Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Erteilung einer Fahrerlaubnis.
Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und war durchgängig wohnsitzlich in der Bundesrepublik gemeldet. Im Jahr 1983 wurde ihm eine Fahrerlaubnis der damaligen Klasse 3 erteilt. Nach mehrfacher Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Trunkenheit im Verkehr (erstmals: durch Urteil des AG Rothenburg o.T. vom 17.07.1986; Wiedererteilung am 23.03.1987; erneute Entziehung durch Urteil des AG Langenburg vom 21.10.1987) und mehrmaliger Versagung der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis (durch Verfügungen des Landratsamtes Schwäbisch-Hall vom 31.01.1989 und 05.01.1996) erwarb der Kläger am 27.02.2005 eine Fahrerlaubnis der Klasse B der Tschechischen Republik. Auf dem tschechischen Führerschein des Klägers (Nr. ...) ist unter Nr. 8 „Rot am See, Spolkova Republika Nemecko“ [tschechisch für: „Rot am See, Bundesrepublik Deutschland“] angegeben.
Mit Schreiben vom 07.03.2008 bestätigte der Beklagte dem Kläger, dass er mit seinem „tschechischen Führerschein [...] nach der derzeitigen Rechtsprechung des EuGH zum Führen von Kraftfahrzeugen der dort eingetragenen Klassen auch im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland berechtigt“ sei, solange „der Führerschein von der ausstellenden Stelle nicht zurückgenommen“ werde. Auf telefonische Nachfrage erklärte der Beklagte dem Kläger am 19.08.2014, dass die Angaben durch die neuere Rechtsprechung überholt seien. Sein Führerschein gelte wegen seines deutschen Wohnsitzes bei der Erteilung in Deutschland nicht. Für eine Neuerteilung sei voraussichtlich eine erneute theoretische und praktische Prüfung notwendig.
Am 01.01.2016 führte der Kläger einen VW-Golf unter Alkoholeinfluss im öffentlichen Straßenraum. Er wurde dafür am 13.06.2016 unter dem Aktenzeichen ... vom Amtsgericht Ansbach wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und tateinheitlichen Führen eines Kraftfahrzeuges unter dem Einfluss alkoholischer Getränke zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen à 45 EUR verurteilt.
Am 16.11.2016 beantragte der Kläger bei dem Beklagten förmlich die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse B. Mit Bescheid vom 02.12.2016 erhob der Beklagte Gebühren für die Bearbeitung des klägerischen Antrages auf Erteilung einer Fahrerlaubnis (I.) und ordnete weiter an, dass der Kläger die zur Erteilung einer Fahrerlaubnis notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten durch das Ablegen einer theoretischen sowie einer praktischen Prüfung nachzuweisen habe (II.).
Den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers vom 07.12.2016 wies das Regierungspräsidium Stuttgart mit Widerspruchsbescheid vom 04.05.2017 zurück. Das Regierungspräsidium führte aus, der Widerspruch sei bereits unzulässig, weil die Anordnung der Verwaltungsbehörde zum Ablegen einer Fahrerlaubnisprüfung kein Verwaltungsakt, sondern lediglich eine vorbereitende Maßnahme nach § 44a VwGO sei. Weiter habe der Beklagte zurecht die tschechische Fahrerlaubnis des Klägers nicht anerkannt, weil dieser seinen Wohnsitz zur Zeit der Erteilung in Deutschland gehabt habe. Der Entzug der deutschen Fahrerlaubnis liege 29 Jahre zurück, sodass Bedenken an der Befähigung des Klägers, Kraftfahrzeuge zu führen, bestünden.
Dagegen und gegen das Ausgangsschreiben hat der Kläger am 30.05.2017 Klage auf Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Fahrerlaubnis erhoben. Am 07.08.2017 bestand der Kläger die theoretische und am 10.10.2017 auch die praktische Fahrprüfung. Daraufhin erteilte ihm der Beklagte am 22.12.2017 die Fahrerlaubnis.
Zur Begründung seiner Klage führt der Kläger aus, er habe bei Klageerhebung einen Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis gehabt. Er habe noch im Jahr 2008 legal am Straßenverkehr in der Bundesrepublik teilgenommen, was damals auch der Beklagte so gesehen habe. Auch im Anschluss habe seine Fahrerlaubnis in der gesamten Europäischen Union, mit Ausnahme der Bundesrepublik Deutschland, gegolten. Von fehlender Fahrpraxis könne keine Rede sein. Trotz zwischenzeitiger Erteilung der Fahrerlaubnis habe sich der Ausgangsrechtstreit nicht erledigt. Er wolle über eine Amtshaftungsklage versuchen, die ihm entstandenen Sachschäden ersetzt zu bekommen, müsse zuvor aber noch die genaue Höhe der ihm entstandenen Kosten ermitteln. Insbesondere hätten die erforderlichen Eignungs- und Befähigungsnachweise bei dem Beklagten bereits spätestens am 11.10.2017 vorgelegen. Man habe sich dort aber rechtswidrig geweigert, den Führerschein auszustellen, solange das verwaltungsgerichtliche Verfahren laufe.
Der Kläger beantragt nunmehr - sachgerecht gefasst -,
10 
festzustellen, dass der Bescheid des Beklagten vom 02.12.2016 und der Widerspruchsbescheid vom 05.05.2017 rechtswidrig waren und dass der Beklagte verpflichtet war, dem Kläger eine Fahrerlaubnis ohne weitere Fahrprüfung zu erteilen.
11 
Der Beklagte beantragt,
12 
die Klage abzuweisen.
13 
Der Beklagte trägt vor, die tschechische Fahrerlaubnis des Klägers sei aufgrund seines Wohnsitzes in Deutschland bei ihrem Erwerb nicht anzuerkennen. Darum sei davon auszugehen gewesen, dass dem Kläger die Fahrpraxis fehle, sodass Zweifel an seiner Befähigung zum Führen eines Kraftfahrzeuges bestanden hätten. Sie seien durch Ablegen der entsprechenden Prüfungen zu beseitigen gewesen. Im Übrigen stelle die angegriffene Maßnahme keinen Verwaltungsakt dar.
14 
Auf Nachfrage des Gerichts, ob und wann der Kläger Fahrpraxis im EU-Ausland erworben habe, sowie aus welchem Grund und in welchem Umfang die Fahrten absolviert worden seien und ob es Nachweise dazu gebe, erklärte der Klägervertreter, sein Mandant habe am 27.02.2005 einen tschechischen Führerschein erworben und seitdem „auch in Deutschland“ Fahrzeuge geführt. Noch am 01.01.2016 habe der Kläger mit diesem Führerschein in Deutschland PKWs geführt. Das sei auch dem Beklagten bekannt. Die Einlassung der zuständigen Mitarbeiter des Beklagten zur fehlenden Fahrpraxis des Klägers seien wider besseren Wissens erfolgt und schlicht falsch.
15 
Die Sache ist mit Beschluss vom 11.04.2018 dem Berichterstatter als Einzelrichter übertragen worden, § 6 Abs.1 VwGO.
16 
Dem Gericht liegen die einschlägigen Behördenakten vor. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf diese Akten, die Gerichtsakten und die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
17 
Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet das Gericht ohne mündliche Verhandlung, § 101 Abs. 2 VwGO.
18 
Die Klage ist zulässig (I.), aber unbegründet (II.).
I.
19 
Die Klage ist zulässig. Maßgeblich für die Statthaftigkeit ist das tatsächliche Klägerbegehren, § 88 VwGO. Das ursprüngliche Rechtschutzbegehren des Klägers war hauptsächlich darauf gerichtet, die deutsche Fahrerlaubnis ohne weitere Fahrbefähigungsprüfung erteilt zu bekommen. Daneben ging es ihm als Annex um die Aufhebung der ablehnenden Behördenentscheidung. Nach der Erledigung geht das tatsächliche Begehren des Klägers dahin, die Rechtswidrigkeit der ablehnenden Entscheidung feststellen zu lassen. Dieses Ziel lässt sich über eine Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO erreichen, ohne dass es dafür darauf ankommt, welche Rechtsnatur die Anordnung der Beklagten hat, der Kläger möge weitere Nachweise seiner Fahreignung- und -befähigung erbringen.
20 
Gemäß § 113 Abs. 5 VwGO spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, wenn die Sache spruchreif ist. Gemäß § 113 Abs. 1 VwGO hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf, soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (S. 1). Hat sich der Verwaltungsakt vorher erledigt, spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat (S. 4).
21 
Zwar ist die vom Kläger hier begehrte Feststellung der ursprünglichen Rechtswidrigkeit nach Erledigung ausdrücklich nur für den Fall der Anfechtungsklage normiert. Die Regelungslücke in Bezug auf die Verpflichtungssituation ist jedoch planwidrig und die Interessenlage zu jener des Anfechtungsklägers, § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO, vergleichbar (allg. Ansicht, vgl.: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.06.2012 - 8 S 2245/10 -, juris Rn. 18; BVerwG, Urteil vom 21.12.2010 - 7 C 23/09 -, juris Rn. 47).
22 
Das erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich aus dem vom Kläger beabsichtigten Amtshaftungsprozess. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass sich ein legitimes Feststellungsinteresse des Klägers daraus ergeben kann, „die Früchte des bisherigen Prozesses zu erhalten“ (BVerwG, Urteil vom 20.01.1989 - 8 C 30/87 -,, BVerwGE 81, 226, 227 oder juris, Rn. 9). Ein solches Interesse ist nicht erst ab der Anhängigkeit der Klage vor dem Zivilgericht anzunehmen, sondern bereits dann, wenn die dortige Klage ernsthaft zu erwarten ist, der Kläger also substantiiert dargetan hat, was er konkret anstrebt (Stuhlfauth, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, § 113 Rn. 68). Diesen Erfordernissen hat der Kläger genüge getan, indem er die bisher fehlende Erhebung der Klage vor dem Zivilgericht damit begründet hat, dass zuvor noch die einzuklagenden Aufwendungen zu erheben seien.
23 
Entgegen dem Vortrag der Beklagten ist die Klage auch nicht nach § 44a VwGO unzulässig, weil es dem Kläger nicht um einen Angriff der behördlichen Vorfeldmaßnahmen ging. Gemäß § 44a VwGO können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur über den Rechtsbehelf gegen die Sachentscheidung geltend gemacht werden.
24 
Der Kläger begehrte tatsächlich keine andere Verfahrensgestaltung durch die Beklagte. Vielmehr ging es ihm um die Verpflichtung der Beklagten, ihm eine Fahrerlaubnis zu erteilen. Erweist sich sein Begehren auf Erteilung der Fahrerlaubnis ohne aktuellen Nachweis der Fahrbefähigung als rechtmäßig, ist der von § 44a VwGO bezweckten Verfahrenskonzentration genüge getan, weil dann feststeht, dass die weitergehende Anordnung rechtswidrig war (vgl. BayVGH, Beschluss vom 17.10.2006 - 11 CE 06.974 -, juris Rn. 12).
II.
25 
Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Kläger hatte keinen Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis ohne erneute Fahrbefähigungsprüfung. Weder eine „Umschreibung“ seiner tschechischen Fahrerlaubnis (1.) noch eine Neuerteilung der Fahrerlaubnis ohne erneute Fahrbefähigungsprüfung (2.) war rechtmäßig möglich.
26 
1. Der Kläger hatte keinen Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis aus §§ 28 ff. FeV, also auf „Umschreibung“ seiner tschechischen in eine deutsche Fahrerlaubnis. Bei der Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis hatte der Kläger seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland, was so korrekt auch auf Nr. 8 seines tschechischen Führerscheins (Nr. EA 500319) vermerkt ist.
27 
Tatbestandliche Voraussetzung einer Umschreibung ist nach § 30 FeV, dass der Antragsteller Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis war, die ihn zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland berechtigt oder berechtigt hat. Eine in einem anderen EU-Staat, wie der Tschechischen Republik, ausgestellte Fahrerlaubnis berechtigt den Inhaber grundsätzlich auch zum Führen eines Kraftfahrzeuges in der Bundesrepublik Deutschland, § 28 Abs. 1 FeV. Das gilt jedoch nicht, wenn der Inhaber der Fahrerlaubnis ausweislich des Führerscheins zum Zeitpunkt der Erteilung seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik hatte, § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 FeV. Auf dem tschechischen Führerschein des Klägers ist aber unter Nr. 8 „Rot am See, Bundesrepublik Deutschland“ vermerkt. Das Feld Nr. 8 bezeichnet den Wohnort, Wohnsitz oder die Postanschrift des Berechtigten (Anhang 1 Nr. 2 d der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein - im Folgenden „Führerscheinrichtlinie“).
28 
2. Der Kläger hatte auch keinen Anspruch auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis ohne erneute Fahrbefähigungsprüfung.
29 
Gemäß § 15 Abs. 1 FeV hat der Bewerber um eine Fahrerlaubnis seine Befähigung in einer theoretischen und einer praktischen Prüfung nachzuweisen. Laut § 20 Abs. 1 S. 1 FeV gelten für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung grundsätzlich die Vorschriften für die Ersterteilung. Das Prüfungserfordernis des § 15 FeV gilt gemäß § 20 Abs. 1 S. 2 FeV grundsätzlich nicht, es sei denn, die Fahrerlaubnisbehörde ordnet eine Fahrerlaubnisprüfung an, weil Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Bewerber die nach § 16 Absatz 1 und § 17 Absatz 1 erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt, § 20 Abs. 2 FeV.
30 
Eine länger andauernde Unterbrechung der Fahrpraxis kann grundsätzlich eine solche Tatsache sein. Ob sie im Einzelfall Zweifel an den Kenntnissen zum Führen eines Fahrzeuges im Straßenverkehr begründet, ist im Wege einer Gesamtschau zu beurteilen. Dabei ist sowohl die Zeitdauer der fehlenden Fahrpraxis als auch der Zeitraum zu berücksichtigen, über den sich die Fahrpraxis des Bewerbers in der jeweiligen Fahrerlaubnisklasse erstreckt hatte, bevor ihm die Fahrerlaubnis entzogen wurde (BVerwG, Urteil vom 27.10.2011 - 3 C 31.10 -, juris Rn. 11; SächsOVG, Beschluss vom 30.09.2014 - 3 D 35/14 -, juris Rn. 8; Beschluss vom 26.07.2013 - 3 D 9/13 -, juris Rn. 10; vgl. auch Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl. 2013, § 20 FeV Rn. 2). Dabei ist einerseits zu gegenwärtigen, dass das Fahrerlaubnisrecht im Grundsatz davon ausgeht, dass die Prüfungen nach § 15 FeV nur einmal abzulegen sind, § 20 Abs. 1 S. 2 FeV, andererseits das Fahrerlaubnisrecht als besonderes Polizei- und Ordnungsrecht der effektiven Gefahrenabwehr verpflichtet und damit gehalten ist, die durch Eignungsmängel regelmäßig drohenden Gefahren für hochrangige Rechtsgüter Dritter wie das Eigentum und die körperliche Unversehrtheit, Art. 14 GG, Art. 2 Abs. 2 GG, abzuwehren. Der demnach für die Anordnung einer weiteren Fahreignungsprüfung erforderliche Wahrscheinlichkeitsmaßstab richtet sich nach dem allgemeinen gefahrenabwehrrechtlichen Grundsatz, dass eine umso kleinere Wahrscheinlichkeit für den Eintritt einer Gefahr genügt, je größer der dann zu erwartende Schaden ist (BVerwG; Urteil vom 04.10.2012 - 1 C 13/11, juris; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23.10.2012 - 11 S 1470/11 -, juris).
31 
Das Wissen und die Fähigkeiten zum sicheren, verkehrsordnungsgemäßen und umweltbewussten Führen eines Kraftfahrzeuges unterliegt, wie alle anderen Fähigkeiten und jedes andere Wissen auch, einer gewissen Relativierung durch die Zeit dergestalt, dass eine längere Nutzungspause diese Kenntnisse und Fähigkeiten schwinden lässt und so Zweifel an der hinreichenden Fahreignung begründet. Wie lange diese Pause zu bemessen ist, hängt von den verkehrskognitiven Fähigkeiten des Einzelnen ab und ist daher im Einzelfall zu ermitteln (VG Stuttgart, Urteil vom 01.03.2017 - 1 K 2693/16 -, juris). In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist man sich insofern jedenfalls einig, dass fehlende Fahrpraxis über einen Zeitraum von länger als 10 Jahren die Annahme rechtfertigt, dass der Bewerber nicht mehr über die zur sicheren Führung eines Kraftfahrzeugs im Verkehr erforderlichen technischen Kenntnisse sowie über ausreichende Kenntnisse einer umweltbewussten und energiesparenden Fahrweise verfügt und zu ihrer praktischen Anwendung nicht mehr fähig ist (nach 17 Jahren: BayVGH, Urteil vom 17.04.2012 - 11 B 11.1873 -, juris Rn. 33; nach 16 Jahren: SächsOVG, Beschluss vom 30.09.2014 - 3 D 35/14 -, juris Leitsatz; nach 14 Jahren: OVG NRW, Beschluss vom 22.03.2012 - 16 A 55/12 -, juris und Beschluss vom 04.01.2012 - 16 A 1500/10 -, juris; nach 13 Jahren bei nur 15-monatiger Fahrpraxis vor Entziehung der Fahrerlaubnis: SächsOVG, Beschluss vom 26.07.2013 - 3 D 9/13 -, juris Leitsatz 2).
32 
Nach diesen Maßstäben ist zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass er zwischen der Erteilung der Fahrerlaubnis und ihrer erstmaligen Entziehung sowie zwischen der Wiedererteilung und der erneuten Entziehung im Zeitraum von 1983 - 1987 gut drei Jahre Fahrpraxis gesammelt hat. Zu seinen Lasten fällt ins Gewicht, dass die letzte damit erworbene Fahrpraxis so zum Zeitpunkt der hier streitgegenständlichen behördlichen Versagung über 29 Jahre zurücklag.
33 
Die mit der tschechischen Fahrerlaubnis erworbene Fahrpraxis des Klägers in Deutschland ist bei der Frage des Fortbestehens der klägerischen Fahrbefähigung nicht zu berücksichtigen. Für den Nachweis der erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten kommt es ausschließlich auf die berechtigte Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr an (VG Bremen, Gerichtsbescheid vom 30.01.2012 - 5 K 1036/11 - juris, Rn. 16). Anderenfalls würden bei Anträgen auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis rechtstreue Bewerber gegenüber solchen Bewerbern schlechter gestellt, die zuvor illegal am Straßenverkehr teilgenommen und sich so ihre Fahrpraxis erhalten haben.
34 
Durch das Urteil des AG Ansbach vom 13.06.2016 (AZ: Cs 1091 Js 1627/16) steht rechtskräftig fest, dass der Kläger mit seiner tschechischen Fahrerlaubnis nicht berechtigt war, im Bundesgebiet Kraftfahrzeuge zu führen. Warum im Fahrerlaubnisrecht als besonderem Polizeirecht angesichts des hier weiteren Gefahrenbegriffes und der gegenüber dem Strafrecht weniger strengen Anforderungen an die Tatsachenermittlung ein strenger Maßstab gelten soll als dort, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
35 
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den vom Kläger im Verwaltungsverfahren zitierten Urteilen des EuGH vom 26.04.2012 (C 419/10) und des LG Ansbach vom 07.10.2014 (2 Ns 1081 Js 10517/13). Das Urteil des LG Ansbach behandelt den hier nicht einschlägigen Fall des Erwerbes einer tschechischen Fahrerlaubnis unter Einhaltung der Residenzpflicht. Das Urteil des EuGH behandelt die Frage, ob ein Mitgliedstaat die in einem anderen Mitgliedstaat unter Einhaltung der Residenzpflicht erworbene Fahrerlaubnis als auf seinem Hoheitsgebiet nicht gültig zurückweisen kann. Auch insoweit ging es also um den hier nicht einschlägigen Fall, dass ein deutscher Staatsangehöriger seinen Wohnsitz zumindest vorübergehend in einem anderen Mitgliedstaat nahm und währenddessen dort die Fahrerlaubnis erwarb.
36 
Schließlich führt auch das Schreiben des Beklagten vom 07.03.2008 zu keinem anderen Ergebnis. Unabhängig von seiner Rechtsnatur vermochte das Schreiben nicht, das Führen von Kraftfahrzeugen durch den Kläger im Bundesgebiet mit tschechischer Fahrerlaubnis zu legalisieren.
37 
Aller Voraussicht nach handelt es sich bei dem Schreiben um eine behördliche Auskunft. Sie erschöpft sich in der Mitteilung des behördlichen Wissens (Kopp/ Ramsauer, VwVfG, 15. Auflage, § 38 Rn. 9). Mit einer solchen Auskunft gibt die Behörde ihre Ansicht von der Rechtslage kund, gestaltet diese aber nicht um. Ein wie auch immer gearteter Rechtsbindungswille, der aus dieser Auskunft eine Zusicherung nach § 38 VwVfG machen würde, lässt sich dem Schreiben bereits nicht entnehmen. Selbst wenn man einen solchen Willen unterstellt, liegt auch in einer Zusicherung nur das rechtlich verbindliche Versprechen, künftig einen Verwaltungsakt zu erlassen oder einen solchen zu unterlassen. Erst mit diesem künftigen Erlass des Verwaltungsaktes ändert sich aber die Rechtslage. Bis dahin bleibt sie konstant. Damit blieb es in casu dabei, dass der Kläger keine Erlaubnis hatte, Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenraum auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu führen.
38 
Auch die Behauptung des Klägers, er habe mit seiner tschechischen Fahrerlaubnis im europäischen Ausland weitere Fahrpraxis erworben, führt zu keinem anderen Ergebnis.
39 
§ 20 Abs. 2 FeV dient dazu, auch bei der Neuerteilung der Fahrerlaubnis sicherzustellen, dass der Bewerber hinreichend zum Führen eines Kraftfahrzeuges befähigt ist. Bei entsprechenden Zweifeln hat die Fahrerlaubnisbehörde die Möglichkeit, nach ihrem Ermessen neue Fahrbefähigungsnachweise, also eine theoretische bzw. praktische Prüfung zu verlangen (BT-Drs. 302/08 S. 64). Mit der europaweiten gegenseitigen Anerkennung der mitgliedstaatlichen Fahrerlaubnisse, §§ 28 ff. FeV geht es grundsätzlich einher, dass auch diejenigen Fahrerlaubnisinhaber von Rechts wegen hinreichend befähigt sind, auf deutschen Straßen ihre Kraftfahrzeuge zu führen, die ihre Eignung und Befähigung bisher ausschließlich gegenüber mitgliedstaatlichen Behörden nachgewiesen haben, Art. 2 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1 der Führerscheinrichtlinie.
40 
Zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie zur Prävention vor Führerscheintourismus sieht das deutsche Recht in Übereinstimmung mit der Führerscheinrichtlinie Einschränkungen für die Anerkennung ausländischer Fahrerlaubnisse vor, sofern diese unter Verstoß gegen das Wohnsitzprinzip oder an solche Personen erteilt worden sind, denen im Inland die Fahrerlaubnis rechtskräftig entzogen ist, § 28 Abs. 4 Nr. 2, 3 FeV. Gleichwohl bleibt die betroffene Fahrerlaubnis im Umkehrschluss jedenfalls im Ausstellerstaat, sowie in allen anderen Mitgliedsstaaten der EU, welche keine dem § 28 Abs. 4 Nr. 2, 3 FeV entsprechende Regelung getroffen haben, gültig. Daraus folgt auch, dass der Berechtigte in diesen Staaten legal Fahrpraxis erwerben kann (so wohl auch: BayVGH, Urteil vom 17.04.2012 - 11 B 11.1873 -, juris). Hat er das zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde bzw. des erkennenden Gerichts getan, ist die mit einer mehrjährigen Unterbrechung des legalen Führens von Kraftfahrzeugen im Inland einhergehende Vermutung widerlegt, der Bewerber sei nicht hinreichend befähigt, ein Kraftfahrzeug zu führen.
41 
Für den Kläger ergibt sich die danach mögliche Fahrpraxis in der Tschechischen Republik nicht bereits aus dem Bestehen der Fahrprüfung, das nach Art. 7 Abs. 1 der Führerscheinrichtlinie EU-weit Voraussetzung für die Erteilung einer Fahrerlaubnis ist. Der Kläger hat seine tschechische Fahrerlaubnis am 27.02.2005 erworben, sodass zwischen der Fahrprüfung in Tschechien und dem Antrag des Klägers auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis in Deutschland ein Zeitraum von über zehn Jahren lag.
42 
Sonstige Fahrpraxis in der Tschechischen Republik oder dem EU-Ausland hat der Kläger weder substantiiert vorgetragen, noch hat er weitere Nachweise vorgelegt, die seinen Vortrag als glaubhaft erscheinen lassen könnten. Selbst auf die explizite Nachfrage des Gerichts hat der Kläger sich nur insoweit eingelassen, dass er „auch in Deutschland“ Kraftfahrzeuge geführt habe und dies legal gewesen sei. Danach bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte für im Ausland erworbene Fahrpraxis des Klägers, sodass das Gericht auch unter Beachtung des § 86 VwGO nicht über das erfolgte Maß hinaus zur weiteren Sachaufklärung verpflichtet war, weil die bislang bekannten Tatsachen dies nicht nahelegen und sich die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen auch nicht aufdrängen musste (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11/07 -, BVerwGE 131, 186-198). Der Kläger war durchgängig wohnsitzlich in der Bundesrepublik Deutschland gemeldet. Ein Auslandsbezug seines Privat- oder Berufslebens ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
43 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
44 
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht gemäß §§ 124 a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO liegen nicht vor.
45 
Beschluss vom 10.04.2018
46 
Der Streitwert wird gemäß §§ 63 Abs. 2 S. 1, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 46.3., 1.3. des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit festgesetzt auf 5000 EUR.

Gründe

 
17 
Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet das Gericht ohne mündliche Verhandlung, § 101 Abs. 2 VwGO.
18 
Die Klage ist zulässig (I.), aber unbegründet (II.).
I.
19 
Die Klage ist zulässig. Maßgeblich für die Statthaftigkeit ist das tatsächliche Klägerbegehren, § 88 VwGO. Das ursprüngliche Rechtschutzbegehren des Klägers war hauptsächlich darauf gerichtet, die deutsche Fahrerlaubnis ohne weitere Fahrbefähigungsprüfung erteilt zu bekommen. Daneben ging es ihm als Annex um die Aufhebung der ablehnenden Behördenentscheidung. Nach der Erledigung geht das tatsächliche Begehren des Klägers dahin, die Rechtswidrigkeit der ablehnenden Entscheidung feststellen zu lassen. Dieses Ziel lässt sich über eine Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO erreichen, ohne dass es dafür darauf ankommt, welche Rechtsnatur die Anordnung der Beklagten hat, der Kläger möge weitere Nachweise seiner Fahreignung- und -befähigung erbringen.
20 
Gemäß § 113 Abs. 5 VwGO spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, wenn die Sache spruchreif ist. Gemäß § 113 Abs. 1 VwGO hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf, soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (S. 1). Hat sich der Verwaltungsakt vorher erledigt, spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat (S. 4).
21 
Zwar ist die vom Kläger hier begehrte Feststellung der ursprünglichen Rechtswidrigkeit nach Erledigung ausdrücklich nur für den Fall der Anfechtungsklage normiert. Die Regelungslücke in Bezug auf die Verpflichtungssituation ist jedoch planwidrig und die Interessenlage zu jener des Anfechtungsklägers, § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO, vergleichbar (allg. Ansicht, vgl.: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.06.2012 - 8 S 2245/10 -, juris Rn. 18; BVerwG, Urteil vom 21.12.2010 - 7 C 23/09 -, juris Rn. 47).
22 
Das erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich aus dem vom Kläger beabsichtigten Amtshaftungsprozess. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass sich ein legitimes Feststellungsinteresse des Klägers daraus ergeben kann, „die Früchte des bisherigen Prozesses zu erhalten“ (BVerwG, Urteil vom 20.01.1989 - 8 C 30/87 -,, BVerwGE 81, 226, 227 oder juris, Rn. 9). Ein solches Interesse ist nicht erst ab der Anhängigkeit der Klage vor dem Zivilgericht anzunehmen, sondern bereits dann, wenn die dortige Klage ernsthaft zu erwarten ist, der Kläger also substantiiert dargetan hat, was er konkret anstrebt (Stuhlfauth, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, § 113 Rn. 68). Diesen Erfordernissen hat der Kläger genüge getan, indem er die bisher fehlende Erhebung der Klage vor dem Zivilgericht damit begründet hat, dass zuvor noch die einzuklagenden Aufwendungen zu erheben seien.
23 
Entgegen dem Vortrag der Beklagten ist die Klage auch nicht nach § 44a VwGO unzulässig, weil es dem Kläger nicht um einen Angriff der behördlichen Vorfeldmaßnahmen ging. Gemäß § 44a VwGO können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur über den Rechtsbehelf gegen die Sachentscheidung geltend gemacht werden.
24 
Der Kläger begehrte tatsächlich keine andere Verfahrensgestaltung durch die Beklagte. Vielmehr ging es ihm um die Verpflichtung der Beklagten, ihm eine Fahrerlaubnis zu erteilen. Erweist sich sein Begehren auf Erteilung der Fahrerlaubnis ohne aktuellen Nachweis der Fahrbefähigung als rechtmäßig, ist der von § 44a VwGO bezweckten Verfahrenskonzentration genüge getan, weil dann feststeht, dass die weitergehende Anordnung rechtswidrig war (vgl. BayVGH, Beschluss vom 17.10.2006 - 11 CE 06.974 -, juris Rn. 12).
II.
25 
Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Kläger hatte keinen Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis ohne erneute Fahrbefähigungsprüfung. Weder eine „Umschreibung“ seiner tschechischen Fahrerlaubnis (1.) noch eine Neuerteilung der Fahrerlaubnis ohne erneute Fahrbefähigungsprüfung (2.) war rechtmäßig möglich.
26 
1. Der Kläger hatte keinen Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis aus §§ 28 ff. FeV, also auf „Umschreibung“ seiner tschechischen in eine deutsche Fahrerlaubnis. Bei der Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis hatte der Kläger seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland, was so korrekt auch auf Nr. 8 seines tschechischen Führerscheins (Nr. EA 500319) vermerkt ist.
27 
Tatbestandliche Voraussetzung einer Umschreibung ist nach § 30 FeV, dass der Antragsteller Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis war, die ihn zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland berechtigt oder berechtigt hat. Eine in einem anderen EU-Staat, wie der Tschechischen Republik, ausgestellte Fahrerlaubnis berechtigt den Inhaber grundsätzlich auch zum Führen eines Kraftfahrzeuges in der Bundesrepublik Deutschland, § 28 Abs. 1 FeV. Das gilt jedoch nicht, wenn der Inhaber der Fahrerlaubnis ausweislich des Führerscheins zum Zeitpunkt der Erteilung seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik hatte, § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 FeV. Auf dem tschechischen Führerschein des Klägers ist aber unter Nr. 8 „Rot am See, Bundesrepublik Deutschland“ vermerkt. Das Feld Nr. 8 bezeichnet den Wohnort, Wohnsitz oder die Postanschrift des Berechtigten (Anhang 1 Nr. 2 d der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein - im Folgenden „Führerscheinrichtlinie“).
28 
2. Der Kläger hatte auch keinen Anspruch auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis ohne erneute Fahrbefähigungsprüfung.
29 
Gemäß § 15 Abs. 1 FeV hat der Bewerber um eine Fahrerlaubnis seine Befähigung in einer theoretischen und einer praktischen Prüfung nachzuweisen. Laut § 20 Abs. 1 S. 1 FeV gelten für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung grundsätzlich die Vorschriften für die Ersterteilung. Das Prüfungserfordernis des § 15 FeV gilt gemäß § 20 Abs. 1 S. 2 FeV grundsätzlich nicht, es sei denn, die Fahrerlaubnisbehörde ordnet eine Fahrerlaubnisprüfung an, weil Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Bewerber die nach § 16 Absatz 1 und § 17 Absatz 1 erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt, § 20 Abs. 2 FeV.
30 
Eine länger andauernde Unterbrechung der Fahrpraxis kann grundsätzlich eine solche Tatsache sein. Ob sie im Einzelfall Zweifel an den Kenntnissen zum Führen eines Fahrzeuges im Straßenverkehr begründet, ist im Wege einer Gesamtschau zu beurteilen. Dabei ist sowohl die Zeitdauer der fehlenden Fahrpraxis als auch der Zeitraum zu berücksichtigen, über den sich die Fahrpraxis des Bewerbers in der jeweiligen Fahrerlaubnisklasse erstreckt hatte, bevor ihm die Fahrerlaubnis entzogen wurde (BVerwG, Urteil vom 27.10.2011 - 3 C 31.10 -, juris Rn. 11; SächsOVG, Beschluss vom 30.09.2014 - 3 D 35/14 -, juris Rn. 8; Beschluss vom 26.07.2013 - 3 D 9/13 -, juris Rn. 10; vgl. auch Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl. 2013, § 20 FeV Rn. 2). Dabei ist einerseits zu gegenwärtigen, dass das Fahrerlaubnisrecht im Grundsatz davon ausgeht, dass die Prüfungen nach § 15 FeV nur einmal abzulegen sind, § 20 Abs. 1 S. 2 FeV, andererseits das Fahrerlaubnisrecht als besonderes Polizei- und Ordnungsrecht der effektiven Gefahrenabwehr verpflichtet und damit gehalten ist, die durch Eignungsmängel regelmäßig drohenden Gefahren für hochrangige Rechtsgüter Dritter wie das Eigentum und die körperliche Unversehrtheit, Art. 14 GG, Art. 2 Abs. 2 GG, abzuwehren. Der demnach für die Anordnung einer weiteren Fahreignungsprüfung erforderliche Wahrscheinlichkeitsmaßstab richtet sich nach dem allgemeinen gefahrenabwehrrechtlichen Grundsatz, dass eine umso kleinere Wahrscheinlichkeit für den Eintritt einer Gefahr genügt, je größer der dann zu erwartende Schaden ist (BVerwG; Urteil vom 04.10.2012 - 1 C 13/11, juris; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23.10.2012 - 11 S 1470/11 -, juris).
31 
Das Wissen und die Fähigkeiten zum sicheren, verkehrsordnungsgemäßen und umweltbewussten Führen eines Kraftfahrzeuges unterliegt, wie alle anderen Fähigkeiten und jedes andere Wissen auch, einer gewissen Relativierung durch die Zeit dergestalt, dass eine längere Nutzungspause diese Kenntnisse und Fähigkeiten schwinden lässt und so Zweifel an der hinreichenden Fahreignung begründet. Wie lange diese Pause zu bemessen ist, hängt von den verkehrskognitiven Fähigkeiten des Einzelnen ab und ist daher im Einzelfall zu ermitteln (VG Stuttgart, Urteil vom 01.03.2017 - 1 K 2693/16 -, juris). In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist man sich insofern jedenfalls einig, dass fehlende Fahrpraxis über einen Zeitraum von länger als 10 Jahren die Annahme rechtfertigt, dass der Bewerber nicht mehr über die zur sicheren Führung eines Kraftfahrzeugs im Verkehr erforderlichen technischen Kenntnisse sowie über ausreichende Kenntnisse einer umweltbewussten und energiesparenden Fahrweise verfügt und zu ihrer praktischen Anwendung nicht mehr fähig ist (nach 17 Jahren: BayVGH, Urteil vom 17.04.2012 - 11 B 11.1873 -, juris Rn. 33; nach 16 Jahren: SächsOVG, Beschluss vom 30.09.2014 - 3 D 35/14 -, juris Leitsatz; nach 14 Jahren: OVG NRW, Beschluss vom 22.03.2012 - 16 A 55/12 -, juris und Beschluss vom 04.01.2012 - 16 A 1500/10 -, juris; nach 13 Jahren bei nur 15-monatiger Fahrpraxis vor Entziehung der Fahrerlaubnis: SächsOVG, Beschluss vom 26.07.2013 - 3 D 9/13 -, juris Leitsatz 2).
32 
Nach diesen Maßstäben ist zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass er zwischen der Erteilung der Fahrerlaubnis und ihrer erstmaligen Entziehung sowie zwischen der Wiedererteilung und der erneuten Entziehung im Zeitraum von 1983 - 1987 gut drei Jahre Fahrpraxis gesammelt hat. Zu seinen Lasten fällt ins Gewicht, dass die letzte damit erworbene Fahrpraxis so zum Zeitpunkt der hier streitgegenständlichen behördlichen Versagung über 29 Jahre zurücklag.
33 
Die mit der tschechischen Fahrerlaubnis erworbene Fahrpraxis des Klägers in Deutschland ist bei der Frage des Fortbestehens der klägerischen Fahrbefähigung nicht zu berücksichtigen. Für den Nachweis der erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten kommt es ausschließlich auf die berechtigte Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr an (VG Bremen, Gerichtsbescheid vom 30.01.2012 - 5 K 1036/11 - juris, Rn. 16). Anderenfalls würden bei Anträgen auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis rechtstreue Bewerber gegenüber solchen Bewerbern schlechter gestellt, die zuvor illegal am Straßenverkehr teilgenommen und sich so ihre Fahrpraxis erhalten haben.
34 
Durch das Urteil des AG Ansbach vom 13.06.2016 (AZ: Cs 1091 Js 1627/16) steht rechtskräftig fest, dass der Kläger mit seiner tschechischen Fahrerlaubnis nicht berechtigt war, im Bundesgebiet Kraftfahrzeuge zu führen. Warum im Fahrerlaubnisrecht als besonderem Polizeirecht angesichts des hier weiteren Gefahrenbegriffes und der gegenüber dem Strafrecht weniger strengen Anforderungen an die Tatsachenermittlung ein strenger Maßstab gelten soll als dort, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
35 
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den vom Kläger im Verwaltungsverfahren zitierten Urteilen des EuGH vom 26.04.2012 (C 419/10) und des LG Ansbach vom 07.10.2014 (2 Ns 1081 Js 10517/13). Das Urteil des LG Ansbach behandelt den hier nicht einschlägigen Fall des Erwerbes einer tschechischen Fahrerlaubnis unter Einhaltung der Residenzpflicht. Das Urteil des EuGH behandelt die Frage, ob ein Mitgliedstaat die in einem anderen Mitgliedstaat unter Einhaltung der Residenzpflicht erworbene Fahrerlaubnis als auf seinem Hoheitsgebiet nicht gültig zurückweisen kann. Auch insoweit ging es also um den hier nicht einschlägigen Fall, dass ein deutscher Staatsangehöriger seinen Wohnsitz zumindest vorübergehend in einem anderen Mitgliedstaat nahm und währenddessen dort die Fahrerlaubnis erwarb.
36 
Schließlich führt auch das Schreiben des Beklagten vom 07.03.2008 zu keinem anderen Ergebnis. Unabhängig von seiner Rechtsnatur vermochte das Schreiben nicht, das Führen von Kraftfahrzeugen durch den Kläger im Bundesgebiet mit tschechischer Fahrerlaubnis zu legalisieren.
37 
Aller Voraussicht nach handelt es sich bei dem Schreiben um eine behördliche Auskunft. Sie erschöpft sich in der Mitteilung des behördlichen Wissens (Kopp/ Ramsauer, VwVfG, 15. Auflage, § 38 Rn. 9). Mit einer solchen Auskunft gibt die Behörde ihre Ansicht von der Rechtslage kund, gestaltet diese aber nicht um. Ein wie auch immer gearteter Rechtsbindungswille, der aus dieser Auskunft eine Zusicherung nach § 38 VwVfG machen würde, lässt sich dem Schreiben bereits nicht entnehmen. Selbst wenn man einen solchen Willen unterstellt, liegt auch in einer Zusicherung nur das rechtlich verbindliche Versprechen, künftig einen Verwaltungsakt zu erlassen oder einen solchen zu unterlassen. Erst mit diesem künftigen Erlass des Verwaltungsaktes ändert sich aber die Rechtslage. Bis dahin bleibt sie konstant. Damit blieb es in casu dabei, dass der Kläger keine Erlaubnis hatte, Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenraum auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu führen.
38 
Auch die Behauptung des Klägers, er habe mit seiner tschechischen Fahrerlaubnis im europäischen Ausland weitere Fahrpraxis erworben, führt zu keinem anderen Ergebnis.
39 
§ 20 Abs. 2 FeV dient dazu, auch bei der Neuerteilung der Fahrerlaubnis sicherzustellen, dass der Bewerber hinreichend zum Führen eines Kraftfahrzeuges befähigt ist. Bei entsprechenden Zweifeln hat die Fahrerlaubnisbehörde die Möglichkeit, nach ihrem Ermessen neue Fahrbefähigungsnachweise, also eine theoretische bzw. praktische Prüfung zu verlangen (BT-Drs. 302/08 S. 64). Mit der europaweiten gegenseitigen Anerkennung der mitgliedstaatlichen Fahrerlaubnisse, §§ 28 ff. FeV geht es grundsätzlich einher, dass auch diejenigen Fahrerlaubnisinhaber von Rechts wegen hinreichend befähigt sind, auf deutschen Straßen ihre Kraftfahrzeuge zu führen, die ihre Eignung und Befähigung bisher ausschließlich gegenüber mitgliedstaatlichen Behörden nachgewiesen haben, Art. 2 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1 der Führerscheinrichtlinie.
40 
Zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie zur Prävention vor Führerscheintourismus sieht das deutsche Recht in Übereinstimmung mit der Führerscheinrichtlinie Einschränkungen für die Anerkennung ausländischer Fahrerlaubnisse vor, sofern diese unter Verstoß gegen das Wohnsitzprinzip oder an solche Personen erteilt worden sind, denen im Inland die Fahrerlaubnis rechtskräftig entzogen ist, § 28 Abs. 4 Nr. 2, 3 FeV. Gleichwohl bleibt die betroffene Fahrerlaubnis im Umkehrschluss jedenfalls im Ausstellerstaat, sowie in allen anderen Mitgliedsstaaten der EU, welche keine dem § 28 Abs. 4 Nr. 2, 3 FeV entsprechende Regelung getroffen haben, gültig. Daraus folgt auch, dass der Berechtigte in diesen Staaten legal Fahrpraxis erwerben kann (so wohl auch: BayVGH, Urteil vom 17.04.2012 - 11 B 11.1873 -, juris). Hat er das zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde bzw. des erkennenden Gerichts getan, ist die mit einer mehrjährigen Unterbrechung des legalen Führens von Kraftfahrzeugen im Inland einhergehende Vermutung widerlegt, der Bewerber sei nicht hinreichend befähigt, ein Kraftfahrzeug zu führen.
41 
Für den Kläger ergibt sich die danach mögliche Fahrpraxis in der Tschechischen Republik nicht bereits aus dem Bestehen der Fahrprüfung, das nach Art. 7 Abs. 1 der Führerscheinrichtlinie EU-weit Voraussetzung für die Erteilung einer Fahrerlaubnis ist. Der Kläger hat seine tschechische Fahrerlaubnis am 27.02.2005 erworben, sodass zwischen der Fahrprüfung in Tschechien und dem Antrag des Klägers auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis in Deutschland ein Zeitraum von über zehn Jahren lag.
42 
Sonstige Fahrpraxis in der Tschechischen Republik oder dem EU-Ausland hat der Kläger weder substantiiert vorgetragen, noch hat er weitere Nachweise vorgelegt, die seinen Vortrag als glaubhaft erscheinen lassen könnten. Selbst auf die explizite Nachfrage des Gerichts hat der Kläger sich nur insoweit eingelassen, dass er „auch in Deutschland“ Kraftfahrzeuge geführt habe und dies legal gewesen sei. Danach bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte für im Ausland erworbene Fahrpraxis des Klägers, sodass das Gericht auch unter Beachtung des § 86 VwGO nicht über das erfolgte Maß hinaus zur weiteren Sachaufklärung verpflichtet war, weil die bislang bekannten Tatsachen dies nicht nahelegen und sich die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen auch nicht aufdrängen musste (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11/07 -, BVerwGE 131, 186-198). Der Kläger war durchgängig wohnsitzlich in der Bundesrepublik Deutschland gemeldet. Ein Auslandsbezug seines Privat- oder Berufslebens ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
43 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
44 
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht gemäß §§ 124 a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO liegen nicht vor.
45 
Beschluss vom 10.04.2018
46 
Der Streitwert wird gemäß §§ 63 Abs. 2 S. 1, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 46.3., 1.3. des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit festgesetzt auf 5000 EUR.

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Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 11. Apr. 2018 - 1 K 8555/17 zitiert 19 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 63 Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren


(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anh

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 14


(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der All

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 101


(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden. (2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 86


(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. (2) Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag ka

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 88


Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 6


(1) Die Kammer soll in der Regel den Rechtsstreit einem ihrer Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen, wenn 1. die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und2. die Rechtssache keine grundsä

Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV 2010 | § 28 Anerkennung von Fahrerlaubnissen aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum


(1) Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinne des § 7 Absatz 1 oder 2 in der Bundesrepublik Deutschland haben, dürfen – vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Absätzen 2 bis 4 – im Umfang ihrer Be

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 44a


Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen können nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Dies gilt nicht, wenn behördliche Verfahrenshandlungen vollstreckt werden können oder ge

Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG | § 38 Zusicherung


(1) Eine von der zuständigen Behörde erteilte Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen (Zusicherung), bedarf zu ihrer Wirksamkeit der schriftlichen Form. Ist vor dem Erlass des zugesicherten Verwaltungsaktes die

Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV 2010 | § 20 Neuerteilung einer Fahrerlaubnis


(1) Für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung oder nach vorangegangenem Verzicht gelten die Vorschriften für die Ersterteilung. § 15 findet vorbehaltlich des Absatzes 2 keine Anwendung. (2) Die Fahrerlaubnisbehörde

Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV 2010 | § 30 Erteilung einer Fahrerlaubnis an Inhaber einer Fahrerlaubnis aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum


(1) Beantragt der Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland berechtigt oder berechtigt hat, die Erteilung einer Fahrerlaubnis für die entsprechende Klasse von Kraftfahrzeugen, sind folgende Vorschriften ni

Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV 2010 | § 15 Fahrerlaubnisprüfung


(1) Der Bewerber um eine Fahrerlaubnis hat seine Befähigung in einer theoretischen und einer praktischen Prüfung nachzuweisen. (2) Beim Erwerb einer Fahrerlaubnis der Klasse L bedarf es nur einer theoretischen, bei der Erweiterung der Klasse B au

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Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 11. Apr. 2018 - 1 K 8555/17 zitiert oder wird zitiert von 5 Urteil(en).

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Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen können nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Dies gilt nicht, wenn behördliche Verfahrenshandlungen vollstreckt werden können oder gegen einen Nichtbeteiligten ergehen.

(1) Die Kammer soll in der Regel den Rechtsstreit einem ihrer Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen, wenn

1.
die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat.
Ein Richter auf Probe darf im ersten Jahr nach seiner Ernennung nicht Einzelrichter sein.

(2) Der Rechtsstreit darf dem Einzelrichter nicht übertragen werden, wenn bereits vor der Kammer mündlich verhandelt worden ist, es sei denn, daß inzwischen ein Vorbehalts-, Teil- oder Zwischenurteil ergangen ist.

(3) Der Einzelrichter kann nach Anhörung der Beteiligten den Rechtsstreit auf die Kammer zurückübertragen, wenn sich aus einer wesentlichen Änderung der Prozeßlage ergibt, daß die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist. Eine erneute Übertragung auf den Einzelrichter ist ausgeschlossen.

(4) Beschlüsse nach den Absätzen 1 und 3 sind unanfechtbar. Auf eine unterlassene Übertragung kann ein Rechtsbehelf nicht gestützt werden.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 16. Februar 2010 - 6 K 4127/09 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Die Beteiligten streiten über die Genehmigungsfähigkeit einer Nutzungsänderung auf dem Baugrundstück Flst.Nr. ... der Gemarkung Giengen an der Brenz vor Inkrafttreten einer Veränderungssperre.
Das am Ostrand der Giengener Kernstadt gelegene Baugrundstück ist mit Gebäudekomplex "..." ...... und einem Parkhaus bebaut. Seine Errichtung geht auf den Bebauungsplan "Ehemalige Filzfabriken" von 1979 zurück, der für das Baugrundstück ein Sondergebiet für ein Einkaufszentrum sowie Gemeinbedarfsflächen festsetzte. Mit dem Änderungsbebauungsplan "Ehemalige Filzfabriken, 1. Änderung“ vom 25.01.1996 wurde für die Gemeinbedarfsflächen ebenfalls ein "Sondergebiet für zentralen Einkauf und Wohnen" (SO 2) und für das Baugrundstück ein "Sondergebiet für zentralen Einkauf" (SO 1) festgesetzt. Danach sind im SO 1 "Einkaufszentren, großflächige Handelsbetriebe, Dienstleistungsbetriebe" und im SO 2 "Einkaufszentren, großflächige Handelsbetriebe, Dienstleistungsbetriebe, Betriebe des Beherbergungsgewerbes, Wohnen" zulässig.
Im September 2008 stellten die Firma ......GmbH in Ulm ..., eine weitere Firma sowie die Klägerin Bauanträge für Spielhallen im "...". Die Beklagte bewertete die Vorhaben als eine einheitliche kerngebietstypische Spielhalle, die im SO 1 unzulässig sei. Daraufhin nahmen die Klägerin sowie die weitere Firma ihre Anträge zurück. Die Firma ... erhielt auf ihren modifizierten Bauantrag am 16.12.2008 eine Baugenehmigung zur Nutzungsänderung von Räumen im Erdgeschoss des "..." für eine Spielhalle mit acht Geldspielgeräten sowie ein angrenzendes Café mit drei Geldspielgeräten.
Mit Schreiben vom 15.07.2009, eingegangen am 22.07.2009, reichte die Firma ... einen neuen Bauantrag der Klägerin vom 06.07.2009 zur Nutzungsänderung des Cafés in ein “Freizeit- und Eventcenter (Spielothek)“ mit acht Geldspielgeräten mit der Erläuterung ein, ihre vorhandene Spielhalle sei nicht konkurrenzfähig. In einer Bauzeichnung der Bauvorlagen ist in der Wand zur vorhandenen Spielhalle eine Tür eingezeichnet.
Das Baurechtsamt der Beklagten teilte der Klägerin mit Schreiben vom 19.08.2009 mit, es beabsichtige, den Bauantrag abzulehnen, weil die geplante Spielhalle kerngebietstypisch sei. Sie bilde mit der vorhandenen eine betriebliche Einheit. Die Aufsichtsflächen seien nur durch eine Tür voneinander getrennt. Es sei daher zu vermuten, dass das Personal für beide Spielhallen zuständig sei. Es werde um Mitteilung bis zum 15.09.2009 gebeten, ob die Klägerin den Antrag zurücknehme oder dessen Ablehnung wünsche. Mit Schreiben vom 31.08.2009, eingegangen am 01.09.2009, legte die Klägerin dar, beide Spielhallen seien baulich und organisatorisch getrennt. Die Tür zwischen den Aufsichtsflächen werde verschlossen gehalten. Das könne durch Nebenbestimmung zur Baugenehmigung gesichert werden. Sie diene nur im äußersten Notfall dazu, dass das Personal eines Betriebes demjenigen im anderen Betrieb schnell zu Hilfe kommen könne, ohne die Betriebsräume verlassen zu müssen. Die Klägerin betreibe selbst Spielhallen und sei mit der Firma ... nicht identisch. Es werde um einen Bescheid gebeten.
Mit Schreiben an die Klägerin vom 16.09.2009 bestätigte das Baurechtsamt die Vollständigkeit der Bauvorlagen und gab als Datum der voraussichtlichen Entscheidung den 30.10.2009 an. Mit weiteren Schreiben vom selben Tag bat es die Ordnungsverwaltung bei der Beklagten und die Gewerbeaufsicht beim Landratsamt um Äußerung bis zum 30.09. bzw. 16.10.2009. Am 01.10.2009 ging die Äußerung der Ordnungsverwaltung ein, diejenige des Landratsamts folgte am 09.10.2009 als E-Mail und am 13.10.2009 per Post. Beide Stellen hatten keine Bedenken gegen das Vorhaben, das Landratsamt bat um Aufnahme von Nebenbestimmungen in die Baugenehmigung.
Am 22.10.2009 beschloss der Gemeinderat der Beklagten die Aufstellung eines Änderungsbebauungsplans, um zur Erhaltung und Weiterentwicklung der Einzelhandelsstruktur im Plangebiet die zulässigen Nutzungsarten neu zu definieren und Vergnügungsstätten auszuschließen. Ferner beschloss er eine Satzung über eine Veränderungssperre für das Gebiet des zu ändernden Bebauungsplans, die mit ihrer ortsüblichen Bekanntmachung am 06.11.2009 in Kraft trat. Ende September 2011 beschloss er eine Satzung zur Verlängerung der Veränderungssperre um ein Jahr, die mit ihrer ortsüblichen Bekanntmachung am 21.10.2011 in Kraft trat.
Bereits am 05.11.2009 hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zur Erteilung der begehrten Baugenehmigung zu verpflichten. Die Klage wurde der Beklagten am 10.11.2009 zugestellt. Mit Bescheid vom selben Tag lehnte sie den Bauantrag wegen Verstoßes gegen die Satzung über die Veränderungssperre ab; eine Ausnahme nach § 14 Abs. 2 BauGB scheide aus. Über den Widerspruch der Klägerin ist noch nicht entschieden. In der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts hat die Klägerin nur noch die Feststellung beantragt, dass die Beklagte vor Inkrafttreten der Veränderungssperre zur Erteilung einer Baugenehmigung gemäß ihrem Bauantrag vom 06.07.2009 verpflichtet gewesen sei. Sie wolle Schadensersatzansprüche wegen Amtspflichtverletzung geltend machen. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Mit Urteil vom 16.02.2010 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die Klage sei unzulässig. Der Feststellungsantrag sei zwar statthaft, da sich das Verpflichtungsbegehren mit Inkrafttreten der Veränderungssperre erledigt habe. Er sei gleichwohl unzulässig, weil die Verpflichtungsklage unzulässig gewesen sei und weil die Klägerin kein berechtigtes Feststellungsinteresse habe. Die Untätigkeitsklage sei unzulässig gewesen, weil die Beklagte einen zureichenden Grund für ihre Untätigkeit gehabt habe. Denn die ihr nach der Landesbauordnung eingeräumte zweimonatige Entscheidungsfrist sei bei Inkrafttreten der Veränderungssperre noch nicht abgelaufen gewesen. Diese Frist habe erst mit Eingang der Stellungnahme des Landratsamtes am 13.10.2009 zu laufen begonnen. Die Beklagte habe die Entscheidungsfrist ausschöpfen dürfen. Das sei ein besonderer Umstand i. S. des § 75 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO. Die Beklagte sei auch nicht zu einer früheren Anhörung der Behörden verpflichtet gewesen. Zwar verlange die Landesbauordnung die unverzügliche Einleitung der Anhörung nach vollständigem Eingang des Bauantrags und der Bauvorlagen. Dies bedeute ohne schuldhaftes Zögern. Es sei der Behörde aber nicht verwehrt, den Bauherrn zunächst auf rechtliche Bedenken hinzuweisen. Denn ziehe dieser den Bauantrag zurück, könnten Kosten gespart werden, was seinem Interesse diene. Bestehe er auf einer Entscheidung, könne es sachgerecht sein, das Verfahren nun zu betreiben. Zwar dürfe die Behörde es dann nicht mutwillig verzögern. Auch könne sie gehalten sein, die Verzögerung auszugleichen. Die Beklagte habe das Verfahren aber nicht mutwillig verzögert. Zwar habe sie erst am 16.09.2009 mit der Anhörung begonnen. Sie habe den beteiligten Stellen aber eine relativ knappe Frist von einem Monat gesetzt und das Verfahren zügig betrieben. Das Feststellungsinteresse fehle wegen der verfrühten Untätigkeitsklage ebenfalls. Die Klägerin hätte nach Inkrafttreten der Veränderungssperre und Ablehnung des Bauantrags beim Zivilgericht Schadensersatzklage erheben können. Die Klage sei aber auch unbegründet. Die Beklagte sei bei Inkrafttreten der Veränderungssperre mangels Ablaufs der Entscheidungsfrist nicht zur Erteilung einer Baugenehmigung verpflichtet gewesen. Darauf, ob der Bauantrag damals genehmigungsfähig gewesen sei, komme es daher nicht an.
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Zur Begründung ihrer vom Senat zugelassenen Berufung legt die Klägerin im Wesentlichen dar: Sie habe nach Ablauf der dreimonatigen Sperrfrist zulässig Untätigkeitsklage erhoben. Das Vorliegen eines zureichenden Grundes i. S. des § 75 Satz 3 VwGO ändere daran nichts. Die Klage sei mit dem Feststellungsantrag auch begründet. Die Entscheidungsfrist sei bei Klageerhebung abgelaufen gewesen. Diese Frist habe mit Eingang des vollständigen Bauantrags am 22.07.2009 zu laufen begonnen. Die Beklagte habe gerade wegen der vorangegangenen Genehmigungsverfahren der Klägerin und ihrer "Schwestergesellschaften" sofort mit der Bearbeitung begonnen. Ihr Schreiben vom 19.08.2009 fordere nicht zur Ergänzung oder Änderung unvollständiger Bauvorlagen auf, sondern interpretiere nur den Bauantrag falsch. Die Entscheidungsfrist sei daher am 22.09.2009 abgelaufen. Bis zum Inkrafttreten der Veränderungssperre sei ihr Vorhaben genehmigungsfähig gewesen.
11 
Die Klägerin beantragt,
12 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 16.02.2010 - 6 K 4127/09 - zu ändern und festzustellen, dass die Unterlassung der Beklagten, der Klägerin eine Baugenehmigung gemäß ihrem Bauantrag vom 06.07.2009 zu erteilen, vor dem 06.11.2009 rechtswidrig gewesen ist.
13 
Die Beklagte beantragt,
14 
die Berufung zurückzuweisen.
15 
Sie erwidert: Die dreimonatige Sperrfrist nach § 75 VwGO habe erst mit Eingang des Schreibens der Klägerin vom 31.08.2009 zu laufen begonnen. Jedenfalls sei die weitere Zulässigkeitsvoraussetzung nach § 75 Satz 2 VwGO nicht erfüllt gewesen, weil über den Bauantrag mit zureichendem Grund noch nicht entschieden worden sei. Dieser Grund liege darin, dass die Entscheidungsfrist nach der Landesbauordnung selbst bei früherer Einleitung der Anhörung frühestens am 12.11.2009 geendet hätte. Die Anhörung müsse erst nach Ablauf einer Frist von zehn Arbeitstagen zur Prüfung des Bauantrags und der Bauvorlagen auf Vollständigkeit unverzüglich eingeleitet werden. Dafür stünden weitere drei bis fünf Arbeitstage zur Verfügung. Demzufolge hätte die Anhörung frühestens 15 Arbeitstage nach dem 22.07.2009, also am 12.08.2009 eingeleitet sein müssen. Bei einer angemessenen einmonatigen Anhörungsfrist hätte die zweimonatige Entscheidungsfrist danach frühestens am 12.09.2009 begonnen. Abgesehen davon sei der Bauantrag erst mit Eingang des Schreibens der Klägerin vom 31.08.2009 vollständig gewesen. Der Feststellungsantrag sei auch unbegründet. Das Vorhaben sei auch vor Inkrafttreten der Veränderungssperre nicht genehmigungsfähig gewesen.
16 
Wegen Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die dem Senat vorliegenden Bau- und Bebauungsplanakten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
A.
17 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Klage ist zwar entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts zulässig (I.). Sie ist jedoch unbegründet. Der Senat kann die begehrte Feststellung nicht treffen. Denn die Unterlassung der Beklagten, der Klägerin eine Baugenehmigung gemäß ihrem Bauantrag vom 06.07.2009 zu erteilen, ist vor dem 06.11.2009 nicht rechtswidrig gewesen, wobei sich dies noch nach der Landesbauordnung vom 08.08.1995 (GBl. S. 617) vor Inkrafttreten des Änderungsgesetzes vom 10.11.2009 (GBl. S. 615) beurteilt - LBO a.F. - (II.).
I.
18 
Die zunächst mit einem Verpflichtungsbegehren erhobene und später nur noch mit einem Feststellungsantrag fortgesetzte Klage ist entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft und auch sonst zulässig.
19 
Hat sich ein angefochtener Verwaltungsakt nach Klageerhebung durch Zurücknahme oder anders erledigt, spricht das Gericht nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Ein solcher Feststellungsantrag ist in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO auch bei Erledigung eines Verpflichtungsbegehrens statthaft (BVerwG, Urteil vom 06.09.1962 - VIII C 78.60 - NJW 1963, 553, seither st. Rspr.), und zwar auch dann, wenn - wie hier - das Verpflichtungsbegehren als Untätigkeitsklage erhoben worden ist (BVerwG, Urteil vom 27.03.1998 - 4 C 14.96 - BVerwGE 106, 295). Der Übergang zum Feststellungsantrag ist, soweit der Klagegrund unverändert bleibt, nicht als Klageänderung anzusehen (§ 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 3 ZPO; BVerwG, Urteil vom 22.05.1987 - 4 C 77.84 - NVwZ 1987, 1074, juris Rn. 13). Der Feststellungsantrag ist aber nur zulässig, wenn die ursprüngliche Verpflichtungsklage zulässig gewesen ist, nach Rechtshängigkeit ein erledigendes Ereignis eingetreten ist, ein klärungsfähiges Rechtsverhältnis besteht und der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat (BVerwG, Urteil vom 28.04.1999 - 4 C 4.98 - BVerwGE 109, 74 und Senatsurteil vom 22.03.2010 - 8 S 3293/08 - DVBl. 2010, 717 jeweils m.w.N., st. Rspr.). Alle vier Voraussetzungen sind erfüllt.
20 
1. Die ursprüngliche Verpflichtungsklage war ohne vorherigen Erlass einer Entscheidung der Beklagten über den Bauantrag der Klägerin nach Ablauf der dreimonatigen Sperrfrist gemäß § 75 Satz 2 VwGO zulässig. Die Sperrfrist begann mit dem Eingang des Bauantrags bei der Beklagten am 22.07.2009 und endete am 22.10.2009 und damit vor dem Eingang der Klage beim Verwaltungsgericht am 05.11.2009.
21 
Anhaltspunkte dafür, dass der Bauantrag die für den Beginn der Sperrfrist erforderlichen Angaben und Unterlagen nicht enthielt, die die Baurechtsbehörde für eine Sachentscheidung über einen Bauantrag benötigt und wie sie § 52 LBO a.F. und die nach § 73 LBO a.F. erlassene Verfahrensordnung zur Landesbauordnung (LBOVVO a.F.) konkretisierten (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.02.2003 - 5 S 1279/01 - BauR 2003, 1345, juris Rn. 24), sind nicht ersichtlich. Die Beklagte hat insbesondere nicht i. S. des § 54 Abs. 1 Satz 2 LBO a.F. auf eine Unvollständigkeit oder sonstige erhebliche Mängel des Bauantrags oder der Bauvorlagen hingewiesen. Mit ihrem Schreiben an die Klägerin vom 19.08.2009 hat sie vielmehr auf die ihrer Ansicht nach mangelnde Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens hingewiesen und die Ablehnung des Bauantrags in der Sache angekündigt. Der Einwand der Beklagten in der Berufungsverhandlung, ungeachtet dieser Verfahrensweise seien Bauantrag und Bauvorlagen i. S. des § 54 Abs. 1 Satz 2 LBO a.F. objektiv mangelhaft gewesen, geht fehl. Die Beklagte meint, wegen der im Grundriss des Erdgeschosses in der Wand zur vorhandenen Spielhalle eingezeichneten Tür zwischen beiden Spielhallen sei unter Berücksichtigung der früheren Genehmigungsverfahren sowie der Einreichung des neuen Bauantrags der Klägerin durch die Firma ... ohne ergänzende Angaben unklar gewesen, ob eine neue Spielhalle als selbständiges Vorhaben der Klägerin oder ob eine Erweiterung der vorhandenen Spielhalle der Firma ... Gegenstand des Bauantrags sei. Das trifft nicht zu. Bauantrag und Bauvorlagen waren in dieser Hinsicht von vornherein hinreichend klar und bestimmt. Sowohl im Bauantrag als auch in der ihm beigefügten Baubeschreibung werden als "Bauherr" allein die Klägerin angegeben und als "Bauvorhaben" nur die "Nutzungsänderung eines Cafés in ein Freizeit- und Eventcenter" bezeichnet, nicht aber die Erweiterung der vorhandenen Spielhalle. Ebenso eindeutig sind die entsprechenden Angaben in der "Beschreibung der Betriebsstätte" (Anlage zur Baubeschreibung). Die verfahrensrechtliche Vorgeschichte sowie die Tatsachen, dass der Bauantrag von einer "Schwestergesellschaft" der Klägerin als Inhaberin der angrenzenden Spielhalle unter Hinweis auf deren unzureichende Wirtschaftlichkeit eingereicht wurde und dass in der Bauvorlage zwischen beiden Spielhallen eine Tür eingezeichnet ist, konnten nach der Rechtsansicht der Beklagten vielleicht Zweifel an der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens begründen (vgl. das Schreiben der Beklagten an die Klägerin vom 19.08.2009). Sie ließen aber keinen Zweifel daran zu, dass sich Bauantrag und Bauvorlagen allein auf ein neues selbständiges Vorhaben der Klägerin bezogen und nur ein solches Vorhaben zur Genehmigung gestellt sein sollte.
22 
Ob die Beklagte nach Eingang des vollständigen Bauantrags einen zureichenden Grund für ihre Untätigkeit hatte, ist für die Zulässigkeit der nach Ablauf der dreimonatigen Sperrfrist erhobenen Untätigkeitsklage unerheblich (BVerwG, Urteil vom 23.03.1973 - IV C 2.71 - BVerwGE 42, 108 <112>, juris Rn. 25 ff.). Bei Vorliegen eines zureichenden Grundes hat vielmehr das Gericht gemäß § 75 Satz 3 VwGO der Verwaltungsbehörde eine Frist zur Entscheidung über den beantragten Verwaltungsakt zu setzen (BVerwG, Urteil vom 22.05.1987 - 4 C 30.86 - NVwZ 1987, 969, juris Rn. 12), was hier aber nach Erlass des Ablehnungsbescheids der Beklagten vom 10.11.2009 nicht mehr in Betracht kam. Aus dem Urteil des 5. Senats des erkennenden Gerichtshofs vom 27.02.2003 (a.a.O.) folgt entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nichts Anderes. Soweit darin die zweimonatige Entscheidungsfrist nach § 54 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO a.F. als "besonderer Umstand" i. S. des § 75 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO erwogen wird (a.a.O., juris Rn. 27), betrifft das nur eine mögliche Verkürzung der gesetzlichen Sperrfrist von drei Monaten. Eine Verlängerung dieser Sperrfrist wegen eines "besonderen Umstands" sieht § 75 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO gerade nicht vor.
23 
2. Es ist auch nach Rechtshängigkeit ein erledigendes Ereignis eingetreten.
24 
Ein Verpflichtungsbegehren ist i. S. des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erledigt, wenn es nach Klageerhebung aus dem Kläger nicht zurechenbaren Gründen unzulässig oder unbegründet wurde, insbesondere aufgrund einer nachträglichen Änderung der Sach- oder Rechtslage (BVerwG, Urteil vom 30.06.2011 - 4 C 10.10 - NVwZ 2012, 51 m.w.N.). Bei einer Rechtsänderung ist aber nicht erforderlich, dass sich das Verpflichtungsbegehren auch im strengen Sinne des Wortes "erledigt" hat. Denn diese Tatsache ändert nichts an der grundlegenden Wendung, die das Verfahren infolge der Rechtsänderung nimmt und die Interessenlage kennzeichnet, welche die entsprechende Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 rechtfertigt (BVerwG, Urteil vom 24.10.1980 - 4 C 3.78 - BVerwGE 61, 128 <135>). Das Inkrafttreten einer Satzung über eine Veränderungssperre (§ 14 BauGB) ist eine Rechtsänderung, die wegen der materiell-rechtlichen Wirkung der Veränderungssperre (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BauGB) zum Erlöschen eines Baugenehmigungsanspruchs (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.12.1971 - 4 C 32.69 - BRS 24 Nr. 148 S. 221 <224>, juris Rn. 33) und damit auch zur Erledigung eines Verpflichtungsbegehrens i. S. einer grundlegenden Wendung des Verfahrens führen kann. Voraussetzung ist allerdings, dass die Satzung rechtswirksam ist (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.02.2003, a.a.O, juris Rn. 20).
25 
Ausgehend davon hat sich der mit der Klage behauptete Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung gemäß den Festsetzungen des Bebauungsplans "Ehemalige Filzfabriken, 1. Änderung“ der Beklagten vom 25.01.1996 nach Rechtshängigkeit aus der Klägerin nicht zurechenbaren Gründen mit Inkrafttreten der Satzung über eine Veränderungssperre für das Plangebiet vom 22.10.2009 am 06.11.2009 erledigt. Denn nach § 2 Abs. 1 dieser Satzung dürfen Vorhaben i. S. des § 29 BauGB nicht mehr durchgeführt werden. Die Nutzungsänderung einer baulichen Anlage ist ein solches Vorhaben (§ 29 Abs. 1 BauGB). Anhaltspunkte für die Unwirksamkeit dieser Satzung oder für einen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahme von der Veränderungssperre nach § 14 Abs. 2 BauGB sind weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Die Erledigung ist auch nach Rechtshängigkeit eingetreten. Denn die Rechtshängigkeit beginnt bereits mit der Erhebung der Klage (§ 90 VwGO). Das war der 05.11.2009 und damit einen Tag vor Eintritt des erledigenden Ereignisses. Auf den späteren Zeitpunkt der Zustellung der Klage beim Beklagten (10.11.2009) kommt es nicht an.
26 
3. Schließlich sind auch die beiden weiteren Voraussetzungen erfüllt. Für den Feststellungsantrag liegt ein klärungsfähiges Rechtsverhältnis vor (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.04.1999, a.a.O., juris Rn. 14 m.w.N.). Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung. Zur Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses ist die gewählte Klageform geeignet. Dass im Streitfall eine derartige Klage von vornherein als aussichtslos zu gelten hätte, lässt sich nicht sagen (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.04.1999, a.a.O., juris Rn. 14 m.w.N.). Das Feststellungsinteresse ist auch nicht etwa wegen "verfrühter" Klageerhebung unberechtigt. Denn die Klage war aus den oben dargelegten Gründen ohne vorangehende Entscheidung über der Bauantrag als Untätigkeitsklage zulässig. Die vom Verwaltungsgericht zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Nichtvorliegen eines berechtigten Interesses wegen der Absicht eines Amtshaftungsprozesses bei Erledigung vor Klageerhebung (Urteil vom 20.01.1981 - 8 C 30.87 - BVerwGE 81, 226 und Beschluss vom 09.05.1989 - 1 B 166.88 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 202) ist nicht einschlägig, weil das erledigende Ereignis erst nach Klageerhebung eingetreten ist. Dass dies lediglich einen Tag nach Klageerhebung und damit zu einem Zeitpunkt war, als das Klageverfahren gerade erst begonnen hatte, ist unerheblich. Für das mit der Absicht eines Amtshaftungsprozesses begründete berechtigte Feststellungsinteresse genügt es, dass die Klägerin ihre auf Erteilung der Baugenehmigung gerichtete Verpflichtungsklage vor Inkrafttreten der Veränderungssperre erhoben und damit das Verfahren gemäß § 75 VwGO in zulässiger Weise begonnen hatte (BVerwG, Urteil vom 27.03.1998, a.a.O., juris Rn. 18).
II.
27 
Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Unterlassung der Beklagten, der Klägerin eine Baugenehmigung gemäß ihrem Bauantrag vom 06.07.2009 zu erteilen, ist vor dem 06.11.2009 nicht rechtswidrig gewesen. Die Beklagte war damals schon deshalb nicht zur Erteilung der Baugenehmigung verpflichtet, weil die in der Landesbauordnung bestimmte Frist zur Entscheidung über den Bauantrag, welche die Baurechtsbehörde voll ausschöpfen darf, zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen war. Ob das Vorhaben genehmigungsfähig war, kann der Senat daher offen lassen.
28 
1. Die Baurechtsbehörde ist vor Ablauf der Entscheidungsfrist nach § 54 Abs. 4 LBO a.F. (jetzt § 54 Abs. 5 LBO) nicht zur Erteilung einer Baugenehmigung verpflichtet. Der Landesgesetzgeber hat mit der am 01.01.1996 in Kraft getretenen Fristenregelung in § 54 LBO im Interesse sowohl des Bauherrn als auch der Baurechtsbehörde an einer einfachen, zweckmäßigen und zügigen Durchführung des Baugenehmigungsverfahrens (vgl. § 10 Satz 2 LVwVfG; LT-Drs. 11/5337, S. 115) die Höchstdauer für eine formell ordnungsgemäße Bearbeitung des Bauantrags und eine sachgerechte Entscheidung darüber normativ konkretisiert. Die formell ordnungsgemäße Bearbeitung umfasst die Prüfung des Bauantrags und der Bauvorlagen auf Vollständigkeit innerhalb von zehn Arbeitstagen mit einer eventuell anschließenden individuellen Frist zur Mängelbeseitigung (§ 54 Abs. 1 LBO a.F.), die Mitteilung an den Bauherrn über Eingang des Bauantrags und voraussichtlichen Entscheidungszeitpunkt (§ 54 Abs. 2 Nr. 1 LBO a.F.) sowie eine bis zu zwei Monate, ausnahmsweise auch einen Monat länger dauernde Anhörung der Gemeinde und berührter Stellen (§ 54 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 und Abs. 5 LBO a.F.). Daran schließt sich eine Entscheidungsfrist von einem Monat bei Wohngebäuden, zugehörigen Stellplätzen, Garagen und Nebenanlagen (§ 14 BauNVO) oder von zwei Monaten bei sonstigen Vorhaben an (§ 54 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 2 LBO a.F.). Die Entscheidungsfrist beginnt, sobald die vollständigen Bauvorlagen und alle für die Entscheidung notwendigen Stellungnahmen und Mitwirkungen vorliegen, spätestens jedoch nach Ablauf der Anhörungsfrist (§ 54 Abs. 4 Satz 2 LBO a.F.). Die Baurechtsbehörde darf die Entscheidungsfrist voll ausschöpfen (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.02.2003, a.a.O., juris Rn. 32). Vor ihrem Ablauf ist ein Genehmigungsanspruch gleichsam noch nicht "fällig". Ob ein Bauantrag im Einzelfall schon vor Ablauf der Entscheidungsfrist objektiv entscheidungsreif und genehmigungsfähig ist, ist daher jedenfalls öffentlich-rechtlich unerheblich (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.02.2003, a.a.O., juris Rn. 32). Mit ihrer Anknüpfung an die Anhörung (vgl. § 54 Abs. 4 Satz 2 LBO a.F.) bezweckt die Entscheidungsfrist mittelbar auch, der anzuhörenden Gemeinde zu ermöglichen, auf ein Bauvorhaben, das nach der bestehenden Rechtslage zulässig, von ihr aber nicht erwünscht ist, mit (Sicherungs-)Maßnahmen der Bauleitplanung zu reagieren (vgl. BGH, Urteil vom 23.01.1992 - III ZR 191/90 - NVwZ 1993, 293 m.w.N.). Mit diesen Zielsetzungen ist § 54 LBO auch mit verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung präventiver Erlaubnisvorbehalte zur Grundrechtsausübung (vgl. BVerfG, Urteil vom 05.08.1966 - 1 BvF 1/61 - BVerfGE 20, 150, juris Rn. 18 ff.; Beschluss vom 12.06.1979 - 1 BvL 19/76 - BVerfGE 52, 1, juris Rn. 149) als Inhalts- und Schrankenbestimmung der Baufreiheit nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 GG vereinbar.
29 
Für den Ablauf der Entscheidungsfrist ist im Einzelfall unerheblich, welches Datum die Baurechtsbehörde in ihrer Mitteilung gegenüber dem Bauherrn (§ 54 Abs. 2 Nr. 1 LBO a.F.) angegeben hat. § 54 Abs. 4 LBO a.F. regelt Beginn und Dauer der Entscheidungsfrist abschließend, ohne an das nach § 54 Abs. 2 Nr. 1 LBO a.F. mitgeteilte Datum anzuknüpfen. Die Mitteilung der Baurechtsbehörde ist kein Verwaltungsakt, insbesondere keine Zusicherung (§ 38 LVwVfG), sondern eine Auskunft ohne Rechtsbindungswille (Wissenserklärung). Für die Dauer der Entscheidungsfrist kommt es allein auf die Erfüllung der Voraussetzungen nach § 54 Abs. 4 LBO a.F. an. Es ist daher unerheblich, dass die Beklagte in ihrem Schreiben an die Klägerin vom 16.09.2009 als "Datum der voraussichtlichen Entscheidung" mit dem "30.10.2009" einen Zeitpunkt vor Inkrafttreten der Veränderungssperre angegeben hat.
30 
2. Die gesetzliche Entscheidungsfrist betrug im vorliegenden Fall zwei Monate (§ 54 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO a.F.) und war bei Inkrafttreten der Veränderungssperre am 06.11.2009 noch nicht abgelaufen.
31 
a) Nach § 54 Abs. 4 Satz 2 LBO a.F. beginnt die Entscheidungsfrist, sobald die vollständigen Bauvorlagen und alle für die Entscheidung notwendigen Stellungnahmen und Mitwirkungen vorliegen, spätestens jedoch nach Ablauf der gemäß § 54 Abs. 3 LBO a.F. bestimmten Anhörungsfrist. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein. Dabei kommt es im Grundsatz auf den tatsächlichen Ablauf des konkreten Verfahrens an. Wegen der Abhängigkeit des Beginns der Entscheidungsfrist von der Anhörung setzt die Vorschrift insoweit aber auch voraus, dass die Anhörung i. S. des § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. "unverzüglich" nach dem Ende der Prüfungsfrist (§ 54 Abs. 1 LBO a.F.) eingeleitet worden ist. Denn andernfalls hätte die Baurechtsbehörde es bei rechtswidriger Verzögerung der Anhörung in der Hand, Beginn und Ende der Entscheidungsfrist und damit auch die rechtliche Durchsetzbarkeit des Genehmigungsanspruchs über die gesetzlichen Zeitvorgaben hinaus zu steuern. Das widerspräche Sinn und Zweck der gesetzlichen Fristenregelung. Leitet die Baurechtsbehörde die Anhörung nach § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. nicht “unverzüglich“ ein, darf der Beginn der Entscheidungsfrist folglich nicht nach dem tatsächlichen Ablauf des konkreten Verfahrens, sondern er muss hypothetisch bestimmt werden. Die Entscheidungsfrist beginnt in diesem Falle analog § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 LBO a.F. (jetzt § 54 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 LBO) nach Ablauf einer angemessenen Anhörungsfrist ab hypothetisch unverzüglicher Einleitung der Anhörung. Entgegen der Ansicht der Klägerin kann insoweit nicht auch alternativ entsprechend § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 LBO a.F. auf einen mutmaßlich früheren Zeitpunkt des Eingangs erforderlicher Mitwirkungen und Stellungnahmen von Behörden abgestellt und insoweit berücksichtigt werden, dass dies auch im tatsächlichen Ablauf des Verfahren so geschehen ist. Denn dass alle Mitwirkungen und Stellungnahmen auch bei nicht rechtswidrig verzögerter Anhörung ebenfalls vor Ablauf der Anhörungsfrist eingegangen wären, ist bloße Spekulation. Dafür ist bei einer Bestimmung des Beginns der Entscheidungsfrist nach § 54 Abs. 4 LBO a.F. schon aus Gründen der Rechtssicherheit kein Raum.
32 
b) Gemessen daran gilt hier Folgendes:
33 
Nach dem tatsächlichen Ablauf des Verfahrens hätte die Entscheidungsfrist frühestens am 09.10.2009 zu laufen begonnen. Denn alle notwendigen Stellungnahmen und Mitwirkungen lagen der Beklagten erst mit Eingang der letzten Stellungnahme des Landratsamts am 09.10.2009 (per E-Mail) vor Ablauf der bis zum 16.10.2009 bestimmten Anhörungsfrist vollständig vor. Die zweimonatige Entscheidungsfrist wäre danach erst Mitte Dezember 2009 und damit nach dem 06.11.2009 abgelaufen. Ihr Beginn richtet sich aber nicht nach dem tatsächlichen Ablauf des Verfahrens, weil die Beklagte die Anhörung nicht gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. "unverzüglich" eingeleitet hat (aa)). Aber auch bei der daher gebotenen hypothetischen Bestimmung analog § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 LBO a.F. begann die Entscheidungsfrist frühestens am 08.09.2009 und lief damit ebenfalls erst nach dem 06.11.2009 ab (bb)).
34 
aa) Nach § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. hat die Baurechtsbehörde die Gemeinde und die berührten Stellen nach § 53 Abs. 2 LBO a.F. unverzüglich zu hören, sobald der Bauantrag und die Bauvorlagen vollständig sind. Die Formulierung "sobald der Bauantrag und die Bauvorlagen vollständig sind" knüpft erkennbar nicht an den bloßen Eingang dieser Unterlagen bei der Baurechtsbehörde, sondern an das Ende der amtlichen Prüfung nach § 54 Abs. 1 LBO a.F. an. Die Baurechtsbehörde darf daher zunächst die zehn Arbeitstage umfassende Prüfungsfrist nach § 54 Abs. 1 Satz 1 LBO a.F. ausschöpfen, bevor sie zur unverzüglichen Einleitung der Anhörung verpflichtet ist. Würde bei der Berechnung der Entscheidungsfrist ex post darauf abgestellt, dass Bauantrag und Bauvorlagen objektiv gesehen schon am Tag ihres Eingangs bei der Baurechtsbehörde vollständig waren, wäre diese Prüfungsfrist im Ergebnis sinnlos.
35 
Das an den Ablauf dieser amtlichen Prüfung anknüpfende Gebot zur "unverzüglichen" Einleitung der Anhörung verlangt ein behördliches Handeln ohne schuldhaftes Zögern (vgl. § 121 BGB). In Anlehnung an Zeitvorgaben des Gesetzgebers für ähnliche bürokratische Vorgänge (§ 53 Abs. 3 und 5, § 55 Abs. 1 LBO a.F.) dürfte dafür im Regelfall eine Zeitspanne von drei bis fünf Arbeitstagen genügen. Konkrete Umstände des Einzelfalles können aber auch einen anderen zeitlichen Rahmen rechtfertigen (vgl. Sauter, LBO, Kommentar, 3. Auflage, § 54 Rn. 9). Rechtliche Bedenken der zuständigen Baurechtsbehörde an der Genehmigungsfähigkeit eines Vorhabens rechtfertigen eine Verzögerung der Anhörung allerdings nicht. Die Einschätzung der Behörde, das Vorhaben sei nicht genehmigungsfähig, mag zwar einen Hinweis gegenüber dem Bauherrn nahelegen, um ihm die Möglichkeit zur Darlegung seines Rechtsstandpunktes oder zur Rücknahme des Bauantrags und zu einer damit einhergehenden Kostenersparnis einzuräumen. Sie ist aber kein sachlicher Grund, vorläufig von der nach § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. zwingend und ohne Ausnahme gebotenen Anhörung abzusehen, deren Ablauf den Beginn der Entscheidungsfrist und damit die rechtliche Durchsetzbarkeit des Genehmigungsanspruchs des Bauherrn steuert. Zudem dienen die Beteiligung der Gemeinde und die Anhörung der berührten Stellen (§ 53 Abs. 2 LBO a.F.) gerade - auch - dazu, den entscheidungserheblichen Sachverhalt zur Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens von Amts wegen aufzuklären (§ 24 LVwVfG). Rechtliche Bedenken können dadurch gegebenenfalls auch ausgeräumt werden. Schließlich ist zu bedenken, dass andernfalls der Beginn der Entscheidungsfrist mittelbar von der subjektiven behördlichen Einschätzung über die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens abhinge. Das wäre mit Sinn und Zweck des strikten Fristenregimes nach § 54 LBO nicht zu vereinbaren. Ein Absehen von der Anhörung im "wohlverstandenen (Kosten-)Interesse" des Bauherrn widerspräche zudem mittelbar § 54 Abs. 4 Satz 3 LBO a.F., wonach die Entscheidungsfrist nicht zur Disposition des Bauherrn steht.
36 
Ausgehend davon war die Beklagte frühestens am Tag nach Ablauf der Prüfungsfrist von zehn Arbeitstagen (§ 54 Abs. 1 Satz 1 LBO a.F.) seit Eingang des vollständigen (s.o. I.1.) Bauantrags am 22.07.2009 zur unverzüglichen Anhörung verpflichtet. Dies war Donnerstag, der 06.08.2009 (vgl. § 31 Abs. 1 LVwVfG i.V.m. § 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 BGB). Tatsächlich eingeleitet hat sie die Anhörung erst am 16.09.2009. Diese Verzögerung überschreitet die im Regelfall insoweit allenfalls angemessene Zeitspanne von drei bis fünf Arbeitstagen ganz erheblich. Sie ist auch schuldhaft. Die Beklagte beruft sich insoweit ausschließlich auf die von ihrer Baurechtsbehörde im Schreiben an die Klägerin vom 19.08.2009 mitgeteilten rechtlichen Bedenken an der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens und meint, sie habe wegen dieser Bedenken mit dem Beginn der Anhörung zuwarten dürfen. Das trifft, wie oben dargelegt, nicht zu. Auch Anhaltspunkte für die von der Beklagten in der Berufungsverhandlung ergänzend behauptete Mangelhaftigkeit des Bauantrags wegen Unbestimmtheit gab es nicht (s.o. I.1.). Abgesehen davon hätte die Beklagte in diesem Falle nach § 54 Abs. 1 Satz 2 LBO a.F. verfahren und der Klägerin eine Frist zur Mängelbeseitigung setzen müssen. Im Übrigen wäre die hier eingetretene Verzögerung selbst dann schuldhaft, wenn materiell-rechtliche Bedenken der Baurechtsbehörde eine Verzögerung der Anhörung durch einen Hinweis gegenüber dem Bauherrn rechtfertigen könnten. Denn in diesem Falle müsste ein entsprechender Hinweis gegenüber dem Bauherrn jedenfalls unverzüglich nach Ablauf der Prüfungsfrist (§ 54 Abs.1 Satz 1 LBO a.F.) mit knapper Äußerungsfrist erteilt werden. Beides ist hier nicht geschehen. Der Hinweis wurde erst mit Schreiben vom 19.08.2009 und damit erst weitere zehn Arbeitstage nach Ablauf der zehntägigen Prüffrist und zudem mit mehr als dreiwöchiger Äußerungsfrist bis zum 15.09.2009 erteilt. Schließlich stand spätestens mit Eingang des Schriftsatzes der Klägerin vom 30.08.2009 am 01.09.2009 fest, dass die Klägerin auf einer Durchführung des Verfahrens bestand. Die Anhörung hätte danach bereits am 01.09.2009 eingeleitet werden müssen. Tatsächlich ist auch das erst am 16.09.2009 geschehen.
37 
Anhaltspunkte für sonstige Verzögerungsgründe sind nicht ersichtlich und auch nicht geltend gemacht.
38 
bb) Bei der daher gebotenen hypothetischer Bestimmung analog § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 LBO a.F. kann der Senat zugunsten der Klägerin unterstellen, dass die Beklagte bereits am Tag nach Ablauf der Prüfungsfrist von zehn Arbeitstagen seit Eingang des Bauantrags (22.07.2009), also am Freitag, dem 07.08.2009 zur Einleitung der Anhörung verpflichtet war, obwohl hierfür im Regelfall wohl drei bis fünf Arbeitstage anzusetzen sein dürften (s.o. aa)). Ferner ist insoweit von einer angemessenen Anhörungsfrist (§ 54 Abs. 3 Satz 1 LBO a.F.) von einem Monat auszugehen, die der damals vom Gesetzgeber unterstellten Regelfallfrist im gesetzlichen Rahmen von zwei Monaten entspricht (vgl. LT-Drs. 11/5337, S. 114; Schlotterbeck/von Arnim, LBO, Kommentar, 4. Auflage § 54 Rn. 15). Bei Einleitung der Anhörung am 07.08.2009 wäre diese Monatsfrist am Montag, dem 07.09.2009 abgelaufen. Die zweimonatige Entscheidungsfrist hätte analog § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 LBO a.F. am Tag danach, also am Dienstag, dem 08.09.2009, zu laufen begonnen und wäre frühestens am Montag, dem 09.11.2009 (§ 31 Abs. 1 und 3 LVwVfG i.V.m. § 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 BGB) und damit nach Inkrafttreten der Veränderungssperre abgelaufen.
B.
39 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
40 
Beschluss vom 19. Juni 2012
41 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 60.000,00 Euro festgesetzt (§ 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG, in Anlehnung an Nr. 1.3 i.V.m. Nr. 9.1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit Fassung Juli 2004, NVwZ 2004, 1327).
42 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

