Verwaltungsgericht Minden Beschluss, 12. Juni 2015 - 4 L 441/15
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird in der Wertstufe bis 4.000,00 € festgesetzt.
1
Gründe:
2I.
3Der am geborene Antragsteller begehrt die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst des Landes Nordrhein-Westfalen im Bezirk des Oberlandesgerichts I.
4Er war vom 1. Oktober 2009 bis zum 30. September 2014 für ein Studium der Rechtswissenschaft an der Universität C. eingeschrieben. Die erste juristische Prüfung bestand er im Juli 2014. Er war Mitglied der Vereinigung „K.“, bis diese mit Verfügung des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen im Jahr 2012 verboten wurde. Er ist Mitglied des Landes- und Bundesvorstands der Partei „P.“ und war bis Januar 2015 Vorsitzender eines Kreisverbands dieser Partei.
5Der Antragsteller ist mehrfach vorbestraft.
6Im Oktober 2004 verurteilte das Amtsgericht I. den Antragsteller wegen Volksverhetzung zu einer Woche Jugendarrest.
7Im Juni 2005 verurteilte das Amtsgericht I. den Antragsteller wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen sowie vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von 6 Monaten. Deren Vollstreckung erledigte sich im Dezember 2006.
8Im November 2006 verurteilte das Amtsgericht I. den Antragsteller wegen Nötigung zur Erbringung von Arbeitsleistungen nach dem Jugendstrafrecht.
9Im Juli 2007 verurteilte das Amtsgericht I. den Antragsteller wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Jugendstrafe von 8 Monaten, die es zur Bewährung aussetzte. Die Bewährungszeit wurde zunächst zwei Mal verlängert und die Strafe schließlich im Juni 2014 erlassen.
10Im September 2008 verurteilte das Amtsgericht I. den Antragsteller wegen Erschleichens von Leistungen zur Erbringung von Arbeitsleistungen nach Jugendstrafrecht.
11Im Mai 2010 verurteilte das Amtsgericht I. den Antragsteller wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen.
12Im Mai 2011 verurteilte das Amtsgericht I. den Antragsteller wegen Beleidigung in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 100 Tagessätzen.
13Im Juni 2013 verurteilte das Amtsgericht T1. den Antragsteller wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen. Zum Sachverhalt stellte das Amtsgericht Folgendes fest: „Der Angeklagte nahm am […] August 2012 als stellvertretender Versammlungsleiter an einem sog. „Trauermarsch“ rechter Kräfte in C. teil. Der Demonstrationszug wurde von Polizeikräften in voller Einsatzmontur begleitet. Als sich der Aufzug aus Richtung X. in Richtung Bahnhof in Bewegung setzte, ging der eingesetzte Polizeibeamte und Zeuge L. I. auf der linken Seite des Angeklagten neben ihm her. Rechtsseitig vom Angeklagten marschierte der Zeuge und Veranstaltungsleiter N. T. . Trotz Sturmhaube und Helm fiel dem Angeklagten und dem Zeugen auf, dass der Zeuge L. I. dunkelhäutig war. Der Angeklagte und sein Begleiter sahen mehrfach zum Zeugen I. herüber. Dann äußerte der Angeklagte in die Richtung des Polizeibeamten I. und für den auch deutlich vernehmbar: „Schwarz auf schwarz geht nicht, aber Schwarze bei der Polizei geht überhaupt nicht!“ Er tat dies, um den Zeugen herabzuwürdigen.“ Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft, die sie auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte, hob das Landgericht C. das Urteil des Amtsgerichts T1. im Rechtsfolgenausspruch auf und verurteilte den Antragsteller im Oktober 2013 zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten, die es zur Bewährung aussetzte. Zur Strafzumessung führte das Landgericht unter anderem aus: „Das Gesamtbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Persönlichkeit des Angeklagten liegt im Durschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle.“ Mit Beschluss von März 2014 verwarf das Oberlandesgericht D. die gegen dieses Urteil erhobene Revision des Antragstellers.
14Im August 2013 verurteilte das Amtsgericht T2. den Antragsteller wegen Mitführens eines Gegenstandes, der zur Verletzung von Personen geeignet ist, nach dem niedersächsischen Versammlungsgesetz zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen.
15Mit Urteil von Februar 2015 verurteilte das Amtsgericht C. den Antragsteller wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts T1. von Juni 2013 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts leistete der Antragsteller im Oktober 2013 mit Gewalt Widerstand gegen seine Ingewahrsamnahme durch Polizeibeamte. Das Urteil ist rechtskräftig.
16Darüber hinaus sind ausweislich zweier Vorgangslisten der Staatsanwaltschaften E. und C. gegen den Antragsteller die folgenden Ermittlungs- bzw. Strafverfahren anhängig:
17In dem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft C. wegen Beleidigung beantragte die Staatsanwaltschaft C. im Dezember 2014 den Erlass eines Strafbefehls.
18In dem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft E. wegen Hausfriedensbruchs erhob die Staatsanwaltschaft im Mai 2015 Anklage vor dem Amtsgericht E. , Strafrichter.
19Ein Ermittlungsverfahren wegen Verleumdung wurde im Dezember 2014 an eine andere Staatsanwaltschaft abgegeben.
20Drei weitere Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft E. und C. wegen gefährlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung und Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen wurden im Mai 2015, Oktober 2014 und August 2014 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Ein weiteres Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft C. wegen Verstoßes gegen das Kunst- und Urhebergesetz sowie Verleumdung wurde im April 2015 gemäß § 154 Abs. 1 StPO vorläufig eingestellt.
21Mit Antrag vom 13. Oktober 2014 beantragte der Antragsteller die Zulassung zum juristischen Vorbereitungsdienst zum nächstmöglichen Termin. Zu diesem Zweck veranlasste er die Übermittlung eines Führungszeugnisses an den Antragsgegner, in dem die Verurteilungen des Amtsgerichts T1. von Juni 2013 und des Amtsgerichts T2. von August 2013 eingetragen waren. Auf Anregung des Antragsgegners erklärte sich der Antragsteller mit Schreiben vom 19. November 2014 mit der Einsichtnahme in die betreffenden Strafakten einverstanden, die daraufhin durch den Antragsgegner beigezogen wurden. Der Antragsgegner zog ferner die Verbotsverfügung des Innenministeriums aus 2012 betreffend die Vereinigung „K.“ bei. Darüber hinaus übermittelte das Innenministerium dem Antragsgegner über das Justizministerium eine Liste aller vom Antragsteller in den letzten Jahren beim Polizeipräsidium I. angemeldeten Versammlungen, zwei vom Antragsteller verfasste Aufsätze sowie einen Ausdruck von Eintragungen und Bildern aus dem offenen Profil des Antragstellers in einem sozialen Netzwerk.
22Den Antrag des Antragstellers, ihn zeitnah in den juristischen Vorbereitungsdienst einzustellen, lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 15. April 2015 ab. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus:
23Die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst sei zu versagen, da der Antragsteller derzeit der Zulassung nicht würdig sei. Eine Aufnahme in den Vorbereitungsdienst komme vor Ablauf einer Wohlverhaltensphase von drei Jahren ab dem Datum des Bescheides nicht in Betracht. Die Unwürdigkeit des Antragstellers ergebe sich aus einer Gesamtabwägung der Vorstrafen des Antragstellers und seiner verfassungsfeindlichen Betätigung. Von den Vorstrafen des Antragstellers seien wegen des Verwertungsverbots des § 51 Abs. 1 Bundeszentralregistergesetzes - BZRG - lediglich die beiden Verurteilungen des Amtsgerichts T2. und des Amtsgerichts T1. bzw. des Landgerichts C. in zweiter Instanz zu berücksichtigen. Zwar erfüllten beide Verurteilungen nicht die Voraussetzungen des in § 30 Abs. 4 Nr. 1, 2. Halbsatz JAG NRW enthaltenden Regelbeispiels, da der Antragsteller jeweils zu weniger als einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt worden sei. Ausweislich der Gesetzesbegründung könne aber unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände unter besonderen Umständen die Einstellung auch dann versagt werden, wenn eine Freiheitsstrafe von weniger als einem Jahr verhängt worden ist. Insoweit offenbare die der Verurteilung durch das Landgericht C. zugrundeliegende Beleidigung, die rassistisch motiviert gewesen und gegenüber einem zum Schutz des Antragstellers abgestellten Polizeibeamten ausgesprochen worden sei, erhebliche Persönlichkeitsdefizite, die darauf schließen ließen, dass der Antragsteller dem Berufsbild eines Juristen – dem es schon im Rahmen der Ausbildung obliege, Menschen unterschiedlicher Herkunft (vor dem Gesetz) gleich zu behandeln – nicht gerecht werde.
24Der Antragsteller betätige sich auch gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Dies folge zum einen daraus, dass er sich aktiv für die Partei „P.“ einsetze und darin eine Führungsrolle übernehme. Ausweislich der Verfassungsschutzberichte des Landes Nordrhein-Westfalen der vergangenen Jahre handele es sich bei der Partei um eine solche, die die freiheitliche demokratische Grundordnung ablehne, eine „System“-Überwindung anstrebe und dabei eine kämpferisch-aggressive Haltung einnehme. Politische Gegner würden eingeschüchtert, und in Veröffentlichungen und Äußerungen der Partei werde zum Ausdruck gebracht, dass diese unter anderem den Gleichbehandlungsgrundsatz und die Menschenwürde nicht anerkenne. Diese Bestrebungen seien dem Antragsteller als Mitglied des Landes- und Bundesvorstands und als Vorsitzendem des Kreisverbandes I. auch zuzurechnen. Auf Ebene des Kreisverbandes sei der Antragsteller seit Jahren die „prägende“ Persönlichkeit gewesen. Er habe sich über seine Funktionärstätigkeit hinaus auch aktiv für die Ziele der Partei eingesetzt, etwa durch die Teilnahme an Versammlungen der Partei, mitunter auch als Versammlungsleiter. Ferner sei der Antragsteller jedenfalls bis Februar 2015 ausdrücklich auf der Homepage des Kreisverbandes I. als „presserechtlich Verantwortlicher“ genannt gewesen, auf der zahlreiche Beiträge zu finden seien, die die verfassungsfeindlichen Bestrebungen der Partei zutage treten ließen.
25Die verfassungsfeindliche Betätigung folge darüber hinaus auch aus der Betätigung des Antragstellers in der inzwischen verbotenen Vereinigung „K.“. Diese sei wegen aggressiv-kämpferischer Bestrebungen gegen die verfassungsrechtliche Ordnung verboten worden. Berücksichtigung gefunden habe insoweit, dass der Antragsteller nachweisbar zu den „prägenden Persönlichkeiten“ dieser Vereinigung gehört habe, der sich für die verfassungsfeindlichen Bestrebungen besonders verantwortlich gezeichnet habe. Er sei nämlich nicht bloßes Mitglied der Vereinigung gewesen, sondern auf einem der Vereinigung „K.“ zuzurechnenden Flugblatt als „V.i.S.d.P.“ (Verantwortlicher im Sinne des Pressegesetzes) benannt worden. Zudem habe sich der Antragsteller insoweit für organisatorische Belange der Vereinigung eingesetzt, als er eine – im Zusammenhang mit dem Verbot der Vereinigung von der Polizei durchsuchte – Gaststätte im eigenen Namen für diese angemietet habe. Er sei zudem wiederholt als Versammlungsleiter und Redner auf Versammlungen der Vereinigung in Erscheinung getreten.
26Am 23. April 2015 hat der Antragsteller Klage erhoben (4 K 1153/15) sowie den hier zu entscheidenden Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt. Zur Begründung trägt er vor, er habe einen Anspruch auf Einstellung in den juristischen Vorbereitungsdienst, da er niemals wegen einer vorsätzlich begangenen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr rechtskräftig verurteilt worden sei, die Voraussetzungen des Regelbeispiels des § 30 Abs. 4 Nr. 1, Halbsatz 2 JAG NRW also nicht vorlägen. Die Tat, die der Verurteilung durch das Amtsgericht T1. zugrunde liege, stelle lediglich ein Bagatelldelikt dar. Zum Urteil des Landgerichts C. von Oktober 2013 sei anzumerken, dass er stets bestritten habe, die ihm zur Last gelegte Äußerung getätigt zu haben. Zudem sei es vertretbar, die inkriminierte Äußerung nicht als strafbare Beleidigung, sondern als „flapsige Äußerung“ anzusehen, die der Meinungsfreiheit unterliege. Jedenfalls handele es sich um eine Äußerung im unteren Bereich der Strafbarkeit und das Landgericht sei von einer positiven Sozialprognose im Hinblick auf sein Berufsziel Strafverteidiger ausgegangen. Besondere Umstände, aus der seine Unwürdigkeit folgen könnte, obwohl er nur zu einer Freiheitsstrafe von weniger als einem Jahr verurteilt worden sei, lägen nicht vor. Es habe sich weder um ein Staatsschutz- oder Vermögensdelikt, noch um ein Delikt des Geheimnisverrats, die für die Begründung des Ausbildungsverhältnisses von besonderer Bedeutung sein könnten, gehandelt. Der Tatzeitpunkt liege zudem bereits fast drei Jahre zurück. Seitdem sei es lediglich zu einem Strafbefehl in Höhe von 20 Tagessätzen gegen ihn gekommen, der ebenfalls ein Bagatelldelikt betroffen habe.
27Er habe sich auch nicht verfassungsfeindlich betätigt. Bei der Partei „P.“ handele es sich nicht um eine Partei, die die freiheitlich demokratische Grundordnung ablehne. Sie bekenne sich in der Präambel ihres Parteiprogramms „vollinhaltlich und ohne jeden Vorbehalt“ zur freiheitlich demokratischen Grundordnung. Die Ausführungen in den Verfassungsschutzberichten des Landes Nordrhein-Westfalen der vergangenen Jahre stellten die subjektive Meinung des bzw. der Verfasser dar. Der Verfassungsschutz sei dem Innenministerium unterstellt, das von einem Minister der SPD geführt werde. Daher sei der Verfassungsschutzbericht nicht von einem politisch „neutralen“ Standpunkt aus verfasst, sondern aus der Sichtweise eines sozialdemokratisch geführten Innenministeriums. Soweit der Verfassungsschutzbericht über konkrete politische Aussagen bzw. konkrete politische Aktivitäten berichte, seien ihm diese – sofern sie überhaupt zuträfen – nicht persönlich zuzurechnen. Die bloße Teilnahme oder auch Anmeldung öffentlicher Versammlungen könne dem Antragsteller nicht vorgeworfen werden, da es sich insoweit um ein von der Versammlungsfreiheit geschütztes Verhalten gehandelt habe. Darüber hinaus handele es sich hierbei offensichtlich um nachrichtendienstliche Erkenntnisse, die der Antragsgegner vom Verfassungsschutz erhalten haben müsse. Die Verwertung dieser Erkenntnisse sei im vorliegenden Verfahren nicht zulässig. Seit Januar 2015 sei er nicht mehr Vorsitzender des Kreisverbandes I. der Partei „P.“. Er sei auch aktuell nicht mehr Verantwortlicher im Sinne des Telemediengesetzes für die Homepage des Kreisverbandes I. . Sofern dies zeitweise der Fall gewesen sei, sei dies lediglich geschehen, um damit der rechtlichen Impressumspflicht für Internetseiten nachzukommen. Dies bedeute daher nicht, dass er die dort eingestellten Texte selbst verfasst habe oder sich deren Inhalte zu eigen machen wolle. Er mache sich die dort eingestellten Aussagen – sofern sie nicht ausdrücklich als seine persönliche Stellungnahme gekennzeichnet seien – ausdrücklich nicht zu eigen. Die Vereinigung „K.“ sei bereits seit 2012 verboten. Rechtsmittel seien gegen das Verbot nicht eingelegt worden. Nach dem Verbot der Vereinigung „K.“ habe er sich dazu entschieden, sich nicht weiter in (anderen) entsprechenden Vereinigungen politisch zu engagieren.
28Schließlich komme die Ablehnung seines Gesuches um Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst einem Berufsverbot gleich, was einen gravierenden Eingriff in die Berufsfreiheit darstelle, sodass die Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 JAG NRW eng auszulegen seien.
29Ein Anordnungsgrund bestehe insoweit, als ihm ein Abwarten einer Entscheidung in der Hauptsache im Hinblick auf die seit Antragstellung am 13. Oktober 2014 bereits verstrichene Zeit unzumutbar sei.
30Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
31den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragsteller zeitnah in den juristischen Vorbereitungsdienst im Bezirk des Oberlandesgerichts I. aufzunehmen.
32Der Antragsgegner beantragt,
33den Antrag abzulehnen.
34Zur Begründung nimmt er im Wesentlichen Bezug auf die Gründe des angefochtenen Bescheides vom 15. April 2015. Ergänzend trägt er vor, von der Verurteilung des Antragstellers durch das Amtsgericht C. mit Urteil von Februar 2015 habe er erst im Mai 2015 durch den Vorsitzenden des für die vom Antragsgegner gegen das Urteil eingelegte Revision zuständigen Strafsenats des Oberlandesgerichts erfahren. Die Tatsache, dass der Antragsteller das insoweit gegen ihn geführte Ermittlungsverfahren und die Verurteilung verschwiegen habe, obwohl für ihn erkennbar gewesen sei, dass eine solche Verurteilung von wesentlichem Interesse für die Beurteilung seiner Würdigkeit war, spreche in besonderem Maße dafür, dass der Antragsteller nicht die charakterlichen Mindestanforderungen erfülle, die an einen Referendar zu stellen seien. Soweit der Antragsteller bei Antragstellung noch keine Kenntnis von dem gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren gehabt habe, sei er jedenfalls mit Kenntniserlangung durch Übersendung der Anklageschrift nach Treu und Glauben verpflichtet gewesen, ihn hierüber zu informieren. Die mittlerweile rechtskräftige Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung durch das Amtsgericht C. von Februar 2015 spreche ebenfalls für die Unwürdigkeit des Antragstellers, zumal es sich hierbei um eine Straftat handele, die eine tätliche Auseinandersetzung betroffen habe. Darüber hinaus habe ihn der Antragsteller über die derzeit gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren weder bei Antragstellung noch danach in Kenntnis gesetzt. Von den Ermittlungsverfahren habe er – der Antragsgegner – daher erst durch Mitteilung der Staatsanwaltschaften E. und C. auf entsprechende Anfrage erfahren. Auch diesbezüglich hätte ihn der Antragsteller spätestens dann informieren müssen, als er Kenntnis von den Verfahren erlangte.
35Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Gerichtsakte des Verfahrens 4 K 1153/15 und der zum Eilverfahren vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
36II.
37Der Antrag hat keinen Erfolg.
38Er ist zwar zulässig und das angerufene Gericht örtlich zuständig. Einschlägig ist insoweit § 123 Abs. 2 i.V.m. § 52 Nr. 4 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -, der auf Klagen, die auf die Begründung eines öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnisses sowie für Klagen aus diesem Ausbildungsverhältnis nach Auffassung der Kammer analog anzuwenden ist.
39Vgl. VG Minden, Urteil vom 8. Mai 2014 - 4 K 2692/13 -, juris, Rdn. 18.
40Demnach ist das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Kläger bzw. Antragsteller (bei Klageerhebung) seinen dienstlichen Wohnsitz bzw. in Ermangelung dessen seinen Wohnsitz hat. Der private Wohnsitz des Antragstellers befand sind im Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes und Erhebung der Klage im Verfahren 4 K 1153/15 in C. , also im Bezirk des erkennenden Gerichts.
41Der Antrag ist jedoch unbegründet.
42Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Antragsteller hat dazu sowohl die Eilbedürftigkeit der gerichtlichen Entscheidung (den Anordnungsgrund) als auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen, § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO. Dabei darf, da einstweilige Anordnungen lediglich der Sicherung und nicht schon der Befriedigung von Rechten dienen, die Entscheidung in der Hauptsache grundsätzlich nicht vorweggenommen werden. Wenn – wie hier – der Erlass der begehrten Anordnung zu einer Vorwegnahme der Hauptsache führt, sind hohe Anforderungen an das Vorliegen der Voraussetzungen zu stellen. Diese sind nur dann erfüllt, wenn das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache zu unzumutbaren und anders nicht abwendbaren Nachteilen führt und ein hoher Grad der Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist.
43Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. Januar 2015 - 12 B 1304/14 -, juris, Rdn. 3-5, m.w.N.
44Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
45Es fehlt im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an der Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs. Der Antragsteller hat nach der im vorliegenden Eilverfahren allein gebotenen summarischen Prüfung aller Wahrscheinlichkeit nach derzeit keinen Anspruch auf Einstellung in den juristischen Vorbereitungsdienst.
46Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Juristenausbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen - JAG NRW – hat grundsätzlich jeder, der die „erste Prüfung“ im Sinne des JAG bestanden hat, einen Anspruch auf Übernahme in den als öffentlich-rechtliches Ausbildungsverhältnis zum Land ausgestalteten juristischen Vorbereitungsdienst. Dieser Anspruch besteht indes nicht, wenn ein Fall nach Abs. 4 der Norm vorliegt. Nach der hier allein in Betracht kommenden Nr. 1 dieser Vorschrift „ist“ die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst zu versagen, wenn die Bewerberin oder der Bewerber der Zulassung nicht würdig ist. Dies ist nach der gesetzlichen Wertung des § 30 Abs. 4 Nr. 1 Halbsatz 2 in der Regel anzunehmen, wenn die Bewerberin oder der Bewerber wegen einer vorsätzlich begangenen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr rechtskräftig verurteilt und die Strafe noch nicht getilgt worden ist. Der Antragsgegner ist hier zu Recht davon ausgegangen, dass der Antragsteller der Zulassung zum Vorbereitungsdienst derzeit nicht würdig ist.
47Zunächst ist festzuhalten, dass die Regelung des § 30 Abs. 4 Nr. 1 JAG NRW, auf den die Ablehnung der Übernahme des Antragstellers in den Vorbereitungsdienst (zum jetzigen Zeitpunkt) gestützt ist, ihrerseits keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet.
48Die erfolgreiche Absolvierung des juristischen Vorbereitungsdienstes ist nicht nur Voraussetzung für den Eintritt in den öffentlichen Dienst etwa als Richter oder Staatsanwalt (§ 1 Abs. 1 Satz 1 JAG NRW), sondern auch für den Zugang zu anderen juristischen Berufen (vgl. etwa §§ 1, 4 Satz 1 BRAO). Es entspricht daher ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts, dass der Zugang zum juristischen Vorbereitungsdienst als Ausbildungsstätte im Sinne des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG grundrechtlich geschützt ist.
49Vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 -, juris, Rdn. 111; und vom 5. Oktober 1977 - 2 BvL 10/75 -, juris, Rdn. 39 ff.; BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 1979 - 2 B 38.78 -, Buchholz, 238.5 § 5 DRIG Nr. 1, S. 2, m.w.N.
50Dieser Zugang kann aber zur Gewährleistung zwingender Gründe des Gemeinwohls, zu denen auch die Gewährleistung einer geordneten Rechtspflege zählt, von Voraussetzungen abhängig gemacht werden, die in der Person des Bewerbers begründet liegen.
51Vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 1979 - 2 B 38.78 -, Buchholz, 238.5 § 5 DRIG Nr. 1, S. 2, m.w.N.; BVerfG, Urteil vom 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 -, juris, Rdn. 105 im Hinblick auf die Berufung der Referendare in ein Beamtenverhältnis auf Widerruf; BVerfG, Beschluss vom 5. Oktober 1977 - 2 BvL 10/75 -, juris, Rdn. 39 ff, im Hinblick auf den Vorbereitungsdienst ohne Berufung in ein Beamtenverhältnis.
52Vor diesem Hintergrund ist die von § 30 Abs. 4 Nr. 1 JAG NRW vorgesehene grundsätzliche Möglichkeit, einem Bewerber die Zulassung zum juristischen Vorbereitungsdienst wegen seiner Unwürdigkeit zu versagen, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
53Im Übrigen gilt: Bei dem Tatbestandsmerkmal der Unwürdigkeit handelt es sich um einen gerichtlich uneingeschränkt überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff, bei dessen Anwendung der Einstellungsbehörde weder ein Ermessensspielraum noch ein Beurteilungsspielraum zukommt.
54Vgl. zum beamtenrechtlichen Begriff der Unwürdigkeit BVerwG, Urteil vom 15. Januar 1960 - 6 C 229.58 -, DÖV 1960, S. 840, 841; BVerwG, Urteil vom 12. Mai 1966 - 2 C 116.65 -, juris (nur Leitsatz); BayVGH, Urteil vom 16. Juni 1993 - 3 B 92.2995 -, juris, Rdn. 11; Schütz/Maiwald (Maiwald), BeamtR, Kommentar Bd. 1, 129. AL November 2012, § 12 BeamtStG, Rdn. 59, m.w.N.; zur ‚persönlichen Ungeeignetheit‘ im Sinne des niedersächsischen Juristenausbildungsgesetzes OVG Lüneburg, Urteil vom 27. November 2002 - 5 LB 114/02 -, juris, Rdn. 36; zur Unwürdigkeit i.S.d. § 46 Abs. 2 Nr. 3 Soldatengesetz OVG NRW, Urteil vom 3. Dezember 1999 - 12 A 5024/98 -, juris, Rdn. 3; a.A. noch OVG NRW, Urteil vom 16. Juni 1978 - VI A 898/76 -, DÖD 1979, S. 36, betreffend die „besondere charakterliche Eignung“ eines Beamtenbewerbers.
55Die Auslegung des Begriffs der Unwürdigkeit im Sinne von § 30 Abs. 4 Nr. 1 Halbsatz 1 JAG NRW muss allerdings im Lichte von Art. 12 Abs. 1 GG erfolgen und den Wertungen dieses Grundrechts auf freie Wahl des Berufes und der Ausbildungsstätte Rechnung tragen.
56Nach der Intention des Gesetzgebers soll die von § 30 Abs. 4 Nr. 1 Halbsatz 1 JAG NRW geforderte Würdigkeit sicherstellen, dass der Bewerber nach dem Gesamtbild seiner Persönlichkeit würdig, d.h. auch charakterlich geeignet ist, in einen Ausbildungsgang aufgenommen zu werden, der ihm die Befähigung zum Richteramt verschafft.
57Vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung, LT-Drs. 13/3197, S. 99.
58Charakterlich geeignet ist ein Bewerber dann, wenn er bereits bei Beginn der Ausbildung die Mindestanforderungen erfüllt, die die Erwartung begründen, er werde dem Berufsbild eines Volljuristen auch von seiner Persönlichkeit her im Verlauf der Ausbildungszeit gerecht werden können.
59Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. August 1979 - 2 BvR 374/79 -, S. 5 (zitiert nach dem Gesetzentwurf der Landesregierung, LT-Drs. 13/3197, S. 99).
60Diese Mindestanforderungen sind daher unter Berücksichtigung des Ziels der nordrhein-westfälischen Juristenausbildung sowie der im Verlaufe der Ausbildung zu erfüllenden Anforderungen zu bestimmen. Nach § 39 Abs. 1 JAG NRW ist es Ziel des zweijährigen Vorbereitungsdienstes, dass die Referendare „lernen, auf der Grundlage ihrer im Studium erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten eine praktische Tätigkeit in Rechtsprechung, Verwaltung und Rechtsberatung aufgeschlossen für die Lebenswirklichkeit im Geiste eines demokratischen und sozialen Rechtsstaates und unter Berücksichtigung der fortschreitenden Integration innerhalb der Europäischen Union eigenverantwortlich wahrzunehmen“. Referendare sollen durch den Vorbereitungsdienst auf richterliche, staatsanwaltschaftliche, rechtsanwaltliche und weitere der Rechtspflege dienende Tätigkeiten vorbereitet werden. Hierzu bestimmt § 40 Abs. 1 JAG NRW, dass sich Referendare „durch kontinuierliche, fortschreitend selbstständiger werdende Mitarbeit an ausbildungsgeeigneten Aufgaben der Ausbilderin oder des Ausbilders darin üben [sollen], praktische juristische Aufgaben wahrzunehmen und selbstständig zu erledigen. Zum Zwecke der Ausbildung können ihnen, sofern nicht gesetzliche Vorschriften entgegenstehen, Geschäfte von Beamtinnen und Beamten des höheren oder des gehobenen Dienstes, bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften auch die einer Urkundsbeamtin oder eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, zur selbstständigen Wahrnehmung übertragen werden“.
61Referendare erwerben durch die (erfolgreiche) Absolvierung des juristischen Vorbereitungsdienstes also nicht nur die Befähigung zum Richteramt, zum höheren allgemeinen Verwaltungsdienst (§ 1 Abs. 1 Satz 1 JAG NRW) sowie zum Beruf des Rechtsanwaltes als unabhängiges Organ der Rechtspflege (§§ 1, 4 Satz 1 BRAO). Sie werden vielmehr bereits während des Vorbereitungsdienstes faktisch für die ausbildenden Gerichte, Staatsanwaltschaften, Behörden und Rechtsanwälte auch nach außen hin tätig, indem sie deren Aufgaben – soweit nach Ausbildungsstand und gesetzlichen Vorgaben möglich – eigenverantwortlich wahrnehmen. Hierzu zählen etwa die in § 40 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 5, Abs. 3 JAG NRW beispielhaft aufgeführte Leitung der mündlichen Verhandlung des ausbildenden Zivilgerichts, die Vertretung der Staatsanwaltschaft im Sitzungsdienst und die Vertretung des ausbildenden Rechtsanwalts in mündlichen Verhandlungen, wobei Referendare nach § 142 Abs. 2 StPO auch als Pflichtverteidiger in erstinstanzlichen Strafsachen bestellt werden können.
62Vor diesem Hintergrund fehlt es zum einen an der von § 30 Abs. 4 Nr. 1 JAG NRW vorausgesetzten Würdigkeit, wenn dem Bewerber ein schwerer Verstoß gegen das Recht, das er bereits während des Vorbereitungsdienstes mitunter eigenverantwortlich pflegen soll, zum Vorwurf gemacht wird.
63Vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung, LT-Drs. 13/3197, S. 99, unter Verweis auf BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 1979 - 2 B 38.78 -, Buchholz, 238.5 § 5 DRIG Nr. 1, S. 2-3.
64§ 30 Abs. 4 Nr. 1 Halbsatz 2 JAG NRW konkretisiert diesen Grundsatz dahingehend, dass ein schwerer Verstoß in diesem Sinne regelmäßig dann vorliegt, wenn der Bewerber wegen einer vorsätzlich begangenen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Strafe noch nicht getilgt worden ist. Da es sich hierbei indes (nur) um ein Regelbeispiel handelt, ist eine Unwürdigkeit i.S.d. § 30 Abs. 4 Nr. 1 Halbsatz 1 JAG NRW weder zwingend gegeben, wenn diese Voraussetzungen vorliegen, noch ist bei Nichtvorliegen dieser Voraussetzungen ohne Weiteres von der Würdigkeit des Bewerbers auszugehen. Unter Berücksichtigung der konkreten Tat und ihrer Folgen, des Verhaltens des Bewerbers nach der Tat, der Gesamtpersönlichkeit und der Sozialprognose für das zukünftige Verhalten des Betroffenen sowie der seit der Tat verstrichenen Zeit kann hiernach unter besonderen Umständen sowohl die Einstellung versagt werden, wenn eine Freiheitsstrafe von weniger als einem Jahr verhängt worden ist, als auch eine Einstellung – ausnahmsweise – erfolgen, wenn die Freiheitsstrafe ein Jahr überschreitet.
65Vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung, LT-Drs. 13/3197, S. 99; vgl. zum niedersächsischen Juristenausbildungsgesetz OVG Lüneburg, Urteil vom 27. November 2002 - 5 LB 114/02 -, juris, Rdn. 43 ff.
66Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob der Bewerber nur einmalig oder gar mehrfach verurteilt worden ist, da sich auch aus der Anzahl und dem zeitlichen Abstand strafrechtlicher Verurteilungen Rückschlüsse auf die charakterliche Eignung für die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst ziehen lassen. Es liegt auf der Hand, dass die wiederholte Begehung von Straftaten – selbst wenn diese für sich genommen nicht die Voraussetzungen des Regelbeispiels des § 30 Abs. 4 Nr. 1 Halbsatz 2 JAG NRW erfüllen – dagegen sprechen kann, dass der Bewerber die charakterlichen Mindestanforderungen für die Ausbildung zum Volljuristen erfüllt, im Verlaufe derer er die oben dargelegten Aufgaben im Bereich der Rechtspflege übernimmt.
67An der von § 30 Abs. 4 Nr. 1 Halbsatz 1 JAG NRW vorausgesetzten charakterlichen Eignung fehlt es darüber hinaus, wenn sich der Bewerber verfassungsfeindlich betätigt. Das JAG NRW geht insoweit vom „Leitbild“ eines Juristen aus, der aufgeschlossen ist „für die Lebenswirklichkeit im Geiste eines demokratischen und sozialen Rechtsstaates“, und zwar unabhängig davon, welche Tätigkeit der vollausgebildete Jurist später ausübt und welche Schranken dafür gelten.
68Vgl. zum hamburgischen Recht BVerfG, Beschluss vom 5. Oktober 1977 - 2 BvL 10/75 -, juris, Rdn. 42; zum niedersächsischen Recht OVG Lüneburg, Urteil vom 27. November 2002 - 5 LB 114/02 -, juris, Rdn. 40.
69Im Hinblick darauf, dass der juristische Vorbereitungsdienst in NRW nicht als Beamtenverhältnis auf Widerruf, sondern als öffentlich-rechtliches Ausbildungsverhältnis eigener Art ausgestaltet ist, setzt die Würdigkeit im Sinne des § 30 Abs. 4 Nr. 1 Halbsatz 1 JAG NRW zwar nicht voraus, dass der Bewerber die Gewähr dafür bietet, er werde jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintreten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist aber auch eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst außerhalb des Beamtenverhältnisses, einschließlich einer vorübergehenden Beschäftigung im öffentlichen Dienst zum Zwecke der Berufsausbildung, nicht völlig unbeschränkt jedermann zugänglich. Insoweit verbietet es sich jedenfalls, Bewerber, die darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, in die praktische Ausbildung zu übernehmen. Die in diesen Konstitutionsprinzipien unserer Verfassung enthaltenen Wertentscheidungen schließen es aus, dass „der Staat seine Hand dazu leiht, diejenigen auszubilden, die auf die Zerstörung der Verfassungsordnung ausgehen“.
70Vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Oktober 1977 - 2 BvL 10/75 -, juris, Rdn. 39.
71Nach diesen Maßstäben ist die Annahme des Antragsgegners, der Antragsteller sei derzeit der Aufnahme in den Vorbereitungsdienst unwürdig, nicht zu beanstanden. Die Unwürdigkeit des Antragstellers ergibt sich bereits aus seinen Vorstrafen (dazu 1.), sodass es einer abschließenden Entscheidung der Frage, ob die Unwürdigkeit des Antragstellers auch aus seiner Betätigung für die Partei „P.“ und zuvor für die mittlerweile verbotene Vereinigung „K.“ folgt, im vorliegenden Eilverfahren nicht bedarf (dazu 2.).
721.
73Der Antragsteller ist mehrfach vorbestraft. Der Antragsgegner hat bei seiner Entscheidung über die Würdigkeit des Antragstellers zunächst lediglich die beiden aus dem von diesem vorgelegten Führungszeugnis ersichtlichen rechtskräftigen Verurteilungen des Antragstellers durch das Amtsgericht T1. wegen Beleidigung und durch das Amtsgericht T2. wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz des Landes Niedersachsen berücksichtigt.
74Bereits diese beiden Verurteilungen begründen erhebliche Zweifel an der Würdigkeit des Antragstellers, in den juristischen Vorbereitungsdienst aufgenommen zu werden. Dies ergibt sich zum einen im Hinblick darauf, dass der Antragsteller nicht nur einmalig – gewissermaßen als „Ausrutscher“ – eine Straftat begangen hat, sondern innerhalb von 10 Monaten gleich zwei Mal strafrechtlich in Erscheinung trat. Zum anderen handelte es sich bei der durch das Amtsgericht T1. abgeurteilten Beleidigung um ein Delikt, das nicht nur erkennbar einen rassistischen Hintergrund hatte, sondern auch einen Polizisten betraf, der als staatlicher Beamter gerade den Antragsteller bei der Ausübung seines Versammlungsrechts schützte. Der Antragsgegner hat insoweit zutreffend festgestellt, dass gerade diese Tat Anlass zu der Besorgnis gibt, dass der Antragsteller der Pflicht, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln – eine der grundlegendsten Anforderungen, die an (angehende) Volljuristen zu stellen sind – nicht gerecht wird.
75Vor diesem Hintergrund gehen die Versuche des Antragstellers, die von ihm begangene Tat als „flapsige Äußerung“ zu bagatellisieren, die im „unteren Bereich der Strafbarkeit liege“ und bei der es sich weder um ein Staatsschutzdelikt noch um ein Vermögensdelikt oder Delikt des Geheimnisverrats handele, fehl. Zwar trifft es zu, dass das Landgericht C. in seinem Berufungsurteil davon ausging, dass das Gesamtbild der Tat im Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle liege. Diese Wertung des Landgerichts erfolgte aber ausschließlich im Rahmen der Strafzumessung, bei der es darum geht, unter Berücksichtigung der Schwere der Tat die zur Einwirkung auf den Täter notwendige und angemessene Strafhöhe zu ermitteln. Aber weder die strafrechtliche Einordnung der Schwere der Tat noch die vom Landgericht getroffene strafrechtliche Sozialprognose sind von entscheidender Bedeutung im Hinblick auf die Frage der Würdigkeit eines Bewerbers im Sinne des § 30 Abs. 4 Nr. 1 JAG NRW. Die Kammer berücksichtigt insoweit, dass es sich bei den vom Antragsteller begangenen Straftaten nicht um solche handelt, die dem Bereich schwerer Kriminalität zuzuordnen sind. Sie geht aber davon aus, dass bei einem vorbestraften Bewerber, der unter anderem wegen einer rassistisch beleidigenden Äußerung gegenüber einem zu seinem Schutz bestellten Polizisten rechtskräftig verurteilt wurde und diese Tat als „flapsige Äußerung“ zu bagatellisieren sucht, erhebliche Zweifel bestehen, dass er es mit der Einhaltung der Rechtsordnung, deren Pflege er während des Referendariats zum Teil eigenverantwortlich übernehmen soll, hinreichend genau nimmt und insoweit die charakterlichen Voraussetzungen für die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst erfüllt.
76Im Hinblick auf diese Erwägungen ist es auch unschädlich, dass die vom Amtsgericht T2. und Landgericht C. ausgeurteilten Strafen von 20 Tagessätzen Geldstrafe und 3 Monaten Freiheitsstrafe deutlich hinter der von § 30 Abs. 4 Nr. 1 Halbsatz 2 JAG NRW vorausgesetzten einjährigen Freiheitsstrafe zurück bleiben, insbesondere da es sich hierbei lediglich um ein Regelbeispiel handelt, das – wie dargelegt – nicht zwingend erfüllt sein muss, um von einer Unwürdigkeit ausgehen zu können.
77Es kann dahinstehen, ob bereits diese beiden Verurteilungen die Feststellung der Unwürdigkeit des Antragstellers tragen, da nach Auffassung der Kammer auch die weiteren im Bundeszentralregister eingetragenen Verurteilungen des Antragstellers zu berücksichtigen sind. Denn nach § 51 Abs. 1 Bundeszentralregistergesetz
78- BZRG - darf eine Tat und die Verurteilung dem Betroffenen nur dann im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden, wenn die Eintragung der Verurteilung im Register getilgt worden oder zu tilgen ist. Diese Voraussetzungen liegen für die Eintragungen, die sowohl das Landgericht C. in seinem Berufungsurteil von Oktober 2013 als auch zuletzt das Amtsgericht C. in seinem Urteil von Februar 2015 berücksichtigt haben, nicht vor. Unter diesen Eintragungen befinden sich die oben unter I. im Einzelnen aufgeführten Verurteilungen.
79Diese Verurteilungen waren wegen § 38 Abs. 2 Nr. 3 BZRG zwar nicht in das vom Antragsteller beantragte Führungszeugnis aufzunehmen, da die beiden Verurteilungen des Landgerichts C. und des Amtsgerichts T2. , die nach § 38 Abs. 1 BZRG eine (Wieder-)Aufnahme auch der vorherigen Verurteilungen in das Führungszeugnis hätten bewirken können, die erforderlichen „Schwellenwerte“ des § 38 Abs. 2 Nr. 3 BZRG nicht überschritten. Sie waren aber weder getilgt noch tilgungsreif, da nach § 47 Abs. 3 Satz 1 BZRG in Fällen, in denen im Register mehrere Verurteilungen eingetragen sind, die Tilgung einer Eintragung erst zulässig ist, wenn für alle Verurteilungen die Voraussetzungen der Tilgung vorliegen (Grundsatz der Unteilbarkeit des Registerinhalts bei Verurteilungen).
80Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juni 2014 - 10 C 4/14 -, juris, Rdn. 15.
81Die Tilgungsfrist für die letzte Eintragung (Verurteilung durch das Amtsgericht T2. von August 2013) beträgt gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 2 lit. a BZRG zehn Jahre, da der Antragsteller zu einer Geldstrafe verurteilt worden ist und die Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 Nr. 1 lit. a BZRG im Hinblick auf die bereits vorhandenen Eintragungen von Jugendstrafen und Freiheitsstrafen nicht vorliegen. Eine Tilgung der vorangegangenen Verurteilungen kommt insoweit nach § 47 Abs. 3 Satz 1 BZRG frühestens nach Ablauf dieser Frist in Betracht.
82Ein Verwertungsverbot besteht auch nicht wegen rechtswidriger Kenntniserlangung. Dabei kann dahinstehen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Einstellungsbehörden Verurteilungen, von denen sie auf rechtswidrige Weise Kenntnis erlangt haben, bei ihren Entscheidungen außer Acht lassen müssen
83- vgl. zur Frage eines entsprechenden Verwertungsverbots im Staatsangehörigkeitsrecht BVerwG, Urteil vom 5. Juni 2014 - 10 C 4/14 -, juris, Rdn. 23, i. E. offen gelassen -,
84denn der Präsident des Oberlandesgerichts I. hat von den nicht im Führungszeugnis aufgeführten Verurteilungen des Antragstellers auf rechtmäßige Weise Kenntnis erlangt.
85Der Umstand, dass der Präsident des Oberlandesgerichts I. als zuständige Einstellungsbehörde (§ 30 Abs. 2 JAG NRW) nicht zum Kreis der nach § 41 Abs. 1 BZRG unbeschränkt auskunftsberechtigten Stellen zählt und daher nicht selbst einen unbeschränkten Bundeszentralregisterauszug anfordern konnte, aus dem die vorgenannten Verurteilungen des Antragstellers ersichtlich gewesen wären, steht einer rechtmäßigen Kenntniserlangung auf anderem Wege nicht entgegen.
86Vgl. zu § 41 Abs. 3 BZRG BVerwG, Urteil vom 5. Juni 2014 - 10 C 4/14 -, juris, Rdn. 24.
87Denn § 41 Abs. 1 BZRG enthält im Gegensatz zu § 51 Abs. 1 BZRG lediglich eine abschließende Aufzählung der unbegrenzt auskunftsberechtigten Stellen, nicht aber ein Verwertungsverbot, wenn auf andere Weise Kenntnis von den nicht in ein Führungszeugnis aufzunehmenden Eintragungen erlangt wird. Ziel des § 51 Abs. 1 BZRG ist es, eine Verwertung zum Nachteil des Betroffenen zu verhindern, wenn auf andere Weise Kenntnisvon getilgten oder tilgungsreifen Eintragungen erlangt wurde.
88Vgl. Götz, Bundeszentralregistergesetz, 1972, § 49 a.F., Rdn. 4.
89Hier hat der Präsident des Oberlandesgerichts I. als Einstellungsbehörde nicht von der Registerbehörde, sondern aus den von ihm beigezogenen Strafakten der Amtsgerichte T1. und T2. , die jeweils eine Ablichtung des rechtskräftigen erstinstanzlichen bzw. zweitinstanzlichen Urteils (Landgericht C. ) enthielten, Kenntnis von den Verurteilungen des Antragstellers erlangt. Die Beiziehung war auch rechtmäßig, da der Antragsteller zuvor eine entsprechende schriftliche Einwilligungserklärung abgegeben hatte, vgl. § 4 Abs. 1 i.V.m § 4 a Abs. 1 Satz 1 Bundesdatenschutzgesetz - BDSG -.
