Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 27. Aug. 2014 - 8 B 13/14

ECLI:ECLI:DE:VGMAGDE:2014:0827.8B13.14.0A
bei uns veröffentlicht am27.08.2014

Gründe

1

Die Antragstellerin ist als verbeamtete Verwaltungsleiterin des Zentralen Einsatzdienstes (ZED) im Rang einer Regierungsoberinspektorin bei der Antragsgegnerin beschäftigt. Unter dem 14.02.2014 leitete die Antragsgegnerin gegen die Antragstellerin ein Disziplinarverfahren ein und enthob sie vorläufig des Dienstes. Mit Verfügung vom 13.05.2014 verfügte die Antragsgegnerin gegen die Antragstellerin die Einbehaltung von 17 % ihrer Dienstbezüge. Dem lagen vier disziplinarrechtliche Pflichtenverstöße zugrunde. Nämlich der Verdacht der Vorteilsnahme nach § 331 StGB, weil der Antragstellerin nach einer Falschbetankung eines Dienstfahrzeuges die Kosten für das Kraftstoffablassen in Höhe von 25,00 Euro erlassen worden seien (1.), gegenüber POR Z. und POM T. unwahre Angaben über die bei der Falschbetankung entstandenen Kosten und deren Begleichung gemacht habe (2.), eine Strafanzeige wegen unbefugten Gebrauchs eines Fahrzeuges nach § 248 b StGB vorliege (3.) und seit Mai 2013 mehrere Unregelmäßigkeiten bei der Dokumentation der Dienstzeiten der Antragstellerin gegeben seien (4.).

2

Der zulässige Antrag nach § 61 Abs. 2 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt (DG LSA) ist begründet.

3

Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt wird. Ferner kann die vorläufige Dienstenthebung ausgesprochen werden, wenn durch ein Verbleiben des Beamten im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Dienstenthebung nicht unverhältnismäßig ist (§ 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA). Zudem kann sie nach § 38 Abs. 2 DG LSA mit oder nach der vorläufigen Dienstenthebung anordnen, dass dem Beamten bis zu 50 v. H. der monatlichen Dienstbezüge einbehalten werden, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird.

4

1.) Bei der vorläufigen Dienstenthebung stützt sich die Antragsgegnerin erkennbar (nur) auf § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA, da ihrer Meinung nach im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird.

5

Bei der Anordnung der Suspendierung handelt es sich nicht um eine Disziplinarmaßnahme im Sinne des Maßnahmenkataloges, sondern um eine beamtenrechtliche Maßnahme des Disziplinarrechts (Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 5. Auflage 2012, § 38 Rz. 1). Ihre Berechtigung ergibt sich aus dem funktionalen Bedürfnis, noch vor der endgültigen Klärung des Vorliegens eines Dienstvergehens und der abschließenden Entscheidung über die angemessene Maßregelung des Beamten eine den Verwaltungsaufgaben und dem Dienstbetrieb dienende vorübergehende Sicherungsregel zu treffen.

6

a.) Die nach § 61 Abs. 2 DG LSA vom Disziplinargericht vorzunehmende Prüfung ergibt, dass die vorläufige Dienstenthebung aufzuheben ist. Denn zur Überzeugung des Disziplinargerichts bestehen ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit.

7

a. a.) Die auf § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA gestützte Verfügung über die vorläufige Dienstenthebung muss pflichtgemäßem Ermessen der Einleitungsbehörde entsprechen. Den Beamten auch nur vorläufig vom Dienst zu entheben, setzt voraus, dass ein Verbleiben des Beamten im Dienst schlechthin untragbar wäre. Dabei handelt es sich um die denkbar schwerste Sanktion für dienstliche Verfehlungen, welche nach der Rechtsprechung besondere Umstände voraussetzt. Für die konkrete Entscheidung im Einzelfall sind grundsätzlich das dienstliche Bedürfnis an der einstweiligen Fernhaltung des Beschuldigten vom Dienst und dessen Recht auf amtsentsprechende dienstliche Beschäftigung abzuwägen (vgl. dazu: Köhler/Ratz, BDO, 2. Aufl., § 91 Rz. 10: vgl. zum Ganzen: VG Magdeburg, Beschl. v. 10.02.2007, 8 B 22/06; Beschl. v. 03.03.2010, 8 B 21/09; zuletzt: Beschl. v. 31.03.2014, 8 B 2/14 und v. 26.08.2013, 8 B 13/13; OVG Lüneburg, Beschluss v. 25.03.2013, 19 ZD 4/13; alle juris).

8

Nach § 61 Abs. 2 DG LSA ist die vorläufige Dienstenthebung dann aufzuheben, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel sind schon dann anzunehmen, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts offen ist, ob die Anordnung nach § 38 Abs. 1 DG LSA rechtmäßig oder rechtswidrig ist (vgl. nur: Bay. VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DC 11.985; OVG Lüneburg Beschluss vom 13.5.2005, 3 ZD 1/05; alle juris). Neben der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung ist somit zu prüfen, ob die in der Anordnung liegende Prognose gerechtfertigt ist, der Beamte werde im Disziplinarverfahren voraussichtlich aus dem Dienst entfernt werden.

9

Diese Prognose trägt nur dann, wenn nach dem Kenntnisstand eines Eilverfahrens die Möglichkeit des Ausspruchs der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme überwiegend wahrscheinlich ist. Ist es dagegen zumindest ebenso wahrscheinlich, dass eine Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis im Disziplinarverfahren nicht erfolgen wird, sind ernstliche Zweifel durch das Gericht zu bejahen (BVerwG, Besch. v. 16.07.2009, 2 AV 4.09; BayVGH, Beschl. v. 20.04.2011, 16b DS 10.1120;Sächs. OVG, B. 19.08.2010, D 6 B115/10 mit Verweis auf Beschluss vom 08.07.2010, D6A116/10; alle juris; Müller, Grundzüge des Beamtendisziplinarrechts, § 38 Abs. 1 BDG, 2010, Rz. 370 m. w. N.; GKÖD, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, § 38 BDG, Rz. 51). Anders gewendet, es müssen hinreichend gewichtige Gründe dafür sprechen, dass die Entfernung aus dem Dienst im Ergebnis des - noch durchzuführenden - Disziplinarverfahrens nicht in Betracht kommt. Dies beinhaltet eine vom Gericht vorzunehmende summarische Prüfung des zurzeit bekannten Sachverhaltes und eine daran orientierte Wahrscheinlichkeitsprognose. Hinsichtlich des zur Last gelegten Dienstvergehens genügt die Feststellung, dass der Beamte dieses Dienstvergehen mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit begangen hat; nicht erforderlich ist, dass das Dienstvergehen bereits in vollem Umfang nachgewiesen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.09.1997, 2 WDB 3.97; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.09.2009, 83 DB 1.09; OVG des Saarlandes, Beschl. v. 17.06.2009, 6 B 289/09; alle juris).

10

Die Beurteilung im Verfahren nach § 61 DG LSA erfordert keine gesonderten Beweiserhebungen, sondern ist in der Lage, in der sich das Disziplinarverfahren jeweils befindet, anhand der bis dahin zu Tage getretenen Tatsachen zu treffen. Für eine vorläufige Dienstenthebung können u. U. selbst durch Aktenvermerke untermauerte Erkenntnisse ausreichen (vgl. Müller a. a. O.). Dabei ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (BVerwG, Beschl. v. 22.07.2002, 2 WDB 1.02; OVG Berlin-Brandenburg; Beschl. v. 18.08.2005, 80 SN 1.05; Bay VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DCV 11.985; alle juris). Jedoch muss für die gerichtliche Überprüfung der vorläufigen Dienstenthebung maßgeblich auf die von dem Dienstherrn in dem Bescheid herangezogenen Gründe der Pflichtenverletzung abgestellt werden. Ähnlich wie bei der Bestimmtheit des Tatvorwurfs als inhaltliche Anforderung an die - spätere - Disziplinarklageschrift, müssen die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, aus sich heraus verständlich und nachvollziehbar geschildert werden. Ort und Zeit der einzelnen Handlungen müssen möglichst genau angegeben, die Geschehensabläufe nachvollziehbar beschrieben werden (vgl. nur: BVerwG, Urteile v. 23.11.2006, 1 D 1.06, v. 25.01.2007, 2 A 3.05; Beschlüsse v. 13.03.2006, 1 D 3.06, v. 18.11.2008, 2 B 63.08 und v. 21.04.2010, 2 B 101.09; alle juris). Nur diese können durch das Disziplinargericht im Rahmen der Würdigung durch Akteninhalte und sonstige - evtl. auch später, im Laufe des Verfahrens nach § 61 DG LSA hinzutretende - Erkenntnisse untermauert werden, um so die Prognoseentscheidung, das heißt die Ausübung des ordnungsgemäßen Ermessens durch den Dienstherrn, zu überprüfen (VG Magdeburg, Beschl. v. 12.06.2012, 8 B 5/12, juris). Hingegen ist es dem Disziplinargericht verwehrt, anstelle der Disziplinarbehörde eine eigene Ermessenserwägung anzustellen (OVG Saarland, Beschluss v. 18.05.2011, 6 B 211/11; juris).

11

b. b.) Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 und 3 DG LSA nach derSchwere des Dienstvergehens und des unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten eingetretenen Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. § 13 Abs. 2 DG LSA bestimmt, dass ein Beamter, der durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen ist (Satz 1). Die Feststellung des verloren gegangenen Vertrauens ist verwaltungsgerichtlich voll inhaltlich nachprüfbar (Satz 2).

12

Demnach ist maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme die Schwere des Dienstvergehens. Sie beurteilt sich zum einen nach der Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale) und zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen der Pflichtenverstöße für den dienstlichen Betrieb und für Dritte (vgl. zum gleichlautenden § 13 BDG, BVerwG, Urt. v. 20.10.2005, 2 C 12.04; Urt. v. 03.05.2007, 2 C 9.06; B. v. 10.09.2010, 2 B 97/09; VGH Baden-Württemberg, U. v. 16.09.2010, DL 16 S 579/10; alle juris).

13

Erst bei Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Beamten lässt sich mit der gebotenen Sicherheit beurteilen, ob der Beamte aus disziplinarrechtlicher Sicht noch erziehbar erscheint oder ob hierfür eine bestimmte Disziplinarmaßnahme als notwendig, aber auch als ausreichend erscheint, oder ob der Beamte für die Allgemeinheit und den Dienstherrn untragbar geworden ist und deshalb seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist (vgl. nur: VG Magdeburg, U. v. 04.11.2009, 8 A 19/08 m. w. N.; juris).

14

Eine objektive und ausgewogene Zumessungsentscheidung setzt demnach voraus, dass die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme unter Berücksichtigung der belastenden und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten steht und gewisse Besonderheiten des Einzelfalls mildernd zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.12.2004, 2 BvR 52/02; BVerwG, U. v. 14.02.2007, 1 D 12.05 mit Verweis auf Urteil vom 20.10.2005, 2 C 12.04; OVG Lüneburg, U. v. 20.11.2009, 6 LD 1/09; VGH Bad.-Württ., U. v. 16.09.2010, DL 16 S 579/10; VG Saarland, U. v. 17.09.2010, 7 K 238/09; alle juris).

15

b.) Unter diesen rechtlichen Prüfungsvoraussetzungen folgt die Disziplinarkammer nach dem derzeitigen, sich aus der Begründung der Suspendierung, dem Aktenmaterial und dem Vorbringen der Beteiligten ergebenden Sach- und Rechtsstand nicht der von der Antragsgegnerin angestellten Prognoseentscheidung. Danach ist gegenwärtig nicht mit der überwiegenden Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass die Antragstellerin ein derart schweres Dienstvergehen begangen hat, welches aufgrund des damit einhergehenden Verlustes des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit zu ihrer Entfernung aus dem Dienst führt.

16

a. a.) Die Antragsgegnerin stützt die vorläufige Dienstenthebung maßgeblich darauf, dass die Antragstellerin gegen die ihr obliegenden beamtenrechtlichen Pflichten nach § 34 Sätze 2 und 3 sowie § 35 Satz 2 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) dadurch verstoßen habe, dass sie entgegen bestehender Weisung regelmäßig dass Zeiterfassungsgerät in der Außenstelle in H… benutzt und sodann ohne dienstliche Veranlassung ein Dienstfahrzeug zu ihrem Dienstort nach C-Stadt genutzt habe. So sei die Fahrzeit von H. nach C-Stadt bzw. die Rückfahrt als Arbeitszeit erfasst und die Fahrtkosten seien der Antragsgegnerin aufgelastet worden. Der sehr lange Zeitraum von acht Monaten (23. Mai 2013 bis zur vorläufigen Dienstenthebung), die sehr hohe Anzahl der in Rede stehenden Fälle (99 falsche Dienstantritte und -beendigungen, 55 unbefugte Benutzungen von Dienstkraftfahrzeugen, ca. 82,5 erschlichene Dienststunden) sowie das gezeigte Maß an fehlendem Unrechtsbewusstsein, rechfertige voraussichtlich die Entfernung.

17

Damit wirft die Antragsgegnerin der Beamtin im Kern vor, ihr Amt unter Verstoß gegen dienstliche Weisungen nicht uneigennützig wahrgenommen zu haben und stützt sich dabei sowohl auf bestehende - aber weder in der Disziplinarverfügung noch in ihren gerichtlichen Einlassungen näher bezeichnete - allgemeinen Dienstanweisungen (z. B. zu ZEUS) als auch auf das Gespräch von Herrn POR Z. mit der Antragstellerin am 22.05.2013.

18

Auch den Inhalt des Gesprächs vom 22.05.2013, der auch von der Antragstellerin nicht im vollen Umfang bestritten wird, unterstellt, stehen dagegen jedoch die täglichen Gepflogenheiten in dem ZED C-Stadt im Raum. Diese können und dürfen bei der Beurteilung des der Antragstellerin vorgeworfenen Dienstvergehens insbesondere deshalb nicht ausgeblendet werden, weil - sofern es überhaupt ihrem Verhalten entgegenstehende Weisungen gegeben haben sollte - das Verhalten der Beamtin jedenfalls dann davon gedeckt ist, mithin es allein ihr oblag, die dienstlichen Notwendigkeiten des Dienstantritts in H. mit der Folge der Benutzung eines Dienst-Kfz zu beurteilen. Diese Betrachtung würde ein gänzlich anderes Licht insbesondere auf die Schwere des Dienstvergehens werfen.

19

b. b.) Dem Disziplinargericht erscheint es vor diesem Hintergrund nach augenblicklichem Kenntnisstand nicht nachvollziehbar, dass diese Art und Weise des täglichen Dienstantritts und dessen Beendigung ohne Kenntnis des unmittelbaren Dienstvorgesetzten bzw. der Behördenleitung geschehen konnten. Denn wie die Antragsgegnerin ausführt, handelt es sich um einen Zeitraum von 8 Monaten mit 99 falschen Dienstantritten und -beendigungen und 55 unbefugten Benutzungen von Dienstkraftfahrzeugen mit ca. 82,8 „erschlichenen“ Dienststunden. Derartiges Verhalten kann nicht unbemerkt von Kollegen und Vorgesetzten geschehen, zumal der Antragstellerin nicht vorgehalten wird, dass sie quasi im Geheimen gehandelt und ihre Dienstantritte verschleiert habe. Es ist unverständlich, wie die praktische Umsetzung dieses Verhalten unbemerkt erfolgen sollte, wenn dies doch die tägliche Verfügbarkeit von Dienstkraftfahrzeugen und die Bedienung der Zeiterfassung ohne jedwede Kontrolle voraussetzt.

20

So führt die Antragstellerin aus, dass dem POR Z. seit seiner Übernahme der Leitung des ZED ihr Dienstantritt in H. und die Dienstwagenfahrten nach C-Stadt bekannt gewesen seien. Die Antragstellerin sei ausdrücklich für das Zeiterfassungssystem in H. freigeschaltet gewesen. Erst am 13.01.2014 habe Herr Z. die Antragstellerin darauf hingewiesen, dass wegen eines vergleichbaren Falles das Dienstverhalten einzustellen sei. Dem sei die Antragstellerin sofort nachgekommen und habe seitdem keine Dienstfahrzeuge mehr benutzt. Die Antragstellerin ist auch in der Lage, den Vorhaltungen zur unbefugten Benutzung eines Dienst-Kfz substantiiert entgegen zu treten und hat durchaus schlüssige Erklärungen für ihr Verhalten und die Notwendigkeit des Transportes von Dienstgütern durch sie mittels eines Dienstfahrzeuges außerhalb der normalen behördlichen Kurierfahrten. Ebenso wird ihr Verhalten nicht in der aktuellen und durchgängig mit der Note „B“ bewerteten dienstlichen Beurteilung aus dem Jahre 2012 bemerkt. Noch deutlicher werden die Besonderheiten, wenn in dem Bescheid zur vorläufigen Dienstenthebung geäußert wird, dass ab dem Jahr 2009 durch die unbefugte Benutzung von Dienstfahrzeugen dem Land ein Schaden in Höhe von ca. 5.400,00 Euro und eine als Dienstzeit angerechnete Fahrtzeit in Höhe von ca. 630 Stunden entstanden sei, wobei unklar ist, ob dies der Antragstellerin vorgehalten wird.

21

Dabei darf das Disziplinargericht an dieser Stelle die Antragsgegnerin darauf hinweisen, dass die disziplinarrechtlichen Vorwürfe hinreichend konkret und substantiiert gehalten sein müssen, damit der Beamte wie auch das Disziplinargericht in die Lage der Überprüfung gesetzt werden können (vgl. zuletzt: VG Magdeburg, Urteil v. 04.06.2014, 8 A 16/13; juris gemeldet; Urteil v. 14.01.2014, 8 A 12/13 mit Verweis auf BVerwG, Urteil v. 27.06.2013, 2 WD 5.12; alle juris). In den disziplinarrechtlichen Verfügungen der Antragsgegnerin ist wiederholt festzustellen, dass die vorgehaltenen Pflichtenverstöße nicht hinreichend substantiiert im Sinne eines Anklagesatzes formuliert werden, sondern im Sachverhalt gestreut sind.

22

Demnach könnte vorliegend entscheidend sein und müsste im laufenden Disziplinarverfahren geprüft werden, inwieweit das Verhalten der Beamtin den Dienstvorgesetzten und der Behördenleitung bekannt war und geduldet wurde. Denselben Ermittlungsansatz hat nämlich der Oberstaatsanwalt T. in dem Ermittlungsverfahren wegen der missbräuchlichen Benutzung von Dienstkraftfahrzeugen geäußert, indem er darum bat, den Sachverhalt zunächst weiter aufzuklären, insbesondere dahingehend unter welchen Umständen die Beschuldigte die Dienstfahrzeuge zur Nutzung erhalten habe, ob jemand die Fahrten genehmigt und aufgrund welcher Informationen ggf. die Genehmigung erfolgt sei. Von erheblicher Bedeutung sei auch, ob und welche Prüfung nach Durchführung der Fahrten erfolgt sei, wer hier Prüfungen durchgeführt habe und was entscheiden worden sei (Ermittlungsakte der StA MD 141 Js 10750/14; zitiert nach Vortrag der Antragstellerin). Dieses Verfahren ist im Übrigen laut Mitteilung der Staatsanwaltschaft vom 18.08.2014 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Diese Ermittlungsergebnisse werden ebenso wie die Modalitäten der Benutzung des Zeiterfassungssystems ZEUS in das dazu zu Recht ausgesetzte Disziplinarverfahren einfließen müssen.

23

Ebenso müssen die weiteren von der Antragstellerin im Schriftsatz vom 28.07.2014 zitierten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu dem Vorwurf der Vorteilnahme (642 Js 6797/14) einbezogen werden. Bei dem Verweis der Antragsgegnerin auf einen disziplinarrechtlichen Überhangs, gilt es die Unterschiede bei der Einstellung der Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO und nach § 153 ff StPO zu beachten.

24

Demnach bestehen augenblicklich ernstliche Zweifel daran, dass bei Fortgang des Disziplinarverfahrens tatsächlich die Entfernung als Höchstmaßnahme ansteht. Dabei betont die Disziplinarkammer aber, dass die der Antragstellerin vorgehaltenen Pflichtenverstöße in ihrer Gesamtheit aber auch im Einzelnen dem Grunde nach durchaus geeignet sein können, ein schwerwiegendes Dienstvergehen anzunehmen. Aufgrund der oben dargestellten Besonderheiten des Einzelfalls, überwiegen aber – jedenfalls zum augenblicklichen Prüfungszeitpunkt – die Zweifel daran, dass tatsächlich auf eine Entfernung erkannt werden wird. Im Übrigen kann die Antragsgegnerin dem laufende Ermittlungen in jedem Stadium durch erneute Entscheidungen nach § 38 DG LSA nachkommen.

25

2.) Ist demnach – augenblicklich – nicht hinreichend wahrscheinlich, dass das Ergebnis des Disziplinarverfahrens prognostisch den Ausspruch der Höchstmaßnahme rechtfertigt, ist auch der nach § 38 Abs. 2 DG LSA verfügte Einbehalt der Dienstbezüge nach § 61 Abs. 2 DG LSA aufzuheben. Dabei fällt auch hier auf, dass die Verfügung vom 13.05.2014 keinerlei Ausführungen und Prüfungen zu den vorgehaltenen Pflichtenverstößen enthält, sondern nur ausführt, dass der Beamtin „derart schwerwiegende Pflichtverletzungen vorgeworfen {werden}, dass es bei summarischer Prüfung überwiegend wahrscheinlich ist, dass als disziplinarrechtliche Maßnahme die Entfernung aus dem Dienst folgen wird.“ Dies stellt nur eine Behauptung auf, ohne die Dienstpflichtverletzungen auch nur zu nennen. Sodann beschäftigt sich die Verfügung nur mit der Prüfung des Einbehaltungssatzes, ohne aber die Voraussetzung für den Einbehalt nach § 38 Abs. 2 DG LSA, nämlich die voraussichtliche Entfernung, zu prüfen. Mag diese Tatbestandsvoraussetzung und die Prüfung derselben auch aus der zeitlich zuvor ergangenen Verfügung vom 14.02.2014, welche mit einer Anhörung zu der beabsichtigten Einbehaltung schließt, auch für die Antragstellerin ersichtlich sein, so fehlt in der Einbehaltungsverfügung jedenfalls jedweder Verweis auf diese Verfügung, was sie rechtlich angreifbar erscheinen lässt.

26

3.) Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 72 Abs. 4, 73 Abs. 1 DG LSA, 154 Abs. 1 VwGO.


ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 27. Aug. 2014 - 8 B 13/14

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 27. Aug. 2014 - 8 B 13/14

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 27. Aug. 2014 - 8 B 13/14 zitiert 9 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 170 Entscheidung über eine Anklageerhebung


(1) Bieten die Ermittlungen genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft sie durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht. (2) Andernfalls stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren

Bundesdisziplinargesetz - BDG | § 13 Bemessung der Disziplinarmaßnahme


(1) Die Entscheidung über eine Disziplinarmaßnahme ergeht nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Disziplinarmaßnahme ist nach der Schwere des Dienstvergehens zu bemessen. Das Persönlichkeitsbild des Beamten ist angemessen zu berücksichtigen. Ferner soll b

Strafprozeßordnung - StPO | § 153 Absehen von der Verfolgung bei Geringfügigkeit


(1) Hat das Verfahren ein Vergehen zum Gegenstand, so kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein

Strafgesetzbuch - StGB | § 331 Vorteilsannahme


(1) Ein Amtsträger, ein Europäischer Amtsträger oder ein für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter, der für die Dienstausübung einen Vorteil für sich oder einen Dritten fordert, sich versprechen läßt oder annimmt, wird mit Freiheitsstrafe

Bundesdisziplinargesetz - BDG | § 38 Zulässigkeit


(1) Die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde kann einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus d

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 27. Aug. 2014 - 8 B 13/14 zitiert oder wird zitiert von 11 Urteil(en).

Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 27. Aug. 2014 - 8 B 13/14 zitiert 10 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 22. Okt. 2014 - 8 B 2/14

bei uns veröffentlicht am 22.10.2014

Tenor Die Beschwerde der Klägerin wird zurückgewiesen. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtl

Verwaltungsgericht Magdeburg Urteil, 04. Juni 2014 - 8 A 16/13

bei uns veröffentlicht am 04.06.2014

Tatbestand 1 Der Kläger ist Polizeivollzugsbeamter bei der Beklagten im Rang eines Polizeimeisters und wendet sich gegen eine Disziplinarmaßnahme in Form der Kürzung der Dienstbezüge von 1/20 für die Dauer von sechs Monaten. 2 Mit der streitbefa

Verwaltungsgericht Magdeburg Urteil, 14. Jan. 2014 - 8 A 12/13

bei uns veröffentlicht am 14.01.2014

Tatbestand 1 Die 1963 geborene Klägerin wendet sich als Studienrätin (Besoldungsgruppe A 13 hD BBesO) gegen die disziplinarrechtliche Kürzung ihrer Dienstbezüge um 1/10 auf die Dauer von zwölf Monaten durch Bescheid vom 06.02.2013. 2 Im Jahre 20

Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 26. Aug. 2013 - 8 B 13/13

bei uns veröffentlicht am 26.08.2013

Gründe I. 1 Der Antragsteller ist Ortsbürgermeister der Ortschaft K… und wendet sich gegen die ihm gegenüber vom Antragsgegner mit Bescheid vom 05.06.2013 Ausgesprochene vorläufige Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 Disziplinargesetz Sachsen-Anha

Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 12. Juni 2012 - 8 B 5/12

bei uns veröffentlicht am 12.06.2012

Gründe 1 Der zulässige Antrag ist begründet. 2 Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Diens

Oberverwaltungsgericht des Saarlandes Beschluss, 18. Mai 2011 - 6 B 211/11

bei uns veröffentlicht am 18.05.2011

Tenor Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 8. März 2011 - 7 L 29/11 - wird die Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung des Antragstellers und Einbehaltung von 50 % seiner monatlichen Dienstbezüge durch den Be

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 16. Sept. 2010 - DL 16 S 579/10

bei uns veröffentlicht am 16.09.2010

Tenor Die Berufung der Beamtin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart - Disziplinarkammer - vom 04. Februar 2010 - ... - wird zurückgewiesen. Die Beamtin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 10. Sept. 2010 - 2 B 97/09

bei uns veröffentlicht am 10.09.2010

Gründe 1 Die Beschwerde des Beklagten hat mit der Maßgabe Erfolg, dass der Rechtsstreit gemäß § 133 Abs. 6 VwGO, § 69 BDG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung

Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 03. März 2010 - 8 B 21/09

bei uns veröffentlicht am 03.03.2010

Gründe I. 1 Mit der angegriffenen Verfügung vom 13.08.2009 enthob der Antragsgegner den Antragsteller als Obersekretär im Justizvollzugsdienst gemäß § 38 Abs. 1 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt (DG LSA) vorläufig des Dienstes und behielt nach §

Oberverwaltungsgericht des Saarlandes Beschluss, 17. Juni 2009 - 6 B 289/09

bei uns veröffentlicht am 17.06.2009

Tenor Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 6. März 2009 - 7 L 23/09 - wird zurückgewiesen. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin. Grü
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 27. Aug. 2014 - 8 B 13/14.

Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 29. Juni 2015 - 8 B 7/15

bei uns veröffentlicht am 29.06.2015

Gründe 1 1.) Die Antragstellerin ist als verbeamtete Verwaltungsleiterin des Zentralen Einsatzdienstes (ZED) im Rang einer Regierungsoberinspektorin bei der Antragsgegnerin beschäftigt. Mit Wirkung vom 17.02.2014 wurde die Antragstellerin nach § 3

Referenzen

(1) Ein Amtsträger, ein Europäischer Amtsträger oder ein für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter, der für die Dienstausübung einen Vorteil für sich oder einen Dritten fordert, sich versprechen läßt oder annimmt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ein Richter, Mitglied eines Gerichts der Europäischen Union oder Schiedsrichter, der einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen läßt oder annimmt, daß er eine richterliche Handlung vorgenommen hat oder künftig vornehme, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Der Versuch ist strafbar.

(3) Die Tat ist nicht nach Absatz 1 strafbar, wenn der Täter einen nicht von ihm geforderten Vorteil sich versprechen läßt oder annimmt und die zuständige Behörde im Rahmen ihrer Befugnisse entweder die Annahme vorher genehmigt hat oder der Täter unverzüglich bei ihr Anzeige erstattet und sie die Annahme genehmigt.

Gründe

I.

1

Mit der angegriffenen Verfügung vom 13.08.2009 enthob der Antragsgegner den Antragsteller als Obersekretär im Justizvollzugsdienst gemäß § 38 Abs. 1 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt (DG LSA) vorläufig des Dienstes und behielt nach § 38 Abs. 2 DG LSA zugleich 30 v. H. seiner Dienstbezüge ein. Zur Begründung führte der Antragsgegner im Wesentlichen aus, dass der Antragsteller in vielfältiger Weise gegen die ihm obliegenden Dienstpflichten verstoßen und dadurch Dienstvergehen von erheblichem Gewicht begangen habe. Aus diesem Grunde sei mit Schriftsatz vom 01.04.2009 Disziplinarklage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht Magdeburg mit dem Ziel erhoben worden, den Antragsteller aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.

2

1.) Bezüglich der genauen und einzelnen Vorwürfe wurde auf die dem Bescheid beiliegende Kopie der Disziplinarklage vom 01.04.2009 (8 A 9/09 MD) verwiesen. Dort heißt es:

3

Der Antragsteller habe ein Dienstvergehen dadurch begangen, dass er sich wiederholt geweigert habe, Gefangenenwäsche anzunehmen (a.). Weiter stelle seine eigenmächtige Beendigung des „Aufenthalts der Gefangenen im Freien“ ein Dienstvergehen dar (b.) und schließlich sei er der Aufforderung zur Überprüfung seiner Dienstfähigkeit durch den Amtsarzt nicht nachgekommen (c.). Ebenso seien Dienstpflichtverletzungen durch das jahrelange und permanente und massive Stören des Betriebsfriedens zu verzeichnen (d.). Schließlich wird aus zahlreichen Unterlagen zitiert (e.).

4

a.) Der Antragsteller habe am 09.01.2006 durch E-Mail an den damaligen Sicherheitsdienstleiter der JVA A-Stadt mitgeteilt, dass der Antragsteller die von den Angehörigen mitgebrachte Wäsche der Gefangenen nicht mehr annehmen werde, es sei denn, die Wäsche werde in einem verschlossenen Paket abgegeben. Zur Begründung hatte der Antragsteller ausgeführt, dass Rauschgiftspürhunde, die regelmäßig zur Kontrolle von Weihnachtspaketen eingesetzt seien, in der Weihnachtszeit 2005 auch bei einem solchen Wäschepaket angeschlagen hätten. Demzufolge seien entweder die darin befindlichen Kleidungsstücke oder die bereitgestellten Kartons mit Rauschgift kontaminiert gewesen. Um sich nicht dem Verdacht auszusetzen, selbst mit Rauschgift zu handeln oder dieses in ein Paket mit eingepackt zu haben, sehe er sich zu der von ihm neu vorgeschlagenen Vorgehensweise veranlasst. Auch nach weiterer Belehrung durch die Anstaltsleitung habe der Antragsteller an seinem Vorhaben festgehalten. Den Angehörigen habe er ein selbstgefertigtes Merkblatt für Wäschepakete ausgehändigt und sie aufgefordert, die Wäsche nur in einem verschlossenen Paket abzugeben. In der Folgezeit habe der Antragsteller einen Strafgefangenen angewiesen, die zum Umpacken der Wäsche bereitgestellten Pakete sowie die anstaltseigene Holzkiste, die zum Transport dieser Pakete gedient habe, aus der Kfz-Schleuse in den Sperrmüllcontainer zu verbringen. Auch aufgrund weiterer Gespräche zwischen der Anstaltsleitung und dem Antragsteller habe dieser an seiner Vorgehensweise festgehalten. Seitens der Anstaltsleitung wird darauf hingewiesen, dass bereits aus Sicherheitsgründen die von den Angehörigen eingebrachten Wäschestücke kontrolliert werden müssten.

5

b.) Am 15.03.2006 habe der Antragsteller von dem Tourendienstleiter der JVA A-Stadt die Anweisung erhalten, ab 10.00 Uhr den „Aufenthalt im Freien“ der Gefangenen abzusichern. Der Antragsteller habe eigenmächtig seine Aufsichtstätigkeit beendet und sei in die Außenpforte zurückgekehrt. Die Gefangenen seien unbeaufsichtigt zurückgeblieben bis sie durch einen anderen diensthabenden Beamten zurückgebracht worden seien. Der Antragsteller habe sein Verhalten damit begründet, dass Gefangene grundsätzlich nur eine Stunde „Aufenthalt im Freien“ zustünden. Soweit der Aufenthalt länger als eine Stunde andauere, müsse nach Auffassung des Antragstellers ein anderer Bediensteter die Aufsicht weiterführen.

6

c.) Unter dem 13.07.2006 sei der Antragsteller zur Überprüfung der Dienstfähigkeit beim Gesundheitsamt A-Stadt zur amtsärztlichen Untersuchung einbestellt worden. Weitere Einbestellungen seien Anfang August 2006 erfolgt. Am 06.10.2007 habe der Antragsteller der Leitenden Amtsärztin vom Gesundheitsamt A-Stadt mitgeteilt, dass er in dieser Angelegenheit keine weiteren Untersuchungen mitmachen werde. Dies habe sodann auch der inzwischen beauftragte Rechtsanwalt des Antragstellers unter dem 05.11.2007 bestätigt. Es sei nicht erkennbar, warum Zweifel über die Dienstfähigkeit des Antragstellers bestünden. Sodann sei das beamtenrechtliche Zurruhesetzungsverfahren eingeleitet worden. Die diesbezügliche Klage des Beamten wird bei dem Verwaltungsgericht Magdeburg unter dem Aktenzeichen 5 A 430/09 MD geführt.

7

d.) Schließlich seien durch jahrelange permanente und massive Störungen des Betriebsfriedens Dienstpflichtverletzungen festzustellen. Diese Dienstpflichtverletzungen werden dezidiert aufgrund mehrerer Vorkommnisse beginnend aus dem Jahr 1996 bis 2006 beschrieben.

8

e.) Weiter wird aus einem Bericht des Anstaltspsychologen Dr. F. aus dem Jahre 1998 zitiert sowie das Gutachten des Gesundheits- und Veterinäramtes A-Stadt vom 01.07.2002 auszugsweise wiedergegeben. Das Gutachten führt aus, dass in den vom Antragsteller beigebrachten medizinischen Unterlagen aus den Jahren 1984 bis 2001 eine neurotische Fehlentwicklung beschrieben worden sei. Da der Antragsteller keine psychopathologischen Veränderungen aufgewiesen habe, sei von seiner vollständigen Dienstfähigkeit auszugehen. Die Gutachterin habe eine psychotherapeutische Behandlung empfohlen. Dieser Empfehlung sei der Antragsteller nachgekommen und habe sich ab dem 01.01.2002 in psychotherapeutischer Behandlung befunden. Aufgrund der vom Antragsteller der Gutachterin im Jahre 2002 übergebenden ärztlichen Befunde aus den früheren Jahren habe der Anstaltsleiter der JVA Halberstadt unter dem 25.09.2002 den Verdacht geschildert, dass der Beamte bei der amtsärztlichen Untersuchung für die Eignung für die Beamtenlaufbahn im JVD einen falschen Gesundheitszustand dargestellt habe und die früheren Behandlungen und Therapien nicht angegeben habe. Bei Kenntnis über die neurotische Fehlentwicklung wäre es nicht zu einer Einstellung in den Justizvollzugsdienst des Landes Sachsen-Anhalt gekommen. Die schon in der Probezeit aufgetretenen Auffälligkeiten des Beamten wären dann in einem anderen Licht zu sehen gewesen.

9

In der daraufhin (nur nach Aktenlage) erstellten gutachterlichen Stellungnahme zur beantragten Nachbegutachtung vom 16.01.2003 (Bl. 263 Beiakte R) teilte die Gutachterin des Gesundheits- und Veterinäramtes A-Stadt mit,

10

„… dass sich anhand der im Nachbegutachtungsantrag aufgeführten Fakten, wesentliche neue Aspekte gegenüber der Sachlage zum Zeitpunkt der Erstbegutachtung ergeben haben. Aufgrund der von zunehmend erweiterten Kenntnissen über die Persönlichkeit des Beamten und der erschwerten Differenzialdiagnostik bei komplizierten Persönlichkeitsstörungen wie sie bei dem Beamten vorliegen, wird eine fachärztliche psychiatrische Zusatzbegutachtung empfohlen, um überprüfen zu können, ob an der festgestellten Erstdiagnose weiterhin festgehalten werden kann.“

11

Aufgrund dieser Empfehlung habe sich der Dienstherr sodann zu einer weiteren Begutachtung des Antragstellers entschlossen, welcher vom Antragsteller jedoch nicht Folge geleistet worden sei.

12

2.) Insgesamt werde aus den dargestellten Vorfällen deutlich, dass der Antragsteller nicht willens und nicht in der Lage sei, sich in eine bestehende Hierarchie einzuordnen, sein Verhalten anzupassen und Weisungen entgegenzunehmen. Die Probleme bei der Dienstdurchführung und -auffassung bestünden bereits seit über 12 Jahren und hätten sich in den vergangenen Jahren stets verschärft. Die Dienstdurchführung des Antragstellers sei dadurch gekennzeichnet, dass er seiner Auffassung nach allein rechtmäßig zu handeln glaube. Dabei erweise er sich in der Rechtsanwendung als unflexibel, ignoriere Weisungen, weigere sich, Autoritäten anzuerkennen und sei teamunfähig.

13

Durch diese Verhaltensweisen werde der geordnete Dienstbetrieb erheblich gefährdet und der Betriebsfrieden der Haftanstalt empfindlich gestört. Der Beamte verkenne, dass ihm in vielen Vorschriften ein Ermessensspielraum eingeräumt werde, welcher von ihm zwingend auszufüllen sei. Sein unbelehrbares Beharren auf seiner Position und seine hartnäckigen Weigerungen, Anordnungen von Vorgesetzten auszuführen, seien daher nicht nur als permanente Gehorsamspflichtverletzungen nach § 55 BG LSA (a. F.) und § 35 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) zu werten. Sie seien auch geeignet, den Betriebsfrieden in der JVA erheblich zu stören und den Antragsteller selbst sowie andere Bedienstete in Gefahr zu bringen.

14

Von Justizvollzugsbeamten sei die Fähigkeit zu fordern, im Rahmen des Ermessensspielraumes sensible und abgewogene Einzelfallentscheidungen zu treffen. Der Umgang mit dem Strafgefangenen erfordere ein sogenanntes „Fingerspitzengefühl“. Bereits aufgrund der Persönlichkeitsstruktur vieler Strafgefangener könne es bei unabgewogenen Einzelfallentscheidungen der Justizvollzugsbeamten zu einer Eskalation und Gewalt kommen. Das uneinsichtige Verhalten des Antragsstellers könne somit unter Umständen für alle Beteiligten lebensgefährlich werden. In den vergangenen Jahren habe seine beharrende und uneinsichtige Vorgehensweise in vielen Situationen zu Eskalationen geführt. Dies habe zur Folge, dass sich die überwiegende Anzahl der Kollegen weigere, mit dem Antragsteller zusammenzuarbeiten. In der Vergangenheit sei der Antragsteller insgesamt achtmal dienstrechtlich umgesetzt bzw. versetzt worden, ohne dass sich sein Verhalten geändert habe.

15

Aufgrund der dargelegten Pflichtenverstöße müsse davon ausgegangen werden, dass ein so schweres Dienstvergehen vorliege, dass das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit in eine beanstandungsfreie Dienstdurchführung durch den Antragsteller endgültig verloren sei. Die Schwere des Dienstvergehens rechtfertige bereits die Prognose, dass aufgrund der Disziplinarklage die Entfernung des Antragstellers aus dem Beamtenverhältnis ausgesprochen werde (§ 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA). In jedem Fall würde das Verbleiben des Antragstellers im Dienst den Dienstbetrieb wesentlich beeinträchtigen und die vorläufige Dienstenthebung stehe zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme auch nicht außer Verhältnis (§ 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA).

16

Demnach sei auch die Einbehaltung der Dienstbezüge des Antragstellers in Höhe von 30 v. H. nach § 38 Abs. 2 DG LSA gerechtfertigt. Da der Antragsteller im Rahmen der Vorermittlungen keine weiteren Mitteilungen über seine finanziellen Belastungen abgegeben habe, sei die Kürzung ermessensfehlerfrei.

17

3.) Der Antragsteller widerspricht den behaupteten Dienstpflichtverletzungen und bezieht sich dazu ebenso auf seine Klageerwiderung vom 08.06.2009 zur Disziplinarklage. Demnach sei festzustellen, dass der Antragsgegner sich auf eine Vielzahl von Vorkommnissen beziehe, welche verwirkt oder verjährt seien. Es sei zu keiner „Abmahnung“ gekommen und der Antragsteller habe nicht damit rechnen müssen, dass ihm sein Verhalten vorgehalten werde. Es tritt sodann in seinen weiteren Ausführungen der Bewertung der Vorkommnisse aus den Jahren 1996 und folgend entgegen.

18

a.) Hinsichtlich der Vorkommnisse um die Annahme der Gefangenenwäsche führt er aus, dass er die Anstaltsleitung diesbezüglich ausdrücklich beraten habe, um die aus seiner Sicht zweckmäßige und rechtmäßige Maßnahme zu erläutern. Denn es sei nicht auszuschließen, dass in der Gefangenenwäsche gefährliche Substanzen und Gegenstände eingenäht seien, die geeignet seien, erhebliche Gefährdungen und Schäden in der Anstalt zu verursachen. Der Antragsteller habe sich demnach in einer Pflichtenkollision befunden. Denn es sei nicht auszuschließen, dass irgendwann gegen ihn ein derartiger Verdacht eines Betäubungsmittelvergehens oder der Beihilfe ausgesprochen werde. Jedenfalls habe der Beamte nicht schuldhaft gehandelt.

19

b.) Zu dem vorgehaltenen Dienstvergehen der eigenmächtigen Beendigung des Aufenthalts der Gefangenen im Freien führt er aus, dass er an diesem Tag bereits mehrere Stunden Gefangene im Freien beaufsichtigt habe und dringend die Toilette aufsuchen musste. Darüber habe er den Vorgesetzten informiert. Der Antragsteller habe nicht durch ein Zurücklassen der Gefangenen auf dem Freistundenhof die Sicherheit der Anstalt gefährdet. Der Antragsteller sei davon ausgegangen, dass ein anderer Bediensteter die Bewachung übernehme. Auch hier habe er sich in einer Pflichtenkollision befunden.

20

c.) Nachdem der Antragsteller bereits im Jahre 2002 fachpsychiatrisch durch Dr. S., untersucht worden sei und sich in der Folgezeit einer Psychotherapie unterzogen habe, sei kein Grund erkennbar, seine Dienstfähigkeit in Zweifel zu ziehen. In diesem Zusammenhang sei das grundrechtlich geschützte Persönlichkeitsrecht des Antragstellers zu bewerten.

21

Dem Antragsteller werde Ordnungsliebe, Ausdauer, ein gutes Gedächtnis und starke Genauigkeit bei der Anwendung von Vorschriften bescheinigt. Er wirke allgemein bedacht und überlegt mit einem Streben zur Perfektion und Genauigkeit. Bei dem Antragsteller seien keine psychologischen Veränderungen gegeben. In dem psychologischen Befund der Gemeinschaftspraxis der Diplompsychologin F. und S. vom 05.02.2003 sei ausgeführt, dass der Antragsteller therapiert worden sei.

22

Die disziplinarrechtlichen und strafrechtlichen Vorbelastungen des Antragstellers seien nicht mehr heranzuziehen. Schließlich könne die Maßnahme auch nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung keinen Bestand haben.

II.

23

Der Antragsteller ist disziplinarrechtlich vorbelastet. Mit Disziplinarverfügung vom 22.08.2002 wurde eine Geldbuße in Höhe von 200,00 Euro verhängt, da er ohne Genehmigung bzw. Einhaltung des Dienstweges wiederholt in den Jahren 2001/2002 umfangreiche Schreiben, die ausschließlich interne Angelegenheiten der JVA H., dienstliche Verhaltensweisen von Bediensteten, Angelegenheiten von Gefangenen und sonstige dienstliche Vorgänge zum Inhalt hatten, an Behörden und Institutionen weiterleitete. Mit Disziplinarverfügung vom 17.04.2003 wurde wegen eines erneuten Pflichtenverstoßes mit dem annähernd gleichen Inhalt wie zuvor eine Geldbuße in Höhe von 250,00 Euro ausgesprochen. Aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Halberstadt vom 23.02.2005 ist der Antragsteller rechtskräftig wegen einer versuchten gefährlichen Körperverletzung ist Tateinheit mit versuchter Körperverletzung im Amt gegenüber einem Gefangenen zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen á 40,00 Euro verurteilt worden.

24

Die dienstlichen Beurteilungen und Befähigungsberichte des Antragstellers lauten bis einschließlich seiner Laufbahnprüfung im Jahre 1995 auf „befriedigend“; danach erreicht er in seinen dienstlichen Beurteilungen die Benotung „ausreichend“, „befriedigend“, „mangelhaft“ und wiederholt „ausreichend“.

25

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verfügung sowie die Disziplinarklage vom 01.04.2009, die dortige Klageerwiderung des Antragstellers vom 08.06.2009 und die umfassenden Verwaltungsvorgänge und Beiakten verwiesen. Diese Unteralgen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

III.

26

Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt wird. Ferner kann die vorläufige Dienstenthebung ausgesprochen werden, wenn durch ein Verbleiben des Beamten im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Diensthebung nicht unverhältnismäßig ist (§ 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA). Der Antragsgegner stützt sich in der Verfügung auf beide Bestimmungen.

27

Die nach § 61 Abs. 2 DG LSA vom Disziplinargericht vorzunehmende Prüfung ergibt, dass – im Ergebnis - keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung bestehen. Soweit der Antragsgegner die vorläufige Dienstenthebung auf § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA stützt und meint, der Antragsteller werde aufgrund der Disziplinarklage voraussichtlich aus dem Dienst entfernt, vermag das Gericht diese Prognose allerdings nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu teilen (1.). Jedoch und jedenfalls ist die vorläufige Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 Satz 2 DG gerechtfertigt (2.). Die teilweise Einbehaltung der Dienstbezüge ist hingegen aufzuheben (3.).