 
A.
17 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Klage ist zwar entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts zulässig (I.). Sie ist jedoch unbegründet. Der Senat kann die begehrte Feststellung nicht treffen. Denn die Unterlassung der Beklagten, der Klägerin eine Baugenehmigung gemäß ihrem Bauantrag vom 06.07.2009 zu erteilen, ist vor dem 06.11.2009 nicht rechtswidrig gewesen, wobei sich dies noch nach der Landesbauordnung vom 08.08.1995 (GBl. S. 617) vor Inkrafttreten des Änderungsgesetzes vom 10.11.2009 (GBl. S. 615) beurteilt - LBO a.F. - (II.).
I.
18 
Die zunächst mit einem Verpflichtungsbegehren erhobene und später nur noch mit einem Feststellungsantrag fortgesetzte Klage ist entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft und auch sonst zulässig.
19 
Hat sich ein angefochtener Verwaltungsakt nach Klageerhebung durch Zurücknahme oder anders erledigt, spricht das Gericht nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Ein solcher Feststellungsantrag ist in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO auch bei Erledigung eines Verpflichtungsbegehrens statthaft (BVerwG, Urteil vom 06.09.1962 - VIII C 78.60 - NJW 1963, 553, seither st. Rspr.), und zwar auch dann, wenn - wie hier - das Verpflichtungsbegehren als Untätigkeitsklage erhoben worden ist (BVerwG, Urteil vom 27.03.1998 - 4 C 14.96 - BVerwGE 106, 295). Der Übergang zum Feststellungsantrag ist, soweit der Klagegrund unverändert bleibt, nicht als Klageänderung anzusehen (§ 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 3 ZPO; BVerwG, Urteil vom 22.05.1987 - 4 C 77.84 - NVwZ 1987, 1074, juris Rn. 13). Der Feststellungsantrag ist aber nur zulässig, wenn die ursprüngliche Verpflichtungsklage zulässig gewesen ist, nach Rechtshängigkeit ein erledigendes Ereignis eingetreten ist, ein klärungsfähiges Rechtsverhältnis besteht und der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat (BVerwG, Urteil vom 28.04.1999 - 4 C 4.98 - BVerwGE 109, 74 und Senatsurteil vom 22.03.2010 - 8 S 3293/08 - DVBl. 2010, 717 jeweils m.w.N., st. Rspr.). Alle vier Voraussetzungen sind erfüllt.
20 
1. Die ursprüngliche Verpflichtungsklage war ohne vorherigen Erlass einer Entscheidung der Beklagten über den Bauantrag der Klägerin nach Ablauf der dreimonatigen Sperrfrist gemäß § 75 Satz 2 VwGO zulässig. Die Sperrfrist begann mit dem Eingang des Bauantrags bei der Beklagten am 22.07.2009 und endete am 22.10.2009 und damit vor dem Eingang der Klage beim Verwaltungsgericht am 05.11.2009.
21 
Anhaltspunkte dafür, dass der Bauantrag die für den Beginn der Sperrfrist erforderlichen Angaben und Unterlagen nicht enthielt, die die Baurechtsbehörde für eine Sachentscheidung über einen Bauantrag benötigt und wie sie § 52 LBO a.F. und die nach § 73 LBO a.F. erlassene Verfahrensordnung zur Landesbauordnung (LBOVVO a.F.) konkretisierten (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.02.2003 - 5 S 1279/01 - BauR 2003, 1345, juris Rn. 24), sind nicht ersichtlich. Die Beklagte hat insbesondere nicht i. S. des § 54 Abs. 1 Satz 2 LBO a.F. auf eine Unvollständigkeit oder sonstige erhebliche Mängel des Bauantrags oder der Bauvorlagen hingewiesen. Mit ihrem Schreiben an die Klägerin vom 19.08.2009 hat sie vielmehr auf die ihrer Ansicht nach mangelnde Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens hingewiesen und die Ablehnung des Bauantrags in der Sache angekündigt. Der Einwand der Beklagten in der Berufungsverhandlung, ungeachtet dieser Verfahrensweise seien Bauantrag und Bauvorlagen i. S. des § 54 Abs. 1 Satz 2 LBO a.F. objektiv mangelhaft gewesen, geht fehl. Die Beklagte meint, wegen der im Grundriss des Erdgeschosses in der Wand zur vorhandenen Spielhalle eingezeichneten Tür zwischen beiden Spielhallen sei unter Berücksichtigung der früheren Genehmigungsverfahren sowie der Einreichung des neuen Bauantrags der Klägerin durch die Firma ... ohne ergänzende Angaben unklar gewesen, ob eine neue Spielhalle als selbständiges Vorhaben der Klägerin oder ob eine Erweiterung der vorhandenen Spielhalle der Firma ... Gegenstand des Bauantrags sei. Das trifft nicht zu. Bauantrag und Bauvorlagen waren in dieser Hinsicht von vornherein hinreichend klar und bestimmt. Sowohl im Bauantrag als auch in der ihm beigefügten Baubeschreibung werden als "Bauherr" allein die Klägerin angegeben und als "Bauvorhaben" nur die "Nutzungsänderung eines Cafés in ein Freizeit- und Eventcenter" bezeichnet, nicht aber die Erweiterung der vorhandenen Spielhalle. Ebenso eindeutig sind die entsprechenden Angaben in der "Beschreibung der Betriebsstätte" (Anlage zur Baubeschreibung). Die verfahrensrechtliche Vorgeschichte sowie die Tatsachen, dass der Bauantrag von einer "Schwestergesellschaft" der Klägerin als Inhaberin der angrenzenden Spielhalle unter Hinweis auf deren unzureichende Wirtschaftlichkeit eingereicht wurde und dass in der Bauvorlage zwischen beiden Spielhallen eine Tür eingezeichnet ist, konnten nach der Rechtsansicht der Beklagten vielleicht Zweifel an der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens begründen (vgl. das Schreiben der Beklagten an die Klägerin vom 19.08.2009). Sie ließen aber keinen Zweifel daran zu, dass sich Bauantrag und Bauvorlagen allein auf ein neues selbständiges Vorhaben der Klägerin bezogen und nur ein solches Vorhaben zur Genehmigung gestellt sein sollte.
22 
Ob die Beklagte nach Eingang des vollständigen Bauantrags einen zureichenden Grund für ihre Untätigkeit hatte, ist für die Zulässigkeit der nach Ablauf der dreimonatigen Sperrfrist erhobenen Untätigkeitsklage unerheblich (BVerwG, Urteil vom 23.03.1973 - IV C 2.71 - BVerwGE 42, 108 <112>, juris Rn. 25 ff.). Bei Vorliegen eines zureichenden Grundes hat vielmehr das Gericht gemäß § 75 Satz 3 VwGO der Verwaltungsbehörde eine Frist zur Entscheidung über den beantragten Verwaltungsakt zu setzen (BVerwG, Urteil vom 22.05.1987 - 4 C 30.86 - NVwZ 1987, 969, juris Rn. 12), was hier aber nach Erlass des Ablehnungsbescheids der Beklagten vom 10.11.2009 nicht mehr in Betracht kam. Aus dem Urteil des 5. Senats des erkennenden Gerichtshofs vom 27.02.2003 (a.a.O.) folgt entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nichts Anderes. Soweit darin die zweimonatige Entscheidungsfrist nach § 54 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO a.F. als "besonderer Umstand" i. S. des § 75 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO erwogen wird (a.a.O., juris Rn. 27), betrifft das nur eine mögliche Verkürzung der gesetzlichen Sperrfrist von drei Monaten. Eine Verlängerung dieser Sperrfrist wegen eines "besonderen Umstands" sieht § 75 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO gerade nicht vor.
23 
2. Es ist auch nach Rechtshängigkeit ein erledigendes Ereignis eingetreten.
24 
Ein Verpflichtungsbegehren ist i. S. des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erledigt, wenn es nach Klageerhebung aus dem Kläger nicht zurechenbaren Gründen unzulässig oder unbegründet wurde, insbesondere aufgrund einer nachträglichen Änderung der Sach- oder Rechtslage (BVerwG, Urteil vom 30.06.2011 - 4 C 10.10 - NVwZ 2012, 51 m.w.N.). Bei einer Rechtsänderung ist aber nicht erforderlich, dass sich das Verpflichtungsbegehren auch im strengen Sinne des Wortes "erledigt" hat. Denn diese Tatsache ändert nichts an der grundlegenden Wendung, die das Verfahren infolge der Rechtsänderung nimmt und die Interessenlage kennzeichnet, welche die entsprechende Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 rechtfertigt (BVerwG, Urteil vom 24.10.1980 - 4 C 3.78 - BVerwGE 61, 128 <135>). Das Inkrafttreten einer Satzung über eine Veränderungssperre (§ 14 BauGB) ist eine Rechtsänderung, die wegen der materiell-rechtlichen Wirkung der Veränderungssperre (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BauGB) zum Erlöschen eines Baugenehmigungsanspruchs (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.12.1971 - 4 C 32.69 - BRS 24 Nr. 148 S. 221 <224>, juris Rn. 33) und damit auch zur Erledigung eines Verpflichtungsbegehrens i. S. einer grundlegenden Wendung des Verfahrens führen kann. Voraussetzung ist allerdings, dass die Satzung rechtswirksam ist (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.02.2003, a.a.O, juris Rn. 20).
25 
Ausgehend davon hat sich der mit der Klage behauptete Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung gemäß den Festsetzungen des Bebauungsplans "Ehemalige Filzfabriken, 1. Änderung“ der Beklagten vom 25.01.1996 nach Rechtshängigkeit aus der Klägerin nicht zurechenbaren Gründen mit Inkrafttreten der Satzung über eine Veränderungssperre für das Plangebiet vom 22.10.2009 am 06.11.2009 erledigt. Denn nach § 2 Abs. 1 dieser Satzung dürfen Vorhaben i. S. des § 29 BauGB nicht mehr durchgeführt werden. Die Nutzungsänderung einer baulichen Anlage ist ein solches Vorhaben (§ 29 Abs. 1 BauGB). Anhaltspunkte für die Unwirksamkeit dieser Satzung oder für einen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahme von der Veränderungssperre nach § 14 Abs. 2 BauGB sind weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Die Erledigung ist auch nach Rechtshängigkeit eingetreten. Denn die Rechtshängigkeit beginnt bereits mit der Erhebung der Klage (§ 90 VwGO). Das war der 05.11.2009 und damit einen Tag vor Eintritt des erledigenden Ereignisses. Auf den späteren Zeitpunkt der Zustellung der Klage beim Beklagten (10.11.2009) kommt es nicht an.
26 
3. Schließlich sind auch die beiden weiteren Voraussetzungen erfüllt. Für den Feststellungsantrag liegt ein klärungsfähiges Rechtsverhältnis vor (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.04.1999, a.a.O., juris Rn. 14 m.w.N.). Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung. Zur Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses ist die gewählte Klageform geeignet. Dass im Streitfall eine derartige Klage von vornherein als aussichtslos zu gelten hätte, lässt sich nicht sagen (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.04.1999, a.a.O., juris Rn. 14 m.w.N.). Das Feststellungsinteresse ist auch nicht etwa wegen "verfrühter" Klageerhebung unberechtigt. Denn die Klage war aus den oben dargelegten Gründen ohne vorangehende Entscheidung über der Bauantrag als Untätigkeitsklage zulässig. Die vom Verwaltungsgericht zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Nichtvorliegen eines berechtigten Interesses wegen der Absicht eines Amtshaftungsprozesses bei Erledigung vor Klageerhebung (Urteil vom 20.01.1981 - 8 C 30.87 - BVerwGE 81, 226 und Beschluss vom 09.05.1989 - 1 B 166.88 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 202) ist nicht einschlägig, weil das erledigende Ereignis erst nach Klageerhebung eingetreten ist. Dass dies lediglich einen Tag nach Klageerhebung und damit zu einem Zeitpunkt war, als das Klageverfahren gerade erst begonnen hatte, ist unerheblich. Für das mit der Absicht eines Amtshaftungsprozesses begründete berechtigte Feststellungsinteresse genügt es, dass die Klägerin ihre auf Erteilung der Baugenehmigung gerichtete Verpflichtungsklage vor Inkrafttreten der Veränderungssperre erhoben und damit das Verfahren gemäß § 75 VwGO in zulässiger Weise begonnen hatte (BVerwG, Urteil vom 27.03.1998, a.a.O., juris Rn. 18).
II.
27 
Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Unterlassung der Beklagten, der Klägerin eine Baugenehmigung gemäß ihrem Bauantrag vom 06.07.2009 zu erteilen, ist vor dem 06.11.2009 nicht rechtswidrig gewesen. Die Beklagte war damals schon deshalb nicht zur Erteilung der Baugenehmigung verpflichtet, weil die in der Landesbauordnung bestimmte Frist zur Entscheidung über den Bauantrag, welche die Baurechtsbehörde voll ausschöpfen darf, zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen war. Ob das Vorhaben genehmigungsfähig war, kann der Senat daher offen lassen.
28 
1. Die Baurechtsbehörde ist vor Ablauf der Entscheidungsfrist nach § 54 Abs. 4 LBO a.F. (jetzt § 54 Abs. 5 LBO) nicht zur Erteilung einer Baugenehmigung verpflichtet. Der Landesgesetzgeber hat mit der am 01.01.1996 in Kraft getretenen Fristenregelung in § 54 LBO im Interesse sowohl des Bauherrn als auch der Baurechtsbehörde an einer einfachen, zweckmäßigen und zügigen Durchführung des Baugenehmigungsverfahrens (vgl. § 10 Satz 2 LVwVfG; LT-Drs. 11/5337, S. 115) die Höchstdauer für eine formell ordnungsgemäße Bearbeitung des Bauantrags und eine sachgerechte Entscheidung darüber normativ konkretisiert. Die formell ordnungsgemäße Bearbeitung umfasst die Prüfung des Bauantrags und der Bauvorlagen auf Vollständigkeit innerhalb von zehn Arbeitstagen mit einer eventuell anschließenden individuellen Frist zur Mängelbeseitigung (§ 54 Abs. 1 LBO a.F.), die Mitteilung an den Bauherrn über Eingang des Bauantrags und voraussichtlichen Entscheidungszeitpunkt (§ 54 Abs. 2 Nr. 1 LBO a.F.) sowie eine bis zu zwei Monate, ausnahmsweise auch einen Monat länger dauernde Anhörung der Gemeinde und berührter Stellen (§ 54 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 und Abs. 5 LBO a.F.). Daran schließt sich eine Entscheidungsfrist von einem Monat bei Wohngebäuden, zugehörigen Stellplätzen, Garagen und Nebenanlagen (§ 14 BauNVO) oder von zwei Monaten bei sonstigen Vorhaben an (§ 54 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 2 LBO a.F.). Die Entscheidungsfrist beginnt, sobald die vollständigen Bauvorlagen und alle für die Entscheidung notwendigen Stellungnahmen und Mitwirkungen vorliegen, spätestens jedoch nach Ablauf der Anhörungsfrist (§ 54 Abs. 4 Satz 2 LBO a.F.). Die Baurechtsbehörde darf die Entscheidungsfrist voll ausschöpfen (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.02.2003, a.a.O., juris Rn. 32). Vor ihrem Ablauf ist ein Genehmigungsanspruch gleichsam noch nicht "fällig". Ob ein Bauantrag im Einzelfall schon vor Ablauf der Entscheidungsfrist objektiv entscheidungsreif und genehmigungsfähig ist, ist daher jedenfalls öffentlich-rechtlich unerheblich (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.02.2003, a.a.O., juris Rn. 32). Mit ihrer Anknüpfung an die Anhörung (vgl. § 54 Abs. 4 Satz 2 LBO a.F.) bezweckt die Entscheidungsfrist mittelbar auch, der anzuhörenden Gemeinde zu ermöglichen, auf ein Bauvorhaben, das nach der bestehenden Rechtslage zulässig, von ihr aber nicht erwünscht ist, mit (Sicherungs-)Maßnahmen der Bauleitplanung zu reagieren (vgl. BGH, Urteil vom 23.01.1992 - III ZR 191/90 - NVwZ 1993, 293 m.w.N.). Mit diesen Zielsetzungen ist § 54 LBO auch mit verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung präventiver Erlaubnisvorbehalte zur Grundrechtsausübung (vgl. BVerfG, Urteil vom 05.08.1966 - 1 BvF 1/61 - BVerfGE 20, 150, juris Rn. 18 ff.; Beschluss vom 12.06.1979 - 1 BvL 19/76 - BVerfGE 52, 1, juris Rn. 149) als Inhalts- und Schrankenbestimmung der Baufreiheit nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 GG vereinbar.
29 
Für den Ablauf der Entscheidungsfrist ist im Einzelfall unerheblich, welches Datum die Baurechtsbehörde in ihrer Mitteilung gegenüber dem Bauherrn (§ 54 Abs. 2 Nr. 1 LBO a.F.) angegeben hat. § 54 Abs. 4 LBO a.F. regelt Beginn und Dauer der Entscheidungsfrist abschließend, ohne an das nach § 54 Abs. 2 Nr. 1 LBO a.F. mitgeteilte Datum anzuknüpfen. Die Mitteilung der Baurechtsbehörde ist kein Verwaltungsakt, insbesondere keine Zusicherung (§ 38 LVwVfG), sondern eine Auskunft ohne Rechtsbindungswille (Wissenserklärung). Für die Dauer der Entscheidungsfrist kommt es allein auf die Erfüllung der Voraussetzungen nach § 54 Abs. 4 LBO a.F. an. Es ist daher unerheblich, dass die Beklagte in ihrem Schreiben an die Klägerin vom 16.09.2009 als "Datum der voraussichtlichen Entscheidung" mit dem "30.10.2009" einen Zeitpunkt vor Inkrafttreten der Veränderungssperre angegeben hat.
30 
2. Die gesetzliche Entscheidungsfrist betrug im vorliegenden Fall zwei Monate (§ 54 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO a.F.) und war bei Inkrafttreten der Veränderungssperre am 06.11.2009 noch nicht abgelaufen.
31 
a) Nach § 54 Abs. 4 Satz 2 LBO a.F. beginnt die Entscheidungsfrist, sobald die vollständigen Bauvorlagen und alle für die Entscheidung notwendigen Stellungnahmen und Mitwirkungen vorliegen, spätestens jedoch nach Ablauf der gemäß § 54 Abs. 3 LBO a.F. bestimmten Anhörungsfrist. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein. Dabei kommt es im Grundsatz auf den tatsächlichen Ablauf des konkreten Verfahrens an. Wegen der Abhängigkeit des Beginns der Entscheidungsfrist von der Anhörung setzt die Vorschrift insoweit aber auch voraus, dass die Anhörung i. S. des § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. "unverzüglich" nach dem Ende der Prüfungsfrist (§ 54 Abs. 1 LBO a.F.) eingeleitet worden ist. Denn andernfalls hätte die Baurechtsbehörde es bei rechtswidriger Verzögerung der Anhörung in der Hand, Beginn und Ende der Entscheidungsfrist und damit auch die rechtliche Durchsetzbarkeit des Genehmigungsanspruchs über die gesetzlichen Zeitvorgaben hinaus zu steuern. Das widerspräche Sinn und Zweck der gesetzlichen Fristenregelung. Leitet die Baurechtsbehörde die Anhörung nach § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. nicht “unverzüglich“ ein, darf der Beginn der Entscheidungsfrist folglich nicht nach dem tatsächlichen Ablauf des konkreten Verfahrens, sondern er muss hypothetisch bestimmt werden. Die Entscheidungsfrist beginnt in diesem Falle analog § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 LBO a.F. (jetzt § 54 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 LBO) nach Ablauf einer angemessenen Anhörungsfrist ab hypothetisch unverzüglicher Einleitung der Anhörung. Entgegen der Ansicht der Klägerin kann insoweit nicht auch alternativ entsprechend § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 LBO a.F. auf einen mutmaßlich früheren Zeitpunkt des Eingangs erforderlicher Mitwirkungen und Stellungnahmen von Behörden abgestellt und insoweit berücksichtigt werden, dass dies auch im tatsächlichen Ablauf des Verfahren so geschehen ist. Denn dass alle Mitwirkungen und Stellungnahmen auch bei nicht rechtswidrig verzögerter Anhörung ebenfalls vor Ablauf der Anhörungsfrist eingegangen wären, ist bloße Spekulation. Dafür ist bei einer Bestimmung des Beginns der Entscheidungsfrist nach § 54 Abs. 4 LBO a.F. schon aus Gründen der Rechtssicherheit kein Raum.
32 
b) Gemessen daran gilt hier Folgendes:
33 
Nach dem tatsächlichen Ablauf des Verfahrens hätte die Entscheidungsfrist frühestens am 09.10.2009 zu laufen begonnen. Denn alle notwendigen Stellungnahmen und Mitwirkungen lagen der Beklagten erst mit Eingang der letzten Stellungnahme des Landratsamts am 09.10.2009 (per E-Mail) vor Ablauf der bis zum 16.10.2009 bestimmten Anhörungsfrist vollständig vor. Die zweimonatige Entscheidungsfrist wäre danach erst Mitte Dezember 2009 und damit nach dem 06.11.2009 abgelaufen. Ihr Beginn richtet sich aber nicht nach dem tatsächlichen Ablauf des Verfahrens, weil die Beklagte die Anhörung nicht gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. "unverzüglich" eingeleitet hat (aa)). Aber auch bei der daher gebotenen hypothetischen Bestimmung analog § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 LBO a.F. begann die Entscheidungsfrist frühestens am 08.09.2009 und lief damit ebenfalls erst nach dem 06.11.2009 ab (bb)).
34 
aa) Nach § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. hat die Baurechtsbehörde die Gemeinde und die berührten Stellen nach § 53 Abs. 2 LBO a.F. unverzüglich zu hören, sobald der Bauantrag und die Bauvorlagen vollständig sind. Die Formulierung "sobald der Bauantrag und die Bauvorlagen vollständig sind" knüpft erkennbar nicht an den bloßen Eingang dieser Unterlagen bei der Baurechtsbehörde, sondern an das Ende der amtlichen Prüfung nach § 54 Abs. 1 LBO a.F. an. Die Baurechtsbehörde darf daher zunächst die zehn Arbeitstage umfassende Prüfungsfrist nach § 54 Abs. 1 Satz 1 LBO a.F. ausschöpfen, bevor sie zur unverzüglichen Einleitung der Anhörung verpflichtet ist. Würde bei der Berechnung der Entscheidungsfrist ex post darauf abgestellt, dass Bauantrag und Bauvorlagen objektiv gesehen schon am Tag ihres Eingangs bei der Baurechtsbehörde vollständig waren, wäre diese Prüfungsfrist im Ergebnis sinnlos.
35 
Das an den Ablauf dieser amtlichen Prüfung anknüpfende Gebot zur "unverzüglichen" Einleitung der Anhörung verlangt ein behördliches Handeln ohne schuldhaftes Zögern (vgl. § 121 BGB). In Anlehnung an Zeitvorgaben des Gesetzgebers für ähnliche bürokratische Vorgänge (§ 53 Abs. 3 und 5, § 55 Abs. 1 LBO a.F.) dürfte dafür im Regelfall eine Zeitspanne von drei bis fünf Arbeitstagen genügen. Konkrete Umstände des Einzelfalles können aber auch einen anderen zeitlichen Rahmen rechtfertigen (vgl. Sauter, LBO, Kommentar, 3. Auflage, § 54 Rn. 9). Rechtliche Bedenken der zuständigen Baurechtsbehörde an der Genehmigungsfähigkeit eines Vorhabens rechtfertigen eine Verzögerung der Anhörung allerdings nicht. Die Einschätzung der Behörde, das Vorhaben sei nicht genehmigungsfähig, mag zwar einen Hinweis gegenüber dem Bauherrn nahelegen, um ihm die Möglichkeit zur Darlegung seines Rechtsstandpunktes oder zur Rücknahme des Bauantrags und zu einer damit einhergehenden Kostenersparnis einzuräumen. Sie ist aber kein sachlicher Grund, vorläufig von der nach § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. zwingend und ohne Ausnahme gebotenen Anhörung abzusehen, deren Ablauf den Beginn der Entscheidungsfrist und damit die rechtliche Durchsetzbarkeit des Genehmigungsanspruchs des Bauherrn steuert. Zudem dienen die Beteiligung der Gemeinde und die Anhörung der berührten Stellen (§ 53 Abs. 2 LBO a.F.) gerade - auch - dazu, den entscheidungserheblichen Sachverhalt zur Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens von Amts wegen aufzuklären (§ 24 LVwVfG). Rechtliche Bedenken können dadurch gegebenenfalls auch ausgeräumt werden. Schließlich ist zu bedenken, dass andernfalls der Beginn der Entscheidungsfrist mittelbar von der subjektiven behördlichen Einschätzung über die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens abhinge. Das wäre mit Sinn und Zweck des strikten Fristenregimes nach § 54 LBO nicht zu vereinbaren. Ein Absehen von der Anhörung im "wohlverstandenen (Kosten-)Interesse" des Bauherrn widerspräche zudem mittelbar § 54 Abs. 4 Satz 3 LBO a.F., wonach die Entscheidungsfrist nicht zur Disposition des Bauherrn steht.
36 
Ausgehend davon war die Beklagte frühestens am Tag nach Ablauf der Prüfungsfrist von zehn Arbeitstagen (§ 54 Abs. 1 Satz 1 LBO a.F.) seit Eingang des vollständigen (s.o. I.1.) Bauantrags am 22.07.2009 zur unverzüglichen Anhörung verpflichtet. Dies war Donnerstag, der 06.08.2009 (vgl. § 31 Abs. 1 LVwVfG i.V.m. § 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 BGB). Tatsächlich eingeleitet hat sie die Anhörung erst am 16.09.2009. Diese Verzögerung überschreitet die im Regelfall insoweit allenfalls angemessene Zeitspanne von drei bis fünf Arbeitstagen ganz erheblich. Sie ist auch schuldhaft. Die Beklagte beruft sich insoweit ausschließlich auf die von ihrer Baurechtsbehörde im Schreiben an die Klägerin vom 19.08.2009 mitgeteilten rechtlichen Bedenken an der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens und meint, sie habe wegen dieser Bedenken mit dem Beginn der Anhörung zuwarten dürfen. Das trifft, wie oben dargelegt, nicht zu. Auch Anhaltspunkte für die von der Beklagten in der Berufungsverhandlung ergänzend behauptete Mangelhaftigkeit des Bauantrags wegen Unbestimmtheit gab es nicht (s.o. I.1.). Abgesehen davon hätte die Beklagte in diesem Falle nach § 54 Abs. 1 Satz 2 LBO a.F. verfahren und der Klägerin eine Frist zur Mängelbeseitigung setzen müssen. Im Übrigen wäre die hier eingetretene Verzögerung selbst dann schuldhaft, wenn materiell-rechtliche Bedenken der Baurechtsbehörde eine Verzögerung der Anhörung durch einen Hinweis gegenüber dem Bauherrn rechtfertigen könnten. Denn in diesem Falle müsste ein entsprechender Hinweis gegenüber dem Bauherrn jedenfalls unverzüglich nach Ablauf der Prüfungsfrist (§ 54 Abs.1 Satz 1 LBO a.F.) mit knapper Äußerungsfrist erteilt werden. Beides ist hier nicht geschehen. Der Hinweis wurde erst mit Schreiben vom 19.08.2009 und damit erst weitere zehn Arbeitstage nach Ablauf der zehntägigen Prüffrist und zudem mit mehr als dreiwöchiger Äußerungsfrist bis zum 15.09.2009 erteilt. Schließlich stand spätestens mit Eingang des Schriftsatzes der Klägerin vom 30.08.2009 am 01.09.2009 fest, dass die Klägerin auf einer Durchführung des Verfahrens bestand. Die Anhörung hätte danach bereits am 01.09.2009 eingeleitet werden müssen. Tatsächlich ist auch das erst am 16.09.2009 geschehen.
37 
Anhaltspunkte für sonstige Verzögerungsgründe sind nicht ersichtlich und auch nicht geltend gemacht.
38 
bb) Bei der daher gebotenen hypothetischer Bestimmung analog § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 LBO a.F. kann der Senat zugunsten der Klägerin unterstellen, dass die Beklagte bereits am Tag nach Ablauf der Prüfungsfrist von zehn Arbeitstagen seit Eingang des Bauantrags (22.07.2009), also am Freitag, dem 07.08.2009 zur Einleitung der Anhörung verpflichtet war, obwohl hierfür im Regelfall wohl drei bis fünf Arbeitstage anzusetzen sein dürften (s.o. aa)). Ferner ist insoweit von einer angemessenen Anhörungsfrist (§ 54 Abs. 3 Satz 1 LBO a.F.) von einem Monat auszugehen, die der damals vom Gesetzgeber unterstellten Regelfallfrist im gesetzlichen Rahmen von zwei Monaten entspricht (vgl. LT-Drs. 11/5337, S. 114; Schlotterbeck/von Arnim, LBO, Kommentar, 4. Auflage § 54 Rn. 15). Bei Einleitung der Anhörung am 07.08.2009 wäre diese Monatsfrist am Montag, dem 07.09.2009 abgelaufen. Die zweimonatige Entscheidungsfrist hätte analog § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 LBO a.F. am Tag danach, also am Dienstag, dem 08.09.2009, zu laufen begonnen und wäre frühestens am Montag, dem 09.11.2009 (§ 31 Abs. 1 und 3 LVwVfG i.V.m. § 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 BGB) und damit nach Inkrafttreten der Veränderungssperre abgelaufen.
B.
39 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
40 
Beschluss vom 19. Juni 2012
41 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 60.000,00 Euro festgesetzt (§ 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG, in Anlehnung an Nr. 1.3 i.V.m. Nr. 9.1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit Fassung Juli 2004, NVwZ 2004, 1327).
42 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

Tatbestand

1

Die Klägerin, ein Energieversorgungsunternehmen, wendet sich gegen die anteilige Kürzung von Emissionsberechtigungen für die Zuteilungsperiode 2005 bis 2007.

2

Die Klägerin betreibt in G. ein Kraftwerk mit Kraft-Wärme-Kopplung. Am 20. September 2004 beantragte sie die Zuteilung von Emissionsberechtigungen nach § 9 des Gesetzes über den Handel mit Berechtigungen zur Emission von Treibhausgasen (TEHG) i.V.m. § 7 Abs. 1 bis 6, § 14 des Gesetzes über den nationalen Zuteilungsplan für Treibhausgas-Emissionsberechtigungen in der Zuteilungsperiode 2005 bis 2007 (Zuteilungsgesetz 2007 - ZuG 2007). Mit Bescheid vom 16. Dezember 2004 wurden ihr für die o.g. Anlage nach anteiliger Kürzung gemäß § 4 Abs. 4 ZuG 2007 60 954 891 Berechtigungen für die Zuteilungsperiode 2005 bis 2007 zugeteilt. Ohne anteilige Kürzung hätte die Klägerin seinerzeit weitere 2 952 660 Berechtigungen erhalten.

3

Die nach erfolglos durchgeführtem Widerspruchsverfahren erhobene Klage auf Neubescheidung des Zuteilungsantrags blieb vor dem Verwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht erfolglos. Der erkennende Senat wies die Revision der Klägerin mit Urteil vom 16. Oktober 2007 - BVerwG 7 C 33.07 - mit der Begründung zurück, dass die anteilige Kürzung von Zuteilungen gemeinschafts- und verfassungsrechtlich unbedenklich sei, die dem maßgeblichen Kürzungsfaktor zugrunde liegende Prognose vor Erteilung der Zuteilungsbescheide zu ermitteln und gerichtlich nur eingeschränkt darauf nachprüfbar sei, ob die Behörde die einfach-rechtlichen Zuteilungsmaßstäbe und Zuteilungsregeln verkannt habe. Dies habe das Oberverwaltungsgericht zu Recht verneint.

4

Gegen dieses Urteil legte die Klägerin Verfassungsbeschwerde ein. Das Bundesverfassungsgericht hob das Urteil des Senats mit Beschluss vom 10. Dezember 2009 - 1 BvR 3151/07 - wegen einer Verletzung des Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG auf und verwies die Sache an das Bundesverwaltungsgericht zurück.

5

Die Klägerin hält an ihrem Begehren auf Neubescheidung ihres Zuteilungsantrags vom 20. September 2004 fest. Hilfsweise beantragt sie die Feststellung, dass die anteilige Kürzung der Zuteilung von Emissionsberechtigungen hinsichtlich des zugrunde gelegten Kürzungsfaktors rechtswidrig war.

6

Ihr Anspruch auf Mehrzuteilung von Berechtigungen habe sich durch Ablauf der Zuteilungsperiode 2005 bis 2007 am 31. Dezember 2007 nicht erledigt, sondern sei nunmehr durch Zuteilung von Berechtigungen für die zweite Zuteilungsperiode 2008 bis 2012 zu erfüllen. Die Vorschrift des § 20 ZuG 2007, wonach Berechtigungen der Zuteilungsperiode 2005 bis 2007 abweichend von § 6 Abs. 4 Satz 4 TEHG nicht in die folgende Zuteilungsperiode überführt, sondern mit Ablauf des 30. April 2008 gelöscht werden, stehe dem nicht entgegen. Diese Norm ziele nur darauf, ein periodenübergreifendes Banking der Berechtigungen aus der ersten Periode zu verhindern, um eine Belastung des Emissionsbudgets für die erste Kyoto-Periode von 2008 bis 2012 zu verhindern. Zu nicht erfüllten Zuteilungsansprüchen verhalte sie sich - ebenso wie § 6 Abs. 4 TEHG - nicht.

7

Herzuleiten sei ihr Anspruch auf Kompensation der rechtswidrig vorenthaltenen Berechtigungen für die abgelaufene Zuteilungsperiode durch Zuteilung von Berechtigungen für die laufende Zuteilungsperiode aus dem Grundsatz periodenübergreifender Kontinuität der Rechts- und Pflichtenpositionen der Anlagenbetreiber, der in § 18 Abs. 3 TEHG verankert sei.

8

Auch Art. 19 Abs. 4 GG gebiete es, unerfüllte Zuteilungsansprüche aus der abgelaufenen Periode durch Zuteilung von Berechtigungen der Folgeperiode zu erfüllen. Die in § 20 ZuG 2007 geregelte ersatzlose Löschung der Emissionsberechtigungen aus der Periode 2005 bis 2007 am 30. April 2008 und der Untergang offener Zuteilungsansprüche dürften nicht gleichgesetzt werden. Durch das Untergehen des Zuteilungsanspruchs werde der Anlagenbetreiber doppelt belastet: Zum einen habe er keine Möglichkeit gehabt, die mit den Berechtigungen verbundenen Vorteile zu realisieren. Zum anderen sei er weiterhin abgabepflichtig gewesen und verliere so einen Teil des ihm zum Ausgleich für die Einführung des Emissionshandels bzw. zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit gewährten Anspruchs.

9

Die gegenteilige Auffassung sei sachlich nicht gerechtfertigt. Die Erfüllung offener Zuteilungsansprüche aus der Periode 2005 bis 2007 durch Zuteilung von Berechtigungen der zweiten Periode gefährde die Einhaltung der Reduktionszusage nicht. Das in der ersten Kyoto-Periode von 2008 bis 2012 zur Verfügung stehende Emissionsbudget werde dadurch nicht erhöht, weil die zur Erfüllung der offenen Zuteilungsansprüche erforderlichen Berechtigungen nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b ZuG 2012 der Reserve zu entnehmen seien. Die Reserve sei Teil des Emissionsbudgets für die Periode 2008 bis 2012 und weite dieses nicht aus.

10

Die hilfsweise erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage sei zulässig, insbesondere fehle es ihr nicht an einem Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche aus Amtshaftung oder enteignungsgleichem Eingriff seien nicht offensichtlich aussichtslos. Amtshaftungsansprüche folgten aus dem Erlass des nichtigen § 6 Abs. 6 ZuV 2007 durch die Bundesregierung und der rechtswidrigen Ermittlung des Kürzungsfaktors durch die Beklagte. Die Kollegialgerichtsrichtlinie stehe ihrem Amtshaftungsanspruch nicht entgegen, weil die Kollegialgerichte die Rechtslage - wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt habe - offensichtlich verkannt hätten. Ihr sei auch ein Schaden entstanden. Aufgrund der rechtswidrigen Vorenthaltung weiterer Berechtigungen habe sie am Markt Emissionsberechtigungen hinzukaufen müssen, um ihrer Abgabepflicht nachkommen zu können. Abgesehen davon bestehe auch Wiederholungsgefahr.

11

Die Beklagte tritt dem entgegen. Nach ihrer Auffassung hat sich der Rechtsstreit mit Löschung der Berechtigungen der ersten Zuteilungsperiode am 30. April 2008 erledigt. Mangels zuteilungsfähiger Berechtigungen sei auch der Zuteilungsanspruch erloschen, denn dieser könne nicht weiter reichen als die Emissionsberechtigungen selbst. Die Klage auf Neubescheidung sei daher mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig geworden, dasselbe gelte für die Revision.

12

Der Zuteilungsanspruch aus der ersten Periode 2005 bis 2007 habe sich mit Ablauf des 30. April 2008 auch nicht in einen Anspruch auf Zuteilung von Berechtigungen der zweiten Periode umgewandelt. Einen Grundsatz periodenübergreifender Kontinuität gebe es jedenfalls für den Übergang von der ersten zur zweiten Periode nicht. Er folge auch nicht aus § 6 Abs. 4 Satz 4 TEHG, weil diese Vorschrift für Berechtigungen der ersten Zuteilungsperiode nicht einschlägig sei. Für den Übergang von der ersten zur zweiten Zuteilungsperiode sei in § 20 ZuG 2007 vielmehr ausdrücklich Diskontinuität geregelt worden. Der Sinn und Zweck dieser Regelung, ein periodenübergreifendes Banking von der ersten zur zweiten Handelsperiode auszuschließen, stehe auch einer Ersetzung des Anspruchs auf Berechtigungen aus der ersten Periode durch einen Anspruch auf Berechtigungen aus der zweiten Periode entgegen.

13

Diese Auslegung sei mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar. Sie führe nicht zu einer Rechtsschutzlücke, weil die Möglichkeit bestanden habe, um einstweiligen Rechtsschutz auf vorläufige Zuteilung weiterer Berechtigungen nachzusuchen.

14

Abgesehen davon sei die Klage auf Neubescheidung auch deshalb unzulässig, hilfsweise unbegründet, weil sie im Ergebnis nicht zu einer Mehrzuteilung führen würde. Eine Neuberechnung müsse nicht nur die Nichtigkeit des § 6 Abs. 6 ZuV 2007, sondern auch die Unanwendbarkeit der anteiligen Kürzung auf die sog. Optierer nach § 7 Abs. 12 ZuG 2007 berücksichtigen. Dies hätte eine Verminderung des Kürzungsfaktors zur Folge, sodass der Klägerin noch weniger Berechtigungen zuzuteilen wären. Zudem stehe noch nicht rechtskräftig fest, dass § 6 Abs. 6 ZuV 2007 tatsächlich nichtig sei.

15

Der Hilfsantrag sei mangels Fortsetzungsfeststellungsinteresses unzulässig. Es bestehe weder eine Wiederholungsgefahr noch lägen die Voraussetzungen für einen Amtshaftungsanspruch oder eine Entschädigung aus enteignungsgleichem Eingriff vor. Ein Amtshaftungsprozess wäre aussichtslos. Der Klägerin könne wegen des geringen Werts der Berechtigungen zum Ende der Zuteilungsperiode nur ein geringer Schaden entstanden sein. Überdies könne den Mitarbeitern der Deutschen Emissionshandelsstelle kein Verschulden vorgeworfen werden, weil Kollegialgerichte über drei Instanzen die Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Zuteilung bejaht hätten.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist zulässig (1), mit dem Hauptantrag auf Zuteilung weiterer Emissionsberechtigungen für die Periode 2005 bis 2007 aber unbegründet (2). Über den im Revisionsverfahren als Hilfsantrag gestellten, zulässigen Fortsetzungsfeststellungsantrag kann der Senat nicht abschließend entscheiden. Insoweit muss die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen werden (3).

17

1. Entgegen der Auffassung der Beklagten begegnet die Zulässigkeit der Revision keinen Bedenken. Auf die Frage, ob das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage auf Mehrzuteilung von Emissionsberechtigungen nach Ablauf der Zuteilungsperiode 2005 bis 2007 am 31. Dezember 2007 entfallen ist, weil der Zuteilungsanspruch untergegangen ist, kommt es insoweit nicht an. Die Sachurteilsvoraussetzungen, von denen die Zulässigkeit der Klage abhängt, sind regelmäßig nicht zugleich Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Revision. Von ihnen hängt vielmehr die Begründetheit der Revision ab (Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 143 Rn. 10). Etwas Anderes gilt nur für das Fehlen von Sachurteilsvoraussetzungen, von denen zugleich die Wirksamkeit der Revision als Prozesshandlung abhängt. Eine solche Fallkonstellation liegt hier nicht vor.

18

2. Soweit sich die Revision im Hauptantrag dagegen richtet, dass das Oberverwaltungsgericht die Berufung der Klägerin gegen das ihre Klage auf Mehrzuteilung von Berechtigungen abweisende Urteil des Verwaltungsgerichts zurückgewiesen hat, ist sie unbegründet. Das angegriffene Urteil des Oberverwaltungsgerichts verstößt zwar in einem tragenden Punkt gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO, a). Es stellt sich aber im Ergebnis aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO, b).

19

a) Das Oberverwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Kürzungsvorschrift des § 4 Abs. 4 ZuG 2007 mit Gemeinschaftsrecht und Verfassungsrecht vereinbar ist, die Berechnung des Kürzungsfaktors unmittelbar vor Zuteilung der Berechtigungen nicht zu beanstanden ist und die gerichtliche Kontrolle der Prognose über die Zuteilungsmenge beschränkt ist, namentlich Korrekturen individueller Zuteilungsbescheide die Richtigkeit der Prognose nicht in Frage stellen (Urteil vom 16. Oktober 2007 - BVerwG 7 C 33.07 - BVerwGE 129, 328 ff. = Buchholz 406.253 § 4 ZuG 2007 Nr. 1 Rn. 18 f., 35 f., 44 f.; BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. Dezember 2009 - 1 BvR 3151/07 - DVBl 2010, 250 f.).

20

Mit revisiblem Recht nicht vereinbar ist dagegen die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, dass bei der Berechnung des Kürzungsfaktors die einfach-rechtlichen Maßstäbe beachtet worden sind. Denn bei der Berechnung des Kürzungsfaktors ist auch § 6 Abs. 6 ZuV 2007 zur Anwendung gekommen, den der Senat mit Urteil vom 16. Oktober 2007 - BVerwG 7 C 28.07 - (Buchholz 406.253 § 13 ZuG 2007 Nr. 1 Rn. 26) für nichtig befunden hat. Die Nichtigkeit des § 6 Abs. 6 ZuV 2007 wirkt sich nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Dezember 2009 (a.a.O., BA S. 27/28) auf die Rechtmäßigkeit der behördlichen Prognose aus.

21

An der Nichtigkeit des § 6 Abs. 6 ZuV 2007 hält der Senat auch in Ansehung der von der Beklagten erhobenen Einwände fest. Zum einen versteht es sich von selbst, dass die vom Senat festgestellte Nichtigkeit dieser Vorschrift auch gegenüber solchen Anlagenbetreibern beachtlich ist, die an dem o.g. Verwaltungsstreitverfahren nicht beteiligt waren. Zum anderen geben auch die inhaltlichen Einwände der Beklagten dem Senat keine Veranlassung, seine Rechtsprechung zu ändern. Der Senat hat in seinem Urteil vom 16. Oktober 2007 - BVerwG 7 C 28.07 - (a.a.O.) eingehend dargelegt und begründet, dass der Begriff der Verbrennung in § 13 Abs. 2 Satz 1 ZuG 2007 im naturwissenschaftlichen Sinne zu verstehen ist und die bei der Regeneration von Katalysatoren für die Crack- und Reformprozesse entstehenden Kohlendioxid-Emissionen ausschließlich das Produkt einer Verbrennung im naturwissenschaftlichen Sinne darstellen. Die Beklagte hat keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen, die diese Bewertung in Frage stellen.

22

Ohne Anwendung des nichtigen § 6 Abs. 6 ZuV 2007 wäre der Kürzungsfaktor für die Klägerin günstiger ausgefallen, weil die Zahl der dem Erfüllungsfaktor unterfallenden Anlagen größer gewesen wäre. Dieser Rechtsverstoß entfällt auch nicht deshalb, weil die Beklagte bei der Berechnung des Kürzungsfaktors zudem fehlerhaft davon ausgegangen ist, dass auch die Emissionsberechtigungen an Optionsanlagen im Sinne von § 7 Abs. 12 ZuG 2007 einer anteiligen Kürzung nach § 4 Abs. 4 ZuG 2007 unterliegen (Urteil vom 16. Oktober 2007 - BVerwG 7 C 29.07 - Buchholz 406.253 § 7 ZuG 2007 Nr. 2). Ob sich dieser Fehler bei einer Neuberechnung so auswirken würde, dass die Klägerin - wie die Beklagte geltend macht - keinen Anspruch auf Mehrzuteilung hätte, sondern ihr für die Periode 2005 bis 2007 zu viele Berechtigungen zugeteilt worden sind, ist nur für die Frage von Bedeutung, ob die begehrte Mehrzuteilung von Berechtigungen im Ergebnis zu Recht versagt worden ist.

23

b) Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts stellt sich trotz des Bundesrechtsverstoßes im Ergebnis als richtig dar. Der Hauptantrag ist zwar weiterhin zulässig (aa), in der Sache aber nicht begründet (bb).

24

aa. Der Hauptantrag ist bei verständiger Würdigung nicht auf Neubescheidung des Zuteilungsantrags, sondern auf die Verpflichtung der Beklagten zur Mehrzuteilung von Emissionsberechtigungen gerichtet. Die Zuteilungsentscheidung nach § 9 Abs. 1 TEHG i.V.m. den maßgeblichen Regelungen des jeweiligen Zuteilungsgesetzes ist eine gebundene Entscheidung, mag sie auch auf einem komplexen Rechenwerk beruhen. Fehler - etwa bei der Berechnung des Kürzungsfaktors oder der individuellen Zuteilungsmenge - rechtfertigen es daher nicht, den Zuteilungsbescheid aufzuheben und die Beklagte zur Neubescheidung zu verpflichten. Das Ergebnis einer solchen Verfahrensweise wäre regelmäßig lediglich eine Wiederholung des Rechenvorgangs bzw. des Verwaltungsverfahrens mit der Folge erneuter Bescheidung und Eröffnung eines weiteren Widerspruchs- und verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Dies ist auch aus Gründen der Prozessökonomie abzulehnen. In der Regel ist daher im gerichtlichen Verfahren nur ein Antrag auf Verpflichtung zur Mehrzuteilung sachdienlich. Aus dem Urteil des 6. Senats vom 31. März 2004 - BVerwG 6 C 11.03 - (BVerwGE 120, 263 <276> = Buchholz 442.066 § 37 TKG Nr. 1) folgt nichts Anderes. Zwar heißt es dort in Rn. 43 wörtlich, dass "es der Dispositionsbefugnis des Klägers unterfällt, statt der Verpflichtung zum Erlass eines Verwaltungsaktes nur die Verpflichtung zur Neubescheidung zu begehren". Der dieser Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt ist aber mit dem vorliegenden nicht vergleichbar. Dass der 6. Senat insoweit einen für alle denkbaren Fallgestaltungen geltenden Rechtssatz aufstellen wollte, ist nicht ersichtlich. Dem nachvollziehbaren Unvermögen der Anlagenbetreiber, einen Antrag auf Mehrzuteilung zu beziffern, kann dadurch Rechnung getragen werden, dass eine konkrete Bezifferung nicht verlangt wird, sondern es ausreicht, wenn die Begründung des Antrags erkennen lässt, aus welchen Gründen die Zuteilungsentscheidung als fehlerhaft erachtet wird und ein für die Anlagenbetreiber günstigeres Ergebnis jedenfalls nicht ausgeschlossen scheint.

25

Im Übrigen stellen z.B. die (Neu)Berechnung des Kürzungsfaktors und die Anwendung des Kürzungsfaktors auf den jeweiligen Einzelfall im Wesentlichen reines Rechenwerk dar. Diesem Rechenvorgang vorgelagerte Rechtsfragen, etwa welche Aspekte bei der Bestimmung des Kürzungsfaktors zu berücksichtigen sind, haben ohnehin die Gerichte zu klären. Diese sind daher bei Verpflichtungsklagen auf Mehrzuteilung von Berechtigungen grundsätzlich zur Spruchreifmachung verpflichtet. Die in der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmen von der Verpflichtung zur Spruchreifmachung (vgl. Urteil vom 8. Dezember 1992 - BVerwG 1 C 5.92 - Buchholz 402.5 WaffG Nr. 66) sind insoweit nicht einschlägig.

26

Die Klage auf Mehrzuteilung von Berechtigungen ist nach Ablauf der Handelsperiode 2005 bis 2007 am 31. Dezember 2007 nicht unzulässig geworden, namentlich fehlt es der Klägerin nicht an einem Rechtsschutzbedürfnis.

27

Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Verpflichtungsklage kann nur verneint werden, wenn die Nutzlosigkeit des erstrebten Verwaltungsaktes für den Kläger tatsächlich oder rechtlich außer Zweifel steht (Urteil vom 29. April 2004 - BVerwG 3 C 25.03 - BVerwGE 121, 1 ff. = Buchholz 451.74 § 9 KHG Nr. 9 = juris Rn. 19). Davon kann hier keine Rede sein. Die inzwischen entscheidungserheblich gewordene Frage, ob der Anspruch auf Zuteilung weiterer Berechtigungen aus der Handelsperiode 2005 bis 2007 untergegangen ist, ist bisher weder höchstrichterlich geklärt noch offensichtlich im Sinne der Beklagten zu beantworten. Ihre Klärung muss daher der Begründetheitsprüfung vorbehalten bleiben.

28

bb. Diese fällt im Ergebnis zu Lasten der Klägerin aus. Ein etwaiger Anspruch der Klägerin auf Mehrzuteilung von Berechtigungen ist mit Ablauf der Zuteilungsperiode 2005 bis 2007 ersatzlos untergegangen.

29

Zwischen den Beteiligten ist zu Recht unstreitig, dass ein Mehrzuteilungsanspruch der Klägerin nicht mehr durch Zuteilung von Berechtigungen aus der ersten Periode von 2005 bis 2007 erfüllt werden könnte. Die Berechtigungen der ersten Periode wurden am 30. April 2008 gelöscht (§ 20 ZuG 2007) und können daher nicht mehr Gegenstand einer Zuteilungsentscheidung sein.

30

Entgegen der Auffassung der Klägerin sind offene Zuteilungsansprüche aus der ersten Periode auch nicht durch Zuteilung von Berechtigungen für die Zuteilungsperiode 2008 bis 2012 zu erfüllen. Für dieses Begehren fehlt es an einer Anspruchsgrundlage.

31

Das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz enthält zu der Frage, welches Schicksal unerfüllte Zuteilungsansprüche bzw. offene Zuteilungsverfahren am Ende der jeweiligen Zuteilungsperiode erleiden, keine ausdrücklichen Regelungen. Es behandelt nur die zugeteilten Berechtigungen. So ist etwa in § 6 Abs. 4 Satz 1, § 3 Abs. 4 Satz 1 TEHG bestimmt, dass Berechtigungen nur für eine bestimmte Zuteilungsperiode Geltung haben. Nach § 6 Abs. 4 Satz 4 TEHG werden nicht abgegebene Berechtigungen einer abgelaufenen Zuteilungsperiode vier Monate nach Ende der Zuteilungsperiode in Berechtigungen der laufenden Zuteilungsperiode überführt. Die Vorschrift ermöglicht damit ein Ansparen von Berechtigungen zur Erfüllung zukünftiger Abgabeverpflichtungen in einer neuen Zuteilungsperiode oder zum Verkauf auf dem freien Markt (sog. Banking).

32

Als Rechtsgrundlage für die Umwandlung offener Zuteilungsansprüche aus einer abgelaufenen Periode in solche auf Berechtigungen der neuen Periode scheidet § 6 Abs. 4 Satz 4 TEHG - von allem anderen abgesehen - hier schon deshalb aus, weil der nationale Gesetzgeber für die Berechtigungen der Periode 2005 bis 2007 aufgrund der Ermächtigung in § 6 Abs. 4 Satz 5 TEHG, die ihrerseits auf eine Ermächtigung in Art. 13 Abs. 2 UA 2 EH-Richtlinie zurückgeht, in § 20 ZuG 2007 eine abweichende Regelung getroffen hat. Danach werden die Berechtigungen der Zuteilungsperiode 2005 bis 2007 abweichend von § 6 Abs. 4 Satz 4 TEHG nicht in die folgende Zuteilungsperiode überführt, sondern mit Ablauf des 30. April 2008 gelöscht.

33

Sinn und Zweck des § 20 ZuG 2007 ist es, eine Überführung von Emissionsberechtigungen der ersten Zuteilungsperiode in die zweite Zuteilungsperiode auszuschließen, um sicherzustellen, dass die Einhaltung der Reduktionsverpflichtungen des Kyoto-Protokolls nicht gefährdet wird. Die Verpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll beziehen sich auf den Zeitraum 2008 bis 2012. Maßgeblich ist der Vergleich der Treibhausgas-Emissionen im Vergleichsjahr (in der Regel 1990) mit den durchschnittlichen Emissionen im Zeitraum 2008 bis 2012. Bereits vor 2008 erreichte Minderungen können auf die Verpflichtungen im Zeitraum 2008 bis 2012 nicht angerechnet werden. Vielmehr hätten die Berechtigungen aus der sog. Pre-Kyoto-Periode mit denjenigen aus der zugeteilten Menge nach dem Kyoto-Protokoll verrechnet werden müssen, was eine Reduzierung der ab 2008 in Deutschland für die Zuteilungsperiode 2008 bis 2012 ausgegebenen Menge an Emissionsberechtigungen zur Folge gehabt hätte. Das Ansparen von Emissionsberechtigungen in der ersten Periode mit dem Ziel der Überführung in die zweite Periode hätte daher zumindest das Risiko mit sich gebracht, die Reduktionsverpflichtungen zu verfehlen (vgl. BTDrucks 15/2966 S. 26; Körner/Vierhaus, TEHG, 2005, § 20 ZuG 2007 Rn. 6 - 8; Frenz, Emissionshandelsrecht, 2005, § 20 ZuG 2007 Rn. 2; Klinski, in: Landmann/ Rohmer, Umweltrecht, Bd. 2, Stand März 2010, § 20 ZuG 2007 Rn. 4; Mutschler, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 2. Aufl. 2010, § 6 TEHG Rn. 26).

34

Ein Anspruch darauf, dass offene Zuteilungsansprüche aus der Periode 2005 bis 2007 durch Zuteilung von Berechtigungen der Periode 2008 bis 2012 erfüllt werden, folgt auch nicht aus einem "Grundsatz periodenübergreifender Kontinuität der Rechts- und Pflichtenpositionen der Anlagenbetreiber", den die Klägerin aus § 18 Abs. 3 TEHG herleiten will. Die im Abschnitt 5 "Sanktionen" angesiedelte Vorschrift des § 18 TEHG betrifft schon nach ihrer amtlichen Überschrift, aber auch nach ihrem Regelungsgehalt nur die Durchsetzung der Abgabepflicht. Nach § 18 Abs. 3 Satz 1 TEHG bleibt der Verantwortliche verpflichtet, die fehlenden Berechtigungen, im Fall des Absatzes 2 nach Maßgabe der erfolgten Schätzung, bis zum 31. Januar des Folgejahres abzugeben. Tut er dies nicht, werden Berechtigungen, auf deren Zuteilung oder Ausgabe der Verantwortliche einen Anspruch hat, auf seine Verpflichtung nach Satz 1 angerechnet (§ 18 Abs. 3 Satz 2 TEHG). Diese Regelungen, die unmittelbar zur Durchsetzung der in § 1 TEHG verankerten klima- und umweltpolitischen Ziele des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes dienen, rechtfertigen den Umkehrschluss auf einen periodenübergreifenden Fortbestand offener Zuteilungsansprüche nicht. Zwar lässt § 18 Abs. 3 TEHG, namentlich die Verrechnungsregelung in Satz 2, ebenso wie § 6 Abs. 4 Satz 4 TEHG erkennen, dass die Zuteilungsperioden nicht strikt voneinander getrennt, sondern in Teilbereichen miteinander verzahnt sind. Der Umstand, dass der Gesetzgeber Verzahnungen zwischen den Zuteilungsperioden in § 6 Abs. 4 Satz 4 und § 18 Abs. 3 TEHG für bestimmte Bereiche explizit geregelt hat, spricht aber eher dagegen als dafür, diese Regelungen auch auf andere Sachverhalte anzuwenden.

35

Ein Anspruch auf Erfüllung offener Zuteilungsansprüche aus der Periode 2005 bis 2007 durch Zuteilung von Berechtigungen aus der zweiten Periode kann schließlich auch nicht aus § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b ZuG 2012 hergeleitet werden.

36

Nach § 5 Abs. 1 ZuG 2012 werden 23 Millionen Berechtigungen pro Jahr als Reserve für die Zuteilungsperiode 2008 bis 2012 zurückbehalten. Die Gesamtmenge der zuteilbaren Berechtigungen in der Zuteilungsperiode 2008 bis 2012 beträgt 442,07 Millionen zzgl. einer Menge von bis zu 11 Millionen Berechtigungen pro Jahr für die Zuteilung an Anlagen, auf die § 26 Abs. 1 TEHG Anwendung findet (§ 4 Abs. 2 Satz 1 ZuG 2012). Die Gesamtmenge umfasst auch die Berechtigungen, die als Reserve nach § 5 Abs. 1 ZuG 2012 (und für eine Veräußerung nach § 19 TEHG) zurückbehalten werden (§ 4 Abs. 2 Satz 2 ZuG 2012). Gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b ZuG 2012 dient die Reserve u.a. der Erfüllung von Ansprüchen in den Fällen, in denen die Ansprüche nach Abschluss des Zuteilungsverfahrens rechtskräftig festgestellt worden sind und soweit diese Ansprüche über die ursprüngliche Zuteilungsmenge hinausgehen.

Der Wortlaut der Norm schließt es zwar nicht aus,
§ 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b ZuG 2012
im Wege einer erweiternden Auslegung auch auf offene Zuteilungsansprüche aus der ersten Periode 2005 bis 2007 anzuwenden (vgl. Mutschler, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 2. Aufl. 2010, § 5 TEHG Rn. 5 Fn. 3 unter Hinweis auf Günther/Schnutenhaus,
NVwZ 2007, 1140
). Vor allem angesichts des "soweit"-Satzes liegt aber die Annahme näher, dass
§ 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b ZuG 2012
nur die Fälle erfasst, in denen Zuteilungsansprüche für die Periode 2008 bis 2012 nach Abschluss des Zuteilungsverfahrens, aber vor Ende der Zuteilungsperiode rechtskräftig festgestellt werden (so wohl Neuser, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Bd. 2, Stand März 2010, § 5 ZuG 2012 Rn. 4).Dafür spricht auch der systematische Zusammenhang mit
§ 2 Satz 2 ZuG 2012.
Nach dieser Vorschrift gilt das Zuteilungsgesetz 2012, soweit nichts Anderes bestimmt ist, für die Zuteilungsperiode 2008 bis 2012. Damit soll ausweislich der Gesetzesbegründung klargestellt werden, dass die Geltung von Zuteilungsregeln in den Zuteilungsgesetzen auf die jeweilige Zuteilungsperiode beschränkt ist, da sich die erforderliche Billigung des nationalen Zuteilungsplanes durch die Europäische Kommission nach den Vorgaben der Emissionshandels-Richtlinie auf die jeweilige Zuteilungsperiode beschränkt (
BTDrucks 16/5240
, S. 23/24). Offene Ansprüche auf Mehrzuteilung von Berechtigungen aus der Periode 2005 bis 2007 wären aber nach den Zuteilungsregeln des Zuteilungsgesetzes 2007 zu berechnen.
39

Zudem spricht gegen eine entsprechende Anwendung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b ZuG 2012 auf offene Zuteilungsansprüche aus der Periode 2005 bis 2007, dass sich weder in der Begründung zum Zuteilungsgesetz 2012 noch in den sonstigen Gesetzgebungsmaterialien Anhaltspunkte dafür finden, dass der Gesetzgeber aus der Reserve auch solche Ansprüche bedienen wollte und sie entsprechend bemessen hat.

40

Bei Erlass des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes im Juli 2004 und des Zuteilungsgesetzes 2007 im August 2004 hat der Gesetzgeber offenbar nicht bedacht, dass es bei Ablauf der Zuteilungsperiode 2005 bis 2007 möglicherweise noch offene Zuteilungsverfahren gibt. In der Gesetzesbegründung zum Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz werden die Rechtsschutzmöglichkeiten nur allgemein erörtert (vgl. BTDrucks 15/2328 S. 13). Bei Einleitung des Gesetzgebungsverfahrens zum Zuteilungsgesetz 2012 stellte sich die Situation dagegen anders dar: Das Gesetzgebungsverfahren zum Zuteilungsgesetz 2012 wurde im Frühjahr 2007 eingeleitet und im August 2007 abgeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt war eine Reihe nicht abgeschlossener Widerspruchs- und Gerichtsverfahren anhängig, die Zuteilungsentscheidungen nach dem Zuteilungsgesetz 2007 zum Gegenstand hatten. Beispielhaft kann insoweit auf die seinerzeit beim Senat anhängigen Revisionsverfahren verwiesen werden, deren Ausgang bei Erlass des Zuteilungsgesetzes 2012 im August 2007 offen war. Es ist davon auszugehen, dass das Problem bei Ablauf der Zuteilungsperiode noch nicht abgeschlossener Rechtsmittelverfahren auch dem Gesetzgeber nicht verborgen geblieben ist. Trotzdem verhalten sich die Gesetzesmaterialien zu den offenen Zuteilungsverfahren nicht, obwohl das Zuteilungsgesetz 2012 anders als das Zuteilungsgesetz 2007 in § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b erstmalig eine Prozessreserve vorsieht, die nach der Gesetzesbegründung zur Erfüllung rechtskräftig festgestellter Ansprüche von Anlagenbetreibern auf Erhöhung der Zuteilungsmenge als Ergebnis eines erfolgreichen Rechtsmittelverfahrens dient. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers korrespondiert die Öffnung der Reserve für mögliche Ansprüche auf Mehrzuteilung mit dem Rückfluss von Berechtigungen durch Minderzuteilungen infolge des Widerrufs oder der Rücknahme von Zuteilungsentscheidungen (BTDrucks 16/5240 S. 25). Für die Annahme, dass mit der Prozessreserve auch offene Zuteilungsansprüche aus der ersten Periode 2005 bis 2007 erfüllt werden sollen, gibt diese Begründung nichts her. Auch die Erläuterungen zur Reserve unter Ziffer 6.3.3 des Nationalen Allokationsplans 2008 - 2012 für die Bundesrepublik Deutschland vom 28. Juni 2006 (S. 33/34) sprechen eindeutig gegen eine erweiternde Anwendung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b ZuG 2012 auf offene Zuteilungsansprüche aus der Periode 2005 bis 2007. Dort werden die fünf Zwecke, für die die Reserve ausgelegt ist, ausführlich und ohne Erwähnung offener Zuteilungsansprüche aus der ersten Periode dargestellt. Vor diesem Hintergrund ist das Schweigen des Gesetzgebers zu den offenen Zuteilungsverfahren im Zuteilungsgesetz 2012 als "beredtes Schweigen" zu qualifizieren (vgl. dazu Urteile vom 24. Oktober 2002 - BVerwG 3 C 7.02 - Buchholz 428.7 § 16 StrRehaG Nr. 1 = juris Rn. 15 und vom 31. Januar 2002 - BVerwG 3 C 39.01 - Buchholz 442.16 § 18 StVZO Nr. 2 = juris Rn. 18; BSG, Urteil vom 1. Juli 2010 - B 13 R 58/09 R - juris Rn. 32).

41

Dass der Gesetzgeber auf eine Regelung der offenen Zuteilungsverfahren aus der Periode 2005 bis 2007 im Zuteilungsgesetz 2012 verzichtet hat, dürfte darauf zurückzuführen sein, dass er entweder keinen Regelungsbedarf gesehen hat, weil er insoweit von einer entsprechenden Anwendung des § 20 ZuG 2007 ausgegangen ist, oder der Auffassung war, dass eine "Überführung" der offenen Zuteilungsverfahren aus der ersten Periode in die zweite Periode aus anderen Gründen systemwidrig wäre. Zwar kommt dem primären Normzweck des § 20 ZuG 2007, die Einhaltung der Kyoto-Reduktionsverpflichtungen sicherzustellen, hinsichtlich der offenen Zuteilungsansprüche aus der ersten Periode keine vorrangige Bedeutung zu. Wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, wäre die Einhaltung der Kyoto-Reduktionszusagen auch dann nicht gefährdet, wenn offene Zuteilungsansprüche aus der Periode 2005 bis 2007 aus der Reserve des Zuteilungsgesetzes 2012 bedient würden. Unter den Beteiligten bestand Einvernehmen darüber, dass - nicht zuletzt angesichts der in § 5 Abs. 5 ZuG 2012 geregelten Möglichkeit, die Reserve aufzufüllen - bei Erfüllung von Zuteilungsansprüchen der Periode 2005 bis 2007 aus der Reserve weder eine Überforderung der Reserve noch gar die Nichteinhaltung der Kyoto-Reduktionsverpflichtungen zu befürchten wäre.

42

Über ihren primären Normzweck, die Einhaltung der Kyoto-Reduktionsverpflichtungen sicherzustellen, hinaus ist die Erlöschensregelung des § 20 ZuG 2007 aber auch Ausdruck dessen, dass die erste Periode 2005 bis 2007 (sog. Pre-Kyoto-Periode) im Wesentlichen eine Vorbereitungs- und Übungsphase zum Sammeln von Erfahrungen für die erste Kyoto-Periode 2008 bis 2012 darstellen sollte (vgl. etwa S. 3 des Vorschlags der Kommission für eine Richtlinie über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionsberechtigungen, KOM (2001, 581 endgültig) und die erste Kyoto-Periode 2008 bis 2012 "unbelastet" beginnen sollte. Mit diesem Anliegen wäre es schwerlich zu vereinbaren gewesen, wenn offene Zuteilungsverfahren in die erste Kyoto-Periode "mitgeschleppt" worden wären. Hinzu kommt, dass die Erfüllung der offenen Zuteilungsansprüche aus der ersten Periode mithilfe der Prozessreserve der Periode 2008 bis 2012 zwar die Einhaltung der Kyoto-Reduktionszusagen nicht gefährdet hätte. Eine entsprechend größere Bemessung der Reserve hätte aber zwangsläufig zu einer Reduzierung des verbleibenden Gesamtbudgets geführt, sodass insgesamt für die Periode 2008 bis 2012 weniger Berechtigungen zur Verfügung gestanden hätten. Von diesem "Verteilungsproblem" wären u.a. auch diejenigen betroffen gewesen, deren noch vorhandene Berechtigungen aus der ersten Periode am 30. April 2008 ersatzlos erloschen waren. Überdies war dem Gesetzgeber des Zuteilungsgesetzes 2012 bekannt, dass aufgrund der Überausstattung mit Berechtigungen in der ersten Periode ein erheblicher Preiseinbruch stattgefunden hatte und der Handelswert der Berechtigungen von ca. 20 - 30 € zu Beginn der Handelsperiode später - ab Mitte 2006 - kontinuierlich auf einen Handelswert von unter einem Euro abfiel. Auch dies mag eine Ursache dafür sein, dass der Gesetzgeber davon abgesehen hat, die Prozessreserve des § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b ZuG 2012 auf offene Zuteilungsansprüche aus der Periode 2005 bis 2007 zu erstrecken. Dies hätte nämlich zur Folge gehabt, dass diejenigen, deren Verfahren auf Mehrzuteilung noch kurz vor dem 31. Dezember 2007 abgeschlossen wurden, nahezu wertlose Berechtigungen erhalten hätten, während denjenigen, deren Verfahren erst in der Periode 2008 bis 2012 abgeschlossen werden, werthaltige Berechtigungen zugeteilt worden wären. Es liegt auf der Hand, dass ein solches Ergebnis unbillig wäre.

43

Auch Verfassungsrecht zwingt nicht zu einer erweiternden Auslegung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b ZuG 2012.

44

Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Emissionsbefugnis dem Eigentum an den körperlichen Gegenständen der Anlage zugeordnet. Die Einführung des Emissionshandelssystems und die damit verbundene Limitierung der zulässigen Emissionen sind als verhältnismäßige Eingriffe in die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG und die Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG in Gestalt einer Inhalts- und Schrankenbestimmung zu qualifizieren (Urteil vom 30. Juni 2005 - BVerwG 7 C 26.04 - BVerwGE 124, 47 ff. = Buchholz 451.91 EuropUmweltR Nr. 19 = juris Rn. 34, 35). Ungeachtet der Frage, ob die Berechtigungen als solche eine von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechtsposition darstellen (vgl. dazu Mutschler a.a.O. § 6 Rn. 17), stellt das Erlöschen eines rechtswidrig unerfüllten Zuteilungsanspruchs ebenso wie die Löschung der Berechtigungen der ersten Periode nach § 20 ZuG 2007 einen Eingriff in diese Grundrechte dar. Die Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sind aber gewahrt. Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass das Erlöschen zugeteilter Emissionsberechtigungen nach § 20 ZuG 2007 und der Untergang offener Zuteilungsansprüche nicht ohne Weiteres gleichzusetzen sind. Auf das Erlöschen der Berechtigungen am 30. April 2008 konnten sich die Betroffenen einstellen, die Berechtigungen waren damit von vornherein belastet. Demgegenüber konnten Anlagenbetreiber, denen Berechtigungen rechtswidrig vorenthalten wurden, nur eingeschränkt am Emissionshandel teilnehmen und mussten gegebenenfalls Berechtigungen am Markt zukaufen, um ihrer Abgabepflicht nachzukommen. Dies stellt aber angesichts der mit dem Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz verfolgten, dem Gemeinwohl verpflichteten Klimaschutzziele und der vorgenannten Aspekte der System- und Verteilungsgerechtigkeit sowie der Vermeidung unbilliger Ergebnisse noch keine unverhältnismäßige Belastung der betroffenen Anlagenbetreiber dar, die zu einer erweiternden Auslegung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b ZuG 2012 zwingt. Dies gilt umso mehr als der Anlagenbetrieb als solcher davon nicht betroffen war, sondern es der Sache nach allein um den finanziellen Aufwand für den Erwerb zusätzlicher Berechtigungen am Markt geht.

45

Auch Art. 19 Abs. 4 GG gebietet es nicht, § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b ZuG 2012 auf offene Zuteilungsansprüche aus der Periode 2005 bis 2007 entsprechend anzuwenden. Art. 19 Abs. 4 GG garantiert nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Der Bürger hat einen substanziellen Anspruch auf eine möglichst wirksame Kontrolle in allen ihm von der Prozessordnung zur Verfügung gestellten Instanzen. Dabei kommt Art. 19 Abs. 4 GG u.a. die Aufgabe zu, irreparable Entscheidungen soweit als möglich auszuschließen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. September 1989 - 2 BvR 1576/88 - NJW 1990, 501; Beschluss vom 29. Oktober 1975 - 2 BvR 630/73 - BVerfGE 40, 272 <275>). Der Untergang der offenen Zuteilungsansprüche mit Ablauf der ersten Periode 2005 bis 2007 zeitigt keine irreparablen Folgen. Ob der geltend gemachte Anspruch auf Mehrzuteilung ihr zu Unrecht versagt worden ist, kann die Klägerin im Wege einer Fortsetzungsfeststellungsklage zur Überprüfung stellen (näher dazu unter 3.). Für den Ausgleich finanzieller Schäden steht ihr der Rechtsweg zu den Zivilgerichten offen. Überdies bestand die Möglichkeit, um einstweiligen Rechtsschutz etwa auf vorläufige Zuteilung zusätzlicher Berechtigungen nachzusuchen. Damit ist den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG Genüge getan.

46

3. Der im Revisionsverfahren hilfsweise gestellte Fortsetzungsfeststellungsantrag ist zulässig (a). Ob er auch begründet ist, kann im Revisionsverfahren nicht abschließend beurteilt werden (b).

47

a) In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO auf die Verpflichtungsklage analog anwendbar ist und der Übergang von der Verpflichtungsklage auf die Fortsetzungsfeststellungsklage bzw. die hilfsweise Erhebung einer Fortsetzungsfeststellungsklage im Revisionsverfahren keine nach § 142 Abs. 1 Satz 1 VwGO unzulässige Klageänderung darstellt (vgl. Urteile vom 15. Dezember 1993 - BVerwG 6 C 20.92 - BVerwGE 94, 352 <355> = Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 321 = juris Rn. 19 und vom 25. Juli 1985 - BVerwG 3 C 25.84 - LS 1= BVerwGE 72, 38 ff. = Buchholz 451.74 § 8 KHG Nr. 7).

48

Der Hilfsantrag ist auch im Übrigen statthaft, sofern man ihn - wie in der mündlichen Verhandlung erörtert - im Einverständnis mit der Klägerin dahingehend versteht, dass festgestellt werden soll, dass die Beklagte bis zum 30. April 2008 verpflichtet war, der Klägerin die begehrte Mehrzuteilung von Berechtigungen für das Kraftwerk Frimmersdorf zu gewähren und der Bescheid vom 16. Dezember 2004 und der Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 2005 rechtswidrig waren, soweit sie dem entgegenstanden. Wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung klargestellt hat, zielt ihr Hilfsantrag entgegen der missverständlichen Formulierung nicht darauf, festzustellen, dass der der Zuteilungsentscheidung zugrunde gelegte Kürzungsfaktor rechtswidrig war. Ein solcher Antrag wäre auch nicht statthaft, denn ein Fortsetzungsfeststellungsantrag nach Erledigung eines Verpflichtungsbegehrens kann nicht auf die Feststellung gerichtet werden, aus welchem Grund die Ablehnung des beantragten Verwaltungsakts rechtswidrig gewesen ist (Urteil vom 31. März 1987 - BVerwG 1 C 29.84 - BVerwGE 77, 164 ff. = Buchholz 130 § 9 RuStAG Nr. 5 = juris Rn. 26). Die Bezugnahme auf den Kürzungsfaktor im Hilfsantrag dient nach den klarstellenden Ausführungen der Klägerin vielmehr lediglich dazu, die nach ihrer Auffassung relevante Beurteilungsgrundlage für ihren Anspruch auf Mehrzuteilung inhaltlich näher zu umreißen, weil ihr eine Bezifferung ihres Antrags nicht möglich ist.

49

Das erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse für den Hilfsantrag liegt vor. Angesichts der Änderung der Zuteilungsregeln für die Periode 2008 bis 2012 ist allerdings zweifelhaft, ob es sich auf eine Wiederholungsgefahr stützen ließe. Es folgt aber jedenfalls daraus, dass ein Zivilprozess auf Entschädigung wegen enteignungsgleichem Eingriff nicht offensichtlich aussichtslos erscheint.