90Aus den nach alledem zu berücksichtigenden weiteren Verurteilungen des Antragstellers folgt ohne weiteres, dass er jedenfalls derzeit der Zulassung zum juristischen Vorbereitungsdienst unwürdig ist. Denn die Verurteilungen stellen zum Teil für sich genommen, jedenfalls aber in ihrer Gesamtheit einen schweren Verstoß gegen das Recht dar, das dem Antragsteller während des Vorbereitungsdienstes zur mitunter eigenverantwortlichen Pflege anvertraut werden würde. Danach verbietet es sich, den Antragsteller derzeit in den Vorbereitungsdienst aufzunehmen.
91Die Verurteilungen ergeben das Bild eines über viele Jahre hinweg in regelmäßigen Abständen von etwa ein bis maximal zwei Jahren immer wieder strafrechtlich erheblich in Erscheinung tretenden Bewerbers, den bislang weder vorangegangene Verurteilungen, noch laufende Bewährungsstrafen oder sein Studium der Rechtswissenschaft zur Einhaltung der Rechtsordnung bewegen konnten. In dieses Bild fügt sich die Eintragung des Antragstellers in seinem Profil in einem sozialen Netzwerk von Juli 2013 ein, in der er – gekennzeichnet als Zitat, aber ohne Angabe des Urhebers – ausführt:
92„In Erwägung unserer Schwäche machtet
93ihr Gesetze, die uns knechten soll'n.
94Die Gesetze seien künftig nicht beachtet
95in Erwägung, daß wir nicht mehr Knecht sein woll'n.
96In Erwägung, daß ihr uns dann eben
97mit Gewehren und Kanonen droht,
98haben wir beschlossen, nunmehr schlechtes Leben
99mehr zu fürchten als den Tod.“
100Danach bestehen erhebliche Zweifel daran, dass der Antragsteller gewillt ist, die Rechtsordnung als für sich verbindlich anzuerkennen und sein Verhalten daran auszurichten. Bezeichnend ist daher auch die weitere, inzwischen rechtskräftig gewordene Verurteilung des Antragstellers wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung durch das Amtsgericht C. von Februar 2015, die erst im Verlaufe des vorliegenden Verfahrens bekannt wurde. Vor dem Hintergrund der kontinuierlichen Begehung der Straftaten kann dem Antragsteller auch nicht entscheidend zu Gute gehalten werden, dass einige der Verurteilungen bereits mehrere Jahre zurückliegen.
101Die Bandbreite der von Antragsteller begangenen Straftaten ist erheblich. Sie reicht von Staatsschutzdelikten (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen), über eine Straftat gegen die öffentliche Ordnung (Volksverhetzung) und mehrfache Beleidigung bis hin zu Straftaten, die die Anwendung von körperlicher Gewalt beinhalteten (Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte). Dabei zeigt die Begehung der zuletzt genannten Straftaten durch den Antragsteller, dass er in Konfliktsituationen im Zweifel auch nicht davor zurückschreckt, Gewalt anzuwenden.
102Im Übrigen lässt auch der Umstand, dass der Antragsteller entgegen seiner prozessualen Wahrheitspflicht (§ 138 Abs. 1 ZPO) in seiner Antragsschrift vom 21. April 2015 behauptete, seit der Verurteilung durch das Amtsgericht T1. wegen Beleidigung sei es lediglich zu einem Strafbefehl wegen Verstoßes gegen das niedersächsische Versammlungsgesetz gekommen – obwohl er zwischenzeitlich durch das Amtsgericht C. wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung verurteilt worden war – darauf schließen, dass er die charakterlichen Mindestanforderungen, die an einen Referendar im juristischen Vorbereitungsdienst zu stellen sind, nicht erfüllt. Dieses Verhalten des Antragstellers zeigt, dass er um seines Vorteils willen nicht vor Rechtsverletzungen zurückschreckt. Vor diesem Hintergrund kann dahingestellt bleiben, ob der Antragsteller bereits gegenüber dem Antragsgegner verpflichtet gewesen wäre, auf das gegen ihn geführte Strafverfahren, von dem er spätestens seit der Übersendung der Anklageschrift aus November 2014 Kenntnis erlangt hatte, oder jedenfalls auf die erstinstanzliche Verurteilung, hinzuweisen.
103Dies gilt gleichermaßen für die weiteren, gegen den Antragsteller derzeit geführten Ermittlungs- bzw. Strafverfahren. Auch insoweit kann dahinstehen, ob der Antragsteller verpflichtet gewesen wäre, den Antragsgegner nach Kenntniserlangung über die Verfahren zu informieren. Denn die Verfahren lassen auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich weder um rechtskräftige Verurteilungen handelt noch feststeht, ob es überhaupt zu einer Verurteilung kommen wird, Rückschlüsse in Bezug auf die Unwürdigkeit des Antragstellers insoweit zu, als sich daraus tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme ergeben, dass sich der Antragsteller nach wie vor mit seinem Verhalten jedenfalls im Grenzbereich zur Strafbarkeit bewegt und daher keine deutliche Abkehr von dem Verhalten erkennen lässt, das ‑ wie soeben dargelegt ‑ seine Unwürdigkeit begründet.
1042.
105Da nach alledem bereits die Vorstrafen des Antragstellers dessen Unwürdigkeit im Sinne von § 30 Abs. 4 Nr. 1 Halbsatz 1 JAG NRW begründen, bedarf es keiner abschließenden Entscheidung über die Frage, ob sich diese auch aus der Betätigung des Antragstellers für die mittlerweile verbotene Vereinigung „K. “ und die Partei „P.“ folgern lässt. Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung spricht jedoch viel dafür, diese Frage zu bejahen.
106Die aktive Betätigung des Antragstellers für die Ziele der Partei „P.“ und die Vereinigung „K.“ bietet erhebliche Anhaltspunkte für die Annahme, dass er als Mitglied dieser Vereinigungen darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, sodass es sich mit dem Bundesverfassungsgericht verbietet, dass der Staat „seine Hand zu seiner Ausbildung leiht“.
107Vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Oktober 1977 - 2 BvL 10/75 -, juris, Rdn. 39.
108Die freiheitliche demokratische Grundordnung lässt sich „als eine Ordnung bestimmen, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.“
109Vgl. BVerfG, Urteil vom 23. Oktober 1952 - 1 BvB 1/51 -, juris, Rdn. 38.
110Dabei kommt es – in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 3 Abs. 1 VereinsG – nicht darauf an, dass die Vereinigung bzw. ihre Mitglieder ihre gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Ziele gerade durch die Anwendung von Gewalt oder durch sonstige Rechtsverletzungen zu verwirklichen sucht. Wesentlich ist vielmehr, dass sich die Tätigkeit der Vereinigung kämpferisch-aggressiv gegen die verfassungsmäßige Ordnung wendet, d.h. diese Ordnung fortlaufend untergraben will.
111Vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Dezember 1980 - 1 A 3/80 -, juris, Rdn. 48.
112Denn ein „Ausgehen“ darauf, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, setzt nicht notwendiger Weise ein gewaltsames Vorgehen voraus. Vielmehr verbietet sich die Übernahme eines Bewerbers in den juristischen Vorbereitungsdienst, der diesem die verantwortungsvolle Aufgabe der (eigenverantwortlichen) Pflege der Rechtsordnung bereits während der Ausbildung überträgt, auch dann, wenn der Bewerber die grundlegenden Prinzipien unserer verfassungsmäßigen Ordnung gewaltfrei, aber doch kämpferisch-aggressiv zu beseitigen sucht.
113Insoweit hat der Antragsgegner unter Auswertung der Feststellungen der Verfassungsschutzberichte des Landes Nordrhein-Westfalen der letzten Jahre, der Inhalte der Homepage des Ortsverbandes I. der Partei „P.“ sowie der Verbotsverfügung des Innenministeriums betreffend die Vereinigung „K.“ umfangreich dargelegt, dass es sich sowohl bei der mittlerweile nach § 3 Abs. 1 VereinsG verbotenen Vereinigung „K.“ als auch bei der Partei „P.“ um Vereinigungen handelt, die in diesem Sinne darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, und dass der Antragsteller dieses Ziel aktiv unterstützt.
114Nach der rechtskräftigen Verbotsverfügung des Innenministeriums aus dem Jahr 2012 handelt es sich bei der „K.“ um eine Vereinigung mit einer fremdenfeindlichen, rassistischen und antisemitischen Grundeinstellung, die in einer die Menschenwürde verachtenden Weise politische Gegner als „Minusmenschen“ herabwürdigt, die aufgrund einer „Rassenlehre“ zu suggerieren sucht, eine Ungleichbehandlung von Menschen unterschiedlicher Herkunft könne naturgesetzlich gerechtfertigt werden, und darüber hinaus zum „Nationalen Widerstand“ gegen den Feind – das „liberal-kapitalistische System“ – aufruft.
115Diese Feststellungen basieren auf offiziellen Stellungnahmen, Artikeln, Liedtexten und sonstigen (Internet-)Veröffentlichungen der Vereinigung „K.“, die in der Verbotsverfügung jeweils im Einzelnen belegt und überzeugend begründet werden.
116Der Antragsgegner hat dargelegt, dass sich der Antragsteller auch persönlich für die Ziele der „K.“ engagiert hat, indem er seit 2005 bis zum Verbot der Vereinigung im Jahr 2012 insgesamt neun Aufzüge und Kundgebungen der „K.“ im eigenen Namen anmeldete, auf einem der „K.“ zuzurechnenden Flugblatt als „V.i.S.d.P.“ (Verantwortlicher im Sinne des Pressegesetzes) auftrat und darüber hinaus eine im Zusammenhang mit dem Verbot der „K.“ durchsuchte Gaststätte im eigenen Namen für die „K.“ anmietete.
117Diesen Feststellungen ist der Antragsteller nicht überzeugend entgegen getreten. Insoweit hat er sich lediglich gegen die Verwertung „nachrichtendienstlicher Erkenntnisse“ – gemeint war wohl u.a. die dem Antragsgegner vom Innenministerium über das Justizministerium übermittelte Auflistung durch den Antragsteller angemeldeter Versammlungen – im vorliegenden Verfahren gewandt, die Feststellungen in tatsächlicher Hinsicht aber nicht bestritten. Hinsichtlich der durch den Antragsteller nicht näher begründeten Auffassung, „nachrichtendienstliche Erkenntnisse“ dürften im vorliegenden Verfahren nicht verwertet werden, genügt die Feststellung, dass Erkenntnisse des Verfassungsschutzes durchaus gerichtsverwertbar sind.
118Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 2. Dezember 2009 - 5 C 24/08 -, juris, Rdn. 28 ff., und Beschluss vom 21. Januar 2009 - 5 B 51/08 -, juris, Rdn. 7-11, in denen das Bundesverwaltungsgericht ebenfalls ersichtlich von der Verwertbarkeit von in den Verfassungsschutzberichten veröffentlichten Erkenntnissen des Verfassungsschutzes ausgeht.
119Ein Verwertungsverbot käme allenfalls dann in Betracht, wenn die zu verwertenden Erkenntnisse in rechtswidriger Weise erlangt worden wären. Anhaltspunkte dafür sind aber weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Verfassungsschutzgesetz NRW - VSG - ist die Verfassungsschutzbehörde befugt, Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, zu sammeln und auszuwerten, soweit tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht solcher Bestrebungen und Tätigkeiten vorliegen. Diese Voraussetzungen lagen hinsichtlich der „K.“ und der Betätigung des Antragstellers als deren Mitglied vor dem Hintergrund des soeben Gesagten ersichtlich vor. Dass etwa bereits die Beobachtung der „K.“ und ihrer Mitglieder durch den Verfassungsschutz unzulässig gewesen wäre, hat auch der Antragsteller nicht behauptet. Da die hier fraglichen Erkenntnisse – die Liste der vom Antragsteller angemeldeten Versammlungen – nicht den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel im Sinne des § 5 Abs. 2 VSG erforderten, sondern durch schlichte Anfrage bei der zuständigen Behörde – hier dem Polizeipräsidium I. – erlangt werden konnten, ist auch insoweit nicht ersichtlich, dass diese in rechtswidriger Weise erlangt wurden. Auch die Übermittlung der Auflistung an den Präsidenten des Oberlandesgerichts I. war nach § 17 Abs. 2 Satz 1 VSG zulässig, da dieser als Einstellungsbehörde tätig wurde und die übermittelten Erkenntnisse zur Erfüllung seiner Aufgaben, hier der Prüfung der Würdigkeit des Antragstellers für die Übernahme in den juristischen Vorbereitungsdienst, erforderlich waren.
120Vor diesem Hintergrund geht das pauschale Bestreiten des Antragstellers, dass er sich als „prägende Persönlichkeit“ der „K.“ für deren verfassungsfeindliche Bestrebungen „besonders verantwortlich zeichne“, fehl. Dies ist schon deshalb der Fall, weil es sich hierbei um Schlussfolgerungen handelt, die der Antragsgegner auf der Grundlage der Feststellungen aus der Verbotsverfügung des Innenministeriums betreffend die „K.“ getroffen hat, die wiederum – wie bereits dargelegt – auf Erkenntnissen beruht, die der Antragsteller weder als Adressat der Verbotsverfügung noch im vorliegenden Verfahren bestritten hat. Die Schlussfolgerung des Antragsgegners ist im Übrigen auch zutreffend. Denn die aktive Förderung der politischen Ziele der „K.“, insbesondere durch das regelmäßige Anmelden öffentlicher Versammlungen und Kundgebungen und die Übernahme offizieller presserechtlicher Verantwortung für Druckerzeugnisse der Vereinigung, spricht zum einen dafür, dass sich der Antragsteller deren Bestrebungen in besonderem Maße zu eigen machte. Zum anderen verdeutlichen diese Tatsachen, dass er nicht nur einfaches Mitglied der „K.“ war. Dieser Schlussfolgerung steht nicht entgegen, dass es sich bei der Anmeldung der Versammlungen und ggfs. der Teilnahme daran um ein durch Art. 8 Abs. 1 GG geschütztes Verhalten handelte. Denn die Tatsache, dass die Anmeldung, Organisation und Teilnahme an diesen Versammlungen grundrechtlich geschützt war, bedeutet nicht, dass diese nicht als Anhaltspunkt dafür gewertet werden dürfen, dass der Antragsteller hierdurch die verfassungsfeindlichen Ziele der „K.“ aktiv unterstützte.
121Die Tatsache, dass der Antragsteller seit nunmehr drei Jahren nicht mehr Mitglied der „K.“ ist und sich eigenen Angaben zufolge seither auch nicht in anderen vergleichbaren Vereinigungen politisch betätigt, führt nicht dazu, dass die Würdigkeit des Antragstellers hinsichtlich seiner verfassungsfeindlichen Bestrebungen anders zu bewerten ist. Denn zum einen beruhte die Beendigung der Mitgliedschaft des Antragstellers in der „K.“ nicht etwa auf einem freien Entschluss des Antragstellers, sondern vielmehr auf deren rechtskräftigem Verbot. Im Anschluss daran schied eine weitere Mitgliedschaft notwendigerweise aus. Zum anderen spricht viel dafür, dass der Antragsteller seine verfassungsfeindliche Betätigung nahtlos als Mitglied im Landes- und Bundesvorstand sowie bis Januar 2015 als Vorsitzender des Kreisverbandes I. der Partei „P." fortsetzte.
122Den Verfassungsschutzberichten des Landes NRW für die letzten Jahre lassen sich die folgenden Erkenntnisse über die Partei „P.“ entnehmen:
123Entgegen dem plakativen Bekenntnis des Parteiprogramms der Partei „P.“ zur freiheitlich demokratischen Grundordnung ergibt sich aus der Gesamtheit ihrer öffentlichen Aktivitäten, ihrer Webseiten und Facebook-Profile, dass es sich bei der Partei um eine extremistische, gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Vereinigung handelt.
124Bereits das Parteiprogramm selbst spricht von einer „…, natürlich[en] … Ordnung“ eines jeden Volkes und stellt so die demokratische Gestaltbarkeit einer gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung in Abrede.
125Darüber hinaus werden bei öffentlichen Kundgebungen der Partei immer wieder demokratiefeindliche Parolen skandiert. Hierzu zählen etwa „ … “ oder „ … “. Mit „ … “ sei dabei die rechtsstaatlich verfasste Demokratie in Deutschland gemeint.
126Die rechtsstaatliche Demokratie ist nach Ansicht der Partei „P.“ auch nicht geeignet, gesellschaftliche Konflikte angemessen zu lösen und müsse schon deshalb überwunden werden. Der Kreisverband I. schreibt dazu in einem Beitrag auf seiner Homepage zur Einwanderung von Sinti und Roma: „ … “
127Das Ziel der „System“-Überwindung geht auch aus einem vom Antragsgegner in seinem Ablehnungsbescheid vom 15. April 2015 auszugsweise wiedergegebenen Bericht über eine Rede des Antragstellers anlässlich der Gründung des Kreisverbandes N. der Partei „P.“ hervor. In dem auf der Homepage des Kreisverbandes N. veröffentlichten Bericht heißt es: „In seinem 45-minütigen Vortrag mit dem Thema ‚Revolution des Bewußtseins‘ setzte er sich kämpferisch mit dem Nationalen Widerstand für ein anständiges Deutschland auseinander. Dabei ging L1. auch ausführlich auf den drohenden Volkstod ein. Parteien sollten, so L1. , als Werkzeug des politischen Kampfes verstanden werden. Dabei stellte er die Schaffung einer ‚nationalen Gegenkultur‘ als Alternative zum BRD-System in den Vordergrund.“
128Die Partei „P.“ richtet sich darüber hinaus gegen den tragenden Pfeiler der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, die Achtung der Menschenwürde. Dies wird unter anderem in einem Artikel auf der Webseite des Kreisverbandes I. von Januar 2013 deutlich, in dem es um den integrativen Unterricht geistig behinderter Schüler und nicht behinderter Schüler geht. Die behinderten Schüler werden darin als „Klassendümmste“ herabgewürdigt. Einer solchen Sichtweise liegt ein im Nationalsozialismus vertretenes sozialdarwinistisches Gesellschaftsverständnis zugrunde, bei dem das Recht des Stärkeren gilt. Ähnlich menschenverachtend äußert sich der Kreisverband I. über Homosexuelle. Aus Anlass eines Wahlkampfauftrittes eines Politikers der Partei „X.“ im September 2013 wird dieser als „ … “ bezeichnet und damit dessen sexuelle Orientierung als Krankheit herabgewürdigt.
129Ein zentrales Element der Politik der Partei „P.“ stellt die Fremdenfeindlichkeit dar. Das Parteiprogramm bringt Migranten überwiegend mit dem Begehen von Straftaten in Zusammenhang und schürt dadurch fremdenfeindliche Vorurteile. Dies greift auch das Kommunalwahlprogramm des Kreisverbandes E. auf, das ein Kapitel mit dem Titel „ … “ enthält, in dem unterstellt wird, dass Migranten generell kriminell seien.
130Das Ziel, Ausländer auszugrenzen und ein ethnisch homogenes Deutschland zu schaffen, tritt auch im Hinblick auf die unter anderem im März 2013 in T. skandierte Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“ offen zutage.
131Ausweislich der Erkenntnisse des Verfassungsschutzes verfolgt die Partei „P.“ ihre verfassungsfeindlichen Ziele auch in aggressiv-kämpferischer Weise. Dies ergibt sich bereits aus den nach den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes bei Demonstrationen üblichen Rufen „ … “.
132Darüber hinaus gehört die Einschüchterung des politischen Gegners zum Aktionsrepertoire der Partei. So hat der Kreisverband E. Kundgebungen veranstaltet, die vor den privaten Wohnungen einiger hochrangiger Politiker stattfanden.
133Die aggressiv-kämpferische Haltung wird auch durch ein Freund-Feind-Denken belegt, nach dem politische Gegner Feinde sind, gegen die man alle zur Verfügung stehenden Mittel zur Bekämpfung einzusetzen habe. Insoweit hat der Kreisverband I. im März 2014 einen Beitrag auf seiner Homepage veröffentlicht, in dem ausgeführt wird: „ … “.
134Die vom Antragsgegner gezogene Schlussfolgerung, dass es sich auch bei der Partei „P.“ um eine Partei handelt, die in aggressiv-kämpferischer Weise darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, ist vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner hat insoweit ebenfalls zutreffend festgestellt, dass diese Bestrebungen dem Antragsteller auch zuzurechnen sind. Denn der Antragsteller ist nicht lediglich einfaches Mitglied der Partei, sondern sowohl Mitglied des Landes- als auch des Bundesvorstands und war eigenen Angaben zufolge jedenfalls bis Januar 2015 Vorsitzender des Kreisverbandes I. . Bereits hieraus folgt, dass sich der Antragsteller in besonderem Maße für die Partei einsetzt und deren Ziele nicht nur unterstützt, sondern auch mitgestaltet. Darüber hinaus war der Antragsteller auf der Homepage des Kreisverbandes I. jedenfalls bis Februar 2015 als „presserechtlich Verantwortlicher“ genannt. Auf dieser Homepage waren u.a. die oben genannten Beiträge zum integrativen Unterricht behinderter und nicht behinderter Kinder sowie zur Einwanderung von Sinti und Roma veröffentlicht.
135Auch diesen Feststellungen hat der Antragsteller keine durchgreifenden Einwendungen entgegenzusetzen vermocht. Hinsichtlich der in den Verfassungsschutzberichten getroffenen Feststellungen und Schlussfolgerungen verweist der Antragsteller lediglich darauf, dass diese aus der Sichtweise des sozialdemokratisch geführten Innenministeriums, mithin nicht von einem politisch neutralen Standpunkt aus verfasst seien. Die in den Verfassungsschutzberichten verwerteten Aktivitäten und Veröffentlichungen der Partei „P.“ und ihrer Mitglieder, insbesondere die oben genannten und auch vom Antragsgegner in seinem Bescheid zugrunde gelegten Berichte und Äußerungen gerade auch des Kreisverbandes I. und seiner Mitglieder, hat der Antragsteller in tatsächlicher Hinsicht im Einzelnen jedoch nicht bestritten; es sind auch ansonsten keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Verfassungsschutzberichte auf einer unzutreffenden Tatsachengrundlage beruhen. Insoweit vermag die Kammer nicht erkennen, dass die in den Verfassungsschutzberichten gezogenen Schlussfolgerungen in irgendeiner Weise ideologisch „eingefärbt“ wären, wie es der Antragsteller suggeriert.
136Soweit der Antragsteller einwendet, dass sich aus seiner Nennung als „presserechtlich Verantwortlicher“ nicht ableiten lasse, dass er sich die auf der Homepage des Kreisverbandes I. veröffentlichten Inhalte auch zu eigen machen wolle, geht die Kammer dessen ungeachtet davon aus, dass er die in den Inhalten zum Ausdruck kommenden Überzeugungen teilt. Denn zum einen hätte es nahegelegen, dass sich der Antragsteller in diesem Falle von den Inhalten, die er offiziell ‚presserechtlich verantwortete‘, ausdrücklich distanziert. Die Aussage, dass er sich die Inhalte der auf der Homepage veröffentlichten Beiträge „ausdrücklich nicht zu eigen“ mache, stellt keine derartige Distanzierung dar. Zum anderen sind – abgesehen von der Auffassung des Antragstellers, der Antragsgegner habe ihm nicht hinreichend nachgewiesen, dass er sich die von ihm ‚presserechtlich verantworteten‘ Beiträge auch tatsächlich zu eigen mache – keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass dem nicht so ist. Vielmehr spricht schon die Führungsrolle des Antragstellers in der Partei und insbesondere auch im Kreisverband I. dafür, dass er die auf deren Homepage dokumentierten verfassungsfeindlichen Ansichten vertritt. Darüber hinaus ist etwa die kämpferisch-aggressive demokratiefeindliche Haltung des Antragstellers auch in schriftlichen Äußerungen dokumentiert, die unmittelbar dem Antragsteller zugeordnet werden können. Insoweit wird lediglich exemplarisch auf den folgenden Eintrag von August 2013 im Profil des Antragstellers in einem sozialen Netzwerk verwiesen:
137„Unsere Partei sind nur die Stiefel, der Tornister, der Helm und der Geist, unter dem wir in die deutsche Zukunft marschieren. Das brauchen wir wie ein Soldat im Krieg seinen Befehl und seine Ausrüstung. Ohne das ist er wertlos im Feuer. Die Partei ist das Mittel zum Zweck, nicht der Zweck selber.“
138Danach erachtet der Antragsteller die politische Betätigung im Parteiensystem lediglich als Mittel zum Zweck – gewissermaßen als notwendiges Übel – zur Erreichung des eigentlichen Ziels, einer „deutschen Zukunft“. Die aggressiv-kämpferische Einstellung des Antragstellers ergibt sich auch aus einem Eintrag von Juli 2013, in dem es heißt:
139„Wenn and’re mutlos weichen und müd‘ wie Laub verweh’n,
140Dann woll’n wir wie die Eichen im rauen Sturme steh‘n.
141Uns lockt nicht satte Stille, uns reizt der Widerstand,
142und Sturmbock sei der Wille: Mit dem Schädel durch die Wand.“
143Die Tatsache, dass diese Einträge jeweils in Anführungszeichen gefasst sind, spricht zwar dafür, dass es sich möglicherweise um Zitate handelt. Dass der Antragsteller diese aber unter seinem eigenen Namen wiedergibt, ohne den Urheber zu bezeichnen und ohne einschränkende oder sich vom Inhalt distanzierende Anmerkungen dazu zu verfassen, belegt dessen ungeachtet, dass es sich hierbei um Inhalte handelt, mit denen sich der Antragsteller identifiziert. Auch das oben beschriebene Freund-Feind-Denken dokumentiert der Antragsteller in einem Eintrag von Juni 2013, in dem er Aussteiger aus der rechtsextremen Szene als „Verräter“ bezeichnet.
144Danach ist weder die Ablehnung des Antrags auf Aufnahme in den Vorbereitungsdienst noch die „Festsetzung“ einer Wohlverhaltensphase von drei Jahren ab dem Datum des ablehnenden Bescheids rechtlich zu beanstanden. Mit der Festsetzung der Wohlverhaltensphase bringt der Antragsgegner zum Ausdruck, dass aus seiner Sicht eine Aufnahme des Antragstellers in den juristischen Vorbereitungsdienst frühestens nach Ablauf dieser Frist in Betracht kommt, etwaige vor Ablauf dieser Frist gestellte Aufnahmeanträge des Antragstellers mithin voraussichtlich nicht positiv beschieden werden würden. Dies begegnet insoweit keinen Bedenken, als bereits angesichts der erheblichen Zahl der Vorstrafen des Antragstellers, zu der erst im Februar dieses Jahres eine weitere Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe hinzugekommen ist, die Einhaltung einer Frist von drei Jahren ohne weitere Verstöße gegen Strafgesetze keine unverhältnismäßige Forderung an einen potentiellen Rechtsreferendar darstellt.
145Der Antrag war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG und berücksichtigt die Vorläufigkeit des Verfahrens.
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Urteil einreichenVerwaltungsgericht Minden Beschluss, 12. Juni 2015 - 4 L 441/15 zitiert oder wird zitiert von 5 Urteil(en).
(1) Bieten die Ermittlungen genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft sie durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht.
(2) Andernfalls stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Hiervon setzt sie den Beschuldigten in Kenntnis, wenn er als solcher vernommen worden ist oder ein Haftbefehl gegen ihn erlassen war; dasselbe gilt, wenn er um einen Bescheid gebeten hat oder wenn ein besonderes Interesse an der Bekanntgabe ersichtlich ist.
(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,
- 1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder - 2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.
(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.
(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.
(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.
(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.
(1) Ist die Eintragung über eine Verurteilung im Register getilgt worden oder ist sie zu tilgen, so dürfen die Tat und die Verurteilung der betroffenen Person im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu ihrem Nachteil verwertet werden.
(2) Aus der Tat oder der Verurteilung entstandene Rechte Dritter, gesetzliche Rechtsfolgen der Tat oder der Verurteilung und Entscheidungen von Gerichten oder Verwaltungsbehörden, die im Zusammenhang mit der Tat oder der Verurteilung ergangen sind, bleiben unberührt.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Der am geborene Kläger begehrt die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst des Landes Nordrhein-Westfalen im Bezirk des Oberlandesgerichts I. . Er war vom 1. Oktober 2009 bis zum 30. September 2014 für ein Studium der Rechtswissenschaft an der Universität C. eingeschrieben. Die erste juristische Prüfung bestand er im Juli 2014.
3Der Kläger ist politisch aktiv. Er war Mitglied der Vereinigung „K I. “, bis diese mit Verfügung des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen im Jahr 2012 verboten wurde. Er ist Mitglied des Landes- und Bundesvorstands der Partei „P“ und war bis Januar 2015 Vorsitzender eines Kreisverbands I. dieser Partei. Seit dessen Gründung im Januar 2016 ist er Vorsitzender des neuen Kreisverbandes P. der Partei.
4Der Kläger ist mehrfach vorbestraft.
5Am 12. Oktober 2004 verurteilte ihn das Amtsgericht I. wegen Volksverhetzung zu einer Woche Jugendarrest.
6Am 28. Juni 2005 verurteilte ihn das Amtsgericht I. wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen sowie vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von 6 Monaten. Die Vollstreckung dieser Strafe war am 11. Dezember 2006 erledigt.
7Am 30. November 2006 verurteilte das Amtsgericht I. den Kläger wegen Nötigung, ihm wurde nach dem Jugendstrafrecht die Weisung erteilt, Arbeitsleistungen zu erbringen.
8Am 5. Juli 2007 verurteilte ihn das Amtsgericht I. wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Jugendstrafe von 8 Monaten, die es zur Bewährung aussetzte. Die Bewährungszeit wurde zunächst zwei Mal verlängert und die Strafe schließlich nach Ablauf der Bewährungszeit im Juni 2014 erlassen.
9Am 9. September 2008 verurteilte das Amtsgericht I. den Kläger wegen Erschleichens von Leistungen, ihm wurde nach Jugendstrafrecht die Weisung erteilt, Arbeitsleistungen zu erbringen.
10Am 28. Mai 2010 verurteilte das Amtsgericht I. den Kläger wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 15,00 €.
11Am 27. Mai 2011 verurteilte ihn das Amtsgericht I. wegen Beleidigung in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 15,00 €.
12Am 14. Juni 2013 verurteilte das Amtsgericht T. den Kläger wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 20,00 €. Zum Sachverhalt stellte das Amtsgericht Folgendes fest: „Der Angeklagte nahm am 04. August 2012 als stellvertretender Versammlungsleiter an einem sog. „Trauermarsch“ rechter Kräfte teil. Der Demonstrationszug wurde von Polizeikräften in voller Einsatzmontur begleitet. Als sich der Aufzug in Bewegung setzte, ging der eingesetzte Polizeibeamte und Zeuge L1. I2. auf der linken Seite des Angeklagten neben ihm her. Rechtsseitig vom Angeklagten marschierte der Zeuge und Veranstaltungsleiter N1. T1. . Trotz Sturmhaube und Helm fiel dem Angeklagten und dem Zeugen auf, dass der Zeuge L. I1. dunkelhäutig war. Der Angeklagte und sein Begleiter sahen mehrfach zum Zeugen I1. herüber. Dann äußerte der Angeklagte in die Richtung des Polizeibeamten I1. und für den auch deutlich vernehmbar: „Schwarz auf schwarz geht nicht, aber Schwarze bei der Polizei geht überhaupt nicht!“ Er tat dies, um den Zeugen herabzuwürdigen.“ Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft, die sie auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte, hob das Landgericht C1. das Urteil des Amtsgerichts T. im Rechtsfolgenausspruch auf und verurteilte den Kläger mit Urteil vom 28. Oktober 2013 zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten, die es zur Bewährung aussetzte. Zur Strafzumessung führte das Landgericht unter anderem aus: „Das Gesamtbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Persönlichkeit des Angeklagten liegt im Durschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle.“ Mit Beschluss vom 20. März 2014 verwarf das Oberlandesgericht D. die gegen dieses Urteil erhobene Revision des Klägers.
13Am 14. August 2013 verurteilte das Amtsgericht T2. den Kläger wegen Mitführens eines Gegenstandes, der zur Verletzung von Personen geeignet ist, nach dem niedersächsischen Versammlungsgesetz zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 15,00 €.
14Mit Urteil vom 6. Februar 2015 verurteilte das Amtsgericht C. den Kläger wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts T. vom 14. Juni 2013 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts leistete der Kläger am 13. Oktober 2013 mit Gewalt Widerstand gegen seine Ingewahrsamnahme durch Polizeibeamte. Das Urteil ist rechtskräftig.
15Darüber hinaus sind ausweislich zweier Vorgangslisten der Staatsanwaltschaften E. und C. gegen den Kläger weitere Ermittlungs- bzw. Strafverfahren anhängig bzw. anhängig gewesen:
16In dem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft C. wegen Beleidigung beantragte die Staatsanwaltschaft C. am 4. Dezember 2014 den Erlass eines Strafbefehls.
17In dem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft E. wegen Hausfriedensbruchs erhob die Staatsanwaltschaft am 7. Mai 2015 Anklage vor dem Amtsgericht E. , Strafrichter.
18Ein Ermittlungsverfahren wegen Verleumdung wurde am 8. Dezember 2014 an eine andere Staatsanwaltschaft abgegeben.
19Drei weitere Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft E. und C. wegen gefährlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung und Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen wurden am 13. Mai 2015, 24. Oktober 2014 und 22. August 2014 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Ein weiteres Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft C. wegen Verstoßes gegen das Kunst- und Urhebergesetz sowie Verleumdung wurde am 30. April 2015 gemäß § 154 Abs. 1 StPO vorläufig eingestellt.
20Mit Antrag vom 13. Oktober 2014 beantragte der Kläger die Zulassung zum juristischen Vorbereitungsdienst zum nächstmöglichen Termin. Zu diesem Zweck veranlasste er die Übermittlung eines Führungszeugnisses an den Beklagten, in dem die Verurteilungen des Amtsgerichts T. vom 14. Juni 2013 und des Amtsgerichts T2. vom 14. August 2013 eingetragen waren. Auf Anregung des Beklagten erklärte sich der Kläger mit Schreiben vom 19. November 2014 mit der Einsichtnahme in die betreffenden Strafakten einverstanden, die daraufhin durch den Beklagten beigezogen wurden. Der Beklagte zog ferner die Verbotsverfügung des Innenministeriums aus 2012 betreffend die „Vereinigung K. “ bei. Darüber hinaus übermittelte das Innenministerium dem Beklagten über das Justizministerium eine Liste aller vom Kläger in den letzten Jahren beim Polizeipräsidium I. angemeldeten Versammlungen, zwei vom Kläger verfasste Aufsätze sowie einen Ausdruck von Eintragungen und Bildern aus dem offenen Profil des Klägers zu einem sozialen Netzwerk.
21Den Antrag des Klägers, ihn zeitnah in den juristischen Vorbereitungsdienst einzustellen, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 15. April 2015 ab. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus: Die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst sei zu versagen, da der Kläger derzeit der Zulassung nicht würdig sei. Eine Aufnahme in den Vorbereitungsdienst komme vor Ablauf einer Wohlverhaltensphase von drei Jahren ab dem Datum des Bescheides nicht in Betracht. Die Unwürdigkeit des Klägers ergebe sich aus einer Gesamtabwägung seiner Vorstrafen und seiner verfassungsfeindlichen Betätigung. Von den Vorstrafen des Klägers seien wegen des Verwertungsverbots des § 51 Abs. 1 Bundeszentralregistergesetzes - BZRG - lediglich die beiden Verurteilungen des Amtsgerichts T2. und des Amtsgerichts T. bzw. des Landgerichts C1. in zweiter Instanz zu berücksichtigen. Zwar erfüllten beide Verurteilungen nicht die Voraussetzungen des in § 30 Abs. 4 Nr. 1, 2. Halbsatz JAG NRW enthaltenden Regelbeispiels, da der Kläger jeweils zu weniger als einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt worden sei. Ausweislich der Gesetzesbegründung könne aber unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände unter besonderen Umständen die Einstellung auch dann versagt werden, wenn eine Freiheitsstrafe von weniger als einem Jahr verhängt worden ist. Insoweit offenbare die der Verurteilung durch das Landgericht C1. zugrundeliegende Beleidigung, die rassistisch motiviert gewesen und gegenüber einem zum Schutz des Klägers abgestellten Polizeibeamten ausgesprochen worden sei, erhebliche Persönlichkeitsdefizite, die darauf schließen ließen, dass der Kläger dem Berufsbild eines Juristen – dem es schon im Rahmen der Ausbildung obliege, Menschen unterschiedlicher Herkunft (vor dem Gesetz) gleich zu behandeln – nicht gerecht werde.
22Der Kläger betätige sich auch gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Dies folge zum einen daraus, dass er sich aktiv für die Partei „P“ einsetze und darin eine Führungsrolle übernehme. Ausweislich der Verfassungsschutzberichte des Landes Nordrhein-Westfalen der Jahre 2012 und 2013 handele es sich bei der Partei um eine solche, die die freiheitliche demokratische Grundordnung ablehne, eine „System“-Überwindung anstrebe und dabei eine kämpferisch-aggressive Haltung einnehme. Politische Gegner würden eingeschüchtert, und in Veröffentlichungen und Äußerungen der Partei werde zum Ausdruck gebracht, dass diese unter anderem den Gleichbehandlungsgrundsatz und die Menschenwürde nicht anerkenne. Diese Bestrebungen seien dem Kläger als Mitglied des Landes- und Bundesvorstands und als Vorsitzendem des Kreisverbandes I. auch zuzurechnen. Auf Ebene des Kreisverbandes sei der Kläger seit Jahren die „prägende“ Persönlichkeit gewesen. Er habe sich über seine Funktionärstätigkeit hinaus auch aktiv für die Ziele der Partei eingesetzt, etwa durch die Teilnahme an Versammlungen der Partei, mitunter auch als Versammlungsleiter. Ferner sei der Kläger jedenfalls bis zum 12. Februar 2015 ausdrücklich auf der Homepage des Kreisverbandes I. als „presserechtlich Verantwortlicher“ genannt gewesen, auf der zahlreiche Beiträge zu finden seien, die die verfassungsfeindlichen Bestrebungen der Partei zutage treten ließen.
23Die verfassungsfeindliche Betätigung folge darüber hinaus auch aus der Betätigung des Klägers in der inzwischen verbotenen „Vereinigung K. “. Diese sei wegen aggressiv-kämpferischer Bestrebungen gegen die verfassungsrechtliche Ordnung verboten worden. Berücksichtigung gefunden habe insoweit, dass der Kläger nachweisbar zu den „prägenden Persönlichkeiten“ dieser Vereinigung gehört habe, der sich für die verfassungsfeindlichen Bestrebungen besonders verantwortlich gezeichnet habe. Er sei nämlich nicht bloßes Mitglied der Vereinigung gewesen, sondern auf einem der „Vereinigung “ zuzurechnenden Flugblatt als „V.i.S.d.P.“ (Verantwortlicher im Sinne des Pressegesetzes) benannt worden. Zudem habe sich der Kläger insoweit für organisatorische Belange der Vereinigung eingesetzt, als er eine – im Zusammenhang mit dem Verbot der Vereinigung von der Polizei durchsuchte – Gaststätte im eigenen Namen für diese angemietet habe. Er sei zudem wiederholt als Versammlungsleiter und Redner auf Versammlungen der Vereinigung in Erscheinung getreten.
24Am 23. April 2015 hat der Kläger Klage erhoben und einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt, den die erkennende Kammer mit Beschluss vom 12. Juni 2015 - 4 L 441/15 - abgelehnt hat. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom 12. August 2015 - 6 B 733/15 - zurückgewiesen. Die nachfolgend erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 8. Oktober 2015 - 1 BvR 2204/15 - nicht zur Entscheidung angenommen. Mit Schreiben vom 24. November 2015 hat der Kläger nach seinen Angaben eine Individualbeschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht.
25Zur Begründung der Klage trägt der Kläger vor, er habe einen Anspruch auf Einstellung in den juristischen Vorbereitungsdienst, da er niemals wegen einer vorsätzlich begangenen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr rechtskräftig verurteilt worden sei, die Voraussetzungen des Regelbeispiels des § 30 Abs. 4 Nr. 1, Halbsatz 2 JAG NRW also nicht vorlägen. Die Tat, die der Verurteilung durch das Amtsgericht T2. zugrunde liege, stelle lediglich ein Bagatelldelikt dar. Zum Urteil des Landgerichts C1. vom 28. Oktober 2013 sei anzumerken, dass er stets bestritten habe, die ihm zur Last gelegte Äußerung getätigt zu haben. Zudem sei es vertretbar, die inkriminierte Äußerung nicht als strafbare Beleidigung, sondern als „flapsige Äußerung“ anzusehen, die der Meinungsfreiheit unterliege. Jedenfalls handele es sich um eine Äußerung im unteren Bereich der Strafbarkeit und das Landgericht sei von einer positiven Sozialprognose im Hinblick auf sein Berufsziel Strafverteidiger ausgegangen. Besondere Umstände, aus der seine Unwürdigkeit folgen könnte, obwohl er nur zu einer Freiheitsstrafe von weniger als einem Jahr verurteilt worden sei, lägen nicht vor. Es habe sich weder um ein Staatsschutz- oder Vermögensdelikt, noch um ein Delikt des Geheimnisverrats, die für die Begründung des Ausbildungsverhältnisses von besonderer Bedeutung sein könnten, gehandelt. Der Tatzeitpunkt liege zudem bereits fast drei Jahre zurück. Seitdem sei es lediglich zu einem Strafbefehl in Höhe von 20 Tagessätzen gegen ihn gekommen, der ebenfalls ein Bagatelldelikt betroffen habe.
26Er habe sich auch nicht verfassungsfeindlich betätigt. Bei der Partei „P“ handele es sich nicht um eine Partei, die die freiheitlich demokratische Grundordnung ablehne. Sie bekenne sich in der Präambel ihres Parteiprogramms „vollinhaltlich und ohne jeden Vorbehalt“ zur freiheitlich demokratischen Grundordnung. Die Ausführungen in den Verfassungsschutzberichten des Landes Nordrhein-Westfalen der Jahre 2012 und 2013 stellten die subjektive Meinung des bzw. der Verfasser dar. Der Verfassungsschutz sei dem Innenministerium unterstellt, das von einem Minister der SPD geführt werde. Daher sei der Verfassungsschutzbericht nicht von einem politisch „neutralen“ Standpunkt aus verfasst, sondern aus der Sichtweise eines sozialdemokratisch geführten Innenministeriums. Soweit der Verfassungsschutzbericht über konkrete politische Aussagen bzw. konkrete politische Aktivitäten berichte, seien ihm diese – sofern sie überhaupt zuträfen – nicht persönlich zuzurechnen. Die bloße Teilnahme oder auch Anmeldung öffentlicher Versammlungen könne ihm nicht vorgeworfen werden, da es sich insoweit um ein von der Versammlungsfreiheit geschütztes Verhalten gehandelt habe. Darüber hinaus handele es sich hierbei offensichtlich um nachrichtendienstliche Erkenntnisse, die der Beklagte vom Verfassungsschutz erhalten haben müsse. Die Verwertung dieser Erkenntnisse sei im vorliegenden Verfahren nicht zulässig. Seit dem 23. Januar 2015 sei er nicht mehr Vorsitzender des Kreisverbandes I. der Partei „P“. Er sei auch aktuell nicht mehr Verantwortlicher im Sinne des Telemediengesetzes für die Homepage des Kreisverbandes I. . Sofern dies zeitweise der Fall gewesen sei, sei dies lediglich geschehen, um damit der rechtlichen Impressumspflicht für Internetseiten nachzukommen. Dies bedeute daher nicht, dass er die dort eingestellten Texte selbst verfasst habe oder sich deren Inhalte zu eigen machen wolle. Er mache sich die dort eingestellten Aussagen – sofern sie nicht ausdrücklich als seine persönliche Stellungnahme gekennzeichnet seien – ausdrücklich nicht zu eigen. Die „Vereinigung K. “ sei bereits seit 2012 verboten. Rechtsmittel seien gegen das Verbot nicht eingelegt worden. Nach dem Verbot der „Vereinigung. “ habe er sich dazu entschieden, sich nicht weiter in (anderen) entsprechenden Vereinigungen politisch zu engagieren.