28

Die auf § 38 Abs. 1 DG LSA gestützte Verfügung über die vorläufige Dienstenthebung muss pflichtgemäßem Ermessen der Einleitungsbehörde entsprechen. Für die konkrete Entscheidung im Einzelfall sind das dienstliche Bedürfnis an der einstweiligen Fernhaltung des Beschuldigten vom Dienst und dessen Recht auf amtsentsprechende dienstliche Beschäftigung abzuwägen (vgl. dazu. Köhler/Ratz, BDO, 2. Aufl., § 91 Rdzf. 10). Ein dienstliches Bedürfnis für die (weitere) Fernhaltung eines Beamten vom Dienst ist etwa dann gegeben, wenn ihm ein schwerwiegendes (dienstliches oder außerdienstliches) Fehlverhalten vorgeworfen wird, welches geeignet ist, die Integrität der öffentlichen Verwaltung zu beeinträchtigen (vgl. zum Ganzen: VG Magdeburg, Beschl. v. 10.02.2007, 8 B 22/06).

29

Den Beamten auch nur vorläufig vom Dienst zu entheben setzt voraus, dass ein Verbleiben des Beamten im Dienst schlechthin untragbar wäre. Dabei handelt es sich um die denkbar schwerste Sanktion für dienstliche Verfehlungen, welche nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts besondere Umstände voraussetzt, wie etwa ein sehr schwerwiegendes kriminelles Verhalten des Beamten.

30

Ernstliche Zweifel im Sinne der gerichtlichen Prüfung nach § 61 Abs. 2 DG LSA sind etwa dann anzunehmen, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass die Voraussetzungen der Anordnung nicht erfüllt sind, mindestens so groß ist wie die Wahrscheinlichkeit, dass die Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. VG Münster, Beschl. v. 07.10.2009, 13 L 376/09.O mit Verweis auf OVG NRW, Beschl. v. 01.07.2005, 21 dA 896/05 und Gamsen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, September 2007, § 63 Rdzf. 9; juris).

31

Dies beinhaltet eine vom Gericht vorzunehmende summarische Prüfung des zurzeit bekannten Sachverhaltes und die darin orientierte Wahrscheinlichkeitsprognose. Insofern ist im Aussetzungsverfahren zu prüfen, ob nach der hier gebotenen und möglichen summarischen Beurteilung die Verhängung der Höchstmaßnahme überwiegend wahrscheinlich ist (vgl. BVerwG, Besch. v. 16.07.2009, 2 AV 4.09; juris). Hinsichtlich des zur Last gelegten Dienstvergehens genügt die Feststellung, dass der Beamte dieses Dienstvergehen mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit begangen hat; nicht erforderlich ist, dass das Dienstvergehen bereits in vollem Umfang nachgewiesen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.09.1997, 2 WDB 3.97; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.09.2009, 83 DB 1.09; OVG des Saarlandes, Beschl. v. 17.06.2009, 6 B 289/09; alle juris). Dabei ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (BVerwG, Besch. v. 22.07.2002, 2 WDB 1.02; OVG Berlin-Brandenburg; Beschl. v. 18.08.2005, 80 SN 1.05; beide juris).

32

1.) Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 und 3 DG LSA nach der Schwere des Dienstvergehens und der angemessenen Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten und des Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. Demnach ist maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme die Schwere des Dienstvergehens. Sie beurteilt sich zum einen nach der Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale) und zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen der Pflichtenverstöße für den dienstlichen Betrieb und für Dritte (vgl. zu § 13 BDG, BVerwG, Urt. v. 20.04.2005, 2 C 12.04; Urt. v. 03.05.2007, 2 C 9.06; beide juris).

33

a.) Aufgrund der gegen den Antragsteller erhobenen Vielzahl und immer wiederkehrenden Vorwürfe drängt sich der Eindruck auf, dass er für die Aufgaben und das Amt eines Justizobersekretärs im Justizvollzugsdienst als nicht geeignet erscheint. Die einzelnen Vorkommnisse, die aus der Sicht des Antragsgegners die Pflichtenverstöße begründen, werden von dem Antragsteller im Einzelnen und in der Gesamtheit nicht substantiiert bestritten. Vielmehr zieht der Antragsteller daraus lediglich nicht die rechtlichen Schlüsse, wie sie vom Antragsgegner gezogen werden.

34

Wegen der hier insoweit vorliegenden Besonderheit stellt sich die Bedeutung und Tragweite des Verhaltens des Antragstellers und die diesbezügliche disziplinarrechtliche Ahndung als äußerst schwierig dar. Denn zum einen handelt es sich bei dem Antragsteller aufgrund der von ihm ganz offensichtlich an den Tag gelegten Verhaltensweisen und die diesbezügliche aus den dem Gericht vorliegenden in den Akten befindlichen medizinischen Unterlagen um eine Persönlichkeit, die aufgrund ihrer charakterlichen Eigenschaften nicht für die Tätigkeit in einer Justizvollzugsanstalt geeignet erscheint. Zum anderen kann und darf das Disziplinarverfahren nicht dazu genutzt werden, einen unliebsamen oder sonst wie im Umgang mit anderen Personen auffällig werdenden Beamten aus dem Dienst zu entfernen oder „kaltzustellen“. Insoweit reicht eine bloße Ungeeignetheit für die dienstlich wahrgenommene Position aufgrund der Verleihung des Beamtenstatus auf Lebenszeit nicht aus. Dass in der Vergangenheit ca. achtmal versucht wurde, eine anderweitige Verwendung des Beamten zu finden, ist dem Gericht bekannt. Soweit Verhaltensweisen gesundheitliche Ursachen haben, die die weitere Verwendung des Beamten im Beamtenverhältnis generell – also unabhängig vom Justizvollzugsdienst – nicht erlauben, ist er nach beamtenrechtlichen Vorschriften aus gesundheitlichen Gründen in den vorzeitigen Ruhestand zu versetzen. Das diesbezügliche gerichtliche Verfahren ist bei Gericht anhängig (5 A 430/09 MD). Von ganz erheblicher Bedeutung ist jedoch auch das Bestreben des Antragsgegners und der Haftanstalt aus den zweifellos verständlichen Sicherheitsaspekten heraus den Antragsteller nicht weiter in der oder einer Justizvollzugsanstalt zu beschäftigen.

35

b.) Zweifellos mögen die dem Antragsteller in der Disziplinarklage vorgeworfenen Dienstpflichtverletzungen hinsichtlich des Gehorsamsverstoßes den reibungslosen Betriebsablauf in der Haftanstalt stören und stellen eine Dienstpflichtverletzung hinsichtlich des Gehorsamsverstoßes nach § 55 BG LSA (a. F.), § 35 BeamtStG dar. Gerade in einer Justizvollzugsanstalt ist die Befolgung von Weisungen und Anordnungen als Grundlage für eine effektive Erfüllung der ihr zugewiesenen Aufgaben unerlässlich. Wäre die Befolgung dienstlicher Anordnungen in das Belieben des einzelnen Beamten gestellt, wäre die Aufgabenerfüllung ernsthaft gefährdet. Die Gehorsamspflicht gehört mithin zu den Kernpflichten eines Beamten. Ein Beamter, der ungerechtfertigt die ihm obliegenden Tätigkeiten nicht ausführt, begeht eine Pflichtwidrigkeit von erheblichem Gewicht (vgl. nur: BVerwG, Urteil v. 13.12.2000, 1 D 34.98; juris).

36

a. a.) Es erschließt sich dem Gericht bereits aus allgemeinen Erwägungen heraus, dass es nicht angehen kann, dass ein Justizvollzugsbeamter bezüglich von der Anstaltsleitung genau vorgegebenen Handlungsweisen im Umgang mit den Gefangenen abweicht und diesbezüglich andere, von dem Beamten selbst als wirkungsvollere Maßnahmen angesehene, Vorgehensweisen ergreift. Somit stellt der Umgang des Antragstellers mit der von den Angehörigen der Gefangenen übergebenen Wäsche zweifellos ein Dienstvergehen dar. Bezeichnend für das gesamte Persönlichkeitsbild des Beamten ist in diesen Zusammenhang, die Genauigkeit und Intensität sowie die Beharrlichkeit der Handlungsweise, womit er versucht seine eigenen „Dienstvorschriften“ durchzusetzen. So hat er sich mehrmals strikt geweigert, das vorgegebene Verfahren einzuhalten und hat die Angehörigen sogar mittels Übergabe eines von ihm gefertigten Merkblattes dazu angehalten, Pack- und Klebematerial aus einer nahegelegenen Postfiliale zu besorgen. Zudem hat der Beamte sein Verhalten gegenüber der Anstaltsleitung und anderen Kollegen trotz Belehrung durch diese verteidigt und nachhaltig untermauert. Er zeigt sich insoweit beratungs- und weisungsresistent. Es versteht sich ebenso von selbst, dass das Verhalten des Beamten nicht so weit gehen kann, dass er sogar diesbezüglich vorgesehene Einrichtungs- und Transportgegenstände in den Müll verbringen lässt.

37

b. b.) Hinsichtlich des weiteren in der Disziplinarklage aufgeführten Verhaltens des Beamten, nämlich die unbeaufsichtigte Zurücklassung der Gefangenen auf dem Hof, kann eine Bewertung des Sachverhalts nicht abschließend vorgenommen werden. Zwar mag es sein, dass der Antragteller dringend auf die Toilette musste. Jedoch ist von einem verantwortungsvollen Justizvollzugsbeamten in Ausübung seiner Pflicht selbstverständlich zu erwarten, dass er frühzeitig sich um eine entsprechend Ablösung kümmert. Die diesbezüglich näheren Umstände sind jedoch aus Sicht des Gerichts noch nicht hinreichend aufgeklärt. So trägt der Antragsteller vor, dass er von der Ablösung ausgegangen sei. Andererseits ist der Aussage des Beamten auch zu entnehmen, dass er grundsätzlich von einem Freigang der Gefangenen nur von genau einer Stunde ausgeht. Demnach gilt zu vermuten, dass der Beamte es zumindest billigend in Kauf genommen hat, den Toilettengang genau nach Ablauf einer Stunde vorzunehmen, wobei er sich dann wiederum im Recht bei der von ihm interpretierten Auslegung der Dienstvorschriften sieht.

38

c. c.) Schließlich stellt sich auch die Bewertung des in der Disziplinarklage aufgeführten Pflichtenverstoßes hinsichtlich der Nichtmitwirkung bei der erneuten amtsärztlichen Untersuchung, als schwierig dar. Bestehen Zweifel über die Dienst(un)fähigkeit des Beamten, so ist dieser gemäß § 42 Abs. 1 Satz 3 BG LSA (a. F.); § 45 LBG LSA, § 26 BeamtStG verpflichtet, sich nach Weisung der Behörde amtsärztlich untersuchen zu lassen. Diese Untersuchungspflicht besteht selbst dann, wenn der Beamte sich selbst für dienstfähig hält und seinen Dienst regelmäßig verrichtet (BVerwG, Urt. v. 23.10.1980, 2 A 4.78; OVG LSA, Beschl. v. 26.06.2007, 1 M 103/07, Beschl. v. 28.01.2009, 1 M 164/08 und Beschl. v. 09.06.2009, 10 L 1/09; VG Magdeburg, Urt. v. 03.02.2009, 8 A 9/08; alle juris). Demnach ist der Beamte zur Mitwirkung bei der Überprüfung seiner Dienst(un)fähigkeit verpflichtet. Der Beamte muss seinen Teil dazu beitragen, seinem Dienstvorgesetzten die Überprüfung zu vermitteln, dass er voll dienstfähig ist (ausdrücklich: BVerwG, Urt. v. 23.10.1980, 2 A 4.78; juris). Die Mitwirkungspflicht umfasst auch die Offenlegung der gesamten Krankengeschichte mit den dazugehörigen Unterlagen. Die Weisung des Dienstherrn an den Beamten, sich wegen bestehender Zweifel an seiner Dienstfähigkeit untersuchen zu lassen, ist gesetzlich ausdrücklich vorgesehen und nicht diskriminierend. Krankheit und Zweifel an der Dienstfähigkeit begründen objektiv keinen Makel, und zwar auch dann nicht, wenn es sich um eine psychische Erkrankung handelt (vgl. hierzu: BVerwG, Besch. v. 26.09.1988, 2 B 132.88; juris). Dabei ist eine Weisung, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen, dann gerechtfertigt, wenn sich die Zweifel des Dienstherrn an der Dienstfähigkeit des Beamten auf konkrete Umstände stützen und „nicht aus der Luft gegriffen“ sind (BVerwG, a. a. O.). Die eine Untersuchungsanordnung tragenden Zweifel des Dienstherrn können sich hierbei auch aus einer Summe von Umständen ergeben, die – je für sich gesehen – noch keinen hinreichenden Anlass zu Zweifeln im Sinne von § 42 Abs. 1 Satz 3 BG LSA (a. F.) bieten (vgl. BVerwG, Besch. v. 28.05.1984, 2 B 205.82; juris). Art und Umfang einer amtsärztlichen Untersuchung sind dabei grundsätzlich der ärztlichen Entscheidung überlassen; das Ausmaß der ärztlichen Untersuchung muss indes durch den Anlass gerechtfertigt sein (VG Gelsenkirchen, Urt. v. 25.06.2008, 1 K 3679/07; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 07.08.2008, 4 S 1068/08; beide juris). Nur wenn dies nicht auf der Hand liegt und auch für einen Arzt nicht ohne weiteres erkennbar ist, bedarf es zudem eines entsprechenden Hinweises auf den Anlass für die dienstärztliche Untersuchung an den untersuchenden Amtsarzt (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.10.1990, a. a. O.; OVG LSA, Beschl. v. 26.06.2007 und v. 28.01.2009, a. a. O.; juris).

39

Demnach stellt es für den Beamten eine Dienstpflicht dar, bei erheblichen Zweifeln an seiner Dienstfähigkeit der Weisung der amtsärztlichen Untersuchung nachzukommen.

40

c.) Bei der (Gesamt-)Bewertung dieser Vorkommnisse in disziplinarrechtlicher Hinsicht ist davon auszugehen, dass es sich um ein einheitliches Dienstvergehen im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts handelt. Denn stets werden dem Beamten Weisungsverstöße vorgeworfen, welche Ausdruck seiner Persönlichkeit sind. Dementsprechend ist in dieser charakterlichen Grundeinstellung die („böse“) Wurzel des Dienstvergehens zu sehen (vgl. zur Einheitlichkeit des Dienstvergehens nur: BVerwG, U. v. 10.12.1991, 1 D 26.91 mit weiteren Nachweisen, U. v. 06.05.1992, 1 D 7.91 mit weiteren Nachweisen, U. v. 28.04.1981, 1 D 7.80, U. v. 14.11.2007, 1 D 6.06 , B. v. 29.07.2009, 2 B 15.09 und VG Ansbach, U. v. 20.07.2009, AN 6 b D 08.01820; ausführlich: VG Magdeburg, Urteil v. 04.11.2009, 8 A 19/08; alle juris).

41

a. a.) Derzeit ist aber zumindest offen, ob diese in der Disziplinarklage aufgeführten Vorkommnisse auch unter der Annahme dienstrechtlicher Pflichtenverstöße mit der hier anzuwendenden hohen Wahrscheinlichkeit zur Entfernung aus dem Dienst führen werden. Auch unter den eingangs beschriebenen Sicherheitsaspekten einer Haftanstalt erscheint es dem Gericht bislang unentschieden, ob die Schwelle der Erheblichkeit hinsichtlich der Aussprache der Höchstmaßnahme erreicht ist. Insoweit vermag es das Gericht nicht auszuschließen, dass die beschriebenen disziplinarrechtlichen Verfehlungen des Beamten disziplinarrechtlich (noch) mit anderen Maßnahmen unterhalb der Entfernung aus dem Dienst zu ahnden wären.

42

Dem kann nicht damit begegnet werden, dass der Antragsgegner in der Disziplinarklage weiter eine Pflichtverletzung durch „jahrelange permanente und massive Störung des Betriebsfriedens“ sieht und nachfolgend auszugsweise Vermerke und Berichte von diversen Vorgesetzten und Bediensteten beginnend aus dem Jahr 1996 aufführt. Ob durch die bloße Aufzählung der vielen – in der Tat erschreckenden – Vorkommnisse tatsächlich der Nachweis einer Dienstpflichtverletzung geführt werden kann, ist zweifelhaft. Denn es fehlt an der notwendigen Subsumtion unter den Pflichtentatbestand und der Auseinandersetzung mit den einzelnen Vorkommnissen und es ist mehr als zweifelhaft, ob diese lang zurückliegenden Vorkommnisse im Rahmen der nunmehr anhängigen Disziplinarklage noch herangezogen werden können. Denn insoweit könnten Verfahrensfehler und Milderungsgründe vorliegen (vgl. zu einem solchen Fall: OVG Lüneburg, Urteil vom 10.11.2009, 6 LD 1/09 m. w. Nachw.; juris).

43

Ausweislich der Unterlagen wurde unter dem 23.01.2006 ein Vorermittlungsverfahren nach § 26 DO LSA wegen der Vorkommnisse um die Wäscheannahme eingeleitet (Bl. 8 Beiakte A zu 8 A 9/09). Mit Ermittlungsbericht vom 10.04.2006 stellte die Ermittlungsführerin ein Dienstvergehen fest (Bl. 71 Beiakte A). Von der Ausdehnung der Ermittlungen auf den Vorfall vom 15.03.2006 wurde abgesehen. Soweit die Disziplinarklage auf Seite 3 zum Gang des Disziplinarverfahrens ausführt, dass der Antragsgegner sich entschieden habe, das Disziplinarverfahren auszusetzen, kann eine derartige aktenkundige Aussetzung nicht festgestellt werden. Nach § 16 Abs. 2 DO LSA konnte das Disziplinarverfahren ausgesetzt werden, wenn in einem anderen geordneten Verfahren über eine Frage zu entscheiden ist, deren Beurteilung für die Entscheidung in Disziplinarverfahren von wesentlicher Bedeutung ist. Ob diese Voraussetzungen aufgrund der vordringlich angedachten Überprüfung der beamtenrechtlichen Dienstfähigkeit gegeben sind (vgl. Blatt 10 Beiakte N), mag dahinstehen. Jedenfalls ist den Akten nicht die Entscheidung über die Aussetzung und die diesbezügliche Mitteilung gegenüber dem Beamten zu entnehmen. Dies wäre schon deswegen erforderlich gewesen, weil nach § 16 Abs. 4 DO LSA der Beamten gegen eine Aussetzung den Antrag auf gerichtliche Entscheidung darüber stellen konnte. Somit ist auch die Mitteilung des Antragsgegners vom 16.12.2008 (Bl. 95 Beiakte O) an den damaligen Bevollmächtigten des Antragstellers nicht zutreffend, dass das unterbrochene Disziplinarverfahren wieder aufgenommen und als förmliches Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Magdeburg weitergeführt wird. Das im Januar 2006 unter der DO LSA eingeleitete Disziplinarverfahren war nicht (förmlich) unterbrochen und wurde nach § 81 Abs. 3 und 4 DG LSA ab dem 01.07.2006 nach dem DG LSA fortgeführt. Welche Konsequenzen daraus aufgrund des disziplinarrechtlichen Beschleunigungsgebotes (§ 4 DG LSA) und des Maßnahmeverbotes nach § 15 DG LSA i. V. der Verjährung nach § 4 DO LSA zu ziehen sind, mag noch offen bleiben.

44

Ausweislich der Verfügung vom 16.12.2008 (Bl. 92 Beiakte O) und des Schreibens an den damaligen Bevollmächtigten des Beamten vom gleiche Tage sowie vom 13.02.2009 (Bl. 40 Beiakte M) kann wohl die Erweiterung (§ 19 DG LSA) und Unterrichtung (§ 20 DG LSA) bezüglich der Vorkommnisse zum „Freigang“, wegen der „Nichtbefolgung zur Vorstellung beim Arzt“ und auch wegen der „Störung des Betreibfriedens“ angenommen werden.

45

b. b.) Zudem – und dies ist ganz entscheidend – sind dem Antragsgegner die allein in der Persönlichkeit des Beamten begründeten Schwierigkeiten seit jeher bekannt. So kam es aufgrund des problematischen Umgangs mit dem Antragsteller bereits zu einer Verlängerung seiner Probezeit und schließlich führte das im Jahr 2002 erstellte amtsärztliche Gutachten zu dem Ergebnis, dass der Beamte dienstfähig ist. Der Antragsgegner stellte am 22.08.2002 (Bl. 248 Beiakte R) fest, dass „die Befähigung für die Laufbahn des allgemeinen mittleren Justizvollzugsdienstes in gesundheitlicher Hinsicht vorliegt“. Aus Sicht der psychiatrischen Begutachtung gebe es keine Einwände bezügliche einer Weiterbeschäftigung bei der Justizvollzugsanstalt in H. Der Bedienstete zeige keine psychopathologischen Veränderungen, die auf eine Dienstunfähigkeit hinweisen. Es wurde weiter verfügt, das anhängige – hier nicht einschlägige - Disziplinarverfahren vom 30.11.2001 fortzusetzen und zum Abschluss zu bringen. So ergibt sich aus einer Verfügung des Antragsgegners vom 26.03.2003 (Bl. 291 Beiakte R), dass bereits zur Hälfte der Probezeit erste Mängel in der Dienstdurchführung des Bediensteten bekannt geworden seien. So werde dem Bediensteten eine ungenügend ausgebildete Kompromissbereitschaft und insbesondere eine fehlende Teamfähigkeit bescheinigt. Ebenso habe der Beamte das erforderliche Fingerspitzengefühl im Umgang mit Gefangenen vermissen lassen. Aus Fürsorgegründen sei der Beamte in der Vergangenheit immer wieder an andere Justizvollzugsanstalten abgeordnet worden. Auch die Disziplinarklage enthält diesbezügliche Ausführungen.

46

Demnach ist festzustellen, dass dem Dienstherrn die wesentlichen charakterlichen und persönlichkeitsbedingten Wesensmerkmale des Beamten bereits während der Probezeit bekannt waren und sogar zu einer Verlängerung der Probezeit geführt haben. Dabei fällt die identische damalige Wortwahl mit derjenigen der Disziplinarverfügung auf. Dementsprechend ist dem Antragsgegner vorzuhalten, dass er sich nicht frühzeitig aufgrund der zu Tage tretenden Probleme im Umgang mit dem Beamten von diesem getrennt hat. Denn genau dazu dient die beamtenrechtliche Probezeit. Gänzlich neue oder andersartige Erkenntnisse über die persönlichkeitsbedingten Verhaltensweisen des Antragstellers nach seiner Ernennung als Beamter auf Lebenszeit sind den Akten nicht als hinreichende Erkenntnisgrundlage zu entnehmen. Stattdessen hat der Beamte seine Verhaltensweisen (nur) weiter „ausgelebt“.

47

Soweit der Anstaltsleiter der JVA H. mit Schreiben vom 25.09.2002 darauf hinweist, dass aufgrund der Übergabe von Unterlagen durch den Antragsteller an die Gutachterin bei dem Gesundheits- und Veterinäramt der Landeshauptstadt A-Stadt davon auszugehen sei, dass er bereits in den 80er Jahren psychologische Behandlungen und Therapien durchgeführt habe, welche er jedoch bei seiner Einstellung in den Justizvollzugsdienst nicht angegeben habe, sodass bei Kenntnis dieser Unterlagen eine Einstellung nicht vorgenommen worden wäre, vermag auch dies keinen hinreichenden Grund für eine disziplinarrechtliche Entfernung aus dem Dienst liefern. Zudem steht dem Anstaltsleiter mangels hinreichender fachlicher Kenntnisse eine derartige Einschätzung nicht zu. Soweit der Dienstherr von Falschangaben bei der Einstellung ausgeht, müsste ein entsprechendes Verfahren zur Rücknahme der beamtenrechtlichen Ernennung geprüft und eingeleitet werden.

48

Jedenfalls – und darauf legt das Gericht wert – ist vorliegend äußerst zweifelhaft, ob sich die charakterlichen und persönlichkeitsbedingten Verhaltensweisen des Antragstellers eben tatsächlich erst nach der Probezeit und damit der Prognose für die Bewährung als Beamter auf Lebenszeit , gezeigt haben. Die Aktenlage spricht vielmehr dafür, dass diese Probleme mit dem Beamten bereits frühzeitig und während der Probezeit eingetreten sind. Ob eine Veränderung, d. h. Verschlimmerung dieser persönlichkeitsbedingten Verhaltensweisen im Sinne einer Dienstunfähigkeit bei dem Beamten vorliegen, obliegt der Prüfung in dem beamtenrechtlichen Verfahren 5 A 430/09 MD.

49

2.) Aufgrund der vorstehenden detaillierten Ausführungen ist die Disziplinarkammer jedoch der Auffassung, dass die vorläufige Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 Satz 2 DG gerechtfertigt ist. Denn durch das Verbleiben des Antragstellers im Dienst ist der Dienstbetrieb in der Haftanstalt wesentlich beeinträchtigt und die vorläufige Dienstenthebung steht zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis. Dies hat der Antragsgegner ohne Rechtfehler erkannt und ausgeführt.

50

Der gesetzliche Zweck der Ermessensbefugnis in § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA ergibt sich daraus, dass die vorläufige Dienstenthebung eines Beamten im Zusammenhang mit einem gegen ihn eingeleiteten Disziplinarverfahren dazu dient, einen Zustand, der endgültig erst aufgrund eines einen längeren Zeitraum beanspruchenden förmlichen Verfahrens geregelt wird, vorübergehend zu ordnen, um dadurch Nachteile und Gefahren - insbesondere für das gemeine Wohl - abzuwehren und zu verhindern, dass vollendete Tatsachen geschaffen werden, bevor die Entscheidung im gerichtlichen Disziplinarverfahren rechtskräftig getroffen und damit - im Falle einer Verurteilung - die Unschuldsvermutung (vgl. Art. 6 Abs. 2 EMRK und hierzu BVerwG, Urteil vom 12. Februar 2003, 2 WD 8.02; Beschluss vom 15. November 2006, 2 WDB 5.06; juris) widerlegt ist (BVerwG, Beschluss vom 07.12.2006, 2 WDB 3.06; Beschluss vom 16.07.2009, 2 AV 4.09; beide juris). Eine solche vorläufige Maßnahme, die in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen des Beamten eingreift, bedarf aus verfassungsrechtlichen Gründen eines besonderen sie rechtfertigenden Grundes. Sie muss im Rahmen des gemeinen Wohls geboten sein und zudem - im Hinblick auf die Grenzen der gesetzlichen Ermächtigung - dem Verfassungsgebot der Verhältnismäßigkeit genügen (BVerwG, Beschluss vom 07. Dezember 2006, a. a. O.). Ein rechtfertigender besonderer Grund im dargelegten Sinne ist nur dann gegeben, wenn ohne die angegriffene Anordnung der Dienstbetrieb durch den von dem gerichtlichen Disziplinarverfahren Betroffenen empfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet würde (BVerwG, Beschluss vom 07. Dezember 2006, a. a. O.). Bei der Beurteilung dessen, ob ohne die angegriffene Anordnung der Dienstbetrieb empfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet würde, steht dem Antragsgegner innerhalb des dargelegten rechtlichen Rahmens ein Beurteilungsspielraum zu (vgl. zum Ganzen nur: Nieders. OVG, Beschluss vom 12.02.2008, 19 ZD 11/07 m. w. Nachw.; juris).

51

Hiervon ausgehend ist mehr als erkennbar, dass bei einem Verbleib des Antragstellers in seiner gegenwärtigen und auch in jeder anderen Verwendung innerhalb seiner Laufbahn im Justizvollzugdienst mit einer empfindlichen Störung oder in besonderem Maße mit einer Gefährdung des Dienstbetriebs zu rechnen ist. Dies ergibt sich schon daraus, dass auf Grund eines offenbar gegenseitig belasteten Verhältnisses zwischen dem Antragsteller sowie den Bediensteten in der Haftanstalt ein gedeihliches Miteinander nicht mehr möglich ist. Das Gericht ist der Überzeugung und schließt sich der Beurteilung des Antragsgegners an, dass eine erneute Aufnahme der Diensttätigkeit durch den Antragsteller zu untragbaren Zuständen in der Justizvollzugsanstalt führen würde. Denn die Art des Dienstvergehens gibt begründeten Anlass zu der Annahme, die tägliche Dienstverrichtung werde vom Antragsteller dazu benutzt, um die Unbegründetheit der Anschuldigungen zu belegen und seine Sicht der Dinge darzustellen. Demnach ist die vorläufige Dienstenthebung notwendig um das „Streitpotential“ aus dem Dienstbetrieb der Justizvollzugsanstalt fernzuhalten. Daher steht die vorläufige Dienstenthebung zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme – wie immer die ausfallen wird – auch nicht außer Verhältnis.

52

3.) Wegen der vom Disziplinargericht nicht geteilten Prognoseentscheidung hinsichtlich der voraussichtlichen Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, sind die tatbestandlichen Voraussetzungen der Einbehaltung der Dienstbezüge nach § 38 Abs. 2 DG LSA ebenso nicht gegeben. Diese ist aufzuheben.

53

4.) Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 72 Abs. 4 DG LSA i. V. m. § 155 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtsgebührenfreiheit folgt aus § 73 Abs. 1 DG LSA.


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt die Klägerin.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 450 400 € festgesetzt.

Gründe

I

1

Die Klägerin wendet sich gegen die in dem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18. April 2013 ergangenen Urteil des Verwaltungsgerichts erfolgte Nichtzulassung der Revision.

2

Das Verfahren betrifft das 9 008 qm große, nach Aktenlage unbebaute Flurstück ... der Flur ... im Gemeindegebiet der Klägerin, die dessen Eigentümerin und Verfügungsberechtigte ist. Das Grundstück gehörte zum historischen Gutsgelände ... der verstorbenen Brüder Albert und Max S., zu deren Rechtsnachfolgern die Beigeladenen gehören. Nach deren Tod schlossen ihre Erben am 13. Oktober 1933 mit dem Kaufmann G., einem NSDAP-Mitglied, einen notariell beurkundeten Parzellierungsvertrag. Dieser hatte u.a. zum Gegenstand, bis zum 31. Dezember 1938 die Flächen des Gutes - mit Ausnahme des Gutshofs selbst und der Villen "So." und "M." - aufzuteilen und die entstandenen Parzellen an Neusiedler zu verkaufen.

3

Der im Auftrag der Erben der Brüder S. im Dezember 1933 erstellte Teilsiedlungsplan für die Flächen des Gutes ...  wurde im Mai 1934 vom Regierungspräsidenten genehmigt. In dem im Anschluss daran mit der Klägerin (Stadt T.) vereinbarten Aufschließungsvertrag vom 16. Mai 1934 verpflichteten sich die Erben der Brüder S. nach dem Wortlaut des Vertragstextes u.a., 25% der Gesamtfläche für öffentliche Zwecke (Straßen, Plätze, Spiel- und Erholungsflächen sowie Grünanlagen) "unentgeltlich, schulden-, lasten- und kostenfrei" an die Stadt T. auf jederzeitiges Verlangen aufzulassen. In der Folgezeit wurden diejenigen Flurstücke, die nach dem Aufschließungsvertrag "unentgeltlich" an die Stadt T. übertragen werden sollten, nach erfolgter Auflassung im Grundbuch auf ein anderes Liegenschaftsblatt mit der Stadt T. als Eigentümerin umgeschrieben.

4

Mit Bescheid vom 29. März 1996, der alle zu diesem Zeitpunkt noch nicht beschiedenen Flächen des ehemaligen Gutes .   (einschließlich des streitgegenständlichen Grundstücks) betraf, lehnte die damals zuständige Behörde zunächst eine Rückübertragung an die (damaligen) Rechtsnachfolger der Erben der Brüder S. mit der Begründung ab, die an sich für einen verfolgungsbedingten Vermögensverlust streitende gesetzliche Vermutung des § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 REAO sei nach Art. 3 Abs. 2 und 3 REAO widerlegt.

5

Nachdem das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 26. November 2003 - BVerwG 8 C 10.03 - (Teltow-Seehof III) (BVerwGE 119, 232 = Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 23) in einem Verfahren, das nach dem 15. September 1935 an Neusiedler verkaufte Bauparzellen betraf, einen verfolgungsbedingten Zwangsverkauf angenommen hatte, schlossen die Anmelder von Restitutionsansprüchen mit dem Beklagten (Bundesamt) unter dem 28. Juni 2005 vor dem Verwaltungsgericht Potsdam einen gerichtlichen Vergleich. Darin wurde die mit dem früheren Bescheid vom 29. März 1996 erfolgte Ablehnung der Rückübertragung aufgehoben; zugleich wurden die damit wieder unbeschiedenen Restitutionsansprüche flurstücksbezogen auf Rechtsnachfolger der Erben der Brüder S. aufgeteilt.

6

Mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 31. Mai 2006 übertrug sodann das Bundesamt u.a. das streitgegenständliche Grundstück auf die Beigeladenen. Dagegen hat die Klägerin (Stadt T.) am 5. Juli 2006 Klage erhoben.

7

Das Verwaltungsgericht hat mit dem angegriffenen, der Klägerin am 4. Oktober 2013 zugestellten Urteil vom 18. April 2013 - VG 1 K 1400/06 - die Klage abgewiesen. In der Begründung wird ausgeführt, dass die Erben der Brüder S. zu dem Kreis der Verfolgten des Naziregimes gehörten und dass mit der unentgeltlichen Abtretung der streitgegenständlichen Fläche durch die erst nach dem 14. September 1935 vollzogene Abtretung an die Klägerin eine ungerechtfertigte Entziehung im Sinne von § 1 Abs. 6 Satz 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 VermG zu sehen sei. Die sich aus § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 REAO ergebende gesetzliche Vermutung der Verfolgungsbedingtheit der Entziehung sei nicht widerlegt. Diese Schlussfolgerung hat das Verwaltungsgericht auf eine Hauptbegründung sowie daneben selbstständig tragend auf eine Hilfsbegründung gestützt. In der Hauptbegründung ist das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, "es sei schon nicht bewiesen, dass die Erben S. einen angemessenen Kaufpreis erhalten haben" (UA S. 10, erster Absatz). Deshalb sei die gesetzliche Vermutung nach § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 REAO gemäß Art. 3 Abs. 2 REAO nicht widerlegt. Mit seiner subsidiären Hilfsbegründung hat das Verwaltungsgericht anschließend zum Ausdruck gebracht, auch dann, wenn die Erben S. einen angemessenen Kaufpreis für das entzogene Grundstück erhalten hätten ("Selbst wenn dies in einer Gesamtschau dennoch angemessen gewesen wäre .", UA S. 11, ab zweitem Absatz), sei eine Widerlegung der gesetzlichen Vermutung gemäß Art. 3 Abs. 3 REAO dahingehend nicht gelungen, "dass das konkrete, zum Vermögensverlust führende Rechtsgeschäft seinem wesentlichen Inhalt nach auch ohne Herrschaft der Nationalsozialisten geschlossen worden wäre" (UA S. 11, ebd.).

8

Mit ihrer Beschwerde macht die Klägerin - ebenso wie im Beschwerdeverfahren BVerwG 8 B 1.14 (VG 1 K 1396/06) - alle drei Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO geltend.

9

Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.

10

Die Beigeladenen halten die Beschwerde für unbegründet und beantragen ebenfalls ihre Zurückweisung.

II

11

Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg.

12

Die Revision wäre nur dann zuzulassen, wenn die Klägerin sowohl hinsichtlich der Hauptbegründung als auch hinsichtlich der Hilfsbegründung des angegriffenen Urteils einen Zulassungsgrund dargetan hätte. Das ist jedoch nicht der Fall.

13

1. Die mit der Beschwerde gerügten Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) sind nicht ersichtlich.

14

a) Soweit die Klägerin in der Beschwerdebegründung geltend macht, das Verwaltungsgericht habe bei seiner Prüfung der von ihm in der Hauptbegründung als streitentscheidend angesehenen fehlenden Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung entscheidungserhebliches Vorbringen entgegen Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO nicht zur Kenntnis genommen und nicht in Erwägung gezogen sowie unter Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht hinreichend gewürdigt, ist dies nicht nachvollziehbar und trifft nicht zu.

15

Die Klägerin rügt, das Verwaltungsgericht habe "auch bei der besonderen vorliegenden Konstellation der Modifikation des ursprünglichen Aufschließungsvertrages durch einen späteren Flächenaustausch" lediglich isoliert die "Angemessenheit der Leistung der S. Erben (Übertragung der streitgegenständlichen Flächen auf die Stadtgemeinde T.) zur Gegenleistung (Freigabe von Flächen zur Bebauung, die dafür ursprünglich nicht vorgesehen waren)" geprüft und "die Widerlegung der Verfolgungsvermutung daher nach seiner eigenen, hier im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren insoweit zur Bewertung der Verfahrensrüge maßgeblichen Rechtsauffassung von der Frage abhängig gemacht, inwieweit der im Vollzug des Aufschließungsvertrages vorgenommene Flächenaustausch eine Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung aufweist" (S. 17 der Beschwerdebegründung). Die Prüfung der Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung erschöpfe sich in der Feststellung des Verwaltungsgerichts, es liege auf der Hand, "dass dies allenfalls dann angemessen gewesen wäre, wenn die nunmehr ermöglichte Verwertung neuer Flächen zumindest ebenso werthaltig gewesen ist, wie diejenige bezüglich der aus der Bebaubarkeit ausgeschiedenen Flächen.". Das sei "aber schon deshalb nicht der Fall, weil hier eine nicht zu vernachlässigende Flächendifferenz von ca. 9 000 m2" vorliege; immerhin mache "dies etwa die Hälfte der ursprünglich zur Bebauung vorgesehenen Fläche aus, wenn man die beiden betroffenen Baublöcke zusammenrechnet.". Dies stellt nach Auffassung der Klägerin eine "Verletzung allgemeiner Beweisgrundsätze" (ebd., S. 18) dar.

16

Die Verfahrensrüge der Klägerin beruht auf der unzutreffenden Annahme, auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, die mit den im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Dezember 1998 - BVerwG 8 C 14.09 - (Teltow-Seehof I) (BVerwGE 108, 157 = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 167) entwickelten Maßstäben im Ausgangspunkt übereinstimme, ergebe sich, dass hinsichtlich des im Wege eines Flächentausches an die Klägerin seinerzeit abgetretenen streitgegenständlichen Grundstücks die Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung gemäß Art. 3 Abs. 2 REAO nur durch eine Gesamtbetrachtung des Aufschließungsvertrages vom 16. Mai 1934 hätte ermittelt werden können, nicht hingegen durch eine isolierte Betrachtung nur des Flächentausches.

17

Damit verkennt die Klägerin, dass das Verwaltungsgericht nach seiner insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung eine Gesamtbetrachtung des Aufschließungsvertrages in dessen durch den so genannten Flächentausch geänderten Fassung gerade für nicht entscheidungserheblich gehalten hat. Dementsprechend hat es im angegriffenen Urteil ausgeführt, die "streitgegenständliche Fläche gehörte zwar nicht zu den Flächen, die ursprünglich Gegenstand des Aufschließungsvertrages war. Sie wurden aber tatsächlich genauso behandelt, so dass in der Sache kein Unterschied besteht. Der Austausch der Flächen bezüglich Bebaubarkeit sowie die anschließende Übereignung an die Stadtgemeinde T. stellt sich damit ebenso als Veräußerungsgeschäft dar, das sich nach Art. 3 Abs. 1 REAO bemisst." (UA S. 9, vorletzter Absatz). Damit hat das Verwaltungsgericht zum Ausdruck gebracht, dass es den Flächenaustausch als solchen als das maßgebliche Veräußerungsgeschäft angesehen hat. Es kam für das Tatsachengericht nicht darauf an, ob nach diesem Flächentausch das Gesamtgefüge des Aufschließungsvertrages noch einen angemessenen Kaufpreis im Sinne des Art. 3 Abs. 2 REAO vorsah, sondern ob für den Flächentausch selbst ein angemessener Kaufpreis oder eine angemessene Gegenleistung erbracht wurde. Schon deshalb geht der von der Klägerin in der Beschwerdebegründung erhobene Vorwurf der verfahrensfehlerhaften Nichtberücksichtigung des auf die Prüfung der Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung im Rahmen des Gesamtgefüges des Aufschließungsvertrages bezogenen Vorbringens ins Leere. Einer weiteren Sachverhaltsaufklärung dazu, ob das Gesamtverhältnis des Aufschließungsvertrages in der geänderten Form noch angemessen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 REAO gewesen wäre, bedurfte es nach der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts nicht.

18

Soweit die Klägerin rügt, auch zu dem für das Verwaltungsgericht im angegriffenen Urteil im Rahmen der Angemessenheitsprüfung maßgeblichen Aspekt der Werthaltigkeit der ursprünglichen Flächen im Verhältnis zu den Austauschflächen sei schriftsätzliches Vorbringen, das entscheidungserheblich gewesen sei, "in keiner Form gewürdigt worden", ergibt sich daraus ebenfalls kein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör oder auf Beachtung des Überzeugungsgrundsatzes. Entscheidend war nach der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts allein, ob die zum Kreis der Verfolgten des Naziregimes gehörenden Erben der Brüder S. für das im Rahmen des Flächentausches entzogene Grundstück eine im Sinne des Art. 3 Abs. 2 REAO angemessene Gegenleistung erhalten haben oder nicht. Die Klägerin kann dabei nicht beanspruchen, dass das Verwaltungsgericht auf alle Einzelheiten ihres Vortrags eingegangen ist. Insbesondere ist das Gericht nach seiner insoweit allein maßgeblichen Rechtsauffassung nicht gehalten gewesen, zu prüfen, aus welchen Gründen der Flächentausch erfolgte.

19

Soweit das Verwaltungsgericht im angegriffenen Urteil auf für die Beurteilung der Werthaltigkeit der bei dem Flächentausch in Rede stehenden Grundstücke relevantes Vorbringen der Klägerin nicht im gebotenen Maße eingegangen ist, ergibt sich daraus jedenfalls kein entscheidungserheblicher Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör und Beachtung des Überzeugungsgrundsatzes. Denn das Verwaltungsgericht hat hilfsweise unterstellt, dass die Erben seinerzeit für die entzogene Fläche - wie von der Klägerin behauptet - einen angemessenen Kaufpreis bzw. eine angemessene Gegenleistung erhalten haben. Für diesen Fall ist es dann in seiner Hilfsbegründung jedoch zum Ergebnis gelangt, dass die gesetzliche Vermutung (Art. 3 Abs. 1 REAO) gemäß Art. 3 Abs. 3 REAO, die für nach dem 14. September 1935 wirksam gewordenen Veräußerungen maßgeblich sei, nicht widerlegt worden sei (vgl. dazu nachfolgend Unterabschnitt b).

20

b) In seiner Hilfsbegründung ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die den Rechtsvorgängern der Beigeladenen im Rahmen des Flächentausches entzogene streitgegenständliche Fläche nicht zu den Flächen gehörte, die ursprünglich Gegenstand des Aufschließungsvertrages vom 16. Mai 1934 waren, dass es sich jedoch "um eine Weiterung aus dem Aufschließungsvorgang handelt(e)" (UA S. 11, vorletzter Absatz). Das wird mit der Beschwerde nicht in Zweifel gezogen. Eine notarielle Beurkundung über den Flächentausch hat das Verwaltungsgericht nicht festgestellt. Es hat jedoch angenommen, dass das zum Vermögensverlust führende Rechtsgeschäft über den Flächentausch nach dem 14. September 1935 wirksam geworden ist, so dass "nichts anderes gelten" könne, "als wenn die Flächen zu diesem Zeitpunkt verkauft worden wären." (UA S. 11, unten). Für diese Auffassung spricht immerhin, dass ein nicht beurkundetes und damit gemäß § 125 BGB formnichtiges Verpflichtungsgeschäft über ein Grundstück gemäß § 313 Satz 2 BGB in der damals geltenden Fassung durch Auflassung und Eintragung des Eigentumsübergangs wirksam wurde. Ausgehend von dieser für die Hilfsbegründung des angefochtenen Urteils maßgeblichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts kam es nicht darauf an, ob die S. Erben bereits im Juli 1935 - also vor dem Stichtag 15. September 1935 - dem Flächentausch zugestimmt hatten, wie die Beschwerde geltend macht. Das Verwaltungsgericht hat somit kein entscheidungserhebliches Vorbringen der Klägerin übergangen. Weshalb die Annahme, der Aufschließungsvertrag stelle nicht das maßgebliche Kausalgeschäft für den Flächentausch bzw. die Auflassung dar, gegen Denkgesetze verstoßen soll, legt die Beschwerde nicht nachvollziehbar dar. Somit war eine Widerlegung der gesetzlichen Vermutung des Art. 3 Abs. 1 REAO anhand der - für in der Zeit vom 15. September 1935 bis zum 8. Mai 1945 erfolgte Veräußerungen maßgeblichen - Regelung des Art. 3 Abs. 3 a) REAO zu prüfen. Es war zu untersuchen, ob das Rechtsgeschäft seinem wesentlichen Inhalt nach auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus abgeschlossen worden wäre. Gegen die im angegriffenen Urteil insoweit erfolgte Verneinung dieser Voraussetzung des Art. 3 Abs. 3 a) REAO durch das Verwaltungsgericht sind wirksame Verfahrensrügen mit der Beschwerde nicht vorgebracht worden.

21

2. Die von der Klägerin erhobenen Divergenzrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) greifen ebenfalls nicht durch.

22

Die Zulassung der Revision kommt in Betracht, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Die Divergenzrüge setzt die Darlegung voraus, dass dem angefochtenen Urteil ein entscheidungstragender Rechtssatz zugrunde liegt, der von einem ebensolchen entscheidungstragenden Rechtssatz der in der Beschwerde angegebenen höchstrichterlichen Entscheidung abweicht (stRspr, vgl. u.a. Beschluss vom 1. September 1997 - BVerwG 8 B 144.97 - Buchholz 406.11 § 128 BauGB Nr. 50). Keine Divergenz in dem Sinne liegt dagegen vor, wenn das Verwaltungsgericht einen Rechtssatz aus der angeführten höchstrichterlichen Rechtsprechung vermeintlich unzutreffend angewendet hat.

23

Vorliegend zeigt die Beschwerde keinen Rechtssatzwiderspruch in dem beschriebenen Sinne auf, sondern bemängelt letztlich lediglich eine vermeintlich falsche Rechtsanwendung durch das Verwaltungsgericht.