50

Im Hinblick auf einen etwaigen Schadensersatzprozess vor den Zivilgerichten gilt der Grundsatz, dass ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse dann besteht, wenn der Zivilprozess nicht offensichtlich aussichtslos ist. Von offensichtlicher Aussichtslosigkeit ist auszugehen, wenn ohne ins Einzelne gehende Prüfung erkennbar ist, dass der behauptete zivilrechtliche Anspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt besteht. Bezogen auf Amtshaftungsklagen ist das etwa dann der Fall, wenn ein Kollegialgericht das Verhalten eines Beamten als rechtmäßig gewertet hat und deshalb diesem gegenüber nicht der Vorwurf erhoben werden kann, er habe offensichtlich fehlsam gehandelt und damit schuldhaft eine ihm obliegende Amtspflicht verletzt. Dieser Grundsatz gilt ausnahmsweise dann nicht, wenn es sich bei dem beanstandeten Verhalten um eine grundsätzliche Maßnahme zentraler Dienststellen bei Anwendung eines ihnen besonders anvertrauten Spezialgesetzes handelt oder wenn das Gericht die Rechtslage trotz eindeutiger und klarer Vorschriften verkannt oder eine eindeutige Bestimmung handgreiflich falsch ausgelegt hat. Die Regel ist ferner unanwendbar, wenn besondere Umstände dafür sprechen, dass der verantwortliche Beamte es kraft seiner Stellung oder seiner besonderen Einsichten "besser" als das Kollegialgericht hätte wissen müssen (Urteil vom 30. Juni 2004 - BVerwG 4 C 1.03 - BVerwGE 121, 169 ff. = Buchholz 406.11 § 172 BauGB Nr. 3 = juris Rn. 21).

51

Ob daran gemessen und unter Berücksichtigung der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss vom 10. Dezember 2009 (a.a.O.) ein Amtshaftungsprozess offensichtlich aussichtslos wäre, kann offenbleiben. Jedenfalls auf die beabsichtigte Klage auf Entschädigung wegen eines enteignungsgleichen Eingriffs trifft dies nicht zu.

52

Der - verschuldensunabhängige - Entschädigungsanspruch aus enteignungsgleichem Eingriff kann neben einen Amtshaftungsanspruch treten. Er setzt voraus, dass rechtswidrig in eine durch Art. 14 GG geschützte Rechtsposition von hoher Hand unmittelbar eingegriffen wird, die hoheitliche Maßnahme also unmittelbar eine Beeinträchtigung des Eigentums herbeiführt, und dem Berechtigten dadurch ein besonderes, anderen nicht zugemutetes Opfer für die Allgemeinheit auferlegt wird (BGH, Urteil vom 12. Juli 2001 - III ZR 282/00 - DVBl 2001, 1619, 1621). Dass diese Voraussetzungen vorliegen, erscheint nicht offensichtlich ausgeschlossen. Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Emissionsbefugnis dem Eigentum an den körperlichen Gegenständen der Anlage oder dem Unternehmen in seiner genehmigten Ausprägung zuzuordnen (Urteil vom 30. Juni 2005 - BVerwG 7 C 26.04 - BVerwGE 124, 47 <59 f.> = Buchholz 451.91 EuropUmweltR Nr. 19 Rn. 34). Das rechtswidrige Vorenthalten von Emissionsberechtigungen stellt daher eine Beeinträchtigung des aus der eigentumsrechtlich geschützten Anlage bzw. dem eigentumsrechtlich geschützten Gewerbebetrieb folgenden Nutzungsrechts dar. Als Eingriffsakte kommen sowohl der Erlass des § 6 Abs. 6 ZuV 2007 als auch die Ablehnung der begehrten Mehrzuteilung in Betracht. Auch die Allgemeinwohlbezogenheit des Treibhausgas-Emissionshandels begegnet keinen Bedenken. Zudem erscheint der Anspruch weder wegen Subsidiarität noch in Ermangelung eines Schadens als offensichtlich ausgeschlossen. Die Klägerin hat um Primärrechtsschutz nachgesucht und nach eigener Darstellung die fehlenden Berechtigungen am Markt zukaufen müssen. Alles Weitere ist den Zivilgerichten zu überlassen (Urteil vom 30. Juni 2004 - BVerwG 4 C 1.03 - a.a.O. Rn. 24, 25).

53

b) Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist begründet, wenn die Klägerin bei Eintritt des erledigenden Ereignisses, d.h. bei Ablauf der ersten Zuteilungsperiode 2005 bis 2007, einen Anspruch auf Mehrzuteilung von Berechtigungen hatte, der Zuteilungsbescheid vom 16. Dezember 2004 und der Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 2005 mithin rechtswidrig waren und die Klägerin in ihren Rechten verletzten. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, kann der Senat im Revisionsverfahren nicht abschließend klären.

54

Die Frage, ob die Klägerin einen Anspruch auf Mehrzuteilung hatte, kann nur auf der Grundlage einer Neuberechnung des Kürzungsfaktors beantwortet werden. Die Beklagte hat eine solche Neuberechnung im Revisionsverfahren vorgenommen. Diese ist aber von der Klägerin mit substantiierten Einwendungen als fehlerhaft angegriffen worden. Streitig - und nicht im Revisionsverfahren zu ermitteln - ist u.a., wie viele Anlagen von der Nichtigkeit des § 6 Abs. 6 ZuV 2007 betroffen sind. Schon dies nötigt zur Zurückverweisung an die Vorinstanz.

55

Bei der Neuberechnung des Kürzungsfaktors ist nicht nur die sich zugunsten der Klägerin auswirkende Nichtigkeit des § 6 Abs. 6 ZuV 2007 zu berücksichtigen. Zu den generellen, bei der Prognose über die Zuteilungsmenge zu beachtenden Regeln gehört vielmehr auch, dass Zuteilungen an Optionsanlagen nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 16. Oktober 2007 - BVerwG 7 C 6.07 - BVerwGE 129, 346 ff. = Buchholz 406.253 § 7 ZuG 2007 Nr. 1 = juris Rn. 23) keiner anteiligen Kürzung unterliegen. Die Auffassung der Klägerin, dass - sofern bei der Korrektur des Kürzungsfaktors überhaupt eine Saldierung zulässig sei - als Saldierungsposten nur solche Zuteilungen nach § 7 Abs. 12 ZuG 2007 eingestellt werden dürfen, die die Beklagte auch tatsächlich korrigiert hat, ist unzutreffend. Im Rahmen der Neuberechnung des Kürzungsfaktors geht es nicht darum, alle Korrekturen individueller Zuteilungsbescheide einfließen zu lassen, sondern nur darum, die generellen Zuteilungsregeln bei der Prognoseerstellung nachträglich ordnungsgemäß anzuwenden. Vor diesem Hintergrund gehen auch die Hinweise der Klägerin auf das gesonderte Budget für die (konkreten) Korrekturen der Zuteilungen an die Optionsanlagen und die fehlende Berücksichtigung der ex-post-Korrekturen fehl. Der Sache nach zielt dieses Vorbringen auf einen Ausgleich zurückfließender Berechtigungen durch nachträgliche Korrekturen. Dem hat der Senat schon in seinem vom Urteil vom 16. Oktober 2007 (a.a.O. Rn. 47 ff.) eine Absage erteilt.

56

Ob und inwieweit bei der Neuberechnung noch weitere, im Verfahren bisher nicht erörterte Umstände relevant sein können, die ebenfalls dem Bereich der generellen Zuteilungsregeln zuzuordnen sind, kann der Senat nicht abschließend beurteilen und muss der rechtlichen Würdigung durch das Oberverwaltungsgericht vorbehalten bleiben.

Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen können nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Dies gilt nicht, wenn behördliche Verfahrenshandlungen vollstreckt werden können oder gegen einen Nichtbeteiligten ergehen.

(1) Beantragt der Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland berechtigt oder berechtigt hat, die Erteilung einer Fahrerlaubnis für die entsprechende Klasse von Kraftfahrzeugen, sind folgende Vorschriften nicht anzuwenden:

1.
§ 11 Absatz 9 über die ärztliche Untersuchung und § 12 Absatz 6 über die Untersuchung des Sehvermögens, es sei denn, dass in entsprechender Anwendung der Regelungen in den §§ 23 und 24 eine Untersuchung erforderlich ist,
2.
§ 12 Absatz 2 über den Sehtest,
3.
§ 15 über die Befähigungsprüfung,
4.
§ 19 über die Schulung in Erster Hilfe,
5.
die Vorschriften über die Ausbildung.
Für die Berechtigung zum Führen von Fahrzeugen der Klassen AM, L und T gilt § 6 Absatz 3 entsprechend. Ist die ausländische Fahrerlaubnis auf das Führen von Kraftfahrzeugen ohne Kupplungspedal oder im Falle von Fahrzeugen der Klassen A, A1 oder A2 ohne Schalthebel beschränkt, ist die Fahrerlaubnis auf das Führen derartiger Fahrzeuge zu beschränken. § 17a Absatz 1 und 2 ist entsprechend anzuwenden.

(2) Läuft die Geltungsdauer einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis der Klassen AM, A1, A2, A, B, BE oder B1, die zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland berechtigt hat, nach Begründung des ordentlichen Wohnsitzes in der Bundesrepublik Deutschland ab, findet Absatz 1 entsprechend Anwendung; handelt es sich um eine Fahrerlaubnis der Klassen C oder D oder einer Unter- oder Anhängerklasse, wird die deutsche Fahrerlaubnis in entsprechender Anwendung von § 24 Absatz 2 erteilt. Satz 1 findet auch Anwendung, wenn die Geltungsdauer bereits vor Begründung des ordentlichen Wohnsitzes abgelaufen ist. In diesem Fall hat die Fahrerlaubnisbehörde jedoch eine Auskunft nach § 22 Absatz 2 Satz 3 einzuholen, die sich auch darauf erstreckt, warum die Fahrerlaubnis nicht vor der Verlegung des ordentlichen Wohnsitzes in die Bundesrepublik Deutschland verlängert worden ist.

(3) Der Führerschein ist nur gegen Abgabe des ausländischen Führerscheins auszuhändigen. Außerdem hat der Antragsteller sämtliche weitere Führerscheine abzuliefern, soweit sie sich auf die EU- oder EWR-Fahrerlaubnis beziehen, die Grundlage der Erteilung der entsprechenden deutschen Fahrerlaubnis ist. Die Fahrerlaubnisbehörde sendet die Führerscheine unter Angabe der Gründe über das Kraftfahrt-Bundesamt an die Behörde zurück, die sie jeweils ausgestellt hatte.

(4) Auf dem Führerschein ist in Feld 10 der Tag zu vermerken, an dem die ausländische Fahrerlaubnis für die betreffende Klasse erteilt worden war. Auf dem Führerschein ist zu vermerken, dass der Erteilung der Fahrerlaubnis eine Fahrerlaubnis zugrunde gelegen hat, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum ausgestellt worden war.

(5) Absatz 3 gilt nicht für entsandte Mitglieder fremder diplomatischer Missionen im Sinne des Artikels 1 Buchstabe b des Wiener Übereinkommens vom 18. April 1961 über diplomatische Beziehungen (BGBl. 1964 II S. 957) in der jeweils geltenden Fassung und entsandte Mitglieder berufskonsularischer Vertretungen im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 Buchstabe g des Wiener Übereinkommens vom 24. April 1963 über konsularische Beziehungen (BGBl. 1969 II S. 1585) in der jeweils geltenden Fassung sowie die zu ihrem Haushalt gehörenden Familienmitglieder.

(1) Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinne des § 7 Absatz 1 oder 2 in der Bundesrepublik Deutschland haben, dürfen – vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Absätzen 2 bis 4 – im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. Auflagen zur ausländischen Fahrerlaubnis sind auch im Inland zu beachten. Auf die Fahrerlaubnisse finden die Vorschriften dieser Verordnung Anwendung, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(2) Der Umfang der Berechtigung der jeweiligen Fahrerlaubnisklassen ergibt sich aus dem Beschluss (EU) 2016/1945 der Kommission vom 14. Oktober 2016 über Äquivalenzen zwischen Führerscheinklassen (ABl. L 302 vom 9.11.2016, S. 62). Die Berechtigung nach Absatz 1 gilt nicht für Fahrerlaubnisklassen, für die die Entscheidung der Kommission keine entsprechenden Klassen ausweist. Für die Berechtigung zum Führen von Fahrzeugen der Klassen L und T gilt § 6 Absatz 3 entsprechend.

(3) Die Vorschriften über die Geltungsdauer von Fahrerlaubnissen der Klassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE und D1E in § 23 Absatz 1 gelten auch für die entsprechenden EU- und EWR-Fahrerlaubnisse. Grundlage für die Berechnung der Geltungsdauer ist das Datum der Erteilung der ausländischen Fahrerlaubnis. Wäre danach eine solche Fahrerlaubnis ab dem Zeitpunkt der Verlegung des ordentlichen Wohnsitzes in die Bundesrepublik Deutschland nicht mehr gültig, weil seit der Erteilung mehr als fünf Jahre verstrichen sind, besteht die Berechtigung nach Absatz 1 Satz 1 noch sechs Monate, gerechnet von der Begründung des ordentlichen Wohnsitzes im Inland an. Für die Erteilung einer deutschen Fahrerlaubnis ist § 30 in Verbindung mit § 24 Absatz 1 entsprechend anzuwenden.

(4) Die Berechtigung nach Absatz 1 gilt nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis,

1.
die lediglich im Besitz eines Lernführerscheins oder eines anderen vorläufig ausgestellten Führerscheins sind,
2.
die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten, es sei denn, dass sie als Studierende oder Schüler im Sinne des § 7 Absatz 2 die Fahrerlaubnis während eines mindestens sechsmonatigen Aufenthalts erworben haben,
3.
denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder sofort vollziehbar oder bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden ist, denen die Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt worden ist oder denen die Fahrerlaubnis nur deshalb nicht entzogen worden ist, weil sie zwischenzeitlich auf die Fahrerlaubnis verzichtet haben,
4.
denen auf Grund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung keine Fahrerlaubnis erteilt werden darf,
5.
solange sie im Inland, in dem Staat, der die Fahrerlaubnis erteilt hatte, oder in dem Staat, in dem sie ihren ordentlichen Wohnsitz haben, einem Fahrverbot unterliegen oder der Führerschein nach § 94 der Strafprozessordnung beschlagnahmt, sichergestellt oder in Verwahrung genommen ist,
6.
die zum Zeitpunkt des Erwerbs der ausländischen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis Inhaber einer deutschen Fahrerlaubnis waren,
7.
deren Fahrerlaubnis aufgrund einer Fahrerlaubnis eines Drittstaates, der nicht in der Anlage 11 aufgeführt ist, prüfungsfrei umgetauscht worden ist, oder deren Fahrerlaubnis aufgrund eines gefälschten Führerscheins eines Drittstaates erteilt wurde,
8.
die zum Zeitpunkt der Erteilung einer Fahrerlaubnis eines Drittstaates, die in eine ausländische EU- oder EWR-Fahrerlaubnis umgetauscht worden ist, oder zum Zeitpunkt der Erteilung der EU- oder EWR-Fahrerlaubnis auf Grund einer Fahrerlaubnis eines Drittstaates ihren Wohnsitz im Inland hatten, es sei denn, dass sie die ausländische Erlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeuges als Studierende oder Schüler im Sinne des § 7 Absatz 2 in eine ausländische EU- oder EWR-Fahrerlaubnis während eines mindestens sechsmonatigen Aufenthalts umgetauscht haben, oder
9.
die den Vorbesitz einer anderen Klasse voraussetzt, wenn die Fahrerlaubnis dieser Klasse nach den Nummern 1 bis 8 im Inland nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen berechtigt.
In den Fällen des Satzes 1 kann die Behörde einen feststellenden Verwaltungsakt über die fehlende Berechtigung erlassen. Satz 1 Nummer 3 und 4 ist nur anzuwenden, wenn die dort genannten Maßnahmen im Fahreignungsregister eingetragen und nicht nach § 29 des Straßenverkehrsgesetzes getilgt sind. Satz 1 Nummer 9 gilt auch, wenn sich das Fehlen der Berechtigung nicht unmittelbar aus dem Führerschein ergibt.

(5) Das Recht, von einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis nach einer der in Absatz 4 Nummer 3 und 4 genannten Entscheidungen im Inland Gebrauch zu machen, wird auf Antrag erteilt, wenn die Gründe für die Entziehung oder die Sperre nicht mehr bestehen. Absatz 4 Satz 3 sowie § 20 Absatz 1 und 3 gelten entsprechend.

(1) Der Bewerber um eine Fahrerlaubnis hat seine Befähigung in einer theoretischen und einer praktischen Prüfung nachzuweisen.

(2) Beim Erwerb einer Fahrerlaubnis der Klasse L bedarf es nur einer theoretischen, bei der Erweiterung der Klasse B auf die Klasse BE, der Klasse C1 auf die Klasse C1E, der Klasse D auf die Klasse DE und der Klasse D1 auf die Klasse D1E bedarf es jeweils nur einer praktischen Prüfung.

(3) Bei der Erweiterung der Klasse A1 auf Klasse A2 oder der Klasse A2 auf Klasse A bedarf es jeweils nur einer praktischen Prüfung, soweit der Bewerber zum Zeitpunkt der Erteilung der jeweiligen Fahrerlaubnis für

1.
die Fahrerlaubnis der Klasse A2 seit mindestens zwei Jahren Inhaber der Fahrerlaubnis der Klasse A1 und
2.
die Fahrerlaubnis der Klasse A seit mindestens zwei Jahren Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klasse A2
ist (Aufstieg). Die Vorschriften über die Ausbildung sind nicht anzuwenden. Satz 1 gilt nicht für eine Fahrerlaubnis der Klasse A1, die unter Verwendung der Schlüsselzahl 79.03 oder 79.04 erteilt worden ist.

(4) Bewerber um eine Fahrerlaubnis der Klasse A2, die nach Maßgabe des § 6 Absatz 6 in Verbindung mit Anlage 3 Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klasse A1 sind, wird die Fahrerlaubnis der Klasse A2 unter der Voraussetzung erteilt, dass sie ihre Befähigung in einer praktischen Prüfung nachgewiesen haben (Aufstieg). Die Vorschriften über die Ausbildung sind nicht anzuwenden. Satz 1 gilt nicht für eine Fahrerlaubnis der Klasse A1, die unter Verwendung der Schlüsselzahl 79.03 oder 79.04 erteilt worden ist.

(5) Die Prüfungen werden von einem amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfer für den Kraftfahrzeugverkehr abgenommen.

(1) Für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung oder nach vorangegangenem Verzicht gelten die Vorschriften für die Ersterteilung. § 15 findet vorbehaltlich des Absatzes 2 keine Anwendung.

(2) Die Fahrerlaubnisbehörde ordnet eine Fahrerlaubnisprüfung an, wenn Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Bewerber die nach § 16 Absatz 1 und § 17 Absatz 1 erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt.

(3) Unberührt bleibt die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung nach § 11 Absatz 3 Satz 1 Nummer 9.

(4) Die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung kann frühestens sechs Monate vor Ablauf einer Sperre

1.
nach § 2a Absatz 5 Satz 3 oder § 4 Absatz 10 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes oder
2.
nach § 69 Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit § 69a Absatz 1 Satz 1 oder § 69a Absatz 1 Satz 3 in Verbindung mit Satz 1 des Strafgesetzbuches
bei der nach Landesrecht zuständigen Behörde beantragt werden.

(1) Der Bewerber um eine Fahrerlaubnis hat seine Befähigung in einer theoretischen und einer praktischen Prüfung nachzuweisen.

(2) Beim Erwerb einer Fahrerlaubnis der Klasse L bedarf es nur einer theoretischen, bei der Erweiterung der Klasse B auf die Klasse BE, der Klasse C1 auf die Klasse C1E, der Klasse D auf die Klasse DE und der Klasse D1 auf die Klasse D1E bedarf es jeweils nur einer praktischen Prüfung.

(3) Bei der Erweiterung der Klasse A1 auf Klasse A2 oder der Klasse A2 auf Klasse A bedarf es jeweils nur einer praktischen Prüfung, soweit der Bewerber zum Zeitpunkt der Erteilung der jeweiligen Fahrerlaubnis für

1.
die Fahrerlaubnis der Klasse A2 seit mindestens zwei Jahren Inhaber der Fahrerlaubnis der Klasse A1 und
2.
die Fahrerlaubnis der Klasse A seit mindestens zwei Jahren Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klasse A2
ist (Aufstieg). Die Vorschriften über die Ausbildung sind nicht anzuwenden. Satz 1 gilt nicht für eine Fahrerlaubnis der Klasse A1, die unter Verwendung der Schlüsselzahl 79.03 oder 79.04 erteilt worden ist.

(4) Bewerber um eine Fahrerlaubnis der Klasse A2, die nach Maßgabe des § 6 Absatz 6 in Verbindung mit Anlage 3 Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klasse A1 sind, wird die Fahrerlaubnis der Klasse A2 unter der Voraussetzung erteilt, dass sie ihre Befähigung in einer praktischen Prüfung nachgewiesen haben (Aufstieg). Die Vorschriften über die Ausbildung sind nicht anzuwenden. Satz 1 gilt nicht für eine Fahrerlaubnis der Klasse A1, die unter Verwendung der Schlüsselzahl 79.03 oder 79.04 erteilt worden ist.

(5) Die Prüfungen werden von einem amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfer für den Kraftfahrzeugverkehr abgenommen.

(1) Für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung oder nach vorangegangenem Verzicht gelten die Vorschriften für die Ersterteilung. § 15 findet vorbehaltlich des Absatzes 2 keine Anwendung.

(2) Die Fahrerlaubnisbehörde ordnet eine Fahrerlaubnisprüfung an, wenn Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Bewerber die nach § 16 Absatz 1 und § 17 Absatz 1 erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt.

(3) Unberührt bleibt die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung nach § 11 Absatz 3 Satz 1 Nummer 9.

(4) Die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung kann frühestens sechs Monate vor Ablauf einer Sperre

1.
nach § 2a Absatz 5 Satz 3 oder § 4 Absatz 10 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes oder
2.
nach § 69 Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit § 69a Absatz 1 Satz 1 oder § 69a Absatz 1 Satz 3 in Verbindung mit Satz 1 des Strafgesetzbuches
bei der nach Landesrecht zuständigen Behörde beantragt werden.

(1) Der Bewerber um eine Fahrerlaubnis hat seine Befähigung in einer theoretischen und einer praktischen Prüfung nachzuweisen.

(2) Beim Erwerb einer Fahrerlaubnis der Klasse L bedarf es nur einer theoretischen, bei der Erweiterung der Klasse B auf die Klasse BE, der Klasse C1 auf die Klasse C1E, der Klasse D auf die Klasse DE und der Klasse D1 auf die Klasse D1E bedarf es jeweils nur einer praktischen Prüfung.

(3) Bei der Erweiterung der Klasse A1 auf Klasse A2 oder der Klasse A2 auf Klasse A bedarf es jeweils nur einer praktischen Prüfung, soweit der Bewerber zum Zeitpunkt der Erteilung der jeweiligen Fahrerlaubnis für

1.
die Fahrerlaubnis der Klasse A2 seit mindestens zwei Jahren Inhaber der Fahrerlaubnis der Klasse A1 und
2.
die Fahrerlaubnis der Klasse A seit mindestens zwei Jahren Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klasse A2
ist (Aufstieg). Die Vorschriften über die Ausbildung sind nicht anzuwenden. Satz 1 gilt nicht für eine Fahrerlaubnis der Klasse A1, die unter Verwendung der Schlüsselzahl 79.03 oder 79.04 erteilt worden ist.

(4) Bewerber um eine Fahrerlaubnis der Klasse A2, die nach Maßgabe des § 6 Absatz 6 in Verbindung mit Anlage 3 Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klasse A1 sind, wird die Fahrerlaubnis der Klasse A2 unter der Voraussetzung erteilt, dass sie ihre Befähigung in einer praktischen Prüfung nachgewiesen haben (Aufstieg). Die Vorschriften über die Ausbildung sind nicht anzuwenden. Satz 1 gilt nicht für eine Fahrerlaubnis der Klasse A1, die unter Verwendung der Schlüsselzahl 79.03 oder 79.04 erteilt worden ist.

(5) Die Prüfungen werden von einem amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfer für den Kraftfahrzeugverkehr abgenommen.

(1) Für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung oder nach vorangegangenem Verzicht gelten die Vorschriften für die Ersterteilung. § 15 findet vorbehaltlich des Absatzes 2 keine Anwendung.

(2) Die Fahrerlaubnisbehörde ordnet eine Fahrerlaubnisprüfung an, wenn Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Bewerber die nach § 16 Absatz 1 und § 17 Absatz 1 erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt.

(3) Unberührt bleibt die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung nach § 11 Absatz 3 Satz 1 Nummer 9.

(4) Die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung kann frühestens sechs Monate vor Ablauf einer Sperre

1.
nach § 2a Absatz 5 Satz 3 oder § 4 Absatz 10 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes oder
2.
nach § 69 Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit § 69a Absatz 1 Satz 1 oder § 69a Absatz 1 Satz 3 in Verbindung mit Satz 1 des Strafgesetzbuches
bei der nach Landesrecht zuständigen Behörde beantragt werden.

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein im Jahre 1966 geborener türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine unbefristete Ausweisung.

2

Der Kläger kam nach Heirat einer türkischen Staatsangehörigen 1991 im Wege des Ehegattennachzugs nach Deutschland. Aus der Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen, eine 1993 geborene Tochter und ein 2002 geborener Sohn. 1996 erhielt der Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die 2007 als Niederlassungserlaubnis in seinen Reisepass übertragen wurde.

3

2003 verlor der Kläger durch Konkurs des Arbeitgebers nach zwölf Jahren ununterbrochener Beschäftigung als Lagerarbeiter und Maschinenführer seinen Arbeitsplatz. Danach gelang es ihm nicht, erneut eine dauerhafte Beschäftigung zu finden. Im Mai 2003 wurde die Ehe geschieden. Nach einer Versöhnung lebte der Kläger vorübergehend wieder mit seiner Familie zusammen. Im Mai 2008 kam es zur endgültigen Trennung.

4

Dies führte beim Kläger zu psychischen Problemen. Er steigerte sich in die Vorstellung hinein, seine geschiedene Frau sei für sein Schicksal verantwortlich, kümmere sich nicht um die gemeinsamen Kinder und versuche, den Kontakt mit diesen zu verhindern. Diese Negativentwicklung gipfelte darin, dass er am 14. Dezember 2008 gegen 23.30 Uhr in die frühere Familienwohnung eindrang. Dabei führte er eine Rolle Klebeband, zwei Messer und einen Brief mit sich, in dem er ankündigte, sich und seine Kinder zu töten. In der Wohnung traf er auf seine Frau, schlug ihr mehrfach heftig ins Gesicht und drohte ihr mit der Tötung der Kinder. Durch das Eingreifen einer Freundin der Frau gelang es, die Situation bis zum Eintreffen der Polizei zu entspannen. Bei seiner Festnahme drohte der Kläger, seine frühere Ehefrau umzubringen. Er wurde in Untersuchungshaft genommen und mit Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 23. März 2009 wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung, Nötigung und Hausfriedensbruch zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, die wegen der Gefahr neuer Straftaten zum Nachteil der Familie nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde.

5

Mit Bescheid vom 27. Juli 2009 wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Kläger aus und drohte ihm die Abschiebung unmittelbar aus der Haft heraus in die Türkei an. Zur Begründung wurde ausgeführt, vom Kläger gehe eine massive Gefahr für die öffentliche Sicherheit aus. Seine unbefristete Ausweisung sei daher auch bei einer zu seinen Gunsten unterstellten Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 gerechtfertigt. Hiergegen erhob der Kläger Klage. Während des Klageverfahrens wurde die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe vom Landgericht Stuttgart im Dezember 2009 zur Bewährung ausgesetzt und der Kläger aus der Haft entlassen. Daraufhin setzte das Regierungspräsidium dem Kläger mit Bescheid vom 16. Dezember 2009 eine Ausreisefrist bis 17. Januar 2010. Diese Änderung wurde im Wege der Klageerweiterung in das Klageverfahren einbezogen.

6

Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil vom 17. Dezember 2010 stattgegeben und die angegriffenen Bescheide aufgehoben. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat nach Ablehnung eines Antrags des Beklagten auf Einholung eines fachpsychiatrischen Gutachtens dessen Berufung mit Urteil vom 9. August 2011 zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Der Kläger besitze jedenfalls nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 eine assoziationsrechtliche Rechtsstellung. Er dürfe daher nach § 55 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 ARB 1 /80 nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Dabei gelte entgegen der Annahme des Bundesverwaltungsgerichts nicht ein differenzierter, mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Maßgeblich sei allein der jeweilige Einzelfall, der eine umfassende Würdigung aller wesentlichen Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Betroffenen erfordere. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe gehe vom Kläger gegenwärtig keine Wiederholungsgefahr aus. Der Einholung eines Gutachtens habe es nicht bedurft. Es lägen keine besonderen tat- oder persönlichkeitsbezogenen Umstände vor, aufgrund derer die Gefahrenprognose nicht ohne spezielle Sachkunde getroffen werden könne. Mehr als anderthalb Jahre nach der Strafaussetzung zur Bewährung und unter Berücksichtigung des zwischenzeitlichen Verhaltens des Klägers sowie der recht spezifischen Umstände, die im Dezember 2008 zur Straftat geführt hätten, bestünden keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger erneut vergleichbare Straftaten insbesondere zum Nachteil seiner geschiedenen Ehefrau oder seiner Kinder begehen werde. Die vom Beklagten (hilfsweise) begehrte Aufhebung der Ausweisung mit Wirkung ex nunc - primär um ein Wiederaufleben der Niederlassungserlaubnis des Klägers zu verhindern - komme nicht in Betracht. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO lasse sowohl eine Aufhebung ex tunc als auch ex nunc zu. Auch § 84 Abs. 2 AufenthG sei zu dieser Frage keine klare Entscheidung zu entnehmen. Gegen eine zeitliche begrenzte Aufhebung der Ausweisungsverfügung sprächen vor allem die europa- und verfassungsrechtlichen Vorgaben, die für die Zeitpunktverschiebung im Ausweisungsrecht maßgebend gewesen seien, aber auch pragmatische Gründe, da das Gericht den genauen Stichtag - etwa des Wegfalls der Wiederholungsgefahr - regelmäßig nur schwer ermitteln könne. Möglich dürfte allein die Feststellung sein, dass die Ausweisung zu einem bestimmten Zeitpunkt rechtswidrig oder rechtmäßig gewesen sei. Insoweit könne der Ausländerbehörde eventuell mittels eines Feststellungsausspruchs analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO geholfen werden, der ggf. auch im Wege der Widerklage oder Anschlussberufung durchsetzbar sei. Einen solchen Antrag habe der Beklagte nicht gestellt. Da der Aufenthalt nicht beendet worden sei, fehle es auch an einem besonderen Feststellungsinteresse.

7

Der Beklagte rügt mit der Revision eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör wegen der Ablehnung seines Beweisantrags. Außerdem ist er der Auffassung, dass eine Ausweisung nach Wegfall der Wiederholungsgefahr im gerichtlichen Verfahren nur mit Wirkung ex nunc aufgehoben werden dürfe.

8

Der Kläger verteidigt die angegriffene Entscheidung, hilfsweise begehrt er eine Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung mit sofortiger Wirkung.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist zulässig und begründet. Die Verfahrensrüge des Beklagten greift durch. Das Berufungsgericht hat den vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag auf Einholung eines fachpsychiatrischen Gutachtens unter Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) abgelehnt. Der Beweisantrag zielte auf die Aufklärung der Tatsache, ob der Kläger die psychische Situation und die Denk- und Wahrnehmungsmuster, die dem Verfassen des Abschiedsbriefs vom 14. Dezember 2008 und der abgeurteilten Straftat von demselben Tag zugrunde liegen, so weit überwunden hat, dass von ihm keine Gefahr weiterer vergleichbarer Straftaten gegen seine geschiedene Frau und seine Kinder mehr ausgeht. Da das Berufungsurteil auf diesem Verfahrensmangel beruht, ist es schon deshalb aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

10

1. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Als Prozessgrundrecht soll es sicherstellen, dass die gerichtliche Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme oder Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG es, dass das Gericht einem Beweisangebot nachgeht, wenn die unter Beweis gestellte Tatsachenbehauptung nach seinem Rechtsstandpunkt erheblich ist und die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots im Prozessrecht keine Stütze findet (stRspr, vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. Januar 2001 - 1 BvR 2075/98 - NJW-RR 2001, 1006 m.w.N.).

11

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können die Tatsacheninstanzen einen Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens im Allgemeinen nach tatrichterlichem Ermessen gemäß § 98 VwGO in entsprechender Anwendung des § 412 ZPO oder mit dem Hinweis auf die eigene Sachkunde verfahrensfehlerfrei ablehnen. Das Tatsachengericht muss seine Entscheidung für die Beteiligten und das Rechtsmittelgericht aber nachvollziehbar begründen und ggf. angeben, woher es seine Sachkunde hat. Wie konkret der Hinweis auf die eigene Sachkunde des Gerichts zu sein hat, hängt dabei von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. Beschluss vom 27. Februar 2001 - BVerwG 1 B 206.00 - Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 46 m.w.N.). Die Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens ist hingegen verfahrensfehlerhaft, wenn das Gericht für sich eine ihm nicht zur Verfügung stehende Sachkunde in Anspruch nimmt oder sich in einer Frage für sachkundig hält, in der seine Sachkunde ernstlich zweifelhaft ist, ohne dass es überzeugend darlegt, weshalb ihm die erforderliche Sachkunde zur Verfügung steht, oder wenn sonst seine Entscheidung auf mangelnde Sachkunde schließen lässt (Beschluss vom 24. November 1997 - BVerwG 1 B 224.97 - juris Rn. 6 m.w.N.).

12

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist weiter geklärt, dass bei der gerichtlichen Überprüfung der Ausweisung eines strafgerichtlich verurteilten Ausländers hinsichtlich der gebotenen Gefahrenprognose nicht allein auf das Strafurteil und die diesem zugrunde liegende Straftat, sondern auf die Gesamtpersönlichkeit abzustellen ist und dabei auch nachträgliche Entwicklungen einzubeziehen sind. Bei dieser Prognoseentscheidung bewegt sich das Gericht regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die dem Richter allgemein zugänglich sind. Der Hinzuziehung eines Sachverständigen bedarf es nur ausnahmsweise, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände - etwa bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen - nicht ohne spezielle, dem Gericht nicht zur Verfügung stehende fachliche Kenntnisse erstellt werden kann (vgl. Beschlüsse vom 4. Mai 1990 - BVerwG 1 B 82.89 - Buchholz 402.24 § 10 AuslG Nr. 124 und vom 14. März 1997 - BVerwG 1 B 63.97 - Buchholz 402.240 § 45 AuslG 1990 Nr. 10 m.w.N.).

13

Von einem derartigen Sonderfall ist vorliegend auszugehen. Aufgrund der beim Kläger anlässlich der endgültigen Trennung von seiner geschiedenen Ehefrau aufgetretenen massiven psychischen Probleme, die letztlich zu der Tat vom Dezember 2008 und den ernst zu nehmenden Todesdrohungen gegen seine geschiedene Ehefrau und die gemeinsamen Kinder geführt haben, liegen Hinweise dafür vor, dass die Persönlichkeit des Klägers nicht allein auf der Grundlage allgemeiner Lebenserfahrung zutreffend beurteilt werden kann. Vielmehr bedarf es hierfür - ungeachtet des zwischenzeitlichen Verhaltens des Klägers - einer speziellen, einem Laien regelmäßig nicht zur Verfügung stehenden medizinischen Sachkunde. Dies gilt umso mehr, als die Hintergründe der Tat im Strafverfahren weitgehend im Dunkeln geblieben sind und der Kläger ausweislich der im Berufungsverfahren vorgelegten Bescheinigung der ihn behandelnden Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie vom 28. Juli 2011 in den zehn seit seiner Entlassung durchgeführten therapeutischen Sitzungen wenig offen für das Aufarbeiten von Vergangenem war und - hierauf angesprochen - Gefühle von Kränkung und Wut zeigte.

14

Den Ausführungen des Berufungsgerichts ist nicht zu entnehmen, dass es selbst über die erforderliche Sachkunde für das Erfassen und Bewerten eines nach der Vorgeschichte nicht auszuschließenden psychisch krankhaften Verhaltens des Klägers verfügt. Insoweit kann es sich insbesondere nicht auf die ihm vorgelegte ärztliche Bescheinigung stützen. In dieser wird eine Anpassungsstörung mit gemischter Störung von Gefühlen und Sozialverhalten diagnostiziert. Zur Frage der (fortbestehenden) Gefährlichkeit des Klägers enthält die Bescheinigung keine abschließende Aussage, sondern nur den Hinweis, dass innerhalb der Behandlungsgespräche zu keinem Zeitpunkt selbst- oder fremdgefährdende Einstellungen oder Verhaltensweisen aufgefallen seien. Auch das unauffällige Verhalten des Klägers seit seiner Freilassung, die im Wesentlichen positiven Stellungnahmen der ihn betreuenden sozialen Einrichtungen und das Einhalten der Bewährungsauflagen, insbesondere das Beachten des Kontaktverbots zu seiner geschiedenen Ehefrau und den Kindern, ändern nichts daran, dass eine zuverlässige Würdigung der klägerischen Persönlichkeit im Rahmen der dem Gericht obliegenden Prognoseentscheidung nach den in der Vergangenheit gezeigten psychischen Auffälligkeiten einer besonderen Sachkunde bedarf. Damit findet die Ablehnung des Beweisantrags des Beklagten im Prozessrecht keine Stütze. Das Verfahren ist schon deshalb wegen Verstoßes gegen das Recht auf rechtliches Gehör an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

15

2. Für das erneute Berufungsverfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

16

2.1 Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung und der vom Kläger erstmals im Revisionsverfahren hilfsweise begehrten Befristung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (stRspr, vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE vorgesehen - Rn. 12 m.w.N.).

17

2.2 Die angefochtene Ausweisung findet ihre Rechtsgrundlage in § 55 Abs. 1, § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ANBA 1981, 4) - ARB 1/80 -. Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger jedenfalls als türkischer Arbeitnehmer nach Art. 6 Abs. 1 Spiegelstrich 3 ARB 1/80 ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht erworben hat. Dieses geht nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union - EuGH - nicht durch eine ihrer Natur nach vorübergehende Abwesenheit vom Arbeitsmarkt, etwa infolge unfreiwilliger Arbeitslosigkeit oder Verbüßung einer Freiheitsstrafe, verloren (EuGH, Urteil vom 7. Juli 2005 - Rs. C-383/03, Dogan - Slg. 2005 I-6237 Rn. 19 und 22). Der Kläger kann daher nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2012, 422). Zur Bestimmung der Bedeutung und der Tragweite des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 hat der EuGH in der Vergangenheit auf die Richtlinie 64/221/EWG abgestellt. Nachdem diese Richtlinie inzwischen durch die Richtlinie 2004/38/EG - Unionsbürgerrichtlinie - aufgehoben wurde, gilt für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige nunmehr ein anderer unionsrechtlicher Bezugsrahmen. Dieser wird für einen Ausländer, der sich - wie der Kläger - seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat aufhält, mangels günstigerer Vorschriften im Assoziationsrecht EWG-Türkei durch Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG - Daueraufenthaltsrichtlinie - gebildet, die eine Vorschrift zum Mindestschutz vor Ausweisungen von Drittstaatsangehörigen darstellt, die in einem Mitgliedstaat die Rechtsstellung von langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzen (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 79; zu den Anforderungen an die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG vgl. auch Senatsurteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 14 ff.).

18

Für die danach im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr gilt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ein mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Die Kritik des Berufungsgerichts an diesem differenzierenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab verkennt, dass jede sicherheitsrechtliche Gefahrenprognose nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts eine Korrelation aus Eintrittswahrscheinlichkeit und (möglichem) Schadensausmaß ist. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Auch die den nationalen Gerichten obliegende und auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Beurteilung, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt, kann im Hinblick auf die erforderliche Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts den Rang des bedrohten Rechtsguts nicht außer Acht lassen, denn dieser bestimmt die mögliche Schadenshöhe. Das bedeutet aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet. Der Senat hat schon zu § 12 Abs. 3 AufenthG/EWG entschieden, dass im Hinblick auf die Bedeutung des Grundsatzes der Freizügigkeit an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit keine zu geringen Anforderungen gestellt werden dürfen (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 16 m.w.N.).

19

In diesem Zusammenhang wird das Berufungsgericht, nachdem es sich die erforderliche Sachkunde für eine zuverlässige Beurteilung der klägerischen Persönlichkeit - durch Einholung des vom Beklagten beantragten fachpsychiatrischen Gutachtens oder auf andere Weise, etwa durch Anhörung der den Kläger behandelnden Ärztin - verschafft hat, zunächst zu klären haben, ob vom Kläger gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung ausgeht, weil schwere Straftaten zum Nachteil seiner geschiedenen Ehefrau und der gemeinsamen Kinder zu befürchten sind.

20

2.3 Sollte das Berufungsgericht hierbei zu dem Ergebnis kommen, dass vom Kläger im für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung keine Wiederholungsgefahr (mehr) ausgeht, wäre die Ausweisung schon deshalb rechtswidrig und mit Wirkung ex tunc aufzuheben, ohne dass es darauf ankäme, ob die Behörde ihr Ermessen bei Erlass der Ausweisungsverfügung ordnungsgemäß ausgeübt und während des Verfahrens entsprechend aktualisiert hat.

21

Das Prozessrecht enthält zu der Frage, in welchem Umfang eine ursprünglich rechtmäßige, im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung aber wegen einer zwischenzeitlichen Änderung der Sach- oder Rechtslage rechtswidrig gewordene Ausweisung aufzuheben ist, keine verbindliche Regelung. Soweit es in § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO heißt, dass ein Verwaltungsakt aufzuheben ist, "soweit" er sich als rechtswidrig erweist, lässt diese Vorschrift sowohl eine Aufhebung ex tunc als auch ex nunc zu. Ob ein Verwaltungsakt aber in inhaltlicher oder auch in zeitlicher Hinsicht teilbar ist, ist eine Frage des jeweiligen materiellen Rechts. Diesem sind nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes zu entnehmen, sondern es bestimmt auch, zu welchem Zeitpunkt diese Voraussetzungen bei einer gerichtlichen Überprüfung vorliegen müssen, und ob eine ursprünglich rechtmäßige, während des gerichtlichen Verfahrens aber rechtswidrig gewordene Verfügung "in der Zeit" teilbar ist.

22

Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Aufenthaltsgesetz an die Ausweisung kraft Gesetzes bestimmte Rechtsfolgen knüpft. Diese sind nur teilweise - etwa das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) und die Titelerteilungssperre (§ 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) - einer zeitlichen Limitierung zugänglich (vgl. insoweit auch die Befristungsmöglichkeit nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG). Die titelvernichtende Wirkung der Ausweisung (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) und die damit einhergehende Ausreisepflicht (§ 50 Abs. 1 AufenthG) können hingegen nach der gesetzlichen Konzeption nur durch eine auf den Erlasszeitpunkt rückwirkende Aufhebung beseitigt werden. Damit unterscheidet sich die Ausweisung in ihren Folgen von einem - auf der Zeitachse teilbaren - Dauerverwaltungsakt.

23

Entgegen der Auffassung des Beklagten ergibt sich die Möglichkeit einer Aufhebung mit Wirkung ex nunc auch nicht aus § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG. Danach tritt eine Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nicht ein, wenn der Verwaltungsakt durch eine behördliche oder unanfechtbare gerichtliche Entscheidung aufgehoben wird. Diese Vorschrift knüpft an die Regelung in § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG an. Danach lassen Widerspruch und Klage unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit der Ausweisung und eines sonstigen Verwaltungsaktes, der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet, unberührt. Die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts entfällt folglich mit dem Erlass der Ausweisungsverfügung, ohne dass es auf deren vorläufige Vollziehbarkeit ankommt. § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG stellt klar, dass diese aufenthaltsrechtliche Folge nicht eintritt, wenn der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendende Verwaltungsakt nachträglich durch eine behördliche oder unanfechtbare gerichtliche Entscheidung aufgehoben wird. Die Vorschrift verhält sich indes nicht zu der hier entscheidungserheblichen Frage der Teilbarkeit der Ausweisung "in der Zeit".

24

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG ausdrücklich nur die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts anspricht. Das Aufenthaltsgesetz unterscheidet zwar grundsätzlich zwischen dem Besitz eines Aufenthaltstitels und der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts. Der Regelung in § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG, wonach im Falle einer späteren Aufhebung keine Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts eintritt, kann aber nicht im Umkehrschluss entnommen werden, dass in Fällen, in denen der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendende Verwaltungsakt zugleich zum Erlöschen eines Aufenthaltstitels führt, dieser Aufenthaltstitel bei einer späteren Aufhebung des Verwaltungsakts nicht wieder auflebt. So geht selbst der Beklagte davon aus, dass eine von Anfang an rechtswidrige Ausweisung mit Wirkung ex tunc aufzuheben ist und zu einem Wiederaufleben führt.

25

Auch den Gesetzesmaterialien zu § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG und der wortgleichen Vorgängerregelung in § 72 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990 kann nicht entnommen werden, dass mit diesen Vorschriften die rechtlichen Konsequenzen einer Aufhebung ex nunc geregelt werden sollten. Die Regelung in § 72 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990 stammt aus einer Zeit, als sich die Rechtmäßigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen im gerichtlichen Verfahren allein nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung richtete. Gleiches galt - von unionsrechtlichen Ausnahmen abgesehen - auch noch bei Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes Anfang 2005. Entsprechend findet sich in der Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum Ausländergesetz 1990 nur der allgemeine Hinweis, dass die "ex tunc-Wirkung" der Aufhebung gewährleiste, dass die Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beseitigt werde (BTDrucks 11/6321 S. 81). Auch in der Begründung zu § 84 AufenthG im Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Zuwanderungsgesetz wird lediglich darauf verwiesen, dass die Vorschrift § 72 AuslG entspreche (BTDrucks 15/420 S. 97).

26

Das Berufungsgericht ist daher zutreffend davon ausgegangen, dass mit der Regelung in § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG lediglich klargestellt werden soll, dass im Falle einer Aufhebung ex tunc die alte Rechtsstellung in vollem Umfang wieder auflebt, der Betroffene also so stehen soll, als wenn die Ausweisung nie verfügt worden wäre. Dieses Verständnis der Vorschrift liegt im Übrigen auch der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums des Innern zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009 zugrunde (vgl. Nr. 84.2.3 der VwV-AufenthG).

27

Würde eine Ausweisung, die nur infolge einer nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage - etwa wegen Wegfalls der Wiederholungsgefahr -rechtswidrig ist, nicht ex tunc, sondern nur mit Wirkung ex nunc oder bezogen auf den Zeitpunkt, in dem die ursprünglich rechtmäßige Ausweisung rechtswidrig geworden ist, aufgehoben, bliebe es für die Vergangenheit bei einer wirksamen Ausweisung mit allen daran anknüpfenden gesetzlichen Folgen. Dies wäre mit Blick auf die titelvernichtende Wirkung der Ausweisung nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG und die daran anknüpfende gesetzliche Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 AufenthG problematisch. Denn diese gesetzlichen Folgen hängen allein vom wirksamen Erlass einer Ausweisungsverfügung ab (§ 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Ein nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG kraft Gesetzes erloschener Aufenthaltstitel könnte daher bei einer nicht auf den Erlasszeitpunkt rückwirkenden Aufhebung nicht wieder aufleben. Der Ausländer wäre weiterhin nach § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig. Einen neuen Aufenthaltstitel könnte er nur auf Antrag erhalten, falls er die rechtlichen Voraussetzungen hierfür erfüllt.

28

Mit Blick auf diese - im Fall einer nicht auf den Erlasszeitpunkt rückwirkenden Aufhebung fortbestehenden - gesetzlichen Rechtswirkungen der Ausweisung sprechen daher die gleichen Erwägungen, die den Senat in seinem Urteil vom 15. November 2007 - BVerwG 1 C 45.06 - (BVerwGE 130, 20) bewogen haben, bei der gerichtlichen Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung zukünftig bei allen Ausländern einheitlich auf die Sach- oder Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen, gegen eine Teilbarkeit der Ausweisung "in der Zeit". Damit ist eine Ausweisungsverfügung auch in Fällen, in denen die Ausweisung nur wegen einer nachträglichen Änderung der Sach- oder Rechtslage im für die Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit maßgeblichen Zeitpunkt rechtswidrig geworden ist, ex nunc aufzuheben. Der Senat hat die generelle Zeitpunktverschiebung vor allem damit begründet, dass nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts zur Verhältnismäßigkeit von Ausweisungen im Hinblick auf einen möglichen Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Art. 8 Abs. 1 EMRK und das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG auf freie Entfaltung der Persönlichkeit auf eine möglichst aktuelle Tatsachengrundlage abzustellen ist und zudem der Kreis derjenigen Ausländer, die kraft Unionsrechts nur bei Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr ausgewiesen werden dürfen, durch dem Richtlinienumsetzungsgesetz 2007 zugrunde liegende EU-Richtlinien nochmals erweitert worden ist (Urteil vom 15. November 2007 a.a.O. Rn. 15 ff.). Das dabei verfolgte Ziel, in einem Verfahren auf aktueller Grundlage abschließend über die Aufenthaltsbeendigung zu entscheiden, würde unterlaufen, wenn die Ausweisung bei einer entscheidungserheblichen nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage zugunsten des Ausländers nicht rückwirkend aufgehoben und der dem Ausländer vor Erlass der Ausweisung zustehende Aufenthaltstitel nicht wieder aufleben würde. Denn in diesem Fall müsste der Streit über seinen weiteren Verbleib im Bundesgebiet im Rahmen eines neuen Aufenthaltserlaubnisverfahrens ausgetragen werden. Dass folglich auch eine im für die gerichtliche Überprüfung maßgeblichen Zeitpunkt mangels Wiederholungsgefahr rechtswidrige Ausweisung unabhängig von ihrer ursprünglichen Rechtmäßigkeit mit Wirkung ex tunc aufzuheben ist, ist daher letztlich eine weitere Konsequenz der Senatsrechtsprechung zur generellen Zeitpunktverlagerung. Diese verstößt weder gegen das Rechtsstaatsprinzip noch gegen Art. 3 GG. Das mit der Rechtsprechung des Senats zur generellen Zeitpunktverschiebung verfolgte Ziel, in einem Verfahren auf aktueller Grundlage abschließend über die Aufenthaltsbeendigung zu entscheiden, dient vor allem dem Grundrechtsschutz des Ausländers und der Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und beruht damit auf einer hinreichenden sachlichen Rechtfertigung.

29

2.4 Zur Klarstellung weist der Senat allerdings daraufhin, dass in Fällen, in denen die Ausweisung ursprünglich rechtmäßig war und nur aufgrund einer nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage rechtswidrig geworden ist, ihre Aufhebung mit Wirkung ex tunc nicht zur Folge hat, dass damit frühere Abschiebungsmaßnahmen zwangsläufig rechtswidrig sind und hierfür vom Ausländer oder einem gesetzlichen Haftungsschuldner keine Kosten erhoben werden können. Denn die rückwirkende Aufhebung einer Ausweisung wirkt sich nach nationalem Recht nicht auf frühere Vollstreckungsmaßnahmen aus, die zum damaligen Zeitpunkt rechtmäßig waren. Die Rechtmäßigkeit einer Abschiebung beurteilt sich vielmehr nach der zum Zeitpunkt ihrer Vollziehung maßgeblichen Sach- und Rechtslage. Ob dies auch in - wie vorliegend - unionsrechtlich geprägten Fallgestaltungen gilt oder ob hier - mit Blick auf die vom EuGH festgestellte Pflicht zur Berücksichtigung neuer Tatsachen bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung - ausnahmsweise auch für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit bereits vollzogener Abschiebungsmaßnahmen und die Festsetzung von Abschiebungskosten etwas anderes gilt, bedarf keiner Entscheidung. Denn das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Beklagte weder einen Antrag auf Feststellung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung bezogen auf einen früheren Zeitpunkt gestellt hat noch ein besonderes Interesse an einer entsprechenden Feststellung besteht, da der Kläger nicht abgeschoben worden ist.

30

2.5 Sollte das Berufungsgericht nach fachkundiger Abklärung bei der Gefahrenprognose zu dem Ergebnis kommen, dass vom Kläger weiterhin eine Wiederholungsgefahr ausgeht und die Ausweisung auch im Übrigen rechtmäßig ist, wird es auch über den vom Kläger erstmals im Revisionsverfahren gestellten Hilfsantrag zu entscheiden haben, mit dem dieser eine sofortige Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG begehrt (vgl. dazu Senatsurteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 27 ff.).

Tenor

Auf die Berufung des Klägers hin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 - 4 K 3079/10 - geändert.

Der Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 wird aufgehoben.