27Schließlich komme die Ablehnung seines Gesuches um Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst einem Berufsverbot gleich, was einen gravierenden Eingriff in die Berufsfreiheit darstelle, sodass die Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 JAG NRW eng auszulegen seien.
28Der Kläger beantragt sinngemäß,
29das beklagte Land unter Aufhebung des Bescheides des Präsidenten des Oberlandesgerichts I. zu verpflichten, ihn, den Kläger, zum nächstmöglichen Zeitpunkt in den Vorbereitungsdienst aufzunehmen.
30Das beklagte Land beantragt,
31die Klage abzuweisen.
32Zur Begründung nimmt es im Wesentlichen Bezug auf die Gründe des angefochtenen Bescheides vom 15. April 2015. Ergänzend wird vorgetragen, von der Verurteilung des Klägers durch das Amtsgericht C. mit Urteil vom 6. Februar 2015 habe man erst im Mai 2015 durch den Vorsitzenden des für die vom Beklagten gegen das Urteil eingelegte Revision zuständigen Strafsenats des Oberlandesgerichts erfahren. Die Tatsache, dass der Kläger das insoweit gegen ihn geführte Ermittlungsverfahren und die Verurteilung verschwiegen habe, obwohl für ihn erkennbar gewesen sei, dass eine solche Verurteilung von wesentlichem Interesse für die Beurteilung seiner Würdigkeit war, spreche in besonderem Maße dafür, dass der Kläger nicht die charakterlichen Mindestanforderungen erfülle, die an einen Referendar zu stellen seien. Soweit der Kläger bei Antragstellung noch keine Kenntnis von dem gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren gehabt habe, sei er jedenfalls mit Kenntniserlangung durch Übersendung der Anklageschrift nach Treu und Glauben verpflichtet gewesen, ihn, den Beklagten, hierüber zu informieren. Die mittlerweile rechtskräftige Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung durch das Amtsgericht C. vom 6. Februar 2012 spreche ebenfalls für die Unwürdigkeit des Klägers, zumal es sich hierbei um eine Straftat handele, die eine tätliche Auseinandersetzung betroffen habe. Darüber hinaus habe ihn der Kläger über die weiter gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren weder bei Antragstellung noch danach in Kenntnis gesetzt. Von den Ermittlungsverfahren habe er, der Beklagte, daher erst durch Mitteilung der Staatsanwaltschaften E. und C. auf entsprechende Anfrage erfahren. Auch diesbezüglich hätte ihn der Kläger spätestens dann informieren müssen, als er Kenntnis von den Verfahren erlangte.
33Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Akte des Verfahrens 4 L 441/15 und der vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
34Entscheidungsgründe:
35Das Gericht konnte trotz des Ausbleibens der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung ohne diese verhandeln und entscheiden, weil beide in der Ladung darauf hingewiesen worden waren (vgl. § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).
36Das Gericht war auch nicht gehalten, auf den entsprechenden Antrag des Klägers vom 7. Dezember 2015 vor einer Terminierung in der Hauptsache die Entscheidung des EGMR über die Klage des Klägers vom 24. November 2015 abzuwarten. Die damit sinngemäß begehrte Aussetzung des Verfahrens - einen Vertagungsantrag hat der Kläger nach Zustellung der Ladung am 19. Dezember 2015 nicht (mehr) gestellt - kam nicht in Betracht. Das nach Angaben des Klägers beim EGMR anhängige Individualklageverfahren ist nicht vorgreiflich im Sinne des § 94 VwGO.
37Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet. Der Kläger hat im hier entscheidenden Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst. Der den entsprechenden Antrag ablehnende Bescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichts I. ist deshalb rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
38Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Juristenausbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen - JAG NRW - hat grundsätzlich jeder, der die „erste Prüfung“ im Sinne des JAG bestanden hat, einen Anspruch auf Übernahme in den als öffentlich-rechtliches Ausbildungsverhältnis zum Land ausgestalteten juristischen Vorbereitungsdienst. Dieser Anspruch besteht aber dann nicht, wenn ein Fall nach Abs. 4 der Norm vorliegt. Nach der hier allein in Betracht kommenden Nr. 1 dieser Vorschrift „ist“ die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst zu versagen, wenn die Bewerberin oder der Bewerber der Zulassung nicht würdig ist. Dies ist nach der gesetzlichen Wertung des § 30 Abs. 4 Nr. 1 Halbsatz 2 in der Regel anzunehmen, wenn die Bewerberin oder der Bewerber wegen einer vorsätzlich begangenen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr rechtskräftig verurteilt und die Strafe noch nicht getilgt worden ist. Der Beklagte ist hier zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger der Zulassung zum Vorbereitungsdienst derzeit nicht würdig ist.
39Zunächst ist festzuhalten, dass die Regelung des § 30 Abs. 4 Nr. 1 JAG NRW, auf den die Ablehnung der Übernahme des Klägers in den Vorbereitungsdienst (zum jetzigen Zeitpunkt) gestützt ist, ihrerseits keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet.
40Die erfolgreiche Absolvierung des juristischen Vorbereitungsdienstes ist nicht nur Voraussetzung für den Eintritt in den öffentlichen Dienst etwa als Richter oder Staatsanwalt (§ 1 Abs. 1 Satz 1 JAG NRW), sondern auch für den Zugang zu anderen juristischen Berufen (vgl. etwa §§ 1, 4 Satz 1 BRAO). Es entspricht daher ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts, dass der Zugang zum juristischen Vorbereitungsdienst als Ausbildungsstätte im Sinne des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG grundrechtlich geschützt ist.
41Vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 -, juris, Rdn. 111; und vom 5. Oktober 1977 - 2 BvL 10/75 -, juris, Rdn. 39 ff.; BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 1979 - 2 B 38.78 -, Buchholz, 238.5 § 5 DRIG Nr. 1, S. 2, m.w.N.
42Dieser Zugang kann aber zur Gewährleistung zwingender Gründe des Gemeinwohls, zu denen auch die Gewährleistung einer geordneten Rechtspflege zählt, von Voraussetzungen abhängig gemacht werden, die in der Person des Bewerbers begründet liegen.
43Vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 1979 - 2 B 38.78 -, Buchholz, 238.5 § 5 DRIG Nr. 1, S. 2, m.w.N.; BVerfG, Urteil vom 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 -, juris, Rdn. 105 im Hinblick auf die Berufung der Referendare in ein Beamtenverhältnis auf Widerruf; BVerfG, Beschluss vom 5. Oktober 1977
44- 2 BvL 10/75 -, juris, Rdn. 39 ff, im Hinblick auf den Vorbereitungsdienst ohne Berufung in ein Beamtenverhältnis.
45Vor diesem Hintergrund ist die von § 30 Abs. 4 Nr. 1 JAG NRW vorgesehene grundsätzliche Möglichkeit, einem Bewerber die Zulassung zum juristischen Vorbereitungsdienst wegen seiner Unwürdigkeit zu versagen, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
46Im Übrigen gilt: Bei dem Tatbestandsmerkmal der Unwürdigkeit handelt es sich um einen gerichtlich uneingeschränkt überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff, bei dessen Anwendung der Einstellungsbehörde weder ein Ermessensspielraum noch ein Beurteilungsspielraum zukommt.
47Vgl. zum beamtenrechtlichen Begriff der Unwürdigkeit BVerwG, Urteil vom 15. Januar 1960 - 6 C 229.58 -, DÖV 1960, S. 840, 841; BVerwG, Urteil vom 12. Mai 1966 - 2 C 116.65 -, juris (nur Leitsatz); BayVGH, Urteil vom 16. Juni 1993 - 3 B 92.2995 -, juris, Rdn. 11; Schütz/Maiwald (Maiwald), BeamtR, Kommentar Bd. 1, 129. AL November 2012, § 12 BeamtStG, Rdn. 59, m.w.N.; zur ‚persönlichen Ungeeignetheit‘ im Sinne des niedersächsischen Juristenausbildungsgesetzes OVG Lüneburg, Urteil vom 27. November 2002 - 5 LB 114/02 -, juris, Rdn. 36; zur Unwürdigkeit i.S.d. § 46 Abs. 2 Nr. 3 Soldatengesetz OVG NRW, Urteil vom 3. Dezember 1999 - 12 A 5024/98 -, juris, Rdn. 3; a.A. noch OVG NRW, Urteil vom 16. Juni 1978 - VI A 898/76 -, DÖD 1979, S. 36, betreffend die „besondere charakterliche Eignung“ eines Beamtenbewerbers.
48Die Auslegung des Begriffs der Unwürdigkeit im Sinne von § 30 Abs. 4 Nr. 1 Halbsatz 1 JAG NRW muss allerdings im Lichte von Art. 12 Abs. 1 GG erfolgen und den Wertungen dieses Grundrechts auf freie Wahl des Berufes und der Ausbildungsstätte Rechnung tragen.
49Nach der Intention des Gesetzgebers soll die von § 30 Abs. 4 Nr. 1 Halbsatz 1 JAG NRW geforderte Würdigkeit sicherstellen, dass der Bewerber nach dem Gesamtbild seiner Persönlichkeit würdig, d.h. auch charakterlich geeignet ist, in einen Ausbildungsgang aufgenommen zu werden, der ihm die Befähigung zum Richteramt verschafft.
50Vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung, LT-Drs. 13/3197, S. 99.
51Charakterlich geeignet ist ein Bewerber dann, wenn er bereits bei Beginn der Ausbildung die Mindestanforderungen erfüllt, die die Erwartung begründen, er werde dem Berufsbild eines Volljuristen auch von seiner Persönlichkeit her im Verlauf der Ausbildungszeit gerecht werden können.
52Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. August 1979 - 2 BvR 374/79 -, S. 5 (zitiert nach dem Gesetzentwurf der Landesregierung, LT-Drs. 13/3197, S. 99).
53Diese Mindestanforderungen sind daher unter Berücksichtigung des Ziels der nordrhein-westfälischen Juristenausbildung sowie der im Verlaufe der Ausbildung zu erfüllenden Anforderungen zu bestimmen. Nach § 39 Abs. 1 JAG NRW ist es Ziel des zweijährigen Vorbereitungsdienstes, dass die Referendare „lernen, auf der Grundlage ihrer im Studium erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten eine praktische Tätigkeit in Rechtsprechung, Verwaltung und Rechtsberatung aufgeschlossen für die Lebenswirklichkeit im Geiste eines demokratischen und sozialen Rechtsstaates und unter Berücksichtigung der fortschreitenden Integration innerhalb der Europäischen Union eigenverantwortlich wahrzunehmen“. Referendare sollen durch den Vorbereitungsdienst auf richterliche, staatsanwaltschaftliche, rechtsanwaltliche und weitere der Rechtspflege dienende Tätigkeiten vorbereitet werden. Hierzu bestimmt § 40 Abs. 1 JAG NRW, dass sich Referendare „durch kontinuierliche, fortschreitend selbstständiger werdende Mitarbeit an ausbildungsgeeigneten Aufgaben der Ausbilderin oder des Ausbilders darin üben [sollen], praktische juristische Aufgaben wahrzunehmen und selbstständig zu erledigen. Zum Zwecke der Ausbildung können ihnen, sofern nicht gesetzliche Vorschriften entgegenstehen, Geschäfte von Beamtinnen und Beamten des höheren oder des gehobenen Dienstes, bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften auch die einer Urkundsbeamtin oder eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, zur selbstständigen Wahrnehmung übertragen werden“.
54Referendare erwerben durch die (erfolgreiche) Absolvierung des juristischen Vorbereitungsdienstes also nicht nur die Befähigung zum Richteramt, zum höheren allgemeinen Verwaltungsdienst (§ 1 Abs. 1 Satz 1 JAG NRW) sowie zum Beruf des Rechtsanwaltes als unabhängiges Organ der Rechtspflege (§§ 1, 4 Satz 1 BRAO). Sie werden vielmehr bereits während des Vorbereitungsdienstes faktisch für die ausbildenden Gerichte, Staatsanwaltschaften, Behörden und Rechtsanwälte auch nach außen hin tätig, indem sie deren Aufgaben – soweit nach Ausbildungsstand und gesetzlichen Vorgaben möglich – eigenverantwortlich wahrnehmen. Hierzu zählen etwa die in § 40 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 5, Abs. 3 JAG NRW beispielhaft aufgeführte Leitung der mündlichen Verhandlung des ausbildenden Zivilgerichts, die Vertretung der Staatsanwaltschaft im Sitzungsdienst und die Vertretung des ausbildenden Rechtsanwalts in mündlichen Verhandlungen, wobei Referendare nach § 142 Abs. 2 StPO auch als Pflichtverteidiger in erstinstanzlichen Strafsachen bestellt werden können.
55Vor diesem Hintergrund fehlt es zum einen an der von § 30 Abs. 4 Nr. 1 JAG NRW vorausgesetzten Würdigkeit, wenn dem Bewerber ein schwerer Verstoß gegen das Recht, das er bereits während des Vorbereitungsdienstes mitunter eigenverantwortlich pflegen soll, zum Vorwurf gemacht wird.
56Vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung, LT-Drs. 13/3197, S. 99, unter Verweis auf BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 1979 - 2 B 38.78 -, Buchholz, 238.5 § 5 DRIG Nr. 1, S. 2-3.
57§ 30 Abs. 4 Nr. 1 Halbsatz 2 JAG NRW konkretisiert diesen Grundsatz dahingehend, dass ein schwerer Verstoß in diesem Sinne regelmäßig dann vorliegt, wenn der Bewerber wegen einer vorsätzlich begangenen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Strafe noch nicht getilgt worden ist. Da es sich hierbei indes (nur) um ein Regelbeispiel handelt, ist eine Unwürdigkeit i.S.d. § 30 Abs. 4 Nr. 1 Halbsatz 1 JAG NRW weder zwingend gegeben, wenn diese Voraussetzungen vorliegen, noch ist bei Nichtvorliegen dieser Voraussetzungen ohne Weiteres von der Würdigkeit des Bewerbers auszugehen. Unter Berücksichtigung der konkreten Tat und ihrer Folgen, des Verhaltens des Bewerbers nach der Tat, der Gesamtpersönlichkeit und der Sozialprognose für das zukünftige Verhalten des Betroffenen sowie der seit der Tat verstrichenen Zeit kann hiernach unter besonderen Umständen sowohl die Einstellung versagt werden, wenn eine Freiheitsstrafe von weniger als einem Jahr verhängt worden ist, als auch eine Einstellung – ausnahmsweise – erfolgen, wenn die Freiheitsstrafe ein Jahr überschreitet.
58Vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung, LT-Drs. 13/3197, S. 99; vgl. zum niedersächsischen Juristenausbildungsgesetz OVG Lüneburg, Urteil vom 27. November 2002 - 5 LB 114/02 -, juris, Rdn. 43 ff.
59Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob der Bewerber nur einmalig oder gar mehrfach verurteilt worden ist, da sich auch aus der Anzahl und dem zeitlichen Abstand strafrechtlicher Verurteilungen Rückschlüsse auf die charakterliche Eignung für die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst ziehen lassen. Es liegt auf der Hand, dass die wiederholte Begehung von Straftaten – selbst wenn diese für sich genommen nicht die Voraussetzungen des Regelbeispiels des § 30 Abs. 4 Nr. 1 Halbsatz 2 JAG NRW erfüllen – dagegen sprechen kann, dass der Bewerber die charakterlichen Mindestanforderungen für die Ausbildung zum Volljuristen erfüllt, im Verlaufe derer er die oben dargelegten Aufgaben im Bereich der Rechtspflege übernimmt.
60An der von § 30 Abs. 4 Nr. 1 Halbsatz 1 JAG NRW vorausgesetzten charakterlichen Eignung fehlt es darüber hinaus, wenn sich der Bewerber verfassungsfeindlich betätigt. Das JAG NRW geht insoweit vom „Leitbild“ eines Juristen aus, der aufgeschlossen ist „für die Lebenswirklichkeit im Geiste eines demokratischen und sozialen Rechtsstaates“, und zwar unabhängig davon, welche Tätigkeit der vollausgebildete Jurist später ausübt und welche Schranken dafür gelten.
61Vgl. zum hamburgischen Recht BVerfG, Beschluss vom 5. Oktober 1977 - 2 BvL 10/75 -, juris, Rdn. 42; zum niedersächsischen Recht OVG Lüneburg, Urteil vom 27. November 2002 - 5 LB 114/02 -, juris, Rdn. 40.
62Im Hinblick darauf, dass der juristische Vorbereitungsdienst in NRW nicht als Beamtenverhältnis auf Widerruf, sondern als öffentlich-rechtliches Ausbildungsverhältnis eigener Art ausgestaltet ist, setzt die Würdigkeit im Sinne des § 30 Abs. 4 Nr. 1 Halbsatz 1 JAG NRW zwar nicht voraus, dass der Bewerber die Gewähr dafür bietet, er werde jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintreten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist aber auch eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst außerhalb des Beamtenverhältnisses, einschließlich einer vorübergehenden Beschäftigung im öffentlichen Dienst zum Zwecke der Berufsausbildung, nicht völlig unbeschränkt jedermann zugänglich. Insoweit verbietet es sich jedenfalls, Bewerber, die darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, in die praktische Ausbildung zu übernehmen. Die in diesen Konstitutionsprinzipien unserer Verfassung enthaltenen Wertentscheidungen schließen es aus, dass „der Staat seine Hand dazu leiht, diejenigen auszubilden, die auf die Zerstörung der Verfassungsordnung ausgehen“.
63Vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Oktober 1977 - 2 BvL 10/75 -, juris, Rdn. 39.
64Nach diesen Maßstäben ist die Annahme des Beklagten, der Kläger sei derzeit der Aufnahme in den Vorbereitungsdienst unwürdig, nicht zu beanstanden. Die Unwürdigkeit des Klägers ergibt sich bereits aus seinen Vorstrafen, sodass es weiterer Ausführungen zur der Frage, ob die Unwürdigkeit des Klägers auch aus seiner Betätigung für die Partei „P“ und zuvor für die mittlerweile verbotene „Vereinigung K. “ folgt, nicht bedarf.
65Der Kläger ist mehrfach vorbestraft. Der Beklagte hat bei seiner Entscheidung über die Würdigkeit des Klägers zunächst lediglich die beiden aus dem von diesem vorgelegten Führungszeugnis ersichtlichen rechtskräftigen Verurteilungen durch das Amtsgericht T. wegen Beleidigung und durch das Amtsgericht T2. wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz des Landes Niedersachsen berücksichtigt.
66Bereits diese beiden Verurteilungen begründen erhebliche Zweifel an der Würdigkeit des Klägers, in den juristischen Vorbereitungsdienst aufgenommen zu werden. Dies ergibt sich zum einen im Hinblick darauf, dass der Kläger nicht nur einmalig – gewissermaßen als „Ausrutscher“ – eine Straftat begangen hat, sondern innerhalb von 10 Monaten gleich zwei Mal strafrechtlich in Erscheinung trat. Zum anderen handelte es sich bei der durch das Amtsgericht T. abgeurteilten Beleidigung um ein Delikt, das nicht nur erkennbar einen rassistischen Hintergrund hatte, sondern auch einen Polizisten betraf, der als staatlicher Beamter gerade den Kläger bei der Ausübung seines Versammlungsrechts schützte. Der Beklagte hat insoweit zutreffend festgestellt, dass gerade diese Tat Anlass zu der Besorgnis gibt, dass der Kläger der Pflicht, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln – eine der grundlegenden Anforderungen, die an (angehende) Volljuristen zu stellen sind – nicht gerecht wird.
67Vor diesem Hintergrund gehen die Versuche des Klägers, die von ihm begangene Tat als „flapsige Äußerung“ zu bagatellisieren, die im „unteren Bereich der Strafbarkeit liege“ und bei der es sich weder um ein Staatsschutzdelikt noch um ein Vermögensdelikt oder Delikt des Geheimnisverrats handele, fehl. Zwar trifft es zu, dass das Landgericht C1. in seinem Berufungsurteil davon ausging, dass das Gesamtbild der Tat im Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle liege. Diese Wertung des Landgerichts erfolgte aber ausschließlich im Rahmen der Strafzumessung, bei der es darum geht, unter Berücksichtigung der Schwere der Tat die zur Einwirkung auf den Täter notwendige und angemessene Strafhöhe zu ermitteln. Aber weder die strafrechtliche Einordnung der Schwere der Tat noch die vom Landgericht getroffene strafrechtliche Sozialprognose sind von entscheidender Bedeutung im Hinblick auf die Frage der Würdigkeit eines Bewerbers im Sinne des § 30 Abs. 4 Nr. 1 JAG NRW. Die Kammer berücksichtigt insoweit, dass es sich bei den vom Kläger begangenen Straftaten nicht um solche handelt, die dem Bereich schwerer Kriminalität zuzuordnen sind. Sie geht aber davon aus, dass bei einem vorbestraften Bewerber, der unter anderem wegen einer rassistisch beleidigenden Äußerung gegenüber einem zu seinem Schutz bestellten Polizisten rechtskräftig verurteilt wurde und diese Tat als „flapsige Äußerung“ zu bagatellisieren sucht, erhebliche Zweifel bestehen, dass er es mit der Einhaltung der Rechtsordnung, deren Pflege er während des Referendariats zum Teil eigenverantwortlich übernehmen soll, hinreichend genau nimmt und insoweit die charakterlichen Voraussetzungen für die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst erfüllt.
68Im Hinblick auf diese Erwägungen ist es auch unschädlich, dass die vom Amtsgericht T2. und Landgericht C1. ausgeurteilten Strafen von 20 Tagessätzen Geldstrafe und 3 Monaten Freiheitsstrafe deutlich hinter der von § 30 Abs. 4 Nr. 1 Halbsatz 2 JAG NRW vorausgesetzten einjährigen Freiheitsstrafe zurück bleiben. Dies gilt insbesondere, weil es sich hierbei lediglich um ein Regelbeispiel handelt, das – wie dargelegt – nicht zwingend erfüllt sein muss, um von einer Unwürdigkeit ausgehen zu können.
69Es kann dahinstehen, ob bereits diese beiden Verurteilungen die Feststellung der Unwürdigkeit des Klägers tragen, da nach Auffassung der Kammer auch die weiteren im Bundeszentralregister eingetragenen Verurteilungen des Klägers zu berücksichtigen sind. Denn nach § 51 Abs. 1 Bundeszentralregistergesetz - BZRG - darf eine Tat und die Verurteilung dem Betroffenen nur dann im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden, wenn die Eintragung der Verurteilung im Register getilgt worden oder zu tilgen ist. Diese Voraussetzungen liegen für die Eintragungen, die sowohl das Landgericht C1. in seinem Berufungsurteil vom 28. Oktober 2013 als auch zuletzt das Amtsgericht C. in seinem Urteil vom 6. Februar 2015 berücksichtigt haben, nicht vor. Unter diesen Eintragungen befinden sich die oben im Einzelnen aufgeführten Verurteilungen.
70Diese Verurteilungen waren wegen § 38 Abs. 2 Nr. 3 BZRG zwar nicht in das vom Kläger beantragte Führungszeugnis aufzunehmen, da die beiden Verurteilungen des Landgerichts C1. und des Amtsgerichts T2. , die nach § 38 Abs. 1 BZRG eine (Wieder-)Aufnahme auch der vorherigen Verurteilungen in das Führungszeugnis hätten bewirken können, die erforderlichen „Schwellenwerte“ des § 38 Abs. 2 Nr. 3 BZRG nicht überschritten. Sie waren aber weder getilgt noch tilgungsreif, da nach § 47 Abs. 3 Satz 1 BZRG in Fällen, in denen im Register mehrere Verurteilungen eingetragen sind, die Tilgung einer Eintragung erst zulässig ist, wenn für alle Verurteilungen die Voraussetzungen der Tilgung vorliegen (Grundsatz der Unteilbarkeit des Registerinhalts bei Verurteilungen).
71Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juni 2014 - 10 C 4/14 -, juris, Rdn. 15.
72Die Tilgungsfrist für die letzte Eintragung (Verurteilung durch das Amtsgericht T2. am 14. August 2013) beträgt gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 2 lit. a BZRG zehn Jahre, da der Kläger zu einer Geldstrafe verurteilt worden ist und die Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 Nr. 1 lit. a BZRG im Hinblick auf die bereits vorhandenen Eintragungen von Jugendstrafen und Freiheitsstrafen nicht vorliegen. Eine Tilgung der vorangegangenen Verurteilungen kommt insoweit nach § 47 Abs. 3 Satz 1 BZRG frühestens nach Ablauf dieser Frist in Betracht.
73Ein Verwertungsverbot besteht auch nicht wegen rechtswidriger Kenntniserlangung. Dabei kann dahinstehen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Einstellungsbehörden Verurteilungen, von denen sie auf rechtswidrige Weise Kenntnis erlangt haben, bei ihren Entscheidungen außer Acht lassen müssen
74- vgl. zur Frage eines entsprechenden Verwertungsverbots im Staatsangehörigkeitsrecht BVerwG, Urteil vom 5. Juni 2014 - 10 C 4/14 -, juris, Rdn. 23, i. E. offen gelassen -,
75denn der Präsident des Oberlandesgerichts I. hat von den nicht im Führungszeugnis aufgeführten Verurteilungen des Klägers auf rechtmäßige Weise Kenntnis erlangt.
76Der Umstand, dass der Präsident des Oberlandesgerichts I. als zuständige Einstellungsbehörde (§ 30 Abs. 2 JAG NRW) nicht zum Kreis der nach § 41 Abs. 1 BZRG unbeschränkt auskunftsberechtigten Stellen zählt und daher nicht selbst einen unbeschränkten Bundeszentralregisterauszug anfordern konnte, aus dem die vorgenannten Verurteilungen des Klägers ersichtlich gewesen wären, steht einer rechtmäßigen Kenntniserlangung auf anderem Wege nicht entgegen.
77Vgl. zu § 41 Abs. 3 BZRG BVerwG, Urteil vom 5. Juni 2014 - 10 C 4/14 -, juris, Rdn. 24.
78Denn § 41 Abs. 1 BZRG enthält im Gegensatz zu § 51 Abs. 1 BZRG lediglich eine abschließende Aufzählung der unbegrenzt auskunftsberechtigten Stellen, nicht aber ein Verwertungsverbot, wenn auf andere Weise Kenntnis von den nicht in ein Führungszeugnis aufzunehmenden Eintragungen erlangt wird. Ziel des § 51 Abs. 1 BZRG ist es, eine Verwertung zum Nachteil des Betroffenen zu verhindern, wenn auf andere Weise Kenntnisvon getilgten oder tilgungsreifen Eintragungen erlangt wurde.
79Vgl. Götz, Bundeszentralregistergesetz, 1972, § 49 a.F., Rdn. 4.
80Hier hat der Präsident des Oberlandesgerichts I. als Einstellungsbehörde nicht von der Registerbehörde, sondern aus den von ihm beigezogenen Strafakten der Amtsgerichte T2. und T. , die jeweils eine Ablichtung des rechtskräftigen erstinstanzlichen bzw. zweitinstanzlichen Urteils (Landgericht C1. ) enthielten, Kenntnis von den Verurteilungen des Klägers erlangt. Die Beiziehung war auch rechtmäßig, da der Kläger zuvor eine entsprechende schriftliche Einwilligungserklärung abgegeben hatte, vgl. § 4 Abs. 1 i.V.m § 4 a Abs. 1 Satz 1 Bundesdatenschutzgesetz - BDSG -.
81Aus den nach alledem zu berücksichtigenden weiteren Verurteilungen des Klägers folgt ohne weiteres, dass er jedenfalls derzeit der Zulassung zum juristischen Vorbereitungsdienst unwürdig ist. Denn die Verurteilungen stellen zum Teil für sich genommen, jedenfalls aber in ihrer Gesamtheit einen schweren Verstoß gegen das Recht dar, das dem Kläger während des Vorbereitungsdienstes zur mitunter eigenverantwortlichen Pflege anvertraut werden würde. Danach verbietet es sich, den Kläger derzeit in den Vorbereitungsdienst aufzunehmen.
82Die Verurteilungen ergeben das Bild eines über viele Jahre hinweg in regelmäßigen Abständen von etwa ein bis maximal zwei Jahren immer wieder strafrechtlich erheblich in Erscheinung tretenden Bewerbers, den bislang weder vorangegangene Verurteilungen, noch laufende Bewährungsstrafen oder sein Studium der Rechtswissenschaft zur Einhaltung der Rechtsordnung bewegen konnten. In dieses Bild fügt sich die Eintragung des Kläger in seinem Profil im sozialen Netzwerk vom 14. Juli 2013 ein, in der er – gekennzeichnet als Zitat, aber ohne Angabe des Urhebers (Bertolt Brecht) – ausführt:
83„In Erwägung unserer Schwäche machtet
84ihr Gesetze, die uns knechten soll'n.
85Die Gesetze seien künftig nicht beachtet
86in Erwägung, daß wir nicht mehr Knecht sein woll'n.
87In Erwägung, daß ihr uns dann eben
88mit Gewehren und Kanonen droht,
89haben wir beschlossen, nunmehr schlechtes Leben
90mehr zu fürchten als den Tod.“
91Danach bestehen erhebliche Zweifel daran, dass der Kläger gewillt ist, die Rechtsordnung als für sich verbindlich anzuerkennen und sein Verhalten daran auszurichten. Bezeichnend ist daher auch die weitere, inzwischen rechtskräftig gewordene Verurteilung des Klägers wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung durch das Amtsgericht C. vom 6. Februar 2015, die erst im Verlaufe des vorliegenden Verfahrens bekannt wurde. Vor dem Hintergrund der kontinuierlichen Begehung der Straftaten kann dem Kläger auch nicht entscheidend zu Gute gehalten werden, dass einige der Verurteilungen bereits mehrere Jahre zurückliegen.
92Die Bandbreite der vom Kläger begangenen Straftaten ist erheblich. Sie reicht von Staatsschutzdelikten (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen), über eine Straftat gegen die öffentliche Ordnung (Volksverhetzung) und mehrfache Beleidigung bis hin zu Straftaten, die die Anwendung von körperlicher Gewalt beinhalteten (Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte). Dabei zeigt die Begehung der zuletzt genannten Straftaten durch den Kläger, dass er in Konfliktsituationen im Zweifel auch nicht davor zurückschreckt, Gewalt anzuwenden.
93Im Übrigen lässt auch der Umstand, dass der Kläger entgegen seiner prozessualen Wahrheitspflicht (§ 138 Abs. 1 ZPO) in seiner Klageschrift vom 21. April 2015 behauptet, seit der Verurteilung durch das Amtsgericht T. wegen Beleidigung sei es lediglich zu einem Strafbefehl wegen Verstoßes gegen das niedersächsische Versammlungsgesetz gekommen – obwohl er zwischenzeitlich durch das Amtsgericht C. wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung verurteilt worden war – darauf schließen, dass er die charakterlichen Mindestanforderungen, die an einen Referendar im juristischen Vorbereitungsdienst zu stellen sind, nicht erfüllt. Dieses Verhalten des Klägers zeigt, dass er um seines Vorteils willen nicht vor Rechtsverletzungen zurückschreckt. Vor diesem Hintergrund kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger bereits gegenüber dem Beklagten verpflichtet gewesen wäre, auf das gegen ihn geführte Strafverfahren, von dem er spätestens seit der Übersendung der auf den 5. November 2014 datierten Anklageschrift Kenntnis erlangt hatte, oder jedenfalls auf die erstinstanzliche Verurteilung, hinzuweisen.
94Dies gilt gleichermaßen für die weiteren, gegen den Kläger geführten Ermittlungs- bzw. Strafverfahren. Auch insoweit kann dahinstehen, ob er verpflichtet gewesen wäre, den Beklagten nach Kenntniserlangung über die Verfahren zu informieren. Denn die Verfahren lassen auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich weder um rechtskräftige Verurteilungen handelt noch feststeht, ob es überhaupt zu einer Verurteilung kommen wird, Rückschlüsse in Bezug auf die Unwürdigkeit des Klägers insoweit zu, als sich daraus tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme ergeben, dass sich der Kläger nach wie vor mit seinem Verhalten jedenfalls im Grenzbereich zur Strafbarkeit bewegt und daher keine deutliche Abkehr von dem Verhalten erkennen lässt, das ‑ wie soeben dargelegt ‑ seine Unwürdigkeit begründet.
95Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über deren vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Für die örtliche Zuständigkeit gilt folgendes:
- 1.
In Streitigkeiten, die sich auf unbewegliches Vermögen oder ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis beziehen, ist nur das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk das Vermögen oder der Ort liegt. - 2.
Bei Anfechtungsklagen gegen den Verwaltungsakt einer Bundesbehörde oder einer bundesunmittelbaren Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts ist das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Bundesbehörde, die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung ihren Sitz hat, vorbehaltlich der Nummern 1 und 4. Dies gilt auch bei Verpflichtungsklagen in den Fällen des Satzes 1. In Streitigkeiten nach dem Asylgesetz ist jedoch das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Ausländer nach dem Asylgesetz seinen Aufenthalt zu nehmen hat; ist eine örtliche Zuständigkeit danach nicht gegeben, bestimmt sie sich nach Nummer 3. Soweit ein Land, in dem der Ausländer seinen Aufenthalt zu nehmen hat, von der Möglichkeit nach § 83 Absatz 3 des Asylgesetzes Gebrauch gemacht hat, ist das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, das nach dem Landesrecht für Streitigkeiten nach dem Asylgesetz betreffend den Herkunftsstaat des Ausländers zuständig ist. Für Klagen gegen den Bund auf Gebieten, die in die Zuständigkeit der diplomatischen und konsularischen Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland fallen, auf dem Gebiet der Visumangelegenheiten auch, wenn diese in die Zuständigkeit des Bundesamts für Auswärtige Angelegenheiten fallen, ist das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Bundesregierung ihren Sitz hat. - 3.
Bei allen anderen Anfechtungsklagen vorbehaltlich der Nummern 1 und 4 ist das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Verwaltungsakt erlassen wurde. Ist er von einer Behörde, deren Zuständigkeit sich auf mehrere Verwaltungsgerichtsbezirke erstreckt, oder von einer gemeinsamen Behörde mehrerer oder aller Länder erlassen, so ist das Verwaltungsgericht zuständig, in dessen Bezirk der Beschwerte seinen Sitz oder Wohnsitz hat. Fehlt ein solcher innerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Behörde, so bestimmt sich die Zuständigkeit nach Nummer 5. Bei Anfechtungsklagen gegen Verwaltungsakte einer von den Ländern mit der Vergabe von Studienplätzen beauftragten Behörde ist jedoch das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Behörde ihren Sitz hat. Dies gilt auch bei Verpflichtungsklagen in den Fällen der Sätze 1, 2 und 4. - 4.
Für alle Klagen aus einem gegenwärtigen oder früheren Beamten-, Richter-, Wehrpflicht-, Wehrdienst- oder Zivildienstverhältnis und für Streitigkeiten, die sich auf die Entstehung eines solchen Verhältnisses beziehen, ist das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Kläger oder Beklagte seinen dienstlichen Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Wohnsitz hat. Hat der Kläger oder Beklagte keinen dienstlichen Wohnsitz oder keinen Wohnsitz innerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Behörde, die den ursprünglichen Verwaltungsakt erlassen hat, so ist das Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk diese Behörde ihren Sitz hat. Die Sätze 1 und 2 gelten für Klagen nach § 79 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen entsprechend. - 5.
In allen anderen Fällen ist das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Beklagte seinen Sitz, Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Aufenthalt hat oder seinen letzten Wohnsitz oder Aufenthalt hatte.
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt, die dem Kläger für die Zeit seines Rechtsreferendariats zustehende Unterhaltsbeihilfe (Grundbetrag und Familienzuschlag) unter Zugrundelegung der jeweils gültigen Sätze des Bundesbesoldungsgesetzes - für den Grundbetrag: 85 v.H. - neu zu berechnen und den sich aus der Berechnung ergebenden (Netto)Differenzbetrag an ihn auszuzahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Verfahrens trägt der Kläger 5/6, der Beklagte 1/6.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger wendet sich gegen die Berechnung der Unterhaltsbeihilfe während der Zeit seines Referendariats im Landgerichtsbezirk Q. .
3Der geborene und seit Juli verheiratete Kläger stand vom 1. September 2011 bis zum Bestehen der Zweiten Juristischen Staatsprüfung im Oktober 2013 als Rechtsreferendar in einem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis zum beklagten Land. In dieser Zeit erhielt er monatlich eine Unterhaltsbeihilfe, die sich zusammensetzt aus einem Grundbetrag und einem sog. Ortszuschlag der Stufe 2. Über die Höhe der Zahlungen wurde er regelmäßig durch sog. Bezügemitteilungen des Landesamts für Besoldung und Versorgung Nordrhein-Westfalen (LBV) informiert.
4Mit Schreiben vom 2. Juni 2013 wandte sich der Kläger an das LBV, widersprach "sämtlichen vergangenen Beihilfeabrechnungen" und bat um Überprüfung und Nachzahlung. Dadurch, dass der Berechnung nicht 85 vom Hundert der höchsten Anwärterbezüge nach dem Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) zugrunde gelegt würden, sei die Auszahlung der Beihilfe jeweils zu seinem Nachteil fehlerhaft erfolgt. Nach seinen Berechnungen ergebe sich ein Zahlungsrückstand in Höhe von 1.305,76 €. Der Kläger legte seiner Berechnung zugrunde, dass in den Monaten September 2011 bis Mai 2013 100 vom Hundert des höchsten Anwärtergrundbetrages nach dem Bundesbesoldungsgesetz zuzüglich des Ortszuschlages 1.269,68 € betragen hätten. Diese Summe ist für das Gericht nicht nachvollziehbar.
5Mit Schreiben vom 24. Juli 2013 lehnte das LBV den Antrag des Klägers ab. Maßgebend für die Unterhaltsbeihilfe der Rechtsreferendare sei der jeweils in Nordrhein-Westfalen geltende höchste Anwärtergrundbetrag. Nach dem Wortlaut der Verordnung über die Gewährung von Unterhaltsbeihilfe entspreche zwar der Grundbetrag 85 v.H. des höchsten nach dem Bundesbesoldungsgesetz gewährten Anwärter-grundbetrages. Eine am Wortlaut festhaltende Interpretation der Vorschrift werde jedoch dem Willen des Verordnungsgebers und dem Sinn und Zweck der Regelung nicht gerecht. Der Terminus "Bundesbesoldungsgesetz" sei nach der Historie, aber auch nach Systematik und dem Sinn und Zweck der Verordnung dahingehend auszulegen, dass das jeweils für Nordrhein-Westfalen geltende Besoldungsrecht gemeint sei und für die Bemessung der Unterhaltsbeihilfen der nordrhein-westfälischen Rechtsreferendare die in Nordrhein-Westfalen zum maßgebenden Zeitpunkt geltenden Anwärtergrundbeträge sowie der jeweils geltende Familienzuschlag maßgeblich seien. Hintergrund sei, dass die nordrhein-westfälische Verordnung über die Gewährung von Unterhaltsbeihilfen von 1999 aus einer Zeit stamme, als die Besoldung der Beamten des Bundes und der Länder noch weitgehend einheitlich durch den Bundesgesetzgeber geregelt gewesen sei. Die Anwärter in Nordrhein-Westfalen hätten dieselben Grundbeträge wie die im Bund und in anderen Ländern erhalten; der Grundbetrag für Rechtsreferendare habe in Nordrhein-Westfalen 85 v.H. hiervon betragen. Seit dem hätten sich durch die Föderalismusreform die Rahmenbedingungen der Verordnung geändert. Seit September 2006 seien ausschließlich die Länder für die Regelung der Besoldung ihrer Beamten und Anwärter zuständig. Bei Erlass der Unterhaltsbeihilfenverordnung für Rechtsreferendare habe der nordrhein-westfälische Normgeber die hiesigen Referendare erkennbar weitestgehend den hiesigen Beamten und nicht den Bundesbeamten gleichstellen wollen. Das zeige sich auch daran, dass das Juristenausbildungsgesetz NRW (JAG) in § 32 Abs. 2, Abs. 3 Satz 3 und 4 sowie in Abs. 4 zahlreiche Verweisungen auf die beamtenrechtlichen Vorschriften enthalte. An dem Willen des Normgebers habe sich durch die Föderalismusreform nichts geändert, lediglich der Wortlaut der Verordnung sei unverändert geblieben. Deshalb sei es erforderlich, die Norm im Wege einer Rechtsfortbildung auszulegen, so wie es auch im Saarland geschehen sei. Der nordrhein-westfälische Landesgesetzgeber habe auch an anderer Stelle zum Ausdruck gebracht, dass er die Unterhaltsbeihilfe für Rechtsreferendare in Anlehnung an das Landesbesoldungsrecht regeln will. Im Gesetz zur Anpassung der Dienst- und Versorgungsbezüge 2011/2012 habe er ausdrücklich auch die Unterhaltsbeihilfen erhöht. Dadurch habe er durch höherrangiges Recht zum Ausdruck gebracht, dass die Unterhaltsbeihilfe der Rechtsreferendare angelehnt an die Landesbesoldung erfolgen und an den entsprechenden Anpassungen teilnehmen solle. Entsprechend sei im Gesetz zur Anpassung der Dienst- und Versorgungsbezüge 2013/2014 verfahren worden.
6Am 7. August 2013 hat der Kläger Klage erhoben. Er ist jetzt der Ansicht, für die Berechnung sowohl des Grundbetrages als auch des Familienzuschlages seien die Sätze nach dem Bundesbesoldungsgesetz zugrunde zu legen, und zwar auch beim Grundbetrag in Höhe von 100 v.H. Die Absenkung auf 85 v.H. sei wegen einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung mit den Forstreferendaren unwirksam.
7Der Kläger hat ursprünglich einen Antrag angekündigt, nach dem die Unterhaltsbeihilfe "auf der Basis von 1.248,87 € brutto" neu berechnet werden sollte. Diese Summe setzt sich nach seiner Berechnung, der allerdings falsche Bezugsgrößen nach dem Bundesbesoldungsgesetz zugrunde liegen, zusammen aus der Differenz zwischen 85 v.H. des (Brutto)Grundbetrages nach dem Bundesbesoldungsgesetz und dem (Brutto)Grundbetrag, der für ihn festgesetzt wurde, und der Differenz zwischen dem Familienzuschlag nach dem BBesG und dem, der ihm gewährt wurde (vgl. Bl. 14 d.A.). Später hat er mit Schriftsatz vom 7. November 2013 seine Klage erweitert und auf der Grundlage seiner ursprünglichen Berechnung auch eine Nachzahlung für die letzten drei Monate seines Referendariats beantragt.
8Der Kläger beantragt nunmehr,
9das beklagte Land zu verurteilen, die ihm, dem Kläger, für die Zeit seines Rechtsreferendariats zustehende Unterhaltsbeihilfe (Grundbetrag und Familienzuschlag) unter Zugrundelegung der Regelungen des Bundesbesoldungsgesetzes neu zu berechnen und den sich daraus ergebenden (Netto)Differenzbetrag an ihn auszuzahlen.
10Der Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Er beruft sich auf Urteile des VG Saarland und des VG Köln und hält die dort vertretene Auffassung, dass sich die Bezugsgröße für die Unterhaltsbeihilfe von 85 v.H. auf Landesbesoldungsrecht und nicht auf Bundesbesoldungsrecht beziehe, für zutreffend. Mit der Absenkung auf 85 v.H. des höchsten Anwärtergrundbetrages sei überdies die nordrhein-westfälische Unterhaltsbeihilfe für Rechtsreferendare dem Durchschnittsbetrag der Unterhaltsbeihilfe der Rechtsreferendare in den anderen Bundesländern angepasst worden. Für eine finanzielle Besserstellung der in Nordrhein-Westfalen tätigen Referendare gegenüber denjenigen, die den Vorbereitungsdienst in anderen Bundesländern ableisten, bestehe kein sachlicher Grund. Das gelte auch für den Familienzuschlag.
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des dazu vorgelegten Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
14Entscheidungsgründe:
15Die Klage ist zulässig (dazu 1.) und in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang begründet (dazu 2.). Im Übrigen ist sie unbegründet.
161. Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage im Sinne von § 43 Abs. 2 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - zulässig. Ein gegebenenfalls nach §§ 6 Abs. 1 Satz 2, 104 Abs. 1 Satz 1 und 2 Landesbeamtengesetz NRW - LBG - i.V.m. § 54 Abs. 2 Beamtenstatusgesetz - BeamtStG - erforderliches Vorverfahren ist jedenfalls hinsichtlich des ursprünglich vom Kläger angekündigten Antrags, der sich auf eine Neuberechnung auf der Grundlage von 85 v.H. des Anwärtergrundbetrages nach dem BBesG bezogen hat, durchgeführt worden. Der Kläger hat mit Schreiben vom 2. Juni 2013 allen Beihilfeabrechnungen widersprochen und einen Antrag auf Überprüfung der Berechnung und Nachzahlung einer Summe, die er in Anlehnung an 85 v.H. des Anwärtergrundbetrages nach dem BBesG berechnet hat, gestellt. Diese Forderung hat der Beklagte mit Bescheid vom 24. Juli 2013 zurückgewiesen.
17Die Kammer hält ein isoliertes weiteres Vorverfahren in Bezug auf den erweiterten Antrag des Klägers, der nunmehr eine Neuberechnung unter Zugrundelegung von 100 v.H. des Anwärtergrundbetrages nach dem BBesG begehrt, nicht für erforderlich, weil die Frage in der mündlichen Verhandlung erörtert worden ist und der Beklagte sowohl in der Verhandlung als auch bereits im Vorfeld hinreichend deutlich gemacht hat, dass er eine Berechnung nach den Sätzen des Bundesbesoldungsgesetzes nicht vornehmen wird, nicht in Höhe von 85 v.H. und schon gar nicht in Höhe von 100 v.H. Damit ist auch die Klageerweiterung zulässig.
18Der Zulässigkeit der erhobenen Leistungsklage steht nicht entgegen, dass der Kläger seinen Klageantrag nicht (mehr) im Einzelnen beziffert hat. Da sich die Höhe der für die einzelnen Monate jeweils geltend gemachten Forderungen ohne weiteres Zutun des Klägers anhand der einschlägigen Tabellen und Rechtsvorschriften errechnen lässt, fehlt es nicht an der erforderlichen Bestimmtheit des Klagebegehrens.
19Vgl. dazu VG Saarland, Urteil vom 12. August 2011 - 2 K 181/10 -, juris, Rdn. 31.
20Das angerufene Gericht ist auch örtlich zuständig. Einschlägig ist insoweit § 52 Nr. 4 VwGO, der auf Klagen aus einem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis nach Auffassung der Kammer analog anzuwenden ist. Demnach ist das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Kläger (bei Klageerhebung) seinen dienstlichen Wohnsitz hat. Der Kläger ist als dem Landgericht Q. bis Oktober 2013 zugewiesener Rechtsreferendar so zu behandeln, als habe er bei Klageerhebung im August 2013 seinen dienstlichen Wohnsitz in Q. , also dem Bezirk des erkennenden Gerichts, gehabt.
212. Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass die ihm in der Zeit seines Referendariats von September 2011 bis Oktober 2013 zustehende Unterhaltsbeihilfe unter Zugrundelegung der sich aus dem Bundesbesoldungsgesetz jeweils ergebenden Sätze neu berechnet und ihm die sich zu seinen Gunsten ergebende (Netto)Differenz ausgezahlt wird. Das gilt (grundsätzlich) sowohl für den Grundbetrag nach Anlage VIII als auch für den Familienzuschlag nach Anlage V zum BBesG (dazu a). Allerdings beträgt der dem Kläger zu gewährende Grundbetrag nur 85 v.H. der Summe, die sich aus der Anlage VIII zum BBesG in der jeweils geltenden Fassung ergibt (dazu b). Dem Anspruch des Klägers kann eine mangelnde zeitnahe Geltendmachung nicht entgegengehalten werden (dazu c).
22Das Gericht kann, weil die Ermittlung des neu festzusetzenden Betrages einen nicht unerheblichen Aufwand erfordert, in analoger Anwendung des § 113 Abs. 2 Satz 2 VwGO die Änderung der Festsetzung durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, dass die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Diesen Weg hat die Kammer gewählt, weil nicht unmittelbar nachvollziehbar ist, ob die vom Beklagten mit Schreiben vom 24. April 2014 bereits vorgelegte Vergleichsberechnung hinsichtlich sämtlicher Zahlen korrekt ist, zumal der Kläger zwischenzeitlich über zusätzliche Einkünfte aus einer Nebentätigkeit verfügte.
23a) Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers auf eine monatliche Unterhaltsbeihilfe in dem hier streitigen Zeitraum ist § 32 Abs. 3 Satz 1 und 6 Juristenausbildungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. März 2003 (GV. NRW. 135) - JAG - i.V.m. § 1 Abs. 1 der Verordnung über die Gewährung von Unterhaltsbeihilfen an Rechtsreferendare vom 20. April 1999 (GV. NRW. 148) in der Fassung der Zweiten Änderungsverordnung vom 28. Oktober 2005 (GV. NRW. 838) - RRef-BeihV NW -. Diese Verordnung ist ursprünglich auf der Grundlage der Verordnungsermächtigung in § 20 Abs. 6 Satz 4 JAG (in der alten Fassung des Änderungsgesetzes vom 20. April 1999 - GV. NRW. 147 -) ergangen, deren Wortlaut im Wesentlichen mit der jetzt geltenden Regelung übereinstimmt.
24Danach erhalten Rechtsreferendarinnen oder Rechtsreferendare, die in einem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis stehen, eine Unterhaltsbeihilfe, zu der ein monatlicher Grundbetrag und ein Familienzuschlag gehören (Sätze 1 und 2 der Norm). Der Grundbetrag für die Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare entspricht 85 v.H. des höchsten nach dem Bundesbesoldungsgesetz gewährten Anwärter-grundbetrages (Satz 3). Der Familienzuschlag wird in entsprechender Anwendung des Bundesbesoldungsgesetzes gewährt (Satz 4).
25Der Grundbetrag der Unterhaltsbeihilfe ist, wie vom Wortlaut der Norm vorgegeben, nach dem sich aus der Anlage VIII zum Bundesbesoldungsgesetz ergebenden höchsten Anwärtergrundbetrag zu berechnen und beträgt 85 vom Hundert dieses Betrages. Dabei ist - wie vom Verordnungsgeber ursprünglich gewollt und mangels anderer Anhaltspunkte - von einer dynamischen Verweisung auf die Regelungen des Bundesbesoldungsgesetzes auszugehen, so dass hier nicht der am 31. August 2006 gültige Betrag, sondern die in den Zeiten August bis Dezember 2011, Januar und Februar 2012, März 2012 bis Juli 2013 und ab August 2013 geltenden Beträge maßgeblich sind.
26Anders als das VG Saarland
27in seinem Urteil vom 12. August 2011 - 2 K 181/10 -, juris, das in einem parallel gelagerten Fall ergangen ist,
28und das VG Köln
29Urteile vom 22. Januar 2014 - 3 K 962 u.a./11, 3 K 2993/13 -, juris,
30geht das erkennende Gericht nicht davon aus, dass die hier entscheidende Norm des § 1 Abs. 1 RRefBeihV NW auslegungsfähig und -bedürftig ist. Der Wortlaut, der auf das Bundesbesoldungsgesetz verweist, ist eindeutig, und eine Regelungslücke liegt nicht vor. Eine Auslegung ist auch nicht wegen einer möglicherweise relevanten Änderung der Rahmenbedingungen
31vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 30. März 1993 - 1 BvR 1045/89 u.a. -, juris, insb. Rdn. 68 und 71
32geboten. Soweit das VG Saarland und das VG Köln eine entscheidende Änderung der Rahmenbedingungen im Inkrafttreten der sog. Föderalismusreform zum 1. September 2006 sehen, mit der die Gesetzgebungskompetenz für die Beamtenbesoldung vom Bund auf die Länder übergegangen ist, vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Für die Zahlung von Unterhaltsbeihilfen an (Rechts)Referendare hatte der Übergang der Gesetzgebungskompetenz keine Bedeutung. Seit dem Moment, in dem der Landesgesetzgeber mit dem Neunten Gesetz zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften vom 20. April 1999 (GV. NRW: 147) mit Wirkung zum 1. Juli 1999 den damaligen § 20 Abs. 1 Satz 1 JAG änderte und die Rechtsreferendare nicht mehr in ein Beamtenverhältnis auf Widerruf berief, sondern sie in ein öffentlich-rechtliches Ausbildungsverhältnis zum Land aufnahm, war für die Bemessung ihrer monatlichen Unterhaltsbeihilfe das Land zuständig, das das Nähere einer vom Finanzministerium im Einvernehmen mit dem Justizministerium zu erlassenden Rechtsverordnung überließ. In dieser entschieden die zuständigen Ministerien, sich hinsichtlich der Höhe der Unterhaltsbeihilfe an den Regelungen des Bundesbesoldungsgesetzes zu orientieren.
33Vgl. dazu das Protokoll der Rechtsausschuss-Sitzung vom 3. März 1999 (Ausschussprotokoll 12/1169), S. 20.
34An dieser Kompetenz des Landes, für die Höhe der Unterhaltsbeihilfe die Besoldungssätze für Anwärter aus dem Bundesbesoldungsgesetz in Bezug zu nehmen oder davon abweichende, eigene Regelungen zu treffen, hat sich seit 1999 nichts geändert, auch nicht durch die Föderalismusreform.
35Selbst wenn man aber in dem Umstand, dass sich seit Inkrafttreten der Föderalismusreform die Beamtenbesoldung im Bund und in den Ländern unterschiedlich entwickelt hat, eine eine Auslegung der die Unterhaltsbeihilfe an Rechtsreferendare regelnden Norm rechtfertigende Änderung der Rahmenbedingungen sehen wollte, käme die Kammer nicht zu der vom Beklagten vertretenen Auffassung. Eine vom Wortlaut der Norm abweichende Auslegung in dem Sinne, dass maßgebliche Berechnungsgrundlage für die Unterhaltsbeihilfe für Rechtsreferendare im Land Nordrhein-Westfalen jeweils die Höhe der höchsten Anwärterbezüge nach Landesbesoldungsrecht ist, kommt nicht in Betracht. Das ergibt sich aus Folgendem:
36Grundsätzlich ist für die Auslegung von Gesetzen der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgeblich, so wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist. Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Unter ihnen hat keine einen unbedingten Vorrang vor einer anderen. Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut der Vorschrift. Er gibt allerdings nicht immer hinreichende Hinweise auf den Willen des Gesetzgebers. Unter Umständen wird erst im Zusammenhang mit Sinn und Zweck des Gesetzes oder anderen Auslegungsgesichtspunkten die im Wortlaut ausgedrückte, vom Gesetzgeber verfolgte Regelungskonzeption deutlich, der sich der Richter nicht entgegenstellen darf. Seine Aufgabe beschränkt sich darauf, die intendierte Regelungskonzeption bezogen auf den konkreten Fall - auch unter gewandelten Bedingungen - möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen. In keinem Fall darf richterliche Rechtsfindung das gesetzgeberische Ziel der Norm in einem wesentlichen Punkt verfehlen oder verfälschen oder an die Stelle der Regelungskonzeption des Gesetzgebers gar eine eigene treten lassen. Für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption dem Gesetz zugrunde liegt, kommt daneben den Gesetzesmaterialien und der Systematik des Gesetzes eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu. Die Eindeutigkeit der im Wege der Auslegung gewonnenen gesetzgeberischen Grundentscheidung wird nicht notwendig dadurch relativiert, dass der Wortlaut der einschlägigen Norm auch andere Deutungsmöglichkeiten eröffnet, soweit diese Deutungen offensichtlich eher fern liegen. Anderenfalls wäre es für den Gesetzgeber angesichts der Schwierigkeit, textlich Eindeutigkeit herzustellen, nahezu unmöglich, sein Regelungsanliegen gegenüber der Rechtsprechung über einen längeren Zeitraum durchzusetzen.
37BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10 u.a. -, juris, Rdn. 66 mit zahlreichen weiteren Nachweisen.
38Auch wenn es nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts ausschließlich oder in erster Linie darauf anzukommen scheint, den objektiven Willen des Gesetzgebers zu erfassen, ist zu beachten, dass für die Auslegung besoldungsrechtlicher Normen - und auch bei der Verordnung über die Gewährung von Unterhaltsbeihilfen an Rechtsreferendare in einem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis handelt es sich nach Auffassung der Kammer um eine Regelung der Besoldung im weiteren Sinne - Besonderheiten gelten. Dazu hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in seinem Urteil vom 30. Mai 2011 - 1 A 2825/09 -, juris, Rdn. 86 ff., ausgeführt:
39" …, als dem Wortlaut der Vorschrift wegen der strikten Gesetzesbindung des Besoldungsrechts (§ 2 Abs. 1 BBesG) eine gesteigerte Bedeutung für die Auslegung zukommt. Nach der Natur des Besoldungsrechts … sind der ausdehnenden Auslegung des Anwendungsbereichs einer Norm enge Grenzen gezogen. Das Besoldungsrecht regelt grundsätzlich die Höhe der einzelnen Bezüge, ihre Errechnung und Festsetzung in einer stark differenzierten und verfeinerten Weise durch formelle und zwingende Vorschriften kasuistischen Inhalts. Regelungen dieser Art sind nach dem darin erkennbar zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers einer ausdehnenden Auslegung nicht zugänglich. (Nachweise)
40Nichts anderes kann aber für die einschränkende Auslegung einer Besoldungsnorm gelten, … wenn dadurch eine weder dem Wortlaut noch der Systematik der Vorschrift zu entnehmende zusätzliche Beschränkung ihres Regelungsgehalts eingefügt werden soll. Denn die Aufnahme einer solchen Beschränkung stellt im Ergebnis ebenfalls eine ausdehnende Auslegung der Norm dar, nämlich die Ergänzung um ein - nicht vorhandenes - begrenzendes Tatbestandsmerkmal. Auch dadurch bleibt der Gesetz gewordene, differenzierte und damit abschließende Wille des Besoldungsgesetzgebers unberücksichtigt.
41Die Befugnis zur Korrektur des Wortlauts einer Vorschrift im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung steht den Gerichten nur begrenzt zu. Sie ist u.a. dann gegeben, wenn eine gesetzliche Regelung nach ihrem - mit den allgemeinen Auslegungsregeln festgestellten - eindeutigen Wortsinn Sachverhalte (mit)erfasst, die sie nach dem Willen des Gesetzgebers nicht (auch) erfassen soll und deswegen eine Beschränkung des Wortlauts der gesetzlichen Regelung aufgrund des vom Gesetzgeber erkennbar mit ihr verfolgten Regelungsziels geboten ist. In einem solchen Fall ist die ihrem Wortlaut nach zu weit gefasste Regelung im Wege der sog. teleologischen Reduktion auf den ihr nach Sinn und Zweck zugedachten Anwendungsbereich zurückzuführen. Der Regelungszweck ist dabei regelmäßig im Wege der historischen Auslegung, namentlich anhand der Gesetzesmaterialien, sowie unter Berücksichtigung des gesamten Regelungszusammenhangs der Vorschrift zu ermitteln. (Nachweise)
42Vorliegend ist nach den vorstehenden Ausführungen bereits zweifelhaft, ob sich überhaupt ein hinreichend eindeutiger Wille des "Gesetzgebers" ermitteln lässt, …
43Darüber hinaus steht einer Korrektur des Wortlauts der Vorschrift im Wege der teleologischen Reduktion jedenfalls das aus der strikten Gesetzesbindung des Besoldungsrechts (§ 2 Abs. 1 BBesG) folgende Verbot richterlicher Rechtsfortbildung entgegen. Wie bereits ausgeführt, legt das Besoldungsrecht den Kreis der Anspruchsberechtigten und die einzelnen Ansprüche nach Grund und Höhe durch formelle und zwingende Vorschriften im Einzelnen fest. Aus diesem kasuistischen formal-gesetzlichen Regelungskonzept folgt, dass besoldungsrechtliche Regelungen nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers auch einer Ergänzung durch allgemeine Rechtsgrundsätze nicht zugänglich sind. Hierzu zählt namentlich ihre analoge Anwendung. Dementsprechend dürfen weder die Verwaltung noch die Gerichte über den der Auslegung zugänglichen Wortlaut hinaus den Besoldungsgesetzgeber im Wege der Rechtsfortbildung korrigieren. (Nachweise)
44Ist aber mit Rücksicht auf die strikte Gesetzesbindung des Besoldungsrechts von einer grundsätzlich fehlenden Analogiefähigkeit dieses Normbereichs auszugehen, muss dies in gleicher Weise auch für eine Rechtsfortbildung im Wege der teleologischen Reduktion gelten. Denn die teleologische Reduktion ist das methodische Gegenstück zur Analogie. Während bei der Analogie der zu entscheidende Fall zwar nicht vom Wortlaut der Norm, wohl aber von deren Normzweck erfasst wird, ist dies bei der teleologischen Reduktion genau umgekehrt. Bei der Analogie wird der Anwendungsbereich der Norm über ihren Wortlaut hinaus entsprechend dem Normzweck ausdehnt, während bei der teleologischen Reduktion die Norm entsprechend ihrem Regelungszweck durch Hinzufügen einer vom Wortlaut nicht vorgesehenen Einschränkung begrenzt wird. (Nachweise)
45Der Annahme eines Reduktionsverbots kann im gegebenen Zusammenhang auch nicht entgegengehalten werden, dass durch diese Form der Rechtsfortbildung lediglich den Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten, die im Wortlaut der Norm - sei es unbewusst, sei es versehentlich - jedoch keinen hinreichenden Ausdruck gefunden haben, Geltung verschafft und daher eine Besoldung gerade nicht ohne gesetzliche Grundlage gewährt wird. Denn insoweit ist zu berücksichtigen, dass der besoldungsrechtliche Gesetzesvorbehalt u.a. auch der Rechtsklarheit und Rechtseinheitlichkeit dient. Die Besoldung soll für alle Besoldungsempfänger einheitlich allein vom Gesetzgeber durch Gesetz festgelegt werden. Damit wird verhindert, dass Verwaltungsbehörden oder Gerichte vom positiven Recht losgelöst in Einzelentscheidungen Besoldung ggf. auch in unterschiedlicher Höhe gewähren bzw. zusprechen und dadurch das für die Stabilität und Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes wichtige Besoldungsgefüge erschüttern. Darüber hinaus bewirkt der Grundsatz der Gesetzesbindung der Besoldung, dass das in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG verankerte Prinzip der Gewaltenteilung auf dem Gebiet des Besoldungsrechts strenger verwirklicht ist als in anderen Rechtsgebieten, mit der Folge, dass die Regelungskompetenz des Besoldungsgesetzgebers hier in besonderem Maße zu berücksichtigen ist. (Nachweise)
46Vor diesem Hintergrund muss auch die Korrektur einer besoldungsrechtlichen Vorschrift, soweit sie die Vorstellungen der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten nicht in hinreichender Weise zum Ausdruck bringen sollte, dem Besoldungsgesetzgeber selbst vorbehalten bleiben. Sie kann nicht durch die Gerichte mit dem Risiko ggf. divergierender Entscheidungen vorgenommen werden." (Hervorhebungen durch das hier erkennende Gericht)
47Bei Anwendung dieser Maßstäbe kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass sich auch hier zum Einen ein hinreichend eindeutiger Wille des Verordnungsgebers, der Berechnung der Unterhaltsbeihilfe für Rechtsreferendare abweichend vom Wortlaut der Norm landesbesoldungsrechtliche Regelungen zugrunde zu legen, nicht feststellen lässt, und dass zum Anderen, wenn ein solcher Wille doch zumindest überwiegend wahrscheinlich scheinen sollte, der Verordnungsgeber selbst aufgerufen ist, eine Änderung herbei zu führen, um der Gefahr divergierender Gerichtsentscheidungen zu begegnen.
48Das Gericht hat erhebliche Zweifel an dem ernstlichen Willen des Verordnungsgebers, die Unterhaltsbeihilfe der Rechtsreferendare nach Landesbesoldungsrecht zu berechnen, weil anders nicht zu erklären ist, warum der Verordnungsgeber über inzwischen 7 ½ Jahre seit Inkrafttreten der Föderalismusreform I untätig geblieben ist. Hätte er eine Anpassung an landesrechtliche Regelungen wirklich gewollt, hätte er bis zum Beginn des Referendariats des Klägers am 1. September 2011 ausreichend Zeit gehabt, die Verordnung entsprechend zu ändern. Anlass dazu hat es wiederholt gegeben. Selbst wenn man dem Gesetz- bzw. Verordnungsgeber zugutehält, dass er in den ersten zwei Jahren nach der Grundgesetzänderung durch dringendere Normgebungsverfahren in Anspruch genommen war, so stellt sich doch die Frage, warum er nicht Ende September 2008, als die Unterhaltsbeihilfe-Verordnung für den Forstdienst geändert und die Wörter "dem Bundesbesoldungsgesetz" durch die Wörter "der landesbesoldungsrechtlichen Regelung" ersetzt wurden, zeitgleich eine Anpassung der RRefBeihV NW vorgenommen hat. Auch wenn dies wegen der vorrangigen Ressortzuständigkeit des Ministers für Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz übersehen worden sein sollte, bestand im März 2010, als sich die ersten Rechtsreferendare an das LBV wandten und eine Auszahlung ihrer Unterhaltsbeihilfe in Höhe von 85 v.H. der höchsten Anwärterbezüge nach dem BBesG beantragten (vgl. den Hinweis in VG Köln, Urteil vom 22. Januar 2014 - 3 K 962/11 -, juris, Rdn. 2), erneut Veranlassung, die Verordnung so wie angeblich gewollt zu ändern. Jedenfalls aber Anfang 2011, als der Justizminister vermutlich, wie durch § 8 RRefBeihV NW (in der Fassung des Vierten Gesetzes zur Befristung des Landesrechts NRW vom 5. April 2005 - GV. NRW. 332 -) vorgegeben, zum 31. Dezember 2010 berichtet hatte, "ob Teile dieser Verordnung aufgehoben oder geändert werden sollen", wäre der Zeitpunkt gewesen, bei entsprechendem Wunsch die Verordnung zu ändern. Gänzlich unverständlich bleibt für das Gericht, warum nicht später im Jahr 2011, als der Finanzminister angeblich durch Erlasse vom 30. Juni und 4. Juli versuchte, die Anbindung an das Landesrecht vorzunehmen, eine Verordnungsänderung erfolgt ist.
49Die Argumente des Beklagten, sein Wille, die nordrhein-westfälischen Rechtsreferendare erkennbar weitestgehend den hiesigen Beamten und nicht den Bundesbeamten gleichzustellen, ergebe sich hinreichend deutlich daraus, dass das JAG in § 32 Abs. 2, Abs. 3 Satz 3 und 4 sowie in Abs. 4 zahlreiche Verweisungen auf die beamtenrechtlichen Vorschriften enthalte, und daraus, dass in den Gesetzen zur Anpassung der Dienst- und Versorgungsbezüge 2011/2012 sowie 2013/2014 durch höherrangiges Recht zum Ausdruck gebracht worden sei, dass die Unterhaltsbeihilfe der Rechtsreferendare angelehnt an die Landesbesoldung erfolgen und an den entsprechenden Anpassungen teilnehmen solle, überzeugen nicht vom Gegenteil.
50Dass der Gesetzgeber in § 32 Abs. 2 JAG auf § 2 Abs. 5 LBG und die dortige Legaldefinition für den Begriff "Vorgesetzter" verweist, die im Übrigen von der in § 3 Abs. 3 Bundesbeamtengesetz - BBG - kaum abweicht, und ansonsten auf die Regelung für Laufbahnbewerber in einem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis in § 6 Abs. 1 Satz 2 LBG Bezug nimmt, hat nach Auffassung des Gerichts keine Bedeutung für die an anderer Stelle vorgenommene Regelung der Höhe der Unterhaltsbeihilfe. Gleiches gilt für die zitierten Vorschriften in § 32 Abs. 3 Satz 3 und 4 sowie in Abs. 4, von denen überdies nur Abs. 4 mit seinen Vorgaben für die Gewährung von Erholungs- und Sonderurlaub ausdrücklich auf "Vorschriften … des Landes" verweist.
51Auch der Hinweis auf die (höherrangigen) Gesetze zur Anpassung der Dienst- und Versorgungsbezüge, in denen neben den Anwärtergrundbeträgen die Unterhaltsbeihilfen ausdrücklich erwähnt werden, verfängt nicht. Zum Einen ergibt sich durch die Erwähnung der Unterhaltsbeihilfen ein Widerspruch zum jeweiligen § 1, der den Geltungsbereich des Gesetzes regelt, und die betroffenen Personengruppen (Beamtinnen und Beamte …, Richterinnen und Richter …, Versorgungsempfängerinnen und Versorgungsempfänger …) enumerativ aufzählt, ohne dabei nicht-beamtete Laufbahnbewerber in einem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis zu erwähnen. Zum Anderen macht - abgesehen von dem Widerspruch zu § 1 - die Berücksichtigung von Unterhaltsbeihilfen bereits mit Blick auf die Forstreferendare durchaus Sinn, denen seit 2008 Beihilfen nach landesbesoldungsrechtlichen Regelungen gewährt werden.
52Soweit der Beklagte auf - bislang nicht vorgelegte - Erlasse des Finanzministeriums vom 30. Juni und 4. Juli 2011 verweist, ist dazu anzumerken, dass durch diese Erlasse die höherrangige Verordnung nicht abgeändert werden kann.
53Angesichts des nicht eindeutig feststellbaren Willens des Verordnungsgebers in Bezug auf eine Änderung und seiner Untätigkeit über einen so langen Zeitraum, in dem er die - angeblich angestrebte - Änderung unterließ, obwohl ihm das Problem offensichtlich bewusst war und er ohne weiteres hätte tätig werden können, sieht sich das Gericht nicht befugt, an seiner Stelle tätig zu werden. Der Beklagte ist an den Wortlaut der von ihm selbst gesetzten und unverändert gelassenen Norm gebunden und muss dem Kläger einen Grundbetrag in Höhe vom 85 v.H. des jeweils höchsten Anwärtergrundbetrages nach dem Bundesbesoldungsgesetz gewähren.
54Gleiches gilt für den Familienzuschlag. Anspruchsgrundlage für den Familienzuschlag als Teil der Unterhaltsbeihilfe ist § 1 Abs. 1 Satz 4 RRefBeihV NW. Danach wird der Familienzuschlag in entsprechender Anwendung des Bundesbesoldungsgesetzes gewährt. Damit sind auch für die Bemessung des Familienzuschlages die sich aus dem Bundesbesoldungsgesetz (Anlage V) ergebenden Sätze maßgeblich.
55Das Gericht vermag nicht zu sagen, warum der Verordnungsgeber in Bezug auf den Grundbetrag die Formulierung "entspricht dem (später: 85 v.H. des) höchsten nach dem Bundesbesoldungsgesetz gewährten Anwärtergrundbetrag" gewählt hat und den Familienzuschlag "in entsprechender Anwendung" des Bundesbesoldungsgesetzes gewährt. Es ist aber nicht ersichtlich oder naheliegend, dass damit inhaltlich etwas anderes geregelt werden sollte. In beiden Fällen werden offensichtlich die sich aus dem Bundesbesoldungsgesetz bzw. seinen Anlagen ergebenden Beträge in Bezug genommen. Damit gelten für den Familienzuschlag die obigen Ausführungen entsprechend: Auch hier ist der Beklagte an den Wortlaut der von ihm selbst gesetzten und unverändert gelassenen Norm gebunden und muss dem Kläger den Familienzuschlag in der Höhe gewähren, die sich jeweils aus der Anlage V zum Bundesbesoldungsgesetz ergibt.
56b) Der Kläger hat dagegen keinen Anspruch darauf, dass bei der Neuberechnung seiner Unterhaltsbeihilfe ein Grundbetrag in Höhe von 100 v.H. des sich jeweils aus Anlage VIII zum Bundesbesoldungsgesetz ergebenden Betrages zugrunde gelegt wird. Insoweit hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung seine Klage erweitert. Sein Antrag, seine Unterhaltsbeihilfe unter Zugrundelegung der Regelungen des Bundesbesoldungsgesetzes neu zu berechnen, ist unter Berücksichtigung seiner zuvor in der mündlichen Verhandlung gemachten Ausführungen so zu verstehen, dass er - über die ursprünglich allein geltend gemachte Orientierung an 85 v.H. des Anwärtergrundbetrages hinaus - nunmehr einen Grundbetrag in voller Höhe der Summe aus Anlage VIII zum BBesG begehrt. Nach längerer Erörterung der Frage der Gleichbehandlung zwischen Forst- und Rechtsreferendaren hat sich der Kläger die Argumente des Klägers im Verfahren 4 K 96/14 dazu ausdrücklich zu eigen gemacht und zum Ausdruck gebracht, dass er seinen Antrag entsprechend verstanden wissen wolle. Damit begehrt der Kläger jetzt nicht mehr eine Brutto-Nachzahlung von 981,18 € sondern von 5.888,44 €, wie sich aus der nachfolgenden Tabelle ergibt.
57Monat |
gezahlt brutto Grundbetrag und FZ |
100 % BBesG (GB + FZ) |
Diff. zu tatsächlicher Festsetzung brutto |
85 % BBesG (GB) + FZ |
Diff. zu tatsächlicher Festsetzung brutto |
Sept. bis Dez. 11 |
997,58 + 114,64 = 1.112,22 € |
1.190,63 + 116,82 = 1.307,45 € |
195,23 € x 4 |
1.012,04 € + 116,82 € = 1.128,86 € |
16,64 € x 4 |
Jan. und Feb. 12 |
1.021,63 + 116,82 = 1.138,45 € |
1.219,68 + 119,68 = 1.339,36 € |
200,91 € x 2 |
1.036,73 € + 119,68 € = 1.156,41 € |
17,96 € x 2 |
März bis Dez. 12 |
1.021,63 + 116,82 = 1.138,45 € |
1.269,68 + 123,64 = 1.393,32 |
254,87 € x 10 |
1.079,23 € + 123,64 € = 1.202,87 € |
64,42 € x 10 |
Jan. bis Juli 13 |
1.021,63 + 116,82 + 50,00 + 3,10 = 1.191,55 € |
1.269,68 + 125,12 = 1.394,80 |
203,25 € x 7 |
1.079,23 € + 125,12 € = 1.204,35 € |
12,80 € x 7 |
Aug. bis Okt. 13 |
1.071,63 + 119,92 = 1.191,55 € |
1.309,68 + 126,62 = 1.436,30 |
244,75 € x 3 |
1.113,23 € + 126,62 € = 1.239,85 € |
48,30 € x 3 |
gesamt brutto |
5.888,44 € |
981,18 € |
Ein entsprechender Anspruch des Klägers besteht aber nicht. Die Absenkung der Unterhaltsbeihilfe auf "85 v.H. des höchsten nach dem Bundesbesoldungsgesetz gewährten Anwärtergrundbetrages" durch die Zweite Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Gewährung von Unterhaltsbeihilfen an Rechtsreferendare vom 28. Oktober 2005 (GV. NRW. 838) ist nicht zu beanstanden. Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung mit den Forstreferendaren, deren Unterhaltsbeihilfen nicht entsprechend abgesenkt wurden, liegt nicht vor.
59Auch unter Berücksichtigung der vom Kläger des Verfahrens 4 K 96/14 in seinem Schriftsatz vom 21. März 2014 (Blatt 81 ff der dortigen Akte) dargelegten zahlreichen Gemeinsamkeiten zwischen dem Rechts- und dem Forstreferendariat und der weiteren Argumente in dem Schriftsatz vom 28. April 2014 (Blatt 172 f. der dortigen Akte) gibt es nach Auffassung der Kammer hinreichende Unterschiede, die eine Ungleichbehandlung der verschiedenen Referendargruppen rechtfertigen. Maßgeblich ist insoweit die ganz und gar andere Bedeutung, die das Referendariat für die beiden Berufszweige hat. Voraussetzung für die Einstellung als Forstreferendar ist der Abschluss eines forstwissenschaftlichen Studiums. Dieser Abschluss allein eröffnet allerdings schon ein breites Spektrum an Berufsfeldern, von Tätigkeiten in der Holzindustrie und in der privaten Waldwirtschaft bis etwa zur globalen Umweltplanung. Lediglich für die Verwendung im Staatsdienst ist darüber hinaus ein zweijähriges Referendariat erforderlich. Es handelt sich um eine "interne Qualifikation für den höheren Forstdienst"; dementsprechend werden jährlich nur sechs bis acht Absolventen in das Referendariat eingestellt.
60Vgl. Landesbetrieb Wald und Holz, www.wald-und-holz.nrw.de/wald zum Vorbereitungsdienst für den höheren Forstdienst.
61Demgegenüber ist für die allermeisten juristischen Berufe das Bestehen der Zweiten Juristischen Staatsprüfung Zugangsvoraussetzung, die ihrerseits erst nach Durchlaufen des Rechtsreferendariats abgelegt werden kann. Entsprechend höher ist die Zahl der im Land jährlich eingestellten Rechtsreferendare; sie liegt derzeit bei ca. 1.600.
62An diese Unterschiede darf der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber bei der Bemessung von Unterhaltsbeihilfen für nicht verbeamtete Auszubildende anknüpfen und - auch unter Berücksichtigung fiskalischer Interessen unterschiedlicher Ressorts - abweichende Regelungen für beide Gruppen von Referendaren treffen.
63c) Dem Anspruch des Klägers kann nicht entgegen gehalten werden, dass der Kläger ihn nicht rechtzeitig, nämlich "zeitnah" geltend gemacht habe.
64Zwar gilt nach dem vom Bundesverfassungsgericht (vgl. Beschluss vom 24. November 1998 - 2 BvL 26/91 u.a. -) im Zusammenhang mit der nicht amtsangemessenen Besoldung kinderreicher Beamter entwickelten und vom Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 28. Juni 2011 - 2 C 40.10 -) aufgegriffenen Grundsatz der zeitnahen Geltendmachung, dass Ansprüche, die über die gesetzlich vorgesehene Besoldung hinausgehen, von Beamten stets zeitnah, mithin spätestens bis zum Ende des laufenden Haushaltsjahres geltend zu machen sind, damit der Dienstherr sich darauf einstellen kann. Das genannte Erfordernis folgt aus dem gegenseitigen Treueverhältnis zwischen Beamten und Dienstherrn, auf dessen berechtigte Belange Rücksicht zu nehmen ist.
65Der Kläger ist aber gerade kein Beamter; ihn treffen deshalb nicht die gesteigerten Treuepflichten. Überdies geht es hier auch nicht um Ansprüche, die über eine gesetzlich vorgesehene "Besoldung" hinausgehen, sondern lediglich um die Ermittlung und Auszahlung der Unterhaltsbeihilfe in genau der Höhe, die durch die RRefBeihV NW vorgegeben ist. Das Gericht muss auch nicht entscheiden, wie lange ein Nachzahlungsanspruch geltend gemacht werden kann. Jedenfalls wenn - wie hier - der Anspruch während des laufenden Ausbildungsverhältnisses geltend gemacht wird, reicht das zur Fristwahrung aus.
66Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, die Entscheidung über deren vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO. Wegen der erforderlichen Neuberechnung durch den Beklagten ist das Urteil nur wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
67Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache wird nach § 124 a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO die Berufung zugelassen.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Der am geborene Kläger begehrt die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst des Landes Nordrhein-Westfalen im Bezirk des Oberlandesgerichts I. . Er war vom 1. Oktober 2009 bis zum 30. September 2014 für ein Studium der Rechtswissenschaft an der Universität C. eingeschrieben. Die erste juristische Prüfung bestand er im Juli 2014.
3Der Kläger ist politisch aktiv. Er war Mitglied der Vereinigung „K I. “, bis diese mit Verfügung des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen im Jahr 2012 verboten wurde. Er ist Mitglied des Landes- und Bundesvorstands der Partei „P“ und war bis Januar 2015 Vorsitzender eines Kreisverbands I. dieser Partei. Seit dessen Gründung im Januar 2016 ist er Vorsitzender des neuen Kreisverbandes P. der Partei.
4Der Kläger ist mehrfach vorbestraft.
5Am 12. Oktober 2004 verurteilte ihn das Amtsgericht I. wegen Volksverhetzung zu einer Woche Jugendarrest.
6Am 28. Juni 2005 verurteilte ihn das Amtsgericht I. wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen sowie vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von 6 Monaten. Die Vollstreckung dieser Strafe war am 11. Dezember 2006 erledigt.
7Am 30. November 2006 verurteilte das Amtsgericht I. den Kläger wegen Nötigung, ihm wurde nach dem Jugendstrafrecht die Weisung erteilt, Arbeitsleistungen zu erbringen.
8Am 5. Juli 2007 verurteilte ihn das Amtsgericht I. wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Jugendstrafe von 8 Monaten, die es zur Bewährung aussetzte. Die Bewährungszeit wurde zunächst zwei Mal verlängert und die Strafe schließlich nach Ablauf der Bewährungszeit im Juni 2014 erlassen.
9Am 9. September 2008 verurteilte das Amtsgericht I. den Kläger wegen Erschleichens von Leistungen, ihm wurde nach Jugendstrafrecht die Weisung erteilt, Arbeitsleistungen zu erbringen.
10Am 28. Mai 2010 verurteilte das Amtsgericht I. den Kläger wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 15,00 €.
11Am 27. Mai 2011 verurteilte ihn das Amtsgericht I. wegen Beleidigung in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 15,00 €.
12Am 14. Juni 2013 verurteilte das Amtsgericht T. den Kläger wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 20,00 €. Zum Sachverhalt stellte das Amtsgericht Folgendes fest: „Der Angeklagte nahm am 04. August 2012 als stellvertretender Versammlungsleiter an einem sog. „Trauermarsch“ rechter Kräfte teil. Der Demonstrationszug wurde von Polizeikräften in voller Einsatzmontur begleitet. Als sich der Aufzug in Bewegung setzte, ging der eingesetzte Polizeibeamte und Zeuge L1. I2. auf der linken Seite des Angeklagten neben ihm her. Rechtsseitig vom Angeklagten marschierte der Zeuge und Veranstaltungsleiter N1. T1. . Trotz Sturmhaube und Helm fiel dem Angeklagten und dem Zeugen auf, dass der Zeuge L. I1. dunkelhäutig war. Der Angeklagte und sein Begleiter sahen mehrfach zum Zeugen I1. herüber. Dann äußerte der Angeklagte in die Richtung des Polizeibeamten I1. und für den auch deutlich vernehmbar: „Schwarz auf schwarz geht nicht, aber Schwarze bei der Polizei geht überhaupt nicht!“ Er tat dies, um den Zeugen herabzuwürdigen.“ Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft, die sie auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte, hob das Landgericht C1. das Urteil des Amtsgerichts T. im Rechtsfolgenausspruch auf und verurteilte den Kläger mit Urteil vom 28. Oktober 2013 zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten, die es zur Bewährung aussetzte. Zur Strafzumessung führte das Landgericht unter anderem aus: „Das Gesamtbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Persönlichkeit des Angeklagten liegt im Durschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle.“ Mit Beschluss vom 20. März 2014 verwarf das Oberlandesgericht D. die gegen dieses Urteil erhobene Revision des Klägers.
13Am 14. August 2013 verurteilte das Amtsgericht T2. den Kläger wegen Mitführens eines Gegenstandes, der zur Verletzung von Personen geeignet ist, nach dem niedersächsischen Versammlungsgesetz zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 15,00 €.
14Mit Urteil vom 6. Februar 2015 verurteilte das Amtsgericht C. den Kläger wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts T. vom 14. Juni 2013 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts leistete der Kläger am 13. Oktober 2013 mit Gewalt Widerstand gegen seine Ingewahrsamnahme durch Polizeibeamte. Das Urteil ist rechtskräftig.
15Darüber hinaus sind ausweislich zweier Vorgangslisten der Staatsanwaltschaften E. und C. gegen den Kläger weitere Ermittlungs- bzw. Strafverfahren anhängig bzw. anhängig gewesen:
16In dem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft C. wegen Beleidigung beantragte die Staatsanwaltschaft C. am 4. Dezember 2014 den Erlass eines Strafbefehls.
17In dem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft E. wegen Hausfriedensbruchs erhob die Staatsanwaltschaft am 7. Mai 2015 Anklage vor dem Amtsgericht E. , Strafrichter.
18Ein Ermittlungsverfahren wegen Verleumdung wurde am 8. Dezember 2014 an eine andere Staatsanwaltschaft abgegeben.
19Drei weitere Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft E. und C. wegen gefährlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung und Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen wurden am 13. Mai 2015, 24. Oktober 2014 und 22. August 2014 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Ein weiteres Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft C. wegen Verstoßes gegen das Kunst- und Urhebergesetz sowie Verleumdung wurde am 30. April 2015 gemäß § 154 Abs. 1 StPO vorläufig eingestellt.
20Mit Antrag vom 13. Oktober 2014 beantragte der Kläger die Zulassung zum juristischen Vorbereitungsdienst zum nächstmöglichen Termin. Zu diesem Zweck veranlasste er die Übermittlung eines Führungszeugnisses an den Beklagten, in dem die Verurteilungen des Amtsgerichts T. vom 14. Juni 2013 und des Amtsgerichts T2. vom 14. August 2013 eingetragen waren. Auf Anregung des Beklagten erklärte sich der Kläger mit Schreiben vom 19. November 2014 mit der Einsichtnahme in die betreffenden Strafakten einverstanden, die daraufhin durch den Beklagten beigezogen wurden. Der Beklagte zog ferner die Verbotsverfügung des Innenministeriums aus 2012 betreffend die „Vereinigung K. “ bei. Darüber hinaus übermittelte das Innenministerium dem Beklagten über das Justizministerium eine Liste aller vom Kläger in den letzten Jahren beim Polizeipräsidium I. angemeldeten Versammlungen, zwei vom Kläger verfasste Aufsätze sowie einen Ausdruck von Eintragungen und Bildern aus dem offenen Profil des Klägers zu einem sozialen Netzwerk.
21Den Antrag des Klägers, ihn zeitnah in den juristischen Vorbereitungsdienst einzustellen, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 15. April 2015 ab. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus: Die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst sei zu versagen, da der Kläger derzeit der Zulassung nicht würdig sei. Eine Aufnahme in den Vorbereitungsdienst komme vor Ablauf einer Wohlverhaltensphase von drei Jahren ab dem Datum des Bescheides nicht in Betracht. Die Unwürdigkeit des Klägers ergebe sich aus einer Gesamtabwägung seiner Vorstrafen und seiner verfassungsfeindlichen Betätigung. Von den Vorstrafen des Klägers seien wegen des Verwertungsverbots des § 51 Abs. 1 Bundeszentralregistergesetzes - BZRG - lediglich die beiden Verurteilungen des Amtsgerichts T2. und des Amtsgerichts T. bzw. des Landgerichts C1. in zweiter Instanz zu berücksichtigen. Zwar erfüllten beide Verurteilungen nicht die Voraussetzungen des in § 30 Abs. 4 Nr. 1, 2. Halbsatz JAG NRW enthaltenden Regelbeispiels, da der Kläger jeweils zu weniger als einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt worden sei. Ausweislich der Gesetzesbegründung könne aber unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände unter besonderen Umständen die Einstellung auch dann versagt werden, wenn eine Freiheitsstrafe von weniger als einem Jahr verhängt worden ist. Insoweit offenbare die der Verurteilung durch das Landgericht C1. zugrundeliegende Beleidigung, die rassistisch motiviert gewesen und gegenüber einem zum Schutz des Klägers abgestellten Polizeibeamten ausgesprochen worden sei, erhebliche Persönlichkeitsdefizite, die darauf schließen ließen, dass der Kläger dem Berufsbild eines Juristen – dem es schon im Rahmen der Ausbildung obliege, Menschen unterschiedlicher Herkunft (vor dem Gesetz) gleich zu behandeln – nicht gerecht werde.