24

a) Soweit die Klägerin hinsichtlich des angegriffenen Urteils des Verwaltungsgerichts eine Abweichung von dem vom Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 16. Dezember 1998 - BVerwG 8 C 14.98 - (Teltow-Seehof I) (a.a.O.) zu § 1 Abs. 6 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 3 REAO sinngemäß aufgestellten Rechtssatz rügt

"Liegt der Zwangsverkauf i.S.d. § 1 Abs. 6 VermG in einem Aufschließungsvertrag, der der zuständigen Kommune eine Abtretung von 25% der Grundstücksfläche für Gemeinbedarfszwecke gewährt und dem parzellierungswilligen jüdischen Eigentümer sowohl die Parzellierungsgenehmigung als auch die Aufhebung und Befreiung vom Bauverbot und eine damit einhergehende Vermarktbarkeit seiner Fläche für Bauzwecke verschafft, so ist im Wege einer Gesamtbetrachtung des erzielten wirtschaftlichen Ergebnisses zu prüfen, ob die Abtretung der Grundstücksfläche an die Kommune für Gemeinbedarfszwecke einerseits und die durch die Befreiung von Bauverbot und Erteilung der Parzellierungsgenehmigung dem jüdischen Eigentümer vermittelte Werterhöhung andererseits in einem angemessenen Verhältnis zueinanderstehen. Die Verfolgungsvermutung lässt sich dadurch widerlegen, dass die Angemessenheit dieses Verhältnisses bewiesen wird." (S. 40 der Beschwerdebegründung),

liegt keine Divergenz im dargelegten Sinne vor.

25

Zwar hat das Verwaltungsgericht seinem angegriffenen Urteil den von der Klägerin sinngemäß formulierten tragenden Rechtssatz zu § 1 Abs. 6 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 2 REAO zugrunde gelegt,

"Gibt es Modifikationen eines ursprünglich abgeschlossenen Aufschließungsvertrages durch entsprechenden Flächenaustausch, so ist nur noch darauf abzustellen, ob dieser Flächenaustausch zulasten des jüdischen Eigentümers diesem eine geringerwertige bebaubare Fläche zuspricht, als das nach dem ursprünglichen Aufschließungsvertrag der Fall war. Es ist jedoch keine Gesamtbetrachtung der Angemessenheit des Aufschließungsvertrages unter Berücksichtigung der Austauschmodifikationen anzustellen." (S. 41 der Beschwerdebegründung).

26

Diese Rechtssätze widersprechen jedoch einander nicht. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in seinem Urteil vom 16. Dezember 1998 angesichts des damals zugrunde liegenden Sachverhalts nur mit dem Abschluss eines Aufschließungsvertrages und einer darauf beruhenden Veräußerung eines Grundstücks befasst. Dagegen enthält das Urteil keine Ausführungen dazu, welches das maßgebliche Rechtsgeschäft bei der anschließend erfolgten Änderung eines solchen Aufschließungsvertrages ist und ob bei der Prüfung der Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung auch dann noch auf den Aufschließungsvertrag in seiner Gesamtheit oder isoliert auf das Rechtsgeschäft abzustellen ist, mit dem dieser geändert wird und neue Verpflichtungen begründet werden. Im Übrigen ist der von der Beschwerde genannte Rechtssatz des Verwaltungsgerichts mit Blick auf die Hilfsbegründung des angegriffenen Urteils nicht entscheidungstragend.

27

b) Auch die weitere hinsichtlich der Bestimmung des maßgeblichen Rechtsgeschäfts von der Klägerin geltend gemachte Divergenz zwischen dem vom Bundesverwaltungsgericht zu § 1 Abs. 6 VermG u.a. im Urteil vom 16. Dezember 1998 - (Teltow-Seehof I) (a.a.O.) - (unter Rückgriff auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 13. Juli 1960 - IV ZR 25/60 - MDR 1960, 1002) sinngemäß aufgestellten Rechtssatz

"Ein Vermögensverlust i.S.d. § 1 Abs. 6 VermG bzw. eine Veräußerung i.S.d. Art. 3 REAO, auf den § 1 Abs. 6 VermG letztlich Bezug nimmt, liegt nicht erst bei der dinglichen Eigentumsübertragung, sondern bereits beim Abschluss des Kausalgeschäfts vor, mit dem sich der Veräußerer in bindender Weise wirtschaftlich des Vermögensgegenstandes entäußert hatte und das den Erwerbern letztlich den durchsetzbaren Anspruch auf Übereignung des Vermögenswertes verschafft." (S. 51 der Beschwerdebegründung)

und einem vom Verwaltungsgericht im angegriffenen Urteil aufgestellten abstrakten Rechtssatz zu derselben Vorschrift ist nicht ersichtlich. Das Verwaltungsgericht hat nicht den ihm in der Beschwerde (S. 53 der Beschwerdebegründung) unterstellten Rechtssatz

"Selbst wenn die verbindliche Abänderung eines Kausalgeschäfts, das der späteren Verfügung über Vermögen des jüdischen Eigentümers zugrunde lag, noch vor dem Stichtag am 14./15.09.1935 lag, ist für die Frage, zu welchem Zeitpunkt der Vermögensverlust i.S.d. § 1 Abs. 6 VermG und des Rückerstattungsrechts gefolgte (offenbar gemeint: erfolgte), nicht auf den Zeitpunkt der endgültigen Verbindlichkeit des modifizierten Kausalgeschäfts, sondern auf dessen dinglichen Vollzug, konkret die Auflassung abzustellen."

aufgestellt.

28

In der Beschwerdebegründung wird auch keine genaue Fundstelle eines solchen vom Verwaltungsgericht im angegriffenen Urteil vermeintlich formulierten Satzes angegeben. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr auf Seite 9 seines Urteils im dritten Absatz den auch von der Klägerin in der Beschwerdebegründung in Bezug genommenen Rechtssatz aus dem Teltow-Seehof I-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Dezember 1998 herangezogen, wonach das sowohl für die gesetzliche Vermutung (Art. 3 Abs. 1 REAO) als auch für ihre Widerlegung nach Art. 3 Abs. 2 und 3 REAO maßgebliche Rechtsgeschäft nicht das Verfügungsgeschäft, sondern das zugrunde liegende Verpflichtungsgeschäft ist. In der Hauptbegründung des angegriffenen Urteils wird dementsprechend dann ausgeführt, dass die streitgegenständliche Fläche zwar nicht zu den Flächen gehörte, die ursprünglich Gegenstand des Aufschließungsvertrages waren; sie sei "aber tatsächlich genauso behandelt (worden), so dass in der Sache kein Unterschied besteht." Der "Austausch der Flächen bezüglich der Bebaubarkeit sowie die anschließende Übereignung an die Stadtgemeinde T." stelle "sich damit ebenso als Veräußerungsgeschäft dar, das sich nach Art. 3 Abs. 1 REAO bemisst." Grund dafür war offenkundig, dass das Verwaltungsgericht kein wirksames oder auch nur förmliches Rechtsgeschäft festzustellen vermochte, mit dem der Flächentausch förmlich vereinbart worden wäre. Es hat deshalb den faktisch durchgeführten Flächentausch im Rahmen des Art. 3 REAO so behandelt, als wäre er rechtsgeschäftlich zustande gekommen. Da das Verwaltungsgericht hinsichtlich des Zeitpunktes dieses Rechtsgeschäfts keine tatrichterliche Feststellungen treffen konnte und dieser Zeitpunkt nach den hier maßgeblichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts letztlich unaufgeklärt geblieben ist, hat es den Zeitpunkt der am 13. Juli 1939 erfolgten Auflassung des Grundstücks an die Klägerin als Wirksamkeitszeitpunkt des Verpflichtungsgeschäfts angesehen. Die damit erfolgte zeitliche Gleichsetzung von Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft bedeutet jedoch nicht, dass das Verwaltungsgericht Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft als solche miteinander gleichgesetzt hätte. Das Verwaltungsgericht hat lediglich, mangels anderer Anhaltspunkte, für den Zeitpunkt des maßgeblichen Verpflichtungsgeschäfts den Zeitpunkt des Verfügungsgeschäfts herangezogen und ist damit nicht von dem von der Klägerin bezeichneten Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen. Ob es sich dabei um eine fehlerhafte Anwendung dieses Rechtssatzes handelt, kann hier offenbleiben, da eine solche keine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO begründen könnte.

29

3. Die Rechtssache hat auch nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst.

30

Die Grundsatzrüge setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (stRspr, vgl. u.a. Beschluss vom 19. August 1997- BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26). Der Beschwerdeführer muss darlegen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), dass gerade eine Regelung des revisiblen Rechts in dem angestrebten Revisionsverfahren eine entscheidungserhebliche klärungsbedürftige rechtsgrundsätzliche Frage aufwirft (Beschlüsse vom 9. März 1984 - BVerwG 7 B 238.81 - Buchholz 401.84, Benutzungsgebühren Nr. 49 und vom 15. Juni 2009 - BVerwG 6 B 12.09 -). Das leistet die Beschwerdebegründung nicht.

31

a) Bei den ersten drei in der Beschwerde (S. 46 f. der Beschwerdebegründung) aufgeworfenen Rechtsfragen

"Nach welchen Kriterien ist die Frage der Angemessenheit der Gegenleistung bei einem 'Zwangsverkauf' im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG oder einem, einem solchen 'Zwangsverkauf' gleichstehenden Rechtsgeschäft zu bewerten, wenn nach Abschluss des Kausalgeschäfts Abänderungen im Bereich der Leistungen und/oder Gegenleistungen dieses Kausalgeschäfts vorgenommen werden?

Ist danach im Rahmen einer Gesamtschau zu prüfen, ob der modifizierte Vertrag noch eine Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung im Ergebnis erkennen lässt oder ist isoliert nur die Frage zu untersuchen, ob die abgeänderten Konditionen im Vergleich zu den ursprünglichen Konditionen des Kausalgeschäfts eine Schlechterstellung des jüdischen Veräußerers erkennen lässt (offenbar gemeint: lassen)?

Falls Letzteres zugrunde zu legen ist, gilt dies nicht nur in dem Fall, in dem im ursprünglichen Kausalgeschäft bereits ein einklagbarer Rechtsanspruch des jüdischen Veräußerers auf eine bestimmte Gegenleistung festgelegt wurde und dieser später zu seinem Nachteil reduziert wird oder gilt das auch in solchen Fällen, in denen sich aus dem Kausalgeschäft deswegen noch kein endgültig einklagbarer Rechtsanspruch ergibt, weil dieses unter dem Vorbehalt der Beibringung bestimmter weiterer Leistungen des jüdischen Veräußerers z.B. von Zustimmungserklärung und/oder dem Vorbehalt weiterer Genehmigungen, die zum Vollzug des Kausalgeschäfts erforderlich sind, steht und so gesehen sich mit der Modifikation der Gegenleistung, bedingt durch die Nichterfüllung bestimmter zusätzlicher Leistungen des jüdischen Erben bzw. die Nichterteilung von Genehmigungen nur ein wirtschaftliches Risiko des Ausgangsvertrages realisiert?"

ist ein grundsätzlicher Klärungsbedarf in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht ersichtlich.

32

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bereits geklärt, dass bei der Prüfung, ob für einen Vermögensverlust ein angemessener Kaufpreis im Sinne des Art. 3 Abs. 2 REAO geleistet wurde, das konkrete zum Vermögensverlust führende Rechtsgeschäft maßgeblich ist; an ihm sind die Widerlegungstatbestände des Art. 3 Abs. 2 und 3 REAO zu messen (stRspr, vgl. u.a. Urteile vom 16. Dezember 1998 , a.a.O., S. 157 und vom 24. Februar 1999 - BVerwG 8 C 15.98 - BVerwGE 108, 303 <304> = Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 1).

33

Ob bei einer Änderung eines Aufschließungsvertrages, die ihrerseits ein schädigendes Ereignis im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG darstellt, die Frage des angemessenen Kaufpreises im Sinne des Art. 3 Abs. 2 REAO isoliert nur anhand der Änderung oder stattdessen im Rahmen einer Gesamtbetrachtung des geänderten Vertrages zu bewerten ist, hängt davon ab, ob die Änderung selbst einen diskriminierenden Zwangsverkauf im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG bewirkt hat, so dass eine isolierte Betrachtung geboten ist, oder ob die Änderung aus sich heraus wertneutral ist.

34

Bei der rechtsgeschäftlichen Änderung eines Vertrages, durch die ein Verfolgter im Sinne des Art. 3 Abs. 1 REAO verpflichtet wird, einen konkreten Vermögensgegenstand aufzugeben, zu dessen Aufgabe er durch den vorher unveränderten Vertrag noch nicht verpflichtet war, liegt deshalb auf der Hand und bedarf keiner weiteren Klärung in einem Revisionsverfahren, dass nicht der ursprüngliche Vertrag, sondern die Änderung desselben zum Vermögensverlust führt und demzufolge das maßgebliche Rechtsgeschäft ist.

35

Werden nach Abschluss des (ersten) ursprünglichen Kausalgeschäfts, das im Sinne von Art. 3 Abs. 2 REAO ein angemessenes Verhältnis von Leistung und Gegenleistung der Vertragsparteien vorsah, rechtsgeschäftliche Abänderungen im Bereich der Leistungen und/oder Gegenleistungen dieses Kausalgeschäfts vorgenommen, so ist die Angemessenheit (Art. 3 Abs. 2 REAO) im Hinblick auf das dafür maßgebliche Rechtsgeschäft zu prüfen; dies ist das Kausalgeschäft in der durch die rechtsgeschäftlichen Änderungen bewirkten Fassung. Ein weitergehender entscheidungserheblicher Klärungsbedarf wird mit der Beschwerde im Hinblick auf das angestrebte Revisionsverfahren nicht dargetan. Im Übrigen sind die aufgeworfenen Fragen mit Blick auf die Nebenbegründung des angegriffenen Urteils auch nicht entscheidungserheblich.

36

b) Auch hinsichtlich der weiteren mit der Beschwerde (S. 58 der Beschwerdebegründung) aufgeworfenen Rechtsfrage

"Kommt es zu einer nachträglichen Abänderung des Vertragsgegenstandes eines Verpflichtungsgeschäfts, das einen Schädigungstatbestand i.S.d. § 1 Abs. 6 VermG darstellen kann und wird diese Abänderung der Konditionen des Verpflichtungsgeschäfts von allen an diesem Geschäft Beteiligten noch vor dem Stichtag am 14./15.09.1935 als verbindlich akzeptiert, kommt es aber erst nach diesem Datum zum dinglichen Vollzug dieses so modifizierten Verpflichtungsgeschäfts, ist dann für die Frage, in welchem Umfang i.S.d. Art. 3 REAO die Verfolgungsvermutung zu widerlegen ist, insbesondere für die Anwendung des Art. 3 Abs. 3 a) REAO auf den Zeitpunkt des dinglichen Vollzugs oder den Zeitpunkt der endgültigen und verbindlichen Einigung über die Modifikationen der Vertragskonditionen abzustellen?"

sind die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht erfüllt. Wie bereits oben dargelegt, geht diese Frage von Voraussetzungen aus, die im Widerspruch zu den Feststellungen des Verwaltungsgerichts im angefochtenen Urteil stehen. Das Verwaltungsgericht ist in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon ausgegangen, dass für die Prüfung der Angemessenheit eines Kaufpreises im Sinne des Art. 3 Abs. 2 REAO nicht auf das den Vermögensverlust konkret herbeiführende Verfügungsgeschäft, sondern auf das der Verfügung zugrunde liegende schuldrechtliche Kausalgeschäft abzustellen ist (UA S. 9). Es hat insoweit festgestellt, dass die streitgegenständliche Fläche zwar nicht zu den Flächen gehörte, die ursprünglich Gegenstand des Aufschließungsvertrages waren. Sie sei aber "tatsächlich so behandelt" worden, "so dass in der Sache kein Unterschied" bestehe und demzufolge "der Austausch der Flächen bezüglich der Bebaubarkeit sowie die anschließende Übereignung an die Stadtgemeinde T." sich "ebenso als Veräußerungsgeschäft" darstelle, "das sich nach Art. 3 Abs. 1 REAO bemisst." Da es eine notarielle Beurkundung über den Flächentausch nicht feststellen konnte und da gemäß § 125 BGB ein formnichtiges Verpflichtungsgeschäft über ein Grundstück gemäß § 313 Satz 2 BGB in der damals geltenden Fassung durch Auflassung und Eintragung des Eigentumsübergangs wirksam wurde, hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass das zum Vermögensverlust führende Rechtsgeschäft über den Flächentausch jedenfalls nach dem 14. September 1935 wirksam geworden ist, so dass "nichts anderes gelten" könne, "als wenn die Flächen zu diesem Zeitpunkt verkauft worden wären." (UA S. 11, unten). Das Verwaltungsgericht hat entgegen der von der Klägerin in der aufgeworfenen Rechtsfrage enthaltenen Behauptung keineswegs eine dahingehende Feststellung getroffen, dass eine "Abänderung der Konditionen des Verpflichtungsgeschäfts von allen an diesem Geschäft Beteiligten noch vor dem Stichtag am 14./15.09.1935 als verbindlich akzeptiert" worden sei.

37

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Bei Zugrundelegung eines Grundstückswertes von 50 €/qm ergibt sich daraus für die Fläche von 9 008 qm der festgesetzte Streitwertbetrag von 450 400 €.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller ist Ortsbürgermeister der Ortschaft K… und wendet sich gegen die ihm gegenüber vom Antragsgegner mit Bescheid vom 05.06.2013 Ausgesprochene vorläufige Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt (DG LSA).

2

Zur Begründung führt der Antragsgegner aus, dass der Antragsteller gegen seine beamtenrechtliche Verfassungstreuepflicht nach § 33 Abs. 1 Satz 3 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) und seine Wohlverhaltenspflicht nach § 34 Satz 3 BeamtStG verstoßen und damit ein schwerwiegendes Dienstvergehen begangen habe, welches voraussichtlich zur Entfernung aus dem Dienst führen werde. Der Antragsteller habe auf seiner Internetseite www.hans-pueschel.de in zahlreichen Artikeln gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung verstoßen. Dazu führt die Verfügung aus:

3

a)      Sie haben bei mehreren Gelegenheiten, so unter anderem in einer Antwort auf eine Lesermeinung am 30.10.2012 geäußert:

„Wenn der § 130 gegen Lügen und Volksverhetzung gerichtet ist,

4

warum werden dann nicht endlich die Großlügner mit den „4 Millionen
in Auschwitz Vergasten“ vor Gericht gestellt? Das ist doch, was
Größe und Umfang betrifft, die allergrößte Lüge, die mir in meinem
bisherigen Leben erst jahrzehntelang um die Ohren gehauen und nun stillschweigend mit Erwähnung in der Kleingartenzeitung Hinterkleckersdorf beerdigt worden ist.“

5

Ferner schrieben Sie am 16.03.2012 in einem von Ihnen unter dem Titel „Holocaustleugnung ist Menschenrecht“ eingeleiteten Diskussionsforum unter anderem.

6

„...Zu den Todesmärschen: Warum blieben dann laut Wikipedia 7000 Insassen von Auschwitz zurück. Haben die sich’s also doch aussuchen können. Waren übrigens Frauen und Kinder dabei. Sehen sogar gut genährt aus - zumindest auf dem Foto. Muss also doch mindestens Ausnahmen von der Rampen-Sortiererei gegeben haben. ...“

7

Am 14.11.2012 schrieben Sie dann unter dem auf Ihrer o. g. Internetseite angelegten Themen-Link „Politik“ zum Thema „Auschwitz, Majdanek - wann platzt die nächste Lüge?“ unter Bezugnahme auf die in nationalsozialistischen Konzentrationslagern verübten Ermordungen dort Inhaftierter:

8

„...Für mich steht fest: Die seit der Kindheit gelernten deutschen Verbrechen sind Lügen!...“

9

Am 07.12.2012 schrieben Sie in einem von Ihnen verfassten Gedicht mit dem Titel „Deutscher Mythos“ unter anderem:

10

„...Der Mythos ist zum Gruseln gut nicht für’s reale Leben....

11

Der Holocaust taugt nicht als Ziel der Seel’ bei klarem Lichte.

12

Wir hab’n der besseren Mythen viel aus tausend Jahr’n Geschichte.
Uns dort zu gründen, bringt uns Heil und Zukunft dem deutschen Volke!

13

Die böse Mär auf’s Altenteil, fort mit der düstren Wolke!“

14

Wegen der drei letztgenannten Äußerungen hat die Staatsanwaltschaft C-Stadt am 26.01.2013 Anklage wegen Volksverhetzung gegen Sie erhoben.

15

b)      Bereits im Jahr 2010 hatten Sie in der MZ einen Leserbrief veröffentlicht, in dem Sie die undemokratische und verfassungsfeindliche Ausrichtung der NPD in Frage stellten. Konkret äußerten Sie:

16

„NPD und DVU - wie undemokratisch sind sie? Wenn ich die 20 Jahre meiner Tätigkeit als Bürgermeister und Kommunalpolitiker rekapituliere, dann muss ich feststellen, dass unsere Demokratie wohl mehr Bürokratie geworden ist, nur noch ein formaler Ablauf.

17

Ich denke, wenn die (nur noch formale) Demokratie die existenziellen Probleme der Menschen und des Landes nicht löst, dann müssen es ja diejenigen versuchen, die eine vielleicht etwas andere Demokratie bzw. Volksherrschaft installieren wollen.“

18

Am 27.11.2012 schrieben Sie unter dem auf seiner o. g. Internetseite angelegten Themen-Link „Politik“ zum Thema „B… und die NPD“.

19

„...Ich habe mich zeitlebens als Deutscher gefühlt, also national gedacht, und demokratisch gehandelt. Kann es denn da einer Alternative geben zu den Nationaldemokraten?...“

20

c)      Abgesehen davon erklärten Sie am 11.11.2012 unter dem auf Ihrer o. g. Internetseite angelegten Themen-Link „Politik“ zum Thema „Rathenau, Battke und die Rache der Sieger“ unter anderem, die Rathenau-Mörder Kern und Fischer haben „...nicht den Juden Rathenau umgebracht sondern den in ihren Augen Vaterlandsverräter Rathenau...“ und „...Nur die Mörder um Stauffenberg passen in unsre Sieger-Sicht auf das Deutsche Reich und wurden zu Helden im Gegensatz zu Fischer, Fern und von Salomon....“

21


Auch haben Sie nach eigener Aussage an den Gedenkfeiern für die Rathenau-Mörder Fischer und Kern auf Burg Saaleck teilgenommen „denn für die letzten Gedenkfeiern kann ich verbürgen, dass Fischer und Kern immer mit ihrem Einsatz durch Attentat und Sterben für Deutschland und nicht der eventuelle unterschwellige Antisemitismus im Vordergrund standen.

22

2) im November 2011 antworteten Sie auf die Anfrage des NPD-Landesvorsitzenden  Herr H..., ob das Bürgerhaus von K… für die am 11. März 2011 geplante Wahlkampfabschlussveranstaltung der NPD genutzt werden könne per E-Mail unter anderem:

23

„Jo mai, döes oan Ding!

24

Dafür würde es sich wohl lohnen, noch eine Weile Ortsbürgermeister zu bleiben,  Herr H... . Den wollte ich aus bekannten Gründen nur zum Übergang ausüben.

...

25

Es wird in den nächsten Tagen abgeklärt, wie der Übergang und weitere Verfahrensablauf in 2011 wird. Wenn es gelingt, die Betreuung/Belegung der Dorfgemeinschaftshäuser bei den Ortsbürgermeistern zu belassen, die dann also die Nutzungsverträge unterschreiben, wäre es also durchaus denkbar, die Veranstaltung durchzuführen. ich würde noch übers erste Quartal weiter amtieren, wobei offen bleibt, inwieweit dann der Bürgermeister mit seiner Verwaltung sich quer legen, hineinagieren könnte/wollte.

26

Es müsste also ein Ausweichquartier im Hintergrund sein bzw. offiziell ein anderer Ort avisiert und erst am letzten Tag umgeschwenkt werden, so dass dann keine Verwaltung mehr großartig reagieren kann - siehe Polizei … ...bzw. Vertrag ist dann Vertrag.

27

Mfg hansPüschel“

28

3) Zur Landtagwahl 2011 traten Sie als Direktkandidat der NPD im Wahlkreis …an. Darüber verdeutlichte sich ihre Nähe zur NPD durch Referententätigkeit bei zahlreichen Veranstaltungen der NPD bzw. ihrer nahestehenden Organisationen. So traten Sie beispielsweise im Januar 2011 bei der Kommunalpolitischen Vereinigung der NPD als Referent auf. Im Juni 2011 traten Sie als Gastredner einer Veranstaltung der NPD-nahen Stiftung „Bildungswerk für Heimat und nationale Identität“ auf.“

29

Die Prognoseentscheidung nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA ergebe, dass das Disziplinarverfahren voraussichtlich mit der Entfernung des Antragstellers aus dem Dienst ende.

30

Die Leugnung des nationalsozialistischen Massenmordes an europäischen Juden in Gaskammern deutscher Konzentrationslager verharmlose und verherrliche den Nationalsozialismus und sei unvereinbar mit der Pflicht des Beamten, aktiv für die geltende Verfassungsordnung einzutreten. Der Antragsteller verbreite die sog. „Ausschwitz-Lüge“, was ein schwerwiegendes Dienstvergehen darstelle.

31

Daneben stelle der Antragsteller die undemokratische und verfassungsfeindliche Ausrichtung der NPD sowie das Vorhandensein einer tatsächlichen Demokratie in Deutschland in Frage. Gleichzeitig zeige er die Errichtung einer „anderen Demokratie“ bzw. „Volksherrschaft“ unter Führung nationaldemokratischer Kräfte als erstrebenswertes Ziel auf. Diese von dem Antragsteller demonstrierte und durch Äußerungen kundgetane Haltung widerspreche dem von einem Beamten verlangten Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und dem Willen, für deren Erhalt einzutreten. Ähnlich seien die Äußerungen des Antragstellers zur Motivation der Ermordung Walter Rathenaus und der vom Antragsteller gezogene Vergleich zu den Attentätern um Graf Schenk von Stauffenberg zu sehen. Auch insoweit würden zentrale Themen rechtsradikaler Ideologie aufgegriffen und verbreitet, was im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehe. Der Antragsteller leugne einen antisemitischen Bezug bei der Ermordung Walter Rathenaus im Jahre 1922 und bestreite zudem ein Mordmotiv der Täter.

32

In der disziplinarrechtlichen Rechtsprechung sei zwar keine Regelvermutung zur Ahndung derartiger Dienstpflichtverletzungen erkennbar. Denn die Handlungsbreite, die in der Verletzung der politischen Treuepflicht im Dienst denkbar seien, sei zu groß, als dass eine einheitliche Maßnahme erkennbar sei. Trotzdem seien die dargelegten Äußerungen sämtlich als schwerwiegende Dienstvergehen nach § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG anzusehen. Auch wenn im Fall einer einzelnen derartigen Äußerung nicht zwingend mit einer unmittelbaren Entfernung aus dem Dienst zu rechnen wäre, vermag vorliegend die Vielzahl und Häufigkeit der Dienstpflichtverletzungen eine solche Entscheidung im Ergebnis des Disziplinarverfahrens gleichwohl erwarten lassen. Die E-Mail an den NPD-Landesvorsitzenden lasse das Ansinnen erkennen, das Amt des Ortsbürgermeisters missbräuchlich zu nutzen, denn es entstehe der Eindruck, dass der Antragsteller das Amt nur noch bekleide um Zugriff auf Einrichtungen wie das Bürgerhaus der Ortschaft zu haben und um diese für die Zwecke verfassungsfeindlicher Organisationen zur Verfügung zu stellen. Zwar bestreite der Antragsteller die Urheberschaft der E-Mail. Dies sei jedoch als Schutzbehauptung zu werten.

33

Zudem werde die vorläufige Dienstenthebung auf § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA gestützt. Durch ein Verbleiben des Antragstellers im Dienst werde der Dienstbetrieb wesentlich beeinträchtigt. Denn die Funktion des Ortsbürgermeisters beschränke sich im Wesentlichen auf die Repräsentation der Ortschaft. Die dienstliche Funktion bestehe daher in der Achtung, Wertschätzung und dem Respekt, die seiner Person sowohl von seinem Dienstherrn als auch von der Öffentlichkeit entgegengebracht werde. Diese Achtung und damit das Ansehen der Person seien beeinträchtigt, wenn der Beamte ein Verhalten zeige, das Zweifel an seiner Integrität begründe. Dies sei vorliegend gegeben. Zudem seien die Auswirkungen auf den Dienstbetrieb zu befürchten, weil aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte mit einer Fortsetzung der Begehung des Dienstvergehens zu rechnen sei. Der Antragsteller habe sich auch durch die Anklageerhebung wegen Volksverhetzung nicht daran hindern lassen, seine Äußerungen weiter zu vertreten.

34

Die schwerwiegende und unmittelbare Gefährdung des Gemeinwohls rechtfertige die vorläufige Dienstenthebung. Sie widerspreche nicht der dienstrechtlichen Fürsorgepflicht gegenüber dem Antragsteller und sei verhältnismäßig. Dies gelte auch unter der Berücksichtigung, dass der Antragsteller sein Beamtenverhältnis auf einem Wahlmandat begründet. Diese demokratische Legitimation dürfe nicht ohne Weiteres übergangen werden. Jedoch stehe dem der hohe Rang der Verfassungstreuepflicht gegenüber. Ein Ortsbürgermeister, der dies nicht realisiere, gebe ein negatives Beispiel mangelnder Rechtstreue und erschüttere damit das Vertrauen der Bürger in eine rechtsstaatliche Verwaltung. Schließlich stelle das Verhalten des Antragstellers einen Verstoß gegen die Pflicht zu Achtung und Wohlverhalten dar.

35

Der Antragsteller hält die Verfügung mangels Zuständigkeit des Antragsgegners bereits für formell rechtswidrig, sieht das Vertrauensverhältnis zu ihm nicht als zerstört an und beantragt,

36

die vorläufige Dienstenthebung aufzuheben.

37

Der Antragsgegner beantragt,

38

den Antrag abzulehnen

39

und verteidigt die vorläufige Dienstenthebung.

40

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang verwiesen.

II.

41

Der zulässige Antrag nach § 61 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 DG LSA ist unbegründet.

42

Die nach § 61 Abs. 2 DG LSA vom Disziplinargericht vorzunehmende Prüfung ergibt, dass die auf § 38 Abs. 1 Satz 1 sowie Satz 2 DG LSA gestützte vorläufige Dienstenthebung nicht aufzuheben ist. Ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen nicht. Sie lässt sich jedenfalls auf § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA stützen, so dass sich ein Eingehen auf die Voraussetzungen nach § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA erübrigt (vgl. zu dieser Prüfungsfolge: VG Ansbach, Beschluss v. 04.04.2008, AN 13b DS 08.00224; juris).

43

1.) Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist die vorläufige Dienstenthebung nicht bereits formell rechtswidrig. Eines Verfahrens nach § 144 Gemeindeordnung Sachsen-Anhalt (GO LSA) bedarf es nicht. Denn vorliegend bedient sich der Antragsgegner des Disziplinarrechts. Als Ortsbürgermeister ist der Antragsteller Ehrenbeamter und unterliegt den beamten- und disziplinarrechtlichen Regelungen und damit auch der Disziplinargewalt des Dienstherrn (§ 5 BeamtStG; § 6 Landesbeamtengesetz Sachsen-Anhalt – LBG; § 57, § 88 Abs. 1 Satz 3 GO LSA; § 1 Abs. 1 DG LSA; Zur Disziplinargewalt über Ehrenbeamte: VG Magdeburg, Urteil v. 01.12.2011, 8 A 18/10; OVG Rheinl.-Pfalz, Beschluss v. 04.03.2013, 3 A 10105/13 beide juris).

44

Die Suspendierungsverfügung wurde nach Einleitung des Disziplinarverfahrens und der Bekanntgabe der disziplinarrechtlichen Vorwürfe dem Antragsteller gegenüber vom Antragsgegner als in diesem speziellen Fall zuständigen Dienstvorgesetzten und obersten Dienstbehörde nach den §§ 76 Abs. 4 und 5 Nr. 8 i. V. m 34 Abs. 2 und 38 Abs. 1 DG LSA erlassen. Der Bürgermeister von … ist nach § 63 Abs. 5 GO LSA Vorgesetzter, Dienstvorgesetzter, höherer Dienstvorgesetzter und oberste Dienstbehörde des Antragstellers in seiner Funktion als Ortsbürgermeister von …. Nachdem der Bürgermeister mitteilte, dass er und seine Verwaltung mit der Durchführung eines derartigen Disziplinarverfahrens gegen dem Antragsteller überfordert sei, nahm der Landrat des  B... die Disziplinarverfolgung gegen den Antragsteller gem. § 17 Abs. 1 i. V. m. § 76 Abs. 2 Satz 1 2. Alternative DG LSA auf. Der Bürgermeister erklärte sich mit dieser Vorgehensweise einverstanden und verzichtete auf die Einlegung eines Rechtsbehelfes (§ 76 Abs. 6 DG LSA). Nachdem der Antragsteller von seinem Äußerungsrecht Gebrauch machte, erließ der Landrat des  B... unter dem 08.05.2013 die in dem bei Gericht anhängigen Parallelverfahren 8 B 11/13 streitgegenständliche Verfügung zur vorläufigen Dienstenthebung. Nachdem die Fehlerhaftigkeit dieser Verfügung aufgrund fehlender Zuständigkeit erkannt wurde, erließ der Antragsgegner die hier streitbefangene Verfügung vom 05.06.2013 zur vorläufigen Dienstenthebung und ersetzte die Verfügung des B… vom 08.05.2013. Dabei ist die rechtliche Problematik der „Ersetzung“ der Verfügung des  B... in diesem gerichtlichen Verfahren nicht streitgegenständlich zu führen. Denn diese Überprüfung wird in dem gerichtlichen Verfahren 8 B 11/13 vorgenommen. Dort hat der Landrat des  B... nunmehr die Verfügung aufgehoben.

45

2.) Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt wird. Ferner kann die vorläufige Dienstenthebung ausgesprochen werden, wenn durch ein Verbleiben des Beamten im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Dienstenthebung nicht unverhältnismäßig ist (§ 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA). Der Antragsgegner stützt sich erkennbar mit selbständigen Begründungen auf beide Voraussetzungen.

46

Bei der Anordnung der Suspendierung handelt es sich nicht um eine Disziplinarmaßnahme (OVG LSA, B. v. 07.05.2010, 10 M 2/10; juris). Ihre Berechtigung ergibt sich aus dem funktionalen Bedürfnis, noch vor der endgültigen Klärung des Vorliegens eines Dienstvergehens und der abschließenden Entscheidung über die angemessene Maßregelung des Beamten eine den Verwaltungsaufgaben und dem Dienstbetrieb dienende vorübergehende Sicherungsregel zu treffen.

47

Die auf § 38 Abs. 1 DG LSA gestützte Verfügung über die vorläufige Dienstenthebung muss pflichtgemäßem Ermessen der Einleitungsbehörde entsprechen. Den Beamten auch nur vorläufig vom Dienst zu entheben, setzt voraus, dass ein Verbleiben des Beamten im Dienst schlechthin untragbar wäre. Dabei handelt es sich um die denkbar schwerste Sanktion für dienstliche Verfehlungen, welche nach der Rechtsprechung besondere Umstände voraussetzt. Für die konkrete Entscheidung im Einzelfall sind grundsätzlich das dienstliche Bedürfnis an der einstweiligen Fernhaltung des Beschuldigten vom Dienst und dessen Recht auf amtsentsprechende dienstliche Beschäftigung abzuwägen (vgl. dazu: Köhler/Ratz, BDO, 2. Aufl., § 91 Rz. 10: vgl. zum Ganzen: VG Magdeburg, Beschl. v. 10.02.2007, 8 B 22/06; Beschl. v. 03.03.2010, 8 B 21/09; zuletzt: Beschl. v. 15.07.2013, 8 B 10/13; OVG Lüneburg, Beschluss v. 25.03.2013, 19 ZD 4/13; alle juris).

48

a.) Nach § 61 Abs. 2 DG LSA ist die vorläufige Dienstenthebung dann aufzuheben, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel sind schon dann anzunehmen, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts offen ist, ob die Anordnung nach § 38 Abs. 1 DG LSA rechtmäßig oder rechtswidrig ist (vgl. nur: Bay. VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DC 11.985; OVG Lüneburg Beschluss vom 13.5.2005, 3 ZD 1/05; alle juris). Neben der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung ist somit zu prüfen, ob die in der Anordnung liegende Prognose gerechtfertigt ist, der Beamte werde im Disziplinarverfahren voraussichtlich aus dem Dienst entfernt werden.

49

Diese Prognose trägt nur dann, wenn nach dem Kenntnisstand eines Eilverfahrens die Möglichkeit des Ausspruchs der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme überwiegend wahrscheinlich ist. Ist es dagegen zumindest ebenso wahrscheinlich, dass eine Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis im Disziplinarverfahren nicht erfolgen wird, sind ernstliche Zweifel durch das Gericht zu bejahen (BVerwG, Besch. v. 16.07.2009, 2 AV 4.09; BayVGH, Beschl. v. 20.04.2011, 16b DS 10.1120; Sächs. OVG, B. 19.08.2010, D 6 B115/10 mit Verweis auf Beschluss vom 08.07.2010, D6A116/10; alle juris; Müller, Grundzüge des Beamtendisziplinarrechts, § 38 Abs. 1 BDG, 2010, Rz. 370 m. w. N.; GKÖD, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, § 38 BDG, Rz. 51). Anders gewendet, es müssen hinreichend gewichtige Gründe dafür sprechen, dass die Entfernung aus dem Dienst im Ergebnis des – noch durchzuführenden - Disziplinarverfahrens nicht in Betracht kommt. Dies beinhaltet eine vom Gericht vorzunehmende summarische Prüfung des zurzeit bekannten Sachverhaltes und eine daran orientierte Wahrscheinlichkeitsprognose. Hinsichtlich des zur Last gelegten Dienstvergehens genügt die Feststellung, dass der Beamte dieses Dienstvergehen mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit begangen hat; nicht erforderlich ist, dass das Dienstvergehen bereits in vollem Umfang nachgewiesen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.09.1997, 2 WDB 3.97; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.09.2009, 83 DB 1.09; OVG des Saarlandes, Beschl. v. 17.06.2009, 6 B 289/09; alle juris).

50

Die Beurteilung im Verfahren nach § 61 DG LSA erfordert keine gesonderten Beweiserhebungen, sondern ist in der Lage, in der sich das Disziplinarverfahren jeweils befindet, anhand der bis dahin zu Tage getretenen Tatsachen zu treffen. Für eine vorläufige Dienstenthebung können u. U. selbst durch Aktenvermerke untermauerte Erkenntnisse ausreichen (vgl. Müller a. a. O.). Dabei ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (BVerwG, Beschl. v. 22.07.2002, 2 WDB 1.02; OVG Berlin-Brandenburg; Beschl. v. 18.08.2005, 80 SN 1.05; Bay VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DCV 11.985; alle juris). Jedoch muss für die gerichtliche Überprüfung der vorläufigen Dienstenthebung maßgeblich auf die von dem Dienstherrn in dem Bescheid herangezogenen Gründe der Pflichtenverletzung abgestellt werden. Ähnlich wie bei der Bestimmtheit des Tatvorwurfs als inhaltliche Anforderung an die - spätere – Disziplinarklageschrift, müssen die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, aus sich heraus verständlich und nachvollziehbar geschildert werden. Ort und Zeit der einzelnen Handlungen müssen möglichst genau angegeben, die Geschehensabläufe nachvollziehbar beschrieben werden (vgl. nur: BVerwG, Urteile v. 23.11.2006, 1 D 1.06, v. 25.01.2007, 2 A 3.05; Beschlüsse v. 13.03.2006, 1 D 3.06, v. 18.11.2008, 2 B 63.08 und v. 21.04.2010, 2 B 101.09; alle juris). Nur diese können durch das Disziplinargericht im Rahmen der Würdigung durch Akteninhalte und sonstige – evtl. auch später, im Laufe des Verfahrens nach § 61 DG LSA hinzutretende - Erkenntnisse untermauert werden, um so die Prognoseentscheidung, das heißt die Ausübung des ordnungsgemäßen Ermessens durch den Dienstherrn, zu überprüfen (VG Magdeburg, Beschl. v. 15.07.2013, 8 B 10/13, juris). Hingegen ist es dem Disziplinargericht verwehrt, anstelle der Disziplinarbehörde eine eigene Ermessenserwägung anzustellen (OVG Saarland, Beschluss v. 18.05.2011, 6 B 211/11; juris).

51

b.) Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 und 3 DG LSA nach der Schwere des Dienstvergehens und des unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten eingetretenen Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. § 13 Abs. 2 DG LSA bestimmt, dass ein Beamter, der durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen ist (Satz 1). Die Feststellung des verloren gegangenen Vertrauens ist verwaltungsgerichtlich voll inhaltlich nachprüfbar (Satz 2).

52

Demnach ist maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der - späteren - Disziplinarmaßnahme die Schwere des Dienstvergehens. Sie beurteilt sich zum einen nach der Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale) und zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen der Pflichtenverstöße für den dienstlichen Betrieb und für Dritte (vgl. zum gleichlautenden § 13 BDG, BVerwG, Urt. v. 20.10.2005, 2 C 12.04; Urt. v. 03.05.2007, 2 C 9.06; B. v. 10.09.2010, 2 B 97/09; VGH Baden-Württemberg, U. v. 16.09.2010, DL 16 S 579/10; alle juris).

53

Erst bei Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Beamten lässt sich mit der gebotenen Sicherheit beurteilen, ob der Beamte aus disziplinarrechtlicher Sicht noch erziehbar erscheint oder ob hierfür eine bestimmte Disziplinarmaßnahme als notwendig, aber auch als ausreichend erscheint, oder ob der Beamte für die Allgemeinheit und den Dienstherrn untragbar geworden ist und deshalb seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist (vgl. nur: VG Magdeburg, U. v. 04.11.2009, 8 A 19/08 m. w. N.; juris).

54

Eine objektive und ausgewogene Zumessungsentscheidung setzt demnach voraus, dass die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme unter Berücksichtigung der belastenden und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten steht und gewisse Besonderheiten des Einzelfalls mildernd zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.12.2004, 2 BvR 52/02; BVerwG, U. v. 14.02.2007, 1 D 12.05 mit Verweis auf Urteil vom 20.10.2005, 2 C 12.04; OVG Lüneburg, U. v. 20.11.2009, 6 LD 1/09; VGH Bad.-Württ., U. v. 16.09.2010, DL 16 S 579/10; VG Saarland, U. v. 17.09.2010, 7 K 238/09; alle juris).

55

3.) Unter diesen rechtlichen Prüfungsvoraussetzungen folgt die Disziplinarkammer nach dem derzeitigen, sich aus der Begründung der Suspendierung und dem Aktenmaterial ergebenden Sach- und Rechtsstand der von dem Antragsgegner angestellten Prognoseentscheidung, dass mit der überwiegenden Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der Antragsteller ein derart schweres Dienstvergehen begangen hat, welches aufgrund des damit einhergehenden Verlustes des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit zu seiner Entfernung aus dem Dienst führen wird.

56

a.) Der Antragsgegner begründet die vorläufige Dienstenthebung maßgeblich damit, dass der Antragsteller durch seine Äußerungen und sein Verhalten gegen die ihm obliegenden beamtenrechtlichen Pflichten nach §§ 33 Abs. 1 Satz 3 (Verfassungstreue) und 34 Satz 3 (Wohlverhaltenspflicht) BeamtStG verstoßen habe.

57

Für die disziplinarrechtliche Beurteilung kommt es nicht entscheidend darauf an, ob das vorgeworfene Verhalten Straftatbestände (§§ 130, 189 StGB) erfüllt. Ein Dienstvergehen im Sinne von § 47 Abs. 1 BeamtStG liegt bereits vor, wenn ein Beamter schuldhaft die ihm obliegenden Dienstpflichten verletzt. Eine Dienstpflichtverletzung kann daher bereits dann gegeben sein, wenn der strafrechtliche Unrechtsgehalt nicht erfüllt wird. Denn das Disziplinarecht ist auf Pflichtenmahnung aufgrund der Besonderheiten des Status als Beamter angelegt (vgl.: VG Magdeburg, Urteil v. 29.03.2012, 8 A 9/09; juris).

58

Die dem Antragsteller vorgehaltenen Handlungen und insbesondere die schriftlichen Äußerungen, die zudem auf seiner Homepage im Internet öffentlich verbreitet wurden, sind geeignet, seine beamtenrechtliche Pflichten zur Verfassungstreue und zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes zu verletzen. Dabei handelt es sich auch um innerdienstliche Pflichtverletzungen (§ 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG), was den Vorwurf verschärft. Denn die Pflicht zum Eintreten für die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist unteilbar und nicht auf den dienstlichen Raum beschränkt (BVerwG. U. v. 12.03.1986, 1 D 103.84; Bayr. VGH, U. v. 28.11.2001, 16 D 00.2077; VG Berlin, B. v. 05.04.2007, 80 Dn 53.06; alles juris).

59

b.) Für den Tatbestand der Ansehensschädigung ist es ausreichend, wenn ein Verhalten zur Beeinträchtigung von Achtung und Vertrauen geeignet ist, so dass eine tatsächliche Beeinträchtigung nicht erforderlich ist (BVerwG, U. v. 08.05.2011, 1 D 20.00; BVerfG, B. v. 05.12.2008, 1 BvR 1318/07; LAG Rheinland-Pfalz, U. v. 16.12.2010, 10 Sa 308/10; VG Magdeburg, Urteil v. 08.06.2011, 8 A 16/10 MD; alle juris).