Das beklagte Land trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der am ...1971 in Charleroi, Belgien, geborene Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung und die Androhung der Abschiebung.
Er ist türkischer Staatsangehöriger und lebte von seiner Geburt bis 1979/80 gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern in Belgien, danach kehrte die Familie in die Türkei zurück. Dort besuchte der Kläger das Gymnasium, das er mit einem dem Abitur vergleichbaren Abschluss beendete. Am 06.05.1996 heiratete er in Cavusbasi Köyü/Türkei die am ... in B..., Deutschland, geborene Hatice Y., welche damals noch türkischer Staatsangehörigkeit war; am 17.08.1996 reiste er mit einem Visum zum Familiennachzug nach Deutschland ein. In der Folge erhielt er zunächst befristete Aufenthaltserlaubnisse, ab dem 16.07.2001 war er im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, welche ab Januar 2005 als Niederlassungserlaubnis fortgalt.
Die Ehefrau des Klägers wurde am 06.07.1998 eingebürgert. Die Eheleute haben vier gemeinsame Kinder, zwei Töchter (geboren am 16.08.1997 und am 01.05.2001) und zwei Söhne (geboren am 17.07.1998 und am 14.04.2008), welche ebenfalls deutsche Staatsangehörige sind.
Ab dem 10.03.1997 war der Kläger zunächst bei verschiedenen Firmen beschäftigt, vom 02.11.1998 bis zum 31.10.2001 bei der Firma F., wobei er vom 27.02.2001 bis zum 09.07.2001 Krankengeld von der AOK bezog. Nach längerer Arbeitslosigkeit war er ab 2003 immer wieder selbstständig tätig - unterbrochen durch mehrmonatige Aushilfstätigkeiten und Zeiten der Arbeitslosigkeit -, zunächst mit einem Einzelhandel mit Lebensmitteln und Obst, welchen er von seiner Ehefrau übernommen hatte (von Juli 2003 bis Juni 2004), später (vom September 2006 bis zum Februar 2007) mit dem Gewerbe „Kleintransporte (Paketdienst)“, sodann mit einer Gebäudereinigung (ab dem 21.11.2007).
Zum 05.06.2008 meldete er das Wettbüro T. in Karlsruhe an. Am 18.12.2008 wurde er wegen des Verdachts der Geiselnahme u.a. in Untersuchungshaft genommen. Mit Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 30.06.2009 - 3 KLs 110 Js 41778/08 - wurden der Kläger und die Mitangeklagten B.A., Y.K. und E.G. der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie der Mitangeklagte T.K. der Beihilfe zur Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen. Der Kläger wurde zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten, seine Mitangeklagten B.A. zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten, Y.K. von vier Jahren und zehn Monaten, E.G. von drei Jahren und sechs Monaten und T.K. zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde hinsichtlich T.K. zur Bewährung ausgesetzt. Die Angeklagten wurden außerdem verurteilt, an die Nebenklägerin N.G. Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,-- EUR nebst Zinsen zu zahlen, wobei die seitens B.A. und Y.K. bereits erbrachten Beträge in Höhe von 2.500,-- EUR (B.A.) bzw. 3.000,-- EUR (Y.K.) auf den Schmerzensgeldbetrag anzurechnen seien. Das Urteil wurde nach Verwerfung der unter anderem vom Kläger eingelegten Revision diesem gegenüber am 10.12.2009 rechtskräftig.
Nach den Feststellungen im Strafurteil vom 30.06.2009 war Y.K. als Geschäftsführer in dem vom Kläger betriebenen Wettbüro beschäftigt und hätte Anfang des Jahres 2009 als Teilhaber einsteigen sollen. B.A. war bei einer Automatenaufstellerfirma tätig und für die Wartung der im Wettbüro aufgestellten Spielautomaten zuständig. Die Mitangeklagten E.G. und T.K., ein Schwager des Y.K., hielten sich häufig als Gäste im Wettbüro auf. Das Opfer der Straftaten, N.G., war auf Empfehlung des B.A. seit September 2008 als Aushilfe angestellt. Nachdem am 29.11.2008 zwischen 2.00 Uhr und 2.30 Uhr in das Wettbüro eingebrochen und aus Spielautomaten und einem offenen Tresor insgesamt Bargeld in Höhe von etwa 2.500,-- EUR entwendet worden war, verdächtigten die Angeklagten die im Wettbüro angestellte N.G. und deren Freund der Beteiligung an dem Einbruch. Anlass war unter anderem, dass ein Augenzeuge etwa zum Zeitpunkt des Einbruchs ein Auto bemerkt hatte, das dem des Freundes von N.G. ähnelte. Außerdem hatte N.G. wenige Stunden nach dem Einbruch per SMS mitgeteilt, sie könne am Morgen nicht zur Arbeit erscheinen, weil ihr Schwiegervater gestorben sei, was aber - wie sich nach und nach herausstellte - tatsächlich nicht stimmte. Um N.G. zu einem Geständnis zu zwingen, brachten die fünf Angeklagten diese am 30.11.2008 gegen 12.30 Uhr dazu, mit ihnen in den Keller des Wettbüros zu gehen. Dort versetzte B.A. der Angestellten N.G. zunächst zwei derart heftige Ohrfeigen, dass sie ein Loch im linken Trommelfell erlitt. Danach hielt B.A. dieser eine von ihm - ohne Wissen der anderen - mitgeführte, nicht ausschließbar ungeladene Schreckschusswaffe, die er zuvor mehrfach durchgeladen hatte, an die Stirn, so dass N.G. befürchtete, erschossen zu werden, und Todesangst verspürte. Unter Ausnutzung der Todesangst von N.G. versuchten die Angeklagten in den nächsten Stunden - allerdings vergeblich -, von dieser ein Geständnis zu erpressen. A.B. drückte ihr ein Kissen auf das Gesicht und tat so, als ob er dieses als Schalldämpfer verwenden würde. Auf Vorschlag des Klägers behauptete er sodann, man habe ein paar Leute zu ihrem Freund geschickt, welche ihn mit einem Baseballschläger "zusammengeschlagen" hätten, woraufhin dieser alles zugegeben hätte. B.A. oder E.G. drohten später damit, N.G. mit einer Handsäge einen Finger abzusägen. Als N.G. darum bat, auf Toilette gehen zu dürfen, wurde ihr dies mit dem Hinweis verweigert, sie solle „in die Hose pissen“. Bei diesen Übergriffen und Bedrohungen leistete T.K. lediglich psychische Beihilfe, während die anderen aktiv beteiligt waren. Nachdem B.A. und E.G. zwischen 14.30 Uhr und 15.00 Uhr den Keller verlassen hatten, wurde N.G. gegen 16.00 Uhr vom Kläger, Y.K. und T.K. freigelassen und von T.K. nach Hause gefahren. N.G. leidet noch heute erheblich unter den psychischen Folgen der Tat. Bezüglich der Strafzumessung wird in dem Urteil des Landgerichts Karlsruhe hinsichtlich des Klägers unter anderem dargelegt: Die Kammer sei der Auffassung, dass die Voraussetzungen der tätigen Reue (§§ 239a Abs. 4, 239b Abs. 2 StGB) vorgelegen hätten, weil die Täter von einer weiteren Befragung der Geschädigten abgesehen hätten. Für die Annahme eines minder schwereren Falls der Geiselnahme (§§ 239a Abs. 2, 239b Abs. 2 StGB) spreche, dass der Kläger bereits im Ermittlungsverfahren ein Geständnis abgelegt und dieses in der Hauptverhandlung aufrechterhalten habe, wobei der Kammer das Geständnis allerdings nur bedingt getragen von Einsicht und Reue erscheine, weil der Kläger immer wieder darauf hingewiesen habe, er hätte nicht gegen die weitere Tatausführung einschreiten können. Für ihn spreche außerdem, dass er bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei, sich schriftlich bei der Geschädigten entschuldigt und einen eher geringen Tatbeitrag geleistet habe. Es sei aber auch zu berücksichtigen, dass er als Inhaber des Wettbüros ein Hauptinteresse daran gehabt habe festzustellen, ob seine Angestellte tatsächlich an dem Einbruch beteiligt gewesen sei, dass tateinheitlich zum Verbrechen der Geiselnahme auch ein Vergehen der gefährlichen Körperverletzung begangen worden, dass er über dreieinhalb Stunden an der Tatbegehung beteiligt gewesen sei und dass die Geschädigte nicht nur eine körperliche Verletzung in Form einer Trommelfellperforation mit erheblichen Höreinschränkungen erlitten habe, sondern noch heute schwer unter den psychischen Folgen der Tat leide. Die nicht vertypten Milderungsgründe reichten daher nicht aus, um das Vorliegen eines minder schweren Falles zu bejahen. Unter weiterer Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger tätige Reue im Sinne von §§ 239b Abs. 2, 239a Abs. 4 StGB geleistet habe, sei allerdings unter Heranziehung dieses Strafmilderungsgrundes das Vorliegen eines minder schweren Falles bejaht worden.
Im Anschluss an die Untersuchungshaft verbüßte der Kläger vom 10.12.2009 bis zu seiner Entlassung am 22.12.2011 Strafhaft, ab dem 08.04.2010 in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bruchsal. Zwei Drittel der Strafe waren am 17.04.2011 vollstreckt, Endstrafentermin wäre der 17.06.2012 gewesen. In dieser Zeit erhielt der Kläger regelmäßig Besuch von seiner Ehefrau und seinen Kindern sowie von anderen Verwandten und Bekannten. Von September 2010 bis Juli 2011 nahm er zweimal wöchentlich an Deutschkursen teil. Er arbeitete in einem Unternehmerbetrieb der JVA. In Vollzugsplänen und Berichten der JVA Bruchsal vom 05.05.2010, 12.05.2010, 08.02.2011, 12.09.2011 und 12.10.2011 wurde unter anderem dargelegt: Disziplinarrechtlich habe gegen den Kläger nicht eingeschritten werden müssen, es sei auch zu keinen Unregelmäßigkeiten bezüglich Drogen oder Alkohol gekommen. Er könne sehr nervenaufreibend sein, weil er täglich mehrere Anliegen habe, die er durchzusetzen versuche. Er werde dabei jedoch nie aggressiv, sondern zeige fehlendes Verständnis, reagiere weinerlich oder unbeirrbar. Im Unternehmerbetrieb gelte er wegen seiner ständigen Anliegen als Sorgenkind, erledige aber seine Arbeit zuverlässig, es sei nicht zu unentschuldigten Ausfallzeiten gekommen. Er habe noch Schulden in Höhe von etwa 45.000,-- EUR. Während in früheren Stellungnahmen der JVA, unter anderem vom 08.02.2011, Zweifel an einer Tataufarbeitung und einer echten Reue des Klägers geäußert wurden, wurde in einem Bericht vom 12.10.2011 ausgeführt, der Kläger habe über seine Straftat intensiv nachgedacht, könne sich zumindest über den Vergleich mit eigenen Bedrängungserfahrungen in das Opfer einfühlen, sei nicht die treibende Kraft gewesen und scheine seine Straftat tatsächlich zu bereuen. Die Landesstiftung Opferschutz habe am 16.07.2011 bestätigt, dass er 1.000,-- EUR Schmerzensgeld in Raten bezahlt habe. Als stabilisierender Faktor werde seine Familie gesehen. Der psychologische Dienst gehe davon aus, dass ein kriminalprognostisches Gutachten zu dem Schluss kommen werde, dass eine weiterhin bestehende Gefahr nicht festgestellt werden könne.
Bereits mit Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 wurde der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Ziff. 1). Außerdem wurde ihm die Abschiebung in die Türkei oder in einen anderen Staat angedroht (Ziff. 2). Für den Fall, dass er vor der beabsichtigten Abschiebung aus der Haft entlassen werde, wurde er aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von einem Monat nach seiner Entlassung zu verlassen; für den Fall, dass er nicht fristgerecht ausreise, wurde ihm die Abschiebung angedroht (Ziff. 3). Zur Begründung wurde dargelegt: Dem Kläger stehe kein erhöhter Ausweisungsschutz aufgrund eines Rechts zum Aufenthalt nach dem Assoziationsratsbeschluss 1/80 zu. Eine nach Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 privilegierte aufenthaltsrechtliche Position habe nicht mehr erworben werden können, weil seine Ehefrau zwei Jahre nach Beginn der ehelichen Lebensgemeinschaft die deutsche Staatsangehörigkeit erworben habe. Ansprüche aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 seien ebenfalls nicht entstanden. Bei der Firma F. habe der Kläger zwar vom 02.11.1998 bis zum 26.02.2001 und vom 09.07.2001 bis zum 31.10.2001 gearbeitet. In der Zwischenzeit, vom 27.02.2001 bis zum 08.07.2001, habe er jedoch Krankengeld von der AOK bezogen. Selbst wenn man davon ausginge, dass er drei Jahre ordnungsgemäß bei einem Arbeitgeber beschäftigt gewesen sei, wäre seine Rechtsstellung nach Art. 6, 2. Spielgelstrich ARB 1/80 wieder erloschen. Denn im Anschluss an die Beschäftigung bei der Firma F. habe er ab November 2001 bis zum 27.07.2003 Leistungen der Agentur für Arbeit bezogen. Seine Ehefrau habe in dieser Zeit ein Gewerbe (Obst- und Gemüsehandel) betrieben. Ab Oktober 2003 habe er dieses übernommen, bis er es im Januar 2004 wieder aufgegeben habe. Nach kurzen Arbeitsverhältnissen, Zeiten der Arbeitslosigkeit sowie Zeiten der Ausübung zweier anderer Gewerbe, sei schließlich zum 05.06.2008 die Anmeldung des Wettbüros erfolgt. Die Aufnahme einer auf Dauer angelegten selbstständigen Tätigkeit führe jedoch zum Erlöschen bereits entstandener Rechte aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80. Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid sei daher das Aufenthaltsgesetz. Der Kläger erfülle den Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 1 AufenthG. Er genieße jedoch wegen der bestehenden Niederlassungserlaubnis und der familiären Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau und seinen Kindern besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 4 AufenthG. Es sei daher zu prüfen, ob ein schwerwiegender Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG vorliege. Das sei der Fall. Die vom Kläger und seinen Mittätern aufgrund von Selbstjustiz begangene Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung wiege ausgesprochen schwer. Der Tathergang verdeutliche, dass der Kläger ein erhebliches Maß an krimineller Energie besitze, welches bei verständiger Würdigung aller für und gegen ihn sprechenden Umstände der Tatbegehung die Grenzen der Bagatellkriminalität bei weitem überschreite. Er sei offenkundig nicht in der Lage oder auch nicht gewillt, sich an die im Bundesgebiet bestehende Rechtsordnung zu halten. Deshalb könne ihm keineswegs eine günstige Sozialprognose gestellt werden. Nach den vorliegenden Berichten der JVA habe eine Tataufarbeitung wegen der fehlenden differenzierten Deutschkenntnisse noch nicht erfolgen können. Bislang sei danach auch nicht erkennbar, dass der Kläger ein Schuldbewusstsein oder eine Empathie für das Opfer entwickelt habe. Die Ausweisung sei daher aus spezialpräventiven Gründen geeignet und erforderlich. Sie werde auch auf generalpräventive Erwägungen gestützt. Es bestehe ein dringendes soziales Bedürfnis, über die strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Gewalttaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Wegen des besonderen Ausweisungsschutzes und mit Blick auf die Familie des Klägers und Art. 8 EMRK liege eine Ausnahme von der Regel des § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG vor, so dass über die Ausweisung nach Ermessen zu entscheiden sei. Sie sei hier gerechtfertigt, insbesondere verhältnismäßig. Der Kläger sei mit einer türkischstämmigen Frau verheiratet, die mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen habe, und Vater von vier deutschen Kindern. Beruflich sei es ihm nicht gelungen, sich im Bundesgebiet zu integrieren. Der Aufbau eines eigenen Betriebes sei immer wieder gescheitert. In dem zuletzt betriebenen Wettbüro habe er mehrere Personen beschäftigt, ohne diese anzumelden. Dies sowie die Tatsache, dass er bereit gewesen sei, eine von ihm verdächtige Person als Geisel zu nehmen, um aus ihr mit brutalsten physischen und psychischen Methoden ein Geständnis zu erpressen, sei ein Beleg für eine Denkweise, welche nicht den Wertvorstellungen der Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland entspreche. Es sei nicht erkennbar, dass der Kläger von seinem Heimatland, das er vor vierzehn Jahren im Alter von 25 verlassen habe, entfremdet sei. In Anbetracht des gravierenden Verstoßes gegen die geltende Rechtsordnung könnten die rechtlichen und tatsächlichen Auswirkungen der Ausweisung, die mit einer Übersiedlung in die Türkei verbunden seien, nicht als unverhältnismäßig angesehen werden. Dies gelte auch unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK. Schließlich könne er gegebenenfalls einen Antrag auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung stellen. Hilfsweise sei festzustellen, dass die Ausweisung des Klägers auch dann - im Ermessenswege nach Art. 14 ARB 1/80 i.V.m. § 55 AufenthG -gerechtfertigt sei, wenn man davon ausgehe, dass ihm eine Rechtsstellung nach Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 zustehe. Für diesen Fall sei die Ausweisung jedoch lediglich auf spezialpräventive Gründe zu stützen. Die Abschiebungsandrohung beruhe auf § 59 Abs. 1 AufenthG.
Am 04.11.2010 erhob der Kläger beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage, zu deren Begründung er im Wesentlichen vortrug: Eine Trennung von seiner Familie wäre unverhältnismäßig. Weder verfügten er und seine Familie über die erforderlichen finanziellen Mittel für regelmäßige Besuche noch hätte er die Möglichkeit, die Kontakte angemessen aufrechtzuerhalten. Zudem sei die Ausweisung weder aus generalpräventiven noch aus spezialpräventiven Gründen angemessen. Er sei das erste Mal straffällig geworden. Aus dieser - einmaligen -Entgleisung, die nicht verharmlost werden solle, könne nicht auf ein grundsätzliches Verhaltensmuster für die Zukunft geschlossen werden. Im Übrigen sei er vom 01.11.1998 bis zum 31.10.2001 durchgehend bei der Firma F. beschäftigt gewesen, weshalb er als Assoziationsberechtigter anzusehen sei.
10 
Das beklagte Land trat der Klage entgegen.
11 
Mit Urteil vom 02.03.2011 - 4 K 3079/10 - wies das Verwaltungsgericht die Klage ab und führte aus: Es bedürfe keiner abschließenden Beurteilung, ob der Kläger eine Rechtsstellung nach Art. 6 ARB 1/80 erworben habe, denn eine solche wäre jedenfalls durch die Aufnahme einer Tätigkeit als Selbstständiger erloschen. Weil er besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 4 AufenthG genieße, könne er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Solche seien hinsichtlich des spezialpräventiven und bezüglich des generalpräventiven Ausweisungszwecks aufgrund der vom Kläger verübten Straftat gegeben. In Fällen mittlerer und schwerer Kriminalität seien die Voraussetzungen für eine spezialpräventive Ausweisung grundsätzlich zu bejahen. Beim Kläger bestehe ein gegenüber dem Durchschnittsbürger sogar beträchtlich erhöhtes Risiko, auch künftig wieder strafrechtlich in Erscheinung zu treten. Dafür sprächen die nicht unerhebliche kriminelle Energie, die er an den Tag gelegt habe, und die konkrete Tatausführung. Diese lasse ein erhebliches Maß an Gewaltanwendung gegenüber Personen erkennen; sie habe zu gravierenden Folgen für das Opfer geführt. Ausweislich eines Berichts der JVA vom 08.02.2011 habe die Freiheitsstrafe nur insoweit die erwünschte Wirkung gezeigt, als der Kläger die negativen Folgen für seine Familie eingesehen habe, mit den Folgen der Tat für das Opfer habe er sich noch nicht erkennbar auseinandergesetzt. Da die Tat zudem eine hohe Bereitschaft für eine im Heimatland des Klägers in bestimmten Bereichen auch heute noch übliche und gesellschaftlich akzeptierte Selbstjustiz belege, könne ihm keine günstige Sozialprognose erteilt werden. Ein Ausnahmefall von der Regelausweisung - und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung - sei hier wegen der tatsächlich gelebten familiären Gemeinschaft des Klägers mit den vier ehelichen Kindern des Klägers zu sehen. Die entsprechenden Ermessenserwägungen seien im Ergebnis rechtsfehlerfrei. Die dem Kläger als Mittäter der begangenen Straftaten zurechenbare Gewaltanwendung wiege derart schwer, dass seine Ausweisung auch mit Blick auf die Schutzwirkungen des Art. 6 GG und des Art. 8 EMRK nicht unverhältnismäßig sei.
12 
Auf den am 14.03.2011 vom Kläger gestellten Antrag hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 17.05.2011 - 11 S 875/11 - die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 zugelassen. Diese hat der Kläger am 26.05.2011 unter Stellung eines Antrags begründet.
13 
Zur Vorbereitung der Entscheidung über die Aussetzung der Reststrafe holte die Vollstreckungskammer des Landgerichts Karlsruhe mit Schreiben vom 03.06.2011 ein kriminalprognostisches Gutachten der Klinik für forensische Psychiatrie und Psychotherapie - Zentrum für Psychiatrie - Wiesloch ein. Das daraufhin erstattete Gutachten von Herrn Dr. Sp..., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, und Herrn S..., Facharzt für Psychiatrie, vom 24.09.2011 kommt zu dem Ergebnis, dass nicht mehr davon ausgegangen werden könne, dass die durch die Tat beim Kläger zutage getretene Gefährlichkeit fortbestünde. Dabei wurde die fehlende Auseinandersetzung mit der Straftat als prognostisch ungünstiger Faktor gewertet. Der Kläger sei bei der Tat aber eher passiv im Hintergrund geblieben. Beim Tatgeschehen komme somit situativen Faktoren (Eingebundenheit in eine Tätergruppe bei Vorhandensein von freundschaftlichen Beziehungen und Loyalitäten, Unterordnung unter dominant auftretende Persönlichkeiten) ein wesentliches Gewicht am Zustandekommen der Tat zu. Der Kläger habe sich im Rahmen der Haft im Wesentlichen angepasst und korrekt verhalten. Dass er dabei seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse jeweils mit einem gewissen Nachdruck vorgetragen habe, lasse sich nicht als prognoserelevanter Faktor verwerten. Es existierten stabile familiäre Anbindungen. Auch die beruflichen Planungen des Klägers erschienen nicht unrealistisch. Die prognostisch günstigen Faktoren überwögen im Vergleich zu dem einzigen ungünstigen Faktor - der fehlenden inneren Auseinandersetzung des Klägers mit der Tat - deutlich. Nach einer Anhörung des Klägers am 16.12.2011 wurde mit Beschluss des Landgerichts Karlsruhe vom 21.12.2011 die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 30.06.2009 zur Bewährung ausgesetzt. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt; der Kläger wurde der Leitung und Aufsicht eines Bewährungshelfers unterstellt. Daraufhin wurde er am 22.12.2011 aus dem Strafvollzug entlassen.
14 
Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger im Wesentlichen vor: Das Verwaltungsgericht sei unzutreffend davon ausgegangen, dass die Rechtstellung aus Art. 6 ARB 1/80 mit Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit erlösche. Die Ausweisung genüge nicht den Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80. Im Übrigen hätte ein Widerspruchsverfahren durchgeführt bzw. über die Ausweisung noch durch eine „unabhängige Stelle“ entschieden werden müssen. Schon aus diesem Grund sei sie aufzuheben. Unabhängig davon sei die Ausweisung hier mit Blick auf die Tatsache, dass die Ehefrau des Klägers und seine Kinder deutsche Staatsangehörige seien, rechtswidrig. Soweit im Urteil dargelegt werde, der Rechtsstellung der Kinder des Klägers könne durch Besuche der Ehefrau mit den Kindern in der Türkei Rechnung getragen werden, werde nicht die dem Kläger gemäß Art. 20 AEUV zukommende europarechtliche Rechtsposition berücksichtigt. Anzugreifen sei auch, dass die erste Instanz eine Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung mangels Befristung verneine. Dies verstoße gegen Art. 8 EMRK. Nach dem kriminalprognostischen Gutachten vom 24.09.2011 bestehe die bei der Tat zutage getretene Gefährlichkeit inzwischen nicht mehr. Die Arbeitssuche des Klägers nach seiner Haftentlassung sei durch seine erheblichen gesundheitlichen Probleme belastet gewesen. Er habe am 20./21.04.2012 in eine Klinik aufgenommen und später erneut - vom 06.06. bis zum 14.06.2012 - stationär behandelt werden müssen. Zum 24.07.2012 habe er dann einen Arbeitsplatz als Fahrer bei einer Firma in Karlsruhe gefunden, wonach er bei einer durchschnittlichen regelmäßigen Arbeitszeit von 25 bis 30 Wochenstunden 1.000,-- EUR brutto monatlich verdiene.
15 
Nachdem das Regierungspräsidiums Karlsruhe in der mündlichen Verhandlung die Sperrwirkungen der Ausweisung vom 22.10.2010 auf zwei Jahre befristet hat, beantragt der Kläger,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 - 4 K 3079/10 - zu ändern und den Bescheid vom 22.10.2010 aufzuheben,
17 
hilfsweise: das beklagte Land zu verpflichten, die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG bezeichneten Wirkungen der Ausweisung auf sofort zu befristen.
18 
Das beklagte Land beantragt,
19 
die Berufung zurückzuweisen.
20 
Es trägt vor: Das Verwaltungsgericht Karlsruhe habe zutreffend die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 22.10.2010 bestätigt und berücksichtigt, dass eine Rechtsstellung aus Art. 6 ARB 1/80 - selbst wenn der Kläger sie erworben hätte - dadurch erloschen wäre, dass er eine Tätigkeit als Selbstständiger aufgenommen habe. Durch die Ausweisung werde kein unverhältnismäßiger Eingriff in das Recht des Klägers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens begründet. Der Kontakt zur Ehefrau und den Kindern des Klägers könne durch Besuche in der Türkei, Briefe, Telefonate und E-Mails aufrechterhalten werden. Da der Kläger die deutsche Sprache nicht richtig beherrsche und sich bei Besuchen in türkischer Sprache unterhalten habe, sei davon auszugehen, dass die Familie ebenfalls mit der Türkei vertraut sei. Ein Leben in der Türkei wäre für den Kläger auch nicht unzumutbar, weil er zuvor ebenfalls dort gelebt habe, dort noch seine Mutter und Geschwister wohnten und er auch die türkische Sprache beherrsche. Zu dem kriminalprognostischen Gutachten vom 24.09.2011 sei auszuführen: In dem Gutachten werde einmal mehr die „weitgehend fehlende innere Auseinandersetzung“ des Klägers mit seiner Tat und den Folgen für das Opfer bestätigt. Die von ihm signalisierte Betroffenheit über das Leid des Opfers wirke auf die Gutachter sogar „affektiv eher flach und vordergründig“. Für die Gutachter sei der Eindruck entstanden, dass der Kläger „insgesamt emotional stärker durch die Folgen der Tat für ihn und seine Familie als durch die Folgen für das Opfer betroffen erschien“. Ein tiefergehendes Mitgefühl für das Opfer sei trotz verbaler Bekundung wenig spürbar gewesen. Diese Einschätzung decke sich mit einem Bericht der JVA Bruchsal vom 08.02.2011, demzufolge „eine wirkliche Tataufarbeitung ... nicht sichtbar“ werde, und dem Eindruck, den der Kläger beim erstinstanzlichen Gericht hinterlassen habe. Das Verwaltungsgericht habe sich immerhin zu der deutlichen Formulierung veranlasst gesehen, „dass er sich mit seiner Gewaltproblematik noch nicht, jedenfalls in nicht ausreichendem Maße, auseinandergesetzt hat und die Tat eine hohe Bereitschaft für eine im Heimatland des Klägers in bestimmten Bereichen auch heute noch übliche und gesellschaftlich akzeptierte Selbstjustiz belegt“. Mit anderen Worten: Wenn sich der Kläger in einer vergleichbaren Situation wiederfinde, in der jemand der Wahrheit auf die Sprünge helfen wolle, sei nach wie vor keine ethische Schranke bei ihm installiert, die ihn davor bewahre mitzumachen. Das Gutachten vom 24.09.2011 werte zwar zugunsten des Klägers, dass den situativen Faktoren ein wesentliches Gewicht am Zustandekommen der Tat zugekommen sei. Es liefere aber nicht den geringsten neuen Anhaltspunkt dafür, dass sich der Kläger das nächste Mal der Gruppendynamik entziehen oder gar widersetzen würde, wenn Gewalt ins Spiel komme. Aus diesen Gründen bestehe keine Veranlassung, von der aufgrund der mündlichen Verhandlung in erster Instanz gewonnenen und vom Verwaltungsgericht zutreffend begründeten Einschätzung Abstand zu nehmen.
21 
Auf einen Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 11.08.2011 - 11 S 2027/11 - die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 angeordnet.
22 
In einem Bericht der Bewährungshelferin vom 24.07.2012 sowie einem ergänzenden Schreiben vom 25.09.2012 wird dargelegt: Insgesamt sei in dem bisherigen Bewährungsverlauf nichts zu beanstanden. Der Kläger habe sich - zunächst vergeblich - intensiv um einen Arbeitsplatz bemüht. Mit Hilfe eines Rechtsanwalts sei es ihm gelungen, seinen Führerschein der Klasse 3 wieder zu erlangen. Insgesamt sei es dem Kläger nach der Haftentlassung nicht gut gegangen, er habe noch sehr unter den Nachwirkungen gelitten und sei durch seinen behandelnden Arzt wegen Depressionen medikamentös behandelt worden. Am 25.05.2012 habe er sich wegen starker Schmerzen ins Krankenhaus begeben müssen. Nach mehreren Untersuchungen seien ihm am 21.06.2012 stationär mehrere Nierensteine entfernt worden. Er habe sich wirklich bemüht, wieder zu der „arbeitenden Bevölkerung“ zu gehören. Seit dem 24.07.2012 sei er als Fahrer beschäftigt; er verdiene monatlich etwa 1.000,-- EUR. Er hätte die Möglichkeit, einen Kiosk in Karlsruhe-Durlach zu übernehmen; seine Ehefrau würde dann mit ihm zusammenarbeiten.
23 
Dem Senat liegen die Akten des Regierungspräsidiums Karlsruhe über das Ausweisungsverfahren (2 Hefte), die ausländerrechtlichen Akten des Landratsamts Karlsruhe bezüglich des Klägers (2 Hefte), seiner Ehefrau (1 Heft) und der ältesten Tochter (1 Heft), die Gefangenenpersonalakten der JVA Bruchsal (1 Heft), die Strafakten betreffend das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 30.06.2009 - 3 KLs 110 Js 41778/08 - (8 Hefte) sowie das Bewährungsheft des Landgerichts Karlsruhe - 15 BWL 213/11 - vor. Diese sind ebenso wie die Akten über das Klageverfahren beim Verwaltungsgerichts Karlsruhe - 4 K 3079/10 -, über das vorliegende Berufungsverfahren - 11 S 1470/11 - und über das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes - 11 S 2027/11 -Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen; hierauf wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
24 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht und ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 6 und Abs. 3 Satz 4 VwGO) Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 hat Erfolg. Die Anfechtungsklage des Klägers gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteile vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - InfAuslR 2008, 156, und vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris) begründet. Die darin unter Ziffer 1 verfügte Ausweisung und die Abschiebungsandrohung unter Ziffern 2 und 3 sind rechtswidrig und verletzen dadurch den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Einer Entscheidung über den vom Kläger im Berufungsverfahren lediglich hilfsweise gestellten Antrag auf Verpflichtung des beklagten Landes zur Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 bezeichneten Wirkungen der Ausweisung "auf sofort" (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O.) bedarf es daher nicht.
I.
25 
Die auf §§ 53 Nr. 1, 56 Abs. 1, 55 AufenthG beruhende (dazu unter 1. und 2.) Ausweisung des Klägers, die hier im Ermessen des beklagten Landes steht (3.), ist mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz rechtswidrig (4.).
26 
1. Maßgebliche Rechtsgrundlage sind die §§ 53 Nr. 1, 56 Abs. 1, 55 AufenthG.
27 
Insbesondere sind nicht etwa allein wegen des Umstands, dass die Ehefrau und die Kinder des Klägers deutsche Staatsangehörige sind, besondere unionsrechtliche Anforderungen zu beachten (vgl. hierzu EuGH, Urteile vom 05.05.2011 - Rs. C-434/09, McCarthy - InfAuslR 2011, 268, und vom 15.11.2011 - Rs. C-256/11, Dereci - InfAuslR 2012, 47; Senatsurteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 - NVwZ-RR 2012, 412).
28 
Eine nur beschränkte Anwendbarkeit der Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG folgt hier auch nicht aus dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: ARB 1/80; vgl. insbesondere Art. 14 ARB 1/80). Eine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80 hat der Kläger nicht erworben, weil seine Ehefrau vor Ablauf von drei Jahren nach Zuzug des Klägers eingebürgert wurde und die türkische Staatsangehörigkeit aufgegeben hat (vgl. dazu Renner, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 4 Rn. 156 m.w.N.). Ob er jemals die Voraussetzungen des - hier allein in Betracht kommenden - 2. Spiegelstrichs des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erfüllt hat, kann offen bleiben. Denn er hat eine eventuelle Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 durch die spätere Aufnahme selbstständiger Tätigkeiten, zuletzt den Betrieb des Wettbüros - aufgrund dessen der Kläger jedenfalls dem Arbeitsmarkt auf unabsehbare Zeit nicht mehr zur Verfügung stand - verloren (streitig, ebenso: Hess. VGH, Urteil vom 09.02.2004 - 12 TG 3548/03 - InfAuslR 2004, 230; Bayer. VGH, Urteil vom 26.03.2007 - 24 BV 03.2091 - juris; vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18.10.2006 - 13 S 192/06 - InfAuslR 2007, 49; a.A. VG Stuttgart, Urteil vom 23.05.2011 - 11 K 2967/10 - juris; vgl. zum Streitstand GK-AufenthG, Stand: September 2012, IX - 1 Art. 6 Rn. 238 f.; Hailbronner, AuslR, Stand: August 2012, D 5.1, Art. 6 ARB 1/80 Rn. 46). Letztlich kommt es aber auf diese Frage hier nicht an. Folge einer assoziationsrechtlichen Rechtsstellung des Klägers wäre ein erhöhter Ausweisungsschutz (vgl. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80; Senatsurteil vom 16.04.2012 - 11 S 4/12 - juris m.w.N.). Wie sich aus dem Folgenden ergibt, erweist sich die Ausweisung auch dann als rechtswidrig und ist daher aufzuheben, wenn ihm dieser nicht zukäme.
29 
2. Allerdings sind die Tatbestandsvoraussetzungen einer "Ist-Ausweisung" nach § 53 Nr. 1 AufenthG gegeben. Danach wird ein Ausländer unter anderem dann ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das ist hier wegen der Verurteilung des Klägers durch das Landgericht Karlsruhe vom 30.06.2009 wegen Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten der Fall.
30 
3. Trotz Erfüllung des an sich zwingenden Ausweisungsgrundes des § 53 Nr. 1 AufenthG steht die Ausweisung des Klägers jedoch im Ermessen und ist deshalb nach § 55 AufenthG zu beurteilen. Der Kläger genießt unstreitig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz (a). Er darf daher gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Solche liegen gemäß § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 AufenthG, also auch hier, vor. Diesbezüglich ist auch nicht vom Vorliegen eines Ausnahmefalls auszugehen (b). Hier ist aber eine Ausnahme von der "Regelrechtsfolge" des § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG geboten, wonach der betreffende Ausländer bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 AufenthG "in der Regel" ausgewiesen wird. Über seine Ausweisung ist daher nach Ermessen zu entscheiden (c).
31 
a) § 56 Abs. 1 AufenthG ist aus zwei Gründen anzuwenden: Zum einen besitzt der Kläger eine Niederlassungserlaubnis und hält sich seit mehr als fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet auf (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG), zum anderen lebt er mit deutschen Familienangehörigen - seiner Ehefrau und seinen Kindern - in familiärer Lebensgemeinschaft (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG).
32 
b) Der danach für eine Ausweisung des Klägers erforderliche schwerwiegende Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG ist gegeben.
33 
Nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5, 5 bis 5b und 7 AufenthG vor. Diese gesetzliche Vermutung beruht darauf, dass bei Verwirklichung der genannten Ausweisungstatbestände regelmäßig das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Ausweisung des Ausländers erfordert und der vom Gesetz bezweckte Schutz des Ausländers dahinter zurückzutreten hat. Die Regelung enthält allerdings keine Automatik, sondern erfordert eine individuelle Prüfung im jeweiligen Einzelfall, ob nicht Besonderheiten vorliegen, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass - hier des § 53 AufenthG - als weniger gewichtig erscheinen lassen. Davon ist auszugehen, wenn im konkreten Fall weder die spezial- noch die generalpräventiven Ausweisungszwecke des betreffenden Ausweisungstatbestands in dem erforderlichen Ausmaß vorliegen (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, m.w.N.; vgl. auch Senatsurteil vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 02.07.2001 - 13 S 2326/99 - InfAuslR 2002, 72).
34 
Im Falle des Klägers ist zwar nicht mit Blick auf den spezialpräventiven Ausweisungszweck (aa), aber vor dem Hintergrund der zulässigen generalpräventiven Erwägungen ein schwerwiegender Ausweisungsgrund (bb) zu bejahen.
35 
aa) Zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kann nicht (mehr) davon ausgegangen werden, dass vom Kläger die Gefahr der Wiederholung erheblicher Straftaten ausgeht. Die Ausweisung kann daher nicht mehr auf spezialpräventive Gründe gestützt werden.
36 
Allerdings ist der Ausweisungsanlass - die vom Kläger begangene Straftat der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - besonders gravierend. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 - juris, vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris, vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3, und vom 03.08.2004 - 1 C 30.02 -InfAuslR 2005, 18), der sich der Senat anschließt (einschränkend noch Senatsurteile vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 - NVwZ-RR 2012, 492, und vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291), gelten bei Straftaten mit einer hervorgehobenen Bedeutung für die im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr eher geringere Anforderungen. In den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 AufenthG besteht auch eine gesetzliche Vermutung des Vorliegens eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes in § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG. Selbst wenn man danach einem differenzierten Wahrscheinlichkeitsmaßstab folgt, bedeutet dies aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O. m.w.N.). Dies gilt nicht nur bei der Prüfung der Wiederholungsgefahr bei Assoziationsberechtigten oder Unionsbürgern, sondern jedenfalls auch bei Ausländern, denen besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 AufenthG zusteht. Auch in diesen Fällen müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit von dem Betreffenden eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht. Lässt sich die Begehung weiterer Straftaten lediglich nicht ausschließen, ist eine dem besonderen Ausweisungsschutz Rechnung tragende erhöhte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung noch nicht gegeben, so dass auch der Ausweisungsgrund nicht schwer wiegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O., sowie - zu den entsprechenden Vorgängerregelungen des § 47 Abs. 1 AuslG 1990 bzw. § 11 Abs. 1 AuslG 1965 - Urteile vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 -InfAuslR 1997, 8, und vom 17.01.1989 - 1 C 46.86 - InfAuslR 1989, 152; Beschluss vom 10.02.1995 - 1 B 221.04 - InfAuslR 1995, 273, m.w.N.).
37 
Der Senat ist aufgrund der vorliegenden Akten und Unterlagen, insbesondere des von der Strafvollstreckungskammer im Verfahren auf Aussetzung der Reststrafe eingeholten, nachvollziehbaren und überzeugenden kriminalprognostischen Gutachtens vom 24.09.2011, sowie aufgrund der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass von diesem keine nennenswerte Gefahr der Wiederholung von entsprechenden Straftaten (mehr) ausgeht.
38 
Zu Lasten des Klägers sind in diesem Zusammenhang allerdings zunächst neben der Schwere des begangenen Delikts die konkreten Tatumstände zu berücksichtigen. Das Regierungspräsidium Karlsruhe hat in dem angefochtenen Bescheid zu Recht darauf hingewiesen, dass der Kläger zwar nicht der Haupttäter war, er jedoch als Inhaber des Wettbüros eine besondere Verantwortung für das Geschehen trug, und dass er über einen Zeitraum von über dreieinhalb Stunden an der Geiselnahme mitgewirkt hat, bei welcher durch eine menschenunwürdige Befragung unter Anwendung und Androhung von Gewalt der Versuch unternommen wurde, von der Angestellten N.G. ein Geständnis für den vermeintlich von dieser bzw. deren Freund begangenen Einbruch zu erhalten. Der Kläger war dabei auch nicht etwa nur passiv beteiligt, sondern unterstützte seine Mittäter aktiv. Bereits am Vorabend der Tat war verabredet worden, N.G. Ohrfeigen zu versetzen. Zwar nahm der Haupttäter B.A. die Schreckschusspistole ohne Wissen der anderen mit. Zum einen schritten sie aber nicht gegen B.A. ein, welcher den Eindruck erweckte, N.G. erschießen zu wollen. Zum anderen nutzten sie die dadurch bei N.G. entstandene Todesangst in der Folge weiter aus bei ihren Bemühungen, ein Geständnis zu erzwingen, und hielten diese aufrecht. Der Kläger hatte außerdem die Kellertür selbst verschlossen und versperrte mit seinen Füßen den Ausgang, so dass das Opfer keine Chance hatte, den Keller zu verlassen. Er beteiligte sich aktiv an Vorhaltungen und an den Forderungen, die Tat einzuräumen, wenngleich weniger intensiv als die Mitangeklagten B.A., Y.K. und E.G. Nachdem N.G. bereits mit der Schreckschusswaffe bedroht worden war und Todesangst litt, schaltete er auf Aufforderung des Haupttäters B.A. das Licht aus, so dass eine noch bedrohlichere Atmosphäre entstand. Später schlug er dem Haupttäter auf Türkisch vor, N.G. mit der Behauptung zusätzlich unter Druck zu setzen, man habe zwischenzeitlich ihren Freund mit einem Baseballschlager "zusammengeschlagen", woraufhin dieser gestanden hätte. Nachdem B.A. den Keller verlassen hatte, befragten der Kläger, Y.K. und T.K. das Opfer N.G. zunächst weiter, bevor sie diese freiließen. Der Kläger nahm damit massive körperliche und psychische Schädigungen der N.G. billigend in Kauf. Wenn auch er und die verbliebenen Mittäter in der Folge von einer weiteren Tatausführung absahen, weshalb das Strafgericht von einer tätigen Reue ausgegangen ist, teilt der Senat die Einschätzung des Regierungspräsidiums, dass die Tat und die Tatumstände für ein erhebliches Maß an krimineller Energie des Klägers sprechen. Es handelt sich um eine besonders gravierende und mit einer erschreckenden Härte und Mitleidlosigkeit begangene Straftat.
39 
Der Kläger hat sich zudem, abgesehen von mehreren Gesprächen mit einem Psychologen in der Justizvollzugsanstalt, nicht mit professioneller Hilfe mit der Tat und den Auswirkungen für das Opfer auseinandergesetzt. An der Tiefe der von ihm in der Vergangenheit in Gesprächen geäußerten Betroffenheit über das Geschehen sind nicht nur in den ersten Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt, sondern auch in dem kriminalprognostischen Gutachten vom 24.09.2011 Zweifel geäußert worden. In dem Gutachten heißt es, es bestehe der Eindruck, dass der Kläger insgesamt emotional stärker durch die Folgen der Tat für ihn und seine Familie als durch die Folgen für das Opfer betroffen sei. Auch habe er seinen eigenen Tatbeitrag im Rahmen der Begutachtung tendenziell eher heruntergespielt. Es hätten sich somit keine Hinweise für eine tiefergehende innere Auseinandersetzung mit der Tat, respektive mit dem eigenen Beitrag zum Tatgeschehen, gefunden. So habe dieser nicht plausibel und nachvollziehbar darlegen können, weshalb er sich in keiner erkennbaren Weise für das Opfer eingesetzt habe, obgleich er das Handeln seiner Mittäter missbilligt haben wolle. Die von ihm angeführte Begründung, dass er Angst davor gehabt hätte, der Mittäter B.A. könnte die Waffe gegen ihn selbst einsetzen, erscheine insgesamt wenig plausibel. Die fehlende Auseinandersetzung mit der Straftat und den in der eigenen Person liegenden diesbezüglich relevanten Einstellungen und Motiven wird von den Gutachtern daher in prognostischer Hinsicht als ungünstiger Faktor gewertet. Tatsächlich hat der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung nicht nachvollziehbar erklären können, wie es so weit hat kommen können, vor allem, warum er nicht irgendwann eingeschritten ist. Offensichtlich kann er sich das bis heute selbst nicht erklären. Den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung ließ sich aber eine - glaubhafte - starke Betroffenheit und Reue entnehmen. Dies wurde unter anderem deutlich, als er erläuterte, dass er sich vorgestellt habe, das Opfer wären seine Ehefrau oder seine Tochter gewesen, und dass ihm klar geworden sei, welche Folgen die Tat für N.G. habe. Abgesehen von dem bereits entrichteten Schmerzensgeld für N.G. würde er gerne alles unternehmen, damit es ihr besser gehe.
40 
Selbst wenn sich danach bis heute letztlich nicht erklären lässt, wie es zu einer solchen Straftat hat kommen können, und eine erschöpfende Auseinandersetzung mit der Tat fehlt, besteht beim Kläger nicht die Gefahr einer Wiederholung erheblicher Straftaten. Dabei ist zunächst zu bedenken, dass die Straftat inzwischen fast vier Jahre zurückliegt. Der Kläger war über drei Jahre lang in Untersuchungs- und Strafhaft, welche ihn erkennbar tief beeindruckt hat. Zuvor hat er sich - abgesehen von einem nicht einschlägigen und nicht mehr zu berücksichtigenden Straßenverkehrsdelikt im Jahr 1998 - über 10 Jahre lang straffrei und bis zur Übernahme des Wettbüros - dessen Beschäftige allerdings nicht alle ordnungsgemäß angemeldet gewesen seien - ohne Beanstandungen in Deutschland aufgehalten. Nach dem Gutachten vom 24.09.2011 finden sich keine Hinweise für Berührungspunkte mit "spezifisch delinquenznahem Milieu" und auch keine Hinweise für eine tiefer in der Persönlichkeit des Klägers verankerte delinquente Neigung, etwa eine dissoziale Akzentuierung in seiner Persönlichkeit. Anhaltspunkte für eine Sucht oder eine Bindung an ein entsprechendes Milieu liegen nicht vor. Vor allem lebte und lebt er in einer stabilen partnerschaftlichen Beziehung. Die Gutachter bescheinigen ihm, dass die von ihm bekundeten Sorgen um die Entwicklung der Familie und der Kinder nachvollziehbar und glaubhaft sind. In der mündlichen Verhandlung wurde deutlich, dass der Kläger tatsächlich einen starken Rückhalt durch seine Familie und weitere Verwandte hat. In Deutschland leben noch zwei seiner Brüder. Mit seiner Frau und seinen Kindern besucht er oft die Familie seiner Ehefrau, das heißt deren Eltern und Geschwister, oder einen seiner beiden Brüder, der ebenfalls in der Nähe wohnt. Seine Ehefrau, er und die Kinder unternehmen am Wochenende gemeinsame Ausflüge. Sie begleiten den Sohn, der Handball in der Verbandsliga spielt, zu dessen Spielen, gehen auf den Jahrmarkt, ins Kino, auf Messen oder zu Verwandtenbesuchen. Der Kläger ist dafür zuständig, seinen Kindern bei Hausaufgaben im Fach Mathematik zu helfen. Er hat glaubhaft erklärt, dass er sich jetzt nur noch um seine Familie kümmern wolle. Zu den früheren Mittätern oder deren Umfeld hat der Kläger keinerlei Kontakt mehr. Die danach bestehenden starken Bindungen des Klägers an seine Familie und sein soziales Umfeld wertet der Senat, ebenso wie die Gutachter, als prognostisch günstige Kriterien. Vor diesem Hintergrund erscheint die Befürchtung des Regierungspräsidiums, der Kläger könnte erneut in eine Situation geraten, in welcher besondere "situative Faktoren" wie die im kriminalprognostischen Gutachten beschriebenen - etwa das Eingebundensein in eine Tätergruppe mit freundschaftlichen Beziehungen und Loyalitäten und die Unterordnung unter eine dominant auftretende Persönlichkeit - zu einer ähnlichen Straftat mit Gewaltanwendung führen könnten, fernliegend.
41 
Soweit in den Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt mehrmals darauf hingewiesen wird, dass der Kläger versuche, eigene Anliegen hartnäckig durchzusetzen, lässt dies keinen negativen Schluss bezüglich der Gefahr der Wiederholung weiterer Straftaten zu. Jedenfalls wurden während seiner Haftzeit gegen ihn keine Disziplinarmaßnehmen verhängt und er arbeitete ohne Beanstandungen in Betrieben der Justizvollzugsanstalt. Zudem nahm er an einem Deutschkurs teil. Auch die Gutachter betonen, dass der Umstand, dass der Kläger seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse jeweils mit einem gewissen Nachdruck vorgetragen haben solle, nicht als prognoserelevanter Faktor verwertet werden könne. Sie kommen daher in ihrer zusammenfassenden Beurteilung zu dem Ergebnis, dass die weitgehend fehlende innere Auseinandersetzung des Klägers mit der Tat der einzige prognostisch ungünstige Faktor sei, welcher zusätzlich dadurch relativiert werde, dass die Tat nicht in hohem Maße in der Persönlichkeitsstruktur des Klägers verankert erscheine, sondern eng mit spezifischen situativen Konstellationen verknüpft gewesen sei. Die prognostisch günstigen Faktoren überwögen im Vergleich deutlich. In der Gesamtwürdigung sei somit trotz der mangelnden inneren Auseinandersetzung mit der Tat nicht mehr davon auszugehen, dass beim Kläger dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbestehe.
42 
Dieser Beurteilung schließt sich der Senat an. Die Einschätzung der Gutachter wurde auch von der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Karlsruhe im Beschluss über die Aussetzung der Reststrafe vom 21.12.2011 geteilt. Selbst wenn man davon ausgeht, dass entsprechenden strafgerichtlichen Entscheidungen wegen der unterschiedlichen Maßstäbe und Prognosezeitpunkte nur eingeschränkte Bedeutung bei der im Ausweisungsverfahren zu treffenden Prognoseentscheidung zukommt (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3; weitergehend allerdings bei Assoziationsberechtigten: Senatsurteil vom 07.03.2012 - 11 S 3269/11 - InfAuslR 2012, 203), so ist die Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe hier jedenfalls als wesentliches Indiz zu berücksichtigen. Die Strafvollstreckungskammer ist nach Einholung des kriminalprognostischen Gutachtens vom 24.09.2011 zum Ergebnis gekommen, dass eine vorzeitige Entlassung aus dem Strafvollzug verantwortet werden könne. Sie hat zur Begründung ebenfalls darauf verwiesen, dass der Kläger bis zu der Geiselnahme strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei und ein sozial voll integriertes Leben geführt habe. Der Anteil des Klägers an der verurteilten Straftat stelle sich, gerade bei den Gewalttätigkeiten, eher als gering dar. Der psychiatrische Sachverständige habe ausgeführt, die Tatsache, dass sich der Kläger mit der Tat allenfalls ansatzweise auseinandergesetzt habe, sei zwar als ungünstig zu beurteilen, im Hinblick auf die spezifische situative Konstellation bei der Tat und die im Übrigen festgestellte Eingebundenheit des Klägers seien aber mit hoher Wahrscheinlichkeit keine entsprechenden Taten zu erwarten. Der Kläger selbst habe in der mündlichen Anhörung auf die Strafvollstreckungskammer einen überaus positiven Eindruck gemacht. Sie sei daher davon überzeugt, dass es ihm mit der Hilfe und der Aufsicht eines Bewährungshelfers gelingen werden, künftig ein straffreies Leben zu führen, zumal er dabei sei, sich in einer anderen Berufssparte zu etablieren.
43 
Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung sind zudem weitere Umstände gegeben, die eine günstige Prognose rechtfertigen. Der Kläger hat sich seit der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer und der Haftentlassung vor fast einem Jahr weiter bewährt. Er hat keine Schulden mehr. Weil er zunächst Probleme hatte, eine bereits bestehende Fahrerlaubnis für LKW mit einem Gesamtgewicht von über 7,5 t ausgestellt zu bekommen, gelang es ihm zwar nicht sofort nach der Haftentlassung, eine Arbeitsstelle zu finden. Seit Juli 2012 ist er aber als Fahrer bei einer Firma in Karlsruhe angestellt. In einem Schreiben der Firma vom 28.09.2012 wird bestätigt, dass dieser gewissenhaft, zuverlässig und pünktlich sei; an einer Weiterbeschäftigung bestehe Interesse. Die Bewährungshelferin des Klägers äußert sich in einem Bericht vom 24.07.2012 insgesamt ebenfalls positiv. Sie bestätigt, dass sich der Kläger intensiv um einen Arbeitsplatz bemüht, diesen wegen der Probleme mit dem Führerschein aber zunächst nicht erhalten habe. Nach der Haftentlassung sei es ihm zunächst gesundheitlich nicht gut gegangen, er sei wegen einer Depression ärztlich behandelt worden und habe im Mai und Juni wegen Nierenschmerzen und Nierensteinen stationär behandelt werden müssen. An dem bisherigen Bewährungsverlauf sei insgesamt nichts zu beanstanden, der Kläger halte vereinbarte Termine regelmäßig ein, spreche bei auftauchenden Problemen auch ohne Termin vor. Zur Zeit genügt der Verdienst des Klägers - seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung nach inzwischen in Höhe von 800,- bis 1.200,-- EUR netto monatlich - zwar noch nicht zum Lebensunterhalt der Familie. Er und seine Ehefrau haben jedoch konkrete Pläne, mit Hilfe einer selbstständigen Tätigkeit wieder ohne staatliche Unterstützungen leben zu können. Der Kläger ist weiter nicht nur in seine eigene "Kernfamilie" eingebunden, sondern hat zudem regelmäßigen Kontakt zu seinen Schwiegereltern, seinem Bruder und anderen Verwandten.
44 
bb) Wenn danach auch davon auszugehen ist, dass mit Blick auf die spezialpräventiven Gesichtspunkte ein atypischer Sachverhalt vorliegt, mithin kein Regelfall des § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG gegeben ist, ist aber das Vorliegen eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes bezüglich der vom beklagten Land angeführten generalpräventiven Gesichtspunkte zu bejahen.
45 
Generalpräventiv motivierte Ausweisungen können - ausnahmsweise - auch bei Ausländern zulässig sein, denen besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 AufenthG zukommt, wenn eine besonders schwerwiegende Straftat vorliegt und deshalb ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über eine strafrechtliche Sanktion hinaus durch eine Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, Urteile 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, und vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 - InfAuslR 1997, 8). Bei der Entscheidung sind alle wesentlichen Umstände des Einzelfalls in die Beurteilung einzubeziehen. Das Gewicht der Straftat ist nicht abstrakt, sondern konkret nach den Umständen der Tatbegehung zu bestimmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 - a.a.O.).
46 
Nach diesen Grundsätzen kann die Ausweisung hier wegen der Art und Schwere der Straftat - der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - und der geschilderten konkreten, sich über mehrere Stunden hinziehenden Tatausführung auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden. Eine abschreckende Wirkung erscheint auch mit Blick darauf wichtig, dass es sich um einen Fall von besonders skrupelloser "Selbstjustiz" gehandelt hat. Schließlich war der Einbruch in das Wettbüro des Klägers vom 29.11.2008 bereits bei der Polizei angezeigt worden. Nach Bekanntwerden der Umstände, die aus Sicht des Klägers und der Mitangeklagten für eine Täterschaft der Angestellten N.G. bzw. ihres Freundes sprachen, hatte Y.K. noch am selben Abend die Polizei auch darüber informiert. Ausweislich der Feststellungen im Strafurteil vom 30.06.2009 hatte der Polizeibeamte, welcher aufgrund der vagen Verdächtigungen keinen Grund gesehen hatte, umgehend einzuschreiten, Y.K ausdrücklich davor gewarnt, eigene Aktionen zu unternehmen. Dies hatte Y.K dem Kläger berichtet. Trotzdem verabredeten Y.K., der Kläger und die weiteren Mittäter, N.G. zur Rede zu stellen, um - gegebenenfalls mit Hilfe von Ohrfeigen - ein Geständnis zu erzwingen, und begingen am nächsten Morgen die Straftat.
47 
c) Ist der die Ausweisung tragende Grund somit hinsichtlich der generalpräventiven Gesichtspunkte schwerwiegend, so ist der Kläger an sich gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG in der Regel auszuweisen, weil er den Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 1 AufenthG verwirklicht hat. Das Regierungspräsidium hat insoweit wegen der bestehenden familiären Lebensgemeinschaft des Klägers mit seiner deutschen Ehefrau und den vier deutschen Kindern allerdings zu Recht einen Ausnahmefall angenommen, der eine Abweichung von dieser Regel gebietet, und nach Ermessen entschieden.
48 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - InfAuslR 2008, 116, m.w.N.) ist von einem die Regel durchbrechenden Ausnahmefall bereits dann auszugehen, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falls erfordern. Es kann offen bleiben, ob dies bereits dann anzunehmen ist, wenn der Schutzbereich der betroffenen Grundrechte bzw. Menschenrechte, hier Art. 6 und Art. 2 GG bzw. Art. 8 EMRK, lediglich berührt ist oder ob bereits in diesem Zusammenhang die Feststellung eines qualifizierten Eingriffs erforderlich ist. Denn jedenfalls würde im Fall des Klägers wegen der bestehenden familiären Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Ehefrau und deutschen Kindern allein durch die Herabstufung von der "Ist-Ausweisung" zu einer "Regelausweisung" durch § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG dem besonderen Schutz der Familie durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK noch nicht hinreichend einzelfallbezogen Rechnung getragen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sind dann wesentlich konkreter und einzelfallbezogener neben allen ehelichen und familiären Umständen auch andere gewichtige persönlichen Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen und eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen (vgl. zu alledem auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - InfAuslR 2007, 443).
49 
4. Das danach dem Regierungspräsidium bei der Entscheidung über die Ausweisung zustehende und nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbare Ermessen ist hier von vornherein "auf Null reduziert", weil die mit einer Ausweisung verbundenen Folgen mit Blick auf die Schutzwirkungen von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK als unverhältnismäßig anzusehen sind.
50 
Bei der Entscheidung, ob eine im Ermessen der Ausländerbehörde stehende Ausweisung tatsächlich verfügt wird, sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die in § 55 Abs. 3 AufenthG aufgeführten, nämlich die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts, die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige oder Lebenspartner des Ausländer, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben, und die in § 60a Abs. 2 und 2b AufenthG genannten Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung. Dabei sind der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Grundrechte des Betroffenen zu beachten, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK, Art. 6 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG). Liegt ein Eingriff in diese Rechte vor, ist ohnehin eine einzelfallbezogene Würdigung und Abwägung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers unter Beachtung der insbesondere vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK entwickelten Kriterien vorzunehmen (BVerwG, Beschluss vom 10.02.2011 - 1 B 22.10 - Buchholz 402.242 § 56 AufenthG Nr. 5, m.w.N.; Urteil vom 22.10.2009 - 1 C 26.08 - InfAuslR 2010, 91). Dabei sind neben allen ehelichen und familiären Umständen auch andere gewichtige persönliche Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK darf eine Behörde in die Ausübung des Rechts aus Art. 8 Abs. 1 EMRK nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Die Frage, ob der durch eine Ausweisung bewirkte Eingriff im konkreten Einzelfall in diesem Sinne „notwendig“, insbesondere verhältnismäßig ist, ist anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist dabei von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen, den so genannten Boultif/Üner-Kriterien (vgl. zu den Kriterien im Einzelnen: EGMR, Urteile vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00, Boultif - InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99, Üner - NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/03, Maslov II - InfAuslR 2008, 333, vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05, Mutlag - InfAuslR 2010, 325, und vom 13.10.2011 - Nr. 41548/06, Trabelsi - juris). Erweisen sich danach die rechtlichen oder tatsächlichen Auswirkungen einer Ausweisung in Ansehung von Art. 6 Abs. 1 GG als unverhältnismäßig bzw. im Sinne des Art. 8 EMRK als "nicht notwendig", ist das Ermessen der Behörde mit der Folge "auf Null reduziert", dass eine Ausweisung des Betreffenden ausscheidet.
51 
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist eine Ausweisung des Klägers hier unzulässig. Der Kläger ist bereits seit 1996 mit seiner Ehefrau verheiratet, welche in Deutschland geboren ist und seit 1998 die deutsche Staatangehörigkeit besitzt. Mir ihr und den vier gemeinsamen, zwischen 4 und 15 Jahre alten Kindern, die ebenfalls Deutsche sind, lebt er in enger familiärer Lebensgemeinschaft. Diesem Umstand kommt eine erhebliche und weitreichende, durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK vermittelte Schutzwirkung zu, welche durch die deutsche Staatsangehörigkeit der Ehefrau und Kinder noch verstärkt wird (vgl. schon BVerwG, Urteile vom 03.05.1973 - I C 33.72 - BVerwGE 42, 133, vom 27.09.1978 - I C 79.76 - BVerwGE 56, 246, vom 17.01.1989 - 1 C 46.86 -InfAuslR 1989, 159; vgl. auch auch BVerfG, Beschluss vom 18.07.1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386; Kammerbeschlüsse vom 15.06.1993 - 2 BvR 900/93 - InfAuslR 1994, 311, und vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320). Dies wird auch nicht etwa durch den Umstand relativiert, dass die Ehefrau früher noch die türkische Staatsangehörigkeit hatte bzw. deren Eltern aus dem Heimatland des Klägers stammen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291, und vom 30.09.2009 - 13 S 440/09 -; HessVGH, Beschluss vom 15.07.2003 - 12 TG 1484/03 - InfAuslR 2003, 388). Insbesondere kann von der Ehefrau und den Kindern nicht verlangt werden, dass sie mit dem Kläger in die Türkei ausreisen.
52 
Die bestehenden tiefen Bindungen des Klägers zu seiner Familie werden belegt durch die vielen Besuche während seiner Haftzeit. Wie ausgeführt, hat der Kläger offensichtlich ein enges und intaktes Verhältnis zu seiner Ehefrau und seinen Kindern. Er übernimmt die Erziehung der Kinder gemeinsam mit seiner Ehefrau. In Anbetracht des jungen Alters der Kinder hätte eine - wenn auch nur vorübergehende - Trennung für diese ein besonderes Gewicht (vgl. zu Kindern in den ersten Lebensjahren BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320, und vom 01.12.2008 - 2 BvR 1830/08 -juris). Deren Belangen könnte daher auch durch eine Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf einen bestimmten - nicht zu langen - Zeitraum nicht hinreichend Rechnung getragen werden.
53 
Auf der anderen Seite ist das öffentliche Interesse einer Ausweisung hier gemindert, weil ungeachtet der Schwere der vom Kläger begangenen Straftat nicht mehr von einer relevanten Wiederholungsgefahr ausgegangen werden kann. Allein die generalpräventiven Erwägungen vermögen den mit einer Ausweisung verbundenen Eingriff in Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht zu rechtfertigen. Wie ausgeführt, ist zwar davon auszugehen, dass eine besonders schwerwiegende Straftat vorliegt und deshalb - grundsätzlich - ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über eine strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, Urteile 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, und vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 -InfAuslR 1997, 8). Dieses vermag aber in Anbetracht der konkreten Umstände des vorliegenden Falles den Eingriff in das Schutzgebot von Art. 6 Abs. 1 GG bzw. das Achtungsgebots des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht zu rechtfertigen. Dabei ist von besonderer Relevanz, dass die Tat annähernd vier Jahre zurückliegt und der Kläger seine Strafe verbüßt hat. Auch sind die bereits im Rahmen der Prüfung der Wiederholungsgefahr angeführten, für den Kläger sprechenden weiteren Umstände zu berücksichtigen, etwa dass er sich bereits seit 1996 rechtmäßig hier aufhält, zuvor - bis auf das Verkehrsdelikt - nie straffällig geworden war, außerdem dass er sich immer bemüht hat, ausreichend für seine Familie und sich zu sorgen und sich auch seit seiner Haftentlassung bewährt hat.
54 
Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass die Ausweisung des Klägers hier im Ergebnis selbst dann als unverhältnismäßig anzusehen ist, wenn man noch vom Bestehen einer geringen, aber die Erheblichkeitsschwelle übersteigenden Wiederholungsgefahr und damit dem Vorliegen spezialpräventiver Ausweisungsgründe ausginge. Denn aus den - zur Unverhältnismäßigkeit einer generalpräventiv motivierten Ausweisung - angeführten Gründen führt die danach erforderliche Abwägung ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die privaten Interessen des Klägers und seiner Familienangehörigen das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung überwiegen.
II.
55 
Unter diesen Umständen ist auch die im Bescheid vom 22.10.2010 verfügten Abschiebungsandrohung rechtswidrig und aufzuheben.
56 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
57 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
58 
Beschluss vom 23. Oktober 2012
59 
Der Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt (§§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG).
60 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
24 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht und ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 6 und Abs. 3 Satz 4 VwGO) Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 hat Erfolg. Die Anfechtungsklage des Klägers gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteile vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - InfAuslR 2008, 156, und vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris) begründet. Die darin unter Ziffer 1 verfügte Ausweisung und die Abschiebungsandrohung unter Ziffern 2 und 3 sind rechtswidrig und verletzen dadurch den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Einer Entscheidung über den vom Kläger im Berufungsverfahren lediglich hilfsweise gestellten Antrag auf Verpflichtung des beklagten Landes zur Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 bezeichneten Wirkungen der Ausweisung "auf sofort" (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O.) bedarf es daher nicht.
I.
25 
Die auf §§ 53 Nr. 1, 56 Abs. 1, 55 AufenthG beruhende (dazu unter 1. und 2.) Ausweisung des Klägers, die hier im Ermessen des beklagten Landes steht (3.), ist mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz rechtswidrig (4.).
26 
1. Maßgebliche Rechtsgrundlage sind die §§ 53 Nr. 1, 56 Abs. 1, 55 AufenthG.
27 
Insbesondere sind nicht etwa allein wegen des Umstands, dass die Ehefrau und die Kinder des Klägers deutsche Staatsangehörige sind, besondere unionsrechtliche Anforderungen zu beachten (vgl. hierzu EuGH, Urteile vom 05.05.2011 - Rs. C-434/09, McCarthy - InfAuslR 2011, 268, und vom 15.11.2011 - Rs. C-256/11, Dereci - InfAuslR 2012, 47; Senatsurteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 - NVwZ-RR 2012, 412).
28 
Eine nur beschränkte Anwendbarkeit der Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG folgt hier auch nicht aus dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: ARB 1/80; vgl. insbesondere Art. 14 ARB 1/80). Eine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80 hat der Kläger nicht erworben, weil seine Ehefrau vor Ablauf von drei Jahren nach Zuzug des Klägers eingebürgert wurde und die türkische Staatsangehörigkeit aufgegeben hat (vgl. dazu Renner, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 4 Rn. 156 m.w.N.). Ob er jemals die Voraussetzungen des - hier allein in Betracht kommenden - 2. Spiegelstrichs des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erfüllt hat, kann offen bleiben. Denn er hat eine eventuelle Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 durch die spätere Aufnahme selbstständiger Tätigkeiten, zuletzt den Betrieb des Wettbüros - aufgrund dessen der Kläger jedenfalls dem Arbeitsmarkt auf unabsehbare Zeit nicht mehr zur Verfügung stand - verloren (streitig, ebenso: Hess. VGH, Urteil vom 09.02.2004 - 12 TG 3548/03 - InfAuslR 2004, 230; Bayer. VGH, Urteil vom 26.03.2007 - 24 BV 03.2091 - juris; vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18.10.2006 - 13 S 192/06 - InfAuslR 2007, 49; a.A. VG Stuttgart, Urteil vom 23.05.2011 - 11 K 2967/10 - juris; vgl. zum Streitstand GK-AufenthG, Stand: September 2012, IX - 1 Art. 6 Rn. 238 f.; Hailbronner, AuslR, Stand: August 2012, D 5.1, Art. 6 ARB 1/80 Rn. 46). Letztlich kommt es aber auf diese Frage hier nicht an. Folge einer assoziationsrechtlichen Rechtsstellung des Klägers wäre ein erhöhter Ausweisungsschutz (vgl. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80; Senatsurteil vom 16.04.2012 - 11 S 4/12 - juris m.w.N.). Wie sich aus dem Folgenden ergibt, erweist sich die Ausweisung auch dann als rechtswidrig und ist daher aufzuheben, wenn ihm dieser nicht zukäme.
29 
2. Allerdings sind die Tatbestandsvoraussetzungen einer "Ist-Ausweisung" nach § 53 Nr. 1 AufenthG gegeben. Danach wird ein Ausländer unter anderem dann ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das ist hier wegen der Verurteilung des Klägers durch das Landgericht Karlsruhe vom 30.06.2009 wegen Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten der Fall.
30 
3. Trotz Erfüllung des an sich zwingenden Ausweisungsgrundes des § 53 Nr. 1 AufenthG steht die Ausweisung des Klägers jedoch im Ermessen und ist deshalb nach § 55 AufenthG zu beurteilen. Der Kläger genießt unstreitig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz (a). Er darf daher gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Solche liegen gemäß § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 AufenthG, also auch hier, vor. Diesbezüglich ist auch nicht vom Vorliegen eines Ausnahmefalls auszugehen (b). Hier ist aber eine Ausnahme von der "Regelrechtsfolge" des § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG geboten, wonach der betreffende Ausländer bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 AufenthG "in der Regel" ausgewiesen wird. Über seine Ausweisung ist daher nach Ermessen zu entscheiden (c).
31 
a) § 56 Abs. 1 AufenthG ist aus zwei Gründen anzuwenden: Zum einen besitzt der Kläger eine Niederlassungserlaubnis und hält sich seit mehr als fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet auf (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG), zum anderen lebt er mit deutschen Familienangehörigen - seiner Ehefrau und seinen Kindern - in familiärer Lebensgemeinschaft (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG).
32 
b) Der danach für eine Ausweisung des Klägers erforderliche schwerwiegende Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG ist gegeben.
33 
Nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5, 5 bis 5b und 7 AufenthG vor. Diese gesetzliche Vermutung beruht darauf, dass bei Verwirklichung der genannten Ausweisungstatbestände regelmäßig das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Ausweisung des Ausländers erfordert und der vom Gesetz bezweckte Schutz des Ausländers dahinter zurückzutreten hat. Die Regelung enthält allerdings keine Automatik, sondern erfordert eine individuelle Prüfung im jeweiligen Einzelfall, ob nicht Besonderheiten vorliegen, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass - hier des § 53 AufenthG - als weniger gewichtig erscheinen lassen. Davon ist auszugehen, wenn im konkreten Fall weder die spezial- noch die generalpräventiven Ausweisungszwecke des betreffenden Ausweisungstatbestands in dem erforderlichen Ausmaß vorliegen (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, m.w.N.; vgl. auch Senatsurteil vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 02.07.2001 - 13 S 2326/99 - InfAuslR 2002, 72).
34 
Im Falle des Klägers ist zwar nicht mit Blick auf den spezialpräventiven Ausweisungszweck (aa), aber vor dem Hintergrund der zulässigen generalpräventiven Erwägungen ein schwerwiegender Ausweisungsgrund (bb) zu bejahen.
35 
aa) Zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kann nicht (mehr) davon ausgegangen werden, dass vom Kläger die Gefahr der Wiederholung erheblicher Straftaten ausgeht. Die Ausweisung kann daher nicht mehr auf spezialpräventive Gründe gestützt werden.
36 
Allerdings ist der Ausweisungsanlass - die vom Kläger begangene Straftat der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - besonders gravierend. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 - juris, vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris, vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3, und vom 03.08.2004 - 1 C 30.02 -InfAuslR 2005, 18), der sich der Senat anschließt (einschränkend noch Senatsurteile vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 - NVwZ-RR 2012, 492, und vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291), gelten bei Straftaten mit einer hervorgehobenen Bedeutung für die im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr eher geringere Anforderungen. In den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 AufenthG besteht auch eine gesetzliche Vermutung des Vorliegens eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes in § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG. Selbst wenn man danach einem differenzierten Wahrscheinlichkeitsmaßstab folgt, bedeutet dies aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O. m.w.N.). Dies gilt nicht nur bei der Prüfung der Wiederholungsgefahr bei Assoziationsberechtigten oder Unionsbürgern, sondern jedenfalls auch bei Ausländern, denen besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 AufenthG zusteht. Auch in diesen Fällen müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit von dem Betreffenden eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht. Lässt sich die Begehung weiterer Straftaten lediglich nicht ausschließen, ist eine dem besonderen Ausweisungsschutz Rechnung tragende erhöhte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung noch nicht gegeben, so dass auch der Ausweisungsgrund nicht schwer wiegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O., sowie - zu den entsprechenden Vorgängerregelungen des § 47 Abs. 1 AuslG 1990 bzw. § 11 Abs. 1 AuslG 1965 - Urteile vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 -InfAuslR 1997, 8, und vom 17.01.1989 - 1 C 46.86 - InfAuslR 1989, 152; Beschluss vom 10.02.1995 - 1 B 221.04 - InfAuslR 1995, 273, m.w.N.).
37 
Der Senat ist aufgrund der vorliegenden Akten und Unterlagen, insbesondere des von der Strafvollstreckungskammer im Verfahren auf Aussetzung der Reststrafe eingeholten, nachvollziehbaren und überzeugenden kriminalprognostischen Gutachtens vom 24.09.2011, sowie aufgrund der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass von diesem keine nennenswerte Gefahr der Wiederholung von entsprechenden Straftaten (mehr) ausgeht.
38 
Zu Lasten des Klägers sind in diesem Zusammenhang allerdings zunächst neben der Schwere des begangenen Delikts die konkreten Tatumstände zu berücksichtigen. Das Regierungspräsidium Karlsruhe hat in dem angefochtenen Bescheid zu Recht darauf hingewiesen, dass der Kläger zwar nicht der Haupttäter war, er jedoch als Inhaber des Wettbüros eine besondere Verantwortung für das Geschehen trug, und dass er über einen Zeitraum von über dreieinhalb Stunden an der Geiselnahme mitgewirkt hat, bei welcher durch eine menschenunwürdige Befragung unter Anwendung und Androhung von Gewalt der Versuch unternommen wurde, von der Angestellten N.G. ein Geständnis für den vermeintlich von dieser bzw. deren Freund begangenen Einbruch zu erhalten. Der Kläger war dabei auch nicht etwa nur passiv beteiligt, sondern unterstützte seine Mittäter aktiv. Bereits am Vorabend der Tat war verabredet worden, N.G. Ohrfeigen zu versetzen. Zwar nahm der Haupttäter B.A. die Schreckschusspistole ohne Wissen der anderen mit. Zum einen schritten sie aber nicht gegen B.A. ein, welcher den Eindruck erweckte, N.G. erschießen zu wollen. Zum anderen nutzten sie die dadurch bei N.G. entstandene Todesangst in der Folge weiter aus bei ihren Bemühungen, ein Geständnis zu erzwingen, und hielten diese aufrecht. Der Kläger hatte außerdem die Kellertür selbst verschlossen und versperrte mit seinen Füßen den Ausgang, so dass das Opfer keine Chance hatte, den Keller zu verlassen. Er beteiligte sich aktiv an Vorhaltungen und an den Forderungen, die Tat einzuräumen, wenngleich weniger intensiv als die Mitangeklagten B.A., Y.K. und E.G. Nachdem N.G. bereits mit der Schreckschusswaffe bedroht worden war und Todesangst litt, schaltete er auf Aufforderung des Haupttäters B.A. das Licht aus, so dass eine noch bedrohlichere Atmosphäre entstand. Später schlug er dem Haupttäter auf Türkisch vor, N.G. mit der Behauptung zusätzlich unter Druck zu setzen, man habe zwischenzeitlich ihren Freund mit einem Baseballschlager "zusammengeschlagen", woraufhin dieser gestanden hätte. Nachdem B.A. den Keller verlassen hatte, befragten der Kläger, Y.K. und T.K. das Opfer N.G. zunächst weiter, bevor sie diese freiließen. Der Kläger nahm damit massive körperliche und psychische Schädigungen der N.G. billigend in Kauf. Wenn auch er und die verbliebenen Mittäter in der Folge von einer weiteren Tatausführung absahen, weshalb das Strafgericht von einer tätigen Reue ausgegangen ist, teilt der Senat die Einschätzung des Regierungspräsidiums, dass die Tat und die Tatumstände für ein erhebliches Maß an krimineller Energie des Klägers sprechen. Es handelt sich um eine besonders gravierende und mit einer erschreckenden Härte und Mitleidlosigkeit begangene Straftat.
39 
Der Kläger hat sich zudem, abgesehen von mehreren Gesprächen mit einem Psychologen in der Justizvollzugsanstalt, nicht mit professioneller Hilfe mit der Tat und den Auswirkungen für das Opfer auseinandergesetzt. An der Tiefe der von ihm in der Vergangenheit in Gesprächen geäußerten Betroffenheit über das Geschehen sind nicht nur in den ersten Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt, sondern auch in dem kriminalprognostischen Gutachten vom 24.09.2011 Zweifel geäußert worden. In dem Gutachten heißt es, es bestehe der Eindruck, dass der Kläger insgesamt emotional stärker durch die Folgen der Tat für ihn und seine Familie als durch die Folgen für das Opfer betroffen sei. Auch habe er seinen eigenen Tatbeitrag im Rahmen der Begutachtung tendenziell eher heruntergespielt. Es hätten sich somit keine Hinweise für eine tiefergehende innere Auseinandersetzung mit der Tat, respektive mit dem eigenen Beitrag zum Tatgeschehen, gefunden. So habe dieser nicht plausibel und nachvollziehbar darlegen können, weshalb er sich in keiner erkennbaren Weise für das Opfer eingesetzt habe, obgleich er das Handeln seiner Mittäter missbilligt haben wolle. Die von ihm angeführte Begründung, dass er Angst davor gehabt hätte, der Mittäter B.A. könnte die Waffe gegen ihn selbst einsetzen, erscheine insgesamt wenig plausibel. Die fehlende Auseinandersetzung mit der Straftat und den in der eigenen Person liegenden diesbezüglich relevanten Einstellungen und Motiven wird von den Gutachtern daher in prognostischer Hinsicht als ungünstiger Faktor gewertet. Tatsächlich hat der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung nicht nachvollziehbar erklären können, wie es so weit hat kommen können, vor allem, warum er nicht irgendwann eingeschritten ist. Offensichtlich kann er sich das bis heute selbst nicht erklären. Den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung ließ sich aber eine - glaubhafte - starke Betroffenheit und Reue entnehmen. Dies wurde unter anderem deutlich, als er erläuterte, dass er sich vorgestellt habe, das Opfer wären seine Ehefrau oder seine Tochter gewesen, und dass ihm klar geworden sei, welche Folgen die Tat für N.G. habe. Abgesehen von dem bereits entrichteten Schmerzensgeld für N.G. würde er gerne alles unternehmen, damit es ihr besser gehe.
40 
Selbst wenn sich danach bis heute letztlich nicht erklären lässt, wie es zu einer solchen Straftat hat kommen können, und eine erschöpfende Auseinandersetzung mit der Tat fehlt, besteht beim Kläger nicht die Gefahr einer Wiederholung erheblicher Straftaten. Dabei ist zunächst zu bedenken, dass die Straftat inzwischen fast vier Jahre zurückliegt. Der Kläger war über drei Jahre lang in Untersuchungs- und Strafhaft, welche ihn erkennbar tief beeindruckt hat. Zuvor hat er sich - abgesehen von einem nicht einschlägigen und nicht mehr zu berücksichtigenden Straßenverkehrsdelikt im Jahr 1998 - über 10 Jahre lang straffrei und bis zur Übernahme des Wettbüros - dessen Beschäftige allerdings nicht alle ordnungsgemäß angemeldet gewesen seien - ohne Beanstandungen in Deutschland aufgehalten. Nach dem Gutachten vom 24.09.2011 finden sich keine Hinweise für Berührungspunkte mit "spezifisch delinquenznahem Milieu" und auch keine Hinweise für eine tiefer in der Persönlichkeit des Klägers verankerte delinquente Neigung, etwa eine dissoziale Akzentuierung in seiner Persönlichkeit. Anhaltspunkte für eine Sucht oder eine Bindung an ein entsprechendes Milieu liegen nicht vor. Vor allem lebte und lebt er in einer stabilen partnerschaftlichen Beziehung. Die Gutachter bescheinigen ihm, dass die von ihm bekundeten Sorgen um die Entwicklung der Familie und der Kinder nachvollziehbar und glaubhaft sind. In der mündlichen Verhandlung wurde deutlich, dass der Kläger tatsächlich einen starken Rückhalt durch seine Familie und weitere Verwandte hat. In Deutschland leben noch zwei seiner Brüder. Mit seiner Frau und seinen Kindern besucht er oft die Familie seiner Ehefrau, das heißt deren Eltern und Geschwister, oder einen seiner beiden Brüder, der ebenfalls in der Nähe wohnt. Seine Ehefrau, er und die Kinder unternehmen am Wochenende gemeinsame Ausflüge. Sie begleiten den Sohn, der Handball in der Verbandsliga spielt, zu dessen Spielen, gehen auf den Jahrmarkt, ins Kino, auf Messen oder zu Verwandtenbesuchen. Der Kläger ist dafür zuständig, seinen Kindern bei Hausaufgaben im Fach Mathematik zu helfen. Er hat glaubhaft erklärt, dass er sich jetzt nur noch um seine Familie kümmern wolle. Zu den früheren Mittätern oder deren Umfeld hat der Kläger keinerlei Kontakt mehr. Die danach bestehenden starken Bindungen des Klägers an seine Familie und sein soziales Umfeld wertet der Senat, ebenso wie die Gutachter, als prognostisch günstige Kriterien. Vor diesem Hintergrund erscheint die Befürchtung des Regierungspräsidiums, der Kläger könnte erneut in eine Situation geraten, in welcher besondere "situative Faktoren" wie die im kriminalprognostischen Gutachten beschriebenen - etwa das Eingebundensein in eine Tätergruppe mit freundschaftlichen Beziehungen und Loyalitäten und die Unterordnung unter eine dominant auftretende Persönlichkeit - zu einer ähnlichen Straftat mit Gewaltanwendung führen könnten, fernliegend.
41 
Soweit in den Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt mehrmals darauf hingewiesen wird, dass der Kläger versuche, eigene Anliegen hartnäckig durchzusetzen, lässt dies keinen negativen Schluss bezüglich der Gefahr der Wiederholung weiterer Straftaten zu. Jedenfalls wurden während seiner Haftzeit gegen ihn keine Disziplinarmaßnehmen verhängt und er arbeitete ohne Beanstandungen in Betrieben der Justizvollzugsanstalt. Zudem nahm er an einem Deutschkurs teil. Auch die Gutachter betonen, dass der Umstand, dass der Kläger seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse jeweils mit einem gewissen Nachdruck vorgetragen haben solle, nicht als prognoserelevanter Faktor verwertet werden könne. Sie kommen daher in ihrer zusammenfassenden Beurteilung zu dem Ergebnis, dass die weitgehend fehlende innere Auseinandersetzung des Klägers mit der Tat der einzige prognostisch ungünstige Faktor sei, welcher zusätzlich dadurch relativiert werde, dass die Tat nicht in hohem Maße in der Persönlichkeitsstruktur des Klägers verankert erscheine, sondern eng mit spezifischen situativen Konstellationen verknüpft gewesen sei. Die prognostisch günstigen Faktoren überwögen im Vergleich deutlich. In der Gesamtwürdigung sei somit trotz der mangelnden inneren Auseinandersetzung mit der Tat nicht mehr davon auszugehen, dass beim Kläger dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbestehe.
42 
Dieser Beurteilung schließt sich der Senat an. Die Einschätzung der Gutachter wurde auch von der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Karlsruhe im Beschluss über die Aussetzung der Reststrafe vom 21.12.2011 geteilt. Selbst wenn man davon ausgeht, dass entsprechenden strafgerichtlichen Entscheidungen wegen der unterschiedlichen Maßstäbe und Prognosezeitpunkte nur eingeschränkte Bedeutung bei der im Ausweisungsverfahren zu treffenden Prognoseentscheidung zukommt (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3; weitergehend allerdings bei Assoziationsberechtigten: Senatsurteil vom 07.03.2012 - 11 S 3269/11 - InfAuslR 2012, 203), so ist die Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe hier jedenfalls als wesentliches Indiz zu berücksichtigen. Die Strafvollstreckungskammer ist nach Einholung des kriminalprognostischen Gutachtens vom 24.09.2011 zum Ergebnis gekommen, dass eine vorzeitige Entlassung aus dem Strafvollzug verantwortet werden könne. Sie hat zur Begründung ebenfalls darauf verwiesen, dass der Kläger bis zu der Geiselnahme strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei und ein sozial voll integriertes Leben geführt habe. Der Anteil des Klägers an der verurteilten Straftat stelle sich, gerade bei den Gewalttätigkeiten, eher als gering dar. Der psychiatrische Sachverständige habe ausgeführt, die Tatsache, dass sich der Kläger mit der Tat allenfalls ansatzweise auseinandergesetzt habe, sei zwar als ungünstig zu beurteilen, im Hinblick auf die spezifische situative Konstellation bei der Tat und die im Übrigen festgestellte Eingebundenheit des Klägers seien aber mit hoher Wahrscheinlichkeit keine entsprechenden Taten zu erwarten. Der Kläger selbst habe in der mündlichen Anhörung auf die Strafvollstreckungskammer einen überaus positiven Eindruck gemacht. Sie sei daher davon überzeugt, dass es ihm mit der Hilfe und der Aufsicht eines Bewährungshelfers gelingen werden, künftig ein straffreies Leben zu führen, zumal er dabei sei, sich in einer anderen Berufssparte zu etablieren.
43 
Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung sind zudem weitere Umstände gegeben, die eine günstige Prognose rechtfertigen. Der Kläger hat sich seit der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer und der Haftentlassung vor fast einem Jahr weiter bewährt. Er hat keine Schulden mehr. Weil er zunächst Probleme hatte, eine bereits bestehende Fahrerlaubnis für LKW mit einem Gesamtgewicht von über 7,5 t ausgestellt zu bekommen, gelang es ihm zwar nicht sofort nach der Haftentlassung, eine Arbeitsstelle zu finden. Seit Juli 2012 ist er aber als Fahrer bei einer Firma in Karlsruhe angestellt. In einem Schreiben der Firma vom 28.09.2012 wird bestätigt, dass dieser gewissenhaft, zuverlässig und pünktlich sei; an einer Weiterbeschäftigung bestehe Interesse. Die Bewährungshelferin des Klägers äußert sich in einem Bericht vom 24.07.2012 insgesamt ebenfalls positiv. Sie bestätigt, dass sich der Kläger intensiv um einen Arbeitsplatz bemüht, diesen wegen der Probleme mit dem Führerschein aber zunächst nicht erhalten habe. Nach der Haftentlassung sei es ihm zunächst gesundheitlich nicht gut gegangen, er sei wegen einer Depression ärztlich behandelt worden und habe im Mai und Juni wegen Nierenschmerzen und Nierensteinen stationär behandelt werden müssen. An dem bisherigen Bewährungsverlauf sei insgesamt nichts zu beanstanden, der Kläger halte vereinbarte Termine regelmäßig ein, spreche bei auftauchenden Problemen auch ohne Termin vor. Zur Zeit genügt der Verdienst des Klägers - seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung nach inzwischen in Höhe von 800,- bis 1.200,-- EUR netto monatlich - zwar noch nicht zum Lebensunterhalt der Familie. Er und seine Ehefrau haben jedoch konkrete Pläne, mit Hilfe einer selbstständigen Tätigkeit wieder ohne staatliche Unterstützungen leben zu können. Der Kläger ist weiter nicht nur in seine eigene "Kernfamilie" eingebunden, sondern hat zudem regelmäßigen Kontakt zu seinen Schwiegereltern, seinem Bruder und anderen Verwandten.
44 
bb) Wenn danach auch davon auszugehen ist, dass mit Blick auf die spezialpräventiven Gesichtspunkte ein atypischer Sachverhalt vorliegt, mithin kein Regelfall des § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG gegeben ist, ist aber das Vorliegen eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes bezüglich der vom beklagten Land angeführten generalpräventiven Gesichtspunkte zu bejahen.
45 
Generalpräventiv motivierte Ausweisungen können - ausnahmsweise - auch bei Ausländern zulässig sein, denen besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 AufenthG zukommt, wenn eine besonders schwerwiegende Straftat vorliegt und deshalb ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über eine strafrechtliche Sanktion hinaus durch eine Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, Urteile 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, und vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 - InfAuslR 1997, 8). Bei der Entscheidung sind alle wesentlichen Umstände des Einzelfalls in die Beurteilung einzubeziehen. Das Gewicht der Straftat ist nicht abstrakt, sondern konkret nach den Umständen der Tatbegehung zu bestimmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 - a.a.O.).
46 
Nach diesen Grundsätzen kann die Ausweisung hier wegen der Art und Schwere der Straftat - der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - und der geschilderten konkreten, sich über mehrere Stunden hinziehenden Tatausführung auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden. Eine abschreckende Wirkung erscheint auch mit Blick darauf wichtig, dass es sich um einen Fall von besonders skrupelloser "Selbstjustiz" gehandelt hat. Schließlich war der Einbruch in das Wettbüro des Klägers vom 29.11.2008 bereits bei der Polizei angezeigt worden. Nach Bekanntwerden der Umstände, die aus Sicht des Klägers und der Mitangeklagten für eine Täterschaft der Angestellten N.G. bzw. ihres Freundes sprachen, hatte Y.K. noch am selben Abend die Polizei auch darüber informiert. Ausweislich der Feststellungen im Strafurteil vom 30.06.2009 hatte der Polizeibeamte, welcher aufgrund der vagen Verdächtigungen keinen Grund gesehen hatte, umgehend einzuschreiten, Y.K ausdrücklich davor gewarnt, eigene Aktionen zu unternehmen. Dies hatte Y.K dem Kläger berichtet. Trotzdem verabredeten Y.K., der Kläger und die weiteren Mittäter, N.G. zur Rede zu stellen, um - gegebenenfalls mit Hilfe von Ohrfeigen - ein Geständnis zu erzwingen, und begingen am nächsten Morgen die Straftat.
47 
c) Ist der die Ausweisung tragende Grund somit hinsichtlich der generalpräventiven Gesichtspunkte schwerwiegend, so ist der Kläger an sich gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG in der Regel auszuweisen, weil er den Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 1 AufenthG verwirklicht hat. Das Regierungspräsidium hat insoweit wegen der bestehenden familiären Lebensgemeinschaft des Klägers mit seiner deutschen Ehefrau und den vier deutschen Kindern allerdings zu Recht einen Ausnahmefall angenommen, der eine Abweichung von dieser Regel gebietet, und nach Ermessen entschieden.
48 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - InfAuslR 2008, 116, m.w.N.) ist von einem die Regel durchbrechenden Ausnahmefall bereits dann auszugehen, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falls erfordern. Es kann offen bleiben, ob dies bereits dann anzunehmen ist, wenn der Schutzbereich der betroffenen Grundrechte bzw. Menschenrechte, hier Art. 6 und Art. 2 GG bzw. Art. 8 EMRK, lediglich berührt ist oder ob bereits in diesem Zusammenhang die Feststellung eines qualifizierten Eingriffs erforderlich ist. Denn jedenfalls würde im Fall des Klägers wegen der bestehenden familiären Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Ehefrau und deutschen Kindern allein durch die Herabstufung von der "Ist-Ausweisung" zu einer "Regelausweisung" durch § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG dem besonderen Schutz der Familie durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK noch nicht hinreichend einzelfallbezogen Rechnung getragen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sind dann wesentlich konkreter und einzelfallbezogener neben allen ehelichen und familiären Umständen auch andere gewichtige persönlichen Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen und eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen (vgl. zu alledem auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - InfAuslR 2007, 443).
49 
4. Das danach dem Regierungspräsidium bei der Entscheidung über die Ausweisung zustehende und nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbare Ermessen ist hier von vornherein "auf Null reduziert", weil die mit einer Ausweisung verbundenen Folgen mit Blick auf die Schutzwirkungen von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK als unverhältnismäßig anzusehen sind.
50 
Bei der Entscheidung, ob eine im Ermessen der Ausländerbehörde stehende Ausweisung tatsächlich verfügt wird, sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die in § 55 Abs. 3 AufenthG aufgeführten, nämlich die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts, die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige oder Lebenspartner des Ausländer, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben, und die in § 60a Abs. 2 und 2b AufenthG genannten Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung. Dabei sind der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Grundrechte des Betroffenen zu beachten, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK, Art. 6 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG). Liegt ein Eingriff in diese Rechte vor, ist ohnehin eine einzelfallbezogene Würdigung und Abwägung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers unter Beachtung der insbesondere vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK entwickelten Kriterien vorzunehmen (BVerwG, Beschluss vom 10.02.2011 - 1 B 22.10 - Buchholz 402.242 § 56 AufenthG Nr. 5, m.w.N.; Urteil vom 22.10.2009 - 1 C 26.08 - InfAuslR 2010, 91). Dabei sind neben allen ehelichen und familiären Umständen auch andere gewichtige persönliche Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK darf eine Behörde in die Ausübung des Rechts aus Art. 8 Abs. 1 EMRK nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Die Frage, ob der durch eine Ausweisung bewirkte Eingriff im konkreten Einzelfall in diesem Sinne „notwendig“, insbesondere verhältnismäßig ist, ist anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist dabei von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen, den so genannten Boultif/Üner-Kriterien (vgl. zu den Kriterien im Einzelnen: EGMR, Urteile vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00, Boultif - InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99, Üner - NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/03, Maslov II - InfAuslR 2008, 333, vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05, Mutlag - InfAuslR 2010, 325, und vom 13.10.2011 - Nr. 41548/06, Trabelsi - juris). Erweisen sich danach die rechtlichen oder tatsächlichen Auswirkungen einer Ausweisung in Ansehung von Art. 6 Abs. 1 GG als unverhältnismäßig bzw. im Sinne des Art. 8 EMRK als "nicht notwendig", ist das Ermessen der Behörde mit der Folge "auf Null reduziert", dass eine Ausweisung des Betreffenden ausscheidet.
51 
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist eine Ausweisung des Klägers hier unzulässig. Der Kläger ist bereits seit 1996 mit seiner Ehefrau verheiratet, welche in Deutschland geboren ist und seit 1998 die deutsche Staatangehörigkeit besitzt. Mir ihr und den vier gemeinsamen, zwischen 4 und 15 Jahre alten Kindern, die ebenfalls Deutsche sind, lebt er in enger familiärer Lebensgemeinschaft. Diesem Umstand kommt eine erhebliche und weitreichende, durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK vermittelte Schutzwirkung zu, welche durch die deutsche Staatsangehörigkeit der Ehefrau und Kinder noch verstärkt wird (vgl. schon BVerwG, Urteile vom 03.05.1973 - I C 33.72 - BVerwGE 42, 133, vom 27.09.1978 - I C 79.76 - BVerwGE 56, 246, vom 17.01.1989 - 1 C 46.86 -InfAuslR 1989, 159; vgl. auch auch BVerfG, Beschluss vom 18.07.1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386; Kammerbeschlüsse vom 15.06.1993 - 2 BvR 900/93 - InfAuslR 1994, 311, und vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320). Dies wird auch nicht etwa durch den Umstand relativiert, dass die Ehefrau früher noch die türkische Staatsangehörigkeit hatte bzw. deren Eltern aus dem Heimatland des Klägers stammen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291, und vom 30.09.2009 - 13 S 440/09 -; HessVGH, Beschluss vom 15.07.2003 - 12 TG 1484/03 - InfAuslR 2003, 388). Insbesondere kann von der Ehefrau und den Kindern nicht verlangt werden, dass sie mit dem Kläger in die Türkei ausreisen.
52 
Die bestehenden tiefen Bindungen des Klägers zu seiner Familie werden belegt durch die vielen Besuche während seiner Haftzeit. Wie ausgeführt, hat der Kläger offensichtlich ein enges und intaktes Verhältnis zu seiner Ehefrau und seinen Kindern. Er übernimmt die Erziehung der Kinder gemeinsam mit seiner Ehefrau. In Anbetracht des jungen Alters der Kinder hätte eine - wenn auch nur vorübergehende - Trennung für diese ein besonderes Gewicht (vgl. zu Kindern in den ersten Lebensjahren BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320, und vom 01.12.2008 - 2 BvR 1830/08 -juris). Deren Belangen könnte daher auch durch eine Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf einen bestimmten - nicht zu langen - Zeitraum nicht hinreichend Rechnung getragen werden.
53 
Auf der anderen Seite ist das öffentliche Interesse einer Ausweisung hier gemindert, weil ungeachtet der Schwere der vom Kläger begangenen Straftat nicht mehr von einer relevanten Wiederholungsgefahr ausgegangen werden kann. Allein die generalpräventiven Erwägungen vermögen den mit einer Ausweisung verbundenen Eingriff in Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht zu rechtfertigen. Wie ausgeführt, ist zwar davon auszugehen, dass eine besonders schwerwiegende Straftat vorliegt und deshalb - grundsätzlich - ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über eine strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, Urteile 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, und vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 -InfAuslR 1997, 8). Dieses vermag aber in Anbetracht der konkreten Umstände des vorliegenden Falles den Eingriff in das Schutzgebot von Art. 6 Abs. 1 GG bzw. das Achtungsgebots des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht zu rechtfertigen. Dabei ist von besonderer Relevanz, dass die Tat annähernd vier Jahre zurückliegt und der Kläger seine Strafe verbüßt hat. Auch sind die bereits im Rahmen der Prüfung der Wiederholungsgefahr angeführten, für den Kläger sprechenden weiteren Umstände zu berücksichtigen, etwa dass er sich bereits seit 1996 rechtmäßig hier aufhält, zuvor - bis auf das Verkehrsdelikt - nie straffällig geworden war, außerdem dass er sich immer bemüht hat, ausreichend für seine Familie und sich zu sorgen und sich auch seit seiner Haftentlassung bewährt hat.
54 
Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass die Ausweisung des Klägers hier im Ergebnis selbst dann als unverhältnismäßig anzusehen ist, wenn man noch vom Bestehen einer geringen, aber die Erheblichkeitsschwelle übersteigenden Wiederholungsgefahr und damit dem Vorliegen spezialpräventiver Ausweisungsgründe ausginge. Denn aus den - zur Unverhältnismäßigkeit einer generalpräventiv motivierten Ausweisung - angeführten Gründen führt die danach erforderliche Abwägung ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die privaten Interessen des Klägers und seiner Familienangehörigen das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung überwiegen.
II.
55 
Unter diesen Umständen ist auch die im Bescheid vom 22.10.2010 verfügten Abschiebungsandrohung rechtswidrig und aufzuheben.
56 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
57 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
58 
Beschluss vom 23. Oktober 2012
59 
Der Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt (§§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG).
60 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Wiedererteilung seiner Fahrerlaubnis.
Das Landratsamt des Rems-Murr-Kreises erteilte dem Kläger am 11.10.1989 die Fahrerlaubnis für die Klassen 1b und 2. Der Kläger arbeitete anschließend als Kraftfahrer. Mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 28.10.1999 entzog das Amtsgericht Waiblingen dem Kläger die Fahrerlaubnis wegen Trunkenheit im Verkehr. Er hatte zuvor ein Fahrzeug geführt, obwohl die später entnommene Blutprobe eine Blutalkoholkonzentration von 1,86 Promille ergab.
Der Kläger beantragte am 10.03.2014 die Neuerteilung der Fahrerlaubnis. Der Beklagte forderte ihn daraufhin auf, an einer medizinisch-psychologischen Untersuchung teilzunehmen, um zu klären, ob der Kläger trotz zuvor festgestellter Alkoholabhängigkeit fähig sei, ein Fahrzeug sicher zu führen. Der Kläger erklärte sich bereit, sich begutachten zu lassen, woraufhin der Beklagte am 22.07.2014 die entsprechenden Unterlagen und den Untersuchungsauftrag an die pima mpu GmbH versandte. Sie erhielt die Unterlagen von dieser 17.09.2014 zurück. Gleichwohl legte der Kläger dem Beklagten das Gutachten zunächst nicht vor.
Daraufhin lehnte das Landratsamt des Rems-Murr-Kreises den Antrag des Klägers auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis mit bestandskräftiger Verfügung vom 08.10.2014 ab.
In der Folgezeit legte der Kläger dem Beklagten das Gutachten der pima mpu GmbH vor. Danach lag bei dem Kläger eine Alkoholabhängigkeit vor. Im Jahre 2000 habe er an einer stationären Therapie teilgenommen und dann viereinhalb Jahre abstinent gelebt. Ab 2005 habe er wieder Alkohol konsumiert. Eine erneute ambulante Therapie habe in der Zeit vom 10.09.2007 bis 01.12.2007 stattgefunden. Seit dem 03.09.2007 lebe der Kläger nunmehr alkoholabstinent ohne Rückfall. Im Ergebnis stellten die Gutachter dem Kläger insbesondere aufgrund der fehlenden Nachweise für eine Abstinenz zum damaligen Zeitpunkt keine günstige Fahreignungsprognose.
Am 28.05.2015 stellte der Kläger erneut einen Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis für die Klassen A, A1, B, BE sowie die Klassen C1, C1E bei dem Beklagten. Er legte dazu ein Zertifikat der pima-mpu GmbH vom 26.05.2015 vor. Danach waren vom 27.05.2014 bis zum 26.05.2015 im Rahmen eines Alkoholabstinenzprogrammes 6 Urinscreenings bei ihm durchgeführt worden, die jeweils unauffällig verliefen.
Der Beklagte forderte den Kläger daraufhin mit Schreiben vom 17.07.2015 auf, an einer medizinisch-psychologischen Untersuchung teilzunehmen, wozu sich der Kläger mit Schreiben vom 21.07.2015 bereiterklärte. In ihrem Gutachten vom 17.09.2015 kamen die Gutachter zu dem Ergebnis, dass der Kläger alkoholabhängig sei. Darum sei seine Alkoholabstinenz zu fordern. Aufgrund der nachgewiesenen Abstinenz könne derzeit von einem ausreichend stabilen Alkoholverzicht ausgegangen werden, sodass der Kläger trotz festgestellter Alkoholabhängigkeit ein Kraftfahrzeug der Klassen 1 und 2 sicher führen könne. Es könne insbesondere davon ausgegangen werden, dass die Abhängigkeit im Sinne der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung nicht mehr bestehe und eine stabile Abstinenz vorliege.
Daraufhin teilte das Landratsamt des Rems-Murr-Kreis dem Kläger am 24.09.2015 mit, dass aufgrund der Fahrerlaubnisentziehung vor über 16 Jahren Bedenken an seiner Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen bestünden. Er müsse daher noch die theoretische und die praktische Prüfung ablegen, bevor ihm die Fahrerlaubnis wieder erteilt werden könne. Das verweigerte der Kläger mit dem Hinweis, er nehme seit dem Jahr 1999 mit dem Mofa am Straßenverkehr teil und bewege weitere Fahrzeuge. Er repariere PKWs und fahre diese dann auf privatem Grund zur Probe. Mit Bescheid vom 02.11.2015 lehnte der Beklagte den Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis ab.
Den dagegen am 02.12.2015 eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.04.2016 zurück.
10 
Dagegen und gegen die Ausgangsverfügung hat der Kläger am 09.05.2016 Klage erhoben.
11 
Der Kläger trägt vor, gemäß § 20 Abs. 1 FeV finde die Vorschrift zum Ablegen einer theoretischen und praktischen Prüfung, § 15 FeV, keine Anwendung, sodass ein entsprechender Nachweis nicht gefordert werden dürfe. Etwas anderes könne nach § 20 Abs. 2 FeV zwar gelten, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Bewerber nicht über die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfüge. Diese Tatsachen seien aber von der Fahrerlaubnisbehörde vorzulegen und zu belegen. Das habe der Beklagte nicht ausreichend berücksichtigt. So sei der klägerische Vortrag zu seiner Fahrpraxis mit dem Mofa im öffentlichen Straßenverkehr sowie mit PKWs und LKWs auf privatem Grund von dem Beklagten nicht gewürdigt worden. Demnach sei die angegriffene Entscheidung jedenfalls ermessensfehlerhaft. Weiter habe die negative MPU aus dem Jahr 2014 allein an den damals fehlenden Screenings gelegen. Man habe ihm nicht mitgeteilt, dass solche benötigt würden. Das sei zu seinen Gunsten zu berücksichtigen. Schließlich könne er Auto fahren. Er nehme regelmäßig mit seinem Mofa am Straßenverkehr teil und sei dabei der gefährdetste Verkehrsteilnehmer. Für seinen vormaligen Arbeitgeber die Firma ... habe er außerdem Schneemaschinen, Hochstapler, Kehrmaschinen u.ä. auf dem Firmengelände bewegt. Nur weil ihm seine Fahrbefähigung nicht bescheinigt sei, bedeute das nicht, dass ihm die entsprechenden Fähigkeiten fehlten, wie auch andersherum nicht jeder Fahrerlaubnisinhaber Auto fahren könne.
12 
Der Kläger beantragt - sachdienlich gefasst -,
13 
den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger die Fahrerlaubnis antragsgemäß zu erteilen und den Bescheid des Landratsamtes Rems-Murr Kreis vom 02.11.2015 sowie den Widerspruchsbescheid vom 11.04.2016 aufzuheben, soweit sie dem entgegenstehen.
14 
Der Beklagte beantragt,
15 
die Klage abzuweisen.
16 
Der Beklagte trägt vor, er habe den langen Zeitraum seit welcher der Kläger seine Fahrerlaubnis besitze herangezogen, um auf eine erneute theoretische und praktische Prüfung zu bestehen. Ein Ermessen komme ihm dabei nicht zu. Weder die behauptete Teilnahme des Klägers am Straßenverkehr mit einem Mofa noch die Fahrpraxis mit LKW und PKW auf privatem Grund sei ausreichend, um hinreichende Fahrpraxis zu vermitteln. Die materielle Beweislast zum Vorliegen der Fahreignung liege beim Kläger. Schließlich sei noch anzumerken, dass der Kläger die Fahrerlaubnis der Klasse 3 erstmalig am 14.11.1986, also vor über 30 Jahren erworben habe.
17 
Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung durch Vernehmung der Zeugen ... und ... Beweis erhoben. Die Zeugin ... sagte aus, sie kenne den Kläger seit ca. 18 Jahren. Vor drei Jahren seien sie auch ein Paar allerdings nicht liiert gewesen. Zu der Zeit als der Kläger noch eine Fahrerlaubnis besessen habe, sei sie des Öfteren mit ihm gefahren und habe sich immer sicher gefühlt. Der Kläger sei souverän und vorausschauend gefahren und sie glaube nicht, dass er das verlernt habe. Weiter habe ihr der Kläger vor ca. 2-3 Jahren regelmäßig berichtet, dass er auf dem Betriebsgelände seines damaligen Arbeitgebers Arbeitsmaschinen bewegt habe und dass er PKWs repariere und diese dann auf privatem Grund, etwa in der Tiefgarage oder auf Grundstücken von Bekannten bewege. Sie wisse außerdem, dass der Kläger mit dem Mofa am Straßenverkehr teilnehme und habe ihn dabei erlebt.
18 
Der Zeuge ... sagte aus, er sei mit dem Kläger befreundet. Der Kläger habe mehrfach seinen PKW repariert aber auch jene anderer Freunde. Er habe dabei erlebt, wie der Kläger in der Mietwerkstatt rangiert habe. Der Kläger habe einfach ein Gefühl für Autos und ihre Bewegung im Raum. Schließlich habe er auch einen LKW-Führerschein gehabt.
19 
Wegen der weiteren Einzelheiten der mündlichen Verhandlung, insbesondere der Zeugenvernehmung wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
20 
Dem Gericht liegen die einschlägigen Behördenakten vor. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf diese Akten, die Gerichtsakten und die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
21 
Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle der Kammer, § 87a Abs. 2, Abs. 3 VwGO.
22 
Die Klage ist zulässig aber unbegründet.
23 
Die angegriffene Ablehnung des Antrages auf Erteilung der Fahrerlaubnis erging rechtmäßig und verletzte den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 S. 1, Abs. 1 VwGO. Der Beklagte hat zurecht auf den Nachweis der Fahreignung des Klägers durch eine theoretische und eine praktische Fahrprüfung bestanden. Ohne einen solchen hat der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis.
24 
Gemäß § 15 Abs. 1 FeV hat der Bewerber um eine Fahrerlaubnis hat seine Befähigung in einer theoretischen und einer praktischen Prüfung nachzuweisen. Laut § 20 Abs. 1 S. 1 FeV gelten für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung grundsätzlich die Vorschriften für die Ersterteilung. Das Prüfungserfordernis des § 15 FeV gilt gemäß § 20 Abs. 1 S. 2 FeV grundsätzlich nicht, es sei denn, die Fahrerlaubnisbehörde ordnet eine Fahrerlaubnisprüfung an, weil Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Bewerber die nach § 16 Absatz 1 und § 17 Absatz 1 erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt, § 20 Abs. 2 FeV.
25 
Eine länger andauernde Unterbrechung der Fahrpraxis kann grundsätzlich eine solche Tatsache sein. Ob sie im Einzelfall Zweifel an den Kenntnissen zum Führen eines Fahrzeuges im Straßenverkehr begründet, ist im Wege einer Gesamtschau zu beurteilen. Dabei ist sowohl die Zeitdauer der fehlenden Fahrpraxis als auch der Zeitraum zu berücksichtigen, über den sich die Fahrpraxis des Bewerbers in der jeweiligen Fahrerlaubnisklasse erstreckt hatte, bevor ihm die Fahrerlaubnis entzogen wurde (BVerwG, Urteil vom 27.10.2011 - 3 C 31.10 -, juris Rn. 11; SächsOVG, Beschluss vom 30.09.2014 - 3 D 35/14 -, juris Rn. 8; Beschluss vom 26.07.2013 - 3 D 9/13 -, juris Rn. 10; vgl. auch Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl. 2013, § 20 FeV Rn. 2). Dabei ist einerseits zu gegenwärtigen, dass das Fahrerlaubnisrecht im Grundsatz davon ausgeht, dass die Prüfungen nach § 15 FeV nur einmal abzulegen sind, § 20 Abs. 1 S. 2 FeV, andererseits das Fahrerlaubnisrecht als besonderes Gefahrenabwehrrecht der effektiven Gefahrenabwehr verpflichtet ist und damit gehalten ist, die durch Eignungsmängel regelmäßig drohenden Gefahren für hochrangige Rechtsgüter Dritter wie das Eigentum und die körperliche Unversehrtheit, Art. 14 GG, Art. 2 Abs. 2 GG abzuwehren. Der dabei erforderliche Wahrscheinlichkeitsmaßstab richtet sich nach dem allgemeinen gefahrenabwehrrechtlichen Grundsatz, dass eine umso kleinere Eintrittswahrscheinlichkeit genügt, je größer der dann zu erwartende Schaden ist (BVerwG; Urteil vom 4.10.2012 - 1 C 13/11, juris; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23.10.2012 - 11 S 1470/11 -, juris).
26 
Bei Anwendung dieser Grundsätze ist zugunsten des Kläger zu berücksichtigen, dass er Kläger im Zeitpunkt der Fahrerlaubniserziehung bereits seit zehn Jahren Inhaber derselben gewesen war, als Berufskraftfahrer entsprechende Fahrpraxis hatte und insoweit keine Anzeichen für eine Mängel an seiner Fahrbefähigung bestanden.
27 
Andererseits unterliegen das Wissen und die Fähigkeiten zum sicheren, verkehrsordnungsgemäßen und umweltbewussten Führen eines KfZ wie alle anderen Fähigkeiten und jedes andere Wissen auch, einer gewissen Relativierung durch die Zeit dergestalt, dass eine längere Nutzungspause diese Kenntnisse und Fähigkeiten schwinden lässt und so Zweifel an der hinreichenden Fahreignung begründet. Wie lange diese Pause zu bemessen ist, hängt von den verkehrskognitiven Fähigkeiten des Einzelnen ab und ist daher im Einzelfall zu ermitteln. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist man sich insofern jedenfalls einig, dass fehlende Fahrpraxis über einen Zeitraum von länger als 10 Jahren die Annahme rechtfertigt, dass der Bewerber nicht mehr über die zur sicheren Führung eines Kraftfahrzeugs im Verkehr erforderlichen technischen Kenntnisse sowie über ausreichende Kenntnisse einer umweltbewussten und energiesparenden Fahrweise verfügt und zu ihrer praktischen Anwendung nicht mehr fähig ist (nach 17 Jahren: BayVGH, Urteil vom 17.04.2012 - 11 B 11.1873 -, juris Rn. 33; nach 16 Jahren: SächsOVG, Beschluss vom 30.09.2014 - 3 D 35/14 -, juris Leitsatz; nach 14 Jahren: OVG NRW, Beschluss vom 22.03.2012 - 16 A 55/12 -, juris und Beschluss vom 04.01.2012 - 16 A 1500/10 -, juris; nach 13 Jahren bei nur 15-monatiger Fahrpraxis vor Entziehung der Fahrerlaubnis: SächsOVG, Beschluss vom 26.07.2013 - 3 D 9/13 -, juris Leitsatz 2). In der Person des Klägers kommt hinzu, dass ihm die Fahrerlaubnis seit der Erteilung länger entzogen war (17 Jahre) als erteilt (10 Jahre).
28 
An dieser Einschätzung ändert auch der Vortrag des Klägers nichts, er habe mit einem Mofa am Straßenverkehr teilgenommen. Der Nachweis der Fahreignung durch die Prüfungen nach §§ 16, 17 FeV erfolgt jeweils durch fahrerlaubnisklassenspezifische Aufgaben, § 16 Abs. 2 S. 2 FeV, § 17 Abs. 2 FeV i.V.m. Anlage 7 zur FeV. Daraus ergibt sich im Umkehrschluss auch, dass die Teilnahme am Straßenverkehr mit Fahrzeugen einer anderen Fahrerlaubnisklasse nicht die Eignung zum Führen von Fahrzeugen anderer Klassen zu vermitteln vermag.
29 
Relevant sind in diesem Zusammenhang nur Tatsachen, die den Schluss zulassen, dass der Betroffene die für die begehrte Fahrerlaubnis erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten trotz fehlender Fahrpraxis nicht verloren hat; die Teilnahme am Straßenverkehr mit einem Mofa genügt daher ebenso wenig, wie der Hinweis darauf, regelmäßig als Beifahrer in Kraftfahrzeugen am motorisierten Straßenverkehr teilgenommen oder Kraftfahrzeuge unberechtigt geführt zu haben (VG Braunschweig, Urteil vom 15. Oktober 2015 - 6 A 180/14 -, juris, BayVGH, Beschluss vom 19.09.2013 - 11 ZB 13.1396 -, juris Rn. 8; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 04.01.2012 - 16 A 1500/10 -, juris Rn. 9; VG Meiningen, Urteil vom 19.08.2014 - 2 K 106/14 -, juris Rn. 24). Das hat der Beklagte auch im Widerspruchsbescheid berücksichtigt.
30 
Das ergibt sich insbesondere daraus, dass ein Mofa ist nur ein zweirädriges Fahrzeug und seine Höchstgeschwindigkeit auf 25 km/h beschränkt ist. Darum liegt es auf der Hand, dass entsprechende Fahrpraxis keineswegs geeignet ist die fortbestehende Eignung zum Führen eines PKW nachzuweisen (BayVGH, Beschluss vom 19.09.2013 - 11 ZB 13.1396 -, juris Rn. 8).
31 
Selbiges gilt für den Vortrag des Klägers, er habe auf privatem Gelände ausreichend Fahrpraxis gesammelt. Nach seinen eigenen Einlassungen und jenen der Zeugen in der mündlichen Verhandlung handelte es sich bei der Fahrpraxis um Fahrten mit dem Mofa sowie Rangierbewegungen in Garagen und Werkstätten und auf dem Firmengelände des ehemaligen Arbeitgebers des Klägers. Sie vermögen nicht, eine fortbestehende hinreichende Befähigung des Klägers zu erzeugen, weil die dabei durchgeführten Fahr- und Verkehrsmanöver nur einen Bruchteil der Anforderungen im öffentlichen Straßenverkehr abdecken und auch in ihrer Gesamtheit nicht geeignet sind, entsprechende Fahrpraxis zu substituieren. Zweck der praktischen Fahrerlaubnisprüfung ist es gerade, die Eignung des Bewerbers in der konkreten Situation des öffentlichen Kraftverkehrs nachzuweisen. Dazu zählen ausweislich der Anlage 7 zur FeV Nr. 2.1.5 Prüfungsfahrt insbesondere: e) Steigung und Gefällstrecken, g) Verkehrsbeobachtung und Beachtung der Verkehrszeichen und -einrichtungen, h) Abstand halten vom vorausfahrenden Fahrzeug, j) Überholen und Vorbeifahren, k) Verhalten an Kreuzungen, Einmündungen, Kreisverkehren, Bahnübergängen und in Tunneln, l) Abbiegen und Fahrstreifenwechsel, m) Verhalten gegenüber Fußgängern sowie an Straßenbahn- und Bushaltestellen, n) Fahren außerhalb geschlossener Ortschaften. Der Kläger hat keine dem entsprechende Praxis auf privatem Grund vorgetragen oder gar nachgewiesen, was ohnehin kaum möglich sein dürfte (im Ergebnis ebenso: BayVGH, Beschluss vom 18.08.2015 - 11 CE 15.1217 -, juris Rn. 11, VG Augsburg, Urteil vom 13.04.2012 - Au 7 K 11.497 -, juris).
32 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
33 
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht gemäß §§ 124 a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO liegen nicht vor.

Gründe

 
21 
Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle der Kammer, § 87a Abs. 2, Abs. 3 VwGO.
22 
Die Klage ist zulässig aber unbegründet.
23 
Die angegriffene Ablehnung des Antrages auf Erteilung der Fahrerlaubnis erging rechtmäßig und verletzte den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 S. 1, Abs. 1 VwGO. Der Beklagte hat zurecht auf den Nachweis der Fahreignung des Klägers durch eine theoretische und eine praktische Fahrprüfung bestanden. Ohne einen solchen hat der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis.
24 
Gemäß § 15 Abs. 1 FeV hat der Bewerber um eine Fahrerlaubnis hat seine Befähigung in einer theoretischen und einer praktischen Prüfung nachzuweisen. Laut § 20 Abs. 1 S. 1 FeV gelten für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung grundsätzlich die Vorschriften für die Ersterteilung. Das Prüfungserfordernis des § 15 FeV gilt gemäß § 20 Abs. 1 S. 2 FeV grundsätzlich nicht, es sei denn, die Fahrerlaubnisbehörde ordnet eine Fahrerlaubnisprüfung an, weil Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Bewerber die nach § 16 Absatz 1 und § 17 Absatz 1 erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt, § 20 Abs. 2 FeV.
25 
Eine länger andauernde Unterbrechung der Fahrpraxis kann grundsätzlich eine solche Tatsache sein. Ob sie im Einzelfall Zweifel an den Kenntnissen zum Führen eines Fahrzeuges im Straßenverkehr begründet, ist im Wege einer Gesamtschau zu beurteilen. Dabei ist sowohl die Zeitdauer der fehlenden Fahrpraxis als auch der Zeitraum zu berücksichtigen, über den sich die Fahrpraxis des Bewerbers in der jeweiligen Fahrerlaubnisklasse erstreckt hatte, bevor ihm die Fahrerlaubnis entzogen wurde (BVerwG, Urteil vom 27.10.2011 - 3 C 31.10 -, juris Rn. 11; SächsOVG, Beschluss vom 30.09.2014 - 3 D 35/14 -, juris Rn. 8; Beschluss vom 26.07.2013 - 3 D 9/13 -, juris Rn. 10; vgl. auch Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl. 2013, § 20 FeV Rn. 2). Dabei ist einerseits zu gegenwärtigen, dass das Fahrerlaubnisrecht im Grundsatz davon ausgeht, dass die Prüfungen nach § 15 FeV nur einmal abzulegen sind, § 20 Abs. 1 S. 2 FeV, andererseits das Fahrerlaubnisrecht als besonderes Gefahrenabwehrrecht der effektiven Gefahrenabwehr verpflichtet ist und damit gehalten ist, die durch Eignungsmängel regelmäßig drohenden Gefahren für hochrangige Rechtsgüter Dritter wie das Eigentum und die körperliche Unversehrtheit, Art. 14 GG, Art. 2 Abs. 2 GG abzuwehren. Der dabei erforderliche Wahrscheinlichkeitsmaßstab richtet sich nach dem allgemeinen gefahrenabwehrrechtlichen Grundsatz, dass eine umso kleinere Eintrittswahrscheinlichkeit genügt, je größer der dann zu erwartende Schaden ist (BVerwG; Urteil vom 4.10.2012 - 1 C 13/11, juris; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23.10.2012 - 11 S 1470/11 -, juris).
26 
Bei Anwendung dieser Grundsätze ist zugunsten des Kläger zu berücksichtigen, dass er Kläger im Zeitpunkt der Fahrerlaubniserziehung bereits seit zehn Jahren Inhaber derselben gewesen war, als Berufskraftfahrer entsprechende Fahrpraxis hatte und insoweit keine Anzeichen für eine Mängel an seiner Fahrbefähigung bestanden.
27 
Andererseits unterliegen das Wissen und die Fähigkeiten zum sicheren, verkehrsordnungsgemäßen und umweltbewussten Führen eines KfZ wie alle anderen Fähigkeiten und jedes andere Wissen auch, einer gewissen Relativierung durch die Zeit dergestalt, dass eine längere Nutzungspause diese Kenntnisse und Fähigkeiten schwinden lässt und so Zweifel an der hinreichenden Fahreignung begründet. Wie lange diese Pause zu bemessen ist, hängt von den verkehrskognitiven Fähigkeiten des Einzelnen ab und ist daher im Einzelfall zu ermitteln. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist man sich insofern jedenfalls einig, dass fehlende Fahrpraxis über einen Zeitraum von länger als 10 Jahren die Annahme rechtfertigt, dass der Bewerber nicht mehr über die zur sicheren Führung eines Kraftfahrzeugs im Verkehr erforderlichen technischen Kenntnisse sowie über ausreichende Kenntnisse einer umweltbewussten und energiesparenden Fahrweise verfügt und zu ihrer praktischen Anwendung nicht mehr fähig ist (nach 17 Jahren: BayVGH, Urteil vom 17.04.2012 - 11 B 11.1873 -, juris Rn. 33; nach 16 Jahren: SächsOVG, Beschluss vom 30.09.2014 - 3 D 35/14 -, juris Leitsatz; nach 14 Jahren: OVG NRW, Beschluss vom 22.03.2012 - 16 A 55/12 -, juris und Beschluss vom 04.01.2012 - 16 A 1500/10 -, juris; nach 13 Jahren bei nur 15-monatiger Fahrpraxis vor Entziehung der Fahrerlaubnis: SächsOVG, Beschluss vom 26.07.2013 - 3 D 9/13 -, juris Leitsatz 2). In der Person des Klägers kommt hinzu, dass ihm die Fahrerlaubnis seit der Erteilung länger entzogen war (17 Jahre) als erteilt (10 Jahre).
28 
An dieser Einschätzung ändert auch der Vortrag des Klägers nichts, er habe mit einem Mofa am Straßenverkehr teilgenommen. Der Nachweis der Fahreignung durch die Prüfungen nach §§ 16, 17 FeV erfolgt jeweils durch fahrerlaubnisklassenspezifische Aufgaben, § 16 Abs. 2 S. 2 FeV, § 17 Abs. 2 FeV i.V.m. Anlage 7 zur FeV. Daraus ergibt sich im Umkehrschluss auch, dass die Teilnahme am Straßenverkehr mit Fahrzeugen einer anderen Fahrerlaubnisklasse nicht die Eignung zum Führen von Fahrzeugen anderer Klassen zu vermitteln vermag.
29 
Relevant sind in diesem Zusammenhang nur Tatsachen, die den Schluss zulassen, dass der Betroffene die für die begehrte Fahrerlaubnis erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten trotz fehlender Fahrpraxis nicht verloren hat; die Teilnahme am Straßenverkehr mit einem Mofa genügt daher ebenso wenig, wie der Hinweis darauf, regelmäßig als Beifahrer in Kraftfahrzeugen am motorisierten Straßenverkehr teilgenommen oder Kraftfahrzeuge unberechtigt geführt zu haben (VG Braunschweig, Urteil vom 15. Oktober 2015 - 6 A 180/14 -, juris, BayVGH, Beschluss vom 19.09.2013 - 11 ZB 13.1396 -, juris Rn. 8; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 04.01.2012 - 16 A 1500/10 -, juris Rn. 9; VG Meiningen, Urteil vom 19.08.2014 - 2 K 106/14 -, juris Rn. 24). Das hat der Beklagte auch im Widerspruchsbescheid berücksichtigt.
30 
Das ergibt sich insbesondere daraus, dass ein Mofa ist nur ein zweirädriges Fahrzeug und seine Höchstgeschwindigkeit auf 25 km/h beschränkt ist. Darum liegt es auf der Hand, dass entsprechende Fahrpraxis keineswegs geeignet ist die fortbestehende Eignung zum Führen eines PKW nachzuweisen (BayVGH, Beschluss vom 19.09.2013 - 11 ZB 13.1396 -, juris Rn. 8).
31 
Selbiges gilt für den Vortrag des Klägers, er habe auf privatem Gelände ausreichend Fahrpraxis gesammelt. Nach seinen eigenen Einlassungen und jenen der Zeugen in der mündlichen Verhandlung handelte es sich bei der Fahrpraxis um Fahrten mit dem Mofa sowie Rangierbewegungen in Garagen und Werkstätten und auf dem Firmengelände des ehemaligen Arbeitgebers des Klägers. Sie vermögen nicht, eine fortbestehende hinreichende Befähigung des Klägers zu erzeugen, weil die dabei durchgeführten Fahr- und Verkehrsmanöver nur einen Bruchteil der Anforderungen im öffentlichen Straßenverkehr abdecken und auch in ihrer Gesamtheit nicht geeignet sind, entsprechende Fahrpraxis zu substituieren. Zweck der praktischen Fahrerlaubnisprüfung ist es gerade, die Eignung des Bewerbers in der konkreten Situation des öffentlichen Kraftverkehrs nachzuweisen. Dazu zählen ausweislich der Anlage 7 zur FeV Nr. 2.1.5 Prüfungsfahrt insbesondere: e) Steigung und Gefällstrecken, g) Verkehrsbeobachtung und Beachtung der Verkehrszeichen und -einrichtungen, h) Abstand halten vom vorausfahrenden Fahrzeug, j) Überholen und Vorbeifahren, k) Verhalten an Kreuzungen, Einmündungen, Kreisverkehren, Bahnübergängen und in Tunneln, l) Abbiegen und Fahrstreifenwechsel, m) Verhalten gegenüber Fußgängern sowie an Straßenbahn- und Bushaltestellen, n) Fahren außerhalb geschlossener Ortschaften. Der Kläger hat keine dem entsprechende Praxis auf privatem Grund vorgetragen oder gar nachgewiesen, was ohnehin kaum möglich sein dürfte (im Ergebnis ebenso: BayVGH, Beschluss vom 18.08.2015 - 11 CE 15.1217 -, juris Rn. 11, VG Augsburg, Urteil vom 13.04.2012 - Au 7 K 11.497 -, juris).
32 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
33 
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht gemäß §§ 124 a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO liegen nicht vor.

(1) Eine von der zuständigen Behörde erteilte Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen (Zusicherung), bedarf zu ihrer Wirksamkeit der schriftlichen Form. Ist vor dem Erlass des zugesicherten Verwaltungsaktes die Anhörung Beteiligter oder die Mitwirkung einer anderen Behörde oder eines Ausschusses auf Grund einer Rechtsvorschrift erforderlich, so darf die Zusicherung erst nach Anhörung der Beteiligten oder nach Mitwirkung dieser Behörde oder des Ausschusses gegeben werden.

(2) Auf die Unwirksamkeit der Zusicherung finden, unbeschadet des Absatzes 1 Satz 1, § 44, auf die Heilung von Mängeln bei der Anhörung Beteiligter und der Mitwirkung anderer Behörden oder Ausschüsse § 45 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 sowie Abs. 2, auf die Rücknahme § 48, auf den Widerruf, unbeschadet des Absatzes 3, § 49 entsprechende Anwendung.

(3) Ändert sich nach Abgabe der Zusicherung die Sach- oder Rechtslage derart, dass die Behörde bei Kenntnis der nachträglich eingetretenen Änderung die Zusicherung nicht gegeben hätte oder aus rechtlichen Gründen nicht hätte geben dürfen, ist die Behörde an die Zusicherung nicht mehr gebunden.

(1) Für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung oder nach vorangegangenem Verzicht gelten die Vorschriften für die Ersterteilung. § 15 findet vorbehaltlich des Absatzes 2 keine Anwendung.

(2) Die Fahrerlaubnisbehörde ordnet eine Fahrerlaubnisprüfung an, wenn Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Bewerber die nach § 16 Absatz 1 und § 17 Absatz 1 erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt.

(3) Unberührt bleibt die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung nach § 11 Absatz 3 Satz 1 Nummer 9.

(4) Die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung kann frühestens sechs Monate vor Ablauf einer Sperre

1.
nach § 2a Absatz 5 Satz 3 oder § 4 Absatz 10 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes oder
2.
nach § 69 Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit § 69a Absatz 1 Satz 1 oder § 69a Absatz 1 Satz 3 in Verbindung mit Satz 1 des Strafgesetzbuches
bei der nach Landesrecht zuständigen Behörde beantragt werden.

(1) Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinne des § 7 Absatz 1 oder 2 in der Bundesrepublik Deutschland haben, dürfen – vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Absätzen 2 bis 4 – im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. Auflagen zur ausländischen Fahrerlaubnis sind auch im Inland zu beachten. Auf die Fahrerlaubnisse finden die Vorschriften dieser Verordnung Anwendung, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(2) Der Umfang der Berechtigung der jeweiligen Fahrerlaubnisklassen ergibt sich aus dem Beschluss (EU) 2016/1945 der Kommission vom 14. Oktober 2016 über Äquivalenzen zwischen Führerscheinklassen (ABl. L 302 vom 9.11.2016, S. 62). Die Berechtigung nach Absatz 1 gilt nicht für Fahrerlaubnisklassen, für die die Entscheidung der Kommission keine entsprechenden Klassen ausweist. Für die Berechtigung zum Führen von Fahrzeugen der Klassen L und T gilt § 6 Absatz 3 entsprechend.

(3) Die Vorschriften über die Geltungsdauer von Fahrerlaubnissen der Klassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE und D1E in § 23 Absatz 1 gelten auch für die entsprechenden EU- und EWR-Fahrerlaubnisse. Grundlage für die Berechnung der Geltungsdauer ist das Datum der Erteilung der ausländischen Fahrerlaubnis. Wäre danach eine solche Fahrerlaubnis ab dem Zeitpunkt der Verlegung des ordentlichen Wohnsitzes in die Bundesrepublik Deutschland nicht mehr gültig, weil seit der Erteilung mehr als fünf Jahre verstrichen sind, besteht die Berechtigung nach Absatz 1 Satz 1 noch sechs Monate, gerechnet von der Begründung des ordentlichen Wohnsitzes im Inland an. Für die Erteilung einer deutschen Fahrerlaubnis ist § 30 in Verbindung mit § 24 Absatz 1 entsprechend anzuwenden.

(4) Die Berechtigung nach Absatz 1 gilt nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis,

1.
die lediglich im Besitz eines Lernführerscheins oder eines anderen vorläufig ausgestellten Führerscheins sind,
2.
die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten, es sei denn, dass sie als Studierende oder Schüler im Sinne des § 7 Absatz 2 die Fahrerlaubnis während eines mindestens sechsmonatigen Aufenthalts erworben haben,
3.
denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder sofort vollziehbar oder bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden ist, denen die Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt worden ist oder denen die Fahrerlaubnis nur deshalb nicht entzogen worden ist, weil sie zwischenzeitlich auf die Fahrerlaubnis verzichtet haben,
4.
denen auf Grund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung keine Fahrerlaubnis erteilt werden darf,
5.
solange sie im Inland, in dem Staat, der die Fahrerlaubnis erteilt hatte, oder in dem Staat, in dem sie ihren ordentlichen Wohnsitz haben, einem Fahrverbot unterliegen oder der Führerschein nach § 94 der Strafprozessordnung beschlagnahmt, sichergestellt oder in Verwahrung genommen ist,
6.
die zum Zeitpunkt des Erwerbs der ausländischen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis Inhaber einer deutschen Fahrerlaubnis waren,
7.
deren Fahrerlaubnis aufgrund einer Fahrerlaubnis eines Drittstaates, der nicht in der Anlage 11 aufgeführt ist, prüfungsfrei umgetauscht worden ist, oder deren Fahrerlaubnis aufgrund eines gefälschten Führerscheins eines Drittstaates erteilt wurde,
8.
die zum Zeitpunkt der Erteilung einer Fahrerlaubnis eines Drittstaates, die in eine ausländische EU- oder EWR-Fahrerlaubnis umgetauscht worden ist, oder zum Zeitpunkt der Erteilung der EU- oder EWR-Fahrerlaubnis auf Grund einer Fahrerlaubnis eines Drittstaates ihren Wohnsitz im Inland hatten, es sei denn, dass sie die ausländische Erlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeuges als Studierende oder Schüler im Sinne des § 7 Absatz 2 in eine ausländische EU- oder EWR-Fahrerlaubnis während eines mindestens sechsmonatigen Aufenthalts umgetauscht haben, oder
9.
die den Vorbesitz einer anderen Klasse voraussetzt, wenn die Fahrerlaubnis dieser Klasse nach den Nummern 1 bis 8 im Inland nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen berechtigt.
In den Fällen des Satzes 1 kann die Behörde einen feststellenden Verwaltungsakt über die fehlende Berechtigung erlassen. Satz 1 Nummer 3 und 4 ist nur anzuwenden, wenn die dort genannten Maßnahmen im Fahreignungsregister eingetragen und nicht nach § 29 des Straßenverkehrsgesetzes getilgt sind. Satz 1 Nummer 9 gilt auch, wenn sich das Fehlen der Berechtigung nicht unmittelbar aus dem Führerschein ergibt.

(5) Das Recht, von einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis nach einer der in Absatz 4 Nummer 3 und 4 genannten Entscheidungen im Inland Gebrauch zu machen, wird auf Antrag erteilt, wenn die Gründe für die Entziehung oder die Sperre nicht mehr bestehen. Absatz 4 Satz 3 sowie § 20 Absatz 1 und 3 gelten entsprechend.

(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

(2) Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag kann nur durch einen Gerichtsbeschluß, der zu begründen ist, abgelehnt werden.

(3) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(4) Die Beteiligten sollen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Schriftsätze einreichen. Hierzu kann sie der Vorsitzende unter Fristsetzung auffordern. Die Schriftsätze sind den Beteiligten von Amts wegen zu übermitteln.

(5) Den Schriftsätzen sind die Urkunden oder elektronischen Dokumente, auf die Bezug genommen wird, in Abschrift ganz oder im Auszug beizufügen. Sind die Urkunden dem Gegner bereits bekannt oder sehr umfangreich, so genügt die genaue Bezeichnung mit dem Anerbieten, Einsicht bei Gericht zu gewähren.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 16. Februar 2010 - 6 K 4127/09 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Die Beteiligten streiten über die Genehmigungsfähigkeit einer Nutzungsänderung auf dem Baugrundstück Flst.Nr. ... der Gemarkung Giengen an der Brenz vor Inkrafttreten einer Veränderungssperre.
Das am Ostrand der Giengener Kernstadt gelegene Baugrundstück ist mit Gebäudekomplex "..." ...... und einem Parkhaus bebaut. Seine Errichtung geht auf den Bebauungsplan "Ehemalige Filzfabriken" von 1979 zurück, der für das Baugrundstück ein Sondergebiet für ein Einkaufszentrum sowie Gemeinbedarfsflächen festsetzte. Mit dem Änderungsbebauungsplan "Ehemalige Filzfabriken, 1. Änderung“ vom 25.01.1996 wurde für die Gemeinbedarfsflächen ebenfalls ein "Sondergebiet für zentralen Einkauf und Wohnen" (SO 2) und für das Baugrundstück ein "Sondergebiet für zentralen Einkauf" (SO 1) festgesetzt. Danach sind im SO 1 "Einkaufszentren, großflächige Handelsbetriebe, Dienstleistungsbetriebe" und im SO 2 "Einkaufszentren, großflächige Handelsbetriebe, Dienstleistungsbetriebe, Betriebe des Beherbergungsgewerbes, Wohnen" zulässig.
Im September 2008 stellten die Firma ......GmbH in Ulm ..., eine weitere Firma sowie die Klägerin Bauanträge für Spielhallen im "...". Die Beklagte bewertete die Vorhaben als eine einheitliche kerngebietstypische Spielhalle, die im SO 1 unzulässig sei. Daraufhin nahmen die Klägerin sowie die weitere Firma ihre Anträge zurück. Die Firma ... erhielt auf ihren modifizierten Bauantrag am 16.12.2008 eine Baugenehmigung zur Nutzungsänderung von Räumen im Erdgeschoss des "..." für eine Spielhalle mit acht Geldspielgeräten sowie ein angrenzendes Café mit drei Geldspielgeräten.
Mit Schreiben vom 15.07.2009, eingegangen am 22.07.2009, reichte die Firma ... einen neuen Bauantrag der Klägerin vom 06.07.2009 zur Nutzungsänderung des Cafés in ein “Freizeit- und Eventcenter (Spielothek)“ mit acht Geldspielgeräten mit der Erläuterung ein, ihre vorhandene Spielhalle sei nicht konkurrenzfähig. In einer Bauzeichnung der Bauvorlagen ist in der Wand zur vorhandenen Spielhalle eine Tür eingezeichnet.
Das Baurechtsamt der Beklagten teilte der Klägerin mit Schreiben vom 19.08.2009 mit, es beabsichtige, den Bauantrag abzulehnen, weil die geplante Spielhalle kerngebietstypisch sei. Sie bilde mit der vorhandenen eine betriebliche Einheit. Die Aufsichtsflächen seien nur durch eine Tür voneinander getrennt. Es sei daher zu vermuten, dass das Personal für beide Spielhallen zuständig sei. Es werde um Mitteilung bis zum 15.09.2009 gebeten, ob die Klägerin den Antrag zurücknehme oder dessen Ablehnung wünsche. Mit Schreiben vom 31.08.2009, eingegangen am 01.09.2009, legte die Klägerin dar, beide Spielhallen seien baulich und organisatorisch getrennt. Die Tür zwischen den Aufsichtsflächen werde verschlossen gehalten. Das könne durch Nebenbestimmung zur Baugenehmigung gesichert werden. Sie diene nur im äußersten Notfall dazu, dass das Personal eines Betriebes demjenigen im anderen Betrieb schnell zu Hilfe kommen könne, ohne die Betriebsräume verlassen zu müssen. Die Klägerin betreibe selbst Spielhallen und sei mit der Firma ... nicht identisch. Es werde um einen Bescheid gebeten.
Mit Schreiben an die Klägerin vom 16.09.2009 bestätigte das Baurechtsamt die Vollständigkeit der Bauvorlagen und gab als Datum der voraussichtlichen Entscheidung den 30.10.2009 an. Mit weiteren Schreiben vom selben Tag bat es die Ordnungsverwaltung bei der Beklagten und die Gewerbeaufsicht beim Landratsamt um Äußerung bis zum 30.09. bzw. 16.10.2009. Am 01.10.2009 ging die Äußerung der Ordnungsverwaltung ein, diejenige des Landratsamts folgte am 09.10.2009 als E-Mail und am 13.10.2009 per Post. Beide Stellen hatten keine Bedenken gegen das Vorhaben, das Landratsamt bat um Aufnahme von Nebenbestimmungen in die Baugenehmigung.
Am 22.10.2009 beschloss der Gemeinderat der Beklagten die Aufstellung eines Änderungsbebauungsplans, um zur Erhaltung und Weiterentwicklung der Einzelhandelsstruktur im Plangebiet die zulässigen Nutzungsarten neu zu definieren und Vergnügungsstätten auszuschließen. Ferner beschloss er eine Satzung über eine Veränderungssperre für das Gebiet des zu ändernden Bebauungsplans, die mit ihrer ortsüblichen Bekanntmachung am 06.11.2009 in Kraft trat. Ende September 2011 beschloss er eine Satzung zur Verlängerung der Veränderungssperre um ein Jahr, die mit ihrer ortsüblichen Bekanntmachung am 21.10.2011 in Kraft trat.
Bereits am 05.11.2009 hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zur Erteilung der begehrten Baugenehmigung zu verpflichten. Die Klage wurde der Beklagten am 10.11.2009 zugestellt. Mit Bescheid vom selben Tag lehnte sie den Bauantrag wegen Verstoßes gegen die Satzung über die Veränderungssperre ab; eine Ausnahme nach § 14 Abs. 2 BauGB scheide aus. Über den Widerspruch der Klägerin ist noch nicht entschieden. In der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts hat die Klägerin nur noch die Feststellung beantragt, dass die Beklagte vor Inkrafttreten der Veränderungssperre zur Erteilung einer Baugenehmigung gemäß ihrem Bauantrag vom 06.07.2009 verpflichtet gewesen sei. Sie wolle Schadensersatzansprüche wegen Amtspflichtverletzung geltend machen. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Mit Urteil vom 16.02.2010 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die Klage sei unzulässig. Der Feststellungsantrag sei zwar statthaft, da sich das Verpflichtungsbegehren mit Inkrafttreten der Veränderungssperre erledigt habe. Er sei gleichwohl unzulässig, weil die Verpflichtungsklage unzulässig gewesen sei und weil die Klägerin kein berechtigtes Feststellungsinteresse habe. Die Untätigkeitsklage sei unzulässig gewesen, weil die Beklagte einen zureichenden Grund für ihre Untätigkeit gehabt habe. Denn die ihr nach der Landesbauordnung eingeräumte zweimonatige Entscheidungsfrist sei bei Inkrafttreten der Veränderungssperre noch nicht abgelaufen gewesen. Diese Frist habe erst mit Eingang der Stellungnahme des Landratsamtes am 13.10.2009 zu laufen begonnen. Die Beklagte habe die Entscheidungsfrist ausschöpfen dürfen. Das sei ein besonderer Umstand i. S. des § 75 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO. Die Beklagte sei auch nicht zu einer früheren Anhörung der Behörden verpflichtet gewesen. Zwar verlange die Landesbauordnung die unverzügliche Einleitung der Anhörung nach vollständigem Eingang des Bauantrags und der Bauvorlagen. Dies bedeute ohne schuldhaftes Zögern. Es sei der Behörde aber nicht verwehrt, den Bauherrn zunächst auf rechtliche Bedenken hinzuweisen. Denn ziehe dieser den Bauantrag zurück, könnten Kosten gespart werden, was seinem Interesse diene. Bestehe er auf einer Entscheidung, könne es sachgerecht sein, das Verfahren nun zu betreiben. Zwar dürfe die Behörde es dann nicht mutwillig verzögern. Auch könne sie gehalten sein, die Verzögerung auszugleichen. Die Beklagte habe das Verfahren aber nicht mutwillig verzögert. Zwar habe sie erst am 16.09.2009 mit der Anhörung begonnen. Sie habe den beteiligten Stellen aber eine relativ knappe Frist von einem Monat gesetzt und das Verfahren zügig betrieben. Das Feststellungsinteresse fehle wegen der verfrühten Untätigkeitsklage ebenfalls. Die Klägerin hätte nach Inkrafttreten der Veränderungssperre und Ablehnung des Bauantrags beim Zivilgericht Schadensersatzklage erheben können. Die Klage sei aber auch unbegründet. Die Beklagte sei bei Inkrafttreten der Veränderungssperre mangels Ablaufs der Entscheidungsfrist nicht zur Erteilung einer Baugenehmigung verpflichtet gewesen. Darauf, ob der Bauantrag damals genehmigungsfähig gewesen sei, komme es daher nicht an.
10 
Zur Begründung ihrer vom Senat zugelassenen Berufung legt die Klägerin im Wesentlichen dar: Sie habe nach Ablauf der dreimonatigen Sperrfrist zulässig Untätigkeitsklage erhoben. Das Vorliegen eines zureichenden Grundes i. S. des § 75 Satz 3 VwGO ändere daran nichts. Die Klage sei mit dem Feststellungsantrag auch begründet. Die Entscheidungsfrist sei bei Klageerhebung abgelaufen gewesen. Diese Frist habe mit Eingang des vollständigen Bauantrags am 22.07.2009 zu laufen begonnen. Die Beklagte habe gerade wegen der vorangegangenen Genehmigungsverfahren der Klägerin und ihrer "Schwestergesellschaften" sofort mit der Bearbeitung begonnen. Ihr Schreiben vom 19.08.2009 fordere nicht zur Ergänzung oder Änderung unvollständiger Bauvorlagen auf, sondern interpretiere nur den Bauantrag falsch. Die Entscheidungsfrist sei daher am 22.09.2009 abgelaufen. Bis zum Inkrafttreten der Veränderungssperre sei ihr Vorhaben genehmigungsfähig gewesen.
11 
Die Klägerin beantragt,
12 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 16.02.2010 - 6 K 4127/09 - zu ändern und festzustellen, dass die Unterlassung der Beklagten, der Klägerin eine Baugenehmigung gemäß ihrem Bauantrag vom 06.07.2009 zu erteilen, vor dem 06.11.2009 rechtswidrig gewesen ist.
13 
Die Beklagte beantragt,
14 
die Berufung zurückzuweisen.
15 
Sie erwidert: Die dreimonatige Sperrfrist nach § 75 VwGO habe erst mit Eingang des Schreibens der Klägerin vom 31.08.2009 zu laufen begonnen. Jedenfalls sei die weitere Zulässigkeitsvoraussetzung nach § 75 Satz 2 VwGO nicht erfüllt gewesen, weil über den Bauantrag mit zureichendem Grund noch nicht entschieden worden sei. Dieser Grund liege darin, dass die Entscheidungsfrist nach der Landesbauordnung selbst bei früherer Einleitung der Anhörung frühestens am 12.11.2009 geendet hätte. Die Anhörung müsse erst nach Ablauf einer Frist von zehn Arbeitstagen zur Prüfung des Bauantrags und der Bauvorlagen auf Vollständigkeit unverzüglich eingeleitet werden. Dafür stünden weitere drei bis fünf Arbeitstage zur Verfügung. Demzufolge hätte die Anhörung frühestens 15 Arbeitstage nach dem 22.07.2009, also am 12.08.2009 eingeleitet sein müssen. Bei einer angemessenen einmonatigen Anhörungsfrist hätte die zweimonatige Entscheidungsfrist danach frühestens am 12.09.2009 begonnen. Abgesehen davon sei der Bauantrag erst mit Eingang des Schreibens der Klägerin vom 31.08.2009 vollständig gewesen. Der Feststellungsantrag sei auch unbegründet. Das Vorhaben sei auch vor Inkrafttreten der Veränderungssperre nicht genehmigungsfähig gewesen.
16 
Wegen Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die dem Senat vorliegenden Bau- und Bebauungsplanakten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
A.
17 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Klage ist zwar entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts zulässig (I.). Sie ist jedoch unbegründet. Der Senat kann die begehrte Feststellung nicht treffen. Denn die Unterlassung der Beklagten, der Klägerin eine Baugenehmigung gemäß ihrem Bauantrag vom 06.07.2009 zu erteilen, ist vor dem 06.11.2009 nicht rechtswidrig gewesen, wobei sich dies noch nach der Landesbauordnung vom 08.08.1995 (GBl. S. 617) vor Inkrafttreten des Änderungsgesetzes vom 10.11.2009 (GBl. S. 615) beurteilt - LBO a.F. - (II.).
I.
18 
Die zunächst mit einem Verpflichtungsbegehren erhobene und später nur noch mit einem Feststellungsantrag fortgesetzte Klage ist entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft und auch sonst zulässig.
19 
Hat sich ein angefochtener Verwaltungsakt nach Klageerhebung durch Zurücknahme oder anders erledigt, spricht das Gericht nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Ein solcher Feststellungsantrag ist in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO auch bei Erledigung eines Verpflichtungsbegehrens statthaft (BVerwG, Urteil vom 06.09.1962 - VIII C 78.60 - NJW 1963, 553, seither st. Rspr.), und zwar auch dann, wenn - wie hier - das Verpflichtungsbegehren als Untätigkeitsklage erhoben worden ist (BVerwG, Urteil vom 27.03.1998 - 4 C 14.96 - BVerwGE 106, 295). Der Übergang zum Feststellungsantrag ist, soweit der Klagegrund unverändert bleibt, nicht als Klageänderung anzusehen (§ 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 3 ZPO; BVerwG, Urteil vom 22.05.1987 - 4 C 77.84 - NVwZ 1987, 1074, juris Rn. 13). Der Feststellungsantrag ist aber nur zulässig, wenn die ursprüngliche Verpflichtungsklage zulässig gewesen ist, nach Rechtshängigkeit ein erledigendes Ereignis eingetreten ist, ein klärungsfähiges Rechtsverhältnis besteht und der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat (BVerwG, Urteil vom 28.04.1999 - 4 C 4.98 - BVerwGE 109, 74 und Senatsurteil vom 22.03.2010 - 8 S 3293/08 - DVBl. 2010, 717 jeweils m.w.N., st. Rspr.). Alle vier Voraussetzungen sind erfüllt.
20 
1. Die ursprüngliche Verpflichtungsklage war ohne vorherigen Erlass einer Entscheidung der Beklagten über den Bauantrag der Klägerin nach Ablauf der dreimonatigen Sperrfrist gemäß § 75 Satz 2 VwGO zulässig. Die Sperrfrist begann mit dem Eingang des Bauantrags bei der Beklagten am 22.07.2009 und endete am 22.10.2009 und damit vor dem Eingang der Klage beim Verwaltungsgericht am 05.11.2009.
21 
Anhaltspunkte dafür, dass der Bauantrag die für den Beginn der Sperrfrist erforderlichen Angaben und Unterlagen nicht enthielt, die die Baurechtsbehörde für eine Sachentscheidung über einen Bauantrag benötigt und wie sie § 52 LBO a.F. und die nach § 73 LBO a.F. erlassene Verfahrensordnung zur Landesbauordnung (LBOVVO a.F.) konkretisierten (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.02.2003 - 5 S 1279/01 - BauR 2003, 1345, juris Rn. 24), sind nicht ersichtlich. Die Beklagte hat insbesondere nicht i. S. des § 54 Abs. 1 Satz 2 LBO a.F. auf eine Unvollständigkeit oder sonstige erhebliche Mängel des Bauantrags oder der Bauvorlagen hingewiesen. Mit ihrem Schreiben an die Klägerin vom 19.08.2009 hat sie vielmehr auf die ihrer Ansicht nach mangelnde Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens hingewiesen und die Ablehnung des Bauantrags in der Sache angekündigt. Der Einwand der Beklagten in der Berufungsverhandlung, ungeachtet dieser Verfahrensweise seien Bauantrag und Bauvorlagen i. S. des § 54 Abs. 1 Satz 2 LBO a.F. objektiv mangelhaft gewesen, geht fehl. Die Beklagte meint, wegen der im Grundriss des Erdgeschosses in der Wand zur vorhandenen Spielhalle eingezeichneten Tür zwischen beiden Spielhallen sei unter Berücksichtigung der früheren Genehmigungsverfahren sowie der Einreichung des neuen Bauantrags der Klägerin durch die Firma ... ohne ergänzende Angaben unklar gewesen, ob eine neue Spielhalle als selbständiges Vorhaben der Klägerin oder ob eine Erweiterung der vorhandenen Spielhalle der Firma ... Gegenstand des Bauantrags sei. Das trifft nicht zu. Bauantrag und Bauvorlagen waren in dieser Hinsicht von vornherein hinreichend klar und bestimmt. Sowohl im Bauantrag als auch in der ihm beigefügten Baubeschreibung werden als "Bauherr" allein die Klägerin angegeben und als "Bauvorhaben" nur die "Nutzungsänderung eines Cafés in ein Freizeit- und Eventcenter" bezeichnet, nicht aber die Erweiterung der vorhandenen Spielhalle. Ebenso eindeutig sind die entsprechenden Angaben in der "Beschreibung der Betriebsstätte" (Anlage zur Baubeschreibung). Die verfahrensrechtliche Vorgeschichte sowie die Tatsachen, dass der Bauantrag von einer "Schwestergesellschaft" der Klägerin als Inhaberin der angrenzenden Spielhalle unter Hinweis auf deren unzureichende Wirtschaftlichkeit eingereicht wurde und dass in der Bauvorlage zwischen beiden Spielhallen eine Tür eingezeichnet ist, konnten nach der Rechtsansicht der Beklagten vielleicht Zweifel an der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens begründen (vgl. das Schreiben der Beklagten an die Klägerin vom 19.08.2009). Sie ließen aber keinen Zweifel daran zu, dass sich Bauantrag und Bauvorlagen allein auf ein neues selbständiges Vorhaben der Klägerin bezogen und nur ein solches Vorhaben zur Genehmigung gestellt sein sollte.
22 
Ob die Beklagte nach Eingang des vollständigen Bauantrags einen zureichenden Grund für ihre Untätigkeit hatte, ist für die Zulässigkeit der nach Ablauf der dreimonatigen Sperrfrist erhobenen Untätigkeitsklage unerheblich (BVerwG, Urteil vom 23.03.1973 - IV C 2.71 - BVerwGE 42, 108 <112>, juris Rn. 25 ff.). Bei Vorliegen eines zureichenden Grundes hat vielmehr das Gericht gemäß § 75 Satz 3 VwGO der Verwaltungsbehörde eine Frist zur Entscheidung über den beantragten Verwaltungsakt zu setzen (BVerwG, Urteil vom 22.05.1987 - 4 C 30.86 - NVwZ 1987, 969, juris Rn. 12), was hier aber nach Erlass des Ablehnungsbescheids der Beklagten vom 10.11.2009 nicht mehr in Betracht kam. Aus dem Urteil des 5. Senats des erkennenden Gerichtshofs vom 27.02.2003 (a.a.O.) folgt entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nichts Anderes. Soweit darin die zweimonatige Entscheidungsfrist nach § 54 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO a.F. als "besonderer Umstand" i. S. des § 75 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO erwogen wird (a.a.O., juris Rn. 27), betrifft das nur eine mögliche Verkürzung der gesetzlichen Sperrfrist von drei Monaten. Eine Verlängerung dieser Sperrfrist wegen eines "besonderen Umstands" sieht § 75 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO gerade nicht vor.
23 
2. Es ist auch nach Rechtshängigkeit ein erledigendes Ereignis eingetreten.
24 
Ein Verpflichtungsbegehren ist i. S. des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erledigt, wenn es nach Klageerhebung aus dem Kläger nicht zurechenbaren Gründen unzulässig oder unbegründet wurde, insbesondere aufgrund einer nachträglichen Änderung der Sach- oder Rechtslage (BVerwG, Urteil vom 30.06.2011 - 4 C 10.10 - NVwZ 2012, 51 m.w.N.). Bei einer Rechtsänderung ist aber nicht erforderlich, dass sich das Verpflichtungsbegehren auch im strengen Sinne des Wortes "erledigt" hat. Denn diese Tatsache ändert nichts an der grundlegenden Wendung, die das Verfahren infolge der Rechtsänderung nimmt und die Interessenlage kennzeichnet, welche die entsprechende Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 rechtfertigt (BVerwG, Urteil vom 24.10.1980 - 4 C 3.78 - BVerwGE 61, 128 <135>). Das Inkrafttreten einer Satzung über eine Veränderungssperre (§ 14 BauGB) ist eine Rechtsänderung, die wegen der materiell-rechtlichen Wirkung der Veränderungssperre (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BauGB) zum Erlöschen eines Baugenehmigungsanspruchs (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.12.1971 - 4 C 32.69 - BRS 24 Nr. 148 S. 221 <224>, juris Rn. 33) und damit auch zur Erledigung eines Verpflichtungsbegehrens i. S. einer grundlegenden Wendung des Verfahrens führen kann. Voraussetzung ist allerdings, dass die Satzung rechtswirksam ist (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.02.2003, a.a.O, juris Rn. 20).
25 
Ausgehend davon hat sich der mit der Klage behauptete Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung gemäß den Festsetzungen des Bebauungsplans "Ehemalige Filzfabriken, 1. Änderung“ der Beklagten vom 25.01.1996 nach Rechtshängigkeit aus der Klägerin nicht zurechenbaren Gründen mit Inkrafttreten der Satzung über eine Veränderungssperre für das Plangebiet vom 22.10.2009 am 06.11.2009 erledigt. Denn nach § 2 Abs. 1 dieser Satzung dürfen Vorhaben i. S. des § 29 BauGB nicht mehr durchgeführt werden. Die Nutzungsänderung einer baulichen Anlage ist ein solches Vorhaben (§ 29 Abs. 1 BauGB). Anhaltspunkte für die Unwirksamkeit dieser Satzung oder für einen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahme von der Veränderungssperre nach § 14 Abs. 2 BauGB sind weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Die Erledigung ist auch nach Rechtshängigkeit eingetreten. Denn die Rechtshängigkeit beginnt bereits mit der Erhebung der Klage (§ 90 VwGO). Das war der 05.11.2009 und damit einen Tag vor Eintritt des erledigenden Ereignisses. Auf den späteren Zeitpunkt der Zustellung der Klage beim Beklagten (10.11.2009) kommt es nicht an.
26 
3. Schließlich sind auch die beiden weiteren Voraussetzungen erfüllt. Für den Feststellungsantrag liegt ein klärungsfähiges Rechtsverhältnis vor (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.04.1999, a.a.O., juris Rn. 14 m.w.N.). Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung. Zur Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses ist die gewählte Klageform geeignet. Dass im Streitfall eine derartige Klage von vornherein als aussichtslos zu gelten hätte, lässt sich nicht sagen (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.04.1999, a.a.O., juris Rn. 14 m.w.N.). Das Feststellungsinteresse ist auch nicht etwa wegen "verfrühter" Klageerhebung unberechtigt. Denn die Klage war aus den oben dargelegten Gründen ohne vorangehende Entscheidung über der Bauantrag als Untätigkeitsklage zulässig. Die vom Verwaltungsgericht zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Nichtvorliegen eines berechtigten Interesses wegen der Absicht eines Amtshaftungsprozesses bei Erledigung vor Klageerhebung (Urteil vom 20.01.1981 - 8 C 30.87 - BVerwGE 81, 226 und Beschluss vom 09.05.1989 - 1 B 166.88 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 202) ist nicht einschlägig, weil das erledigende Ereignis erst nach Klageerhebung eingetreten ist. Dass dies lediglich einen Tag nach Klageerhebung und damit zu einem Zeitpunkt war, als das Klageverfahren gerade erst begonnen hatte, ist unerheblich. Für das mit der Absicht eines Amtshaftungsprozesses begründete berechtigte Feststellungsinteresse genügt es, dass die Klägerin ihre auf Erteilung der Baugenehmigung gerichtete Verpflichtungsklage vor Inkrafttreten der Veränderungssperre erhoben und damit das Verfahren gemäß § 75 VwGO in zulässiger Weise begonnen hatte (BVerwG, Urteil vom 27.03.1998, a.a.O., juris Rn. 18).
II.
27 
Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Unterlassung der Beklagten, der Klägerin eine Baugenehmigung gemäß ihrem Bauantrag vom 06.07.2009 zu erteilen, ist vor dem 06.11.2009 nicht rechtswidrig gewesen. Die Beklagte war damals schon deshalb nicht zur Erteilung der Baugenehmigung verpflichtet, weil die in der Landesbauordnung bestimmte Frist zur Entscheidung über den Bauantrag, welche die Baurechtsbehörde voll ausschöpfen darf, zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen war. Ob das Vorhaben genehmigungsfähig war, kann der Senat daher offen lassen.
28 
1. Die Baurechtsbehörde ist vor Ablauf der Entscheidungsfrist nach § 54 Abs. 4 LBO a.F. (jetzt § 54 Abs. 5 LBO) nicht zur Erteilung einer Baugenehmigung verpflichtet. Der Landesgesetzgeber hat mit der am 01.01.1996 in Kraft getretenen Fristenregelung in § 54 LBO im Interesse sowohl des Bauherrn als auch der Baurechtsbehörde an einer einfachen, zweckmäßigen und zügigen Durchführung des Baugenehmigungsverfahrens (vgl. § 10 Satz 2 LVwVfG; LT-Drs. 11/5337, S. 115) die Höchstdauer für eine formell ordnungsgemäße Bearbeitung des Bauantrags und eine sachgerechte Entscheidung darüber normativ konkretisiert. Die formell ordnungsgemäße Bearbeitung umfasst die Prüfung des Bauantrags und der Bauvorlagen auf Vollständigkeit innerhalb von zehn Arbeitstagen mit einer eventuell anschließenden individuellen Frist zur Mängelbeseitigung (§ 54 Abs. 1 LBO a.F.), die Mitteilung an den Bauherrn über Eingang des Bauantrags und voraussichtlichen Entscheidungszeitpunkt (§ 54 Abs. 2 Nr. 1 LBO a.F.) sowie eine bis zu zwei Monate, ausnahmsweise auch einen Monat länger dauernde Anhörung der Gemeinde und berührter Stellen (§ 54 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 und Abs. 5 LBO a.F.). Daran schließt sich eine Entscheidungsfrist von einem Monat bei Wohngebäuden, zugehörigen Stellplätzen, Garagen und Nebenanlagen (§ 14 BauNVO) oder von zwei Monaten bei sonstigen Vorhaben an (§ 54 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 2 LBO a.F.). Die Entscheidungsfrist beginnt, sobald die vollständigen Bauvorlagen und alle für die Entscheidung notwendigen Stellungnahmen und Mitwirkungen vorliegen, spätestens jedoch nach Ablauf der Anhörungsfrist (§ 54 Abs. 4 Satz 2 LBO a.F.). Die Baurechtsbehörde darf die Entscheidungsfrist voll ausschöpfen (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.02.2003, a.a.O., juris Rn. 32). Vor ihrem Ablauf ist ein Genehmigungsanspruch gleichsam noch nicht "fällig". Ob ein Bauantrag im Einzelfall schon vor Ablauf der Entscheidungsfrist objektiv entscheidungsreif und genehmigungsfähig ist, ist daher jedenfalls öffentlich-rechtlich unerheblich (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.02.2003, a.a.O., juris Rn. 32). Mit ihrer Anknüpfung an die Anhörung (vgl. § 54 Abs. 4 Satz 2 LBO a.F.) bezweckt die Entscheidungsfrist mittelbar auch, der anzuhörenden Gemeinde zu ermöglichen, auf ein Bauvorhaben, das nach der bestehenden Rechtslage zulässig, von ihr aber nicht erwünscht ist, mit (Sicherungs-)Maßnahmen der Bauleitplanung zu reagieren (vgl. BGH, Urteil vom 23.01.1992 - III ZR 191/90 - NVwZ 1993, 293 m.w.N.). Mit diesen Zielsetzungen ist § 54 LBO auch mit verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung präventiver Erlaubnisvorbehalte zur Grundrechtsausübung (vgl. BVerfG, Urteil vom 05.08.1966 - 1 BvF 1/61 - BVerfGE 20, 150, juris Rn. 18 ff.; Beschluss vom 12.06.1979 - 1 BvL 19/76 - BVerfGE 52, 1, juris Rn. 149) als Inhalts- und Schrankenbestimmung der Baufreiheit nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 GG vereinbar.
29 
Für den Ablauf der Entscheidungsfrist ist im Einzelfall unerheblich, welches Datum die Baurechtsbehörde in ihrer Mitteilung gegenüber dem Bauherrn (§ 54 Abs. 2 Nr. 1 LBO a.F.) angegeben hat. § 54 Abs. 4 LBO a.F. regelt Beginn und Dauer der Entscheidungsfrist abschließend, ohne an das nach § 54 Abs. 2 Nr. 1 LBO a.F. mitgeteilte Datum anzuknüpfen. Die Mitteilung der Baurechtsbehörde ist kein Verwaltungsakt, insbesondere keine Zusicherung (§ 38 LVwVfG), sondern eine Auskunft ohne Rechtsbindungswille (Wissenserklärung). Für die Dauer der Entscheidungsfrist kommt es allein auf die Erfüllung der Voraussetzungen nach § 54 Abs. 4 LBO a.F. an. Es ist daher unerheblich, dass die Beklagte in ihrem Schreiben an die Klägerin vom 16.09.2009 als "Datum der voraussichtlichen Entscheidung" mit dem "30.10.2009" einen Zeitpunkt vor Inkrafttreten der Veränderungssperre angegeben hat.
30 
2. Die gesetzliche Entscheidungsfrist betrug im vorliegenden Fall zwei Monate (§ 54 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO a.F.) und war bei Inkrafttreten der Veränderungssperre am 06.11.2009 noch nicht abgelaufen.
31 
a) Nach § 54 Abs. 4 Satz 2 LBO a.F. beginnt die Entscheidungsfrist, sobald die vollständigen Bauvorlagen und alle für die Entscheidung notwendigen Stellungnahmen und Mitwirkungen vorliegen, spätestens jedoch nach Ablauf der gemäß § 54 Abs. 3 LBO a.F. bestimmten Anhörungsfrist. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein. Dabei kommt es im Grundsatz auf den tatsächlichen Ablauf des konkreten Verfahrens an. Wegen der Abhängigkeit des Beginns der Entscheidungsfrist von der Anhörung setzt die Vorschrift insoweit aber auch voraus, dass die Anhörung i. S. des § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. "unverzüglich" nach dem Ende der Prüfungsfrist (§ 54 Abs. 1 LBO a.F.) eingeleitet worden ist. Denn andernfalls hätte die Baurechtsbehörde es bei rechtswidriger Verzögerung der Anhörung in der Hand, Beginn und Ende der Entscheidungsfrist und damit auch die rechtliche Durchsetzbarkeit des Genehmigungsanspruchs über die gesetzlichen Zeitvorgaben hinaus zu steuern. Das widerspräche Sinn und Zweck der gesetzlichen Fristenregelung. Leitet die Baurechtsbehörde die Anhörung nach § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. nicht “unverzüglich“ ein, darf der Beginn der Entscheidungsfrist folglich nicht nach dem tatsächlichen Ablauf des konkreten Verfahrens, sondern er muss hypothetisch bestimmt werden. Die Entscheidungsfrist beginnt in diesem Falle analog § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 LBO a.F. (jetzt § 54 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 LBO) nach Ablauf einer angemessenen Anhörungsfrist ab hypothetisch unverzüglicher Einleitung der Anhörung. Entgegen der Ansicht der Klägerin kann insoweit nicht auch alternativ entsprechend § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 LBO a.F. auf einen mutmaßlich früheren Zeitpunkt des Eingangs erforderlicher Mitwirkungen und Stellungnahmen von Behörden abgestellt und insoweit berücksichtigt werden, dass dies auch im tatsächlichen Ablauf des Verfahren so geschehen ist. Denn dass alle Mitwirkungen und Stellungnahmen auch bei nicht rechtswidrig verzögerter Anhörung ebenfalls vor Ablauf der Anhörungsfrist eingegangen wären, ist bloße Spekulation. Dafür ist bei einer Bestimmung des Beginns der Entscheidungsfrist nach § 54 Abs. 4 LBO a.F. schon aus Gründen der Rechtssicherheit kein Raum.
32 
b) Gemessen daran gilt hier Folgendes:
33 
Nach dem tatsächlichen Ablauf des Verfahrens hätte die Entscheidungsfrist frühestens am 09.10.2009 zu laufen begonnen. Denn alle notwendigen Stellungnahmen und Mitwirkungen lagen der Beklagten erst mit Eingang der letzten Stellungnahme des Landratsamts am 09.10.2009 (per E-Mail) vor Ablauf der bis zum 16.10.2009 bestimmten Anhörungsfrist vollständig vor. Die zweimonatige Entscheidungsfrist wäre danach erst Mitte Dezember 2009 und damit nach dem 06.11.2009 abgelaufen. Ihr Beginn richtet sich aber nicht nach dem tatsächlichen Ablauf des Verfahrens, weil die Beklagte die Anhörung nicht gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. "unverzüglich" eingeleitet hat (aa)). Aber auch bei der daher gebotenen hypothetischen Bestimmung analog § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 LBO a.F. begann die Entscheidungsfrist frühestens am 08.09.2009 und lief damit ebenfalls erst nach dem 06.11.2009 ab (bb)).
34 
aa) Nach § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. hat die Baurechtsbehörde die Gemeinde und die berührten Stellen nach § 53 Abs. 2 LBO a.F. unverzüglich zu hören, sobald der Bauantrag und die Bauvorlagen vollständig sind. Die Formulierung "sobald der Bauantrag und die Bauvorlagen vollständig sind" knüpft erkennbar nicht an den bloßen Eingang dieser Unterlagen bei der Baurechtsbehörde, sondern an das Ende der amtlichen Prüfung nach § 54 Abs. 1 LBO a.F. an. Die Baurechtsbehörde darf daher zunächst die zehn Arbeitstage umfassende Prüfungsfrist nach § 54 Abs. 1 Satz 1 LBO a.F. ausschöpfen, bevor sie zur unverzüglichen Einleitung der Anhörung verpflichtet ist. Würde bei der Berechnung der Entscheidungsfrist ex post darauf abgestellt, dass Bauantrag und Bauvorlagen objektiv gesehen schon am Tag ihres Eingangs bei der Baurechtsbehörde vollständig waren, wäre diese Prüfungsfrist im Ergebnis sinnlos.
35 
Das an den Ablauf dieser amtlichen Prüfung anknüpfende Gebot zur "unverzüglichen" Einleitung der Anhörung verlangt ein behördliches Handeln ohne schuldhaftes Zögern (vgl. § 121 BGB). In Anlehnung an Zeitvorgaben des Gesetzgebers für ähnliche bürokratische Vorgänge (§ 53 Abs. 3 und 5, § 55 Abs. 1 LBO a.F.) dürfte dafür im Regelfall eine Zeitspanne von drei bis fünf Arbeitstagen genügen. Konkrete Umstände des Einzelfalles können aber auch einen anderen zeitlichen Rahmen rechtfertigen (vgl. Sauter, LBO, Kommentar, 3. Auflage, § 54 Rn. 9). Rechtliche Bedenken der zuständigen Baurechtsbehörde an der Genehmigungsfähigkeit eines Vorhabens rechtfertigen eine Verzögerung der Anhörung allerdings nicht. Die Einschätzung der Behörde, das Vorhaben sei nicht genehmigungsfähig, mag zwar einen Hinweis gegenüber dem Bauherrn nahelegen, um ihm die Möglichkeit zur Darlegung seines Rechtsstandpunktes oder zur Rücknahme des Bauantrags und zu einer damit einhergehenden Kostenersparnis einzuräumen. Sie ist aber kein sachlicher Grund, vorläufig von der nach § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. zwingend und ohne Ausnahme gebotenen Anhörung abzusehen, deren Ablauf den Beginn der Entscheidungsfrist und damit die rechtliche Durchsetzbarkeit des Genehmigungsanspruchs des Bauherrn steuert. Zudem dienen die Beteiligung der Gemeinde und die Anhörung der berührten Stellen (§ 53 Abs. 2 LBO a.F.) gerade - auch - dazu, den entscheidungserheblichen Sachverhalt zur Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens von Amts wegen aufzuklären (§ 24 LVwVfG). Rechtliche Bedenken können dadurch gegebenenfalls auch ausgeräumt werden. Schließlich ist zu bedenken, dass andernfalls der Beginn der Entscheidungsfrist mittelbar von der subjektiven behördlichen Einschätzung über die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens abhinge. Das wäre mit Sinn und Zweck des strikten Fristenregimes nach § 54 LBO nicht zu vereinbaren. Ein Absehen von der Anhörung im "wohlverstandenen (Kosten-)Interesse" des Bauherrn widerspräche zudem mittelbar § 54 Abs. 4 Satz 3 LBO a.F., wonach die Entscheidungsfrist nicht zur Disposition des Bauherrn steht.
36 
Ausgehend davon war die Beklagte frühestens am Tag nach Ablauf der Prüfungsfrist von zehn Arbeitstagen (§ 54 Abs. 1 Satz 1 LBO a.F.) seit Eingang des vollständigen (s.o. I.1.) Bauantrags am 22.07.2009 zur unverzüglichen Anhörung verpflichtet. Dies war Donnerstag, der 06.08.2009 (vgl. § 31 Abs. 1 LVwVfG i.V.m. § 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 BGB). Tatsächlich eingeleitet hat sie die Anhörung erst am 16.09.2009. Diese Verzögerung überschreitet die im Regelfall insoweit allenfalls angemessene Zeitspanne von drei bis fünf Arbeitstagen ganz erheblich. Sie ist auch schuldhaft. Die Beklagte beruft sich insoweit ausschließlich auf die von ihrer Baurechtsbehörde im Schreiben an die Klägerin vom 19.08.2009 mitgeteilten rechtlichen Bedenken an der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens und meint, sie habe wegen dieser Bedenken mit dem Beginn der Anhörung zuwarten dürfen. Das trifft, wie oben dargelegt, nicht zu. Auch Anhaltspunkte für die von der Beklagten in der Berufungsverhandlung ergänzend behauptete Mangelhaftigkeit des Bauantrags wegen Unbestimmtheit gab es nicht (s.o. I.1.). Abgesehen davon hätte die Beklagte in diesem Falle nach § 54 Abs. 1 Satz 2 LBO a.F. verfahren und der Klägerin eine Frist zur Mängelbeseitigung setzen müssen. Im Übrigen wäre die hier eingetretene Verzögerung selbst dann schuldhaft, wenn materiell-rechtliche Bedenken der Baurechtsbehörde eine Verzögerung der Anhörung durch einen Hinweis gegenüber dem Bauherrn rechtfertigen könnten. Denn in diesem Falle müsste ein entsprechender Hinweis gegenüber dem Bauherrn jedenfalls unverzüglich nach Ablauf der Prüfungsfrist (§ 54 Abs.1 Satz 1 LBO a.F.) mit knapper Äußerungsfrist erteilt werden. Beides ist hier nicht geschehen. Der Hinweis wurde erst mit Schreiben vom 19.08.2009 und damit erst weitere zehn Arbeitstage nach Ablauf der zehntägigen Prüffrist und zudem mit mehr als dreiwöchiger Äußerungsfrist bis zum 15.09.2009 erteilt. Schließlich stand spätestens mit Eingang des Schriftsatzes der Klägerin vom 30.08.2009 am 01.09.2009 fest, dass die Klägerin auf einer Durchführung des Verfahrens bestand. Die Anhörung hätte danach bereits am 01.09.2009 eingeleitet werden müssen. Tatsächlich ist auch das erst am 16.09.2009 geschehen.
37 
Anhaltspunkte für sonstige Verzögerungsgründe sind nicht ersichtlich und auch nicht geltend gemacht.
38 
bb) Bei der daher gebotenen hypothetischer Bestimmung analog § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 LBO a.F. kann der Senat zugunsten der Klägerin unterstellen, dass die Beklagte bereits am Tag nach Ablauf der Prüfungsfrist von zehn Arbeitstagen seit Eingang des Bauantrags (22.07.2009), also am Freitag, dem 07.08.2009 zur Einleitung der Anhörung verpflichtet war, obwohl hierfür im Regelfall wohl drei bis fünf Arbeitstage anzusetzen sein dürften (s.o. aa)). Ferner ist insoweit von einer angemessenen Anhörungsfrist (§ 54 Abs. 3 Satz 1 LBO a.F.) von einem Monat auszugehen, die der damals vom Gesetzgeber unterstellten Regelfallfrist im gesetzlichen Rahmen von zwei Monaten entspricht (vgl. LT-Drs. 11/5337, S. 114; Schlotterbeck/von Arnim, LBO, Kommentar, 4. Auflage § 54 Rn. 15). Bei Einleitung der Anhörung am 07.08.2009 wäre diese Monatsfrist am Montag, dem 07.09.2009 abgelaufen. Die zweimonatige Entscheidungsfrist hätte analog § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 LBO a.F. am Tag danach, also am Dienstag, dem 08.09.2009, zu laufen begonnen und wäre frühestens am Montag, dem 09.11.2009 (§ 31 Abs. 1 und 3 LVwVfG i.V.m. § 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 BGB) und damit nach Inkrafttreten der Veränderungssperre abgelaufen.
B.
39 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
40 
Beschluss vom 19. Juni 2012
41 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 60.000,00 Euro festgesetzt (§ 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG, in Anlehnung an Nr. 1.3 i.V.m. Nr. 9.1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit Fassung Juli 2004, NVwZ 2004, 1327).
42 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

 
A.
17 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Klage ist zwar entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts zulässig (I.). Sie ist jedoch unbegründet. Der Senat kann die begehrte Feststellung nicht treffen. Denn die Unterlassung der Beklagten, der Klägerin eine Baugenehmigung gemäß ihrem Bauantrag vom 06.07.2009 zu erteilen, ist vor dem 06.11.2009 nicht rechtswidrig gewesen, wobei sich dies noch nach der Landesbauordnung vom 08.08.1995 (GBl. S. 617) vor Inkrafttreten des Änderungsgesetzes vom 10.11.2009 (GBl. S. 615) beurteilt - LBO a.F. - (II.).
I.
18 
Die zunächst mit einem Verpflichtungsbegehren erhobene und später nur noch mit einem Feststellungsantrag fortgesetzte Klage ist entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft und auch sonst zulässig.
19 
Hat sich ein angefochtener Verwaltungsakt nach Klageerhebung durch Zurücknahme oder anders erledigt, spricht das Gericht nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Ein solcher Feststellungsantrag ist in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO auch bei Erledigung eines Verpflichtungsbegehrens statthaft (BVerwG, Urteil vom 06.09.1962 - VIII C 78.60 - NJW 1963, 553, seither st. Rspr.), und zwar auch dann, wenn - wie hier - das Verpflichtungsbegehren als Untätigkeitsklage erhoben worden ist (BVerwG, Urteil vom 27.03.1998 - 4 C 14.96 - BVerwGE 106, 295). Der Übergang zum Feststellungsantrag ist, soweit der Klagegrund unverändert bleibt, nicht als Klageänderung anzusehen (§ 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 3 ZPO; BVerwG, Urteil vom 22.05.1987 - 4 C 77.84 - NVwZ 1987, 1074, juris Rn. 13). Der Feststellungsantrag ist aber nur zulässig, wenn die ursprüngliche Verpflichtungsklage zulässig gewesen ist, nach Rechtshängigkeit ein erledigendes Ereignis eingetreten ist, ein klärungsfähiges Rechtsverhältnis besteht und der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat (BVerwG, Urteil vom 28.04.1999 - 4 C 4.98 - BVerwGE 109, 74 und Senatsurteil vom 22.03.2010 - 8 S 3293/08 - DVBl. 2010, 717 jeweils m.w.N., st. Rspr.). Alle vier Voraussetzungen sind erfüllt.
20 
1. Die ursprüngliche Verpflichtungsklage war ohne vorherigen Erlass einer Entscheidung der Beklagten über den Bauantrag der Klägerin nach Ablauf der dreimonatigen Sperrfrist gemäß § 75 Satz 2 VwGO zulässig. Die Sperrfrist begann mit dem Eingang des Bauantrags bei der Beklagten am 22.07.2009 und endete am 22.10.2009 und damit vor dem Eingang der Klage beim Verwaltungsgericht am 05.11.2009.
21 
Anhaltspunkte dafür, dass der Bauantrag die für den Beginn der Sperrfrist erforderlichen Angaben und Unterlagen nicht enthielt, die die Baurechtsbehörde für eine Sachentscheidung über einen Bauantrag benötigt und wie sie § 52 LBO a.F. und die nach § 73 LBO a.F. erlassene Verfahrensordnung zur Landesbauordnung (LBOVVO a.F.) konkretisierten (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.02.2003 - 5 S 1279/01 - BauR 2003, 1345, juris Rn. 24), sind nicht ersichtlich. Die Beklagte hat insbesondere nicht i. S. des § 54 Abs. 1 Satz 2 LBO a.F. auf eine Unvollständigkeit oder sonstige erhebliche Mängel des Bauantrags oder der Bauvorlagen hingewiesen. Mit ihrem Schreiben an die Klägerin vom 19.08.2009 hat sie vielmehr auf die ihrer Ansicht nach mangelnde Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens hingewiesen und die Ablehnung des Bauantrags in der Sache angekündigt. Der Einwand der Beklagten in der Berufungsverhandlung, ungeachtet dieser Verfahrensweise seien Bauantrag und Bauvorlagen i. S. des § 54 Abs. 1 Satz 2 LBO a.F. objektiv mangelhaft gewesen, geht fehl. Die Beklagte meint, wegen der im Grundriss des Erdgeschosses in der Wand zur vorhandenen Spielhalle eingezeichneten Tür zwischen beiden Spielhallen sei unter Berücksichtigung der früheren Genehmigungsverfahren sowie der Einreichung des neuen Bauantrags der Klägerin durch die Firma ... ohne ergänzende Angaben unklar gewesen, ob eine neue Spielhalle als selbständiges Vorhaben der Klägerin oder ob eine Erweiterung der vorhandenen Spielhalle der Firma ... Gegenstand des Bauantrags sei. Das trifft nicht zu. Bauantrag und Bauvorlagen waren in dieser Hinsicht von vornherein hinreichend klar und bestimmt. Sowohl im Bauantrag als auch in der ihm beigefügten Baubeschreibung werden als "Bauherr" allein die Klägerin angegeben und als "Bauvorhaben" nur die "Nutzungsänderung eines Cafés in ein Freizeit- und Eventcenter" bezeichnet, nicht aber die Erweiterung der vorhandenen Spielhalle. Ebenso eindeutig sind die entsprechenden Angaben in der "Beschreibung der Betriebsstätte" (Anlage zur Baubeschreibung). Die verfahrensrechtliche Vorgeschichte sowie die Tatsachen, dass der Bauantrag von einer "Schwestergesellschaft" der Klägerin als Inhaberin der angrenzenden Spielhalle unter Hinweis auf deren unzureichende Wirtschaftlichkeit eingereicht wurde und dass in der Bauvorlage zwischen beiden Spielhallen eine Tür eingezeichnet ist, konnten nach der Rechtsansicht der Beklagten vielleicht Zweifel an der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens begründen (vgl. das Schreiben der Beklagten an die Klägerin vom 19.08.2009). Sie ließen aber keinen Zweifel daran zu, dass sich Bauantrag und Bauvorlagen allein auf ein neues selbständiges Vorhaben der Klägerin bezogen und nur ein solches Vorhaben zur Genehmigung gestellt sein sollte.
22 
Ob die Beklagte nach Eingang des vollständigen Bauantrags einen zureichenden Grund für ihre Untätigkeit hatte, ist für die Zulässigkeit der nach Ablauf der dreimonatigen Sperrfrist erhobenen Untätigkeitsklage unerheblich (BVerwG, Urteil vom 23.03.1973 - IV C 2.71 - BVerwGE 42, 108 <112>, juris Rn. 25 ff.). Bei Vorliegen eines zureichenden Grundes hat vielmehr das Gericht gemäß § 75 Satz 3 VwGO der Verwaltungsbehörde eine Frist zur Entscheidung über den beantragten Verwaltungsakt zu setzen (BVerwG, Urteil vom 22.05.1987 - 4 C 30.86 - NVwZ 1987, 969, juris Rn. 12), was hier aber nach Erlass des Ablehnungsbescheids der Beklagten vom 10.11.2009 nicht mehr in Betracht kam. Aus dem Urteil des 5. Senats des erkennenden Gerichtshofs vom 27.02.2003 (a.a.O.) folgt entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nichts Anderes. Soweit darin die zweimonatige Entscheidungsfrist nach § 54 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO a.F. als "besonderer Umstand" i. S. des § 75 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO erwogen wird (a.a.O., juris Rn. 27), betrifft das nur eine mögliche Verkürzung der gesetzlichen Sperrfrist von drei Monaten. Eine Verlängerung dieser Sperrfrist wegen eines "besonderen Umstands" sieht § 75 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO gerade nicht vor.
23 
2. Es ist auch nach Rechtshängigkeit ein erledigendes Ereignis eingetreten.
24 
Ein Verpflichtungsbegehren ist i. S. des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erledigt, wenn es nach Klageerhebung aus dem Kläger nicht zurechenbaren Gründen unzulässig oder unbegründet wurde, insbesondere aufgrund einer nachträglichen Änderung der Sach- oder Rechtslage (BVerwG, Urteil vom 30.06.2011 - 4 C 10.10 - NVwZ 2012, 51 m.w.N.). Bei einer Rechtsänderung ist aber nicht erforderlich, dass sich das Verpflichtungsbegehren auch im strengen Sinne des Wortes "erledigt" hat. Denn diese Tatsache ändert nichts an der grundlegenden Wendung, die das Verfahren infolge der Rechtsänderung nimmt und die Interessenlage kennzeichnet, welche die entsprechende Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 rechtfertigt (BVerwG, Urteil vom 24.10.1980 - 4 C 3.78 - BVerwGE 61, 128 <135>). Das Inkrafttreten einer Satzung über eine Veränderungssperre (§ 14 BauGB) ist eine Rechtsänderung, die wegen der materiell-rechtlichen Wirkung der Veränderungssperre (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BauGB) zum Erlöschen eines Baugenehmigungsanspruchs (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.12.1971 - 4 C 32.69 - BRS 24 Nr. 148 S. 221 <224>, juris Rn. 33) und damit auch zur Erledigung eines Verpflichtungsbegehrens i. S. einer grundlegenden Wendung des Verfahrens führen kann. Voraussetzung ist allerdings, dass die Satzung rechtswirksam ist (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.02.2003, a.a.O, juris Rn. 20).
25 
Ausgehend davon hat sich der mit der Klage behauptete Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung gemäß den Festsetzungen des Bebauungsplans "Ehemalige Filzfabriken, 1. Änderung“ der Beklagten vom 25.01.1996 nach Rechtshängigkeit aus der Klägerin nicht zurechenbaren Gründen mit Inkrafttreten der Satzung über eine Veränderungssperre für das Plangebiet vom 22.10.2009 am 06.11.2009 erledigt. Denn nach § 2 Abs. 1 dieser Satzung dürfen Vorhaben i. S. des § 29 BauGB nicht mehr durchgeführt werden. Die Nutzungsänderung einer baulichen Anlage ist ein solches Vorhaben (§ 29 Abs. 1 BauGB). Anhaltspunkte für die Unwirksamkeit dieser Satzung oder für einen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahme von der Veränderungssperre nach § 14 Abs. 2 BauGB sind weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Die Erledigung ist auch nach Rechtshängigkeit eingetreten. Denn die Rechtshängigkeit beginnt bereits mit der Erhebung der Klage (§ 90 VwGO). Das war der 05.11.2009 und damit einen Tag vor Eintritt des erledigenden Ereignisses. Auf den späteren Zeitpunkt der Zustellung der Klage beim Beklagten (10.11.2009) kommt es nicht an.
26 
3. Schließlich sind auch die beiden weiteren Voraussetzungen erfüllt. Für den Feststellungsantrag liegt ein klärungsfähiges Rechtsverhältnis vor (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.04.1999, a.a.O., juris Rn. 14 m.w.N.). Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung. Zur Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses ist die gewählte Klageform geeignet. Dass im Streitfall eine derartige Klage von vornherein als aussichtslos zu gelten hätte, lässt sich nicht sagen (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.04.1999, a.a.O., juris Rn. 14 m.w.N.). Das Feststellungsinteresse ist auch nicht etwa wegen "verfrühter" Klageerhebung unberechtigt. Denn die Klage war aus den oben dargelegten Gründen ohne vorangehende Entscheidung über der Bauantrag als Untätigkeitsklage zulässig. Die vom Verwaltungsgericht zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Nichtvorliegen eines berechtigten Interesses wegen der Absicht eines Amtshaftungsprozesses bei Erledigung vor Klageerhebung (Urteil vom 20.01.1981 - 8 C 30.87 - BVerwGE 81, 226 und Beschluss vom 09.05.1989 - 1 B 166.88 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 202) ist nicht einschlägig, weil das erledigende Ereignis erst nach Klageerhebung eingetreten ist. Dass dies lediglich einen Tag nach Klageerhebung und damit zu einem Zeitpunkt war, als das Klageverfahren gerade erst begonnen hatte, ist unerheblich. Für das mit der Absicht eines Amtshaftungsprozesses begründete berechtigte Feststellungsinteresse genügt es, dass die Klägerin ihre auf Erteilung der Baugenehmigung gerichtete Verpflichtungsklage vor Inkrafttreten der Veränderungssperre erhoben und damit das Verfahren gemäß § 75 VwGO in zulässiger Weise begonnen hatte (BVerwG, Urteil vom 27.03.1998, a.a.O., juris Rn. 18).
II.
27 
Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Unterlassung der Beklagten, der Klägerin eine Baugenehmigung gemäß ihrem Bauantrag vom 06.07.2009 zu erteilen, ist vor dem 06.11.2009 nicht rechtswidrig gewesen. Die Beklagte war damals schon deshalb nicht zur Erteilung der Baugenehmigung verpflichtet, weil die in der Landesbauordnung bestimmte Frist zur Entscheidung über den Bauantrag, welche die Baurechtsbehörde voll ausschöpfen darf, zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen war. Ob das Vorhaben genehmigungsfähig war, kann der Senat daher offen lassen.
28 
1. Die Baurechtsbehörde ist vor Ablauf der Entscheidungsfrist nach § 54 Abs. 4 LBO a.F. (jetzt § 54 Abs. 5 LBO) nicht zur Erteilung einer Baugenehmigung verpflichtet. Der Landesgesetzgeber hat mit der am 01.01.1996 in Kraft getretenen Fristenregelung in § 54 LBO im Interesse sowohl des Bauherrn als auch der Baurechtsbehörde an einer einfachen, zweckmäßigen und zügigen Durchführung des Baugenehmigungsverfahrens (vgl. § 10 Satz 2 LVwVfG; LT-Drs. 11/5337, S. 115) die Höchstdauer für eine formell ordnungsgemäße Bearbeitung des Bauantrags und eine sachgerechte Entscheidung darüber normativ konkretisiert. Die formell ordnungsgemäße Bearbeitung umfasst die Prüfung des Bauantrags und der Bauvorlagen auf Vollständigkeit innerhalb von zehn Arbeitstagen mit einer eventuell anschließenden individuellen Frist zur Mängelbeseitigung (§ 54 Abs. 1 LBO a.F.), die Mitteilung an den Bauherrn über Eingang des Bauantrags und voraussichtlichen Entscheidungszeitpunkt (§ 54 Abs. 2 Nr. 1 LBO a.F.) sowie eine bis zu zwei Monate, ausnahmsweise auch einen Monat länger dauernde Anhörung der Gemeinde und berührter Stellen (§ 54 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 und Abs. 5 LBO a.F.). Daran schließt sich eine Entscheidungsfrist von einem Monat bei Wohngebäuden, zugehörigen Stellplätzen, Garagen und Nebenanlagen (§ 14 BauNVO) oder von zwei Monaten bei sonstigen Vorhaben an (§ 54 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 2 LBO a.F.). Die Entscheidungsfrist beginnt, sobald die vollständigen Bauvorlagen und alle für die Entscheidung notwendigen Stellungnahmen und Mitwirkungen vorliegen, spätestens jedoch nach Ablauf der Anhörungsfrist (§ 54 Abs. 4 Satz 2 LBO a.F.). Die Baurechtsbehörde darf die Entscheidungsfrist voll ausschöpfen (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.02.2003, a.a.O., juris Rn. 32). Vor ihrem Ablauf ist ein Genehmigungsanspruch gleichsam noch nicht "fällig". Ob ein Bauantrag im Einzelfall schon vor Ablauf der Entscheidungsfrist objektiv entscheidungsreif und genehmigungsfähig ist, ist daher jedenfalls öffentlich-rechtlich unerheblich (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.02.2003, a.a.O., juris Rn. 32). Mit ihrer Anknüpfung an die Anhörung (vgl. § 54 Abs. 4 Satz 2 LBO a.F.) bezweckt die Entscheidungsfrist mittelbar auch, der anzuhörenden Gemeinde zu ermöglichen, auf ein Bauvorhaben, das nach der bestehenden Rechtslage zulässig, von ihr aber nicht erwünscht ist, mit (Sicherungs-)Maßnahmen der Bauleitplanung zu reagieren (vgl. BGH, Urteil vom 23.01.1992 - III ZR 191/90 - NVwZ 1993, 293 m.w.N.). Mit diesen Zielsetzungen ist § 54 LBO auch mit verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung präventiver Erlaubnisvorbehalte zur Grundrechtsausübung (vgl. BVerfG, Urteil vom 05.08.1966 - 1 BvF 1/61 - BVerfGE 20, 150, juris Rn. 18 ff.; Beschluss vom 12.06.1979 - 1 BvL 19/76 - BVerfGE 52, 1, juris Rn. 149) als Inhalts- und Schrankenbestimmung der Baufreiheit nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 GG vereinbar.
29 
Für den Ablauf der Entscheidungsfrist ist im Einzelfall unerheblich, welches Datum die Baurechtsbehörde in ihrer Mitteilung gegenüber dem Bauherrn (§ 54 Abs. 2 Nr. 1 LBO a.F.) angegeben hat. § 54 Abs. 4 LBO a.F. regelt Beginn und Dauer der Entscheidungsfrist abschließend, ohne an das nach § 54 Abs. 2 Nr. 1 LBO a.F. mitgeteilte Datum anzuknüpfen. Die Mitteilung der Baurechtsbehörde ist kein Verwaltungsakt, insbesondere keine Zusicherung (§ 38 LVwVfG), sondern eine Auskunft ohne Rechtsbindungswille (Wissenserklärung). Für die Dauer der Entscheidungsfrist kommt es allein auf die Erfüllung der Voraussetzungen nach § 54 Abs. 4 LBO a.F. an. Es ist daher unerheblich, dass die Beklagte in ihrem Schreiben an die Klägerin vom 16.09.2009 als "Datum der voraussichtlichen Entscheidung" mit dem "30.10.2009" einen Zeitpunkt vor Inkrafttreten der Veränderungssperre angegeben hat.
30 
2. Die gesetzliche Entscheidungsfrist betrug im vorliegenden Fall zwei Monate (§ 54 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO a.F.) und war bei Inkrafttreten der Veränderungssperre am 06.11.2009 noch nicht abgelaufen.
31 
a) Nach § 54 Abs. 4 Satz 2 LBO a.F. beginnt die Entscheidungsfrist, sobald die vollständigen Bauvorlagen und alle für die Entscheidung notwendigen Stellungnahmen und Mitwirkungen vorliegen, spätestens jedoch nach Ablauf der gemäß § 54 Abs. 3 LBO a.F. bestimmten Anhörungsfrist. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein. Dabei kommt es im Grundsatz auf den tatsächlichen Ablauf des konkreten Verfahrens an. Wegen der Abhängigkeit des Beginns der Entscheidungsfrist von der Anhörung setzt die Vorschrift insoweit aber auch voraus, dass die Anhörung i. S. des § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. "unverzüglich" nach dem Ende der Prüfungsfrist (§ 54 Abs. 1 LBO a.F.) eingeleitet worden ist. Denn andernfalls hätte die Baurechtsbehörde es bei rechtswidriger Verzögerung der Anhörung in der Hand, Beginn und Ende der Entscheidungsfrist und damit auch die rechtliche Durchsetzbarkeit des Genehmigungsanspruchs über die gesetzlichen Zeitvorgaben hinaus zu steuern. Das widerspräche Sinn und Zweck der gesetzlichen Fristenregelung. Leitet die Baurechtsbehörde die Anhörung nach § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. nicht “unverzüglich“ ein, darf der Beginn der Entscheidungsfrist folglich nicht nach dem tatsächlichen Ablauf des konkreten Verfahrens, sondern er muss hypothetisch bestimmt werden. Die Entscheidungsfrist beginnt in diesem Falle analog § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 LBO a.F. (jetzt § 54 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 LBO) nach Ablauf einer angemessenen Anhörungsfrist ab hypothetisch unverzüglicher Einleitung der Anhörung. Entgegen der Ansicht der Klägerin kann insoweit nicht auch alternativ entsprechend § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 LBO a.F. auf einen mutmaßlich früheren Zeitpunkt des Eingangs erforderlicher Mitwirkungen und Stellungnahmen von Behörden abgestellt und insoweit berücksichtigt werden, dass dies auch im tatsächlichen Ablauf des Verfahren so geschehen ist. Denn dass alle Mitwirkungen und Stellungnahmen auch bei nicht rechtswidrig verzögerter Anhörung ebenfalls vor Ablauf der Anhörungsfrist eingegangen wären, ist bloße Spekulation. Dafür ist bei einer Bestimmung des Beginns der Entscheidungsfrist nach § 54 Abs. 4 LBO a.F. schon aus Gründen der Rechtssicherheit kein Raum.
32 
b) Gemessen daran gilt hier Folgendes:
33 
Nach dem tatsächlichen Ablauf des Verfahrens hätte die Entscheidungsfrist frühestens am 09.10.2009 zu laufen begonnen. Denn alle notwendigen Stellungnahmen und Mitwirkungen lagen der Beklagten erst mit Eingang der letzten Stellungnahme des Landratsamts am 09.10.2009 (per E-Mail) vor Ablauf der bis zum 16.10.2009 bestimmten Anhörungsfrist vollständig vor. Die zweimonatige Entscheidungsfrist wäre danach erst Mitte Dezember 2009 und damit nach dem 06.11.2009 abgelaufen. Ihr Beginn richtet sich aber nicht nach dem tatsächlichen Ablauf des Verfahrens, weil die Beklagte die Anhörung nicht gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. "unverzüglich" eingeleitet hat (aa)). Aber auch bei der daher gebotenen hypothetischen Bestimmung analog § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 LBO a.F. begann die Entscheidungsfrist frühestens am 08.09.2009 und lief damit ebenfalls erst nach dem 06.11.2009 ab (bb)).
34 
aa) Nach § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. hat die Baurechtsbehörde die Gemeinde und die berührten Stellen nach § 53 Abs. 2 LBO a.F. unverzüglich zu hören, sobald der Bauantrag und die Bauvorlagen vollständig sind. Die Formulierung "sobald der Bauantrag und die Bauvorlagen vollständig sind" knüpft erkennbar nicht an den bloßen Eingang dieser Unterlagen bei der Baurechtsbehörde, sondern an das Ende der amtlichen Prüfung nach § 54 Abs. 1 LBO a.F. an. Die Baurechtsbehörde darf daher zunächst die zehn Arbeitstage umfassende Prüfungsfrist nach § 54 Abs. 1 Satz 1 LBO a.F. ausschöpfen, bevor sie zur unverzüglichen Einleitung der Anhörung verpflichtet ist. Würde bei der Berechnung der Entscheidungsfrist ex post darauf abgestellt, dass Bauantrag und Bauvorlagen objektiv gesehen schon am Tag ihres Eingangs bei der Baurechtsbehörde vollständig waren, wäre diese Prüfungsfrist im Ergebnis sinnlos.
35 
Das an den Ablauf dieser amtlichen Prüfung anknüpfende Gebot zur "unverzüglichen" Einleitung der Anhörung verlangt ein behördliches Handeln ohne schuldhaftes Zögern (vgl. § 121 BGB). In Anlehnung an Zeitvorgaben des Gesetzgebers für ähnliche bürokratische Vorgänge (§ 53 Abs. 3 und 5, § 55 Abs. 1 LBO a.F.) dürfte dafür im Regelfall eine Zeitspanne von drei bis fünf Arbeitstagen genügen. Konkrete Umstände des Einzelfalles können aber auch einen anderen zeitlichen Rahmen rechtfertigen (vgl. Sauter, LBO, Kommentar, 3. Auflage, § 54 Rn. 9). Rechtliche Bedenken der zuständigen Baurechtsbehörde an der Genehmigungsfähigkeit eines Vorhabens rechtfertigen eine Verzögerung der Anhörung allerdings nicht. Die Einschätzung der Behörde, das Vorhaben sei nicht genehmigungsfähig, mag zwar einen Hinweis gegenüber dem Bauherrn nahelegen, um ihm die Möglichkeit zur Darlegung seines Rechtsstandpunktes oder zur Rücknahme des Bauantrags und zu einer damit einhergehenden Kostenersparnis einzuräumen. Sie ist aber kein sachlicher Grund, vorläufig von der nach § 54 Abs. 2 Nr. 2 LBO a.F. zwingend und ohne Ausnahme gebotenen Anhörung abzusehen, deren Ablauf den Beginn der Entscheidungsfrist und damit die rechtliche Durchsetzbarkeit des Genehmigungsanspruchs des Bauherrn steuert. Zudem dienen die Beteiligung der Gemeinde und die Anhörung der berührten Stellen (§ 53 Abs. 2 LBO a.F.) gerade - auch - dazu, den entscheidungserheblichen Sachverhalt zur Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens von Amts wegen aufzuklären (§ 24 LVwVfG). Rechtliche Bedenken können dadurch gegebenenfalls auch ausgeräumt werden. Schließlich ist zu bedenken, dass andernfalls der Beginn der Entscheidungsfrist mittelbar von der subjektiven behördlichen Einschätzung über die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens abhinge. Das wäre mit Sinn und Zweck des strikten Fristenregimes nach § 54 LBO nicht zu vereinbaren. Ein Absehen von der Anhörung im "wohlverstandenen (Kosten-)Interesse" des Bauherrn widerspräche zudem mittelbar § 54 Abs. 4 Satz 3 LBO a.F., wonach die Entscheidungsfrist nicht zur Disposition des Bauherrn steht.
36 
Ausgehend davon war die Beklagte frühestens am Tag nach Ablauf der Prüfungsfrist von zehn Arbeitstagen (§ 54 Abs. 1 Satz 1 LBO a.F.) seit Eingang des vollständigen (s.o. I.1.) Bauantrags am 22.07.2009 zur unverzüglichen Anhörung verpflichtet. Dies war Donnerstag, der 06.08.2009 (vgl. § 31 Abs. 1 LVwVfG i.V.m. § 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 BGB). Tatsächlich eingeleitet hat sie die Anhörung erst am 16.09.2009. Diese Verzögerung überschreitet die im Regelfall insoweit allenfalls angemessene Zeitspanne von drei bis fünf Arbeitstagen ganz erheblich. Sie ist auch schuldhaft. Die Beklagte beruft sich insoweit ausschließlich auf die von ihrer Baurechtsbehörde im Schreiben an die Klägerin vom 19.08.2009 mitgeteilten rechtlichen Bedenken an der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens und meint, sie habe wegen dieser Bedenken mit dem Beginn der Anhörung zuwarten dürfen. Das trifft, wie oben dargelegt, nicht zu. Auch Anhaltspunkte für die von der Beklagten in der Berufungsverhandlung ergänzend behauptete Mangelhaftigkeit des Bauantrags wegen Unbestimmtheit gab es nicht (s.o. I.1.). Abgesehen davon hätte die Beklagte in diesem Falle nach § 54 Abs. 1 Satz 2 LBO a.F. verfahren und der Klägerin eine Frist zur Mängelbeseitigung setzen müssen. Im Übrigen wäre die hier eingetretene Verzögerung selbst dann schuldhaft, wenn materiell-rechtliche Bedenken der Baurechtsbehörde eine Verzögerung der Anhörung durch einen Hinweis gegenüber dem Bauherrn rechtfertigen könnten. Denn in diesem Falle müsste ein entsprechender Hinweis gegenüber dem Bauherrn jedenfalls unverzüglich nach Ablauf der Prüfungsfrist (§ 54 Abs.1 Satz 1 LBO a.F.) mit knapper Äußerungsfrist erteilt werden. Beides ist hier nicht geschehen. Der Hinweis wurde erst mit Schreiben vom 19.08.2009 und damit erst weitere zehn Arbeitstage nach Ablauf der zehntägigen Prüffrist und zudem mit mehr als dreiwöchiger Äußerungsfrist bis zum 15.09.2009 erteilt. Schließlich stand spätestens mit Eingang des Schriftsatzes der Klägerin vom 30.08.2009 am 01.09.2009 fest, dass die Klägerin auf einer Durchführung des Verfahrens bestand. Die Anhörung hätte danach bereits am 01.09.2009 eingeleitet werden müssen. Tatsächlich ist auch das erst am 16.09.2009 geschehen.
37 
Anhaltspunkte für sonstige Verzögerungsgründe sind nicht ersichtlich und auch nicht geltend gemacht.
38 
bb) Bei der daher gebotenen hypothetischer Bestimmung analog § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 LBO a.F. kann der Senat zugunsten der Klägerin unterstellen, dass die Beklagte bereits am Tag nach Ablauf der Prüfungsfrist von zehn Arbeitstagen seit Eingang des Bauantrags (22.07.2009), also am Freitag, dem 07.08.2009 zur Einleitung der Anhörung verpflichtet war, obwohl hierfür im Regelfall wohl drei bis fünf Arbeitstage anzusetzen sein dürften (s.o. aa)). Ferner ist insoweit von einer angemessenen Anhörungsfrist (§ 54 Abs. 3 Satz 1 LBO a.F.) von einem Monat auszugehen, die der damals vom Gesetzgeber unterstellten Regelfallfrist im gesetzlichen Rahmen von zwei Monaten entspricht (vgl. LT-Drs. 11/5337, S. 114; Schlotterbeck/von Arnim, LBO, Kommentar, 4. Auflage § 54 Rn. 15). Bei Einleitung der Anhörung am 07.08.2009 wäre diese Monatsfrist am Montag, dem 07.09.2009 abgelaufen. Die zweimonatige Entscheidungsfrist hätte analog § 54 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 LBO a.F. am Tag danach, also am Dienstag, dem 08.09.2009, zu laufen begonnen und wäre frühestens am Montag, dem 09.11.2009 (§ 31 Abs. 1 und 3 LVwVfG i.V.m. § 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 BGB) und damit nach Inkrafttreten der Veränderungssperre abgelaufen.
B.
39 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
40 
Beschluss vom 19. Juni 2012
41 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 60.000,00 Euro festgesetzt (§ 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG, in Anlehnung an Nr. 1.3 i.V.m. Nr. 9.1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit Fassung Juli 2004, NVwZ 2004, 1327).
42 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

Tatbestand

1

Die Klägerin, ein Energieversorgungsunternehmen, wendet sich gegen die anteilige Kürzung von Emissionsberechtigungen für die Zuteilungsperiode 2005 bis 2007.

2

Die Klägerin betreibt in G. ein Kraftwerk mit Kraft-Wärme-Kopplung. Am 20. September 2004 beantragte sie die Zuteilung von Emissionsberechtigungen nach § 9 des Gesetzes über den Handel mit Berechtigungen zur Emission von Treibhausgasen (TEHG) i.V.m. § 7 Abs. 1 bis 6, § 14 des Gesetzes über den nationalen Zuteilungsplan für Treibhausgas-Emissionsberechtigungen in der Zuteilungsperiode 2005 bis 2007 (Zuteilungsgesetz 2007 - ZuG 2007). Mit Bescheid vom 16. Dezember 2004 wurden ihr für die o.g. Anlage nach anteiliger Kürzung gemäß § 4 Abs. 4 ZuG 2007 60 954 891 Berechtigungen für die Zuteilungsperiode 2005 bis 2007 zugeteilt. Ohne anteilige Kürzung hätte die Klägerin seinerzeit weitere 2 952 660 Berechtigungen erhalten.

3

Die nach erfolglos durchgeführtem Widerspruchsverfahren erhobene Klage auf Neubescheidung des Zuteilungsantrags blieb vor dem Verwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht erfolglos. Der erkennende Senat wies die Revision der Klägerin mit Urteil vom 16. Oktober 2007 - BVerwG 7 C 33.07 - mit der Begründung zurück, dass die anteilige Kürzung von Zuteilungen gemeinschafts- und verfassungsrechtlich unbedenklich sei, die dem maßgeblichen Kürzungsfaktor zugrunde liegende Prognose vor Erteilung der Zuteilungsbescheide zu ermitteln und gerichtlich nur eingeschränkt darauf nachprüfbar sei, ob die Behörde die einfach-rechtlichen Zuteilungsmaßstäbe und Zuteilungsregeln verkannt habe. Dies habe das Oberverwaltungsgericht zu Recht verneint.

4

Gegen dieses Urteil legte die Klägerin Verfassungsbeschwerde ein. Das Bundesverfassungsgericht hob das Urteil des Senats mit Beschluss vom 10. Dezember 2009 - 1 BvR 3151/07 - wegen einer Verletzung des Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG auf und verwies die Sache an das Bundesverwaltungsgericht zurück.

5

Die Klägerin hält an ihrem Begehren auf Neubescheidung ihres Zuteilungsantrags vom 20. September 2004 fest. Hilfsweise beantragt sie die Feststellung, dass die anteilige Kürzung der Zuteilung von Emissionsberechtigungen hinsichtlich des zugrunde gelegten Kürzungsfaktors rechtswidrig war.

6

Ihr Anspruch auf Mehrzuteilung von Berechtigungen habe sich durch Ablauf der Zuteilungsperiode 2005 bis 2007 am 31. Dezember 2007 nicht erledigt, sondern sei nunmehr durch Zuteilung von Berechtigungen für die zweite Zuteilungsperiode 2008 bis 2012 zu erfüllen. Die Vorschrift des § 20 ZuG 2007, wonach Berechtigungen der Zuteilungsperiode 2005 bis 2007 abweichend von § 6 Abs. 4 Satz 4 TEHG nicht in die folgende Zuteilungsperiode überführt, sondern mit Ablauf des 30. April 2008 gelöscht werden, stehe dem nicht entgegen. Diese Norm ziele nur darauf, ein periodenübergreifendes Banking der Berechtigungen aus der ersten Periode zu verhindern, um eine Belastung des Emissionsbudgets für die erste Kyoto-Periode von 2008 bis 2012 zu verhindern. Zu nicht erfüllten Zuteilungsansprüchen verhalte sie sich - ebenso wie § 6 Abs. 4 TEHG - nicht.

7

Herzuleiten sei ihr Anspruch auf Kompensation der rechtswidrig vorenthaltenen Berechtigungen für die abgelaufene Zuteilungsperiode durch Zuteilung von Berechtigungen für die laufende Zuteilungsperiode aus dem Grundsatz periodenübergreifender Kontinuität der Rechts- und Pflichtenpositionen der Anlagenbetreiber, der in § 18 Abs. 3 TEHG verankert sei.

8

Auch Art. 19 Abs. 4 GG gebiete es, unerfüllte Zuteilungsansprüche aus der abgelaufenen Periode durch Zuteilung von Berechtigungen der Folgeperiode zu erfüllen. Die in § 20 ZuG 2007 geregelte ersatzlose Löschung der Emissionsberechtigungen aus der Periode 2005 bis 2007 am 30. April 2008 und der Untergang offener Zuteilungsansprüche dürften nicht gleichgesetzt werden. Durch das Untergehen des Zuteilungsanspruchs werde der Anlagenbetreiber doppelt belastet: Zum einen habe er keine Möglichkeit gehabt, die mit den Berechtigungen verbundenen Vorteile zu realisieren. Zum anderen sei er weiterhin abgabepflichtig gewesen und verliere so einen Teil des ihm zum Ausgleich für die Einführung des Emissionshandels bzw. zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit gewährten Anspruchs.

9

Die gegenteilige Auffassung sei sachlich nicht gerechtfertigt. Die Erfüllung offener Zuteilungsansprüche aus der Periode 2005 bis 2007 durch Zuteilung von Berechtigungen der zweiten Periode gefährde die Einhaltung der Reduktionszusage nicht. Das in der ersten Kyoto-Periode von 2008 bis 2012 zur Verfügung stehende Emissionsbudget werde dadurch nicht erhöht, weil die zur Erfüllung der offenen Zuteilungsansprüche erforderlichen Berechtigungen nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b ZuG 2012 der Reserve zu entnehmen seien. Die Reserve sei Teil des Emissionsbudgets für die Periode 2008 bis 2012 und weite dieses nicht aus.

10

Die hilfsweise erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage sei zulässig, insbesondere fehle es ihr nicht an einem Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche aus Amtshaftung oder enteignungsgleichem Eingriff seien nicht offensichtlich aussichtslos. Amtshaftungsansprüche folgten aus dem Erlass des nichtigen § 6 Abs. 6 ZuV 2007 durch die Bundesregierung und der rechtswidrigen Ermittlung des Kürzungsfaktors durch die Beklagte. Die Kollegialgerichtsrichtlinie stehe ihrem Amtshaftungsanspruch nicht entgegen, weil die Kollegialgerichte die Rechtslage - wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt habe - offensichtlich verkannt hätten. Ihr sei auch ein Schaden entstanden. Aufgrund der rechtswidrigen Vorenthaltung weiterer Berechtigungen habe sie am Markt Emissionsberechtigungen hinzukaufen müssen, um ihrer Abgabepflicht nachkommen zu können. Abgesehen davon bestehe auch Wiederholungsgefahr.

11

Die Beklagte tritt dem entgegen. Nach ihrer Auffassung hat sich der Rechtsstreit mit Löschung der Berechtigungen der ersten Zuteilungsperiode am 30. April 2008 erledigt. Mangels zuteilungsfähiger Berechtigungen sei auch der Zuteilungsanspruch erloschen, denn dieser könne nicht weiter reichen als die Emissionsberechtigungen selbst. Die Klage auf Neubescheidung sei daher mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig geworden, dasselbe gelte für die Revision.

12

Der Zuteilungsanspruch aus der ersten Periode 2005 bis 2007 habe sich mit Ablauf des 30. April 2008 auch nicht in einen Anspruch auf Zuteilung von Berechtigungen der zweiten Periode umgewandelt. Einen Grundsatz periodenübergreifender Kontinuität gebe es jedenfalls für den Übergang von der ersten zur zweiten Periode nicht. Er folge auch nicht aus § 6 Abs. 4 Satz 4 TEHG, weil diese Vorschrift für Berechtigungen der ersten Zuteilungsperiode nicht einschlägig sei. Für den Übergang von der ersten zur zweiten Zuteilungsperiode sei in § 20 ZuG 2007 vielmehr ausdrücklich Diskontinuität geregelt worden. Der Sinn und Zweck dieser Regelung, ein periodenübergreifendes Banking von der ersten zur zweiten Handelsperiode auszuschließen, stehe auch einer Ersetzung des Anspruchs auf Berechtigungen aus der ersten Periode durch einen Anspruch auf Berechtigungen aus der zweiten Periode entgegen.

13

Diese Auslegung sei mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar. Sie führe nicht zu einer Rechtsschutzlücke, weil die Möglichkeit bestanden habe, um einstweiligen Rechtsschutz auf vorläufige Zuteilung weiterer Berechtigungen nachzusuchen.

14

Abgesehen davon sei die Klage auf Neubescheidung auch deshalb unzulässig, hilfsweise unbegründet, weil sie im Ergebnis nicht zu einer Mehrzuteilung führen würde. Eine Neuberechnung müsse nicht nur die Nichtigkeit des § 6 Abs. 6 ZuV 2007, sondern auch die Unanwendbarkeit der anteiligen Kürzung auf die sog. Optierer nach § 7 Abs. 12 ZuG 2007 berücksichtigen. Dies hätte eine Verminderung des Kürzungsfaktors zur Folge, sodass der Klägerin noch weniger Berechtigungen zuzuteilen wären. Zudem stehe noch nicht rechtskräftig fest, dass § 6 Abs. 6 ZuV 2007 tatsächlich nichtig sei.

15

Der Hilfsantrag sei mangels Fortsetzungsfeststellungsinteresses unzulässig. Es bestehe weder eine Wiederholungsgefahr noch lägen die Voraussetzungen für einen Amtshaftungsanspruch oder eine Entschädigung aus enteignungsgleichem Eingriff vor. Ein Amtshaftungsprozess wäre aussichtslos. Der Klägerin könne wegen des geringen Werts der Berechtigungen zum Ende der Zuteilungsperiode nur ein geringer Schaden entstanden sein. Überdies könne den Mitarbeitern der Deutschen Emissionshandelsstelle kein Verschulden vorgeworfen werden, weil Kollegialgerichte über drei Instanzen die Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Zuteilung bejaht hätten.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist zulässig (1), mit dem Hauptantrag auf Zuteilung weiterer Emissionsberechtigungen für die Periode 2005 bis 2007 aber unbegründet (2). Über den im Revisionsverfahren als Hilfsantrag gestellten, zulässigen Fortsetzungsfeststellungsantrag kann der Senat nicht abschließend entscheiden. Insoweit muss die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen werden (3).

17

1. Entgegen der Auffassung der Beklagten begegnet die Zulässigkeit der Revision keinen Bedenken. Auf die Frage, ob das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage auf Mehrzuteilung von Emissionsberechtigungen nach Ablauf der Zuteilungsperiode 2005 bis 2007 am 31. Dezember 2007 entfallen ist, weil der Zuteilungsanspruch untergegangen ist, kommt es insoweit nicht an. Die Sachurteilsvoraussetzungen, von denen die Zulässigkeit der Klage abhängt, sind regelmäßig nicht zugleich Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Revision. Von ihnen hängt vielmehr die Begründetheit der Revision ab (Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 143 Rn. 10). Etwas Anderes gilt nur für das Fehlen von Sachurteilsvoraussetzungen, von denen zugleich die Wirksamkeit der Revision als Prozesshandlung abhängt. Eine solche Fallkonstellation liegt hier nicht vor.

18

2. Soweit sich die Revision im Hauptantrag dagegen richtet, dass das Oberverwaltungsgericht die Berufung der Klägerin gegen das ihre Klage auf Mehrzuteilung von Berechtigungen abweisende Urteil des Verwaltungsgerichts zurückgewiesen hat, ist sie unbegründet. Das angegriffene Urteil des Oberverwaltungsgerichts verstößt zwar in einem tragenden Punkt gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO, a). Es stellt sich aber im Ergebnis aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO, b).

19

a) Das Oberverwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Kürzungsvorschrift des § 4 Abs. 4 ZuG 2007 mit Gemeinschaftsrecht und Verfassungsrecht vereinbar ist, die Berechnung des Kürzungsfaktors unmittelbar vor Zuteilung der Berechtigungen nicht zu beanstanden ist und die gerichtliche Kontrolle der Prognose über die Zuteilungsmenge beschränkt ist, namentlich Korrekturen individueller Zuteilungsbescheide die Richtigkeit der Prognose nicht in Frage stellen (Urteil vom 16. Oktober 2007 - BVerwG 7 C 33.07 - BVerwGE 129, 328 ff. = Buchholz 406.253 § 4 ZuG 2007 Nr. 1 Rn. 18 f., 35 f., 44 f.; BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. Dezember 2009 - 1 BvR 3151/07 - DVBl 2010, 250 f.).

20

Mit revisiblem Recht nicht vereinbar ist dagegen die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, dass bei der Berechnung des Kürzungsfaktors die einfach-rechtlichen Maßstäbe beachtet worden sind. Denn bei der Berechnung des Kürzungsfaktors ist auch § 6 Abs. 6 ZuV 2007 zur Anwendung gekommen, den der Senat mit Urteil vom 16. Oktober 2007 - BVerwG 7 C 28.07 - (Buchholz 406.253 § 13 ZuG 2007 Nr. 1 Rn. 26) für nichtig befunden hat. Die Nichtigkeit des § 6 Abs. 6 ZuV 2007 wirkt sich nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Dezember 2009 (a.a.O., BA S. 27/28) auf die Rechtmäßigkeit der behördlichen Prognose aus.

21

An der Nichtigkeit des § 6 Abs. 6 ZuV 2007 hält der Senat auch in Ansehung der von der Beklagten erhobenen Einwände fest. Zum einen versteht es sich von selbst, dass die vom Senat festgestellte Nichtigkeit dieser Vorschrift auch gegenüber solchen Anlagenbetreibern beachtlich ist, die an dem o.g. Verwaltungsstreitverfahren nicht beteiligt waren. Zum anderen geben auch die inhaltlichen Einwände der Beklagten dem Senat keine Veranlassung, seine Rechtsprechung zu ändern. Der Senat hat in seinem Urteil vom 16. Oktober 2007 - BVerwG 7 C 28.07 - (a.a.O.) eingehend dargelegt und begründet, dass der Begriff der Verbrennung in § 13 Abs. 2 Satz 1 ZuG 2007 im naturwissenschaftlichen Sinne zu verstehen ist und die bei der Regeneration von Katalysatoren für die Crack- und Reformprozesse entstehenden Kohlendioxid-Emissionen ausschließlich das Produkt einer Verbrennung im naturwissenschaftlichen Sinne darstellen. Die Beklagte hat keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen, die diese Bewertung in Frage stellen.

22

Ohne Anwendung des nichtigen § 6 Abs. 6 ZuV 2007 wäre der Kürzungsfaktor für die Klägerin günstiger ausgefallen, weil die Zahl der dem Erfüllungsfaktor unterfallenden Anlagen größer gewesen wäre. Dieser Rechtsverstoß entfällt auch nicht deshalb, weil die Beklagte bei der Berechnung des Kürzungsfaktors zudem fehlerhaft davon ausgegangen ist, dass auch die Emissionsberechtigungen an Optionsanlagen im Sinne von § 7 Abs. 12 ZuG 2007 einer anteiligen Kürzung nach § 4 Abs. 4 ZuG 2007 unterliegen (Urteil vom 16. Oktober 2007 - BVerwG 7 C 29.07 - Buchholz 406.253 § 7 ZuG 2007 Nr. 2). Ob sich dieser Fehler bei einer Neuberechnung so auswirken würde, dass die Klägerin - wie die Beklagte geltend macht - keinen Anspruch auf Mehrzuteilung hätte, sondern ihr für die Periode 2005 bis 2007 zu viele Berechtigungen zugeteilt worden sind, ist nur für die Frage von Bedeutung, ob die begehrte Mehrzuteilung von Berechtigungen im Ergebnis zu Recht versagt worden ist.

23

b) Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts stellt sich trotz des Bundesrechtsverstoßes im Ergebnis als richtig dar. Der Hauptantrag ist zwar weiterhin zulässig (aa), in der Sache aber nicht begründet (bb).

24

aa. Der Hauptantrag ist bei verständiger Würdigung nicht auf Neubescheidung des Zuteilungsantrags, sondern auf die Verpflichtung der Beklagten zur Mehrzuteilung von Emissionsberechtigungen gerichtet. Die Zuteilungsentscheidung nach § 9 Abs. 1 TEHG i.V.m. den maßgeblichen Regelungen des jeweiligen Zuteilungsgesetzes ist eine gebundene Entscheidung, mag sie auch auf einem komplexen Rechenwerk beruhen. Fehler - etwa bei der Berechnung des Kürzungsfaktors oder der individuellen Zuteilungsmenge - rechtfertigen es daher nicht, den Zuteilungsbescheid aufzuheben und die Beklagte zur Neubescheidung zu verpflichten. Das Ergebnis einer solchen Verfahrensweise wäre regelmäßig lediglich eine Wiederholung des Rechenvorgangs bzw. des Verwaltungsverfahrens mit der Folge erneuter Bescheidung und Eröffnung eines weiteren Widerspruchs- und verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Dies ist auch aus Gründen der Prozessökonomie abzulehnen. In der Regel ist daher im gerichtlichen Verfahren nur ein Antrag auf Verpflichtung zur Mehrzuteilung sachdienlich. Aus dem Urteil des 6. Senats vom 31. März 2004 - BVerwG 6 C 11.03 - (BVerwGE 120, 263 <276> = Buchholz 442.066 § 37 TKG Nr. 1) folgt nichts Anderes. Zwar heißt es dort in Rn. 43 wörtlich, dass "es der Dispositionsbefugnis des Klägers unterfällt, statt der Verpflichtung zum Erlass eines Verwaltungsaktes nur die Verpflichtung zur Neubescheidung zu begehren". Der dieser Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt ist aber mit dem vorliegenden nicht vergleichbar. Dass der 6. Senat insoweit einen für alle denkbaren Fallgestaltungen geltenden Rechtssatz aufstellen wollte, ist nicht ersichtlich. Dem nachvollziehbaren Unvermögen der Anlagenbetreiber, einen Antrag auf Mehrzuteilung zu beziffern, kann dadurch Rechnung getragen werden, dass eine konkrete Bezifferung nicht verlangt wird, sondern es ausreicht, wenn die Begründung des Antrags erkennen lässt, aus welchen Gründen die Zuteilungsentscheidung als fehlerhaft erachtet wird und ein für die Anlagenbetreiber günstigeres Ergebnis jedenfalls nicht ausgeschlossen scheint.

25

Im Übrigen stellen z.B. die (Neu)Berechnung des Kürzungsfaktors und die Anwendung des Kürzungsfaktors auf den jeweiligen Einzelfall im Wesentlichen reines Rechenwerk dar. Diesem Rechenvorgang vorgelagerte Rechtsfragen, etwa welche Aspekte bei der Bestimmung des Kürzungsfaktors zu berücksichtigen sind, haben ohnehin die Gerichte zu klären. Diese sind daher bei Verpflichtungsklagen auf Mehrzuteilung von Berechtigungen grundsätzlich zur Spruchreifmachung verpflichtet. Die in der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmen von der Verpflichtung zur Spruchreifmachung (vgl. Urteil vom 8. Dezember 1992 - BVerwG 1 C 5.92 - Buchholz 402.5 WaffG Nr. 66) sind insoweit nicht einschlägig.

26

Die Klage auf Mehrzuteilung von Berechtigungen ist nach Ablauf der Handelsperiode 2005 bis 2007 am 31. Dezember 2007 nicht unzulässig geworden, namentlich fehlt es der Klägerin nicht an einem Rechtsschutzbedürfnis.

27

Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Verpflichtungsklage kann nur verneint werden, wenn die Nutzlosigkeit des erstrebten Verwaltungsaktes für den Kläger tatsächlich oder rechtlich außer Zweifel steht (Urteil vom 29. April 2004 - BVerwG 3 C 25.03 - BVerwGE 121, 1 ff. = Buchholz 451.74 § 9 KHG Nr. 9 = juris Rn. 19). Davon kann hier keine Rede sein. Die inzwischen entscheidungserheblich gewordene Frage, ob der Anspruch auf Zuteilung weiterer Berechtigungen aus der Handelsperiode 2005 bis 2007 untergegangen ist, ist bisher weder höchstrichterlich geklärt noch offensichtlich im Sinne der Beklagten zu beantworten. Ihre Klärung muss daher der Begründetheitsprüfung vorbehalten bleiben.

28

bb. Diese fällt im Ergebnis zu Lasten der Klägerin aus. Ein etwaiger Anspruch der Klägerin auf Mehrzuteilung von Berechtigungen ist mit Ablauf der Zuteilungsperiode 2005 bis 2007 ersatzlos untergegangen.

29

Zwischen den Beteiligten ist zu Recht unstreitig, dass ein Mehrzuteilungsanspruch der Klägerin nicht mehr durch Zuteilung von Berechtigungen aus der ersten Periode von 2005 bis 2007 erfüllt werden könnte. Die Berechtigungen der ersten Periode wurden am 30. April 2008 gelöscht (§ 20 ZuG 2007) und können daher nicht mehr Gegenstand einer Zuteilungsentscheidung sein.

30

Entgegen der Auffassung der Klägerin sind offene Zuteilungsansprüche aus der ersten Periode auch nicht durch Zuteilung von Berechtigungen für die Zuteilungsperiode 2008 bis 2012 zu erfüllen. Für dieses Begehren fehlt es an einer Anspruchsgrundlage.

31

Das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz enthält zu der Frage, welches Schicksal unerfüllte Zuteilungsansprüche bzw. offene Zuteilungsverfahren am Ende der jeweiligen Zuteilungsperiode erleiden, keine ausdrücklichen Regelungen. Es behandelt nur die zugeteilten Berechtigungen. So ist etwa in § 6 Abs. 4 Satz 1, § 3 Abs. 4 Satz 1 TEHG bestimmt, dass Berechtigungen nur für eine bestimmte Zuteilungsperiode Geltung haben. Nach § 6 Abs. 4 Satz 4 TEHG werden nicht abgegebene Berechtigungen einer abgelaufenen Zuteilungsperiode vier Monate nach Ende der Zuteilungsperiode in Berechtigungen der laufenden Zuteilungsperiode überführt. Die Vorschrift ermöglicht damit ein Ansparen von Berechtigungen zur Erfüllung zukünftiger Abgabeverpflichtungen in einer neuen Zuteilungsperiode oder zum Verkauf auf dem freien Markt (sog. Banking).

32

Als Rechtsgrundlage für die Umwandlung offener Zuteilungsansprüche aus einer abgelaufenen Periode in solche auf Berechtigungen der neuen Periode scheidet § 6 Abs. 4 Satz 4 TEHG - von allem anderen abgesehen - hier schon deshalb aus, weil der nationale Gesetzgeber für die Berechtigungen der Periode 2005 bis 2007 aufgrund der Ermächtigung in § 6 Abs. 4 Satz 5 TEHG, die ihrerseits auf eine Ermächtigung in Art. 13 Abs. 2 UA 2 EH-Richtlinie zurückgeht, in § 20 ZuG 2007 eine abweichende Regelung getroffen hat. Danach werden die Berechtigungen der Zuteilungsperiode 2005 bis 2007 abweichend von § 6 Abs. 4 Satz 4 TEHG nicht in die folgende Zuteilungsperiode überführt, sondern mit Ablauf des 30. April 2008 gelöscht.

33

Sinn und Zweck des § 20 ZuG 2007 ist es, eine Überführung von Emissionsberechtigungen der ersten Zuteilungsperiode in die zweite Zuteilungsperiode auszuschließen, um sicherzustellen, dass die Einhaltung der Reduktionsverpflichtungen des Kyoto-Protokolls nicht gefährdet wird. Die Verpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll beziehen sich auf den Zeitraum 2008 bis 2012. Maßgeblich ist der Vergleich der Treibhausgas-Emissionen im Vergleichsjahr (in der Regel 1990) mit den durchschnittlichen Emissionen im Zeitraum 2008 bis 2012. Bereits vor 2008 erreichte Minderungen können auf die Verpflichtungen im Zeitraum 2008 bis 2012 nicht angerechnet werden. Vielmehr hätten die Berechtigungen aus der sog. Pre-Kyoto-Periode mit denjenigen aus der zugeteilten Menge nach dem Kyoto-Protokoll verrechnet werden müssen, was eine Reduzierung der ab 2008 in Deutschland für die Zuteilungsperiode 2008 bis 2012 ausgegebenen Menge an Emissionsberechtigungen zur Folge gehabt hätte. Das Ansparen von Emissionsberechtigungen in der ersten Periode mit dem Ziel der Überführung in die zweite Periode hätte daher zumindest das Risiko mit sich gebracht, die Reduktionsverpflichtungen zu verfehlen (vgl. BTDrucks 15/2966 S. 26; Körner/Vierhaus, TEHG, 2005, § 20 ZuG 2007 Rn. 6 - 8; Frenz, Emissionshandelsrecht, 2005, § 20 ZuG 2007 Rn. 2; Klinski, in: Landmann/ Rohmer, Umweltrecht, Bd. 2, Stand März 2010, § 20 ZuG 2007 Rn. 4; Mutschler, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 2. Aufl. 2010, § 6 TEHG Rn. 26).

34

Ein Anspruch darauf, dass offene Zuteilungsansprüche aus der Periode 2005 bis 2007 durch Zuteilung von Berechtigungen der Periode 2008 bis 2012 erfüllt werden, folgt auch nicht aus einem "Grundsatz periodenübergreifender Kontinuität der Rechts- und Pflichtenpositionen der Anlagenbetreiber", den die Klägerin aus § 18 Abs. 3 TEHG herleiten will. Die im Abschnitt 5 "Sanktionen" angesiedelte Vorschrift des § 18 TEHG betrifft schon nach ihrer amtlichen Überschrift, aber auch nach ihrem Regelungsgehalt nur die Durchsetzung der Abgabepflicht. Nach § 18 Abs. 3 Satz 1 TEHG bleibt der Verantwortliche verpflichtet, die fehlenden Berechtigungen, im Fall des Absatzes 2 nach Maßgabe der erfolgten Schätzung, bis zum 31. Januar des Folgejahres abzugeben. Tut er dies nicht, werden Berechtigungen, auf deren Zuteilung oder Ausgabe der Verantwortliche einen Anspruch hat, auf seine Verpflichtung nach Satz 1 angerechnet (§ 18 Abs. 3 Satz 2 TEHG). Diese Regelungen, die unmittelbar zur Durchsetzung der in § 1 TEHG verankerten klima- und umweltpolitischen Ziele des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes dienen, rechtfertigen den Umkehrschluss auf einen periodenübergreifenden Fortbestand offener Zuteilungsansprüche nicht. Zwar lässt § 18 Abs. 3 TEHG, namentlich die Verrechnungsregelung in Satz 2, ebenso wie § 6 Abs. 4 Satz 4 TEHG erkennen, dass die Zuteilungsperioden nicht strikt voneinander getrennt, sondern in Teilbereichen miteinander verzahnt sind. Der Umstand, dass der Gesetzgeber Verzahnungen zwischen den Zuteilungsperioden in § 6 Abs. 4 Satz 4 und § 18 Abs. 3 TEHG für bestimmte Bereiche explizit geregelt hat, spricht aber eher dagegen als dafür, diese Regelungen auch auf andere Sachverhalte anzuwenden.

35

Ein Anspruch auf Erfüllung offener Zuteilungsansprüche aus der Periode 2005 bis 2007 durch Zuteilung von Berechtigungen aus der zweiten Periode kann schließlich auch nicht aus § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b ZuG 2012 hergeleitet werden.

36

Nach § 5 Abs. 1 ZuG 2012 werden 23 Millionen Berechtigungen pro Jahr als Reserve für die Zuteilungsperiode 2008 bis 2012 zurückbehalten. Die Gesamtmenge der zuteilbaren Berechtigungen in der Zuteilungsperiode 2008 bis 2012 beträgt 442,07 Millionen zzgl. einer Menge von bis zu 11 Millionen Berechtigungen pro Jahr für die Zuteilung an Anlagen, auf die § 26 Abs. 1 TEHG Anwendung findet (§ 4 Abs. 2 Satz 1 ZuG 2012). Die Gesamtmenge umfasst auch die Berechtigungen, die als Reserve nach § 5 Abs. 1 ZuG 2012 (und für eine Veräußerung nach § 19 TEHG) zurückbehalten werden (§ 4 Abs. 2 Satz 2 ZuG 2012). Gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b ZuG 2012 dient die Reserve u.a. der Erfüllung von Ansprüchen in den Fällen, in denen die Ansprüche nach Abschluss des Zuteilungsverfahrens rechtskräftig festgestellt worden sind und soweit diese Ansprüche über die ursprüngliche Zuteilungsmenge hinausgehen.

Der Wortlaut der Norm schließt es zwar nicht aus,
§ 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b ZuG 2012
im Wege einer erweiternden Auslegung auch auf offene Zuteilungsansprüche aus der ersten Periode 2005 bis 2007 anzuwenden (vgl. Mutschler, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 2. Aufl. 2010, § 5 TEHG Rn. 5 Fn. 3 unter Hinweis auf Günther/Schnutenhaus,
NVwZ 2007, 1140
). Vor allem angesichts des "soweit"-Satzes liegt aber die Annahme näher, dass
§ 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b ZuG 2012
nur die Fälle erfasst, in denen Zuteilungsansprüche für die Periode 2008 bis 2012 nach Abschluss des Zuteilungsverfahrens, aber vor Ende der Zuteilungsperiode rechtskräftig festgestellt werden (so wohl Neuser, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Bd. 2, Stand März 2010, § 5 ZuG 2012 Rn. 4).Dafür spricht auch der systematische Zusammenhang mit
§ 2 Satz 2 ZuG 2012.
Nach dieser Vorschrift gilt das Zuteilungsgesetz 2012, soweit nichts Anderes bestimmt ist, für die Zuteilungsperiode 2008 bis 2012. Damit soll ausweislich der Gesetzesbegründung klargestellt werden, dass die Geltung von Zuteilungsregeln in den Zuteilungsgesetzen auf die jeweilige Zuteilungsperiode beschränkt ist, da sich die erforderliche Billigung des nationalen Zuteilungsplanes durch die Europäische Kommission nach den Vorgaben der Emissionshandels-Richtlinie auf die jeweilige Zuteilungsperiode beschränkt (
BTDrucks 16/5240
, S. 23/24). Offene Ansprüche auf Mehrzuteilung von Berechtigungen aus der Periode 2005 bis 2007 wären aber nach den Zuteilungsregeln des Zuteilungsgesetzes 2007 zu berechnen.
39

Zudem spricht gegen eine entsprechende Anwendung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b ZuG 2012 auf offene Zuteilungsansprüche aus der Periode 2005 bis 2007, dass sich weder in der Begründung zum Zuteilungsgesetz 2012 noch in den sonstigen Gesetzgebungsmaterialien Anhaltspunkte dafür finden, dass der Gesetzgeber aus der Reserve auch solche Ansprüche bedienen wollte und sie entsprechend bemessen hat.

40

Bei Erlass des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes im Juli 2004 und des Zuteilungsgesetzes 2007 im August 2004 hat der Gesetzgeber offenbar nicht bedacht, dass es bei Ablauf der Zuteilungsperiode 2005 bis 2007 möglicherweise noch offene Zuteilungsverfahren gibt. In der Gesetzesbegründung zum Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz werden die Rechtsschutzmöglichkeiten nur allgemein erörtert (vgl. BTDrucks 15/2328 S. 13). Bei Einleitung des Gesetzgebungsverfahrens zum Zuteilungsgesetz 2012 stellte sich die Situation dagegen anders dar: Das Gesetzgebungsverfahren zum Zuteilungsgesetz 2012 wurde im Frühjahr 2007 eingeleitet und im August 2007 abgeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt war eine Reihe nicht abgeschlossener Widerspruchs- und Gerichtsverfahren anhängig, die Zuteilungsentscheidungen nach dem Zuteilungsgesetz 2007 zum Gegenstand hatten. Beispielhaft kann insoweit auf die seinerzeit beim Senat anhängigen Revisionsverfahren verwiesen werden, deren Ausgang bei Erlass des Zuteilungsgesetzes 2012 im August 2007 offen war. Es ist davon auszugehen, dass das Problem bei Ablauf der Zuteilungsperiode noch nicht abgeschlossener Rechtsmittelverfahren auch dem Gesetzgeber nicht verborgen geblieben ist. Trotzdem verhalten sich die Gesetzesmaterialien zu den offenen Zuteilungsverfahren nicht, obwohl das Zuteilungsgesetz 2012 anders als das Zuteilungsgesetz 2007 in § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b erstmalig eine Prozessreserve vorsieht, die nach der Gesetzesbegründung zur Erfüllung rechtskräftig festgestellter Ansprüche von Anlagenbetreibern auf Erhöhung der Zuteilungsmenge als Ergebnis eines erfolgreichen Rechtsmittelverfahrens dient. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers korrespondiert die Öffnung der Reserve für mögliche Ansprüche auf Mehrzuteilung mit dem Rückfluss von Berechtigungen durch Minderzuteilungen infolge des Widerrufs oder der Rücknahme von Zuteilungsentscheidungen (BTDrucks 16/5240 S. 25). Für die Annahme, dass mit der Prozessreserve auch offene Zuteilungsansprüche aus der ersten Periode 2005 bis 2007 erfüllt werden sollen, gibt diese Begründung nichts her. Auch die Erläuterungen zur Reserve unter Ziffer 6.3.3 des Nationalen Allokationsplans 2008 - 2012 für die Bundesrepublik Deutschland vom 28. Juni 2006 (S. 33/34) sprechen eindeutig gegen eine erweiternde Anwendung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b ZuG 2012 auf offene Zuteilungsansprüche aus der Periode 2005 bis 2007. Dort werden die fünf Zwecke, für die die Reserve ausgelegt ist, ausführlich und ohne Erwähnung offener Zuteilungsansprüche aus der ersten Periode dargestellt. Vor diesem Hintergrund ist das Schweigen des Gesetzgebers zu den offenen Zuteilungsverfahren im Zuteilungsgesetz 2012 als "beredtes Schweigen" zu qualifizieren (vgl. dazu Urteile vom 24. Oktober 2002 - BVerwG 3 C 7.02 - Buchholz 428.7 § 16 StrRehaG Nr. 1 = juris Rn. 15 und vom 31. Januar 2002 - BVerwG 3 C 39.01 - Buchholz 442.16 § 18 StVZO Nr. 2 = juris Rn. 18; BSG, Urteil vom 1. Juli 2010 - B 13 R 58/09 R - juris Rn. 32).

41

Dass der Gesetzgeber auf eine Regelung der offenen Zuteilungsverfahren aus der Periode 2005 bis 2007 im Zuteilungsgesetz 2012 verzichtet hat, dürfte darauf zurückzuführen sein, dass er entweder keinen Regelungsbedarf gesehen hat, weil er insoweit von einer entsprechenden Anwendung des § 20 ZuG 2007 ausgegangen ist, oder der Auffassung war, dass eine "Überführung" der offenen Zuteilungsverfahren aus der ersten Periode in die zweite Periode aus anderen Gründen systemwidrig wäre. Zwar kommt dem primären Normzweck des § 20 ZuG 2007, die Einhaltung der Kyoto-Reduktionsverpflichtungen sicherzustellen, hinsichtlich der offenen Zuteilungsansprüche aus der ersten Periode keine vorrangige Bedeutung zu. Wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, wäre die Einhaltung der Kyoto-Reduktionszusagen auch dann nicht gefährdet, wenn offene Zuteilungsansprüche aus der Periode 2005 bis 2007 aus der Reserve des Zuteilungsgesetzes 2012 bedient würden. Unter den Beteiligten bestand Einvernehmen darüber, dass - nicht zuletzt angesichts der in § 5 Abs. 5 ZuG 2012 geregelten Möglichkeit, die Reserve aufzufüllen - bei Erfüllung von Zuteilungsansprüchen der Periode 2005 bis 2007 aus der Reserve weder eine Überforderung der Reserve noch gar die Nichteinhaltung der Kyoto-Reduktionsverpflichtungen zu befürchten wäre.

42

Über ihren primären Normzweck, die Einhaltung der Kyoto-Reduktionsverpflichtungen sicherzustellen, hinaus ist die Erlöschensregelung des § 20 ZuG 2007 aber auch Ausdruck dessen, dass die erste Periode 2005 bis 2007 (sog. Pre-Kyoto-Periode) im Wesentlichen eine Vorbereitungs- und Übungsphase zum Sammeln von Erfahrungen für die erste Kyoto-Periode 2008 bis 2012 darstellen sollte (vgl. etwa S. 3 des Vorschlags der Kommission für eine Richtlinie über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionsberechtigungen, KOM (2001, 581 endgültig) und die erste Kyoto-Periode 2008 bis 2012 "unbelastet" beginnen sollte. Mit diesem Anliegen wäre es schwerlich zu vereinbaren gewesen, wenn offene Zuteilungsverfahren in die erste Kyoto-Periode "mitgeschleppt" worden wären. Hinzu kommt, dass die Erfüllung der offenen Zuteilungsansprüche aus der ersten Periode mithilfe der Prozessreserve der Periode 2008 bis 2012 zwar die Einhaltung der Kyoto-Reduktionszusagen nicht gefährdet hätte. Eine entsprechend größere Bemessung der Reserve hätte aber zwangsläufig zu einer Reduzierung des verbleibenden Gesamtbudgets geführt, sodass insgesamt für die Periode 2008 bis 2012 weniger Berechtigungen zur Verfügung gestanden hätten. Von diesem "Verteilungsproblem" wären u.a. auch diejenigen betroffen gewesen, deren noch vorhandene Berechtigungen aus der ersten Periode am 30. April 2008 ersatzlos erloschen waren. Überdies war dem Gesetzgeber des Zuteilungsgesetzes 2012 bekannt, dass aufgrund der Überausstattung mit Berechtigungen in der ersten Periode ein erheblicher Preiseinbruch stattgefunden hatte und der Handelswert der Berechtigungen von ca. 20 - 30 € zu Beginn der Handelsperiode später - ab Mitte 2006 - kontinuierlich auf einen Handelswert von unter einem Euro abfiel. Auch dies mag eine Ursache dafür sein, dass der Gesetzgeber davon abgesehen hat, die Prozessreserve des § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b ZuG 2012 auf offene Zuteilungsansprüche aus der Periode 2005 bis 2007 zu erstrecken. Dies hätte nämlich zur Folge gehabt, dass diejenigen, deren Verfahren auf Mehrzuteilung noch kurz vor dem 31. Dezember 2007 abgeschlossen wurden, nahezu wertlose Berechtigungen erhalten hätten, während denjenigen, deren Verfahren erst in der Periode 2008 bis 2012 abgeschlossen werden, werthaltige Berechtigungen zugeteilt worden wären. Es liegt auf der Hand, dass ein solches Ergebnis unbillig wäre.

43

Auch Verfassungsrecht zwingt nicht zu einer erweiternden Auslegung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b ZuG 2012.

44

Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Emissionsbefugnis dem Eigentum an den körperlichen Gegenständen der Anlage zugeordnet. Die Einführung des Emissionshandelssystems und die damit verbundene Limitierung der zulässigen Emissionen sind als verhältnismäßige Eingriffe in die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG und die Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG in Gestalt einer Inhalts- und Schrankenbestimmung zu qualifizieren (Urteil vom 30. Juni 2005 - BVerwG 7 C 26.04 - BVerwGE 124, 47 ff. = Buchholz 451.91 EuropUmweltR Nr. 19 = juris Rn. 34, 35). Ungeachtet der Frage, ob die Berechtigungen als solche eine von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechtsposition darstellen (vgl. dazu Mutschler a.a.O. § 6 Rn. 17), stellt das Erlöschen eines rechtswidrig unerfüllten Zuteilungsanspruchs ebenso wie die Löschung der Berechtigungen der ersten Periode nach § 20 ZuG 2007 einen Eingriff in diese Grundrechte dar. Die Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sind aber gewahrt. Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass das Erlöschen zugeteilter Emissionsberechtigungen nach § 20 ZuG 2007 und der Untergang offener Zuteilungsansprüche nicht ohne Weiteres gleichzusetzen sind. Auf das Erlöschen der Berechtigungen am 30. April 2008 konnten sich die Betroffenen einstellen, die Berechtigungen waren damit von vornherein belastet. Demgegenüber konnten Anlagenbetreiber, denen Berechtigungen rechtswidrig vorenthalten wurden, nur eingeschränkt am Emissionshandel teilnehmen und mussten gegebenenfalls Berechtigungen am Markt zukaufen, um ihrer Abgabepflicht nachzukommen. Dies stellt aber angesichts der mit dem Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz verfolgten, dem Gemeinwohl verpflichteten Klimaschutzziele und der vorgenannten Aspekte der System- und Verteilungsgerechtigkeit sowie der Vermeidung unbilliger Ergebnisse noch keine unverhältnismäßige Belastung der betroffenen Anlagenbetreiber dar, die zu einer erweiternden Auslegung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b ZuG 2012 zwingt. Dies gilt umso mehr als der Anlagenbetrieb als solcher davon nicht betroffen war, sondern es der Sache nach allein um den finanziellen Aufwand für den Erwerb zusätzlicher Berechtigungen am Markt geht.

45

Auch Art. 19 Abs. 4 GG gebietet es nicht, § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b ZuG 2012 auf offene Zuteilungsansprüche aus der Periode 2005 bis 2007 entsprechend anzuwenden. Art. 19 Abs. 4 GG garantiert nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Der Bürger hat einen substanziellen Anspruch auf eine möglichst wirksame Kontrolle in allen ihm von der Prozessordnung zur Verfügung gestellten Instanzen. Dabei kommt Art. 19 Abs. 4 GG u.a. die Aufgabe zu, irreparable Entscheidungen soweit als möglich auszuschließen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. September 1989 - 2 BvR 1576/88 - NJW 1990, 501; Beschluss vom 29. Oktober 1975 - 2 BvR 630/73 - BVerfGE 40, 272 <275>). Der Untergang der offenen Zuteilungsansprüche mit Ablauf der ersten Periode 2005 bis 2007 zeitigt keine irreparablen Folgen. Ob der geltend gemachte Anspruch auf Mehrzuteilung ihr zu Unrecht versagt worden ist, kann die Klägerin im Wege einer Fortsetzungsfeststellungsklage zur Überprüfung stellen (näher dazu unter 3.). Für den Ausgleich finanzieller Schäden steht ihr der Rechtsweg zu den Zivilgerichten offen. Überdies bestand die Möglichkeit, um einstweiligen Rechtsschutz etwa auf vorläufige Zuteilung zusätzlicher Berechtigungen nachzusuchen. Damit ist den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG Genüge getan.

46

3. Der im Revisionsverfahren hilfsweise gestellte Fortsetzungsfeststellungsantrag ist zulässig (a). Ob er auch begründet ist, kann im Revisionsverfahren nicht abschließend beurteilt werden (b).

47

a) In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO auf die Verpflichtungsklage analog anwendbar ist und der Übergang von der Verpflichtungsklage auf die Fortsetzungsfeststellungsklage bzw. die hilfsweise Erhebung einer Fortsetzungsfeststellungsklage im Revisionsverfahren keine nach § 142 Abs. 1 Satz 1 VwGO unzulässige Klageänderung darstellt (vgl. Urteile vom 15. Dezember 1993 - BVerwG 6 C 20.92 - BVerwGE 94, 352 <355> = Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 321 = juris Rn. 19 und vom 25. Juli 1985 - BVerwG 3 C 25.84 - LS 1= BVerwGE 72, 38 ff. = Buchholz 451.74 § 8 KHG Nr. 7).

48

Der Hilfsantrag ist auch im Übrigen statthaft, sofern man ihn - wie in der mündlichen Verhandlung erörtert - im Einverständnis mit der Klägerin dahingehend versteht, dass festgestellt werden soll, dass die Beklagte bis zum 30. April 2008 verpflichtet war, der Klägerin die begehrte Mehrzuteilung von Berechtigungen für das Kraftwerk Frimmersdorf zu gewähren und der Bescheid vom 16. Dezember 2004 und der Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 2005 rechtswidrig waren, soweit sie dem entgegenstanden. Wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung klargestellt hat, zielt ihr Hilfsantrag entgegen der missverständlichen Formulierung nicht darauf, festzustellen, dass der der Zuteilungsentscheidung zugrunde gelegte Kürzungsfaktor rechtswidrig war. Ein solcher Antrag wäre auch nicht statthaft, denn ein Fortsetzungsfeststellungsantrag nach Erledigung eines Verpflichtungsbegehrens kann nicht auf die Feststellung gerichtet werden, aus welchem Grund die Ablehnung des beantragten Verwaltungsakts rechtswidrig gewesen ist (Urteil vom 31. März 1987 - BVerwG 1 C 29.84 - BVerwGE 77, 164 ff. = Buchholz 130 § 9 RuStAG Nr. 5 = juris Rn. 26). Die Bezugnahme auf den Kürzungsfaktor im Hilfsantrag dient nach den klarstellenden Ausführungen der Klägerin vielmehr lediglich dazu, die nach ihrer Auffassung relevante Beurteilungsgrundlage für ihren Anspruch auf Mehrzuteilung inhaltlich näher zu umreißen, weil ihr eine Bezifferung ihres Antrags nicht möglich ist.

49

Das erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse für den Hilfsantrag liegt vor. Angesichts der Änderung der Zuteilungsregeln für die Periode 2008 bis 2012 ist allerdings zweifelhaft, ob es sich auf eine Wiederholungsgefahr stützen ließe. Es folgt aber jedenfalls daraus, dass ein Zivilprozess auf Entschädigung wegen enteignungsgleichem Eingriff nicht offensichtlich aussichtslos erscheint.

50

Im Hinblick auf einen etwaigen Schadensersatzprozess vor den Zivilgerichten gilt der Grundsatz, dass ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse dann besteht, wenn der Zivilprozess nicht offensichtlich aussichtslos ist. Von offensichtlicher Aussichtslosigkeit ist auszugehen, wenn ohne ins Einzelne gehende Prüfung erkennbar ist, dass der behauptete zivilrechtliche Anspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt besteht. Bezogen auf Amtshaftungsklagen ist das etwa dann der Fall, wenn ein Kollegialgericht das Verhalten eines Beamten als rechtmäßig gewertet hat und deshalb diesem gegenüber nicht der Vorwurf erhoben werden kann, er habe offensichtlich fehlsam gehandelt und damit schuldhaft eine ihm obliegende Amtspflicht verletzt. Dieser Grundsatz gilt ausnahmsweise dann nicht, wenn es sich bei dem beanstandeten Verhalten um eine grundsätzliche Maßnahme zentraler Dienststellen bei Anwendung eines ihnen besonders anvertrauten Spezialgesetzes handelt oder wenn das Gericht die Rechtslage trotz eindeutiger und klarer Vorschriften verkannt oder eine eindeutige Bestimmung handgreiflich falsch ausgelegt hat. Die Regel ist ferner unanwendbar, wenn besondere Umstände dafür sprechen, dass der verantwortliche Beamte es kraft seiner Stellung oder seiner besonderen Einsichten "besser" als das Kollegialgericht hätte wissen müssen (Urteil vom 30. Juni 2004 - BVerwG 4 C 1.03 - BVerwGE 121, 169 ff. = Buchholz 406.11 § 172 BauGB Nr. 3 = juris Rn. 21).

51

Ob daran gemessen und unter Berücksichtigung der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss vom 10. Dezember 2009 (a.a.O.) ein Amtshaftungsprozess offensichtlich aussichtslos wäre, kann offenbleiben. Jedenfalls auf die beabsichtigte Klage auf Entschädigung wegen eines enteignungsgleichen Eingriffs trifft dies nicht zu.

52

Der - verschuldensunabhängige - Entschädigungsanspruch aus enteignungsgleichem Eingriff kann neben einen Amtshaftungsanspruch treten. Er setzt voraus, dass rechtswidrig in eine durch Art. 14 GG geschützte Rechtsposition von hoher Hand unmittelbar eingegriffen wird, die hoheitliche Maßnahme also unmittelbar eine Beeinträchtigung des Eigentums herbeiführt, und dem Berechtigten dadurch ein besonderes, anderen nicht zugemutetes Opfer für die Allgemeinheit auferlegt wird (BGH, Urteil vom 12. Juli 2001 - III ZR 282/00 - DVBl 2001, 1619, 1621). Dass diese Voraussetzungen vorliegen, erscheint nicht offensichtlich ausgeschlossen. Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Emissionsbefugnis dem Eigentum an den körperlichen Gegenständen der Anlage oder dem Unternehmen in seiner genehmigten Ausprägung zuzuordnen (Urteil vom 30. Juni 2005 - BVerwG 7 C 26.04 - BVerwGE 124, 47 <59 f.> = Buchholz 451.91 EuropUmweltR Nr. 19 Rn. 34). Das rechtswidrige Vorenthalten von Emissionsberechtigungen stellt daher eine Beeinträchtigung des aus der eigentumsrechtlich geschützten Anlage bzw. dem eigentumsrechtlich geschützten Gewerbebetrieb folgenden Nutzungsrechts dar. Als Eingriffsakte kommen sowohl der Erlass des § 6 Abs. 6 ZuV 2007 als auch die Ablehnung der begehrten Mehrzuteilung in Betracht. Auch die Allgemeinwohlbezogenheit des Treibhausgas-Emissionshandels begegnet keinen Bedenken. Zudem erscheint der Anspruch weder wegen Subsidiarität noch in Ermangelung eines Schadens als offensichtlich ausgeschlossen. Die Klägerin hat um Primärrechtsschutz nachgesucht und nach eigener Darstellung die fehlenden Berechtigungen am Markt zukaufen müssen. Alles Weitere ist den Zivilgerichten zu überlassen (Urteil vom 30. Juni 2004 - BVerwG 4 C 1.03 - a.a.O. Rn. 24, 25).

53

b) Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist begründet, wenn die Klägerin bei Eintritt des erledigenden Ereignisses, d.h. bei Ablauf der ersten Zuteilungsperiode 2005 bis 2007, einen Anspruch auf Mehrzuteilung von Berechtigungen hatte, der Zuteilungsbescheid vom 16. Dezember 2004 und der Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 2005 mithin rechtswidrig waren und die Klägerin in ihren Rechten verletzten. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, kann der Senat im Revisionsverfahren nicht abschließend klären.

54

Die Frage, ob die Klägerin einen Anspruch auf Mehrzuteilung hatte, kann nur auf der Grundlage einer Neuberechnung des Kürzungsfaktors beantwortet werden. Die Beklagte hat eine solche Neuberechnung im Revisionsverfahren vorgenommen. Diese ist aber von der Klägerin mit substantiierten Einwendungen als fehlerhaft angegriffen worden. Streitig - und nicht im Revisionsverfahren zu ermitteln - ist u.a., wie viele Anlagen von der Nichtigkeit des § 6 Abs. 6 ZuV 2007 betroffen sind. Schon dies nötigt zur Zurückverweisung an die Vorinstanz.

55

Bei der Neuberechnung des Kürzungsfaktors ist nicht nur die sich zugunsten der Klägerin auswirkende Nichtigkeit des § 6 Abs. 6 ZuV 2007 zu berücksichtigen. Zu den generellen, bei der Prognose über die Zuteilungsmenge zu beachtenden Regeln gehört vielmehr auch, dass Zuteilungen an Optionsanlagen nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 16. Oktober 2007 - BVerwG 7 C 6.07 - BVerwGE 129, 346 ff. = Buchholz 406.253 § 7 ZuG 2007 Nr. 1 = juris Rn. 23) keiner anteiligen Kürzung unterliegen. Die Auffassung der Klägerin, dass - sofern bei der Korrektur des Kürzungsfaktors überhaupt eine Saldierung zulässig sei - als Saldierungsposten nur solche Zuteilungen nach § 7 Abs. 12 ZuG 2007 eingestellt werden dürfen, die die Beklagte auch tatsächlich korrigiert hat, ist unzutreffend. Im Rahmen der Neuberechnung des Kürzungsfaktors geht es nicht darum, alle Korrekturen individueller Zuteilungsbescheide einfließen zu lassen, sondern nur darum, die generellen Zuteilungsregeln bei der Prognoseerstellung nachträglich ordnungsgemäß anzuwenden. Vor diesem Hintergrund gehen auch die Hinweise der Klägerin auf das gesonderte Budget für die (konkreten) Korrekturen der Zuteilungen an die Optionsanlagen und die fehlende Berücksichtigung der ex-post-Korrekturen fehl. Der Sache nach zielt dieses Vorbringen auf einen Ausgleich zurückfließender Berechtigungen durch nachträgliche Korrekturen. Dem hat der Senat schon in seinem vom Urteil vom 16. Oktober 2007 (a.a.O. Rn. 47 ff.) eine Absage erteilt.

56

Ob und inwieweit bei der Neuberechnung noch weitere, im Verfahren bisher nicht erörterte Umstände relevant sein können, die ebenfalls dem Bereich der generellen Zuteilungsregeln zuzuordnen sind, kann der Senat nicht abschließend beurteilen und muss der rechtlichen Würdigung durch das Oberverwaltungsgericht vorbehalten bleiben.

Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen können nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Dies gilt nicht, wenn behördliche Verfahrenshandlungen vollstreckt werden können oder gegen einen Nichtbeteiligten ergehen.

(1) Beantragt der Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland berechtigt oder berechtigt hat, die Erteilung einer Fahrerlaubnis für die entsprechende Klasse von Kraftfahrzeugen, sind folgende Vorschriften nicht anzuwenden:

1.
§ 11 Absatz 9 über die ärztliche Untersuchung und § 12 Absatz 6 über die Untersuchung des Sehvermögens, es sei denn, dass in entsprechender Anwendung der Regelungen in den §§ 23 und 24 eine Untersuchung erforderlich ist,
2.
§ 12 Absatz 2 über den Sehtest,
3.
§ 15 über die Befähigungsprüfung,
4.
§ 19 über die Schulung in Erster Hilfe,
5.
die Vorschriften über die Ausbildung.
Für die Berechtigung zum Führen von Fahrzeugen der Klassen AM, L und T gilt § 6 Absatz 3 entsprechend. Ist die ausländische Fahrerlaubnis auf das Führen von Kraftfahrzeugen ohne Kupplungspedal oder im Falle von Fahrzeugen der Klassen A, A1 oder A2 ohne Schalthebel beschränkt, ist die Fahrerlaubnis auf das Führen derartiger Fahrzeuge zu beschränken. § 17a Absatz 1 und 2 ist entsprechend anzuwenden.

(2) Läuft die Geltungsdauer einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis der Klassen AM, A1, A2, A, B, BE oder B1, die zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland berechtigt hat, nach Begründung des ordentlichen Wohnsitzes in der Bundesrepublik Deutschland ab, findet Absatz 1 entsprechend Anwendung; handelt es sich um eine Fahrerlaubnis der Klassen C oder D oder einer Unter- oder Anhängerklasse, wird die deutsche Fahrerlaubnis in entsprechender Anwendung von § 24 Absatz 2 erteilt. Satz 1 findet auch Anwendung, wenn die Geltungsdauer bereits vor Begründung des ordentlichen Wohnsitzes abgelaufen ist. In diesem Fall hat die Fahrerlaubnisbehörde jedoch eine Auskunft nach § 22 Absatz 2 Satz 3 einzuholen, die sich auch darauf erstreckt, warum die Fahrerlaubnis nicht vor der Verlegung des ordentlichen Wohnsitzes in die Bundesrepublik Deutschland verlängert worden ist.

(3) Der Führerschein ist nur gegen Abgabe des ausländischen Führerscheins auszuhändigen. Außerdem hat der Antragsteller sämtliche weitere Führerscheine abzuliefern, soweit sie sich auf die EU- oder EWR-Fahrerlaubnis beziehen, die Grundlage der Erteilung der entsprechenden deutschen Fahrerlaubnis ist. Die Fahrerlaubnisbehörde sendet die Führerscheine unter Angabe der Gründe über das Kraftfahrt-Bundesamt an die Behörde zurück, die sie jeweils ausgestellt hatte.

(4) Auf dem Führerschein ist in Feld 10 der Tag zu vermerken, an dem die ausländische Fahrerlaubnis für die betreffende Klasse erteilt worden war. Auf dem Führerschein ist zu vermerken, dass der Erteilung der Fahrerlaubnis eine Fahrerlaubnis zugrunde gelegen hat, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum ausgestellt worden war.

(5) Absatz 3 gilt nicht für entsandte Mitglieder fremder diplomatischer Missionen im Sinne des Artikels 1 Buchstabe b des Wiener Übereinkommens vom 18. April 1961 über diplomatische Beziehungen (BGBl. 1964 II S. 957) in der jeweils geltenden Fassung und entsandte Mitglieder berufskonsularischer Vertretungen im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 Buchstabe g des Wiener Übereinkommens vom 24. April 1963 über konsularische Beziehungen (BGBl. 1969 II S. 1585) in der jeweils geltenden Fassung sowie die zu ihrem Haushalt gehörenden Familienmitglieder.

(1) Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinne des § 7 Absatz 1 oder 2 in der Bundesrepublik Deutschland haben, dürfen – vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Absätzen 2 bis 4 – im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. Auflagen zur ausländischen Fahrerlaubnis sind auch im Inland zu beachten. Auf die Fahrerlaubnisse finden die Vorschriften dieser Verordnung Anwendung, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(2) Der Umfang der Berechtigung der jeweiligen Fahrerlaubnisklassen ergibt sich aus dem Beschluss (EU) 2016/1945 der Kommission vom 14. Oktober 2016 über Äquivalenzen zwischen Führerscheinklassen (ABl. L 302 vom 9.11.2016, S. 62). Die Berechtigung nach Absatz 1 gilt nicht für Fahrerlaubnisklassen, für die die Entscheidung der Kommission keine entsprechenden Klassen ausweist. Für die Berechtigung zum Führen von Fahrzeugen der Klassen L und T gilt § 6 Absatz 3 entsprechend.

(3) Die Vorschriften über die Geltungsdauer von Fahrerlaubnissen der Klassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE und D1E in § 23 Absatz 1 gelten auch für die entsprechenden EU- und EWR-Fahrerlaubnisse. Grundlage für die Berechnung der Geltungsdauer ist das Datum der Erteilung der ausländischen Fahrerlaubnis. Wäre danach eine solche Fahrerlaubnis ab dem Zeitpunkt der Verlegung des ordentlichen Wohnsitzes in die Bundesrepublik Deutschland nicht mehr gültig, weil seit der Erteilung mehr als fünf Jahre verstrichen sind, besteht die Berechtigung nach Absatz 1 Satz 1 noch sechs Monate, gerechnet von der Begründung des ordentlichen Wohnsitzes im Inland an. Für die Erteilung einer deutschen Fahrerlaubnis ist § 30 in Verbindung mit § 24 Absatz 1 entsprechend anzuwenden.

(4) Die Berechtigung nach Absatz 1 gilt nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis,

1.
die lediglich im Besitz eines Lernführerscheins oder eines anderen vorläufig ausgestellten Führerscheins sind,
2.
die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten, es sei denn, dass sie als Studierende oder Schüler im Sinne des § 7 Absatz 2 die Fahrerlaubnis während eines mindestens sechsmonatigen Aufenthalts erworben haben,
3.
denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder sofort vollziehbar oder bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden ist, denen die Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt worden ist oder denen die Fahrerlaubnis nur deshalb nicht entzogen worden ist, weil sie zwischenzeitlich auf die Fahrerlaubnis verzichtet haben,
4.
denen auf Grund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung keine Fahrerlaubnis erteilt werden darf,
5.
solange sie im Inland, in dem Staat, der die Fahrerlaubnis erteilt hatte, oder in dem Staat, in dem sie ihren ordentlichen Wohnsitz haben, einem Fahrverbot unterliegen oder der Führerschein nach § 94 der Strafprozessordnung beschlagnahmt, sichergestellt oder in Verwahrung genommen ist,
6.
die zum Zeitpunkt des Erwerbs der ausländischen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis Inhaber einer deutschen Fahrerlaubnis waren,
7.
deren Fahrerlaubnis aufgrund einer Fahrerlaubnis eines Drittstaates, der nicht in der Anlage 11 aufgeführt ist, prüfungsfrei umgetauscht worden ist, oder deren Fahrerlaubnis aufgrund eines gefälschten Führerscheins eines Drittstaates erteilt wurde,
8.
die zum Zeitpunkt der Erteilung einer Fahrerlaubnis eines Drittstaates, die in eine ausländische EU- oder EWR-Fahrerlaubnis umgetauscht worden ist, oder zum Zeitpunkt der Erteilung der EU- oder EWR-Fahrerlaubnis auf Grund einer Fahrerlaubnis eines Drittstaates ihren Wohnsitz im Inland hatten, es sei denn, dass sie die ausländische Erlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeuges als Studierende oder Schüler im Sinne des § 7 Absatz 2 in eine ausländische EU- oder EWR-Fahrerlaubnis während eines mindestens sechsmonatigen Aufenthalts umgetauscht haben, oder
9.
die den Vorbesitz einer anderen Klasse voraussetzt, wenn die Fahrerlaubnis dieser Klasse nach den Nummern 1 bis 8 im Inland nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen berechtigt.
In den Fällen des Satzes 1 kann die Behörde einen feststellenden Verwaltungsakt über die fehlende Berechtigung erlassen. Satz 1 Nummer 3 und 4 ist nur anzuwenden, wenn die dort genannten Maßnahmen im Fahreignungsregister eingetragen und nicht nach § 29 des Straßenverkehrsgesetzes getilgt sind. Satz 1 Nummer 9 gilt auch, wenn sich das Fehlen der Berechtigung nicht unmittelbar aus dem Führerschein ergibt.

(5) Das Recht, von einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis nach einer der in Absatz 4 Nummer 3 und 4 genannten Entscheidungen im Inland Gebrauch zu machen, wird auf Antrag erteilt, wenn die Gründe für die Entziehung oder die Sperre nicht mehr bestehen. Absatz 4 Satz 3 sowie § 20 Absatz 1 und 3 gelten entsprechend.

(1) Der Bewerber um eine Fahrerlaubnis hat seine Befähigung in einer theoretischen und einer praktischen Prüfung nachzuweisen.

(2) Beim Erwerb einer Fahrerlaubnis der Klasse L bedarf es nur einer theoretischen, bei der Erweiterung der Klasse B auf die Klasse BE, der Klasse C1 auf die Klasse C1E, der Klasse D auf die Klasse DE und der Klasse D1 auf die Klasse D1E bedarf es jeweils nur einer praktischen Prüfung.

(3) Bei der Erweiterung der Klasse A1 auf Klasse A2 oder der Klasse A2 auf Klasse A bedarf es jeweils nur einer praktischen Prüfung, soweit der Bewerber zum Zeitpunkt der Erteilung der jeweiligen Fahrerlaubnis für

1.
die Fahrerlaubnis der Klasse A2 seit mindestens zwei Jahren Inhaber der Fahrerlaubnis der Klasse A1 und
2.
die Fahrerlaubnis der Klasse A seit mindestens zwei Jahren Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klasse A2
ist (Aufstieg). Die Vorschriften über die Ausbildung sind nicht anzuwenden. Satz 1 gilt nicht für eine Fahrerlaubnis der Klasse A1, die unter Verwendung der Schlüsselzahl 79.03 oder 79.04 erteilt worden ist.

(4) Bewerber um eine Fahrerlaubnis der Klasse A2, die nach Maßgabe des § 6 Absatz 6 in Verbindung mit Anlage 3 Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klasse A1 sind, wird die Fahrerlaubnis der Klasse A2 unter der Voraussetzung erteilt, dass sie ihre Befähigung in einer praktischen Prüfung nachgewiesen haben (Aufstieg). Die Vorschriften über die Ausbildung sind nicht anzuwenden. Satz 1 gilt nicht für eine Fahrerlaubnis der Klasse A1, die unter Verwendung der Schlüsselzahl 79.03 oder 79.04 erteilt worden ist.

(5) Die Prüfungen werden von einem amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfer für den Kraftfahrzeugverkehr abgenommen.

(1) Für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung oder nach vorangegangenem Verzicht gelten die Vorschriften für die Ersterteilung. § 15 findet vorbehaltlich des Absatzes 2 keine Anwendung.

(2) Die Fahrerlaubnisbehörde ordnet eine Fahrerlaubnisprüfung an, wenn Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Bewerber die nach § 16 Absatz 1 und § 17 Absatz 1 erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt.

(3) Unberührt bleibt die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung nach § 11 Absatz 3 Satz 1 Nummer 9.

(4) Die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung kann frühestens sechs Monate vor Ablauf einer Sperre

1.
nach § 2a Absatz 5 Satz 3 oder § 4 Absatz 10 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes oder
2.
nach § 69 Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit § 69a Absatz 1 Satz 1 oder § 69a Absatz 1 Satz 3 in Verbindung mit Satz 1 des Strafgesetzbuches
bei der nach Landesrecht zuständigen Behörde beantragt werden.

(1) Der Bewerber um eine Fahrerlaubnis hat seine Befähigung in einer theoretischen und einer praktischen Prüfung nachzuweisen.

(2) Beim Erwerb einer Fahrerlaubnis der Klasse L bedarf es nur einer theoretischen, bei der Erweiterung der Klasse B auf die Klasse BE, der Klasse C1 auf die Klasse C1E, der Klasse D auf die Klasse DE und der Klasse D1 auf die Klasse D1E bedarf es jeweils nur einer praktischen Prüfung.

(3) Bei der Erweiterung der Klasse A1 auf Klasse A2 oder der Klasse A2 auf Klasse A bedarf es jeweils nur einer praktischen Prüfung, soweit der Bewerber zum Zeitpunkt der Erteilung der jeweiligen Fahrerlaubnis für

1.
die Fahrerlaubnis der Klasse A2 seit mindestens zwei Jahren Inhaber der Fahrerlaubnis der Klasse A1 und
2.
die Fahrerlaubnis der Klasse A seit mindestens zwei Jahren Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klasse A2
ist (Aufstieg). Die Vorschriften über die Ausbildung sind nicht anzuwenden. Satz 1 gilt nicht für eine Fahrerlaubnis der Klasse A1, die unter Verwendung der Schlüsselzahl 79.03 oder 79.04 erteilt worden ist.

(4) Bewerber um eine Fahrerlaubnis der Klasse A2, die nach Maßgabe des § 6 Absatz 6 in Verbindung mit Anlage 3 Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klasse A1 sind, wird die Fahrerlaubnis der Klasse A2 unter der Voraussetzung erteilt, dass sie ihre Befähigung in einer praktischen Prüfung nachgewiesen haben (Aufstieg). Die Vorschriften über die Ausbildung sind nicht anzuwenden. Satz 1 gilt nicht für eine Fahrerlaubnis der Klasse A1, die unter Verwendung der Schlüsselzahl 79.03 oder 79.04 erteilt worden ist.

(5) Die Prüfungen werden von einem amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfer für den Kraftfahrzeugverkehr abgenommen.

(1) Für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung oder nach vorangegangenem Verzicht gelten die Vorschriften für die Ersterteilung. § 15 findet vorbehaltlich des Absatzes 2 keine Anwendung.

(2) Die Fahrerlaubnisbehörde ordnet eine Fahrerlaubnisprüfung an, wenn Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Bewerber die nach § 16 Absatz 1 und § 17 Absatz 1 erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt.

(3) Unberührt bleibt die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung nach § 11 Absatz 3 Satz 1 Nummer 9.

(4) Die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung kann frühestens sechs Monate vor Ablauf einer Sperre

1.
nach § 2a Absatz 5 Satz 3 oder § 4 Absatz 10 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes oder
2.
nach § 69 Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit § 69a Absatz 1 Satz 1 oder § 69a Absatz 1 Satz 3 in Verbindung mit Satz 1 des Strafgesetzbuches
bei der nach Landesrecht zuständigen Behörde beantragt werden.

(1) Der Bewerber um eine Fahrerlaubnis hat seine Befähigung in einer theoretischen und einer praktischen Prüfung nachzuweisen.

(2) Beim Erwerb einer Fahrerlaubnis der Klasse L bedarf es nur einer theoretischen, bei der Erweiterung der Klasse B auf die Klasse BE, der Klasse C1 auf die Klasse C1E, der Klasse D auf die Klasse DE und der Klasse D1 auf die Klasse D1E bedarf es jeweils nur einer praktischen Prüfung.

(3) Bei der Erweiterung der Klasse A1 auf Klasse A2 oder der Klasse A2 auf Klasse A bedarf es jeweils nur einer praktischen Prüfung, soweit der Bewerber zum Zeitpunkt der Erteilung der jeweiligen Fahrerlaubnis für

1.
die Fahrerlaubnis der Klasse A2 seit mindestens zwei Jahren Inhaber der Fahrerlaubnis der Klasse A1 und
2.
die Fahrerlaubnis der Klasse A seit mindestens zwei Jahren Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klasse A2
ist (Aufstieg). Die Vorschriften über die Ausbildung sind nicht anzuwenden. Satz 1 gilt nicht für eine Fahrerlaubnis der Klasse A1, die unter Verwendung der Schlüsselzahl 79.03 oder 79.04 erteilt worden ist.

(4) Bewerber um eine Fahrerlaubnis der Klasse A2, die nach Maßgabe des § 6 Absatz 6 in Verbindung mit Anlage 3 Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klasse A1 sind, wird die Fahrerlaubnis der Klasse A2 unter der Voraussetzung erteilt, dass sie ihre Befähigung in einer praktischen Prüfung nachgewiesen haben (Aufstieg). Die Vorschriften über die Ausbildung sind nicht anzuwenden. Satz 1 gilt nicht für eine Fahrerlaubnis der Klasse A1, die unter Verwendung der Schlüsselzahl 79.03 oder 79.04 erteilt worden ist.

(5) Die Prüfungen werden von einem amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfer für den Kraftfahrzeugverkehr abgenommen.

(1) Für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung oder nach vorangegangenem Verzicht gelten die Vorschriften für die Ersterteilung. § 15 findet vorbehaltlich des Absatzes 2 keine Anwendung.

(2) Die Fahrerlaubnisbehörde ordnet eine Fahrerlaubnisprüfung an, wenn Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Bewerber die nach § 16 Absatz 1 und § 17 Absatz 1 erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt.

(3) Unberührt bleibt die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung nach § 11 Absatz 3 Satz 1 Nummer 9.

(4) Die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung kann frühestens sechs Monate vor Ablauf einer Sperre

1.
nach § 2a Absatz 5 Satz 3 oder § 4 Absatz 10 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes oder
2.
nach § 69 Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit § 69a Absatz 1 Satz 1 oder § 69a Absatz 1 Satz 3 in Verbindung mit Satz 1 des Strafgesetzbuches
bei der nach Landesrecht zuständigen Behörde beantragt werden.

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein im Jahre 1966 geborener türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine unbefristete Ausweisung.

2

Der Kläger kam nach Heirat einer türkischen Staatsangehörigen 1991 im Wege des Ehegattennachzugs nach Deutschland. Aus der Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen, eine 1993 geborene Tochter und ein 2002 geborener Sohn. 1996 erhielt der Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die 2007 als Niederlassungserlaubnis in seinen Reisepass übertragen wurde.

3

2003 verlor der Kläger durch Konkurs des Arbeitgebers nach zwölf Jahren ununterbrochener Beschäftigung als Lagerarbeiter und Maschinenführer seinen Arbeitsplatz. Danach gelang es ihm nicht, erneut eine dauerhafte Beschäftigung zu finden. Im Mai 2003 wurde die Ehe geschieden. Nach einer Versöhnung lebte der Kläger vorübergehend wieder mit seiner Familie zusammen. Im Mai 2008 kam es zur endgültigen Trennung.

4

Dies führte beim Kläger zu psychischen Problemen. Er steigerte sich in die Vorstellung hinein, seine geschiedene Frau sei für sein Schicksal verantwortlich, kümmere sich nicht um die gemeinsamen Kinder und versuche, den Kontakt mit diesen zu verhindern. Diese Negativentwicklung gipfelte darin, dass er am 14. Dezember 2008 gegen 23.30 Uhr in die frühere Familienwohnung eindrang. Dabei führte er eine Rolle Klebeband, zwei Messer und einen Brief mit sich, in dem er ankündigte, sich und seine Kinder zu töten. In der Wohnung traf er auf seine Frau, schlug ihr mehrfach heftig ins Gesicht und drohte ihr mit der Tötung der Kinder. Durch das Eingreifen einer Freundin der Frau gelang es, die Situation bis zum Eintreffen der Polizei zu entspannen. Bei seiner Festnahme drohte der Kläger, seine frühere Ehefrau umzubringen. Er wurde in Untersuchungshaft genommen und mit Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 23. März 2009 wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung, Nötigung und Hausfriedensbruch zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, die wegen der Gefahr neuer Straftaten zum Nachteil der Familie nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde.

5

Mit Bescheid vom 27. Juli 2009 wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Kläger aus und drohte ihm die Abschiebung unmittelbar aus der Haft heraus in die Türkei an. Zur Begründung wurde ausgeführt, vom Kläger gehe eine massive Gefahr für die öffentliche Sicherheit aus. Seine unbefristete Ausweisung sei daher auch bei einer zu seinen Gunsten unterstellten Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 gerechtfertigt. Hiergegen erhob der Kläger Klage. Während des Klageverfahrens wurde die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe vom Landgericht Stuttgart im Dezember 2009 zur Bewährung ausgesetzt und der Kläger aus der Haft entlassen. Daraufhin setzte das Regierungspräsidium dem Kläger mit Bescheid vom 16. Dezember 2009 eine Ausreisefrist bis 17. Januar 2010. Diese Änderung wurde im Wege der Klageerweiterung in das Klageverfahren einbezogen.

6

Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil vom 17. Dezember 2010 stattgegeben und die angegriffenen Bescheide aufgehoben. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat nach Ablehnung eines Antrags des Beklagten auf Einholung eines fachpsychiatrischen Gutachtens dessen Berufung mit Urteil vom 9. August 2011 zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Der Kläger besitze jedenfalls nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 eine assoziationsrechtliche Rechtsstellung. Er dürfe daher nach § 55 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 ARB 1 /80 nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Dabei gelte entgegen der Annahme des Bundesverwaltungsgerichts nicht ein differenzierter, mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Maßgeblich sei allein der jeweilige Einzelfall, der eine umfassende Würdigung aller wesentlichen Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Betroffenen erfordere. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe gehe vom Kläger gegenwärtig keine Wiederholungsgefahr aus. Der Einholung eines Gutachtens habe es nicht bedurft. Es lägen keine besonderen tat- oder persönlichkeitsbezogenen Umstände vor, aufgrund derer die Gefahrenprognose nicht ohne spezielle Sachkunde getroffen werden könne. Mehr als anderthalb Jahre nach der Strafaussetzung zur Bewährung und unter Berücksichtigung des zwischenzeitlichen Verhaltens des Klägers sowie der recht spezifischen Umstände, die im Dezember 2008 zur Straftat geführt hätten, bestünden keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger erneut vergleichbare Straftaten insbesondere zum Nachteil seiner geschiedenen Ehefrau oder seiner Kinder begehen werde. Die vom Beklagten (hilfsweise) begehrte Aufhebung der Ausweisung mit Wirkung ex nunc - primär um ein Wiederaufleben der Niederlassungserlaubnis des Klägers zu verhindern - komme nicht in Betracht. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO lasse sowohl eine Aufhebung ex tunc als auch ex nunc zu. Auch § 84 Abs. 2 AufenthG sei zu dieser Frage keine klare Entscheidung zu entnehmen. Gegen eine zeitliche begrenzte Aufhebung der Ausweisungsverfügung sprächen vor allem die europa- und verfassungsrechtlichen Vorgaben, die für die Zeitpunktverschiebung im Ausweisungsrecht maßgebend gewesen seien, aber auch pragmatische Gründe, da das Gericht den genauen Stichtag - etwa des Wegfalls der Wiederholungsgefahr - regelmäßig nur schwer ermitteln könne. Möglich dürfte allein die Feststellung sein, dass die Ausweisung zu einem bestimmten Zeitpunkt rechtswidrig oder rechtmäßig gewesen sei. Insoweit könne der Ausländerbehörde eventuell mittels eines Feststellungsausspruchs analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO geholfen werden, der ggf. auch im Wege der Widerklage oder Anschlussberufung durchsetzbar sei. Einen solchen Antrag habe der Beklagte nicht gestellt. Da der Aufenthalt nicht beendet worden sei, fehle es auch an einem besonderen Feststellungsinteresse.

7

Der Beklagte rügt mit der Revision eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör wegen der Ablehnung seines Beweisantrags. Außerdem ist er der Auffassung, dass eine Ausweisung nach Wegfall der Wiederholungsgefahr im gerichtlichen Verfahren nur mit Wirkung ex nunc aufgehoben werden dürfe.

8

Der Kläger verteidigt die angegriffene Entscheidung, hilfsweise begehrt er eine Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung mit sofortiger Wirkung.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist zulässig und begründet. Die Verfahrensrüge des Beklagten greift durch. Das Berufungsgericht hat den vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag auf Einholung eines fachpsychiatrischen Gutachtens unter Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) abgelehnt. Der Beweisantrag zielte auf die Aufklärung der Tatsache, ob der Kläger die psychische Situation und die Denk- und Wahrnehmungsmuster, die dem Verfassen des Abschiedsbriefs vom 14. Dezember 2008 und der abgeurteilten Straftat von demselben Tag zugrunde liegen, so weit überwunden hat, dass von ihm keine Gefahr weiterer vergleichbarer Straftaten gegen seine geschiedene Frau und seine Kinder mehr ausgeht. Da das Berufungsurteil auf diesem Verfahrensmangel beruht, ist es schon deshalb aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

10

1. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Als Prozessgrundrecht soll es sicherstellen, dass die gerichtliche Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme oder Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG es, dass das Gericht einem Beweisangebot nachgeht, wenn die unter Beweis gestellte Tatsachenbehauptung nach seinem Rechtsstandpunkt erheblich ist und die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots im Prozessrecht keine Stütze findet (stRspr, vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. Januar 2001 - 1 BvR 2075/98 - NJW-RR 2001, 1006 m.w.N.).

11

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können die Tatsacheninstanzen einen Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens im Allgemeinen nach tatrichterlichem Ermessen gemäß § 98 VwGO in entsprechender Anwendung des § 412 ZPO oder mit dem Hinweis auf die eigene Sachkunde verfahrensfehlerfrei ablehnen. Das Tatsachengericht muss seine Entscheidung für die Beteiligten und das Rechtsmittelgericht aber nachvollziehbar begründen und ggf. angeben, woher es seine Sachkunde hat. Wie konkret der Hinweis auf die eigene Sachkunde des Gerichts zu sein hat, hängt dabei von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. Beschluss vom 27. Februar 2001 - BVerwG 1 B 206.00 - Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 46 m.w.N.). Die Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens ist hingegen verfahrensfehlerhaft, wenn das Gericht für sich eine ihm nicht zur Verfügung stehende Sachkunde in Anspruch nimmt oder sich in einer Frage für sachkundig hält, in der seine Sachkunde ernstlich zweifelhaft ist, ohne dass es überzeugend darlegt, weshalb ihm die erforderliche Sachkunde zur Verfügung steht, oder wenn sonst seine Entscheidung auf mangelnde Sachkunde schließen lässt (Beschluss vom 24. November 1997 - BVerwG 1 B 224.97 - juris Rn. 6 m.w.N.).

12

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist weiter geklärt, dass bei der gerichtlichen Überprüfung der Ausweisung eines strafgerichtlich verurteilten Ausländers hinsichtlich der gebotenen Gefahrenprognose nicht allein auf das Strafurteil und die diesem zugrunde liegende Straftat, sondern auf die Gesamtpersönlichkeit abzustellen ist und dabei auch nachträgliche Entwicklungen einzubeziehen sind. Bei dieser Prognoseentscheidung bewegt sich das Gericht regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die dem Richter allgemein zugänglich sind. Der Hinzuziehung eines Sachverständigen bedarf es nur ausnahmsweise, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände - etwa bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen - nicht ohne spezielle, dem Gericht nicht zur Verfügung stehende fachliche Kenntnisse erstellt werden kann (vgl. Beschlüsse vom 4. Mai 1990 - BVerwG 1 B 82.89 - Buchholz 402.24 § 10 AuslG Nr. 124 und vom 14. März 1997 - BVerwG 1 B 63.97 - Buchholz 402.240 § 45 AuslG 1990 Nr. 10 m.w.N.).

13

Von einem derartigen Sonderfall ist vorliegend auszugehen. Aufgrund der beim Kläger anlässlich der endgültigen Trennung von seiner geschiedenen Ehefrau aufgetretenen massiven psychischen Probleme, die letztlich zu der Tat vom Dezember 2008 und den ernst zu nehmenden Todesdrohungen gegen seine geschiedene Ehefrau und die gemeinsamen Kinder geführt haben, liegen Hinweise dafür vor, dass die Persönlichkeit des Klägers nicht allein auf der Grundlage allgemeiner Lebenserfahrung zutreffend beurteilt werden kann. Vielmehr bedarf es hierfür - ungeachtet des zwischenzeitlichen Verhaltens des Klägers - einer speziellen, einem Laien regelmäßig nicht zur Verfügung stehenden medizinischen Sachkunde. Dies gilt umso mehr, als die Hintergründe der Tat im Strafverfahren weitgehend im Dunkeln geblieben sind und der Kläger ausweislich der im Berufungsverfahren vorgelegten Bescheinigung der ihn behandelnden Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie vom 28. Juli 2011 in den zehn seit seiner Entlassung durchgeführten therapeutischen Sitzungen wenig offen für das Aufarbeiten von Vergangenem war und - hierauf angesprochen - Gefühle von Kränkung und Wut zeigte.

14

Den Ausführungen des Berufungsgerichts ist nicht zu entnehmen, dass es selbst über die erforderliche Sachkunde für das Erfassen und Bewerten eines nach der Vorgeschichte nicht auszuschließenden psychisch krankhaften Verhaltens des Klägers verfügt. Insoweit kann es sich insbesondere nicht auf die ihm vorgelegte ärztliche Bescheinigung stützen. In dieser wird eine Anpassungsstörung mit gemischter Störung von Gefühlen und Sozialverhalten diagnostiziert. Zur Frage der (fortbestehenden) Gefährlichkeit des Klägers enthält die Bescheinigung keine abschließende Aussage, sondern nur den Hinweis, dass innerhalb der Behandlungsgespräche zu keinem Zeitpunkt selbst- oder fremdgefährdende Einstellungen oder Verhaltensweisen aufgefallen seien. Auch das unauffällige Verhalten des Klägers seit seiner Freilassung, die im Wesentlichen positiven Stellungnahmen der ihn betreuenden sozialen Einrichtungen und das Einhalten der Bewährungsauflagen, insbesondere das Beachten des Kontaktverbots zu seiner geschiedenen Ehefrau und den Kindern, ändern nichts daran, dass eine zuverlässige Würdigung der klägerischen Persönlichkeit im Rahmen der dem Gericht obliegenden Prognoseentscheidung nach den in der Vergangenheit gezeigten psychischen Auffälligkeiten einer besonderen Sachkunde bedarf. Damit findet die Ablehnung des Beweisantrags des Beklagten im Prozessrecht keine Stütze. Das Verfahren ist schon deshalb wegen Verstoßes gegen das Recht auf rechtliches Gehör an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

15

2. Für das erneute Berufungsverfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

16

2.1 Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung und der vom Kläger erstmals im Revisionsverfahren hilfsweise begehrten Befristung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (stRspr, vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE vorgesehen - Rn. 12 m.w.N.).

17

2.2 Die angefochtene Ausweisung findet ihre Rechtsgrundlage in § 55 Abs. 1, § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ANBA 1981, 4) - ARB 1/80 -. Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger jedenfalls als türkischer Arbeitnehmer nach Art. 6 Abs. 1 Spiegelstrich 3 ARB 1/80 ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht erworben hat. Dieses geht nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union - EuGH - nicht durch eine ihrer Natur nach vorübergehende Abwesenheit vom Arbeitsmarkt, etwa infolge unfreiwilliger Arbeitslosigkeit oder Verbüßung einer Freiheitsstrafe, verloren (EuGH, Urteil vom 7. Juli 2005 - Rs. C-383/03, Dogan - Slg. 2005 I-6237 Rn. 19 und 22). Der Kläger kann daher nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2012, 422). Zur Bestimmung der Bedeutung und der Tragweite des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 hat der EuGH in der Vergangenheit auf die Richtlinie 64/221/EWG abgestellt. Nachdem diese Richtlinie inzwischen durch die Richtlinie 2004/38/EG - Unionsbürgerrichtlinie - aufgehoben wurde, gilt für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige nunmehr ein anderer unionsrechtlicher Bezugsrahmen. Dieser wird für einen Ausländer, der sich - wie der Kläger - seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat aufhält, mangels günstigerer Vorschriften im Assoziationsrecht EWG-Türkei durch Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG - Daueraufenthaltsrichtlinie - gebildet, die eine Vorschrift zum Mindestschutz vor Ausweisungen von Drittstaatsangehörigen darstellt, die in einem Mitgliedstaat die Rechtsstellung von langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzen (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 79; zu den Anforderungen an die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG vgl. auch Senatsurteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 14 ff.).

18

Für die danach im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr gilt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ein mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Die Kritik des Berufungsgerichts an diesem differenzierenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab verkennt, dass jede sicherheitsrechtliche Gefahrenprognose nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts eine Korrelation aus Eintrittswahrscheinlichkeit und (möglichem) Schadensausmaß ist. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Auch die den nationalen Gerichten obliegende und auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Beurteilung, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt, kann im Hinblick auf die erforderliche Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts den Rang des bedrohten Rechtsguts nicht außer Acht lassen, denn dieser bestimmt die mögliche Schadenshöhe. Das bedeutet aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet. Der Senat hat schon zu § 12 Abs. 3 AufenthG/EWG entschieden, dass im Hinblick auf die Bedeutung des Grundsatzes der Freizügigkeit an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit keine zu geringen Anforderungen gestellt werden dürfen (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 16 m.w.N.).

19

In diesem Zusammenhang wird das Berufungsgericht, nachdem es sich die erforderliche Sachkunde für eine zuverlässige Beurteilung der klägerischen Persönlichkeit - durch Einholung des vom Beklagten beantragten fachpsychiatrischen Gutachtens oder auf andere Weise, etwa durch Anhörung der den Kläger behandelnden Ärztin - verschafft hat, zunächst zu klären haben, ob vom Kläger gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung ausgeht, weil schwere Straftaten zum Nachteil seiner geschiedenen Ehefrau und der gemeinsamen Kinder zu befürchten sind.

20

2.3 Sollte das Berufungsgericht hierbei zu dem Ergebnis kommen, dass vom Kläger im für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung keine Wiederholungsgefahr (mehr) ausgeht, wäre die Ausweisung schon deshalb rechtswidrig und mit Wirkung ex tunc aufzuheben, ohne dass es darauf ankäme, ob die Behörde ihr Ermessen bei Erlass der Ausweisungsverfügung ordnungsgemäß ausgeübt und während des Verfahrens entsprechend aktualisiert hat.

21

Das Prozessrecht enthält zu der Frage, in welchem Umfang eine ursprünglich rechtmäßige, im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung aber wegen einer zwischenzeitlichen Änderung der Sach- oder Rechtslage rechtswidrig gewordene Ausweisung aufzuheben ist, keine verbindliche Regelung. Soweit es in § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO heißt, dass ein Verwaltungsakt aufzuheben ist, "soweit" er sich als rechtswidrig erweist, lässt diese Vorschrift sowohl eine Aufhebung ex tunc als auch ex nunc zu. Ob ein Verwaltungsakt aber in inhaltlicher oder auch in zeitlicher Hinsicht teilbar ist, ist eine Frage des jeweiligen materiellen Rechts. Diesem sind nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes zu entnehmen, sondern es bestimmt auch, zu welchem Zeitpunkt diese Voraussetzungen bei einer gerichtlichen Überprüfung vorliegen müssen, und ob eine ursprünglich rechtmäßige, während des gerichtlichen Verfahrens aber rechtswidrig gewordene Verfügung "in der Zeit" teilbar ist.

22

Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Aufenthaltsgesetz an die Ausweisung kraft Gesetzes bestimmte Rechtsfolgen knüpft. Diese sind nur teilweise - etwa das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) und die Titelerteilungssperre (§ 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) - einer zeitlichen Limitierung zugänglich (vgl. insoweit auch die Befristungsmöglichkeit nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG). Die titelvernichtende Wirkung der Ausweisung (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) und die damit einhergehende Ausreisepflicht (§ 50 Abs. 1 AufenthG) können hingegen nach der gesetzlichen Konzeption nur durch eine auf den Erlasszeitpunkt rückwirkende Aufhebung beseitigt werden. Damit unterscheidet sich die Ausweisung in ihren Folgen von einem - auf der Zeitachse teilbaren - Dauerverwaltungsakt.

23

Entgegen der Auffassung des Beklagten ergibt sich die Möglichkeit einer Aufhebung mit Wirkung ex nunc auch nicht aus § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG. Danach tritt eine Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nicht ein, wenn der Verwaltungsakt durch eine behördliche oder unanfechtbare gerichtliche Entscheidung aufgehoben wird. Diese Vorschrift knüpft an die Regelung in § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG an. Danach lassen Widerspruch und Klage unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit der Ausweisung und eines sonstigen Verwaltungsaktes, der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet, unberührt. Die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts entfällt folglich mit dem Erlass der Ausweisungsverfügung, ohne dass es auf deren vorläufige Vollziehbarkeit ankommt. § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG stellt klar, dass diese aufenthaltsrechtliche Folge nicht eintritt, wenn der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendende Verwaltungsakt nachträglich durch eine behördliche oder unanfechtbare gerichtliche Entscheidung aufgehoben wird. Die Vorschrift verhält sich indes nicht zu der hier entscheidungserheblichen Frage der Teilbarkeit der Ausweisung "in der Zeit".

24

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG ausdrücklich nur die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts anspricht. Das Aufenthaltsgesetz unterscheidet zwar grundsätzlich zwischen dem Besitz eines Aufenthaltstitels und der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts. Der Regelung in § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG, wonach im Falle einer späteren Aufhebung keine Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts eintritt, kann aber nicht im Umkehrschluss entnommen werden, dass in Fällen, in denen der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendende Verwaltungsakt zugleich zum Erlöschen eines Aufenthaltstitels führt, dieser Aufenthaltstitel bei einer späteren Aufhebung des Verwaltungsakts nicht wieder auflebt. So geht selbst der Beklagte davon aus, dass eine von Anfang an rechtswidrige Ausweisung mit Wirkung ex tunc aufzuheben ist und zu einem Wiederaufleben führt.

25

Auch den Gesetzesmaterialien zu § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG und der wortgleichen Vorgängerregelung in § 72 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990 kann nicht entnommen werden, dass mit diesen Vorschriften die rechtlichen Konsequenzen einer Aufhebung ex nunc geregelt werden sollten. Die Regelung in § 72 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990 stammt aus einer Zeit, als sich die Rechtmäßigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen im gerichtlichen Verfahren allein nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung richtete. Gleiches galt - von unionsrechtlichen Ausnahmen abgesehen - auch noch bei Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes Anfang 2005. Entsprechend findet sich in der Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum Ausländergesetz 1990 nur der allgemeine Hinweis, dass die "ex tunc-Wirkung" der Aufhebung gewährleiste, dass die Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beseitigt werde (BTDrucks 11/6321 S. 81). Auch in der Begründung zu § 84 AufenthG im Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Zuwanderungsgesetz wird lediglich darauf verwiesen, dass die Vorschrift § 72 AuslG entspreche (BTDrucks 15/420 S. 97).

26

Das Berufungsgericht ist daher zutreffend davon ausgegangen, dass mit der Regelung in § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG lediglich klargestellt werden soll, dass im Falle einer Aufhebung ex tunc die alte Rechtsstellung in vollem Umfang wieder auflebt, der Betroffene also so stehen soll, als wenn die Ausweisung nie verfügt worden wäre. Dieses Verständnis der Vorschrift liegt im Übrigen auch der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums des Innern zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009 zugrunde (vgl. Nr. 84.2.3 der VwV-AufenthG).

27

Würde eine Ausweisung, die nur infolge einer nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage - etwa wegen Wegfalls der Wiederholungsgefahr -rechtswidrig ist, nicht ex tunc, sondern nur mit Wirkung ex nunc oder bezogen auf den Zeitpunkt, in dem die ursprünglich rechtmäßige Ausweisung rechtswidrig geworden ist, aufgehoben, bliebe es für die Vergangenheit bei einer wirksamen Ausweisung mit allen daran anknüpfenden gesetzlichen Folgen. Dies wäre mit Blick auf die titelvernichtende Wirkung der Ausweisung nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG und die daran anknüpfende gesetzliche Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 AufenthG problematisch. Denn diese gesetzlichen Folgen hängen allein vom wirksamen Erlass einer Ausweisungsverfügung ab (§ 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Ein nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG kraft Gesetzes erloschener Aufenthaltstitel könnte daher bei einer nicht auf den Erlasszeitpunkt rückwirkenden Aufhebung nicht wieder aufleben. Der Ausländer wäre weiterhin nach § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig. Einen neuen Aufenthaltstitel könnte er nur auf Antrag erhalten, falls er die rechtlichen Voraussetzungen hierfür erfüllt.

28

Mit Blick auf diese - im Fall einer nicht auf den Erlasszeitpunkt rückwirkenden Aufhebung fortbestehenden - gesetzlichen Rechtswirkungen der Ausweisung sprechen daher die gleichen Erwägungen, die den Senat in seinem Urteil vom 15. November 2007 - BVerwG 1 C 45.06 - (BVerwGE 130, 20) bewogen haben, bei der gerichtlichen Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung zukünftig bei allen Ausländern einheitlich auf die Sach- oder Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen, gegen eine Teilbarkeit der Ausweisung "in der Zeit". Damit ist eine Ausweisungsverfügung auch in Fällen, in denen die Ausweisung nur wegen einer nachträglichen Änderung der Sach- oder Rechtslage im für die Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit maßgeblichen Zeitpunkt rechtswidrig geworden ist, ex nunc aufzuheben. Der Senat hat die generelle Zeitpunktverschiebung vor allem damit begründet, dass nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts zur Verhältnismäßigkeit von Ausweisungen im Hinblick auf einen möglichen Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Art. 8 Abs. 1 EMRK und das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG auf freie Entfaltung der Persönlichkeit auf eine möglichst aktuelle Tatsachengrundlage abzustellen ist und zudem der Kreis derjenigen Ausländer, die kraft Unionsrechts nur bei Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr ausgewiesen werden dürfen, durch dem Richtlinienumsetzungsgesetz 2007 zugrunde liegende EU-Richtlinien nochmals erweitert worden ist (Urteil vom 15. November 2007 a.a.O. Rn. 15 ff.). Das dabei verfolgte Ziel, in einem Verfahren auf aktueller Grundlage abschließend über die Aufenthaltsbeendigung zu entscheiden, würde unterlaufen, wenn die Ausweisung bei einer entscheidungserheblichen nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage zugunsten des Ausländers nicht rückwirkend aufgehoben und der dem Ausländer vor Erlass der Ausweisung zustehende Aufenthaltstitel nicht wieder aufleben würde. Denn in diesem Fall müsste der Streit über seinen weiteren Verbleib im Bundesgebiet im Rahmen eines neuen Aufenthaltserlaubnisverfahrens ausgetragen werden. Dass folglich auch eine im für die gerichtliche Überprüfung maßgeblichen Zeitpunkt mangels Wiederholungsgefahr rechtswidrige Ausweisung unabhängig von ihrer ursprünglichen Rechtmäßigkeit mit Wirkung ex tunc aufzuheben ist, ist daher letztlich eine weitere Konsequenz der Senatsrechtsprechung zur generellen Zeitpunktverlagerung. Diese verstößt weder gegen das Rechtsstaatsprinzip noch gegen Art. 3 GG. Das mit der Rechtsprechung des Senats zur generellen Zeitpunktverschiebung verfolgte Ziel, in einem Verfahren auf aktueller Grundlage abschließend über die Aufenthaltsbeendigung zu entscheiden, dient vor allem dem Grundrechtsschutz des Ausländers und der Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und beruht damit auf einer hinreichenden sachlichen Rechtfertigung.

29

2.4 Zur Klarstellung weist der Senat allerdings daraufhin, dass in Fällen, in denen die Ausweisung ursprünglich rechtmäßig war und nur aufgrund einer nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage rechtswidrig geworden ist, ihre Aufhebung mit Wirkung ex tunc nicht zur Folge hat, dass damit frühere Abschiebungsmaßnahmen zwangsläufig rechtswidrig sind und hierfür vom Ausländer oder einem gesetzlichen Haftungsschuldner keine Kosten erhoben werden können. Denn die rückwirkende Aufhebung einer Ausweisung wirkt sich nach nationalem Recht nicht auf frühere Vollstreckungsmaßnahmen aus, die zum damaligen Zeitpunkt rechtmäßig waren. Die Rechtmäßigkeit einer Abschiebung beurteilt sich vielmehr nach der zum Zeitpunkt ihrer Vollziehung maßgeblichen Sach- und Rechtslage. Ob dies auch in - wie vorliegend - unionsrechtlich geprägten Fallgestaltungen gilt oder ob hier - mit Blick auf die vom EuGH festgestellte Pflicht zur Berücksichtigung neuer Tatsachen bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung - ausnahmsweise auch für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit bereits vollzogener Abschiebungsmaßnahmen und die Festsetzung von Abschiebungskosten etwas anderes gilt, bedarf keiner Entscheidung. Denn das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Beklagte weder einen Antrag auf Feststellung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung bezogen auf einen früheren Zeitpunkt gestellt hat noch ein besonderes Interesse an einer entsprechenden Feststellung besteht, da der Kläger nicht abgeschoben worden ist.

30

2.5 Sollte das Berufungsgericht nach fachkundiger Abklärung bei der Gefahrenprognose zu dem Ergebnis kommen, dass vom Kläger weiterhin eine Wiederholungsgefahr ausgeht und die Ausweisung auch im Übrigen rechtmäßig ist, wird es auch über den vom Kläger erstmals im Revisionsverfahren gestellten Hilfsantrag zu entscheiden haben, mit dem dieser eine sofortige Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG begehrt (vgl. dazu Senatsurteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 27 ff.).

Tenor

Auf die Berufung des Klägers hin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 - 4 K 3079/10 - geändert.

Der Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 wird aufgehoben.

Das beklagte Land trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der am ...1971 in Charleroi, Belgien, geborene Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung und die Androhung der Abschiebung.
Er ist türkischer Staatsangehöriger und lebte von seiner Geburt bis 1979/80 gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern in Belgien, danach kehrte die Familie in die Türkei zurück. Dort besuchte der Kläger das Gymnasium, das er mit einem dem Abitur vergleichbaren Abschluss beendete. Am 06.05.1996 heiratete er in Cavusbasi Köyü/Türkei die am ... in B..., Deutschland, geborene Hatice Y., welche damals noch türkischer Staatsangehörigkeit war; am 17.08.1996 reiste er mit einem Visum zum Familiennachzug nach Deutschland ein. In der Folge erhielt er zunächst befristete Aufenthaltserlaubnisse, ab dem 16.07.2001 war er im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, welche ab Januar 2005 als Niederlassungserlaubnis fortgalt.
Die Ehefrau des Klägers wurde am 06.07.1998 eingebürgert. Die Eheleute haben vier gemeinsame Kinder, zwei Töchter (geboren am 16.08.1997 und am 01.05.2001) und zwei Söhne (geboren am 17.07.1998 und am 14.04.2008), welche ebenfalls deutsche Staatsangehörige sind.
Ab dem 10.03.1997 war der Kläger zunächst bei verschiedenen Firmen beschäftigt, vom 02.11.1998 bis zum 31.10.2001 bei der Firma F., wobei er vom 27.02.2001 bis zum 09.07.2001 Krankengeld von der AOK bezog. Nach längerer Arbeitslosigkeit war er ab 2003 immer wieder selbstständig tätig - unterbrochen durch mehrmonatige Aushilfstätigkeiten und Zeiten der Arbeitslosigkeit -, zunächst mit einem Einzelhandel mit Lebensmitteln und Obst, welchen er von seiner Ehefrau übernommen hatte (von Juli 2003 bis Juni 2004), später (vom September 2006 bis zum Februar 2007) mit dem Gewerbe „Kleintransporte (Paketdienst)“, sodann mit einer Gebäudereinigung (ab dem 21.11.2007).
Zum 05.06.2008 meldete er das Wettbüro T. in Karlsruhe an. Am 18.12.2008 wurde er wegen des Verdachts der Geiselnahme u.a. in Untersuchungshaft genommen. Mit Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 30.06.2009 - 3 KLs 110 Js 41778/08 - wurden der Kläger und die Mitangeklagten B.A., Y.K. und E.G. der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie der Mitangeklagte T.K. der Beihilfe zur Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen. Der Kläger wurde zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten, seine Mitangeklagten B.A. zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten, Y.K. von vier Jahren und zehn Monaten, E.G. von drei Jahren und sechs Monaten und T.K. zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde hinsichtlich T.K. zur Bewährung ausgesetzt. Die Angeklagten wurden außerdem verurteilt, an die Nebenklägerin N.G. Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,-- EUR nebst Zinsen zu zahlen, wobei die seitens B.A. und Y.K. bereits erbrachten Beträge in Höhe von 2.500,-- EUR (B.A.) bzw. 3.000,-- EUR (Y.K.) auf den Schmerzensgeldbetrag anzurechnen seien. Das Urteil wurde nach Verwerfung der unter anderem vom Kläger eingelegten Revision diesem gegenüber am 10.12.2009 rechtskräftig.
Nach den Feststellungen im Strafurteil vom 30.06.2009 war Y.K. als Geschäftsführer in dem vom Kläger betriebenen Wettbüro beschäftigt und hätte Anfang des Jahres 2009 als Teilhaber einsteigen sollen. B.A. war bei einer Automatenaufstellerfirma tätig und für die Wartung der im Wettbüro aufgestellten Spielautomaten zuständig. Die Mitangeklagten E.G. und T.K., ein Schwager des Y.K., hielten sich häufig als Gäste im Wettbüro auf. Das Opfer der Straftaten, N.G., war auf Empfehlung des B.A. seit September 2008 als Aushilfe angestellt. Nachdem am 29.11.2008 zwischen 2.00 Uhr und 2.30 Uhr in das Wettbüro eingebrochen und aus Spielautomaten und einem offenen Tresor insgesamt Bargeld in Höhe von etwa 2.500,-- EUR entwendet worden war, verdächtigten die Angeklagten die im Wettbüro angestellte N.G. und deren Freund der Beteiligung an dem Einbruch. Anlass war unter anderem, dass ein Augenzeuge etwa zum Zeitpunkt des Einbruchs ein Auto bemerkt hatte, das dem des Freundes von N.G. ähnelte. Außerdem hatte N.G. wenige Stunden nach dem Einbruch per SMS mitgeteilt, sie könne am Morgen nicht zur Arbeit erscheinen, weil ihr Schwiegervater gestorben sei, was aber - wie sich nach und nach herausstellte - tatsächlich nicht stimmte. Um N.G. zu einem Geständnis zu zwingen, brachten die fünf Angeklagten diese am 30.11.2008 gegen 12.30 Uhr dazu, mit ihnen in den Keller des Wettbüros zu gehen. Dort versetzte B.A. der Angestellten N.G. zunächst zwei derart heftige Ohrfeigen, dass sie ein Loch im linken Trommelfell erlitt. Danach hielt B.A. dieser eine von ihm - ohne Wissen der anderen - mitgeführte, nicht ausschließbar ungeladene Schreckschusswaffe, die er zuvor mehrfach durchgeladen hatte, an die Stirn, so dass N.G. befürchtete, erschossen zu werden, und Todesangst verspürte. Unter Ausnutzung der Todesangst von N.G. versuchten die Angeklagten in den nächsten Stunden - allerdings vergeblich -, von dieser ein Geständnis zu erpressen. A.B. drückte ihr ein Kissen auf das Gesicht und tat so, als ob er dieses als Schalldämpfer verwenden würde. Auf Vorschlag des Klägers behauptete er sodann, man habe ein paar Leute zu ihrem Freund geschickt, welche ihn mit einem Baseballschläger "zusammengeschlagen" hätten, woraufhin dieser alles zugegeben hätte. B.A. oder E.G. drohten später damit, N.G. mit einer Handsäge einen Finger abzusägen. Als N.G. darum bat, auf Toilette gehen zu dürfen, wurde ihr dies mit dem Hinweis verweigert, sie solle „in die Hose pissen“. Bei diesen Übergriffen und Bedrohungen leistete T.K. lediglich psychische Beihilfe, während die anderen aktiv beteiligt waren. Nachdem B.A. und E.G. zwischen 14.30 Uhr und 15.00 Uhr den Keller verlassen hatten, wurde N.G. gegen 16.00 Uhr vom Kläger, Y.K. und T.K. freigelassen und von T.K. nach Hause gefahren. N.G. leidet noch heute erheblich unter den psychischen Folgen der Tat. Bezüglich der Strafzumessung wird in dem Urteil des Landgerichts Karlsruhe hinsichtlich des Klägers unter anderem dargelegt: Die Kammer sei der Auffassung, dass die Voraussetzungen der tätigen Reue (§§ 239a Abs. 4, 239b Abs. 2 StGB) vorgelegen hätten, weil die Täter von einer weiteren Befragung der Geschädigten abgesehen hätten. Für die Annahme eines minder schwereren Falls der Geiselnahme (§§ 239a Abs. 2, 239b Abs. 2 StGB) spreche, dass der Kläger bereits im Ermittlungsverfahren ein Geständnis abgelegt und dieses in der Hauptverhandlung aufrechterhalten habe, wobei der Kammer das Geständnis allerdings nur bedingt getragen von Einsicht und Reue erscheine, weil der Kläger immer wieder darauf hingewiesen habe, er hätte nicht gegen die weitere Tatausführung einschreiten können. Für ihn spreche außerdem, dass er bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei, sich schriftlich bei der Geschädigten entschuldigt und einen eher geringen Tatbeitrag geleistet habe. Es sei aber auch zu berücksichtigen, dass er als Inhaber des Wettbüros ein Hauptinteresse daran gehabt habe festzustellen, ob seine Angestellte tatsächlich an dem Einbruch beteiligt gewesen sei, dass tateinheitlich zum Verbrechen der Geiselnahme auch ein Vergehen der gefährlichen Körperverletzung begangen worden, dass er über dreieinhalb Stunden an der Tatbegehung beteiligt gewesen sei und dass die Geschädigte nicht nur eine körperliche Verletzung in Form einer Trommelfellperforation mit erheblichen Höreinschränkungen erlitten habe, sondern noch heute schwer unter den psychischen Folgen der Tat leide. Die nicht vertypten Milderungsgründe reichten daher nicht aus, um das Vorliegen eines minder schweren Falles zu bejahen. Unter weiterer Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger tätige Reue im Sinne von §§ 239b Abs. 2, 239a Abs. 4 StGB geleistet habe, sei allerdings unter Heranziehung dieses Strafmilderungsgrundes das Vorliegen eines minder schweren Falles bejaht worden.
Im Anschluss an die Untersuchungshaft verbüßte der Kläger vom 10.12.2009 bis zu seiner Entlassung am 22.12.2011 Strafhaft, ab dem 08.04.2010 in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bruchsal. Zwei Drittel der Strafe waren am 17.04.2011 vollstreckt, Endstrafentermin wäre der 17.06.2012 gewesen. In dieser Zeit erhielt der Kläger regelmäßig Besuch von seiner Ehefrau und seinen Kindern sowie von anderen Verwandten und Bekannten. Von September 2010 bis Juli 2011 nahm er zweimal wöchentlich an Deutschkursen teil. Er arbeitete in einem Unternehmerbetrieb der JVA. In Vollzugsplänen und Berichten der JVA Bruchsal vom 05.05.2010, 12.05.2010, 08.02.2011, 12.09.2011 und 12.10.2011 wurde unter anderem dargelegt: Disziplinarrechtlich habe gegen den Kläger nicht eingeschritten werden müssen, es sei auch zu keinen Unregelmäßigkeiten bezüglich Drogen oder Alkohol gekommen. Er könne sehr nervenaufreibend sein, weil er täglich mehrere Anliegen habe, die er durchzusetzen versuche. Er werde dabei jedoch nie aggressiv, sondern zeige fehlendes Verständnis, reagiere weinerlich oder unbeirrbar. Im Unternehmerbetrieb gelte er wegen seiner ständigen Anliegen als Sorgenkind, erledige aber seine Arbeit zuverlässig, es sei nicht zu unentschuldigten Ausfallzeiten gekommen. Er habe noch Schulden in Höhe von etwa 45.000,-- EUR. Während in früheren Stellungnahmen der JVA, unter anderem vom 08.02.2011, Zweifel an einer Tataufarbeitung und einer echten Reue des Klägers geäußert wurden, wurde in einem Bericht vom 12.10.2011 ausgeführt, der Kläger habe über seine Straftat intensiv nachgedacht, könne sich zumindest über den Vergleich mit eigenen Bedrängungserfahrungen in das Opfer einfühlen, sei nicht die treibende Kraft gewesen und scheine seine Straftat tatsächlich zu bereuen. Die Landesstiftung Opferschutz habe am 16.07.2011 bestätigt, dass er 1.000,-- EUR Schmerzensgeld in Raten bezahlt habe. Als stabilisierender Faktor werde seine Familie gesehen. Der psychologische Dienst gehe davon aus, dass ein kriminalprognostisches Gutachten zu dem Schluss kommen werde, dass eine weiterhin bestehende Gefahr nicht festgestellt werden könne.
Bereits mit Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 wurde der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Ziff. 1). Außerdem wurde ihm die Abschiebung in die Türkei oder in einen anderen Staat angedroht (Ziff. 2). Für den Fall, dass er vor der beabsichtigten Abschiebung aus der Haft entlassen werde, wurde er aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von einem Monat nach seiner Entlassung zu verlassen; für den Fall, dass er nicht fristgerecht ausreise, wurde ihm die Abschiebung angedroht (Ziff. 3). Zur Begründung wurde dargelegt: Dem Kläger stehe kein erhöhter Ausweisungsschutz aufgrund eines Rechts zum Aufenthalt nach dem Assoziationsratsbeschluss 1/80 zu. Eine nach Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 privilegierte aufenthaltsrechtliche Position habe nicht mehr erworben werden können, weil seine Ehefrau zwei Jahre nach Beginn der ehelichen Lebensgemeinschaft die deutsche Staatsangehörigkeit erworben habe. Ansprüche aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 seien ebenfalls nicht entstanden. Bei der Firma F. habe der Kläger zwar vom 02.11.1998 bis zum 26.02.2001 und vom 09.07.2001 bis zum 31.10.2001 gearbeitet. In der Zwischenzeit, vom 27.02.2001 bis zum 08.07.2001, habe er jedoch Krankengeld von der AOK bezogen. Selbst wenn man davon ausginge, dass er drei Jahre ordnungsgemäß bei einem Arbeitgeber beschäftigt gewesen sei, wäre seine Rechtsstellung nach Art. 6, 2. Spielgelstrich ARB 1/80 wieder erloschen. Denn im Anschluss an die Beschäftigung bei der Firma F. habe er ab November 2001 bis zum 27.07.2003 Leistungen der Agentur für Arbeit bezogen. Seine Ehefrau habe in dieser Zeit ein Gewerbe (Obst- und Gemüsehandel) betrieben. Ab Oktober 2003 habe er dieses übernommen, bis er es im Januar 2004 wieder aufgegeben habe. Nach kurzen Arbeitsverhältnissen, Zeiten der Arbeitslosigkeit sowie Zeiten der Ausübung zweier anderer Gewerbe, sei schließlich zum 05.06.2008 die Anmeldung des Wettbüros erfolgt. Die Aufnahme einer auf Dauer angelegten selbstständigen Tätigkeit führe jedoch zum Erlöschen bereits entstandener Rechte aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80. Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid sei daher das Aufenthaltsgesetz. Der Kläger erfülle den Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 1 AufenthG. Er genieße jedoch wegen der bestehenden Niederlassungserlaubnis und der familiären Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau und seinen Kindern besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 4 AufenthG. Es sei daher zu prüfen, ob ein schwerwiegender Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG vorliege. Das sei der Fall. Die vom Kläger und seinen Mittätern aufgrund von Selbstjustiz begangene Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung wiege ausgesprochen schwer. Der Tathergang verdeutliche, dass der Kläger ein erhebliches Maß an krimineller Energie besitze, welches bei verständiger Würdigung aller für und gegen ihn sprechenden Umstände der Tatbegehung die Grenzen der Bagatellkriminalität bei weitem überschreite. Er sei offenkundig nicht in der Lage oder auch nicht gewillt, sich an die im Bundesgebiet bestehende Rechtsordnung zu halten. Deshalb könne ihm keineswegs eine günstige Sozialprognose gestellt werden. Nach den vorliegenden Berichten der JVA habe eine Tataufarbeitung wegen der fehlenden differenzierten Deutschkenntnisse noch nicht erfolgen können. Bislang sei danach auch nicht erkennbar, dass der Kläger ein Schuldbewusstsein oder eine Empathie für das Opfer entwickelt habe. Die Ausweisung sei daher aus spezialpräventiven Gründen geeignet und erforderlich. Sie werde auch auf generalpräventive Erwägungen gestützt. Es bestehe ein dringendes soziales Bedürfnis, über die strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Gewalttaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Wegen des besonderen Ausweisungsschutzes und mit Blick auf die Familie des Klägers und Art. 8 EMRK liege eine Ausnahme von der Regel des § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG vor, so dass über die Ausweisung nach Ermessen zu entscheiden sei. Sie sei hier gerechtfertigt, insbesondere verhältnismäßig. Der Kläger sei mit einer türkischstämmigen Frau verheiratet, die mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen habe, und Vater von vier deutschen Kindern. Beruflich sei es ihm nicht gelungen, sich im Bundesgebiet zu integrieren. Der Aufbau eines eigenen Betriebes sei immer wieder gescheitert. In dem zuletzt betriebenen Wettbüro habe er mehrere Personen beschäftigt, ohne diese anzumelden. Dies sowie die Tatsache, dass er bereit gewesen sei, eine von ihm verdächtige Person als Geisel zu nehmen, um aus ihr mit brutalsten physischen und psychischen Methoden ein Geständnis zu erpressen, sei ein Beleg für eine Denkweise, welche nicht den Wertvorstellungen der Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland entspreche. Es sei nicht erkennbar, dass der Kläger von seinem Heimatland, das er vor vierzehn Jahren im Alter von 25 verlassen habe, entfremdet sei. In Anbetracht des gravierenden Verstoßes gegen die geltende Rechtsordnung könnten die rechtlichen und tatsächlichen Auswirkungen der Ausweisung, die mit einer Übersiedlung in die Türkei verbunden seien, nicht als unverhältnismäßig angesehen werden. Dies gelte auch unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK. Schließlich könne er gegebenenfalls einen Antrag auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung stellen. Hilfsweise sei festzustellen, dass die Ausweisung des Klägers auch dann - im Ermessenswege nach Art. 14 ARB 1/80 i.V.m. § 55 AufenthG -gerechtfertigt sei, wenn man davon ausgehe, dass ihm eine Rechtsstellung nach Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 zustehe. Für diesen Fall sei die Ausweisung jedoch lediglich auf spezialpräventive Gründe zu stützen. Die Abschiebungsandrohung beruhe auf § 59 Abs. 1 AufenthG.
Am 04.11.2010 erhob der Kläger beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage, zu deren Begründung er im Wesentlichen vortrug: Eine Trennung von seiner Familie wäre unverhältnismäßig. Weder verfügten er und seine Familie über die erforderlichen finanziellen Mittel für regelmäßige Besuche noch hätte er die Möglichkeit, die Kontakte angemessen aufrechtzuerhalten. Zudem sei die Ausweisung weder aus generalpräventiven noch aus spezialpräventiven Gründen angemessen. Er sei das erste Mal straffällig geworden. Aus dieser - einmaligen -Entgleisung, die nicht verharmlost werden solle, könne nicht auf ein grundsätzliches Verhaltensmuster für die Zukunft geschlossen werden. Im Übrigen sei er vom 01.11.1998 bis zum 31.10.2001 durchgehend bei der Firma F. beschäftigt gewesen, weshalb er als Assoziationsberechtigter anzusehen sei.
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Das beklagte Land trat der Klage entgegen.
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Mit Urteil vom 02.03.2011 - 4 K 3079/10 - wies das Verwaltungsgericht die Klage ab und führte aus: Es bedürfe keiner abschließenden Beurteilung, ob der Kläger eine Rechtsstellung nach Art. 6 ARB 1/80 erworben habe, denn eine solche wäre jedenfalls durch die Aufnahme einer Tätigkeit als Selbstständiger erloschen. Weil er besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 4 AufenthG genieße, könne er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Solche seien hinsichtlich des spezialpräventiven und bezüglich des generalpräventiven Ausweisungszwecks aufgrund der vom Kläger verübten Straftat gegeben. In Fällen mittlerer und schwerer Kriminalität seien die Voraussetzungen für eine spezialpräventive Ausweisung grundsätzlich zu bejahen. Beim Kläger bestehe ein gegenüber dem Durchschnittsbürger sogar beträchtlich erhöhtes Risiko, auch künftig wieder strafrechtlich in Erscheinung zu treten. Dafür sprächen die nicht unerhebliche kriminelle Energie, die er an den Tag gelegt habe, und die konkrete Tatausführung. Diese lasse ein erhebliches Maß an Gewaltanwendung gegenüber Personen erkennen; sie habe zu gravierenden Folgen für das Opfer geführt. Ausweislich eines Berichts der JVA vom 08.02.2011 habe die Freiheitsstrafe nur insoweit die erwünschte Wirkung gezeigt, als der Kläger die negativen Folgen für seine Familie eingesehen habe, mit den Folgen der Tat für das Opfer habe er sich noch nicht erkennbar auseinandergesetzt. Da die Tat zudem eine hohe Bereitschaft für eine im Heimatland des Klägers in bestimmten Bereichen auch heute noch übliche und gesellschaftlich akzeptierte Selbstjustiz belege, könne ihm keine günstige Sozialprognose erteilt werden. Ein Ausnahmefall von der Regelausweisung - und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung - sei hier wegen der tatsächlich gelebten familiären Gemeinschaft des Klägers mit den vier ehelichen Kindern des Klägers zu sehen. Die entsprechenden Ermessenserwägungen seien im Ergebnis rechtsfehlerfrei. Die dem Kläger als Mittäter der begangenen Straftaten zurechenbare Gewaltanwendung wiege derart schwer, dass seine Ausweisung auch mit Blick auf die Schutzwirkungen des Art. 6 GG und des Art. 8 EMRK nicht unverhältnismäßig sei.
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Auf den am 14.03.2011 vom Kläger gestellten Antrag hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 17.05.2011 - 11 S 875/11 - die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 zugelassen. Diese hat der Kläger am 26.05.2011 unter Stellung eines Antrags begründet.
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Zur Vorbereitung der Entscheidung über die Aussetzung der Reststrafe holte die Vollstreckungskammer des Landgerichts Karlsruhe mit Schreiben vom 03.06.2011 ein kriminalprognostisches Gutachten der Klinik für forensische Psychiatrie und Psychotherapie - Zentrum für Psychiatrie - Wiesloch ein. Das daraufhin erstattete Gutachten von Herrn Dr. Sp..., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, und Herrn S..., Facharzt für Psychiatrie, vom 24.09.2011 kommt zu dem Ergebnis, dass nicht mehr davon ausgegangen werden könne, dass die durch die Tat beim Kläger zutage getretene Gefährlichkeit fortbestünde. Dabei wurde die fehlende Auseinandersetzung mit der Straftat als prognostisch ungünstiger Faktor gewertet. Der Kläger sei bei der Tat aber eher passiv im Hintergrund geblieben. Beim Tatgeschehen komme somit situativen Faktoren (Eingebundenheit in eine Tätergruppe bei Vorhandensein von freundschaftlichen Beziehungen und Loyalitäten, Unterordnung unter dominant auftretende Persönlichkeiten) ein wesentliches Gewicht am Zustandekommen der Tat zu. Der Kläger habe sich im Rahmen der Haft im Wesentlichen angepasst und korrekt verhalten. Dass er dabei seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse jeweils mit einem gewissen Nachdruck vorgetragen habe, lasse sich nicht als prognoserelevanter Faktor verwerten. Es existierten stabile familiäre Anbindungen. Auch die beruflichen Planungen des Klägers erschienen nicht unrealistisch. Die prognostisch günstigen Faktoren überwögen im Vergleich zu dem einzigen ungünstigen Faktor - der fehlenden inneren Auseinandersetzung des Klägers mit der Tat - deutlich. Nach einer Anhörung des Klägers am 16.12.2011 wurde mit Beschluss des Landgerichts Karlsruhe vom 21.12.2011 die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 30.06.2009 zur Bewährung ausgesetzt. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt; der Kläger wurde der Leitung und Aufsicht eines Bewährungshelfers unterstellt. Daraufhin wurde er am 22.12.2011 aus dem Strafvollzug entlassen.
14 
Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger im Wesentlichen vor: Das Verwaltungsgericht sei unzutreffend davon ausgegangen, dass die Rechtstellung aus Art. 6 ARB 1/80 mit Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit erlösche. Die Ausweisung genüge nicht den Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80. Im Übrigen hätte ein Widerspruchsverfahren durchgeführt bzw. über die Ausweisung noch durch eine „unabhängige Stelle“ entschieden werden müssen. Schon aus diesem Grund sei sie aufzuheben. Unabhängig davon sei die Ausweisung hier mit Blick auf die Tatsache, dass die Ehefrau des Klägers und seine Kinder deutsche Staatsangehörige seien, rechtswidrig. Soweit im Urteil dargelegt werde, der Rechtsstellung der Kinder des Klägers könne durch Besuche der Ehefrau mit den Kindern in der Türkei Rechnung getragen werden, werde nicht die dem Kläger gemäß Art. 20 AEUV zukommende europarechtliche Rechtsposition berücksichtigt. Anzugreifen sei auch, dass die erste Instanz eine Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung mangels Befristung verneine. Dies verstoße gegen Art. 8 EMRK. Nach dem kriminalprognostischen Gutachten vom 24.09.2011 bestehe die bei der Tat zutage getretene Gefährlichkeit inzwischen nicht mehr. Die Arbeitssuche des Klägers nach seiner Haftentlassung sei durch seine erheblichen gesundheitlichen Probleme belastet gewesen. Er habe am 20./21.04.2012 in eine Klinik aufgenommen und später erneut - vom 06.06. bis zum 14.06.2012 - stationär behandelt werden müssen. Zum 24.07.2012 habe er dann einen Arbeitsplatz als Fahrer bei einer Firma in Karlsruhe gefunden, wonach er bei einer durchschnittlichen regelmäßigen Arbeitszeit von 25 bis 30 Wochenstunden 1.000,-- EUR brutto monatlich verdiene.
15 
Nachdem das Regierungspräsidiums Karlsruhe in der mündlichen Verhandlung die Sperrwirkungen der Ausweisung vom 22.10.2010 auf zwei Jahre befristet hat, beantragt der Kläger,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 - 4 K 3079/10 - zu ändern und den Bescheid vom 22.10.2010 aufzuheben,
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hilfsweise: das beklagte Land zu verpflichten, die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG bezeichneten Wirkungen der Ausweisung auf sofort zu befristen.
18 
Das beklagte Land beantragt,
19 
die Berufung zurückzuweisen.
20 
Es trägt vor: Das Verwaltungsgericht Karlsruhe habe zutreffend die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 22.10.2010 bestätigt und berücksichtigt, dass eine Rechtsstellung aus Art. 6 ARB 1/80 - selbst wenn der Kläger sie erworben hätte - dadurch erloschen wäre, dass er eine Tätigkeit als Selbstständiger aufgenommen habe. Durch die Ausweisung werde kein unverhältnismäßiger Eingriff in das Recht des Klägers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens begründet. Der Kontakt zur Ehefrau und den Kindern des Klägers könne durch Besuche in der Türkei, Briefe, Telefonate und E-Mails aufrechterhalten werden. Da der Kläger die deutsche Sprache nicht richtig beherrsche und sich bei Besuchen in türkischer Sprache unterhalten habe, sei davon auszugehen, dass die Familie ebenfalls mit der Türkei vertraut sei. Ein Leben in der Türkei wäre für den Kläger auch nicht unzumutbar, weil er zuvor ebenfalls dort gelebt habe, dort noch seine Mutter und Geschwister wohnten und er auch die türkische Sprache beherrsche. Zu dem kriminalprognostischen Gutachten vom 24.09.2011 sei auszuführen: In dem Gutachten werde einmal mehr die „weitgehend fehlende innere Auseinandersetzung“ des Klägers mit seiner Tat und den Folgen für das Opfer bestätigt. Die von ihm signalisierte Betroffenheit über das Leid des Opfers wirke auf die Gutachter sogar „affektiv eher flach und vordergründig“. Für die Gutachter sei der Eindruck entstanden, dass der Kläger „insgesamt emotional stärker durch die Folgen der Tat für ihn und seine Familie als durch die Folgen für das Opfer betroffen erschien“. Ein tiefergehendes Mitgefühl für das Opfer sei trotz verbaler Bekundung wenig spürbar gewesen. Diese Einschätzung decke sich mit einem Bericht der JVA Bruchsal vom 08.02.2011, demzufolge „eine wirkliche Tataufarbeitung ... nicht sichtbar“ werde, und dem Eindruck, den der Kläger beim erstinstanzlichen Gericht hinterlassen habe. Das Verwaltungsgericht habe sich immerhin zu der deutlichen Formulierung veranlasst gesehen, „dass er sich mit seiner Gewaltproblematik noch nicht, jedenfalls in nicht ausreichendem Maße, auseinandergesetzt hat und die Tat eine hohe Bereitschaft für eine im Heimatland des Klägers in bestimmten Bereichen auch heute noch übliche und gesellschaftlich akzeptierte Selbstjustiz belegt“. Mit anderen Worten: Wenn sich der Kläger in einer vergleichbaren Situation wiederfinde, in der jemand der Wahrheit auf die Sprünge helfen wolle, sei nach wie vor keine ethische Schranke bei ihm installiert, die ihn davor bewahre mitzumachen. Das Gutachten vom 24.09.2011 werte zwar zugunsten des Klägers, dass den situativen Faktoren ein wesentliches Gewicht am Zustandekommen der Tat zugekommen sei. Es liefere aber nicht den geringsten neuen Anhaltspunkt dafür, dass sich der Kläger das nächste Mal der Gruppendynamik entziehen oder gar widersetzen würde, wenn Gewalt ins Spiel komme. Aus diesen Gründen bestehe keine Veranlassung, von der aufgrund der mündlichen Verhandlung in erster Instanz gewonnenen und vom Verwaltungsgericht zutreffend begründeten Einschätzung Abstand zu nehmen.
21 
Auf einen Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 11.08.2011 - 11 S 2027/11 - die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 angeordnet.
22 
In einem Bericht der Bewährungshelferin vom 24.07.2012 sowie einem ergänzenden Schreiben vom 25.09.2012 wird dargelegt: Insgesamt sei in dem bisherigen Bewährungsverlauf nichts zu beanstanden. Der Kläger habe sich - zunächst vergeblich - intensiv um einen Arbeitsplatz bemüht. Mit Hilfe eines Rechtsanwalts sei es ihm gelungen, seinen Führerschein der Klasse 3 wieder zu erlangen. Insgesamt sei es dem Kläger nach der Haftentlassung nicht gut gegangen, er habe noch sehr unter den Nachwirkungen gelitten und sei durch seinen behandelnden Arzt wegen Depressionen medikamentös behandelt worden. Am 25.05.2012 habe er sich wegen starker Schmerzen ins Krankenhaus begeben müssen. Nach mehreren Untersuchungen seien ihm am 21.06.2012 stationär mehrere Nierensteine entfernt worden. Er habe sich wirklich bemüht, wieder zu der „arbeitenden Bevölkerung“ zu gehören. Seit dem 24.07.2012 sei er als Fahrer beschäftigt; er verdiene monatlich etwa 1.000,-- EUR. Er hätte die Möglichkeit, einen Kiosk in Karlsruhe-Durlach zu übernehmen; seine Ehefrau würde dann mit ihm zusammenarbeiten.
23 
Dem Senat liegen die Akten des Regierungspräsidiums Karlsruhe über das Ausweisungsverfahren (2 Hefte), die ausländerrechtlichen Akten des Landratsamts Karlsruhe bezüglich des Klägers (2 Hefte), seiner Ehefrau (1 Heft) und der ältesten Tochter (1 Heft), die Gefangenenpersonalakten der JVA Bruchsal (1 Heft), die Strafakten betreffend das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 30.06.2009 - 3 KLs 110 Js 41778/08 - (8 Hefte) sowie das Bewährungsheft des Landgerichts Karlsruhe - 15 BWL 213/11 - vor. Diese sind ebenso wie die Akten über das Klageverfahren beim Verwaltungsgerichts Karlsruhe - 4 K 3079/10 -, über das vorliegende Berufungsverfahren - 11 S 1470/11 - und über das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes - 11 S 2027/11 -Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen; hierauf wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
24 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht und ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 6 und Abs. 3 Satz 4 VwGO) Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 hat Erfolg. Die Anfechtungsklage des Klägers gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteile vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - InfAuslR 2008, 156, und vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris) begründet. Die darin unter Ziffer 1 verfügte Ausweisung und die Abschiebungsandrohung unter Ziffern 2 und 3 sind rechtswidrig und verletzen dadurch den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Einer Entscheidung über den vom Kläger im Berufungsverfahren lediglich hilfsweise gestellten Antrag auf Verpflichtung des beklagten Landes zur Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 bezeichneten Wirkungen der Ausweisung "auf sofort" (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O.) bedarf es daher nicht.
I.
25 
Die auf §§ 53 Nr. 1, 56 Abs. 1, 55 AufenthG beruhende (dazu unter 1. und 2.) Ausweisung des Klägers, die hier im Ermessen des beklagten Landes steht (3.), ist mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz rechtswidrig (4.).
26 
1. Maßgebliche Rechtsgrundlage sind die §§ 53 Nr. 1, 56 Abs. 1, 55 AufenthG.
27 
Insbesondere sind nicht etwa allein wegen des Umstands, dass die Ehefrau und die Kinder des Klägers deutsche Staatsangehörige sind, besondere unionsrechtliche Anforderungen zu beachten (vgl. hierzu EuGH, Urteile vom 05.05.2011 - Rs. C-434/09, McCarthy - InfAuslR 2011, 268, und vom 15.11.2011 - Rs. C-256/11, Dereci - InfAuslR 2012, 47; Senatsurteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 - NVwZ-RR 2012, 412).
28 
Eine nur beschränkte Anwendbarkeit der Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG folgt hier auch nicht aus dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: ARB 1/80; vgl. insbesondere Art. 14 ARB 1/80). Eine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80 hat der Kläger nicht erworben, weil seine Ehefrau vor Ablauf von drei Jahren nach Zuzug des Klägers eingebürgert wurde und die türkische Staatsangehörigkeit aufgegeben hat (vgl. dazu Renner, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 4 Rn. 156 m.w.N.). Ob er jemals die Voraussetzungen des - hier allein in Betracht kommenden - 2. Spiegelstrichs des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erfüllt hat, kann offen bleiben. Denn er hat eine eventuelle Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 durch die spätere Aufnahme selbstständiger Tätigkeiten, zuletzt den Betrieb des Wettbüros - aufgrund dessen der Kläger jedenfalls dem Arbeitsmarkt auf unabsehbare Zeit nicht mehr zur Verfügung stand - verloren (streitig, ebenso: Hess. VGH, Urteil vom 09.02.2004 - 12 TG 3548/03 - InfAuslR 2004, 230; Bayer. VGH, Urteil vom 26.03.2007 - 24 BV 03.2091 - juris; vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18.10.2006 - 13 S 192/06 - InfAuslR 2007, 49; a.A. VG Stuttgart, Urteil vom 23.05.2011 - 11 K 2967/10 - juris; vgl. zum Streitstand GK-AufenthG, Stand: September 2012, IX - 1 Art. 6 Rn. 238 f.; Hailbronner, AuslR, Stand: August 2012, D 5.1, Art. 6 ARB 1/80 Rn. 46). Letztlich kommt es aber auf diese Frage hier nicht an. Folge einer assoziationsrechtlichen Rechtsstellung des Klägers wäre ein erhöhter Ausweisungsschutz (vgl. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80; Senatsurteil vom 16.04.2012 - 11 S 4/12 - juris m.w.N.). Wie sich aus dem Folgenden ergibt, erweist sich die Ausweisung auch dann als rechtswidrig und ist daher aufzuheben, wenn ihm dieser nicht zukäme.
29 
2. Allerdings sind die Tatbestandsvoraussetzungen einer "Ist-Ausweisung" nach § 53 Nr. 1 AufenthG gegeben. Danach wird ein Ausländer unter anderem dann ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das ist hier wegen der Verurteilung des Klägers durch das Landgericht Karlsruhe vom 30.06.2009 wegen Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten der Fall.
30 
3. Trotz Erfüllung des an sich zwingenden Ausweisungsgrundes des § 53 Nr. 1 AufenthG steht die Ausweisung des Klägers jedoch im Ermessen und ist deshalb nach § 55 AufenthG zu beurteilen. Der Kläger genießt unstreitig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz (a). Er darf daher gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Solche liegen gemäß § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 AufenthG, also auch hier, vor. Diesbezüglich ist auch nicht vom Vorliegen eines Ausnahmefalls auszugehen (b). Hier ist aber eine Ausnahme von der "Regelrechtsfolge" des § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG geboten, wonach der betreffende Ausländer bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 AufenthG "in der Regel" ausgewiesen wird. Über seine Ausweisung ist daher nach Ermessen zu entscheiden (c).
31 
a) § 56 Abs. 1 AufenthG ist aus zwei Gründen anzuwenden: Zum einen besitzt der Kläger eine Niederlassungserlaubnis und hält sich seit mehr als fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet auf (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG), zum anderen lebt er mit deutschen Familienangehörigen - seiner Ehefrau und seinen Kindern - in familiärer Lebensgemeinschaft (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG).
32 
b) Der danach für eine Ausweisung des Klägers erforderliche schwerwiegende Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG ist gegeben.
33 
Nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5, 5 bis 5b und 7 AufenthG vor. Diese gesetzliche Vermutung beruht darauf, dass bei Verwirklichung der genannten Ausweisungstatbestände regelmäßig das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Ausweisung des Ausländers erfordert und der vom Gesetz bezweckte Schutz des Ausländers dahinter zurückzutreten hat. Die Regelung enthält allerdings keine Automatik, sondern erfordert eine individuelle Prüfung im jeweiligen Einzelfall, ob nicht Besonderheiten vorliegen, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass - hier des § 53 AufenthG - als weniger gewichtig erscheinen lassen. Davon ist auszugehen, wenn im konkreten Fall weder die spezial- noch die generalpräventiven Ausweisungszwecke des betreffenden Ausweisungstatbestands in dem erforderlichen Ausmaß vorliegen (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, m.w.N.; vgl. auch Senatsurteil vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 02.07.2001 - 13 S 2326/99 - InfAuslR 2002, 72).
34 
Im Falle des Klägers ist zwar nicht mit Blick auf den spezialpräventiven Ausweisungszweck (aa), aber vor dem Hintergrund der zulässigen generalpräventiven Erwägungen ein schwerwiegender Ausweisungsgrund (bb) zu bejahen.
35 
aa) Zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kann nicht (mehr) davon ausgegangen werden, dass vom Kläger die Gefahr der Wiederholung erheblicher Straftaten ausgeht. Die Ausweisung kann daher nicht mehr auf spezialpräventive Gründe gestützt werden.
36 
Allerdings ist der Ausweisungsanlass - die vom Kläger begangene Straftat der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - besonders gravierend. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 - juris, vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris, vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3, und vom 03.08.2004 - 1 C 30.02 -InfAuslR 2005, 18), der sich der Senat anschließt (einschränkend noch Senatsurteile vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 - NVwZ-RR 2012, 492, und vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291), gelten bei Straftaten mit einer hervorgehobenen Bedeutung für die im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr eher geringere Anforderungen. In den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 AufenthG besteht auch eine gesetzliche Vermutung des Vorliegens eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes in § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG. Selbst wenn man danach einem differenzierten Wahrscheinlichkeitsmaßstab folgt, bedeutet dies aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O. m.w.N.). Dies gilt nicht nur bei der Prüfung der Wiederholungsgefahr bei Assoziationsberechtigten oder Unionsbürgern, sondern jedenfalls auch bei Ausländern, denen besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 AufenthG zusteht. Auch in diesen Fällen müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit von dem Betreffenden eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht. Lässt sich die Begehung weiterer Straftaten lediglich nicht ausschließen, ist eine dem besonderen Ausweisungsschutz Rechnung tragende erhöhte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung noch nicht gegeben, so dass auch der Ausweisungsgrund nicht schwer wiegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O., sowie - zu den entsprechenden Vorgängerregelungen des § 47 Abs. 1 AuslG 1990 bzw. § 11 Abs. 1 AuslG 1965 - Urteile vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 -InfAuslR 1997, 8, und vom 17.01.1989 - 1 C 46.86 - InfAuslR 1989, 152; Beschluss vom 10.02.1995 - 1 B 221.04 - InfAuslR 1995, 273, m.w.N.).
37 
Der Senat ist aufgrund der vorliegenden Akten und Unterlagen, insbesondere des von der Strafvollstreckungskammer im Verfahren auf Aussetzung der Reststrafe eingeholten, nachvollziehbaren und überzeugenden kriminalprognostischen Gutachtens vom 24.09.2011, sowie aufgrund der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass von diesem keine nennenswerte Gefahr der Wiederholung von entsprechenden Straftaten (mehr) ausgeht.
38 
Zu Lasten des Klägers sind in diesem Zusammenhang allerdings zunächst neben der Schwere des begangenen Delikts die konkreten Tatumstände zu berücksichtigen. Das Regierungspräsidium Karlsruhe hat in dem angefochtenen Bescheid zu Recht darauf hingewiesen, dass der Kläger zwar nicht der Haupttäter war, er jedoch als Inhaber des Wettbüros eine besondere Verantwortung für das Geschehen trug, und dass er über einen Zeitraum von über dreieinhalb Stunden an der Geiselnahme mitgewirkt hat, bei welcher durch eine menschenunwürdige Befragung unter Anwendung und Androhung von Gewalt der Versuch unternommen wurde, von der Angestellten N.G. ein Geständnis für den vermeintlich von dieser bzw. deren Freund begangenen Einbruch zu erhalten. Der Kläger war dabei auch nicht etwa nur passiv beteiligt, sondern unterstützte seine Mittäter aktiv. Bereits am Vorabend der Tat war verabredet worden, N.G. Ohrfeigen zu versetzen. Zwar nahm der Haupttäter B.A. die Schreckschusspistole ohne Wissen der anderen mit. Zum einen schritten sie aber nicht gegen B.A. ein, welcher den Eindruck erweckte, N.G. erschießen zu wollen. Zum anderen nutzten sie die dadurch bei N.G. entstandene Todesangst in der Folge weiter aus bei ihren Bemühungen, ein Geständnis zu erzwingen, und hielten diese aufrecht. Der Kläger hatte außerdem die Kellertür selbst verschlossen und versperrte mit seinen Füßen den Ausgang, so dass das Opfer keine Chance hatte, den Keller zu verlassen. Er beteiligte sich aktiv an Vorhaltungen und an den Forderungen, die Tat einzuräumen, wenngleich weniger intensiv als die Mitangeklagten B.A., Y.K. und E.G. Nachdem N.G. bereits mit der Schreckschusswaffe bedroht worden war und Todesangst litt, schaltete er auf Aufforderung des Haupttäters B.A. das Licht aus, so dass eine noch bedrohlichere Atmosphäre entstand. Später schlug er dem Haupttäter auf Türkisch vor, N.G. mit der Behauptung zusätzlich unter Druck zu setzen, man habe zwischenzeitlich ihren Freund mit einem Baseballschlager "zusammengeschlagen", woraufhin dieser gestanden hätte. Nachdem B.A. den Keller verlassen hatte, befragten der Kläger, Y.K. und T.K. das Opfer N.G. zunächst weiter, bevor sie diese freiließen. Der Kläger nahm damit massive körperliche und psychische Schädigungen der N.G. billigend in Kauf. Wenn auch er und die verbliebenen Mittäter in der Folge von einer weiteren Tatausführung absahen, weshalb das Strafgericht von einer tätigen Reue ausgegangen ist, teilt der Senat die Einschätzung des Regierungspräsidiums, dass die Tat und die Tatumstände für ein erhebliches Maß an krimineller Energie des Klägers sprechen. Es handelt sich um eine besonders gravierende und mit einer erschreckenden Härte und Mitleidlosigkeit begangene Straftat.
39 
Der Kläger hat sich zudem, abgesehen von mehreren Gesprächen mit einem Psychologen in der Justizvollzugsanstalt, nicht mit professioneller Hilfe mit der Tat und den Auswirkungen für das Opfer auseinandergesetzt. An der Tiefe der von ihm in der Vergangenheit in Gesprächen geäußerten Betroffenheit über das Geschehen sind nicht nur in den ersten Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt, sondern auch in dem kriminalprognostischen Gutachten vom 24.09.2011 Zweifel geäußert worden. In dem Gutachten heißt es, es bestehe der Eindruck, dass der Kläger insgesamt emotional stärker durch die Folgen der Tat für ihn und seine Familie als durch die Folgen für das Opfer betroffen sei. Auch habe er seinen eigenen Tatbeitrag im Rahmen der Begutachtung tendenziell eher heruntergespielt. Es hätten sich somit keine Hinweise für eine tiefergehende innere Auseinandersetzung mit der Tat, respektive mit dem eigenen Beitrag zum Tatgeschehen, gefunden. So habe dieser nicht plausibel und nachvollziehbar darlegen können, weshalb er sich in keiner erkennbaren Weise für das Opfer eingesetzt habe, obgleich er das Handeln seiner Mittäter missbilligt haben wolle. Die von ihm angeführte Begründung, dass er Angst davor gehabt hätte, der Mittäter B.A. könnte die Waffe gegen ihn selbst einsetzen, erscheine insgesamt wenig plausibel. Die fehlende Auseinandersetzung mit der Straftat und den in der eigenen Person liegenden diesbezüglich relevanten Einstellungen und Motiven wird von den Gutachtern daher in prognostischer Hinsicht als ungünstiger Faktor gewertet. Tatsächlich hat der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung nicht nachvollziehbar erklären können, wie es so weit hat kommen können, vor allem, warum er nicht irgendwann eingeschritten ist. Offensichtlich kann er sich das bis heute selbst nicht erklären. Den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung ließ sich aber eine - glaubhafte - starke Betroffenheit und Reue entnehmen. Dies wurde unter anderem deutlich, als er erläuterte, dass er sich vorgestellt habe, das Opfer wären seine Ehefrau oder seine Tochter gewesen, und dass ihm klar geworden sei, welche Folgen die Tat für N.G. habe. Abgesehen von dem bereits entrichteten Schmerzensgeld für N.G. würde er gerne alles unternehmen, damit es ihr besser gehe.
40 
Selbst wenn sich danach bis heute letztlich nicht erklären lässt, wie es zu einer solchen Straftat hat kommen können, und eine erschöpfende Auseinandersetzung mit der Tat fehlt, besteht beim Kläger nicht die Gefahr einer Wiederholung erheblicher Straftaten. Dabei ist zunächst zu bedenken, dass die Straftat inzwischen fast vier Jahre zurückliegt. Der Kläger war über drei Jahre lang in Untersuchungs- und Strafhaft, welche ihn erkennbar tief beeindruckt hat. Zuvor hat er sich - abgesehen von einem nicht einschlägigen und nicht mehr zu berücksichtigenden Straßenverkehrsdelikt im Jahr 1998 - über 10 Jahre lang straffrei und bis zur Übernahme des Wettbüros - dessen Beschäftige allerdings nicht alle ordnungsgemäß angemeldet gewesen seien - ohne Beanstandungen in Deutschland aufgehalten. Nach dem Gutachten vom 24.09.2011 finden sich keine Hinweise für Berührungspunkte mit "spezifisch delinquenznahem Milieu" und auch keine Hinweise für eine tiefer in der Persönlichkeit des Klägers verankerte delinquente Neigung, etwa eine dissoziale Akzentuierung in seiner Persönlichkeit. Anhaltspunkte für eine Sucht oder eine Bindung an ein entsprechendes Milieu liegen nicht vor. Vor allem lebte und lebt er in einer stabilen partnerschaftlichen Beziehung. Die Gutachter bescheinigen ihm, dass die von ihm bekundeten Sorgen um die Entwicklung der Familie und der Kinder nachvollziehbar und glaubhaft sind. In der mündlichen Verhandlung wurde deutlich, dass der Kläger tatsächlich einen starken Rückhalt durch seine Familie und weitere Verwandte hat. In Deutschland leben noch zwei seiner Brüder. Mit seiner Frau und seinen Kindern besucht er oft die Familie seiner Ehefrau, das heißt deren Eltern und Geschwister, oder einen seiner beiden Brüder, der ebenfalls in der Nähe wohnt. Seine Ehefrau, er und die Kinder unternehmen am Wochenende gemeinsame Ausflüge. Sie begleiten den Sohn, der Handball in der Verbandsliga spielt, zu dessen Spielen, gehen auf den Jahrmarkt, ins Kino, auf Messen oder zu Verwandtenbesuchen. Der Kläger ist dafür zuständig, seinen Kindern bei Hausaufgaben im Fach Mathematik zu helfen. Er hat glaubhaft erklärt, dass er sich jetzt nur noch um seine Familie kümmern wolle. Zu den früheren Mittätern oder deren Umfeld hat der Kläger keinerlei Kontakt mehr. Die danach bestehenden starken Bindungen des Klägers an seine Familie und sein soziales Umfeld wertet der Senat, ebenso wie die Gutachter, als prognostisch günstige Kriterien. Vor diesem Hintergrund erscheint die Befürchtung des Regierungspräsidiums, der Kläger könnte erneut in eine Situation geraten, in welcher besondere "situative Faktoren" wie die im kriminalprognostischen Gutachten beschriebenen - etwa das Eingebundensein in eine Tätergruppe mit freundschaftlichen Beziehungen und Loyalitäten und die Unterordnung unter eine dominant auftretende Persönlichkeit - zu einer ähnlichen Straftat mit Gewaltanwendung führen könnten, fernliegend.
41 
Soweit in den Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt mehrmals darauf hingewiesen wird, dass der Kläger versuche, eigene Anliegen hartnäckig durchzusetzen, lässt dies keinen negativen Schluss bezüglich der Gefahr der Wiederholung weiterer Straftaten zu. Jedenfalls wurden während seiner Haftzeit gegen ihn keine Disziplinarmaßnehmen verhängt und er arbeitete ohne Beanstandungen in Betrieben der Justizvollzugsanstalt. Zudem nahm er an einem Deutschkurs teil. Auch die Gutachter betonen, dass der Umstand, dass der Kläger seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse jeweils mit einem gewissen Nachdruck vorgetragen haben solle, nicht als prognoserelevanter Faktor verwertet werden könne. Sie kommen daher in ihrer zusammenfassenden Beurteilung zu dem Ergebnis, dass die weitgehend fehlende innere Auseinandersetzung des Klägers mit der Tat der einzige prognostisch ungünstige Faktor sei, welcher zusätzlich dadurch relativiert werde, dass die Tat nicht in hohem Maße in der Persönlichkeitsstruktur des Klägers verankert erscheine, sondern eng mit spezifischen situativen Konstellationen verknüpft gewesen sei. Die prognostisch günstigen Faktoren überwögen im Vergleich deutlich. In der Gesamtwürdigung sei somit trotz der mangelnden inneren Auseinandersetzung mit der Tat nicht mehr davon auszugehen, dass beim Kläger dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbestehe.
42 
Dieser Beurteilung schließt sich der Senat an. Die Einschätzung der Gutachter wurde auch von der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Karlsruhe im Beschluss über die Aussetzung der Reststrafe vom 21.12.2011 geteilt. Selbst wenn man davon ausgeht, dass entsprechenden strafgerichtlichen Entscheidungen wegen der unterschiedlichen Maßstäbe und Prognosezeitpunkte nur eingeschränkte Bedeutung bei der im Ausweisungsverfahren zu treffenden Prognoseentscheidung zukommt (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3; weitergehend allerdings bei Assoziationsberechtigten: Senatsurteil vom 07.03.2012 - 11 S 3269/11 - InfAuslR 2012, 203), so ist die Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe hier jedenfalls als wesentliches Indiz zu berücksichtigen. Die Strafvollstreckungskammer ist nach Einholung des kriminalprognostischen Gutachtens vom 24.09.2011 zum Ergebnis gekommen, dass eine vorzeitige Entlassung aus dem Strafvollzug verantwortet werden könne. Sie hat zur Begründung ebenfalls darauf verwiesen, dass der Kläger bis zu der Geiselnahme strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei und ein sozial voll integriertes Leben geführt habe. Der Anteil des Klägers an der verurteilten Straftat stelle sich, gerade bei den Gewalttätigkeiten, eher als gering dar. Der psychiatrische Sachverständige habe ausgeführt, die Tatsache, dass sich der Kläger mit der Tat allenfalls ansatzweise auseinandergesetzt habe, sei zwar als ungünstig zu beurteilen, im Hinblick auf die spezifische situative Konstellation bei der Tat und die im Übrigen festgestellte Eingebundenheit des Klägers seien aber mit hoher Wahrscheinlichkeit keine entsprechenden Taten zu erwarten. Der Kläger selbst habe in der mündlichen Anhörung auf die Strafvollstreckungskammer einen überaus positiven Eindruck gemacht. Sie sei daher davon überzeugt, dass es ihm mit der Hilfe und der Aufsicht eines Bewährungshelfers gelingen werden, künftig ein straffreies Leben zu führen, zumal er dabei sei, sich in einer anderen Berufssparte zu etablieren.
43 
Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung sind zudem weitere Umstände gegeben, die eine günstige Prognose rechtfertigen. Der Kläger hat sich seit der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer und der Haftentlassung vor fast einem Jahr weiter bewährt. Er hat keine Schulden mehr. Weil er zunächst Probleme hatte, eine bereits bestehende Fahrerlaubnis für LKW mit einem Gesamtgewicht von über 7,5 t ausgestellt zu bekommen, gelang es ihm zwar nicht sofort nach der Haftentlassung, eine Arbeitsstelle zu finden. Seit Juli 2012 ist er aber als Fahrer bei einer Firma in Karlsruhe angestellt. In einem Schreiben der Firma vom 28.09.2012 wird bestätigt, dass dieser gewissenhaft, zuverlässig und pünktlich sei; an einer Weiterbeschäftigung bestehe Interesse. Die Bewährungshelferin des Klägers äußert sich in einem Bericht vom 24.07.2012 insgesamt ebenfalls positiv. Sie bestätigt, dass sich der Kläger intensiv um einen Arbeitsplatz bemüht, diesen wegen der Probleme mit dem Führerschein aber zunächst nicht erhalten habe. Nach der Haftentlassung sei es ihm zunächst gesundheitlich nicht gut gegangen, er sei wegen einer Depression ärztlich behandelt worden und habe im Mai und Juni wegen Nierenschmerzen und Nierensteinen stationär behandelt werden müssen. An dem bisherigen Bewährungsverlauf sei insgesamt nichts zu beanstanden, der Kläger halte vereinbarte Termine regelmäßig ein, spreche bei auftauchenden Problemen auch ohne Termin vor. Zur Zeit genügt der Verdienst des Klägers - seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung nach inzwischen in Höhe von 800,- bis 1.200,-- EUR netto monatlich - zwar noch nicht zum Lebensunterhalt der Familie. Er und seine Ehefrau haben jedoch konkrete Pläne, mit Hilfe einer selbstständigen Tätigkeit wieder ohne staatliche Unterstützungen leben zu können. Der Kläger ist weiter nicht nur in seine eigene "Kernfamilie" eingebunden, sondern hat zudem regelmäßigen Kontakt zu seinen Schwiegereltern, seinem Bruder und anderen Verwandten.
44 
bb) Wenn danach auch davon auszugehen ist, dass mit Blick auf die spezialpräventiven Gesichtspunkte ein atypischer Sachverhalt vorliegt, mithin kein Regelfall des § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG gegeben ist, ist aber das Vorliegen eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes bezüglich der vom beklagten Land angeführten generalpräventiven Gesichtspunkte zu bejahen.
45 
Generalpräventiv motivierte Ausweisungen können - ausnahmsweise - auch bei Ausländern zulässig sein, denen besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 AufenthG zukommt, wenn eine besonders schwerwiegende Straftat vorliegt und deshalb ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über eine strafrechtliche Sanktion hinaus durch eine Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, Urteile 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, und vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 - InfAuslR 1997, 8). Bei der Entscheidung sind alle wesentlichen Umstände des Einzelfalls in die Beurteilung einzubeziehen. Das Gewicht der Straftat ist nicht abstrakt, sondern konkret nach den Umständen der Tatbegehung zu bestimmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 - a.a.O.).
46 
Nach diesen Grundsätzen kann die Ausweisung hier wegen der Art und Schwere der Straftat - der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - und der geschilderten konkreten, sich über mehrere Stunden hinziehenden Tatausführung auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden. Eine abschreckende Wirkung erscheint auch mit Blick darauf wichtig, dass es sich um einen Fall von besonders skrupelloser "Selbstjustiz" gehandelt hat. Schließlich war der Einbruch in das Wettbüro des Klägers vom 29.11.2008 bereits bei der Polizei angezeigt worden. Nach Bekanntwerden der Umstände, die aus Sicht des Klägers und der Mitangeklagten für eine Täterschaft der Angestellten N.G. bzw. ihres Freundes sprachen, hatte Y.K. noch am selben Abend die Polizei auch darüber informiert. Ausweislich der Feststellungen im Strafurteil vom 30.06.2009 hatte der Polizeibeamte, welcher aufgrund der vagen Verdächtigungen keinen Grund gesehen hatte, umgehend einzuschreiten, Y.K ausdrücklich davor gewarnt, eigene Aktionen zu unternehmen. Dies hatte Y.K dem Kläger berichtet. Trotzdem verabredeten Y.K., der Kläger und die weiteren Mittäter, N.G. zur Rede zu stellen, um - gegebenenfalls mit Hilfe von Ohrfeigen - ein Geständnis zu erzwingen, und begingen am nächsten Morgen die Straftat.
47 
c) Ist der die Ausweisung tragende Grund somit hinsichtlich der generalpräventiven Gesichtspunkte schwerwiegend, so ist der Kläger an sich gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG in der Regel auszuweisen, weil er den Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 1 AufenthG verwirklicht hat. Das Regierungspräsidium hat insoweit wegen der bestehenden familiären Lebensgemeinschaft des Klägers mit seiner deutschen Ehefrau und den vier deutschen Kindern allerdings zu Recht einen Ausnahmefall angenommen, der eine Abweichung von dieser Regel gebietet, und nach Ermessen entschieden.
48 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - InfAuslR 2008, 116, m.w.N.) ist von einem die Regel durchbrechenden Ausnahmefall bereits dann auszugehen, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falls erfordern. Es kann offen bleiben, ob dies bereits dann anzunehmen ist, wenn der Schutzbereich der betroffenen Grundrechte bzw. Menschenrechte, hier Art. 6 und Art. 2 GG bzw. Art. 8 EMRK, lediglich berührt ist oder ob bereits in diesem Zusammenhang die Feststellung eines qualifizierten Eingriffs erforderlich ist. Denn jedenfalls würde im Fall des Klägers wegen der bestehenden familiären Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Ehefrau und deutschen Kindern allein durch die Herabstufung von der "Ist-Ausweisung" zu einer "Regelausweisung" durch § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG dem besonderen Schutz der Familie durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK noch nicht hinreichend einzelfallbezogen Rechnung getragen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sind dann wesentlich konkreter und einzelfallbezogener neben allen ehelichen und familiären Umständen auch andere gewichtige persönlichen Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen und eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen (vgl. zu alledem auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - InfAuslR 2007, 443).
49 
4. Das danach dem Regierungspräsidium bei der Entscheidung über die Ausweisung zustehende und nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbare Ermessen ist hier von vornherein "auf Null reduziert", weil die mit einer Ausweisung verbundenen Folgen mit Blick auf die Schutzwirkungen von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK als unverhältnismäßig anzusehen sind.
50 
Bei der Entscheidung, ob eine im Ermessen der Ausländerbehörde stehende Ausweisung tatsächlich verfügt wird, sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die in § 55 Abs. 3 AufenthG aufgeführten, nämlich die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts, die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige oder Lebenspartner des Ausländer, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben, und die in § 60a Abs. 2 und 2b AufenthG genannten Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung. Dabei sind der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Grundrechte des Betroffenen zu beachten, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK, Art. 6 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG). Liegt ein Eingriff in diese Rechte vor, ist ohnehin eine einzelfallbezogene Würdigung und Abwägung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers unter Beachtung der insbesondere vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK entwickelten Kriterien vorzunehmen (BVerwG, Beschluss vom 10.02.2011 - 1 B 22.10 - Buchholz 402.242 § 56 AufenthG Nr. 5, m.w.N.; Urteil vom 22.10.2009 - 1 C 26.08 - InfAuslR 2010, 91). Dabei sind neben allen ehelichen und familiären Umständen auch andere gewichtige persönliche Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK darf eine Behörde in die Ausübung des Rechts aus Art. 8 Abs. 1 EMRK nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Die Frage, ob der durch eine Ausweisung bewirkte Eingriff im konkreten Einzelfall in diesem Sinne „notwendig“, insbesondere verhältnismäßig ist, ist anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist dabei von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen, den so genannten Boultif/Üner-Kriterien (vgl. zu den Kriterien im Einzelnen: EGMR, Urteile vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00, Boultif - InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99, Üner - NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/03, Maslov II - InfAuslR 2008, 333, vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05, Mutlag - InfAuslR 2010, 325, und vom 13.10.2011 - Nr. 41548/06, Trabelsi - juris). Erweisen sich danach die rechtlichen oder tatsächlichen Auswirkungen einer Ausweisung in Ansehung von Art. 6 Abs. 1 GG als unverhältnismäßig bzw. im Sinne des Art. 8 EMRK als "nicht notwendig", ist das Ermessen der Behörde mit der Folge "auf Null reduziert", dass eine Ausweisung des Betreffenden ausscheidet.
51 
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist eine Ausweisung des Klägers hier unzulässig. Der Kläger ist bereits seit 1996 mit seiner Ehefrau verheiratet, welche in Deutschland geboren ist und seit 1998 die deutsche Staatangehörigkeit besitzt. Mir ihr und den vier gemeinsamen, zwischen 4 und 15 Jahre alten Kindern, die ebenfalls Deutsche sind, lebt er in enger familiärer Lebensgemeinschaft. Diesem Umstand kommt eine erhebliche und weitreichende, durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK vermittelte Schutzwirkung zu, welche durch die deutsche Staatsangehörigkeit der Ehefrau und Kinder noch verstärkt wird (vgl. schon BVerwG, Urteile vom 03.05.1973 - I C 33.72 - BVerwGE 42, 133, vom 27.09.1978 - I C 79.76 - BVerwGE 56, 246, vom 17.01.1989 - 1 C 46.86 -InfAuslR 1989, 159; vgl. auch auch BVerfG, Beschluss vom 18.07.1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386; Kammerbeschlüsse vom 15.06.1993 - 2 BvR 900/93 - InfAuslR 1994, 311, und vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320). Dies wird auch nicht etwa durch den Umstand relativiert, dass die Ehefrau früher noch die türkische Staatsangehörigkeit hatte bzw. deren Eltern aus dem Heimatland des Klägers stammen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291, und vom 30.09.2009 - 13 S 440/09 -; HessVGH, Beschluss vom 15.07.2003 - 12 TG 1484/03 - InfAuslR 2003, 388). Insbesondere kann von der Ehefrau und den Kindern nicht verlangt werden, dass sie mit dem Kläger in die Türkei ausreisen.
52 
Die bestehenden tiefen Bindungen des Klägers zu seiner Familie werden belegt durch die vielen Besuche während seiner Haftzeit. Wie ausgeführt, hat der Kläger offensichtlich ein enges und intaktes Verhältnis zu seiner Ehefrau und seinen Kindern. Er übernimmt die Erziehung der Kinder gemeinsam mit seiner Ehefrau. In Anbetracht des jungen Alters der Kinder hätte eine - wenn auch nur vorübergehende - Trennung für diese ein besonderes Gewicht (vgl. zu Kindern in den ersten Lebensjahren BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320, und vom 01.12.2008 - 2 BvR 1830/08 -juris). Deren Belangen könnte daher auch durch eine Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf einen bestimmten - nicht zu langen - Zeitraum nicht hinreichend Rechnung getragen werden.
53 
Auf der anderen Seite ist das öffentliche Interesse einer Ausweisung hier gemindert, weil ungeachtet der Schwere der vom Kläger begangenen Straftat nicht mehr von einer relevanten Wiederholungsgefahr ausgegangen werden kann. Allein die generalpräventiven Erwägungen vermögen den mit einer Ausweisung verbundenen Eingriff in Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht zu rechtfertigen. Wie ausgeführt, ist zwar davon auszugehen, dass eine besonders schwerwiegende Straftat vorliegt und deshalb - grundsätzlich - ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über eine strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, Urteile 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, und vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 -InfAuslR 1997, 8). Dieses vermag aber in Anbetracht der konkreten Umstände des vorliegenden Falles den Eingriff in das Schutzgebot von Art. 6 Abs. 1 GG bzw. das Achtungsgebots des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht zu rechtfertigen. Dabei ist von besonderer Relevanz, dass die Tat annähernd vier Jahre zurückliegt und der Kläger seine Strafe verbüßt hat. Auch sind die bereits im Rahmen der Prüfung der Wiederholungsgefahr angeführten, für den Kläger sprechenden weiteren Umstände zu berücksichtigen, etwa dass er sich bereits seit 1996 rechtmäßig hier aufhält, zuvor - bis auf das Verkehrsdelikt - nie straffällig geworden war, außerdem dass er sich immer bemüht hat, ausreichend für seine Familie und sich zu sorgen und sich auch seit seiner Haftentlassung bewährt hat.
54 
Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass die Ausweisung des Klägers hier im Ergebnis selbst dann als unverhältnismäßig anzusehen ist, wenn man noch vom Bestehen einer geringen, aber die Erheblichkeitsschwelle übersteigenden Wiederholungsgefahr und damit dem Vorliegen spezialpräventiver Ausweisungsgründe ausginge. Denn aus den - zur Unverhältnismäßigkeit einer generalpräventiv motivierten Ausweisung - angeführten Gründen führt die danach erforderliche Abwägung ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die privaten Interessen des Klägers und seiner Familienangehörigen das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung überwiegen.
II.
55 
Unter diesen Umständen ist auch die im Bescheid vom 22.10.2010 verfügten Abschiebungsandrohung rechtswidrig und aufzuheben.
56 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
57 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
58 
Beschluss vom 23. Oktober 2012
59 
Der Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt (§§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG).
60 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
24 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht und ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 6 und Abs. 3 Satz 4 VwGO) Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02.03.2011 hat Erfolg. Die Anfechtungsklage des Klägers gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 22.10.2010 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteile vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - InfAuslR 2008, 156, und vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris) begründet. Die darin unter Ziffer 1 verfügte Ausweisung und die Abschiebungsandrohung unter Ziffern 2 und 3 sind rechtswidrig und verletzen dadurch den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Einer Entscheidung über den vom Kläger im Berufungsverfahren lediglich hilfsweise gestellten Antrag auf Verpflichtung des beklagten Landes zur Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 bezeichneten Wirkungen der Ausweisung "auf sofort" (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O.) bedarf es daher nicht.
I.
25 
Die auf §§ 53 Nr. 1, 56 Abs. 1, 55 AufenthG beruhende (dazu unter 1. und 2.) Ausweisung des Klägers, die hier im Ermessen des beklagten Landes steht (3.), ist mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz rechtswidrig (4.).
26 
1. Maßgebliche Rechtsgrundlage sind die §§ 53 Nr. 1, 56 Abs. 1, 55 AufenthG.
27 
Insbesondere sind nicht etwa allein wegen des Umstands, dass die Ehefrau und die Kinder des Klägers deutsche Staatsangehörige sind, besondere unionsrechtliche Anforderungen zu beachten (vgl. hierzu EuGH, Urteile vom 05.05.2011 - Rs. C-434/09, McCarthy - InfAuslR 2011, 268, und vom 15.11.2011 - Rs. C-256/11, Dereci - InfAuslR 2012, 47; Senatsurteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 - NVwZ-RR 2012, 412).
28 
Eine nur beschränkte Anwendbarkeit der Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG folgt hier auch nicht aus dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: ARB 1/80; vgl. insbesondere Art. 14 ARB 1/80). Eine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80 hat der Kläger nicht erworben, weil seine Ehefrau vor Ablauf von drei Jahren nach Zuzug des Klägers eingebürgert wurde und die türkische Staatsangehörigkeit aufgegeben hat (vgl. dazu Renner, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 4 Rn. 156 m.w.N.). Ob er jemals die Voraussetzungen des - hier allein in Betracht kommenden - 2. Spiegelstrichs des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erfüllt hat, kann offen bleiben. Denn er hat eine eventuelle Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 durch die spätere Aufnahme selbstständiger Tätigkeiten, zuletzt den Betrieb des Wettbüros - aufgrund dessen der Kläger jedenfalls dem Arbeitsmarkt auf unabsehbare Zeit nicht mehr zur Verfügung stand - verloren (streitig, ebenso: Hess. VGH, Urteil vom 09.02.2004 - 12 TG 3548/03 - InfAuslR 2004, 230; Bayer. VGH, Urteil vom 26.03.2007 - 24 BV 03.2091 - juris; vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18.10.2006 - 13 S 192/06 - InfAuslR 2007, 49; a.A. VG Stuttgart, Urteil vom 23.05.2011 - 11 K 2967/10 - juris; vgl. zum Streitstand GK-AufenthG, Stand: September 2012, IX - 1 Art. 6 Rn. 238 f.; Hailbronner, AuslR, Stand: August 2012, D 5.1, Art. 6 ARB 1/80 Rn. 46). Letztlich kommt es aber auf diese Frage hier nicht an. Folge einer assoziationsrechtlichen Rechtsstellung des Klägers wäre ein erhöhter Ausweisungsschutz (vgl. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80; Senatsurteil vom 16.04.2012 - 11 S 4/12 - juris m.w.N.). Wie sich aus dem Folgenden ergibt, erweist sich die Ausweisung auch dann als rechtswidrig und ist daher aufzuheben, wenn ihm dieser nicht zukäme.
29 
2. Allerdings sind die Tatbestandsvoraussetzungen einer "Ist-Ausweisung" nach § 53 Nr. 1 AufenthG gegeben. Danach wird ein Ausländer unter anderem dann ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das ist hier wegen der Verurteilung des Klägers durch das Landgericht Karlsruhe vom 30.06.2009 wegen Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten der Fall.
30 
3. Trotz Erfüllung des an sich zwingenden Ausweisungsgrundes des § 53 Nr. 1 AufenthG steht die Ausweisung des Klägers jedoch im Ermessen und ist deshalb nach § 55 AufenthG zu beurteilen. Der Kläger genießt unstreitig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz (a). Er darf daher gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Solche liegen gemäß § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 AufenthG, also auch hier, vor. Diesbezüglich ist auch nicht vom Vorliegen eines Ausnahmefalls auszugehen (b). Hier ist aber eine Ausnahme von der "Regelrechtsfolge" des § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG geboten, wonach der betreffende Ausländer bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 AufenthG "in der Regel" ausgewiesen wird. Über seine Ausweisung ist daher nach Ermessen zu entscheiden (c).
31 
a) § 56 Abs. 1 AufenthG ist aus zwei Gründen anzuwenden: Zum einen besitzt der Kläger eine Niederlassungserlaubnis und hält sich seit mehr als fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet auf (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG), zum anderen lebt er mit deutschen Familienangehörigen - seiner Ehefrau und seinen Kindern - in familiärer Lebensgemeinschaft (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG).
32 
b) Der danach für eine Ausweisung des Klägers erforderliche schwerwiegende Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG ist gegeben.
33 
Nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5, 5 bis 5b und 7 AufenthG vor. Diese gesetzliche Vermutung beruht darauf, dass bei Verwirklichung der genannten Ausweisungstatbestände regelmäßig das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Ausweisung des Ausländers erfordert und der vom Gesetz bezweckte Schutz des Ausländers dahinter zurückzutreten hat. Die Regelung enthält allerdings keine Automatik, sondern erfordert eine individuelle Prüfung im jeweiligen Einzelfall, ob nicht Besonderheiten vorliegen, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass - hier des § 53 AufenthG - als weniger gewichtig erscheinen lassen. Davon ist auszugehen, wenn im konkreten Fall weder die spezial- noch die generalpräventiven Ausweisungszwecke des betreffenden Ausweisungstatbestands in dem erforderlichen Ausmaß vorliegen (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, m.w.N.; vgl. auch Senatsurteil vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 02.07.2001 - 13 S 2326/99 - InfAuslR 2002, 72).
34 
Im Falle des Klägers ist zwar nicht mit Blick auf den spezialpräventiven Ausweisungszweck (aa), aber vor dem Hintergrund der zulässigen generalpräventiven Erwägungen ein schwerwiegender Ausweisungsgrund (bb) zu bejahen.
35 
aa) Zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kann nicht (mehr) davon ausgegangen werden, dass vom Kläger die Gefahr der Wiederholung erheblicher Straftaten ausgeht. Die Ausweisung kann daher nicht mehr auf spezialpräventive Gründe gestützt werden.
36 
Allerdings ist der Ausweisungsanlass - die vom Kläger begangene Straftat der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - besonders gravierend. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 - juris, vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris, vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3, und vom 03.08.2004 - 1 C 30.02 -InfAuslR 2005, 18), der sich der Senat anschließt (einschränkend noch Senatsurteile vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 - NVwZ-RR 2012, 492, und vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291), gelten bei Straftaten mit einer hervorgehobenen Bedeutung für die im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr eher geringere Anforderungen. In den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 AufenthG besteht auch eine gesetzliche Vermutung des Vorliegens eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes in § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG. Selbst wenn man danach einem differenzierten Wahrscheinlichkeitsmaßstab folgt, bedeutet dies aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O. m.w.N.). Dies gilt nicht nur bei der Prüfung der Wiederholungsgefahr bei Assoziationsberechtigten oder Unionsbürgern, sondern jedenfalls auch bei Ausländern, denen besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 AufenthG zusteht. Auch in diesen Fällen müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit von dem Betreffenden eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht. Lässt sich die Begehung weiterer Straftaten lediglich nicht ausschließen, ist eine dem besonderen Ausweisungsschutz Rechnung tragende erhöhte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung noch nicht gegeben, so dass auch der Ausweisungsgrund nicht schwer wiegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - a.a.O., sowie - zu den entsprechenden Vorgängerregelungen des § 47 Abs. 1 AuslG 1990 bzw. § 11 Abs. 1 AuslG 1965 - Urteile vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 -InfAuslR 1997, 8, und vom 17.01.1989 - 1 C 46.86 - InfAuslR 1989, 152; Beschluss vom 10.02.1995 - 1 B 221.04 - InfAuslR 1995, 273, m.w.N.).
37 
Der Senat ist aufgrund der vorliegenden Akten und Unterlagen, insbesondere des von der Strafvollstreckungskammer im Verfahren auf Aussetzung der Reststrafe eingeholten, nachvollziehbaren und überzeugenden kriminalprognostischen Gutachtens vom 24.09.2011, sowie aufgrund der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass von diesem keine nennenswerte Gefahr der Wiederholung von entsprechenden Straftaten (mehr) ausgeht.
38 
Zu Lasten des Klägers sind in diesem Zusammenhang allerdings zunächst neben der Schwere des begangenen Delikts die konkreten Tatumstände zu berücksichtigen. Das Regierungspräsidium Karlsruhe hat in dem angefochtenen Bescheid zu Recht darauf hingewiesen, dass der Kläger zwar nicht der Haupttäter war, er jedoch als Inhaber des Wettbüros eine besondere Verantwortung für das Geschehen trug, und dass er über einen Zeitraum von über dreieinhalb Stunden an der Geiselnahme mitgewirkt hat, bei welcher durch eine menschenunwürdige Befragung unter Anwendung und Androhung von Gewalt der Versuch unternommen wurde, von der Angestellten N.G. ein Geständnis für den vermeintlich von dieser bzw. deren Freund begangenen Einbruch zu erhalten. Der Kläger war dabei auch nicht etwa nur passiv beteiligt, sondern unterstützte seine Mittäter aktiv. Bereits am Vorabend der Tat war verabredet worden, N.G. Ohrfeigen zu versetzen. Zwar nahm der Haupttäter B.A. die Schreckschusspistole ohne Wissen der anderen mit. Zum einen schritten sie aber nicht gegen B.A. ein, welcher den Eindruck erweckte, N.G. erschießen zu wollen. Zum anderen nutzten sie die dadurch bei N.G. entstandene Todesangst in der Folge weiter aus bei ihren Bemühungen, ein Geständnis zu erzwingen, und hielten diese aufrecht. Der Kläger hatte außerdem die Kellertür selbst verschlossen und versperrte mit seinen Füßen den Ausgang, so dass das Opfer keine Chance hatte, den Keller zu verlassen. Er beteiligte sich aktiv an Vorhaltungen und an den Forderungen, die Tat einzuräumen, wenngleich weniger intensiv als die Mitangeklagten B.A., Y.K. und E.G. Nachdem N.G. bereits mit der Schreckschusswaffe bedroht worden war und Todesangst litt, schaltete er auf Aufforderung des Haupttäters B.A. das Licht aus, so dass eine noch bedrohlichere Atmosphäre entstand. Später schlug er dem Haupttäter auf Türkisch vor, N.G. mit der Behauptung zusätzlich unter Druck zu setzen, man habe zwischenzeitlich ihren Freund mit einem Baseballschlager "zusammengeschlagen", woraufhin dieser gestanden hätte. Nachdem B.A. den Keller verlassen hatte, befragten der Kläger, Y.K. und T.K. das Opfer N.G. zunächst weiter, bevor sie diese freiließen. Der Kläger nahm damit massive körperliche und psychische Schädigungen der N.G. billigend in Kauf. Wenn auch er und die verbliebenen Mittäter in der Folge von einer weiteren Tatausführung absahen, weshalb das Strafgericht von einer tätigen Reue ausgegangen ist, teilt der Senat die Einschätzung des Regierungspräsidiums, dass die Tat und die Tatumstände für ein erhebliches Maß an krimineller Energie des Klägers sprechen. Es handelt sich um eine besonders gravierende und mit einer erschreckenden Härte und Mitleidlosigkeit begangene Straftat.
39 
Der Kläger hat sich zudem, abgesehen von mehreren Gesprächen mit einem Psychologen in der Justizvollzugsanstalt, nicht mit professioneller Hilfe mit der Tat und den Auswirkungen für das Opfer auseinandergesetzt. An der Tiefe der von ihm in der Vergangenheit in Gesprächen geäußerten Betroffenheit über das Geschehen sind nicht nur in den ersten Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt, sondern auch in dem kriminalprognostischen Gutachten vom 24.09.2011 Zweifel geäußert worden. In dem Gutachten heißt es, es bestehe der Eindruck, dass der Kläger insgesamt emotional stärker durch die Folgen der Tat für ihn und seine Familie als durch die Folgen für das Opfer betroffen sei. Auch habe er seinen eigenen Tatbeitrag im Rahmen der Begutachtung tendenziell eher heruntergespielt. Es hätten sich somit keine Hinweise für eine tiefergehende innere Auseinandersetzung mit der Tat, respektive mit dem eigenen Beitrag zum Tatgeschehen, gefunden. So habe dieser nicht plausibel und nachvollziehbar darlegen können, weshalb er sich in keiner erkennbaren Weise für das Opfer eingesetzt habe, obgleich er das Handeln seiner Mittäter missbilligt haben wolle. Die von ihm angeführte Begründung, dass er Angst davor gehabt hätte, der Mittäter B.A. könnte die Waffe gegen ihn selbst einsetzen, erscheine insgesamt wenig plausibel. Die fehlende Auseinandersetzung mit der Straftat und den in der eigenen Person liegenden diesbezüglich relevanten Einstellungen und Motiven wird von den Gutachtern daher in prognostischer Hinsicht als ungünstiger Faktor gewertet. Tatsächlich hat der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung nicht nachvollziehbar erklären können, wie es so weit hat kommen können, vor allem, warum er nicht irgendwann eingeschritten ist. Offensichtlich kann er sich das bis heute selbst nicht erklären. Den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung ließ sich aber eine - glaubhafte - starke Betroffenheit und Reue entnehmen. Dies wurde unter anderem deutlich, als er erläuterte, dass er sich vorgestellt habe, das Opfer wären seine Ehefrau oder seine Tochter gewesen, und dass ihm klar geworden sei, welche Folgen die Tat für N.G. habe. Abgesehen von dem bereits entrichteten Schmerzensgeld für N.G. würde er gerne alles unternehmen, damit es ihr besser gehe.
40 
Selbst wenn sich danach bis heute letztlich nicht erklären lässt, wie es zu einer solchen Straftat hat kommen können, und eine erschöpfende Auseinandersetzung mit der Tat fehlt, besteht beim Kläger nicht die Gefahr einer Wiederholung erheblicher Straftaten. Dabei ist zunächst zu bedenken, dass die Straftat inzwischen fast vier Jahre zurückliegt. Der Kläger war über drei Jahre lang in Untersuchungs- und Strafhaft, welche ihn erkennbar tief beeindruckt hat. Zuvor hat er sich - abgesehen von einem nicht einschlägigen und nicht mehr zu berücksichtigenden Straßenverkehrsdelikt im Jahr 1998 - über 10 Jahre lang straffrei und bis zur Übernahme des Wettbüros - dessen Beschäftige allerdings nicht alle ordnungsgemäß angemeldet gewesen seien - ohne Beanstandungen in Deutschland aufgehalten. Nach dem Gutachten vom 24.09.2011 finden sich keine Hinweise für Berührungspunkte mit "spezifisch delinquenznahem Milieu" und auch keine Hinweise für eine tiefer in der Persönlichkeit des Klägers verankerte delinquente Neigung, etwa eine dissoziale Akzentuierung in seiner Persönlichkeit. Anhaltspunkte für eine Sucht oder eine Bindung an ein entsprechendes Milieu liegen nicht vor. Vor allem lebte und lebt er in einer stabilen partnerschaftlichen Beziehung. Die Gutachter bescheinigen ihm, dass die von ihm bekundeten Sorgen um die Entwicklung der Familie und der Kinder nachvollziehbar und glaubhaft sind. In der mündlichen Verhandlung wurde deutlich, dass der Kläger tatsächlich einen starken Rückhalt durch seine Familie und weitere Verwandte hat. In Deutschland leben noch zwei seiner Brüder. Mit seiner Frau und seinen Kindern besucht er oft die Familie seiner Ehefrau, das heißt deren Eltern und Geschwister, oder einen seiner beiden Brüder, der ebenfalls in der Nähe wohnt. Seine Ehefrau, er und die Kinder unternehmen am Wochenende gemeinsame Ausflüge. Sie begleiten den Sohn, der Handball in der Verbandsliga spielt, zu dessen Spielen, gehen auf den Jahrmarkt, ins Kino, auf Messen oder zu Verwandtenbesuchen. Der Kläger ist dafür zuständig, seinen Kindern bei Hausaufgaben im Fach Mathematik zu helfen. Er hat glaubhaft erklärt, dass er sich jetzt nur noch um seine Familie kümmern wolle. Zu den früheren Mittätern oder deren Umfeld hat der Kläger keinerlei Kontakt mehr. Die danach bestehenden starken Bindungen des Klägers an seine Familie und sein soziales Umfeld wertet der Senat, ebenso wie die Gutachter, als prognostisch günstige Kriterien. Vor diesem Hintergrund erscheint die Befürchtung des Regierungspräsidiums, der Kläger könnte erneut in eine Situation geraten, in welcher besondere "situative Faktoren" wie die im kriminalprognostischen Gutachten beschriebenen - etwa das Eingebundensein in eine Tätergruppe mit freundschaftlichen Beziehungen und Loyalitäten und die Unterordnung unter eine dominant auftretende Persönlichkeit - zu einer ähnlichen Straftat mit Gewaltanwendung führen könnten, fernliegend.
41 
Soweit in den Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt mehrmals darauf hingewiesen wird, dass der Kläger versuche, eigene Anliegen hartnäckig durchzusetzen, lässt dies keinen negativen Schluss bezüglich der Gefahr der Wiederholung weiterer Straftaten zu. Jedenfalls wurden während seiner Haftzeit gegen ihn keine Disziplinarmaßnehmen verhängt und er arbeitete ohne Beanstandungen in Betrieben der Justizvollzugsanstalt. Zudem nahm er an einem Deutschkurs teil. Auch die Gutachter betonen, dass der Umstand, dass der Kläger seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse jeweils mit einem gewissen Nachdruck vorgetragen haben solle, nicht als prognoserelevanter Faktor verwertet werden könne. Sie kommen daher in ihrer zusammenfassenden Beurteilung zu dem Ergebnis, dass die weitgehend fehlende innere Auseinandersetzung des Klägers mit der Tat der einzige prognostisch ungünstige Faktor sei, welcher zusätzlich dadurch relativiert werde, dass die Tat nicht in hohem Maße in der Persönlichkeitsstruktur des Klägers verankert erscheine, sondern eng mit spezifischen situativen Konstellationen verknüpft gewesen sei. Die prognostisch günstigen Faktoren überwögen im Vergleich deutlich. In der Gesamtwürdigung sei somit trotz der mangelnden inneren Auseinandersetzung mit der Tat nicht mehr davon auszugehen, dass beim Kläger dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbestehe.
42 
Dieser Beurteilung schließt sich der Senat an. Die Einschätzung der Gutachter wurde auch von der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Karlsruhe im Beschluss über die Aussetzung der Reststrafe vom 21.12.2011 geteilt. Selbst wenn man davon ausgeht, dass entsprechenden strafgerichtlichen Entscheidungen wegen der unterschiedlichen Maßstäbe und Prognosezeitpunkte nur eingeschränkte Bedeutung bei der im Ausweisungsverfahren zu treffenden Prognoseentscheidung zukommt (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3; weitergehend allerdings bei Assoziationsberechtigten: Senatsurteil vom 07.03.2012 - 11 S 3269/11 - InfAuslR 2012, 203), so ist die Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe hier jedenfalls als wesentliches Indiz zu berücksichtigen. Die Strafvollstreckungskammer ist nach Einholung des kriminalprognostischen Gutachtens vom 24.09.2011 zum Ergebnis gekommen, dass eine vorzeitige Entlassung aus dem Strafvollzug verantwortet werden könne. Sie hat zur Begründung ebenfalls darauf verwiesen, dass der Kläger bis zu der Geiselnahme strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei und ein sozial voll integriertes Leben geführt habe. Der Anteil des Klägers an der verurteilten Straftat stelle sich, gerade bei den Gewalttätigkeiten, eher als gering dar. Der psychiatrische Sachverständige habe ausgeführt, die Tatsache, dass sich der Kläger mit der Tat allenfalls ansatzweise auseinandergesetzt habe, sei zwar als ungünstig zu beurteilen, im Hinblick auf die spezifische situative Konstellation bei der Tat und die im Übrigen festgestellte Eingebundenheit des Klägers seien aber mit hoher Wahrscheinlichkeit keine entsprechenden Taten zu erwarten. Der Kläger selbst habe in der mündlichen Anhörung auf die Strafvollstreckungskammer einen überaus positiven Eindruck gemacht. Sie sei daher davon überzeugt, dass es ihm mit der Hilfe und der Aufsicht eines Bewährungshelfers gelingen werden, künftig ein straffreies Leben zu führen, zumal er dabei sei, sich in einer anderen Berufssparte zu etablieren.
43 
Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung sind zudem weitere Umstände gegeben, die eine günstige Prognose rechtfertigen. Der Kläger hat sich seit der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer und der Haftentlassung vor fast einem Jahr weiter bewährt. Er hat keine Schulden mehr. Weil er zunächst Probleme hatte, eine bereits bestehende Fahrerlaubnis für LKW mit einem Gesamtgewicht von über 7,5 t ausgestellt zu bekommen, gelang es ihm zwar nicht sofort nach der Haftentlassung, eine Arbeitsstelle zu finden. Seit Juli 2012 ist er aber als Fahrer bei einer Firma in Karlsruhe angestellt. In einem Schreiben der Firma vom 28.09.2012 wird bestätigt, dass dieser gewissenhaft, zuverlässig und pünktlich sei; an einer Weiterbeschäftigung bestehe Interesse. Die Bewährungshelferin des Klägers äußert sich in einem Bericht vom 24.07.2012 insgesamt ebenfalls positiv. Sie bestätigt, dass sich der Kläger intensiv um einen Arbeitsplatz bemüht, diesen wegen der Probleme mit dem Führerschein aber zunächst nicht erhalten habe. Nach der Haftentlassung sei es ihm zunächst gesundheitlich nicht gut gegangen, er sei wegen einer Depression ärztlich behandelt worden und habe im Mai und Juni wegen Nierenschmerzen und Nierensteinen stationär behandelt werden müssen. An dem bisherigen Bewährungsverlauf sei insgesamt nichts zu beanstanden, der Kläger halte vereinbarte Termine regelmäßig ein, spreche bei auftauchenden Problemen auch ohne Termin vor. Zur Zeit genügt der Verdienst des Klägers - seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung nach inzwischen in Höhe von 800,- bis 1.200,-- EUR netto monatlich - zwar noch nicht zum Lebensunterhalt der Familie. Er und seine Ehefrau haben jedoch konkrete Pläne, mit Hilfe einer selbstständigen Tätigkeit wieder ohne staatliche Unterstützungen leben zu können. Der Kläger ist weiter nicht nur in seine eigene "Kernfamilie" eingebunden, sondern hat zudem regelmäßigen Kontakt zu seinen Schwiegereltern, seinem Bruder und anderen Verwandten.
44 
bb) Wenn danach auch davon auszugehen ist, dass mit Blick auf die spezialpräventiven Gesichtspunkte ein atypischer Sachverhalt vorliegt, mithin kein Regelfall des § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG gegeben ist, ist aber das Vorliegen eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes bezüglich der vom beklagten Land angeführten generalpräventiven Gesichtspunkte zu bejahen.
45 
Generalpräventiv motivierte Ausweisungen können - ausnahmsweise - auch bei Ausländern zulässig sein, denen besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 AufenthG zukommt, wenn eine besonders schwerwiegende Straftat vorliegt und deshalb ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über eine strafrechtliche Sanktion hinaus durch eine Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, Urteile 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, und vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 - InfAuslR 1997, 8). Bei der Entscheidung sind alle wesentlichen Umstände des Einzelfalls in die Beurteilung einzubeziehen. Das Gewicht der Straftat ist nicht abstrakt, sondern konkret nach den Umständen der Tatbegehung zu bestimmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 - a.a.O.).
46 
Nach diesen Grundsätzen kann die Ausweisung hier wegen der Art und Schwere der Straftat - der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - und der geschilderten konkreten, sich über mehrere Stunden hinziehenden Tatausführung auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden. Eine abschreckende Wirkung erscheint auch mit Blick darauf wichtig, dass es sich um einen Fall von besonders skrupelloser "Selbstjustiz" gehandelt hat. Schließlich war der Einbruch in das Wettbüro des Klägers vom 29.11.2008 bereits bei der Polizei angezeigt worden. Nach Bekanntwerden der Umstände, die aus Sicht des Klägers und der Mitangeklagten für eine Täterschaft der Angestellten N.G. bzw. ihres Freundes sprachen, hatte Y.K. noch am selben Abend die Polizei auch darüber informiert. Ausweislich der Feststellungen im Strafurteil vom 30.06.2009 hatte der Polizeibeamte, welcher aufgrund der vagen Verdächtigungen keinen Grund gesehen hatte, umgehend einzuschreiten, Y.K ausdrücklich davor gewarnt, eigene Aktionen zu unternehmen. Dies hatte Y.K dem Kläger berichtet. Trotzdem verabredeten Y.K., der Kläger und die weiteren Mittäter, N.G. zur Rede zu stellen, um - gegebenenfalls mit Hilfe von Ohrfeigen - ein Geständnis zu erzwingen, und begingen am nächsten Morgen die Straftat.
47 
c) Ist der die Ausweisung tragende Grund somit hinsichtlich der generalpräventiven Gesichtspunkte schwerwiegend, so ist der Kläger an sich gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG in der Regel auszuweisen, weil er den Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 1 AufenthG verwirklicht hat. Das Regierungspräsidium hat insoweit wegen der bestehenden familiären Lebensgemeinschaft des Klägers mit seiner deutschen Ehefrau und den vier deutschen Kindern allerdings zu Recht einen Ausnahmefall angenommen, der eine Abweichung von dieser Regel gebietet, und nach Ermessen entschieden.
48 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - InfAuslR 2008, 116, m.w.N.) ist von einem die Regel durchbrechenden Ausnahmefall bereits dann auszugehen, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falls erfordern. Es kann offen bleiben, ob dies bereits dann anzunehmen ist, wenn der Schutzbereich der betroffenen Grundrechte bzw. Menschenrechte, hier Art. 6 und Art. 2 GG bzw. Art. 8 EMRK, lediglich berührt ist oder ob bereits in diesem Zusammenhang die Feststellung eines qualifizierten Eingriffs erforderlich ist. Denn jedenfalls würde im Fall des Klägers wegen der bestehenden familiären Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Ehefrau und deutschen Kindern allein durch die Herabstufung von der "Ist-Ausweisung" zu einer "Regelausweisung" durch § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG dem besonderen Schutz der Familie durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK noch nicht hinreichend einzelfallbezogen Rechnung getragen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sind dann wesentlich konkreter und einzelfallbezogener neben allen ehelichen und familiären Umständen auch andere gewichtige persönlichen Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen und eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen (vgl. zu alledem auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - InfAuslR 2007, 443).
49 
4. Das danach dem Regierungspräsidium bei der Entscheidung über die Ausweisung zustehende und nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbare Ermessen ist hier von vornherein "auf Null reduziert", weil die mit einer Ausweisung verbundenen Folgen mit Blick auf die Schutzwirkungen von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK als unverhältnismäßig anzusehen sind.
50 
Bei der Entscheidung, ob eine im Ermessen der Ausländerbehörde stehende Ausweisung tatsächlich verfügt wird, sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die in § 55 Abs. 3 AufenthG aufgeführten, nämlich die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts, die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige oder Lebenspartner des Ausländer, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben, und die in § 60a Abs. 2 und 2b AufenthG genannten Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung. Dabei sind der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Grundrechte des Betroffenen zu beachten, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK, Art. 6 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG). Liegt ein Eingriff in diese Rechte vor, ist ohnehin eine einzelfallbezogene Würdigung und Abwägung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers unter Beachtung der insbesondere vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK entwickelten Kriterien vorzunehmen (BVerwG, Beschluss vom 10.02.2011 - 1 B 22.10 - Buchholz 402.242 § 56 AufenthG Nr. 5, m.w.N.; Urteil vom 22.10.2009 - 1 C 26.08 - InfAuslR 2010, 91). Dabei sind neben allen ehelichen und familiären Umständen auch andere gewichtige persönliche Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK darf eine Behörde in die Ausübung des Rechts aus Art. 8 Abs. 1 EMRK nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Die Frage, ob der durch eine Ausweisung bewirkte Eingriff im konkreten Einzelfall in diesem Sinne „notwendig“, insbesondere verhältnismäßig ist, ist anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist dabei von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen, den so genannten Boultif/Üner-Kriterien (vgl. zu den Kriterien im Einzelnen: EGMR, Urteile vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00, Boultif - InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99, Üner - NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/03, Maslov II - InfAuslR 2008, 333, vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05, Mutlag - InfAuslR 2010, 325, und vom 13.10.2011 - Nr. 41548/06, Trabelsi - juris). Erweisen sich danach die rechtlichen oder tatsächlichen Auswirkungen einer Ausweisung in Ansehung von Art. 6 Abs. 1 GG als unverhältnismäßig bzw. im Sinne des Art. 8 EMRK als "nicht notwendig", ist das Ermessen der Behörde mit der Folge "auf Null reduziert", dass eine Ausweisung des Betreffenden ausscheidet.
51 
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist eine Ausweisung des Klägers hier unzulässig. Der Kläger ist bereits seit 1996 mit seiner Ehefrau verheiratet, welche in Deutschland geboren ist und seit 1998 die deutsche Staatangehörigkeit besitzt. Mir ihr und den vier gemeinsamen, zwischen 4 und 15 Jahre alten Kindern, die ebenfalls Deutsche sind, lebt er in enger familiärer Lebensgemeinschaft. Diesem Umstand kommt eine erhebliche und weitreichende, durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK vermittelte Schutzwirkung zu, welche durch die deutsche Staatsangehörigkeit der Ehefrau und Kinder noch verstärkt wird (vgl. schon BVerwG, Urteile vom 03.05.1973 - I C 33.72 - BVerwGE 42, 133, vom 27.09.1978 - I C 79.76 - BVerwGE 56, 246, vom 17.01.1989 - 1 C 46.86 -InfAuslR 1989, 159; vgl. auch auch BVerfG, Beschluss vom 18.07.1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386; Kammerbeschlüsse vom 15.06.1993 - 2 BvR 900/93 - InfAuslR 1994, 311, und vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320). Dies wird auch nicht etwa durch den Umstand relativiert, dass die Ehefrau früher noch die türkische Staatsangehörigkeit hatte bzw. deren Eltern aus dem Heimatland des Klägers stammen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291, und vom 30.09.2009 - 13 S 440/09 -; HessVGH, Beschluss vom 15.07.2003 - 12 TG 1484/03 - InfAuslR 2003, 388). Insbesondere kann von der Ehefrau und den Kindern nicht verlangt werden, dass sie mit dem Kläger in die Türkei ausreisen.
52 
Die bestehenden tiefen Bindungen des Klägers zu seiner Familie werden belegt durch die vielen Besuche während seiner Haftzeit. Wie ausgeführt, hat der Kläger offensichtlich ein enges und intaktes Verhältnis zu seiner Ehefrau und seinen Kindern. Er übernimmt die Erziehung der Kinder gemeinsam mit seiner Ehefrau. In Anbetracht des jungen Alters der Kinder hätte eine - wenn auch nur vorübergehende - Trennung für diese ein besonderes Gewicht (vgl. zu Kindern in den ersten Lebensjahren BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320, und vom 01.12.2008 - 2 BvR 1830/08 -juris). Deren Belangen könnte daher auch durch eine Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf einen bestimmten - nicht zu langen - Zeitraum nicht hinreichend Rechnung getragen werden.
53 
Auf der anderen Seite ist das öffentliche Interesse einer Ausweisung hier gemindert, weil ungeachtet der Schwere der vom Kläger begangenen Straftat nicht mehr von einer relevanten Wiederholungsgefahr ausgegangen werden kann. Allein die generalpräventiven Erwägungen vermögen den mit einer Ausweisung verbundenen Eingriff in Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht zu rechtfertigen. Wie ausgeführt, ist zwar davon auszugehen, dass eine besonders schwerwiegende Straftat vorliegt und deshalb - grundsätzlich - ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über eine strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, Urteile 14.02.2012 - 1 C 7.11 - InfAuslR 2012, 255, vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49, und vom 11.06.1996 - 1 C 24.94 -InfAuslR 1997, 8). Dieses vermag aber in Anbetracht der konkreten Umstände des vorliegenden Falles den Eingriff in das Schutzgebot von Art. 6 Abs. 1 GG bzw. das Achtungsgebots des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht zu rechtfertigen. Dabei ist von besonderer Relevanz, dass die Tat annähernd vier Jahre zurückliegt und der Kläger seine Strafe verbüßt hat. Auch sind die bereits im Rahmen der Prüfung der Wiederholungsgefahr angeführten, für den Kläger sprechenden weiteren Umstände zu berücksichtigen, etwa dass er sich bereits seit 1996 rechtmäßig hier aufhält, zuvor - bis auf das Verkehrsdelikt - nie straffällig geworden war, außerdem dass er sich immer bemüht hat, ausreichend für seine Familie und sich zu sorgen und sich auch seit seiner Haftentlassung bewährt hat.
54 
Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass die Ausweisung des Klägers hier im Ergebnis selbst dann als unverhältnismäßig anzusehen ist, wenn man noch vom Bestehen einer geringen, aber die Erheblichkeitsschwelle übersteigenden Wiederholungsgefahr und damit dem Vorliegen spezialpräventiver Ausweisungsgründe ausginge. Denn aus den - zur Unverhältnismäßigkeit einer generalpräventiv motivierten Ausweisung - angeführten Gründen führt die danach erforderliche Abwägung ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die privaten Interessen des Klägers und seiner Familienangehörigen das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung überwiegen.
II.
55 
Unter diesen Umständen ist auch die im Bescheid vom 22.10.2010 verfügten Abschiebungsandrohung rechtswidrig und aufzuheben.
56 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
57 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
58 
Beschluss vom 23. Oktober 2012
59 
Der Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt (§§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG).
60 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Wiedererteilung seiner Fahrerlaubnis.
Das Landratsamt des Rems-Murr-Kreises erteilte dem Kläger am 11.10.1989 die Fahrerlaubnis für die Klassen 1b und 2. Der Kläger arbeitete anschließend als Kraftfahrer. Mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 28.10.1999 entzog das Amtsgericht Waiblingen dem Kläger die Fahrerlaubnis wegen Trunkenheit im Verkehr. Er hatte zuvor ein Fahrzeug geführt, obwohl die später entnommene Blutprobe eine Blutalkoholkonzentration von 1,86 Promille ergab.
Der Kläger beantragte am 10.03.2014 die Neuerteilung der Fahrerlaubnis. Der Beklagte forderte ihn daraufhin auf, an einer medizinisch-psychologischen Untersuchung teilzunehmen, um zu klären, ob der Kläger trotz zuvor festgestellter Alkoholabhängigkeit fähig sei, ein Fahrzeug sicher zu führen. Der Kläger erklärte sich bereit, sich begutachten zu lassen, woraufhin der Beklagte am 22.07.2014 die entsprechenden Unterlagen und den Untersuchungsauftrag an die pima mpu GmbH versandte. Sie erhielt die Unterlagen von dieser 17.09.2014 zurück. Gleichwohl legte der Kläger dem Beklagten das Gutachten zunächst nicht vor.
Daraufhin lehnte das Landratsamt des Rems-Murr-Kreises den Antrag des Klägers auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis mit bestandskräftiger Verfügung vom 08.10.2014 ab.
In der Folgezeit legte der Kläger dem Beklagten das Gutachten der pima mpu GmbH vor. Danach lag bei dem Kläger eine Alkoholabhängigkeit vor. Im Jahre 2000 habe er an einer stationären Therapie teilgenommen und dann viereinhalb Jahre abstinent gelebt. Ab 2005 habe er wieder Alkohol konsumiert. Eine erneute ambulante Therapie habe in der Zeit vom 10.09.2007 bis 01.12.2007 stattgefunden. Seit dem 03.09.2007 lebe der Kläger nunmehr alkoholabstinent ohne Rückfall. Im Ergebnis stellten die Gutachter dem Kläger insbesondere aufgrund der fehlenden Nachweise für eine Abstinenz zum damaligen Zeitpunkt keine günstige Fahreignungsprognose.
Am 28.05.2015 stellte der Kläger erneut einen Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis für die Klassen A, A1, B, BE sowie die Klassen C1, C1E bei dem Beklagten. Er legte dazu ein Zertifikat der pima-mpu GmbH vom 26.05.2015 vor. Danach waren vom 27.05.2014 bis zum 26.05.2015 im Rahmen eines Alkoholabstinenzprogrammes 6 Urinscreenings bei ihm durchgeführt worden, die jeweils unauffällig verliefen.
Der Beklagte forderte den Kläger daraufhin mit Schreiben vom 17.07.2015 auf, an einer medizinisch-psychologischen Untersuchung teilzunehmen, wozu sich der Kläger mit Schreiben vom 21.07.2015 bereiterklärte. In ihrem Gutachten vom 17.09.2015 kamen die Gutachter zu dem Ergebnis, dass der Kläger alkoholabhängig sei. Darum sei seine Alkoholabstinenz zu fordern. Aufgrund der nachgewiesenen Abstinenz könne derzeit von einem ausreichend stabilen Alkoholverzicht ausgegangen werden, sodass der Kläger trotz festgestellter Alkoholabhängigkeit ein Kraftfahrzeug der Klassen 1 und 2 sicher führen könne. Es könne insbesondere davon ausgegangen werden, dass die Abhängigkeit im Sinne der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung nicht mehr bestehe und eine stabile Abstinenz vorliege.
Daraufhin teilte das Landratsamt des Rems-Murr-Kreis dem Kläger am 24.09.2015 mit, dass aufgrund der Fahrerlaubnisentziehung vor über 16 Jahren Bedenken an seiner Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen bestünden. Er müsse daher noch die theoretische und die praktische Prüfung ablegen, bevor ihm die Fahrerlaubnis wieder erteilt werden könne. Das verweigerte der Kläger mit dem Hinweis, er nehme seit dem Jahr 1999 mit dem Mofa am Straßenverkehr teil und bewege weitere Fahrzeuge. Er repariere PKWs und fahre diese dann auf privatem Grund zur Probe. Mit Bescheid vom 02.11.2015 lehnte der Beklagte den Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis ab.
Den dagegen am 02.12.2015 eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.04.2016 zurück.
10 
Dagegen und gegen die Ausgangsverfügung hat der Kläger am 09.05.2016 Klage erhoben.
11 
Der Kläger trägt vor, gemäß § 20 Abs. 1 FeV finde die Vorschrift zum Ablegen einer theoretischen und praktischen Prüfung, § 15 FeV, keine Anwendung, sodass ein entsprechender Nachweis nicht gefordert werden dürfe. Etwas anderes könne nach § 20 Abs. 2 FeV zwar gelten, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Bewerber nicht über die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfüge. Diese Tatsachen seien aber von der Fahrerlaubnisbehörde vorzulegen und zu belegen. Das habe der Beklagte nicht ausreichend berücksichtigt. So sei der klägerische Vortrag zu seiner Fahrpraxis mit dem Mofa im öffentlichen Straßenverkehr sowie mit PKWs und LKWs auf privatem Grund von dem Beklagten nicht gewürdigt worden. Demnach sei die angegriffene Entscheidung jedenfalls ermessensfehlerhaft. Weiter habe die negative MPU aus dem Jahr 2014 allein an den damals fehlenden Screenings gelegen. Man habe ihm nicht mitgeteilt, dass solche benötigt würden. Das sei zu seinen Gunsten zu berücksichtigen. Schließlich könne er Auto fahren. Er nehme regelmäßig mit seinem Mofa am Straßenverkehr teil und sei dabei der gefährdetste Verkehrsteilnehmer. Für seinen vormaligen Arbeitgeber die Firma ... habe er außerdem Schneemaschinen, Hochstapler, Kehrmaschinen u.ä. auf dem Firmengelände bewegt. Nur weil ihm seine Fahrbefähigung nicht bescheinigt sei, bedeute das nicht, dass ihm die entsprechenden Fähigkeiten fehlten, wie auch andersherum nicht jeder Fahrerlaubnisinhaber Auto fahren könne.
12 
Der Kläger beantragt - sachdienlich gefasst -,
13 
den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger die Fahrerlaubnis antragsgemäß zu erteilen und den Bescheid des Landratsamtes Rems-Murr Kreis vom 02.11.2015 sowie den Widerspruchsbescheid vom 11.04.2016 aufzuheben, soweit sie dem entgegenstehen.
14 
Der Beklagte beantragt,
15 
die Klage abzuweisen.
16 
Der Beklagte trägt vor, er habe den langen Zeitraum seit welcher der Kläger seine Fahrerlaubnis besitze herangezogen, um auf eine erneute theoretische und praktische Prüfung zu bestehen. Ein Ermessen komme ihm dabei nicht zu. Weder die behauptete Teilnahme des Klägers am Straßenverkehr mit einem Mofa noch die Fahrpraxis mit LKW und PKW auf privatem Grund sei ausreichend, um hinreichende Fahrpraxis zu vermitteln. Die materielle Beweislast zum Vorliegen der Fahreignung liege beim Kläger. Schließlich sei noch anzumerken, dass der Kläger die Fahrerlaubnis der Klasse 3 erstmalig am 14.11.1986, also vor über 30 Jahren erworben habe.
17 
Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung durch Vernehmung der Zeugen ... und ... Beweis erhoben. Die Zeugin ... sagte aus, sie kenne den Kläger seit ca. 18 Jahren. Vor drei Jahren seien sie auch ein Paar allerdings nicht liiert gewesen. Zu der Zeit als der Kläger noch eine Fahrerlaubnis besessen habe, sei sie des Öfteren mit ihm gefahren und habe sich immer sicher gefühlt. Der Kläger sei souverän und vorausschauend gefahren und sie glaube nicht, dass er das verlernt habe. Weiter habe ihr der Kläger vor ca. 2-3 Jahren regelmäßig berichtet, dass er auf dem Betriebsgelände seines damaligen Arbeitgebers Arbeitsmaschinen bewegt habe und dass er PKWs repariere und diese dann auf privatem Grund, etwa in der Tiefgarage oder auf Grundstücken von Bekannten bewege. Sie wisse außerdem, dass der Kläger mit dem Mofa am Straßenverkehr teilnehme und habe ihn dabei erlebt.
18 
Der Zeuge ... sagte aus, er sei mit dem Kläger befreundet. Der Kläger habe mehrfach seinen PKW repariert aber auch jene anderer Freunde. Er habe dabei erlebt, wie der Kläger in der Mietwerkstatt rangiert habe. Der Kläger habe einfach ein Gefühl für Autos und ihre Bewegung im Raum. Schließlich habe er auch einen LKW-Führerschein gehabt.
19 
Wegen der weiteren Einzelheiten der mündlichen Verhandlung, insbesondere der Zeugenvernehmung wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
20 
Dem Gericht liegen die einschlägigen Behördenakten vor. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf diese Akten, die Gerichtsakten und die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
21 
Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle der Kammer, § 87a Abs. 2, Abs. 3 VwGO.
22 
Die Klage ist zulässig aber unbegründet.
23 
Die angegriffene Ablehnung des Antrages auf Erteilung der Fahrerlaubnis erging rechtmäßig und verletzte den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 S. 1, Abs. 1 VwGO. Der Beklagte hat zurecht auf den Nachweis der Fahreignung des Klägers durch eine theoretische und eine praktische Fahrprüfung bestanden. Ohne einen solchen hat der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis.
24 
Gemäß § 15 Abs. 1 FeV hat der Bewerber um eine Fahrerlaubnis hat seine Befähigung in einer theoretischen und einer praktischen Prüfung nachzuweisen. Laut § 20 Abs. 1 S. 1 FeV gelten für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung grundsätzlich die Vorschriften für die Ersterteilung. Das Prüfungserfordernis des § 15 FeV gilt gemäß § 20 Abs. 1 S. 2 FeV grundsätzlich nicht, es sei denn, die Fahrerlaubnisbehörde ordnet eine Fahrerlaubnisprüfung an, weil Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Bewerber die nach § 16 Absatz 1 und § 17 Absatz 1 erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt, § 20 Abs. 2 FeV.
25 
Eine länger andauernde Unterbrechung der Fahrpraxis kann grundsätzlich eine solche Tatsache sein. Ob sie im Einzelfall Zweifel an den Kenntnissen zum Führen eines Fahrzeuges im Straßenverkehr begründet, ist im Wege einer Gesamtschau zu beurteilen. Dabei ist sowohl die Zeitdauer der fehlenden Fahrpraxis als auch der Zeitraum zu berücksichtigen, über den sich die Fahrpraxis des Bewerbers in der jeweiligen Fahrerlaubnisklasse erstreckt hatte, bevor ihm die Fahrerlaubnis entzogen wurde (BVerwG, Urteil vom 27.10.2011 - 3 C 31.10 -, juris Rn. 11; SächsOVG, Beschluss vom 30.09.2014 - 3 D 35/14 -, juris Rn. 8; Beschluss vom 26.07.2013 - 3 D 9/13 -, juris Rn. 10; vgl. auch Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl. 2013, § 20 FeV Rn. 2). Dabei ist einerseits zu gegenwärtigen, dass das Fahrerlaubnisrecht im Grundsatz davon ausgeht, dass die Prüfungen nach § 15 FeV nur einmal abzulegen sind, § 20 Abs. 1 S. 2 FeV, andererseits das Fahrerlaubnisrecht als besonderes Gefahrenabwehrrecht der effektiven Gefahrenabwehr verpflichtet ist und damit gehalten ist, die durch Eignungsmängel regelmäßig drohenden Gefahren für hochrangige Rechtsgüter Dritter wie das Eigentum und die körperliche Unversehrtheit, Art. 14 GG, Art. 2 Abs. 2 GG abzuwehren. Der dabei erforderliche Wahrscheinlichkeitsmaßstab richtet sich nach dem allgemeinen gefahrenabwehrrechtlichen Grundsatz, dass eine umso kleinere Eintrittswahrscheinlichkeit genügt, je größer der dann zu erwartende Schaden ist (BVerwG; Urteil vom 4.10.2012 - 1 C 13/11, juris; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23.10.2012 - 11 S 1470/11 -, juris).
26 
Bei Anwendung dieser Grundsätze ist zugunsten des Kläger zu berücksichtigen, dass er Kläger im Zeitpunkt der Fahrerlaubniserziehung bereits seit zehn Jahren Inhaber derselben gewesen war, als Berufskraftfahrer entsprechende Fahrpraxis hatte und insoweit keine Anzeichen für eine Mängel an seiner Fahrbefähigung bestanden.
27 
Andererseits unterliegen das Wissen und die Fähigkeiten zum sicheren, verkehrsordnungsgemäßen und umweltbewussten Führen eines KfZ wie alle anderen Fähigkeiten und jedes andere Wissen auch, einer gewissen Relativierung durch die Zeit dergestalt, dass eine längere Nutzungspause diese Kenntnisse und Fähigkeiten schwinden lässt und so Zweifel an der hinreichenden Fahreignung begründet. Wie lange diese Pause zu bemessen ist, hängt von den verkehrskognitiven Fähigkeiten des Einzelnen ab und ist daher im Einzelfall zu ermitteln. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist man sich insofern jedenfalls einig, dass fehlende Fahrpraxis über einen Zeitraum von länger als 10 Jahren die Annahme rechtfertigt, dass der Bewerber nicht mehr über die zur sicheren Führung eines Kraftfahrzeugs im Verkehr erforderlichen technischen Kenntnisse sowie über ausreichende Kenntnisse einer umweltbewussten und energiesparenden Fahrweise verfügt und zu ihrer praktischen Anwendung nicht mehr fähig ist (nach 17 Jahren: BayVGH, Urteil vom 17.04.2012 - 11 B 11.1873 -, juris Rn. 33; nach 16 Jahren: SächsOVG, Beschluss vom 30.09.2014 - 3 D 35/14 -, juris Leitsatz; nach 14 Jahren: OVG NRW, Beschluss vom 22.03.2012 - 16 A 55/12 -, juris und Beschluss vom 04.01.2012 - 16 A 1500/10 -, juris; nach 13 Jahren bei nur 15-monatiger Fahrpraxis vor Entziehung der Fahrerlaubnis: SächsOVG, Beschluss vom 26.07.2013 - 3 D 9/13 -, juris Leitsatz 2). In der Person des Klägers kommt hinzu, dass ihm die Fahrerlaubnis seit der Erteilung länger entzogen war (17 Jahre) als erteilt (10 Jahre).
28 
An dieser Einschätzung ändert auch der Vortrag des Klägers nichts, er habe mit einem Mofa am Straßenverkehr teilgenommen. Der Nachweis der Fahreignung durch die Prüfungen nach §§ 16, 17 FeV erfolgt jeweils durch fahrerlaubnisklassenspezifische Aufgaben, § 16 Abs. 2 S. 2 FeV, § 17 Abs. 2 FeV i.V.m. Anlage 7 zur FeV. Daraus ergibt sich im Umkehrschluss auch, dass die Teilnahme am Straßenverkehr mit Fahrzeugen einer anderen Fahrerlaubnisklasse nicht die Eignung zum Führen von Fahrzeugen anderer Klassen zu vermitteln vermag.
29 
Relevant sind in diesem Zusammenhang nur Tatsachen, die den Schluss zulassen, dass der Betroffene die für die begehrte Fahrerlaubnis erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten trotz fehlender Fahrpraxis nicht verloren hat; die Teilnahme am Straßenverkehr mit einem Mofa genügt daher ebenso wenig, wie der Hinweis darauf, regelmäßig als Beifahrer in Kraftfahrzeugen am motorisierten Straßenverkehr teilgenommen oder Kraftfahrzeuge unberechtigt geführt zu haben (VG Braunschweig, Urteil vom 15. Oktober 2015 - 6 A 180/14 -, juris, BayVGH, Beschluss vom 19.09.2013 - 11 ZB 13.1396 -, juris Rn. 8; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 04.01.2012 - 16 A 1500/10 -, juris Rn. 9; VG Meiningen, Urteil vom 19.08.2014 - 2 K 106/14 -, juris Rn. 24). Das hat der Beklagte auch im Widerspruchsbescheid berücksichtigt.
30 
Das ergibt sich insbesondere daraus, dass ein Mofa ist nur ein zweirädriges Fahrzeug und seine Höchstgeschwindigkeit auf 25 km/h beschränkt ist. Darum liegt es auf der Hand, dass entsprechende Fahrpraxis keineswegs geeignet ist die fortbestehende Eignung zum Führen eines PKW nachzuweisen (BayVGH, Beschluss vom 19.09.2013 - 11 ZB 13.1396 -, juris Rn. 8).
31 
Selbiges gilt für den Vortrag des Klägers, er habe auf privatem Gelände ausreichend Fahrpraxis gesammelt. Nach seinen eigenen Einlassungen und jenen der Zeugen in der mündlichen Verhandlung handelte es sich bei der Fahrpraxis um Fahrten mit dem Mofa sowie Rangierbewegungen in Garagen und Werkstätten und auf dem Firmengelände des ehemaligen Arbeitgebers des Klägers. Sie vermögen nicht, eine fortbestehende hinreichende Befähigung des Klägers zu erzeugen, weil die dabei durchgeführten Fahr- und Verkehrsmanöver nur einen Bruchteil der Anforderungen im öffentlichen Straßenverkehr abdecken und auch in ihrer Gesamtheit nicht geeignet sind, entsprechende Fahrpraxis zu substituieren. Zweck der praktischen Fahrerlaubnisprüfung ist es gerade, die Eignung des Bewerbers in der konkreten Situation des öffentlichen Kraftverkehrs nachzuweisen. Dazu zählen ausweislich der Anlage 7 zur FeV Nr. 2.1.5 Prüfungsfahrt insbesondere: e) Steigung und Gefällstrecken, g) Verkehrsbeobachtung und Beachtung der Verkehrszeichen und -einrichtungen, h) Abstand halten vom vorausfahrenden Fahrzeug, j) Überholen und Vorbeifahren, k) Verhalten an Kreuzungen, Einmündungen, Kreisverkehren, Bahnübergängen und in Tunneln, l) Abbiegen und Fahrstreifenwechsel, m) Verhalten gegenüber Fußgängern sowie an Straßenbahn- und Bushaltestellen, n) Fahren außerhalb geschlossener Ortschaften. Der Kläger hat keine dem entsprechende Praxis auf privatem Grund vorgetragen oder gar nachgewiesen, was ohnehin kaum möglich sein dürfte (im Ergebnis ebenso: BayVGH, Beschluss vom 18.08.2015 - 11 CE 15.1217 -, juris Rn. 11, VG Augsburg, Urteil vom 13.04.2012 - Au 7 K 11.497 -, juris).
32 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
33 
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht gemäß §§ 124 a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO liegen nicht vor.

Gründe

 
21 
Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle der Kammer, § 87a Abs. 2, Abs. 3 VwGO.
22 
Die Klage ist zulässig aber unbegründet.
23 
Die angegriffene Ablehnung des Antrages auf Erteilung der Fahrerlaubnis erging rechtmäßig und verletzte den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 S. 1, Abs. 1 VwGO. Der Beklagte hat zurecht auf den Nachweis der Fahreignung des Klägers durch eine theoretische und eine praktische Fahrprüfung bestanden. Ohne einen solchen hat der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis.
24 
Gemäß § 15 Abs. 1 FeV hat der Bewerber um eine Fahrerlaubnis hat seine Befähigung in einer theoretischen und einer praktischen Prüfung nachzuweisen. Laut § 20 Abs. 1 S. 1 FeV gelten für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung grundsätzlich die Vorschriften für die Ersterteilung. Das Prüfungserfordernis des § 15 FeV gilt gemäß § 20 Abs. 1 S. 2 FeV grundsätzlich nicht, es sei denn, die Fahrerlaubnisbehörde ordnet eine Fahrerlaubnisprüfung an, weil Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Bewerber die nach § 16 Absatz 1 und § 17 Absatz 1 erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt, § 20 Abs. 2 FeV.
25 
Eine länger andauernde Unterbrechung der Fahrpraxis kann grundsätzlich eine solche Tatsache sein. Ob sie im Einzelfall Zweifel an den Kenntnissen zum Führen eines Fahrzeuges im Straßenverkehr begründet, ist im Wege einer Gesamtschau zu beurteilen. Dabei ist sowohl die Zeitdauer der fehlenden Fahrpraxis als auch der Zeitraum zu berücksichtigen, über den sich die Fahrpraxis des Bewerbers in der jeweiligen Fahrerlaubnisklasse erstreckt hatte, bevor ihm die Fahrerlaubnis entzogen wurde (BVerwG, Urteil vom 27.10.2011 - 3 C 31.10 -, juris Rn. 11; SächsOVG, Beschluss vom 30.09.2014 - 3 D 35/14 -, juris Rn. 8; Beschluss vom 26.07.2013 - 3 D 9/13 -, juris Rn. 10; vgl. auch Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl. 2013, § 20 FeV Rn. 2). Dabei ist einerseits zu gegenwärtigen, dass das Fahrerlaubnisrecht im Grundsatz davon ausgeht, dass die Prüfungen nach § 15 FeV nur einmal abzulegen sind, § 20 Abs. 1 S. 2 FeV, andererseits das Fahrerlaubnisrecht als besonderes Gefahrenabwehrrecht der effektiven Gefahrenabwehr verpflichtet ist und damit gehalten ist, die durch Eignungsmängel regelmäßig drohenden Gefahren für hochrangige Rechtsgüter Dritter wie das Eigentum und die körperliche Unversehrtheit, Art. 14 GG, Art. 2 Abs. 2 GG abzuwehren. Der dabei erforderliche Wahrscheinlichkeitsmaßstab richtet sich nach dem allgemeinen gefahrenabwehrrechtlichen Grundsatz, dass eine umso kleinere Eintrittswahrscheinlichkeit genügt, je größer der dann zu erwartende Schaden ist (BVerwG; Urteil vom 4.10.2012 - 1 C 13/11, juris; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23.10.2012 - 11 S 1470/11 -, juris).
26 
Bei Anwendung dieser Grundsätze ist zugunsten des Kläger zu berücksichtigen, dass er Kläger im Zeitpunkt der Fahrerlaubniserziehung bereits seit zehn Jahren Inhaber derselben gewesen war, als Berufskraftfahrer entsprechende Fahrpraxis hatte und insoweit keine Anzeichen für eine Mängel an seiner Fahrbefähigung bestanden.
27 
Andererseits unterliegen das Wissen und die Fähigkeiten zum sicheren, verkehrsordnungsgemäßen und umweltbewussten Führen eines KfZ wie alle anderen Fähigkeiten und jedes andere Wissen auch, einer gewissen Relativierung durch die Zeit dergestalt, dass eine längere Nutzungspause diese Kenntnisse und Fähigkeiten schwinden lässt und so Zweifel an der hinreichenden Fahreignung begründet. Wie lange diese Pause zu bemessen ist, hängt von den verkehrskognitiven Fähigkeiten des Einzelnen ab und ist daher im Einzelfall zu ermitteln. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist man sich insofern jedenfalls einig, dass fehlende Fahrpraxis über einen Zeitraum von länger als 10 Jahren die Annahme rechtfertigt, dass der Bewerber nicht mehr über die zur sicheren Führung eines Kraftfahrzeugs im Verkehr erforderlichen technischen Kenntnisse sowie über ausreichende Kenntnisse einer umweltbewussten und energiesparenden Fahrweise verfügt und zu ihrer praktischen Anwendung nicht mehr fähig ist (nach 17 Jahren: BayVGH, Urteil vom 17.04.2012 - 11 B 11.1873 -, juris Rn. 33; nach 16 Jahren: SächsOVG, Beschluss vom 30.09.2014 - 3 D 35/14 -, juris Leitsatz; nach 14 Jahren: OVG NRW, Beschluss vom 22.03.2012 - 16 A 55/12 -, juris und Beschluss vom 04.01.2012 - 16 A 1500/10 -, juris; nach 13 Jahren bei nur 15-monatiger Fahrpraxis vor Entziehung der Fahrerlaubnis: SächsOVG, Beschluss vom 26.07.2013 - 3 D 9/13 -, juris Leitsatz 2). In der Person des Klägers kommt hinzu, dass ihm die Fahrerlaubnis seit der Erteilung länger entzogen war (17 Jahre) als erteilt (10 Jahre).
28 
An dieser Einschätzung ändert auch der Vortrag des Klägers nichts, er habe mit einem Mofa am Straßenverkehr teilgenommen. Der Nachweis der Fahreignung durch die Prüfungen nach §§ 16, 17 FeV erfolgt jeweils durch fahrerlaubnisklassenspezifische Aufgaben, § 16 Abs. 2 S. 2 FeV, § 17 Abs. 2 FeV i.V.m. Anlage 7 zur FeV. Daraus ergibt sich im Umkehrschluss auch, dass die Teilnahme am Straßenverkehr mit Fahrzeugen einer anderen Fahrerlaubnisklasse nicht die Eignung zum Führen von Fahrzeugen anderer Klassen zu vermitteln vermag.
29 
Relevant sind in diesem Zusammenhang nur Tatsachen, die den Schluss zulassen, dass der Betroffene die für die begehrte Fahrerlaubnis erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten trotz fehlender Fahrpraxis nicht verloren hat; die Teilnahme am Straßenverkehr mit einem Mofa genügt daher ebenso wenig, wie der Hinweis darauf, regelmäßig als Beifahrer in Kraftfahrzeugen am motorisierten Straßenverkehr teilgenommen oder Kraftfahrzeuge unberechtigt geführt zu haben (VG Braunschweig, Urteil vom 15. Oktober 2015 - 6 A 180/14 -, juris, BayVGH, Beschluss vom 19.09.2013 - 11 ZB 13.1396 -, juris Rn. 8; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 04.01.2012 - 16 A 1500/10 -, juris Rn. 9; VG Meiningen, Urteil vom 19.08.2014 - 2 K 106/14 -, juris Rn. 24). Das hat der Beklagte auch im Widerspruchsbescheid berücksichtigt.
30 
Das ergibt sich insbesondere daraus, dass ein Mofa ist nur ein zweirädriges Fahrzeug und seine Höchstgeschwindigkeit auf 25 km/h beschränkt ist. Darum liegt es auf der Hand, dass entsprechende Fahrpraxis keineswegs geeignet ist die fortbestehende Eignung zum Führen eines PKW nachzuweisen (BayVGH, Beschluss vom 19.09.2013 - 11 ZB 13.1396 -, juris Rn. 8).
31 
Selbiges gilt für den Vortrag des Klägers, er habe auf privatem Gelände ausreichend Fahrpraxis gesammelt. Nach seinen eigenen Einlassungen und jenen der Zeugen in der mündlichen Verhandlung handelte es sich bei der Fahrpraxis um Fahrten mit dem Mofa sowie Rangierbewegungen in Garagen und Werkstätten und auf dem Firmengelände des ehemaligen Arbeitgebers des Klägers. Sie vermögen nicht, eine fortbestehende hinreichende Befähigung des Klägers zu erzeugen, weil die dabei durchgeführten Fahr- und Verkehrsmanöver nur einen Bruchteil der Anforderungen im öffentlichen Straßenverkehr abdecken und auch in ihrer Gesamtheit nicht geeignet sind, entsprechende Fahrpraxis zu substituieren. Zweck der praktischen Fahrerlaubnisprüfung ist es gerade, die Eignung des Bewerbers in der konkreten Situation des öffentlichen Kraftverkehrs nachzuweisen. Dazu zählen ausweislich der Anlage 7 zur FeV Nr. 2.1.5 Prüfungsfahrt insbesondere: e) Steigung und Gefällstrecken, g) Verkehrsbeobachtung und Beachtung der Verkehrszeichen und -einrichtungen, h) Abstand halten vom vorausfahrenden Fahrzeug, j) Überholen und Vorbeifahren, k) Verhalten an Kreuzungen, Einmündungen, Kreisverkehren, Bahnübergängen und in Tunneln, l) Abbiegen und Fahrstreifenwechsel, m) Verhalten gegenüber Fußgängern sowie an Straßenbahn- und Bushaltestellen, n) Fahren außerhalb geschlossener Ortschaften. Der Kläger hat keine dem entsprechende Praxis auf privatem Grund vorgetragen oder gar nachgewiesen, was ohnehin kaum möglich sein dürfte (im Ergebnis ebenso: BayVGH, Beschluss vom 18.08.2015 - 11 CE 15.1217 -, juris Rn. 11, VG Augsburg, Urteil vom 13.04.2012 - Au 7 K 11.497 -, juris).
32 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
33 
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht gemäß §§ 124 a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO liegen nicht vor.

(1) Eine von der zuständigen Behörde erteilte Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen (Zusicherung), bedarf zu ihrer Wirksamkeit der schriftlichen Form. Ist vor dem Erlass des zugesicherten Verwaltungsaktes die Anhörung Beteiligter oder die Mitwirkung einer anderen Behörde oder eines Ausschusses auf Grund einer Rechtsvorschrift erforderlich, so darf die Zusicherung erst nach Anhörung der Beteiligten oder nach Mitwirkung dieser Behörde oder des Ausschusses gegeben werden.

(2) Auf die Unwirksamkeit der Zusicherung finden, unbeschadet des Absatzes 1 Satz 1, § 44, auf die Heilung von Mängeln bei der Anhörung Beteiligter und der Mitwirkung anderer Behörden oder Ausschüsse § 45 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 sowie Abs. 2, auf die Rücknahme § 48, auf den Widerruf, unbeschadet des Absatzes 3, § 49 entsprechende Anwendung.

(3) Ändert sich nach Abgabe der Zusicherung die Sach- oder Rechtslage derart, dass die Behörde bei Kenntnis der nachträglich eingetretenen Änderung die Zusicherung nicht gegeben hätte oder aus rechtlichen Gründen nicht hätte geben dürfen, ist die Behörde an die Zusicherung nicht mehr gebunden.

(1) Für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung oder nach vorangegangenem Verzicht gelten die Vorschriften für die Ersterteilung. § 15 findet vorbehaltlich des Absatzes 2 keine Anwendung.

(2) Die Fahrerlaubnisbehörde ordnet eine Fahrerlaubnisprüfung an, wenn Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Bewerber die nach § 16 Absatz 1 und § 17 Absatz 1 erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt.

(3) Unberührt bleibt die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung nach § 11 Absatz 3 Satz 1 Nummer 9.

(4) Die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung kann frühestens sechs Monate vor Ablauf einer Sperre

1.
nach § 2a Absatz 5 Satz 3 oder § 4 Absatz 10 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes oder
2.
nach § 69 Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit § 69a Absatz 1 Satz 1 oder § 69a Absatz 1 Satz 3 in Verbindung mit Satz 1 des Strafgesetzbuches
bei der nach Landesrecht zuständigen Behörde beantragt werden.

(1) Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinne des § 7 Absatz 1 oder 2 in der Bundesrepublik Deutschland haben, dürfen – vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Absätzen 2 bis 4 – im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. Auflagen zur ausländischen Fahrerlaubnis sind auch im Inland zu beachten. Auf die Fahrerlaubnisse finden die Vorschriften dieser Verordnung Anwendung, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(2) Der Umfang der Berechtigung der jeweiligen Fahrerlaubnisklassen ergibt sich aus dem Beschluss (EU) 2016/1945 der Kommission vom 14. Oktober 2016 über Äquivalenzen zwischen Führerscheinklassen (ABl. L 302 vom 9.11.2016, S. 62). Die Berechtigung nach Absatz 1 gilt nicht für Fahrerlaubnisklassen, für die die Entscheidung der Kommission keine entsprechenden Klassen ausweist. Für die Berechtigung zum Führen von Fahrzeugen der Klassen L und T gilt § 6 Absatz 3 entsprechend.

(3) Die Vorschriften über die Geltungsdauer von Fahrerlaubnissen der Klassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE und D1E in § 23 Absatz 1 gelten auch für die entsprechenden EU- und EWR-Fahrerlaubnisse. Grundlage für die Berechnung der Geltungsdauer ist das Datum der Erteilung der ausländischen Fahrerlaubnis. Wäre danach eine solche Fahrerlaubnis ab dem Zeitpunkt der Verlegung des ordentlichen Wohnsitzes in die Bundesrepublik Deutschland nicht mehr gültig, weil seit der Erteilung mehr als fünf Jahre verstrichen sind, besteht die Berechtigung nach Absatz 1 Satz 1 noch sechs Monate, gerechnet von der Begründung des ordentlichen Wohnsitzes im Inland an. Für die Erteilung einer deutschen Fahrerlaubnis ist § 30 in Verbindung mit § 24 Absatz 1 entsprechend anzuwenden.

(4) Die Berechtigung nach Absatz 1 gilt nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis,

1.
die lediglich im Besitz eines Lernführerscheins oder eines anderen vorläufig ausgestellten Führerscheins sind,
2.
die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten, es sei denn, dass sie als Studierende oder Schüler im Sinne des § 7 Absatz 2 die Fahrerlaubnis während eines mindestens sechsmonatigen Aufenthalts erworben haben,
3.
denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder sofort vollziehbar oder bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden ist, denen die Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt worden ist oder denen die Fahrerlaubnis nur deshalb nicht entzogen worden ist, weil sie zwischenzeitlich auf die Fahrerlaubnis verzichtet haben,
4.
denen auf Grund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung keine Fahrerlaubnis erteilt werden darf,
5.
solange sie im Inland, in dem Staat, der die Fahrerlaubnis erteilt hatte, oder in dem Staat, in dem sie ihren ordentlichen Wohnsitz haben, einem Fahrverbot unterliegen oder der Führerschein nach § 94 der Strafprozessordnung beschlagnahmt, sichergestellt oder in Verwahrung genommen ist,
6.
die zum Zeitpunkt des Erwerbs der ausländischen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis Inhaber einer deutschen Fahrerlaubnis waren,
7.
deren Fahrerlaubnis aufgrund einer Fahrerlaubnis eines Drittstaates, der nicht in der Anlage 11 aufgeführt ist, prüfungsfrei umgetauscht worden ist, oder deren Fahrerlaubnis aufgrund eines gefälschten Führerscheins eines Drittstaates erteilt wurde,
8.
die zum Zeitpunkt der Erteilung einer Fahrerlaubnis eines Drittstaates, die in eine ausländische EU- oder EWR-Fahrerlaubnis umgetauscht worden ist, oder zum Zeitpunkt der Erteilung der EU- oder EWR-Fahrerlaubnis auf Grund einer Fahrerlaubnis eines Drittstaates ihren Wohnsitz im Inland hatten, es sei denn, dass sie die ausländische Erlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeuges als Studierende oder Schüler im Sinne des § 7 Absatz 2 in eine ausländische EU- oder EWR-Fahrerlaubnis während eines mindestens sechsmonatigen Aufenthalts umgetauscht haben, oder
9.
die den Vorbesitz einer anderen Klasse voraussetzt, wenn die Fahrerlaubnis dieser Klasse nach den Nummern 1 bis 8 im Inland nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen berechtigt.
In den Fällen des Satzes 1 kann die Behörde einen feststellenden Verwaltungsakt über die fehlende Berechtigung erlassen. Satz 1 Nummer 3 und 4 ist nur anzuwenden, wenn die dort genannten Maßnahmen im Fahreignungsregister eingetragen und nicht nach § 29 des Straßenverkehrsgesetzes getilgt sind. Satz 1 Nummer 9 gilt auch, wenn sich das Fehlen der Berechtigung nicht unmittelbar aus dem Führerschein ergibt.

(5) Das Recht, von einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis nach einer der in Absatz 4 Nummer 3 und 4 genannten Entscheidungen im Inland Gebrauch zu machen, wird auf Antrag erteilt, wenn die Gründe für die Entziehung oder die Sperre nicht mehr bestehen. Absatz 4 Satz 3 sowie § 20 Absatz 1 und 3 gelten entsprechend.

(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

(2) Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag kann nur durch einen Gerichtsbeschluß, der zu begründen ist, abgelehnt werden.

(3) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(4) Die Beteiligten sollen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Schriftsätze einreichen. Hierzu kann sie der Vorsitzende unter Fristsetzung auffordern. Die Schriftsätze sind den Beteiligten von Amts wegen zu übermitteln.

(5) Den Schriftsätzen sind die Urkunden oder elektronischen Dokumente, auf die Bezug genommen wird, in Abschrift ganz oder im Auszug beizufügen. Sind die Urkunden dem Gegner bereits bekannt oder sehr umfangreich, so genügt die genaue Bezeichnung mit dem Anerbieten, Einsicht bei Gericht zu gewähren.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.