22Der Kläger betätige sich auch gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Dies folge zum einen daraus, dass er sich aktiv für die Partei „P“ einsetze und darin eine Führungsrolle übernehme. Ausweislich der Verfassungsschutzberichte des Landes Nordrhein-Westfalen der Jahre 2012 und 2013 handele es sich bei der Partei um eine solche, die die freiheitliche demokratische Grundordnung ablehne, eine „System“-Überwindung anstrebe und dabei eine kämpferisch-aggressive Haltung einnehme. Politische Gegner würden eingeschüchtert, und in Veröffentlichungen und Äußerungen der Partei werde zum Ausdruck gebracht, dass diese unter anderem den Gleichbehandlungsgrundsatz und die Menschenwürde nicht anerkenne. Diese Bestrebungen seien dem Kläger als Mitglied des Landes- und Bundesvorstands und als Vorsitzendem des Kreisverbandes I. auch zuzurechnen. Auf Ebene des Kreisverbandes sei der Kläger seit Jahren die „prägende“ Persönlichkeit gewesen. Er habe sich über seine Funktionärstätigkeit hinaus auch aktiv für die Ziele der Partei eingesetzt, etwa durch die Teilnahme an Versammlungen der Partei, mitunter auch als Versammlungsleiter. Ferner sei der Kläger jedenfalls bis zum 12. Februar 2015 ausdrücklich auf der Homepage des Kreisverbandes I. als „presserechtlich Verantwortlicher“ genannt gewesen, auf der zahlreiche Beiträge zu finden seien, die die verfassungsfeindlichen Bestrebungen der Partei zutage treten ließen.
23Die verfassungsfeindliche Betätigung folge darüber hinaus auch aus der Betätigung des Klägers in der inzwischen verbotenen „Vereinigung K. “. Diese sei wegen aggressiv-kämpferischer Bestrebungen gegen die verfassungsrechtliche Ordnung verboten worden. Berücksichtigung gefunden habe insoweit, dass der Kläger nachweisbar zu den „prägenden Persönlichkeiten“ dieser Vereinigung gehört habe, der sich für die verfassungsfeindlichen Bestrebungen besonders verantwortlich gezeichnet habe. Er sei nämlich nicht bloßes Mitglied der Vereinigung gewesen, sondern auf einem der „Vereinigung “ zuzurechnenden Flugblatt als „V.i.S.d.P.“ (Verantwortlicher im Sinne des Pressegesetzes) benannt worden. Zudem habe sich der Kläger insoweit für organisatorische Belange der Vereinigung eingesetzt, als er eine – im Zusammenhang mit dem Verbot der Vereinigung von der Polizei durchsuchte – Gaststätte im eigenen Namen für diese angemietet habe. Er sei zudem wiederholt als Versammlungsleiter und Redner auf Versammlungen der Vereinigung in Erscheinung getreten.
24Am 23. April 2015 hat der Kläger Klage erhoben und einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt, den die erkennende Kammer mit Beschluss vom 12. Juni 2015 - 4 L 441/15 - abgelehnt hat. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom 12. August 2015 - 6 B 733/15 - zurückgewiesen. Die nachfolgend erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 8. Oktober 2015 - 1 BvR 2204/15 - nicht zur Entscheidung angenommen. Mit Schreiben vom 24. November 2015 hat der Kläger nach seinen Angaben eine Individualbeschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht.
25Zur Begründung der Klage trägt der Kläger vor, er habe einen Anspruch auf Einstellung in den juristischen Vorbereitungsdienst, da er niemals wegen einer vorsätzlich begangenen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr rechtskräftig verurteilt worden sei, die Voraussetzungen des Regelbeispiels des § 30 Abs. 4 Nr. 1, Halbsatz 2 JAG NRW also nicht vorlägen. Die Tat, die der Verurteilung durch das Amtsgericht T2. zugrunde liege, stelle lediglich ein Bagatelldelikt dar. Zum Urteil des Landgerichts C1. vom 28. Oktober 2013 sei anzumerken, dass er stets bestritten habe, die ihm zur Last gelegte Äußerung getätigt zu haben. Zudem sei es vertretbar, die inkriminierte Äußerung nicht als strafbare Beleidigung, sondern als „flapsige Äußerung“ anzusehen, die der Meinungsfreiheit unterliege. Jedenfalls handele es sich um eine Äußerung im unteren Bereich der Strafbarkeit und das Landgericht sei von einer positiven Sozialprognose im Hinblick auf sein Berufsziel Strafverteidiger ausgegangen. Besondere Umstände, aus der seine Unwürdigkeit folgen könnte, obwohl er nur zu einer Freiheitsstrafe von weniger als einem Jahr verurteilt worden sei, lägen nicht vor. Es habe sich weder um ein Staatsschutz- oder Vermögensdelikt, noch um ein Delikt des Geheimnisverrats, die für die Begründung des Ausbildungsverhältnisses von besonderer Bedeutung sein könnten, gehandelt. Der Tatzeitpunkt liege zudem bereits fast drei Jahre zurück. Seitdem sei es lediglich zu einem Strafbefehl in Höhe von 20 Tagessätzen gegen ihn gekommen, der ebenfalls ein Bagatelldelikt betroffen habe.
26Er habe sich auch nicht verfassungsfeindlich betätigt. Bei der Partei „P“ handele es sich nicht um eine Partei, die die freiheitlich demokratische Grundordnung ablehne. Sie bekenne sich in der Präambel ihres Parteiprogramms „vollinhaltlich und ohne jeden Vorbehalt“ zur freiheitlich demokratischen Grundordnung. Die Ausführungen in den Verfassungsschutzberichten des Landes Nordrhein-Westfalen der Jahre 2012 und 2013 stellten die subjektive Meinung des bzw. der Verfasser dar. Der Verfassungsschutz sei dem Innenministerium unterstellt, das von einem Minister der SPD geführt werde. Daher sei der Verfassungsschutzbericht nicht von einem politisch „neutralen“ Standpunkt aus verfasst, sondern aus der Sichtweise eines sozialdemokratisch geführten Innenministeriums. Soweit der Verfassungsschutzbericht über konkrete politische Aussagen bzw. konkrete politische Aktivitäten berichte, seien ihm diese – sofern sie überhaupt zuträfen – nicht persönlich zuzurechnen. Die bloße Teilnahme oder auch Anmeldung öffentlicher Versammlungen könne ihm nicht vorgeworfen werden, da es sich insoweit um ein von der Versammlungsfreiheit geschütztes Verhalten gehandelt habe. Darüber hinaus handele es sich hierbei offensichtlich um nachrichtendienstliche Erkenntnisse, die der Beklagte vom Verfassungsschutz erhalten haben müsse. Die Verwertung dieser Erkenntnisse sei im vorliegenden Verfahren nicht zulässig. Seit dem 23. Januar 2015 sei er nicht mehr Vorsitzender des Kreisverbandes I. der Partei „P“. Er sei auch aktuell nicht mehr Verantwortlicher im Sinne des Telemediengesetzes für die Homepage des Kreisverbandes I. . Sofern dies zeitweise der Fall gewesen sei, sei dies lediglich geschehen, um damit der rechtlichen Impressumspflicht für Internetseiten nachzukommen. Dies bedeute daher nicht, dass er die dort eingestellten Texte selbst verfasst habe oder sich deren Inhalte zu eigen machen wolle. Er mache sich die dort eingestellten Aussagen – sofern sie nicht ausdrücklich als seine persönliche Stellungnahme gekennzeichnet seien – ausdrücklich nicht zu eigen. Die „Vereinigung K. “ sei bereits seit 2012 verboten. Rechtsmittel seien gegen das Verbot nicht eingelegt worden. Nach dem Verbot der „Vereinigung. “ habe er sich dazu entschieden, sich nicht weiter in (anderen) entsprechenden Vereinigungen politisch zu engagieren.
27Schließlich komme die Ablehnung seines Gesuches um Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst einem Berufsverbot gleich, was einen gravierenden Eingriff in die Berufsfreiheit darstelle, sodass die Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 JAG NRW eng auszulegen seien.
28Der Kläger beantragt sinngemäß,
29das beklagte Land unter Aufhebung des Bescheides des Präsidenten des Oberlandesgerichts I. zu verpflichten, ihn, den Kläger, zum nächstmöglichen Zeitpunkt in den Vorbereitungsdienst aufzunehmen.
30Das beklagte Land beantragt,
31die Klage abzuweisen.
32Zur Begründung nimmt es im Wesentlichen Bezug auf die Gründe des angefochtenen Bescheides vom 15. April 2015. Ergänzend wird vorgetragen, von der Verurteilung des Klägers durch das Amtsgericht C. mit Urteil vom 6. Februar 2015 habe man erst im Mai 2015 durch den Vorsitzenden des für die vom Beklagten gegen das Urteil eingelegte Revision zuständigen Strafsenats des Oberlandesgerichts erfahren. Die Tatsache, dass der Kläger das insoweit gegen ihn geführte Ermittlungsverfahren und die Verurteilung verschwiegen habe, obwohl für ihn erkennbar gewesen sei, dass eine solche Verurteilung von wesentlichem Interesse für die Beurteilung seiner Würdigkeit war, spreche in besonderem Maße dafür, dass der Kläger nicht die charakterlichen Mindestanforderungen erfülle, die an einen Referendar zu stellen seien. Soweit der Kläger bei Antragstellung noch keine Kenntnis von dem gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren gehabt habe, sei er jedenfalls mit Kenntniserlangung durch Übersendung der Anklageschrift nach Treu und Glauben verpflichtet gewesen, ihn, den Beklagten, hierüber zu informieren. Die mittlerweile rechtskräftige Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung durch das Amtsgericht C. vom 6. Februar 2012 spreche ebenfalls für die Unwürdigkeit des Klägers, zumal es sich hierbei um eine Straftat handele, die eine tätliche Auseinandersetzung betroffen habe. Darüber hinaus habe ihn der Kläger über die weiter gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren weder bei Antragstellung noch danach in Kenntnis gesetzt. Von den Ermittlungsverfahren habe er, der Beklagte, daher erst durch Mitteilung der Staatsanwaltschaften E. und C. auf entsprechende Anfrage erfahren. Auch diesbezüglich hätte ihn der Kläger spätestens dann informieren müssen, als er Kenntnis von den Verfahren erlangte.
33Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Akte des Verfahrens 4 L 441/15 und der vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
34Entscheidungsgründe:
35Das Gericht konnte trotz des Ausbleibens der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung ohne diese verhandeln und entscheiden, weil beide in der Ladung darauf hingewiesen worden waren (vgl. § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).
36Das Gericht war auch nicht gehalten, auf den entsprechenden Antrag des Klägers vom 7. Dezember 2015 vor einer Terminierung in der Hauptsache die Entscheidung des EGMR über die Klage des Klägers vom 24. November 2015 abzuwarten. Die damit sinngemäß begehrte Aussetzung des Verfahrens - einen Vertagungsantrag hat der Kläger nach Zustellung der Ladung am 19. Dezember 2015 nicht (mehr) gestellt - kam nicht in Betracht. Das nach Angaben des Klägers beim EGMR anhängige Individualklageverfahren ist nicht vorgreiflich im Sinne des § 94 VwGO.
37Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet. Der Kläger hat im hier entscheidenden Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst. Der den entsprechenden Antrag ablehnende Bescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichts I. ist deshalb rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
38Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Juristenausbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen - JAG NRW - hat grundsätzlich jeder, der die „erste Prüfung“ im Sinne des JAG bestanden hat, einen Anspruch auf Übernahme in den als öffentlich-rechtliches Ausbildungsverhältnis zum Land ausgestalteten juristischen Vorbereitungsdienst. Dieser Anspruch besteht aber dann nicht, wenn ein Fall nach Abs. 4 der Norm vorliegt. Nach der hier allein in Betracht kommenden Nr. 1 dieser Vorschrift „ist“ die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst zu versagen, wenn die Bewerberin oder der Bewerber der Zulassung nicht würdig ist. Dies ist nach der gesetzlichen Wertung des § 30 Abs. 4 Nr. 1 Halbsatz 2 in der Regel anzunehmen, wenn die Bewerberin oder der Bewerber wegen einer vorsätzlich begangenen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr rechtskräftig verurteilt und die Strafe noch nicht getilgt worden ist. Der Beklagte ist hier zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger der Zulassung zum Vorbereitungsdienst derzeit nicht würdig ist.
39Zunächst ist festzuhalten, dass die Regelung des § 30 Abs. 4 Nr. 1 JAG NRW, auf den die Ablehnung der Übernahme des Klägers in den Vorbereitungsdienst (zum jetzigen Zeitpunkt) gestützt ist, ihrerseits keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet.
40Die erfolgreiche Absolvierung des juristischen Vorbereitungsdienstes ist nicht nur Voraussetzung für den Eintritt in den öffentlichen Dienst etwa als Richter oder Staatsanwalt (§ 1 Abs. 1 Satz 1 JAG NRW), sondern auch für den Zugang zu anderen juristischen Berufen (vgl. etwa §§ 1, 4 Satz 1 BRAO). Es entspricht daher ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts, dass der Zugang zum juristischen Vorbereitungsdienst als Ausbildungsstätte im Sinne des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG grundrechtlich geschützt ist.
41Vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 -, juris, Rdn. 111; und vom 5. Oktober 1977 - 2 BvL 10/75 -, juris, Rdn. 39 ff.; BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 1979 - 2 B 38.78 -, Buchholz, 238.5 § 5 DRIG Nr. 1, S. 2, m.w.N.
42Dieser Zugang kann aber zur Gewährleistung zwingender Gründe des Gemeinwohls, zu denen auch die Gewährleistung einer geordneten Rechtspflege zählt, von Voraussetzungen abhängig gemacht werden, die in der Person des Bewerbers begründet liegen.
43Vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 1979 - 2 B 38.78 -, Buchholz, 238.5 § 5 DRIG Nr. 1, S. 2, m.w.N.; BVerfG, Urteil vom 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 -, juris, Rdn. 105 im Hinblick auf die Berufung der Referendare in ein Beamtenverhältnis auf Widerruf; BVerfG, Beschluss vom 5. Oktober 1977
44- 2 BvL 10/75 -, juris, Rdn. 39 ff, im Hinblick auf den Vorbereitungsdienst ohne Berufung in ein Beamtenverhältnis.
45Vor diesem Hintergrund ist die von § 30 Abs. 4 Nr. 1 JAG NRW vorgesehene grundsätzliche Möglichkeit, einem Bewerber die Zulassung zum juristischen Vorbereitungsdienst wegen seiner Unwürdigkeit zu versagen, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
46Im Übrigen gilt: Bei dem Tatbestandsmerkmal der Unwürdigkeit handelt es sich um einen gerichtlich uneingeschränkt überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff, bei dessen Anwendung der Einstellungsbehörde weder ein Ermessensspielraum noch ein Beurteilungsspielraum zukommt.
47Vgl. zum beamtenrechtlichen Begriff der Unwürdigkeit BVerwG, Urteil vom 15. Januar 1960 - 6 C 229.58 -, DÖV 1960, S. 840, 841; BVerwG, Urteil vom 12. Mai 1966 - 2 C 116.65 -, juris (nur Leitsatz); BayVGH, Urteil vom 16. Juni 1993 - 3 B 92.2995 -, juris, Rdn. 11; Schütz/Maiwald (Maiwald), BeamtR, Kommentar Bd. 1, 129. AL November 2012, § 12 BeamtStG, Rdn. 59, m.w.N.; zur ‚persönlichen Ungeeignetheit‘ im Sinne des niedersächsischen Juristenausbildungsgesetzes OVG Lüneburg, Urteil vom 27. November 2002 - 5 LB 114/02 -, juris, Rdn. 36; zur Unwürdigkeit i.S.d. § 46 Abs. 2 Nr. 3 Soldatengesetz OVG NRW, Urteil vom 3. Dezember 1999 - 12 A 5024/98 -, juris, Rdn. 3; a.A. noch OVG NRW, Urteil vom 16. Juni 1978 - VI A 898/76 -, DÖD 1979, S. 36, betreffend die „besondere charakterliche Eignung“ eines Beamtenbewerbers.
48Die Auslegung des Begriffs der Unwürdigkeit im Sinne von § 30 Abs. 4 Nr. 1 Halbsatz 1 JAG NRW muss allerdings im Lichte von Art. 12 Abs. 1 GG erfolgen und den Wertungen dieses Grundrechts auf freie Wahl des Berufes und der Ausbildungsstätte Rechnung tragen.
49Nach der Intention des Gesetzgebers soll die von § 30 Abs. 4 Nr. 1 Halbsatz 1 JAG NRW geforderte Würdigkeit sicherstellen, dass der Bewerber nach dem Gesamtbild seiner Persönlichkeit würdig, d.h. auch charakterlich geeignet ist, in einen Ausbildungsgang aufgenommen zu werden, der ihm die Befähigung zum Richteramt verschafft.
50Vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung, LT-Drs. 13/3197, S. 99.
51Charakterlich geeignet ist ein Bewerber dann, wenn er bereits bei Beginn der Ausbildung die Mindestanforderungen erfüllt, die die Erwartung begründen, er werde dem Berufsbild eines Volljuristen auch von seiner Persönlichkeit her im Verlauf der Ausbildungszeit gerecht werden können.
52Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. August 1979 - 2 BvR 374/79 -, S. 5 (zitiert nach dem Gesetzentwurf der Landesregierung, LT-Drs. 13/3197, S. 99).
53Diese Mindestanforderungen sind daher unter Berücksichtigung des Ziels der nordrhein-westfälischen Juristenausbildung sowie der im Verlaufe der Ausbildung zu erfüllenden Anforderungen zu bestimmen. Nach § 39 Abs. 1 JAG NRW ist es Ziel des zweijährigen Vorbereitungsdienstes, dass die Referendare „lernen, auf der Grundlage ihrer im Studium erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten eine praktische Tätigkeit in Rechtsprechung, Verwaltung und Rechtsberatung aufgeschlossen für die Lebenswirklichkeit im Geiste eines demokratischen und sozialen Rechtsstaates und unter Berücksichtigung der fortschreitenden Integration innerhalb der Europäischen Union eigenverantwortlich wahrzunehmen“. Referendare sollen durch den Vorbereitungsdienst auf richterliche, staatsanwaltschaftliche, rechtsanwaltliche und weitere der Rechtspflege dienende Tätigkeiten vorbereitet werden. Hierzu bestimmt § 40 Abs. 1 JAG NRW, dass sich Referendare „durch kontinuierliche, fortschreitend selbstständiger werdende Mitarbeit an ausbildungsgeeigneten Aufgaben der Ausbilderin oder des Ausbilders darin üben [sollen], praktische juristische Aufgaben wahrzunehmen und selbstständig zu erledigen. Zum Zwecke der Ausbildung können ihnen, sofern nicht gesetzliche Vorschriften entgegenstehen, Geschäfte von Beamtinnen und Beamten des höheren oder des gehobenen Dienstes, bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften auch die einer Urkundsbeamtin oder eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, zur selbstständigen Wahrnehmung übertragen werden“.
54Referendare erwerben durch die (erfolgreiche) Absolvierung des juristischen Vorbereitungsdienstes also nicht nur die Befähigung zum Richteramt, zum höheren allgemeinen Verwaltungsdienst (§ 1 Abs. 1 Satz 1 JAG NRW) sowie zum Beruf des Rechtsanwaltes als unabhängiges Organ der Rechtspflege (§§ 1, 4 Satz 1 BRAO). Sie werden vielmehr bereits während des Vorbereitungsdienstes faktisch für die ausbildenden Gerichte, Staatsanwaltschaften, Behörden und Rechtsanwälte auch nach außen hin tätig, indem sie deren Aufgaben – soweit nach Ausbildungsstand und gesetzlichen Vorgaben möglich – eigenverantwortlich wahrnehmen. Hierzu zählen etwa die in § 40 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 5, Abs. 3 JAG NRW beispielhaft aufgeführte Leitung der mündlichen Verhandlung des ausbildenden Zivilgerichts, die Vertretung der Staatsanwaltschaft im Sitzungsdienst und die Vertretung des ausbildenden Rechtsanwalts in mündlichen Verhandlungen, wobei Referendare nach § 142 Abs. 2 StPO auch als Pflichtverteidiger in erstinstanzlichen Strafsachen bestellt werden können.
55Vor diesem Hintergrund fehlt es zum einen an der von § 30 Abs. 4 Nr. 1 JAG NRW vorausgesetzten Würdigkeit, wenn dem Bewerber ein schwerer Verstoß gegen das Recht, das er bereits während des Vorbereitungsdienstes mitunter eigenverantwortlich pflegen soll, zum Vorwurf gemacht wird.
56Vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung, LT-Drs. 13/3197, S. 99, unter Verweis auf BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 1979 - 2 B 38.78 -, Buchholz, 238.5 § 5 DRIG Nr. 1, S. 2-3.
57§ 30 Abs. 4 Nr. 1 Halbsatz 2 JAG NRW konkretisiert diesen Grundsatz dahingehend, dass ein schwerer Verstoß in diesem Sinne regelmäßig dann vorliegt, wenn der Bewerber wegen einer vorsätzlich begangenen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Strafe noch nicht getilgt worden ist. Da es sich hierbei indes (nur) um ein Regelbeispiel handelt, ist eine Unwürdigkeit i.S.d. § 30 Abs. 4 Nr. 1 Halbsatz 1 JAG NRW weder zwingend gegeben, wenn diese Voraussetzungen vorliegen, noch ist bei Nichtvorliegen dieser Voraussetzungen ohne Weiteres von der Würdigkeit des Bewerbers auszugehen. Unter Berücksichtigung der konkreten Tat und ihrer Folgen, des Verhaltens des Bewerbers nach der Tat, der Gesamtpersönlichkeit und der Sozialprognose für das zukünftige Verhalten des Betroffenen sowie der seit der Tat verstrichenen Zeit kann hiernach unter besonderen Umständen sowohl die Einstellung versagt werden, wenn eine Freiheitsstrafe von weniger als einem Jahr verhängt worden ist, als auch eine Einstellung – ausnahmsweise – erfolgen, wenn die Freiheitsstrafe ein Jahr überschreitet.
58Vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung, LT-Drs. 13/3197, S. 99; vgl. zum niedersächsischen Juristenausbildungsgesetz OVG Lüneburg, Urteil vom 27. November 2002 - 5 LB 114/02 -, juris, Rdn. 43 ff.
59Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob der Bewerber nur einmalig oder gar mehrfach verurteilt worden ist, da sich auch aus der Anzahl und dem zeitlichen Abstand strafrechtlicher Verurteilungen Rückschlüsse auf die charakterliche Eignung für die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst ziehen lassen. Es liegt auf der Hand, dass die wiederholte Begehung von Straftaten – selbst wenn diese für sich genommen nicht die Voraussetzungen des Regelbeispiels des § 30 Abs. 4 Nr. 1 Halbsatz 2 JAG NRW erfüllen – dagegen sprechen kann, dass der Bewerber die charakterlichen Mindestanforderungen für die Ausbildung zum Volljuristen erfüllt, im Verlaufe derer er die oben dargelegten Aufgaben im Bereich der Rechtspflege übernimmt.
60An der von § 30 Abs. 4 Nr. 1 Halbsatz 1 JAG NRW vorausgesetzten charakterlichen Eignung fehlt es darüber hinaus, wenn sich der Bewerber verfassungsfeindlich betätigt. Das JAG NRW geht insoweit vom „Leitbild“ eines Juristen aus, der aufgeschlossen ist „für die Lebenswirklichkeit im Geiste eines demokratischen und sozialen Rechtsstaates“, und zwar unabhängig davon, welche Tätigkeit der vollausgebildete Jurist später ausübt und welche Schranken dafür gelten.
61Vgl. zum hamburgischen Recht BVerfG, Beschluss vom 5. Oktober 1977 - 2 BvL 10/75 -, juris, Rdn. 42; zum niedersächsischen Recht OVG Lüneburg, Urteil vom 27. November 2002 - 5 LB 114/02 -, juris, Rdn. 40.
62Im Hinblick darauf, dass der juristische Vorbereitungsdienst in NRW nicht als Beamtenverhältnis auf Widerruf, sondern als öffentlich-rechtliches Ausbildungsverhältnis eigener Art ausgestaltet ist, setzt die Würdigkeit im Sinne des § 30 Abs. 4 Nr. 1 Halbsatz 1 JAG NRW zwar nicht voraus, dass der Bewerber die Gewähr dafür bietet, er werde jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintreten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist aber auch eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst außerhalb des Beamtenverhältnisses, einschließlich einer vorübergehenden Beschäftigung im öffentlichen Dienst zum Zwecke der Berufsausbildung, nicht völlig unbeschränkt jedermann zugänglich. Insoweit verbietet es sich jedenfalls, Bewerber, die darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, in die praktische Ausbildung zu übernehmen. Die in diesen Konstitutionsprinzipien unserer Verfassung enthaltenen Wertentscheidungen schließen es aus, dass „der Staat seine Hand dazu leiht, diejenigen auszubilden, die auf die Zerstörung der Verfassungsordnung ausgehen“.
63Vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Oktober 1977 - 2 BvL 10/75 -, juris, Rdn. 39.
64Nach diesen Maßstäben ist die Annahme des Beklagten, der Kläger sei derzeit der Aufnahme in den Vorbereitungsdienst unwürdig, nicht zu beanstanden. Die Unwürdigkeit des Klägers ergibt sich bereits aus seinen Vorstrafen, sodass es weiterer Ausführungen zur der Frage, ob die Unwürdigkeit des Klägers auch aus seiner Betätigung für die Partei „P“ und zuvor für die mittlerweile verbotene „Vereinigung K. “ folgt, nicht bedarf.
65Der Kläger ist mehrfach vorbestraft. Der Beklagte hat bei seiner Entscheidung über die Würdigkeit des Klägers zunächst lediglich die beiden aus dem von diesem vorgelegten Führungszeugnis ersichtlichen rechtskräftigen Verurteilungen durch das Amtsgericht T. wegen Beleidigung und durch das Amtsgericht T2. wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz des Landes Niedersachsen berücksichtigt.
66Bereits diese beiden Verurteilungen begründen erhebliche Zweifel an der Würdigkeit des Klägers, in den juristischen Vorbereitungsdienst aufgenommen zu werden. Dies ergibt sich zum einen im Hinblick darauf, dass der Kläger nicht nur einmalig – gewissermaßen als „Ausrutscher“ – eine Straftat begangen hat, sondern innerhalb von 10 Monaten gleich zwei Mal strafrechtlich in Erscheinung trat. Zum anderen handelte es sich bei der durch das Amtsgericht T. abgeurteilten Beleidigung um ein Delikt, das nicht nur erkennbar einen rassistischen Hintergrund hatte, sondern auch einen Polizisten betraf, der als staatlicher Beamter gerade den Kläger bei der Ausübung seines Versammlungsrechts schützte. Der Beklagte hat insoweit zutreffend festgestellt, dass gerade diese Tat Anlass zu der Besorgnis gibt, dass der Kläger der Pflicht, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln – eine der grundlegenden Anforderungen, die an (angehende) Volljuristen zu stellen sind – nicht gerecht wird.
67Vor diesem Hintergrund gehen die Versuche des Klägers, die von ihm begangene Tat als „flapsige Äußerung“ zu bagatellisieren, die im „unteren Bereich der Strafbarkeit liege“ und bei der es sich weder um ein Staatsschutzdelikt noch um ein Vermögensdelikt oder Delikt des Geheimnisverrats handele, fehl. Zwar trifft es zu, dass das Landgericht C1. in seinem Berufungsurteil davon ausging, dass das Gesamtbild der Tat im Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle liege. Diese Wertung des Landgerichts erfolgte aber ausschließlich im Rahmen der Strafzumessung, bei der es darum geht, unter Berücksichtigung der Schwere der Tat die zur Einwirkung auf den Täter notwendige und angemessene Strafhöhe zu ermitteln. Aber weder die strafrechtliche Einordnung der Schwere der Tat noch die vom Landgericht getroffene strafrechtliche Sozialprognose sind von entscheidender Bedeutung im Hinblick auf die Frage der Würdigkeit eines Bewerbers im Sinne des § 30 Abs. 4 Nr. 1 JAG NRW. Die Kammer berücksichtigt insoweit, dass es sich bei den vom Kläger begangenen Straftaten nicht um solche handelt, die dem Bereich schwerer Kriminalität zuzuordnen sind. Sie geht aber davon aus, dass bei einem vorbestraften Bewerber, der unter anderem wegen einer rassistisch beleidigenden Äußerung gegenüber einem zu seinem Schutz bestellten Polizisten rechtskräftig verurteilt wurde und diese Tat als „flapsige Äußerung“ zu bagatellisieren sucht, erhebliche Zweifel bestehen, dass er es mit der Einhaltung der Rechtsordnung, deren Pflege er während des Referendariats zum Teil eigenverantwortlich übernehmen soll, hinreichend genau nimmt und insoweit die charakterlichen Voraussetzungen für die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst erfüllt.
68Im Hinblick auf diese Erwägungen ist es auch unschädlich, dass die vom Amtsgericht T2. und Landgericht C1. ausgeurteilten Strafen von 20 Tagessätzen Geldstrafe und 3 Monaten Freiheitsstrafe deutlich hinter der von § 30 Abs. 4 Nr. 1 Halbsatz 2 JAG NRW vorausgesetzten einjährigen Freiheitsstrafe zurück bleiben. Dies gilt insbesondere, weil es sich hierbei lediglich um ein Regelbeispiel handelt, das – wie dargelegt – nicht zwingend erfüllt sein muss, um von einer Unwürdigkeit ausgehen zu können.
69Es kann dahinstehen, ob bereits diese beiden Verurteilungen die Feststellung der Unwürdigkeit des Klägers tragen, da nach Auffassung der Kammer auch die weiteren im Bundeszentralregister eingetragenen Verurteilungen des Klägers zu berücksichtigen sind. Denn nach § 51 Abs. 1 Bundeszentralregistergesetz - BZRG - darf eine Tat und die Verurteilung dem Betroffenen nur dann im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden, wenn die Eintragung der Verurteilung im Register getilgt worden oder zu tilgen ist. Diese Voraussetzungen liegen für die Eintragungen, die sowohl das Landgericht C1. in seinem Berufungsurteil vom 28. Oktober 2013 als auch zuletzt das Amtsgericht C. in seinem Urteil vom 6. Februar 2015 berücksichtigt haben, nicht vor. Unter diesen Eintragungen befinden sich die oben im Einzelnen aufgeführten Verurteilungen.
70Diese Verurteilungen waren wegen § 38 Abs. 2 Nr. 3 BZRG zwar nicht in das vom Kläger beantragte Führungszeugnis aufzunehmen, da die beiden Verurteilungen des Landgerichts C1. und des Amtsgerichts T2. , die nach § 38 Abs. 1 BZRG eine (Wieder-)Aufnahme auch der vorherigen Verurteilungen in das Führungszeugnis hätten bewirken können, die erforderlichen „Schwellenwerte“ des § 38 Abs. 2 Nr. 3 BZRG nicht überschritten. Sie waren aber weder getilgt noch tilgungsreif, da nach § 47 Abs. 3 Satz 1 BZRG in Fällen, in denen im Register mehrere Verurteilungen eingetragen sind, die Tilgung einer Eintragung erst zulässig ist, wenn für alle Verurteilungen die Voraussetzungen der Tilgung vorliegen (Grundsatz der Unteilbarkeit des Registerinhalts bei Verurteilungen).
71Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juni 2014 - 10 C 4/14 -, juris, Rdn. 15.
72Die Tilgungsfrist für die letzte Eintragung (Verurteilung durch das Amtsgericht T2. am 14. August 2013) beträgt gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 2 lit. a BZRG zehn Jahre, da der Kläger zu einer Geldstrafe verurteilt worden ist und die Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 Nr. 1 lit. a BZRG im Hinblick auf die bereits vorhandenen Eintragungen von Jugendstrafen und Freiheitsstrafen nicht vorliegen. Eine Tilgung der vorangegangenen Verurteilungen kommt insoweit nach § 47 Abs. 3 Satz 1 BZRG frühestens nach Ablauf dieser Frist in Betracht.
73Ein Verwertungsverbot besteht auch nicht wegen rechtswidriger Kenntniserlangung. Dabei kann dahinstehen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Einstellungsbehörden Verurteilungen, von denen sie auf rechtswidrige Weise Kenntnis erlangt haben, bei ihren Entscheidungen außer Acht lassen müssen
74- vgl. zur Frage eines entsprechenden Verwertungsverbots im Staatsangehörigkeitsrecht BVerwG, Urteil vom 5. Juni 2014 - 10 C 4/14 -, juris, Rdn. 23, i. E. offen gelassen -,
75denn der Präsident des Oberlandesgerichts I. hat von den nicht im Führungszeugnis aufgeführten Verurteilungen des Klägers auf rechtmäßige Weise Kenntnis erlangt.
76Der Umstand, dass der Präsident des Oberlandesgerichts I. als zuständige Einstellungsbehörde (§ 30 Abs. 2 JAG NRW) nicht zum Kreis der nach § 41 Abs. 1 BZRG unbeschränkt auskunftsberechtigten Stellen zählt und daher nicht selbst einen unbeschränkten Bundeszentralregisterauszug anfordern konnte, aus dem die vorgenannten Verurteilungen des Klägers ersichtlich gewesen wären, steht einer rechtmäßigen Kenntniserlangung auf anderem Wege nicht entgegen.
77Vgl. zu § 41 Abs. 3 BZRG BVerwG, Urteil vom 5. Juni 2014 - 10 C 4/14 -, juris, Rdn. 24.
78Denn § 41 Abs. 1 BZRG enthält im Gegensatz zu § 51 Abs. 1 BZRG lediglich eine abschließende Aufzählung der unbegrenzt auskunftsberechtigten Stellen, nicht aber ein Verwertungsverbot, wenn auf andere Weise Kenntnis von den nicht in ein Führungszeugnis aufzunehmenden Eintragungen erlangt wird. Ziel des § 51 Abs. 1 BZRG ist es, eine Verwertung zum Nachteil des Betroffenen zu verhindern, wenn auf andere Weise Kenntnisvon getilgten oder tilgungsreifen Eintragungen erlangt wurde.
79Vgl. Götz, Bundeszentralregistergesetz, 1972, § 49 a.F., Rdn. 4.
80Hier hat der Präsident des Oberlandesgerichts I. als Einstellungsbehörde nicht von der Registerbehörde, sondern aus den von ihm beigezogenen Strafakten der Amtsgerichte T2. und T. , die jeweils eine Ablichtung des rechtskräftigen erstinstanzlichen bzw. zweitinstanzlichen Urteils (Landgericht C1. ) enthielten, Kenntnis von den Verurteilungen des Klägers erlangt. Die Beiziehung war auch rechtmäßig, da der Kläger zuvor eine entsprechende schriftliche Einwilligungserklärung abgegeben hatte, vgl. § 4 Abs. 1 i.V.m § 4 a Abs. 1 Satz 1 Bundesdatenschutzgesetz - BDSG -.
81Aus den nach alledem zu berücksichtigenden weiteren Verurteilungen des Klägers folgt ohne weiteres, dass er jedenfalls derzeit der Zulassung zum juristischen Vorbereitungsdienst unwürdig ist. Denn die Verurteilungen stellen zum Teil für sich genommen, jedenfalls aber in ihrer Gesamtheit einen schweren Verstoß gegen das Recht dar, das dem Kläger während des Vorbereitungsdienstes zur mitunter eigenverantwortlichen Pflege anvertraut werden würde. Danach verbietet es sich, den Kläger derzeit in den Vorbereitungsdienst aufzunehmen.
82Die Verurteilungen ergeben das Bild eines über viele Jahre hinweg in regelmäßigen Abständen von etwa ein bis maximal zwei Jahren immer wieder strafrechtlich erheblich in Erscheinung tretenden Bewerbers, den bislang weder vorangegangene Verurteilungen, noch laufende Bewährungsstrafen oder sein Studium der Rechtswissenschaft zur Einhaltung der Rechtsordnung bewegen konnten. In dieses Bild fügt sich die Eintragung des Kläger in seinem Profil im sozialen Netzwerk vom 14. Juli 2013 ein, in der er – gekennzeichnet als Zitat, aber ohne Angabe des Urhebers (Bertolt Brecht) – ausführt:
83„In Erwägung unserer Schwäche machtet
84ihr Gesetze, die uns knechten soll'n.
85Die Gesetze seien künftig nicht beachtet
86in Erwägung, daß wir nicht mehr Knecht sein woll'n.
87In Erwägung, daß ihr uns dann eben
88mit Gewehren und Kanonen droht,
89haben wir beschlossen, nunmehr schlechtes Leben
90mehr zu fürchten als den Tod.“
91Danach bestehen erhebliche Zweifel daran, dass der Kläger gewillt ist, die Rechtsordnung als für sich verbindlich anzuerkennen und sein Verhalten daran auszurichten. Bezeichnend ist daher auch die weitere, inzwischen rechtskräftig gewordene Verurteilung des Klägers wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung durch das Amtsgericht C. vom 6. Februar 2015, die erst im Verlaufe des vorliegenden Verfahrens bekannt wurde. Vor dem Hintergrund der kontinuierlichen Begehung der Straftaten kann dem Kläger auch nicht entscheidend zu Gute gehalten werden, dass einige der Verurteilungen bereits mehrere Jahre zurückliegen.
92Die Bandbreite der vom Kläger begangenen Straftaten ist erheblich. Sie reicht von Staatsschutzdelikten (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen), über eine Straftat gegen die öffentliche Ordnung (Volksverhetzung) und mehrfache Beleidigung bis hin zu Straftaten, die die Anwendung von körperlicher Gewalt beinhalteten (Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte). Dabei zeigt die Begehung der zuletzt genannten Straftaten durch den Kläger, dass er in Konfliktsituationen im Zweifel auch nicht davor zurückschreckt, Gewalt anzuwenden.
93Im Übrigen lässt auch der Umstand, dass der Kläger entgegen seiner prozessualen Wahrheitspflicht (§ 138 Abs. 1 ZPO) in seiner Klageschrift vom 21. April 2015 behauptet, seit der Verurteilung durch das Amtsgericht T. wegen Beleidigung sei es lediglich zu einem Strafbefehl wegen Verstoßes gegen das niedersächsische Versammlungsgesetz gekommen – obwohl er zwischenzeitlich durch das Amtsgericht C. wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung verurteilt worden war – darauf schließen, dass er die charakterlichen Mindestanforderungen, die an einen Referendar im juristischen Vorbereitungsdienst zu stellen sind, nicht erfüllt. Dieses Verhalten des Klägers zeigt, dass er um seines Vorteils willen nicht vor Rechtsverletzungen zurückschreckt. Vor diesem Hintergrund kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger bereits gegenüber dem Beklagten verpflichtet gewesen wäre, auf das gegen ihn geführte Strafverfahren, von dem er spätestens seit der Übersendung der auf den 5. November 2014 datierten Anklageschrift Kenntnis erlangt hatte, oder jedenfalls auf die erstinstanzliche Verurteilung, hinzuweisen.
94Dies gilt gleichermaßen für die weiteren, gegen den Kläger geführten Ermittlungs- bzw. Strafverfahren. Auch insoweit kann dahinstehen, ob er verpflichtet gewesen wäre, den Beklagten nach Kenntniserlangung über die Verfahren zu informieren. Denn die Verfahren lassen auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich weder um rechtskräftige Verurteilungen handelt noch feststeht, ob es überhaupt zu einer Verurteilung kommen wird, Rückschlüsse in Bezug auf die Unwürdigkeit des Klägers insoweit zu, als sich daraus tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme ergeben, dass sich der Kläger nach wie vor mit seinem Verhalten jedenfalls im Grenzbereich zur Strafbarkeit bewegt und daher keine deutliche Abkehr von dem Verhalten erkennen lässt, das ‑ wie soeben dargelegt ‑ seine Unwürdigkeit begründet.
95Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über deren vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.
(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.
(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird geändert.
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, vorläufig - bis zu einer Beendigung ihrer Leistungspflicht nach § 86c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, längstens bis zum 31. Juli 2015 - die Kosten zu übernehmen, die für die Begleitung des Kindes L. K. durch eine geeignete Kraft für die Zeit des Besuchs der integrativen Kindertageseinrichtung „Q. “ in T. entstehen.
Der Antrag, die Stadt T. beizuladen, wird abgelehnt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens beider Rechtszüge.
1
G r ü n d e :
2Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist auch begründet. Mit ihrem nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO der Prüfung zugrundezulegenden Beschwerdevorbringen hat die Antragstellerin glaubhaft gemacht hat, dass ein Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund für die begehrte vorläufige Regelung entgegen der rechtlichen Wertung des Verwaltungsgerichts bestehen.
3Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies erfordert die Glaubhaftmachung sowohl eines Anordnungsanspruchs als auch eines Anordnungsgrundes (§ 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO, § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB X).
4Wird mit der begehrten Regelung die Hauptsache vorweggenommen, gelten gesteigerte Anforderungen an das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs, indem ein hoher Grad der Wahrscheinlichkeit dafür sprechen muss, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist.
5Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 2013 - 10 C 9.12 -, NVwZ 2013, 1344, juris; Beschlüsse vom 13. August 1999 - 2 VR 1.99 -, BVerwGE 109, 258, juris, und vom 14. Dezember 1989 - 2 ER 301.89 -, Buchholz 310 § 123 VwGO Nr. 15, juris; OVG NRW, Beschlüs-se vom 27. Januar 2014 - 12 B 1422/13 -, juris, vom 15. Januar 2014 - 12 B 1478/13 -, juris, Beschlüsse vom 14. Februar 2013 - 12 B 107/13 -, juris, vom 27. Juni 2012 - 12 B 426/12 -, juris, vom 21. Februar 2011 - 13 B 1722/10 -, juris, vom 8. Januar 2010
6- 19 B 1004/09 -, NWVBl 2010, 328, juris, und vom 16. März 2007 - 7 B 134/07 -, NVwZ-RR 2007, 661, juris.
7Überdies kommt eine Vorwegnahme der Hauptsache nur in Betracht, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später nicht wieder gut zu machende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre.
8Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 27. Januar 2014
9- 12 B 1422/13 -, juris, vom 15. Januar 2014
10- 12 B 1478/13 -, juris, vom 14. Juni 2012
11- 12 B 433/12 -, juris, vom 29. September 2011
12- 12 B 983/11 -, juris, und vom 20. Januar 2010
13- 12 B 1655/09 -, juris; BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 1988 - 2 BvR 745/88 -, BVerfGE 79, 69, juris, m. w. N.
14Diese Voraussetzungen für eine zeitweilige Vorwegnahme der Hauptsache liegen in beiderlei Hinsicht vor.
15Der Senat sieht es als hochgradig wahrscheinlich an, dass die Antragstellerin die Übernahme der Kosten für die im Streit stehende Begleitung ihres Mündels L. K. als Leistung zu dessen Unterhalt gemäß § 39 SGB VIII beanspruchen kann. Da sich aus dieser Vorschrift indes kein Anspruch auf Bewilligung oder Gewährung der Begleitung selbst ableiten lässt, war der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in analoger Anwendung von § 88 VwGO entsprechend umzudeuten. Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Erweiterung des Aktivrubrums hat der Senat rückgängig gemacht; ihrer bedarf es nicht, da Ansprüche nach § 39 SGB VIII allein der personensorgeberechtigten Antragstellerin zustehen und eine Prüfung weiterer Anspruchsgrundlagen, auf die sich nur das Mündel der Antragstellerin berufen könnte, entbehrlich ist.
16Wird Hilfe nach § 33 SGB VIII (Vollzeitpflege) gewährt, wie es im Falle des Mündels der Antragstellerin geschieht, so hat der Jugendhilfeträger - hier die Antragsgegnerin - gemäß § 39 Abs. 1 SGB VIII auch den notwendigen Unterhalt des Kindes außerhalb des Elternhauses sicherzustellen (Satz 1); dieser notwendige Unterhalt umfasst die Kosten für den Sachaufwand sowie für die Pflege und Erziehung des Kindes (Satz 2). Der gesamte regelmäßig wiederkehrende Bedarf soll nach § 39 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII durch laufende Leistungen gedeckt werden; dabei sind die laufenden Leistungen im Rahmen der Hilfe zur Vollzeitpflege nach den Absätzen 4 bis 6 zu bemessen, vgl. § 39 Abs. 2 Satz 4 SGB VIII. Gemäß § 39 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII sollen die laufenden Leistungen auf der Grundlage der tatsächlichen Kosten gewährt werden, sofern sie einen angemessenen Umfang nicht übersteigen; sie sollen in einem monatlichen Pauschalbetrag gewährt werden, soweit nicht nach der Besonderheit des Einzelfalls abweichende Leistungen geboten sind, vgl. § 39 Abs. 4 Satz 3 SGB VIII.
17Die Kosten, die für die Begleitung des Kindes L. K. durch eine geeignete Kraft für die Zeit des Besuchs der integrativen Kindertageseinrichtung „Q. “ in T. entstehen, dürften Teil des notwendigen Unterhalts i. S. v. § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sein.