60

c.) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 22.05.1975, 2 BvL 13/73; juris) setzt die - für jede Art von Beamtenverhältnis geltende - Verfassungstreue bei Beamten mehr als nur eine formal-korrekte, im Übrigen uninteressierte, kühle sowie innerlich distanzierte Haltung gegenüber den wesentlichen Wertentscheidungen des Grundgesetzes voraus. Vielmehr ist der Beamte zur Aktivität verpflichtet, wie sich aus den Worten „bekennen“ und „eintreten“ ergebe. Das bloße Haben einer Überzeugung und die bloße Mitteilung, dass man diese habe, stellt dagegen keine Verletzung der politischen Treuepflicht dar. Der Tatbestand ist erst erfüllt, wenn der Beamte aus seiner politischen Überzeugung Folgerungen für seine Einstellung gegenüber der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, für die Art der Erfüllung seiner Dienstpflichten, für den Umgang mit seinen Mitarbeitern oder für politische Aktivitäten im Sinne seiner politischen Überzeugung zieht (BVerwG, Beschluss v. 17.05.2001, 1 DB 15/01; VG Münster, Urteil v. 19.02.2013, 13 J 1160/12.O; beide juris). Die daraus resultierende Pflicht umfasst auch die Verpflichtung, alles zu unterlassen, was geeignet ist, den Anschein zu erwecken, verfassungsfeindliche Ansichten Dritter zu teilen oder zu fördern. Dabei darf sich der Beamte nicht passiv verhalten, da dies als stillschweigende Billigung des verfassungsfeindlichen Verhaltens gewertet werden könnte.

61

Ein Beamter ist im Interesse des Vertrauens der Öffentlichkeit in eine dem freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat verpflichtenden Beamtenschaft insoweit gehalten, zu vermeiden, dass er durch sein Verhalten in vorhersehbarer und ihm daher zurechenbarer Weise den Anschein setzt, sich mit dem Nationalsozialismus selbst oder Kräften zu identifizieren oder auch nur mit ihnen zu sympathisieren, die der Nationalsozialismus durch geschichtlichen Revisionismus verharmlosen und verherrlichen. Denn im Interesse der Akzeptanz und der Legitimation staatlichen Handelns ist er verpflichtet, bereits den Schein der Identifikation mit einem dem freiheitlichen Rechtsstaat diametral entgegengesetzten Gedankengut und mit Bestrebungen zu vermeiden, die sich zu einem solchen Gedankengut bekennen. Schon das zurechenbare Setzen eines solchen Scheins stellt eine disziplinarrechtlich bedeutsame Dienstpflichtverletzung dar. Diese Annahme ist ohne Verstoß gegen die verfassungsrechtlich verbürgte Unschuldsvermutung dann möglich, wenn das „den bösen Schein“ begründende Verhalten geeignet ist, die Akzeptanz oder Legitimation staatlichen Handelns zu beeinträchtigen (vgl. VG Berlin, B. v. 25.10.2006, 7 A 79.06 zum Fall der Verbreitung einer rechtsradikalen Musik-CD; juris). Pflichtwidrig handelt zwar also auch der, der kein Gegner der freiheitlich demokratischen Grundordnung ist, durch konkretes Handeln aber diesen Anschein hervorruft (BVerwG, B. v. 17.05.2001, 1 DB 15.01; VG Berlin, B. v. 05.04.2007, 80 Dn 43.06; beide juris).

62

Die Leugnung des nationalsozialistischen Massenmordes an europäischen Juden in Gaskammern deutscher Konzentrationslager sowie die Behauptung die diesbezüglichen deutschen Verbrechen seien Lügen, verharmlost und verherrlicht den Nationalsozialismus und ist unvereinbar mit der Pflicht eines Beamten, aktiv für die geltende Verfassungsordnung einzutreten. Hierzu hat bereits der Disziplinargerichtshof Niedersachsen im Urteil vom 23.07.1984 (NdA A12 6.82; zitiert bei Bay. Verwaltungsgerichtshof, U. v. 28.11.2001, 16 D 00.2077; juris) ausgeführt:

63

„Die freiheitliche demokratische Grundordnung steht im scharfen Gegensatz zum Unrechtssystem des Nationalsozialismus. Die nähere Ausformung unserer Demokratie ist weitgehend geprägt durch die Erfahrungen mit dem vorangegangenen totalitären System. Der Einbau wirksamer rechtlicher Sicherungen dagegen, dass solche politischen Richtungen jemals wieder Einfluss auf den Staat gewinnen, beherrscht das Denken des Verfassungsgebers. Wer die vorangegangene Gewaltherrschaft zu rechtfertigen oder zu entschuldigen versucht, der untergräbt zugleich die Grundlagen unserer demokratischen Staatsordnung. Er bereitet damit den „Nährboden“ für eine Widerbelebung von totalitären Anschauungen, an der rechtsextremistischen Kreisen gelegen ist. Der von Hitler angeordnete systematische Massenmord an den Juden ist eines der zentralen Themen der Rechtsradikalen, da er das nationalsozialistische Regime am schwersten belastet. Kann die systematische Judenvernichtung als unwahr hingestellt oder die Bewertung als noch „in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung“ befindlich dargestellt werden, so ist die Bahn frei für Bestrebungen, den Nationalsozialismus zu rehabilitieren und als Alternative zur demokratischen Staatsform anzupreisen“.

64

Diese Ausführungen verdeutlichen auch aus heutiger Sicht den disziplinarrechtlichen Unrechtsgehalt derartiger NS-Propaganda.

65

d.) Für Dienstpflichtverletzungen der vorliegenden Art gibt es keine disziplinare Regelrechtsprechung, welche die Annahme der Entfernung aus dem Dienst prognostiziert. Denn die Handlungsbreite, in der Verletzungen der Pflicht zur Verfassungstreue und/oder eine Ansehensschädigung denkbar sind, ist zu groß, als dass sie einheitlichen Regeln unterliegen und in ihren Auswirkungen auf Achtung und Vertrauen gleichermaßen eingestuft werden könnten. Zu betrachten sind daher stets die besonderen Umstände des Einzelfalls unter Beachtung der bisherigen Rechtsprechung der Disziplinargerichte (VG Berlin, B. v. 05.04.2007, 80 Dn 43/06; juris).

66

So hat das Verwaltungsgericht Magdeburg bezüglich eines beamtenrechtlichen Verbotes der Führung der Dienstgeschäfte wegen der Äußerung eines Justizvollzugsbeamten: „Die kann man nicht mehr behandeln, die kann man nur noch vergasen“, eine Ansehensschädigung des Justizvollzugsdienstes und des gesamten Berufsbeamtentums angenommen (B. v. 16.11.2009, 5 B 279/09 MD, bestätigt durch OVG LSA, B. v. 22.12.2009, 1 M 87/09; beide juris). In seinem Urteil vom 01.12.2011 (8 A 18/10 MD; juris) stellt die Disziplinarkammer fest, dass auch ein Nichteinschreiten eines ehrenamtlichen Bürgermeisters gegen eine in seinem Beisein vorgenommene Handlung des Straftatbestandes der Volksverhetzung (Sommersonnenwendfeier, Bücherverbrennung) eine beamtenrechtliche Pflichtenverletzung hinsichtlich des Wohlverhaltens darstellen kann und wegen der Besonderheiten im Einzelfall keine Entfernung ausgesprochen. Das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt hat in einem Urteil vom 15.04.2010 (10 L 4/09; n. v.) hinsichtlich eines Polizeivollzugsbeamten, welcher zu einem Angelausflug unter der Überschrift „Operation Weserübung“ (Tarnname für den Überfall der deutschen Wehrmacht auf Norwegen), eingeladen hat die vom erkennenden Disziplinargericht (Urteil v. 10.11.2009, 8 A 11/09 MD; n. v.) festgestellte Ansehensschädigung bestätigt, die ausgesprochene Degradierung aber in eine Gehaltskürzung abgemildert. Zuletzt hat das Disziplinargericht entschieden, dass die Äußerung eines Polizeibeamten „halte die Hand wie beim bösen Adolf“ bei der erkennungsdienstlichen Behandlung wegen der damit bezweckten Assoziation zum Hitlergruß eine Ansehensschädigung des Berufs der Polizeibeamten darstellt und der Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht mit einer Geldbuße belegt werden darf (VG Magdeburg, Urteil v. 23.01.2013, 8 A 21/12; juris).

67

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat im Fall eines Lehrers (U. v. 28.11.2001, 16 D 00.2077; juris), nachdem er bereits wegen Verharmlosung des Nationalsozialismus disziplinarrechtlich mit einer Degradierung belastet war aufgrund der Vorbelastung und dem Wiederholungsfall und nach Feststellung völliger Uneinsichtigkeit die Entfernung aus dem Dienst verhängt. Hinsichtlich der Berufsgruppe der Polizeibeamten sind vorwiegend disziplinarrechtliche Entscheidungen mit dem Disziplinarmaß der Zurückstufung bzw. Degradierung unter Berücksichtigung des Vorliegens von Entlastungs- und Milderungsgründen zu finden (vgl. Bay. VGH, U. v. 11.07.2007, 16 a D 06.2094 mit Bestätigung des VG München, U. v. 26.06.2006, M 19 D 06.1360; beide juris).

68

Das Bundesverwaltungsgericht hob die vorläufige Dienstenthebung eines BGS-Beamten (Beschluss vom 17.05.2001, 1 DB 15/01; juris) auf, weil eine Entfernung aus dem Dienst allein wegen des Verstoßes gegen die beamtenrechtliche Wohlverhaltenspflicht nicht in Betracht kommt.

69

Der Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts hat in dem Beschluss vom 18.11.2003 (2 WDB 2.03; juris) die vorläufige Dienstenthebung wegen des Einbringens zahlreichen NS-Propagandamaterials in dienstliche Einrichtungen und Unterkünfte aufrechterhalten.

70

Das Verwaltungsgericht Münster beschäftigte sich jüngst im Urteil vom 19.02.2013 (13 K 1160/12.0; juris) mit der beamtenrechtlichen Verfassungstreuepflicht und der Wohlverhaltenspflicht bei der Teilnahme an der „Rechten Szene“ zuzuordnenden Veranstaltungen und verweist auf die Meinungs- und Versammlungsfreiheit des Beamten, was bei der Auswahl der Disziplinarmaßnahme zu berücksichtigen ist.

71

Auch das VG Berlin sah in dem Beschluss vom 05.04.2007 (80 D n 43/06; juris) aufgrund des Vorliegens von Entlastungs- und Milderungsgründen bei einem Polizeibeamten trotz des disziplinarrechtlichen Pflichtenverstoßes Milderungsgründe, die den Ausspruch der Höchstmaßnahme nicht erwarten ließen, so dass die vorläufige Dienstenthebung aufgehoben wurde.

72

e.) Unter Berücksichtigung dieser in der disziplinarrechtlichen Rechtsprechung zu findenden Fallgestaltungen und der hier im Einzelfall erforderlichen Abwägung sieht das Disziplinargericht die nach § 61 Abs. 2 DG LSA zur Aufhebung der vorläufigen Dienstenthebung führenden ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit nicht. Denn die vom Antragsgegner getroffene Prognose der späteren - im Übrigen vom Disziplinargericht auszusprechenden - Dienstentfernung begegnet keinen ernstlichen Zweifeln und hält der gerichtlichen Überprüfung stand. Die Verfügung zur vorläufigen Dienstenthebung erscheint nicht als verfrüht und wird von den bisherigen disziplinarrechtlichen Ermittlungen und sonstigen tatsächlichen Erkenntnissen getragen. Zwar müssen gerade schwerwiegende Dienstpflichtverletzungen die den Ausspruch der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme rechtfertigen, einen sorgfältigen Ermittlungs- und Begründungsaufwand genügen, zumal diese schließlich am Ende der Ermittlungen zur Disziplinarklage führen sollen. Das Disziplinargericht weist aber darauf hin, dass in dem jetzigen Stadium der vorläufigen Dienstenthebung das Dienstvergehen gerade noch nicht bewiesen sein muss (vgl. oben II. 2. a.)

73

So reichen die dem Antragsteller vorgehaltenen Äußerungen bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt aus, um mit der hinreichenden überwiegenden Wahrscheinlichkeit die Prognose anzunehmen, dass bei Weiterermittlung im disziplinarrechtlichen Verfahren und unter Verwendung aller diesbezüglichen Aufklärungsmöglichkeiten sowie unter Berücksichtigung der vom Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung herausgestellten besonderen Bedeutung der Entlastungs- und Milderungsgründe tatsächlich die Entfernung aus dem Dienst ansteht. Ohne jeden Zweifel haben sich die Überzeugungen des Antragstellers in nachdrücklich vertretenen ablehnenden Einstellungen zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung manifestiert. Dabei sind jedenfalls derzeit keine gewichtigen Milderungs- und Entlastungsgründe erkennbar, die eine andere Prognose zu rechtfertigen vermögen. Zudem hat sich der Antragsteller im gerichtlichen Verfahren über die Frage der formellen Rechtmäßigkeit der Verfügung hinaus nicht geäußert, so dass seine Motivation nur aus seinen behördlichen Stellungnahmen und seiner Artikulation in seinem Blog selbst abgeleitet werden kann.

74

Ausweislich seines auf seiner inzwischen gesperrten Homepage veröffentlichten „Programms“ und seiner Stellungnahmen im Disziplinarverfahren sieht er sich zwar (nur) als „Aufklärer“ der von ihm zahlreich gesehenen politischen und gesellschaftlichen „Missstände“ in Deutschland und zieht Parallelen zu üblichen und undemokratischen Handlungen in der Ukraine, Russland oder China. Zugleich glorifiziert er die NPD, kandidierte für diese und trat aus der SPD, zu deren Gründungsmittgliedern er in Sachsen-Anhalt zählte, aus. Dabei bedient er sich dem Gedankengut nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehender rechtspopulistischer Parteien und Bestrebungen, obwohl er sich selbst als Demokrat bezeichnet und insbesondere demokratische Strukturen anmahnt. Dies gilt auch hinsichtlich der Feststellung der genauen Anzahl der in Auschwitz von den Nationalsozialisten in den Gaskammern umgebrachter Juden. Dabei ist nicht entscheidend, ob der Antragsteller die Vernichtung der Juden als Tatsache in Frage stellen will, sondern deren genaue Anzahl, um daraus den Beleg für die seiner Auffassung nach bestehende „Verlogenheit des Systems“ zu ziehen. Verheerend bei dieser Art der Publikation ist, dass etwaige historische Fehlinterpretationen – nämlich die genaue Anzahl der von den Nationalsozialisten vernichteten Menschen – und nicht das historisch belegte Vernichtungsprogramm herausgehoben werden. Dies ist geeignet, die Tatsache als solche – hier die systematische Vernichtung der Juden – in Frage zu stellen (Revisionismus). Der Antragsteller hingegen stellt in diesem Zusammenhang die Behauptung auf: „Für mich steht fest: Die seit der Kindheit gelernten deutschen Verbrechen sind Lügen!“ Gleiches gilt für seine Interpretationsversuche hinsichtlich der Hintergründe der Ermordung Walter Rathenaus oder dem Gedenken an Graf von Stauffenberg. Nahezu jedes politisch, historisch oder gesellschaftlich relevante Thema und jede daraus resultierende Person wird von dem Antragsteller unter seinem rechtspopulistischen Blickwinkel ausgiebig behandelt und bizarr verzehrt dargestellt. Diese Äußerungen sind auch nicht mehr als von der Meinungsfreiheit gedeckt anzusehen. Denn insoweit trifft den Beamten ebenso eine Zurückhaltungs- und Mäßigungspflicht (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 04.03.2013, 3 A 10105/13; VG Münster, Urteil v. 19.02.2013, 13 K 1160/12.O; VG Magdeburg, Urteil v. 14.02.2012, 8 A 6/11; alle juris).

75

Aufgrund solcher Äußerungen setzt der Antragsteller in vorhersehbarer und ihm daher zurechenbarer Weise zumindest und zweifellos den Anschein, sich mit dem Nationalsozialismus selbst oder Kräften zu identifizieren oder auch nur mit ihnen zu sympathisieren, die den Nationalsozialismus durch geschichtlichen Revisionismus verharmlosen und verherrlichen. Dabei handelt es sich bei den dem Antragsteller vorgehaltenen Äußerungen auch nicht nur um einmalige oder hinsichtlich der Zeitspanne kurzfristige Ausrutscher oder aus dem Zusammenhang gerissene Zitate. Denn schon das Studium der dem Disziplinargericht vorliegenden Inhalte des vom Antragsteller betriebenen Blogs auf seiner Homepage belegen über die von der Suspendierungsverfügung als Belege herausgegriffenen Äußerungen des Antragstellers hinaus, die durchgehende, über einen längeren Zeitraum erfolgte und ausnahmslose Artikulierung des Antragstellers in dem Sinne, nicht für die in § 33 Abs. 1 Satz 3 (freiheitlich-demokratische Grundordnung) und § 34 Satz 3 BeamtStG (Ansehen und Wohlverhalten) beschriebenen Dienstpflichten einstehen zu wollen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Antragsteller ausweislich seiner Stellungnahme im Ermittlungsverfahren angezeigt hat, keine Zurückhaltung üben zu wollen. Gemäß der Vorgehensweise rechtspopulistischer Bestrebungen äußert sich der Antragsteller bei jeder sich bietenden Gelegenheit unter Verwendung aller möglichen Medien, um so sein Gedankengut zu verbreiten. Der gesamte Blog und nahezu jede Äußerung innerhalb des Chats kann hierzu als Beleg herangezogen werden. Auszugsweise sei über die Ausführungen in dem Suspendierungsbescheid nur ergänzend genannt (18.10.2012):

76

„Die NeoNazis sind doch die Einzigen in Deutschland, die dieses land und seine Kultur am Leben erhalten wollen – Sie scheindeutscher Falschmünzer! Seit Jahrzehnten und entgegen dem erbitterten Widerstand Ihres Mainstreams. Und darum kann und muss jeder aufrechte und vernünftige Deutsche sie unterstützen. DAS ist wirklich alternativlos!“.

77

Aufgrund derartiger Handlungen und Äußerungen wird der Antragsteller fortgesetzt nicht dem Vertrauen als aktiver Verteidiger der verfassungsgemäßen Ordnung gerecht, welches ihm von seinem Dienstherrn aber auch und gerade von der Allgemeinheit zur Ausübung seines Amtes entgegen gebracht wurde. Dies gilt auch unter Beachtung der Tatsache, dass der Antragsteller in das Amt des Ortsbürgermeisters gewählt wurde. Denn als Repräsentant seines Ortes und Vertreter staatlicher Ordnung verletzt er vehement und stetig seine politische Treuepflicht und begeht zudem eine Schädigung des Ansehens des Amtes des Ortsbürgermeisters. In diesen Fällen kommt disziplinarrechtlich die Lösung aus dem Beamtenverhältnis in Betracht.

78

d.) Hingegen kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Prognoseentscheidung nicht auf eine angeblich vom Antragsteller verfasste E-Mail an den NPD-Landesvorsitzenden … gestützt werden, wonach der Antragsteller unter Ausnutzung seines Amtes als Ortsbürgermeister die zur Verfügungstellung eines Veranstaltungsraumes in seinem Ort bzw. der Gemeinde in Aussicht gestellt habe. Denn das Verfassen dieser E-Mail wird vom Antragsteller bestritten und als Fälschung bezeichnet. Dem ist im Ermittlungsverfahren weiter nachzugehen und kann nicht als bloße Schutzbehauptung abgetan werden. Denn bei der in dem Disziplinarvorgang enthaltenen E-Mail handelt es sich nicht um die Original Nachricht, sondern ausweislich der Kennung um eine auf der Homepage der „Tageszeitung“ publizierten Veröffentlichung. Auch ist nicht ersichtlich, wie der Antragsgegner in den Besitz der E-Mail gelangt ist.

79

4.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 72 Abs. 4, 73 Abs. 1 DG LSA, 154 Abs. 1 VwGO.


(1) Die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde kann einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis oder auf Aberkennung des Ruhegehalts erkannt werden wird oder wenn bei einem Beamten auf Probe oder einem Beamten auf Widerruf voraussichtlich eine Entlassung nach § 5 Abs. 3 Satz 2 dieses Gesetzes in Verbindung mit § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder § 37 Abs. 1 Satz 1 des Bundesbeamtengesetzes erfolgen wird. Sie kann den Beamten außerdem vorläufig des Dienstes entheben, wenn durch sein Verbleiben im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Dienstenthebung zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis steht.

(2) Die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde kann gleichzeitig mit oder nach der vorläufigen Dienstenthebung anordnen, dass dem Beamten bis zu 50 Prozent der monatlichen Dienst- oder Anwärterbezüge einbehalten werden, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis oder auf Aberkennung des Ruhegehalts erkannt werden wird. Das Gleiche gilt, wenn der Beamte im Beamtenverhältnis auf Probe oder auf Widerruf voraussichtlich nach § 5 Abs. 3 Satz 2 dieses Gesetzes in Verbindung mit § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder § 37 Abs. 1 Satz 1 des Bundesbeamtengesetzes entlassen werden wird.

(3) Die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde kann gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens anordnen, dass dem Ruhestandsbeamten bis zu 30 Prozent des Ruhegehalts einbehalten werden, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Aberkennung des Ruhegehalts erkannt werden wird.

(4) Die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde kann die vorläufige Dienstenthebung, die Einbehaltung von Dienst- oder Anwärterbezügen sowie die Einbehaltung von Ruhegehalt jederzeit ganz oder teilweise aufheben.

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 6. März 2009 - 7 L 23/09 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.

Gründe

Die gemäß § 67 Abs. 1 und Abs. 3 SDG i.V.m. § 146, 147 VwGO statthafte Beschwerde, die fristgerecht erhoben und begründet wurde (§ 67 Abs. 3 SDG i.V.m. § 147 Abs. 1, 146 Abs. 4 VwGO) bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht den gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 SDG zulässigen Antrag auf Aussetzung der mit Bescheid des Antragsgegners vom 17.12.2008 angeordneten vorläufigen Dienstenthebung der Antragstellerin mangels ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides (§ 63 Abs. 2 SDG) zurückgewiesen.

Dem Verwaltungsgericht ist darin zuzustimmen, dass im konkreten Disziplinarverfahren und nach dem derzeitigen, im vorliegenden Verfahren zugrunde zu legenden Sach- und Streitstand eine überwiegende Wahrscheinlichkeit die Prognose rechtfertigt, dass gegenüber der Antragstellerin die Verhängung der Höchstmaßnahme zu erwarten ist.

Die im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Einwendungen führen nicht zu einer abweichenden Einschätzung. Bei dem aktuell erkennbaren Sach- und Streitstand

zur Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der gerichtlichen Entscheidung vgl. BayVGH, Beschluss vom 13.11.2008 - 16b DS 08.704 - zitiert nach Juris

ist davon auszugehen, dass der hinreichende Verdacht besteht, dass die Antragstellerin ein - innerdienstliches - Dienstvergehen begangen hat, das mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Verhängung der Höchstmaßnahme erfordern wird (§ 38 Abs. 1 SDG). Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung (§ 63 Abs. 2 SDG) bestehen nach wie vor nicht.

Zunächst ist dem Verwaltungsgericht darin zuzustimmen, dass nach Aktenlage derzeit alles dafür spricht, dass die Antragstellerin ein schweres Dienstvergehen begangen hat, indem sie ab März 2008 zu einem Strafgefangenen eine persönliche Beziehung unterhielt und indem sie die insoweit bestehenden Melde- und Offenbarungspflichten gegenüber der Anstaltsleitung nicht erfüllte.

Die Antragstellerin bestreitet das Vorliegen einer persönlichen Beziehung nicht, hält der Argumentation des Verwaltungsgerichts aber entgegen, es stelle schon einen Fehler dar, bei dieser Beurteilung die objektiv in der Vergangenheit vorhanden gewesene Beziehung zu dem Strafgefangenen in zwei Abschnitte zu unterteilen, ohne Aussagen zu den vorgetragenen subjektiven Tatbestandsmerkmalen zu machen.

Der Einwand ist nicht gerechtfertigt. Weder ist die vorgenommene Strukturierung des Sachverhalts zu beanstanden, noch liegt eine nicht ausreichende Berücksichtigung der vorgetragenen subjektiven Umstände vor.

Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene zeitliche Abschnittsbildung knüpft im Gegenteil gerade an die von der Antragstellerin geltend gemachten subjektiven Umstände an. Entsprechend den von der Antragstellerin vorgetragenen unterschiedlichen subjektiven Merkmalen der unstreitig von Februar/März 2008 bis Ende Oktober 2008 existent gewesenen Beziehung zwischen ihr und dem Strafgefangenen unterscheidet das Verwaltungsgericht einen ersten Abschnitt der Beziehung von Februar/März 2008 bis etwa Juni/Juli 2008, bei dem es sich um ein einvernehmliches (freiwilliges) Verhältnis mit Merkmalen von Verliebtheit gehandelt habe, und einen zweiten Abschnitt von etwa Juni/Juli 2008 bis Ende Oktober 2008, bei dem es sich um ein unfreiwilliges Verhältnis gehandelt habe, welches die Antragstellerin nur fortgeführt habe, weil sie von dem Strafgefangenen unter Druck gesetzt worden sei.

Zugunsten der Antragstellerin wird damit - ebenso wie in dem Bescheid des Antragsgegners vom 17.12.2008 - bei einem hinsichtlich der subjektiven Merkmale der Beziehung im zweiten Abschnitt noch nicht abschließend geklärten Sachverhalt nur deren eigene Sachverhaltsdarstellung als entscheidungsrelevant zugrunde gelegt.

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auf dieser Sachverhaltsgrundlage - differenziert nach den Zeitabschnitten - sowohl einen vorsätzlichen Verstoß gegen die sogenannte Wohlverhaltenspflicht gemäß § 68 Satz 3 des Saarländischen Beamtengesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Dezember 1996 (Amtsbl. 1997 S. 301), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 19. November 2008 (Amtsbl. S. 1930) - gültig bis zum 31.3.2009 - (SBG a.F.), als auch vorsätzliche Verstöße gegen die Pflicht zur Zurückhaltung gegenüber einem Strafgefangenen und gegen die Meldepflicht gemäß § 69 Satz 2 SBG a.F. i.V.m. Nr.1, Nr. 2 Abs. 1 und Nr. 9 der Dienst- und Sicherheitsvorschriften für den Strafvollzug (DSVollz) angenommen und das Vorliegen von Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründen - auch hier differenziert nach den beiden Zeitabschnitten - verneint.

Insbesondere hinsichtlich der Berücksichtigung der von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren thematisierten subjektiven Umstände ist dem Verwaltungsgericht darin zuzustimmen, dass auch eine tatsächliche Verliebtheit in dem ersten, nach ihrer eigenen Darstellung von Freiwilligkeit und Zuwendung seitens der Antragstellerin geprägten ersten Abschnitt der Beziehung keine Rechtfertigung oder Entschuldigung der Verletzung der Dienstpflichten zur Wahrung der Distanz und zur Meldung und Offenbarung gegenüber der Anstaltsleitung zur Folge haben konnte. Gerade für den ersten Abschnitt der Beziehung in der Zeit von Februar/März 2008 bis Juni/Juli 2008 ist derzeit kein Grund ersichtlich, welcher es der Antragstellerin unmöglich gemacht oder unzumutbar erschwert haben könnte, die dienstpflichtgemäße Handlungsalternative der Wahrung des Distanzgebotes gegenüber dem Gefangenen zu wählen. Ebenso war es weder unmöglich noch unzumutbar, die dienstpflichtgemäße Handlungsalternative der Meldung und Offenbarung der Vorgänge gegenüber ihren Vorgesetzten zu wählen.

Zwar hat die Antragstellerin in der Beschwerdebegründung ausgeführt, sie habe „zu Beginn der Beziehung unter einem hohen psychischen Druck“ gestanden. Auch hat sie in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht eine psychologisch-psychotherapeutische Stellungnahme des behandelnden Psychotherapeuten vom 12.1.2009 vorgelegt. Es ist aber weder nach dem Vortrag der Antragstellerin noch nach der Aktenlage im Übrigen noch nach der psychologisch-psychotherapeutischen Stellungnahme vom 12.1.2009 auch nur ansatzweise nachvollziehbar, inwieweit die Antragstellerin bereits „zu Beginn der Beziehung“, d.h. im Februar/März 2008 unter einem hohen, erst recht unter einem ihre Wahl- und Willensfreiheit ausschließenden psychischen Druck gestanden haben könnte. Nach der eigenen Darstellung der Antragstellerin gestaltete sich vielmehr gerade der erste Abschnitt ihrer Beziehung zu dem Strafgefangenen über einen Zeitraum von immerhin drei bis vier Monaten positiv im Sinne von Zuwendung und Verliebtheit („mit dem Austausch von Zärtlichkeiten und Briefen“).

Die vorgelegte psychologisch-psychotherapeutische Stellungnahme vom 12.1.2009 hat aus der Sicht des Senats zunächst für die Beurteilung des psychischen Zustandes der Antragstellerin „zu Beginn der Beziehung“ keinen hinreichenden Erkenntniswert. Zum einen lassen die inhaltlichen Ausführungen zu dem psychischen Zustand der Antragstellerin eine zeitliche Zuordnung desselben nicht zu. Und zum anderen bestehen durchgreifende Zweifel daran, dass der Stellungnahme eine annähernd realistische Sachverhaltsschilderung im Therapiekontext zugrunde lag.

Im Rahmen seiner Ausführungen thematisiert der Psychologe zunächst die Vorbehandlung der Antragstellerin, die wegen außerdienstlicher Ereignisse im Jahre 2005 zu einem nicht genannten Zeitpunkt aufgenommen wurde. Hierzu sind - ebenfalls ohne zeitlichen Bezug - verschiedene Diagnosen genannt. Von einer Psychotherapie wird berichtet, die aber „im Frühjahr 2008“ unterbrochen wurde. Zur Einschätzung der hier relevanten Geschehnisse ist ohne Hinweis darauf, wann die Behandlung wieder aufgenommen wurde, und damit, aus welcher zeitlichen Perspektive der hier relevante Zeitraum vom Februar/März bis Oktober 2008 therapeutisch bearbeitet wurde, ausgeführt, im „letzten Frühjahr“ sei die Antragstellerin „von einem Gefangenen missbräuchlich in eine nähere Beziehung manipuliert worden“. Wegen der vorhandenen psychischen Defizite sei die Antragstellerin „den Manipulationen und Erpressungen, die das Ziel der psychischen und dann auch körperlichen Vergewaltigung gehabt hätten, hilflos ausgeliefert gewesen“. Es sei „von Anfang an zu Retraumatisierungen“ gekommen, weshalb die Antragstellerin für ihr Verhalten nicht verantwortlich zu machen sei.

Diese Darstellung lässt jede Differenzierung nach den von der Antragstellerin selbst gegenüber der Anstaltsleiterin Ende Oktober 2008 dargestellten unterschiedlichen Zeitabschnitten der Beziehung zu dem Strafgefangenen vermissen und legt die Einschätzung nahe, dass - im therapeutischen Kontext verständlich und nachvollziehbar - Grundlage der Stellungnahme eine aus der Ex-post-Perspektive der Antragstellerin Ende 2008/Anfang 2009 erfolgte Sachverhaltsdarstellung war, in der nur noch die Umstände gegen Ende des zweiten Abschnitts der Beziehung, als diese - nach den Angaben der Antragstellerin - durch Druck und Zwang geprägt war, thematisiert wurden.

Danach spricht weiterhin gerade die Betrachtung des ersten Abschnitts der Beziehung dafür, dass die Antragstellerin ohne Einschränkung ihrer Wahl- und Willensfreiheit eine bewusste Entscheidung gegen die Erfüllung der oben genannten Dienstpflichten durch Eingehung, Aufrechterhaltung und Verheimlichung der Beziehung zu dem Strafgefangenen getroffen hat.

Im zweiten Abschnitt der Beziehung der Antragstellerin zu dem Strafgefangenen dürfte sich - ausgehend von der Sachverhaltsdarstellung der Antragstellerin - der psychische Druck auf sie zwar kontinuierlich erhöht haben. Nachvollziehbar wurde es für sie immer schwieriger, das Distanzgebot in Ansehung des von dem Strafgefangenen aufgebauten Druckes einzuhalten und die ursprünglichen wie die laufenden Dienstpflichtverletzungen und deren Folgen ihren Vorgesetzten zu offenbaren. Gleichwohl bestehen - jedenfalls nach den nur eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten des vorliegenden Verfahrens - keine ernstlichen Zweifel daran, dass ein die Wahl- und Willensfreiheit ausschließender Zustand nicht gegeben war. Letztlich hat sich gezeigt, dass die Steuerungsfähigkeit der Antragstellerin selbst im Endstadium des Abschnitts 2 der Beziehung nach der (erzwungenen) Ausführung des Geschlechtsverkehrs noch so weit erhalten war, dass eine letzte Grenzziehung und schließlich auch die Offenbarung gegenüber der Anstaltsleitung möglich war.

Auch für diesen zweiten Zeitabschnitt führt die vorgelegte psychologisch-psychotherapeutische Stellungnahme vom 12.1.2009 derzeit nicht zu durchgreifenden Zweifeln an der Steuerungsfähigkeit der Antragstellerin.

Zwar hat es den Anschein, als ob die darin getroffenen Aussagen dem zweiten Abschnitt, insbesondere der Endphase des zweiten Abschnitts der Beziehung der Antragstellerin zu dem Strafgefangenen zugeordnet werden könnten. Die mangelnde Differenziertheit, die fragliche zeitliche Einordnung der Aussagen und Diagnosen, insbesondere aber die bereits dargelegte Ungewissheit im Hinblick auf den im therapeutischen Kontext geschilderten und demgemäß zugrunde gelegten Sachverhalt führen jedoch dazu, dass ernstliche Zweifel mit Blick auf das Vorliegen eines Schuldausschließungsgrundes aufgrund mangelnder Steuerungsfähigkeit der Antragstellerin allein damit nicht begründet werden.

Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der im vorliegenden Verfahren beigezogenen amtsärztlichen Stellungnahme vom 6.3.2009, welche aufgrund des Antrages der Antragstellerin nach § 53 SBG a.F. vom 20.11.2008 angefordert worden war.

Auf der Basis einer am 13.1.2009 durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. R. vorgenommenen Untersuchung wurde die am 3.12.2008 von der Leiterin der JVA angeforderte amtsärztliche Stellungnahme zur Frage der Dienstfähigkeit der Antragstellerin durch die Amtsärztin Dr. L. am 6.3.2009 erstellt. Die darin getroffenen Aussagen beziehen sich - antragsgemäß - allerdings nur auf die Frage der Dienstfähigkeit der Antragstellerin. Die Amtsärztin hat diese in einer größeren zeitlichen Perspektive („längerfristig“) bejaht, während zum „gegenwärtigen Zeitpunkt“ demgegenüber „aufgrund des unabgeschlossenen Disziplinarverfahrens und der dadurch bedingten erhöhten psychovegetativen Anspannung“ die Attestierung der Dienstunfähigkeit gerechtfertigt sei. Aussagen über die Schuld- und Steuerungsfähigkeit der Antragstellerin im Zeitraum der Begehung der streitgegenständlichen Dienstpflichtverletzungen sind in der Stellungnahme vom 6.3.2009 nicht enthalten und lassen sich daraus auch nicht ableiten.

Ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass weder der Antragsgegner vor Erlass seiner Entscheidung über die vorläufige Dienstenthebung der Antragstellerin vom 17.12.2008 noch das Verwaltungsgericht vor seiner Entscheidung im Verfahren nach § 63 SDG gehalten waren, die Vorlage der am 6.3.2009 erstellten amtsärztlichen Stellungnahme abzuwarten. Sowohl der Antragsgegner als auch das Verwaltungsgericht durften die gemäß § 38 Abs. 1 SDG zu treffende Prognose auf den bis dahin ermittelten Sach- und Streitstand stützen.

Des weiteren erweisen sich auch die Einwendungen der Antragstellerin gegen die Ausführungen des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 6.3.2009 zu der Frage, ob - bei Bestätigung des danach bestehenden Verdachts eines schweren Dienstvergehens - im Hauptsacheverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden würde, als nicht durchgreifend.

Die Antragstellerin hat insoweit geltend gemacht, die nach § 13 SDG erforderliche „Interessenabwägung“ halte einer Überprüfung nicht stand. Zum einen sei die Schwere des Dienstvergehens nicht nur nach objektiven, sondern auch nach subjektiven Kriterien zu beurteilen. Hier fehle es an einer Berücksichtigung des „mit Schriftsatz vom 20.1.2009 zur Kenntnis gebrachten ärztlichen Befundberichtes zur psychischen Lage der Antragstellerin“ (womit nur die psychologisch-psychotherapeutische Stellungnahme des behandelnden Psychotherapeuten vom 12.1.2009 gemeint sein kann). Zum anderen habe das Verwaltungsgericht bei der Bewertung des Persönlichkeitsbildes der Antragstellerin die entlastenden Momente der freiwilligen Selbstanzeige der Antragstellerin und der organisatorischen Verfehlungen auf Seiten „des Beschwerdegegners“ (gemeint ist die Leitung der JVA) nicht ordnungsgemäß berücksichtigt.

Dies trifft nicht zu.

Eine gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 SDG verfügte vorläufige Dienstenthebung setzt voraus, dass im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Dienst erkannt werden wird. Im konkreten Disziplinarverfahren muss eine überwiegende Wahrscheinlichkeit die Prognose rechtfertigen, dass auf die Höchstmaßnahme erkannt werden wird

vgl. BVerwG, Beschluss vom 24.10.2002 - 1 DB 10/02 - zitiert nach Juris; BayVGH, Beschluss vom 15.3.2007 - 16 DS 06.3292 - zitiert nach Juris und OVG des Saarlandes, Beschluss vom 6.9.2007 - 7 B 346/07 -.

Eine „Interessenabwägung“ findet insoweit nicht statt.

Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 SDG nach der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten und des Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. Maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme ist gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 SDG die Schwere des Dienstvergehens. Sie beurteilt sich zum einen nach der Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale) und zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen der Pflichtverstöße für den dienstlichen Betrieb und für Dritte

vgl. zum gleichlautenden § 13 BDG: BVerwG, Urteil vom 20.10.2005 - 2 C 12.04 -, BVerwGE 124 252ff., BVerwG, Urteil vom 3.5.2007 - 2 C 9/06 -, zitiert nach Juris.

Nach den genannten Kriterien und nach dem derzeitigen, im vorliegenden - als Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgestalteten - Verfahren nur möglichen Erkenntnisstand stellen die von der Antragstellerin begangenen Verstöße gegen die ihr als Strafvollzugsbeamtin obliegenden Dienstpflichten ein äußerst schweres Dienstvergehen dar, wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat.

Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten im Kontext des Strafvollzuges. Die Eingehung und Verheimlichung der Beziehung zu einem Strafgefangenen (Abschnitt 1 der Beziehung von Februar/März 2008 bis Juni/Juli 2008) sowie die Aufrechterhaltung und weitere Verheimlichung der Beziehung auf Druck des Strafgefangenen (Abschnitt 2 von Juni/Juli 2008 bis Ende Oktober 2008) stellen einen dauerhaft schweren Verstoß gegen die Kernpflichten von Bediensteten im Strafvollzug dar. Betroffen waren die Grundpflichten nach Nr. 1 DSVollz, das Distanzgebot nach Nr. 2 Abs.1 DSVollz und die Meldepflicht nach Nr. 9 DSVollz. Hierbei handelte es sich um den Kernbereich der ihr obliegenden Dienstpflichten

vgl. dazu allgemein BVerwG, Urteil vom 22.10.2005, a.a.O.,

die im Mittelpunkt ihres konkreten Amtes im Strafvollzug standen und die zur Gewährleistung von Funktionsfähigkeit und Sicherheit in dem hochsensiblen Bereich des Strafvollzuges unabdingbar sind.

Auch die weiteren objektiven Handlungsmerkmale von Dauer und Häufigkeit der Dienstpflichtverstöße und die Umstände der Tatbegehung bestärken die Annahme eines schweren Dienstvergehens. Die Pflichtverletzungen in Gestalt von Dauerverstößen erstreckten sich bei stetig zunehmender Intensität und Gefährdung der Sicherheit und der Aufgabenerfüllung des Strafvollzuges über einen Zeitraum von insgesamt sieben bis acht Monaten und erfolgten zudem unter gezielter Ausnutzung der besonderen Vollzugsumstände des betreffenden Strafgefangenen (Wohngruppenvollzug, Einsatz als Hausmaler, Mitglied der Redaktion PRO REO).

Entgegen dem Vortrag der Antragstellerin in der Beschwerdebegründung vermögen auch subjektive Handlungsmerkmale nach dem im vorliegenden Verfahren maßgeblichen Erkenntnisstand und vorbehaltlich im Zuge weiterer Ermittlungen möglicherweise noch zutage tretender Erkenntnisse die Schwere des Dienstvergehens nicht maßgeblich zu mindern.

Wie bereits ausgeführt, hat die Antragstellerin sich - zumindest in Abschnitt 1 der Beziehung - bewusst, wissentlich und willentlich gegen die dienstpflichtgemäße Handlungsalternative der Einhaltung des Distanzgebotes und der Meldepflichten entschieden, weil nur dies ihr die Eingehung und Aufrechterhaltung einer -- vermeintlichen - Liebesbeziehung zu dem Strafgefangenen ermöglichte. Die geltend gemachte Schuld- und Steuerungsunfähigkeit ist demgegenüber weder durch Hinweis auf die psychologisch-psychotherapeutische Stellungnahme vom 12.1.2009, noch auf die amtsärztliche Stellungnahme vom 6.3.2009 noch auf andere Weise nachvollziehbar dargelegt worden.

Für den Abschnitt 2 der Beziehung mag der Antragstellerin zwar zuzugestehen sein, dass es aufgrund des - nach ihrem Vortrag - von Seiten des Strafgefangenen aufgebauten Drucks für sie subjektiv zunehmend schwieriger wurde, die dienstpflichtgemäße Handlungsalternative zu wählen. Dies führt - nach den Erkenntnismöglichkeiten des vorliegenden, als Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes konzipierten Verfahrens - indes nicht zur Annahme einer aufgehobenen Steuerungs- und Schuldfähigkeit. Auch insoweit erweisen sich die Stellungnahmen vom 12.1.2009 und vom 6.3.2009 nicht als valide Basis für die Begründung ernst zu nehmender Zweifel.

Schließlich erlaubt auch der Blick auf die unmittelbaren Folgen der Dienstpflichtverstöße der Antragstellerin für den dienstlichen Bereich keine mildere Einschätzung bezüglich der Schwere des Dienstvergehens. Hier ist neben den konkret negativen Auswirkungen des Fehlverhaltens der Antragstellerin auf die Funktionsfähigkeit und Sicherheit in dem hochsensiblen Bereich des Strafvollzuges insbesondere auch auf die generell negativen Folgen des maßgeblichen Geschehens für den Einsatz weiblicher Vollzugsbediensteter im Strafvollzug mit männlichen Gefangenen hinzuweisen.

Von der Begehung eines schweren Dienstvergehens durch die Antragstellerin ist und war danach unter Berücksichtigung aller dafür maßgeblichen Kriterien auszugehen. Die Schwere des Dienstvergehens indiziert grundsätzlich die Angemessenheit der Höchstmaßnahme.

Die von der Schwere des Dienstvergehens ausgehende Indizwirkung für die Angemessenheit der Höchstmaßnahme entfällt allerdings, wenn zugunsten des Beamten gewichtige Entlastungsgründe zu berücksichtigen sind, die den Schluss rechtfertigen, der Beamte habe das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit noch nicht endgültig verloren

vgl. BVerwG, Urteil vom 20.10.2005, a.a.O., BVerwG, Urteil vom 10.1.2007 - 1 D 15.05 -, ZBR 2009, 160 f., BVerwG, Urteil vom 3.5.2007 a.a.O..

Solche Gründe stellen auch, aber nicht nur die sogenannten anerkannten Milderungsgründe dar. Diese tragen zum einen existenziellen wirtschaftlichen Notlagen sowie körperlichen oder psychischen Ausnahmesituationen Rechnung, in denen ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet und daher nicht mehr vorausgesetzt werden kann. Zum anderen erfassen sie ein tätiges Abrücken von der Tat, insbesondere durch freiwillige Wiedergutmachung eines Schadens oder die Offenbarung des Fehlverhaltens vor der Entdeckung der Tat

vgl. BVerwG, Urteil vom 3.5.2007, a.a.O..

Entlastungsgründe, die einem endgültigen Vertrauensverlust entgegen stehen, können sich aber auch aus anderen Umständen ergeben. Sie müssen in ihrer Gesamtheit geeignet sein, die Schwere des Pflichtenverstoßes erheblich herabzusetzen

BVerwG, Urteil vom 10.1.2007, a.a.O. und BVerwG, Urteil vom 3.5.2007, a.a.O..

Zu solchen möglichen, im Gesamtkontext zu würdigenden Umständen gehört auch eine unzureichende Dienstaufsicht zur Tatzeit

BVerwG, Urteil vom 10.1.2007, a.a.O..

Vorliegend ist zunächst von einer Offenbarung des dienstlichen Fehlverhaltens durch die Antragstellerin vor der Entdeckung ihrer Tat auszugehen. Bis zu ihrer Offenbarung gegenüber ihren Kollegen am 29.10.2008 und der unmittelbar nachfolgenden Offenbarung der Antragstellerin gegenüber der Anstaltsleiterin am 29. und 30.10.2008 waren die Dienstpflichtverstöße der Antragstellerin verborgen geblieben. Bekannt wurden sie erst durch die Offenbarung der Antragstellerin.

Die entlastende Wirkung dieser Selbstoffenbarung ist allerdings eingeschränkt durch den Zeitpunkt und die Begleitumstände derselben. Denn unmittelbar vor der Offenbarung war für die Antragstellerin klar geworden, dass sie nicht mehr damit rechnen konnte, dass die Vorgänge der zurückliegenden 7 bis 8 Monate unentdeckt bleiben könnten. Der Strafgefangene hatte sich - nach der Darstellung der Antragstellerin - von einer entsprechenden Zusage trotz des als „Gegenleistung“ hierfür gewährten Geschlechtsverkehrs distanziert und die Antragstellerin am 29.10.2008 gezielt weiter unter Druck gesetzt. Ihre Selbstoffenbarung rechtfertigt deshalb im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht die Annahme, die Antragstellerin habe das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit noch nicht endgültig verloren.

Eine Entlastung zugunsten der Antragstellerin folgt auch nicht aus den im Rahmen der Beschwerdebegründung geltend gemachten „organisatorischen Verfehlungen auf Seiten des Beschwerdegegners“.

Zwar kann eine Vernachlässigung der Aufsichtspflicht durch Vorgesetzte unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Fürsorgepflicht oder des „Mitverschuldens“ als Mitursache einer dienstlichen Verfehlung bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme mildernd berücksichtigt werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für besondere Umstände vorliegen, die ausreichende Kontrollmaßnahmen unerlässlich gemacht hätten, diese aber pflichtwidrig unterblieben sind

BVerwG, Urteil vom 10.1.2007, a.a.O..

Eine solche Situation war hier - nach den Erkenntnismöglichkeiten des vorliegenden Verfahrens - indes nicht gegeben. Hierzu ist im Rahmen der Beschwerdebegründung vorgetragen, das Verhalten der Antragstellerin sei bereits zu einem sehr früheren Zeitpunkt auffällig gewesen und vom direkten Vorgesetzten bemerkt und thematisiert worden. Gleichwohl habe „die Leitung der JVA im wahrsten Sinne des Wortes weggeschaut und die Situation bis zum Eklat treiben lassen“.

In der Tat waren die häufigen Kontakte der Antragstellerin mit dem Strafgefangenen auch nach der Darstellung des Antragsgegners bereits im Sommer 2008 aufgefallen und von der zuständigen Vollzugsabteilung mit ihr erörtert worden. Diese Gelegenheit hat die Antragstellerin allerdings nicht im Sinne der dienstpflichtgemäßen Offenbarung genutzt, sondern im Gegenteil ihr dienstpflichtwidriges Verhalten und dessen Hintergründe nicht nur nicht offenbart, sondern aktiv verschleiert, indem sie nachvollziehbare behandlerische Gründe für ihre verstärkte Aufmerksamkeit gegenüber dem Strafgefangenen darlegte und es ihr so gelang, die Bedenken ihrer Dienstvorgesetzten gezielt zu zerstreuen.

Eine Vernachlässigung der Aufsichtspflicht seitens der Dienstvorgesetzten kann daraus nicht hergeleitet werden. Diese durften nach dem Ergebnis des Personalgesprächs mit der Antragstellerin davon ausgehen, dass es sich bei den häufigen Kontakten mit dem Strafgefangenen um ein rein berufliches Engagement im Einklang mit den zu beachtenden Dienstpflichten handelte. Seit ihrer Ausbildungszeit (2001 – 2003) hatte die Antragstellerin bis dahin unbeanstandet in der JVA Dienst getan und nach allgemeiner Einschätzung - auch seitens des in der JVA tätigen Dipl.-Psychologen - durch Engagement und Gespräche immer wieder positiv im Sinne des Strafvollzuges auf Gefangene einwirken können. Es konnte daher keine Rede davon sein, dass aus der Sicht der Anstaltsleitung konkrete Anhaltspunkte für besondere Umstände vorgelegen hätten, die weitere Kontroll- und Aufsichtsmaßnahmen unerlässlich gemacht hätten. Ohne solche Umstände darf der Dienstherr grundsätzlich auf die Erfüllung der Dienstpflichten vertrauen. Denn eine ständige und lückenlose Kontrolle eines jeden Mitarbeiters ist unmöglich

vgl. nur BVerwG, Urteil vom 10.1.2007, a.a.O..

Davon durfte hier auch der Antragsgegner ausgehen.

Gegen die Annahme der in der Beschwerdeschrift geltend gemachte Verletzung der Fürsorgepflicht sprechen auch weitere Anhaltspunkte. Gerade im Hinblick auf die Thematik möglicher Verstöße gegen das Distanzgebot zwischen weiblichen Bediensteten und männlichen Gefangenen ist davon auszugehen, dass eine erhöhte Sensibilisierung seitens der Dienstvorgesetzten vorlag und dies den Bediensteten auch deutlich gemacht wurde. Dies ergibt sich z. B. daraus, dass noch im Januar 2008, d.h. kurz vor Aufnahme der Beziehung der Antragstellerin zu dem Strafgefangenen, die jährliche Frauenversammlung innerhalb der JVA gezielt unter das Thema „Frauen im Männervollzug“ gestellt und auf die daraus sich ergebenden Gefahren, insbesondere bei der Missachtung des gebotenen Nähe/Distanzverhaltens für die Betroffenen und andere, unbeteiligte Bedienstete, hingewiesen wurde. An dieser Veranstaltung hat die Antragstellerin selbst teilgenommen.

Nach alledem rechtfertigt der bislang festgestellte Sachverhalt - auch unter Berücksichtigung des Vorbringens im Beschwerdeverfahren - die Prognose, dass im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung der Antragstellerin aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung (§ 63 Abs. 2 SDG) bestehen deshalb nicht.

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 6.3.2009 war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 77 Abs. 4 SDG, 154 Abs. 2 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

1

Der zulässige Antrag ist begründet.

2

Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt wird. Ferner kann die vorläufige Dienstenthebung ausgesprochen werden, wenn durch ein Verbleiben des Beamten im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Dienstenthebung nicht unverhältnismäßig ist (§ 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA). Die Antragsgegnerin stützt sich erkennbar nicht auf letztgenannte Norm, sondern (nur) auf § 38 Abs. 1Satz 1 DG LSA, da ihrer Meinung nach im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird.

3

Bei der Anordnung der Suspendierung handelt es sich nicht um eine Disziplinarmaßnahme (OVG LSA, B. v. 07.05.2010, 10 M 2/10; juris). Ihre Berechtigung ergibt sich aus dem funktionalen Bedürfnis, noch vor der endgültigen Klärung des Vorliegens eines Dienstvergehens und der abschließenden Entscheidung über die angemessene Maßregelung des Beamten eine den Verwaltungsaufgaben und dem Dienstbetrieb dienende vorübergehende Sicherungsregelung zu treffen.

4

1.) Die nach § 61 Abs. 2 DG LSA vom Disziplinargericht vorzunehmende Prüfung ergibt hier, dass die vorläufige Dienstenthebung und die Einbehaltung der Dienstbezüge aufzuheben sind, weil ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen.

5

a.) Die auf § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA gestützte Verfügung über die vorläufige Dienstenthebung muss pflichtgemäßem Ermessen der Einleitungsbehörde entsprechen. Den Beamten auch nur vorläufig vom Dienst zu entheben setzt voraus, dass ein Verbleiben des Beamten im Dienst schlechthin untragbar wäre. Dabei handelt es sich um die denkbar schwerste Sanktion für dienstliche Verfehlungen, welche nach der Rechtsprechung besondere Umstände voraussetzt. Für die konkrete Entscheidung im Einzelfall sind grundsätzlich das dienstliche Bedürfnis an der einstweiligen Fernhaltung des Beschuldigten vom Dienst und dessen Recht auf amtsentsprechende dienstliche Beschäftigung abzuwägen (vgl. dazu. Köhler/Ratz, BDO, 2. Aufl., § 91 Rz. 10: vgl. zum Ganzen: VG Magdeburg, Beschl. v. 10.02.2007, 8 B 22/06; Beschl. v. 03.03.2010, 8 B 21/09; juris).

6

Nach § 61 Abs. 2 DG LSA ist die vorläufige Dienstenthebung dann aufzuheben, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel sind schon dann anzunehmen, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts offen ist, ob die Anordnung nach § 38 Abs. 1 DG LSA rechtmäßig oder rechtswidrig ist (vgl. nur: Bay. VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DC 11.985; OVG Lüneburg Beschluss vom 13.5.2005, 3 ZD 1/05; alle juris). Neben der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung ist somit zu prüfen, ob die in der Anordnung liegende Prognose gerechtfertigt ist, der Beamte werde im Disziplinarverfahren voraussichtlich aus dem Dienst entfernt werden. Diese Prognose kann demnach nur dann gestellt werden, wenn nach dem Kenntnisstand im Eilverfahren die Möglichkeit der Höchstmaßnahme überwiegend wahrscheinlich ist. Ist es dagegen zumindest ebenso wahrscheinlich, dass eine Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis im Disziplinarverfahren nicht erfolgen wird, sind ernstliche Zweifel durch das Gericht zu bejahen (BVerwG, Besch. v. 16.07.2009, 2 AV 4.09; BayVGH, Beschl. v. 20.04.2011, 16b DS 10.1120;Sächs. OVG, B. 19.08.2010, D 6 B115/10 mit Verweis auf Beschluss vom 08.07.2010, D6A116/10; alle juris; Müller, Grundzüge des Beamtendisziplinarrechts, § 38 Abs. 1 BDG, 2010, Rz. 370 m. w. N.; GKÖD, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, § 38 BDG, Rz. 51). Diese Prognoseentscheidung beinhaltet eine vom Gericht vorzunehmende summarische Prüfung des zurzeit bekannten Sachverhaltes und eine daran orientierte Wahrscheinlichkeitsprognose. Hinsichtlich des zur Last gelegten Dienstvergehens genügt, dass der Beamte dieses Dienstvergehen mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit begangen hat; nicht erforderlich ist, dass das Dienstvergehen bereits in vollem Umfang nachgewiesen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.09.1997, 2 WDB 3.97; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.09.2009, 83 DB 1.09; OVG des Saarlandes, Beschl. v. 17.06.2009, 6 B 289/09; alle juris). Die Beurteilung im Verfahren nach § 61 DG LSA erfordert keine gesonderten Beweiserhebungen, sondern ist in der Lage, in der sich das Disziplinarverfahren jeweils befindet, anhand der bis dahin zu Tage getretenen Tatsachen zu treffen. Insoweit können u. U. selbst durch Aktenvermerke untermauerte Erkenntnisse ausreichen (vgl. Müller a. a. O). Dabei ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (BVerwG, Besch. v. 22.07.2002, 2 WDB 1.02; OVG Berlin-Brandenburg; Beschl. v. 18.08.2005, 80 SN 1.05; Bay VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DCV 11.985; alle juris). Jedoch muss für die gerichtliche Überprüfung der vorläufigen Dienstenthebung maßgeblich auf die von dem Dienstherrn in dem Bescheid herangezogenen Pflichtenverletzungen abgestellt werden. Diese können durch das Disziplinargericht im Rahmen der Würdigung durch Akteninhalte und sonstige - evtl. auch später, im Laufe des Verfahrens nach § 61 DG LSA hinzutretende - Erkenntnisse untermauert werden, um anhand dessen die Rechtsmäßigkeit der Prognoseentscheidung zu beurteilen.

7

b.) Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 und 3 DG LSA nach derSchwere des Dienstvergehens und des unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten eingetretenen Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. § 13 Abs. 2 DG LSA bestimmt, dass ein Beamter, der durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, aus dem Beamtenverhältnis zu entfernenist (Satz 1). Die Feststellung des verloren gegangenen Vertrauens ist verwaltungsgerichtlich voll inhaltlich nachprüfbar (Satz 2).

8

Demnach ist maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme die Schwere des Dienstvergehens. Sie beurteilt sich zum einen nach der Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale) und zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen der Pflichtenverstöße für den dienstlichen Betrieb und für Dritte (vgl. zum gleichlautenden § 13 BDG, BVerwG, Urt. v. 20.10.2005, 2 C 12.04; Urt. v. 03.05.2007, 2 C 9.06; B. v. 10.09.2010, 2 B 97/09; VGH Baden-Württemberg, U. v. 16.09.2010, DL 16 S 579/10; alle juris).

9

Erst bei Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Beamten lässt sich mit der gebotenen Sicherheit beurteilen, ob der Beamte aus disziplinarrechtlicher Sicht noch erziehbar erscheint oder ob hierfür eine bestimmte Disziplinarmaßnahme als notwendig, aber auch als ausreichend erscheint, oder ob der Beamte für die Allgemeinheit und den Dienstherrn untragbar geworden ist und deshalb seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist (VG Magdeburg, U. v. 04.11.2009, 8 A 19/08 m. w. N.; juris).

10

Eine objektive und ausgewogene Zumessungsentscheidung setzt demnach voraus, dass die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme unter Berücksichtigung der belastenden und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten steht und gewisse Besonderheiten des Einzelfalls mildernd zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.12.2004, 2 BvR 52/02; BVerwG, U. v. 14.02.2007, 1 D 12.05 mit Verweis auf Urteil vom 20.10.2005, 2 C 12.04; OVG Lüneburg, U. v. 20.11.2009, 6 LD 1/09; VGH Bad.-Württ., U. v. 16.09.2010, DL 16 S 579/10; VG Saarland, U. v. 17.09.2010, 7 K 238/09; alle juris).

11

2.) Unter diesen rechtlichen Prüfungsvoraussetzungen vermag die Disziplinarkammer nach dem derzeitigen sich aus der Begründung der Suspendierung, dem Aktenmaterial und dem Vorbringen der Beteiligten ergebenden Sach- und Rechtsstand nicht mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Antragsteller ein derart schweres Dienstvergehen begangen hat, welches dazu geführt hat, dass das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren ist.

12

a.) Die Antragsgegnerin stützt die vorläufige Dienstenthebung maßgeblich darauf, dass der Antragsteller gegen die ihm obliegende beamtenrechtliche Pflicht zu einem achtungs- und vertrauensvollen Verhalten (§ 34 Satz 3 Beamtenstatusgesetz [BeamtStG]) verstoßen habe. Der Antragsteller habe dem Polizeiarzt gegenüber im Jahr 2008 angegeben, regelmäßig Cannabis geraucht zu haben. Die damals erstellten Laborbefunde hätten diese Aussage bestätigt. Nach der letztmaligen Vorstellung im Polizeiärztlichen Zentrum am 29.12.2008 seien die Laborbefunde des Antragstellers hinsichtlich des Gebrauchs illegaler Drogen nicht mehr auffällig gewesen. Am 15.09.2011 habe es beim Antragsteller dagegen einen positiven Screeningbefund auf Cannabinoide und auf Benzodiazepin gegeben. Dies habe sich unter dem 20.10.2011 bestätigt.

13

Daraus schlussfolgert die Antragsgegnerin, um illegale Drogen zu konsumieren, müssten diese zunächst erworben werden. Der unerlaubte Erwerb von Betäubungsmitteln sei nach § 29 Abs. 1 Ziff. 1 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) strafbar. Ein Polizeibeamter, der unerlaubt Betäubungsmittel erwerbe, um diese zu konsumieren, zerstöre regelmäßig das Vertrauensverhältnis, welches für die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung unerlässlich sei. Allein die Umstände der Drogenbeschaffung, die ohne Kontakte in die einschlägige Szene nicht möglich seien, begründen den Verdacht, dass das außerdienstliche Verhalten des Antragstellers in besonderem Maße geeignet sei, das Vertrauen in eine für das Amt eines Polizeibeamten bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Der Polizeibeamte habe für die Einhaltung der Gesetze einzustehen. Ein derartiges Versagen im Kernbereich beamtenrechtlicher Dienstpflichten sei daher geeignet, die für eine weitere Zusammenarbeit mit dem Beamten erforderliche Vertrauensgrundlage völlig zu zerstören. Deshalb bestehe eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Antragsteller aus dem Beamtenverhältnis entfernt werde. Aus diesen Gründen sei der Antragsteller vorläufig des Dienstes zu entheben.

14

Die sodann unter dem 19.03.2012 verfügte teilweise Einbehaltung der Dienstbezüge nach § 38 Abs. 2 DG LSA wird mit der vorläufigen Dienstenthebung vom 29.02.2012 begründet. Angesichts der bei der Durchsuchungsmaßnahme in den Wohnräumen des Antragstellers beschlagnahmten Sachen und Gegenstände sei die Verneinung eines kriminellen Milieus nicht zu begründen. Es folgt sodann eine Berechnung des finanziellen monatlichen Bedarfs. Dafür notwendige Belege habe der Antragsteller nicht vorgelegt.

15

Am 11.08.2011 fand auf den Beschluss des Amtsgerichts Quedlinburg am 04.08.2011 die Durchsuchung der Wohnung des Antragstellers statt. Dabei wurden u. a. eine sog. Indoorplantage mit 8 Cannabispflanzen und diverse Produkte vorgefunden, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Wegen des genauen Umfangs der beschlagnahmten Sachen wird auf den Inhalt der Beiakte A verwiesen. Der Antragsteller weist die darauf beruhenden Vorwürfe von sich; sein Mitbewohner, Herr E., erklärte insoweit bei seiner Beschuldigtenvernehmung, der Antragsteller habe sein Handeln lediglich toleriert. Am 03.04.2012 hat die Staatsanwaltschaft Magdeburg beim Amtsgericht Quedlinburg die Zulassung und Eröffnung des Hauptverfahrens wegen unerlaubten gemeinschaftlichen Anbau und unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln erhoben.

16

b.) Im Fall eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz geht die disziplinarrechtliche Rechtsprechung bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme davon aus, dass der Beamte, der an den staatlichen Zielen, den Auswirkungen des zunehmenden Rauschgiftkonsums vorzubeugen und so unabsehbare Gefahren für den Einzelnen und die Allgemeinheit abzuwehren, zuwiderhandelt, eine grob rücksichtslose Haltung gegenüber der Allgemeinheit offenbart. Angesichts der Variationsbreite möglicher Verwirklichungsformen pflichtwidrigen Verhaltens in diesem Bereich wird jedoch das disziplinarrechtliche Gewicht des Dienstvergehens von den besonderen Umständen des Einzelfalls abhängig gemacht (vgl. BVerwG, U. v. 14.12.2000, 1 D 40.99; Urteile vom 07.05.1996, 1 D 82.95 und vom 29.04.1986, 1 D 141.85; vom 25.10.1983, 1 D 37.83, Urteile vom 24.07.2008, DB 16 S 4.07 und vom 06.08.2009, DL 16 S 2974/08; VGH Baden-Württemberg, U. v. 25.02.2010, DL 16 S 2597/09; VG Berlin, U. 22.11.2011, 85 K 11.10 OB; alle juris). Demnach werden in schweren Fällen durchaus die disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahmen der Degradierung und die Entfernung aus dem Dienst auszusprechen sein, ohne dass diese jedoch Regelmaßnahme für jedwedes strafbares Handeln nach dem Betäubungsmittelgesetzt (§ 29 BtMG) wären.

17

Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist jedoch neben dem objektiven Gehalt des Strafvorwurfes auch zu berücksichtigen, dass der Polizeibeamte wegen seines besonderen Auftrags zur Abwehr von Gefahren und zur Verfolgung von Straftaten einer strengeren Verpflichtung unterliegt. Mit dieser Verpflichtung ist es durchweg unvereinbar, wenn ein Polizeibeamter - auch außerhalb des Dienstes - gegen Strafvorschriften verstößt, die wichtige Gemeinschaftsbelange schützen sollen und damit einem besonderen staatlichen Anliegen dienen. Das Vertrauen des Dienstherrn in seinen Beamten, der die Aufgabe, Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz wegen der genannten Gefahren abzuwenden und zu verhindern, nicht nur nicht erfüllt, sondern im Gegenteil mit seinem Verhalten Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz fördert und somit die abzuwehrenden Gefahren steigert, ist empfindlich, wenn nicht gar endgültig zerstört (vgl.: OVG NRW, U. v. 16.12.1998, 6 d 4674/97.O; juris).

18

c.) Der Dienstherr rechtfertigt hier - wie oben dargelegt - die vorläufige Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA allein damit, dass ihm der zur Entfernung führende unerlaubte, weil strafbare,Erwerb von Betäubungsmitteln vorzuhalten sei. Die diesem pauschalen Vorwurf zugrunde liegenden Erkenntnisse vermögen nach den dargestellten Gründen und der Problematik der Vielschichtigkeit der möglichen Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz bislang die Entfernung aus dem Dienst nicht zwangsläufig zu tragen.

19

Die Antragsgegnerin bezieht ihre Kenntnisse maßgeblich aus den Angaben des Antragstellers gegenüber dem Polizeiarzt, wonach der Antragsteller regelmäßigen Cannabiskonsum im Jahr 2008 angegeben habe und im Jahre 2011 positive Screeningbefunde vorgelegen hätten. Dies allein begründet jedoch für sich genommen nicht perse ein schweres Dienstvergehen, zumal die vom Antragsteller konsumierte Menge, die Konsumdauer und das Konsumverhalten nicht einmal bekannt sind. Zwar ist u. a. der unerlaubte Anbau und Erwerb mit Strafe beschwert (§ 29 Abs. 1 bis 3 BtMG). Der individuelle Unrechts- und Schuldgehalt einer solchen Tat ist jedoch von den Umständen des Einzelfalles abhängig und kann zum Absehen von Strafe bzw. der Verfolgung (§§ 29 Abs. 5, 31a Abs. 1 BtMG) führen (vgl. dazu Richtlinie zur Anwendung des § 31a Abs. 1 Betäubungsmittelgesetzt und zur Bearbeitung von Ermittlungsverfahren in Strafsachen gegen Betäubungsmittelkonsumenten, JMBl. LSA 2008, S. 245). Der Antragsgegnerin kann auch nicht vollends darin gefolgt werden, dass dem Konsum stets eine illegale Beschaffung der Substanzen im kriminellen Milieu vorangegangen sein muss. Dazu ist bereits das Tatbestandsmerkmal der „Beschaffung“ etwa in § 29 Abs. 1 Nr. 1 und 3 BtMG zu vielschichtig. So mag - unabhängig von der strafrechtlichen Relevanz - ein Konsum auch im Freundeskreis oder auf sonstigem Wege möglich sein, woraus sich nicht unmittelbar und unabdingbar ein kriminelles Milieu ergibt. Gerade diese Begleitumstände, also die Variationsbreite der Verstöße gegen das Betäubungsmittelrecht gilt es im Disziplinarverfahren aufzuklären und zu würdigen. Jedenfalls - und das ist entscheidend - lassen sich die diesbezüglichen Vorwürfe auch nicht mit den aufgrund der strafrechtlichen Ermittlungen gewonnenen Erkenntnissen untermauern. Die Antragsgegnerin stützt die vorläufige Dienstenthebung auch nicht darauf. Die beiden streitbefangenen Verfügungen sind insoweit äußerst begründungsarm. So ist die vorläufige Dienstenthebung nicht etwa auf das dem Beamten gegenüber geführte anhängige strafrechtliche Ermittlungsverfahren, welches in der Folgezeit zur Beantragung der Zulassung der Anklage vor dem Amtsgericht Quedlinburg geführt hat, gestützt. Zwar findet sich in der Verfügung zur Einbehaltung der Dienstbezüge vom 19.03.2012 ein Hinweis auf die bei der Durchsuchungsmaßnahme in den Wohnräumen des Beamten beschlagnahmten Sachen und Gegenstände, woraus sich das „kriminelle Milieu“ ergeben würde. Das Disziplinargericht hat zwar keinen Zweifel daran, dass die Feststellungen im Rahmen der Durchsuchung der gemeinsam mit einem weiteren Angeschuldigten genutzten Wohnung disziplinarrechtlich ebenso beachtlich wie die zwischenzeitlich erhobene Anklage sind. Aber auch unter Berücksichtigung dieser, über die Begründung der Verfügung der vorläufigen Dienstenthebung hinausgehenden Erkenntnisse, die eine weitere Qualität im Sinne der Variationsbreite des disziplinarrechtlich zu wertenden Pflichtenverstoßes darstellen, vermag das Disziplinargericht nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit von einer Entfernung aus dem Beamtenverhältnis auszugehen.

20

Denn die in der Rechtsprechung zu findenden Fallgestaltungen hinsichtlich der Variationsbreite der Schwere der Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz rechtfertigen eine vorläufige Dienstenthebung bzw. die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis etwa (erst) dann, wenn es sich um den Konsum „harter“ Drogen (VG Berlin, Urteil v. 22.11.2011, 85 K 11.10 OB; OVG Berlin, Beschluss v. 16.04.1992, 4 S 11.92; beide juris) handelt und/oder der Beamte eine beachtliche Drogenkarriere zurückgelegt hat, der Beamte etwa in die Beschaffungskriminalität abgleitet oder sich als Dealer betätigt (BVerwG, Urteil v. 13.07.1999, 2 WD 4.99; OVG Rheinl.-Pfalz, Urteil v. 30.06.2003, 3 A 10767/03; VG Berlin, Urteil v. 04.10.2011, 80 K 6.11 OL; alle juris) oder aufgrund der Einheitlichkeit des Dienstvergehens weitere Pflichtenverstöße hinzugetreten sind (OVG Lüneburg, Urteil v. 22.06.2010, 20 LD 7/08; VG Berlin, Urteil v. 13.02.2006, 80 A 27.05; alle juris). Die Vergleichbarkeit mit diesen Fallgestaltungen ist vorliegend nicht gegeben. Es gilt die weiteren Ermittlungen bzw. das Strafverfahren im weiter anhängigen behördlichen Disziplinarverfahren abzuwarten. Insoweit steht es dem Dienstherrn frei, bei einer veränderten Erkenntnislage eine erneute Suspendierung auszusprechen (vgl. § 122 Abs. 1, 121 VwGO).

21

3.) Dementsprechend ist mangels rechtlicher Voraussetzungen nach § 38 Abs. 2 DG LSA auch die Einhaltung der Dienstbezüge abzuheben.

22

4.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 72 Abs. 4, 73 Abs: 1 DG LSA, 154 Abs. 1 VwGO.


Tenor

Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 8. März 2011 - 7 L 29/11 - wird die Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung des Antragstellers und Einbehaltung von 50 % seiner monatlichen Dienstbezüge durch den Bescheid vom 20.12.2010 ausgesetzt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.

Gründe

Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig. Sie ist gemäß § 67 Abs. 1 und Abs. 3 SDG i.V.m. §§ 146, 147 VwGO statthaft und gemäß § 67 Abs. 3 SDG i.V.m. §§ 147 Abs. 1, 146 Abs. 4 VwGO fristgerecht erhoben und begründet worden. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers vom 10.1.2011 als zulässigen Antrag nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SDG auf Aussetzung der mit Bescheid des Antragsgegners vom 20.12.2010 ausgesprochenen vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung von 50 % seiner monatlichen Dienstbezüge ausgelegt.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die durch Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 8.3.2011 - 7 L 29/11 - erfolgte Zurückweisung seines Aussetzungsantrages hat auch in der Sache Erfolg. Denn es bestehen im Sinne des § 63 Abs. 2 SDG ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 20.12.2010.

Nach § 38 Abs.1 SDG kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten oder eine Beamtin gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird. Nach Abs. 2 der genannten Vorschrift kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde gleichzeitig mit oder nach der vorläufigen Dienstenthebung anordnen, dass dem Beamten oder der Beamtin bis zu 50 % der monatlichen Dienst- oder Anwärterbezüge einbehalten werden, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird.

Nach § 63 Abs. 2 SDG sind die vorläufige Dienstenthebung und die Einbehaltung von Bezügen auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Derartige Zweifel sind vorliegend gegeben.

Zwar sprechen nach Auffassung des Senats - ebenso wie im Ergebnis nach Auffassung des Verwaltungsgerichts – überwiegende Gründe dafür, dass nach dem derzeitigen, im vorliegenden Verfahren zugrunde zu legenden Sach- und Streitstand eine überwiegende Wahrscheinlichkeit die Prognose rechtfertigen dürfte, dass im Rahmen des mit Verfügung vom 26.4.2010 gegen den Antragsteller eingeleiteten Disziplinarverfahrens die Verhängung der Höchstmaßnahme zu erwarten ist. Dabei dürften die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 und Abs. 2 SDG für die vorläufige Dienstenthebung des Antragstellers und die zugleich angeordnete Einbehaltung der monatlichen Dienstbezüge aller Voraussicht nach gegeben sein. Jedoch bestehen mit Blick auf die ordnungsgemäße Ausübung des dem Antragsgegner nach § 38 Abs. 1 SDG eingeräumten Ermessens ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 20.12.2010.

Aus dem Gesamtergebnis des wegen des Besitzes kinderpornografischer Schriften gegen den Antragsteller geführten Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Saarbrücken (24 Js 899/07) und des vor dem Amtsgericht Saarbrücken geführten Strafverfahrens (119 Ds 89/09) ergibt sich aller Voraussicht nach der hinreichende Verdacht, dass der Antragsteller ein außerdienstliches Dienstvergehen begangen hat, das im Rahmen des am 26.4.2010 gegen ihn eingeleiteten Disziplinarverfahrens mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Verhängung der Höchstmaßnahme erfordern wird. Zwar haben sowohl das Verwaltungsgericht als auch der Antragsteller zu Recht Zweifel daran geltend gemacht, ob sich dieser hinreichende Verdacht allein aus den tatsächlichen Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils des Amtsgerichts Saarbrücken vom 10.2.2010 (119 Ds 89/09) ableiten lässt, an die die Disziplinarbehörde gemäß § 23 Abs. 1 SDG und die Disziplinargerichte gemäß § 57 SDG - in jeweils unterschiedlicher Intensität - gebunden sind. Diesbezügliche Bedenken ergeben sich insoweit zum einen hinsichtlich der Frage, ob die Anzahl der im Besitz des Antragstellers gewesenen Bilddateien kinderpornografischen Inhalts tatsächlich 781 betragen hat. In dem strafgerichtlichen Urteil vom 10.2.2010 heißt es hierzu lediglich:

„Dem Angeklagten wird in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Saarbrücken vom 28.1.2009 vorgeworfen, am 24.10.2007 in seiner Wohnung, A-Straße, A-Stadt, auf seinem Personalcomputer Fujitsu zu Siemens Scaleo 600 781 Bilddateien mit Darstellungen aufbewahrt zu haben, auf denen u.a. Mädchen zu sehen sind, die offensichtlich jünger als 14 Jahre alt sind und mit denen Erwachsene Vaginalverkehr ausüben, die Erwachsene oral stimulieren oder die von Erwachsenen an ihren Geschlechtsteilen berührt werden. Der Angeklagte hat den Vorwurf in der Hauptverhandlung glaubhaft eingestanden. Er hat sich damit des Besitzes kinderpornografischer Schriften gemäß § 184 b Abs. 1, Abs. 4 Satz 2 StGB schuldig gemacht.“

Diese Formulierung lässt zwar den Schluss zu, dass Gegenstand des strafrechtlichen Vorwurfs der Besitz von insgesamt 781 Bilddateien war, die zumindest teilweise als kinderpornografisch einzustufen waren. Dem Urteil lässt sich aber keine ausreichende Tatsachenfeststellung entnehmen, aus der sich ableiten lässt, dass alle diese Dateien von ihrem Inhalt her als kinderpornografisch im Sinne des § 184 b StGB einzustufen waren. Entsprechend eingeschränkt ist der Umfang seiner Bindungswirkung nach §§ 23, 57 SDG.

Gleichwohl wird nach Auffassung des Senats nach dem gesamten Inhalt des Straf- und Ermittlungsverfahrens davon ausgegangen werden können, dass der Antragsteller vorsätzlich im Besitz kinderpornografischer Bilddateien war und dass deren Anzahl aller Voraussicht nach deutlich über die – vom Verwaltungsgericht seiner Entscheidung als ausreichend zugrunde gelegte – Zahl von 10 Bilddateien hinausging, die in der Strafakte als „beispielhaft“ dokumentiert sind. Dies ergibt sich neben anderen, hier nicht im Einzelnen darzulegenden Anhaltspunkten schon daraus, dass die genannten 10 Bilddateien, die ihrerseits eindeutig kinderpornografischen Inhalt haben, nach Durchführung der polizeilichen Auswertung der auf dem Personalcomputer des Antragstellers vorhandenen Dateien beispielhaft ausgedruckt und der Ermittlungsakte beigefügt wurden, um den Inhalt der von Seiten der Polizei als kinderpornografisch eingestuften 781 Dateien zu dokumentieren. Hieraus lässt sich schließen, dass jeder der 10 - unterschiedlichen - Darstellungen jeweils eine Mehrzahl vergleichbarer Darstellungen im Rahmen der insgesamt 781 als kinderpornografisch eingestuften Dateien entspricht. Gleichwohl kann beim derzeitigen Erkenntnisstand und insbesondere auf der Grundlage der in dem Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken von 10.2.2010 getroffenen Tatsachenfeststellungen nicht ausgeschlossen werden, dass sich in der Gesamtzahl von 781 im Ermittlungsverfahren als kinderpornografisch bewerteten Darstellungen z.B. auch sogenannte Posing-Bilder befunden haben, welche nicht im strafrechtlichen Sinne des § 184 b StGB als kinderpornografisch einzuordnen sind. Insofern ist zu beachten, dass sich in den Ermittlungsakten auch mehr als 200 Dateien dieser Art (Posing-Bilder) befinden. Hierzu werden im Disziplinarverfahren noch weitere Ermittlungen anzustellen sein, die nach dem Vortrag des Antragsgegners bereits eingeleitet sind.

Zudem lässt sich allein den Feststellungen des Strafurteils nicht entnehmen, in welchem Zeitraum der Antragsteller derartige Bilddateien im Besitz hatte. In dem Urteil ist lediglich von dem 24.10.2009 als Tatzeitpunkt die Rede. Dies war der Tag der Beschlagnahme des Personalcomputers des Antragstellers. Gleichwohl dürfte nach dem Gesamtinhalt des Straf- und Ermittlungsverfahrens nicht davon ausgegangen werden können, dass der Antragsteller die kinderpornografischen Darstellungen nur an einem einzigen, dem im strafrechtlichen Urteil vom 10.2.2010 genannten Durchsuchungstag am 24.10.2009 in Besitz gehabt hat.

Dem Antragsgegner ist im Grundsatz des Weiteren darin zu folgen, dass – auch wenn eine Regeleinstufung insoweit auszuscheiden hat - der Orientierungsrahmen für die Bemessung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme nach § 13 SDG bei außerdienstlichem Besitz kinderpornografischer Schriften durch einen Lehrer unter der Geltung der erhöhten Strafandrohung des § 184 b Abs. 5 StGB i.d.F. des Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 27.12.2003 (BGBl. Teil I S. 3007) nach Maßgabe der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur disziplinarrechtlichen Ahndung des Besitzes kinderpornografischer Schriften

BVerwG, Urteil vom 19.8.2010 - 2 C 5/10 -, zitiert nach juris -

die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis ist.

Gleichwohl bestehen jedoch ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides des Antragsgegners vom 20.12.2010 mit Blick auf die ordnungsgemäße Ausübung des der Disziplinarbehörde in § 38 SDG eingeräumten Ermessens. Denn der Antragsgegner hat seiner Ermessensentscheidung nach § 38 SDG auf der Tatbestandsseite Tatsachen zugrunde gelegt, die sich zum Teil aus den von ihm zitierten Quellen so nicht entnehmen lassen und zum Teil aller Voraussicht nach einem Verwertungsverbot unterliegen.

Wie dargelegt, lässt sich dem strafrechtlichen Urteil vom 10.2.2010 nicht mit Bestimmtheit die Feststellung entnehmen, dass der Antragsteller 781 Bilddateien kinderpornografischen Inhalts in Besitz hatte. Gleichwohl sind die streitgegenständlichen Maßnahmen der vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung von Dienstbezügen im Bescheid des Beklagten vom 20.12.2010 maßgeblich auf den „Ihnen zur Last gelegte(n) Besitz von 781 Bilddateien mit kinderpornografischen Darstellungen, auf denen u.a. Mädchen zu sehen sind, die offensichtlich jünger als 14 Jahre alt sind und mit denen Erwachsene Vaginalverkehr ausüben, die Erwachsene oral stimulieren oder die von Erwachsenen an ihren Geschlechtsteilen berührt werden (zitiert aus dem Ihnen gegenüber ergangenen Strafurteil des Amtsgerichts Saarbrücken vom 10. Februar 2010“ gestützt.

Ferner heißt es in dem Bescheid:

„Milderungsgründe, die die Annahme einer Disziplinarmaßnahme unterhalb der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis wahrscheinlich machen würden, sind nicht zu erkennen. Bei Ihrem im Strafverfahren wie auch im Rahmen der behördlichen Anhörung vom 22.4.2010 eingestandenen Fehlverhalten handelt es sich nicht um ein einmaliges oder nur ganz kurzfristiges Verhalten und Versagen, sondern um Aktivitäten, die sich über einen längeren Zeitraum - Sie erwähnten als relevante Zeit die Jahre 2006 und 2007 - hingezogen haben und eine Vielzahl einzelner Schritte zur Verschaffung und Abspeicherung von 781 Bilddateien erforderten. In den Fällen, die Gegenstand dieses Disziplinarverfahrens sind, handelten Sie jeweils vorsätzlich. Dies steht aufgrund ihrer Einlassung in der Anhörung vom 22.4.2010 fest.“

Zum Beleg der von ihm seiner Ermessensentscheidung zugrunde gelegten Tatsachen hat der Antragsgegner damit maßgeblich nicht nur auf die – wie oben bereits dargelegt - unscharfen Formulierungen des Strafurteils zurückgegriffen, sondern auch auf Äußerungen des Antragstellers, die dieser in der - vor der mit Verfügung vom 26.4.2010 erfolgten förmlichen Einleitung des Disziplinarverfahrens durchgeführten - Anhörung vom 22.4.2010 getätigt hatte.

Dem über diese Anhörung gefertigten Protokoll kann indes weder entnommen werden, dass der Antragsteller gemäß § 20 Abs. 1 Satz 3 SDG darüber belehrt wurde, dass es ihm freistehe, sich mündlich oder schriftlich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen, noch dass er darüber belehrt wurde, dass es ihm freistehe, sich jederzeit eines oder einer Bevollmächtigten oder eines Beistandes zu bedienen. Ob es dem Antragsgegner gelingen wird, seinen Vortrag, der Antragsteller sei zu dem ersten Punkt tatsächlich belehrt worden, auch wenn dies im Protokoll nicht festgehalten wurde, zu beweisen, erscheint derzeit offen. Bezüglich der Belehrung zu dem zweiten Punkt hat der Antragsgegner selbst vorgetragen, es sei nicht erinnerlich, ob insoweit eine Belehrung des Antragstellers stattgefunden habe. Insoweit spricht derzeit alles dafür, dass der Inhalt der Anhörung vom 22.4.2010 einem Verwertungsverbot unterfällt.

Danach hat der Antragsgegner seiner Ermessensentscheidung über die vorläufige Dienstenthebung und Einbehaltung der Dienstbezüge einen Sachverhalt zugrunde gelegt, der nach derzeitigem Erkenntnisstand aller Voraussicht nach nicht hätte zugrunde gelegt werden dürfen, weil er zum Teil, bezogen auf die Anzahl der kinderpornografischen Darstellungen nicht ordnungsgemäß festgestellt worden war und zum Teil, bezogen auf den Zeitraum des Besitzes dieser kinderpornografischen Darstellungen, aller Voraussicht nach auf eine Erkenntnisquelle gestützt ist, die einem Verwertungsverbot unterliegt. Liegt aber einer Ermessensbetätigung ein unrichtiger oder nicht ordnungsgemäß festgestellter Sachverhalt zugrunde, so erweist sich grundsätzlich auch die darauf gestützte Ermessensausübung als fehlerhaft

vgl. nur Kopp/Schenke, VwGO, 16. Auflage, § 114 Rdnr. 12; Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 4. Auflage, § 114 Rdnr.13 m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 2.7.1992 – 5 C 51/90 -, zitiert nach juris.

Der vorliegende Ermessensfehler ist vorliegend auch nicht unter den Aspekten einer möglichen Ermessensreduzierung auf Null oder eines wirksamen Nachschiebens von Ermessenserwägungen unbeachtlich. Die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen dafür liegen hier nicht vor.

Es kann vor diesem Hintergrund auch dahinstehen, ob der Auffassung des Verwaltungsgerichts gefolgt werden kann, dass auch schon der zeitlich nicht näher eingegrenzte Besitz von (nur) 10 kinderpornografischen Bilddateien - auf der Tatbestandsseite des § 38 SDG - ausreichend für die Verhängung der Höchstmaßnahme im Disziplinarverfahren gegenüber dem Antragsteller sei. Ebenso kann offen bleiben, ob - wofür aus der Sicht des Senats einiges spricht - aus dem Gesamtergebnis des strafrechtlichen Ermittlungs- und Gerichtsverfahrens Feststellungen abgeleitet werden können, die die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller im Besitz eines Mehrfachen von 10 kinderpornografischen Bilddateien gewesen ist. Denn ungeachtet dessen ist es den Disziplinargerichten verwehrt, ausgehend von ihren eigenen Annahmen zu den auf der Tatbestandsseite relevanten Tatsachen die Ermessensentscheidung des Antragsgegners nach § 38 SDG durch ihre eigene Ermessensentscheidung zu ersetzen. Es ist vielmehr allein Sache des Antragsgegners, die von ihm getroffene Ermessensentscheidung nach § 38 SDG, gegen deren Rechtmäßigkeit wegen Ermessensfehlgebrauchs ernstliche Zweifel bestehen, durch eine erneute Ermessensentscheidung, die auf eine ordnungsgemäße Tatsachengrundlage gestützt ist, zu ersetzen

vgl. BVerwG, Beschluss vom 21.9.2000 - 1 DB 7/00 - sowie vom 16.11.1999 - 1 DB 8/99 -, jeweils zitiert nach juris.

Der Antrag des Antragstellers hatte daher Erfolg. Die begehrte Aussetzung nach § 63 SDG war daher auszusprechen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 77 Abs. 4 SDG, 154 Abs. 1 VwGO.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.

(1) Die Entscheidung über eine Disziplinarmaßnahme ergeht nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Disziplinarmaßnahme ist nach der Schwere des Dienstvergehens zu bemessen. Das Persönlichkeitsbild des Beamten ist angemessen zu berücksichtigen. Ferner soll berücksichtigt werden, in welchem Umfang der Beamte das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit beeinträchtigt hat.

(2) Ein Beamter, der durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, ist aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Dem Ruhestandsbeamten wird das Ruhegehalt aberkannt, wenn er als noch im Dienst befindlicher Beamter aus dem Beamtenverhältnis hätte entfernt werden müssen.

Gründe

1

Die Beschwerde des Beklagten hat mit der Maßgabe Erfolg, dass der Rechtsstreit gemäß § 133 Abs. 6 VwGO, § 69 BDG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen ist. Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegen vor, weil das Berufungsurteil auf der vom Beklagten geltend gemachten Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG beruht.

2

Der Beklagte, ein Bundesbahnobersekretär, wurde im Jahr 1999 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr und im Jahr 2001 wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit versuchtem Betrug jeweils zu einer Geldstrafe verurteilt. Im Jahr 2003 wurde gegen den Beklagten wegen Urkundenfälschung in Tatmehrheit mit 13 sachlich zusammenhängenden Fällen des Missbrauchs von Scheck- und Kreditkarten eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verhängt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die jeweils sachgleichen Disziplinarverfahren wurden eingestellt (§ 27 BDO und § 32 Abs. 1 Nr. 3 BDG). Im November 2006 wurde der Beklagte wegen versuchten Betrugs in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten verurteilt, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Auf die sachgleiche Disziplinarklage erkannte das Verwaltungsgericht wegen eines außerdienstlichen Dienstvergehens auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.

3

1. Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich nicht nur zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt, sondern auch zur Rechtslage zu äußern, und verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei kann es in besonderen Fällen auch geboten sein, die Verfahrensbeteiligten auf eine Rechtsauffassung hinzuweisen, die das Gericht der Entscheidung zugrunde legen will. Es kann im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags zur Rechtslage gleichkommen, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte. Allerdings ist zu beachten, dass das Gericht grundsätzlich weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet ist. Auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, müssen daher die Verfahrensbeteiligten grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und ihren Vortrag darauf einstellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <144 f.> und Urteil vom 14. Juli 1998 - 1 BvR 1640/97 - BVerfGE 98, 218 <263> jeweils m.w.N.).

4

Nach diesen Grundsätzen war das Berufungsgericht verpflichtet, vor seiner Entscheidung über die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts diesen darauf hinzuweisen, dass es aufgrund der gegen den Beklagten ausgesprochenen Freiheitsstrafe von 11 Monaten bei einem außerdienstlichen Dienstvergehen von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis quasi als Regelmaßnahme ausgehen würde, von der nur bei Vorliegen besonderer, gewichtiger Milderungsgründe abgewichen werden kann. Wie die Ausführungen auf Seite 13 des Berufungsurteils belegen, ist der Verwaltungsgerichtshof der Sache nach davon ausgegangen, dass die Verhängung einer Freiheitsstrafe im Strafverfahren, die nur wenig unterhalb der sich aus § 48 Satz 1 Nr. 1 BBG a.F. (§ 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG) ergebenden Grenze liegt, für das Disziplinarverfahren ohne Weiteres die Dienstentfernung nach sich zieht. Diese Rechtsansicht widerspricht der Rechtsprechung des Disziplinarsenats des Bundesverwaltungsgerichts zur Bedeutung einer im Strafverfahren verhängten Freiheitsstrafe für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme im sachgleichen Disziplinarverfahren. Der Disziplinarsenat hat in dem im Berufungsurteil genannten Urteil vom 8. März 2005 (BVerwG 1 D 15.04 - Buchholz 232 § 77 BBG Nr. 24 S. 16) festgestellt, dass wegen der Eigenständigkeit des Disziplinarrechts der strafrechtlichen Einstufung des Falles durch das Strafmaß im eigentlichen Sinne keine präjudizielle Bedeutung für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme zukommt. Demnach ist es ausgeschlossen, vom Ausspruch einer Freiheitsstrafe von weniger als einem Jahr zwingend auf die Dienstentfernung zu schließen, ohne weitere bemessungsrelevante Umstände i.S.d. § 13 Abs. 1 BDG in den Blick zu nehmen. Dies gilt zumal in Betrugsfällen, in denen stets eine Abwägung der fallbezogenen erschwerenden und entlastenden Umstände stattzufinden hat, wobei der Höhe des Schadens besondere Bedeutung zukommt (vgl. unten S. 5 f.).

5

Ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter muss auch unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht damit rechnen, dass ein Gericht ohne Hinweis in einer für den Ausgang des Verfahrens entscheidenden Frage von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht. Ausweislich der dem Senat vorliegenden Gerichtsakten bot der Ablauf des gerichtlichen Verfahrens aus Sicht des Beklagten bis zur Zustellung des Berufungsurteils auch keine Veranlassung, die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Bedeutung der im sachgleichen Strafverfahren verhängten Freiheitsstrafe für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme anzusprechen und vorsorglich einer Abweichung von diesen Grundsätzen entgegenzutreten. Der Beklagte ist davon überrascht worden, dass das Berufungsgericht die Dienstentfernung in Abweichung von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ausschließlich auf die verhängte Freiheitsstrafe gestützt hat.

6

Das Berufungsurteil beruht auch auf dem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des Vorbringens, das der Beklagte in der Beschwerdebegründung dargelegt hat, zu einer ihm günstigeren Entscheidung gelangt wäre (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Februar 1994 - 1 BvR 765, 766/89 - BVerfGE 89, 381 <392 f.>). Hätte das Berufungsgericht den Beklagten vor dem Urteil über seine Erwägungen zur Bedeutung einer Freiheitsstrafe für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme in Kenntnis gesetzt, so hätte der Beklagte seinerseits darauf verweisen können, dass diese mit den Grundsätzen des Bundesverwaltungsgerichts zum Verhältnis von Freiheitsstrafe und Bemessung einer Disziplinarmaßnahme gerade nicht in Einklang stehen. Dies hätte dazu führen können, dass das Berufungsgericht seinen Bemessungserwägungen eine mildere Disziplinarmaßnahme als die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis zugrunde gelegt hätte.

7

2. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

Nach der Grundsatzentscheidung des Disziplinarsenats vom 30. August 2000 - BVerwG 1 D 37.99 (BVerwGE 112, 19), die das Leitbild des Beamten als Vorbild für den Rest der Bevölkerung in allen Lebenslagen verabschiedet hat, hat der Senat im Urteil vom 25. März 2010 - BVerwG 2 C 83.08 (zur Veröffentlichung in BVerwGE bestimmt) zwar zur Auslegung gesetzlicher Begriffe wie "besondere Eignung zur Vertrauensbeeinträchtigung" auf das Strafrecht abgestellt. Er hat aber auch in dieser Entscheidung hervorgehoben, dass nur vorsätzlich begangene schwerwiegende Straftaten, die mit einer Freiheitsstrafe geahndet worden sind, auch ohne Bezug auf das konkrete Amt zu einer Ansehensschädigung führen. Wie schwerwiegend eine außerdienstliche Straftat ist, hängt unter anderen von den Umständen des konkreten Einzelfalles (hier versuchter Betrug) und vom Strafrahmen für die verwirklichten Delikte (hier: 5 Jahre im Höchstmaß) ab. Der Senat hat deshalb lediglich für den Ausnahmefall des außerdienstlichen sexuellen Missbrauch eines Kindes gemäß § 176 Abs. 1 StGB (Rn. 18 und LS, a.a.O.) entschieden, dass aufgrund der Schwere eines solchen Dienstvergehens gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG als Richtschnur für die Maßnahmebemessung die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bzw. die Aberkennung des Ruhegehalts zugrunde gelegt werden kann.

8

Bei einem außerdienstlich begangenen Betrug ist die Variationsbreite, in der gegen fremdes Vermögen gerichtete Verfehlungen denkbar sind, zu groß, als dass sie einheitlichen Regeln unterliegen und in ihren Auswirkungen auf Achtung und Vertrauen gleichermaßen eingestuft werden können. Stets sind die besonderen Umstände des Einzelfalls maßgebend. In Fällen des innerdienstlichen Betrugs zum Nachteil des Dienstherrn ist der Beamte in der Regel aus dem Dienst zu entfernen, wenn im Einzelfall Erschwerungsgründe vorliegen, denen keine Milderungsgründe von solchem Gewicht gegenüberstehen, dass eine Gesamtbetrachtung nicht den Schluss rechtfertigt, der Beamte habe das Vertrauen endgültig verloren. Je gravierender die Erschwerungsgründe in ihrer Gesamtheit zu Buche schlagen, desto gewichtiger müssen die Milderungsgründe sein, um davon ausgehen zu können, dass noch ein Rest an Vertrauen zum Beamten vorhanden ist. Erschwerungsgründe können sich z.B. aus Anzahl und Häufigkeit der Betrugshandlungen, der Höhe des Gesamtschadens, der missbräuchlichen Ausnutzung der dienstlichen Stellung oder dienstlich erworbener Kenntnisse sowie daraus ergeben, dass die Betrugshandlung im Zusammenhang mit weiteren Verfehlungen von erheblichem disziplinarischen Eigengewicht, z.B. mit Urkundenfälschungen stehen (Urteile vom 28. November 2000 - BVerwG 1 D 56.99 - Buchholz 232 § 54 Satz 2 BBG Nr. 23; vom 26. September 2001 - BVerwG 1 D 32.00 - Buchholz 232 § 77 BBG Nr. 18 und vom 22. Februar 2005 a.a.O.; Beschluss vom 14. Juni 2005 - BVerwG 2 B 108.04 - NVwZ 2005, 1199 <1200>). Aus der Senatsrechtsprechung lässt sich der Grundsatz ableiten, dass beim einem Gesamtschaden von über 5 000 € die Entfernung aus dem Dienst ohne Hinzutreten weiterer Erschwerungsgründe gerechtfertigt sein kann (Beschluss vom 24. Februar 2005 - BVerwG 1 D 1.05 - juris m.w.N.). Derartige Bemessungsgrundsätze gelten auch für außerdienstliche Betrugsfälle und Veruntreuungen (Urteil vom 24. November 1998 - BVerwG 1 D 36.97 - Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 16; Beschluss vom 3. Juli 2007 - BVerwG 2 B 18.07 - Buchholz 235.1 § 69 BDG Nr. 1 Rn. 12).

9

Für die Zumessungsentscheidung müssen weiter die in § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG genannten Bemessungskriterien ermittelt und mit dem ihnen zukommenden Gewicht eingestellt werden. Insoweit kann von Bedeutung sein, dass der Beklagte nach den tatsächlichen Feststellungen im Berufungsurteil in dem relativ kurzen Zeitraum von der Erhebung der Disziplinarklage vor dem Verwaltungsgericht (Ende Juli 2007) bis zum Berufungsurteil (27. Mai 2009) seinen Schuldenstand von 25 000 € immerhin um 10 000 € reduzieren konnte. Auch sind die Gründe einzubeziehen, die für die Einstellung der früheren Disziplinarverfahren maßgebend waren.

Tenor

Die Berufung der Beamtin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart - Disziplinarkammer - vom 04. Februar 2010 - ... - wird zurückgewiesen.

Die Beamtin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Gründe

 
I.
Die am ... geborene Beamtin trat nach dem Erwerb der mittleren Reife im ... und einem daran anschließenden einjährigen Berufskolleg am ... unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf als Steueranwärterin in die Finanzverwaltung des Landes Baden-Württemberg ein. Nachdem sie am ... die Wiederholung der Laufbahnprüfung für den mittleren Dienst mit der Note „ausreichend“ (7,41 Punkte) bestanden hatte, wurde sie am ... unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zur Steuerassistentin z.A. ernannt und beim Finanzamt ... in einem Veranlagungsbezirk eingesetzt. Zum ... wurde sie zum Finanzamt ... versetzt, bei dem sie ebenfalls in der Veranlagung eingesetzt wurde. Am ... wurde die Beamtin zur Steuerassistentin ernannt, am ... wurde sie in die Besoldungsgruppe A 6 (Steuersekretärin) übergeleitet. Am ... wurde die Beamtin an das Finanzamt ... zurückversetzt und weiterhin in einem Veranlagungsbezirk eingesetzt. Am ... wurde sie zur Steuerobersekretärin befördert. Am ... wurde ihr die Eigenschaft einer Beamtin auf Lebenszeit verliehen. Die letzte dienstliche Beurteilung der Beamtin zum Stichtag 01.01.2002 lautete auf das Gesamturteil 5,5 Punkte („entspricht den Leistungserwartungen“).
Die Beamtin ist verheiratet und hat ... Kinder. Sie verfügte im Februar 2004 über ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 1.749,19 EUR, ihr Ehemann als ... über etwa 1.960 EUR. Nach der Dienstenthebung beträgt das Nettoeinkommen der Beamtin ca. 822 EUR.
Mit seit dem 24.09.2005 rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts ... vom 05.09.2005 - ... - wurde gegen die Beamtin wegen zweier Vergehen der tateinheitlichen Einkommensteuerhinterziehung und Hinterziehung von Solidaritätszuschlag gemäß §§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 2, 150 AO, §§ 1 Abs. 1, 2, 25 EStG, § 56 EStDVO, §§ 1, 2 SolZG, § 52 StGB sowie ein Vergehen der tateinheitlichen Urkundenfälschung sowie Einkommensteuerhinterziehung und Hinterziehung von Solidaritätszuschlag im besonders schweren Fall gemäß §§ 267 StGB, 52 StGB, §§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 2, 150 AO, §§ 1 Abs. 1, 2, 25 EStG, § 56 EStDVO, §§ 1, 2 SolZG eine Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Beamtin wurde in dem Strafbefehl folgender Sachverhalt zur Last gelegt:
„Die Angeklagte war Sachbearbeiterin für die Veranlagung von Einkommensteuer für Steuerpflichtige mit den Anfangsbuchstaben „...“ beim Finanzamt .... Beim Finanzamt ... wurde u.a. die Mutter der Angeklagten, ..., veranlagt, die im selben Haus wie die Angeklagte selbst wohnt.
Fälle 1 und 2a
Unter bewusster Ausnutzung ihrer Funktion als Veranlagungsbeamtin gab die Angeklagte aufgrund jeweils neuen Tatentschlusses jeweils höhere als die in den Lohnsteuerkarten vom Arbeitgeber tatsächlich bescheinigten Steuerabzugsbeträge bei der Erfassung und Bearbeitung der Einkommensteuererklärungen 1998 und 1999 ihrer Mutter an. Wie von der Angeklagten vorhergesehen und beabsichtigt, ergaben sich aufgrund der Anrechnung der vermeintlich erhöhten Steuerabzugsbeträge zugunsten ... in 1998 ein ungerechtfertigt hoher Erstattungsbetrag und in 1999 ein Erstattungsbetrag statt einer Nachzahlung auf die Einkommensteuer und den Solidaritätszuschlag. Im einzelnen:
Fall
Datum
Manipulierter
Bescheid
Festgesetzte
ESt / Soli lt.
Bescheid DM
Steuerabzug
vom Lohn
ESt / Soli lt.
Bescheid DM
Steuerabzug
vom Lohn
ESt / Soli lt.
Prüfung DM 
Verkürzte
ESt / Soli DM
Verkürzte
ESt / Soli EUR
(gerundet)
1       
09.06.00
3872,00 /
40,00
5536,00 /
304,48
4051,00 /
49,51
1485,00 /
254,97
759 /
130      
2a   
24.01.01
5626,00 /
309,43
8268,00 /
454,74
4167,00 /
38,79
4101,00 /
415,95
2097 /
213      
Fall 2 b
Bzgl. des Veranlagungsjahres 1999 änderte die Angeklagte die in den Steuerakten befindliche Lohnsteuerkarte der ... wie folgt handschriftlich ab, um bei einer Überprüfung der Steuerakten den Eindruck zu erwecken, die höheren Steuerabzugsbeträge seien bereits vom Arbeitgeber eingetragen worden.
10 
1999
Ursprüngliche
Bescheinigung DM
Eintragung nach
Änderungen der
Angeklagten DM
Lohnsteuer
4166,00
8268,00
Kirchenlohnsteuer
333,24
661,44
Soli
38,79
474,74
11 
Fall 3
12 
Zu einem näher nicht mehr aufklärbaren Zeitpunkt ab 22.02.01 erfuhr die Angeklagte durch ein mitangehörtes Telefonat ihres Kollegen, dass die mittels der verfälschten Lohnsteuerkarte fingierten Steuererstattungsbeträge entdeckt waren. Aufgrund neuen Tatentschlusses und wiederum unter Missbrauch ihrer Position beim Finanzamt ... veranlasste sie daher am 06.06.01 die Erstellung eines neuen Bescheids vom 11.06.01, in dem die Steuerabzugsbeträge zwar korrigiert, nunmehr jedoch - positive - Einkünfte aus Vermietung in Höhe von 4046 DM fälschlicherweise als Verlust von 4046 DM ausgewiesen wurden. Dies führte zwar zur Wiedergutmachung der im Fall 2a eingetretenen Einkommensteuerverkürzung, zugleich jedoch zur erneuten Einkommensteuerhinterziehung und Hinterziehung von Solidaritätszuschlag zugunsten von ... wie folgt:
13 
Datum
Bescheid
ESt / Soli lt.
Bescheid DM
Festzusetzende
ESt / Soli lt.
Prüfung DM
Verkürzte
ESt / Soli DM
Verkürzter
Soli DM (EUR)
11.06.01
4068,00 /
79,20
6112,00 /
336,16
2044,00 /
256,92
1042 /
131      
14 
Bereits am 13.01.2004 wurde der Beamtin die Führung der Dienstgeschäfte vorläufig verboten. Mit Verfügung vom 11.03.2004, die der Beamtin am 12.03.2004 zugestellt wurde, leitete die Oberfinanzdirektion ... gegen die Beamtin das förmliche Disziplinarverfahren ein und bestellte eine Untersuchungsführerin und den Vertreter der Einleitungsbehörde. Mit Schreiben vom 01.04.2004 zeigte der frühere bevollmächtigte Rechtsanwalt der Beamtin deren Vertretung im Disziplinarverfahren an.
15 
Mit Verfügung der Oberfinanzdirektion ... vom 06.04.2004 wurde die Beamtin vorläufig des Dienstes enthoben. Zugleich wurde die Einbehaltung der Hälfte ihrer Besoldungsbezüge verfügt.
16 
Mit Verfügung vom 22.04.2004 wurde das förmliche Disziplinarverfahren im Hinblick auf das strafrechtliche Ermittlungsverfahren ausgesetzt. Nach Rechtskraft des Strafbefehls vom 05.09.2005 wurde es fortgeführt.
17 
Den Termin zur Vernehmung gemäß § 55 LDO am 06.03.2006 nahm die Beamtin in Anwesenheit ihres damaligen Bevollmächtigten wahr und führte hinsichtlich ihrer Person unter anderem aus, dass sie sich zur Zeit in psychologischer/psychiatrischer Behandlung befinde; ansonsten lägen keine Krankheiten vor. In der Sache wurde mit Zustimmung der Beamtin und des Vertreters der Einleitungsbehörde der Sachverhalt, so wie er im Strafbefehlsverfahren zu Grunde gelegt wurde, auch im Disziplinarverfahren zu Grunde gelegt. Zusätzlich wurde der Beamtin der weitere Vorwurf gemacht, sie habe Arbeitszeiten manipuliert. Die Beamtin gab bei der Vernehmung zur Sache unter anderem an: Sie habe seit 1999 massive Eheprobleme gehabt, da ihr Mann fremd gegangen sei. Es sei ein ständiges Auf und Ab gewesen, bis im Dezember 1999 nochmals ein Versuch gestartet worden sei, die Ehe zu retten. Sie habe damals privat wie auch im Amt keine Ansprechpartner gehabt. Sie habe sich über die Folgen der Taten keine Gedanken gemacht. Auch im Nachhinein könne sie sich die Tat nicht erklären. Es sei wie ein Grauschleier gewesen. Ihre Mutter habe sich nach dem Tod ihres Vaters Sorgen um die finanziellen Verhältnisse gemacht und diese ihr gegenüber geäußert. Aus Mitleid habe sie dann beim Erstellen der Erklärung die Steuerabzugsbeträge entsprechend geändert. Sie habe sich im Herbst 2004 Hilfe beim Hausarzt und im Dezember 2004 bei einer Psychologin geholt. Sie befinde sich seit Dezember 2004 wegen depressiver Verstimmungen in Behandlung und sei es immer noch. Zeitweilig habe sie auch Medikamente genommen. Die Beamtin übergab insoweit eine nervenärztliche Bescheinigung der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. ... - ohne Datum -, in der der Beamtin eine leichte bis mittelgradige depressive Episode bescheinigt wird. Die Beamtin habe sich seit Dezember 2004 in größeren Abständen wegen der Depression vorgestellt. Unter „Zusammenfassung“ heißt es in der Bescheinigung:
18 
„Frau ... stand in den Jahren 1999 und 2000 unter schwerer seelischer Belastung durch Ehekrise und unerfülltem Kinderwunsch und beschreibt eine depressive Grundstimmung, Angst, Selbstunsicherheit. Im Jahr 2000 kam der plötzliche Tod des Vaters, der der Familie Halt gegeben hatte, so dass die Sorge um ihre Mutter zunahm und sie die finanzielle Situation der Mutter falsch bewertete.
19 
Seit Dezember 2004 kann ich die mittelgradige depressive Störung bestätigen, die bei ihr mit depressiver Grundstimmung, eingeengter affektiver Schwingungsfähigkeit, Zukunftsängsten, Selbstwertproblematik und Rückzug aus sozialen Bezügen einhergeht.
20 
Zusammenfassend ist zu überlegen, ob im Rahmen der 1999 und 2000 [sich] bestehenden depressiven Reaktion bei den schweren situativen Belastungen eine in gewisser Beziehung geminderte Schuldfähigkeit bestand, wobei sie wohl das Unrecht der Tat einsah, aber nicht nach dieser Einsicht handeln konnte.“
21 
Mit Schreiben vom 17.10.2006 wies die Untersuchungsführerin die Beamtin darauf hin, dass sich aus den beigezogenen Akten ergebe, dass schon bei der erstmaligen Veranlagung der Einkommensteuererklärung 1998 der Eltern im September 1999 (und nicht erst im Rahmen der Abänderung des Einkommensteuerbescheids der Eltern für das Jahr 1998 mit Bescheid vom 09.06.2000) überhöhte Steuerabzugsbeträge berücksichtigt und dadurch Steuern verkürzt worden seien, so dass insoweit der Sachverhalt, wie er im Strafbefehl zu Grunde gelegt worden sei, nach den im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren aufgefundenen Unterlagen nicht zutreffend sein könne. Der Sachverhalt werde deshalb insoweit auch nicht dem förmlichen Disziplinarverfahren zu Grunde gelegt. Die Vorwürfe wurden daraufhin dahingehend abgeändert, dass der Beamtin nunmehr Steuerhinterziehung in vier rechtlich selbständigen Handlungen zu Gunsten Dritter und im Amt sowie Urkundenfälschung und -unterdrückung und ein Verwahrungsbruch im Amt vorgeworfen wurde.
22 
Mit Schreiben vom 02.03.2007 führte der Verteidiger der Beamtin aus, er habe auf Grund eines ausführlichen Gesprächs feststellen müssen, dass die Beamtin gesundheitlich nicht in der Lage sei, sich einer weiteren Beschuldigtenvernehmung zu stellen. Mit Schreiben vom 12.03.2007 gab der Verteidiger der Beamtin an, diese werde keine Angaben mehr machen, selbst wenn sie gesund wäre. In einer ärztlichen Bescheinigung der Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie ... vom 14.05.2007 wird ausgeführt, dass die Beamtin derzeit nicht in der Lage sei, eine mehrstündige Verhandlung durchzustehen.
23 
Mit Schreiben vom 22.11.2007 beantragte der Vertreter der Einleitungsbehörde die Bestellung eines Betreuers für die Beamtin wegen deren Verhandlungsunfähigkeit gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 1 LDO. Im Weiteren legte der Verteidiger der Beamtin eine nervenärztliche Bescheinigung von Frau Dr. ... vom 18.03.2005 vor, in der die Diagnose einer leichten bis mittelgradigen depressiven Episode nach schwerer situativer Belastung gestellt wird. Die depressive Reaktion stehe im Zusammenhang mit ihrer momentanen Situation, dem schwebenden Verfahren, wobei sich die Beamtin wegen ihrer damaligen Verfehlung schwere Selbstvorwürfe mache. Ihr sei ein mildes Antidepressivum rezeptiert worden. Ein Sachverständigengutachten des Gesundheitsamtes ..., Dr. ..., vom 04.10.2007 an das Amtsgericht ... zur Verhandlungsfähigkeit der Beamtin gelangte zu folgendem Ergebnis:
24 
„Aus physischer Sicht ist Frau ... fähig, einer Verhandlung von drei Stunden zu folgen. Sehr bedenklich allerdings ist ihre offensichtliche Unfähigkeit, sich zu konzentrieren und bei einer Vernehmung genaue und verlässliche Angaben in ihrem eigenen Interesse zu machen. Dies kann dazu führen, dass sie ohne eigenes Verschulden von ihren Angaben vom März 2006 abweichende Angaben machen wird. Die reaktive Depression verlangsamt und erschwert das Denken und die für eine Vernehmung und Verhandlung erforderliche Flexibilität der Kognition. Insgesamt resultiert das Bild einer kognitiven Insuffizienz wie bei Prüfungsangst. …
25 
Ob Frau ... bereits im Zeitpunkt der Vorvernehmung im März 2006 bzw. zum Zeitpunkt der Einleitung des Disziplinarverfahrens ebenfalls bereits verhandlungsunfähig gewesen ist, kann der Sachverständige wegen des zeitlichen Ablaufs bis zu der Untersuchung vom 27.09. nicht beurteilen. Die voraussichtliche Dauer der psychogenen kognitiven Insuffizienz dürfte sich auf die Verfahrensdauer erstrecken. …. Aus ärztlicher Sicht ist Frau ... vorübergehend, mindestens jedoch für die verbleibende Verfahrensdauer nicht verhandlungsfähig.“
26 
Mit Beschluss vom 18.12.2007 - 1 XVII 127/2007 - wies das Amtsgericht ... den Antrag auf Bestellung eines Betreuers für die Beamtin zur Wahrnehmung der Rechte im Disziplinarverfahren ab. Zur Begründung hieß es: Die von dem Sachverständigen diagnostizierten Umstände reichten nicht aus, um von vollständiger Verhandlungsunfähigkeit auszugehen. Aus der persönlichen Anhörung der Beamtin vor Gericht werde geschlossen, dass eine Verhandlung mit der Betroffenen zwar schwierig, jedoch unter Berücksichtigung ihrer Einschränkungen möglich sei. Des Weiteren sei die Bestellung eines Betreuers auch nicht erforderlich, da sie einen Anwalt mit ihrer Vertretung beauftragt habe.
27 
Mit Schreiben vom 06.03.2008 beantragte der Verteidiger der Beamtin, das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einzustellen. Es stehe fest, dass die Beamtin schon zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens erkrankt gewesen sei. Es hätte schon damals einer Betreuerbestellung gemäß § 20 Abs. 2 LDO bedurft.
28 
Am 09.04.2008 fand eine weitere Beschuldigtenvernehmung zu dem erweiterten Untersuchungsgegenstand statt, an der nicht die Beamtin, sondern nur deren Verteidiger teilnahm.
29 
Mit Schreiben vom 30.04.2008 teilte der Vertreter der Einleitungsbehörde mit, dass das Verfahren fortgesetzt werde. Zum Zeitpunkt der Zustellung der Einleitungsverfügung hätten keine Anhaltspunkte dafür vorgelegen, dass die Beamtin krank oder verhandlungsunfähig gewesen sei.
30 
In seiner abschließenden Stellungnahme vom 03.07.2008 machte der Verteidiger der Beamtin geltend: Gemäß § 19 LDO sei der Sachverhalt, wie er sich aus dem rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts... ergebe, auch dem Disziplinarverfahren zu Grunde zu legen. Eine Ausweitung der Ermittlungen sei weder geboten noch zulässig gewesen. Es liege zudem ein Verfahrenshindernis vor, da die Beamtin verhandlungsunfähig sei und diese Verhandlungsunfähigkeit bereits zu Beginn des Verfahrens bestanden habe.
31 
In einem zur Dienstfähigkeit der Beamtin eingeholten amtsärztlichen Zeugnis des Landratsamtes ..., Dr. ..., vom 21.07.2008 wird unter anderem ausgeführt:
32 
„Die Beamtin hat den Dienst bis heute nicht wieder aufnehmen können, weil die reaktive Depression sich nicht hat bessern können, da ein Abschluss des für die Beamtin belastenden Disziplinarverfahrens nicht eingetreten ist. … Die Beamtin wird dahingehend beurteilt, dass sie spätestens sechs Monate nach einem für sie positiv ausgehenden Abschluss des Disziplinarverfahrens mindestens hälftig wieder in den Dienst einsteigen kann mit einer Stufung bis zum vollen Dienstumfang um je ein Viertel in Abstand von jeweils zwei Monaten.“
33 
Am 03.11.2008 hat der Vertreter der Einleitungsbehörde der Disziplinarkammer beim Verwaltungsgericht Stuttgart die Anschuldigungsschrift vorgelegt, in der der Beamtin vorgeworfen wird:
34 
1. Hinterziehung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag im Amt zugunsten Dritter bei der erstmaligen Veranlagung der Einkommensteuererklärung ... 1998 (Einkommensteuerbescheid 1998 vom 20.09.1999, freigegeben am 15.09.1999)
35 
2. Hinterziehung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag im Amt zugunsten Dritter bei der Abänderung des Einkommensteuerbescheides ... 1998 (Einkommensteuerbescheid 1998 vom 09.06.2000, freigegeben am 06.06.2000)
36 
3. Hinterziehung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag im Amt zugunsten Dritter bei der erstmaligen Veranlagung der Einkommensteuererklärung ... 1999 (Einkommensteuerbescheid 1999 vom 24.01.2001, freigegeben am 19.01.2001)
37 
4. Urkundenfälschung durch Abänderung der Steuerabzugsbeträge auf der Lohnsteuerkarte 1999 von Frau ...
38 
5. Hinterziehung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag im Amt zugunsten Dritter bei der Abänderung des Einkommensteuerbescheids ... 1999 (Einkommensteuerbescheid 1999 vom 11.06.2001, freigegeben am 06.06.2001)
39 
6. Urkundenunterdrückung und Verwahrungsbruch im Amt durch Verbringen der Veranlagungsakten ... in die Altaktenregistratur und weitere Manipulationshandlungen
40 
7. Hinterziehung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag zugunsten Dritter beim Erstellen der Einkommensteuererklärung ... 2001
41 
8. Unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst und Manipulation von Arbeitszeiten in der Zeit von Anfang Februar 2003 bis Mitte Mai 2003
42 
9. Verstoß gegen das Gebot der Unparteilichkeit bei Amtshandlungen
43 
Durch diese Verstöße habe die Beamtin die Pflichten, ihr Amt uneigennützig und nach bestem Wissen und Gewissen zu verwalten und mit ihrem Verhalten der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die ihr Beruf erfordert, dem Dienst nicht ohne Genehmigung des Dienstvorgesetzten fernzubleiben sowie die Pflicht zur Unparteilichkeit verletzt. Die Beamtin habe ein schweres Dienstvergehen begangen, indem sie anderen vorsätzlich und fortgesetzt mit erheblicher krimineller Energie ungerechtfertigte Steuervorteile verschafft habe, obwohl sie öffentliche Aufgaben wahrzunehmen gehabt habe. Sie sei für den öffentlichen Dienst untragbar und ihr Verbleiben im Dienst dem Dienstherrn nicht mehr zumutbar.
44 
Der Verteidiger der Beamtin hat im Verfahren vor der Disziplinarkammer geltend gemacht: Es liege ein Verfahrenshindernis vor, das zur Einstellung des Disziplinarverfahrens führen müsse. Die Feststellungen der Ärztin Dr. ... würden den Verdacht nahe legen, dass die Beamtin bereits bei Einleitung des Verfahrens, vor allem auch schon bei der Vernehmung der Beamtin im März 2006 verhandlungsunfähig gewesen sei. Vorsorglich sei weiterhin davon auszugehen, dass gemäß § 19 LDO von dem Sachverhalt, wie er sich aus dem rechtskräftigen Strafbefehl ergebe, auszugehen sei. Eine Ausweitung der Ermittlungen sei weder geboten noch zulässig gewesen. Es lägen zudem Milderungsgründe vor: Die Beamtin habe sich zum Zeitpunkt der Tat in einer schweren Ehekrise befunden. Die unklare Situation habe sie in besonders starker Weise belastet. Sie habe deshalb in einem rational nicht nachvollziehbaren Akt versucht, von ihr geliebte Menschen an sich zu binden, ihnen zu helfen und die letztlich wirtschaftlich nicht sehr sinnvollen Manipulationen an den Steuererklärungen ihrer Mutter vorgenommen. Insoweit sei zumindest an eine verminderte Schuldfähigkeit zu denken. Durch die Ermittlungen und die Dauer des Verfahrens hätten sich die psychischen Belastungen der Beamtin trotz positiven Ausgangs der Ehekrise verschärft. Die reaktive Depression habe sich derart entwickelt, dass die Beamtin nicht mehr verhandlungsfähig sei. Zudem sei ihr Mann wegen psychischer Folgen einer Konfliktsituation am Arbeitsplatz arbeitsunfähig geschrieben. Die Beamtin sei geständig und sehe das Unrecht ihres Tuns vollständig ein.
45 
Die Beamtin hat in der Hauptverhandlung hilfsweise die Erhebung eines medizinisch-sachverständigen Gutachtens auf neurologisch-psychologischem Gebiet zu ihrer Verhandlungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens und zu der Frage ihrer erheblich verminderten Schuldfähigkeit zum Zeitpunkt der Tatbegehung beantragt.
46 
Mit Urteil vom 04.02.2010 hat die Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts Stuttgart die Beamtin aus dem Dienst entfernt. Zur Begründung hat sie ausgeführt: Die Verhandlungsunfähigkeit der Beamtin sei kein Verfahrenshindernis. Sie sei durch einen Verteidiger vertreten, so dass ihre Rechte ausreichend gewahrt werden könnten. Ein solches Verfahrenshindernis habe auch nicht in der Vergangenheit während des Untersuchungsverfahrens bestanden. Sie befinde sich erst seit September 2004, also nach Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens wegen einer reaktiven Depression in ärztlicher Behandlung. Sie sei am 06.03.2006 zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen vernommen worden, ohne dass dabei Schwierigkeiten aufgetreten wären. Auch auf Grund des Beschlusses des Amtsgerichts ... stehe fest, dass die Beamtin hinreichend verhandlungsfähig gewesen sei. In der Sache legte die Disziplinarkammer ihrer Entscheidung den der Beamtin in der Anschuldigungsschrift vorgeworfenen Sachverhalt zu Grunde. Danach habe die Beamtin schuldhaft ein einheitliches Dienstvergehen begangen und gegen ihre Verpflichtungen aus § 73 Satz 2 LBG, § 73 Satz 3 LBG, § 91 LBG sowie gegen §§ 77 Abs. 1 LBG, 82 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO verstoßen. Es bestünden keine Zweifel an der schuldhaften Begehung der fraglichen Verstöße. Die Beamtin sei zum Zeitpunkt der Tatbegehung weder krankgeschrieben gewesen noch habe sie sich in laufender medizinischer Behandlung befunden. Wegen einer Affäre des Ehemannes könne zwar ein psychischer Ausnahmezustand als wahr unterstellt werden, allerdings könne dieser mangels Behandlungsbedürftigkeit nicht von erheblicher Schwere gewesen sein. Die Eheprobleme seien nach der - unklaren - Aussage der Beamtin spätestens Ende 2000 vorüber gewesen, so dass diese Ausnahmesituation bei der Begehung der Taten hinsichtlich der Steuererklärungen 1999, der Steuererklärung ..., der Verdunklungshandlungen und der Arbeitszeitverstöße keine maßgebliche Rolle mehr habe spielen können. Die Beamtin habe mit ihrem Verhalten gegen die sie treffenden Beamtenpflichten im Kernbereich in besonderer Schwere verstoßen. Sie habe gerade diejenigen Pflichten verletzt, für deren Einhaltung sie durch ihre Tätigkeit zu sorgen gehabt habe. Die Taten hätten sich über eine erhebliche Zeitdauer hingezogen und noch dadurch an Gewicht gewonnen, dass die Beamtin mit erheblicher Intensität versucht habe, ihre Manipulationen zu vertuschen. Dies bedeute, dass nur eine Entfernung der Beamtin aus dem Dienst in Frage komme. Die hilfsweise gestellten Beweisanträge führten zu keiner Beweisaufnahme. Ein Unterhaltsbeitrag sei der Beamtin nicht zu bewilligen, da sie nach ihrer wirtschaftlichen Lage angesichts des Verdienstes ihres Ehemannes nicht der Unterstützung bedürftig sei.
47 
Gegen das am 26.02.2010 zugestellte Urteil hat die Beamtin am 11.03.2010 Berufung eingelegt. Zur Begründung führt ihr Verteidiger aus: Es liege ein Verfahrenshindernis vor, das zur Einstellung des Disziplinarverfahrens führen müsse. Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht die Verhandlungsfähigkeit der Beamtin angenommen. Sie leide unter einer reaktiven Depression, die schon im Dezember 2004 bestanden habe. Die Feststellungen in den ärztlichen Bescheinigungen der Frau Dr. ... legten zumindest den Verdacht nahe, dass auf Grund der Erkrankung der Beamtin, die ja in engem Zusammenhang mit dem Verfahren stehe, bereits bei Einleitung des Verfahrens, vor allem auch schon bei der Vernehmung im März 2006 Verhandlungsunfähigkeit bestanden habe. Die Ablehnung der Betreuerbestellung durch das Amtsgericht sei dabei unerheblich. Zum einen habe das Amtsgericht dies damit begründet, dass die Beamtin anwaltlich vertreten sei, zum anderen könne die Verhandlungsunfähigkeit im März 2006 nicht durch die erst später beantragte Bestellung eines Betreuers durch das Amtsgericht ... geheilt werden. Es sei nichts darüber bekannt, ob und inwieweit die Beamtin bei ihrer Vernehmung in der Lage gewesen sei, die Vorgänge für sich richtig einzuordnen. In diesem Zusammenhang erweise es sich als fehlerhaft, dass die Disziplinarkammer den Beweisanträgen nicht stattgegeben habe. Bei der Wahl der Disziplinarmaßnahme seien zu Gunsten der Beamtin zu würdigende Milderungsgründe nicht berücksichtigt worden. Es sei an eine verminderte Schuldfähigkeit zu denken, nachdem sich die Beamtin im Zeitpunkt der Tat in einer schweren Ehekrise befunden habe. Durch die Ermittlungen und die Dauer des Verfahrens hätten sich die psychischen Belastungen der Beamtin trotz positiven Ausgangs der Ehekrise stark verschärft. Zudem sei ihr Ehemann, ein ... im mittleren Dienst, wegen psychischer Folgen einer Konfliktsituation am Arbeitsplatz arbeitsunfähig geschrieben; ihm drohe eine Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit. Eine Entfernung aus dem Dienst würde über das Schicksal der Beamtin selbst hinausreichen und zu psychischen und wirtschaftlichen Folgen für sie selbst und ihren Ehemann führen, die neben der bereits erfolgten strafrechtlichen Verurteilung in keinem angemessenen Verhältnis zu den vorgeworfenen Dienstvergehen mehr stünden und unter Fürsorgegesichtspunkten vermieden werden müssten. Es sei auch zu berücksichtigen, dass nach amtsärztlicher Aussage mit einer Wiederherstellung dauernder Dienstfähigkeit der Beamtin ein halbes Jahr nach einem für diese positiven Ausgang des Disziplinarverfahrens gerechnet werden könne. Die Beamtin sei voll geständig und sehe das Unrecht ihres Tuns vollständig ein. Im Hinblick auf die wirtschaftlichen Folgen einer Entfernung aus dem Dienst für die aus zwei psychisch kranken und allenfalls eingeschränkt erwerbsfähigen Beamten bestehende Familie sei zumindest ein Unterhaltsbeitrag festzusetzen.
48 
Die Beamtin beantragt,
49 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart - Disziplinarkammer - vom 04. Februar 2010 - ... - zu ändern und das Disziplinarverfahren einzustellen, hilfsweise auf eine mildere Disziplinarmaßnahme als die Entfernung aus dem Dienst zu erkennen, weiter hilfsweise ihr einen Unterhaltsbeitrag zu bewilligen.
50 
Der Vertreter der obersten Dienstbehörde beantragt,
51 
die Berufung zurückzuweisen.
52 
Er verteidigt das angefochtene Urteil. Das Verwaltungsgericht habe zu Recht die Verhandlungsfähigkeit der Beamtin bejaht. Die Beamtin sei durch einen Verteidiger vertreten gewesen, so dass sie ihre Rechte ausreichend habe wahren können. Eine Verhandlungsunfähigkeit sei auch dem amtsärztlichen Attest vom 21.07.2008 nicht zu entnehmen. Das Vorliegen einer reaktiven Depression führe nicht zu einem Verfahrenshindernis. Dieses Thema sei bereits Gegenstand im Beschluss des Amtsgerichts ... gewesen, mit dem ein Antrag auf Bestellung eines Betreuers zurückgewiesen worden sei. Die Diagnose „Leichte bis mittelgradige depressive Episode nach schwerer situativer Belastung“ lasse nicht auf eine bestehende Verhandlungsunfähigkeit schließen. Zudem habe sich die Beamtin erst nach Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens wegen einer reaktiven Depression in Behandlung begeben. Sie sei am 06.03.2006 vernommen worden, ohne dass dabei Schwierigkeiten aufgetreten seien. Weiterhin sei die Beamtin erst seit dem 01.12.2006 fortlaufend krankgeschrieben. Die vom Gericht ausgesprochene Disziplinarmaßnahme sei nicht zu beanstanden. Eine Weiterbeschäftigung der Beamtin sei dem Dienstherrn nicht zumutbar. Die schwerwiegenden Pflichtverletzungen hätten zum totalen Vertrauensverlust des Dienstherrn in die Amtsführung der Beamtin geführt.
53 
Dem Senat liegen die Personal- und Personalnebenakten der Beamtin, die Untersuchungsakten, die Disziplinarakten, die Strafakten des Amtsgerichts ... sowie die einschlägigen Akten der Disziplinarkammer vor.
II.
54 
Die zulässige Berufung der Beamtin, gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts - Disziplinarkammer - hat keinen Erfolg.
55 
Der Senat hat die Rechtslage nach der Landesdisziplinarordnung in der Fassung vom 25.04.1991 (GBl. S. 227), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 15.12.1997 (GBl. S. 552) - LDO - zu beurteilen. Zwar ist die LDO nach Art. 27 Satz 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Neuordnung des Landesdisziplinarrechts - LDNOG - vom 14.10.2008 (GBl. S. 343) am 22.10.2008 außer Kraft getreten. Doch werden nach Art. 26 Abs. 3 Satz 1 LDNOG förmliche Disziplinarverfahren, in denen im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes (22.10.2008) der Beamte bereits zur Vernehmung nach § 55 LDO geladen war, bis zu ihrem unanfechtbaren Abschluss nach bisherigem Recht fortgeführt.
56 
1. Das Disziplinarverfahren ist nicht nach §§ 83 Abs. 1 Nr. 2, 74 Abs. 1, Abs. 3, 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LDO einzustellen. Nach diesen Vorschriften ist das Disziplinarverfahren einzustellen, wenn es nicht rechtswirksam eingeleitet oder sonst unzulässig ist.
57 
Diese Voraussetzungen sind auch dann gegeben, wenn der Beamte bei Zustellung der Einleitungsverfügung im Sinne des § 20 Abs. 1 LDO verhandlungsunfähig und für ihn ein Betreuer nach § 20 Abs. 2 Nr. 1 LDO nicht bestellt war (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.01.2001 - 1 D 31.99 -, juris; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 25.03.1981 - DH 1/81 -). Zwar steht nach § 20 Abs. 1 LDO der Einleitung und Durchführung eines Disziplinarverfahrens nicht entgegen, dass der Beamte verhandlungsunfähig ist, doch ist ihm in diesem Fall nach § 20 Abs. 2 Nr. 1 LDO auf Antrag der Einleitungsbehörde ein Betreuer zu bestellen. Unterbleibt dies im Fall der Verhandlungsunfähigkeit, kann die Einleitungsverfügung an den Beamten nicht wirksam zugestellt werden mit der Folge, dass ein zur Einstellung des Disziplinarverfahrens führender Mangel im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LDO vorliegt.
58 
Zum Zeitpunkt der Einleitung des Disziplinarverfahrens mit Zustellung der Einleitungsverfügung am 12.03.2004 war die Beamtin allerdings nicht verhandlungsunfähig im Sinne des § 20 Abs. 1 LDO. Verhandlungsunfähigkeit liegt dann vor, wenn der Beamte nicht in der Lage ist, die Bedeutung des Disziplinarverfahrens und der einzelnen Verfahrensvorgänge zu erkennen und sich sachgemäß zu verteidigen. Verhandlungsunfähigkeit des Beamten setzt allerdings nicht notwendig die Fähigkeit voraus, selbst Argumentations- und Verhandlungsstrategien zu entwickeln, weil dies in erster Linie Aufgabe eines Prozessbevollmächtigten ist. Um verhandlungsfähig zu sein, muss der Beamte in jeder Lage des Verfahrens imstande sein, sich zu verteidigen. Dies erfordert sowohl die Fähigkeit, anderen verständlich zu machen, was vorgetragen werden soll, als auch diejenige, das in sich aufzunehmen und zu verstehen, was andere erklären (BVerwG, Urteil vom 24.09.2009 - 2 C 80.08 -, BVerwGE 135, 24 m.w.N.). Mithin musste die Beamtin zum Zeitpunkt der Zustellung der Einleitungsverfügung nach ihrer geistigen und seelischen Verfassung in der Lage gewesen sein, den Inhalt der Einleitungsverfügung zu verstehen und sich sachgerecht zu verteidigen, also zumindest einen Verteidiger zu bestellen und diesen für das Disziplinarverfahren zu informieren (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 09.03.1989 - DH 22/88 -). Für den Senat bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Zustellung der Einleitungsverfügung am 12.03.2004 nicht erfüllt gewesen wären. Für die Beamtin hat sich am 01.04.2004 und somit alsbald nach Zustellung der Einleitungsverfügung ihr ehemaliger Bevollmächtigter Rechtsanwalt ... bestellt; im gesamten Verfahren hat die Beamtin auch nicht geltend gemacht, den Inhalt der Einleitungsverfügung nicht verstanden zu haben oder ihren Verteidiger nicht für das Disziplinarverfahren informieren zu können. Aus den dem Senat vorliegenden ärztlichen Attesten ergibt sich nichts anderes. Aus den Attesten der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie Dr. ... sowie den Angaben der Beamtin bei ihrer Vernehmung am 06.03.2006 folgt, dass sich die Beamtin (erst) ab Dezember 2004 und damit nach Einleitung des Disziplinarverfahrens in psychotherapeutische Behandlung begab. Im Attest vom 18.03.2005 führt Dr. ... aus, dass sich die Beamtin drei Mal in ihre psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung begeben habe und eine leichte bis mittelgradige depressive Episode nach schwerer situativer Belastung diagnostiziert werden könne. Die Beamtin sei affektiv herabgestimmt mit Zukunftsängsten, Selbstwertproblematik und Rückzug aus sozialen Bindungen. Sie wolle sich am liebsten verkriechen, stimmungsmäßig gehe es bei ihr auf und ab. Die depressive Reaktion stehe im Zusammenhang mit ihrer momentanen Situation (dem schwebenden Verfahren), wobei sich die Beamtin wegen der damaligen Verfehlung schwere Selbstvorwürfe mache. Es sei ihr ein mildes Antidepressivum verschrieben worden. Aus diesen Angaben, der Diagnose und Beschreibung des Krankheitsbildes kann aber nicht einmal ansatzweise gefolgert werden, dass die Beamtin bei Einleitung des Disziplinarverfahrens nicht in der Lage gewesen wäre, den Inhalt der Einleitungsverfügung zu verstehen oder sich sachgerecht im oben beschriebenen Sinne zu verteidigen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der nervenärztlichen Bescheinigung Dr. ... - ohne Datum, nach den Angaben des Verteidigers der Beamtin wohl aus dem Januar 2006 stammend -. In dieser wird unter Nennung der gleichen Diagnose („Leichte bis mittelgradige depressive Episode“) ein gleiches Krankheitsbild gezeichnet und eine mittelgradige depressive Störung seit Dezember 2004 bestätigt. Die weiteren Überlegungen beschäftigen sich lediglich mit Mutmaßungen zu einer „in gewisser Beziehung geminderten Schuldfähigkeit“ bei Begehung der der Beamtin vorgeworfenen Taten in den Jahren 1999 und 2000. Die Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie ... bescheinigte unter dem 14.05.2007 nur, dass die Beamtin derzeit nicht in der Lage sei, eine mehrstündige Vernehmung durchzustehen. Im amtsärztlichen Attest des Dr. ... vom 20.06.2007 wird lediglich davon gesprochen, dass im Dezember 2004 „eine Depression begann“, im Sachverständigengutachten des Dr. ... vom 04.10.2007 für das Verfahren auf Bestellung eines Betreuers vor dem Amtsgericht ... wird von einer „reaktiven Depression seit ca. Herbst 2004“ gesprochen und weiter ausgeführt, dass der Sachverständige die Frage, ob die Beamtin bereits zum Zeitpunkt der Vernehmung im März 2006 bzw. zum Zeitpunkt der Einleitung des Disziplinarverfahrens verhandlungsunfähig gewesen sei, wegen des zeitlichen Abstandes zur Untersuchung nicht beurteilen könne. Das amtsärztliche Zeugnis des Dr. ... vom 21.07.2008 spricht wieder davon, dass die Beamtin seit „Dezember 2004“ unter einer reaktiven Depression leide. Im Beschluss des Amtsgerichts ... vom 18.12.2007 wird in Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Sachverständigengutachtens des Dr. ... vom 04.10.2007, der der Ansicht war, dass die reaktive Depression das Denken und die für die Vernehmung und Verhandlung der Beamtin erforderliche Kognition verlangsame und erschwere, ausgeführt, dass das Gericht die Betroffene im Rahmen der persönlichen Anhörung selbst kennengelernt und dabei festgestellt habe, dass zwar Unkonzentriertheit gegeben sei und die Betroffene auch nicht immer vollständig in der Lage gewesen sei, dem Gespräch zu folgen. Bei etwaigen Nachfragen habe sie sich jedoch zumindest für einige Zeit konzentrieren und folgerichtige Antworten geben können. Damit sei eine Verhandlung mit der Beamtin zwar schwierig, jedoch unter Berücksichtigung ihrer Einschränkungen möglich; Verhandlungsunfähigkeit nach der Disziplinarordnung sei nicht gegeben. Anhaltspunkte, warum dies bei Einleitung des Disziplinarverfahrens zum Zeitpunkt der Zustellung der Einleitungsverfügung am 12.03.2004 anders gewesen sein könnte, sind damit für den Disziplinarsenat nicht ersichtlich.
59 
Entsprechendes gilt für die Vernehmung der Beamtin gemäß § 55 LDO am 06.03.2006, so dass der weiteren Frage, welche rechtlichen Folgen die Verhandlungsunfähigkeit der Beamtin bei dieser Vernehmung bei mangelnder Bestellung eines Betreuers gehabt hätte (vgl. dazu GKÖD, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, Band II § 19 BDO RdNr. 7a), nicht weiter nachgegangen werden muss, nachdem ein solcher Mangel des Verfahrens in § 60 LDO nicht ausdrücklich erwähnt ist. Zwar ist zu dem Zeitpunkt der Vernehmung am 06.03.2006 davon auszugehen, dass die Beamtin an einer leichten bis mittelgradigen Depression gelitten hat. Doch sind in den zeitnah erstellten Attesten der sie behandelnden Fachärztin Dr. ... keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass diese Diagnose und das mit ihr einhergehende Krankheitsbild zu einer Verhandlungsunfähigkeit der Beamtin geführt haben. Die Beamtin selbst hat bei ihrer Vernehmung am 06.03.2006 lediglich angegeben, dass sie in psychologischer / psychiatrischer Behandlung sei. Sie habe sich Hilfe beim Hausarzt und später bei der Psychologin geholt, weil es nicht mehr weitergegangen sei; zeitweilig habe sie auch Medikamente genommen. Anhaltspunkte dafür, dass die Beamtin bei ihrer Vernehmung nicht in der Lage gewesen ist, anderen verständlich zu machen, was vorgetragen werden soll, sowie, das in sich aufzunehmen und zu verstehen, was andere erklären, sind nicht ersichtlich. Ihre Angaben sind schlüssig und lassen auch ohne Weiteres darauf schließen, dass die Beamtin das verstanden hat, was sie gefragt oder was ihr erklärt worden ist. Im gesamten Verfahren haben weder die Beamtin noch ihre Bevollmächtigten geltend gemacht, dass und welche (der) Angaben der Beamtin bei ihrer Vernehmung am 06.03.2006 unzutreffend oder unter Einschränkung ihrer Verteidigungsfähigkeit zustande gekommen sind. Erst mit Schreiben vom 02.03.2007 hat der Verteidiger der Beamtin ausgeführt, dass er in einem ausführlichen Gespräch mit der Beamtin habe feststellen müssen, dass diese gesundheitlich derzeit nicht in der Lage sei, sich einer Vernehmung zu stellen. Ihr früherer Bevollmächtigter hatte etwaige Defizite, die zu einer Verhandlungsunfähigkeit führen könnten, hingegen vor oder bei der Vernehmung der Beamtin am 06.03.2006 nicht geltend gemacht. Die Beamtin hat in der Sache die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt und damit zu erkennen gegeben, dass die Feststellung des Dienstvergehens, die auch auf ihren Angaben bei der Vernehmung vom 06.03.2006 beruhte, nicht zu beanstanden ist und hat zuletzt noch einmal im Berufungsverfahren vortragen lassen, dass sie voll geständig sei und das Unrecht ihrer Taten einsehe. Schließlich ist nochmals darauf abzustellen, dass das Amtsgericht ... in seinem Beschluss vom 18.12.2007 eine Verhandlungsunfähigkeit der Beamtin nicht hat feststellen können. Auch liegen fortlaufende Krankschreibungen erst seit dem 01.12.2006 vor.
60 
Für die Disziplinarkammer bestand auch kein Anlass, den nicht innerhalb der Äußerungsfrist des § 63 Abs. 2 LDO (vier Wochen nach Zustellung der Anschuldigungsschrift am 07.11.2008) und damit verspätet (§ 64 LDO) gestellten Beweisantrag vom 21.12.2009 zur Frage der Verhandlungsunfähigkeit der Beamtin zum Zeitpunkt der Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens nachzugehen. Unter den dargelegten Umständen hat sie zu Recht eine weitere Beweisaufnahme zur Frage der Verhandlungsunfähigkeit der Beamtin auch im Rahmen ihrer Aufklärungspflicht nicht für erforderlich gehalten (vgl. von Alberti/Gayer/Roskamp, LDO, § 64 LDO RdNr. 4).
61 
2. In der Sache ist die Berufung der Beamtin - wie sich aus dem Schriftsatz ihres Verteidigers vom 19.03.2010 ergibt - auf das Disziplinarmaß beschränkt. Eine solche Beschränkung hat zur Folge, dass der Senat an die durch die Disziplinarkammer getroffenen Tat- und Schuldfeststellungen sowie an die disziplinarrechtliche Würdigung als Dienstvergehen gebunden ist. Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.2006 - 1 D 5.05 -, Buchholz 235 § 82 BDO Nr. 7; Urteil des Senats vom 10.03.2008 - DL 16 S 5/07 -) gehören zu den bindenden Feststellungen die zum konkreten historischen Vorgang getroffenen Feststellungen, mit denen die Verletzungshandlung in Bezug auf den Tatbestand des angenommenen Pflichtenverstoßes gekennzeichnet wird (etwa zur Frage der Eigennützigkeit, zur Anzahl der Teilakte oder des Zeitpunktes auch des Tatentschlusses) und die Feststellungen zur Form des Verschuldens (Vorsatz oder Fahrlässigkeit). Zusätzliche oder abweichende Feststellungen können nur noch getroffen werden, soweit sie sich zu den bindenden Tat- und Schuldfeststellungen nicht in Widerspruch setzen und ausschließlich für die Bestimmung des Disziplinarmaßes von Bedeutung sind.
62 
Mithin steht infolge der Beschränkung der Berufung auf das Disziplinarmaß für den Disziplinarsenat im Berufungsverfahren bindend fest, dass die Beamtin mit den von der Disziplinarkammer festgestellten Verfehlungen der Einkommensteuerhinterziehung und Hinterziehung von Solidaritätszuschlag, der Urkundenfälschung, der Urkundenunterdrückung und des Verwahrungsbruchs im Amt sowie des unerlaubten Fernbleibens vom Dienst und der Manipulation von Arbeitszeiten schuldhaft die ihr obliegenden Beamtenpflichten aus § 73 Satz 2 LBG (Pflicht, das Amt uneigennützig und nach bestem Gewissen zu verwalten), § 73 Satz 3 LBG (Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten), § 91 LBG (Pflicht, dem Dienst nicht ohne Genehmigung des Dienstherrn fernzubleiben), § 77 Abs. 1 LBG, § 82 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (Pflicht zur Unparteilichkeit) verletzt und damit ein einheitliches Dienstvergehen begangen hat.
63 
Der Senat hat damit nur noch darüber zu entscheiden, ob die von der Disziplinarkammer ausgesprochene Entfernung aus dem Dienst (§ 11 LDO) gerechtfertigt oder aber, was die Beamtin anstrebt, auf eine mildere Disziplinarmaßnahme zu erkennen ist.
64 
Der Senat teilt die von der Disziplinarkammer getroffene Einschätzung, dass auf Grund des festgestellten - schwerwiegenden - Dienstvergehens die Entfernung der Beamtin aus dem Dienst unumgänglich ist. Das Berufungsvorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung.
65 
Maßgebend für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist das Eigengewicht der Pflichtverletzung, d.h. die Schwere des Dienstvergehens. Hierfür können bestimmend sein die objektive Handlung (insbesondere Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzung sowie besondere Umstände der Tatbegehung, etwa Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens), subjektive Handlungsmerkmale (insbesondere Form und Gewicht der Schuld des Beamten, Beweggründe für sein Verhalten) sowie unmittelbare Folgen des Dienstvergehens für den dienstlichen Bereich und Dritte, z.B. der materielle Schaden (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.10.2005 - 2 C 12.04 -, BVerwGE 124, 252). Die gegen einen Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller belastenden und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (BVerfG, Beschl. vom 08.12.2004 - 2 BvR 52/02 -, BVerfGK 4, 243).
66 
Die hier im Vordergrund des disziplinaren Vorwurfs stehende Steuerhinterziehung, mit der der Anspruch des Staates auf den vollen und rechtzeitigen Ertrag aus jeder einzelnen Steuer verkürzt wird, ist im Hinblick auf den dem Staat verursachten Schaden ein schweres Wirtschaftsdelikt. Dies belegt bereits der Strafrahmen. Danach ist Steuerhinterziehung mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, in besonders schweren Fällen bis zu zehn Jahren (§ 370 Abs. 1 und 3 AO) bedroht. Ein Beamter, der sich der Steuerhinterziehung schuldig macht, verletzt damit in schwerwiegender Weise die ihm obliegende Pflicht, der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Beruf erfordert (ebenso BayVGH, Urteil vom 24.09.2008 - 16a D 07.2849 -, juris). Dabei wirkt sich besonders nachteilig aus, wenn der Beamte sich oder einem Dritten durch strafbares Verhalten unberechtigte Steuervorteile verschafft, obwohl er öffentliche Aufgaben wahrzunehmen hat und durch öffentliche Mittel alimentiert wird. Dies beeinträchtigt in erheblichem Maße sein Ansehen und das Ansehen der Beamtenschaft insgesamt, auf das der Staat in besonderem Maße angewiesen ist, wenn er die ihm gegenüber der Allgemeinheit obliegenden Aufgaben sachgerecht erfüllen will. Über die Ansehensschädigung hinaus führt ein solches Verhalten grundsätzlich auch zu erheblichen Zweifeln an der Vertrauenswürdigkeit des Beamten. Dies gilt in besonderem Maße bei einem Finanzbeamten, dessen Aufgabe es gerade ist, die an den Staat abzuführenden Steuern korrekt festzusetzen und in diesem Zusammenhang auch die Steuerpflichtigen zur Steuerehrlichkeit und zu einem ordentlichen Erklärungsverhalten anzuhalten hat (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteile vom 30.05.2006 - 21d A 3905/05.O -, ZBR 2006, 420 und vom 07.08.2001 - 15d 4172/00.O -, DÖD 2003, 40). Im vorliegenden Fall kommt zu diesen allgemein für die Steuerhinterziehung geltenden Grundsätzen (vgl. dazu auch: Claussen/Janzen, Bundesdisziplinarrecht, S. 141) noch besonders erschwerend für die Beamtin hinzu, dass sie die Steuerhinterziehung in Ausübung ihres Amtes begangen hat. Denn die Verwaltung - insbesondere die Finanz- und Steuerverwaltung, deren Funktionieren jede öffentliche Aufgabenerfüllung letztlich erst möglich macht (vgl. VG des Saarlandes, Urteil vom 13.03.2009 - 7 K 2125/07 -, juris) - ist auf die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit ihrer Beamten angewiesen, wenn sie ihre Aufgaben gegenüber der Allgemeinheit sinnvoll und auftragsgerecht erfüllen will. Dabei betrifft die Tat einer Steuerbeamtin, die bei Ausübung ihres Dienstes durch manipulierte Steuererklärungen nicht bestehende Steuererstattungen erwirkt, den Kernbereich ihrer dienstlichen Obliegenheiten. Besonders gravierend tritt hier hinzu, dass die Beamtin die steuerlichen Vorteile zu Gunsten ihrer Mutter unter bewusster Ausnutzung ihrer dienstlichen Aufgaben und Möglichkeiten erwirkt hat. Vollkommen zu Recht hat die Disziplinarkammer dazu noch darauf abgestellt, dass sich die Taten der Beamtin über eine erhebliche Zeitdauer hingezogen und noch dadurch an Gewicht gewonnen haben, dass die Beamtin mit erheblicher Intensität versucht hat, ihre Manipulationen zu vertuschen (so durch Manipulation der Grunddaten, Abfangen der Kontrollmitteilung und Beseitigung der Akte). Zudem hat die Beamtin mit der Steuerhinterziehung noch weitere strafbare Urkundsdelikte begangen. All dies führt dazu, dass sich die Beamtin für den Dienst als (Steuer-)Beamtin als untragbar erwiesen hat.
67 
Die von der Beamtin, die an der Hauptverhandlung im Berufungsverfahren nicht teilgenommen hat, zu ihren Gunsten im Berufungsverfahren vorgetragenen Milderungsgründe rechtfertigen keine andere disziplinarrechtliche Bewertung ihres Handelns.
68 
So ist zunächst nicht der Milderungsgrund des Handelns in einer psychischen Ausnahmesituation gegeben. Eine solche Situation wird in aller Regel hervorgerufen durch den plötzlichen unvorhergesehen Eintritt eines Ereignisses, das gemäß seiner Bedeutung für die besonderen Lebensumstände des Betroffenen bei diesem einen seelischen Schock auslöst, der seinerseits zu der Begehung des Dienstvergehens führt (BVerwG, Urteil vom 09.05.2001 - 1 D 22.00 -, BVerwGE 114, 240; Urteil des Senats vom 24.06.2010 - 16 S 3391/08 -). Einen solchen Schock, der zur Begehung des Dienstvergehens der Beamtin geführt haben könnte, vermag der Senat nicht zu erkennen. Zwar mag sich die Beamtin wegen einer schweren Ehekrise und des Todes ihres Vaters durchaus in einer sie schwer belastenden und schwierigen persönlichen Situation befunden haben, die auch Auswirkungen auf ihre psychische Gesundheit gehabt haben könnte. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass diese das Gewicht einer Notlage gehabt hätte, die das - über einen langen Zeitraum, zum Teil zeitlich auch schon vor dem Tod des Vaters und mit besonderer krimineller Energie begangene - Dienstvergehen im Ansatz in einem milderen Licht erscheinen lassen könnte. Insbesondere erklären diese Umstände nicht, wieso die Beamtin gegen zentrale und leicht einsehbare Kernpflichten verstoßen und nach Begehung der Steuerhinterziehung zu deren Vertuschung noch weitere kriminelle Handlungen begangen hat. Die mit der beruflichen Situation des Ehemannes der Beamtin hervorgerufenen weiteren Belastungen, auf die die Berufungsbegründung abstellt, traten zudem erst im Jahr 2008 auf und lassen mithin das weit früher begangene Dienstvergehen der Beamtin in keinem milderen Licht erscheinen.
69 
Das Vorbringen der Beamtin, sie habe zum Zeitpunkt der Begehung des Dienstvergehens wegen ihrer Ehekrise Verlassensängste gehabt, wegen derer sie geglaubt habe, ihr nahe stehende verbleibende Personen an sich binden zu müssen, und dies sei dadurch geschehen, dass sie aus einem nicht nachvollziehbaren Entschluss die Festsetzung der Steuer gegen ihre Eltern manipuliert habe, weil sie völlig grundlos befürchtet habe, ihre Eltern gerieten in finanzielle Schwierigkeiten, kann aus denselben Gründen nicht eine mildere Bewertung des Dienstvergehens nach sich ziehen. Insbesondere vermag der Senat nicht das Vorliegen des Milderungsgrundes einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit im Sinne von §§ 20, 21 StGB zu erkennen, bei dem nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedenfalls unter den Bemessungsvorgaben des Bundesdisziplinargesetzes die Höchstmaßnahme der Entfernung aus dem Dienst regelmäßig nicht mehr ausgesprochen werden kann (BVerwG, Urteil vom 25.03.2010 - 2 C 83.08 -, juris).
70 
Erheblich verminderte Schuldfähigkeit gemäß §§ 20, 21 StGB setzt voraus, dass die Fähigkeit, das Unrecht einer Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, wegen einer Störung im Sinne von § 20 StGB bei Tatbegehung erheblich eingeschränkt war. Für die hier relevante Frage der Steuerungsfähigkeit kommt es darauf an, ob das Hemmungsvermögen so stark herabgesetzt war, dass der Betroffene den Tatanreizen erheblich weniger Widerstand als gewöhnlich entgegenzusetzen vermochte. Die Frage, ob die Verminderung der Steuerungsfähigkeit auf Grund einer krankhaften seelischen Störung „erheblich" war, ist eine Rechtsfrage, die die Disziplinargerichte ohne Bindung an die Einschätzung Sachverständiger in eigener Verantwortung zu beantworten haben. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen, seines Erscheinungsbildes vor, während und nach der Tat und der Berücksichtigung der Tatumstände, insbesondere der Vorgehensweise. Für die Annahme einer erheblichen Minderung der Schuldfähigkeit sind schwerwiegende Gesichtspunkte heranzuziehen wie etwa Psychopathien, Neurosen, Triebstörungen, leichtere Formen des Schwachsinns, altersbedingte Persönlichkeitsveränderungen, Affektzustände sowie Folgeerscheinungen einer Abhängigkeit von Alkohol, Drogen oder Medikamenten. Die Erheblichkeitsschwelle liegt umso höher, je schwerer das in Rede stehende Delikt wiegt. Dementsprechend hängt im Disziplinarrecht die Beurteilung der Erheblichkeit im Sinne von § 21 StGB von der Bedeutung und Einsehbarkeit der verletzten Dienstpflichten ab und wird die Schwelle der Erheblichkeit damit bei der Verletzung von ohne Weiteres einsehbaren innerdienstlichen Kernbereichspflichten nur in Ausnahmefällen erreicht sein (vgl. für Zugriffsdelikte: BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 2 C 59.07 -, Buchholz 235.1 § 70 BDG Nr. 3; Beschluss vom 27.10.2008 - 2 B 48.08 -, juris; Urteil des Senats vom 24.06.2010 - DB 16 S 3391/08 -).
71 
Der Senat vermag keinerlei Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass ein solcher Ausnahmefall für die Beamtin zum Zeitpunkt der Begehung des Dienstvergehens gegeben war. In keinem der im Verlauf des Disziplinarverfahrens vorgelegten Atteste wird für den Zeitpunkt des Dienstvergehens eine psychische Erkrankung beschrieben, die den Krankheitsgrad einer Psychopathie, Neurose, Triebstörung, der leichteren Form des Schwachsinns, einer altersbedingten Persönlichkeitsveränderung, eines Affektzustandes oder der Folgeerscheinung einer Abhängigkeit von Alkohol, Drogen oder Medikamenten erreicht. Im Attest der die Beamtin behandelnden Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. ... - ohne Datum - wird eine depressive Reaktion bei schwerer situativer Belastung genannt und es lediglich als überlegenswert bezeichnet, ob bei der Beamtin zum damaligen Zeitpunkt eine „in gewisser“ und damit gerade nicht in erheblicher Weise geminderte Schuldfähigkeit bestand. Das in dem ärztlichen Attest beschriebene Krankheitsbild einer depressiven Reaktion erreicht angesichts der leicht einsehbaren Kernbereichspflicht, die die Beamtin einzuhalten hatte, die Erheblichkeitsschwelle nicht. Bei depressiven Episoden auch schweren Grades, einschließlich der depressiven Reaktion, leidet der betroffene Patient unter einer gedrückten Stimmung und einer Verminderung von Antrieb und Aktivität. Die Fähigkeit zu Freude, das Interesse und die Konzentration sind vermindert. Ausgeprägte Müdigkeit kann nach jeder kleinsten Anstrengung auftreten. Der Schlaf ist meist gestört, der Appetit vermindert. Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sind fast immer beeinträchtigt. Es kommen Schuldgefühle oder Gedanken über eigene Wertlosigkeit vor. Die gedrückte Stimmung verändert sich von Tag zu Tag wenig, reagiert nicht auf Lebensumstände und kann von so genannten "somatischen" Symptomen begleitet werden, wie Interessenverlust oder Verlust der Freude, Früherwachen, Morgentief, deutliche psychomotorische Hemmung, Agitiertheit (krankhafte Unruhe, bei der es zu heftigen und hastigen Bewegungen des Patienten kommt), Appetitverlust, Gewichtsverlust und Libidoverlust (ICD 10 GM 2010, F. 32). Dies spricht aber gegen eine erhöhte Neigung zu delinquentem Handeln.
72 
Insoweit bestand auch hier für die Disziplinarkammer kein Anlass, dem ebenfalls verspätet gestellten Beweisantrag zur Frage der erheblich verminderten Schuldfähigkeit auf Grund einer psychischen Erkrankung zum Zeitpunkt der Begehung der Dienstvergehen nachzugehen.
73 
Damit vermag der Senat - ebenso wie die Disziplinarkammer - unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände, auch der langjährigen dienstlichen Unbescholtenheit der Beamtin, ihrer ordentlichen dienstlichen Beurteilungen, ihrer Einsicht in das Unrecht ihres Tuns sowie ihrer schwierigen persönlichen und familiären Situation zum Zeitpunkt der Tatbegehung, nicht zu erkennen, dass die von der Schwere des Dienstvergehens ausgehende Indizwirkung für den eingetretenen Vertrauensverlust durch vorrangig zu berücksichtigende und durchgreifende Entlastungsgründe entfallen ist und die Beamtin gegenüber ihrem Dienstherrn noch ein Restvertrauen für sich in Anspruch nehmen könnte. Die weiter von der Beamtin noch zu ihren Gunsten hervorgehobene und absehbare Wiederherstellung ihrer Dienstfähigkeit nach einem für sie positiven Ausgang des Disziplinarverfahrens ist für die Frage, ob der Dienstherr ihr noch ein Restvertrauen entgegenbringen kann, ohne ausschlaggebende Bedeutung. Ist das Vertrauensverhältnis zwischen der Beamtin und ihrem Dienstherrn zerstört, erweist sich die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als angemessene Reaktion. Die hierin liegende Härte ist für die Beamtin - auch unter familiären Gesichtspunkten, insbesondere dem Umstand, dass die Dienstfähigkeit ihres als ... tätigen Ehemannes in Frage stehen könnte - nicht unverhältnismäßig, da sie auf zurechenbarem Verhalten beruht.
74 
3. Der Senat sieht keinen Anlass, auf den weiter hilfsweise gestellten Antrag der Beamtin die Entscheidung der Disziplinarkammer über die Versagung eines Unterhaltsbeitrags nach § 75 Abs. 1 LDO zu ändern. Die Beamtin ist zwar einer solchen Unterstützung nicht unwürdig, derzeit jedoch nicht bedürftig (§ 75 Abs. 1 Satz 1 LDO). Mit der Bewilligung eines Unterhaltsbeitrags soll dem aus dem Dienst entfernten Beamten der Übergang in einen anderen Beruf oder, sofern dies wegen Alters oder Erwerbsunfähigkeit nicht mehr möglich ist, in eine andere Art der gesetzlichen Alters- oder Erwerbsunfähigkeitsversorgung erleichtert werden. Dieser Zweck des Unterhaltsbeitrags, den aus dem Dienst entfernten Beamten und dessen Familie für eine Übergangszeit vor einer finanziellen Notlage zu schützen, wobei sich der anzuerkennende Bedarf vor allem nach den aktuellen Regelsätzen, Wohnungskosten (die Beamtin lebt allerdings mietfrei in der Wohnung ihrer Mutter, wie ihr Verteidiger in der Hauptverhandlung vor dem Senat noch einmal bestätigte) und einem Zuschlag für den Krankenversicherungsbeitrag bestimmt, ist hier bereits durch die Bezüge des Ehemannes der Beamtin (zur Berücksichtigung des Einkommens des Ehegatten des Beamten vgl. BVerwG, Urteil vom 28.11.1996 - 1 D 67.96 -, Buchholz 235 § 77 BDO Nr. 3; Urteil vom 18.03.1998 - 1 D 88.97 -, BVerwGE 113, 208; von Alberti/Gayer/Roskamp, a.a.O., § 75 LDO RdNr. 8; Köhler/Ratz, BDG, 3. Aufl., § 10 BDG RdNr. 8) in Höhe von 1.960 EUR netto monatlich sichergestellt. Dass die Bezüge des Ehemannes in absehbarer Zeit durch dessen Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit geringer ausfallen werden, ist derzeit nicht hinreichend absehbar (vgl. dazu von Alberti/Gayer/Roskamp, a.a.O., § 75 LDO RdNr. 8). Der Verteidiger der Beamtin gab in der Hauptverhandlung im Berufungsverfahren an, dass sich der Ehemann der Beamtin auf Weisung seines Dienstherrn zur Wiederherstellung der Dienstfähigkeit in teilstationäre Behandlung begeben habe und ein förmliches Verfahren der Zurruhesetzung nicht eingeleitet sei.
75 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 112 Abs. 2 Satz 1 LDO.
76 
Dieses Urteil ist unanfechtbar (§ 88 LDO).

Tatbestand

1

Der Kläger ist Polizeivollzugsbeamter bei der Beklagten im Rang eines Polizeimeisters und wendet sich gegen eine Disziplinarmaßnahme in Form der Kürzung der Dienstbezüge von 1/20 für die Dauer von sechs Monaten.

2

Mit der streitbefangenen Disziplinarverfügung vom 29.08.2013 werden dem Kläger - wohl zuletzt - drei Pflichtenverstöße zur Last gelegt. Die in der Disziplinarverfügung unter Ziffern 1 bis 3 aufgeführten Pflichtenverstöße werden in der Begründung der Disziplinarverfügung als nicht erwiesen angesehen, so dass sich die Vorwürfe auf die Ziffern 4 bis 6 beschränken, welche wie folgt lauten:

3

„4. Mit der Teilnahme an der Tanzveranstaltung seiner Genesungspflicht zuwider gehandelt zu haben,

4

5. unerlaubt einer Nebentätigkeit im Sicherheitsgewerbe nachgegangen zu sein und diese nicht angezeigt zu haben und dadurch

5

6. Zweifel an seiner dienstlichen Zuverlässigkeit begründet zu haben.“

6

Zur Begründung wird in der Disziplinarverfügung ausgeführt, dass der Kläger durch die Teilnahme an der Tanzveranstaltung (Vorwurf Nr. 4) trotz Krankmeldung gegen seine Pflicht zur Wiederherstellung der vollen Dienst- und Einsatzfähigkeit (Genesungspflicht) gemäß § 34 Satz 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) verstoßen habe. Am 20.10.2012 sei er für eine Nachtschicht im RK A-Stadt für die Dienstzeit von 18.00 Uhr bis 06.00 Uhr eingeplant gewesen. Nachdem er bereits vergeblich versucht habe, diesen Dienst zu tauschen, habe er sich an dem besagten Tage gegen 16.30 Uhr aufgrund eingetretener Rückenschmerzen als nicht dienstfähig gemeldet. Gegen 21.30 Uhr sei bekannt geworden, dass der Kläger bei einer Tanzveranstaltung („Oktoberfest“) in der Gemeinde …, Ortsteil …, als Türsteher für die Sicherheitsfirma … tätig gewesen sei. Auf der Tanzveranstaltung habe er sich vier Stunden aufgehalten und damit vorsätzlich und schuldhaft seiner Genesungspflicht zuwider gehandelt. Bereits die An- und Abfahrt auf dem Beifahrersitz eines anderen Fahrzeuges habe seiner Genesung entgegen gestanden. Weiter hätte es bei der ausverkauften Veranstaltung wegen des Gedränges oder aufgrund anderer Umstände zu einer erneuten Belastung der schmerzempfindlichen Stelle oder Verschlimmerung der Beschwerden kommen können. So kam es auch gegen 0.00 Uhr zu einem Handgemenge, an dem der Kläger jedoch nicht beteiligt gewesen sei.

7

Der Kläger gehe unerlaubt einer Nebentätigkeit im Sicherheitsgewerbe nach (Vorwurf Nr. 5). So habe er selbst angegeben, mit dem Geschäftsführer der …, Herrn D…, ein „freundschaftliches Verhältnis“ zu pflegen und ihm bei Veranstaltungen beiseite zu stehen. So sei er als „Vermittler zwischen Polizei und der … tätig. Die Zeugen D., E. und F. könnten zum regelmäßigen Einsatz des Klägers als Securitykraft Aussagen machen. Demnach sei der Kläger bei etlichen der letzten zehn Oktoberfeste als Türsteher tätig gewesen.

8

Die vom Kläger im Rahmen der behördlichen Ermittlungen benannten Zeugen, Herr … dessen Partnerin Frau M… sowie Herr D… würden zwar die klägerischen Angaben bestätigen, was jedoch nicht zur Entlastung des Klägers führen könne. Denn diese seien Freunde des Klägers wohin gegen die Zeugen D., E. und F. als neutral zu bezeichnen seien.

9

Eine Tätigkeit als Türsteher am besagten 20.10.2012 könne zwar nicht festgestellt werden gleichwohl habe der Kläger eingeräumt, beratend der Sicherheitsfirma zur Seite zu stehen. Die Tätigkeit als Türsteher, Vermittler und Berater einer Sicherheitsfirma hätte der Kläger seinem Dienstherrn anzeigen müssen. Dem Kläger sei die Anzeigepflicht auch bewusst gewesen. Demnach habe der Kläger vorsätzlich und schuldhaft gegen die Gehorsamspflicht nach § 35 Satz 2 BeamtStG begangen.

10

Ebenso habe sich der Vorwurf zu Nr. 6 bestätigt, wonach der Kläger mit seiner Nebentätigkeit im Sicherheitsgewerbe seine Wohlverhaltenspflicht nach § 34 Satz 3 BeamtStG verletze. Denn der Kläger habe seine über mehrere Jahre laufende Nebentätigkeit nicht angezeigt. Hinzu komme, dass der Kläger als Türsteher und Polizeibeamter in sicherheitsrelevantem Bereich sich der Gefahr von Interessen- und Pflichtenkollisionen aussetze.

11

Im Rahmen der Gesamtabwägung sei festzustellen, dass allein der Verstoß gegen die Genesungspflicht mit einem Verweis zu ahnden sei. Hier komme jedoch der schwerwiegende Verstoß der unerlaubten Nebentätigkeit hinzu. Deshalb sei die Disziplinarmaßnahme der Gehaltskürzung wie tenoriert auszusprechen.

12

Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.10.2013 als unbegründet zurück und verwies dabei auf die Ausführungen des Ausgangsbescheides.

13

Mit der fristgerecht erhobenen Klage wendet sich der Kläger weiter gegen die Disziplinarverfügung. Seiner Auffassung nach habe er nicht gegen seine Genesungspflicht verstoßen. Denn an dem besagten Tag sei er im Anschluss an die Krankmeldung von seiner Bekannten, Frau M… massiert worden, woraufhin sich eine gewisse Besserung des Rückenleidens eingestellt habe. Zudem habe er eine Schmerztablette eingenommen. Gleichwohl habe er sich nicht dienstfähig gefühlt und sei dem Ansinnen seines Freundes, Herrn M…, gefolgt, ihn zum Oktoberfest zu begleiten. Dies sei ihm körperlich möglich gewesen. Denn entgegen der liegenden Position seien die Rückenschmerzen im überwiegend stehenden Zustand erträglich gewesen. Diesbezüglich habe er auch während der kurzen Autofahrt als Beifahrer eine Schonhaltung eingenommen.

14

Die Ausübung einer Nebentätigkeit im Sicherheitsgewerbe bestreite er. Er sei nicht als Türsteher tätig gewesen und übe diese Tätigkeit auch nicht aus.

15

Der Kläger beantragt,

16

den Disziplinarbescheid der Beklagten vom 29.08.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.10.2013 aufzuheben.

17

Die Beklagte beantragt,

18

die Klage abzuweisen

19

und verteidigt die streitbefangene Disziplinarverfügung.

20

Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung Beweis darüber erhoben, ob der Kläger als Securitykraft bei den Oktoberfesten in … tätig war durch Vernehmung der Zeugen F., D. und E. sowie R… und W….

21

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten sowie des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und das Sitzungsprotokoll sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

22

Die zulässige Klage ist begründet. Der streitbefangene Disziplinarbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

23

Zunächst sieht sich das Disziplinargericht auch in Bezug auf andere bei ihm anhängige Verfahren dazu veranlasst, darauf hinzuweisen, dass, ähnlich wie bei einer Disziplinarklage die dort explizit genannten Voraussetzungen (vgl. § 49 Abs. 2 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt; DG LSA) auch bei der behördlichen Disziplinarverfügung gelten. Denn dies ergibt sich bereits aus der Anwendung allgemeiner verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften hinsichtlich der Bestimmtheit des Verwaltungsaktes (vgl. § 3 DG LSA; § 37 VwVfG). Danach muss der in der Disziplinarverfügung dem Beamten gegenüber erhobene Pflichtenverstoß und der diesem zugrunde gelegte Sachverhalt so deutlich und klar sein, dass der Beamte sich mit seiner Verteidigung darauf einstellen kann, aber auch das zur Überprüfung berufene Disziplinargericht die Überprüfung vornehmen kann (vgl. zuletzt: VG Magdeburg, Urteil vom 14.01.2014, 8 A 12/13 MD mit Verweis auf BVerwG, Urteil vom 27.06.2013, 2 WD 5.12; beide juris). So ist es nicht nachvollziehbar, wieso in der Disziplinarverfügung die nicht mehr verfolgten Vorwürfe quasi als „Anfütterung“ weiter dargestellt werden und die verbliebenen Vorwürfe eines einheitlichen Lebenssachverhaltes inhaltlich ineinander übergreifen und somit mehrfach verwendet werden. Soweit Lebenssachverhalte mehrere disziplinarrechtlich relevante Pflichtenverstöße begründen können, müssen diese im Sinne einer Spezialitätenregelung am Schluss der Subsumtion herausgefiltert werden. Wenn Pflichtenverstöße ineinander übergehen, können diese nicht zu eigenen Pflichtenverstößen deklariert werden. Dies bedingt bereits die disziplinarrechtliche sogenannte „Einheit des Dienstvergehens“ (vgl.: VG Magdeburg, Urt. v. 04.11.2009, 8 A 19/08 MD; juris). Vorliegend ist es klar, dass ein Beamter, welcher gegen seine Genesungspflicht (Vorwurf Nr. 4) verstößt und unerlaubt einer Nebentätigkeit nachgeht (Vorwurf Nr. 5), Zweifel an seiner dienstlichen Zuverlässigkeit begründet. Dieser eigens und selbstständig und unter Nr. 6 der Disziplinarverfügung aufgeführte Pflichtenverstoß ist jedoch nicht selbstständig sondern geht in den zuvor genannten Pflichtenverstößen auf.

24

1.) Dessen ungeachtet steht zur Überzeugung der Disziplinarkammer fest, dass der Kläger durch sein Verhalten nicht gegen die sogenannte Gesunderhaltungspflicht in Form der Genesungspflicht verstoßen hat. Dabei stellt sich diese als Ausprägung der allgemeinen Wohlverhaltenspflicht und der Pflicht zur vollen Hingabe an den Beruf nach § 34 BeamtStG dar.

25

a.) Das erkennende Disziplinargericht hat sich wiederholt zu der Problematik der Gesunderhaltungs- und Genesungspflicht geäußert, wobei diese überwiegend im Zusammenhang mit einer Nebentätigkeit steht (vgl. nur: VG Magdeburg, Urteil vom 11.02.2014, 8 A 1/14; Urteil vom 17.01.2013, 8 A 6/12 MD; beide juris).

26

Die aus der allgemeinen Dienstleistung resultierende Gesunderhaltungspflicht füllt die Treuepflicht und Pflicht zur vollen Hingabe an den Beruf aus (§ 34 BeamStG). Der Genesungspflicht des Beamten widerspricht grundsätzlich, wenn der Beamte seine Kräfte nicht schont und sie vorzeitig, insbesondere zu Erwerbszwecken einsetzt, wobei es eines konkreten Nachweises, dass der Gesundungsprozess des dienstunfähigen Beamten behindert oder verzögert wurde, nicht notwendig ist. Es reicht vielmehr aus, wenn z. B. eine Nebentätigkeit generell geeignet ist, die alsbaldige und nachteilige Genesung zu beeinträchtigen. Fühlt sich der Beamte bereits im Stande, Dienstleistungen auch nur in beschränktem Umfang zu erbringen, so handelt er pflichtwidrig, wenn er sie nicht seinem Dienstherren anbietet, der ihm das Gehalt weiterzahlt und ihm aus Anlass der Krankheit soziale Vorteile gewährt (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.11.2001, 1 D 60.00; Urteil v. 15.08.2000, 1 D 77.98; Urteil v. 01.06.1999, 1 D 49.97; Bay-VGH, Beschluss vom 11.04.2012, 16b DC 11.985; VG Berlin, Urteil vom 27.03.2012, 80 K 8.11 OL; alle juris). Einem kranken, jedoch nicht dauernd dienstunfähigen Beamten obliegt es, alles ihm zumutbar Mögliche zu tun, was der Wiedererlangung seiner vollen Arbeitsfähigkeit nützt und zu unterlassen, was die Genesung verzögern oder gar hindern könnte (vgl. Weiß, Zur Gesunderhaltungspflicht des Beamten in: ZBR 1982, S. 6, 11 m. w. Nachw.). Schwere körperliche oder gefahrgeneigte Arbeit steht der Gesundung gleich welcher Erkrankung generell entgegen (VG Magdeburg, Urteil v. 11.02.2014, 8 A 1/14; juris).

27

Ein disziplinarrechtlich bedeutsamer Pflichtenverstoß setzt aber auch hier den Nachweis der Kausalität zwischen Verhalten und Gesundungsverzögerung, die Abwägung zwischen Lebensführungsrecht und Dienstpflicht und Verschulden (einschließlich Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit) voraus. Richtschnur für das geschuldete Genesungsverhalten ist grundsätzlich die konkrete ärztliche Anordnung. Wurde wegen Bandscheibenbeschwerden krankgeschrieben und wurden weder Bettruhe noch Ausgehverbot verordnet, so ist der Besuch der Vorstandssitzung des Sportvereins und vor allem mäßiger Alkoholgenuss dabei nicht ohne Weiteres der Gesundung schädlich und pflichtwidrig (BVerwG, Urteil vom 20.05.1998, 1 D 57.96; juris). Der Besuch eines Bierfestes für eine Stunde am letzten Tag der Krankschreibung – wobei auch offen bleibt, ob Bier getrunken wurde – ist nicht vorwerfbar. Gleiches gilt für den Spaziergang an frischer Luft eines von der Grippe Genesenden. Keine Gefährdung der Genesungspflicht liegt etwa bei einem Langstreckenflug nach Knieverletzung vor (VG Berlin, Urteil vom 27.03.2012, 80 K 8.11 OL; juris). Dagegen sind übertriebene, besonders kräftezehrende Betätigungen der Genesung offensichtlich schädlich. Pflichtwidrig ist stets nebenberufliche Betätigung während der Krankheit, besonders solche gegen Entgelt (vgl. zusammenfassend: Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 5. Auflage 2012, B.II.5 Rz. 29). So stellt z. B. das - berufliche - Taxifahren als Nebentätigkeit ganz allgemein eine anstrengende Tätigkeit dar, die geeignet ist, die alsbaldige und nachhaltige Genesung eines erkrankten Beamten zu verhindern (BVerwG, Urteil vom 12.02.1992, 1 D 2.91; juris). Bei einer psychischen Erkrankung mag eine gewisse körperliche Anstrengung im Sinne eines „Abschaltens“ wie bei sportlichen Aktivitäten (Jogging) dem Genesungsprozess förderlich sein. Keinesfalls kann es sein, dass der krankgeschriebene Beamte seine Krankschreibung und seine daraus resultierende Genesungs- und Erholungspflicht dazu missbraucht, eindeutig seinen Freizeitaktivitäten und damit seinem privaten Bereich zuzuordnende Tätigkeiten – wie dem Stallausbau oder der Reparatur seines Kraftfahrzeuges in einer Arbeitsbühne nachgeht (VG Magdeburg, Urteil v. 11.02.2014, 8 A 1/14 m. w. Nachw.; juris).

28

Gemessen daran, ist die von der Beklagten in der Disziplinarverfügung aufgestellte These, dass schon bei bloß genereller Eignung zur Gesundungsverzögerung das Bundesverwaltungsgericht den Pflichtenverstoß annimmt, ohne Einzelfallprüfung nicht zutreffend. Denn wie ausgeführt, ist dies stets eine Frage des Einzelfalls und des Krankheitsbildes. Dazu kommt vorliegend, dass der Kläger von der ihm eingeräumten sogenannten Dreitagesregelung gebrauch machte und somit gerade nicht über eine ärztliche Krankschreibung mit Diagnose und Verhaltenweisen verfügte. Somit fehlen von vornherein Anhaltspunkte dafür, welche (Freizeit-) Aktivitäten dem Gesundungsprozess zuwider laufen.

29

b.) Unstreitig ist davon auszugehen, dass der Kläger an dem besagten 20.10.2012 sich nachmittags gegen 16.30 Uhr telefonisch auf seiner Dienststelle wegen eines plötzlichen Rückenleidens krankmeldete und sodann am Abend gegen ca. 21.30 Uhr bis 02.00 Uhr des folgenden Tages auf dem sogenannten Oktoberfest in … als Gast teilgenommen hat. Dazu legte er eine ca. 7 km lange Wegstrecke als Beifahrer mit dem PKW zurück. Ebenso unstreitig bzw. unwiderlegbar ist, dass das Festhalten der rotierenden Waschmaschine im Schleudergang die Schmerzen im Kreuzbereich verursachte, er sodann von seiner Bekannten Frau M… am Rücken massiert wurde und er mindestens eine Schmerztablette eingenommen hat, woraufhin sich sein Leiden verbesserte. Es darf unterstellt werden, dass eine – wenn auch nicht professionelle – Massage und/oder Verwendung von Wärme, ABC-Pflaster, Salben und sonstiger Hilfsmittel derartige muskulär oder nervlich bedingte Verspannungen Linderung verschaffen. Zumindest unwiderlegbar ist die Behauptung des Klägers, dass sein Rückenleiden im stehenden Zustand wesentlich erträglicher gewesen sei als in einer liegenden oder sitzenden Position.

30

Diesen Lebenssachverhalt unterstellt, ist die Teilnahme an dem abendlichen Oktoberfest nicht als Verstoß gegen seine Genesungspflicht aufgrund des von ihm geschilderten Rückenleidens zu sehen. Denn dann ist es auch nachvollziehbar, dass der Kläger wegen der zu unterstellenden Linderung seiner Rückenbeschwerden im aufrechten Zustand, keine Bedenken dahingehend hatte, dem Rat des Freundes zu folgen, das Oktoberfest zu besuchen. Dabei ist es eben von vornherein nicht widerlegbar, dass der Kläger im stehenden Zustand weniger Schmerzen verspürte als wenn er sich hingelegt oder hingesetzt und sich etwa zu Hause ins Bett oder auf die Couch begeben hätte. Dieses subjektive Empfinden ist dem Kläger nicht mit hinreichender Sicherheit zu widerlegen, da sich Schmerzen und Schmerzempfinden individuell unterschiedlich äußern und ebenso unterschiedlich wahrgenommen werden.

31

Demnach stellt sich der Fall grundsätzlich anders dar, als wenn sich dem medizinischen Laien die notwendige Häuslichkeit aufgrund eines Leidens aufdrängt. Jedem Arbeitnehmer/Beamten wird bewusst sein, dass etwa bei einer Krankmeldung wegen Fiebers oder Schüttelfrost, Durchfalls oder Erbrechens der Erkrankte der häuslichen Ruhe, wenn nicht sogar Bettruhe bedarf und dem Besuch etwaiger Amüsementveranstaltungen entgegensteht. Gleiches gilt bei Verletzungen von Extremitäten, wie geschiente oder verbundene Füße, Beine, Arme, Hände, welche eine gewisse Ruhestellung verlangen, so dass in einem solchen Zustand keine „Tanzveranstaltung“ besucht werden kann. Besonders problematisch ist diese Einschätzung wiederum in Bezug auf psychische Erkrankungen. So kann der gesellige Besuch einer Freizeitveranstaltung den Leidensdruck einer Depression nehmen. All diese Krankheitsbilder, die zwingend der häuslichen Ruhe bedürfen, sind vorliegend aber nicht gegeben. Die These der Beklagten, dass es wegen des Gedrängels anlässlich solcher Veranstaltungen zu einer Leidensverschlechterung kommen könne, ist somit zu pauschal und nicht haltbar, zumal als Beispiel sodann ein Handgemenge genannt wurde, an dem der Kläger nicht beteiligt war. Insoweit fehlt jeder Nachweis über die Anzahl der Besucher der Veranstaltung und somit der „Besucherdichte“. Es geht zu weit und widerspricht jeder Lebenserfahrung, wenn der Besuch eines solchen Festes generell als gefahrgeneigt angesehen wird. Ebenso wird nicht vorgetragen und ist auch nicht ersichtlich, dass sich der Kläger auf dem Fest etwa durch Tanzdarbietungen sportlich oder körperlich betätigt oder dem Alkoholgenuss zugewandt hätte.

32

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Kläger sich schon im Vorfeld der Veranstaltung um den Tausch seines Dienstes bemühte. Ist dies zwar ein starkes Indiz dafür, dass er ein gesteigertes Interesse an der Teilnahme an dem „Oktoberfest“ hatte, so ist dies kein Beweis dafür, dass er seine Krankmeldung missbrauchte und ohne Krankheitsbeschwerden „blau machte“. Im Übrigen wirft dies die Disziplinarverfügung dem Kläger gerade auch nicht vor, scheint aber bei dem Vorwurf mitzuschwingen.

33

Vorliegend hat der Kläger aufgrund eigener Einschätzung von der sogenannten Dreitagesregelung (vgl. § 5 Entgeltfortzahlungsgesetz) in zulässiger Weise Gebrauch gemacht hat, das heißt sich ohne ärztliche Krankschreibung beim Dienstherrn krankgemeldet. Bedeutet dies zunächst einen großen Vertrauensvorsprung den der Dienstherr bzw. Arbeitgeber seinen Beamten bzw. Arbeitnehmern entgegenbringt, ist damit naturgemäß auch die Gefahr gegeben, dass der sich krankmeldende Beamte/Arbeitnehmer gerade ohne ärztlichen Nachweis von der Dienst- bzw. Arbeitsstätte fern bleibt. Dies kann – je nach Einzelfall und persönlichem Empfinden – dazu führen, dass Krankmeldungen „übertrieben“ vorgenommen werden, welche bei einer ärztlichen Konsultation nicht vorgenommen werden würden. Dieses Problem ist aber systemimmanent. Soweit der Dienstherr/Arbeitgeber sich diesem Risiko nicht aussetzen möchte bzw. aufgrund Vorverhaltens ein gewisser Argwohn der Krankmeldung gegenüber herrscht, steht es ihm selbstverständlich frei, den Beamten/Arbeitnehmer an dieser Regelung nicht mehr teilhaben zu lassen und ihn nach § 70 Abs. 1 Satz 2 Landesbeamtengesetz Sachsen-Anhalt (§ 5 Abs. 3 EFZG) aufzufordern, bei den ersten Anzeichen einer Erkrankung stets den Arzt bzw. Amts- oder Polizeiarzt zwecks Krankschreibung aufzusuchen (vgl. dazu: VG Magdeburg, Urteil v. 09.06.2011, 8 A 5/10; juris). Dies hat die Beklagte vorliegend nicht getan, so dass von dem grundsätzlichen Risiko der „laienbehafteten“ Krankmeldungen ausgegangen werden muss.

34

So mag es nachvollziehbar sein, dass der Kläger gegen Abend eine gewisse Besserung seiner Rückenbeschwerden verspürte, welche nach seiner laienhaften Auffassung aber eben noch nicht die Dienst- sprich Polizeifähigkeit wiederherstellte. Dabei unterliegt der Polizeivollzugsbeamten unter anderem als Waffenträger besonderen gesundheitlichen Anforderungen. Auch dem Einwand der Beklagten begegnet, dass der Kläger ohne Wiedererlangung der höher anzusetzenden Polizeidienstfähigkeit bei Wiedererlangung der allgemeinen beamtenrechtlichen Dienstfähigkeit Innendienst hätte leisten können, vermag aufgrund des hier vorliegenden Lebenssachverhaltes keine andere Sichtweise zu belegen. Denn diese Einschätzung ist wie die Krankmeldung als solche der Eigenverantwortung des Beamten geschuldet und würde medizinische Kenntnisse des Beamten voraussetzen, wonach dieser beurteilen könnte, ob er nunmehr wieder der Polizeidienstfähigkeit oder auch nur der allgemeinen Dienstfähigkeit unterliegt. Auf den Punkt gebracht: Entweder fühlt sich der Beamte/Arbeitnehmer subjektiv aufgrund eines nachvollziehbaren Lebenssachverhaltes wieder dienst-/arbeitsfähig oder eben nicht; aufgrund der Eingangs geschilderten Besonderheiten hinsichtlich der Krankmeldung muss dieses Risiko (leider) vom Dienstherrn/Arbeitgeber eingegangen werden. Setzt man einem Beamten/Arbeitnehmer dieses Vertrauen gerade nicht mehr entgegen, muss man – wie gerade geschildert – eine ärztliche Krankschreibung verlangen.

35

2.) Zur Überzeugung des Disziplinargerichts steht ebenso fest, dass der Kläger den weiter ihm unter Nr. 5 vorgeworfenen Pflichtenverstoß der unerlaubten Nebentätigkeit im Sicherheitsgewerbe nicht begangen hat. Dabei trifft auch bezüglich dieses Disziplinarvorwurfs die eingangs vorgenommene Kritik zu, dass nicht klar und eindeutig herausgearbeitet worden ist, nach welchem Lebenssachverhalt die Beklagte meint, dass der Kläger einer Nebentätigkeit nachgeht. So scheint dieser Vorwurf auch zunächst mit dem Erscheinen des Klägers trotz Krankmeldung auf dem Oktoberfest am 20.10.2012 zusammenzuhängen und erst in der weiteren Begründung der Disziplinarverfügung wird klar, dass der Vorwurf der Nebentätigkeit ihm an diesem besagten Tage nicht gemacht wird, sondern allgemein von den Vorjahren gesprochen wird. Beinhaltet auch dieser Disziplinarvorwurf schon hinsichtlich seiner Konkretheit eine viel zu große Unbestimmtheit und wären auch hier konkretisierende Daten und Ereignisse der Nebentätigkeit zu nennen, so belegt bereits die vom Gericht durchgeführte Beweisaufnahme, dass dem Kläger die vorgehaltene Nebentätigkeit anlässlich der Oktoberfeste in Eggersdorf nicht nachgewiesen werden kann. Die von der Beklagtenseite bereits im behördlichen Disziplinarverfahren und vom Gericht in der mündlichen Verhandlung erneut vernommenen Zeugen D., E. und F. konnten eindeutig und nachvollziehbar sowie glaubhaft und glaubwürdig eine solche Nebentätigkeit nicht belegen. Die genannten Zeugen waren auch auf dem Vorhalt der Beklagtenseite in der Lage, ihre vor der Polizeibehörde gemachten Angaben zu relativieren. So bemerkt das Disziplinargericht auch, dass den Protokollen der behördlichen Vernehmung mitnichten entnommen werden kann, dass die Zeugen den Kläger belastet hätten. Denn bei genauem Lesen der protokollierten Aussagen ist festzustellen, dass die Zeugen jeweils lediglich Vermutungen geäußert haben, die von der Beklagten fehlerhaft interpretiert wurden. So konnten die Zeugen dies auch in der vom Gericht durchgeführten Beweisaufnahme dahingehend erläutern, dass der Kläger aufgrund seiner schwarzen Freizeitkleidung oft mit dem Sicherheitspersonal verwechselt wird. Dies ist nachvollziehbar und auch die vom Kläger nicht bestrittene Tatsache, dass er sich oft in dem räumlichen Umfeld der Securitymitarbeiter aufhält, belegt noch nicht seine Tätigkeit für die Security. Denn auch dies ist nachvollziehbar, dass der Kläger aufgrund freundschaftlicher Verbindungen zu dem Herrn … und dem Inhaber der Sicherheitsfirma häufig mit diesen auch bei deren geschäftlicher Verrichtung zugegen ist.

36

Dem Kläger kann auch nicht vorgeworfen werden, dass er eine Nebentätigkeit im Sicherheitsgewerbe für Herrn … in der Art und Weise ausübt, dass er diesem - in welcher Form auch immer - beratend und unterstützend zur Seite steht. Diese in der mündlichen Verhandlung aufgrund der Zeugenaussage des vom Kläger sistierten Zeugen … aufgeworfene Problematik führt nicht zur Annahme einer Nebentätigkeit. Drückt der Zeuge ... sich sprachlich der gestalt aus, dass er den Kläger als „Joker“ und als „Kontaktbereichsbeamten“ ansieht, belegt dies auch nichts anderes, als dass es sich um Freundschaftsdienste handelt. Denn der Zeuge ... konnte dies auf wiederholte Nachfrage nachvollziehbar erklären, dass ihn mit dem Kläger eine tiefe Freundschaft verbindet und aufgrund der Tätigkeit des Klägers als Polizeibeamter und der Tätigkeit des Zeugen als Inhaber einer Sicherheitsfirma selbstverständlich gewisse Überschneidungen hinsichtlich der Interessen und Gespräche stattfinden. So ist es von dem sozialen Miteinander geprägt, dass der Zeuge den Kläger als Polizeibeamten über gewisse sicherheitsrelevante Situationen, wie Festnahmen oder Observationen etc. befragt und um Rat nachsucht. Eine Nebentätigkeit im Sinne des disziplinarrechtlichen Vorwurfs ist damit bei weitem noch nicht gegeben.

37

Das Disziplinargericht war bereits mehrfach mit der disziplinarrechtlichen Abgrenzung von Hobby und beamtenrechtlicher Nebentätigkeit beschäftigt. Eine Nebentätigkeit im Sinne der Vorschriften liegt vor bei einer dauerangelegten Tätigkeit, die typischerweise auf die Erzielung von Gelderwerb ausgerichtet ist. In einer solchen zweitberuflichen Tätigkeit kann die Beeinträchtigung der grundsätzlich im Rahmen des Dienst- und Treueverhältnisses dem Dienstherrn zustehenden Arbeitskraft eines Beamten liegen, weshalb dem Dienstherrn die Prüfung vorbehalten bleibt, ob die konkrete Tätigkeit Auswirkungen auf die Dienstleistung haben kann sowie zudem, ob eine Ansehensschädigung des Beamtentums insgesamt zu befürchten ist (vgl. grundlegend: BDiG Frankfurt, GB vom 29.03.1999, XIV – VL 1/99; VG Münster, Urteil vom 20.10.2011, 13 K 2137; 09.O; juris). Der Sinn der Genehmigungspflicht der Nebentätigkeit liegt darin, dass außerdienstliche Aktivitäten immer geeignet sein können, die dienstliche Leistungsfähigkeit zu beeinflussen (vgl. zusammenfassend: Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 4. Auflage 2009, S. 218 Rz. 7; S. 243 Rz. 2; VG Magdeburg, Urteil vom 18.07.2012, 8 A 13/11 MD; juris). Auch wenn eine Nebentätigkeit nur für einen kurzen Zeitraum ausgeübt wird, entfällt der diesbezügliche Tatbestand nicht (BVerwG, Urteil vom 17.03.1998, 1 D 73.96; juris).

38

Dabei ist die Abgrenzung zwischen einer dem Bereich des Freizeitverhaltens zuzuordnenden Hobbytätigkeit und einer beamtenrechtlichen Nebentätigkeit im Einzelfall schwierig. Dementsprechend ist zur Abgrenzung auch Sinn und Zweck der beamtenrechtlichen Vorschriften zur Nebentätigkeit abzustellen. Wegen des Regelungszusammenhangs muss eine Nebentätigkeit im beamtenrechtlichen Sinn eine gewisse Parallelität zum Beamtendienst aufweisen, die typischerweise im Erwerbsstreben zu sehen ist. Im Gegensatz dazu stellt die Freizeitgestaltung typischerweise das Gegenteil des Erwerbsstrebens dar. Eine Nebentätigkeit liegt demnach bei einer wirtschaftlichen Betätigung mit Gewinnerzielungsabsicht vor, wobei egal ist, ob auch tatsächlich nach Abzug der Kosten ein Gewinn erzielt wird (BVerwG, Urteil vom 11.01.2007, 1 D 16.05; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 26.02.2002, 3 A 11578/01.OVG; beide juris). Anders gewendet liegt eine Nebentätigkeit vor, wenn die (Neben)tätigkeit auf Erwerb gerichtet oder wirtschaftlich bedeutsam ist oder wenn sie den Beamten erheblich in Anspruch nimmt (Hessischer VGH, Urteil vom 24.09.2003, 1 UE 783/02 m. w. N.; juris). Für eine Einordnung als - gewerbliche Nebentätigkeit spricht insbesondere, wenn die Betätigung auf Dauer angelegt, mit einer gewissen auf Erwerb ausgerichteten Struktur erfolgt und wenn dies durch ein entsprechendes Auftreten nach Außen dokumentiert wird. Es kommt auf Dauer, Häufigkeit und Umfang der Tätigkeit an, ob die Betätigung auch materiell rechtswidrig und ob sich das Verhalten des Beamten nachteilig auf die Erfüllung seiner dienstlichen Aufgaben ausgewirkt hat (Bayerischer VGH, Urteil vom 23.03.2011, 16 b D 09.2798; juris). Hiervon auszugehen ist stets dann, wenn erkennbar allmählich ein Zweitberuf aufgebaut werden soll (VG Koblenz, Urteil vom 20.11.2001, 6 K 1546/01.KO; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.03.2002, 2 A 10067/02; zusammenfassend VG Trier, Urteil vom 10.11.2009, 3 K 361/09.TR, VG Magdeburg, Urteil vom 01.12.2011, 8 A 19/10 MD; VG Magdeburg, Urteil vom 18.07.2012, 8 A 13/11 MD; alle juris).

39

Diese Voraussetzungen zur Annahme einer Nebentätigkeit im Sinne eines Zweitberufs erfüllt das Verhalten des Klägers auch und sogar bei Unterstellung einer gewissen Beratungstätigkeit gegenüber seinem Freund und Bekannten Herrn ... bei weitem nicht. Denn derartiges Verhalten ist eindeutig dem sozialen und freundlichen Miteinander geschuldet. So mag es auch freundschaftlich bemerkenswert sein, dass der Kläger seine Freunde … und ... auch bei deren beruflichen Tätigkeiten besucht oder gar „begleitet“; gleichwohl mag dies eben auch Ausdruck der „kumpelhaften Freundschaft“ sein und der Kläger dies als Teil seiner Freizeitgestaltung ansehen. Wenn der Kläger dann und im Rahmen seiner Freizeitgestaltung aufgrund seiner Ausbildung und seines Status als Polizeibeamter gewisse Hilfestellungen leistet oder er die Polizei ruft, so macht er dies in seiner Eigenschaft als Zeuge und Bürger und nicht etwa als Mitarbeiter der Sicherheitsfirma des Zeugen .... Jedenfalls – und das ist für das Disziplinargericht aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme entscheidend – ist dem Kläger diese Tätigkeit im disziplinarrechtlichen Sinne nicht nachweisbar.

40

3.) Aufgrund dessen, die in der Disziplinarverfügung unter Nr. 4 und 5 vorgehaltenen Pflichtenverstöße nicht vorliegen bzw. nicht nachweisbar sind, bricht auch der unter Nr. 6 der Disziplinarverfügung selbstständig aufgeführte Vorwurf des „Zweifels“ an seiner dienstlichen Zuverlässigkeit „in sich zusammen“. Das Disziplinargericht hat bereits eingangs bemerkt, dass dies kein eigenständiger Disziplinarvorwurf sein dürfte.

41

4.) Dementsprechend ist die Disziplinarverfügung vollständig mit der Kostenfolge aus § 72 Abs. 4 DG LSA i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO aufzuheben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 3 DG LSA, § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


Tatbestand

1

Die 1963 geborene Klägerin wendet sich als Studienrätin (Besoldungsgruppe A 13 hD BBesO) gegen die disziplinarrechtliche Kürzung ihrer Dienstbezüge um 1/10 auf die Dauer von zwölf Monaten durch Bescheid vom 06.02.2013.

2

Im Jahre 2004 erfolgte die Verbeamtung auf Lebenszeit. Die Beamtin lebt in Lebenspartnerschaft und hat ein im Jahre 2000 geborenes Kind. Nach den Ausführungen im disziplinarrechtlichen Ermittlungsbericht sind die wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin geordnet, Vorerkrankungen sind nicht bekannt und die Dienstbezüge belaufen sich auf ca. 4.502,00 Euro brutto und 3.300,00 Euro netto. Mit Strafbefehl des Amtsgerichts ... vom Oktober 2011 (11 Cs 875 Js 31536/11) ist die Klägerin rechtskräftig seit dem 20.12.2011 wegen einer fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr bei einem Blutalkoholgehalt von 1,40 oo/o zu einer Geldstrafe von 35 Tagessätzen je 100,00 Euro verurteilt worden. Zugleich wurde die Fahrerlaubnis entzogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, vor Ablauf von neun Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

3

Disziplinarrechtlich wird der Klägerin in dem streitbefangenen Bescheid eine schuldhafte Pflichtverletzung nach den §§ 34 und 35 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) und damit die Begehung eines Dienstvergehens nach § 47 Abs. 1 BeamtStG vorgehalten. Die Klägerin habe wiederholt zumindest grob fahrlässig, Weisungen des Dienstvorgesetzten nicht befolgt. Gleiches gelte für ihre Dienstleistungs- und Gesunderhaltungspflicht nach § 34 BeamtStG.

4

Die Disziplinarverfügung führt aus, dass in Umsetzung des Sucht-Stufenplans am 16.02.2010 ein Personalgespräch mit der Klägerin geführt worden sei. Danach sei festgelegt worden, dass sie sich innerhalb von 14 Tagen bei ihrem Hausarzt wegen ihrer Alkoholproblematik einer Therapie zu melden und den Beginn dieser nachzuweisen habe. Ein Therapieplan sollte danach vorgelegt sowie der monatliche Nachweis durch eine schriftliche Bestätigung des Therapeuten erbracht werden. Nach zwei schriftlichen Aufforderungen habe die Klägerin am 06.05.2010 ein Schreiben ihres Allgemeinarztes vorgelegt, dass sie dort am 30.04.2010 wegen eines Alkoholproblems vorstellig geworden sei. Nach weiterer Aufforderung habe die Klägerin am 11.08.2010 eine Bestätigung einer Praxis für Psychotherapie vorgelegt. In einem erneuten Personalgespräch am 24.02.2011, sei die Klägerin unter dem 24.03.2011 verpflichtet worden, in der Drogen- und Suchtberatungsstelle … zwecks einer Alkoholtherapie vorzusprechen und eine Schweigepflichtentbindung abzugeben. Hierauf habe die Klägerin telefonisch mitgeteilt, dass zwei Termine von ihr wahrgenommen worden seien. Aufgrund des weiteren Personalgesprächs am 07.12.2011 sei die Klägerin unter dem 09.12.2011 aufgefordert worden, bis zum 16.12.2011 bei der Drogen- und Suchtberatungsstelle ... wegen der begonnenen aber abgebrochenen Alkoholtherapie vorzusprechen und eine Schweigepflichtentbindung vorzulegen. Des Weiteren sollte der Therapieplan und die Nachweise über die Wahrnehmung der jeweiligen Termine übersandt werden. Die geforderten Unterlagen seien nicht termingerecht vorgelegt worden.

5

Am 02.02.2012 sei durch den Schulleiter der Stammschule der Klägerin deutlicher Alkoholgeruch und typische Verhaltensweisen, die auf Alkoholkonsum schließen ließen, bei ihr festgestellt worden. In ihrer Unterrichtsvorbereitung habe der Zeuge deutliche Probleme erkennen können. Daraufhin habe der Schulleiter die Klägerin für diesen Tag von ihren dienstlichen Verpflichtungen freigestellt. Am 21.02.2012 sei durch Schüler sowie den stellvertretenden Schulleiter aufgefallen, dass die Klägerin nach Alkohol rieche. Auch an diesem Tag sei die Klägerin vom Unterricht freigestellt worden. Ebenso seien durch Kollegen und Schüler am 29.02.2012 bei der Klägerin Verhaltensweisen festgestellt worden, die auf einen Alkoholgenuss schließen würden. Zu den einzelnen Feststellungen werde auf die Ausführungen im Ermittlungsbericht vom 12.09.2012 verwiesen.

6

Insbesondere Lehrer müssten, um ihre Aufgaben der Erziehung und Unterrichtung von Schülern erfüllen zu können, bei Eltern, Schülern und in der Öffentlichkeit das notwendige Ansehen, die Autorität und das Vertrauen in die korrekte Amtsführung besitzen. Sie müssten in ihrer gesamten Lebensführung durch regelgerechtes Verhalten Vorbild sein, um ihrem Erziehungsauftrag gerecht zu werden. Dem sei die Klägerin, indem sie während ihrer dienstlichen Verpflichtungen wiederholt unter Alkoholeinfluss gestanden habe, nicht nachgekommen. Besondere Beachtung müsse hier auch auf der dem Lehrer obliegenden Aufsichtspflicht über die ihm anvertrauten Schüler liegen. Die Achtung und das Ansehen bei Schülern, Eltern und Kollegen, aber auch das Vertrauen in die Zuverlässigkeit seien nachhaltig gestört. Die Klägerin habe grob fahrlässig gehandelt. Denn trotz Androhung von Sanktionen sei die Klägerin den Weisungen wiederholt nicht nachgekommen und sei alkoholisiert zum Dienst erschienen.

7

Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich sei, richte sich nach der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten und des Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. Die Klägerin habe schuldhaft gegen sogenannte Kernpflichten aus ihrem Beamtenverhältnis verstoßen und damit eine disziplinarrechtlich zu ahnende Vertrauensbeeinträchtigung herbeigeführt. Die Disziplinarmaßnahmen des Verweises oder einer Geldbuße seien als zu mildes Mittel nicht in Betracht zu ziehen. Denn durch ihre Einmaligkeit seien diese Maßnahmen nicht geeignet, das Verhalten der Beamtin langfristig zu ändern. Die verhängte Kürzung der Dienstbezüge sei durch die monatliche Wiederholung ein nachhaltiges Mittel um erzieherisch zu wirken, um künftig Pflichtverletzungen und damit Dienstvergehen der Klägerin zu vermeiden. Die Kürzung um 1/10 auf die Dauer von zwölf Monaten sei ausreichend. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin seien dabei nicht gefährdet. Erschwerend bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin wegen einer Trunkenheitsfahrt strafrechtlich vorbelastet sei. Zudem sei festzustellen, dass die Klägerin nicht immer als dienstlich zuverlässig anzusehen sei. Zwar habe sie ihre dienstlichen Verpflichtungen insoweit wahrgenommen, wobei die Dienstausübung jedoch von privaten und dienstlichen Belastungen abhänge. Auch ihre Auskünfte in diesem Zusammenhang seien oftmals zögerlich. Dies gebe Anlass zur Sorge, dass die Klägerin ihr Verhalten im Hinblick auf den Alkoholkonsum nicht dauerhaft ändern werde.

8

Zu ihren Gunsten spreche, dass sie in geordneten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen lebe und die Dienstpflichten ansonsten beanstandungsfrei wahrgenommen habe.

9

Den dagegen ohne Begründung eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.05.2013 mit Verweis auf die Ausführungen im Ausgangsbescheid als unbegründet zurück.

10

Mit der fristgerecht erhobenen Klage wendet sich die Klägerin weiter gegen die Disziplinarmaßnahme und macht Ausführungen dazu, dass die Disziplinarverfügung widersprüchlich sei. Einerseits werde der Klägerin Alkoholkonsum und eine Alkoholabhängigkeit und somit ein Suchtproblem bescheinigt, so dass ein Sucht-Stufenplan bzw. Therapieplan notwendig und von der Klägerin vorzulegen sei. Andererseits prüfe der Beklagte aber nicht, dass dann ein krankheitsbedingtes Verhalten vorliegen würde, welches mit den von der Beklagten gewählten disziplinarrechtlichen Mitteln nicht lenkbar sei. Die unterstellte Suchterkrankung und die vorgehaltenen Pflichtverletzungen schlössen sich gegenseitig aus. Zudem stehe mit dem amtsärztlichen Gutachten vom 17.12.2013 fest, dass die Klägerin nicht alkoholkrank sei sondern allenfalls ein riskantes Trinkverhalten vorliege.

11

Die Klägerin beantragt,

12

die Disziplinarverfügung vom 06.02.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.05.2013 aufzuheben.

13

Der Beklagte beantragt,

14

die Klage abzuweisen

15

und verteidigt die Disziplinarverfügung und die dortigen Ausführungen. Den Hinweisen des Gerichtes in der Verfügung vom 18.09.2013 zur Problematik des Nachweises von Alkoholgenuss im Dienst sowie der Problematik der Alkoholsuchterkrankung begegnete der Beklagte damit, dass es feststehe, dass die Klägerin mehrfach in der Schule unter Einfluss von Alkohol unterrichtet habe. Bereits aus diesem Grunde seien die Durchführung des Sucht-Stufenplans und die Durchführung einer Suchttherapie erforderlich gewesen. Bei der Feststellung des Alkoholeinflusses sei der Beklagte auf die Aussagen der Zeugen angewiesen gewesen. Die Klägerin könne nicht die Auffassung vertreten, dass die Vorfälle dienstrechtlich nicht hätten verfolgt werden dürfen. Ein Sucht-Stufenplan sei bereits dann notwendig, wenn eine Suchtgefahr bestehe.

16

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

17

Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Denn der angefochtene Disziplinarbescheid in Form der Gehaltskürzung ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 3 DG LSA; 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die ausgesprochene Disziplinarmaßnahme in Form der Gehaltskürzung ist hinsichtlich des Kürzungsanteils sowie der Laufzeit unverhältnismäßig, weil unangemessen und bedarf insoweit der Abänderung. Unter Berücksichtigung dessen erweist sich die ausgesprochene Disziplinarverfügung zur Überzeugung des Gerichts auch als unzweckmäßig, welches ebenso zur Aufhebung bzw. Abänderung durch das Disziplinargericht führt (§ 59 Abs. 3 DG LSA).

18

Nach § 59 Abs. 3 DG LSA prüft das Gericht bei der Klage des Beamten gegen eine Disziplinarverfügung neben der Rechtmäßigkeit auch die Zweckmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung. Anders als sonst bei einer Anfechtungsklage ist das Disziplinargericht danach nicht nur gem. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO darauf beschränkt, eine rechtswidrige Verfügung aufzuheben oder abzuändern. Vielmehr übt das Disziplinargericht in Anwendung der in § 13 Abs. 1 DG LSA niedergelegten Grundsätze innerhalb der durch die Verfügung vorgegebenen Disziplinarmaßnahmeobergrenze selbst die Disziplinarbefugnis aus (vgl. Gesetzesbegründung zum gleichlautenden § 60 Abs. 3 BDG, Bundestagsdrucksache 14/4659, S. 48; BVerwG, U. v. 27.06.2013, 2 A 2.12; B. v. 21.05.2013, 2 B 67.12; U. v. 15.12.2005, 2 A 4.04; OVG NRW, B. v. 19.09.2007, 21 d A 3600/06.O; Bayr. VGH, B. v. 27.01.2010, 16 a DZ 07.3110, Bayr. VGH, B. v. 02.07.2012, 16 a DZ 10.1644; vgl. zu den Zweckmäßigkeitserwägungen auch: VG Magdeburg, U. v. 18.07.2012, 8 A 1/12; U. v. 01.12.2011, 8 A 18/10; U. v. 18.07.2012, 8 A 13/11; U. v. 06.11.2007, 8 A 10/07; alle juris).

19

1.) Auch zur Überzeugung des Disziplinargerichts hat die Klägerin als Studienrätin und damit verbeamtete Lehrkraft ein innerdienstliches Dienstvergehen nach § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG begangen. Aufgrund der Ermittlungen im Disziplinarverfahren sowie der geständigen Einlassung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinargericht und unter Bewertung des gesamten Aktenmaterials steht fest, dass die Klägerin am 02.02.2012, 21.02.2012 und 29.02.2012 zumindest alkoholisiert zum Dienst erschienen ist und damit gegen ihre beamtenrechtliche sogenannte Wohlverhaltenspflicht verstoßen und eine Ansehensschädigung des Berufsbeamtentums begangen hat. Diese in § 34 Satz 3 BeamtStG normierte Pflicht besagt, dass das Verhalten eines Beamten der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden muss, die sein Beruf erfordert. Damit wird dem Beamten die Pflicht auferlegt, sich so zu verhalten, dass aus seinem Handeln kein Achtungs- und Vertrauensverlust ableitbar ist. Dies gilt insbesondere bei einer in der Öffentlichkeit stehenden Lehrkraft.

20

Die Wohlverhaltenspflicht ist als Auffangtatbestand für alle Dienstpflichten anzusehen, die keine spezielle Regelung in den Beamtengesetzen gefunden haben. Letzten Endes gehen alle Dienstpflichten aus ihr hervor (vgl. nur: VG Magdeburg, Urt. v. 23.01.2013, 8 A 21/12 MD; juris; mit Verweis auf Hummel/Köhler/Mayer: BDG, 4. Aufl. 2009, S. 305). Mit Verweis auf die Abgrenzung zwischen einem dienstlichen und einem außerdienstlichen Dienstvergehen hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die Erfordernisse, die der Beruf an Achtung und Vertrauen stellt, sich aus dem jeweiligen konkret funktionellen Amt ergeben, wobei es ausreichend ist, wenn ein Verhalten zur Beeinträchtigung von Achtung und Vertrauen geeignet ist. Eine tatsächliche Beeinträchtigung ist nicht erforderlich (vgl. BVerwG, Urt. v. 08.05.2001, 1 D 20.00; VG Magdeburg, Urt. v. 08.06.2011, 8 A 16/10 MD; VG Magdeburg, Urt. v. 23.01.2013, 8 A 21/12 MD; alle juris).

21

Diesbezüglich war das erkennende Disziplinargericht schon mehrfach mit der disziplinarrechtlichen Bewertung und Ahndung eines Ansehens schädigenden Verhaltens beschäftigt (vgl. zuletzt: Beschluss v. 26.08.2013, 8 B 13/13 MD m. w. Nachw.; juris). Liegt die Ansehensschädigung überwiegend in der Verwendung einer nicht hinnehmbaren Wortwahl, ergibt sich vorliegend der Verstoß gegen den Pflichtentatbestand, durch den nicht hinnehmbaren Alkoholkonsum der Klägerin vor bzw. bei Dienstantritt. Die diesbezüglichen alkoholbedingten Feststellungen und Vorfälle am 02.02.2012, 21.02.2012 und 29.02.2012 sind in dem behördlichen Verwaltungsvorgang durch Aussagen der Schüler, Kollegen und des Schulleiters belegt. Soweit die Erhebung dieser Beweise aus verfahrensrechtlichen Gründen gewisse Defizite aufweisen dürften (vgl. § 24 ff. DG LSA), muss dem nicht weiter nachgegangen werden. Denn die Klägerin hat die Richtigkeit dieser Feststellungen an den besagten Tagen in der mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinargericht eingeräumt, so dass diese als wahr unterstellt werden dürfen. Demnach reicht es für die disziplinarrechtliche Bewertung aus, dass die Klägerin an diesen Unterrichtstagen aufgrund vorherigen Alkoholkonsums und der bei den Schülern und Kollegen gezeigten physischen und psychischen Ausfallerscheinungen nicht in der Lage war, den Dienst zu verrichten.

22

Die Disziplinarverfügung weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, dass insbesondere Pädagogen und Lehrer bei Eltern, Schülern und in der Öffentlichkeit das notwendige Ansehen, die Autorität und das Vertrauen in die korrekte Amtsführung besitzen müssen um so ihre Aufgabe der Erziehung und Unterrichtung von Schülern erfüllen zu können. Die Lehrkräfte müssen in ihrer gesamten Lebensführung durch regelgerechtes Verhalten Vorbild sein, um so ihren Erziehungsauftrag gerecht zu werden. Der Alkoholeinfluss während dienstlicher Verpflichtungen widerspricht der insbesondere Lehrern immanenten Vorbildwirkung vor Schülern. Die ordnungsgemäße Erfüllung des Erziehungsauftrages kann so nicht gewährleistet werden. Zudem haben Lehrer ihren Schülern gegenüber eine konkrete Aufsichtspflicht und die Schüler sind ihnen anvertraut. Durch alkoholisierte Lehrkräfte werden insbesondere die Achtung und das Ansehen bei Schülern, Eltern und auch den anderen Kollegen massiv geschädigt und untergraben. Zugleich ist das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Berufsgruppe der Lehrer und Pädagogen nachhaltig gestört bzw. beeinträchtigt. Auf den Punkt gebracht: Es kann und darf nicht angehen, dass alkoholisierte Lehrkräfte die ihnen anvertrauten, minderjährigen und sich in der Entwicklung befindlichen Schüler unterrichten.

23

Aufgrund der wahrgenommenen sogenannten Alkoholfahne ergibt sich zwingend, dass die Klägerin unter dem Einfluss von Alkohol gestanden hat, was sie im Übrigen in der mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinargericht auch einräumte. Dabei ist die Alkoholkonzentration in der Atemluft der Blutalkoholkonzentration proportional. Zwar bedingt diese Tatsache allein noch nicht die Intensität und den Grad der Alkoholbeeinflussung (BVerwG, Urteil v. 23.03.1988, 1 D 27.87; juris, mit Verweis auf: Schwerd in „Kurzgefasstes Lehrbuch der Rechtsmedizin für Mediziner und Juristen“, Deutscher Ärzteverlag, 3. Auflage 1979, S. 130). Darauf kommt es aber auch nicht an. Von Bedeutung ist allein, ob die Klägerin überhaupt Alkohol in wahrnehmbarem Umfang zu sich genommen und unter dessen Einfluss gestanden hat. Dabei bedarf es nicht des Nachweises eines bestimmten Alkoholwertes (vgl. BVerwG, Urteil v. 28.08.2001, 1 D 57/00; juris). Denn die der Klägerin als Beamtin vorgeworfene Pflichtenverletzung tritt unabhängig von einem bestimmten Messergebnis ein. Anders als etwa bei einer Trunkenheitsfahrt nach § 316 StGB ist der Grad der Alkoholisierung beim Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht weitgehend irrelevant. Es ist auch nicht entscheidend, ob bereits durch interne Vorschriften ein absolutes Alkoholverbot begründet ist, wie dies generell im Polizeidienst gilt (vgl. dazu: VG Regensburg, Urteil v. 16.04.2010, RO 10A DB 09.2015; juris). Der Beamte schuldet seinem Dienstherrn auch kein alkoholabstinentes Verhalten in seiner Freizeit und seinem Privatleben (BVerwG, Urteil v. 15.03.1995, 1 D 37.93; juris). Entscheidend ist, dass durch den wahrnehmbaren Alkoholgeruch, sei es auch nur in Form von Restalkohol aufgrund der Einnahme des Alkohols am Vorabend oder in der späten Nacht, bei den Schülern und Kollegen und somit der Öffentlichkeit die Alkoholeinnahme deutlich erkennbar wird. Darin liegt die Ansehensschädigung begründet, was nicht zuletzt die Reaktionen der Eltern beweist.

24

Gerade eine Lehrkraft ist auf den unmittelbaren Einsatz ihrer Stimme als Unterrichtsmittel angewiesen, so dass unabhängig von eventuellem Alkoholgeruch in der Kleidung, dieser durch den Atem kundgetan und für die erwähnten anderen Personen unmittelbar und unverwechselbar wahrnehmbar wird. Ähnlich wie etwa bei einem Pflichtuniformträger, der durch eine ungepflegte, verschlissene Uniform auffällt, bedingt hier das an objektiven Kriterien feststellbare äußere Erscheinungsbild der verbeamteten Lehrkraft die Ansehensschädigung des Berufsbeamtentums und damit den Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht.

25

Darüber hinaus ist die Klägerin nicht nur durch den wahrnehmbaren Alkoholgeruch aufgefallen, sondern zeigte in Sprache sowie Körperhaltung und Gang typische alkoholbedingte Ausfallerscheinungen. Dies führte dazu, dass die Klägerin an den besagten Tagen vom Unterricht befreit wurde, so dass dienstlich nachteilige Folgen eingetreten sind, was ebenso den selbständigen Pflichtentatbestand begründet. Neben dem Verstoß gegen die allgemeine Wohlverhaltenspflicht ist mit diesen alkoholbedingten physischen wie psychischen Ausfallerscheinungen, die aus der allgemeinen Dienstpflicht resultierende Gesunderhaltungspflicht des Beamten angesprochen (vgl. dazu: VG Magdeburg, Urteil v. 17.01.2013, 8 A 6/12; juris). Auch diese füllt die Treuepflicht und die Pflicht zur vollen Hingabe an den Beruf aus (§ 34 Satz 1 BeamtStG).

26

Feststellungen zur Schuldunfähigkeit erübrigen sich. Denn aufgrund des amtsärztlichen Gutachtens vom 17.12.2012 (Bl, 182 Beiakte A) sind eine Alkoholerkrankung und damit auch eine Alkoholabhängigkeit bei der Klägerin auszuschließen und zudem verneint dies auch die Klägerin (vgl. zu den Voraussetzungen der diesbezüglichen Anhaltspunkte: BVerwG, Beschluss v. 04.07.2013, 2 B 76/12; Urteil v. 29.11.2012, 2 WD 10/12; beide juris). Entsprechend ist der Klägerin zumindest fahrlässiges Verhalten vorzuwerfen, was zur Bejahung des Schuldvorwurfs genügt.

27

2.) Hingegen sieht das Disziplinargericht den – anscheinend – in der Disziplinarverfügung zum Ausdruck gebrachten Weisungsverstoß wegen nicht bzw. verspäteter Vorlage eines sogenannten Therapieplans nicht. Insoweit bemängelt das Disziplinargericht bereits, dass die streitbefangene Disziplinarverfügung in Gestalt des Widerspruchsbescheides die der Klägerin zur Last gelegten Pflichtenverstöße nicht hinreichend konkretisiert. Ähnlich wie bei einer Disziplinarklage müssen die dort explizit genannten Voraussetzungen (vgl. § 49 Abs. 2 DG LSA) auch bei der behördlichen Disziplinarverfügung gelten. Denn dies ergibt sich bereits aus der Anwendung allgemeiner verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften hinsichtlich der Bestimmtheit des Verwaltungsaktes (vgl. § 3 DG LSA; § 37 VwVfG). Danach muss der in der Disziplinarverfügung dem Beamten gegenüber erhobene Pflichtenverstoß und der diesem zugrunde gelegte Sachverhalt so deutlich und klar sein, dass der Beamte sich mit seiner Verteidigung darauf einstellen kann (vgl. zuletzt: BVerwG, U. v. 27.06.2013, 2 WD 5.12; juris).

28

So ist bereits nicht hinreichend bestimmt, was mit dem in der Disziplinarverfügung genannten „Therapieplan“ gemeint ist und wie oder in welcher Form dieser Nachweis zu erbringen sei. Auch in der mündlichen Verhandlung konnte diesbezüglich keine weitere Aufklärung bzw. Bestimmtheit erzielt werden. Die diesbezüglich mit der Klägerin geführten Personalgespräche und die dort von der Klägerin eingegangenen Verpflichtungen führen nicht weiter. Denn dort dürfte es sich um die Umsetzung des sogenannten Stufenplanes gehandelt haben. Der Stufenplan ist ein Interventionsleitfaden, der eine Abfolge von Fünfstufengesprächen vorsieht. Voraussetzung ist ein Verstoß gegen arbeitsvertragliche bzw. dienstrechtliche Pflichten oder deren Vernachlässigung im Zusammenhang mit Suchtmittelkonsum oder suchtbedingtem Verhalten (vgl. Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V.; www.sucht-am-arbeitsplatz.de). Das Disziplinargericht weist darauf hin, dass der Disziplinarverfügung in Gestalt des Widerspruchsbescheides gerade nicht zu entnehmen ist, welche Verpflichtungen bzw. Weisung in diesem Zusammenhang die Klägerin nicht erfüllt habe. Die Disziplinarverfügung spricht selbst davon, dass die Umsetzung der in den Personalgesprächen geforderten Verhaltensweisen nicht bzw. zu spät erfolgt sei. Allein diese Formulierung des Vorwurfs „nicht bzw. zu spät“ lässt nicht hinreichend erkennen, welche Nachweise die Klägerin gerade nicht oder aber nur verspätet erbracht habe.

29

Im Übrigen weist das Disziplinargericht darauf hin, dass sich die Klägerin sehr wohl bemüht hat, den in den Personalgesprächen geforderten Nachweisen nachzukommen. In dem dem Gericht überlassenen Verwaltungsvorgang sind zahlreiche diesbezügliche Nachweise über Therapieangebote und durchgeführte Therapiegespräche enthalten. So erging unter dem 14.03.2012 mit der Drogen- und Suchtberatung ... eine Behandlungsvereinbarung und ein Therapieplan. Diese von der Klägerin aufgegriffene Initiative ist insofern von Bedeutung, da sie unmittelbar nach den alkoholbedingten Ereignissen im Februar 2012 stattfanden. Dementsprechend war die Klägerin durchaus bemüht ihr Problem anzugehen und in den Griff zu bekommen. Weiter ist dem Aktenvermerk bzw. dem Protokoll vom 12.04.2012 (Blatt 113 BA A) zu entnehmen, dass die Klägerin dort die bei der Drogen- und Suchtberatungsstelle in ... wahrgenommenen Termine seit Januar 2012 bis April 2012 nachgewiesen hat (Blatt 115 BA A). Die Drogen- und Suchtberatungsstelle ... bescheinigt unter dem 11.05.2012 die Teilnahme der Klägerin im Rahmen des mit ihr vereinbarten Therapieplans (Blatt 151 BA A). Darüber hinaus sind der Akte mehrere Bescheinigungen über ein sogenanntes Urinscreening zu entnehmen. All diese Erkenntnisse sowie die Tatsache, dass die amtsärztliche Untersuchung bei der Klägerin im Dezember 2012 keine Alkoholabhängigkeit und damit Suchterkrankung sondern ein riskantes Trinkverhalten bescheinigt, sind von dem Beklagten nicht berücksichtigt worden. Schließlich nahm die Klägerin bis Februar 2013 und damit bis zur Schließung der Drogen und Suchtberatungsstelle ... deren Hilfe in Anspruch. Demnach ist nachvollziehbar, dass die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinargericht darauf hinwies, dass ihr unklar sei, was sie noch machen solle.

30

3.) Der Klägerin stehen in dem Fall der alkoholbedingten Wohlverhaltens- bzw. Ansehensschädigung und dem Verstoß gegen die Gesunderhaltungspflicht keine Milderungs- oder Entlastungsgründe zur Seite, die den Pflichtenverstoß in einem milderen Licht erscheinen lassen würden (vgl. Milderungs- und Entlastungsgründe ausführlich: VG Magdeburg, U. v. 17.10.2013, 8 A 6/13 MD; juris). Die entlastenden Gründe sind nicht (mehr) allein auf den in der Rechtsprechung entwickelten Kanon der anerkannten Milderungsgründe beschränkt (BVerwG, U. v. 29.03.2012, 2 A 11.10, m. w. Nachw.; juris). Die Klägerin handelte nicht in einer körperlichen oder psychischen Ausnahmesituation und eine persönlichkeitsfremde Einzelverfehlung oder „Entgleisung“ während einer negativen, inzwischen überwundenen, durch Alkohol, Drogen oder Schicksalsschlägen bedingte Lebensphase liegt nicht vor. Die wiederholte durch mehrere Einzeltaten begangene Ansehensschädigung war allein in ihrem riskanten, in der Freizeit ausgelebten Trinkverhalten begründet. Mangels vorliegender und vorgetragener Besonderheiten, muss sie für dieses auf den Dienst durchschlagene Verhalten, die dienstrechtlichen Konsequenzen tragen. Dies auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass ihr Alkoholkonsum bereits zu einer strafrechtlichen Verurteilung wegen einer Trunkenheitsfahrt geführt hat.

31

4.) Bei der nunmehr vom Disziplinargericht aufgrund der Gesamtabwägung und des Persönlichkeitsbildes der Beamtin nach § 13 DG LSA auszusprechenden Disziplinarmaßnahme, lässt sich das Gericht davon leiten, dass die Klägerin als verbeamtete Lehrkraft eine besondere Vorbild- und Fürsorgefunktion hinsichtlich ihrer Schüler inne hat. Der Zweck des Disziplinarrechts liegt grundsätzlich in der individuellen Pflichtenmahnung (Spezialprävention) des Beamten zu einer berufserforderlichen Zuverlässigkeit (Hummel/Köhler/Mayer; BDG, 4. Auflage 2009, A.IV.3 Rz. 88). Dementsprechend ist hier die Stufe der Disziplinarmaßnahme der Gehaltskürzung als letzte vom Dienstherrn auszusprechende Disziplinarmaßnahme aus erzieherischer Sicht durchaus angebracht. Denn durch die monatliche Kürzung ihr Dienstbezüge über einen gewissen Zeitraum soll die Klägerin stetig an ihr Fehlverhalten erinnert werden und die Sache nicht durch eine einmalige Geldbuße abgetan sein.

32

Dabei unterliegt die Bemessung der Gehaltskürzung einer erheblichen Spannweite hinsichtlich des vom Disziplinargesetz (§ 8 Abs. 1 Satz 1 DG LSA) bis zur Höhe von 20 % vorgesehenen Kürzungsteils und der Laufzeit von drei Jahren. Während die Laufzeit der Gehaltskürzung durch die Schwere des Dienstvergehens bestimmt wird, sind für die Festlegung des Kürzungsbruchteils die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beamten maßgebend (vgl. BVerwG, Urteil v. 20.09.2006, 1 D 8.05; juris). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 21.03.2002, 1 D 29.00; juris) beträgt der regelmäßige Kürzungssatz bei Beamten des gehobenen und höheren Dienstes bis Besoldungsgruppe A 16 regelmäßig 1/10. Soll diese Regelmäßigkeit des Kürzungsbruchteils insbesondere die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beamten abgreifen, so ist dieser Kürzungssatz gesetzlich nicht verbindlich und kann vom Disziplinargericht ebenso bestimmt werden. Gerade im Kürzungssatz kann sich das objektiv größere oder mindere Gewicht des Dienstvergehens ausdrücken. Sinn einer Vermögenssanktion ist es ohnehin, dass höhere Gewicht der Verfehlung durch eine spürbare finanzielle Einbuße deutlich zu machen. Dabei kommt es dem Gesetz bei der Gehaltskürzung nicht auf die letztliche Gesamtsumme der finanziellen Einbuße, sondern auf die Wirkung der wiederkehrenden Einzeleinbußen an (vgl. insgesamt: Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 4. Auflage 2009, A.IV.3 Rz. 87). Andererseits muss auch das Abstandsgebot zu den Disziplinarmaßnahmen der Geldbuße und der Zurückstufung gewahrt bleiben. Alles dies begründet es, im jeweiligen Einzelfall individuell über die „Stellschrauben“ des Kürzungsbruchteils und der Laufzeit die angemessene Gehaltskürzung zu bestimmen.

33

Dementsprechend darf das Disziplinargericht – letztendlich auch aus Zweckmäßigkeitsgründen nach § 59 Abs. 3 DG LSA – aufgrund der nunmehr eigenen, dem Disziplinargericht zusehenden Disziplinarbefugnis, auf der Stufe der Gehaltskürzung eine in Bezug auf den Kürzungssatz wie die Laufzeit individuell bemessene geringe Disziplinarmaßnahme aussprechen. In der Bemessung der Laufzeit kann das konkrete Bedürfnis nach pflichtenmahnender Einwirkung entsprechend der Verhaltensprognose (Labilität, Wiederholungsgefahr) wirkungsvoll dargestellt werden. Unter Beachtung dessen, sieht das Disziplinargericht hier einen abgemilderten Kürzungssatz bei einer überschaubaren Laufzeit als dem Dienstvergehen angemessen und auch als zweckmäßig an. Die Maßnahme erscheint als angemessen, aber auch notwendig, um die Beamten an die Einhaltung ihrer Pflichten, insbesondere der Wohlverhaltens- und Gesunderhaltungspflicht, zu erinnern.

34

Die Klägerin hat sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinargericht einsichtig gezeigt und insbesondere durch die Einräumung des alkoholbedingten Tatvorwurfs zur Sachverhaltsaufklärung und Entscheidungsreife maßgeblich beigetragen. Eine umfassende Beweisaufnahme unter Einbeziehung der Schüler, Eltern und Kollegen wurde vermieden. Ebenso hat sie bei dem Disziplinargericht den Eindruck hinterlassen, dass sie ihre Alkoholproblematik und das amtsärztlich bescheinigte riskante Trinkverhalten erkannt und die daraus resultierenden Folgen eingesehen hat. Dementsprechend hat sie auch Beratungsstellen und Beratungsangebote in Anspruch genommen und aktiv an der Bewältigung ihrer Probleme mitgearbeitet. Gleichwohl sieht sich das Disziplinargericht zur Verhängung der ausgesprochenen Gehaltskürzung und nicht nur einer Geldbuße veranlasst, wobei die Klägerin die monatlich wiederkehrende Kürzung als Mahnung und damit auch als Chance begreifen sollte. Im Wiederholungsfall könnte, je nach Ausmaß der Trunkenheit und der Vertrauensbeeinträchtigung, durchaus die Entfernung aus dem Dienst anstehen.

35

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 72 Abs. 4 DG LSA, 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Da die Klägerin weiterhin disziplinarrechtlich belangt wird, ist es angemessen, dass sie die Hauptlast der Kosten trägt. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


(1) Bieten die Ermittlungen genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft sie durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht.

(2) Andernfalls stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Hiervon setzt sie den Beschuldigten in Kenntnis, wenn er als solcher vernommen worden ist oder ein Haftbefehl gegen ihn erlassen war; dasselbe gilt, wenn er um einen Bescheid gebeten hat oder wenn ein besonderes Interesse an der Bekanntgabe ersichtlich ist.