantrag des Klägers ist auch materiell begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
102Nach § 3 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK), wenn er sich 1) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe 2) außerhalb des Landes befindet a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Weitere Einzelheiten zum Begriff der Verfolgung, den maßgeblichen Verfolgungsgründen sowie zu den in Betracht kommenden Verfolgungs- bzw. Schutzakteuren regeln nunmehr die §§ 3 a – d AsylVfG in Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Abl. L 337. Vom 20.12.2011, S. 9-26).
103Gemessen an diesen Kriterien liegen hinsichtlich des Klägers die Voraussetzungen des § 3 AsylVfG vor.
104Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob der Kläger vorverfolgt aus Syrien ausgereist ist. Denn auch unabhängig davon ist das Gericht davon überzeugt, dass die Furcht des Klägers vor einer Verfolgung im Falle einer Rückkehr unter Berücksichtigung der gegenwärtigen politischen Verhältnisse in Syrien, der illegalen Ausreise und der Asylantragstellung sowie der Ausbreitung der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ in Syrien, u.a. in der Herkunftsregion des Klägers, begründet ist.
105Es entspricht unter Berücksichtigung der verschärften politischen Situation in Syrien seit langem der ständigen Entscheidungspraxis der Beklagten, dass Rückkehrer im Falle einer Abschiebung nach Syrien eine obligatorische Befragung durch syrische Sicherheitskräfte unter anderem zur allgemeinen Informationsgewinnung über die Exilszene zu erwarten haben und davon auszugehen ist, dass bereits diese Befragung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine konkrete Gefährdung in Form menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zur Folter auslöst.
106Vgl. hierzu auch: OVG NRW, Urteil vom 14.02.2012, 14 A 2708/10.A – Juris; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Syrien – Asylrelevante Informationen, Rückübernahmeabkommen, Identitätspapiere, Asyl-Like-Minded-Group und aktuelle Situation, April 2011.
107Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich an dieser Einschätzung etwas geändert haben könnte. Im Gegenteil ist im Zuge der seit März 2011 anhaltenden Eskalation der politischen Konflikte in Syrien davon auszugehen, dass sich die Gefährdungslage weiterhin erheblich verschärft hat und der syrische Staat eine illegale Ausreise, Aufenthalt im westlichen Ausland und Asylantragstellung inzwischen generell als Ausdruck einer regimekritischen Überzeugung auffasst.
108Vgl. zuletzt u.a. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.07.2012 – 3 L 147/12 –
109Juris.
110Die Gefährdung des Klägers knüpft daher zur Überzeugung des Gerichts jedenfalls auch an eine bei ihm vermutete politische Gesinnung und damit an eines der Konventionsmerkmale an, so dass die Voraussetzungen für die Gewährung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen.
111Vgl. hierzu u.a.: VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 29.10.2013 – A 11 S 2046/13 – und vom 19.06.2013 – A 11 S 927/13 -; VGH Hessen, Beschluss vom 27.01.2014 – 3 A 917/13.Z.A.; OVG Berlin Brandenburg, Beschluss vom 09.01.2014 – 3 N 91.13 -; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss 24.04.2014 – 2 L 16/13; a.A. OVG NRW, Urteil vom 14.02.2012 – 14 A 2708/10.A – sowie zuletzt Beschluss vom 13.02.2014 – 14 A 215/14.A -.
112Eine weitere Zuspitzung der Gefährdungslage ist nun durch die Ausbreitung der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ in Nordsyrien eingetreten, die eine akute Gefährdung für alle Nichtmuslime und auch Muslime, die die radikalen Ansichten des IS nicht teilen, darstellt, die inzwischen zu Zehntausenden geflohen sind,
113Vgl. Stefan Rosiny, „Des Kalifen neue Kleider“: Der Islamische Staat in Irak und Syrien, GIGA Focus, Nr. 6, 2014; Spiegel online vom 07.10.2014, „Was die IS-Miliz so gefährlich macht“, und Spiegel online vom 02.02.2015 – So regiert der „Islamische Staat“.
114Dies gilt in besonderer Weise für den aus der Region Aleppo stammenden Kläger, der schiitischen Glaubens ist.
115Der Bescheid vom 18.07.2014 war nach alledem aufzuheben.
116Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 2, 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.
Tenor
I.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen. Der Bescheid vom
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Der nach seinen Angaben am ...1991 geborene Kläger gibt an, syrischer Staatsangehöriger arabischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit zu sein. Er brachte in der Anhörung gemäß § 25 AsylG am 1. April 2016 vor, in Syrien zuletzt in Damaskus, Stadtteil D., ... gelebt zu haben. Er verließ sein Heimatland am 15. September 2015, reiste ca. am 3. Oktober 2015 auf dem Landweg in Deutschland ein und stellte nach den Angaben im Behördenakt am 14. März 2016 einen Asylantrag.
In der Anhörung brachte er u. a. vor, dass es zwei Armeen gebe. Die eine sei für Assad. Ein freies Militär sei gegen Assad. Das freie Militär habe seinen Stadtteil besetzt gehabt. Dieses habe gegen das Assad-Militär gekämpft. Deswegen habe man nicht mehr rausgehen können. Alle Geschäfte seien geschlossen gewesen. Man habe nicht mehr einkaufen können. Dieses freie Militär sei zu ihm gekommen und hätte gewollt, dass er ihnen beitrete. Diese seien auch untereinander getrennt. Es gebe viele verschiedene Anführer und alle wollten, dass er mitkämpfe. Jeder Anführer wolle viele Soldaten. Alle zwei, drei Tage seien diese zu ihm gekommen und hätten ihn gefragt, ob er ihnen beitrete. Diese zerstrittenen Gruppen würden „Loak Alislam“ und „Tahreer Alscham“ heißen. Wenn er in einen anderen Stadtteil gehe, werde er vom Baschar Militär entführt, damit er in dieses eintrete. Normalerweise müsse man zwei Jahre Wehrdienst machen. Da er eine Ausbildung gemacht habe, sei er nicht mit 18 Jahren eingezogen worden. Aber 2013 sei ihm gesagt worden, dass er eingezogen werden solle. Aber er sei geflohen. Er habe in D. gewohnt. Dort herrsche nicht das Assad-Militär. Also hätten sie ihn dort nicht entführen können. Normalerweise habe man ein Wehrbuch. Dort stehe das Datum und wenn dieses erreicht sei, müsse man sich melden.
Im September 2015 sei er zum ersten Mal von diesen zerstrittenen Gruppen gefragt worden. Auf Nachfrage erklärte der Kläger, dass sie nicht alle zwei bis drei Tage gekommen seien. Aber er habe sich entscheiden müssen. Er sei lieber geflohen. Die Leute kämen nicht direkt zu einem. Man müsse sich entscheiden. Er hätte sich bald entscheiden müssen. Die Leute in seinem Viertel hätten gewusst, dass er sich noch nicht entschieden habe. Er sei davon ausgegangen, dass er bald gefragt werde und sei deshalb vorsichtshalber geflohen. Wenn er sich geweigert hätte, wäre er mit Gewalt dazu gezwungen oder entführt worden. Einer seiner Brüder sei 18 Jahre alt und studiere in Damaskus. Seine Einberufung sei immer wieder verschoben worden. Sein anderer Bruder sei 27 Jahre alt und verheiratet. Er sei nicht so interessant wie der Kläger. Irgendwann werde es ihnen gehen wie ihm. Dann müssten sie auch fliehen. Bei einer Rückkehr nach Syrien befürchte er, entführt zu werden. Oder er müsse zum Militär gehen oder werde getötet. Die allgemeine Situation in Syrien sei schlecht. Man könne dort nicht leben. Auch wenn er allein geflohen sei, heiße das nicht, dass seine Familie dort glücklich sei.
Das Bundesamt erkannte dem Kläger mit Bescheid vom
Mit Schriftsatz vom 21. April 2016, eingegangen beim Verwaltungsgericht Regensburg
Zur Begründung der Klage wird im Wesentlichen vorgebracht, dass der Kläger Syrien verlassen habe, um sich dem Militärdienst und der Rekrutierung durch kämpferische Gruppen zu entziehen. Er sei mit dem Schiff über das Mittelmeer nach Europa gekommen. Er habe sein Land aber auch wegen der Kriegsführung verlassen. Insoweit werde er noch Fotos der Situation seiner Heimatstadt nachreichen. Er habe vorgetragen, dass er Angst gehabt habe, in die Kriegsführung mit einbezogen zu werden. Näheres hierzu werde noch vorgetragen.
Der Kläger sei seit 2011 Mitglied der syrischen Armee gewesen. Er sei allerdings desertiert und habe sich drei Jahre innerhalb Syriens versteckt. Stationiert sei er in der Stadt D2. gewesen. Seine Eltern hätten in der Stadt A. gewohnt. Dort sei er dann auch gesucht worden und die Eltern hätten Nachteile erlitten, weil es in Fällen dieser Art üblich sei, das Eigentum zu beschlagnahmen. Die Eltern hätten ihr Haus verloren. Der Kläger habe Zuflucht bei seinem Großvater gesucht. Dies sei in der Stadt A2... gewesen, die mittlerweile in Schutt und Asche liege. Bis zu dem Termin werde der Kläger den Pass erhalten, der ihn als Mitglied der syrischen Armee ausweise.
Der Kläger lässt beantragen,
die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen und den Bescheid vom 6. April 2015 (richtig: 2016) in Nr. 2 insoweit aufzuheben, als er dieser Verpflichtung entgegensteht.
Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die angefochtene Entscheidung,
die Klage abzuweisen.
Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze, den Inhalt der Asylakten und die Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen. Der Gerichtsakt im Verfahren RO 1 K 16.30671 wurde beigezogen.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist in Nr. 2 hinsichtlich der Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Dieser hat im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG.
Diese ist ihm zuzuerkennen, da er sich nach der Überzeugung des Gerichts aus begründeter Furcht vor Verfolgung durch den syrischen Staat wegen seiner vermuteten politischen Überzeugung außerhalb Syriens befindet, § 3 Abs. 1, 4 AsylG. Er hat Syrien zwar nicht wegen Verfolgung im Sinne dieser Vorschrift verlassen, es droht ihm jedoch bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine solche.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Die Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von
1. dem Staat,
2. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen oder
3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn eine interne Schutzmöglichkeit besteht, vgl. § 3e AsylG.
Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist. Es kommt auch nicht darauf an, ob er diese Merkmale tatsächlich aufweist. Vielmehr reicht es aus, wenn ihm diese von seinem Verfolger zugeschrieben werden, § 3b Abs. 2 AsylG. Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt auch bei einer erlittenen Vorverfolgung der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG
Die begründete Furcht vor Verfolgung kann gemäß § 28 Abs. 1a AsylG auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während eines Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit keine Einschränkung. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen (vgl. OVG Sachsen-Anhalt
Schutz nach § 3 Abs. 1 AsylG kann nur derjenige beanspruchen, der politische Verfolgung bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat. Eine Verfolgungsgefahr für einen nicht verfolgt Ausgereisten und damit dessen begründete Furcht vor Verfolgung liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unter folgenden Voraussetzungen vor (BVerwG
„Ist der Asylsuchende unverfolgt ausgereist, liegt eine Verfolgungsgefahr und damit eine begründete Furcht vor Verfolgung vor, wenn ihm bei verständiger, nämlich objektiver, Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Antragstellers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen“ oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50% Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden „zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts“ die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr „beachtlich“ ist. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50% für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z. B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert
1. Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist.
Eine Verfolgung durch den syrischen Staat und/oder durch nichtstaatliche Akteure im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG wegen eines der oben genannten Gründe hat er weder beim Bundesamt noch im Klageverfahren substantiiert und glaubhaft geltend gemacht. Es ist jedoch Sache des Schutzsuchenden, die Umstände, aus denen sich eine politische Verfolgung ergibt, in schlüssiger Form von sich aus vorzutragen, vgl. § 15 Abs. 1, § 25 Abs. 1 und 2 AsylG. Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten individuellen Schicksals und der Richtigkeit der Prognose drohender politischer Verfolgung gewinnen. Dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden kommt dabei besondere Bedeutung zu. Ihm selbst obliegt es, seine Gründe für das Vorliegen politischer Verfolgung folgerichtig, substantiiert, widerspruchsfrei und mit genauen Einzelheiten vorzutragen (vgl. BVerwG
Das Vorbringen des Klägers ist zu unsubstantiiert, oberflächlich und widersprüchlich, um eine Vorverfolgung glaubhaft machen zu können. Er vermochte nicht widerspruchsfrei darzulegen, wann und unter welchen Umständen er sich zu einer Mitwirkung bei dem „freien Militär“ entschließen hätte müssen. Zunächst behauptete er, dass diese alle zwei, drei Tage zu ihm gekommen seien. Auf Nachfrage erklärte er dagegen, dass sie nicht zu ihm gekommen seien, er sich aber bald hätte entscheiden müssen. Letztlich brachte er vor, dass die allgemeine Situation in Syrien schlecht sei und man dort nicht leben könne. Relevante Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a AsylG legte er damit jedoch nicht dar.
Das Vorbringen des Klägers weist außerdem unglaubwürdige Steigerungen auf. Erst in der zweiten Klagebegründung ließ er vorbringen, dass er seit 2011 Mitglied der syrischen Armee gewesen und desertiert sei. Er habe sich drei Jahre innerhalb Syriens versteckt. Nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung soll er sogar in Dunkelhaft gefangen gehalten und gefoltert worden sein. Es wäre zu erwarten gewesen, dass er dieses Geschehen bereits in seiner Anhörung beim Bundesamt von sich aus schildert. Warum dies nicht geschah, konnte er nicht nachvollziehbar erklären. Sein Hinweis auf eine mögliche Kenntniserlangung durch den syrischen Geheimdienst ist weder glaubwürdig noch nachvollziehbar.
2. Dem Kläger droht jedoch bei einer Rückkehr in seine Heimat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche Verfolgung.
a. Das Gericht geht auf der Grundlage der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen davon aus, dass der syrische Staat gegenwärtig das Stellen eines Asylantrages im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Anknüpfung und Ausdruck einer politischen missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System ansieht, die das Gebot der Loyalität gegenüber diesem verletzt (so auch z. B. VG Köln
Diese Beurteilung rechtfertigt sich nach wie vor aus der Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebestopps im April 2011 aus Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, der umfassenden Beobachtung syrischer Staatsangehöriger im Ausland durch die syrischen Geheimdienste, der Eskalation der innenpolitischen Situation seit dem März 2011 und dem Umgang der syrischen Behörden insbesondere seit Beginn 2012 mit Personen, die aus ihrer Sicht verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen (vgl. VG Augsburg
Hinsichtlich der Behandlung der aus westlichen Ländern abgeschobenen Personen fehlt es zwar für die letzten Jahre an belastbaren Zahlen der Rückkehrer. Dies ist darauf zurückzuführen, dass mit der Verschärfung des inneren Konfliktes in Syrien in den Jahren 2011/2012 wegen verschiedener Abschiebestopps keine abgelehnten Flüchtlinge abgeschoben wurden. Bis vor kurzer Zeit entsprach es der Praxis der Beklagten syrischen Flüchtlingen grundsätzlich den Flüchtlingsstatus zuzuerkennen, so dass keine Abschiebungen erfolgten. Dies gilt auch im Hinblick auf die mittlerweile stärker verbreitete Entscheidungspraxis der Beklagten, Syrern nur noch den subsidiären Schutzstatus zu gewähren. Die Beurteilung der im Falle einer Rückkehr drohenden Verfolgung und ihres Charakters kann daher nach wie vor nur im Wege einer Prognose aufgrund der zur Verfügung stehenden verifizierbaren Tatsachenberichte zu Verfolgungshandlungen gegenüber politischen Gegnern im Inland erfolgen (vgl. VG Meiningen
b. Es sind keine Anhaltspunkte erkennbar, dass sich an dieser Einschätzung etwas entscheidend zum Besseren geändert hat. Die Beklagte ist weder in dem streitgegenständlichen Bescheid noch im gerichtlichen Verfahren auf eine - mögliche - Gefährdung des Klägers bei einer Rückkehr nach Syrien eingegangen. Eine (vertiefte) Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation in Syrien fehlt. Stichhaltige Argumente, die zur Überzeugung des Gerichts eine - teilweise - Abkehr von der bisherigen Entscheidungspraxis der grundsätzlichen Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und den in den vergangenen Monaten zunehmenden Übergang auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus rechtfertigen könnten, wurden nicht vorgebracht.
Die immer stärker eskalierende Situation in Syrien mit der steigenden Zahl an Flüchtlingen hat nicht zur Folge, dass der einzelne sich im westlichen Ausland aufhaltende Flüchtling wegen dieses Massenphänomens nicht mehr als potenzieller politischer Gegner angesehen wird. Nach der Auffassung der syrischen Regierung handelt es sich bei dem sich zu einem Bürgerkrieg entwickelten Aufstand um eine von außen organisierte und finanzierte Verschwörung gegen das Land, der mit allen Mitteln zu begegnen ist. Daher muss mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer politischen Verfolgung von zurückkehrenden Asylbewerbern gerechnet werden (vgl. VG Stuttgart
Hinzu kommt, dass die Situation der Flüchtlinge, die in die Nachbarländer Syriens geflohen sind, nicht mit der von aus dem westlichen Ausland und Deutschland zurückgeführten Syrern vergleichbar ist, die bereits zahlenmäßig deutlich in der Minderzahl sind. Bei einer Rückführung letzterer über den von den syrischen Regierungskräften kontrollierten Flughafen in Damaskus bedarf es für eine Befragung mit der Gefahr anschließender Folterung durch Mitarbeiter der verschiedenen Geheimdienste keiner großen Ressourcen (vgl. VG Hannover
Diese Einschätzung wird durch die aktuellen Erkenntnisquellen bestätigt. Dem Auswärtigen Amt war es wegen der Lage in Syrien nicht möglich, seine Lageberichte, wie üblich, in regelmäßigen Zeitabständen zu aktualisieren. Der letzte reguläre Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien datiert vom 27. September 2010, also vor den im Frühjahr 2011 aufgeflammten Unruhen. Seitdem hat das Auswärtige Amt nur einen einzigen „Ad hoc-Bericht“ veröffentlicht. Die Deutsche Botschaft Damaskus hat den operativen Dienstbetrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt (vgl. Auskunft AA an BAMF vom 8.3.2012).
Zwar lägen dem Auswärtigen Amt keine Erkenntnisse dazu vor, dass ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erleiden hätten. Allerdings seien Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt, zeitweilig inhaftiert oder dauerhaft verschwunden seien (vgl. Auskunft der Botschaft Beirut vom 3.2.2016). Dies stehe überwiegend im Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten oder mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst. Nach einer nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes verlässlichen Studie des „Danish Immigration Service“ vom September 2015 würden desertierten Syrern Militärtribunale, Folter, lebenslange Haft oder Hinrichtung drohen. Werde der Deserteur mit Oppositionsgruppierungen in Verbindung gebracht, bestehe laut dieser Studie für die Familie das Risiko von Sippenhaft. Bezüglich der Motivation zur vermehrten Ausstellung syrischer Pässe durch Stellen innerhalb Syriens, aber auch durch die syrischen Auslandsvertretungen, weist das Auswärtige Amt darauf hin, dass sich die wirtschaftliche Lage des syrischen Regimes im ersten Quartal 2015 vermutlich weiter verschlechtert habe. Hierauf würden damalige intensive Verhandlungen über neue Kreditlinien mit Russland und dem Iran, die steigende Inflation, der Verfall der Infrastruktur, sowie der Verlust von Wirtschaftsräumen hindeuten. Es sei zu vermuten, dass speziell Einnahmen aus Passgebühren dem allgemeinen syrischen Staatshaushalt zugute kämen.
Wie sich den „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ (3. aktualisierte Fassung) vom Oktober 2014 entnehmen lässt, hat sich die Lage in Syrien seit der zweiten aktualisierten Fassung vom Oktober 2013 im Hinblick auf Sicherheit, Menschenrechte, Vertreibung und Bedarf an humanitärer Hilfe weiter verschlechtert. Fast alle Teile des Landes seien zum jetzigen Zeitpunkt in Gewalt verstrickt, wobei die Gewalthandlungen zwischen verschiedenen Akteuren mit teilweise überlappenden Konflikten ausgetragen und durch die Beteiligung ausländischer Kämpfer auf allen Seiten verschärft würden. Kampfhandlungen zwischen den syrischen Regierungstruppen und einer Vielzahl bewaffneter oppositioneller Gruppen würden unvermindert fortgesetzt.
Die aktuellen UNHCR-Erwägungen vom November 2015 (4. aktualisierte Fassung) führen aus, dass der Konflikt mit unverminderter Intensität fortgesetzt werde. Er sei mit verheerenden Konsequenzen für die syrische Bevölkerung, einschließlich einer steigenden Zahl ziviler Opfer, interner und externer Vertreibung in großem Maßstab und einer humanitären Krise von bislang unbekanntem Ausmaß verbunden. Die meisten Hauptstädte der Gouvernements (ausgenommen Raqqa und Idlib) einschließlich der Hauptstadt Damaskus sowie die Küstengebiete der Gouvernements Latakia und Tartus stünden weiterhin unter der teilweisen oder vollständigen Kontrolle der syrischen Streitkräfte. Diese hätten jedoch Berichten zufolge im Laufe des vergangenen Jahres strategisch wichtige Standorte und militärische Stellungen in einigen Gouvernements verloren. In jüngerer Zeit hätten Berichten zufolge Regierungskräfte mit zunehmender Unterstützung von Verbündeten aus dem Ausland eine größere Militäroffensive an mehreren Fronten gestartet, um verlorene Gebiete zurückzuerobern.
Nach Einschätzung des UNHCR sei es wahrscheinlich, dass die meisten asylsuchenden Syrer die Kriterien für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllten, da sie eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen eines oder mehrerer Gründe der GFK hätten. Syrischen Staatsangehörigen und Personen mit gewöhnlichen Aufenthaltsort in Syrien, die aus dem Land geflohen seien, könne beispielsweise Verfolgung aufgrund einer politischen Überzeugung drohen, die ihnen gemäß einer vermeintlichen Verbindung mit einer Konfliktpartei unterstellt werde, oder aufgrund ihrer religiösen Überzeugung, ihrer ethnischen Identität oder abhängig davon, welche Konfliktpartei die Nachbarschaft oder das Dorf kontrolliere, aus dem die Betroffenen stammen. Im Lichte der immer schwierigeren Sicherheits- und Menschenrechtslage und humanitären Situation in Syrien und einer fehlenden politischen Lösung zum jetzigen Zeitpunkt begrüße UNHCR die Tatsache, dass viele Regierungen Maßnahmen ergriffen hätten, um die zwangsweise Rückführung von syrischen Staatsangehörigen oder Personen mit gewöhnlichen Aufenthaltsort in Syrien auszusetzen, einschließlich solcher Personen, deren Asylanträge abgelehnt worden seien. Derartige Maßnahmen sollten bis auf weiteres aufrechterhalten werden.
Das Gericht teilt die Einschätzung des UNHCR, dass sich die Lage in Syrien im Vergleich zu den Jahren 2012/2013 verschlechtert hat. Die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente sind angesichts der Rolle, die dem UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden sind, besonders relevant (vgl. EuGH vom 30.5.2013 Az. C-528/11), auch wenn das Gericht an die rechtliche Beurteilung des UNHCR nicht gebunden ist.
Nach den Erkenntnissen von Amnesty International halten die staatlichen Sicherheitskräfte nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft (vgl. Amnesty Report 2016). Zehntausende Menschen, die seit Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 inhaftiert worden waren, seien „verschwunden“ geblieben. Unter ihnen hätten sich friedliche Regierungskritiker und -gegner sowie Familienangehörige, die anstelle ihrer von den Behörden gesuchten Angehörigen inhaftiert worden seien, befunden. Folter und andere Misshandlungen von Inhaftierten in Gefängnissen sowie durch den staatlichen Sicherheitsdienst und die Geheimdienste seien auch im Jahr 2015 weit verbreitet gewesen und würden systematisch angewendet, was erneut zu vielen Todesfällen im Gewahrsam geführt habe. Zehntausende Zivilpersonen, darunter auch friedliche Aktivisten, seien von Sicherheitskräften der Regierung festgenommen worden. Viele von ihnen hätten lange Zeiträume in Untersuchungshaft verbracht, wo sie gefoltert oder anderweitig misshandelt worden seien. Nach der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 14. April 2015 wurden die von Baschar al Assad erlassenen Amnestien nur mangelhaft und willkürlich umgesetzt.
c. Das Gericht teilt nicht die Auffassung, dass unverfolgt ausgereiste Rückkehrer nach Syrien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr politisch verfolgt werden (so aber z. B. VG Düsseldorf
d. Eine innerstaatliche Fluchtalternative steht dem Kläger nicht zur Verfügung, da er bei einer Einreise über den Flughafen in Damaskus keinen sicheren Landesteil sicher und legal erreichen kann, vgl. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG.
e. Schließlich scheidet die Flüchtlingsanerkennung auch nicht aus anderen Gründen, wie z. B. dem Alter des Klägers, aus. Dieser ist ein junger sunnitischer Mann im wehrfähigen Alter. Es besteht die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass er bei einer Rückkehr nach Syrien staatliche Verfolgung erleiden wird, weil er die vermutete Systemfeindlichkeit bei einer Befragung durch die syrischen Sicherheitsbehörden nicht wird widerlegen können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.
Die Höhe des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 30 RVG.
(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die
- 1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder - 2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.
(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:
- 1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, - 2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, - 3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, - 4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, - 5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen, - 6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.
(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.
(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:
- 1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe; - 2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind; - 3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird; - 4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn - a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und - b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
- 5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.
(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.
(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die
- 1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder - 2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.
(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:
- 1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, - 2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, - 3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, - 4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, - 5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen, - 6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.
(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.
Tenor
I.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen. Der Bescheid vom
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Der nach seinen Angaben am ...1991 geborene Kläger gibt an, syrischer Staatsangehöriger arabischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit zu sein. Er brachte in der Anhörung gemäß § 25 AsylG am 1. April 2016 vor, in Syrien zuletzt in Damaskus, Stadtteil D., ... gelebt zu haben. Er verließ sein Heimatland am 15. September 2015, reiste ca. am 3. Oktober 2015 auf dem Landweg in Deutschland ein und stellte nach den Angaben im Behördenakt am 14. März 2016 einen Asylantrag.
In der Anhörung brachte er u. a. vor, dass es zwei Armeen gebe. Die eine sei für Assad. Ein freies Militär sei gegen Assad. Das freie Militär habe seinen Stadtteil besetzt gehabt. Dieses habe gegen das Assad-Militär gekämpft. Deswegen habe man nicht mehr rausgehen können. Alle Geschäfte seien geschlossen gewesen. Man habe nicht mehr einkaufen können. Dieses freie Militär sei zu ihm gekommen und hätte gewollt, dass er ihnen beitrete. Diese seien auch untereinander getrennt. Es gebe viele verschiedene Anführer und alle wollten, dass er mitkämpfe. Jeder Anführer wolle viele Soldaten. Alle zwei, drei Tage seien diese zu ihm gekommen und hätten ihn gefragt, ob er ihnen beitrete. Diese zerstrittenen Gruppen würden „Loak Alislam“ und „Tahreer Alscham“ heißen. Wenn er in einen anderen Stadtteil gehe, werde er vom Baschar Militär entführt, damit er in dieses eintrete. Normalerweise müsse man zwei Jahre Wehrdienst machen. Da er eine Ausbildung gemacht habe, sei er nicht mit 18 Jahren eingezogen worden. Aber 2013 sei ihm gesagt worden, dass er eingezogen werden solle. Aber er sei geflohen. Er habe in D. gewohnt. Dort herrsche nicht das Assad-Militär. Also hätten sie ihn dort nicht entführen können. Normalerweise habe man ein Wehrbuch. Dort stehe das Datum und wenn dieses erreicht sei, müsse man sich melden.