18Allerdings ist das Verwaltungsgericht wohl zu Recht davon ausgegangen, dass es sich insoweit nicht um Kosten für die Pflege und Erziehung handeln kann. Denn diese Alternative des § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII umfasst (nur) finanzielle Aufwendungen im Hinblick auf die erzieherischen Leistungen der Erziehungs- bzw. Pflegepersonen, also die Vergütung der Pflegeperson bei Vollzeitpflege und der pädagogischen Fachkräfte in Einrichtungen.
19Vgl. v. Koppenfels-Spies, jurisPK-SGB VIII, 1. Auflage 2014, § 39 Rn. 15; Tammen, in: FK-SGB VIII, 7. Auflage 2013, § 39 Rn. 8; Stähr, in: Hauck/Noftz, SGB VIII, Stand Dezember 2014, § 39 Rn. 9 u. 14; BT-Drs. 16/9299, S. 16.
20Sie greift im Falle der Vollzeitpflege mithin nicht, wenn Leistungen nicht im Rahmen des Pflegeverhältnisses durch die Pflegeperson selbst, sondern außerhalb dessen durch Dritte erbracht werden sollen, wie es hier vorgesehen ist.
21Gleichwohl spricht viel, wenn nicht alles dafür, dass die in Rede stehenden Aufwendungen dem Sachaufwand i. S. d. § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII zuzurechnen sind. Damit werden diejenigen Kosten bezeichnet, welche für Unterkunft, Ernährung, Bekleidung und Dinge des persönlichen Bedarfs entstehen.
22Vgl. v. Koppenfels-Spies, a. a. O., § 39 Rn. 14; Tammen, a. a. O., § 39 Rn. 7; Stähr, a. a. O., § 39 Rn. 9; Wiesner, SGB VIII, 4. Auflage 2011, § 39 Rn. 13; BT-Drs. 16/9299, S. 16.
23Die streitige Begleitung gehört zu dem „persönlichem Bedarf“ des Mündels der Antragstellerin. Der konkrete Inhalt dieses Begriffs ist auch in Anlehnung an das sozialhilferechtliche Verständnis des notwendigen Lebensunterhalts zu definieren, das für das Kinder- und Jugendhilferecht jedenfalls eine Orientierung im Sinne einer nicht zu unterschreitenden Mindestleistung bietet.
24Vgl. v. Koppenfels-Spies, a. a. O., § 39 Rn. 14; Stähr, a. a. O., § 39 Rn. 10; Fischer, in: Schellhorn/Fischer/Mann/Kern, SGB VIII, 4. Auflage 2012, § 39 Rn. 15; vgl. auch Tammen, a. a. O., § 39 Rn. 7; Kunkel, in: LPK-SGB VIII, 5. Auflage 2014, § 39 Rn. 6.
25Insofern ist für die Bestimmung des Umfangs des in § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII angesprochenen notwendigen Unterhalts zu berücksichtigen, dass nach den §§ 20 Abs. 1 Satz 2 SGB II, 27 Abs. 1 Satz 2 SGB XII zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens in vertretbarem Umfang eine Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft gehört, wobei die letztgenannte Vorschrift ergänzend regelt, dass dies „in besonderem Maß für Kinder und Jugendliche“ gilt. In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass sich der Bedarf eines Kindes nach seinen Entwicklungsphasen richtet und nach dem, was für seine Persönlichkeitsentfaltung erforderlich ist.
26Vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010
27- 1 BvL 1/09 u. a. -, BVerfGE 125, 175, juris (Rn. 191); zu diesem Aspekt auch: Wiesner, a. a. O., § 39 Rn. 11.
28Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass angemessene Aufwendungen, die für die Realisierung des dem Mündel der Antragstellerin angesichts seines rechtmäßigen Aufenthalts im Inland (vgl. § 6 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII) nach § 24 SGB VIII zustehenden gesetzlichen Anspruchs auf Förderung in einer Tageseinrichtung bzw. in der Kindertagespflege erforderlich sind, jedenfalls auch der Durchsetzung eines Mindestmaßes an gesellschaftlicher Teilhabe dienen - unbeschadet weiterer Zwecke, die mit einer solchen Förderung verfolgt werden - und schon daher im Ergebnis dem notwendigen Unterhalt i. S. d. § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII unterfallen. Dass die in den §§ 22 ff. SGB VIII verankerte Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und Tagespflege auch auf eine altersgerechte Sozialisation zielt, ergibt sich bereits aus § 22 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 SGB VIII („Tageseinrichtungen … und Kindertagespflege sollen die Entwicklung des Kindes zu einer … gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit fördern“; „Förderauftrag … bezieht sich auf die soziale … Entwicklung des Kindes“) und spiegelt sich auch in den Gesetzesbegründungen zum Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG) und Kinderförderungsgesetz (KiföG) wider.
29Vgl. zum TAG: BT-Drs. 15/3676, S. 24: „Förderung in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege muss nicht nur unterschiedlichen Begabungen Rechnung tragen, sondern auch gesellschaftliche und individuelle Benachteiligungen ausgleichen und damit Chancengerechtigkeit für Kinder schaffen. Jede Förderung, die Kindern in diesem Alter zugute kommt, wirkt sich positiv auf den weiteren Weg in Schule und Ausbildung aus und sichert damit Lebenschancen. Andererseits werden durch eine unzureichende Förderung von Kindern in dieser Altersgruppe die Weichen für Benachteiligung, Desintegration und Dissozialität gestellt. … Ein qualifiziertes Angebot vielfältiger Formen der Tagesbetreuung ist ein Gewinn für die Gesellschaft. … Das gilt besonders für Kinder mit Migrationshintergrund, deren Integration der Gesellschaft Stabilität sichert und eine wichtige Zukunftsressource erschließt.“ - S. 31 (zu § 22 SGB VIII): „Absatz 2 benennt die Ziele der Förderung und betont dabei die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes im Sinne des Erwerb von Ich-, Sozial- und Sachkompetenz …“. - Vgl. zum KiföG: BT-Drs. 16/9299, S. 1: „Jedes Kind braucht von Geburt an die realistische Chance auf eine optimale Förderung seiner individuellen und sozialen Entwicklung.“ - S. 2: „Unterstützung der individuellen und sozialen Kompetenzen des Kindes“.
30In dieses Verständnis fügt sich ein, dass Kindergartenbeiträge, die für das Pflegekind anfallen, dem notwendigen Unterhalt i. S. d. § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zugerechnet werden.
31Vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 9. November 2001 - 19 K 3938/99 -, NVwZ-RR 2002, 585; Stähr, a. a. O., § 39 Rn. 10, 21a; Fischer, a. a. O., § 39 Rn. 15 f.; Kunkel, a. a. O., § 39 Rn. 12; Wiesner, a. a. O., § 39 Rn. 18; Küfner/Schönecker, in: Kindler u. a., Handbuch Pflegekinderhilfe, 2010, B.1.6, S. 83.
32Kosten für den Sachaufwand, die der Jugendhilfeträger nach § 39 SGB VIII zu übernehmen hat, können aber auch in anderer als nur beitragsrechtlicher Hinsicht durch den Besuch einer Kindertageseinrichtung veranlasst sein. So ist nach den vorliegenden ärztlichen und pädagogischen Erkenntnissen, die von der Antragsgegnerin nicht in Frage gestellt worden sind und an deren Richtigkeit zu zweifeln auch kein Anlass besteht, davon auszugehen, dass nur die hier im Streit stehende persönliche Begleitung es dem Mündel der Antragstellerin ermöglicht, eine integrative Kindertagesstätte zu besuchen.
33Dürfte es sich bei der Begleitung mithin grundsätzlich um Sachaufwand i. S. d. § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII handeln, gehört dieser auch zu dem regelmäßig wiederkehrenden Bedarf, der gemäß § 39 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII durch laufende Leistungen gedeckt werden soll. Soweit unter Bezugnahme auf Rechtsprechung aus dem Bereich des Sozialhilferechts vertreten wird, ein Bedarf sei „regelmäßig wiederkehrend“, wenn er ohne Besonderheiten des Einzelfalls bei vielen Hilfeempfängern gleichermaßen besteht und nicht einmalig ist,
34so jeweils m. H. a. BVerwG, Urteil vom 28. März 1996 - 5 C 33.95 -, BVerwGE 101, 34: v. Koppenfels-Spies, a. a. O., § 39 Rn. 16; Stähr, a. a. O., § 39 Rn. 16; Fischer, a. a. O., § 39 Rn. 18,
35ist diese Definition nicht uneingeschränkt auf § 39 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII zu übertragen. Denn aus § 39 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2 SGB VIII erschließt sich, dass Besonderheiten des Einzelfalles einer Gewährung laufender Leistungen nicht entgegenstehen; sind nach dieser Vorschrift nämlich von dem monatlichen Pauschalbetrag abweichende Leistungen geboten, können diese gleichwohl laufend zu gewähren sein. Mithin reicht es für die Bejahung eines regelmäßig wiederkehrenden Bedarfs im vorliegenden Fall aus, dass die Begleitung des Mündels der Antragstellerin nicht nur einmalig, sondern voraussichtlich für jeden Tag des Besuchs der Kindertagesstätte erforderlich ist.
36Die Antragstellerin hat insoweit auch einen Anspruch auf Bewilligung abweichender Leistungen nach § 39 Abs. 4 Satz 3 SGB VIII, weil es sich um einen außergewöhnlichen Aufwand handelt, der nicht bereits mit dem Pauschalbetrag für die „materiellen Aufwendungen“ nach dem aktuellen Runderlass des Ministeriums für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport vom 7. November 2014 (MBl. NRW S. 693) abgedeckt ist. Ein solcher Sonderaufwand kann durch Krankheiten oder Behinderungen des Pflegekindes begründet sein,
37vgl. v. Koppenfels-Spies, a. a. O., § 39 Rn. 27; Stähr, a. a. O., § 39 Rn. 21a; Fischer, a. a. O., § 39 Rn. 26; Wiesner, a. a. O., § 39 Rn. 34; Tammen, a. a. O., § 39 Rn. 20,
38so wie es für das Mündel der Antragstellerin aufgrund seiner nachgewiesenen schweren Herzerkrankung der Fall ist.
39Die voraussichtlich entstehenden Aufwendungen für die Begleitung dürften auch nicht einen angemessenen Umfang übersteigen, der gemäß § 39 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII die Obergrenze für eine Gewährung laufender Leistungen auf der Grundlage tatsächlicher Kosten bildet. Die Angemessenheit der Kosten ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen.
40Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28. Januar 2013 - 12 A 755/12 -, juris; Kunkel, a. a. O., § 39 Rn. 19.
41Hier bestehen keine zureichenden Anhaltspunkte dafür, dass der mit der Begleitung verbundene Kostenaufwand auch in Relation zu dem zu erwartenden Nutzen unangemessen hoch wäre. Wie bereits angesprochen, ist die Begleitung Voraussetzung für den Besuch der Kindertagesstätte. In dieser erhält das Mündel der Antragstellerin eine regelmäßige Förderung durch die pädagogischen Fachkräfte der Einrichtung und kann zugleich Möglichkeiten der sozialen Interaktion mit gleichaltrigen Kindern nutzen, die ihm außerhalb der Institution nicht geboten sein dürften. Das wird seiner Entwicklung und Persönlichkeitsbildung aller Voraussicht nach in erheblichem Maße zugutekommen. Auf der anderen Seite stehen die zu erwartenden Kosten nicht außer Verhältnis zu diesen Vorteilen. Dafür spricht auch, dass die begleitende Kraft keine besondere fachliche - insbesondere medizinische oder pädagogische - Ausbildung benötigen dürfte, um ihre Funktion sachgerecht erfüllen zu können. Ausweislich der Stellungnahme der Kindertagesstätte vom 8. April 2014 geht es vor allem darum, das Kind aufmerksam zu beobachten, es vor Überforderung zu schützen und vorausschauend Situationen zu vermeiden, die es aufregen und gefährden könnten. Diese Aufgabe sollte auch von einer Person ohne Fachausbildung zu erfüllen sein, sofern sie sorgsam angeleitet wird und das nötige Verantwortungsbewusstsein mitbringt.
42Schließlich steht auch zu befürchten, dass dem Mündel der Antragstellerin ohne den Besuch der Kindertageseinrichtung schwerwiegende und irreparable Nachteile drohen. Die Antragstellerin verweist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf, dass ihr Mündel aufgrund seiner Konstitution in besonderem Maße der sozialen Teilhabe und frühkindlichen Förderung bedarf und dass einmal eingetretene Entwicklungseinbußen nachträglich kaum wettzumachen sind und ihrerseits zu gravierenden weiteren Folgen führen können.
43Aufgrund der eigenen, nachfolgend nicht aktualisierten Ausführungen der Antragsgegnerin in ihrer Beschwerdeerwiderung vom 27. November 2014, S. 6, geht der Senat geht davon aus, dass die Antragsgegnerin trotz eines Zuständigkeitswechsels nach § 86 Abs. 6 SGB VIII auf das Jugendamt der Stadt T. derzeit noch gemäß § 86c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII für die Fortführung der Vollzeitpflege leistungsverpflichtet ist. Wenn in deren Rahmen nunmehr weitere Kosten durch den Jugendhilfeträger zu übernehmen sind, stellt dies für sich gesehen keine neue Leistung dar, die nicht fortsetzungsfähig i. S. d. § 86c SGB VIII wäre.
44Vgl. zu der Problematik OVG NRW, Beschluss vom 7. April 2011 - 12 B 392/11 -, juris.
45Sobald der nunmehr zuständige örtliche Träger die Leistung fortsetzt, endet allerdings die Leistungspflicht der Antragsgegnerin, so dass dann auch die mit dem vorliegenden Beschluss ausgesprochene einstweilige Anordnung tenorgemäß wirkungslos wird. Daneben erschien es sachgerecht, die zeitliche Wirkung der einstweiligen Anordnung jedenfalls auf das Ende des laufenden Kindergartenjahres (31. Juli 2015) zu begrenzen, um Gelegenheit zu geben, vor einer fortführenden Regelung zunächst die bis dahin gewonnenen Erfahrungen zu evaluieren.
46Ob die Antragsgegnerin die Ermöglichung einer umfassenden Förderung des Mündels der Antragstellerin in einer Kindertageseinrichtung zum Anlass nehmen kann, die laufend gewährten Leistungen für die Pflege und Erziehung durch seine Pflegeeltern wegen des geringeren Betreuungsaufwandes zu reduzieren, bleibt von ihr in eigener Verantwortung zu prüfen.
47Der Antrag der Antragstellerin, die Stadt T. beizuladen, hat keinen Erfolg. Ein Fall notwendiger Beiladung im Sinne von § 65 Abs. 2 VwGO liegt nicht vor. In Ausübung des ihm durch § 65 Abs. 1 VwGO eingeräumten Ermessens sieht der Senat angesichts der - nach Lage der Akten - derzeit noch bestehenden Leistungspflicht der Antragsgegnerin von einer Beiladung der Stadt T. ab.
48Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO.
49Der Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
Der Rechtsanwalt ist ein unabhängiges Organ der Rechtspflege.
Zur Rechtsanwaltschaft kann nur zugelassen werden, wer
- 1.
die Befähigung zum Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz erlangt hat, - 2.
die Eingliederungsvoraussetzungen nach Teil 3 des Gesetzes über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland erfüllt oder - 3.
über eine Bescheinigung nach § 16a Absatz 5 des Gesetzes über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland verfügt.
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.
(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.
(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.
(1) Die Befähigung zum Richteramt erwirbt, wer ein rechtswissenschaftliches Studium an einer Universität mit der ersten Prüfung und einen anschließenden Vorbereitungsdienst mit der zweiten Staatsprüfung abschließt; die erste Prüfung besteht aus einer universitären Schwerpunktbereichsprüfung und einer staatlichen Pflichtfachprüfung.
(2) Studium und Vorbereitungsdienst sind inhaltlich aufeinander abzustimmen.
(1) Die Ernennung ist mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn
- 1.
sie durch Zwang, arglistige Täuschung oder Bestechung herbeigeführt wurde, - 2.
dem Dienstherrn zum Zeitpunkt der Ernennung nicht bekannt war, dass die ernannte Person vor ihrer Ernennung ein Verbrechen oder Vergehen begangen hat, aufgrund dessen sie vor oder nach ihrer Ernennung rechtskräftig zu einer Strafe verurteilt worden ist und das sie für die Berufung in das Beamtenverhältnis als unwürdig erscheinen lässt, - 3.
die Ernennung nach § 7 Abs. 2 nicht erfolgen durfte und eine Ausnahme nach § 7 Abs. 3 nicht zugelassen war und die Ausnahme nicht nachträglich erteilt wird oder - 4.
eine durch Landesrecht vorgeschriebene Mitwirkung einer unabhängigen Stelle oder einer Aufsichtsbehörde unterblieben ist und nicht nachgeholt wurde.
(2) Die Ernennung soll zurückgenommen werden, wenn nicht bekannt war, dass gegen die ernannte Person in einem Disziplinarverfahren auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis oder auf Aberkennung des Ruhegehalts erkannt worden war. Dies gilt auch, wenn die Entscheidung gegen eine Beamtin oder einen Beamten der Europäischen Union oder eines Staates nach § 7 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 ergangen ist.
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(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.
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- 1.
die Befähigung zum Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz erlangt hat, - 2.
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über eine Bescheinigung nach § 16a Absatz 5 des Gesetzes über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland verfügt.
(1) Der Antrag des Beschuldigten nach § 141 Absatz 1 Satz 1 ist vor Erhebung der Anklage bei den Behörden oder Beamten des Polizeidienstes oder bei der Staatsanwaltschaft anzubringen. Die Staatsanwaltschaft legt ihn mit einer Stellungnahme unverzüglich dem Gericht zur Entscheidung vor, sofern sie nicht nach Absatz 4 verfährt. Nach Erhebung der Anklage ist der Antrag des Beschuldigten bei dem nach Absatz 3 Nummer 3 zuständigen Gericht anzubringen.
(2) Ist dem Beschuldigten im Vorverfahren ein Pflichtverteidiger gemäß § 141 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3 zu bestellen, so stellt die Staatsanwaltschaft unverzüglich den Antrag, dem Beschuldigten einen Pflichtverteidiger zu bestellen, sofern sie nicht nach Absatz 4 verfährt.
(3) Über die Bestellung entscheidet
- 1.
das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Staatsanwaltschaft oder ihre zuständige Zweigstelle ihren Sitz hat, oder das nach § 162 Absatz 1 Satz 3 zuständige Gericht; - 2.
in den Fällen des § 140 Absatz 1 Nummer 4 das Gericht, dem der Beschuldigte vorzuführen ist; - 3.
nach Erhebung der Anklage der Vorsitzende des Gerichts, bei dem das Verfahren anhängig ist.
(4) Bei besonderer Eilbedürftigkeit kann auch die Staatsanwaltschaft über die Bestellung entscheiden. Sie beantragt unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche nach ihrer Entscheidung, die gerichtliche Bestätigung der Bestellung oder der Ablehnung des Antrags des Beschuldigten. Der Beschuldigte kann jederzeit die gerichtliche Entscheidung beantragen.
(5) Vor der Bestellung eines Pflichtverteidigers ist dem Beschuldigten Gelegenheit zu geben, innerhalb einer zu bestimmenden Frist einen Verteidiger zu bezeichnen. § 136 Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend. Ein von dem Beschuldigten innerhalb der Frist bezeichneter Verteidiger ist zu bestellen, wenn dem kein wichtiger Grund entgegensteht; ein wichtiger Grund liegt auch vor, wenn der Verteidiger nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung steht.
(6) Wird dem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger bestellt, den er nicht bezeichnet hat, ist er aus dem Gesamtverzeichnis der Bundesrechtsanwaltskammer (§ 31 der Bundesrechtsanwaltsordnung) auszuwählen. Dabei soll aus den dort eingetragenen Rechtsanwälten entweder ein Fachanwalt für Strafrecht oder ein anderer Rechtsanwalt, der gegenüber der Rechtsanwaltskammer sein Interesse an der Übernahme von Pflichtverteidigungen angezeigt hat und für die Übernahme der Verteidigung geeignet ist, ausgewählt werden.
(7) Gerichtliche Entscheidungen über die Bestellung eines Pflichtverteidigers sind mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar. Sie ist ausgeschlossen, wenn der Beschuldigte einen Antrag nach § 143a Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 stellen kann.
(1) Die Befähigung zum Richteramt erwirbt, wer ein rechtswissenschaftliches Studium an einer Universität mit der ersten Prüfung und einen anschließenden Vorbereitungsdienst mit der zweiten Staatsprüfung abschließt; die erste Prüfung besteht aus einer universitären Schwerpunktbereichsprüfung und einer staatlichen Pflichtfachprüfung.
(2) Studium und Vorbereitungsdienst sind inhaltlich aufeinander abzustimmen.
(1) Sind im Register mehrere Verurteilungen eingetragen, so sind sie alle in das Führungszeugnis aufzunehmen, solange eine von ihnen in das Zeugnis aufzunehmen ist.
(2) Außer Betracht bleiben
- 1.
Verurteilungen, die nur in ein Führungszeugnis für Behörden aufzunehmen sind (§ 32 Abs. 3, 4, § 33 Abs. 2 Nr. 3), - 2.
Verurteilungen in den Fällen des § 32 Abs. 2 Nr. 1 bis 4, - 3.
Verurteilungen, durch die auf Geldstrafe von nicht mehr als neunzig Tagessätzen oder auf Freiheitsstrafe oder Strafarrest von nicht mehr als drei Monaten erkannt worden ist.
(1) Für die Feststellung und Berechnung der Frist gelten die §§ 35, 36 entsprechend.
(2) Die Tilgungsfrist läuft nicht ab, solange sich aus dem Register ergibt, daß die Vollstreckung einer Strafe oder eine der in § 61 des Strafgesetzbuchs aufgeführten Maßregeln der Besserung und Sicherung noch nicht erledigt oder die Strafe noch nicht erlassen ist. § 37 Abs. 1 gilt entsprechend.
(3) Sind im Register mehrere Verurteilungen eingetragen, so ist die Tilgung einer Eintragung erst zulässig, wenn für alle Verurteilungen die Voraussetzungen der Tilgung vorliegen. Die Eintragung einer Verurteilung, durch die eine Sperre für die Erteilung der Fahrerlaubnis für immer angeordnet worden ist, hindert die Tilgung anderer Verurteilungen nur, wenn zugleich auf eine Strafe erkannt worden ist, für die allein die Tilgungsfrist nach § 46 noch nicht abgelaufen wäre.
Tatbestand
- 1
-
Der Kläger begehrt die Erteilung einer Einbürgerungszusicherung.
- 2
-
Der 1983 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er lebt seit 1996 in Deutschland und ist Vater eines 2008 geborenen Kindes, das die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. 1997 wurde dem Kläger erstmals eine Aufenthaltserlaubnis erteilt; seit 2009 ist er im Besitz einer Niederlassungserlaubnis.
- 3
-
Im Juni 2010 stellte der Kläger beim beklagten Landkreis einen Antrag auf Einbürgerung. Die von der Staatsangehörigkeitsbehörde eingeholte Auskunft aus dem Bundeszentralregister enthielt eine Eintragung. Danach war gegen den Kläger mit Strafbefehl vom 27. März 2007 eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen festgesetzt worden. Darüber hinaus erlangte die Behörde aus der von ihr beigezogenen Ausländerakte Kenntnis davon, dass der Kläger mit Strafurteil vom 28. November 2002 zu einer Jugendstrafe von 10 Monaten verurteilt worden war. Die Vollstreckung der Strafe war zur Bewährung ausgesetzt worden. Nach Ablauf der Bewährungszeit wurde die Strafe 2005 vom Jugendgericht erlassen und der Strafmakel der Verurteilung nach § 100 JGG für beseitigt erklärt.
- 4
-
Mit Bescheid vom 11. April 2011 lehnte der Beklagte den Antrag ab und wies den hiergegen eingelegten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22. Mai 2012 zurück. Da der Kläger noch türkischer Staatsangehöriger sei, könne sein Begehren nur auf Erteilung einer Einbürgerungszusicherung gerichtet sein. Diesem Begehren stehe die Verurteilung zu einer Jugendstrafe entgegen.
- 5
-
Das Verwaltungsgericht hat die auf Erteilung einer befristeten Einbürgerungszusicherung gerichtete Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 22. August 2013 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die der Staatsangehörigkeitsbehörde bekannt gewordenen Verurteilungen stünden einer Einbürgerung entgegen. Dabei könne dahinstehen, ob es sich bei der Jugendstrafe um eine Freiheitsstrafe im Sinne des § 12a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG handele, da die zusammenzurechnenden Strafen die Schwelle der Unbeachtlichkeit nicht nur geringfügig überschritten. Die Verurteilungen unterlägen keinem Verwertungsverbot nach § 51 BZRG. Tilgungsreife trete erst 10 Jahre nach der letzten Verurteilung ein. Die Beseitigung des Strafmakels der Jugendstrafe stehe einer Tilgung im Zentralregister nicht gleich. § 41 Abs. 3 Satz 1 BZRG begründe kein dem Verwertungsverbot des § 51 BZRG gleichstehendes Berücksichtigungsverbot. Die Entmakelung führe zu einer Einschränkung des Umfangs der Auskunftserteilung, stehe der Berücksichtigung aber nicht entgegen, wenn die Staatsangehörigkeitsbehörde - wie hier - von der Jugendstrafe nicht durch Auskunft aus dem Zentralregister, sondern sonst auf rechtmäßige Weise Kenntnis erlangt habe. Die gegenteilige Auffassung des saarländischen Oberverwaltungsgerichts überzeuge nicht. Auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei nicht zu entnehmen, dass die Beseitigung des Strafmakels zu einem Verwertungsverbot führe. Zwar fehle im Staatsangehörigkeitsrecht eine § 91 Abs. 2 AufenthG entsprechende Löschungsvorschrift. Diese Vorschrift wirke sich mittelbar aber auch hier aus, da die Behörde nach einer Löschung über die Beiziehung der Ausländerakte keine Kenntnis mehr erhalte. Auch sonst sprächen keine Besonderheiten des Einbürgerungsverfahrens für ein Berücksichtungsverbot. Der Gesetzgeber habe in § 12a StAG die frühere Privilegierung für Jugendstrafen nach § 88 Abs. 2 AuslG 1990 nicht übernommen. Auch wenn der Staatsangehörigkeitsbehörde von der Registerbehörde die Verurteilung zu einer entmakelten Jugendstrafe nicht mitgeteilt werde und es von eher zufälligen Umständen des Einzelfalles abhänge, ob sie hiervon auf rechtmäßigem Wege gleichwohl Kenntnis erlange, obliege eine Änderung der bestehenden Rechtslage allein dem Gesetzgeber. Die Erfüllung des Straffreiheitserfordernisses sei gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2 StAG auch Voraussetzung für eine Einbürgerung im Ermessenswege. Umstände, die ein Absehen gemäß § 8 Abs. 2 StAG rechtfertigen könnten, seien weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
- 6
-
Der Kläger macht mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision geltend, dass die Jugendstrafe nach der Strafmakelbeseitigung nicht mehr berücksichtigt werden dürfe. Staatsangehörigkeitsbehörde und Gerichte hätten von dieser Verurteilung auch nicht rechtmäßig Kenntnis erlangt, da die Ausländerbehörde das Strafurteil aus den Akten hätte entfernen müssen. Mit Blick auf die Zufälligkeit der Kenntniserlangung sei eine Einbürgerungszusicherung zumindest zur Vermeidung einer unbilligen Härte zu erteilen.
- 7
-
Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.
- 8
-
Der Kläger ist während des Revisionsverfahrens umgezogen. Der Beklagte hat mitgeteilt, dass er das Verfahren mit Zustimmung der für den neuen Wohnort zuständigen Staatsangehörigkeitsbehörde fortführt.
Entscheidungsgründe
- 9
-
Die Revision des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers ohne Verstoß gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO) zurückgewiesen. Die auf Erteilung einer Einbürgerungszusicherung gerichtete Verpflichtungsklage richtet sich gegen den richtigen Beklagten (1.). Der Kläger hat aber keinen Anspruch auf die begehrte Zusicherung, da er nach Aufgabe seiner türkischen Staatsangehörigkeit weder die weiteren Voraussetzungen für eine Anspruchseinbürgerung nach § 10 StAG noch diejenigen für eine Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG erfüllen würde. Der Anspruchseinbürgerung stehen die Verurteilungen entgegen (2.). Diese stellen materiell ein Einbürgerungshindernis dar (2.1). Sie unterliegen keinem Verwertungsverbot nach § 51 BZRG (2.2). Der Berücksichtigung der gegen den Kläger verhängten Jugendstrafe steht auch nicht entgegen, dass diese Strafe nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen und der Strafmakel gemäß § 100 JGG für beseitigt erklärt worden ist (2.3). Mangels Erfüllung des Straffreiheitserfordernisses scheidet eine Ermessenseinbürgerung ebenfalls aus (3.).
- 10
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1. Die Klage richtet sich gegen den richtigen Beklagten. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger während des Revisionsverfahrens umgezogen ist. Denn die für den neuen Wohnort zuständige Staatsangehörigkeitsbehörde hat dem Beklagten die Zustimmung zur Fortführung des Verfahrens in eigener Zuständigkeit erteilt (vgl. § 1 LVwVfG Rheinland-Pfalz i.V.m. § 3 Abs. 3 VwVfG des Bundes). Eine solche Handhabung ist rechtlich nicht zu beanstanden und dient der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens (Urteil vom 24. Mai 1995 - BVerwG 1 C 7.94 - BVerwGE 98, 313 <316> = Buchholz 402.240 § 24 AuslG 1990 Nr. 1 S. 1<3>).
- 11
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2. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Einbürgerungszusicherung liegen nicht vor. Ist ein Einbürgerungsbewerber - wie hier - im Besitz einer anderen Staatsangehörigkeit, kann ihm nach § 38 VwVfG eine schriftliche Einbürgerungszusicherung erteilt werden, durch die ihm die Einbürgerung für den Fall zugesagt wird, dass er die Aufgabe seiner Staatsangehörigkeit nachweist. Die Erteilung einer derartigen Zusage setzt voraus, dass der Betroffene alle weiteren Voraussetzungen für eine Einbürgerung erfüllt. Daran fehlt es hier. Ein Anspruch auf Einbürgerung nach § 10 StAG setzt (u.a.) voraus, dass der Ausländer nicht wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt worden ist (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG). Dies ist hier wegen der beiden der Staatsangehörigkeitsbehörde bekannt gewordenen Verurteilungen des Klägers nicht der Fall.
- 12
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2.1 Die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Unbeachtlichkeit nach § 12a Abs. 1 StAG liegen nicht vor. Danach bleiben bei der Einbürgerung außer Betracht, (1.) die Verhängung von Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmitteln nach dem Jugendgerichtsgesetz, (2.) Verurteilungen zu Geldstrafe bis zu 90 Tagessätzen und (3.) Verurteilungen zu Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt und nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen worden ist (§ 12a Abs. 1 Satz 1 StAG). Bei mehreren Verurteilungen zu Geld- oder Freiheitsstrafen sind diese zusammenzuzählen, es sei denn, es wurde eine niedrigere Gesamtstrafe gebildet; treffen Geld- und Freiheitsstrafe zusammen, entspricht ein Tagessatz einem Tag Freiheitsstrafe (§ 12a Abs. 1 Satz 2 StAG). Übersteigt die Strafe oder die Summe der Strafen geringfügig den Rahmen nach den Sätzen 1 und 2, so wird im Einzelfall entschieden, ob diese außer Betracht bleiben kann (§ 12a Abs. 1 Satz 3 StAG).
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Die Verurteilungen des Klägers bleiben nicht nach § 12a Abs. 1 Satz 1 und 2 StAG außer Betracht. Die Verurteilung zu einer Jugendstrafe von 10 Monaten aus dem Jahre 2002 überschreitet bereits bei isolierter Betrachtung die in § 12a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG gezogene Beachtlichkeitsgrenze, und zwar um mehr als das Doppelte und daher nicht "geringfügig" (vgl. Urteil vom 20. März 2012 - BVerwG 5 C 5.11 - BVerwGE 142, 145 = Buchholz 130 § 12a StAG Nr. 2, jeweils Rn. 13, nach dem bereits eine Überschreitung um ein Drittel nicht mehr "geringfügig" sei). Überdies wäre nach der Zusammenrechnungsregel des § 12a Abs. 1 Satz 2 StAG die - bei isolierter Betrachtung nach § 12a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG unbeachtliche - Verurteilung zu einer Geldstrafe vom 60 Tagessätzen aus dem Jahre 2007 hinzuzurechnen.
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2.2. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die beiden Verurteilungen keinem Verwertungsverbot nach § 51 Abs. 1 BZRG unterliegen. Danach dürfen in Fällen, in denen die Eintragung über eine Verurteilung im Register getilgt worden ist oder sie zu tilgen ist, die Tat und die Verurteilung dem Betroffenen im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht mehr zu seinem Nachteil verwertet werden. Hierbei handelt es sich um ein umfassendes Verbot, das von allen staatlichen Stellen ab Tilgung bzw. Tilgungsreife Beachtung verlangt unabhängig davon, auf welche Weise sie die entsprechenden Informationen erhalten haben (Beschluss vom 23. September 2009 - BVerwG 1 B 16.09 - Buchholz 402.242 § 87 AufenthG Nr. 1).
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Dass die Jugendstrafe dem Kläger vom Jugendgericht nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen und der Strafmakel als beseitigt erklärt worden ist, begründet kein materielles Verwertungsverbot. Nach § 26a JGG wird jede zur Bewährung ausgesetzte Jugendstrafe, bei der die Strafaussetzung nicht widerrufen wird, nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen; wird die Strafe oder ein Strafrest bei einer Verurteilung zu nicht mehr als zwei Jahren Jugendstrafe erlassen, erklärt der Jugendrichter zugleich nach § 100 JGG den Strafmakel als beseitigt. Die Strafmakelbeseitigung nach dem Jugendgerichtsgesetz führt zu einer günstigeren registerrechtlichen Behandlung der Verurteilung nach dem Bundeszentralregistergesetz, insbesondere darf die Registerbehörde nur noch bestimmten Behörden und Gerichten (zu denen die Staatsangehörigkeitsbehörden und die Verwaltungsgerichte nicht zählen) über die Verurteilung Auskunft erteilen (§ 41 Abs. 3 BZRG). Die Entmakelung kann sich auch auf die Tilgungsfrist auswirken (§ 46 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. f BZRG). Die Beseitigung des Strafmakels hat hingegen keine Auswirkung auf das Tilgungsverbot des § 47 Abs. 3 BZRG (BGH, Beschluss vom 21. April 2009 - 1 StR 144/09 - NStZ-RR 2009, 291). Danach ist in Fällen, in denen im Register mehrere Verurteilungen eingetragen sind, die Tilgung einer Eintragung erst zulässig, wenn für alle Verurteilungen die Voraussetzungen der Tilgung vorliegen (Grundsatz der Unteilbarkeit des Registerinhalts bei Verurteilungen).
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Folglich beträgt hier die Tilgungsfrist für die Verurteilung des Klägers vom November 2002 fünf Jahre (§ 46 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c BZRG). Hinsichtlich des Strafbefehls vom März 2007 gilt hingegen wegen der - zwar entmakelten, aber noch nicht tilgungsreifen - Jugendstrafe eine Tilgungsfrist von 10 Jahren (§ 46 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Nr. 2 Buchst a BZRG), sodass beide Verurteilungen bei weiterer Straffreiheit erst im März 2017 im Zentralregister zu tilgen sind. Bis dahin darf die Registerbehörde der Staatsangehörigkeitsbehörde die Verurteilung aus dem Jahre 2002 zwar nicht mitteilen, diese Verurteilung unterliegt aber keinem Verwertungsverbot nach § 51 Abs. 1 BZRG (Urteil vom 17. März 2004 - BVerwG 1 C 5.03 - Buchholz 402.240 § 88 AuslG Nr. 3 im Fall einer Einbürgerung nach § 88 AuslG 1990 sowie Beschlüsse vom 23. September 2009 a.a.O. und vom 14. Februar 1984 - BVerwG 1 B 10.84 - Buchholz 402.24 § 10 AuslG Nr. 102 zu den vergleichbaren Regelungen in § 61 BZRG n.F./§ 57 BZRG a.F. für das Erziehungsregister).
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2.3 Zutreffend ist das Berufungsgericht weiter davon ausgegangen, dass die Strafmakelbeseitigung und das daran anknüpfende formelle Übermittlungsverbot der Registerbehörde gegenüber der Staatsangehörigkeitsbehörde nicht zur Folge haben, dass die Jugendstrafe im Einbürgerungsverfahren nicht mehr berücksichtigt werden darf (a.A. OVG Saarland, Urteil vom 12. Oktober 2011 - 1 A 246/11 - juris Rn. 55).
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2.3.1 Eine derartige Wirkung ist den einschlägigen gesetzlichen Regelungen schon vom Wortlaut her nicht zu entnehmen. Sie widerspräche zudem der Gesetzessystematik. Gesetzeshistorie und -materialien sprechen ebenfalls gegen ein (eingeschränktes) Berücksichtigungsverbot im Einbürgerungsverfahren. Allein Sinn und Zweck der Strafmakelbeseitigung rechtfertigen keine Ausnahme vom einbürgerungsrechtlichen Straffreiheitserfordernis.
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Das Jugendgerichtsgesetz regelt in §§ 97 und 100 JGG die Voraussetzungen für eine Strafmakelbeseitigung durch den Jugendrichter. Die gesetzlichen Wirkungen der Entmakelung ergeben sich aus ihrer registerrechtlichen Behandlung nach dem Bundeszentralregistergesetz. Danach führt die Beseitigung des Strafmakels nach § 41 Abs. 3 BZRG zwar formal zu einer Einschränkung des Umfangs der Auskunftserteilung, so dass die Registerbehörde der Staatsangehörigkeitsbehörde die Verurteilung nach einer Entmakelung nicht (mehr) mitteilen darf. Ein materielles Verwertungsverbot tritt nach § 51 Abs. 1 BZRG aber erst mit Tilgung oder Tilgungsreife ein. Auch das Staatsangehörigkeitsgesetz enthält kein Berücksichtigungsverbot für entmakelte Jugendstrafen. Vielmehr stellt die Verurteilung zu einer Strafe wegen einer rechtswidrigen Straftat materiell ein Einbürgerungshindernis dar (vgl. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 und § 8 Abs. 1 Nr. 2 StAG). Hiervon sind nach § 12a Abs. 1 StAG lediglich Verurteilungen unterhalb einer bestimmten Beachtlichkeitsschwelle ausgenommen.
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Aus der Gesetzeshistorie und den Gesetzesmaterialien ergeben sich ebenfalls keine Hinweise für ein Berücksichtigungsverbot. Der Gesetzgeber hat die Voraussetzungen, unter denen strafrechtliche Verurteilungen ausnahmsweise kein Einbürgerungshindernis darstellen, in den letzten Jahren mehrfach verschärft: Nach § 88 Abs. 1 AuslG in der bis zum 31. Dezember 2004 gültigen Fassung - AuslG 1990 -, der Vorgängerregelung zu § 12a StAG, blieben bei der Anspruchseinbürgerung nach § 85 Abs. 1 AuslG 1990 - obligatorisch - außer Betracht, (1.) die Verhängung von Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmitteln nach dem Jugendgerichtsgesetz, (2.) Verurteilungen zu Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen und (3.) Verurteilungen zu Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt und nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen worden waren; bei Verurteilungen zu einer höheren Strafe war im Einzelfall zu entscheiden, ob die Straftat außer Betracht bleiben konnte. Bei Verhängung einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe bis zu einem Jahr war dem Ausländer nach § 88 Abs. 2 AuslG 1990 eine Einbürgerungszusicherung zu erteilen für den Fall, dass die Strafe nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen wird. Damit stand unter der Geltung des Ausländergesetzes die Verurteilung zu einer zur Bewährung ausgesetzten und nach Ablauf der Bewährungszeit erlassenen Jugendstrafe bis zu einem Jahr - wie andere Verurteilungen unterhalb der Beachtlichkeitsgrenzen des § 88 Abs. 1 AuslG 1990 - einer Einbürgerung nicht entgegen. Diese Bestimmungen sollten nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung mit dem Zuwanderungsgesetz unverändert in § 12a StAG aufgenommen werden (BTDrucks 15/420 S. 48, 117). Nach einem Antrag der CDU/CSU-Fraktion, die Grenzen des § 88 Abs. 1 AuslG 1990 zu halbieren und die Privilegierung von Jugendstrafen nach § 88 Abs. 2 AuslG 1990 gänzlich abzuschaffen (BTDrucks 15/955 S. 42), wurde auf Empfehlung des Vermittlungsausschusses (BTDrucks 15/3479 S. 15) nur die Regelung in § 88 Abs. 1 AuslG 1990 unverändert in § 12a Abs. 1 StAG übernommen, die Regelung in § 88 Abs. 2 AuslG 1990 entfiel indes mit dem Zuwanderungsgesetz von 2005 ersatzlos. Mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz von 2007 wurden die Anforderungen an die Unbeachtlichkeit strafrechtlicher Verurteilungen in § 12a Abs. 1 StAG nochmals verschärft und auf Anregung der Innenministerkonferenz vom Mai 2006 die Beachtlichkeitsschwelle nun doch auf 90 Tagessätze bzw. drei Monate gesenkt. Außerdem sind seitdem mehrere Verurteilungen zusammenzuzählen (§ 12a Abs. 1 Satz 2 StAG). Schließlich wurde das bis dahin tatbestandlich nicht eingeschränkte Nichtberücksichtigungsermessen bei Bestrafungen, die die Unbeachtlichkeitsgrenze überschreiten, in § 12a Abs. 1 Satz 3 StAG dadurch eingegrenzt, dass eine Nichtberücksichtigung im Ermessenswege nur noch bei Strafen eröffnet ist, welche die - herabgesenkten - Grenzen des Satzes 1 geringfügig überschreiten. In der Gesetzesbegründung der Bundesregierung wurde zudem ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Jugendstrafen immer beachtlich sind, da bei ihnen das Mindestmaß erst bei sechs Monaten beginnt (BTDrucks 16/5065 S. 230). Dies belegt, dass nach dem Willen des Gesetzgebers Jugendstrafen nicht nur bis zu ihrer Entmakelung ein Einbürgerungshindernis darstellen. Andernfalls hätte es nahegelegen, dies ausdrücklich in § 12a StAG zu regeln, zumal der Kreis der Personen, die zu einer der Entmakelung nach §§ 97 oder 100 JGG zugänglichen Jugendstrafe verurteilt werden, erheblich größer ist als der Kreis der von der ursprünglichen Privilegierung in § 88 Abs. 2 AuslG 1990 erfassten Personen. Eine materiellrechtliche Nichtberücksichtigung von Jugendstrafen nach ihrer Entmakelung verkehrte die durch die Aufhebung des § 88 Abs. 2 AuslG 1990 gewollte einbürgerungshindernde Berücksichtigung von Jugendstrafe in das Gegenteil.
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Ein Berücksichtigungsverbot ergibt sich auch nicht aus Sinn und Zweck der Strafmakelbeseitigung. Diese soll zwar die stigmatisierende Wirkung einer Jugendstrafe mindern und dient damit der Förderung der Wiedereingliederung jugendlicher und heranwachsender Straftäter. In ihren gesetzlichen Wirkungen bleibt sie aber hinter dem Verwertungsverbot des § 51 BZRG zurück. § 41 Abs. 3 BZRG enthält nur ein formelles, lediglich die Registerbehörde bindendes Übermittlungsverbot. Hiervon zu trennen ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Fachbehörde die Verurteilung zu einer Jugendstrafe trotz Strafmakelbeseitigung berücksichtigen darf, wenn ihr die Registerbehörde hierüber zwar keine Auskunft erteilen darf, sie von der Verurteilung aber auf anderem Wege Kenntnis erlangt hat. Dies richtet sich, solange mangels Tilgung oder Tilgungsreife die Voraussetzungen für ein absolutes Verwertungsverbot nach § 51 BZRG nicht vorliegen, primär nach dem einschlägigen materiellen Recht - hier also den Bestimmungen des Staatsangehörigkeitsrechts.