Im September 2015 sei er zum ersten Mal von diesen zerstrittenen Gruppen gefragt worden. Auf Nachfrage erklärte der Kläger, dass sie nicht alle zwei bis drei Tage gekommen seien. Aber er habe sich entscheiden müssen. Er sei lieber geflohen. Die Leute kämen nicht direkt zu einem. Man müsse sich entscheiden. Er hätte sich bald entscheiden müssen. Die Leute in seinem Viertel hätten gewusst, dass er sich noch nicht entschieden habe. Er sei davon ausgegangen, dass er bald gefragt werde und sei deshalb vorsichtshalber geflohen. Wenn er sich geweigert hätte, wäre er mit Gewalt dazu gezwungen oder entführt worden. Einer seiner Brüder sei 18 Jahre alt und studiere in Damaskus. Seine Einberufung sei immer wieder verschoben worden. Sein anderer Bruder sei 27 Jahre alt und verheiratet. Er sei nicht so interessant wie der Kläger. Irgendwann werde es ihnen gehen wie ihm. Dann müssten sie auch fliehen. Bei einer Rückkehr nach Syrien befürchte er, entführt zu werden. Oder er müsse zum Militär gehen oder werde getötet. Die allgemeine Situation in Syrien sei schlecht. Man könne dort nicht leben. Auch wenn er allein geflohen sei, heiße das nicht, dass seine Familie dort glücklich sei.
Das Bundesamt erkannte dem Kläger mit Bescheid vom
Mit Schriftsatz vom 21. April 2016, eingegangen beim Verwaltungsgericht Regensburg
Zur Begründung der Klage wird im Wesentlichen vorgebracht, dass der Kläger Syrien verlassen habe, um sich dem Militärdienst und der Rekrutierung durch kämpferische Gruppen zu entziehen. Er sei mit dem Schiff über das Mittelmeer nach Europa gekommen. Er habe sein Land aber auch wegen der Kriegsführung verlassen. Insoweit werde er noch Fotos der Situation seiner Heimatstadt nachreichen. Er habe vorgetragen, dass er Angst gehabt habe, in die Kriegsführung mit einbezogen zu werden. Näheres hierzu werde noch vorgetragen.
Der Kläger sei seit 2011 Mitglied der syrischen Armee gewesen. Er sei allerdings desertiert und habe sich drei Jahre innerhalb Syriens versteckt. Stationiert sei er in der Stadt D2. gewesen. Seine Eltern hätten in der Stadt A. gewohnt. Dort sei er dann auch gesucht worden und die Eltern hätten Nachteile erlitten, weil es in Fällen dieser Art üblich sei, das Eigentum zu beschlagnahmen. Die Eltern hätten ihr Haus verloren. Der Kläger habe Zuflucht bei seinem Großvater gesucht. Dies sei in der Stadt A2... gewesen, die mittlerweile in Schutt und Asche liege. Bis zu dem Termin werde der Kläger den Pass erhalten, der ihn als Mitglied der syrischen Armee ausweise.
Der Kläger lässt beantragen,
die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen und den Bescheid vom 6. April 2015 (richtig: 2016) in Nr. 2 insoweit aufzuheben, als er dieser Verpflichtung entgegensteht.
Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die angefochtene Entscheidung,
die Klage abzuweisen.
Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze, den Inhalt der Asylakten und die Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen. Der Gerichtsakt im Verfahren RO 1 K 16.30671 wurde beigezogen.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist in Nr. 2 hinsichtlich der Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Dieser hat im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG.
Diese ist ihm zuzuerkennen, da er sich nach der Überzeugung des Gerichts aus begründeter Furcht vor Verfolgung durch den syrischen Staat wegen seiner vermuteten politischen Überzeugung außerhalb Syriens befindet, § 3 Abs. 1, 4 AsylG. Er hat Syrien zwar nicht wegen Verfolgung im Sinne dieser Vorschrift verlassen, es droht ihm jedoch bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine solche.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Die Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von
1. dem Staat,
2. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen oder
3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn eine interne Schutzmöglichkeit besteht, vgl. § 3e AsylG.
Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist. Es kommt auch nicht darauf an, ob er diese Merkmale tatsächlich aufweist. Vielmehr reicht es aus, wenn ihm diese von seinem Verfolger zugeschrieben werden, § 3b Abs. 2 AsylG. Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt auch bei einer erlittenen Vorverfolgung der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG
Die begründete Furcht vor Verfolgung kann gemäß § 28 Abs. 1a AsylG auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während eines Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit keine Einschränkung. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen (vgl. OVG Sachsen-Anhalt
Schutz nach § 3 Abs. 1 AsylG kann nur derjenige beanspruchen, der politische Verfolgung bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat. Eine Verfolgungsgefahr für einen nicht verfolgt Ausgereisten und damit dessen begründete Furcht vor Verfolgung liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unter folgenden Voraussetzungen vor (BVerwG
„Ist der Asylsuchende unverfolgt ausgereist, liegt eine Verfolgungsgefahr und damit eine begründete Furcht vor Verfolgung vor, wenn ihm bei verständiger, nämlich objektiver, Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Antragstellers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen“ oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50% Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden „zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts“ die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr „beachtlich“ ist. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50% für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z. B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert
1. Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist.
Eine Verfolgung durch den syrischen Staat und/oder durch nichtstaatliche Akteure im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG wegen eines der oben genannten Gründe hat er weder beim Bundesamt noch im Klageverfahren substantiiert und glaubhaft geltend gemacht. Es ist jedoch Sache des Schutzsuchenden, die Umstände, aus denen sich eine politische Verfolgung ergibt, in schlüssiger Form von sich aus vorzutragen, vgl. § 15 Abs. 1, § 25 Abs. 1 und 2 AsylG. Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten individuellen Schicksals und der Richtigkeit der Prognose drohender politischer Verfolgung gewinnen. Dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden kommt dabei besondere Bedeutung zu. Ihm selbst obliegt es, seine Gründe für das Vorliegen politischer Verfolgung folgerichtig, substantiiert, widerspruchsfrei und mit genauen Einzelheiten vorzutragen (vgl. BVerwG
Das Vorbringen des Klägers ist zu unsubstantiiert, oberflächlich und widersprüchlich, um eine Vorverfolgung glaubhaft machen zu können. Er vermochte nicht widerspruchsfrei darzulegen, wann und unter welchen Umständen er sich zu einer Mitwirkung bei dem „freien Militär“ entschließen hätte müssen. Zunächst behauptete er, dass diese alle zwei, drei Tage zu ihm gekommen seien. Auf Nachfrage erklärte er dagegen, dass sie nicht zu ihm gekommen seien, er sich aber bald hätte entscheiden müssen. Letztlich brachte er vor, dass die allgemeine Situation in Syrien schlecht sei und man dort nicht leben könne. Relevante Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a AsylG legte er damit jedoch nicht dar.
Das Vorbringen des Klägers weist außerdem unglaubwürdige Steigerungen auf. Erst in der zweiten Klagebegründung ließ er vorbringen, dass er seit 2011 Mitglied der syrischen Armee gewesen und desertiert sei. Er habe sich drei Jahre innerhalb Syriens versteckt. Nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung soll er sogar in Dunkelhaft gefangen gehalten und gefoltert worden sein. Es wäre zu erwarten gewesen, dass er dieses Geschehen bereits in seiner Anhörung beim Bundesamt von sich aus schildert. Warum dies nicht geschah, konnte er nicht nachvollziehbar erklären. Sein Hinweis auf eine mögliche Kenntniserlangung durch den syrischen Geheimdienst ist weder glaubwürdig noch nachvollziehbar.
2. Dem Kläger droht jedoch bei einer Rückkehr in seine Heimat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche Verfolgung.
a. Das Gericht geht auf der Grundlage der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen davon aus, dass der syrische Staat gegenwärtig das Stellen eines Asylantrages im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Anknüpfung und Ausdruck einer politischen missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System ansieht, die das Gebot der Loyalität gegenüber diesem verletzt (so auch z. B. VG Köln
Diese Beurteilung rechtfertigt sich nach wie vor aus der Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebestopps im April 2011 aus Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, der umfassenden Beobachtung syrischer Staatsangehöriger im Ausland durch die syrischen Geheimdienste, der Eskalation der innenpolitischen Situation seit dem März 2011 und dem Umgang der syrischen Behörden insbesondere seit Beginn 2012 mit Personen, die aus ihrer Sicht verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen (vgl. VG Augsburg
Hinsichtlich der Behandlung der aus westlichen Ländern abgeschobenen Personen fehlt es zwar für die letzten Jahre an belastbaren Zahlen der Rückkehrer. Dies ist darauf zurückzuführen, dass mit der Verschärfung des inneren Konfliktes in Syrien in den Jahren 2011/2012 wegen verschiedener Abschiebestopps keine abgelehnten Flüchtlinge abgeschoben wurden. Bis vor kurzer Zeit entsprach es der Praxis der Beklagten syrischen Flüchtlingen grundsätzlich den Flüchtlingsstatus zuzuerkennen, so dass keine Abschiebungen erfolgten. Dies gilt auch im Hinblick auf die mittlerweile stärker verbreitete Entscheidungspraxis der Beklagten, Syrern nur noch den subsidiären Schutzstatus zu gewähren. Die Beurteilung der im Falle einer Rückkehr drohenden Verfolgung und ihres Charakters kann daher nach wie vor nur im Wege einer Prognose aufgrund der zur Verfügung stehenden verifizierbaren Tatsachenberichte zu Verfolgungshandlungen gegenüber politischen Gegnern im Inland erfolgen (vgl. VG Meiningen
b. Es sind keine Anhaltspunkte erkennbar, dass sich an dieser Einschätzung etwas entscheidend zum Besseren geändert hat. Die Beklagte ist weder in dem streitgegenständlichen Bescheid noch im gerichtlichen Verfahren auf eine - mögliche - Gefährdung des Klägers bei einer Rückkehr nach Syrien eingegangen. Eine (vertiefte) Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation in Syrien fehlt. Stichhaltige Argumente, die zur Überzeugung des Gerichts eine - teilweise - Abkehr von der bisherigen Entscheidungspraxis der grundsätzlichen Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und den in den vergangenen Monaten zunehmenden Übergang auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus rechtfertigen könnten, wurden nicht vorgebracht.
Die immer stärker eskalierende Situation in Syrien mit der steigenden Zahl an Flüchtlingen hat nicht zur Folge, dass der einzelne sich im westlichen Ausland aufhaltende Flüchtling wegen dieses Massenphänomens nicht mehr als potenzieller politischer Gegner angesehen wird. Nach der Auffassung der syrischen Regierung handelt es sich bei dem sich zu einem Bürgerkrieg entwickelten Aufstand um eine von außen organisierte und finanzierte Verschwörung gegen das Land, der mit allen Mitteln zu begegnen ist. Daher muss mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer politischen Verfolgung von zurückkehrenden Asylbewerbern gerechnet werden (vgl. VG Stuttgart
Hinzu kommt, dass die Situation der Flüchtlinge, die in die Nachbarländer Syriens geflohen sind, nicht mit der von aus dem westlichen Ausland und Deutschland zurückgeführten Syrern vergleichbar ist, die bereits zahlenmäßig deutlich in der Minderzahl sind. Bei einer Rückführung letzterer über den von den syrischen Regierungskräften kontrollierten Flughafen in Damaskus bedarf es für eine Befragung mit der Gefahr anschließender Folterung durch Mitarbeiter der verschiedenen Geheimdienste keiner großen Ressourcen (vgl. VG Hannover
Diese Einschätzung wird durch die aktuellen Erkenntnisquellen bestätigt. Dem Auswärtigen Amt war es wegen der Lage in Syrien nicht möglich, seine Lageberichte, wie üblich, in regelmäßigen Zeitabständen zu aktualisieren. Der letzte reguläre Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien datiert vom 27. September 2010, also vor den im Frühjahr 2011 aufgeflammten Unruhen. Seitdem hat das Auswärtige Amt nur einen einzigen „Ad hoc-Bericht“ veröffentlicht. Die Deutsche Botschaft Damaskus hat den operativen Dienstbetrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt (vgl. Auskunft AA an BAMF vom 8.3.2012).
Zwar lägen dem Auswärtigen Amt keine Erkenntnisse dazu vor, dass ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erleiden hätten. Allerdings seien Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt, zeitweilig inhaftiert oder dauerhaft verschwunden seien (vgl. Auskunft der Botschaft Beirut vom 3.2.2016). Dies stehe überwiegend im Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten oder mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst. Nach einer nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes verlässlichen Studie des „Danish Immigration Service“ vom September 2015 würden desertierten Syrern Militärtribunale, Folter, lebenslange Haft oder Hinrichtung drohen. Werde der Deserteur mit Oppositionsgruppierungen in Verbindung gebracht, bestehe laut dieser Studie für die Familie das Risiko von Sippenhaft. Bezüglich der Motivation zur vermehrten Ausstellung syrischer Pässe durch Stellen innerhalb Syriens, aber auch durch die syrischen Auslandsvertretungen, weist das Auswärtige Amt darauf hin, dass sich die wirtschaftliche Lage des syrischen Regimes im ersten Quartal 2015 vermutlich weiter verschlechtert habe. Hierauf würden damalige intensive Verhandlungen über neue Kreditlinien mit Russland und dem Iran, die steigende Inflation, der Verfall der Infrastruktur, sowie der Verlust von Wirtschaftsräumen hindeuten. Es sei zu vermuten, dass speziell Einnahmen aus Passgebühren dem allgemeinen syrischen Staatshaushalt zugute kämen.
Wie sich den „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ (3. aktualisierte Fassung) vom Oktober 2014 entnehmen lässt, hat sich die Lage in Syrien seit der zweiten aktualisierten Fassung vom Oktober 2013 im Hinblick auf Sicherheit, Menschenrechte, Vertreibung und Bedarf an humanitärer Hilfe weiter verschlechtert. Fast alle Teile des Landes seien zum jetzigen Zeitpunkt in Gewalt verstrickt, wobei die Gewalthandlungen zwischen verschiedenen Akteuren mit teilweise überlappenden Konflikten ausgetragen und durch die Beteiligung ausländischer Kämpfer auf allen Seiten verschärft würden. Kampfhandlungen zwischen den syrischen Regierungstruppen und einer Vielzahl bewaffneter oppositioneller Gruppen würden unvermindert fortgesetzt.
Die aktuellen UNHCR-Erwägungen vom November 2015 (4. aktualisierte Fassung) führen aus, dass der Konflikt mit unverminderter Intensität fortgesetzt werde. Er sei mit verheerenden Konsequenzen für die syrische Bevölkerung, einschließlich einer steigenden Zahl ziviler Opfer, interner und externer Vertreibung in großem Maßstab und einer humanitären Krise von bislang unbekanntem Ausmaß verbunden. Die meisten Hauptstädte der Gouvernements (ausgenommen Raqqa und Idlib) einschließlich der Hauptstadt Damaskus sowie die Küstengebiete der Gouvernements Latakia und Tartus stünden weiterhin unter der teilweisen oder vollständigen Kontrolle der syrischen Streitkräfte. Diese hätten jedoch Berichten zufolge im Laufe des vergangenen Jahres strategisch wichtige Standorte und militärische Stellungen in einigen Gouvernements verloren. In jüngerer Zeit hätten Berichten zufolge Regierungskräfte mit zunehmender Unterstützung von Verbündeten aus dem Ausland eine größere Militäroffensive an mehreren Fronten gestartet, um verlorene Gebiete zurückzuerobern.
Nach Einschätzung des UNHCR sei es wahrscheinlich, dass die meisten asylsuchenden Syrer die Kriterien für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllten, da sie eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen eines oder mehrerer Gründe der GFK hätten. Syrischen Staatsangehörigen und Personen mit gewöhnlichen Aufenthaltsort in Syrien, die aus dem Land geflohen seien, könne beispielsweise Verfolgung aufgrund einer politischen Überzeugung drohen, die ihnen gemäß einer vermeintlichen Verbindung mit einer Konfliktpartei unterstellt werde, oder aufgrund ihrer religiösen Überzeugung, ihrer ethnischen Identität oder abhängig davon, welche Konfliktpartei die Nachbarschaft oder das Dorf kontrolliere, aus dem die Betroffenen stammen. Im Lichte der immer schwierigeren Sicherheits- und Menschenrechtslage und humanitären Situation in Syrien und einer fehlenden politischen Lösung zum jetzigen Zeitpunkt begrüße UNHCR die Tatsache, dass viele Regierungen Maßnahmen ergriffen hätten, um die zwangsweise Rückführung von syrischen Staatsangehörigen oder Personen mit gewöhnlichen Aufenthaltsort in Syrien auszusetzen, einschließlich solcher Personen, deren Asylanträge abgelehnt worden seien. Derartige Maßnahmen sollten bis auf weiteres aufrechterhalten werden.
Das Gericht teilt die Einschätzung des UNHCR, dass sich die Lage in Syrien im Vergleich zu den Jahren 2012/2013 verschlechtert hat. Die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente sind angesichts der Rolle, die dem UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden sind, besonders relevant (vgl. EuGH vom 30.5.2013 Az. C-528/11), auch wenn das Gericht an die rechtliche Beurteilung des UNHCR nicht gebunden ist.
Nach den Erkenntnissen von Amnesty International halten die staatlichen Sicherheitskräfte nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft (vgl. Amnesty Report 2016). Zehntausende Menschen, die seit Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 inhaftiert worden waren, seien „verschwunden“ geblieben. Unter ihnen hätten sich friedliche Regierungskritiker und -gegner sowie Familienangehörige, die anstelle ihrer von den Behörden gesuchten Angehörigen inhaftiert worden seien, befunden. Folter und andere Misshandlungen von Inhaftierten in Gefängnissen sowie durch den staatlichen Sicherheitsdienst und die Geheimdienste seien auch im Jahr 2015 weit verbreitet gewesen und würden systematisch angewendet, was erneut zu vielen Todesfällen im Gewahrsam geführt habe. Zehntausende Zivilpersonen, darunter auch friedliche Aktivisten, seien von Sicherheitskräften der Regierung festgenommen worden. Viele von ihnen hätten lange Zeiträume in Untersuchungshaft verbracht, wo sie gefoltert oder anderweitig misshandelt worden seien. Nach der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 14. April 2015 wurden die von Baschar al Assad erlassenen Amnestien nur mangelhaft und willkürlich umgesetzt.
c. Das Gericht teilt nicht die Auffassung, dass unverfolgt ausgereiste Rückkehrer nach Syrien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr politisch verfolgt werden (so aber z. B. VG Düsseldorf
d. Eine innerstaatliche Fluchtalternative steht dem Kläger nicht zur Verfügung, da er bei einer Einreise über den Flughafen in Damaskus keinen sicheren Landesteil sicher und legal erreichen kann, vgl. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG.
e. Schließlich scheidet die Flüchtlingsanerkennung auch nicht aus anderen Gründen, wie z. B. dem Alter des Klägers, aus. Dieser ist ein junger sunnitischer Mann im wehrfähigen Alter. Es besteht die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass er bei einer Rückkehr nach Syrien staatliche Verfolgung erleiden wird, weil er die vermutete Systemfeindlichkeit bei einer Befragung durch die syrischen Sicherheitsbehörden nicht wird widerlegen können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.
Die Höhe des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 30 RVG.
Tenor
Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 29.08.2012 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass beim Kläger im Hinblick auf die Arabische Republik Syrien die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
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Entscheidungsgründe
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Gründe
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Tenor
I.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen. Der Bescheid vom
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Der nach seinen Angaben am ...1991 geborene Kläger gibt an, syrischer Staatsangehöriger arabischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit zu sein. Er brachte in der Anhörung gemäß § 25 AsylG am 1. April 2016 vor, in Syrien zuletzt in Damaskus, Stadtteil D., ... gelebt zu haben. Er verließ sein Heimatland am 15. September 2015, reiste ca. am 3. Oktober 2015 auf dem Landweg in Deutschland ein und stellte nach den Angaben im Behördenakt am 14. März 2016 einen Asylantrag.
In der Anhörung brachte er u. a. vor, dass es zwei Armeen gebe. Die eine sei für Assad. Ein freies Militär sei gegen Assad. Das freie Militär habe seinen Stadtteil besetzt gehabt. Dieses habe gegen das Assad-Militär gekämpft. Deswegen habe man nicht mehr rausgehen können. Alle Geschäfte seien geschlossen gewesen. Man habe nicht mehr einkaufen können. Dieses freie Militär sei zu ihm gekommen und hätte gewollt, dass er ihnen beitrete. Diese seien auch untereinander getrennt. Es gebe viele verschiedene Anführer und alle wollten, dass er mitkämpfe. Jeder Anführer wolle viele Soldaten. Alle zwei, drei Tage seien diese zu ihm gekommen und hätten ihn gefragt, ob er ihnen beitrete. Diese zerstrittenen Gruppen würden „Loak Alislam“ und „Tahreer Alscham“ heißen. Wenn er in einen anderen Stadtteil gehe, werde er vom Baschar Militär entführt, damit er in dieses eintrete. Normalerweise müsse man zwei Jahre Wehrdienst machen. Da er eine Ausbildung gemacht habe, sei er nicht mit 18 Jahren eingezogen worden. Aber 2013 sei ihm gesagt worden, dass er eingezogen werden solle. Aber er sei geflohen. Er habe in D. gewohnt. Dort herrsche nicht das Assad-Militär. Also hätten sie ihn dort nicht entführen können. Normalerweise habe man ein Wehrbuch. Dort stehe das Datum und wenn dieses erreicht sei, müsse man sich melden.
Im September 2015 sei er zum ersten Mal von diesen zerstrittenen Gruppen gefragt worden. Auf Nachfrage erklärte der Kläger, dass sie nicht alle zwei bis drei Tage gekommen seien. Aber er habe sich entscheiden müssen. Er sei lieber geflohen. Die Leute kämen nicht direkt zu einem. Man müsse sich entscheiden. Er hätte sich bald entscheiden müssen. Die Leute in seinem Viertel hätten gewusst, dass er sich noch nicht entschieden habe. Er sei davon ausgegangen, dass er bald gefragt werde und sei deshalb vorsichtshalber geflohen. Wenn er sich geweigert hätte, wäre er mit Gewalt dazu gezwungen oder entführt worden. Einer seiner Brüder sei 18 Jahre alt und studiere in Damaskus. Seine Einberufung sei immer wieder verschoben worden. Sein anderer Bruder sei 27 Jahre alt und verheiratet. Er sei nicht so interessant wie der Kläger. Irgendwann werde es ihnen gehen wie ihm. Dann müssten sie auch fliehen. Bei einer Rückkehr nach Syrien befürchte er, entführt zu werden. Oder er müsse zum Militär gehen oder werde getötet. Die allgemeine Situation in Syrien sei schlecht. Man könne dort nicht leben. Auch wenn er allein geflohen sei, heiße das nicht, dass seine Familie dort glücklich sei.
Das Bundesamt erkannte dem Kläger mit Bescheid vom
Mit Schriftsatz vom 21. April 2016, eingegangen beim Verwaltungsgericht Regensburg
Zur Begründung der Klage wird im Wesentlichen vorgebracht, dass der Kläger Syrien verlassen habe, um sich dem Militärdienst und der Rekrutierung durch kämpferische Gruppen zu entziehen. Er sei mit dem Schiff über das Mittelmeer nach Europa gekommen. Er habe sein Land aber auch wegen der Kriegsführung verlassen. Insoweit werde er noch Fotos der Situation seiner Heimatstadt nachreichen. Er habe vorgetragen, dass er Angst gehabt habe, in die Kriegsführung mit einbezogen zu werden. Näheres hierzu werde noch vorgetragen.
Der Kläger sei seit 2011 Mitglied der syrischen Armee gewesen. Er sei allerdings desertiert und habe sich drei Jahre innerhalb Syriens versteckt. Stationiert sei er in der Stadt D2. gewesen. Seine Eltern hätten in der Stadt A. gewohnt. Dort sei er dann auch gesucht worden und die Eltern hätten Nachteile erlitten, weil es in Fällen dieser Art üblich sei, das Eigentum zu beschlagnahmen. Die Eltern hätten ihr Haus verloren. Der Kläger habe Zuflucht bei seinem Großvater gesucht. Dies sei in der Stadt A2... gewesen, die mittlerweile in Schutt und Asche liege. Bis zu dem Termin werde der Kläger den Pass erhalten, der ihn als Mitglied der syrischen Armee ausweise.
Der Kläger lässt beantragen,
die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen und den Bescheid vom 6. April 2015 (richtig: 2016) in Nr. 2 insoweit aufzuheben, als er dieser Verpflichtung entgegensteht.
Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die angefochtene Entscheidung,
die Klage abzuweisen.
Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze, den Inhalt der Asylakten und die Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen. Der Gerichtsakt im Verfahren RO 1 K 16.30671 wurde beigezogen.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist in Nr. 2 hinsichtlich der Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Dieser hat im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG.
Diese ist ihm zuzuerkennen, da er sich nach der Überzeugung des Gerichts aus begründeter Furcht vor Verfolgung durch den syrischen Staat wegen seiner vermuteten politischen Überzeugung außerhalb Syriens befindet, § 3 Abs. 1, 4 AsylG. Er hat Syrien zwar nicht wegen Verfolgung im Sinne dieser Vorschrift verlassen, es droht ihm jedoch bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine solche.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Die Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von
1. dem Staat,
2. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen oder
3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn eine interne Schutzmöglichkeit besteht, vgl. § 3e AsylG.
Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist. Es kommt auch nicht darauf an, ob er diese Merkmale tatsächlich aufweist. Vielmehr reicht es aus, wenn ihm diese von seinem Verfolger zugeschrieben werden, § 3b Abs. 2 AsylG. Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt auch bei einer erlittenen Vorverfolgung der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG
Die begründete Furcht vor Verfolgung kann gemäß § 28 Abs. 1a AsylG auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während eines Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit keine Einschränkung. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen (vgl. OVG Sachsen-Anhalt
Schutz nach § 3 Abs. 1 AsylG kann nur derjenige beanspruchen, der politische Verfolgung bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat. Eine Verfolgungsgefahr für einen nicht verfolgt Ausgereisten und damit dessen begründete Furcht vor Verfolgung liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unter folgenden Voraussetzungen vor (BVerwG
„Ist der Asylsuchende unverfolgt ausgereist, liegt eine Verfolgungsgefahr und damit eine begründete Furcht vor Verfolgung vor, wenn ihm bei verständiger, nämlich objektiver, Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Antragstellers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen“ oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50% Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden „zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts“ die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr „beachtlich“ ist. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50% für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z. B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert
1. Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist.
Eine Verfolgung durch den syrischen Staat und/oder durch nichtstaatliche Akteure im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG wegen eines der oben genannten Gründe hat er weder beim Bundesamt noch im Klageverfahren substantiiert und glaubhaft geltend gemacht. Es ist jedoch Sache des Schutzsuchenden, die Umstände, aus denen sich eine politische Verfolgung ergibt, in schlüssiger Form von sich aus vorzutragen, vgl. § 15 Abs. 1, § 25 Abs. 1 und 2 AsylG. Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten individuellen Schicksals und der Richtigkeit der Prognose drohender politischer Verfolgung gewinnen. Dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden kommt dabei besondere Bedeutung zu. Ihm selbst obliegt es, seine Gründe für das Vorliegen politischer Verfolgung folgerichtig, substantiiert, widerspruchsfrei und mit genauen Einzelheiten vorzutragen (vgl. BVerwG
Das Vorbringen des Klägers ist zu unsubstantiiert, oberflächlich und widersprüchlich, um eine Vorverfolgung glaubhaft machen zu können. Er vermochte nicht widerspruchsfrei darzulegen, wann und unter welchen Umständen er sich zu einer Mitwirkung bei dem „freien Militär“ entschließen hätte müssen. Zunächst behauptete er, dass diese alle zwei, drei Tage zu ihm gekommen seien. Auf Nachfrage erklärte er dagegen, dass sie nicht zu ihm gekommen seien, er sich aber bald hätte entscheiden müssen. Letztlich brachte er vor, dass die allgemeine Situation in Syrien schlecht sei und man dort nicht leben könne. Relevante Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a AsylG legte er damit jedoch nicht dar.
Das Vorbringen des Klägers weist außerdem unglaubwürdige Steigerungen auf. Erst in der zweiten Klagebegründung ließ er vorbringen, dass er seit 2011 Mitglied der syrischen Armee gewesen und desertiert sei. Er habe sich drei Jahre innerhalb Syriens versteckt. Nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung soll er sogar in Dunkelhaft gefangen gehalten und gefoltert worden sein. Es wäre zu erwarten gewesen, dass er dieses Geschehen bereits in seiner Anhörung beim Bundesamt von sich aus schildert. Warum dies nicht geschah, konnte er nicht nachvollziehbar erklären. Sein Hinweis auf eine mögliche Kenntniserlangung durch den syrischen Geheimdienst ist weder glaubwürdig noch nachvollziehbar.
2. Dem Kläger droht jedoch bei einer Rückkehr in seine Heimat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche Verfolgung.
a. Das Gericht geht auf der Grundlage der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen davon aus, dass der syrische Staat gegenwärtig das Stellen eines Asylantrages im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Anknüpfung und Ausdruck einer politischen missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System ansieht, die das Gebot der Loyalität gegenüber diesem verletzt (so auch z. B. VG Köln
Diese Beurteilung rechtfertigt sich nach wie vor aus der Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebestopps im April 2011 aus Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, der umfassenden Beobachtung syrischer Staatsangehöriger im Ausland durch die syrischen Geheimdienste, der Eskalation der innenpolitischen Situation seit dem März 2011 und dem Umgang der syrischen Behörden insbesondere seit Beginn 2012 mit Personen, die aus ihrer Sicht verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen (vgl. VG Augsburg
Hinsichtlich der Behandlung der aus westlichen Ländern abgeschobenen Personen fehlt es zwar für die letzten Jahre an belastbaren Zahlen der Rückkehrer. Dies ist darauf zurückzuführen, dass mit der Verschärfung des inneren Konfliktes in Syrien in den Jahren 2011/2012 wegen verschiedener Abschiebestopps keine abgelehnten Flüchtlinge abgeschoben wurden. Bis vor kurzer Zeit entsprach es der Praxis der Beklagten syrischen Flüchtlingen grundsätzlich den Flüchtlingsstatus zuzuerkennen, so dass keine Abschiebungen erfolgten. Dies gilt auch im Hinblick auf die mittlerweile stärker verbreitete Entscheidungspraxis der Beklagten, Syrern nur noch den subsidiären Schutzstatus zu gewähren. Die Beurteilung der im Falle einer Rückkehr drohenden Verfolgung und ihres Charakters kann daher nach wie vor nur im Wege einer Prognose aufgrund der zur Verfügung stehenden verifizierbaren Tatsachenberichte zu Verfolgungshandlungen gegenüber politischen Gegnern im Inland erfolgen (vgl. VG Meiningen
b. Es sind keine Anhaltspunkte erkennbar, dass sich an dieser Einschätzung etwas entscheidend zum Besseren geändert hat. Die Beklagte ist weder in dem streitgegenständlichen Bescheid noch im gerichtlichen Verfahren auf eine - mögliche - Gefährdung des Klägers bei einer Rückkehr nach Syrien eingegangen. Eine (vertiefte) Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation in Syrien fehlt. Stichhaltige Argumente, die zur Überzeugung des Gerichts eine - teilweise - Abkehr von der bisherigen Entscheidungspraxis der grundsätzlichen Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und den in den vergangenen Monaten zunehmenden Übergang auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus rechtfertigen könnten, wurden nicht vorgebracht.
Die immer stärker eskalierende Situation in Syrien mit der steigenden Zahl an Flüchtlingen hat nicht zur Folge, dass der einzelne sich im westlichen Ausland aufhaltende Flüchtling wegen dieses Massenphänomens nicht mehr als potenzieller politischer Gegner angesehen wird. Nach der Auffassung der syrischen Regierung handelt es sich bei dem sich zu einem Bürgerkrieg entwickelten Aufstand um eine von außen organisierte und finanzierte Verschwörung gegen das Land, der mit allen Mitteln zu begegnen ist. Daher muss mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer politischen Verfolgung von zurückkehrenden Asylbewerbern gerechnet werden (vgl. VG Stuttgart
Hinzu kommt, dass die Situation der Flüchtlinge, die in die Nachbarländer Syriens geflohen sind, nicht mit der von aus dem westlichen Ausland und Deutschland zurückgeführten Syrern vergleichbar ist, die bereits zahlenmäßig deutlich in der Minderzahl sind. Bei einer Rückführung letzterer über den von den syrischen Regierungskräften kontrollierten Flughafen in Damaskus bedarf es für eine Befragung mit der Gefahr anschließender Folterung durch Mitarbeiter der verschiedenen Geheimdienste keiner großen Ressourcen (vgl. VG Hannover
Diese Einschätzung wird durch die aktuellen Erkenntnisquellen bestätigt. Dem Auswärtigen Amt war es wegen der Lage in Syrien nicht möglich, seine Lageberichte, wie üblich, in regelmäßigen Zeitabständen zu aktualisieren. Der letzte reguläre Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien datiert vom 27. September 2010, also vor den im Frühjahr 2011 aufgeflammten Unruhen. Seitdem hat das Auswärtige Amt nur einen einzigen „Ad hoc-Bericht“ veröffentlicht. Die Deutsche Botschaft Damaskus hat den operativen Dienstbetrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt (vgl. Auskunft AA an BAMF vom 8.3.2012).
Zwar lägen dem Auswärtigen Amt keine Erkenntnisse dazu vor, dass ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erleiden hätten. Allerdings seien Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt, zeitweilig inhaftiert oder dauerhaft verschwunden seien (vgl. Auskunft der Botschaft Beirut vom 3.2.2016). Dies stehe überwiegend im Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten oder mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst. Nach einer nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes verlässlichen Studie des „Danish Immigration Service“ vom September 2015 würden desertierten Syrern Militärtribunale, Folter, lebenslange Haft oder Hinrichtung drohen. Werde der Deserteur mit Oppositionsgruppierungen in Verbindung gebracht, bestehe laut dieser Studie für die Familie das Risiko von Sippenhaft. Bezüglich der Motivation zur vermehrten Ausstellung syrischer Pässe durch Stellen innerhalb Syriens, aber auch durch die syrischen Auslandsvertretungen, weist das Auswärtige Amt darauf hin, dass sich die wirtschaftliche Lage des syrischen Regimes im ersten Quartal 2015 vermutlich weiter verschlechtert habe. Hierauf würden damalige intensive Verhandlungen über neue Kreditlinien mit Russland und dem Iran, die steigende Inflation, der Verfall der Infrastruktur, sowie der Verlust von Wirtschaftsräumen hindeuten. Es sei zu vermuten, dass speziell Einnahmen aus Passgebühren dem allgemeinen syrischen Staatshaushalt zugute kämen.
Wie sich den „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ (3. aktualisierte Fassung) vom Oktober 2014 entnehmen lässt, hat sich die Lage in Syrien seit der zweiten aktualisierten Fassung vom Oktober 2013 im Hinblick auf Sicherheit, Menschenrechte, Vertreibung und Bedarf an humanitärer Hilfe weiter verschlechtert. Fast alle Teile des Landes seien zum jetzigen Zeitpunkt in Gewalt verstrickt, wobei die Gewalthandlungen zwischen verschiedenen Akteuren mit teilweise überlappenden Konflikten ausgetragen und durch die Beteiligung ausländischer Kämpfer auf allen Seiten verschärft würden. Kampfhandlungen zwischen den syrischen Regierungstruppen und einer Vielzahl bewaffneter oppositioneller Gruppen würden unvermindert fortgesetzt.
Die aktuellen UNHCR-Erwägungen vom November 2015 (4. aktualisierte Fassung) führen aus, dass der Konflikt mit unverminderter Intensität fortgesetzt werde. Er sei mit verheerenden Konsequenzen für die syrische Bevölkerung, einschließlich einer steigenden Zahl ziviler Opfer, interner und externer Vertreibung in großem Maßstab und einer humanitären Krise von bislang unbekanntem Ausmaß verbunden. Die meisten Hauptstädte der Gouvernements (ausgenommen Raqqa und Idlib) einschließlich der Hauptstadt Damaskus sowie die Küstengebiete der Gouvernements Latakia und Tartus stünden weiterhin unter der teilweisen oder vollständigen Kontrolle der syrischen Streitkräfte. Diese hätten jedoch Berichten zufolge im Laufe des vergangenen Jahres strategisch wichtige Standorte und militärische Stellungen in einigen Gouvernements verloren. In jüngerer Zeit hätten Berichten zufolge Regierungskräfte mit zunehmender Unterstützung von Verbündeten aus dem Ausland eine größere Militäroffensive an mehreren Fronten gestartet, um verlorene Gebiete zurückzuerobern.
Nach Einschätzung des UNHCR sei es wahrscheinlich, dass die meisten asylsuchenden Syrer die Kriterien für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllten, da sie eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen eines oder mehrerer Gründe der GFK hätten. Syrischen Staatsangehörigen und Personen mit gewöhnlichen Aufenthaltsort in Syrien, die aus dem Land geflohen seien, könne beispielsweise Verfolgung aufgrund einer politischen Überzeugung drohen, die ihnen gemäß einer vermeintlichen Verbindung mit einer Konfliktpartei unterstellt werde, oder aufgrund ihrer religiösen Überzeugung, ihrer ethnischen Identität oder abhängig davon, welche Konfliktpartei die Nachbarschaft oder das Dorf kontrolliere, aus dem die Betroffenen stammen. Im Lichte der immer schwierigeren Sicherheits- und Menschenrechtslage und humanitären Situation in Syrien und einer fehlenden politischen Lösung zum jetzigen Zeitpunkt begrüße UNHCR die Tatsache, dass viele Regierungen Maßnahmen ergriffen hätten, um die zwangsweise Rückführung von syrischen Staatsangehörigen oder Personen mit gewöhnlichen Aufenthaltsort in Syrien auszusetzen, einschließlich solcher Personen, deren Asylanträge abgelehnt worden seien. Derartige Maßnahmen sollten bis auf weiteres aufrechterhalten werden.
Das Gericht teilt die Einschätzung des UNHCR, dass sich die Lage in Syrien im Vergleich zu den Jahren 2012/2013 verschlechtert hat. Die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente sind angesichts der Rolle, die dem UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden sind, besonders relevant (vgl. EuGH vom 30.5.2013 Az. C-528/11), auch wenn das Gericht an die rechtliche Beurteilung des UNHCR nicht gebunden ist.
Nach den Erkenntnissen von Amnesty International halten die staatlichen Sicherheitskräfte nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft (vgl. Amnesty Report 2016). Zehntausende Menschen, die seit Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 inhaftiert worden waren, seien „verschwunden“ geblieben. Unter ihnen hätten sich friedliche Regierungskritiker und -gegner sowie Familienangehörige, die anstelle ihrer von den Behörden gesuchten Angehörigen inhaftiert worden seien, befunden. Folter und andere Misshandlungen von Inhaftierten in Gefängnissen sowie durch den staatlichen Sicherheitsdienst und die Geheimdienste seien auch im Jahr 2015 weit verbreitet gewesen und würden systematisch angewendet, was erneut zu vielen Todesfällen im Gewahrsam geführt habe. Zehntausende Zivilpersonen, darunter auch friedliche Aktivisten, seien von Sicherheitskräften der Regierung festgenommen worden. Viele von ihnen hätten lange Zeiträume in Untersuchungshaft verbracht, wo sie gefoltert oder anderweitig misshandelt worden seien. Nach der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 14. April 2015 wurden die von Baschar al Assad erlassenen Amnestien nur mangelhaft und willkürlich umgesetzt.
c. Das Gericht teilt nicht die Auffassung, dass unverfolgt ausgereiste Rückkehrer nach Syrien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr politisch verfolgt werden (so aber z. B. VG Düsseldorf
d. Eine innerstaatliche Fluchtalternative steht dem Kläger nicht zur Verfügung, da er bei einer Einreise über den Flughafen in Damaskus keinen sicheren Landesteil sicher und legal erreichen kann, vgl. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG.
e. Schließlich scheidet die Flüchtlingsanerkennung auch nicht aus anderen Gründen, wie z. B. dem Alter des Klägers, aus. Dieser ist ein junger sunnitischer Mann im wehrfähigen Alter. Es besteht die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass er bei einer Rückkehr nach Syrien staatliche Verfolgung erleiden wird, weil er die vermutete Systemfeindlichkeit bei einer Befragung durch die syrischen Sicherheitsbehörden nicht wird widerlegen können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.
Die Höhe des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 30 RVG.
(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden
- 1.
vom Staat oder - 2.
von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,
(2) Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.
(3) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine internationale Organisation einen Staat oder einen wesentlichen Teil seines Staatsgebiets beherrscht und den in Absatz 2 genannten Schutz bietet, sind etwaige in einschlägigen Rechtsakten der Europäischen Union aufgestellte Leitlinien heranzuziehen.
(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er
- 1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und - 2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides vom 22.04.2016 verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt die Beklagte.
1
T a t b e s t a n d
2Der am 00.00.1972 in Homs/Syrien geborene Kläger zu 1), seine am 00.00.1978 in Homs geborene Ehefrau, die Klägerin zu 2), und ihre in den Jahren 1999, 2002, 2006 und 2007 in Homs geborenen gemeinsamen Kinder, die Kläger zu 3) bis 6), sind syrische Staatsangehörige. Sie reisten im April 2015 in die Bundesrepublik ein und meldeten sich am 14.04.2015 als Asylsuchende.
3Am 09.03.2016 haben die Kläger persönlich bei der Rechtsantragstelle des Gerichts Untätigkeitsklage erhoben, da sie seit der Erstmeldung keine weitere Nachricht von der Beklagten erhalten hätten.
4Am 22.03.2016 stellten die Kläger nach Aktenlage formelle Asylanträge bei der Beklagten. Im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 07.04.2016 trug der Kläger zu 1) zur Begründung vor, er sei Angestellter einer italienischen Ölfirma gewesen. Ihre wirtschaftliche Situation sei sehr gut gewesen. Er habe Syrien 2013 verlassen, da er 5 Tage gefangen gewesen sei. Man habe die Namen vertauscht und eigentlich einen anderen Mann gesucht. Er habe Probleme gehabt, weil auf seinem Ausweis „Homs C. P. “ stehe. Er komme aus einem Ort, in dem viele gegen die Regierung kämpfen. Deshalb habe er Angst. Er habe kein Haus mehr, er wolle ein ganz normales Leben führen. Die Anhörung des Klägers zu 1) dauerte 25 Minuten. Die Klägerin zu 2) erklärte ergänzend, es habe nur Krieg gegeben. Fast dreimal sei bei ihnen in der Nähe bombardiert worden, sie habe große Angst gehabt. Ihre kleine Tochter habe durch den Krieg Verbrennungen erlitten. Die Anhörung der Klägerin zu 2) dauerte 40 Minuten.
5Mit Bescheid vom 22.04.2016 wurde den Klägern der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt, im Übrigen wurde der Asylantrag abgelehnt. Der Bescheid wurde am 27.04.2016 an die Kläger versandt.
6Am 11.05.2016 haben die Kläger – vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigte - hiergegen Klage erhoben, mit der sie die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehren (20 K 4467/16.A). Zur Begründung führen sie ergänzend aus, sie seien unabhängig von einer Vorverfolgung wegen ihrer illegalen Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung und dem längeren Aufenthalt in Deutschland bedroht. Ihr Verhalten werde vom syrischen Staat als Ausdruck einer regimefeindlichen Gesinnung aufgefasst.
7Durch Beschluss vom 19.05.2016 sind die Verfahren 20 K 4467/16.A und 20 K 1599/16.A zur gemeinsamen mündlichen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden.
8Die Kläger beantragen,
9die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides vom 22.04.2016 zu verpflichten, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
10Die Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorganges verwiesen.
13E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
14Die Klage ist zulässig und begründet.
15Die Kläger haben einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Ziffer 2 des Bescheides der Beklagten vom 22.04.2016 ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Kläger in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
16Nach § 3 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) -, wenn er sich 1) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe 2) außerhalb des Landes befindet a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Weitere Einzelheiten zum Begriff der Verfolgung, den maßgeblichen Verfolgungsgründen sowie zu den in Betracht kommenden Verfolgungs- bzw. Schutzakteuren regeln nunmehr die §§ 3 a – d AsylG in Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337. Vom 20.12.2011, S. 9-26).
17Gemessen an diesen Kriterien liegen hinsichtlich der Kläger die Voraussetzungen des § 3 AsylG vor. Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Furcht der Kläger vor einer Verfolgung im Falle einer Rückkehr unter Berücksichtigung der gegenwärtigen politischen Verhältnisse in Syrien, der Asylantragstellung, des Aufenthalts im westlichen Ausland sowie ihrer Herkunft aus Homs begründet ist.
18Es entspricht unter Berücksichtigung der verschärften politischen Situation in Syrien seit Jahren der ständigen Entscheidungspraxis der Beklagten, dass Rückkehrer im Falle einer Abschiebung nach Syrien eine obligatorische Befragung durch syrische Sicherheitskräfte unter anderem zur allgemeinen Informationsgewinnung über die Exilszene zu erwarten haben und davon auszugehen ist, dass bereits diese Befragung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine konkrete Gefährdung in Form von menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zur Folter auslöst.
19Vgl. hierzu auch: OVG NRW, Urteil vom 14.02.2012, 14 A 2708/10.A – Juris; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Syrien – Asylrelevante Informationen, Rückübernahmeabkommen, Identitätspapiere, Asyl-Like-Minded-Group und aktuelle Situation, April 2011.
20Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich an dieser Einschätzung etwas geändert haben könnte. Im Gegenteil ist im Zuge der seit März 2011 anhaltenden Eskalation der politischen Konflikte in Syrien davon auszugehen, dass sich die Gefährdungslage weiterhin erheblich verschärft hat und der syrische Staat eine illegale Ausreise, Aufenthalt im westlichen Ausland und Asylantragstellung inzwischen generell als Ausdruck einer regimekritischen Überzeugung auffasst.
21Vgl. zuletzt u.a. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.07.2012 – 3 L 147/12 –
22Juris.
23Die Gefährdung der Kläger knüpft daher zur Überzeugung des Gerichts jedenfalls auch an eine bei ihnen vermutete politische Gesinnung und damit an eines der Konventionsmerkmale an, so dass die Voraussetzungen für die Gewährung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen.
24Vgl. hierzu u.a.: VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 29.10.2013 – A 11 S 2046/13 - und vom 19.06.2013 – A 11 S 927/13 -; VGH Hessen, Beschluss vom 27.01.2014 – 3 A 917/13.Z.A.; OVG Berlin Brandenburg, Beschluss vom 09.01.2014 – 3 N 91.13 -; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 24.04.2014 – 2 L 16/13 -.
25Soweit der hier streitgegenständliche Bescheid in Abweichung von der bisherigen Entscheidungspraxis der Beklagten die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ablehnt, entbehrt er jeder nachvollziehbaren Begründung und erschöpft sich in der Behauptung, es sei „derzeit nicht zu erwarten, dass Rückkehrer nach Syrien ausschließlich wegen des vorangegangenen Auslandsaufenthaltes Übergriffe bzw. Sanktionen zu erwarten“ hätten. Irgendwelche Quellen, die diese Neubewertung stützen, werden nicht genannt und sind dem Gericht auch nicht bekannt. Aus Parallelverfahren ist dem Gericht bekannt, dass die Beklagte zur Begründung ihrer geänderten Entscheidungspraxis gelegentlich auf eine neue Passpraxis Syriens abstellt, die im Jahr 2015 zur Ausstellung von mehr als 800.000 Pässen geführt haben soll. Abgesehen davon, dass es sich bei vielen dieser Pässe um im Ausland ausgestellte Proxy-Pässe handeln dürfte und die Motive für die geänderte Passpraxis nicht zuletzt in finanziellen Erwägungen liegen, ist nach Auffassung des Gerichts irgendein Zusammenhang zwischen syrischer Passpraxis und Rückkehrgefährdung ohnehin nicht gegeben und rein spekulativ. Angesichts der ungebremsten Eskalation der politischen und militärischen Auseinandersetzungen in Syrien ist für das Gericht auch nicht im Ansatz erkennbar, dass das Informations- und Verfolgungsinteresse des um seinen Machterhalt kämpfenden syrischen Regimes an Rückkehrern aus dem westlichen Ausland nachgelassen haben könnte. Das Gegenteil ist anzunehmen.
26Unabhängig von den Verfolgungsgefahren für Rückkehrer drohen syrischen Staatsangehörigen bzw. Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt in Syrien aber auch aus anderen Gründen systematische Verfolgung in Anknüpfung an Konventionsmerkmale. Sowohl das syrische Regime und regierungsnahe Kräfte als auch bewaffnete oppositionelle Gruppen, darunter der sog. „Islamische Staat“ und die Al-Nusra-Front, verüben in den jeweils von ihnen beherrschten Gebieten in breitem Umfang Massaker an der Zivilbevölkerung und Angriffe auf Zivilpersonen, u.a. in Form von Mord, Geiselnahme, Folter, Zwangsverschleppung, sexueller Gewalt und Rekrutierung von Kindern. Dabei besteht eine Besonderheit des Konflikts darin, dass die verschiedenen Konfliktparteien oftmals größeren Personengruppen einschließlich Familien, Stämmen, religiösen bzw. ethnischen Gruppen sowie ganzen Städten, Dörfern und Wohngebieten, eine politische Meinung oder Zugehörigkeit unterstellen. Im Zuge dieser extensiven Anwendung von Sippenhaft sind Zivilisten bereits aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, ihrer Anwesenheit in einem Gebiet oder ihrer Herkunft aus einem Gebiet, das als regierungsfeindlich und/oder als Unterstützer oppositioneller bewaffneter Gruppen betrachtet wird, gezielten Verfolgungshandlungen durch Regierungskräfte im Rahmen von Bodenoffensiven, Hausdurchsuchungen und an Kontrollstellen ausgesetzt, darunter Inhaftierung, Folter, sexuelle Gewalt und extralegale Hinrichtungen, und sie laufen ernsthaft Gefahr, Opfer zielgerichteter Gewaltanwendung wie Massenhinrichtungen und Massaker zu werden. In gleicher Weise und mit derselben Brutalität gehen bewaffnete oppositionelle Gruppen vorsätzlich gegen Zivilpersonen vor aufgrund deren tatsächlicher oder vermeintlicher Unterstützung des Regimes oder einer sonstigen gegnerischen Konfliktpartei und ihrer ethnischen und/oder religiösen Zugehörigkeit. Entsprechend hat UNHCR wiederholt darauf hingewiesen, dass es wahrscheinlich ist, dass die meisten asylsuchenden Syrer die Kriterien für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gemäß Art. 1 A (2) der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllen.
27Vgl. zuletzt: UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung, Stand November 2015.
28Auch jüngst veröffentlichte Untersuchungen der Vereinten Nationen bestätigen, dass in Syrien neben der allgegenwärtigen Gefahr für die Zivilbevölkerung, durch willkürliche Gewalt im Rahmen des dortigen bewaffneten Konflikts Schaden an Leib und Leben zu nehmen, gezielte Verfolgungshandlungen sowohl durch das syrische Regime als auch durch bewaffnete oppositionelle Gruppen, allen voran die Al Nusra-Front und der sog. Islamische Staat, an der Tagesordnung sind. Zehntausende wurden und werden in Gefängnissen und Haftzentren des Regimes gefoltert, misshandelt und getötet und anderen Formen schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wie Verschwindenlassen, sexuelle Gewalt oder Belagerungen und Aushungern ganzer Städte und Dörfer. Diese gezielten Verfolgungshandlungen knüpfen regelmäßig an einen oder mehrere der Verfolgungsgründe der Genfer Flüchtlingskonvention an, von der Religionszugehörigkeit, über die ethnische Zugehörigkeit, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe wie das Geschlecht, die sexuelle Identität oder bestimmte Berufsgruppen bis hin zu der tatsächlichen oder den Opfern von den verschiedenen Verfolgungsakteuren zugeschriebenen politischen Überzeugung.
29Vgl. UN-Menschenrechtsrat, „Report of the Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic“ vom 11.02.2016 und Bericht vom 03.02.2016 „ Out of Sight, Out of Mind: Deaths in Detention in the Syrian Arab Republic“.
30Die bisher von der Beklagten ihren Entscheidungen über die Asylbegehren von Syrern zugrunde gelegte Annahme, dass Syrern generell Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG droht, ist demnach unverändert aktuell und begründet weiterhin die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
31Zu berücksichtigen ist hier zudem, dass die Kläger aus Homs stammen. In Homs hat der Aufstand gegen das syrische Regime seinen Anfang genommen. Die Stadt gilt als „Hauptstadt der Revolution“ und war einer jahrelangen Belagerung durch Regierungskräfte ausgesetzt, die erst in jüngster Zeit beendet zu sein scheint.
32Vgl. spiegel online vom 09.12.2015: Hunderte Rebellen ziehen sich aus Homs zurück – http://www.spiegel.de/politik/ausland/syrien-hunderte-rebellen-ziehen-sich-aus-homs-zurueck-a-1066904.html; Süddeutsche Zeitung online vom 09.12.2015, Deal mit Assad - Syrische Rebellen verlassen Homs - http://www.sueddeutsche.de/politik/buergerkrieg-deal-mit-assad-syrische-rebellen-verlassen-homs-1.2774406
33Die von den Klägern bereits in ihrer Anhörung vor dem Bundesamt dargelegte Gefährdung wegen ihrer Herkunft aus Homs und der ihnen infolgedessen zugeschriebenen Regimegegnerschaft ist daher zutreffend und aufgrund der gegenwärtigen Situation in Syrien auch ausreichend zur Darlegung der Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft. Zu weiteren Darlegungen im Rahmen der persönlichen Anhörung bei der Beklagten bestand daher kein Anlass. Dazu bestand nach Aktenlage im Übrigen auch keine Gelegenheit, wenn die Zeitspanne von lediglich 25 Minuten (Anhörung des Klägers zu 1) bzw. 40 Minuten (Anhörung der Klägerin zu 2) für die gesamte Anhörung einschließlich notwendiger Belehrungen und erforderlicher Übersetzungen in Rechnung gestellt wird. Die Ermittlung der Verhältnisse in dem Herkunftsland unterliegt zudem dem Amtsermittlungsgrundsatz und deren Kenntnis durch Anhörer und Entscheider des Bundesamtes darf von den Asylsuchenden ohne weiteres vorausgesetzt werden.
34Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylG.
Tenor
I.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen. Der Bescheid vom
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Der nach seinen Angaben am ...1991 geborene Kläger gibt an, syrischer Staatsangehöriger arabischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit zu sein. Er brachte in der Anhörung gemäß § 25 AsylG am 1. April 2016 vor, in Syrien zuletzt in Damaskus, Stadtteil D., ... gelebt zu haben. Er verließ sein Heimatland am 15. September 2015, reiste ca. am 3. Oktober 2015 auf dem Landweg in Deutschland ein und stellte nach den Angaben im Behördenakt am 14. März 2016 einen Asylantrag.
In der Anhörung brachte er u. a. vor, dass es zwei Armeen gebe. Die eine sei für Assad. Ein freies Militär sei gegen Assad. Das freie Militär habe seinen Stadtteil besetzt gehabt. Dieses habe gegen das Assad-Militär gekämpft. Deswegen habe man nicht mehr rausgehen können. Alle Geschäfte seien geschlossen gewesen. Man habe nicht mehr einkaufen können. Dieses freie Militär sei zu ihm gekommen und hätte gewollt, dass er ihnen beitrete. Diese seien auch untereinander getrennt. Es gebe viele verschiedene Anführer und alle wollten, dass er mitkämpfe. Jeder Anführer wolle viele Soldaten. Alle zwei, drei Tage seien diese zu ihm gekommen und hätten ihn gefragt, ob er ihnen beitrete. Diese zerstrittenen Gruppen würden „Loak Alislam“ und „Tahreer Alscham“ heißen. Wenn er in einen anderen Stadtteil gehe, werde er vom Baschar Militär entführt, damit er in dieses eintrete. Normalerweise müsse man zwei Jahre Wehrdienst machen. Da er eine Ausbildung gemacht habe, sei er nicht mit 18 Jahren eingezogen worden. Aber 2013 sei ihm gesagt worden, dass er eingezogen werden solle. Aber er sei geflohen. Er habe in D. gewohnt. Dort herrsche nicht das Assad-Militär. Also hätten sie ihn dort nicht entführen können. Normalerweise habe man ein Wehrbuch. Dort stehe das Datum und wenn dieses erreicht sei, müsse man sich melden.
Im September 2015 sei er zum ersten Mal von diesen zerstrittenen Gruppen gefragt worden. Auf Nachfrage erklärte der Kläger, dass sie nicht alle zwei bis drei Tage gekommen seien. Aber er habe sich entscheiden müssen. Er sei lieber geflohen. Die Leute kämen nicht direkt zu einem. Man müsse sich entscheiden. Er hätte sich bald entscheiden müssen. Die Leute in seinem Viertel hätten gewusst, dass er sich noch nicht entschieden habe. Er sei davon ausgegangen, dass er bald gefragt werde und sei deshalb vorsichtshalber geflohen. Wenn er sich geweigert hätte, wäre er mit Gewalt dazu gezwungen oder entführt worden. Einer seiner Brüder sei 18 Jahre alt und studiere in Damaskus. Seine Einberufung sei immer wieder verschoben worden. Sein anderer Bruder sei 27 Jahre alt und verheiratet. Er sei nicht so interessant wie der Kläger. Irgendwann werde es ihnen gehen wie ihm. Dann müssten sie auch fliehen. Bei einer Rückkehr nach Syrien befürchte er, entführt zu werden. Oder er müsse zum Militär gehen oder werde getötet. Die allgemeine Situation in Syrien sei schlecht. Man könne dort nicht leben. Auch wenn er allein geflohen sei, heiße das nicht, dass seine Familie dort glücklich sei.
Das Bundesamt erkannte dem Kläger mit Bescheid vom
Mit Schriftsatz vom 21. April 2016, eingegangen beim Verwaltungsgericht Regensburg
Zur Begründung der Klage wird im Wesentlichen vorgebracht, dass der Kläger Syrien verlassen habe, um sich dem Militärdienst und der Rekrutierung durch kämpferische Gruppen zu entziehen. Er sei mit dem Schiff über das Mittelmeer nach Europa gekommen. Er habe sein Land aber auch wegen der Kriegsführung verlassen. Insoweit werde er noch Fotos der Situation seiner Heimatstadt nachreichen. Er habe vorgetragen, dass er Angst gehabt habe, in die Kriegsführung mit einbezogen zu werden. Näheres hierzu werde noch vorgetragen.
Der Kläger sei seit 2011 Mitglied der syrischen Armee gewesen. Er sei allerdings desertiert und habe sich drei Jahre innerhalb Syriens versteckt. Stationiert sei er in der Stadt D2. gewesen. Seine Eltern hätten in der Stadt A. gewohnt. Dort sei er dann auch gesucht worden und die Eltern hätten Nachteile erlitten, weil es in Fällen dieser Art üblich sei, das Eigentum zu beschlagnahmen. Die Eltern hätten ihr Haus verloren. Der Kläger habe Zuflucht bei seinem Großvater gesucht. Dies sei in der Stadt A2... gewesen, die mittlerweile in Schutt und Asche liege. Bis zu dem Termin werde der Kläger den Pass erhalten, der ihn als Mitglied der syrischen Armee ausweise.
Der Kläger lässt beantragen,
die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen und den Bescheid vom 6. April 2015 (richtig: 2016) in Nr. 2 insoweit aufzuheben, als er dieser Verpflichtung entgegensteht.
Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die angefochtene Entscheidung,
die Klage abzuweisen.
Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze, den Inhalt der Asylakten und die Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen. Der Gerichtsakt im Verfahren RO 1 K 16.30671 wurde beigezogen.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist in Nr. 2 hinsichtlich der Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Dieser hat im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG.
Diese ist ihm zuzuerkennen, da er sich nach der Überzeugung des Gerichts aus begründeter Furcht vor Verfolgung durch den syrischen Staat wegen seiner vermuteten politischen Überzeugung außerhalb Syriens befindet, § 3 Abs. 1, 4 AsylG. Er hat Syrien zwar nicht wegen Verfolgung im Sinne dieser Vorschrift verlassen, es droht ihm jedoch bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine solche.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Die Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von
1. dem Staat,
2. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen oder
3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn eine interne Schutzmöglichkeit besteht, vgl. § 3e AsylG.
Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist. Es kommt auch nicht darauf an, ob er diese Merkmale tatsächlich aufweist. Vielmehr reicht es aus, wenn ihm diese von seinem Verfolger zugeschrieben werden, § 3b Abs. 2 AsylG. Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt auch bei einer erlittenen Vorverfolgung der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG
Die begründete Furcht vor Verfolgung kann gemäß § 28 Abs. 1a AsylG auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während eines Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit keine Einschränkung. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen (vgl. OVG Sachsen-Anhalt
Schutz nach § 3 Abs. 1 AsylG kann nur derjenige beanspruchen, der politische Verfolgung bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat. Eine Verfolgungsgefahr für einen nicht verfolgt Ausgereisten und damit dessen begründete Furcht vor Verfolgung liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unter folgenden Voraussetzungen vor (BVerwG
„Ist der Asylsuchende unverfolgt ausgereist, liegt eine Verfolgungsgefahr und damit eine begründete Furcht vor Verfolgung vor, wenn ihm bei verständiger, nämlich objektiver, Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Antragstellers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen“ oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50% Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden „zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts“ die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr „beachtlich“ ist. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50% für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z. B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert
1. Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist.
Eine Verfolgung durch den syrischen Staat und/oder durch nichtstaatliche Akteure im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG wegen eines der oben genannten Gründe hat er weder beim Bundesamt noch im Klageverfahren substantiiert und glaubhaft geltend gemacht. Es ist jedoch Sache des Schutzsuchenden, die Umstände, aus denen sich eine politische Verfolgung ergibt, in schlüssiger Form von sich aus vorzutragen, vgl. § 15 Abs. 1, § 25 Abs. 1 und 2 AsylG. Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten individuellen Schicksals und der Richtigkeit der Prognose drohender politischer Verfolgung gewinnen. Dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden kommt dabei besondere Bedeutung zu. Ihm selbst obliegt es, seine Gründe für das Vorliegen politischer Verfolgung folgerichtig, substantiiert, widerspruchsfrei und mit genauen Einzelheiten vorzutragen (vgl. BVerwG
Das Vorbringen des Klägers ist zu unsubstantiiert, oberflächlich und widersprüchlich, um eine Vorverfolgung glaubhaft machen zu können. Er vermochte nicht widerspruchsfrei darzulegen, wann und unter welchen Umständen er sich zu einer Mitwirkung bei dem „freien Militär“ entschließen hätte müssen. Zunächst behauptete er, dass diese alle zwei, drei Tage zu ihm gekommen seien. Auf Nachfrage erklärte er dagegen, dass sie nicht zu ihm gekommen seien, er sich aber bald hätte entscheiden müssen. Letztlich brachte er vor, dass die allgemeine Situation in Syrien schlecht sei und man dort nicht leben könne. Relevante Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a AsylG legte er damit jedoch nicht dar.
Das Vorbringen des Klägers weist außerdem unglaubwürdige Steigerungen auf. Erst in der zweiten Klagebegründung ließ er vorbringen, dass er seit 2011 Mitglied der syrischen Armee gewesen und desertiert sei. Er habe sich drei Jahre innerhalb Syriens versteckt. Nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung soll er sogar in Dunkelhaft gefangen gehalten und gefoltert worden sein. Es wäre zu erwarten gewesen, dass er dieses Geschehen bereits in seiner Anhörung beim Bundesamt von sich aus schildert. Warum dies nicht geschah, konnte er nicht nachvollziehbar erklären. Sein Hinweis auf eine mögliche Kenntniserlangung durch den syrischen Geheimdienst ist weder glaubwürdig noch nachvollziehbar.
2. Dem Kläger droht jedoch bei einer Rückkehr in seine Heimat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche Verfolgung.
a. Das Gericht geht auf der Grundlage der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen davon aus, dass der syrische Staat gegenwärtig das Stellen eines Asylantrages im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Anknüpfung und Ausdruck einer politischen missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System ansieht, die das Gebot der Loyalität gegenüber diesem verletzt (so auch z. B. VG Köln
Diese Beurteilung rechtfertigt sich nach wie vor aus der Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebestopps im April 2011 aus Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, der umfassenden Beobachtung syrischer Staatsangehöriger im Ausland durch die syrischen Geheimdienste, der Eskalation der innenpolitischen Situation seit dem März 2011 und dem Umgang der syrischen Behörden insbesondere seit Beginn 2012 mit Personen, die aus ihrer Sicht verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen (vgl. VG Augsburg
Hinsichtlich der Behandlung der aus westlichen Ländern abgeschobenen Personen fehlt es zwar für die letzten Jahre an belastbaren Zahlen der Rückkehrer. Dies ist darauf zurückzuführen, dass mit der Verschärfung des inneren Konfliktes in Syrien in den Jahren 2011/2012 wegen verschiedener Abschiebestopps keine abgelehnten Flüchtlinge abgeschoben wurden. Bis vor kurzer Zeit entsprach es der Praxis der Beklagten syrischen Flüchtlingen grundsätzlich den Flüchtlingsstatus zuzuerkennen, so dass keine Abschiebungen erfolgten. Dies gilt auch im Hinblick auf die mittlerweile stärker verbreitete Entscheidungspraxis der Beklagten, Syrern nur noch den subsidiären Schutzstatus zu gewähren. Die Beurteilung der im Falle einer Rückkehr drohenden Verfolgung und ihres Charakters kann daher nach wie vor nur im Wege einer Prognose aufgrund der zur Verfügung stehenden verifizierbaren Tatsachenberichte zu Verfolgungshandlungen gegenüber politischen Gegnern im Inland erfolgen (vgl. VG Meiningen
b. Es sind keine Anhaltspunkte erkennbar, dass sich an dieser Einschätzung etwas entscheidend zum Besseren geändert hat. Die Beklagte ist weder in dem streitgegenständlichen Bescheid noch im gerichtlichen Verfahren auf eine - mögliche - Gefährdung des Klägers bei einer Rückkehr nach Syrien eingegangen. Eine (vertiefte) Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation in Syrien fehlt. Stichhaltige Argumente, die zur Überzeugung des Gerichts eine - teilweise - Abkehr von der bisherigen Entscheidungspraxis der grundsätzlichen Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und den in den vergangenen Monaten zunehmenden Übergang auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus rechtfertigen könnten, wurden nicht vorgebracht.
Die immer stärker eskalierende Situation in Syrien mit der steigenden Zahl an Flüchtlingen hat nicht zur Folge, dass der einzelne sich im westlichen Ausland aufhaltende Flüchtling wegen dieses Massenphänomens nicht mehr als potenzieller politischer Gegner angesehen wird. Nach der Auffassung der syrischen Regierung handelt es sich bei dem sich zu einem Bürgerkrieg entwickelten Aufstand um eine von außen organisierte und finanzierte Verschwörung gegen das Land, der mit allen Mitteln zu begegnen ist. Daher muss mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer politischen Verfolgung von zurückkehrenden Asylbewerbern gerechnet werden (vgl. VG Stuttgart
Hinzu kommt, dass die Situation der Flüchtlinge, die in die Nachbarländer Syriens geflohen sind, nicht mit der von aus dem westlichen Ausland und Deutschland zurückgeführten Syrern vergleichbar ist, die bereits zahlenmäßig deutlich in der Minderzahl sind. Bei einer Rückführung letzterer über den von den syrischen Regierungskräften kontrollierten Flughafen in Damaskus bedarf es für eine Befragung mit der Gefahr anschließender Folterung durch Mitarbeiter der verschiedenen Geheimdienste keiner großen Ressourcen (vgl. VG Hannover
Diese Einschätzung wird durch die aktuellen Erkenntnisquellen bestätigt. Dem Auswärtigen Amt war es wegen der Lage in Syrien nicht möglich, seine Lageberichte, wie üblich, in regelmäßigen Zeitabständen zu aktualisieren. Der letzte reguläre Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien datiert vom 27. September 2010, also vor den im Frühjahr 2011 aufgeflammten Unruhen. Seitdem hat das Auswärtige Amt nur einen einzigen „Ad hoc-Bericht“ veröffentlicht. Die Deutsche Botschaft Damaskus hat den operativen Dienstbetrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt (vgl. Auskunft AA an BAMF vom 8.3.2012).
Zwar lägen dem Auswärtigen Amt keine Erkenntnisse dazu vor, dass ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erleiden hätten. Allerdings seien Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt, zeitweilig inhaftiert oder dauerhaft verschwunden seien (vgl. Auskunft der Botschaft Beirut vom 3.2.2016). Dies stehe überwiegend im Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten oder mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst. Nach einer nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes verlässlichen Studie des „Danish Immigration Service“ vom September 2015 würden desertierten Syrern Militärtribunale, Folter, lebenslange Haft oder Hinrichtung drohen. Werde der Deserteur mit Oppositionsgruppierungen in Verbindung gebracht, bestehe laut dieser Studie für die Familie das Risiko von Sippenhaft. Bezüglich der Motivation zur vermehrten Ausstellung syrischer Pässe durch Stellen innerhalb Syriens, aber auch durch die syrischen Auslandsvertretungen, weist das Auswärtige Amt darauf hin, dass sich die wirtschaftliche Lage des syrischen Regimes im ersten Quartal 2015 vermutlich weiter verschlechtert habe. Hierauf würden damalige intensive Verhandlungen über neue Kreditlinien mit Russland und dem Iran, die steigende Inflation, der Verfall der Infrastruktur, sowie der Verlust von Wirtschaftsräumen hindeuten. Es sei zu vermuten, dass speziell Einnahmen aus Passgebühren dem allgemeinen syrischen Staatshaushalt zugute kämen.
Wie sich den „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ (3. aktualisierte Fassung) vom Oktober 2014 entnehmen lässt, hat sich die Lage in Syrien seit der zweiten aktualisierten Fassung vom Oktober 2013 im Hinblick auf Sicherheit, Menschenrechte, Vertreibung und Bedarf an humanitärer Hilfe weiter verschlechtert. Fast alle Teile des Landes seien zum jetzigen Zeitpunkt in Gewalt verstrickt, wobei die Gewalthandlungen zwischen verschiedenen Akteuren mit teilweise überlappenden Konflikten ausgetragen und durch die Beteiligung ausländischer Kämpfer auf allen Seiten verschärft würden. Kampfhandlungen zwischen den syrischen Regierungstruppen und einer Vielzahl bewaffneter oppositioneller Gruppen würden unvermindert fortgesetzt.
Die aktuellen UNHCR-Erwägungen vom November 2015 (4. aktualisierte Fassung) führen aus, dass der Konflikt mit unverminderter Intensität fortgesetzt werde. Er sei mit verheerenden Konsequenzen für die syrische Bevölkerung, einschließlich einer steigenden Zahl ziviler Opfer, interner und externer Vertreibung in großem Maßstab und einer humanitären Krise von bislang unbekanntem Ausmaß verbunden. Die meisten Hauptstädte der Gouvernements (ausgenommen Raqqa und Idlib) einschließlich der Hauptstadt Damaskus sowie die Küstengebiete der Gouvernements Latakia und Tartus stünden weiterhin unter der teilweisen oder vollständigen Kontrolle der syrischen Streitkräfte. Diese hätten jedoch Berichten zufolge im Laufe des vergangenen Jahres strategisch wichtige Standorte und militärische Stellungen in einigen Gouvernements verloren. In jüngerer Zeit hätten Berichten zufolge Regierungskräfte mit zunehmender Unterstützung von Verbündeten aus dem Ausland eine größere Militäroffensive an mehreren Fronten gestartet, um verlorene Gebiete zurückzuerobern.
Nach Einschätzung des UNHCR sei es wahrscheinlich, dass die meisten asylsuchenden Syrer die Kriterien für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllten, da sie eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen eines oder mehrerer Gründe der GFK hätten. Syrischen Staatsangehörigen und Personen mit gewöhnlichen Aufenthaltsort in Syrien, die aus dem Land geflohen seien, könne beispielsweise Verfolgung aufgrund einer politischen Überzeugung drohen, die ihnen gemäß einer vermeintlichen Verbindung mit einer Konfliktpartei unterstellt werde, oder aufgrund ihrer religiösen Überzeugung, ihrer ethnischen Identität oder abhängig davon, welche Konfliktpartei die Nachbarschaft oder das Dorf kontrolliere, aus dem die Betroffenen stammen. Im Lichte der immer schwierigeren Sicherheits- und Menschenrechtslage und humanitären Situation in Syrien und einer fehlenden politischen Lösung zum jetzigen Zeitpunkt begrüße UNHCR die Tatsache, dass viele Regierungen Maßnahmen ergriffen hätten, um die zwangsweise Rückführung von syrischen Staatsangehörigen oder Personen mit gewöhnlichen Aufenthaltsort in Syrien auszusetzen, einschließlich solcher Personen, deren Asylanträge abgelehnt worden seien. Derartige Maßnahmen sollten bis auf weiteres aufrechterhalten werden.
Das Gericht teilt die Einschätzung des UNHCR, dass sich die Lage in Syrien im Vergleich zu den Jahren 2012/2013 verschlechtert hat. Die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente sind angesichts der Rolle, die dem UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden sind, besonders relevant (vgl. EuGH vom 30.5.2013 Az. C-528/11), auch wenn das Gericht an die rechtliche Beurteilung des UNHCR nicht gebunden ist.
Nach den Erkenntnissen von Amnesty International halten die staatlichen Sicherheitskräfte nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft (vgl. Amnesty Report 2016). Zehntausende Menschen, die seit Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 inhaftiert worden waren, seien „verschwunden“ geblieben. Unter ihnen hätten sich friedliche Regierungskritiker und -gegner sowie Familienangehörige, die anstelle ihrer von den Behörden gesuchten Angehörigen inhaftiert worden seien, befunden. Folter und andere Misshandlungen von Inhaftierten in Gefängnissen sowie durch den staatlichen Sicherheitsdienst und die Geheimdienste seien auch im Jahr 2015 weit verbreitet gewesen und würden systematisch angewendet, was erneut zu vielen Todesfällen im Gewahrsam geführt habe. Zehntausende Zivilpersonen, darunter auch friedliche Aktivisten, seien von Sicherheitskräften der Regierung festgenommen worden. Viele von ihnen hätten lange Zeiträume in Untersuchungshaft verbracht, wo sie gefoltert oder anderweitig misshandelt worden seien. Nach der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 14. April 2015 wurden die von Baschar al Assad erlassenen Amnestien nur mangelhaft und willkürlich umgesetzt.
c. Das Gericht teilt nicht die Auffassung, dass unverfolgt ausgereiste Rückkehrer nach Syrien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr politisch verfolgt werden (so aber z. B. VG Düsseldorf
d. Eine innerstaatliche Fluchtalternative steht dem Kläger nicht zur Verfügung, da er bei einer Einreise über den Flughafen in Damaskus keinen sicheren Landesteil sicher und legal erreichen kann, vgl. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG.
e. Schließlich scheidet die Flüchtlingsanerkennung auch nicht aus anderen Gründen, wie z. B. dem Alter des Klägers, aus. Dieser ist ein junger sunnitischer Mann im wehrfähigen Alter. Es besteht die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass er bei einer Rückkehr nach Syrien staatliche Verfolgung erleiden wird, weil er die vermutete Systemfeindlichkeit bei einer Befragung durch die syrischen Sicherheitsbehörden nicht wird widerlegen können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.
Die Höhe des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 30 RVG.
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 8. Juni 2016 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt die Beklagte.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des auf Grund des Gerichtsbescheides vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Der am 0.0.1998 geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit. Er reiste am 19. August 2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik ein und stellte am 15. September 2015 einen Asylantrag.
3Bei der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) erklärte der Kläger im Wesentlichen, sein Heimatland wegen des dort herrschenden Krieges und der Befürchtung, zum Wehrdienst einberufen zu werden, verlassen zu haben.
4Mit Bescheid vom 8. Juni 2016 erkannte das Bundesamt dem Kläger den subsidiären Schutz zu. Im Übrigen lehnte es den Asylantrag ab.
5Gegen diese Ablehnung hat der Kläger am 21. Juni 2016 die vorliegende Klage erhoben.
6Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
7die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes vom 8. Juni 2016 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
8Die Beklagte beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes verwiesen.
11Entscheidungsgründe:
12Das Gericht entscheidet nach Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 VwGO).
13Die zulässige Klage ist begründet.
14Der Kläger hat einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft; Ziffer 2 des angegriffenen Bescheides der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
15Nach § 3 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) -, wenn er sich 1) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe 2) außerhalb des Landes befindet a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Weitere Einzelheiten zum Begriff der Verfolgung, den maßgeblichen Verfolgungsgründen sowie zu den in Betracht kommenden Verfolgungs- bzw. Schutzakteuren regeln nunmehr die §§ 3 a - d AsylG in Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes.
16Gemessen an diesen Kriterien liegen hinsichtlich des Klägers die Voraussetzungen des § 3 AsylG vor.
17Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Furcht des Klägers vor einer Verfolgung im Falle einer Rückkehr unter Berücksichtigung der gegenwärtigen politischen Verhältnisse in Syrien, der illegalen Ausreise und der Asylantragstellung begründet ist.
18Es entspricht unter Berücksichtigung der verschärften politischen Situation in Syrien seit langem der ständigen Entscheidungspraxis der Beklagten, dass Rückkehrer im Falle einer Abschiebung nach Syrien eine obligatorische Befragung durch syrische Sicherheitskräfte unter anderem zur allgemeinen Informationsgewinnung über die Exilszene zu erwarten haben und davon auszugehen ist, dass bereits diese Befragung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine konkrete Gefährdung in Form menschenrechtswidriger Behandlung beinhaltet. Rückkehrer nach Syrien unterliegen – angesichts des ihnen gegenüber weit verbreiteten und wahllosen Einsatzes der Folter durch den syrischen Staat – allgemein der Gefahr, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt zu werden, die zum Ziel hat, etwaiges Wissen über die hiesige Exilszene „abzuschöpfen“.
19Vgl. z. B. OVG NRW, Beschluss vom 14. Februar 2012 - 14 A 2708/10.A -, juris, dort insbesondere Rn. 28 ff. unter Auswertung der auch dem erkennenden Gericht vorliegenden Quellen: „Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage des Auswärtigen Amtes vom 27. September 2010“ (S.16) und Berichte von Amnesty International: „Deadly Detention …“ von August 2011 und „Syria: End Human Rights Violations in Syria“ von Oktober 2011 (s. Erkenntnisliste); s. a. Beschluss vom 13. Februar 2014 - 14 A 215/14.A -, juris, dort insbesondere Rn. 13 ff.
20Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich an dieser Einschätzung etwas geändert haben könnte. Im Gegenteil ist im Zuge der seit März 2011 anhaltenden Eskalation der politischen Konflikte in Syrien davon auszugehen, dass sich die Gefährdungslage weiterhin erheblich verschärft hat und der syrische Staat die illegale Ausreise, den Aufenthalt im westlichen Ausland und die Asylantragstellung inzwischen generell als Ausdruck einer regimekritischen Überzeugung auffasst.
21Vgl. u. a. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18. Juli 2012 - 3 L 147/12 -, juris, VG Köln, Urteil vom 22. Mai 2014 - 20 K 3152/13.A - juris.
22Die Gefährdung des Klägers knüpft dabei jedenfalls auch an eine bei ihm vermutete politische Gesinnung und damit an eines der Konventionsmerkmale an, sodass die Voraussetzungen für die Gewährung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen.
23Vgl. hierzu u. a.: VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 29. Oktober 2013 - A 11 S 2046/13 - und vom 19. Juni 2013 - A 11 S 927/13 -, juris; VGH Hessen, Beschluss vom 27. Januar 2014 - 3 A 917/13.Z.A. , juris; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. Januar 2014 - 3 N 91.13 -, juris; VG Köln, Urteil vom 18. Juni 2015 - 20 K 4052/14.A, juris; VG Frankfurt/Oder, Urteil vom 26. September 2014 - 3 K 1489/13.A -, juris; VG Regensburg, Urteil vom 29. Juni 2016 - RN 11 K 16.30723 -, juris; VG Gießen, Gerichtsbescheid vom 17. Juli 2014 - 2 K 3472/12.GI.A -, juris; VG München, Urteil vom 9. Juli 2014 - M 22 K 14.30752 -, juris; VG Aachen, Urteil vom 21. November 2013 - 9 K 1844/13.A -, juris; VG Kassel, Urteil vom 2. Juli 2013 - 5 K 200/13.KS.A -, juris; VG Stuttgart, Urteil vom 15. März 2013 - A 7 K 2987/12 -, juris; a. A. OVG NRW, Urteil vom 14. Februar 2012 sowie zuletzt Beschluss vom 13. Februar 2014, jeweils a. a. O.
24Eine innerstaatliche Fluchtalternative steht dem Kläger nicht zur Verfügung, da er bei einer Einreise über den Flughafen in Damaskus keinen für ihn verfolgungsfreien Landesteil sicher und legal erreichen könnte, vgl. § 3 e Abs. 1 AsylG.
25Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 83 b AsylG. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 Sätze 1 und 2 ZPO.
26Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG.
Tenor
I.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen. Der Bescheid vom
II.
Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der am … 1994 in I./Syrien geborene Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Der Kläger, ein syrischer Staatsangehöriger arabischer Volks- und islamischer Religionszugehörigkeit, reiste nach eigenen Angaben am
Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 9. Mai 2016 gab er an, Syrien am
Mit Bescheid vom
Mit Schriftsatz vom
Der Kläger lässt beantragen,
unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
Der Rechtstreit wurde mit Beschluss vom 9. Juni 2016
Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die beigezogene Behördenakte sowie auf die in das Verfahren einbezogene Erkenntnismittelliste Bezug genommen.
Gründe
Gemäß § 101 Abs. 2 VwGO kann das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Entsprechende Einverständniserklärungen liegen mit dem Schreiben der Klägerbevollmächtigten vom 31. August 2016 und der allgemeinen Prozesserklärung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 25. Februar 2016 mit Ergänzung vom 24. März 2016 vor.
Gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz Asylgesetz (AsylG) i. d. F. d Bek. vom 2. September 2008 (BGBl. I 2008, 1798), zuletzt geändert durch Gesetz vom
Die Klage ist zu diesem Zeitpunkt sowohl zulässig, als auch begründet.
Die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 Abs. 1 AsylG ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Er befindet sich nach Überzeugung des Gerichts aus begründeter Furcht vor Verfolgung durch den syrischen Staat wegen seiner vermuteten politischen Überzeugung außerhalb Syriens.
Zwar hat er Syrien - auch nach eigenem Vortrag - ohne Vorverfolgung verlassen, jedoch droht ihm nach Überzeugung des Gerichts nach einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung durch den syrischen Staat. Gemäß § 28 Abs. 1a AsylG kann die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat.
Das Gericht geht davon aus, dass der syrische Staat auch gegenwärtig das Stellen eines Asylantrags in Verbindung mit einem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Ausdruck einer regimekritischen Gesinnung sieht und zum Anknüpfungspunkt für Festnahme und Folter nimmt. In Übereinstimmung mit beachtlichen Teilen der Rechtsprechung (vgl. statt vieler: VG Trier, U. v. 16.6.2016, Az. 1 K 1576/16.TR - juris; VG Köln, U. v. 23.6.2016, Az. 20 K 1599/16.A - juris; VG Regensburg, U. v. 29.6.2016, Az. RO 11 K 16.30707 - juris; VG Düsseldorf, GB
Zwar liegen seit dem generellen Abschiebestopp im April 2011 keine aktuellen Fallbeispiele von Rücküberstellungen aus westlichen Ländern vor. Allerdings weist das Auswärtige Amt (Auskunft der Botschaft Beirut an das Bundesamt vom 3.2.2016) darauf hin, dass Syrien-Rückkehrer befragt, zeitweilig inhaftiert oder dauerhaft verschwunden seien. Dies stehe überwiegend in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidigern) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst. Da Flüchtlinge, die aus den Nachbarländern zurückkehren, nicht vergleichbar sind mit Rückkehrern aus westlichen Ländern (so auch VG Regensburg, a. a. O.), lässt sich daraus nicht folgern, dass das Regime seine Praxis der geheimdienstlichen Überwachung und Befragung von rückkehrenden Asylbewerbern aufgegeben hat. Es besteht kein Anlass für die Annahme, dass sich der Umgang des syrischen Regimes mit Personen, die sich durch einen Asylantrag und einen längeren Aufenthalt im westlichen Ausland tatsächlich oder vermeintlich einer regimekritischen Haltung verdächtig gemacht haben, etwas geändert hätte. Im Gegenteil ist im Zuge der seit März 2011 anhaltenden Eskalation der politischen Konflikte in Syrien davon auszugehen, dass sich die Gefährdungslage weiterhin erheblich verschärft hat und der syrische Staat eine illegale Ausreise, Aufenthalt im westlichen Ausland und Asylantragstellung inzwischen generell als Ausdruck einer regimekritischen Überzeugung auffasst (vgl. statt vieler: VG Köln, U. v. 26.6.2016, Az. 20 K 4130/13.A - juris). Zur Überzeugung des Gerichts ist der syrische Staat nach wie vor darauf ausgerichtete, alle Lebensbereiche seiner Staatsangehörigen totalitär zu durchdringen und jede als regimekritisch gewertete Handlung oder Gesinnung durch Inhaftierung und Folter bereits im Keim zu ersticken (vgl. dazu ausführlich: OVG Sachsen-Anhalt, U. v. 18.7.2012, Az. 3 L 147/12 - juris).
So knüpft die obligatorische Befragung durch syrische Sicherheitskräfte bei der Rückkehr auch dann an die unterstellte politische Überzeugung an, wenn die Befragung sich nicht (nur) auf die eigene Haltung bezieht, sondern unter anderem der allgemeinen Informationsgewinnung über die Exilszene dient (vgl. VG Regensburg, U. v. 29.6.2016, a. a. O. unter Verweis auf VG Köln, U. v. 22.5.2014, Az. 20 K 3152/13.A). Damit verbunden sind die Gefahr von Verfolgungshandlungen in Form von Festnahme und Folterung, wie sie beispielsweise von Amnesty International („It breaks the human - torture, disease and death in Syria‘s prisons“, August 2016) detailliert dokumentiert sind. Selbst bei einer routinemäßigen Befragung zur allgemeinen Informationsgewinnung ohne individuelle Verdachtsmomente besteht - zur Überzeugung des Gerichts - die erhebliche Gefahr von Folter (vgl. Amnesty International, a. a. O.).
Diese - auch von der Beklagten bis vor kurzen in ständiger Entscheidungspraxis geteilte Einschätzung - ist auch nicht durch die bürgerkriegsbedingte Destabilisierung des syrischen Regimes oder die massenhafte Ausstellung von Pässen seit Januar 2015 erschüttert. Zwar ist auf Beschluss von Präsident Assad für eine Passausstellung keine Bescheinigung des syrischen Geheimdienstes („Muhabarat“) mehr erforderlich (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt vom 19.4.2016, Gz. 508516.80/48699). Wie insbesondere das VG Regensburg (a. a. O.) unter Verweis auf die Auskunft des Auswärtigen Amtes (Botschaft Beirut) an das Bundesamt vom 3.2.2016 überzeugend ausführt, ist die geänderte Ausstellungspraxis wohl überwiegend finanziell motiviert und lässt keinen Rückschluss auf eine „liberale Haltung“ des Regimes gegenüber Rückkehrern aus dem westlichen Ausland zu.
Auch liegen keine Erkenntnisse vor, aus denen zuverlässig geschlossen werden kann, dass das syrische Regime zu Verfolgungshandlungen gegenüber Rückkehrern aus Kapazitätsgründen nicht mehr in der Lage wäre (so aber z. B. OVG NRW, B. v. 7.5.2013 - 14 A 1008/13.A). Zwar mag das Regime um das politische und physische Überleben kämpfen und die Kontrolle über erhebliche Landesteile verloren haben (so die Begründung des OVG NRW, a. a. O.), jedoch bedarf es für eine obligatorische Befragung von Rückkehrern keiner weitergehenden Ressourcen als sie das Assad-Regime derzeit jedenfalls noch hat (so auch VG Regensburg, U. v. 29.6., RN 11 K 16.30666 - juris). Denn eine (unterstellte) Rückführung würde seitens des rückführenden Staates immer in Abstimmung mit den Behörden des aufnehmenden, d. h. des syrischen Staates erfolgen. Organisatorisch wären für eine obligatorische Befragung und der damit verbundenen Foltergefahr der abgelehnten Asylbewerber aus dem westlichen Ausland also lediglich die Kontrolle über den internationalen Flughafen in Damaskus sowie dort angesiedelte Mitarbeiter und Gefängnisse notwendig. Ob es in dieser Situation für das Assad-Regime „sinnvoller“ wäre, die vorhandenen Ressourcen anders einzusetzen, ist reine Spekulation und wird weder durch die ins Verfahren einbezogenen Erkenntnisquellen gestützt, noch lässt die allgemeine Berichterstattung zuverlässig auf solche Liberalisierungstendenzen schließen. So geht auch das VG Regensburg (a. a. O.) nicht davon aus, dass die syrische Regierung es angesichts der Zuspitzung der Situation in Syrien und des Überlebenskampfes des Assad-Regimes den Verfolgungsdruck auf aus dem westlichen Ausland zurückkehrende Staatsangehörige mildert oder gar aufgibt.
Im Fall des Klägers als einem wehrpflichtigen jungen Mann kommt hinzu, dass ihm seine Flucht aus Syrien seitens des Assad-Regimes mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch ohne vorherigen Einberufungsbefehl als Wehrdienstentziehung ausgelegt werden würde. Dies gilt umso mehr, als er aus einem vom Regime selbst beherrschten Gebiet geflohen ist. Jedenfalls aber muss er bei einer Rückkehr mit einer sofortigen Einberufung rechnen. So berichtet das Auswärtige Amt, dass bereits im November 2015 binnen weniger Wochen mehrere tausend Personen in Syrien zum Wehrdienst eingezogen worden seien (unbestätigte Zahlen variierten zwischen 7000 und 11.000). Laut Augenzeugenberichten solle sich die Anzahl junger Männer in den Straßen Damaskus deutlich reduziert haben. Es werde berichtete, dass über die Überprüfung an den Checkpoints hinaus auch Wohnhäuser aufgesucht werden, um Wehrdienstverweigerer zu rekrutieren. Auch gäbe es verlässliche Berichte, dass inhaftierte Personen aus dem Gefängnis heraus zum Militärdienst eingezogen worden seien. Selbst wenn der Kläger also Inhaftierung und Folter durch einen sofortigen Eintritt in die syrische Armee abwenden könnte, läge eine Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a AsylG vor. Denn damit wäre er gezwungen, sich in eine Armee einzufügen, aus deren Reihen heraus, im aktuell herrschenden Bürgerkrieg Kriegsverbrechen und Folter begangen werden. So listet § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG ausdrücklich die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt als Verfolgungshandlung auf, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 (Kriegsverbrechen usw.) fallen. Daraus ist zu folgern, dass auch die konkrete Gefahr der Rekrutierung in eine Armee, aus deren Reihen heraus mit Wissen und Billigung der militärischen Führung Kriegsverbrechen begangen werden, als Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a Abs. 1 i. V. m. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG anzusehen ist. Schon angesichts der allgemein zugänglichen täglichen Berichtserstattung ist das Gericht überzeugt, dass im syrischen Bürgerkrieg auch seines der Regierungstruppen fortgesetzt und systematische Kriegsverbrechen, wie beispielsweise die Bombardierung ziviler Versorgungseinrichtungen, Folter von Kriegsgefangenen begangen werden. Für den Kläger, der bei einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer sofortigen Rekrutierung zur syrischen Armee zu rechnen hätte, besteht mithin zusätzlich die beachtliche Gefahr einer weiteren Verfolgungshandlung.
Eine innerstaatliche Fluchtalternative steht dem Kläger nicht zur Verfügung, da er bei einer Einreise über den Flughafen Damaskus keinen (möglicherweise) sicheren Landesteil sicher und legal erreichen kann, vgl. § 3e Abs. 1 AsylG.
Der Kläger erfüllt damit die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Seiner Klage ist stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Gerichtsverfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.
(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die
- 1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder - 2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.
(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:
- 1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, - 2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, - 3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, - 4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, - 5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen, - 6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.
(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.
Tenor
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
G r ü n d e :
2Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen.
3Der Rechtssache kommt die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 des Asylverfahrensgesetzes ‑ AsylVfG ‑) nicht zu.
4Grundsätzliche Bedeutung im Sinne der genannten Vorschrift hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die sich in dem erstrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der einheitlichen Auslegung und Anwendung oder der Fortentwicklung des Rechts der Klärung bedarf, oder wenn sie eine tatsächliche Frage aufwirft, deren in der Berufungsentscheidung zu erwartende Klärung verallgemeinerungsfähige Auswirkungen hat. Verallgemeinerungsfähige Auswirkungen hat die Klärung einer Tatsachenfrage, wenn sich diese Frage nicht nur in dem zu entscheidenden Fall, sondern darüber hinaus auch noch für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft stellt.
5Nach diesen Maßstäben kommt der aufgeworfenen Frage,
6"ob unverfolgt, illegal ausgereiste Rückkehrer nach Syrien, die sich im europäischen Ausland aufgehalten und einen Asylantrag gestellt haben, angesichts der Repression des syrischen Staates in Bezug auf Oppositionelle mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politisch verfolgt werden im Sinne einer Einzelverfolgung aufgrund Gruppenzugehörigkeit",
7keine grundsätzliche Bedeutung zu. Sie ist nicht klärungsbedürftig, da sie in Nordrhein-Westfalen im verneinenden Sinne geklärt ist.
8Vgl. zuletzt OVG NRW, Beschluss vom 9.12.2013 ‑ 14 A 2663/13.A ‑, NRWE Rn. 5 ff.
9Der Umstand, dass die tatsächliche Situation in Syrien hinsichtlich dieser Frage unterschiedlich gewürdigt wird, kann nicht zur grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache unter dem Gesichtspunkt führen, dass zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts herbeizuführen ist. Das ist nämlich nicht möglich, da dieses Gericht an die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts gebunden ist (§ 137 Abs. 2 VwGO).
10Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21.8.2013 ‑ 14 A 1863/13.A ‑, NRWE Rn. 9.
11Somit könnte eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nur damit begründet werden, dass neue Gesichtspunkte vorgebracht werden, die die genannte Frage als klärungsbedürftig geblieben oder wieder geworden erscheinen lassen.
12Vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 124 Rn. 144.
13Das ist nicht der Fall. Der Verweis auf die abweichende Wertung der tatsächlichen Verhältnisse durch andere Gerichte genügt dafür nicht. Die vom Kläger insoweit genannten tatsächlichen Gesichtspunkte hat auch der Senat in seiner Rechtsprechung berücksichtigt. Sie können die mit dieser Rechtsprechung übereinstimmende Beurteilung des Verwaltungsgerichts im angegriffenen Urteil nicht in Frage stellen. Belastbare Erkenntnisse, die die asylrechtlich erhebliche Gefahr einer politischen Verfolgung belegen, benennt der Kläger in den abweichenden Entscheidungen anderer Gerichte nicht. Deren Auffassung beruht mangels Referenzfällen, die es wegen ausgesetzter Abschiebungen nicht gibt, notwendigerweise auf einer wertenden Gesamtschau aller Umstände. Diese Wertung teilt der beschließende Senat in seiner Rechtsprechung nicht, weil es lebensfremd ist anzunehmen, der syrische Staat, dessen Machthaber gegen Aufständische um das politische und physische Überleben kämpfen und dabei die Kontrolle über erhebliche Landesteile verloren haben, hätte Veranlassung und Ressourcen, alle zurückgeführten unpolitischen Asylbewerber ohne erkennbaren individuellen Grund aus den in § 60 Abs. 1 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) genannten Gründen zu verfolgen. Für die Annahme, dass die syrischen Sicherheitsorgane eine solche auf jeden Asylbewerber bezogene, an asylerhebliche Merkmale anknüpfende Verfolgungstätigkeit entfalteten, gibt es keinerlei Anhalt.
14Damit setzt sich der Senat keineswegs, wie der Kläger glaubt, in Widerspruch zu seiner Rechtsprechung hinsichtlich der Gewährung von Abschiebungsschutz für alle syrischen Asylbewerber. Der Senat hat entschieden, dass angesichts des weitverbreiteten und wahllosen Einsatzes der Folter durch den syrischen Staat für jeden rückgeführten Asylbewerber die beachtliche Wahrscheinlichkeit besteht, auch ohne individuellen Bezug zu Gruppen oder Personen der Exilszene über sein Wissen darüber während seines Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland unter Einsatz der Folter abgeschöpft zu werden.
15Vgl. OVG NRW, Urteil vom 14.2.2012 ‑ 14 A 2708/10.A ‑, NRWE Rn. 43 ff.
16Die allgemeine Gefahr informatorischer Befragung unter Folter ohne erkennbaren individuellen ‑ und sei es auch nur gruppenabgeleiteten ‑ Grund knüpft jedoch nicht an asylerhebliche Merkmale an. Folter kann ein Indiz für eine asylrechtsrelevante Gerichtetheit der Verfolgung sein,
17Vgl. BVerfG (1. Kammer des Zweiten Senats), Beschluss vom 21. August 1995 ‑ 2 BvR 1675/95 ‑, juris Rn. 4; BVerwG, Urteil vom 17. Mai 1983 ‑ 9 C 36.83 ‑, BVerwGE 67, 184 (194); OVG NRW, Beschluss vom 18.9.2013 ‑ 14 A 2130/13.A ‑, S. 3 des amtlichen Umdrucks,
18führt aber nicht als solche zur Annahme einer politischen Verfolgung, sondern zu Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes. Zur Annahme der politischen Verfolgung eines durch Folter Bedrohten ist, wenn nicht in seiner Person an asylerhebliche Merkmale angeknüpft wird, jedenfalls dessen Zurechnung zur Gegenseite des Verfolgerstaates oder zu einer anderen Person, die ihrerseits Objekt politischer Verfolgung ist, erforderlich.
19Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9.7.2012 ‑ 14 A 2485/11.A ‑, NRWE Rn. 16 f.; Funke-Kaiser in GK-AsylVfG, Loseblattsammlung (Stand: Dezember 2013), vor II-1 Rn. 69.
20Daran fehlt es, wenn lediglich die beachtliche Wahrscheinlichkeit für jeden Asylbewerber besteht, bei seiner Rückkehr routinemäßig auch unter Einsatz der Folter befragt zu werden.
21Das angegriffene Urteil weicht auch nicht von den von den Klägern zitierten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts ab i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG. Eine die Berufung eröffnende Divergenz liegt nur vor, wenn die Vorinstanz mit einem die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechts- oder verallgemeinerungsfähigen Tatsachensatz einem in der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten entscheidungstragenden Rechts- oder Tatsachensatz widerspricht.
22Das Bundesverwaltungsgericht hat in den vom Kläger zitierten Entscheidungen,
23Urteil vom 1.6.2011 ‑ 10 C 25.10 ‑, NVwZ 2011, 1463, und Urteil vom 27.4.2010 ‑ 10 C 5.09 ‑, NVwZ 2011, 51,
24entschieden, dass in Abweichung von der früheren, auf nationales Recht gestützten Rechtsprechung ein einheitlicher Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzuwenden ist, dass aber bei Vorverfolgten bzw. Geschädigten die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 Platz greife. Das Verwaltungsgericht hat ‑ unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des beschließenden Senats ‑ keine dem widersprechenden Rechtssätze aufgestellt, wie es der Kläger aus Entscheidungen des beschließenden Senats herauslesen zu können glaubt. Wie oben bereits ausgeführt, ergibt sich aus dem vom Senat und vom Verwaltungsgericht für jedweden Rückkehrer nach Syrien angenommenen Umstand der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne des § 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 2 AsylVfG unterworfen zu werden, mitnichten die beachtliche Wahrscheinlichkeit, unter Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG verfolgt zu werden.
25Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die Gerichtskosten ergibt sich aus § 83b AsylVfG.
26Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
Tenor
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
G r ü n d e :
2Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg des Zulassungsantrags (§ 166 der Verwaltungsgerichtsordnung ‑ VwGO - i.V.m. § 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung) abzulehnen, wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt.
3Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 des Asylgesetzes ‑ AsylG ‑) nicht vorliegt. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die sich in dem erstrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der einheitlichen Auslegung und Anwendung oder der Fortentwicklung des Rechts der Klärung bedarf, oder wenn sie eine tatsächliche Frage aufwirft, deren in der Berufungsentscheidung zu erwartende Klärung verallgemeinerungsfähige Auswirkungen hat. Verallgemeinerungsfähige Auswirkungen hat die Klärung einer Tatsachenfrage, wenn sich diese Frage nicht nur in dem zu entscheidenden Fall, sondern darüber hinaus auch noch für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft stellt.
4Danach kommt der aufgeworfenen Frage
5„Knüpfen die durch die syrischen Machthaber durchgeführten informatorischen Befragungen bei Asylrückkehrern an die vermutete politische Überzeugung des jeweiligen Rückkehrers an?“
6keine grundsätzliche Bedeutung zu, denn sie ist in der Rechtsprechung des beschließenden Gerichts im verneinenden Sinne geklärt.
7Vgl. zuletzt OVG NRW, Beschluss vom 27.3.2014 ‑ 14 A 557/14.A ‑, S. 2 des amtl. Umdrucks; Beschluss vom 13.2.2014 ‑ 14 A 214/14.A ‑, S. 2 f. des amtl. Umdrucks; Beschluss vom 9.12.2013 ‑ 14 A 2663/13.A ‑, NRWE, Rn. 7 ff.; Beschluss vom 21.8.2013 - 14 A 1863/13.A ‑, NRWE, Rn. 6 ff.
8Der Umstand, dass die tatsächliche Situation in Syrien hinsichtlich des genannten Personenkreises in Deutschland unterschiedlich gewürdigt wird, kann nicht zur grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache unter dem Gesichtspunkt führen, dass zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts herbeizuführen ist. Das ist nämlich nicht möglich, da dieses Gericht an die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts gebunden ist (§ 137 Abs. 2 VwGO).
9Somit könnte eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nur damit begründet werden, dass neue Gesichtspunkte vorgebracht werden, die die genannte Frage als klärungsbedürftig geblieben oder wieder geworden erscheinen lassen.
10Vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl., § 124 Rn. 144.
11Dazu legt die Klägerin nichts Relevantes dar. Der Verweis auf die abweichende Wertung der tatsächlichen Verhältnisse durch andere Oberverwaltungsgerichte oder Verwaltungsgerichtshöfe genügt dafür nicht.
12Der Hinweis darauf, dass rückkehrende regimenahe Geheimdienstmitarbeiter oder Asylbewerber, die bereits während ihres Auslandsaufenthalts Informationen an syrische Dienststellen weitergeleitet haben, nicht mit einer informatorischen Befragung unter Folter zu rechnen hätten,
13vgl. dazu schon OVG NRW, Beschluss vom 2.7.2014 ‑ 14 A 1286/14.A ‑, S. 3 des amtl. Umdrucks,
14belegt nicht, dass andere Rückkehrer vom syrischen Staat unterschiedslos der Gegenseite oder einer anderen Person, die ihrerseits Objekt politischer Verfolgung ist, zugerechnet werden.
15Vgl. zu diesem Gesichtspunkt BVerfG (1. Kammer des Zweiten Senats), Beschluss vom 22.11.1996 ‑ 2 BvR 1753/96 ‑, juris, Rn. 5.
16Das anzunehmen ist lebensfremd, da auch dem syrischen Staat bekannt sein dürfte, dass die übergroße Zahl der Asylbewerber vor dem Bürgerkrieg und nicht vor politischer Verfolgung flieht. Aus dem angenommenen Umstand folgt lediglich, dass es für den syrischen Staat keine Veranlassung gibt, gegenüber eigenen Sympathisanten zur vollständigen Informationsabschöpfung Folter einzusetzen.
17Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die Gerichtskosten ergibt sich aus § 83b AsylG.
18Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
Tenor
I.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen. Der Bescheid vom
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Der nach seinen Angaben am ...1991 geborene Kläger gibt an, syrischer Staatsangehöriger arabischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit zu sein. Er brachte in der Anhörung gemäß § 25 AsylG am 1. April 2016 vor, in Syrien zuletzt in Damaskus, Stadtteil D., ... gelebt zu haben. Er verließ sein Heimatland am 15. September 2015, reiste ca. am 3. Oktober 2015 auf dem Landweg in Deutschland ein und stellte nach den Angaben im Behördenakt am 14. März 2016 einen Asylantrag.
In der Anhörung brachte er u. a. vor, dass es zwei Armeen gebe. Die eine sei für Assad. Ein freies Militär sei gegen Assad. Das freie Militär habe seinen Stadtteil besetzt gehabt. Dieses habe gegen das Assad-Militär gekämpft. Deswegen habe man nicht mehr rausgehen können. Alle Geschäfte seien geschlossen gewesen. Man habe nicht mehr einkaufen können. Dieses freie Militär sei zu ihm gekommen und hätte gewollt, dass er ihnen beitrete. Diese seien auch untereinander getrennt. Es gebe viele verschiedene Anführer und alle wollten, dass er mitkämpfe. Jeder Anführer wolle viele Soldaten. Alle zwei, drei Tage seien diese zu ihm gekommen und hätten ihn gefragt, ob er ihnen beitrete. Diese zerstrittenen Gruppen würden „Loak Alislam“ und „Tahreer Alscham“ heißen. Wenn er in einen anderen Stadtteil gehe, werde er vom Baschar Militär entführt, damit er in dieses eintrete. Normalerweise müsse man zwei Jahre Wehrdienst machen. Da er eine Ausbildung gemacht habe, sei er nicht mit 18 Jahren eingezogen worden. Aber 2013 sei ihm gesagt worden, dass er eingezogen werden solle. Aber er sei geflohen. Er habe in D. gewohnt. Dort herrsche nicht das Assad-Militär. Also hätten sie ihn dort nicht entführen können. Normalerweise habe man ein Wehrbuch. Dort stehe das Datum und wenn dieses erreicht sei, müsse man sich melden.
Im September 2015 sei er zum ersten Mal von diesen zerstrittenen Gruppen gefragt worden. Auf Nachfrage erklärte der Kläger, dass sie nicht alle zwei bis drei Tage gekommen seien. Aber er habe sich entscheiden müssen. Er sei lieber geflohen. Die Leute kämen nicht direkt zu einem. Man müsse sich entscheiden. Er hätte sich bald entscheiden müssen. Die Leute in seinem Viertel hätten gewusst, dass er sich noch nicht entschieden habe. Er sei davon ausgegangen, dass er bald gefragt werde und sei deshalb vorsichtshalber geflohen. Wenn er sich geweigert hätte, wäre er mit Gewalt dazu gezwungen oder entführt worden. Einer seiner Brüder sei 18 Jahre alt und studiere in Damaskus. Seine Einberufung sei immer wieder verschoben worden. Sein anderer Bruder sei 27 Jahre alt und verheiratet. Er sei nicht so interessant wie der Kläger. Irgendwann werde es ihnen gehen wie ihm. Dann müssten sie auch fliehen. Bei einer Rückkehr nach Syrien befürchte er, entführt zu werden. Oder er müsse zum Militär gehen oder werde getötet. Die allgemeine Situation in Syrien sei schlecht. Man könne dort nicht leben. Auch wenn er allein geflohen sei, heiße das nicht, dass seine Familie dort glücklich sei.
Das Bundesamt erkannte dem Kläger mit Bescheid vom
Mit Schriftsatz vom 21. April 2016, eingegangen beim Verwaltungsgericht Regensburg
Zur Begründung der Klage wird im Wesentlichen vorgebracht, dass der Kläger Syrien verlassen habe, um sich dem Militärdienst und der Rekrutierung durch kämpferische Gruppen zu entziehen. Er sei mit dem Schiff über das Mittelmeer nach Europa gekommen. Er habe sein Land aber auch wegen der Kriegsführung verlassen. Insoweit werde er noch Fotos der Situation seiner Heimatstadt nachreichen. Er habe vorgetragen, dass er Angst gehabt habe, in die Kriegsführung mit einbezogen zu werden. Näheres hierzu werde noch vorgetragen.
Der Kläger sei seit 2011 Mitglied der syrischen Armee gewesen. Er sei allerdings desertiert und habe sich drei Jahre innerhalb Syriens versteckt. Stationiert sei er in der Stadt D2. gewesen. Seine Eltern hätten in der Stadt A. gewohnt. Dort sei er dann auch gesucht worden und die Eltern hätten Nachteile erlitten, weil es in Fällen dieser Art üblich sei, das Eigentum zu beschlagnahmen. Die Eltern hätten ihr Haus verloren. Der Kläger habe Zuflucht bei seinem Großvater gesucht. Dies sei in der Stadt A2... gewesen, die mittlerweile in Schutt und Asche liege. Bis zu dem Termin werde der Kläger den Pass erhalten, der ihn als Mitglied der syrischen Armee ausweise.
Der Kläger lässt beantragen,
die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen und den Bescheid vom 6. April 2015 (richtig: 2016) in Nr. 2 insoweit aufzuheben, als er dieser Verpflichtung entgegensteht.
Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die angefochtene Entscheidung,
die Klage abzuweisen.
Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze, den Inhalt der Asylakten und die Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen. Der Gerichtsakt im Verfahren RO 1 K 16.30671 wurde beigezogen.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist in Nr. 2 hinsichtlich der Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Dieser hat im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG.
Diese ist ihm zuzuerkennen, da er sich nach der Überzeugung des Gerichts aus begründeter Furcht vor Verfolgung durch den syrischen Staat wegen seiner vermuteten politischen Überzeugung außerhalb Syriens befindet, § 3 Abs. 1, 4 AsylG. Er hat Syrien zwar nicht wegen Verfolgung im Sinne dieser Vorschrift verlassen, es droht ihm jedoch bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine solche.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Die Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von
1. dem Staat,
2. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen oder
3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn eine interne Schutzmöglichkeit besteht, vgl. § 3e AsylG.
Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist. Es kommt auch nicht darauf an, ob er diese Merkmale tatsächlich aufweist. Vielmehr reicht es aus, wenn ihm diese von seinem Verfolger zugeschrieben werden, § 3b Abs. 2 AsylG. Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt auch bei einer erlittenen Vorverfolgung der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG
Die begründete Furcht vor Verfolgung kann gemäß § 28 Abs. 1a AsylG auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während eines Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit keine Einschränkung. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen (vgl. OVG Sachsen-Anhalt
Schutz nach § 3 Abs. 1 AsylG kann nur derjenige beanspruchen, der politische Verfolgung bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat. Eine Verfolgungsgefahr für einen nicht verfolgt Ausgereisten und damit dessen begründete Furcht vor Verfolgung liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unter folgenden Voraussetzungen vor (BVerwG
„Ist der Asylsuchende unverfolgt ausgereist, liegt eine Verfolgungsgefahr und damit eine begründete Furcht vor Verfolgung vor, wenn ihm bei verständiger, nämlich objektiver, Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Antragstellers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen“ oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50% Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden „zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts“ die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr „beachtlich“ ist. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50% für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z. B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert
1. Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist.
Eine Verfolgung durch den syrischen Staat und/oder durch nichtstaatliche Akteure im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG wegen eines der oben genannten Gründe hat er weder beim Bundesamt noch im Klageverfahren substantiiert und glaubhaft geltend gemacht. Es ist jedoch Sache des Schutzsuchenden, die Umstände, aus denen sich eine politische Verfolgung ergibt, in schlüssiger Form von sich aus vorzutragen, vgl. § 15 Abs. 1, § 25 Abs. 1 und 2 AsylG. Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten individuellen Schicksals und der Richtigkeit der Prognose drohender politischer Verfolgung gewinnen. Dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden kommt dabei besondere Bedeutung zu. Ihm selbst obliegt es, seine Gründe für das Vorliegen politischer Verfolgung folgerichtig, substantiiert, widerspruchsfrei und mit genauen Einzelheiten vorzutragen (vgl. BVerwG
Das Vorbringen des Klägers ist zu unsubstantiiert, oberflächlich und widersprüchlich, um eine Vorverfolgung glaubhaft machen zu können. Er vermochte nicht widerspruchsfrei darzulegen, wann und unter welchen Umständen er sich zu einer Mitwirkung bei dem „freien Militär“ entschließen hätte müssen. Zunächst behauptete er, dass diese alle zwei, drei Tage zu ihm gekommen seien. Auf Nachfrage erklärte er dagegen, dass sie nicht zu ihm gekommen seien, er sich aber bald hätte entscheiden müssen. Letztlich brachte er vor, dass die allgemeine Situation in Syrien schlecht sei und man dort nicht leben könne. Relevante Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a AsylG legte er damit jedoch nicht dar.
Das Vorbringen des Klägers weist außerdem unglaubwürdige Steigerungen auf. Erst in der zweiten Klagebegründung ließ er vorbringen, dass er seit 2011 Mitglied der syrischen Armee gewesen und desertiert sei. Er habe sich drei Jahre innerhalb Syriens versteckt. Nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung soll er sogar in Dunkelhaft gefangen gehalten und gefoltert worden sein. Es wäre zu erwarten gewesen, dass er dieses Geschehen bereits in seiner Anhörung beim Bundesamt von sich aus schildert. Warum dies nicht geschah, konnte er nicht nachvollziehbar erklären. Sein Hinweis auf eine mögliche Kenntniserlangung durch den syrischen Geheimdienst ist weder glaubwürdig noch nachvollziehbar.
2. Dem Kläger droht jedoch bei einer Rückkehr in seine Heimat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche Verfolgung.
a. Das Gericht geht auf der Grundlage der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen davon aus, dass der syrische Staat gegenwärtig das Stellen eines Asylantrages im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Anknüpfung und Ausdruck einer politischen missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System ansieht, die das Gebot der Loyalität gegenüber diesem verletzt (so auch z. B. VG Köln
Diese Beurteilung rechtfertigt sich nach wie vor aus der Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebestopps im April 2011 aus Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, der umfassenden Beobachtung syrischer Staatsangehöriger im Ausland durch die syrischen Geheimdienste, der Eskalation der innenpolitischen Situation seit dem März 2011 und dem Umgang der syrischen Behörden insbesondere seit Beginn 2012 mit Personen, die aus ihrer Sicht verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen (vgl. VG Augsburg
Hinsichtlich der Behandlung der aus westlichen Ländern abgeschobenen Personen fehlt es zwar für die letzten Jahre an belastbaren Zahlen der Rückkehrer. Dies ist darauf zurückzuführen, dass mit der Verschärfung des inneren Konfliktes in Syrien in den Jahren 2011/2012 wegen verschiedener Abschiebestopps keine abgelehnten Flüchtlinge abgeschoben wurden. Bis vor kurzer Zeit entsprach es der Praxis der Beklagten syrischen Flüchtlingen grundsätzlich den Flüchtlingsstatus zuzuerkennen, so dass keine Abschiebungen erfolgten. Dies gilt auch im Hinblick auf die mittlerweile stärker verbreitete Entscheidungspraxis der Beklagten, Syrern nur noch den subsidiären Schutzstatus zu gewähren. Die Beurteilung der im Falle einer Rückkehr drohenden Verfolgung und ihres Charakters kann daher nach wie vor nur im Wege einer Prognose aufgrund der zur Verfügung stehenden verifizierbaren Tatsachenberichte zu Verfolgungshandlungen gegenüber politischen Gegnern im Inland erfolgen (vgl. VG Meiningen
b. Es sind keine Anhaltspunkte erkennbar, dass sich an dieser Einschätzung etwas entscheidend zum Besseren geändert hat. Die Beklagte ist weder in dem streitgegenständlichen Bescheid noch im gerichtlichen Verfahren auf eine - mögliche - Gefährdung des Klägers bei einer Rückkehr nach Syrien eingegangen. Eine (vertiefte) Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation in Syrien fehlt. Stichhaltige Argumente, die zur Überzeugung des Gerichts eine - teilweise - Abkehr von der bisherigen Entscheidungspraxis der grundsätzlichen Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und den in den vergangenen Monaten zunehmenden Übergang auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus rechtfertigen könnten, wurden nicht vorgebracht.
Die immer stärker eskalierende Situation in Syrien mit der steigenden Zahl an Flüchtlingen hat nicht zur Folge, dass der einzelne sich im westlichen Ausland aufhaltende Flüchtling wegen dieses Massenphänomens nicht mehr als potenzieller politischer Gegner angesehen wird. Nach der Auffassung der syrischen Regierung handelt es sich bei dem sich zu einem Bürgerkrieg entwickelten Aufstand um eine von außen organisierte und finanzierte Verschwörung gegen das Land, der mit allen Mitteln zu begegnen ist. Daher muss mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer politischen Verfolgung von zurückkehrenden Asylbewerbern gerechnet werden (vgl. VG Stuttgart
Hinzu kommt, dass die Situation der Flüchtlinge, die in die Nachbarländer Syriens geflohen sind, nicht mit der von aus dem westlichen Ausland und Deutschland zurückgeführten Syrern vergleichbar ist, die bereits zahlenmäßig deutlich in der Minderzahl sind. Bei einer Rückführung letzterer über den von den syrischen Regierungskräften kontrollierten Flughafen in Damaskus bedarf es für eine Befragung mit der Gefahr anschließender Folterung durch Mitarbeiter der verschiedenen Geheimdienste keiner großen Ressourcen (vgl. VG Hannover
Diese Einschätzung wird durch die aktuellen Erkenntnisquellen bestätigt. Dem Auswärtigen Amt war es wegen der Lage in Syrien nicht möglich, seine Lageberichte, wie üblich, in regelmäßigen Zeitabständen zu aktualisieren. Der letzte reguläre Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien datiert vom 27. September 2010, also vor den im Frühjahr 2011 aufgeflammten Unruhen. Seitdem hat das Auswärtige Amt nur einen einzigen „Ad hoc-Bericht“ veröffentlicht. Die Deutsche Botschaft Damaskus hat den operativen Dienstbetrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt (vgl. Auskunft AA an BAMF vom 8.3.2012).
Zwar lägen dem Auswärtigen Amt keine Erkenntnisse dazu vor, dass ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erleiden hätten. Allerdings seien Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt, zeitweilig inhaftiert oder dauerhaft verschwunden seien (vgl. Auskunft der Botschaft Beirut vom 3.2.2016). Dies stehe überwiegend im Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten oder mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst. Nach einer nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes verlässlichen Studie des „Danish Immigration Service“ vom September 2015 würden desertierten Syrern Militärtribunale, Folter, lebenslange Haft oder Hinrichtung drohen. Werde der Deserteur mit Oppositionsgruppierungen in Verbindung gebracht, bestehe laut dieser Studie für die Familie das Risiko von Sippenhaft. Bezüglich der Motivation zur vermehrten Ausstellung syrischer Pässe durch Stellen innerhalb Syriens, aber auch durch die syrischen Auslandsvertretungen, weist das Auswärtige Amt darauf hin, dass sich die wirtschaftliche Lage des syrischen Regimes im ersten Quartal 2015 vermutlich weiter verschlechtert habe. Hierauf würden damalige intensive Verhandlungen über neue Kreditlinien mit Russland und dem Iran, die steigende Inflation, der Verfall der Infrastruktur, sowie der Verlust von Wirtschaftsräumen hindeuten. Es sei zu vermuten, dass speziell Einnahmen aus Passgebühren dem allgemeinen syrischen Staatshaushalt zugute kämen.
Wie sich den „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ (3. aktualisierte Fassung) vom Oktober 2014 entnehmen lässt, hat sich die Lage in Syrien seit der zweiten aktualisierten Fassung vom Oktober 2013 im Hinblick auf Sicherheit, Menschenrechte, Vertreibung und Bedarf an humanitärer Hilfe weiter verschlechtert. Fast alle Teile des Landes seien zum jetzigen Zeitpunkt in Gewalt verstrickt, wobei die Gewalthandlungen zwischen verschiedenen Akteuren mit teilweise überlappenden Konflikten ausgetragen und durch die Beteiligung ausländischer Kämpfer auf allen Seiten verschärft würden. Kampfhandlungen zwischen den syrischen Regierungstruppen und einer Vielzahl bewaffneter oppositioneller Gruppen würden unvermindert fortgesetzt.
Die aktuellen UNHCR-Erwägungen vom November 2015 (4. aktualisierte Fassung) führen aus, dass der Konflikt mit unverminderter Intensität fortgesetzt werde. Er sei mit verheerenden Konsequenzen für die syrische Bevölkerung, einschließlich einer steigenden Zahl ziviler Opfer, interner und externer Vertreibung in großem Maßstab und einer humanitären Krise von bislang unbekanntem Ausmaß verbunden. Die meisten Hauptstädte der Gouvernements (ausgenommen Raqqa und Idlib) einschließlich der Hauptstadt Damaskus sowie die Küstengebiete der Gouvernements Latakia und Tartus stünden weiterhin unter der teilweisen oder vollständigen Kontrolle der syrischen Streitkräfte. Diese hätten jedoch Berichten zufolge im Laufe des vergangenen Jahres strategisch wichtige Standorte und militärische Stellungen in einigen Gouvernements verloren. In jüngerer Zeit hätten Berichten zufolge Regierungskräfte mit zunehmender Unterstützung von Verbündeten aus dem Ausland eine größere Militäroffensive an mehreren Fronten gestartet, um verlorene Gebiete zurückzuerobern.
Nach Einschätzung des UNHCR sei es wahrscheinlich, dass die meisten asylsuchenden Syrer die Kriterien für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllten, da sie eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen eines oder mehrerer Gründe der GFK hätten. Syrischen Staatsangehörigen und Personen mit gewöhnlichen Aufenthaltsort in Syrien, die aus dem Land geflohen seien, könne beispielsweise Verfolgung aufgrund einer politischen Überzeugung drohen, die ihnen gemäß einer vermeintlichen Verbindung mit einer Konfliktpartei unterstellt werde, oder aufgrund ihrer religiösen Überzeugung, ihrer ethnischen Identität oder abhängig davon, welche Konfliktpartei die Nachbarschaft oder das Dorf kontrolliere, aus dem die Betroffenen stammen. Im Lichte der immer schwierigeren Sicherheits- und Menschenrechtslage und humanitären Situation in Syrien und einer fehlenden politischen Lösung zum jetzigen Zeitpunkt begrüße UNHCR die Tatsache, dass viele Regierungen Maßnahmen ergriffen hätten, um die zwangsweise Rückführung von syrischen Staatsangehörigen oder Personen mit gewöhnlichen Aufenthaltsort in Syrien auszusetzen, einschließlich solcher Personen, deren Asylanträge abgelehnt worden seien. Derartige Maßnahmen sollten bis auf weiteres aufrechterhalten werden.
Das Gericht teilt die Einschätzung des UNHCR, dass sich die Lage in Syrien im Vergleich zu den Jahren 2012/2013 verschlechtert hat. Die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente sind angesichts der Rolle, die dem UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden sind, besonders relevant (vgl. EuGH vom 30.5.2013 Az. C-528/11), auch wenn das Gericht an die rechtliche Beurteilung des UNHCR nicht gebunden ist.
Nach den Erkenntnissen von Amnesty International halten die staatlichen Sicherheitskräfte nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft (vgl. Amnesty Report 2016). Zehntausende Menschen, die seit Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 inhaftiert worden waren, seien „verschwunden“ geblieben. Unter ihnen hätten sich friedliche Regierungskritiker und -gegner sowie Familienangehörige, die anstelle ihrer von den Behörden gesuchten Angehörigen inhaftiert worden seien, befunden. Folter und andere Misshandlungen von Inhaftierten in Gefängnissen sowie durch den staatlichen Sicherheitsdienst und die Geheimdienste seien auch im Jahr 2015 weit verbreitet gewesen und würden systematisch angewendet, was erneut zu vielen Todesfällen im Gewahrsam geführt habe. Zehntausende Zivilpersonen, darunter auch friedliche Aktivisten, seien von Sicherheitskräften der Regierung festgenommen worden. Viele von ihnen hätten lange Zeiträume in Untersuchungshaft verbracht, wo sie gefoltert oder anderweitig misshandelt worden seien. Nach der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 14. April 2015 wurden die von Baschar al Assad erlassenen Amnestien nur mangelhaft und willkürlich umgesetzt.
c. Das Gericht teilt nicht die Auffassung, dass unverfolgt ausgereiste Rückkehrer nach Syrien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr politisch verfolgt werden (so aber z. B. VG Düsseldorf
d. Eine innerstaatliche Fluchtalternative steht dem Kläger nicht zur Verfügung, da er bei einer Einreise über den Flughafen in Damaskus keinen sicheren Landesteil sicher und legal erreichen kann, vgl. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG.
e. Schließlich scheidet die Flüchtlingsanerkennung auch nicht aus anderen Gründen, wie z. B. dem Alter des Klägers, aus. Dieser ist ein junger sunnitischer Mann im wehrfähigen Alter. Es besteht die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass er bei einer Rückkehr nach Syrien staatliche Verfolgung erleiden wird, weil er die vermutete Systemfeindlichkeit bei einer Befragung durch die syrischen Sicherheitsbehörden nicht wird widerlegen können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.
Die Höhe des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 30 RVG.
Tatbestand
- 1
Der 1979 in A./Syrien geborene Kläger ist nach eigenen Angaben syrischer Staatsangehöriger, muslimischen Glaubens und kurdischer Volkszugehörigkeit. Nach seinen Schilderungen reiste er am 30. November 2010 aus der Türkei kommend auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein.
- 2
Am 14. Januar 2011 wurde der Kläger vom Bundesamt zu seinem Asylbegehren angehört. Zur Begründung gab er an: Er sei ungefähr von 2001 bis 2007 inhaftiert gewesen. Aufgrund einer Bürgschaft sei er freigelassen worden. Er sei Sympathisant der Kurdischen Volksunion gewesen. Im Rahmen der Vorbereitung des Newroz-Festes am 21. März 2010 habe man sich versammelt. Daraus sei eine Demonstration entstanden. Irgendwann habe man begonnen, Leute zu verhaften. Er sei geflüchtet und habe sich bei seinem Cousin versteckt. Er habe dann erfahren, dass sein Bruder verhaftet worden sei. Es sei ihm klar geworden, dass dies erfolgt sei, weil man in Wirklichkeit seiner habhaft werden wollte. Er habe sich sechs Monate bei seinem Cousin versteckt und dann seine Ausreise organisieren lassen.
- 3
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid vom 23. März 2011 ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland binnen eines Monats nach Rechtskraft der Entscheidung zu verlassen, anderenfalls würde er nach Syrien abgeschoben. Der Kläger könnte auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet sei. Zur Begründung ist ausgeführt, der Kläger könnte kein Asyl beanspruchen, weil davon auszugehen sei, dass er auf dem Landweg über einen sicheren Drittstaat eingereist sei. Der Kläger hätte ein individuelles Verfolgungsschicksal nicht glaubhaft gemacht. Auch die illegale Ausreise bzw. die Asylantragstellung im Ausland führe nicht zu einer politischen Verfolgung. Mangels einer politischen Verfolgung könne er daher nicht die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft beanspruchen. Auch Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen nicht vor.
- 4
Am 5. April 2011 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Magdeburg Klage erhoben. Zur Begründung berief er sich auf die aktuelle politische Situation in Syrien. Ferner sei bei ihm im Jahr 2011 eine kryptogene Epilepsie und der Verdacht auf das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung festgestellt worden.
- 5
Der Kläger hat beantragt,
- 6
unter Aufhebung des Bescheides vom 23. März 2011 festzustellen, dass für ihn die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft des § 60 Abs. 1 AufenthG, hilfsweise Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.
- 7
Die Beklagte hat beantragt,
- 8
die Klage abzuweisen.
- 9
Mit Gerichtsbescheid vom 23. April 2012 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter teilweiser Aufhebung ihres Bescheides vom 23. März 2011 verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG für den Kläger vorliegen.
- 10
Mit der vom Senat zugelassenen Berufung macht die Beklagte geltend, dass das Verwaltungsgericht für seine tragende Argumentation hinsichtlich der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft keine Referenzfälle benannt habe. Sie hat sich im Verlauf des Berufungsverfahrens verpflichtet festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG im Hinblick auf den Kläger vorliegt.
- 11
Die Beklagte beantragt,
- 12
die Klage unter Abänderung des Gerichtsbescheides des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 23. April 2012 abzuweisen.
- 13
Der Kläger beantragt,
- 14
die Berufung zurückzuweisen.
- 15
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Vorbringen der Beteiligten sowie auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten und auf die vom Senat in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
- 16
Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Der Kläger hat zu dem gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat einen Anspruch auf die Feststellung, dass in seiner Person die Voraussetzungen auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG vorliegen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
- 17
Maßgeblich für die Beurteilung, ob dem Kläger der Flüchtlingsstatus zuzuerkennen ist, sind § 3 Abs. 1 und 4 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798, zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.11.2011, BGBl. I S. 2258) sowie § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162, zuletzt geändert durch Gesetz vom 01.06.2012, BGBl. I S. 1224).
- 18
Nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf in Anwendung dieses Abkommens ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist.
- 19
Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorliegt, Art. 4 Abs. 4 und Art. 7 bis 10 derRichtlinie 2004/83/EG (sog. Qualifikationsrichtlinie, nachfolgend QRL) des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. Nr. L 304 S. 12) ergänzend anzuwenden. Wie nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist auch unionsrechtlich eine Verfolgungshandlung für die Flüchtlingsanerkennung nur dann von Bedeutung, wenn sie an einen der in Art. 10 QRL genannten Verfolgungsgründe anknüpft (Art. 9 Abs. 3 QRL). Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Antragsteller in einer Angelegenheit, die die in Art. 6 QRL genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob der Antragsteller aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist (Art. 10 Abs. 1 lit. e QRL). Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe reicht es aus, wenn diese Merkmale dem Antragsteller von seinem Verfolger lediglich zugeschrieben werden (Art. 10 Abs. 2 QRL). Die Qualifikationsrichtlinie hat sich insofern an dem aus dem angloamerikanischen Rechtsraum bekannten Auslegungsprinzip der „imputed political opinion“ orientiert, wonach es ausreicht, dass ein Verfolger seine Maßnahmen deshalb gegen den Antragsteller richtet, weil er davon ausgeht, dass dieser eine abweichende politische Überzeugung vertritt (vgl. Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, § 15 Rdnr. 26; Nachweise aus der Rechtsprechung bei UNHCR, „Auslegung von Artikel 1 des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“, 2001, Fußnote 54 zu Rdnr. 25). Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Asylgrundrecht des Art. 16a GG kann eine politische Verfolgung dann vorliegen, wenn staatliche Maßnahmen gegen - an sich unpolitische - Personen ergriffen werden, weil sie dem persönlichen Umfeld einer anderen Person zugerechnet werden, die ihrerseits Objekt politischer Verfolgung ist. Dienen diese Maßnahmen der Ausforschung der Verhältnisse des Dritten, so kann ihnen die Asylerheblichkeit nicht von vornherein mit dem Argument abgesprochen werden, sie seien nicht gegen die politische Überzeugung des Betroffenen gerichtet (BVerfG, Beschl. v. 28.01.1993 - 2 BvR 1803/92 -, juris).
- 20
Als Verfolgung im Sinne des Art. 1 A GFK gelten nach Art. 9 Abs. 1 QRL Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (lit. a) oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter lit. a) beschriebenen Weise betroffen ist (lit. b).
- 21
Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird, Art. 4 Abs. 4 QRL. Art. 4 Abs. 4 QRL ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht. Die Qualifikationsrichtlinie modifiziert diese - asylrechtliche - Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4. Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab bleibt unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 QRL erlitten hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, NVwZ 2011, 51; EuGH, Urteil v. 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - Abdulla -, NVwZ 2010, 505). Der in dem Tatbestandsmerkmal „... tatsächlich Gefahr liefe ...“ des Art. 2 lit. e QRL enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“; vgl. EGMR, Urt. v. 28.02.2008 - Nr. 37201/06 -, NVwZ 2008, 1330); dies entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.04.2010, a. a. O).Art. 4 Abs. 4 QRL privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (vgl. EuGH, Urt. v. 02.03.2010, a. a. O.). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.04.2010, a. a. O.).
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Nach der Überzeugung des Senates ist der Kläger nicht im oben dargestellten Sinne vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Der die Flüchtlingsanerkennung Begehrende hat aufgrund seiner Mitwirkungspflicht seine Gründe für eine politische Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich - als wahr unterstellt - bei verständiger Würdigung die drohende Verfolgung ergibt (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.03.1987 - 9 C 321.85 -, NVwZ 1987, 701). Daher hat sich das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit - und nicht nur von der Wahrscheinlichkeit - des vom Schutzsuchenden behaupteten Sachverhalts zu verschaffen (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.04.1985 - 9 C 109.84 -, NVwZ 1985, 658). Für diese Überzeugungsbildung ist wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich ein Schutzsuchender bezüglich der Vorgänge in seinem Heimatland regelmäßig befindet, nicht die volle Beweiserhebung notwendig, sondern die Glaubhaftmachung ausreichend.
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Der Kläger hat keine Vorverfolgung glaubhaft gemacht, da er unter Berücksichtigung und Würdigung seines gesamten Vorbringens bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt und dem erkennenden Senat keinen zusammenhängenden, in sich schlüssigen, im Wesentlichen widerspruchsfrei geschilderten Sachverhalt vorgetragen hat. Der Kläger hat bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt als wesentliches fluchtauslösendes Motiv die Verhaftung seines Bruders geschildert, aus der er den Schluss gezogen haben will, dass der syrische Staat auch seiner Person habhaft werden wolle. Diesen Umstand hat der Kläger bei der Anhörung in der mündlichen Verhandlung zu den Gründen seiner Ausreise nicht mehr erwähnt. Vielmehr hat er nunmehr bei seiner Anhörung vor dem Senat als maßgeblich ausgeführt, dass er aufgrund des Umstandes, dass er bei der anlässlich des Newroz-Festes durchgeführten Versammlung fotografiert worden sei, sich zur Ausreise entschlossen habe. Die Leute, die dort festgenommen worden seien, seien auch nach Jahren nicht mehr zurückgekehrt. Er habe befürchtet, dass ihm Gleiches widerfahre. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt hatte er eine mögliche Gefährdung wegen der Fertigung von Bildaufnahmen der Demonstration nicht erwähnt.
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Unabhängig von einer Vorverfolgung muss aufgrund der aktuellen Situation in Syrien jedoch davon ausgegangen werden, dass der Kläger aus beachtlichen Nachfluchtgründen von Verfolgung im vorgenannten Sinne bedroht ist. Der Kläger ist wegen seiner illegalen Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung und seinem mehrjährigen Aufenthalt im Ausland von einer Verfolgung bedroht, wobei hinsichtlich der Personen, die die genannten Merkmale erfüllen, von einer drohenden „Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit“ auszugehen ist. Der Senat geht davon aus, dass diese Handlungen ungeachtet einer oppositionellen Haltung des Einzelnen bei Vorliegen der zuvor genannten Kriterien vom syrischen Staat generell und unterschiedslos als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung aufgefasst werden und der Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an seine tatsächliche oder jedenfalls vermutete politische Überzeugung mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen hat.
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Die Vielfalt möglicher Verfolgungsgefährdungen verbietet es, die Zugehörigkeit zu einer gefährdeten Gruppe unberücksichtigt zu lassen, weil die Gefährdung unterhalb der Schwelle der Gruppenverfolgung liegt. Denn die Gefahr politischer Verfolgung, die sich für jemanden daraus ergibt, dass Dritte wegen eines Merkmals verfolgt werden, das auch er aufweist, kann von verschiedener Art sein: Der Verfolger kann von individuellen Merkmalen gänzlich absehen, seine Verfolgung vielmehr ausschließlich gegen die durch das gemeinsame Merkmal gekennzeichnete Gruppe als solche und damit grundsätzlich gegen alle Gruppenmitglieder betreiben. Dann handelt es sich um eine in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urt. v. 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237 m. w. N.) als Gruppenverfolgung bezeichnetes Verfolgungsgeschehen. Das Merkmal, das seinen Träger als Angehörigen einer missliebigen Gruppe ausweist, kann für den Verfolger aber auch nur ein Element in seinem Feindbild darstellen, das die Verfolgung erst bei Hinzutreten weiterer Umstände auslöst. Das vom Verfolgungsstaat zum Anlass für eine Verfolgung genommene Merkmal ist dann ein mehr oder minder deutlich im Vordergrund stehender, die Verfolgungsbetroffenheit des Opfers mitprägender Umstand, der für sich allein noch nicht die Annahme politischer Verfolgung jedes einzelnen Merkmalsträgers rechtfertigt, wohl aber bestimmter unter ihnen, etwa solcher, die durch weitere Besonderheiten in den Augen des Verfolgerstaates zusätzlich belastet sind. Löst die Zugehörigkeit zum Kreis der Vertreter einer bestimmten politischen Richtung, wie hier, nicht bei jedem Gruppenangehörigen unterschiedslos und ungeachtet sonstiger individueller Besonderheiten, sondern nur nach Maßgabe weiterer individueller Eigentümlichkeiten die Verfolgung des Einzelnen aus, so kann hiernach eine „Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit“ vorliegen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.02.1996 - 9 B 14.96 -, DVBl 1996, 623 m. w. N.).
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Die Verfolgungsgefahr ist auch nicht unbeachtlich, weil sie (auch) auf dem eigenen Nachfluchtverhalten des Klägers beruht. Nach § 28 Abs. 1a AsylVfG kann eine Bedrohung nach § 60 Abs. 1 AufenthG auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Art. 5 Abs. 2 QRL, der mit § 28 Abs. 1a AsylVfG in deutsches Recht umgesetzt wird, besagt, dass die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auf Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftslandes beruhen kann, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während eines Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit keine Einschränkung. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung gemäß § 28 Abs. 1 AsylVfG - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen. Erst in dem (erfolglosen) Abschluss eines Erstverfahrens liegt eine entscheidende zeitliche Zäsur; für nach diesem Zeitpunkt selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (BVerwG, Urt. v. 18.12.2008 - 10 C 27.07 -, NVwZ 2009, 730).
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Die dem Senat vorliegenden und ausgewerteten Erkenntnisse rechtfertigen den Schluss, dass für den Kläger aufgrund des Nachfluchtgeschehens mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr bei einer Rückkehr nach Syrien besteht. Dieser Schluss rechtfertigt sich aus mehreren Gründen, nämlich der Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, die umfassende Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste, die Eskalation der innenpolitischen Situation in Syrien seit März 2011 sowie dem Umgang der syrischen Behörden in Syrien insbesondere seit Beginn des Jahres 2012 mit Personen, die aus Sicht der syrischen Behörden verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen.
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Amnesty international (vgl. zum Nachfolgenden: Bericht „Menschenrechtskrise in Syrien erfordert Abschiebungsstopp und Aussetzung des Deutsch-Syrischen Rückübernahmeabkommens“ vom 14. März 2012) und der kurdische Informationsdienst KURDWATCH haben eine Reihe von Fällen dokumentiert, in denen seit 2009 abgelehnte syrische Asylbewerber nach ihrer Abschiebung (aus Deutschland und anderen europäischen Staaten) festgenommen und ohne Kontakt zur Außenwelt unter erheblicher Foltergefahr von den Geheimdiensten inhaftiert wurden.
- 29
Der syrische Kurde Berzani Karro wurde im Juni 2009 von den zypriotischen Behörden nach Syrien abgeschoben. Er hatte im Jahr 2006 in Zypern einen Asylantrag gestellt, der abgelehnt wurde. Berzani Karro wurde bei seiner Ankunft auf dem Flughafen in Damaskus festgenommen und vier Monate ohne Kontakt zur Außenwelt von den Geheimdiensten inhaftiert und offenbar misshandelt und gefoltert. Nach den Erkenntnissen von amnesty international war Karro bereits Anfang 2005 als Jugendlicher für zweieinhalb Monate u.a. in der Haftanstalt der „Palästinensischen Abteilung“ beim Militärischen Geheimdienst in Haft. Im März 2010 wurde Berzani Karro von einem Militärgericht zu einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt. Er wurde der „versuchten Abspaltung von syrischem Territorium und dessen Angliederung an einen anderen Staat“ für schuldig befunden.
- 30
Ein weiterer Fall ist der am 1. September 2009 von deutschen Behörden nach Syrien abgeschobene abgelehnte kurdische Asylbewerber Khalid Kandschu. Zwei Wochen nach seiner Rückkehr wurde er bei der Vorsprache beim Geheimdienst festgenommen und drei Wochen lang ohne Kontakt zur Außenwelt inhaftiert, verhört und eigenen Angaben zufolge gefoltert und misshandelt. Im Rahmen seiner Verhöre wurden ihm auch Angaben aus seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorgehalten (KURDWATCH, Meldung vom 29.08.2010). Gegen Kandschu wurde Anklage wegen „Verbreitung falscher Informationen im Ausland“ gemäß § 287 des syrischen Strafgesetzbuches vor dem Militärgericht erhoben. Anfang 2010 wurde Kandschu vorläufig aus der Haft entlassen. Das Verfahren gegen ihn vor dem Militärgericht wurde fortgesetzt. Er wurde in Abwesenheit zu einer Haftstrafe von vier Monaten sowie einer geringfügigen Geldbuße verurteilt. Im Juli 2010 konnte Kandschu wieder in die Bundesrepublik einreisen und wurde als Asylberechtigter anerkannt.
- 31
Amnesty international hat ferner den Fall des syrischen Kurden Abd al-Karim Hussein dokumentiert, der im August 2010 aus Norwegen abgeschoben wurde. Er wurde bei seiner Ankunft auf dem Flughafen Damaskus festgenommen. Abd al-Karim Hussein ist stellvertretender Direktor des Vereins syrischer Kurden in Norwegen, einer Nichtregierungsorganisation, die auf die Situation der kurdischen Minderheit in Syrien aufmerksam macht. Der an Diabetes erkrankte Hussein war zwei Wochen ohne Kontakt zur Außenwelt beim Geheimdienst in Damaskus inhaftiert. Berichten zufolge soll er bei der Haftentlassung aufgefordert worden sein, sich beim Geheimdienst in Aleppo zu melden, was ihn zur Flucht aus Syrien veranlasst hat.
- 32
Nach einem weiteren von KURDWATCH dokumentierten Fall hatte die Ausländerbehörde Essen am 27. Juli 2010 eine sechsköpfige Familie nach Damaskus abschieben lassen. Hamza Hasan und Khalid Hasan wurden bei der Ankunft am Flughafen Damaskus von syrischen Sicherheitskräften festgenommen. Von den Abgeschobenen sind drei - Hamza, Mariam und Imad Hasan - in Deutschland geboren. Ihre Eltern hatten in Deutschland Asyl beantragt und dabei eine falsche Identität angegeben. Ursprünglich hatten sie behauptet, aus dem Libanon zu stammen und erst später ihre syrische Staatsangehörigkeit offenbart. Anscheinend wurden Hamza und Khalid Hasan festgenommen, da sie in Deutschland straffällig geworden waren. Unklar blieb, wer die syrischen Sicherheitskräfte über ihre Straffälligkeit informiert hat. Am 24. August 2010 wurde Hamza Hasan aus der Haft in Damaskus entlassen worden. Hasans Aussagen zufolge wurde er an drei unterschiedlichen Orten festgehalten - von welchen Sicherheitsorganen war für den in der Bundesrepublik geborenen Kurden nicht ersichtlich. Begründet wurde seine Festnahme damit, dass er in Deutschland wegen Diebstahls verurteilt worden sei und diese Strafe noch in Syrien ableisten müsse. Tatsächlich, so Hasan, sei die Strafe zur Bewährung ausgesetzt worden. Darüber hinaus sei ihm, ebenfalls unter Verweis auf seine aus Deutschland stammenden Akten, zu Unrecht Drogenabhängigkeit vorgeworfen worden (KURDWATCH, Meldung vom 7. September 2010).
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Nach seiner Abschiebung aus Dänemark wurde der staatenlose Kurde Amir Muhammad Dschan Ato am 15. November 2010 auf dem Flughafen Damaskus verhaftet. Ato war in Dänemark politisch aktiv (KURDWATCH, Meldung vom 21. November 2010).
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Mitglieder des Direktorats für politische Sicherheit in Syrien hatten am 4. Dezember 2010 Dschuan Yusuf Muhammad vorgeladen und festgenommen. Nach seiner Abschiebung aus Zypern im Juni 2010 hatte er am Flughafen Damaskus seinen Pass abgeben müssen. Es folgten mehrere Verhöre durch verschiedene Geheimdienste. In Zypern hatte Muhammad gemeinsam mit anderen kurdischen Flüchtlingen gegen seine Abschiebung demonstriert und an einem mehrtätigen Hungerstreik teilgenommen (KURDWATCH, Meldung vom 17.12.2010)
- 35
Die Ausländerbehörde Hildesheim hatte am 1. Februar 2011 die registrierten Staatenlosen Badr Naso und seinen Sohn Anwar Naso nach Syrien abschieben lassen. Badr und Anwar Naso wurden unmittelbar nach ihrer Ankunft in Damaskus festgenommen und der Auswanderungs- und Passbehörde überstellt. Anwar Naso wurde vorgeworfen, unrichtige Angaben zu seinem Alter gemacht zu haben. Er wurde bei der Auswanderungs- und Passbehörde festgehalten, wo er auf eine Identitätsbescheinigung aus Al-Hassake warten musste. Sein Vater wurde zunächst dem Direktorat für politische Sicherheit vorgeführt und dort verhört. Badr Naso wurde am 13. Februar 2011, sein Sohn am 3. März 2011 freigelassen (KURDWATCH, Meldungen vom 13.02.2011, 26.02.2011 und 15.03.2011).
- 36
Am 8. Februar 2011 wurde Annas Abdullah von Dänemark über Wien nach Syrien abgeschoben. Obgleich Dänemark zuvor die Rücknahme Abdullahs zugesichert worden war, erhielt er am Flughafen Damaskus die Information, er könne nicht einreisen, da es sich bei ihm nicht um einen syrischen Staatsangehörigen handele. Entweder, er verlasse das Land oder er werde inhaftiert, bis seine Identität geklärt sei. Die drei dänischen Beamten, die Abdullah begleiteten, hielten daraufhin Rücksprache mit der dänischen Botschaft und erhielten die Anweisung, noch am selben Tag mit Abdullah nach Kopenhagen zurückzufliegen. In diesem Moment wurde Abdullah von einem Geheimdienstmitarbeiter erkannt, der einen Beitrag des kurdischen Senders Roj-TV gesehen hatte, in dem der Kurde im September 2010 als Sprecher von Hungerstreikenden aufgetreten war. Der Geheimdienstmitarbeiter nahm Abdullah mit in sein Büro und warf ihm vor, im Ausland falsche Informationen über Syrien verbreitet zu haben. Abdullah leugnete dies und behauptete, es handele sich bei ihm um eine andere Person, es sei doch gerade festgestellt worden, dass er kein syrischer Staatangehöriger sei. Daraufhin, so Abdullah gegenüber KURDWATCH, sei er von dem Geheimdienstmitarbeiter massiv mit Kabeln auf den Rücken geschlagen und gezwungen worden, ein Papier zu unterschreiben, dass er nicht wieder nach Syrien einreisen werde. Schließlich wurde er entlassen und flog noch am selben Tag mit den dänischen Beamten nach Kopenhagen zurück. In Dänemark angekommen informierte Abdullah die dänische Polizei über die erlittene Folter, die durch entsprechende Spuren auf seinem Rücken belegt sind (KURDWATCH, Meldung vom 29.03.2011).
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Nach seiner Abschiebung nach Syrien wurde am 13. April 2011 Khalid Hamid Hamid am Flughafen Damaskus festgenommen. Er war am 12. April 2011 in Lebach festgenommen worden, als er bei der dortigen Ausländerbehörde seine Duldung verlängern lassen wollte. Hamid hatte im Jahr 2002 einen Asylantrag in Deutschland gestellt. Am 20. April 2011 wurde er in Damaskus aus der Haft entlassen. Nach seiner Abschiebung aus Deutschland war er eine Woche lang im Gefängnis der Fara Filastin, einer Abteilung des Militärischen Nachrichtendienstes, festgehalten worden. Dort war er zu seinen exilpolitischen Aktivitäten und zu in Deutschland lebenden Syrern verhört und dabei mit einer als „al kursi al almani“ („deutscher Stuhl“) bezeichneten Methode gefoltert worden, bei der das Opfer auf einem beweglichen Stuhl fixiert wird, der die Wirbelsäule nach hinten biegt (KURDWATCH, Meldungen vom 14.04.2011 und 28.04.2011).
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Ein weiteres gefahrbegründendes Moment besteht in dem Umstand, dass syrische Geheimdienste mit ihren Verbindungen zur syrischen Botschaft in der Bundesrepublik Deutschland über ein Agentennetz verfügen, mit dem die im Ausland lebenden Syrerinnen und Syrer flächendeckend überwacht werden. Seit Beginn des „arabischen Frühlings“ hat sich nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes die Aktivität des syrischen Geheimdienstes in der Bundesrepublik Deutschland intensiviert. In der syrischen Botschaft in Berlin, die auch als Legalresidentur für Spionageaktivitäten fungiere, seien hauptamtlich abgetarnte Nachrichtendienstler beschäftigt, die ein Agentennetz in Deutschland führen. Bei der Anwerbung von neuen Agenten würden auch Repressalien angewandt. In Syrien lebende Angehörige könnten dabei auch als Druckmittel missbraucht werden (Protokoll der Sitzung des Ausschusses für Verfassungsschutz des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 15. Februar 2012 zum Thema „Aktivitäten des syrischen Geheimdienstes in Berlin“, Seite 4 f.). Anfang Februar 2012 hat die Bundesregierung vier syrische Diplomaten ausgewiesen, die ihm Verdacht stehen, an Einschüchterungsversuchen gegen Oppositionelle beteiligt gewesen zu sein. Ebenfalls Anfang Februar 2012 sind ein Deutsch-Libanese und ein syrischer Staatsangehöriger unter dem Verdacht der geheimdienstlichen Agententätigkeit (§ 99 StGB) für die Arabische Republik Syrien aufgrund vom Bundesgerichtshof erlassener Haftbefehle in Untersuchungshaft genommen worden. Die beiden sollen intensiv an der Ausforschung Oppositioneller beteiligt gewesen sein. Bei Demonstrationen hätten sie Teilnehmer fotografiert sowie Bilder und andere Informationen nach Damaskus weitergeleitet (vgl. Zeit Online vom 09.02.2012: „Deutschland weist vier syrische Diplomaten aus“; Tagesspiegel vom 09.02.2012: „Mutmaßliche Spione forschten Syrer in Berlin aus“; Zeit Online vom 10.02.2012: „Worauf die Syrer in Deutschland hoffen“; FAZ vom 11.02.2012: „Assad sieht dich - Syrische Spione in Berlin“ und Abgeordnetenhaus Berlin,“; zur fortdauernden Beobachtung der syrischen Staatsangehörigen in der Bundesrepublik Deutschland: Dradio.de, Transkript eines Radioberichts vom 05.06.2012: „Warten im Niemandsland - Die syrische Opposition im Exil“). Hieran anschließend hat unter anderem das Innenministerium des Landes Sachsen-Anhalt mit Erlass vom 16. Februar 2012 die Ausländerbehörden aufgefordert, keinen Kontakt mehr mit syrischen Stellen zwecks Feststellung der Identität bzw. der Staatsangehörigkeit bei aus Syrien stammenden Ausländern aufzunehmen.
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Diese Einschätzung deutscher amtlicher Stellen über die umfassende Überwachung von im Ausland lebenden syrischen Staatsangehörigen durch im Ausland operierende syrische Geheimdienste deckt sich mit den Erkenntnissen von amnesty international. Im Ausland lebende Syrer werden systematisch von Angehörigen der syrischen Auslandsvertretungen oder anderen Personen im Auftrag der syrischen Regierung überwacht und eingeschüchtert. In einigen Fällen von im Ausland politisch aktiven Syrern wurden auch die in Syrien lebenden Familienangehörigen unter Druck gesetzt (vgl. auch Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 17.02.2012, S. 10).
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In einem Bericht von Anfang Oktober 2011 hat amnesty international exemplarisch 30 Fälle in acht Ländern - darunter auch Deutschland - dokumentiert („The long reach of the Mukhabaraat - violence and harassment against Syrians abroad and their relatives back home“), welche eine umfassende und systematische Überwachung der im Ausland lebenden Syrer belegen. Bereits objektiv vergleichsweise geringfügige Anlässe lösen Maßnahmen der syrischen staatlichen Stellen aus, welche sich auch gegen Familienangehörige in Syrien richten.
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So rief die in Chile lebende Syrerin Naima Darwish am 25. Februar 2011 auf ihrer Facebook-Seite zu einer Protestveranstaltung vor der syrischen Botschaft in Santiago auf. Nur zwei Stunden später erreichten sie Anrufe von Freunden, welche sie darüber unterrichteten, dass die syrische Botschaft versuche, ihre Telefonnummer in Erfahrung zu bringen. Zwei Tage nach dem Aufruf erhielt sie einen Anruf eines Botschaftsangehörigen, welcher sie aufforderte, in die Botschaft zu kommen. Nach dem dies durch Darwish abgelehnt wurde, fand ein Treffen außerhalb der Botschaft statt. Auf diesem Treffen wurde sie beleidigt und ihr damit gedroht, dass sie nicht mehr nach Syrien zurückkehren könne, wenn sie die oppositionellen Tätigkeiten fortsetze.
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Ferner wurde der Bruder des in Spanien lebenden Syrers Imad Mouhalhel, Aladdin, im Juli 2011 für vier Tage in Syrien inhaftiert. Nachdem Aladdin Mouhalhel offenbar gefoltert worden war, wurden ihm Fotos und Videos von Protesten vor der syrischen Botschaft in Spanien gezeigt und er wurde aufgefordert, seinen Bruder Imad unter den Teilnehmern der Demonstration zu identifizieren. Am 29. August 2011 wurde Aladdin erneut verhaftet und offenbar gezwungen, seinen Bruder Imad anzurufen und ihn aufzufordern, nicht mehr an den Protesten teilzunehmen. Imad und seine Familie haben seitdem kein Lebenszeichen von Aladdin erhalten.
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Malek Jandali, ein 38-jähriger Komponist und Pianist, war im Juli 2011 bei einer reformorientierten Versammlung vor dem Weißen Haus in Washington aufgetreten. Wenige Tage später wurden seine 66-jährige Mutter und sein 73 Jahre alter Vater in ihrem Haus in Homs von Sicherheitskräften angegriffen. Malek Jandali berichtete amnesty international, dass seine Eltern geschlagen und ins Badezimmer eingesperrt wurden, während ihre Wohnung von Agenten durchsucht und geplündert wurde. Man sagte ihnen, dies sei die Strafe dafür, dass sich ihr Sohn über die syrische Regierung lustig gemacht habe. Nach diesem Vorfall flüchteten seine Eltern aus Syrien.
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Einige Familien in Syrien wurden offenbar auch dazu gezwungen, ihre im Ausland lebenden Familienangehörigen öffentlich zu verleugnen. So wurde der Bruder der in Deutschland lebenden Sondos Sulaiman, die im Juni 2011 in einem Video bei YouTube zum Widerstand gegen den syrischen Präsidenten aufrief, im syrischen Staatsfernsehen gezeigt, wie er ihr Video denunzierte und sich abfällig über seine Schwester äußerte. Sondos Sulaiman ist davon überzeugt, dass ihr Bruder zu diesem Fernseh-Auftritt gezwungen wurde. Ihr war es seitdem nicht möglich, Kontakt zu ihrer Familie aufzunehmen, um herauszufinden, was mit ihnen, insbesondere mit ihrem Bruder, passiert ist.
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Ein weiteres gefahrbegründendes Element liegt in der innenpolitischen Eskalation der Lage in Syrien seit dem Frühjahr 2011. Ganz allgemein können die Ereignisse des „Arabischen Frühlings“ in anderen Ländern der Region als Anlass für die Demonstrationen in Syrien genannt werden (zur nachfolgend dargestellten Entwicklung in Syrien von Januar 2011 bis Januar 2012: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration, „Syrien“, Januar 2012).
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Am 17. März 2011 kam es erstmals zu schweren Zusammenstößen in der südsyrischen Stadt Daraa. Die Sicherheitskräfte gingen z. T. gewaltsam (mit scharfer Munition und Tränengas) gegen die Demonstrierenden vor und töteten dabei in Daraa mehrere Demonstranten. Die Demonstranten hatten u. a. ein Ende des Ausnahmezustandes, mehr Freiheiten, die Entlassung politischer Gefangener und eine Bekämpfung der Korruption gefordert. Tausende demonstrierten auch an den Folgetagen. Die Unruhen verbreiteten sich, auch aufgrund der gewaltsamen Reaktion des Regimes auf die Demonstrationen, in der Folgezeit landesweit (u. a. in Damaskus, Homs, Aleppo, Deir al-Zor, Banjas und anderen Städten), wobei die Stadt Daraa zunächst zum Brennpunkt der Unruhen wurde. Die Regierung reagierte auf die Demonstrationen auf der einen Seite mit brutaler Gewalt, versuchte auf der anderen Seite aber auch konziliante Töne anzuschlagen. Am 20. März 2011 wurden z. B. 15 inhaftierte Kinder freigelassen. Präsident Assad entließ auch den Gouverneur der Provinz Daraa wegen „krasser Fehler beim Umgang mit Protesten in der Region“. In der Folgezeit breiteten sich die Demonstrationen im ganzen Land aus (im Süden, in Damaskus, in der Hafenstadt Latakia, Tafas und in Homs), wobei es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten kam, bei denen es Tote und Verletzte gab. Die Protestbewegung, die sich auch mit Hilfe des Internetnetzwerkes Facebook organisierte, forderte u. a. demokratische Reformen, Aufhebung des Ausnahmezustandes, Achtung der Menschenrechte und freie Meinungsäußerung. Zahlreiche Verhaftungen wurden durchgeführt. Als Reaktion auf die landesweiten Unruhen wurden z. T. Reformen versprochen und das Kabinett des Ministerpräsidenten Naji Otri trat am 29. März 2011 zurück. Am 3. April 2011 beauftragte Präsident Assad den bisherigen Agrarminister, Adel Safar, mit der Bildung einer neuen Regierung. Um den Kurden in der gespannten Situation entgegen zu kommen, entschied Präsident Assad am 7. April 2011 mit Dekret 49/2011, dass die im Ausländerregister der Provinz Hassake eingetragenen Ausländer (ajanib) die Staatsbürgerschaft Syriens erhalten. Am 19. April 2011 beschloss die syrische Regierung die Aufhebung der seit 1963 geltenden Notstandsgesetze. Auch das Staatssicherheitsgericht wurde abgeschafft und ein Gesetz beschlossen, das friedliche Demonstrationen erlaubt.
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Trotz dieser Zugeständnisse gingen die Demonstrationen jedoch weiter und weiteten sich u. a. auch auf die Provinz Idlib und auf den kurdisch geprägten Nordosten aus. Den Druck auf die Opposition in Syrien lockerte die Führung in Damaskus nicht. Auch das gewaltsame Vorgehen des Regimes und seine Repressionsmaßnahmen hielten an. Im April 2011 verschärfte die syrische Regierung mit einem großen Militäreinsatz erneut ihr Vorgehen gegen Regimegegner.
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Armeeeinheiten stürmten am 25. April 2011 Daraa, wobei Artillerie und Scharfschützen beteiligt waren. Elektrizität und alle Kommunikationsmöglichkeiten in der Stadt wurden unterbrochen, die Bewegungsfreiheit dadurch eingeschränkt, dass Heckenschützen das Feuer auf jeden eröffneten, der versuchte sein Haus zu verlassen. Auch im Mai 2011 gingen die Proteste weiter, obwohl die größeren Städte und Protesthochburgen Banjas, Daraa und Homs abgeriegelt, Moscheen besetzt und zentrale Plätze abgesperrt worden waren. Die Armee weitete ihre Operationen entlang der Küstenlinie aus, Truppen zogen sich außer in den bereits genannten Städten z. B. auch in Hama oder in kleineren Dörfern zusammen. Kontrollstellen wurden eingerichtet, Strom, Wasser und Telefonleitungen wurden immer wieder abgeschaltet. Auch Mobiltelefone, Festnetz und Internet wurden sporadisch blockiert. Nachdem zunächst hauptsächlich am Freitagabend protestiert worden war, wurden die Demonstrationen auch auf andere Tage nach Sonnenuntergang verlegt. Mitte Mai 2011 kreisten schwer bewaffnete Sicherheitskräfte die Kleinstadt Tell Kalakh in der Nähe der libanesischen Grenze ein. Aus Angst versuchten viele Menschen in Richtung Libanon zu fliehen, darunter Familien, wobei sie von syrischen Kräften beschossen und zum Teil tödlich getroffen wurden. Ende Mai 2011 trat nach einem Erlass Assads eine Generalamnestie für alle politischen Gefangenen in Kraft, darunter auch für Angehörige der Muslimbruderschaft. Auch im Juni 2011 hielten die Unruhen und ihre gewaltsame Bekämpfung an. Während der ersten drei Monate der Proteste sollen mehr als 1.300 Personen getötet und ca. 10.000 - 12.000 verhaftet worden sein.
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Mitte Juni 2011 führte die syrische Armee Razzien in den grenznahen Dörfern durch und begann mit der Abriegelung von grenznahen Gebieten, um das Absetzen weiterer Flüchtlinge in die Türkei zu verhindern.
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In seiner dritten Rede an die Nation während der Krise schlug Präsident Assad am 20. Juni 2011 einen „nationalen Dialog“ vor und versprach Änderungen der Verfassung, ein neues Wahl- und Mehrparteiengesetz sowie Schritte gegen die Korruption. Die Aktivisten lehnten einen Dialog „mit Mördern“ ab, die Unruhen in Homs, Hama und Latakia, aber auch in den Vororten von Damaskus gingen weiter. An der Universität in Aleppo wurden mehr als 200 Studenten festgenommen. Angehörige des militärischen Geheimdienstes kontrollierten die Straßen. Der syrische Präsident setzte im Juni 2011 auch eine Generalamnestie in Kraft, die für alle vor dem 20. Juni begangenen Straftaten gelten sollte, so die amtliche syrische Nachrichtenagentur Sana. Streitkräfte des syrischen Regimes rückten am 23. Juni 2011 in Khirbet al-Jouz ein und weiter in Richtung der syrischen Grenzdörfer vor. Soldaten und Angehörige der Schabihha-Miliz sollen mit Namenslisten durch das Dorf gegangen und Häuser von Anti-Regime-Aktivisten zerstört haben. Als Anführer der Schabihha-Milizen gelten die Cousins des Präsidenten Assad, Fawaz und Munhir Assad; aus diesem Grund gehörten sie zu den ersten Regimeangehörigen, die von der Europäischen Union im Frühjahr 2011 mit Sanktionen belegt wurden. Die Miliz wird meist im „Windschatten“ der Streitkräfte aktiv; wenn ein Ort durch das Militär unterworfen wurde, plündert und mordet die Schabihha-Miliz im Anschluss daran. Sie richtet auch die Soldaten hin, die sich weigerten, auf die eigenen Bürger zu schießen. Sie rekrutieren sich aus Angehörigen der alawitischen Glaubensgemeinschaft.
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Am 30. Juni /1. Juli 2011 wurden erstmals aus Aleppo größere Proteste gemeldet, an denen über 1.000 Demonstranten teilgenommen haben sollen. Es kam zu zahlreichen Festnahmen. Am 01. Juli 2011 sollen sich in Hama bis zu 300.000 oder sogar 500.000 Demonstranten getroffen haben. Die Sicherheitskräfte griffen zunächst nicht an, sondern beschränkten sich darauf, Checkpoints zu errichten und die Zugänge zur Stadt zu kontrollieren. Am 04. Juli 2011 kamen 30 Busse mit regimetreuen Milizionären, die 250 Menschen verhaftet und drei erschossen haben sollen; Panzer bildeten einen Belagerungsring um die Stadt. Präsident Assad erließ weitere personelle Maßnahmen, so entließ er am 2. Juli 2011 den Gouverneur der Provinz Hama, nachdem bereits die Gouverneure in den Provinzen Daraa und Homs hatten gehen müssen. Am 08. Juli 2011 demonstrierten in mehreren Städten Syriens (u.a. in Hama und Damaskus) erneut Hunderttausende, wobei mindestens 15 Personen erschossen worden sein sollen, rund 200 Menschen sollen an dem Wochenende verhaftet worden sein.
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Am 22. Juli 2011 und dem nachfolgenden Wochenende setzten sich die Demonstrationen fort; in Damaskus, Homs und Hama gingen Hunderttausende auf die Straße und wurden von den Truppen bekämpft. In Damaskus soll die Armee in einigen Stadtteilen Straßensperren errichtet haben, Hunderte sollen festgenommen worden sein. In Hama sollen 650.000 Menschen demonstriert haben, in Deir al-Zor ca. eine halbe Million, auch in Latakia, Homs, Daraa, Vororten von Damaskus und in zahlreichen kurdischen Orten sollen große Proteste stattgefunden haben. In Homs sollen vom 18. Juli bis 23. Juli 2011 durch Beschuss von Wohnvierteln und Scharfschützen auf den Dächern mindestens 50 Personen getötet worden sein. Auch in den Kurdengebieten soll es Auseinandersetzungen gegeben haben. Präsident Assad kündigte ein Mehrparteiensystem an, die Parteiprogramme dürften jedoch keine Sonderstellung einzelner Religionsgruppen oder Ethnien beinhalten.
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Nachdem die Stadt fast einen Monat belagert worden war, begannen am Morgen des 31. Juli 2011 syrische Truppen mit einer Militäroffensive gegen die Stadt Hama. Spezialisten kappten zunächst die Strom- und Wasserversorgung, danach sollen Panzer in Wohngebieten und Scharfschützen auf Dächern nach Augenzeugenberichten auf alles gefeuert haben, was sich bewegte. Auch in anderen Landesteilen kam es zu Angriffen mit Panzern, u. a. in Harak, in der südlichen Provinz Daraa, in Deir al-Zor und einem Vorort von Damaskus, landesweit soll es mindestens 140 Tote gegeben haben. Der syrische Präsident Assad verteidigte das Vorgehen als Reaktion auf eine Verschwörung mit dem Ziel der Zerschlagung Syriens.
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Die syrische Regierung erließ laut Meldung vom 25. Juli 2011 ein neues Parteiengesetz, das die freie Gründung von politischen Parteien gestattet, wenn sie sich nicht auf konfessioneller, ethnischer, clanmäßiger, regionaler oder berufsständischer Grundlage befinden. Neue Parteien, die mindestens 1.000 Mitglieder haben müssen, müssen die geltende Verfassung (und damit die „führende Rolle“ der Baath-Partei) respektieren und die Gründung muss von einem Komitee des Justizministeriums genehmigt werden. Auch Wahlgesetze wurden im August 2011 in Kraft gesetzt. Die Opposition lehnte die Gesetze jedoch ab und forderte weiterhin den Rücktritt des Präsidenten und echte politische Reformen in Syrien. Seit Beginn des Fastenmonats Ramadan am 01. August 2011 verstärkte der syrische Präsident die Offensive gegen Regimegegner, wobei es täglich zu weiteren Demonstrationen kam, in deren Verlauf es jeweils zu zahlreichen Todesopfern kam. Am 14. August 2011 griffen syrische Sicherheitskräfte von Kanonenbooten aus mehrere Bezirke der Stadt Latakia an, gleichzeitig stürmten Bodentruppen einige Viertel der Stadt. Mindestens 26 Zivilisten sollen dabei nach Angaben der Syrischen Nationalen Organisation für Menschenrechte getötet worden sein, darunter eine Zweijährige. Angegriffen wurde auch ein Viertel mit einem palästinensischen Flüchtlingslager, aus dem Tausende flohen. Am 20. August 2011 rückte die syrische Armee erneut in Homs ein, obwohl der syrische Präsident dem UN-Generalsekretär Ban Ki Moon gegenüber am 18. August 2011 versichert hatte, die Militäroffensive sei beendet. Am 21. August 2011 lehnte Präsident Assad Rücktrittsforderungen ab und warnte vor einer ausländischen Intervention. Er kündigte eine Verfassungsreform und Neuwahlen im Februar 2012 an.
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Nach UN-Informationen sollen seit Beginn der Proteste gegen das Assad-Regime im März bis Anfang September 2011 2.600 Menschen getötet worden sein, die meisten von ihnen friedliche Demonstranten. Nach Angaben der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte sollen außerdem mehr als 70.000 Menschen festgenommen worden sein, von denen zum damaligen Zeitpunkt noch 15.000 in Haft gewesen seien.
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Nach der Ermordung des bekannten kurdischen Oppositionspolitikers Mishaal Tammo am 7. Oktober 2011 nahmen an seinem Trauerzug am 08. Oktober 2011 in Qamishli ca. 50.000 Personen teil, so viele wie nie zuvor in den kurdischen Regionen in Syrien. Syrische Sicherheitskräfte sollen in die Menge gefeuert haben, mindestens zwei Personen sollen getötet worden sein. Für die Ermordung Tammos wurde von Beobachtern das syrische Regime verantwortlich gemacht. Aufgrund der Ermordung Tammos wurden am Wochenende (08.10./09.10.2011) syrische Botschaften im Ausland angegriffen, u.a. in London, Berlin und Wien, wobei erheblicher Sachschaden entstand. Auch die syrische UNO-Mission in Genf wurde am 08. Oktober 2011 von kurdischen Syrern attackiert, es kam zu fünf Festnahmen. In Berlin stürmten rund 30 Demonstranten die Botschaft, in Wien wurden elf Personen festgenommen. Auch das Gebäude des syrischen Honorarkonsulats in Hamburg wurde in der Nacht zum 09. Oktober 2011 von 30 Regimegegnern gestürmt.
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Am 27. Oktober 2011 begann die syrische Armee damit, an der Grenze zum Libanon in der Provinz Homs und in mindestens einem weiteren Landesteil Minen zu verlegen. Die syrischen Behörden gaben an, den Waffenschmuggel aus dem Libanon damit eindämmen zu wollen, während es auch als Zeichen dafür gewertet werden kann, dass die syrische Regierung verhindern wollte, dass der Libanon ein Rückzugsgebiet für die syrische Opposition wird. Obwohl die syrische Regierung dem Friedensplan der Arabischen Liga, der u. a. den Rückzug des Militärs aus den syrischen Städten und die Freilassung aller politischen Gefangenen vorsieht, am 2. November 2011 zugestimmt hatte, wurde von den syrischen Truppen weiterhin mit Gewalt gegen Aktivisten vorgegangen. Soldaten feuerten auf Gläubige, die zu Beginn des Opferfestes die Moscheen verließen, um gegen das syrische Regime zu protestieren. Besonders betroffen war der Norden des Landes.
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Nach der Zustimmung Syriens zum Friedensplan der Arabischen Liga am 2. November 2011 verschärfte das Regime sein Vorgehen gegen die Demonstranten. Im Anschluss sollen innerhalb von zwei Wochen mehr als 250 Menschen getötet worden sein, allein in Homs über 104. Es wurde befürchtet, dass der November 2011 zum „blutigsten Monat“ seit Beginn der Proteste im März werden könnte. Die Anzahl der bei den Unruhen Getöteten soll Anfang November nach Schätzungen der Vereinten Nationen bei mehr als 3.500 Personen gelegen haben. Am 2. Dezember 2011 untersagte die syrische Regierung den Bürgern die Nutzung von iPhone-Mobiltelefonen, um zu verhindern, dass Videos ins Internet gestellt werden.
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Ein Aufruf zum Generalstreik am 11. Dezember 2011, mit dem die Opposition in Syrien den Druck auf das Regime verstärken wollte, soll in vielen Städten befolgt worden sein, u. a. blieben in den Provinzen Daraa und Idlib und in den Städten Homs und Harasta viele Geschäfte geschlossen. Es soll Gefechte in Idlib und Daraa gegeben haben. Die Opposition forderte auch zu einem Boykott der für den 12. Dezember 2011 geplanten Kommunalwahlen auf. Am 12. Dezember 2011 gab die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Pillay an, dass durch das gewaltsame Vorgehen der syrischen Regierung die Zahl der ums Leben gekommenen Personen auf mehr als 5.000, darunter mindestens 300 Kinder, angewachsen sei.
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Bei zwei Selbstmordanschlägen in der Hauptstadt Damaskus wurden am 23.Dezember 2011 nach offiziellen Angaben 44 Menschen getötet und 166 verletzt. Die Sicherheitskräfte begannen mit einer groß angelegten Suche nach den Tätern. Es kam zu zahlreichen Verhaftungen. Die Regierung erklärte, dass es sich bei den Unruhen im Land nicht um einen Volksaufstand, sondern um das Werk von Terroristen handele.
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Die Arabische Liga entsandte eine erste offizielle Beobachtermission mit zunächst mehr als 50 Beobachtern am 26. Dezember 2011 nach Syrien.
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In einer Rede am 10. Januar 2012 stellte der syrische Präsident Assad erneut Reformen in Aussicht, u. a. kündigte er für März ein Referendum über eine neue Verfassung an, und führte die Proteste im Land auf eine „internationale Verschwörung“ und auf ausländische Einmischung zurück. Er kritisierte auch die Arabische Liga und die Golfstaaten. Nach dem öffentlichen Auftritt Assads nahmen die Kämpfe zwischen Sicherheitskräften und Regimegegnern zu. Am 15. Januar 2012 erließ Präsident Assad eine Generalamnestie für die seit Beginn der Protestwelle begangenen Straftaten, von der friedliche Demonstranten, inhaftierte Besitzer nicht registrierter Waffen, diejenigen, die ihre Waffen bis Ende Januar abgeben, und Deserteure betroffen sein sollen, die sich bis Ende Januar selbst stellen.
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Ende Januar 2012 unterbrach die Arabische Liga nach etwas über einem Monat ihre Beobachtermission in Syrien, deren erklärtes Ziel die Beendigung der Gewalt im Land war. Mitglieder der Mission gaben unterschiedliche Einschätzungen der Lage in Syrien ab, einige beendeten ihre Teilnahme sogar vorzeitig (Zeit Online vom 30.01.2012).
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Ein weiterer Versuch, im UN-Sicherheitsrat eine Resolution zur Verurteilung der Gewalt in Syrien zu verabschieden, scheiterte bei der Abstimmung am 4. Februar 2012 am Veto Russlands und Chinas. Der Resolutionsentwurf war zuvor schon abgeschwächt worden, um ein Veto zu verhindern. Westliche Staaten und der oppositionelle Syrische Nationalrat verurteilten das Verhalten der beiden Vetomächte scharf (Zeit Online vom 04.02.2012).
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Der 4. Februar 2012 wurde zudem zu einem der bisher blutigsten Tage in Syrien, als die syrische Armee die Stadt Homs bombardierte. Nach verschiedenen Angaben von Aktivisten wurden dabei 55 – 200 Menschen getötet. Seit dem 4. Februar 2012 befand sich die Stadt unter kontinuierlicher Bombardierung (Zeit Online vom 08.02.2012).
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Nach der ersten Beobachtermission der Arabischen Liga trat deren Leiter General al-Dabi am 12. Februar 2012 zurück. In seinen Berichten über die Arbeit der Beobachter in Syrien hatte er die erfolgreiche Mitarbeit der syrischen Behörden gelobt und darauf verwiesen, dass bewaffnete Extremisten und Söldner gegen die syrischen Militärs vorgingen (Zeit Online vom 12.02.2012).
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Am 15. Februar 2012 kündigte die syrische Regierung ein Verfassungsreferendum für den 26. Februar 2012 an. Die neue Verfassung solle die Gründung von Parteien vereinfachen. Gleichzeitig bombardierte die Regierung nach Angaben von Oppositionellen die Stadt Homs. In Damaskus kam es am 18. Februar 2012 zu einer großen Demonstration, die sich aus einem Begräbnis von Toten des Vortages entwickelte. Es handelte sich um eine der größten Demonstrationen in Damaskus seit Beginn des Aufstandes. Auch diese Demonstration wurde durch Sicherheitskräfte beschossen (Zeit Online vom 19.02.2012).
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Am 24. Februar 2012 wurde bekanntgegeben, dass der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan von den Vereinten Nationen und der Arabischen Liga zum Sondergesandten für Syrien ernannt wurde, der zwischen den Oppositionellen und der Regierung vermitteln soll. Am selben Tag erhielten Nothelfer des Roten Kreuzes und des Roten Halbmonds erstmals Zugang nach Homs, um Verletzte sowie Frauen und Kinder zu versorgen bzw. zu evakuieren. Die Rettungseinsätze wurden am 26. Februar 2012 - nach erfolglosen Verhandlungen über einen sicheren Korridor zur Evakuierung von Verletzten aus Homs - wieder eingestellt (Zeit Online vom 29.02.2012).
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Das nur 10 Tage zuvor angekündigte Referendum über eine neue Verfassung fand am 26. Februar 2012 statt. Die Opposition hatte zuvor zum Boykott des Referendums aufgerufen (Zeit Online vom 27.02.2012).
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Erstmals wurden auch Flüchtlinge auf türkischen Boden nahe der Grenze von syrischen Soldaten getötet (Zeit Online vom 09.04.2012). Am 21. April 2012 sprach sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in der Resolution 2043 einstimmig dafür aus, die Zahl der Beobachter von 30 auf 300 zu erhöhen. Diese sollten jedoch erst nach Syrien reisen, wenn UN-Generalsekretär Ban Ki Moon die Waffenruhe als hinreichend stabil bewertet. Bei den Beobachtern im Rahmen der United Nations Supervision Mission in Syria (UNSMIS) handelt es sich durchweg um unbewaffnete Soldaten, die den Waffenstillstand zwischen den Truppen Assads und den Oppositionellen überwachen sollen. Zuvor hatten in der ersten Feuerpause seit mehreren Wochen internationale Beobachter die Stadt Homs besucht (Zeit Online vom 21.04.2012).
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Ungeachtet der Entsendung der UN-Beobachter kam es zu Bombenanschlägen in Aleppo und Damaskus. Bei einer Doppelexplosion in der Hauptstadt Damaskus starben am 10. Mai 2012 70 Menschen. Es war der schwerste Anschlag seit dem Ausbruch der Proteste im März 2011 (Zeit Online vom 10.05.2012).
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Nachdem es am 25. Mai 2012 zunächst zu Schusswechseln zwischen Regierungstruppen und Aufständischen gekommen war, beschossen die Truppen des Regimes die Siedlung Taldo bei Hula in der Provinz Homs mit Artillerie. UN-Beobachter bestätigten den Tod von 116 Menschen, darunter mindestens 32 Kinder, sowie die Zahl von etwa 300 Verletzten. Syriens Regierung wies Beschuldigungen zurück, dass das Massaker von der Armee verübt worden sei. Das syrische Außenministerium gab an, „Hunderte von Kämpfern“ hätten angegriffen und dabei „schwere Waffen wie Granatwerfer, Maschinengewehre und Panzerabwehrraketen verwendet, die seit Neuestem in der Konfrontation mit den staatlichen Sicherheitskräften eingesetzt“ würden (Zeit Online vom 26.05. und 28.05.2012).
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Am 29. Mai 2012 wiesen mehrere Staaten, darunter Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien und die Vereinigten Staaten den jeweils ranghöchsten syrischen Diplomaten aus Protest gegen das Massaker in Hula aus (Zeit Online vom 29.05.2012).
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Am 3. Juni 2012 sprach Assad erstmals nach dem Massaker von Hula vor dem syrischen Parlament. Er sagte Syrien befinde sich in einem echten Krieg und er würde die „Schlacht gegen Terroristen“ fortsetzen. Als Reaktion auf die Ausweisung syrischer Diplomaten aus zahlreichen Staaten Ende Mai wurden zahlreiche westliche Diplomaten am 5. Juni 2012 des Landes verwiesen (Zeit Online vom 03.06 und 05.06.2012).
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Am 7. Juni 2012 berichteten Oppositionsgruppen über ein Massaker im Dorf Al-Kobir welches sich in der Provinz Hama befindet. UN-Beobachter, die sich auf dem Weg nach Al-Kobir befanden, wurde die Weiterfahrt seitens der Regierungstruppen untersagt. Berichten zufolge gerieten sie unter Beschuss (Zeit Online vom 07.06.2012). Aufgrund der anhaltenden Gewalt wurde die UN-Beobachtermission am 16. Juni 2012 ausgesetzt (Zeit Online vom 16.06.2012).
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Anfang Juli 2012 hat der syrische Präsident neue sog. Anti-Terror-Gesetze erlassen. Gründer oder Führer einer terroristischen Vereinigung müssen demnach mit bis zu 20 Jahren Zwangsarbeit rechnen. Die Strafe könne aber noch härter ausfallen, sollte es das Ziel sein, die Regierung oder die Staatsform zu ändern, hieß es. Mitgliedern einer Terrorgruppe drohen bis zu sieben Jahre Haft. Werden bei den begangenen Taten Menschen verletzt oder getötet, kann zudem die Todesstrafe verhängt werden. Die Unterstützung von Terrorgruppen mit Geld, Waffen oder Kommunikationsmitteln kann mit bis zu 20 Jahren Haft bestraft werden (Zeit Online vom 02.07.2012).
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Ein weiteres, eine Verfolgungsgefahr begründendes Moment ist darin zu sehen, dass die syrischen Behörden insbesondere seit Beginn des Jahres 2012 vergleichsweise geringfügige Umstände ausreichen lassen, damit ein Betroffener in den Verdacht einer oppositionellen Haltung gerät und damit der reellen Gefahr von Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des Artikel 9 QRL ausgesetzt ist.
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So heißt es schon in dem Ad-hoc-Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 17. Februar 2012, dass Oppositionsgruppen im Jahr 2011 mehrfach Anträge zur Genehmigung von Mahnwachen gestellt haben, die mit einer Ausnahme sämtlich abgelehnt worden seien. Demonstrationen der Opposition werden grundsätzlich nicht genehmigt. Vielmehr werden Demonstrationen, die sich gegen das Regime richten, gewaltsam von staatlicher Seite bekämpft, d.h. Sicherheitskräfte und Schabihha-Milizen gehen mit Schlag- und Schusswaffen gegen Demonstranten vor. Regelmäßig werden auch Scharfschützen eingesetzt, die wahllos auf Menschen schießen. Glaubhaften Informationen syrischer Menschenrechtsverteidiger zufolge komme es auch zur Gewaltanwendung durch Sicherheitskräfte und staatlich organisierte Milizen gegen Teilnehmer von Beerdigungszügen für Opfer staatlicher Gewalt. In den letzten Monaten haben zahlreiche Akteure der Zivilgesellschaft und des Menschenrechtsbereiches zu ihrem eigenen Schutz auf legalem oder illegalem Weg auf Grund der Bedrohungslage Syrien verlassen. Unliebsame öffentliche Äußerungen werden auf Grundlage des Strafgesetzes verfolgt (insbesondere nach Art. 285 und 286, die „Propaganda zur Schwächung nationaler Gefühle“ bzw. das „Verbreiten falscher Informationen“ unter Strafe stellen). Im Sommer 2011 wurde ein neues Mediengesetz erlassen, das das syrische Pressegesetz von 2001 ersetzt. In dem neuen Gesetz wird das Recht des Bürgers auf Information anerkannt und die Reichweite der Zensur eingeschränkt. Allerdings werden die Medienvertreter zur „wahrheitsgemäßen Berichterstattung“ verpflichtet. Faktisch habe sich nach Auffassung des Auswärtigen Amtes die Pressefreiheit jedoch nicht verbessert. Der Raum für Meinungs- und Pressefreiheit habe sich in den letzten Monaten vielmehr stark verringert: Filmemacher, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger und „citizen journalists“, die über die Aktivitäten der Opposition, die Anti-Regime-Demonstrationen sowie die staatliche Repression zu berichten versuchen, werden verfolgt, festgenommen, angegriffen oder sogar ermordet. Unter Menschenrechtsverteidigern ist der Eindruck verbreitet, dass das Regime mit besonderer Härte gegen diejenigen Personen vorgehe, denen nachgewiesen werden könne, dass sie Informationen über die Lage im Land an ausländische Medien weitergeben würden. In den letzten zehn Monaten (von Februar 2012 an gerechnet) sind zahlreiche Journalisten in Syrien inhaftiert und mehrere Medienvertreter getötet worden. Internetnutzung wird mit ausgefeilter Software überwacht und reguliert. In Regionen und Stadtteilen, in denen Operationen von Sicherheit und Militär liefen, werden Internet- und Telekommunikationsverbindungen oft tagelang abgestellt. In dem Lagebericht wird ausgeführt, dass obwohl die syrische Verfassung und das syrische Strafrecht Folter verbiete und Syrien das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 ratifiziert hat, Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste systematisch Gewalt anwenden. Die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung sei nach Auffassung des Auswärtigen Amtes in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste, zu denen weder Anwälte noch Familienangehörige Zugang haben, als besonders hoch einzustufen. Personen, die unter dem Verdacht oppositioneller Umtriebe stehen, sind ebenfalls einem hohen Folterrisiko ausgesetzt. Seit März 2011 sind zahlreiche Fälle von Tötungen im Gewahrsam der Sicherheitsdienste belegt. Offizielle Angaben zu Todesfällen in Folge von Gewaltanwendung in syrischen Haftanstalten gibt es nicht. Es bestehen nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes keine Möglichkeiten einer effektiven strafrechtlichen Verfolgung von Folter oder anderen kriminellen Handlungen durch Sicherheitskräfte. Bereits vor März 2011 habe es Hinweise dafür gegeben, dass Personen, die sich über die Behandlung durch Sicherheitskräfte beschwerten, Gefahr liefen, dafür strafrechtlich verfolgt zu werden. Vieles deutet nach Auffassung des Auswärtigen Amtes darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste und die Schabihha-Miliz vom Regime eine Art „carte blanche“ erhalten hätten.
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Amnesty international hat in dem Bericht vom 14. Juni 2012 („Deadly Reprisals: Deliberate killings and other abuses by Syria´s armed forces“) nicht nur die zunehmend massiver werdende Anwendung von militärischer Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung, sondern auch bestimmte Muster von politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen geschildert. Die Maßnahmen der syrischen Armee und der regimetreuen Milizen richten sich in erster Linie gegen Ortschaften, in denen aus Sicht der Regierung oppositionelle Personen leben oder dies nur vermutet wird. Die Aktionen beginnen in der Regel so, dass zunächst mit Artillerie und Gewehrfeuer in die Orte geschossen wird. Ist aus Sicht der Regierungseinheiten nicht mehr mit nennenswertem Widerstand zu rechnen, gehen reguläre Soldaten und Milizionäre von Haus zu Haus, brennen die Häuser nieder und töten häufig wahllos die Einwohner. Nach Einschätzung der Regierungstruppen ist allein der Umstand, dass Personen in einem Ort leben, in denen Oppositionelle vermutet werden, Grund für eine willkürliche Verhaftung oder Ermordung (S. 9 und 11 f. des Berichts). Anlass für Verhaftung und Ermordung kann auch das Tragen von Kleidungsstücken sein, welche aus Sicht der Regierungseinheiten bevorzugt von den bewaffneten Oppositionsgruppen getragen werden (Bericht, S. 17).
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Auch in dem Bericht des United Nations High Commissioner for Human Rights (Bericht zur Lage in Syrien vom 24. Mai 2012) wird geschildert, dass Anknüpfungspunkt für eine auf der Vermutung der oppositionellen Haltung beruhende Verhaftung, Folter und Bestrafung bereits der Umstand sein kann, dass eine Person in unmittelbarer Nachbarschaft oder in einem Ort lebt, in dem sich Personen aufhalten sollen, die gegen die syrische Regierung eingestellt sind (dort Randziffer 10). Ferner wird in dem Bericht der Fall eines Mannes geschildert, der allein aufgrund des Umstandes, dass er eine größere Menge Geld besaß, unter dem Verdacht der oppositionellen Haltung und des Waffenschmuggels zugunsten der bewaffneten Rebellengruppierungen festgenommen und gefoltert wurde (dort Randziffer 13).
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Human Rights Watch schildert bereits in seinem im Dezember 2011 erschienenen Bericht „By all means necessary!“ die Verhaftung und Folter von Rechtsanwälten und Journalisten, welche die Proteste unterstützen, aber auch von Ärzten und Pflegepersonal, welche verdächtigt wurden, verletzte Demonstrationen in Privathäusern oder provisorischen Feldlazaretten versorgt zu haben (Bericht S. 16 und 51). Ausreichend für eine Verhaftung und anschließende Foltermaßnahmen in der Region Hama waren bereits „verdächtige Blicke“ und „freche“ Antworten gegenüber Soldaten (Bericht S. 45).
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In dem im Juli 2012 erschienenen Bericht von Human Rights Watch „Torture Archipelago“ wird anhand einer Vielzahl von Einzelbeispielen ausgeführt, dass Ziel der Folter in den z. T. provisorischen Hafteinrichtungen der staatlichen Stellen nicht die Gewinnung von Informationen, sondern die Einschüchterung und Bestrafung von als illoyal gegenüber der syrischen Regierung angesehenen Personen ist. Auch in diesem Bericht werden im Grunde belanglose Handlungen und Äußerungen von Inhaftierten geschildert, welche jeweils Foltermaßnahmen nach sich gezogen haben. So wird der Fall eines in Idlib Verhafteten geschildert, welcher in einem Verhör die bei den Demonstrationen Getöteten als „Märtyrer“ bezeichnet hatte und daraufhin Elektroschocks erhielt. Diese Maßnahme wurde erst eingestellt, nachdem er erklärt hatte, dass er die Getöteten nicht mehr als Märtyrer, sondern nur noch als tote Personen bezeichnen werde.
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Der Senat geht bei einer Gesamtschau davon aus, dass der syrische Staat infolge einer sämtliche Lebensbereiche umfassenden autoritären Struktur und seiner totalitären Ausrichtung in so hohem Maße unduldsam ist, dass er schon im Grunde belanglose Handlungen wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und den langjährigen Aufenthalt im Ausland als Ausdruck einer von seiner Ideologie abweichenden illoyalen Gesinnung ansieht und zum Anlass von Verfolgungsmaßnahmen nimmt.
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Der Auffassung der Beklagten, eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer politischen Verfolgung allein wegen der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung und des längeren Aufenthalts im Ausland könne bei der erforderlichen Anwendung der anzuwendenden Maßstäbe mangels Referenzfällen nicht festgestellt werden, berücksichtigt nicht hinreichend die aktuelle Situation seit Erlass des Abschiebungsstopps im Frühjahr 2011. Wenn Asylsuchende abgeschoben würden, wäre tatsächlich die Häufigkeit von Verfolgungsmaßnahmen in Syrien allein anknüpfend an die vorgenannten Aspekte nach den oben dargestellten Kriterien für die Feststellung einer Verfolgungswahrscheinlichkeit zu ermitteln. Die Beklagte selbst hat jedoch in Reaktion auf die eskalierende Lage in Syrien die Möglichkeit der Feststellung solcher Referenzfälle verhindert, indem sie mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 28. April 2011 an die Länderinnenverwaltungen geraten hat, von Abschiebungen nach Syrien vorläufig abzusehen. Sonstige Erkenntnismöglichkeiten zur Frage der Behandlung von Rückkehrern durch Auskünfte anderer Stellen sieht die Beklagte offenkundig auch nicht. Ebenso bestätigt das Auswärtige Amt, dass wegen fehlender Rückführungen keine aktuellen Erfahrungswerte bezüglich eines etwaigen Verhaltens der syrischen Sicherheitsbehörden gegenüber zurückgeführten abgelehnten Asylbewerbern vorliegen (Auswärtiges Amt, Stellungnahme gegenüber dem Verwaltungsgericht Augsburg vom 02.11.2011). Die Gefahrendichte ist also nicht mangels hinreichender Referenzfälle zu verneinen, vielmehr kann sie nur nicht durch Referenzfälle nachgewiesen werden, weil die deutschen wie auch andere europäische Behörden Abschiebungen nach Syrien zur Zeit nicht vornehmen (so ausdrücklich zur Gefahr der Folter im Rahmen von Verhören: OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, juris). Der Senat hat daher auf der Basis der vorgenannten Erkenntnisse und allgemeinkundigen Tatsachen festgestellt, dass eine flüchtlingsrechtlich relevante Gefahrendichte gegeben ist und insofern die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung für den Kläger besteht.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83 b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
- 86
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 VwGO) sind nicht gegeben.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.