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Danach führt jede Verurteilung wegen einer rechtswidrigen Tat - abgesehen von den in § 12a Abs. 1 StAG aufgeführten Ausnahmen - zu einem materiellen Einbürgerungshindernis. Diese dem Staatsangehörigkeitsrecht zugrunde liegende Wertung würde unterlaufen, wenn Jugendstrafen schon nach einer Strafmakelbeseitigung nicht mehr berücksichtigt werden dürften. Zudem hätte ein derartiges Verbot eine vom Gesetzgeber erkennbar nicht gewollte Privilegierung jugendlicher und heranwachsender Straftäter gegenüber dem Erwachsenenstrafrecht unterliegenden Straftätern zur Folge. Denn für diese liegen nach § 12a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 StAG die Unbeachtlichkeitsgrenzen bei 90 Tagessätzen Geldstrafe bzw. drei Monaten Freiheitsstrafe, wenn die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt und nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen worden ist. Bei genereller Nichtberücksichtigung von Jugendstrafen nach einer Strafmakelbeseitigung träte diese Wirkung bei jugendlichen und heranwachsenden Straftätern mit dem Straferlass nach Ablauf der Bewährungszeit bei nahezu allen Verurteilungen zu nicht mehr als zwei Jahren Jugendstrafe ein (§ 100 Abs. 1 Satz 1 JGG), und zwar selbst bei teilweiser Verbüßung der Jugendstrafe und Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung. Selbst schwere Verfehlungen stünden schon nach relativ kurzer Zeit und deutlich vor Ablauf der Tilgungsfrist einer Einbürgerung nicht mehr entgegen. Dies widerspräche der besonderen Bedeutung des Straffreiheitserfordernisses bei der Einbürgerung.
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2.3.2 Ein Berücksichtigungsverbot besteht auch nicht wegen rechtswidriger Kenntniserlangung. Dabei kann dahinstehen, ob und unter welchen Voraussetzungen Staatsangehörigkeitsbehörden Verurteilungen, von denen sie auf rechtswidrige Weise Kenntnis erlangt haben, bei ihren Entscheidungen außer acht lassen müssen (vgl. Beschluss vom 14. Februar 1984 - BVerwG 1 B 10.84 - Buchholz 402.24 § 10 AuslG Nr. 102). Denn die Behörde hat von der Jugendstrafe des Klägers auf rechtmäßigem Wege Kenntnis erlangt.
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Der Umstand, dass die Staatsangehörigkeitsbehörden nicht zu den auskunftsberechtigten Stellen gemäß § 41 Abs. 3 BZRG zählen, steht einer rechtmäßigen Kenntniserlangung auf anderem Wege nicht entgegen. Hier hat die Behörde nicht von der Registerbehörde, sondern aus der von ihr beigezogenen Ausländerakte Kenntnis von der Verurteilung aus dem Jahre 2002 erlangt. Dabei kann dahinstehen, ob sie die Ausländerakte schon deshalb beiziehen durfte, weil der Kläger bei Antragstellung eine entsprechende "Einwilligungserklärung" abgegeben hat. In diesem Zusammenhang bedarf insbesondere keiner Entscheidung, ob diese Erklärung datenschutzrechtlich wirksam ist, obwohl der Kläger im Antragsformular darauf hingewiesen worden ist, dass der Einbürgerungsantrag abgelehnt werden müsse, wenn die Ausländerakte wegen der Verweigerung der Einwilligung nicht beigezogen werden könne. Den sich daraus ergebenden Zweifeln, ob die Erklärung auf einer freien Entscheidung des Klägers im Sinne des § 4a Abs. 1 Satz 1 BDSG beruht, braucht indes nicht nachgegangen zu werden. Denn die Staatsangehörigkeitsbehörde durfte die in der Ausländerakte befindlichen Erkenntnisse über noch nicht getilgte strafrechtliche Verurteilungen des Klägers nach den einschlägigen datenschutzrechtlichen Bestimmungen im Staatsangehörigkeits- und im Aufenthaltsgesetz über die Erhebung, Vernichtung und Weitergabe personenbezogener Daten auch ohne Einwilligung des Klägers beiziehen.
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Nach § 32 StAG haben öffentliche Stellen den Staatsangehörigkeitsbehörden die zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben erforderlichen personenbezogenen Daten zu übermitteln, soweit besondere gesetzliche Verwendungsregelungen nicht entgegenstehen. Diese Mitwirkungspflicht erstreckt sich - wie die Formulierung in § 32 Abs. 1 Satz 2 StAG belegt - in Einbürgerungsverfahren auf alle Daten, die für die Entscheidung der Staatsangehörigkeitsbehörde erforderlich sind, und umfasst damit auch Erkenntnisse der zuständigen Ausländerbehörde über strafrechtliche Verurteilungen des Einbürgerungsbewerbers, die sie ihrerseits rechtmäßig erlangt und in den Akten belassen durfte. Die an die Registerbehörde gerichteten Übermittlungsbeschränkungen (§ 41 Abs. 3 BZRG) sind dabei - wie dargelegt - gerade keine materiellrechtlichen Verwendungsregelungen.
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Hier hatte die Ausländerbehörde über die Mitwirkungspflichten der Strafverfolgungsbehörden nach § 87 Abs. 2 und 4 AufenthG eine Abschrift des Strafurteils aus dem Jahre 2002 erhalten. Nach diesen Bestimmungen haben öffentliche Stellen - auch insoweit vorbehaltlich entgegenstehender besonderer gesetzlicher Verwendungsregelungen (§ 88 Abs. 1 AufenthG) - (u.a.) die zuständige Ausländerbehörde unverzüglich zu unterrichten, wenn sie im Zusammenhang mit der Erfüllung ihrer Aufgaben von einem Ausweisungsgrund Kenntnis erlangt haben (§ 87 Abs. 2 AufenthG). Die für die Einleitung und Durchführung eines Strafverfahrens zuständigen Stellen haben die zuständige Ausländerbehörde zudem unverzüglich über die Einleitung und die Erledigung von Strafverfahren zu unterrichten (§ 87 Abs. 4 Satz 1 AufenthG). In Konkretisierung dieser gesetzlichen Pflichten bestimmt Nr. 42 der Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen in der Fassung vom 19. Mai 2008 (MiStrA), dass in Strafsachen gegen Ausländer (u.a.) der Ausländerbehörde sowohl die Einleitung und der Ausgang eines Strafverfahrens als auch sonstige Ausweisungsgründe unverzüglich mitzuteilen sind. Dem ist das Amtsgericht mit Übersendung einer Abschrift des gegen den Kläger ergangenen Urteils aus dem Jahre 2002 an die seinerzeit zuständige Ausländerbehörde nachgekommen.
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Die Ausländerbehörde war auch nicht verpflichtet, die rechtmäßig zur Ausländerakte gelangte Urteilsabschrift vor einer Weitergabe an die Staatsangehörigkeitsbehörde aus der Ausländerakte zu entfernen. Insbesondere lagen die Voraussetzungen für eine Vernichtung nach § 91 Abs. 2 AufenthG nicht vor. Danach sind Mitteilungen nach § 87 Abs. 1 AufenthG von den Ausländerbehörden unverzüglich zu vernichten, wenn sie für eine anstehende ausländerrechtliche Entscheidung unerheblich sind und voraussichtlich auch für eine spätere ausländerrechtliche Entscheidung nicht erheblich werden können (§ 91 Abs. 2 AufenthG). Diese Vorschrift erfasst ausdrücklich nur Mitteilungen nach § 87 Abs. 1 AufenthG. Außerdem kann bei strafrechtlichen Verurteilungen, solange sie keinem materiellen Verwertungsverbot nach § 51 BZRG unterliegen, die potentielle Erheblichkeit für eine spätere ausländerrechtliche Entscheidung regelmäßig nicht ausgeschlossen werden.
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3. Die Voraussetzungen für eine Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG liegen ebenfalls nicht vor. Nach § 8 Abs. 1 StAG kann ein Ausländer, der rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, auf seinen Antrag unter den dort genannten Voraussetzungen eingebürgert werden. Auch eine Ermessenseinbürgerung setzt voraus, dass der Ausländer nicht wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt worden ist (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 StAG), wobei auch hier § 12a Abs. 1 StAG Anwendung findet. Von dieser Einbürgerungsvoraussetzung kann allerdings über § 8 Abs. 2 StAG im Einzelfall aus Gründen des öffentlichen Interesses oder zur Vermeidung einer besonderen Härte abgesehen werden. Dies gilt selbst dann, wenn die Grenze der Unbeachtlichkeit mehr als geringfügig im Sinne von § 12a Abs. 1 Satz 3 StAG überschritten worden ist (Urteil vom 20. März 2012 - BVerwG 5 C 5.11 - BVerwGE 142, 145 = Buchholz 130 § 12a StAG Nr. 2, jeweils Rn. 37 f.).
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Auf der Grundlage der nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit im Revisionsverfahren bindenden tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) bestehen keine Anhaltspunkte für ein öffentliches Interesse an der Einbürgerung des Klägers, das es ausnahmsweise rechtfertigen könnte, ihn trotz seiner nicht unbeachtlichen Straffälligkeit einzubürgern. Ebenso wenig liegen Anhaltspunkte für eine besondere Härte im Sinne des § 8 Abs. 2 StAG vor. Eine solche Härte muss durch atypische Umstände des Einzelfalls bedingt sein und gerade durch die Verweigerung der Einbürgerung hervorgerufen werden und deshalb durch eine Einbürgerung vermieden oder zumindest entscheidend abgemildert werden können (Urteil vom 20. März 2012 a.a.O., jeweils Rn. 39). Für solche Umstände, deren Vorbringen der Mitwirkungsobliegenheit des Einbürgerungsbewerbers unterfällt, gibt es nach dem Vorbringen des Klägers und den Feststellungen des Berufungsgerichts keinen Anhalt.
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Eine besondere Härte ergibt sich entgegen der Auffassung der Revision insbesondere nicht aus der zwischenzeitlichen Entmakelung der Jugendstrafe und dem Umstand, dass die Staatsangehörigkeitsbehörde von dieser Verurteilung über die - in Einbürgerungsverfahren übliche - Beiziehung der Ausländerakte Kenntnis erlangt hat. Dass der Kläger Vater eines Kindes mit deutscher Staatsangehörigkeit ist, begründet ebenfalls keine besondere Härte. Auch wenn im Hinblick auf die Familieneinheit eine einheitliche staatsangehörigkeitsrechtliche Behandlung der Familie wünschenswert ist, gewährt Art. 6 Abs. 1 GG Angehörigen von Deutschen keinen Anspruch auf Einbürgerung. Der grundrechtliche Schutz der Familie gebietet vorliegend auch nicht ein Absehen von der tatbestandlichen Voraussetzung des § 8 Abs. 1 Nr. 2 StAG. Der Kläger ist im Besitz eines unbefristeten Aufenthaltsrechts und hat zu keinem Zeitpunkt eine Gefährdung der Beziehung zu seinem Kind durch die verschiedenen Staatsangehörigkeiten geltend gemacht.
(1) Für die Feststellung und Berechnung der Frist gelten die §§ 35, 36 entsprechend.
(2) Die Tilgungsfrist läuft nicht ab, solange sich aus dem Register ergibt, daß die Vollstreckung einer Strafe oder eine der in § 61 des Strafgesetzbuchs aufgeführten Maßregeln der Besserung und Sicherung noch nicht erledigt oder die Strafe noch nicht erlassen ist. § 37 Abs. 1 gilt entsprechend.
(3) Sind im Register mehrere Verurteilungen eingetragen, so ist die Tilgung einer Eintragung erst zulässig, wenn für alle Verurteilungen die Voraussetzungen der Tilgung vorliegen. Die Eintragung einer Verurteilung, durch die eine Sperre für die Erteilung der Fahrerlaubnis für immer angeordnet worden ist, hindert die Tilgung anderer Verurteilungen nur, wenn zugleich auf eine Strafe erkannt worden ist, für die allein die Tilgungsfrist nach § 46 noch nicht abgelaufen wäre.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt die Erteilung einer Einbürgerungszusicherung.
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Der 1983 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er lebt seit 1996 in Deutschland und ist Vater eines 2008 geborenen Kindes, das die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. 1997 wurde dem Kläger erstmals eine Aufenthaltserlaubnis erteilt; seit 2009 ist er im Besitz einer Niederlassungserlaubnis.
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Im Juni 2010 stellte der Kläger beim beklagten Landkreis einen Antrag auf Einbürgerung. Die von der Staatsangehörigkeitsbehörde eingeholte Auskunft aus dem Bundeszentralregister enthielt eine Eintragung. Danach war gegen den Kläger mit Strafbefehl vom 27. März 2007 eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen festgesetzt worden. Darüber hinaus erlangte die Behörde aus der von ihr beigezogenen Ausländerakte Kenntnis davon, dass der Kläger mit Strafurteil vom 28. November 2002 zu einer Jugendstrafe von 10 Monaten verurteilt worden war. Die Vollstreckung der Strafe war zur Bewährung ausgesetzt worden. Nach Ablauf der Bewährungszeit wurde die Strafe 2005 vom Jugendgericht erlassen und der Strafmakel der Verurteilung nach § 100 JGG für beseitigt erklärt.
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Mit Bescheid vom 11. April 2011 lehnte der Beklagte den Antrag ab und wies den hiergegen eingelegten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22. Mai 2012 zurück. Da der Kläger noch türkischer Staatsangehöriger sei, könne sein Begehren nur auf Erteilung einer Einbürgerungszusicherung gerichtet sein. Diesem Begehren stehe die Verurteilung zu einer Jugendstrafe entgegen.
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Das Verwaltungsgericht hat die auf Erteilung einer befristeten Einbürgerungszusicherung gerichtete Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 22. August 2013 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die der Staatsangehörigkeitsbehörde bekannt gewordenen Verurteilungen stünden einer Einbürgerung entgegen. Dabei könne dahinstehen, ob es sich bei der Jugendstrafe um eine Freiheitsstrafe im Sinne des § 12a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG handele, da die zusammenzurechnenden Strafen die Schwelle der Unbeachtlichkeit nicht nur geringfügig überschritten. Die Verurteilungen unterlägen keinem Verwertungsverbot nach § 51 BZRG. Tilgungsreife trete erst 10 Jahre nach der letzten Verurteilung ein. Die Beseitigung des Strafmakels der Jugendstrafe stehe einer Tilgung im Zentralregister nicht gleich. § 41 Abs. 3 Satz 1 BZRG begründe kein dem Verwertungsverbot des § 51 BZRG gleichstehendes Berücksichtigungsverbot. Die Entmakelung führe zu einer Einschränkung des Umfangs der Auskunftserteilung, stehe der Berücksichtigung aber nicht entgegen, wenn die Staatsangehörigkeitsbehörde - wie hier - von der Jugendstrafe nicht durch Auskunft aus dem Zentralregister, sondern sonst auf rechtmäßige Weise Kenntnis erlangt habe. Die gegenteilige Auffassung des saarländischen Oberverwaltungsgerichts überzeuge nicht. Auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei nicht zu entnehmen, dass die Beseitigung des Strafmakels zu einem Verwertungsverbot führe. Zwar fehle im Staatsangehörigkeitsrecht eine § 91 Abs. 2 AufenthG entsprechende Löschungsvorschrift. Diese Vorschrift wirke sich mittelbar aber auch hier aus, da die Behörde nach einer Löschung über die Beiziehung der Ausländerakte keine Kenntnis mehr erhalte. Auch sonst sprächen keine Besonderheiten des Einbürgerungsverfahrens für ein Berücksichtungsverbot. Der Gesetzgeber habe in § 12a StAG die frühere Privilegierung für Jugendstrafen nach § 88 Abs. 2 AuslG 1990 nicht übernommen. Auch wenn der Staatsangehörigkeitsbehörde von der Registerbehörde die Verurteilung zu einer entmakelten Jugendstrafe nicht mitgeteilt werde und es von eher zufälligen Umständen des Einzelfalles abhänge, ob sie hiervon auf rechtmäßigem Wege gleichwohl Kenntnis erlange, obliege eine Änderung der bestehenden Rechtslage allein dem Gesetzgeber. Die Erfüllung des Straffreiheitserfordernisses sei gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2 StAG auch Voraussetzung für eine Einbürgerung im Ermessenswege. Umstände, die ein Absehen gemäß § 8 Abs. 2 StAG rechtfertigen könnten, seien weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
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Der Kläger macht mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision geltend, dass die Jugendstrafe nach der Strafmakelbeseitigung nicht mehr berücksichtigt werden dürfe. Staatsangehörigkeitsbehörde und Gerichte hätten von dieser Verurteilung auch nicht rechtmäßig Kenntnis erlangt, da die Ausländerbehörde das Strafurteil aus den Akten hätte entfernen müssen. Mit Blick auf die Zufälligkeit der Kenntniserlangung sei eine Einbürgerungszusicherung zumindest zur Vermeidung einer unbilligen Härte zu erteilen.
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Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.
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Der Kläger ist während des Revisionsverfahrens umgezogen. Der Beklagte hat mitgeteilt, dass er das Verfahren mit Zustimmung der für den neuen Wohnort zuständigen Staatsangehörigkeitsbehörde fortführt.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers ohne Verstoß gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO) zurückgewiesen. Die auf Erteilung einer Einbürgerungszusicherung gerichtete Verpflichtungsklage richtet sich gegen den richtigen Beklagten (1.). Der Kläger hat aber keinen Anspruch auf die begehrte Zusicherung, da er nach Aufgabe seiner türkischen Staatsangehörigkeit weder die weiteren Voraussetzungen für eine Anspruchseinbürgerung nach § 10 StAG noch diejenigen für eine Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG erfüllen würde. Der Anspruchseinbürgerung stehen die Verurteilungen entgegen (2.). Diese stellen materiell ein Einbürgerungshindernis dar (2.1). Sie unterliegen keinem Verwertungsverbot nach § 51 BZRG (2.2). Der Berücksichtigung der gegen den Kläger verhängten Jugendstrafe steht auch nicht entgegen, dass diese Strafe nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen und der Strafmakel gemäß § 100 JGG für beseitigt erklärt worden ist (2.3). Mangels Erfüllung des Straffreiheitserfordernisses scheidet eine Ermessenseinbürgerung ebenfalls aus (3.).
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1. Die Klage richtet sich gegen den richtigen Beklagten. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger während des Revisionsverfahrens umgezogen ist. Denn die für den neuen Wohnort zuständige Staatsangehörigkeitsbehörde hat dem Beklagten die Zustimmung zur Fortführung des Verfahrens in eigener Zuständigkeit erteilt (vgl. § 1 LVwVfG Rheinland-Pfalz i.V.m. § 3 Abs. 3 VwVfG des Bundes). Eine solche Handhabung ist rechtlich nicht zu beanstanden und dient der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens (Urteil vom 24. Mai 1995 - BVerwG 1 C 7.94 - BVerwGE 98, 313 <316> = Buchholz 402.240 § 24 AuslG 1990 Nr. 1 S. 1<3>).
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2. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Einbürgerungszusicherung liegen nicht vor. Ist ein Einbürgerungsbewerber - wie hier - im Besitz einer anderen Staatsangehörigkeit, kann ihm nach § 38 VwVfG eine schriftliche Einbürgerungszusicherung erteilt werden, durch die ihm die Einbürgerung für den Fall zugesagt wird, dass er die Aufgabe seiner Staatsangehörigkeit nachweist. Die Erteilung einer derartigen Zusage setzt voraus, dass der Betroffene alle weiteren Voraussetzungen für eine Einbürgerung erfüllt. Daran fehlt es hier. Ein Anspruch auf Einbürgerung nach § 10 StAG setzt (u.a.) voraus, dass der Ausländer nicht wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt worden ist (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG). Dies ist hier wegen der beiden der Staatsangehörigkeitsbehörde bekannt gewordenen Verurteilungen des Klägers nicht der Fall.
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2.1 Die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Unbeachtlichkeit nach § 12a Abs. 1 StAG liegen nicht vor. Danach bleiben bei der Einbürgerung außer Betracht, (1.) die Verhängung von Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmitteln nach dem Jugendgerichtsgesetz, (2.) Verurteilungen zu Geldstrafe bis zu 90 Tagessätzen und (3.) Verurteilungen zu Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt und nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen worden ist (§ 12a Abs. 1 Satz 1 StAG). Bei mehreren Verurteilungen zu Geld- oder Freiheitsstrafen sind diese zusammenzuzählen, es sei denn, es wurde eine niedrigere Gesamtstrafe gebildet; treffen Geld- und Freiheitsstrafe zusammen, entspricht ein Tagessatz einem Tag Freiheitsstrafe (§ 12a Abs. 1 Satz 2 StAG). Übersteigt die Strafe oder die Summe der Strafen geringfügig den Rahmen nach den Sätzen 1 und 2, so wird im Einzelfall entschieden, ob diese außer Betracht bleiben kann (§ 12a Abs. 1 Satz 3 StAG).
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Die Verurteilungen des Klägers bleiben nicht nach § 12a Abs. 1 Satz 1 und 2 StAG außer Betracht. Die Verurteilung zu einer Jugendstrafe von 10 Monaten aus dem Jahre 2002 überschreitet bereits bei isolierter Betrachtung die in § 12a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG gezogene Beachtlichkeitsgrenze, und zwar um mehr als das Doppelte und daher nicht "geringfügig" (vgl. Urteil vom 20. März 2012 - BVerwG 5 C 5.11 - BVerwGE 142, 145 = Buchholz 130 § 12a StAG Nr. 2, jeweils Rn. 13, nach dem bereits eine Überschreitung um ein Drittel nicht mehr "geringfügig" sei). Überdies wäre nach der Zusammenrechnungsregel des § 12a Abs. 1 Satz 2 StAG die - bei isolierter Betrachtung nach § 12a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG unbeachtliche - Verurteilung zu einer Geldstrafe vom 60 Tagessätzen aus dem Jahre 2007 hinzuzurechnen.
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2.2. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die beiden Verurteilungen keinem Verwertungsverbot nach § 51 Abs. 1 BZRG unterliegen. Danach dürfen in Fällen, in denen die Eintragung über eine Verurteilung im Register getilgt worden ist oder sie zu tilgen ist, die Tat und die Verurteilung dem Betroffenen im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht mehr zu seinem Nachteil verwertet werden. Hierbei handelt es sich um ein umfassendes Verbot, das von allen staatlichen Stellen ab Tilgung bzw. Tilgungsreife Beachtung verlangt unabhängig davon, auf welche Weise sie die entsprechenden Informationen erhalten haben (Beschluss vom 23. September 2009 - BVerwG 1 B 16.09 - Buchholz 402.242 § 87 AufenthG Nr. 1).
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Dass die Jugendstrafe dem Kläger vom Jugendgericht nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen und der Strafmakel als beseitigt erklärt worden ist, begründet kein materielles Verwertungsverbot. Nach § 26a JGG wird jede zur Bewährung ausgesetzte Jugendstrafe, bei der die Strafaussetzung nicht widerrufen wird, nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen; wird die Strafe oder ein Strafrest bei einer Verurteilung zu nicht mehr als zwei Jahren Jugendstrafe erlassen, erklärt der Jugendrichter zugleich nach § 100 JGG den Strafmakel als beseitigt. Die Strafmakelbeseitigung nach dem Jugendgerichtsgesetz führt zu einer günstigeren registerrechtlichen Behandlung der Verurteilung nach dem Bundeszentralregistergesetz, insbesondere darf die Registerbehörde nur noch bestimmten Behörden und Gerichten (zu denen die Staatsangehörigkeitsbehörden und die Verwaltungsgerichte nicht zählen) über die Verurteilung Auskunft erteilen (§ 41 Abs. 3 BZRG). Die Entmakelung kann sich auch auf die Tilgungsfrist auswirken (§ 46 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. f BZRG). Die Beseitigung des Strafmakels hat hingegen keine Auswirkung auf das Tilgungsverbot des § 47 Abs. 3 BZRG (BGH, Beschluss vom 21. April 2009 - 1 StR 144/09 - NStZ-RR 2009, 291). Danach ist in Fällen, in denen im Register mehrere Verurteilungen eingetragen sind, die Tilgung einer Eintragung erst zulässig, wenn für alle Verurteilungen die Voraussetzungen der Tilgung vorliegen (Grundsatz der Unteilbarkeit des Registerinhalts bei Verurteilungen).
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Folglich beträgt hier die Tilgungsfrist für die Verurteilung des Klägers vom November 2002 fünf Jahre (§ 46 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c BZRG). Hinsichtlich des Strafbefehls vom März 2007 gilt hingegen wegen der - zwar entmakelten, aber noch nicht tilgungsreifen - Jugendstrafe eine Tilgungsfrist von 10 Jahren (§ 46 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Nr. 2 Buchst a BZRG), sodass beide Verurteilungen bei weiterer Straffreiheit erst im März 2017 im Zentralregister zu tilgen sind. Bis dahin darf die Registerbehörde der Staatsangehörigkeitsbehörde die Verurteilung aus dem Jahre 2002 zwar nicht mitteilen, diese Verurteilung unterliegt aber keinem Verwertungsverbot nach § 51 Abs. 1 BZRG (Urteil vom 17. März 2004 - BVerwG 1 C 5.03 - Buchholz 402.240 § 88 AuslG Nr. 3 im Fall einer Einbürgerung nach § 88 AuslG 1990 sowie Beschlüsse vom 23. September 2009 a.a.O. und vom 14. Februar 1984 - BVerwG 1 B 10.84 - Buchholz 402.24 § 10 AuslG Nr. 102 zu den vergleichbaren Regelungen in § 61 BZRG n.F./§ 57 BZRG a.F. für das Erziehungsregister).
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2.3 Zutreffend ist das Berufungsgericht weiter davon ausgegangen, dass die Strafmakelbeseitigung und das daran anknüpfende formelle Übermittlungsverbot der Registerbehörde gegenüber der Staatsangehörigkeitsbehörde nicht zur Folge haben, dass die Jugendstrafe im Einbürgerungsverfahren nicht mehr berücksichtigt werden darf (a.A. OVG Saarland, Urteil vom 12. Oktober 2011 - 1 A 246/11 - juris Rn. 55).
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2.3.1 Eine derartige Wirkung ist den einschlägigen gesetzlichen Regelungen schon vom Wortlaut her nicht zu entnehmen. Sie widerspräche zudem der Gesetzessystematik. Gesetzeshistorie und -materialien sprechen ebenfalls gegen ein (eingeschränktes) Berücksichtigungsverbot im Einbürgerungsverfahren. Allein Sinn und Zweck der Strafmakelbeseitigung rechtfertigen keine Ausnahme vom einbürgerungsrechtlichen Straffreiheitserfordernis.
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Das Jugendgerichtsgesetz regelt in §§ 97 und 100 JGG die Voraussetzungen für eine Strafmakelbeseitigung durch den Jugendrichter. Die gesetzlichen Wirkungen der Entmakelung ergeben sich aus ihrer registerrechtlichen Behandlung nach dem Bundeszentralregistergesetz. Danach führt die Beseitigung des Strafmakels nach § 41 Abs. 3 BZRG zwar formal zu einer Einschränkung des Umfangs der Auskunftserteilung, so dass die Registerbehörde der Staatsangehörigkeitsbehörde die Verurteilung nach einer Entmakelung nicht (mehr) mitteilen darf. Ein materielles Verwertungsverbot tritt nach § 51 Abs. 1 BZRG aber erst mit Tilgung oder Tilgungsreife ein. Auch das Staatsangehörigkeitsgesetz enthält kein Berücksichtigungsverbot für entmakelte Jugendstrafen. Vielmehr stellt die Verurteilung zu einer Strafe wegen einer rechtswidrigen Straftat materiell ein Einbürgerungshindernis dar (vgl. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 und § 8 Abs. 1 Nr. 2 StAG). Hiervon sind nach § 12a Abs. 1 StAG lediglich Verurteilungen unterhalb einer bestimmten Beachtlichkeitsschwelle ausgenommen.
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Aus der Gesetzeshistorie und den Gesetzesmaterialien ergeben sich ebenfalls keine Hinweise für ein Berücksichtigungsverbot. Der Gesetzgeber hat die Voraussetzungen, unter denen strafrechtliche Verurteilungen ausnahmsweise kein Einbürgerungshindernis darstellen, in den letzten Jahren mehrfach verschärft: Nach § 88 Abs. 1 AuslG in der bis zum 31. Dezember 2004 gültigen Fassung - AuslG 1990 -, der Vorgängerregelung zu § 12a StAG, blieben bei der Anspruchseinbürgerung nach § 85 Abs. 1 AuslG 1990 - obligatorisch - außer Betracht, (1.) die Verhängung von Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmitteln nach dem Jugendgerichtsgesetz, (2.) Verurteilungen zu Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen und (3.) Verurteilungen zu Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt und nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen worden waren; bei Verurteilungen zu einer höheren Strafe war im Einzelfall zu entscheiden, ob die Straftat außer Betracht bleiben konnte. Bei Verhängung einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe bis zu einem Jahr war dem Ausländer nach § 88 Abs. 2 AuslG 1990 eine Einbürgerungszusicherung zu erteilen für den Fall, dass die Strafe nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen wird. Damit stand unter der Geltung des Ausländergesetzes die Verurteilung zu einer zur Bewährung ausgesetzten und nach Ablauf der Bewährungszeit erlassenen Jugendstrafe bis zu einem Jahr - wie andere Verurteilungen unterhalb der Beachtlichkeitsgrenzen des § 88 Abs. 1 AuslG 1990 - einer Einbürgerung nicht entgegen. Diese Bestimmungen sollten nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung mit dem Zuwanderungsgesetz unverändert in § 12a StAG aufgenommen werden (BTDrucks 15/420 S. 48, 117). Nach einem Antrag der CDU/CSU-Fraktion, die Grenzen des § 88 Abs. 1 AuslG 1990 zu halbieren und die Privilegierung von Jugendstrafen nach § 88 Abs. 2 AuslG 1990 gänzlich abzuschaffen (BTDrucks 15/955 S. 42), wurde auf Empfehlung des Vermittlungsausschusses (BTDrucks 15/3479 S. 15) nur die Regelung in § 88 Abs. 1 AuslG 1990 unverändert in § 12a Abs. 1 StAG übernommen, die Regelung in § 88 Abs. 2 AuslG 1990 entfiel indes mit dem Zuwanderungsgesetz von 2005 ersatzlos. Mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz von 2007 wurden die Anforderungen an die Unbeachtlichkeit strafrechtlicher Verurteilungen in § 12a Abs. 1 StAG nochmals verschärft und auf Anregung der Innenministerkonferenz vom Mai 2006 die Beachtlichkeitsschwelle nun doch auf 90 Tagessätze bzw. drei Monate gesenkt. Außerdem sind seitdem mehrere Verurteilungen zusammenzuzählen (§ 12a Abs. 1 Satz 2 StAG). Schließlich wurde das bis dahin tatbestandlich nicht eingeschränkte Nichtberücksichtigungsermessen bei Bestrafungen, die die Unbeachtlichkeitsgrenze überschreiten, in § 12a Abs. 1 Satz 3 StAG dadurch eingegrenzt, dass eine Nichtberücksichtigung im Ermessenswege nur noch bei Strafen eröffnet ist, welche die - herabgesenkten - Grenzen des Satzes 1 geringfügig überschreiten. In der Gesetzesbegründung der Bundesregierung wurde zudem ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Jugendstrafen immer beachtlich sind, da bei ihnen das Mindestmaß erst bei sechs Monaten beginnt (BTDrucks 16/5065 S. 230). Dies belegt, dass nach dem Willen des Gesetzgebers Jugendstrafen nicht nur bis zu ihrer Entmakelung ein Einbürgerungshindernis darstellen. Andernfalls hätte es nahegelegen, dies ausdrücklich in § 12a StAG zu regeln, zumal der Kreis der Personen, die zu einer der Entmakelung nach §§ 97 oder 100 JGG zugänglichen Jugendstrafe verurteilt werden, erheblich größer ist als der Kreis der von der ursprünglichen Privilegierung in § 88 Abs. 2 AuslG 1990 erfassten Personen. Eine materiellrechtliche Nichtberücksichtigung von Jugendstrafen nach ihrer Entmakelung verkehrte die durch die Aufhebung des § 88 Abs. 2 AuslG 1990 gewollte einbürgerungshindernde Berücksichtigung von Jugendstrafe in das Gegenteil.
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Ein Berücksichtigungsverbot ergibt sich auch nicht aus Sinn und Zweck der Strafmakelbeseitigung. Diese soll zwar die stigmatisierende Wirkung einer Jugendstrafe mindern und dient damit der Förderung der Wiedereingliederung jugendlicher und heranwachsender Straftäter. In ihren gesetzlichen Wirkungen bleibt sie aber hinter dem Verwertungsverbot des § 51 BZRG zurück. § 41 Abs. 3 BZRG enthält nur ein formelles, lediglich die Registerbehörde bindendes Übermittlungsverbot. Hiervon zu trennen ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Fachbehörde die Verurteilung zu einer Jugendstrafe trotz Strafmakelbeseitigung berücksichtigen darf, wenn ihr die Registerbehörde hierüber zwar keine Auskunft erteilen darf, sie von der Verurteilung aber auf anderem Wege Kenntnis erlangt hat. Dies richtet sich, solange mangels Tilgung oder Tilgungsreife die Voraussetzungen für ein absolutes Verwertungsverbot nach § 51 BZRG nicht vorliegen, primär nach dem einschlägigen materiellen Recht - hier also den Bestimmungen des Staatsangehörigkeitsrechts.
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Danach führt jede Verurteilung wegen einer rechtswidrigen Tat - abgesehen von den in § 12a Abs. 1 StAG aufgeführten Ausnahmen - zu einem materiellen Einbürgerungshindernis. Diese dem Staatsangehörigkeitsrecht zugrunde liegende Wertung würde unterlaufen, wenn Jugendstrafen schon nach einer Strafmakelbeseitigung nicht mehr berücksichtigt werden dürften. Zudem hätte ein derartiges Verbot eine vom Gesetzgeber erkennbar nicht gewollte Privilegierung jugendlicher und heranwachsender Straftäter gegenüber dem Erwachsenenstrafrecht unterliegenden Straftätern zur Folge. Denn für diese liegen nach § 12a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 StAG die Unbeachtlichkeitsgrenzen bei 90 Tagessätzen Geldstrafe bzw. drei Monaten Freiheitsstrafe, wenn die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt und nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen worden ist. Bei genereller Nichtberücksichtigung von Jugendstrafen nach einer Strafmakelbeseitigung träte diese Wirkung bei jugendlichen und heranwachsenden Straftätern mit dem Straferlass nach Ablauf der Bewährungszeit bei nahezu allen Verurteilungen zu nicht mehr als zwei Jahren Jugendstrafe ein (§ 100 Abs. 1 Satz 1 JGG), und zwar selbst bei teilweiser Verbüßung der Jugendstrafe und Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung. Selbst schwere Verfehlungen stünden schon nach relativ kurzer Zeit und deutlich vor Ablauf der Tilgungsfrist einer Einbürgerung nicht mehr entgegen. Dies widerspräche der besonderen Bedeutung des Straffreiheitserfordernisses bei der Einbürgerung.
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2.3.2 Ein Berücksichtigungsverbot besteht auch nicht wegen rechtswidriger Kenntniserlangung. Dabei kann dahinstehen, ob und unter welchen Voraussetzungen Staatsangehörigkeitsbehörden Verurteilungen, von denen sie auf rechtswidrige Weise Kenntnis erlangt haben, bei ihren Entscheidungen außer acht lassen müssen (vgl. Beschluss vom 14. Februar 1984 - BVerwG 1 B 10.84 - Buchholz 402.24 § 10 AuslG Nr. 102). Denn die Behörde hat von der Jugendstrafe des Klägers auf rechtmäßigem Wege Kenntnis erlangt.
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Der Umstand, dass die Staatsangehörigkeitsbehörden nicht zu den auskunftsberechtigten Stellen gemäß § 41 Abs. 3 BZRG zählen, steht einer rechtmäßigen Kenntniserlangung auf anderem Wege nicht entgegen. Hier hat die Behörde nicht von der Registerbehörde, sondern aus der von ihr beigezogenen Ausländerakte Kenntnis von der Verurteilung aus dem Jahre 2002 erlangt. Dabei kann dahinstehen, ob sie die Ausländerakte schon deshalb beiziehen durfte, weil der Kläger bei Antragstellung eine entsprechende "Einwilligungserklärung" abgegeben hat. In diesem Zusammenhang bedarf insbesondere keiner Entscheidung, ob diese Erklärung datenschutzrechtlich wirksam ist, obwohl der Kläger im Antragsformular darauf hingewiesen worden ist, dass der Einbürgerungsantrag abgelehnt werden müsse, wenn die Ausländerakte wegen der Verweigerung der Einwilligung nicht beigezogen werden könne. Den sich daraus ergebenden Zweifeln, ob die Erklärung auf einer freien Entscheidung des Klägers im Sinne des § 4a Abs. 1 Satz 1 BDSG beruht, braucht indes nicht nachgegangen zu werden. Denn die Staatsangehörigkeitsbehörde durfte die in der Ausländerakte befindlichen Erkenntnisse über noch nicht getilgte strafrechtliche Verurteilungen des Klägers nach den einschlägigen datenschutzrechtlichen Bestimmungen im Staatsangehörigkeits- und im Aufenthaltsgesetz über die Erhebung, Vernichtung und Weitergabe personenbezogener Daten auch ohne Einwilligung des Klägers beiziehen.
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Nach § 32 StAG haben öffentliche Stellen den Staatsangehörigkeitsbehörden die zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben erforderlichen personenbezogenen Daten zu übermitteln, soweit besondere gesetzliche Verwendungsregelungen nicht entgegenstehen. Diese Mitwirkungspflicht erstreckt sich - wie die Formulierung in § 32 Abs. 1 Satz 2 StAG belegt - in Einbürgerungsverfahren auf alle Daten, die für die Entscheidung der Staatsangehörigkeitsbehörde erforderlich sind, und umfasst damit auch Erkenntnisse der zuständigen Ausländerbehörde über strafrechtliche Verurteilungen des Einbürgerungsbewerbers, die sie ihrerseits rechtmäßig erlangt und in den Akten belassen durfte. Die an die Registerbehörde gerichteten Übermittlungsbeschränkungen (§ 41 Abs. 3 BZRG) sind dabei - wie dargelegt - gerade keine materiellrechtlichen Verwendungsregelungen.
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Hier hatte die Ausländerbehörde über die Mitwirkungspflichten der Strafverfolgungsbehörden nach § 87 Abs. 2 und 4 AufenthG eine Abschrift des Strafurteils aus dem Jahre 2002 erhalten. Nach diesen Bestimmungen haben öffentliche Stellen - auch insoweit vorbehaltlich entgegenstehender besonderer gesetzlicher Verwendungsregelungen (§ 88 Abs. 1 AufenthG) - (u.a.) die zuständige Ausländerbehörde unverzüglich zu unterrichten, wenn sie im Zusammenhang mit der Erfüllung ihrer Aufgaben von einem Ausweisungsgrund Kenntnis erlangt haben (§ 87 Abs. 2 AufenthG). Die für die Einleitung und Durchführung eines Strafverfahrens zuständigen Stellen haben die zuständige Ausländerbehörde zudem unverzüglich über die Einleitung und die Erledigung von Strafverfahren zu unterrichten (§ 87 Abs. 4 Satz 1 AufenthG). In Konkretisierung dieser gesetzlichen Pflichten bestimmt Nr. 42 der Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen in der Fassung vom 19. Mai 2008 (MiStrA), dass in Strafsachen gegen Ausländer (u.a.) der Ausländerbehörde sowohl die Einleitung und der Ausgang eines Strafverfahrens als auch sonstige Ausweisungsgründe unverzüglich mitzuteilen sind. Dem ist das Amtsgericht mit Übersendung einer Abschrift des gegen den Kläger ergangenen Urteils aus dem Jahre 2002 an die seinerzeit zuständige Ausländerbehörde nachgekommen.
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Die Ausländerbehörde war auch nicht verpflichtet, die rechtmäßig zur Ausländerakte gelangte Urteilsabschrift vor einer Weitergabe an die Staatsangehörigkeitsbehörde aus der Ausländerakte zu entfernen. Insbesondere lagen die Voraussetzungen für eine Vernichtung nach § 91 Abs. 2 AufenthG nicht vor. Danach sind Mitteilungen nach § 87 Abs. 1 AufenthG von den Ausländerbehörden unverzüglich zu vernichten, wenn sie für eine anstehende ausländerrechtliche Entscheidung unerheblich sind und voraussichtlich auch für eine spätere ausländerrechtliche Entscheidung nicht erheblich werden können (§ 91 Abs. 2 AufenthG). Diese Vorschrift erfasst ausdrücklich nur Mitteilungen nach § 87 Abs. 1 AufenthG. Außerdem kann bei strafrechtlichen Verurteilungen, solange sie keinem materiellen Verwertungsverbot nach § 51 BZRG unterliegen, die potentielle Erheblichkeit für eine spätere ausländerrechtliche Entscheidung regelmäßig nicht ausgeschlossen werden.
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3. Die Voraussetzungen für eine Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG liegen ebenfalls nicht vor. Nach § 8 Abs. 1 StAG kann ein Ausländer, der rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, auf seinen Antrag unter den dort genannten Voraussetzungen eingebürgert werden. Auch eine Ermessenseinbürgerung setzt voraus, dass der Ausländer nicht wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt worden ist (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 StAG), wobei auch hier § 12a Abs. 1 StAG Anwendung findet. Von dieser Einbürgerungsvoraussetzung kann allerdings über § 8 Abs. 2 StAG im Einzelfall aus Gründen des öffentlichen Interesses oder zur Vermeidung einer besonderen Härte abgesehen werden. Dies gilt selbst dann, wenn die Grenze der Unbeachtlichkeit mehr als geringfügig im Sinne von § 12a Abs. 1 Satz 3 StAG überschritten worden ist (Urteil vom 20. März 2012 - BVerwG 5 C 5.11 - BVerwGE 142, 145 = Buchholz 130 § 12a StAG Nr. 2, jeweils Rn. 37 f.).
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Auf der Grundlage der nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit im Revisionsverfahren bindenden tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) bestehen keine Anhaltspunkte für ein öffentliches Interesse an der Einbürgerung des Klägers, das es ausnahmsweise rechtfertigen könnte, ihn trotz seiner nicht unbeachtlichen Straffälligkeit einzubürgern. Ebenso wenig liegen Anhaltspunkte für eine besondere Härte im Sinne des § 8 Abs. 2 StAG vor. Eine solche Härte muss durch atypische Umstände des Einzelfalls bedingt sein und gerade durch die Verweigerung der Einbürgerung hervorgerufen werden und deshalb durch eine Einbürgerung vermieden oder zumindest entscheidend abgemildert werden können (Urteil vom 20. März 2012 a.a.O., jeweils Rn. 39). Für solche Umstände, deren Vorbringen der Mitwirkungsobliegenheit des Einbürgerungsbewerbers unterfällt, gibt es nach dem Vorbringen des Klägers und den Feststellungen des Berufungsgerichts keinen Anhalt.
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Eine besondere Härte ergibt sich entgegen der Auffassung der Revision insbesondere nicht aus der zwischenzeitlichen Entmakelung der Jugendstrafe und dem Umstand, dass die Staatsangehörigkeitsbehörde von dieser Verurteilung über die - in Einbürgerungsverfahren übliche - Beiziehung der Ausländerakte Kenntnis erlangt hat. Dass der Kläger Vater eines Kindes mit deutscher Staatsangehörigkeit ist, begründet ebenfalls keine besondere Härte. Auch wenn im Hinblick auf die Familieneinheit eine einheitliche staatsangehörigkeitsrechtliche Behandlung der Familie wünschenswert ist, gewährt Art. 6 Abs. 1 GG Angehörigen von Deutschen keinen Anspruch auf Einbürgerung. Der grundrechtliche Schutz der Familie gebietet vorliegend auch nicht ein Absehen von der tatbestandlichen Voraussetzung des § 8 Abs. 1 Nr. 2 StAG. Der Kläger ist im Besitz eines unbefristeten Aufenthaltsrechts und hat zu keinem Zeitpunkt eine Gefährdung der Beziehung zu seinem Kind durch die verschiedenen Staatsangehörigkeiten geltend gemacht.
(1) Eintragungen, die in ein Führungszeugnis nicht aufgenommen werden, sowie Suchvermerke dürfen, unbeschadet der §§ 42 und 57, nur zur Kenntnis gegeben werden
- 1.
den Gerichten, Gerichtsvorständen, Staatsanwaltschaften, dem nationalen Mitglied nach Maßgabe des § 5 Absatz 1 Nummer 2 des Eurojust-Gesetzes, den Aufsichtsstellen nach § 68a des Strafgesetzbuchs sowie der Bewährungshilfe für Zwecke der Rechtspflege sowie den Justizvollzugsbehörden für Zwecke des Strafvollzugs einschließlich der Überprüfung aller im Strafvollzug tätigen Personen, - 2.
den obersten Bundes- und Landesbehörden, - 3.
den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, dem Bundesnachrichtendienst und dem Militärischen Abschirmdienst für die diesen Behörden übertragenen Sicherheitsaufgaben, - 4.
den Finanzbehörden für die Verfolgung von Straftaten, die zu ihrer Zuständigkeit gehören, - 5.
den Kriminaldienst verrichtenden Dienststellen der Polizei für Zwecke der Verhütung und Verfolgung von Straftaten, - 6.
den Einbürgerungsbehörden für Einbürgerungsverfahren, - 7.
den Ausländerbehörden, den mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, wenn sich die Auskunft auf einen Ausländer bezieht, - 8.
den Gnadenbehörden für Gnadensachen, - 9.
den für waffenrechtliche oder sprengstoffrechtliche Erlaubnisse, für die Erteilung von Jagdscheinen, für Erlaubnisse zum Halten eines gefährlichen Hundes oder für Erlaubnisse für das Bewachungsgewerbe und die Überprüfung des Bewachungspersonals zuständigen Behörden, - 10.
dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte im Rahmen des Erlaubnisverfahrens nach dem Betäubungsmittelgesetz, - 11.
den Rechtsanwaltskammern oder der Patentanwaltskammer für Entscheidungen in Zulassungs-, Aufnahme- und Aufsichtsverfahren nach der Bundesrechtsanwaltsordnung, der Patentanwaltsordnung, dem Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland oder dem Gesetz über die Tätigkeit europäischer Patentanwälte in Deutschland, - 12.
dem Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, dem Eisenbahn-Bundesamt und den zuständigen Landesbehörden im Rahmen der atom- und strahlenschutzrechtlichen Zuverlässigkeitsüberprüfung nach dem Atomgesetz und dem Strahlenschutzgesetz, - 13.
den Luftsicherheitsbehörden für Zwecke der Zuverlässigkeitsüberprüfung nach § 7 des Luftsicherheitsgesetzes, - 14.
der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach dem Geldwäschegesetz.
(2) Eintragungen nach § 17 und Verurteilungen zu Jugendstrafe, bei denen der Strafmakel als beseitigt erklärt ist, dürfen nicht nach Absatz 1 mitgeteilt werden; über sie wird nur noch den Strafgerichten und Staatsanwaltschaften für ein Strafverfahren gegen die betroffene Person Auskunft erteilt. Dies gilt nicht für Verurteilungen wegen einer Straftat nach den §§ 171, 174 bis 180a, 181a, 182 bis 184g, 184i bis 184l, 201a Absatz 3, den §§ 225, 232 bis 233a, 234, 235 oder § 236 des Strafgesetzbuchs. Die Angabe nach § 5 Absatz 1 Nummer 8 darf nicht nach Absatz 1 mitgeteilt werden.
(3) Die Auskunft nach den Absätzen 1 und 2 wird nur auf ausdrückliches Ersuchen erteilt. Die in Absatz 1 genannten Stellen haben den Zweck anzugeben, für den die Auskunft benötigt wird; sie darf nur für diesen Zweck verwertet werden.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt die Erteilung einer Einbürgerungszusicherung.
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Der 1983 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er lebt seit 1996 in Deutschland und ist Vater eines 2008 geborenen Kindes, das die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. 1997 wurde dem Kläger erstmals eine Aufenthaltserlaubnis erteilt; seit 2009 ist er im Besitz einer Niederlassungserlaubnis.
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Im Juni 2010 stellte der Kläger beim beklagten Landkreis einen Antrag auf Einbürgerung. Die von der Staatsangehörigkeitsbehörde eingeholte Auskunft aus dem Bundeszentralregister enthielt eine Eintragung. Danach war gegen den Kläger mit Strafbefehl vom 27. März 2007 eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen festgesetzt worden. Darüber hinaus erlangte die Behörde aus der von ihr beigezogenen Ausländerakte Kenntnis davon, dass der Kläger mit Strafurteil vom 28. November 2002 zu einer Jugendstrafe von 10 Monaten verurteilt worden war. Die Vollstreckung der Strafe war zur Bewährung ausgesetzt worden. Nach Ablauf der Bewährungszeit wurde die Strafe 2005 vom Jugendgericht erlassen und der Strafmakel der Verurteilung nach § 100 JGG für beseitigt erklärt.
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Mit Bescheid vom 11. April 2011 lehnte der Beklagte den Antrag ab und wies den hiergegen eingelegten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22. Mai 2012 zurück. Da der Kläger noch türkischer Staatsangehöriger sei, könne sein Begehren nur auf Erteilung einer Einbürgerungszusicherung gerichtet sein. Diesem Begehren stehe die Verurteilung zu einer Jugendstrafe entgegen.
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Das Verwaltungsgericht hat die auf Erteilung einer befristeten Einbürgerungszusicherung gerichtete Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 22. August 2013 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die der Staatsangehörigkeitsbehörde bekannt gewordenen Verurteilungen stünden einer Einbürgerung entgegen. Dabei könne dahinstehen, ob es sich bei der Jugendstrafe um eine Freiheitsstrafe im Sinne des § 12a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG handele, da die zusammenzurechnenden Strafen die Schwelle der Unbeachtlichkeit nicht nur geringfügig überschritten. Die Verurteilungen unterlägen keinem Verwertungsverbot nach § 51 BZRG. Tilgungsreife trete erst 10 Jahre nach der letzten Verurteilung ein. Die Beseitigung des Strafmakels der Jugendstrafe stehe einer Tilgung im Zentralregister nicht gleich. § 41 Abs. 3 Satz 1 BZRG begründe kein dem Verwertungsverbot des § 51 BZRG gleichstehendes Berücksichtigungsverbot. Die Entmakelung führe zu einer Einschränkung des Umfangs der Auskunftserteilung, stehe der Berücksichtigung aber nicht entgegen, wenn die Staatsangehörigkeitsbehörde - wie hier - von der Jugendstrafe nicht durch Auskunft aus dem Zentralregister, sondern sonst auf rechtmäßige Weise Kenntnis erlangt habe. Die gegenteilige Auffassung des saarländischen Oberverwaltungsgerichts überzeuge nicht. Auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei nicht zu entnehmen, dass die Beseitigung des Strafmakels zu einem Verwertungsverbot führe. Zwar fehle im Staatsangehörigkeitsrecht eine § 91 Abs. 2 AufenthG entsprechende Löschungsvorschrift. Diese Vorschrift wirke sich mittelbar aber auch hier aus, da die Behörde nach einer Löschung über die Beiziehung der Ausländerakte keine Kenntnis mehr erhalte. Auch sonst sprächen keine Besonderheiten des Einbürgerungsverfahrens für ein Berücksichtungsverbot. Der Gesetzgeber habe in § 12a StAG die frühere Privilegierung für Jugendstrafen nach § 88 Abs. 2 AuslG 1990 nicht übernommen. Auch wenn der Staatsangehörigkeitsbehörde von der Registerbehörde die Verurteilung zu einer entmakelten Jugendstrafe nicht mitgeteilt werde und es von eher zufälligen Umständen des Einzelfalles abhänge, ob sie hiervon auf rechtmäßigem Wege gleichwohl Kenntnis erlange, obliege eine Änderung der bestehenden Rechtslage allein dem Gesetzgeber. Die Erfüllung des Straffreiheitserfordernisses sei gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2 StAG auch Voraussetzung für eine Einbürgerung im Ermessenswege. Umstände, die ein Absehen gemäß § 8 Abs. 2 StAG rechtfertigen könnten, seien weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
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Der Kläger macht mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision geltend, dass die Jugendstrafe nach der Strafmakelbeseitigung nicht mehr berücksichtigt werden dürfe. Staatsangehörigkeitsbehörde und Gerichte hätten von dieser Verurteilung auch nicht rechtmäßig Kenntnis erlangt, da die Ausländerbehörde das Strafurteil aus den Akten hätte entfernen müssen. Mit Blick auf die Zufälligkeit der Kenntniserlangung sei eine Einbürgerungszusicherung zumindest zur Vermeidung einer unbilligen Härte zu erteilen.
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Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.
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Der Kläger ist während des Revisionsverfahrens umgezogen. Der Beklagte hat mitgeteilt, dass er das Verfahren mit Zustimmung der für den neuen Wohnort zuständigen Staatsangehörigkeitsbehörde fortführt.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers ohne Verstoß gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO) zurückgewiesen. Die auf Erteilung einer Einbürgerungszusicherung gerichtete Verpflichtungsklage richtet sich gegen den richtigen Beklagten (1.). Der Kläger hat aber keinen Anspruch auf die begehrte Zusicherung, da er nach Aufgabe seiner türkischen Staatsangehörigkeit weder die weiteren Voraussetzungen für eine Anspruchseinbürgerung nach § 10 StAG noch diejenigen für eine Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG erfüllen würde. Der Anspruchseinbürgerung stehen die Verurteilungen entgegen (2.). Diese stellen materiell ein Einbürgerungshindernis dar (2.1). Sie unterliegen keinem Verwertungsverbot nach § 51 BZRG (2.2). Der Berücksichtigung der gegen den Kläger verhängten Jugendstrafe steht auch nicht entgegen, dass diese Strafe nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen und der Strafmakel gemäß § 100 JGG für beseitigt erklärt worden ist (2.3). Mangels Erfüllung des Straffreiheitserfordernisses scheidet eine Ermessenseinbürgerung ebenfalls aus (3.).
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1. Die Klage richtet sich gegen den richtigen Beklagten. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger während des Revisionsverfahrens umgezogen ist. Denn die für den neuen Wohnort zuständige Staatsangehörigkeitsbehörde hat dem Beklagten die Zustimmung zur Fortführung des Verfahrens in eigener Zuständigkeit erteilt (vgl. § 1 LVwVfG Rheinland-Pfalz i.V.m. § 3 Abs. 3 VwVfG des Bundes). Eine solche Handhabung ist rechtlich nicht zu beanstanden und dient der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens (Urteil vom 24. Mai 1995 - BVerwG 1 C 7.94 - BVerwGE 98, 313 <316> = Buchholz 402.240 § 24 AuslG 1990 Nr. 1 S. 1<3>).
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2. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Einbürgerungszusicherung liegen nicht vor. Ist ein Einbürgerungsbewerber - wie hier - im Besitz einer anderen Staatsangehörigkeit, kann ihm nach § 38 VwVfG eine schriftliche Einbürgerungszusicherung erteilt werden, durch die ihm die Einbürgerung für den Fall zugesagt wird, dass er die Aufgabe seiner Staatsangehörigkeit nachweist. Die Erteilung einer derartigen Zusage setzt voraus, dass der Betroffene alle weiteren Voraussetzungen für eine Einbürgerung erfüllt. Daran fehlt es hier. Ein Anspruch auf Einbürgerung nach § 10 StAG setzt (u.a.) voraus, dass der Ausländer nicht wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt worden ist (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG). Dies ist hier wegen der beiden der Staatsangehörigkeitsbehörde bekannt gewordenen Verurteilungen des Klägers nicht der Fall.
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2.1 Die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Unbeachtlichkeit nach § 12a Abs. 1 StAG liegen nicht vor. Danach bleiben bei der Einbürgerung außer Betracht, (1.) die Verhängung von Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmitteln nach dem Jugendgerichtsgesetz, (2.) Verurteilungen zu Geldstrafe bis zu 90 Tagessätzen und (3.) Verurteilungen zu Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt und nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen worden ist (§ 12a Abs. 1 Satz 1 StAG). Bei mehreren Verurteilungen zu Geld- oder Freiheitsstrafen sind diese zusammenzuzählen, es sei denn, es wurde eine niedrigere Gesamtstrafe gebildet; treffen Geld- und Freiheitsstrafe zusammen, entspricht ein Tagessatz einem Tag Freiheitsstrafe (§ 12a Abs. 1 Satz 2 StAG). Übersteigt die Strafe oder die Summe der Strafen geringfügig den Rahmen nach den Sätzen 1 und 2, so wird im Einzelfall entschieden, ob diese außer Betracht bleiben kann (§ 12a Abs. 1 Satz 3 StAG).
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Die Verurteilungen des Klägers bleiben nicht nach § 12a Abs. 1 Satz 1 und 2 StAG außer Betracht. Die Verurteilung zu einer Jugendstrafe von 10 Monaten aus dem Jahre 2002 überschreitet bereits bei isolierter Betrachtung die in § 12a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG gezogene Beachtlichkeitsgrenze, und zwar um mehr als das Doppelte und daher nicht "geringfügig" (vgl. Urteil vom 20. März 2012 - BVerwG 5 C 5.11 - BVerwGE 142, 145 = Buchholz 130 § 12a StAG Nr. 2, jeweils Rn. 13, nach dem bereits eine Überschreitung um ein Drittel nicht mehr "geringfügig" sei). Überdies wäre nach der Zusammenrechnungsregel des § 12a Abs. 1 Satz 2 StAG die - bei isolierter Betrachtung nach § 12a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG unbeachtliche - Verurteilung zu einer Geldstrafe vom 60 Tagessätzen aus dem Jahre 2007 hinzuzurechnen.
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2.2. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die beiden Verurteilungen keinem Verwertungsverbot nach § 51 Abs. 1 BZRG unterliegen. Danach dürfen in Fällen, in denen die Eintragung über eine Verurteilung im Register getilgt worden ist oder sie zu tilgen ist, die Tat und die Verurteilung dem Betroffenen im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht mehr zu seinem Nachteil verwertet werden. Hierbei handelt es sich um ein umfassendes Verbot, das von allen staatlichen Stellen ab Tilgung bzw. Tilgungsreife Beachtung verlangt unabhängig davon, auf welche Weise sie die entsprechenden Informationen erhalten haben (Beschluss vom 23. September 2009 - BVerwG 1 B 16.09 - Buchholz 402.242 § 87 AufenthG Nr. 1).
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Dass die Jugendstrafe dem Kläger vom Jugendgericht nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen und der Strafmakel als beseitigt erklärt worden ist, begründet kein materielles Verwertungsverbot. Nach § 26a JGG wird jede zur Bewährung ausgesetzte Jugendstrafe, bei der die Strafaussetzung nicht widerrufen wird, nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen; wird die Strafe oder ein Strafrest bei einer Verurteilung zu nicht mehr als zwei Jahren Jugendstrafe erlassen, erklärt der Jugendrichter zugleich nach § 100 JGG den Strafmakel als beseitigt. Die Strafmakelbeseitigung nach dem Jugendgerichtsgesetz führt zu einer günstigeren registerrechtlichen Behandlung der Verurteilung nach dem Bundeszentralregistergesetz, insbesondere darf die Registerbehörde nur noch bestimmten Behörden und Gerichten (zu denen die Staatsangehörigkeitsbehörden und die Verwaltungsgerichte nicht zählen) über die Verurteilung Auskunft erteilen (§ 41 Abs. 3 BZRG). Die Entmakelung kann sich auch auf die Tilgungsfrist auswirken (§ 46 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. f BZRG). Die Beseitigung des Strafmakels hat hingegen keine Auswirkung auf das Tilgungsverbot des § 47 Abs. 3 BZRG (BGH, Beschluss vom 21. April 2009 - 1 StR 144/09 - NStZ-RR 2009, 291). Danach ist in Fällen, in denen im Register mehrere Verurteilungen eingetragen sind, die Tilgung einer Eintragung erst zulässig, wenn für alle Verurteilungen die Voraussetzungen der Tilgung vorliegen (Grundsatz der Unteilbarkeit des Registerinhalts bei Verurteilungen).
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Folglich beträgt hier die Tilgungsfrist für die Verurteilung des Klägers vom November 2002 fünf Jahre (§ 46 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c BZRG). Hinsichtlich des Strafbefehls vom März 2007 gilt hingegen wegen der - zwar entmakelten, aber noch nicht tilgungsreifen - Jugendstrafe eine Tilgungsfrist von 10 Jahren (§ 46 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Nr. 2 Buchst a BZRG), sodass beide Verurteilungen bei weiterer Straffreiheit erst im März 2017 im Zentralregister zu tilgen sind. Bis dahin darf die Registerbehörde der Staatsangehörigkeitsbehörde die Verurteilung aus dem Jahre 2002 zwar nicht mitteilen, diese Verurteilung unterliegt aber keinem Verwertungsverbot nach § 51 Abs. 1 BZRG (Urteil vom 17. März 2004 - BVerwG 1 C 5.03 - Buchholz 402.240 § 88 AuslG Nr. 3 im Fall einer Einbürgerung nach § 88 AuslG 1990 sowie Beschlüsse vom 23. September 2009 a.a.O. und vom 14. Februar 1984 - BVerwG 1 B 10.84 - Buchholz 402.24 § 10 AuslG Nr. 102 zu den vergleichbaren Regelungen in § 61 BZRG n.F./§ 57 BZRG a.F. für das Erziehungsregister).
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2.3 Zutreffend ist das Berufungsgericht weiter davon ausgegangen, dass die Strafmakelbeseitigung und das daran anknüpfende formelle Übermittlungsverbot der Registerbehörde gegenüber der Staatsangehörigkeitsbehörde nicht zur Folge haben, dass die Jugendstrafe im Einbürgerungsverfahren nicht mehr berücksichtigt werden darf (a.A. OVG Saarland, Urteil vom 12. Oktober 2011 - 1 A 246/11 - juris Rn. 55).
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2.3.1 Eine derartige Wirkung ist den einschlägigen gesetzlichen Regelungen schon vom Wortlaut her nicht zu entnehmen. Sie widerspräche zudem der Gesetzessystematik. Gesetzeshistorie und -materialien sprechen ebenfalls gegen ein (eingeschränktes) Berücksichtigungsverbot im Einbürgerungsverfahren. Allein Sinn und Zweck der Strafmakelbeseitigung rechtfertigen keine Ausnahme vom einbürgerungsrechtlichen Straffreiheitserfordernis.
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Das Jugendgerichtsgesetz regelt in §§ 97 und 100 JGG die Voraussetzungen für eine Strafmakelbeseitigung durch den Jugendrichter. Die gesetzlichen Wirkungen der Entmakelung ergeben sich aus ihrer registerrechtlichen Behandlung nach dem Bundeszentralregistergesetz. Danach führt die Beseitigung des Strafmakels nach § 41 Abs. 3 BZRG zwar formal zu einer Einschränkung des Umfangs der Auskunftserteilung, so dass die Registerbehörde der Staatsangehörigkeitsbehörde die Verurteilung nach einer Entmakelung nicht (mehr) mitteilen darf. Ein materielles Verwertungsverbot tritt nach § 51 Abs. 1 BZRG aber erst mit Tilgung oder Tilgungsreife ein. Auch das Staatsangehörigkeitsgesetz enthält kein Berücksichtigungsverbot für entmakelte Jugendstrafen. Vielmehr stellt die Verurteilung zu einer Strafe wegen einer rechtswidrigen Straftat materiell ein Einbürgerungshindernis dar (vgl. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 und § 8 Abs. 1 Nr. 2 StAG). Hiervon sind nach § 12a Abs. 1 StAG lediglich Verurteilungen unterhalb einer bestimmten Beachtlichkeitsschwelle ausgenommen.
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Aus der Gesetzeshistorie und den Gesetzesmaterialien ergeben sich ebenfalls keine Hinweise für ein Berücksichtigungsverbot. Der Gesetzgeber hat die Voraussetzungen, unter denen strafrechtliche Verurteilungen ausnahmsweise kein Einbürgerungshindernis darstellen, in den letzten Jahren mehrfach verschärft: Nach § 88 Abs. 1 AuslG in der bis zum 31. Dezember 2004 gültigen Fassung - AuslG 1990 -, der Vorgängerregelung zu § 12a StAG, blieben bei der Anspruchseinbürgerung nach § 85 Abs. 1 AuslG 1990 - obligatorisch - außer Betracht, (1.) die Verhängung von Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmitteln nach dem Jugendgerichtsgesetz, (2.) Verurteilungen zu Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen und (3.) Verurteilungen zu Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt und nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen worden waren; bei Verurteilungen zu einer höheren Strafe war im Einzelfall zu entscheiden, ob die Straftat außer Betracht bleiben konnte. Bei Verhängung einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe bis zu einem Jahr war dem Ausländer nach § 88 Abs. 2 AuslG 1990 eine Einbürgerungszusicherung zu erteilen für den Fall, dass die Strafe nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen wird. Damit stand unter der Geltung des Ausländergesetzes die Verurteilung zu einer zur Bewährung ausgesetzten und nach Ablauf der Bewährungszeit erlassenen Jugendstrafe bis zu einem Jahr - wie andere Verurteilungen unterhalb der Beachtlichkeitsgrenzen des § 88 Abs. 1 AuslG 1990 - einer Einbürgerung nicht entgegen. Diese Bestimmungen sollten nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung mit dem Zuwanderungsgesetz unverändert in § 12a StAG aufgenommen werden (BTDrucks 15/420 S. 48, 117). Nach einem Antrag der CDU/CSU-Fraktion, die Grenzen des § 88 Abs. 1 AuslG 1990 zu halbieren und die Privilegierung von Jugendstrafen nach § 88 Abs. 2 AuslG 1990 gänzlich abzuschaffen (BTDrucks 15/955 S. 42), wurde auf Empfehlung des Vermittlungsausschusses (BTDrucks 15/3479 S. 15) nur die Regelung in § 88 Abs. 1 AuslG 1990 unverändert in § 12a Abs. 1 StAG übernommen, die Regelung in § 88 Abs. 2 AuslG 1990 entfiel indes mit dem Zuwanderungsgesetz von 2005 ersatzlos. Mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz von 2007 wurden die Anforderungen an die Unbeachtlichkeit strafrechtlicher Verurteilungen in § 12a Abs. 1 StAG nochmals verschärft und auf Anregung der Innenministerkonferenz vom Mai 2006 die Beachtlichkeitsschwelle nun doch auf 90 Tagessätze bzw. drei Monate gesenkt. Außerdem sind seitdem mehrere Verurteilungen zusammenzuzählen (§ 12a Abs. 1 Satz 2 StAG). Schließlich wurde das bis dahin tatbestandlich nicht eingeschränkte Nichtberücksichtigungsermessen bei Bestrafungen, die die Unbeachtlichkeitsgrenze überschreiten, in § 12a Abs. 1 Satz 3 StAG dadurch eingegrenzt, dass eine Nichtberücksichtigung im Ermessenswege nur noch bei Strafen eröffnet ist, welche die - herabgesenkten - Grenzen des Satzes 1 geringfügig überschreiten. In der Gesetzesbegründung der Bundesregierung wurde zudem ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Jugendstrafen immer beachtlich sind, da bei ihnen das Mindestmaß erst bei sechs Monaten beginnt (BTDrucks 16/5065 S. 230). Dies belegt, dass nach dem Willen des Gesetzgebers Jugendstrafen nicht nur bis zu ihrer Entmakelung ein Einbürgerungshindernis darstellen. Andernfalls hätte es nahegelegen, dies ausdrücklich in § 12a StAG zu regeln, zumal der Kreis der Personen, die zu einer der Entmakelung nach §§ 97 oder 100 JGG zugänglichen Jugendstrafe verurteilt werden, erheblich größer ist als der Kreis der von der ursprünglichen Privilegierung in § 88 Abs. 2 AuslG 1990 erfassten Personen. Eine materiellrechtliche Nichtberücksichtigung von Jugendstrafen nach ihrer Entmakelung verkehrte die durch die Aufhebung des § 88 Abs. 2 AuslG 1990 gewollte einbürgerungshindernde Berücksichtigung von Jugendstrafe in das Gegenteil.
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Ein Berücksichtigungsverbot ergibt sich auch nicht aus Sinn und Zweck der Strafmakelbeseitigung. Diese soll zwar die stigmatisierende Wirkung einer Jugendstrafe mindern und dient damit der Förderung der Wiedereingliederung jugendlicher und heranwachsender Straftäter. In ihren gesetzlichen Wirkungen bleibt sie aber hinter dem Verwertungsverbot des § 51 BZRG zurück. § 41 Abs. 3 BZRG enthält nur ein formelles, lediglich die Registerbehörde bindendes Übermittlungsverbot. Hiervon zu trennen ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Fachbehörde die Verurteilung zu einer Jugendstrafe trotz Strafmakelbeseitigung berücksichtigen darf, wenn ihr die Registerbehörde hierüber zwar keine Auskunft erteilen darf, sie von der Verurteilung aber auf anderem Wege Kenntnis erlangt hat. Dies richtet sich, solange mangels Tilgung oder Tilgungsreife die Voraussetzungen für ein absolutes Verwertungsverbot nach § 51 BZRG nicht vorliegen, primär nach dem einschlägigen materiellen Recht - hier also den Bestimmungen des Staatsangehörigkeitsrechts.
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Danach führt jede Verurteilung wegen einer rechtswidrigen Tat - abgesehen von den in § 12a Abs. 1 StAG aufgeführten Ausnahmen - zu einem materiellen Einbürgerungshindernis. Diese dem Staatsangehörigkeitsrecht zugrunde liegende Wertung würde unterlaufen, wenn Jugendstrafen schon nach einer Strafmakelbeseitigung nicht mehr berücksichtigt werden dürften. Zudem hätte ein derartiges Verbot eine vom Gesetzgeber erkennbar nicht gewollte Privilegierung jugendlicher und heranwachsender Straftäter gegenüber dem Erwachsenenstrafrecht unterliegenden Straftätern zur Folge. Denn für diese liegen nach § 12a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 StAG die Unbeachtlichkeitsgrenzen bei 90 Tagessätzen Geldstrafe bzw. drei Monaten Freiheitsstrafe, wenn die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt und nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen worden ist. Bei genereller Nichtberücksichtigung von Jugendstrafen nach einer Strafmakelbeseitigung träte diese Wirkung bei jugendlichen und heranwachsenden Straftätern mit dem Straferlass nach Ablauf der Bewährungszeit bei nahezu allen Verurteilungen zu nicht mehr als zwei Jahren Jugendstrafe ein (§ 100 Abs. 1 Satz 1 JGG), und zwar selbst bei teilweiser Verbüßung der Jugendstrafe und Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung. Selbst schwere Verfehlungen stünden schon nach relativ kurzer Zeit und deutlich vor Ablauf der Tilgungsfrist einer Einbürgerung nicht mehr entgegen. Dies widerspräche der besonderen Bedeutung des Straffreiheitserfordernisses bei der Einbürgerung.
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2.3.2 Ein Berücksichtigungsverbot besteht auch nicht wegen rechtswidriger Kenntniserlangung. Dabei kann dahinstehen, ob und unter welchen Voraussetzungen Staatsangehörigkeitsbehörden Verurteilungen, von denen sie auf rechtswidrige Weise Kenntnis erlangt haben, bei ihren Entscheidungen außer acht lassen müssen (vgl. Beschluss vom 14. Februar 1984 - BVerwG 1 B 10.84 - Buchholz 402.24 § 10 AuslG Nr. 102). Denn die Behörde hat von der Jugendstrafe des Klägers auf rechtmäßigem Wege Kenntnis erlangt.
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Der Umstand, dass die Staatsangehörigkeitsbehörden nicht zu den auskunftsberechtigten Stellen gemäß § 41 Abs. 3 BZRG zählen, steht einer rechtmäßigen Kenntniserlangung auf anderem Wege nicht entgegen. Hier hat die Behörde nicht von der Registerbehörde, sondern aus der von ihr beigezogenen Ausländerakte Kenntnis von der Verurteilung aus dem Jahre 2002 erlangt. Dabei kann dahinstehen, ob sie die Ausländerakte schon deshalb beiziehen durfte, weil der Kläger bei Antragstellung eine entsprechende "Einwilligungserklärung" abgegeben hat. In diesem Zusammenhang bedarf insbesondere keiner Entscheidung, ob diese Erklärung datenschutzrechtlich wirksam ist, obwohl der Kläger im Antragsformular darauf hingewiesen worden ist, dass der Einbürgerungsantrag abgelehnt werden müsse, wenn die Ausländerakte wegen der Verweigerung der Einwilligung nicht beigezogen werden könne. Den sich daraus ergebenden Zweifeln, ob die Erklärung auf einer freien Entscheidung des Klägers im Sinne des § 4a Abs. 1 Satz 1 BDSG beruht, braucht indes nicht nachgegangen zu werden. Denn die Staatsangehörigkeitsbehörde durfte die in der Ausländerakte befindlichen Erkenntnisse über noch nicht getilgte strafrechtliche Verurteilungen des Klägers nach den einschlägigen datenschutzrechtlichen Bestimmungen im Staatsangehörigkeits- und im Aufenthaltsgesetz über die Erhebung, Vernichtung und Weitergabe personenbezogener Daten auch ohne Einwilligung des Klägers beiziehen.
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Nach § 32 StAG haben öffentliche Stellen den Staatsangehörigkeitsbehörden die zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben erforderlichen personenbezogenen Daten zu übermitteln, soweit besondere gesetzliche Verwendungsregelungen nicht entgegenstehen. Diese Mitwirkungspflicht erstreckt sich - wie die Formulierung in § 32 Abs. 1 Satz 2 StAG belegt - in Einbürgerungsverfahren auf alle Daten, die für die Entscheidung der Staatsangehörigkeitsbehörde erforderlich sind, und umfasst damit auch Erkenntnisse der zuständigen Ausländerbehörde über strafrechtliche Verurteilungen des Einbürgerungsbewerbers, die sie ihrerseits rechtmäßig erlangt und in den Akten belassen durfte. Die an die Registerbehörde gerichteten Übermittlungsbeschränkungen (§ 41 Abs. 3 BZRG) sind dabei - wie dargelegt - gerade keine materiellrechtlichen Verwendungsregelungen.
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Hier hatte die Ausländerbehörde über die Mitwirkungspflichten der Strafverfolgungsbehörden nach § 87 Abs. 2 und 4 AufenthG eine Abschrift des Strafurteils aus dem Jahre 2002 erhalten. Nach diesen Bestimmungen haben öffentliche Stellen - auch insoweit vorbehaltlich entgegenstehender besonderer gesetzlicher Verwendungsregelungen (§ 88 Abs. 1 AufenthG) - (u.a.) die zuständige Ausländerbehörde unverzüglich zu unterrichten, wenn sie im Zusammenhang mit der Erfüllung ihrer Aufgaben von einem Ausweisungsgrund Kenntnis erlangt haben (§ 87 Abs. 2 AufenthG). Die für die Einleitung und Durchführung eines Strafverfahrens zuständigen Stellen haben die zuständige Ausländerbehörde zudem unverzüglich über die Einleitung und die Erledigung von Strafverfahren zu unterrichten (§ 87 Abs. 4 Satz 1 AufenthG). In Konkretisierung dieser gesetzlichen Pflichten bestimmt Nr. 42 der Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen in der Fassung vom 19. Mai 2008 (MiStrA), dass in Strafsachen gegen Ausländer (u.a.) der Ausländerbehörde sowohl die Einleitung und der Ausgang eines Strafverfahrens als auch sonstige Ausweisungsgründe unverzüglich mitzuteilen sind. Dem ist das Amtsgericht mit Übersendung einer Abschrift des gegen den Kläger ergangenen Urteils aus dem Jahre 2002 an die seinerzeit zuständige Ausländerbehörde nachgekommen.
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Die Ausländerbehörde war auch nicht verpflichtet, die rechtmäßig zur Ausländerakte gelangte Urteilsabschrift vor einer Weitergabe an die Staatsangehörigkeitsbehörde aus der Ausländerakte zu entfernen. Insbesondere lagen die Voraussetzungen für eine Vernichtung nach § 91 Abs. 2 AufenthG nicht vor. Danach sind Mitteilungen nach § 87 Abs. 1 AufenthG von den Ausländerbehörden unverzüglich zu vernichten, wenn sie für eine anstehende ausländerrechtliche Entscheidung unerheblich sind und voraussichtlich auch für eine spätere ausländerrechtliche Entscheidung nicht erheblich werden können (§ 91 Abs. 2 AufenthG). Diese Vorschrift erfasst ausdrücklich nur Mitteilungen nach § 87 Abs. 1 AufenthG. Außerdem kann bei strafrechtlichen Verurteilungen, solange sie keinem materiellen Verwertungsverbot nach § 51 BZRG unterliegen, die potentielle Erheblichkeit für eine spätere ausländerrechtliche Entscheidung regelmäßig nicht ausgeschlossen werden.
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3. Die Voraussetzungen für eine Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG liegen ebenfalls nicht vor. Nach § 8 Abs. 1 StAG kann ein Ausländer, der rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, auf seinen Antrag unter den dort genannten Voraussetzungen eingebürgert werden. Auch eine Ermessenseinbürgerung setzt voraus, dass der Ausländer nicht wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt worden ist (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 StAG), wobei auch hier § 12a Abs. 1 StAG Anwendung findet. Von dieser Einbürgerungsvoraussetzung kann allerdings über § 8 Abs. 2 StAG im Einzelfall aus Gründen des öffentlichen Interesses oder zur Vermeidung einer besonderen Härte abgesehen werden. Dies gilt selbst dann, wenn die Grenze der Unbeachtlichkeit mehr als geringfügig im Sinne von § 12a Abs. 1 Satz 3 StAG überschritten worden ist (Urteil vom 20. März 2012 - BVerwG 5 C 5.11 - BVerwGE 142, 145 = Buchholz 130 § 12a StAG Nr. 2, jeweils Rn. 37 f.).
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Auf der Grundlage der nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit im Revisionsverfahren bindenden tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) bestehen keine Anhaltspunkte für ein öffentliches Interesse an der Einbürgerung des Klägers, das es ausnahmsweise rechtfertigen könnte, ihn trotz seiner nicht unbeachtlichen Straffälligkeit einzubürgern. Ebenso wenig liegen Anhaltspunkte für eine besondere Härte im Sinne des § 8 Abs. 2 StAG vor. Eine solche Härte muss durch atypische Umstände des Einzelfalls bedingt sein und gerade durch die Verweigerung der Einbürgerung hervorgerufen werden und deshalb durch eine Einbürgerung vermieden oder zumindest entscheidend abgemildert werden können (Urteil vom 20. März 2012 a.a.O., jeweils Rn. 39). Für solche Umstände, deren Vorbringen der Mitwirkungsobliegenheit des Einbürgerungsbewerbers unterfällt, gibt es nach dem Vorbringen des Klägers und den Feststellungen des Berufungsgerichts keinen Anhalt.
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Eine besondere Härte ergibt sich entgegen der Auffassung der Revision insbesondere nicht aus der zwischenzeitlichen Entmakelung der Jugendstrafe und dem Umstand, dass die Staatsangehörigkeitsbehörde von dieser Verurteilung über die - in Einbürgerungsverfahren übliche - Beiziehung der Ausländerakte Kenntnis erlangt hat. Dass der Kläger Vater eines Kindes mit deutscher Staatsangehörigkeit ist, begründet ebenfalls keine besondere Härte. Auch wenn im Hinblick auf die Familieneinheit eine einheitliche staatsangehörigkeitsrechtliche Behandlung der Familie wünschenswert ist, gewährt Art. 6 Abs. 1 GG Angehörigen von Deutschen keinen Anspruch auf Einbürgerung. Der grundrechtliche Schutz der Familie gebietet vorliegend auch nicht ein Absehen von der tatbestandlichen Voraussetzung des § 8 Abs. 1 Nr. 2 StAG. Der Kläger ist im Besitz eines unbefristeten Aufenthaltsrechts und hat zu keinem Zeitpunkt eine Gefährdung der Beziehung zu seinem Kind durch die verschiedenen Staatsangehörigkeiten geltend gemacht.
(1) Eintragungen, die in ein Führungszeugnis nicht aufgenommen werden, sowie Suchvermerke dürfen, unbeschadet der §§ 42 und 57, nur zur Kenntnis gegeben werden
- 1.
den Gerichten, Gerichtsvorständen, Staatsanwaltschaften, dem nationalen Mitglied nach Maßgabe des § 5 Absatz 1 Nummer 2 des Eurojust-Gesetzes, den Aufsichtsstellen nach § 68a des Strafgesetzbuchs sowie der Bewährungshilfe für Zwecke der Rechtspflege sowie den Justizvollzugsbehörden für Zwecke des Strafvollzugs einschließlich der Überprüfung aller im Strafvollzug tätigen Personen, - 2.
den obersten Bundes- und Landesbehörden, - 3.
den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, dem Bundesnachrichtendienst und dem Militärischen Abschirmdienst für die diesen Behörden übertragenen Sicherheitsaufgaben, - 4.
den Finanzbehörden für die Verfolgung von Straftaten, die zu ihrer Zuständigkeit gehören, - 5.
den Kriminaldienst verrichtenden Dienststellen der Polizei für Zwecke der Verhütung und Verfolgung von Straftaten, - 6.
den Einbürgerungsbehörden für Einbürgerungsverfahren, - 7.
den Ausländerbehörden, den mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, wenn sich die Auskunft auf einen Ausländer bezieht, - 8.
den Gnadenbehörden für Gnadensachen, - 9.
den für waffenrechtliche oder sprengstoffrechtliche Erlaubnisse, für die Erteilung von Jagdscheinen, für Erlaubnisse zum Halten eines gefährlichen Hundes oder für Erlaubnisse für das Bewachungsgewerbe und die Überprüfung des Bewachungspersonals zuständigen Behörden, - 10.
dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte im Rahmen des Erlaubnisverfahrens nach dem Betäubungsmittelgesetz, - 11.
den Rechtsanwaltskammern oder der Patentanwaltskammer für Entscheidungen in Zulassungs-, Aufnahme- und Aufsichtsverfahren nach der Bundesrechtsanwaltsordnung, der Patentanwaltsordnung, dem Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland oder dem Gesetz über die Tätigkeit europäischer Patentanwälte in Deutschland, - 12.
dem Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, dem Eisenbahn-Bundesamt und den zuständigen Landesbehörden im Rahmen der atom- und strahlenschutzrechtlichen Zuverlässigkeitsüberprüfung nach dem Atomgesetz und dem Strahlenschutzgesetz, - 13.
den Luftsicherheitsbehörden für Zwecke der Zuverlässigkeitsüberprüfung nach § 7 des Luftsicherheitsgesetzes, - 14.
der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach dem Geldwäschegesetz.
(2) Eintragungen nach § 17 und Verurteilungen zu Jugendstrafe, bei denen der Strafmakel als beseitigt erklärt ist, dürfen nicht nach Absatz 1 mitgeteilt werden; über sie wird nur noch den Strafgerichten und Staatsanwaltschaften für ein Strafverfahren gegen die betroffene Person Auskunft erteilt. Dies gilt nicht für Verurteilungen wegen einer Straftat nach den §§ 171, 174 bis 180a, 181a, 182 bis 184g, 184i bis 184l, 201a Absatz 3, den §§ 225, 232 bis 233a, 234, 235 oder § 236 des Strafgesetzbuchs. Die Angabe nach § 5 Absatz 1 Nummer 8 darf nicht nach Absatz 1 mitgeteilt werden.
(3) Die Auskunft nach den Absätzen 1 und 2 wird nur auf ausdrückliches Ersuchen erteilt. Die in Absatz 1 genannten Stellen haben den Zweck anzugeben, für den die Auskunft benötigt wird; sie darf nur für diesen Zweck verwertet werden.
(1) Ist die Eintragung über eine Verurteilung im Register getilgt worden oder ist sie zu tilgen, so dürfen die Tat und die Verurteilung der betroffenen Person im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu ihrem Nachteil verwertet werden.
(2) Aus der Tat oder der Verurteilung entstandene Rechte Dritter, gesetzliche Rechtsfolgen der Tat oder der Verurteilung und Entscheidungen von Gerichten oder Verwaltungsbehörden, die im Zusammenhang mit der Tat oder der Verurteilung ergangen sind, bleiben unberührt.
(1) Die Parteien haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben.
(2) Jede Partei hat sich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären.
(3) Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden anzusehen, wenn nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht.
(4) Eine Erklärung mit Nichtwissen ist nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind.
(1) Ein Verein darf erst dann als verboten (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes) behandelt werden, wenn durch Verfügung der Verbotsbehörde festgestellt ist, daß seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder daß er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet; in der Verfügung ist die Auflösung des Vereins anzuordnen (Verbot). Mit dem Verbot ist in der Regel die Beschlagnahme und die Einziehung
- 1.
des Vereinsvermögens, - 2.
von Forderungen Dritter, soweit die Einziehung in § 12 Abs. 1 vorgesehen ist, und - 3.
von Sachen Dritter, soweit der Berechtigte durch die Überlassung der Sachen an den Verein dessen verfassungswidrige Bestrebungen vorsätzlich gefördert hat oder die Sachen zur Förderung dieser Bestrebungen bestimmt sind,
(2) Verbotsbehörde ist
- 1.
die obersten Landesbehörde oder die nach Landesrecht zuständige Behörde für Vereine und Teilvereine, deren erkennbare Organisation und Tätigkeit sich auf das Gebiet eines Landes beschränken; - 2.
das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat für Vereine und Teilvereine, deren Organisation oder Tätigkeit sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt.
(3) Das Verbot erstreckt sich, wenn es nicht ausdrücklich beschränkt wird, auf alle Organisationen, die dem Verein derart eingegliedert sind, daß sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse als Gliederung dieses Vereins erscheinen (Teilorganisationen). Auf nichtgebietliche Teilorganisationen mit eigener Rechtspersönlichkeit erstreckt sich das Verbot nur, wenn sie in der Verbotsverfügung ausdrücklich benannt sind.
(4) Das Verbot ist schriftlich oder elektronisch mit einer dauerhaft überprüfbaren Signatur nach § 37 Abs. 4 des Verwaltungsverfahrensgesetzes abzufassen, zu begründen und dem Verein, im Falle des Absatzes 3 Satz 2 auch den Teilorganisationen, zuzustellen. Der verfügende Teil des Verbots ist im Bundesanzeiger und danach im amtlichen Mitteilungsblatt des Landes bekanntzumachen, in dem der Verein oder, sofern sich das Verbot hierauf beschränkt, der Teilverein seinen Sitz hat; Verbote nach § 15 werden nur im Bundesanzeiger bekanntgemacht. Das Verbot wird mit der Zustellung, spätestens mit der Bekanntmachung im Bundesanzeiger, wirksam und vollziehbar; § 80 der Verwaltungsgerichtsordnung bleibt unberührt.
(5) Die Verbotsbehörde kann das Verbot auch auf Handlungen von Mitgliedern des Vereins stützen, wenn
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 3 der Zivilprozessordnung:
- 1.
über die Anordnung eines Arrests, zur Erwirkung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung, wenn keine Festgebühren bestimmt sind, und auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sowie im Verfahren über die Aufhebung, den Widerruf oder die Abänderung der genannten Entscheidungen, - 2.
über den Antrag auf Zulassung der Vollziehung einer vorläufigen oder sichernden Maßnahme des Schiedsgerichts, - 3.
auf Aufhebung oder Abänderung einer Entscheidung auf Zulassung der Vollziehung (§ 1041 der Zivilprozessordnung), - 4.
nach § 47 Absatz 5 des Energiewirtschaftsgesetzes über gerügte Rechtsverletzungen, der Wert beträgt höchstens 100 000 Euro, und - 5.
nach § 148 Absatz 1 und 2 des Aktiengesetzes; er darf jedoch ein Zehntel des Grundkapitals oder Stammkapitals des übertragenden oder formwechselnden Rechtsträgers oder, falls der übertragende oder formwechselnde Rechtsträger ein Grundkapital oder Stammkapital nicht hat, ein Zehntel des Vermögens dieses Rechtsträgers, höchstens jedoch 500 000 Euro, nur insoweit übersteigen, als die Bedeutung der Sache für die Parteien höher zu bewerten ist.
(2) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 52 Absatz 1 und 2:
- 1.
über einen Antrag auf Erlass, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung oder § 114 der Finanzgerichtsordnung, - 2.
nach § 47 Absatz 6, § 80 Absatz 5 bis 8, § 80a Absatz 3 oder § 80b Absatz 2 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung, - 3.
nach § 69 Absatz 3, 5 der Finanzgerichtsordnung, - 4.
nach § 86b des Sozialgerichtsgesetzes und - 5.
nach § 50 Absatz 3 bis 5 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes.