Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 26. Aug. 2013 - 8 B 13/13

ECLI:ECLI:DE:VGMAGDE:2013:0826.8B13.13.0A
bei uns veröffentlicht am26.08.2013

Gründe

I.

1

Der Antragsteller ist Ortsbürgermeister der Ortschaft K… und wendet sich gegen die ihm gegenüber vom Antragsgegner mit Bescheid vom 05.06.2013 Ausgesprochene vorläufige Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt (DG LSA).

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Zur Begründung führt der Antragsgegner aus, dass der Antragsteller gegen seine beamtenrechtliche Verfassungstreuepflicht nach § 33 Abs. 1 Satz 3 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) und seine Wohlverhaltenspflicht nach § 34 Satz 3 BeamtStG verstoßen und damit ein schwerwiegendes Dienstvergehen begangen habe, welches voraussichtlich zur Entfernung aus dem Dienst führen werde. Der Antragsteller habe auf seiner Internetseite www.hans-pueschel.de in zahlreichen Artikeln gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung verstoßen. Dazu führt die Verfügung aus:

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a)      Sie haben bei mehreren Gelegenheiten, so unter anderem in einer Antwort auf eine Lesermeinung am 30.10.2012 geäußert:

„Wenn der § 130 gegen Lügen und Volksverhetzung gerichtet ist,

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warum werden dann nicht endlich die Großlügner mit den „4 Millionen
in Auschwitz Vergasten“ vor Gericht gestellt? Das ist doch, was
Größe und Umfang betrifft, die allergrößte Lüge, die mir in meinem
bisherigen Leben erst jahrzehntelang um die Ohren gehauen und nun stillschweigend mit Erwähnung in der Kleingartenzeitung Hinterkleckersdorf beerdigt worden ist.“

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Ferner schrieben Sie am 16.03.2012 in einem von Ihnen unter dem Titel „Holocaustleugnung ist Menschenrecht“ eingeleiteten Diskussionsforum unter anderem.

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„...Zu den Todesmärschen: Warum blieben dann laut Wikipedia 7000 Insassen von Auschwitz zurück. Haben die sich’s also doch aussuchen können. Waren übrigens Frauen und Kinder dabei. Sehen sogar gut genährt aus - zumindest auf dem Foto. Muss also doch mindestens Ausnahmen von der Rampen-Sortiererei gegeben haben. ...“

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Am 14.11.2012 schrieben Sie dann unter dem auf Ihrer o. g. Internetseite angelegten Themen-Link „Politik“ zum Thema „Auschwitz, Majdanek - wann platzt die nächste Lüge?“ unter Bezugnahme auf die in nationalsozialistischen Konzentrationslagern verübten Ermordungen dort Inhaftierter:

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„...Für mich steht fest: Die seit der Kindheit gelernten deutschen Verbrechen sind Lügen!...“

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Am 07.12.2012 schrieben Sie in einem von Ihnen verfassten Gedicht mit dem Titel „Deutscher Mythos“ unter anderem:

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„...Der Mythos ist zum Gruseln gut nicht für’s reale Leben....

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Der Holocaust taugt nicht als Ziel der Seel’ bei klarem Lichte.

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Wir hab’n der besseren Mythen viel aus tausend Jahr’n Geschichte.
Uns dort zu gründen, bringt uns Heil und Zukunft dem deutschen Volke!

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Die böse Mär auf’s Altenteil, fort mit der düstren Wolke!“

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Wegen der drei letztgenannten Äußerungen hat die Staatsanwaltschaft C-Stadt am 26.01.2013 Anklage wegen Volksverhetzung gegen Sie erhoben.

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b)      Bereits im Jahr 2010 hatten Sie in der MZ einen Leserbrief veröffentlicht, in dem Sie die undemokratische und verfassungsfeindliche Ausrichtung der NPD in Frage stellten. Konkret äußerten Sie:

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„NPD und DVU - wie undemokratisch sind sie? Wenn ich die 20 Jahre meiner Tätigkeit als Bürgermeister und Kommunalpolitiker rekapituliere, dann muss ich feststellen, dass unsere Demokratie wohl mehr Bürokratie geworden ist, nur noch ein formaler Ablauf.

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Ich denke, wenn die (nur noch formale) Demokratie die existenziellen Probleme der Menschen und des Landes nicht löst, dann müssen es ja diejenigen versuchen, die eine vielleicht etwas andere Demokratie bzw. Volksherrschaft installieren wollen.“

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Am 27.11.2012 schrieben Sie unter dem auf seiner o. g. Internetseite angelegten Themen-Link „Politik“ zum Thema „B… und die NPD“.

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„...Ich habe mich zeitlebens als Deutscher gefühlt, also national gedacht, und demokratisch gehandelt. Kann es denn da einer Alternative geben zu den Nationaldemokraten?...“

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c)      Abgesehen davon erklärten Sie am 11.11.2012 unter dem auf Ihrer o. g. Internetseite angelegten Themen-Link „Politik“ zum Thema „Rathenau, Battke und die Rache der Sieger“ unter anderem, die Rathenau-Mörder Kern und Fischer haben „...nicht den Juden Rathenau umgebracht sondern den in ihren Augen Vaterlandsverräter Rathenau...“ und „...Nur die Mörder um Stauffenberg passen in unsre Sieger-Sicht auf das Deutsche Reich und wurden zu Helden im Gegensatz zu Fischer, Fern und von Salomon....“

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Auch haben Sie nach eigener Aussage an den Gedenkfeiern für die Rathenau-Mörder Fischer und Kern auf Burg Saaleck teilgenommen „denn für die letzten Gedenkfeiern kann ich verbürgen, dass Fischer und Kern immer mit ihrem Einsatz durch Attentat und Sterben für Deutschland und nicht der eventuelle unterschwellige Antisemitismus im Vordergrund standen.

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2) im November 2011 antworteten Sie auf die Anfrage des NPD-Landesvorsitzenden  Herr H..., ob das Bürgerhaus von K… für die am 11. März 2011 geplante Wahlkampfabschlussveranstaltung der NPD genutzt werden könne per E-Mail unter anderem:

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„Jo mai, döes oan Ding!

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Dafür würde es sich wohl lohnen, noch eine Weile Ortsbürgermeister zu bleiben,  Herr H... . Den wollte ich aus bekannten Gründen nur zum Übergang ausüben.

...

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Es wird in den nächsten Tagen abgeklärt, wie der Übergang und weitere Verfahrensablauf in 2011 wird. Wenn es gelingt, die Betreuung/Belegung der Dorfgemeinschaftshäuser bei den Ortsbürgermeistern zu belassen, die dann also die Nutzungsverträge unterschreiben, wäre es also durchaus denkbar, die Veranstaltung durchzuführen. ich würde noch übers erste Quartal weiter amtieren, wobei offen bleibt, inwieweit dann der Bürgermeister mit seiner Verwaltung sich quer legen, hineinagieren könnte/wollte.

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Es müsste also ein Ausweichquartier im Hintergrund sein bzw. offiziell ein anderer Ort avisiert und erst am letzten Tag umgeschwenkt werden, so dass dann keine Verwaltung mehr großartig reagieren kann - siehe Polizei … ...bzw. Vertrag ist dann Vertrag.

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Mfg hansPüschel“

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3) Zur Landtagwahl 2011 traten Sie als Direktkandidat der NPD im Wahlkreis …an. Darüber verdeutlichte sich ihre Nähe zur NPD durch Referententätigkeit bei zahlreichen Veranstaltungen der NPD bzw. ihrer nahestehenden Organisationen. So traten Sie beispielsweise im Januar 2011 bei der Kommunalpolitischen Vereinigung der NPD als Referent auf. Im Juni 2011 traten Sie als Gastredner einer Veranstaltung der NPD-nahen Stiftung „Bildungswerk für Heimat und nationale Identität“ auf.“

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Die Prognoseentscheidung nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA ergebe, dass das Disziplinarverfahren voraussichtlich mit der Entfernung des Antragstellers aus dem Dienst ende.

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Die Leugnung des nationalsozialistischen Massenmordes an europäischen Juden in Gaskammern deutscher Konzentrationslager verharmlose und verherrliche den Nationalsozialismus und sei unvereinbar mit der Pflicht des Beamten, aktiv für die geltende Verfassungsordnung einzutreten. Der Antragsteller verbreite die sog. „Ausschwitz-Lüge“, was ein schwerwiegendes Dienstvergehen darstelle.

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Daneben stelle der Antragsteller die undemokratische und verfassungsfeindliche Ausrichtung der NPD sowie das Vorhandensein einer tatsächlichen Demokratie in Deutschland in Frage. Gleichzeitig zeige er die Errichtung einer „anderen Demokratie“ bzw. „Volksherrschaft“ unter Führung nationaldemokratischer Kräfte als erstrebenswertes Ziel auf. Diese von dem Antragsteller demonstrierte und durch Äußerungen kundgetane Haltung widerspreche dem von einem Beamten verlangten Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und dem Willen, für deren Erhalt einzutreten. Ähnlich seien die Äußerungen des Antragstellers zur Motivation der Ermordung Walter Rathenaus und der vom Antragsteller gezogene Vergleich zu den Attentätern um Graf Schenk von Stauffenberg zu sehen. Auch insoweit würden zentrale Themen rechtsradikaler Ideologie aufgegriffen und verbreitet, was im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehe. Der Antragsteller leugne einen antisemitischen Bezug bei der Ermordung Walter Rathenaus im Jahre 1922 und bestreite zudem ein Mordmotiv der Täter.

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In der disziplinarrechtlichen Rechtsprechung sei zwar keine Regelvermutung zur Ahndung derartiger Dienstpflichtverletzungen erkennbar. Denn die Handlungsbreite, die in der Verletzung der politischen Treuepflicht im Dienst denkbar seien, sei zu groß, als dass eine einheitliche Maßnahme erkennbar sei. Trotzdem seien die dargelegten Äußerungen sämtlich als schwerwiegende Dienstvergehen nach § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG anzusehen. Auch wenn im Fall einer einzelnen derartigen Äußerung nicht zwingend mit einer unmittelbaren Entfernung aus dem Dienst zu rechnen wäre, vermag vorliegend die Vielzahl und Häufigkeit der Dienstpflichtverletzungen eine solche Entscheidung im Ergebnis des Disziplinarverfahrens gleichwohl erwarten lassen. Die E-Mail an den NPD-Landesvorsitzenden lasse das Ansinnen erkennen, das Amt des Ortsbürgermeisters missbräuchlich zu nutzen, denn es entstehe der Eindruck, dass der Antragsteller das Amt nur noch bekleide um Zugriff auf Einrichtungen wie das Bürgerhaus der Ortschaft zu haben und um diese für die Zwecke verfassungsfeindlicher Organisationen zur Verfügung zu stellen. Zwar bestreite der Antragsteller die Urheberschaft der E-Mail. Dies sei jedoch als Schutzbehauptung zu werten.

33

Zudem werde die vorläufige Dienstenthebung auf § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA gestützt. Durch ein Verbleiben des Antragstellers im Dienst werde der Dienstbetrieb wesentlich beeinträchtigt. Denn die Funktion des Ortsbürgermeisters beschränke sich im Wesentlichen auf die Repräsentation der Ortschaft. Die dienstliche Funktion bestehe daher in der Achtung, Wertschätzung und dem Respekt, die seiner Person sowohl von seinem Dienstherrn als auch von der Öffentlichkeit entgegengebracht werde. Diese Achtung und damit das Ansehen der Person seien beeinträchtigt, wenn der Beamte ein Verhalten zeige, das Zweifel an seiner Integrität begründe. Dies sei vorliegend gegeben. Zudem seien die Auswirkungen auf den Dienstbetrieb zu befürchten, weil aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte mit einer Fortsetzung der Begehung des Dienstvergehens zu rechnen sei. Der Antragsteller habe sich auch durch die Anklageerhebung wegen Volksverhetzung nicht daran hindern lassen, seine Äußerungen weiter zu vertreten.

34

Die schwerwiegende und unmittelbare Gefährdung des Gemeinwohls rechtfertige die vorläufige Dienstenthebung. Sie widerspreche nicht der dienstrechtlichen Fürsorgepflicht gegenüber dem Antragsteller und sei verhältnismäßig. Dies gelte auch unter der Berücksichtigung, dass der Antragsteller sein Beamtenverhältnis auf einem Wahlmandat begründet. Diese demokratische Legitimation dürfe nicht ohne Weiteres übergangen werden. Jedoch stehe dem der hohe Rang der Verfassungstreuepflicht gegenüber. Ein Ortsbürgermeister, der dies nicht realisiere, gebe ein negatives Beispiel mangelnder Rechtstreue und erschüttere damit das Vertrauen der Bürger in eine rechtsstaatliche Verwaltung. Schließlich stelle das Verhalten des Antragstellers einen Verstoß gegen die Pflicht zu Achtung und Wohlverhalten dar.

35

Der Antragsteller hält die Verfügung mangels Zuständigkeit des Antragsgegners bereits für formell rechtswidrig, sieht das Vertrauensverhältnis zu ihm nicht als zerstört an und beantragt,

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die vorläufige Dienstenthebung aufzuheben.

37

Der Antragsgegner beantragt,

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den Antrag abzulehnen

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und verteidigt die vorläufige Dienstenthebung.

40

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang verwiesen.

II.

41

Der zulässige Antrag nach § 61 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 DG LSA ist unbegründet.

42

Die nach § 61 Abs. 2 DG LSA vom Disziplinargericht vorzunehmende Prüfung ergibt, dass die auf § 38 Abs. 1 Satz 1 sowie Satz 2 DG LSA gestützte vorläufige Dienstenthebung nicht aufzuheben ist. Ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen nicht. Sie lässt sich jedenfalls auf § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA stützen, so dass sich ein Eingehen auf die Voraussetzungen nach § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA erübrigt (vgl. zu dieser Prüfungsfolge: VG Ansbach, Beschluss v. 04.04.2008, AN 13b DS 08.00224; juris).

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1.) Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist die vorläufige Dienstenthebung nicht bereits formell rechtswidrig. Eines Verfahrens nach § 144 Gemeindeordnung Sachsen-Anhalt (GO LSA) bedarf es nicht. Denn vorliegend bedient sich der Antragsgegner des Disziplinarrechts. Als Ortsbürgermeister ist der Antragsteller Ehrenbeamter und unterliegt den beamten- und disziplinarrechtlichen Regelungen und damit auch der Disziplinargewalt des Dienstherrn (§ 5 BeamtStG; § 6 Landesbeamtengesetz Sachsen-Anhalt – LBG; § 57, § 88 Abs. 1 Satz 3 GO LSA; § 1 Abs. 1 DG LSA; Zur Disziplinargewalt über Ehrenbeamte: VG Magdeburg, Urteil v. 01.12.2011, 8 A 18/10; OVG Rheinl.-Pfalz, Beschluss v. 04.03.2013, 3 A 10105/13 beide juris).

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Die Suspendierungsverfügung wurde nach Einleitung des Disziplinarverfahrens und der Bekanntgabe der disziplinarrechtlichen Vorwürfe dem Antragsteller gegenüber vom Antragsgegner als in diesem speziellen Fall zuständigen Dienstvorgesetzten und obersten Dienstbehörde nach den §§ 76 Abs. 4 und 5 Nr. 8 i. V. m 34 Abs. 2 und 38 Abs. 1 DG LSA erlassen. Der Bürgermeister von … ist nach § 63 Abs. 5 GO LSA Vorgesetzter, Dienstvorgesetzter, höherer Dienstvorgesetzter und oberste Dienstbehörde des Antragstellers in seiner Funktion als Ortsbürgermeister von …. Nachdem der Bürgermeister mitteilte, dass er und seine Verwaltung mit der Durchführung eines derartigen Disziplinarverfahrens gegen dem Antragsteller überfordert sei, nahm der Landrat des  B... die Disziplinarverfolgung gegen den Antragsteller gem. § 17 Abs. 1 i. V. m. § 76 Abs. 2 Satz 1 2. Alternative DG LSA auf. Der Bürgermeister erklärte sich mit dieser Vorgehensweise einverstanden und verzichtete auf die Einlegung eines Rechtsbehelfes (§ 76 Abs. 6 DG LSA). Nachdem der Antragsteller von seinem Äußerungsrecht Gebrauch machte, erließ der Landrat des  B... unter dem 08.05.2013 die in dem bei Gericht anhängigen Parallelverfahren 8 B 11/13 streitgegenständliche Verfügung zur vorläufigen Dienstenthebung. Nachdem die Fehlerhaftigkeit dieser Verfügung aufgrund fehlender Zuständigkeit erkannt wurde, erließ der Antragsgegner die hier streitbefangene Verfügung vom 05.06.2013 zur vorläufigen Dienstenthebung und ersetzte die Verfügung des B… vom 08.05.2013. Dabei ist die rechtliche Problematik der „Ersetzung“ der Verfügung des  B... in diesem gerichtlichen Verfahren nicht streitgegenständlich zu führen. Denn diese Überprüfung wird in dem gerichtlichen Verfahren 8 B 11/13 vorgenommen. Dort hat der Landrat des  B... nunmehr die Verfügung aufgehoben.

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2.) Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt wird. Ferner kann die vorläufige Dienstenthebung ausgesprochen werden, wenn durch ein Verbleiben des Beamten im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Dienstenthebung nicht unverhältnismäßig ist (§ 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA). Der Antragsgegner stützt sich erkennbar mit selbständigen Begründungen auf beide Voraussetzungen.

46

Bei der Anordnung der Suspendierung handelt es sich nicht um eine Disziplinarmaßnahme (OVG LSA, B. v. 07.05.2010, 10 M 2/10; juris). Ihre Berechtigung ergibt sich aus dem funktionalen Bedürfnis, noch vor der endgültigen Klärung des Vorliegens eines Dienstvergehens und der abschließenden Entscheidung über die angemessene Maßregelung des Beamten eine den Verwaltungsaufgaben und dem Dienstbetrieb dienende vorübergehende Sicherungsregel zu treffen.

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Die auf § 38 Abs. 1 DG LSA gestützte Verfügung über die vorläufige Dienstenthebung muss pflichtgemäßem Ermessen der Einleitungsbehörde entsprechen. Den Beamten auch nur vorläufig vom Dienst zu entheben, setzt voraus, dass ein Verbleiben des Beamten im Dienst schlechthin untragbar wäre. Dabei handelt es sich um die denkbar schwerste Sanktion für dienstliche Verfehlungen, welche nach der Rechtsprechung besondere Umstände voraussetzt. Für die konkrete Entscheidung im Einzelfall sind grundsätzlich das dienstliche Bedürfnis an der einstweiligen Fernhaltung des Beschuldigten vom Dienst und dessen Recht auf amtsentsprechende dienstliche Beschäftigung abzuwägen (vgl. dazu: Köhler/Ratz, BDO, 2. Aufl., § 91 Rz. 10: vgl. zum Ganzen: VG Magdeburg, Beschl. v. 10.02.2007, 8 B 22/06; Beschl. v. 03.03.2010, 8 B 21/09; zuletzt: Beschl. v. 15.07.2013, 8 B 10/13; OVG Lüneburg, Beschluss v. 25.03.2013, 19 ZD 4/13; alle juris).

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a.) Nach § 61 Abs. 2 DG LSA ist die vorläufige Dienstenthebung dann aufzuheben, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel sind schon dann anzunehmen, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts offen ist, ob die Anordnung nach § 38 Abs. 1 DG LSA rechtmäßig oder rechtswidrig ist (vgl. nur: Bay. VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DC 11.985; OVG Lüneburg Beschluss vom 13.5.2005, 3 ZD 1/05; alle juris). Neben der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung ist somit zu prüfen, ob die in der Anordnung liegende Prognose gerechtfertigt ist, der Beamte werde im Disziplinarverfahren voraussichtlich aus dem Dienst entfernt werden.

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Diese Prognose trägt nur dann, wenn nach dem Kenntnisstand eines Eilverfahrens die Möglichkeit des Ausspruchs der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme überwiegend wahrscheinlich ist. Ist es dagegen zumindest ebenso wahrscheinlich, dass eine Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis im Disziplinarverfahren nicht erfolgen wird, sind ernstliche Zweifel durch das Gericht zu bejahen (BVerwG, Besch. v. 16.07.2009, 2 AV 4.09; BayVGH, Beschl. v. 20.04.2011, 16b DS 10.1120; Sächs. OVG, B. 19.08.2010, D 6 B115/10 mit Verweis auf Beschluss vom 08.07.2010, D6A116/10; alle juris; Müller, Grundzüge des Beamtendisziplinarrechts, § 38 Abs. 1 BDG, 2010, Rz. 370 m. w. N.; GKÖD, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, § 38 BDG, Rz. 51). Anders gewendet, es müssen hinreichend gewichtige Gründe dafür sprechen, dass die Entfernung aus dem Dienst im Ergebnis des – noch durchzuführenden - Disziplinarverfahrens nicht in Betracht kommt. Dies beinhaltet eine vom Gericht vorzunehmende summarische Prüfung des zurzeit bekannten Sachverhaltes und eine daran orientierte Wahrscheinlichkeitsprognose. Hinsichtlich des zur Last gelegten Dienstvergehens genügt die Feststellung, dass der Beamte dieses Dienstvergehen mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit begangen hat; nicht erforderlich ist, dass das Dienstvergehen bereits in vollem Umfang nachgewiesen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.09.1997, 2 WDB 3.97; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.09.2009, 83 DB 1.09; OVG des Saarlandes, Beschl. v. 17.06.2009, 6 B 289/09; alle juris).

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Die Beurteilung im Verfahren nach § 61 DG LSA erfordert keine gesonderten Beweiserhebungen, sondern ist in der Lage, in der sich das Disziplinarverfahren jeweils befindet, anhand der bis dahin zu Tage getretenen Tatsachen zu treffen. Für eine vorläufige Dienstenthebung können u. U. selbst durch Aktenvermerke untermauerte Erkenntnisse ausreichen (vgl. Müller a. a. O.). Dabei ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (BVerwG, Beschl. v. 22.07.2002, 2 WDB 1.02; OVG Berlin-Brandenburg; Beschl. v. 18.08.2005, 80 SN 1.05; Bay VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DCV 11.985; alle juris). Jedoch muss für die gerichtliche Überprüfung der vorläufigen Dienstenthebung maßgeblich auf die von dem Dienstherrn in dem Bescheid herangezogenen Gründe der Pflichtenverletzung abgestellt werden. Ähnlich wie bei der Bestimmtheit des Tatvorwurfs als inhaltliche Anforderung an die - spätere – Disziplinarklageschrift, müssen die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, aus sich heraus verständlich und nachvollziehbar geschildert werden. Ort und Zeit der einzelnen Handlungen müssen möglichst genau angegeben, die Geschehensabläufe nachvollziehbar beschrieben werden (vgl. nur: BVerwG, Urteile v. 23.11.2006, 1 D 1.06, v. 25.01.2007, 2 A 3.05; Beschlüsse v. 13.03.2006, 1 D 3.06, v. 18.11.2008, 2 B 63.08 und v. 21.04.2010, 2 B 101.09; alle juris). Nur diese können durch das Disziplinargericht im Rahmen der Würdigung durch Akteninhalte und sonstige – evtl. auch später, im Laufe des Verfahrens nach § 61 DG LSA hinzutretende - Erkenntnisse untermauert werden, um so die Prognoseentscheidung, das heißt die Ausübung des ordnungsgemäßen Ermessens durch den Dienstherrn, zu überprüfen (VG Magdeburg, Beschl. v. 15.07.2013, 8 B 10/13, juris). Hingegen ist es dem Disziplinargericht verwehrt, anstelle der Disziplinarbehörde eine eigene Ermessenserwägung anzustellen (OVG Saarland, Beschluss v. 18.05.2011, 6 B 211/11; juris).

51

b.) Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 und 3 DG LSA nach der Schwere des Dienstvergehens und des unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten eingetretenen Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. § 13 Abs. 2 DG LSA bestimmt, dass ein Beamter, der durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen ist (Satz 1). Die Feststellung des verloren gegangenen Vertrauens ist verwaltungsgerichtlich voll inhaltlich nachprüfbar (Satz 2).

52

Demnach ist maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der - späteren - Disziplinarmaßnahme die Schwere des Dienstvergehens. Sie beurteilt sich zum einen nach der Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale) und zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen der Pflichtenverstöße für den dienstlichen Betrieb und für Dritte (vgl. zum gleichlautenden § 13 BDG, BVerwG, Urt. v. 20.10.2005, 2 C 12.04; Urt. v. 03.05.2007, 2 C 9.06; B. v. 10.09.2010, 2 B 97/09; VGH Baden-Württemberg, U. v. 16.09.2010, DL 16 S 579/10; alle juris).

53

Erst bei Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Beamten lässt sich mit der gebotenen Sicherheit beurteilen, ob der Beamte aus disziplinarrechtlicher Sicht noch erziehbar erscheint oder ob hierfür eine bestimmte Disziplinarmaßnahme als notwendig, aber auch als ausreichend erscheint, oder ob der Beamte für die Allgemeinheit und den Dienstherrn untragbar geworden ist und deshalb seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist (vgl. nur: VG Magdeburg, U. v. 04.11.2009, 8 A 19/08 m. w. N.; juris).

54

Eine objektive und ausgewogene Zumessungsentscheidung setzt demnach voraus, dass die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme unter Berücksichtigung der belastenden und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten steht und gewisse Besonderheiten des Einzelfalls mildernd zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.12.2004, 2 BvR 52/02; BVerwG, U. v. 14.02.2007, 1 D 12.05 mit Verweis auf Urteil vom 20.10.2005, 2 C 12.04; OVG Lüneburg, U. v. 20.11.2009, 6 LD 1/09; VGH Bad.-Württ., U. v. 16.09.2010, DL 16 S 579/10; VG Saarland, U. v. 17.09.2010, 7 K 238/09; alle juris).

55

3.) Unter diesen rechtlichen Prüfungsvoraussetzungen folgt die Disziplinarkammer nach dem derzeitigen, sich aus der Begründung der Suspendierung und dem Aktenmaterial ergebenden Sach- und Rechtsstand der von dem Antragsgegner angestellten Prognoseentscheidung, dass mit der überwiegenden Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der Antragsteller ein derart schweres Dienstvergehen begangen hat, welches aufgrund des damit einhergehenden Verlustes des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit zu seiner Entfernung aus dem Dienst führen wird.

56

a.) Der Antragsgegner begründet die vorläufige Dienstenthebung maßgeblich damit, dass der Antragsteller durch seine Äußerungen und sein Verhalten gegen die ihm obliegenden beamtenrechtlichen Pflichten nach §§ 33 Abs. 1 Satz 3 (Verfassungstreue) und 34 Satz 3 (Wohlverhaltenspflicht) BeamtStG verstoßen habe.

57

Für die disziplinarrechtliche Beurteilung kommt es nicht entscheidend darauf an, ob das vorgeworfene Verhalten Straftatbestände (§§ 130, 189 StGB) erfüllt. Ein Dienstvergehen im Sinne von § 47 Abs. 1 BeamtStG liegt bereits vor, wenn ein Beamter schuldhaft die ihm obliegenden Dienstpflichten verletzt. Eine Dienstpflichtverletzung kann daher bereits dann gegeben sein, wenn der strafrechtliche Unrechtsgehalt nicht erfüllt wird. Denn das Disziplinarecht ist auf Pflichtenmahnung aufgrund der Besonderheiten des Status als Beamter angelegt (vgl.: VG Magdeburg, Urteil v. 29.03.2012, 8 A 9/09; juris).

58

Die dem Antragsteller vorgehaltenen Handlungen und insbesondere die schriftlichen Äußerungen, die zudem auf seiner Homepage im Internet öffentlich verbreitet wurden, sind geeignet, seine beamtenrechtliche Pflichten zur Verfassungstreue und zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes zu verletzen. Dabei handelt es sich auch um innerdienstliche Pflichtverletzungen (§ 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG), was den Vorwurf verschärft. Denn die Pflicht zum Eintreten für die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist unteilbar und nicht auf den dienstlichen Raum beschränkt (BVerwG. U. v. 12.03.1986, 1 D 103.84; Bayr. VGH, U. v. 28.11.2001, 16 D 00.2077; VG Berlin, B. v. 05.04.2007, 80 Dn 53.06; alles juris).

59

b.) Für den Tatbestand der Ansehensschädigung ist es ausreichend, wenn ein Verhalten zur Beeinträchtigung von Achtung und Vertrauen geeignet ist, so dass eine tatsächliche Beeinträchtigung nicht erforderlich ist (BVerwG, U. v. 08.05.2011, 1 D 20.00; BVerfG, B. v. 05.12.2008, 1 BvR 1318/07; LAG Rheinland-Pfalz, U. v. 16.12.2010, 10 Sa 308/10; VG Magdeburg, Urteil v. 08.06.2011, 8 A 16/10 MD; alle juris).

60

c.) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 22.05.1975, 2 BvL 13/73; juris) setzt die - für jede Art von Beamtenverhältnis geltende - Verfassungstreue bei Beamten mehr als nur eine formal-korrekte, im Übrigen uninteressierte, kühle sowie innerlich distanzierte Haltung gegenüber den wesentlichen Wertentscheidungen des Grundgesetzes voraus. Vielmehr ist der Beamte zur Aktivität verpflichtet, wie sich aus den Worten „bekennen“ und „eintreten“ ergebe. Das bloße Haben einer Überzeugung und die bloße Mitteilung, dass man diese habe, stellt dagegen keine Verletzung der politischen Treuepflicht dar. Der Tatbestand ist erst erfüllt, wenn der Beamte aus seiner politischen Überzeugung Folgerungen für seine Einstellung gegenüber der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, für die Art der Erfüllung seiner Dienstpflichten, für den Umgang mit seinen Mitarbeitern oder für politische Aktivitäten im Sinne seiner politischen Überzeugung zieht (BVerwG, Beschluss v. 17.05.2001, 1 DB 15/01; VG Münster, Urteil v. 19.02.2013, 13 J 1160/12.O; beide juris). Die daraus resultierende Pflicht umfasst auch die Verpflichtung, alles zu unterlassen, was geeignet ist, den Anschein zu erwecken, verfassungsfeindliche Ansichten Dritter zu teilen oder zu fördern. Dabei darf sich der Beamte nicht passiv verhalten, da dies als stillschweigende Billigung des verfassungsfeindlichen Verhaltens gewertet werden könnte.

61

Ein Beamter ist im Interesse des Vertrauens der Öffentlichkeit in eine dem freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat verpflichtenden Beamtenschaft insoweit gehalten, zu vermeiden, dass er durch sein Verhalten in vorhersehbarer und ihm daher zurechenbarer Weise den Anschein setzt, sich mit dem Nationalsozialismus selbst oder Kräften zu identifizieren oder auch nur mit ihnen zu sympathisieren, die der Nationalsozialismus durch geschichtlichen Revisionismus verharmlosen und verherrlichen. Denn im Interesse der Akzeptanz und der Legitimation staatlichen Handelns ist er verpflichtet, bereits den Schein der Identifikation mit einem dem freiheitlichen Rechtsstaat diametral entgegengesetzten Gedankengut und mit Bestrebungen zu vermeiden, die sich zu einem solchen Gedankengut bekennen. Schon das zurechenbare Setzen eines solchen Scheins stellt eine disziplinarrechtlich bedeutsame Dienstpflichtverletzung dar. Diese Annahme ist ohne Verstoß gegen die verfassungsrechtlich verbürgte Unschuldsvermutung dann möglich, wenn das „den bösen Schein“ begründende Verhalten geeignet ist, die Akzeptanz oder Legitimation staatlichen Handelns zu beeinträchtigen (vgl. VG Berlin, B. v. 25.10.2006, 7 A 79.06 zum Fall der Verbreitung einer rechtsradikalen Musik-CD; juris). Pflichtwidrig handelt zwar also auch der, der kein Gegner der freiheitlich demokratischen Grundordnung ist, durch konkretes Handeln aber diesen Anschein hervorruft (BVerwG, B. v. 17.05.2001, 1 DB 15.01; VG Berlin, B. v. 05.04.2007, 80 Dn 43.06; beide juris).

62

Die Leugnung des nationalsozialistischen Massenmordes an europäischen Juden in Gaskammern deutscher Konzentrationslager sowie die Behauptung die diesbezüglichen deutschen Verbrechen seien Lügen, verharmlost und verherrlicht den Nationalsozialismus und ist unvereinbar mit der Pflicht eines Beamten, aktiv für die geltende Verfassungsordnung einzutreten. Hierzu hat bereits der Disziplinargerichtshof Niedersachsen im Urteil vom 23.07.1984 (NdA A12 6.82; zitiert bei Bay. Verwaltungsgerichtshof, U. v. 28.11.2001, 16 D 00.2077; juris) ausgeführt:

63

„Die freiheitliche demokratische Grundordnung steht im scharfen Gegensatz zum Unrechtssystem des Nationalsozialismus. Die nähere Ausformung unserer Demokratie ist weitgehend geprägt durch die Erfahrungen mit dem vorangegangenen totalitären System. Der Einbau wirksamer rechtlicher Sicherungen dagegen, dass solche politischen Richtungen jemals wieder Einfluss auf den Staat gewinnen, beherrscht das Denken des Verfassungsgebers. Wer die vorangegangene Gewaltherrschaft zu rechtfertigen oder zu entschuldigen versucht, der untergräbt zugleich die Grundlagen unserer demokratischen Staatsordnung. Er bereitet damit den „Nährboden“ für eine Widerbelebung von totalitären Anschauungen, an der rechtsextremistischen Kreisen gelegen ist. Der von Hitler angeordnete systematische Massenmord an den Juden ist eines der zentralen Themen der Rechtsradikalen, da er das nationalsozialistische Regime am schwersten belastet. Kann die systematische Judenvernichtung als unwahr hingestellt oder die Bewertung als noch „in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung“ befindlich dargestellt werden, so ist die Bahn frei für Bestrebungen, den Nationalsozialismus zu rehabilitieren und als Alternative zur demokratischen Staatsform anzupreisen“.

64

Diese Ausführungen verdeutlichen auch aus heutiger Sicht den disziplinarrechtlichen Unrechtsgehalt derartiger NS-Propaganda.

65

d.) Für Dienstpflichtverletzungen der vorliegenden Art gibt es keine disziplinare Regelrechtsprechung, welche die Annahme der Entfernung aus dem Dienst prognostiziert. Denn die Handlungsbreite, in der Verletzungen der Pflicht zur Verfassungstreue und/oder eine Ansehensschädigung denkbar sind, ist zu groß, als dass sie einheitlichen Regeln unterliegen und in ihren Auswirkungen auf Achtung und Vertrauen gleichermaßen eingestuft werden könnten. Zu betrachten sind daher stets die besonderen Umstände des Einzelfalls unter Beachtung der bisherigen Rechtsprechung der Disziplinargerichte (VG Berlin, B. v. 05.04.2007, 80 Dn 43/06; juris).

66

So hat das Verwaltungsgericht Magdeburg bezüglich eines beamtenrechtlichen Verbotes der Führung der Dienstgeschäfte wegen der Äußerung eines Justizvollzugsbeamten: „Die kann man nicht mehr behandeln, die kann man nur noch vergasen“, eine Ansehensschädigung des Justizvollzugsdienstes und des gesamten Berufsbeamtentums angenommen (B. v. 16.11.2009, 5 B 279/09 MD, bestätigt durch OVG LSA, B. v. 22.12.2009, 1 M 87/09; beide juris). In seinem Urteil vom 01.12.2011 (8 A 18/10 MD; juris) stellt die Disziplinarkammer fest, dass auch ein Nichteinschreiten eines ehrenamtlichen Bürgermeisters gegen eine in seinem Beisein vorgenommene Handlung des Straftatbestandes der Volksverhetzung (Sommersonnenwendfeier, Bücherverbrennung) eine beamtenrechtliche Pflichtenverletzung hinsichtlich des Wohlverhaltens darstellen kann und wegen der Besonderheiten im Einzelfall keine Entfernung ausgesprochen. Das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt hat in einem Urteil vom 15.04.2010 (10 L 4/09; n. v.) hinsichtlich eines Polizeivollzugsbeamten, welcher zu einem Angelausflug unter der Überschrift „Operation Weserübung“ (Tarnname für den Überfall der deutschen Wehrmacht auf Norwegen), eingeladen hat die vom erkennenden Disziplinargericht (Urteil v. 10.11.2009, 8 A 11/09 MD; n. v.) festgestellte Ansehensschädigung bestätigt, die ausgesprochene Degradierung aber in eine Gehaltskürzung abgemildert. Zuletzt hat das Disziplinargericht entschieden, dass die Äußerung eines Polizeibeamten „halte die Hand wie beim bösen Adolf“ bei der erkennungsdienstlichen Behandlung wegen der damit bezweckten Assoziation zum Hitlergruß eine Ansehensschädigung des Berufs der Polizeibeamten darstellt und der Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht mit einer Geldbuße belegt werden darf (VG Magdeburg, Urteil v. 23.01.2013, 8 A 21/12; juris).

67

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat im Fall eines Lehrers (U. v. 28.11.2001, 16 D 00.2077; juris), nachdem er bereits wegen Verharmlosung des Nationalsozialismus disziplinarrechtlich mit einer Degradierung belastet war aufgrund der Vorbelastung und dem Wiederholungsfall und nach Feststellung völliger Uneinsichtigkeit die Entfernung aus dem Dienst verhängt. Hinsichtlich der Berufsgruppe der Polizeibeamten sind vorwiegend disziplinarrechtliche Entscheidungen mit dem Disziplinarmaß der Zurückstufung bzw. Degradierung unter Berücksichtigung des Vorliegens von Entlastungs- und Milderungsgründen zu finden (vgl. Bay. VGH, U. v. 11.07.2007, 16 a D 06.2094 mit Bestätigung des VG München, U. v. 26.06.2006, M 19 D 06.1360; beide juris).

68

Das Bundesverwaltungsgericht hob die vorläufige Dienstenthebung eines BGS-Beamten (Beschluss vom 17.05.2001, 1 DB 15/01; juris) auf, weil eine Entfernung aus dem Dienst allein wegen des Verstoßes gegen die beamtenrechtliche Wohlverhaltenspflicht nicht in Betracht kommt.

69

Der Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts hat in dem Beschluss vom 18.11.2003 (2 WDB 2.03; juris) die vorläufige Dienstenthebung wegen des Einbringens zahlreichen NS-Propagandamaterials in dienstliche Einrichtungen und Unterkünfte aufrechterhalten.

70

Das Verwaltungsgericht Münster beschäftigte sich jüngst im Urteil vom 19.02.2013 (13 K 1160/12.0; juris) mit der beamtenrechtlichen Verfassungstreuepflicht und der Wohlverhaltenspflicht bei der Teilnahme an der „Rechten Szene“ zuzuordnenden Veranstaltungen und verweist auf die Meinungs- und Versammlungsfreiheit des Beamten, was bei der Auswahl der Disziplinarmaßnahme zu berücksichtigen ist.

71

Auch das VG Berlin sah in dem Beschluss vom 05.04.2007 (80 D n 43/06; juris) aufgrund des Vorliegens von Entlastungs- und Milderungsgründen bei einem Polizeibeamten trotz des disziplinarrechtlichen Pflichtenverstoßes Milderungsgründe, die den Ausspruch der Höchstmaßnahme nicht erwarten ließen, so dass die vorläufige Dienstenthebung aufgehoben wurde.

72

e.) Unter Berücksichtigung dieser in der disziplinarrechtlichen Rechtsprechung zu findenden Fallgestaltungen und der hier im Einzelfall erforderlichen Abwägung sieht das Disziplinargericht die nach § 61 Abs. 2 DG LSA zur Aufhebung der vorläufigen Dienstenthebung führenden ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit nicht. Denn die vom Antragsgegner getroffene Prognose der späteren - im Übrigen vom Disziplinargericht auszusprechenden - Dienstentfernung begegnet keinen ernstlichen Zweifeln und hält der gerichtlichen Überprüfung stand. Die Verfügung zur vorläufigen Dienstenthebung erscheint nicht als verfrüht und wird von den bisherigen disziplinarrechtlichen Ermittlungen und sonstigen tatsächlichen Erkenntnissen getragen. Zwar müssen gerade schwerwiegende Dienstpflichtverletzungen die den Ausspruch der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme rechtfertigen, einen sorgfältigen Ermittlungs- und Begründungsaufwand genügen, zumal diese schließlich am Ende der Ermittlungen zur Disziplinarklage führen sollen. Das Disziplinargericht weist aber darauf hin, dass in dem jetzigen Stadium der vorläufigen Dienstenthebung das Dienstvergehen gerade noch nicht bewiesen sein muss (vgl. oben II. 2. a.)

73

So reichen die dem Antragsteller vorgehaltenen Äußerungen bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt aus, um mit der hinreichenden überwiegenden Wahrscheinlichkeit die Prognose anzunehmen, dass bei Weiterermittlung im disziplinarrechtlichen Verfahren und unter Verwendung aller diesbezüglichen Aufklärungsmöglichkeiten sowie unter Berücksichtigung der vom Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung herausgestellten besonderen Bedeutung der Entlastungs- und Milderungsgründe tatsächlich die Entfernung aus dem Dienst ansteht. Ohne jeden Zweifel haben sich die Überzeugungen des Antragstellers in nachdrücklich vertretenen ablehnenden Einstellungen zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung manifestiert. Dabei sind jedenfalls derzeit keine gewichtigen Milderungs- und Entlastungsgründe erkennbar, die eine andere Prognose zu rechtfertigen vermögen. Zudem hat sich der Antragsteller im gerichtlichen Verfahren über die Frage der formellen Rechtmäßigkeit der Verfügung hinaus nicht geäußert, so dass seine Motivation nur aus seinen behördlichen Stellungnahmen und seiner Artikulation in seinem Blog selbst abgeleitet werden kann.

74

Ausweislich seines auf seiner inzwischen gesperrten Homepage veröffentlichten „Programms“ und seiner Stellungnahmen im Disziplinarverfahren sieht er sich zwar (nur) als „Aufklärer“ der von ihm zahlreich gesehenen politischen und gesellschaftlichen „Missstände“ in Deutschland und zieht Parallelen zu üblichen und undemokratischen Handlungen in der Ukraine, Russland oder China. Zugleich glorifiziert er die NPD, kandidierte für diese und trat aus der SPD, zu deren Gründungsmittgliedern er in Sachsen-Anhalt zählte, aus. Dabei bedient er sich dem Gedankengut nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehender rechtspopulistischer Parteien und Bestrebungen, obwohl er sich selbst als Demokrat bezeichnet und insbesondere demokratische Strukturen anmahnt. Dies gilt auch hinsichtlich der Feststellung der genauen Anzahl der in Auschwitz von den Nationalsozialisten in den Gaskammern umgebrachter Juden. Dabei ist nicht entscheidend, ob der Antragsteller die Vernichtung der Juden als Tatsache in Frage stellen will, sondern deren genaue Anzahl, um daraus den Beleg für die seiner Auffassung nach bestehende „Verlogenheit des Systems“ zu ziehen. Verheerend bei dieser Art der Publikation ist, dass etwaige historische Fehlinterpretationen – nämlich die genaue Anzahl der von den Nationalsozialisten vernichteten Menschen – und nicht das historisch belegte Vernichtungsprogramm herausgehoben werden. Dies ist geeignet, die Tatsache als solche – hier die systematische Vernichtung der Juden – in Frage zu stellen (Revisionismus). Der Antragsteller hingegen stellt in diesem Zusammenhang die Behauptung auf: „Für mich steht fest: Die seit der Kindheit gelernten deutschen Verbrechen sind Lügen!“ Gleiches gilt für seine Interpretationsversuche hinsichtlich der Hintergründe der Ermordung Walter Rathenaus oder dem Gedenken an Graf von Stauffenberg. Nahezu jedes politisch, historisch oder gesellschaftlich relevante Thema und jede daraus resultierende Person wird von dem Antragsteller unter seinem rechtspopulistischen Blickwinkel ausgiebig behandelt und bizarr verzehrt dargestellt. Diese Äußerungen sind auch nicht mehr als von der Meinungsfreiheit gedeckt anzusehen. Denn insoweit trifft den Beamten ebenso eine Zurückhaltungs- und Mäßigungspflicht (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 04.03.2013, 3 A 10105/13; VG Münster, Urteil v. 19.02.2013, 13 K 1160/12.O; VG Magdeburg, Urteil v. 14.02.2012, 8 A 6/11; alle juris).

75

Aufgrund solcher Äußerungen setzt der Antragsteller in vorhersehbarer und ihm daher zurechenbarer Weise zumindest und zweifellos den Anschein, sich mit dem Nationalsozialismus selbst oder Kräften zu identifizieren oder auch nur mit ihnen zu sympathisieren, die den Nationalsozialismus durch geschichtlichen Revisionismus verharmlosen und verherrlichen. Dabei handelt es sich bei den dem Antragsteller vorgehaltenen Äußerungen auch nicht nur um einmalige oder hinsichtlich der Zeitspanne kurzfristige Ausrutscher oder aus dem Zusammenhang gerissene Zitate. Denn schon das Studium der dem Disziplinargericht vorliegenden Inhalte des vom Antragsteller betriebenen Blogs auf seiner Homepage belegen über die von der Suspendierungsverfügung als Belege herausgegriffenen Äußerungen des Antragstellers hinaus, die durchgehende, über einen längeren Zeitraum erfolgte und ausnahmslose Artikulierung des Antragstellers in dem Sinne, nicht für die in § 33 Abs. 1 Satz 3 (freiheitlich-demokratische Grundordnung) und § 34 Satz 3 BeamtStG (Ansehen und Wohlverhalten) beschriebenen Dienstpflichten einstehen zu wollen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Antragsteller ausweislich seiner Stellungnahme im Ermittlungsverfahren angezeigt hat, keine Zurückhaltung üben zu wollen. Gemäß der Vorgehensweise rechtspopulistischer Bestrebungen äußert sich der Antragsteller bei jeder sich bietenden Gelegenheit unter Verwendung aller möglichen Medien, um so sein Gedankengut zu verbreiten. Der gesamte Blog und nahezu jede Äußerung innerhalb des Chats kann hierzu als Beleg herangezogen werden. Auszugsweise sei über die Ausführungen in dem Suspendierungsbescheid nur ergänzend genannt (18.10.2012):

76

„Die NeoNazis sind doch die Einzigen in Deutschland, die dieses land und seine Kultur am Leben erhalten wollen – Sie scheindeutscher Falschmünzer! Seit Jahrzehnten und entgegen dem erbitterten Widerstand Ihres Mainstreams. Und darum kann und muss jeder aufrechte und vernünftige Deutsche sie unterstützen. DAS ist wirklich alternativlos!“.

77

Aufgrund derartiger Handlungen und Äußerungen wird der Antragsteller fortgesetzt nicht dem Vertrauen als aktiver Verteidiger der verfassungsgemäßen Ordnung gerecht, welches ihm von seinem Dienstherrn aber auch und gerade von der Allgemeinheit zur Ausübung seines Amtes entgegen gebracht wurde. Dies gilt auch unter Beachtung der Tatsache, dass der Antragsteller in das Amt des Ortsbürgermeisters gewählt wurde. Denn als Repräsentant seines Ortes und Vertreter staatlicher Ordnung verletzt er vehement und stetig seine politische Treuepflicht und begeht zudem eine Schädigung des Ansehens des Amtes des Ortsbürgermeisters. In diesen Fällen kommt disziplinarrechtlich die Lösung aus dem Beamtenverhältnis in Betracht.

78

d.) Hingegen kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Prognoseentscheidung nicht auf eine angeblich vom Antragsteller verfasste E-Mail an den NPD-Landesvorsitzenden … gestützt werden, wonach der Antragsteller unter Ausnutzung seines Amtes als Ortsbürgermeister die zur Verfügungstellung eines Veranstaltungsraumes in seinem Ort bzw. der Gemeinde in Aussicht gestellt habe. Denn das Verfassen dieser E-Mail wird vom Antragsteller bestritten und als Fälschung bezeichnet. Dem ist im Ermittlungsverfahren weiter nachzugehen und kann nicht als bloße Schutzbehauptung abgetan werden. Denn bei der in dem Disziplinarvorgang enthaltenen E-Mail handelt es sich nicht um die Original Nachricht, sondern ausweislich der Kennung um eine auf der Homepage der „Tageszeitung“ publizierten Veröffentlichung. Auch ist nicht ersichtlich, wie der Antragsgegner in den Besitz der E-Mail gelangt ist.

79

4.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 72 Abs. 4, 73 Abs. 1 DG LSA, 154 Abs. 1 VwGO.


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Bundesdisziplinargesetz - BDG | § 13 Bemessung der Disziplinarmaßnahme


(1) Die Entscheidung über eine Disziplinarmaßnahme ergeht nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Disziplinarmaßnahme ist nach der Schwere des Dienstvergehens zu bemessen. Das Persönlichkeitsbild des Beamten ist angemessen zu berücksichtigen. Ferner soll b

Beamtenstatusgesetz - BeamtStG | § 34 Wahrnehmung der Aufgaben, Verhalten und Erscheinungsbild


(1) Beamtinnen und Beamte haben sich mit vollem persönlichem Einsatz ihrem Beruf zu widmen. Sie haben die übertragenen Aufgaben uneigennützig nach bestem Gewissen wahrzunehmen. Ihr Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes muss der Achtung und d

Beamtenstatusgesetz - BeamtStG | § 47 Nichterfüllung von Pflichten


(1) Beamtinnen und Beamte begehen ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzen. Ein Verhalten außerhalb des Dienstes ist nur dann ein Dienstvergehen, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße g

Strafgesetzbuch - StGB | § 130 Volksverhetzung


(1) Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,1.gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen dessen Zugehör

Bundesdisziplinargesetz - BDG | § 38 Zulässigkeit


(1) Die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde kann einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus d

Beamtenstatusgesetz - BeamtStG | § 33 Grundpflichten


(1) Beamtinnen und Beamte dienen dem ganzen Volk, nicht einer Partei. Sie haben ihre Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen und ihr Amt zum Wohl der Allgemeinheit zu führen. Beamtinnen und Beamte müssen sich durch ihr gesamtes Verhalten zu der

Strafgesetzbuch - StGB | § 189 Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener


Wer das Andenken eines Verstorbenen verunglimpft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Beamtenstatusgesetz - BeamtStG | § 5 Ehrenbeamtinnen und Ehrenbeamte


(1) Als Ehrenbeamtin oder Ehrenbeamter kann berufen werden, wer Aufgaben im Sinne des § 3 Abs. 2 unentgeltlich wahrnehmen soll. (2) Die Rechtsverhältnisse der Ehrenbeamtinnen und Ehrenbeamten können durch Landesrecht abweichend von den für Beamtinne

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(1) Beamtinnen und Beamte haben sich mit vollem persönlichem Einsatz ihrem Beruf zu widmen. Sie haben die übertragenen Aufgaben uneigennützig nach bestem Gewissen wahrzunehmen. Ihr Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes muss der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die ihr Beruf erfordern.

(2) Beamtinnen und Beamte haben bei der Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug auch hinsichtlich ihres Erscheinungsbilds Rücksicht auf das ihrem Amt entgegengebrachte Vertrauen zu nehmen. Insbesondere das Tragen von bestimmten Kleidungsstücken, Schmuck, Symbolen und Tätowierungen im sichtbaren Bereich sowie die Art der Haar- und Barttracht können eingeschränkt oder untersagt werden, soweit die Funktionsfähigkeit der Verwaltung oder die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten dies erfordert. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Merkmale des Erscheinungsbilds nach Satz 2 durch ihre über das übliche Maß hinausgehende besonders individualisierende Art geeignet sind, die amtliche Funktion der Beamtin oder des Beamten in den Hintergrund zu drängen. Religiös oder weltanschaulich konnotierte Merkmale des Erscheinungsbilds nach Satz 2 können nur dann eingeschränkt oder untersagt werden, wenn sie objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die neutrale Amtsführung der Beamtin oder des Beamten zu beeinträchtigen. Die Einzelheiten nach den Sätzen 2 bis 4 können durch Landesrecht bestimmt werden. Die Verhüllung des Gesichts bei der Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug ist stets unzulässig, es sei denn, dienstliche oder gesundheitliche Gründe erfordern dies.

(1) Beamtinnen und Beamte dienen dem ganzen Volk, nicht einer Partei. Sie haben ihre Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen und ihr Amt zum Wohl der Allgemeinheit zu führen. Beamtinnen und Beamte müssen sich durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten.

(2) Beamtinnen und Beamte haben bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergibt.

(1) Als Ehrenbeamtin oder Ehrenbeamter kann berufen werden, wer Aufgaben im Sinne des § 3 Abs. 2 unentgeltlich wahrnehmen soll.

(2) Die Rechtsverhältnisse der Ehrenbeamtinnen und Ehrenbeamten können durch Landesrecht abweichend von den für Beamtinnen und Beamte allgemein geltenden Vorschriften geregelt werden, soweit es deren besondere Rechtsstellung erfordert.

(3) Ein Ehrenbeamtenverhältnis kann nicht in ein Beamtenverhältnis anderer Art, ein solches Beamtenverhältnis nicht in ein Ehrenbeamtenverhältnis umgewandelt werden.

Tenor

Der ablehnende Bauvorbescheid der Beklagten vom 18.05.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.11.2009 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, auch Ziffer 1 und 2 der Bauvoranfrage vom 23.02.2009 positiv zu bescheiden.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leisten.

Tatbestand

1

Die Kläger begehren die Erteilung eines positiven Bauvorbescheides zur planungsrechtlichen Zulässigkeit eines Umbaus und einer geringfügigen Erweiterung ihres Einfamilienhauses in der ... 20 in ....

2

Sie sind Eigentümer des genannten Grundstückes im unbeplanten Innenbereich von Travemünde. Das Grundstück stellt das Eckgrundstück zur Straße ... dar. Nördlich der Straße ... schließt sich ein Golfplatzgelände mit Parkplatz an, südlich der Straße ... ist reine Wohnbebauung, ganz überwiegend in Form von freistehenden Einfamilienhäusern, vorhanden. Die meisten Gebäude in der ... (wie auch in der ... und im ...) sind offen in fünfziger/sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts mehr oder weniger nach Maßgabe eines nicht übergeleiteten Durchführungsplanes (Nr. 56) genehmigt und errichtet worden. Dieser Plan sah eine bestimmte Gebäudestellung mit festgesetzter Dachneigung und Dachform vor. So sind die Gebäude ... 12-20 traufständig mit Satteldächern errichtet worden, die Gebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite (Nrn. 11-19) giebelständig mit Satteldächern. Im weiteren Verlauf der ... sind Walmdächer (gerade Hausnummern) bzw. einhüftige Dächer mit erhöhter Traufhöhe im rückwärtigen Bereich (ungerade Hausnummern) vorhanden. Im Bereich .../ ... ist eine einheitliche Dachform nicht mehr zu erkennen. Im insbesondere interessierenden Bereich beidseitig der ... (Nrn. 11-20) ist zumindest straßenseitig die ursprüngliche Gebäudeausrichtung und Dachform noch vorhanden.

3

Das Gebäude der Kläger selbst ist – abweichend vom Standort des Durchführungsplanes – etwa quadratisch mit kleineren Anbauten (etwas vorgezogenes Kinderzimmer im Erdgeschoss an der Süd-West-Ecke, Speisekammer im Erdgeschoss an der Nord-Ost-Ecke) errichtet worden. Es ist eingeschossig und mit einem zur ... hin traufständigen Satteldach versehen.

4

Mit Schreiben vom 23.02.2009 beantragten die Kläger über ihren Architekten die Erteilung eines positiven Bauvorbescheides in Bezug auf die planungsrechtliche Zulässigkeit zu folgenden Fragen:

5

1. Wird eine Erweiterung im EG (Windfang) sowie im DG (Baderweiterung mit Galerie) mit Giebelständigkeit zur Süd-West-Seite genehmigt?

6

2. Wird eine Erweiterung im DG (Ankleidekammer) mit geringer Giebelständigkeit zur Nord-Ost-Seite genehmigt?

7

3. Wird der Einbau einer Dachgaube im DG (Schlafzimmer zur Nord-Ost-Seite) genehmigt?

8

Nachdem das gemeindliche Einvernehmen zu den Fragen 1. und 2. versagt worden war, erging unter dem 18.05.2009 ein Bauvorbescheid des Inhalts, dass in Bezug auf die Frage 3. keine planungsrechtlichen Bedenken bestünden, die in den Ziffern 1. und 2. angesprochenen Umbauten jedoch aus planungsrechtlichen Gründen nicht genehmigungsfähig seien. Zur Ablehnung in Bezug auf die Frage 1. führte die Beklagte zur Begründung aus, die angefragte Dachgeschoss-Erweiterung zur Süd-West-Seite (Straßenseite) füge sich nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein, da die Dachgeschosswohnfläche durch die Errichtung des straßenseitigen Giebels über die „glatte“ Satteldachfläche hinaus in Anspruch genommen werden solle, wofür es in dem geplanten Umfang und in der vorgesehenen Größe bei den Gebäuden der näheren Umgebung im Verlauf der ... keine Vorbilder gebe. Das Orts- und Straßenbild in der ... sei auf der Ostseite durch traufständig zur Straße stehende Ein- bzw. Zweifamilienwohnhäuser geprägt. In diese Traufständigkeit reihe sich ohne die beantragten baulichen Veränderungen auch das Wohnhaus der Kläger harmonisch ein. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite seien die Wohngebäude zur Straße giebelständig angeordnet. Auf diese Weise entstehe durch die jeweils in die gleiche Firstrichtung ausgerichteten Gebäude für den Betrachter ein harmonisches, ausgewogenes und auch beruhigend wirkendes Orts- und Straßenbild. Bei den Gebäuden in der näheren Umgebung im Verlauf der ... seien lediglich Dachgauben allein oder mit vorgelagerten Dachterrassen vorhanden. Durch die geplante straßenseitige Giebelerrichtung werde das harmonisch, durch traufständige Gebäude geprägte Straßenbild mehr als nur geringfügig beeinträchtigt, da der geplante Giebel mit einer Breite von ca. 7 m ca. 70 % der Gebäudelänge in Anspruch nehme und somit aus einem zur Straße traufständigen Gebäude ein giebelständiges Gebäude mache. Außerdem werde die vorhandene Traufhöhe des Hauptgebäudes erheblich, nämlich um ca. 1,60 m überschritten, was ebenfalls als rahmenüberschreitend einzustufen sei. Darüber hinaus werde auch das vorhandene Ortsbild beeinträchtigt. Das Ortsbild sei in diesem Grundstücksbereich durch eine eingeschossige Einzelhausbebauung mit zur Straße traufständiger Baukörperausrichtung geprägt, die eine straßenbegleitende Grundstruktur mit Ortsbild prägendem Charakter erkennen lasse. Die Errichtung eines straßenseitigen Giebels einschließlich einer Überhöhung der Traufe um ca. 1,60 m liege außerhalb dieser Struktur und störe geradezu den Ortsbild prägenden Charakter dieser Siedlung.

9

Auch eine Zulassung des geplanten Vorhabens nach § 34 Abs. 3 a BauGB komme nicht in Betracht, da eine städtebauliche Vertretbarkeit nicht gegeben sei.

10

Im Hinblick auf eine genehmigungsfähige Planung werde empfohlen, auf die straßenseitige Dachgeschosserweiterung mit Giebelerrichtung zu verzichten und den gewünschten Erweiterungsbedarf mittels Errichtung einer entsprechend auf die Proportion des Gebäudes abgestimmten Dachgaube zu realisieren. Hinsichtlich Ziffer 2. führte die Beklagte aus, der angefragte rückwärtig geplante Giebel ordne sich zwar hinsichtlich seiner Breite unter, er füge sich jedoch hinsichtlich seiner Traufhöhe, die mit ca. 2,60 m mehr als erheblich über die Traufhöhe des Hauptgebäudes hinausrage, nicht in die eigene Art der Umgebung ein.

11

Insoweit wurde empfohlen, die Traufhöhe des Hauptgebäudes nicht zu überschreiten.

12

Gegen den ablehnenden Bauvorbescheid legten die Kläger am 02.06.2009 Widerspruch ein und führten zur Begründung aus, die nähere Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB sei unzutreffend bemessen worden. Insbesondere sei auch die, von der Straße ... her gesehen schon mit dem übernächsten Grundstück beginnende Bebauung im Bereich .../ ... in die Betrachtung mit einzubeziehen. Gerade in diesem Bereich sei eine homogene Giebel- bzw. Traufständigkeit nicht zu erkennen. Auch entlang der ... könne nicht von einer homogenen Dachgestaltung ausgegangen werden. So sei das Gebäude Nr. 6 nicht traufständig und die Gebäude mit den Nummern 5, 7 und 9 nicht giebelständig. Insgesamt füge sich das geplante Vorhaben in die eigene Art der näheren Umgebung ein. Bodenrechtliche Spannungen würden nicht erzeugt, ein Planungsbedürfnis entstehe nicht. Von einer Ortsbildbeeinträchtigung könne schon deswegen keine Rede sein, weil die nähere Umgebung insoweit keine besondere Wertigkeit aufweise. Hilfsweise sei zumindest eine Zulässigkeit des geplanten Vorhabens nach § 34 Abs. 3 a BauGB gegeben.

13

In einem internen Vermerk wies die Stadtplanungsabteilung der Beklagten am 06.08.2009 daraufhin, dass in der Widerspruchsbegründung als Haus „ ... 7“ angesprochene Gebäude habe seine tatsächliche Belegenheit und Adresse am .... Das Grundstück habe, wie dieser Irrtum belege, eine atypische Lage zwischen ... und der Straße ... und stelle insoweit einen Ausreißer dar. Die ... habe keine trennende Wirkung, so dass auch die dem klägerischen Grundstück gegenüberliegende Straßenseite mit einzubeziehen sei. Das Gebäude ... 6 sei ein Walmdachhaus, das mit der Längsseite traufständig an der Straße stehe. Erst jenseits der Einmündung der ..., also weiter entfernt vom Grundstück der Kläger, seien auch die Häuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite traufständig.

14

Den eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.11.2009 zurück und führte zur Begründung aus, als nähere Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB seien die Gebäude... 12-20 sowie auf der gegenüberliegenden Seite die Gebäudenummern 19-11 (Einmündung ...) her-anzuziehen. Durch die jeweils in gleicher Firstrichtung ausgerichteten Gebäude ergebe sich für den Betrachter ein harmonisches, ausgewogenes und beruhigend wirkendes Straßenbild. Die geplante Dachgeschosserweiterung zur Süd-West-Seite füge sich aufgrund der geplanten straßenseitigen Giebelerrichtung sowie durch die von der weitestgehend einheitlichen Traufhöhe abweichende Traufhöhe nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Straßenseitig sei der giebelständige Vorbau mit über 7 m deutlich breiter als die Hälfte des Hauptgebäudes mit einer Länge von ca. 10,70 m. Überdies werde auch das Ortsbild beeinträchtigt. Der Begriff des Ortsbildes im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB stelle auf einen größeren Maßstab ab als die für das Einfügensgebot maßgebliche nähere Umgebung. Unter Ortsbild sei die bauliche Ansicht eines Ortes oder Ortsteiles bei einer Betrachtung sowohl von innen als auch von außen her zu verstehen. Dieser städtebaulich zu verstehende Begriff schließe, ähnlich dem der Erhaltungssatzung, solche Gestaltungselemente mit ein, die die Gestaltung des jeweiligen Gebäudes beträfen, wie z. B. die Dachform und die Stellung der baulichen Anlagen auf dem Grundstück, soweit dies städtebaulich von Bedeutung sei. Zum Bezugsrahmen komme insoweit die ... in Verlängerung über die Einmündung ... hinaus bis zur Einmündung ... in Betracht. Sämtliche Bebauung lasse eine einheitliche, Ortsbild prägende Grundstruktur erkennen. Die Errichtung eines straßenseitigen Giebels einschließlich einer Überhöhung der Traufe um ca. 1,60 m liege außerhalb dieser Struktur und störe dadurch den Ortsbild prägenden Charakter der Siedlung.

15

Eine Zulassung nach § 34 Abs. 3 a BauGB komme nicht in Betracht, da das geplante Vorhaben städtebaulich nicht vertretbar sei.

16

Gegen den ablehnenden Bauvorbescheid idF des Widerspruchsbescheides haben die Kläger am 30.11.2009 Verpflichtungsklage erhoben. In der Klagebegründung wiederholen und vertiefen sie ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren und verweisen insbesondere erneut auf das Gebäude ... (richtig: ...) 7. Im Übrigen seien in der näheren Umgebung Gebäude mit wesentlich höheren Traufhöhen vorhanden. Das geplante Vorhaben verursache keinerlei bodenrechtliche Spannungen. Insbesondere bleibe auch die von der Beklagten angesprochen Traufständigkeit des klägerischen Gebäudes, da durch den geplanten Anbau im Südwesten die Hauptfirstrichtung nicht verändert werde.

17

Die Kläger beantragen,

18

die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des ablehnenden Bauvorbescheides vom 18.05.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.11.2009 ihre Bauvoranfrage positiv zu bescheiden.

19

Die Beklagte beantragt,

20

die Klage abzuweisen.

21

Sie verweist zur Begründung auf die angefochtenen Bescheide.

22

Im Rahmen der vor Ort durchgeführten mündlichen Verhandlung am 21.04.2010 hat das Gericht die Örtlichkeiten der Umgebung des klägerischen Grundstücks in Augenschein genommen. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll und die gefertigten Fotografien Bezug genommen.

23

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

24

Die Klage ist zulässig und begründet.

25

Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten. Sie haben einen Anspruch darauf, dass ihre Bauvoranfrage auch bezüglich der Ziffern 1. und 2. positiv beschieden wird. Das geplante Vorhaben fügt sich im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Eine Ortsbildbeeinträchtigung im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB liegt nicht vor.

26

Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Vorliegend ist allein streitig, ob sich das geplante Vorhaben nach dem Maß der baulichen Nutzung insoweit einfügt. Dies ist zur Überzeugung des erkennenden Gerichts der Fall.

27

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 23.03.1994 – 4 C 18/92 -; Juris) kommt es bei Dachgeschossaus- und –umbauten für das Einfügen nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht auf die Feinheiten der Berechnungsregeln der Baunutzungsverordnung an. Entscheidend ist allein, ob sich das Gebäude als solches in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass § 34 BauGB insgesamt eine planersetzende Vorschrift ist. Er regelt die Bebaubarkeit der innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils liegenden Grundstücke, wenn ein Bebauungsplan für das Grundstück nicht vorhanden ist. Existiert ein Bebauungsplan, so bestimmt er, was planungsrechtlich zulässig ist. Ein Planersatz kann aber nicht mehr regeln als der Plan selbst. Im Gegenteil ist für das Einfügensgebot des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB anerkannt, dass der sich aus der vorhandenen Bebauung ergebende Maßstab notwendig grob und ungenau ist und regelmäßig hinter planerischen Festsetzungen zurückbleibt. Erst recht ist es mit dem Vorrang des Bebauungsplanes vor der Regelung des § 34 BauGB unvereinbar, wenn die Gemeinde durch Untätigkeit weitergehende Einschränkungen der Bauvorhaben bewirken könnte als durch die Aufstellung eines Bebauungsplans (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.05.2000 – 4 C 14/98 -; Juris).

28

Was nun die von der Beklagten allein bemängelte Änderung der Dachform angeht, unterfällt dies nicht der bundesrechtlich städtebaulichen Regelungsbefugnis und unterliegt damit auch nicht dem bundesrechtlichen Einfügensgebot des § 34 Abs. 1 BauGB.

29

Was bundesrechtlich aus städtebaulichen Gründen in einem Bebauungsplan regelbar ist, ergibt sich aus § 9 Abs. 1 BauGB, vorliegend interessierend aus den dortigen Ziffern 1 (Art und Maß der baulichen Nutzung) und 2 (die Bauweise, die überbaubaren und nicht überbaubaren Grundstücksflächen sowie die Stellung der baulichen Anlagen ). Soweit in Ziffer 2 die Stellung der baulichen Anlage angesprochen wird, ist dies eine Bestimmung über die Ausrichtung der Längsachse eines Gebäudes (vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 9, Rd. 41).

30

Ist wie vorliegend bei einem nahezu quadratischen Grundriss eine Bestimmung der Längsachse aus dem Verhältnis der Seiten zueinander nicht möglich und zudem ein Satteldach vorhanden, ist die Längsachse mit der Firstrichtung identisch. An dieser Grundausrichtung des Gebäudes der Kläger ändert sich jedoch nichts dadurch, dass im Dachbereich giebelständige Um- und Anbauten erfolgen sollen, da die neuen Quergiebel sowohl einzeln (mit ca. 5,20 m und ca. 3,80 m) als auch zusammen hinter der Hauptfirstlänge (von ca. 10,70 m) zurückbleiben und sich auch sonst, da sie die Höhe des Hauptfirstes nicht erreichen, dem Hauptfirst unterordnen.

31

Eine weitergehende Befugnis zur Festsetzung von Dachformen und anderen Einzelheiten der Dachgestaltung (z. B. Traufhöhe) ist aus § 1 Abs. 9 BauGB nicht abzuleiten (vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 9, Rd. 258). Derartige Regelungen sind vielmehr landesrechtlich gestalterischer Natur (vgl. § 84 LBO). Dass derartige Vorschriften über § 9 Abs. 4 BauGB, § 84 Abs. 3 LBO als Festsetzung in einen Bebauungsplan aufgenommen werden können, ändert nichts daran, dass sie keine bundesrechtlich städtebaulichen Gründe für einen Bebauungsplan sind und deshalb (erst recht) auch nicht dem bundesrechtlichen Einfügensgebot des § 34 Abs. 1 BauGB unterfallen.

32

Soweit die Beklagte somit darauf abstellt, dass in der näheren Umgebung eine Dachform bzw. eine Dachgestaltung, wie sie die Kläger planen, nicht vorhanden sei, ist dies kein Argument, dass bei einer Prüfung der Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 BauGB zu berücksichtigen wäre. Insoweit bedarf es deshalb auch keiner genauen Festlegung der näheren Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB, insbesondere kann insoweit offenbleiben, ob das Gebäude... 7 (postalisch korrekt wohl: ... 7) mit in die Betrachtung einzubeziehen ist.

33

Was das eigentliche Maß der baulichen Nutzung im Sinne eines Einfügens nach § 34 Abs. 1 BauGB angeht, ergeben sich – offenbar auch nach Auffassung der Beklagten – keine Bedenken. Sowohl den „Empfehlungen“ in den angefochtenen Bescheiden als auch den Äußerungen der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung ist zu entnehmen, dass gegen die Umbauten als solche und die damit verbundene Vergrößerung der Wohnfläche keinerlei Bedenken im Sinne eines Einfügens bestehen, sondern sich diese allein auf die Form der Dachgestaltung beziehen.

34

Auch eine Ortsbildbeeinträchtigung im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB liegt nicht vor. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Auswirkungen des klägerischen Vorhabens schon den Grad einer „Beeinträchtigung“ nicht erreichen. Beim Beeinträchtigen des Ortsbildes kommt es nicht – wie beim Einfügensgebot – auf (fehlende) Übereinstimmung in den einzelnen Merkmalen der Bebauung an, sondern darauf, ob ein Gesamtbild, dass durch unterschiedliche Elemente geprägt sein kann, gestört wird. Dies ist nach dem ästhetischen Empfinden eines für Fragen der Ortsbildgestaltung aufgeschlossenen Betrachters zu beurteilen, das nicht verletzt sein darf. Zu beachten ist, dass nicht jedes Ortsbild schützenswert ist, nur weil es durch eine gewisse Einheitlichkeit oder Gleichartigkeit der Bebauung oder einzelner Elemente der Bebauung geprägt ist. Eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums muss für Einschränkungen seines Gebrauchs (hier: der Baufreiheit) hinreichend gewichtige Gemeinwohlbelange auf ihrer Seite haben. Sie darf nicht darauf hinauslaufen, dass im ungeplanten Innenbereich das Vorhandene in jeder Beziehung das Maß des Zulässigen bestimmt, nur weil es schon vorhanden ist. Das Ortsbild muss, um schützenswert zu sein und die Bau(gestaltungs)freiheit des Eigentümers einschränken zu können, eine gewisse Wertigkeit für die Allgemeinheit haben. Dies ist nicht das Ortsbild, wie es überall anzutreffen sein könnte. Es muss einen besonderen Charakter, eine gewisse Eigenheit haben, die dem Ort oder dem Ortsteil eine aus dem Üblichen herausragende Prägung verleiht (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.05.2000 – 4 C 14/98 -; Juris).

35

Ein derartiges schützenswertes Ortsbild ist vorliegend – wiederum gleichgültig inwieweit der Rahmen der zu berücksichtigenden Umgebung zu ziehen ist – nicht ansatzweise vorhanden ist. Selbst die Vertreter der Beklagten haben in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass sich die Umgebung des klägerischen Grundstückes als typische Wohnsiedlung wie viele andere auch darstellt. Irgendwelche Besonderheiten sind insoweit nicht benannt worden und waren auch nicht erkennbar. Es handelt sich vielmehr um eine typische Wohnsiedlung, deren Gebäude aufgrund ihres Alters von ca. 50 Jahren offenbar in den letzten Jahren bzw. in der näheren Zukunft ständigen Umbauten, Renovierungen und Änderungen unterlegen haben bzw. unterliegen werden, ohne dass dadurch ein besonderer Charakter verloren ginge.

36

Hinzu kommt, dass ein – schützenswertes – Ortsbild im Rahmen von § 34 BauGB wiederum nur in dem Umfang vor Beeinträchtigungen geschützt wird, wie dies im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes durch Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 BauGB und den ergänzenden Vorschriften der Baunutzungsverordnung möglich wäre. Bundesrechtlich nicht festsetzbare Dachformen (siehe oben) sind damit keine das Ortsbild im Sinne von § 34 BauGB prägenden Elemente. Nach § 1 Abs. 6 Nr. 5 BauGB ist zwar bei der Aufstellung der Bauleitpläne auch die Gestaltung des Ortsbildes zu berücksichtigen. Daraus folgt, dass grundsätzlich auch die Gestaltung des Ortsbildes bauplanerische Relevanz besitzt. § 1 Abs. 6 BauGB enthält jedoch keine Zulässigkeitsvoraussetzungen für Vorhaben im unbeplanten Innenbereich. Aus ihm ergibt sich nur, dass im Falle der Planung auch die Gestaltung des Ortsbildes beachtet werden muss. In welcher Weise dies rechtlich möglich ist, wird dagegen in § 9 Abs. 1 BauGB geregelt. Soweit sich – wie oben ausgeführt – gemäß § 9 Abs. 1 BauGB Dachformen in einem Bebauungsplan nicht festsetzen lassen, sind diese Dachformen damit auch kein Belang im Sinne eines Ortsbildes, dessen Sicherung das Bauplanungsrecht mit § 1 Abs. 6 Nr. 5 normativ vorgibt (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.05.2000 – 4 C 14/98 -; Juris).

37

Nach alledem erweist sich das geplante Vorhaben der Kläger auch bezüglich der Ziffern 1. und 2. ihrer Bauvoranfrage als im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB zulässig, so dass der vorliegenden Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben war.

38

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


Gründe

1

Die von beiden Beteiligten gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Magdeburg - Disziplinarkammer - vom 3. März 2010 eingelegten Beschwerden sind zwar gemäß §§ 3 DG LSA i. V. m. 146 VwGO statthaft, haben jedoch in der Sache keinen Erfolg.

2

Gegenstand dieses Verfahrens ist die Verfügung des Antragsgegners vom 13. August 2009, mit welcher der Antragsteller gemäß § 38 Abs. 1 DG LSA vorläufig des Dienstes enthoben wurden und zugleich gemäß § 38 Abs. 2 DG LSA 30 v. H. seiner Dienstbezüge einbehalten worden sind. Das Verwaltungsgericht Magdeburg - Disziplinarkammer - hat auf den Antrag des Antragstellers gemäß § 61 Abs. 1 DG LSA die Anordnung über die Einbehaltung von Dienstbezügen des Antragstellers aufgehoben, im Übrigen jedoch den - auf Aufhebung der Suspendierungsverfügung gerichteten - Antrag abgelehnt. Gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts haben beide Beteiligte fristgemäß Beschwerde eingelegt, deren Prüfung gemäß §§ 65 Abs. 1 DG LSA, 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die jeweils dargelegten Gründe beschränkt ist. Beide Beschwerden haben keinen Erfolg.

3

I. Das Beschwerdevorbringen des Antragstellers ist nicht geeignet, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts dahingehend, den gegen die Anordnung der Suspendierung gerichteten Antrag gemäß § 61 Abs. 1 Satz 1 DG LSA abzulehnen, mit Erfolg infrage zu stellen.

4

Soweit der Antragsteller zu Abschnitt. III Nr. 1 seiner Beschwerdebegründung geltend macht, das Verwaltungsgericht habe übersehen, dass es der Suspendierungsverfügung vom 13. August 2009 bereits an den gebotenen Ermessenserwägungen fehle und im Übrigen unberücksichtigt geblieben sei, dass sich die in der Disziplinarklage aufgeführten Vorwürfe einer Störung des Betriebsfriedens nur auf einen Zeitraum zwischen den Jahren 1996 und 2006 bezögen, bemerkt der Senat folgendes:

5

Zwar ist es - wie der Antragsteller mit Recht ausführt - grundsätzlich geboten, in einer Suspendierungsverfügung die für die Suspendierung maßgeblichen besonderen Umstände für die Störung des Dienstbetriebes darzulegen (so BVerwG, B. v. 4.1.1996 - 1 DB 16.95). Allerdings ist hier zum einen zu berücksichtigen, dass der Antragsteller zur Begründung der Suspendierungsverfügung auf die ausführlich begründete, erst wenige Monate zuvor erhobene Disziplinarklage Bezug genommen hat, aus welcher sich die gegen den Antragsteller erhobenen Vorwürfe und vor allem die Begründung für die geäußerte Befürchtung einer massiven Betriebsstörung für den Fall eines Verbleibs des Antragstellers im Dienst ergeben. Zum anderen hat der Antragsgegner auch in der Suspendierungsverfügung selbst durchaus Umstände dargelegt - etwa die Weigerung der überwiegenden Anzahl der Justizbediensteten, mit dem Antragsteller zusammen zu arbeiten; eine Vielzahl von Eingaben, Anzeigen und Dienstaufsichtsbeschwerden; das Erfordernis einer achtmaligen Änderung des Aufgabenfeldes aufgrund von Unzuträglichkeiten -, welche schon für sich genommen, aber jedenfalls in einer Gesamtschau mit den in der Disziplinarklage erhobenen Vorwürfen für eine Darlegung der für die Suspendierung gemäß § 38 Abs. 1 S. 2 DG LSA erforderlichen besonderen Umstände ausreichen. Soweit der Antragsteller im übrigen bemängelt, die Vorwürfe des Antragstellers bezögen sich lediglich auf den Zeitraum bis 2006, so ist - wie das Verwaltungsgericht zutreffend bemerkt hat - zu berücksichtigen, dass bei dem Antragsteller offensichtlich nach wie vor charakterliche bzw. wesensbedingte Merkmale vorhanden sind, welche auch derzeit noch den Schluss zulassen, durch ein Verbleiben des Antragstellers im Vollzugsdienst werde der Dienstbetrieb in der Haftanstalt erheblich beeinträchtigt. Dass letztlich noch kein abschließendes (amts-)ärztliches Untersuchungsergebnis vorliegt, ist maßgeblich darauf zurückzuführen, dass - wie das Verwaltungsgericht unwidersprochen ausgeführt hat - der Antragsteller der Aufforderung, sich einer weiteren Begutachtung zu unterziehen, nicht nachgekommen ist. Ob im Rahmen des in erster Instanz anhängigen (8 A 8/09) gerichtlichen Disziplinarklageverfahrens ein Gutachten zur Frage der Schuld- und Einsichtsfähigkeit des Antragstellers einzuholen ist, mag noch geklärt werden.

6

Im Übrigen bemerkt der Senat ausdrücklich, dass die Anordnung der Suspendierung gemäß § 38 Abs. 1 S. 2 DG LSA keine Disziplinarmaßnahme darstellt, sondern ihre Berechtigung sich aus dem funktionalen Bedürfnis ergibt, noch vor der Klärung des Vorliegens eines Dienstvergehens und der abschließenden Entscheidung über die angemessene Maßregelung des Beamten eine den Verwaltungsaufgaben und dem Dienstbetrieb dienende, vorübergehende Sicherungsregelung zu treffen (vgl. Köhler/Ratz, BDG, 3. Aufl., § 38 RdNr. 1 unter Bezugnahme auf BVerwG, B. v. 29.11.1985 - 1 DB 54.85). Allerdings darf die Anordnung nicht zu Sanktionszwecken, schon gar nicht zu "Strafzwecken" eingesetzt werden. Sie darf im Übrigen zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis stehen.

7

Dass die Suspendierung des Antragstellers etwa in Wahrheit zum Zweck einer Disziplinierung ausgesprochen worden ist, macht die Beschwerde selbst nicht geltend. Soweit sich die Beschwerdeschrift im Übrigen (Abschnitt III Nr. 2 der Beschwerdebegründung) gegen die Würdigung des Verwaltungsgerichts dahingehend wendet, die vorläufige Dienstenthebung stehe zu der Bedeutung der Sache und zu der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis, so vermag sie mit ihrem Vorbringen nicht durchzudringen. Wenn auch - wie die Beschwerde meint - die dem Antragsteller vorgeworfenen Dienstpflichtverstöße nicht die vom Antragsteller vorrangig betriebene Entfernung aus dem Dienst erwarten lassen mögen, so sind sie jedoch geeignet, zumindest eine nicht unerhebliche disziplinarische Sanktionierung erwarten zu lassen, wobei es derzeit auf die Erwartung einer bestimmten Sanktion nicht ankommt. Allerdings ist auch nicht zu verkennen, dass gegen den Antragsteller bereits zweimal wegen dienstlicher Verfehlungen Geldbußen im Disziplinarverfahren verhängt werden mussten und schließlich im Jahr 2005 eine rechtskräftige Verurteilung des Antragstellers durch das Amtsgericht Halberstadt wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung im Amt gegenüber einem Gefangenen erfolgte. Diese disziplinar- und vor allem strafrechtliche Vorbelastung des Antragstellers wird im Rahmen einer erneuten Sanktionsfindung durchaus zu berücksichtigen sein.

8

II. Auch die gegen die durch das Verwaltungsgericht getroffene Aufhebung der Anordnung über die teilweise Einbehaltung der Dienstbezüge gerichtete Beschwerde des Antragsgegners hat keinen Erfolg. Die vom Verwaltungsgericht hierzu (S. 7 ff. Beschlussabschrift) gegebene Begründung ist - auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens - rechtlich nicht zu beanstanden. Die Einbehaltung von Dienstbezügen setzt gemäß § 38 Abs. 2 DG LSA voraus, dass im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird. Zwar genügt hierzu, dass aufgrund der gebotenen summarischen Prüfung des dem Beamten vorgeworfenen Sachverhalts überwiegend wahrscheinlich ist, dass gegen ihn die disziplinare Höchstmaßnahme verhängt wird (Köhler/Ratz, BDG, a. a. O. RdNr. 3 unter Bezugnahme auf den B. d. BVerwG v. 24.3.1999 - 1 DB 20.98). Dabei mögen die von dem Antragsgegner in seiner Beschwerdeschrift hervorgehobenen Vorwürfe ständiger Verstöße gegen die beamtenrechtliche Gehorsamspflicht und eine damit verbundene erhebliche Störung des Betriebsfriedens grundsätzlich auch die Verhängung der disziplinarischen Höchstsanktion begründen. Allerdings ist derzeit von der gemäß § 38 Abs. 2 DG LSA geforderten überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Verhängung dieser Sanktion nicht auszugehen. Denn es ist nach dem jetzigen Verfahrensstand jedenfalls nicht auszuschließen, dass es dem Antragsteller an der für die Erhebung disziplinarrechtlich zu sanktionierender Vorwürfe und die Verhängung gravierender disziplinarrechtlicher Sanktionen erforderlichen Einsichtsfähigkeit gefehlt hat bzw. immer noch fehlt. Der Antragsgegner hat in seiner Beschwerdeschrift selbst auf die bisherigen, wenn auch bis jetzt - jedenfalls aus seiner Sicht - ohne konkrete Ergebnisse abgeschlossenen ärztlichen Untersuchungen des Antragstellers hingewiesen. Es kann daher derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Notwendigkeit ergibt, den Antragsteller noch im Rahmen des anhängigen Disziplinarklageverfahren auf seine Schuld- und Einsichtsfähigkeit untersuchen zu lassen, möglicherweise mit der Folge der Feststellung eines tatsächlich geminderten Steuerungsvermögens.

9

III. Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für dieses Beschwerdeverfahren war schon deswegen abzulehnen, weil die Voraussetzungen der §§ 3 DG LSA, 166 VwGO, 114 Satz 1 ZPO nicht gegeben sind. Nachdem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die Aufhebung der Anordnung einer teilweisen Einbehaltung der Dienstbezüge nunmehr zweitinstanzlich bestätigt worden ist, stehen dem Antragsteller volle Dienstbezüge nach der BesGr. A 7 BBesO zu, mithin ein monatliches Netto-Einkommen von ca. 1950,00 Euro, welchem neben den von ihm in seiner Erklärung vom 21. April 2010 geltend gemachten Lebenshaltungskosten in Höhe von etwa 700,00 Euro keine weiteren Zahlungsverpflichtungen gegenüberstehen. Er verfügt damit über ein gemäß § 115 Abs. 1 ZPO monatlich einzusetzendes Nettoeinkommen von ca. 1.250,00 Euro, mithin ein solches, welches die Grenze des für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe maßgeblichen Betrages nicht unerheblich übersteigt.

10

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 72 Abs. 4 DG LSA i. V. m. 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Gerichtsgebührenfreiheit beruht auf § 73 Abs. 1 Satz 1 DG LSA.

11

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, §§ 3 DG LSA i. V. m. 152 Abs. 1 VwGO.


Gründe

I.

1

Mit der angegriffenen Verfügung vom 13.08.2009 enthob der Antragsgegner den Antragsteller als Obersekretär im Justizvollzugsdienst gemäß § 38 Abs. 1 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt (DG LSA) vorläufig des Dienstes und behielt nach § 38 Abs. 2 DG LSA zugleich 30 v. H. seiner Dienstbezüge ein. Zur Begründung führte der Antragsgegner im Wesentlichen aus, dass der Antragsteller in vielfältiger Weise gegen die ihm obliegenden Dienstpflichten verstoßen und dadurch Dienstvergehen von erheblichem Gewicht begangen habe. Aus diesem Grunde sei mit Schriftsatz vom 01.04.2009 Disziplinarklage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht Magdeburg mit dem Ziel erhoben worden, den Antragsteller aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.

2

1.) Bezüglich der genauen und einzelnen Vorwürfe wurde auf die dem Bescheid beiliegende Kopie der Disziplinarklage vom 01.04.2009 (8 A 9/09 MD) verwiesen. Dort heißt es:

3

Der Antragsteller habe ein Dienstvergehen dadurch begangen, dass er sich wiederholt geweigert habe, Gefangenenwäsche anzunehmen (a.). Weiter stelle seine eigenmächtige Beendigung des „Aufenthalts der Gefangenen im Freien“ ein Dienstvergehen dar (b.) und schließlich sei er der Aufforderung zur Überprüfung seiner Dienstfähigkeit durch den Amtsarzt nicht nachgekommen (c.). Ebenso seien Dienstpflichtverletzungen durch das jahrelange und permanente und massive Stören des Betriebsfriedens zu verzeichnen (d.). Schließlich wird aus zahlreichen Unterlagen zitiert (e.).

4

a.) Der Antragsteller habe am 09.01.2006 durch E-Mail an den damaligen Sicherheitsdienstleiter der JVA A-Stadt mitgeteilt, dass der Antragsteller die von den Angehörigen mitgebrachte Wäsche der Gefangenen nicht mehr annehmen werde, es sei denn, die Wäsche werde in einem verschlossenen Paket abgegeben. Zur Begründung hatte der Antragsteller ausgeführt, dass Rauschgiftspürhunde, die regelmäßig zur Kontrolle von Weihnachtspaketen eingesetzt seien, in der Weihnachtszeit 2005 auch bei einem solchen Wäschepaket angeschlagen hätten. Demzufolge seien entweder die darin befindlichen Kleidungsstücke oder die bereitgestellten Kartons mit Rauschgift kontaminiert gewesen. Um sich nicht dem Verdacht auszusetzen, selbst mit Rauschgift zu handeln oder dieses in ein Paket mit eingepackt zu haben, sehe er sich zu der von ihm neu vorgeschlagenen Vorgehensweise veranlasst. Auch nach weiterer Belehrung durch die Anstaltsleitung habe der Antragsteller an seinem Vorhaben festgehalten. Den Angehörigen habe er ein selbstgefertigtes Merkblatt für Wäschepakete ausgehändigt und sie aufgefordert, die Wäsche nur in einem verschlossenen Paket abzugeben. In der Folgezeit habe der Antragsteller einen Strafgefangenen angewiesen, die zum Umpacken der Wäsche bereitgestellten Pakete sowie die anstaltseigene Holzkiste, die zum Transport dieser Pakete gedient habe, aus der Kfz-Schleuse in den Sperrmüllcontainer zu verbringen. Auch aufgrund weiterer Gespräche zwischen der Anstaltsleitung und dem Antragsteller habe dieser an seiner Vorgehensweise festgehalten. Seitens der Anstaltsleitung wird darauf hingewiesen, dass bereits aus Sicherheitsgründen die von den Angehörigen eingebrachten Wäschestücke kontrolliert werden müssten.

5

b.) Am 15.03.2006 habe der Antragsteller von dem Tourendienstleiter der JVA A-Stadt die Anweisung erhalten, ab 10.00 Uhr den „Aufenthalt im Freien“ der Gefangenen abzusichern. Der Antragsteller habe eigenmächtig seine Aufsichtstätigkeit beendet und sei in die Außenpforte zurückgekehrt. Die Gefangenen seien unbeaufsichtigt zurückgeblieben bis sie durch einen anderen diensthabenden Beamten zurückgebracht worden seien. Der Antragsteller habe sein Verhalten damit begründet, dass Gefangene grundsätzlich nur eine Stunde „Aufenthalt im Freien“ zustünden. Soweit der Aufenthalt länger als eine Stunde andauere, müsse nach Auffassung des Antragstellers ein anderer Bediensteter die Aufsicht weiterführen.

6

c.) Unter dem 13.07.2006 sei der Antragsteller zur Überprüfung der Dienstfähigkeit beim Gesundheitsamt A-Stadt zur amtsärztlichen Untersuchung einbestellt worden. Weitere Einbestellungen seien Anfang August 2006 erfolgt. Am 06.10.2007 habe der Antragsteller der Leitenden Amtsärztin vom Gesundheitsamt A-Stadt mitgeteilt, dass er in dieser Angelegenheit keine weiteren Untersuchungen mitmachen werde. Dies habe sodann auch der inzwischen beauftragte Rechtsanwalt des Antragstellers unter dem 05.11.2007 bestätigt. Es sei nicht erkennbar, warum Zweifel über die Dienstfähigkeit des Antragstellers bestünden. Sodann sei das beamtenrechtliche Zurruhesetzungsverfahren eingeleitet worden. Die diesbezügliche Klage des Beamten wird bei dem Verwaltungsgericht Magdeburg unter dem Aktenzeichen 5 A 430/09 MD geführt.

7

d.) Schließlich seien durch jahrelange permanente und massive Störungen des Betriebsfriedens Dienstpflichtverletzungen festzustellen. Diese Dienstpflichtverletzungen werden dezidiert aufgrund mehrerer Vorkommnisse beginnend aus dem Jahr 1996 bis 2006 beschrieben.

8

e.) Weiter wird aus einem Bericht des Anstaltspsychologen Dr. F. aus dem Jahre 1998 zitiert sowie das Gutachten des Gesundheits- und Veterinäramtes A-Stadt vom 01.07.2002 auszugsweise wiedergegeben. Das Gutachten führt aus, dass in den vom Antragsteller beigebrachten medizinischen Unterlagen aus den Jahren 1984 bis 2001 eine neurotische Fehlentwicklung beschrieben worden sei. Da der Antragsteller keine psychopathologischen Veränderungen aufgewiesen habe, sei von seiner vollständigen Dienstfähigkeit auszugehen. Die Gutachterin habe eine psychotherapeutische Behandlung empfohlen. Dieser Empfehlung sei der Antragsteller nachgekommen und habe sich ab dem 01.01.2002 in psychotherapeutischer Behandlung befunden. Aufgrund der vom Antragsteller der Gutachterin im Jahre 2002 übergebenden ärztlichen Befunde aus den früheren Jahren habe der Anstaltsleiter der JVA Halberstadt unter dem 25.09.2002 den Verdacht geschildert, dass der Beamte bei der amtsärztlichen Untersuchung für die Eignung für die Beamtenlaufbahn im JVD einen falschen Gesundheitszustand dargestellt habe und die früheren Behandlungen und Therapien nicht angegeben habe. Bei Kenntnis über die neurotische Fehlentwicklung wäre es nicht zu einer Einstellung in den Justizvollzugsdienst des Landes Sachsen-Anhalt gekommen. Die schon in der Probezeit aufgetretenen Auffälligkeiten des Beamten wären dann in einem anderen Licht zu sehen gewesen.

9

In der daraufhin (nur nach Aktenlage) erstellten gutachterlichen Stellungnahme zur beantragten Nachbegutachtung vom 16.01.2003 (Bl. 263 Beiakte R) teilte die Gutachterin des Gesundheits- und Veterinäramtes A-Stadt mit,

10

„… dass sich anhand der im Nachbegutachtungsantrag aufgeführten Fakten, wesentliche neue Aspekte gegenüber der Sachlage zum Zeitpunkt der Erstbegutachtung ergeben haben. Aufgrund der von zunehmend erweiterten Kenntnissen über die Persönlichkeit des Beamten und der erschwerten Differenzialdiagnostik bei komplizierten Persönlichkeitsstörungen wie sie bei dem Beamten vorliegen, wird eine fachärztliche psychiatrische Zusatzbegutachtung empfohlen, um überprüfen zu können, ob an der festgestellten Erstdiagnose weiterhin festgehalten werden kann.“

11

Aufgrund dieser Empfehlung habe sich der Dienstherr sodann zu einer weiteren Begutachtung des Antragstellers entschlossen, welcher vom Antragsteller jedoch nicht Folge geleistet worden sei.

12

2.) Insgesamt werde aus den dargestellten Vorfällen deutlich, dass der Antragsteller nicht willens und nicht in der Lage sei, sich in eine bestehende Hierarchie einzuordnen, sein Verhalten anzupassen und Weisungen entgegenzunehmen. Die Probleme bei der Dienstdurchführung und -auffassung bestünden bereits seit über 12 Jahren und hätten sich in den vergangenen Jahren stets verschärft. Die Dienstdurchführung des Antragstellers sei dadurch gekennzeichnet, dass er seiner Auffassung nach allein rechtmäßig zu handeln glaube. Dabei erweise er sich in der Rechtsanwendung als unflexibel, ignoriere Weisungen, weigere sich, Autoritäten anzuerkennen und sei teamunfähig.

13

Durch diese Verhaltensweisen werde der geordnete Dienstbetrieb erheblich gefährdet und der Betriebsfrieden der Haftanstalt empfindlich gestört. Der Beamte verkenne, dass ihm in vielen Vorschriften ein Ermessensspielraum eingeräumt werde, welcher von ihm zwingend auszufüllen sei. Sein unbelehrbares Beharren auf seiner Position und seine hartnäckigen Weigerungen, Anordnungen von Vorgesetzten auszuführen, seien daher nicht nur als permanente Gehorsamspflichtverletzungen nach § 55 BG LSA (a. F.) und § 35 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) zu werten. Sie seien auch geeignet, den Betriebsfrieden in der JVA erheblich zu stören und den Antragsteller selbst sowie andere Bedienstete in Gefahr zu bringen.

14

Von Justizvollzugsbeamten sei die Fähigkeit zu fordern, im Rahmen des Ermessensspielraumes sensible und abgewogene Einzelfallentscheidungen zu treffen. Der Umgang mit dem Strafgefangenen erfordere ein sogenanntes „Fingerspitzengefühl“. Bereits aufgrund der Persönlichkeitsstruktur vieler Strafgefangener könne es bei unabgewogenen Einzelfallentscheidungen der Justizvollzugsbeamten zu einer Eskalation und Gewalt kommen. Das uneinsichtige Verhalten des Antragsstellers könne somit unter Umständen für alle Beteiligten lebensgefährlich werden. In den vergangenen Jahren habe seine beharrende und uneinsichtige Vorgehensweise in vielen Situationen zu Eskalationen geführt. Dies habe zur Folge, dass sich die überwiegende Anzahl der Kollegen weigere, mit dem Antragsteller zusammenzuarbeiten. In der Vergangenheit sei der Antragsteller insgesamt achtmal dienstrechtlich umgesetzt bzw. versetzt worden, ohne dass sich sein Verhalten geändert habe.

15

Aufgrund der dargelegten Pflichtenverstöße müsse davon ausgegangen werden, dass ein so schweres Dienstvergehen vorliege, dass das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit in eine beanstandungsfreie Dienstdurchführung durch den Antragsteller endgültig verloren sei. Die Schwere des Dienstvergehens rechtfertige bereits die Prognose, dass aufgrund der Disziplinarklage die Entfernung des Antragstellers aus dem Beamtenverhältnis ausgesprochen werde (§ 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA). In jedem Fall würde das Verbleiben des Antragstellers im Dienst den Dienstbetrieb wesentlich beeinträchtigen und die vorläufige Dienstenthebung stehe zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme auch nicht außer Verhältnis (§ 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA).

16

Demnach sei auch die Einbehaltung der Dienstbezüge des Antragstellers in Höhe von 30 v. H. nach § 38 Abs. 2 DG LSA gerechtfertigt. Da der Antragsteller im Rahmen der Vorermittlungen keine weiteren Mitteilungen über seine finanziellen Belastungen abgegeben habe, sei die Kürzung ermessensfehlerfrei.

17

3.) Der Antragsteller widerspricht den behaupteten Dienstpflichtverletzungen und bezieht sich dazu ebenso auf seine Klageerwiderung vom 08.06.2009 zur Disziplinarklage. Demnach sei festzustellen, dass der Antragsgegner sich auf eine Vielzahl von Vorkommnissen beziehe, welche verwirkt oder verjährt seien. Es sei zu keiner „Abmahnung“ gekommen und der Antragsteller habe nicht damit rechnen müssen, dass ihm sein Verhalten vorgehalten werde. Es tritt sodann in seinen weiteren Ausführungen der Bewertung der Vorkommnisse aus den Jahren 1996 und folgend entgegen.

18

a.) Hinsichtlich der Vorkommnisse um die Annahme der Gefangenenwäsche führt er aus, dass er die Anstaltsleitung diesbezüglich ausdrücklich beraten habe, um die aus seiner Sicht zweckmäßige und rechtmäßige Maßnahme zu erläutern. Denn es sei nicht auszuschließen, dass in der Gefangenenwäsche gefährliche Substanzen und Gegenstände eingenäht seien, die geeignet seien, erhebliche Gefährdungen und Schäden in der Anstalt zu verursachen. Der Antragsteller habe sich demnach in einer Pflichtenkollision befunden. Denn es sei nicht auszuschließen, dass irgendwann gegen ihn ein derartiger Verdacht eines Betäubungsmittelvergehens oder der Beihilfe ausgesprochen werde. Jedenfalls habe der Beamte nicht schuldhaft gehandelt.

19

b.) Zu dem vorgehaltenen Dienstvergehen der eigenmächtigen Beendigung des Aufenthalts der Gefangenen im Freien führt er aus, dass er an diesem Tag bereits mehrere Stunden Gefangene im Freien beaufsichtigt habe und dringend die Toilette aufsuchen musste. Darüber habe er den Vorgesetzten informiert. Der Antragsteller habe nicht durch ein Zurücklassen der Gefangenen auf dem Freistundenhof die Sicherheit der Anstalt gefährdet. Der Antragsteller sei davon ausgegangen, dass ein anderer Bediensteter die Bewachung übernehme. Auch hier habe er sich in einer Pflichtenkollision befunden.

20

c.) Nachdem der Antragsteller bereits im Jahre 2002 fachpsychiatrisch durch Dr. S., untersucht worden sei und sich in der Folgezeit einer Psychotherapie unterzogen habe, sei kein Grund erkennbar, seine Dienstfähigkeit in Zweifel zu ziehen. In diesem Zusammenhang sei das grundrechtlich geschützte Persönlichkeitsrecht des Antragstellers zu bewerten.

21

Dem Antragsteller werde Ordnungsliebe, Ausdauer, ein gutes Gedächtnis und starke Genauigkeit bei der Anwendung von Vorschriften bescheinigt. Er wirke allgemein bedacht und überlegt mit einem Streben zur Perfektion und Genauigkeit. Bei dem Antragsteller seien keine psychologischen Veränderungen gegeben. In dem psychologischen Befund der Gemeinschaftspraxis der Diplompsychologin F. und S. vom 05.02.2003 sei ausgeführt, dass der Antragsteller therapiert worden sei.

22

Die disziplinarrechtlichen und strafrechtlichen Vorbelastungen des Antragstellers seien nicht mehr heranzuziehen. Schließlich könne die Maßnahme auch nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung keinen Bestand haben.

II.

23

Der Antragsteller ist disziplinarrechtlich vorbelastet. Mit Disziplinarverfügung vom 22.08.2002 wurde eine Geldbuße in Höhe von 200,00 Euro verhängt, da er ohne Genehmigung bzw. Einhaltung des Dienstweges wiederholt in den Jahren 2001/2002 umfangreiche Schreiben, die ausschließlich interne Angelegenheiten der JVA H., dienstliche Verhaltensweisen von Bediensteten, Angelegenheiten von Gefangenen und sonstige dienstliche Vorgänge zum Inhalt hatten, an Behörden und Institutionen weiterleitete. Mit Disziplinarverfügung vom 17.04.2003 wurde wegen eines erneuten Pflichtenverstoßes mit dem annähernd gleichen Inhalt wie zuvor eine Geldbuße in Höhe von 250,00 Euro ausgesprochen. Aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Halberstadt vom 23.02.2005 ist der Antragsteller rechtskräftig wegen einer versuchten gefährlichen Körperverletzung ist Tateinheit mit versuchter Körperverletzung im Amt gegenüber einem Gefangenen zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen á 40,00 Euro verurteilt worden.

24

Die dienstlichen Beurteilungen und Befähigungsberichte des Antragstellers lauten bis einschließlich seiner Laufbahnprüfung im Jahre 1995 auf „befriedigend“; danach erreicht er in seinen dienstlichen Beurteilungen die Benotung „ausreichend“, „befriedigend“, „mangelhaft“ und wiederholt „ausreichend“.

25

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verfügung sowie die Disziplinarklage vom 01.04.2009, die dortige Klageerwiderung des Antragstellers vom 08.06.2009 und die umfassenden Verwaltungsvorgänge und Beiakten verwiesen. Diese Unteralgen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

III.

26

Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt wird. Ferner kann die vorläufige Dienstenthebung ausgesprochen werden, wenn durch ein Verbleiben des Beamten im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Diensthebung nicht unverhältnismäßig ist (§ 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA). Der Antragsgegner stützt sich in der Verfügung auf beide Bestimmungen.

27

Die nach § 61 Abs. 2 DG LSA vom Disziplinargericht vorzunehmende Prüfung ergibt, dass – im Ergebnis - keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung bestehen. Soweit der Antragsgegner die vorläufige Dienstenthebung auf § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA stützt und meint, der Antragsteller werde aufgrund der Disziplinarklage voraussichtlich aus dem Dienst entfernt, vermag das Gericht diese Prognose allerdings nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu teilen (1.). Jedoch und jedenfalls ist die vorläufige Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 Satz 2 DG gerechtfertigt (2.). Die teilweise Einbehaltung der Dienstbezüge ist hingegen aufzuheben (3.).

28

Die auf § 38 Abs. 1 DG LSA gestützte Verfügung über die vorläufige Dienstenthebung muss pflichtgemäßem Ermessen der Einleitungsbehörde entsprechen. Für die konkrete Entscheidung im Einzelfall sind das dienstliche Bedürfnis an der einstweiligen Fernhaltung des Beschuldigten vom Dienst und dessen Recht auf amtsentsprechende dienstliche Beschäftigung abzuwägen (vgl. dazu. Köhler/Ratz, BDO, 2. Aufl., § 91 Rdzf. 10). Ein dienstliches Bedürfnis für die (weitere) Fernhaltung eines Beamten vom Dienst ist etwa dann gegeben, wenn ihm ein schwerwiegendes (dienstliches oder außerdienstliches) Fehlverhalten vorgeworfen wird, welches geeignet ist, die Integrität der öffentlichen Verwaltung zu beeinträchtigen (vgl. zum Ganzen: VG Magdeburg, Beschl. v. 10.02.2007, 8 B 22/06).

29

Den Beamten auch nur vorläufig vom Dienst zu entheben setzt voraus, dass ein Verbleiben des Beamten im Dienst schlechthin untragbar wäre. Dabei handelt es sich um die denkbar schwerste Sanktion für dienstliche Verfehlungen, welche nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts besondere Umstände voraussetzt, wie etwa ein sehr schwerwiegendes kriminelles Verhalten des Beamten.

30

Ernstliche Zweifel im Sinne der gerichtlichen Prüfung nach § 61 Abs. 2 DG LSA sind etwa dann anzunehmen, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass die Voraussetzungen der Anordnung nicht erfüllt sind, mindestens so groß ist wie die Wahrscheinlichkeit, dass die Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. VG Münster, Beschl. v. 07.10.2009, 13 L 376/09.O mit Verweis auf OVG NRW, Beschl. v. 01.07.2005, 21 dA 896/05 und Gamsen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, September 2007, § 63 Rdzf. 9; juris).

31

Dies beinhaltet eine vom Gericht vorzunehmende summarische Prüfung des zurzeit bekannten Sachverhaltes und die darin orientierte Wahrscheinlichkeitsprognose. Insofern ist im Aussetzungsverfahren zu prüfen, ob nach der hier gebotenen und möglichen summarischen Beurteilung die Verhängung der Höchstmaßnahme überwiegend wahrscheinlich ist (vgl. BVerwG, Besch. v. 16.07.2009, 2 AV 4.09; juris). Hinsichtlich des zur Last gelegten Dienstvergehens genügt die Feststellung, dass der Beamte dieses Dienstvergehen mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit begangen hat; nicht erforderlich ist, dass das Dienstvergehen bereits in vollem Umfang nachgewiesen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.09.1997, 2 WDB 3.97; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.09.2009, 83 DB 1.09; OVG des Saarlandes, Beschl. v. 17.06.2009, 6 B 289/09; alle juris). Dabei ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (BVerwG, Besch. v. 22.07.2002, 2 WDB 1.02; OVG Berlin-Brandenburg; Beschl. v. 18.08.2005, 80 SN 1.05; beide juris).

32

1.) Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 und 3 DG LSA nach der Schwere des Dienstvergehens und der angemessenen Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten und des Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. Demnach ist maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme die Schwere des Dienstvergehens. Sie beurteilt sich zum einen nach der Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale) und zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen der Pflichtenverstöße für den dienstlichen Betrieb und für Dritte (vgl. zu § 13 BDG, BVerwG, Urt. v. 20.04.2005, 2 C 12.04; Urt. v. 03.05.2007, 2 C 9.06; beide juris).

33

a.) Aufgrund der gegen den Antragsteller erhobenen Vielzahl und immer wiederkehrenden Vorwürfe drängt sich der Eindruck auf, dass er für die Aufgaben und das Amt eines Justizobersekretärs im Justizvollzugsdienst als nicht geeignet erscheint. Die einzelnen Vorkommnisse, die aus der Sicht des Antragsgegners die Pflichtenverstöße begründen, werden von dem Antragsteller im Einzelnen und in der Gesamtheit nicht substantiiert bestritten. Vielmehr zieht der Antragsteller daraus lediglich nicht die rechtlichen Schlüsse, wie sie vom Antragsgegner gezogen werden.

34

Wegen der hier insoweit vorliegenden Besonderheit stellt sich die Bedeutung und Tragweite des Verhaltens des Antragstellers und die diesbezügliche disziplinarrechtliche Ahndung als äußerst schwierig dar. Denn zum einen handelt es sich bei dem Antragsteller aufgrund der von ihm ganz offensichtlich an den Tag gelegten Verhaltensweisen und die diesbezügliche aus den dem Gericht vorliegenden in den Akten befindlichen medizinischen Unterlagen um eine Persönlichkeit, die aufgrund ihrer charakterlichen Eigenschaften nicht für die Tätigkeit in einer Justizvollzugsanstalt geeignet erscheint. Zum anderen kann und darf das Disziplinarverfahren nicht dazu genutzt werden, einen unliebsamen oder sonst wie im Umgang mit anderen Personen auffällig werdenden Beamten aus dem Dienst zu entfernen oder „kaltzustellen“. Insoweit reicht eine bloße Ungeeignetheit für die dienstlich wahrgenommene Position aufgrund der Verleihung des Beamtenstatus auf Lebenszeit nicht aus. Dass in der Vergangenheit ca. achtmal versucht wurde, eine anderweitige Verwendung des Beamten zu finden, ist dem Gericht bekannt. Soweit Verhaltensweisen gesundheitliche Ursachen haben, die die weitere Verwendung des Beamten im Beamtenverhältnis generell – also unabhängig vom Justizvollzugsdienst – nicht erlauben, ist er nach beamtenrechtlichen Vorschriften aus gesundheitlichen Gründen in den vorzeitigen Ruhestand zu versetzen. Das diesbezügliche gerichtliche Verfahren ist bei Gericht anhängig (5 A 430/09 MD). Von ganz erheblicher Bedeutung ist jedoch auch das Bestreben des Antragsgegners und der Haftanstalt aus den zweifellos verständlichen Sicherheitsaspekten heraus den Antragsteller nicht weiter in der oder einer Justizvollzugsanstalt zu beschäftigen.

35

b.) Zweifellos mögen die dem Antragsteller in der Disziplinarklage vorgeworfenen Dienstpflichtverletzungen hinsichtlich des Gehorsamsverstoßes den reibungslosen Betriebsablauf in der Haftanstalt stören und stellen eine Dienstpflichtverletzung hinsichtlich des Gehorsamsverstoßes nach § 55 BG LSA (a. F.), § 35 BeamtStG dar. Gerade in einer Justizvollzugsanstalt ist die Befolgung von Weisungen und Anordnungen als Grundlage für eine effektive Erfüllung der ihr zugewiesenen Aufgaben unerlässlich. Wäre die Befolgung dienstlicher Anordnungen in das Belieben des einzelnen Beamten gestellt, wäre die Aufgabenerfüllung ernsthaft gefährdet. Die Gehorsamspflicht gehört mithin zu den Kernpflichten eines Beamten. Ein Beamter, der ungerechtfertigt die ihm obliegenden Tätigkeiten nicht ausführt, begeht eine Pflichtwidrigkeit von erheblichem Gewicht (vgl. nur: BVerwG, Urteil v. 13.12.2000, 1 D 34.98; juris).

36

a. a.) Es erschließt sich dem Gericht bereits aus allgemeinen Erwägungen heraus, dass es nicht angehen kann, dass ein Justizvollzugsbeamter bezüglich von der Anstaltsleitung genau vorgegebenen Handlungsweisen im Umgang mit den Gefangenen abweicht und diesbezüglich andere, von dem Beamten selbst als wirkungsvollere Maßnahmen angesehene, Vorgehensweisen ergreift. Somit stellt der Umgang des Antragstellers mit der von den Angehörigen der Gefangenen übergebenen Wäsche zweifellos ein Dienstvergehen dar. Bezeichnend für das gesamte Persönlichkeitsbild des Beamten ist in diesen Zusammenhang, die Genauigkeit und Intensität sowie die Beharrlichkeit der Handlungsweise, womit er versucht seine eigenen „Dienstvorschriften“ durchzusetzen. So hat er sich mehrmals strikt geweigert, das vorgegebene Verfahren einzuhalten und hat die Angehörigen sogar mittels Übergabe eines von ihm gefertigten Merkblattes dazu angehalten, Pack- und Klebematerial aus einer nahegelegenen Postfiliale zu besorgen. Zudem hat der Beamte sein Verhalten gegenüber der Anstaltsleitung und anderen Kollegen trotz Belehrung durch diese verteidigt und nachhaltig untermauert. Er zeigt sich insoweit beratungs- und weisungsresistent. Es versteht sich ebenso von selbst, dass das Verhalten des Beamten nicht so weit gehen kann, dass er sogar diesbezüglich vorgesehene Einrichtungs- und Transportgegenstände in den Müll verbringen lässt.

37

b. b.) Hinsichtlich des weiteren in der Disziplinarklage aufgeführten Verhaltens des Beamten, nämlich die unbeaufsichtigte Zurücklassung der Gefangenen auf dem Hof, kann eine Bewertung des Sachverhalts nicht abschließend vorgenommen werden. Zwar mag es sein, dass der Antragteller dringend auf die Toilette musste. Jedoch ist von einem verantwortungsvollen Justizvollzugsbeamten in Ausübung seiner Pflicht selbstverständlich zu erwarten, dass er frühzeitig sich um eine entsprechend Ablösung kümmert. Die diesbezüglich näheren Umstände sind jedoch aus Sicht des Gerichts noch nicht hinreichend aufgeklärt. So trägt der Antragsteller vor, dass er von der Ablösung ausgegangen sei. Andererseits ist der Aussage des Beamten auch zu entnehmen, dass er grundsätzlich von einem Freigang der Gefangenen nur von genau einer Stunde ausgeht. Demnach gilt zu vermuten, dass der Beamte es zumindest billigend in Kauf genommen hat, den Toilettengang genau nach Ablauf einer Stunde vorzunehmen, wobei er sich dann wiederum im Recht bei der von ihm interpretierten Auslegung der Dienstvorschriften sieht.

38

c. c.) Schließlich stellt sich auch die Bewertung des in der Disziplinarklage aufgeführten Pflichtenverstoßes hinsichtlich der Nichtmitwirkung bei der erneuten amtsärztlichen Untersuchung, als schwierig dar. Bestehen Zweifel über die Dienst(un)fähigkeit des Beamten, so ist dieser gemäß § 42 Abs. 1 Satz 3 BG LSA (a. F.); § 45 LBG LSA, § 26 BeamtStG verpflichtet, sich nach Weisung der Behörde amtsärztlich untersuchen zu lassen. Diese Untersuchungspflicht besteht selbst dann, wenn der Beamte sich selbst für dienstfähig hält und seinen Dienst regelmäßig verrichtet (BVerwG, Urt. v. 23.10.1980, 2 A 4.78; OVG LSA, Beschl. v. 26.06.2007, 1 M 103/07, Beschl. v. 28.01.2009, 1 M 164/08 und Beschl. v. 09.06.2009, 10 L 1/09; VG Magdeburg, Urt. v. 03.02.2009, 8 A 9/08; alle juris). Demnach ist der Beamte zur Mitwirkung bei der Überprüfung seiner Dienst(un)fähigkeit verpflichtet. Der Beamte muss seinen Teil dazu beitragen, seinem Dienstvorgesetzten die Überprüfung zu vermitteln, dass er voll dienstfähig ist (ausdrücklich: BVerwG, Urt. v. 23.10.1980, 2 A 4.78; juris). Die Mitwirkungspflicht umfasst auch die Offenlegung der gesamten Krankengeschichte mit den dazugehörigen Unterlagen. Die Weisung des Dienstherrn an den Beamten, sich wegen bestehender Zweifel an seiner Dienstfähigkeit untersuchen zu lassen, ist gesetzlich ausdrücklich vorgesehen und nicht diskriminierend. Krankheit und Zweifel an der Dienstfähigkeit begründen objektiv keinen Makel, und zwar auch dann nicht, wenn es sich um eine psychische Erkrankung handelt (vgl. hierzu: BVerwG, Besch. v. 26.09.1988, 2 B 132.88; juris). Dabei ist eine Weisung, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen, dann gerechtfertigt, wenn sich die Zweifel des Dienstherrn an der Dienstfähigkeit des Beamten auf konkrete Umstände stützen und „nicht aus der Luft gegriffen“ sind (BVerwG, a. a. O.). Die eine Untersuchungsanordnung tragenden Zweifel des Dienstherrn können sich hierbei auch aus einer Summe von Umständen ergeben, die – je für sich gesehen – noch keinen hinreichenden Anlass zu Zweifeln im Sinne von § 42 Abs. 1 Satz 3 BG LSA (a. F.) bieten (vgl. BVerwG, Besch. v. 28.05.1984, 2 B 205.82; juris). Art und Umfang einer amtsärztlichen Untersuchung sind dabei grundsätzlich der ärztlichen Entscheidung überlassen; das Ausmaß der ärztlichen Untersuchung muss indes durch den Anlass gerechtfertigt sein (VG Gelsenkirchen, Urt. v. 25.06.2008, 1 K 3679/07; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 07.08.2008, 4 S 1068/08; beide juris). Nur wenn dies nicht auf der Hand liegt und auch für einen Arzt nicht ohne weiteres erkennbar ist, bedarf es zudem eines entsprechenden Hinweises auf den Anlass für die dienstärztliche Untersuchung an den untersuchenden Amtsarzt (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.10.1990, a. a. O.; OVG LSA, Beschl. v. 26.06.2007 und v. 28.01.2009, a. a. O.; juris).

39

Demnach stellt es für den Beamten eine Dienstpflicht dar, bei erheblichen Zweifeln an seiner Dienstfähigkeit der Weisung der amtsärztlichen Untersuchung nachzukommen.

40

c.) Bei der (Gesamt-)Bewertung dieser Vorkommnisse in disziplinarrechtlicher Hinsicht ist davon auszugehen, dass es sich um ein einheitliches Dienstvergehen im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts handelt. Denn stets werden dem Beamten Weisungsverstöße vorgeworfen, welche Ausdruck seiner Persönlichkeit sind. Dementsprechend ist in dieser charakterlichen Grundeinstellung die („böse“) Wurzel des Dienstvergehens zu sehen (vgl. zur Einheitlichkeit des Dienstvergehens nur: BVerwG, U. v. 10.12.1991, 1 D 26.91 mit weiteren Nachweisen, U. v. 06.05.1992, 1 D 7.91 mit weiteren Nachweisen, U. v. 28.04.1981, 1 D 7.80, U. v. 14.11.2007, 1 D 6.06 , B. v. 29.07.2009, 2 B 15.09 und VG Ansbach, U. v. 20.07.2009, AN 6 b D 08.01820; ausführlich: VG Magdeburg, Urteil v. 04.11.2009, 8 A 19/08; alle juris).

41

a. a.) Derzeit ist aber zumindest offen, ob diese in der Disziplinarklage aufgeführten Vorkommnisse auch unter der Annahme dienstrechtlicher Pflichtenverstöße mit der hier anzuwendenden hohen Wahrscheinlichkeit zur Entfernung aus dem Dienst führen werden. Auch unter den eingangs beschriebenen Sicherheitsaspekten einer Haftanstalt erscheint es dem Gericht bislang unentschieden, ob die Schwelle der Erheblichkeit hinsichtlich der Aussprache der Höchstmaßnahme erreicht ist. Insoweit vermag es das Gericht nicht auszuschließen, dass die beschriebenen disziplinarrechtlichen Verfehlungen des Beamten disziplinarrechtlich (noch) mit anderen Maßnahmen unterhalb der Entfernung aus dem Dienst zu ahnden wären.

42

Dem kann nicht damit begegnet werden, dass der Antragsgegner in der Disziplinarklage weiter eine Pflichtverletzung durch „jahrelange permanente und massive Störung des Betriebsfriedens“ sieht und nachfolgend auszugsweise Vermerke und Berichte von diversen Vorgesetzten und Bediensteten beginnend aus dem Jahr 1996 aufführt. Ob durch die bloße Aufzählung der vielen – in der Tat erschreckenden – Vorkommnisse tatsächlich der Nachweis einer Dienstpflichtverletzung geführt werden kann, ist zweifelhaft. Denn es fehlt an der notwendigen Subsumtion unter den Pflichtentatbestand und der Auseinandersetzung mit den einzelnen Vorkommnissen und es ist mehr als zweifelhaft, ob diese lang zurückliegenden Vorkommnisse im Rahmen der nunmehr anhängigen Disziplinarklage noch herangezogen werden können. Denn insoweit könnten Verfahrensfehler und Milderungsgründe vorliegen (vgl. zu einem solchen Fall: OVG Lüneburg, Urteil vom 10.11.2009, 6 LD 1/09 m. w. Nachw.; juris).

43

Ausweislich der Unterlagen wurde unter dem 23.01.2006 ein Vorermittlungsverfahren nach § 26 DO LSA wegen der Vorkommnisse um die Wäscheannahme eingeleitet (Bl. 8 Beiakte A zu 8 A 9/09). Mit Ermittlungsbericht vom 10.04.2006 stellte die Ermittlungsführerin ein Dienstvergehen fest (Bl. 71 Beiakte A). Von der Ausdehnung der Ermittlungen auf den Vorfall vom 15.03.2006 wurde abgesehen. Soweit die Disziplinarklage auf Seite 3 zum Gang des Disziplinarverfahrens ausführt, dass der Antragsgegner sich entschieden habe, das Disziplinarverfahren auszusetzen, kann eine derartige aktenkundige Aussetzung nicht festgestellt werden. Nach § 16 Abs. 2 DO LSA konnte das Disziplinarverfahren ausgesetzt werden, wenn in einem anderen geordneten Verfahren über eine Frage zu entscheiden ist, deren Beurteilung für die Entscheidung in Disziplinarverfahren von wesentlicher Bedeutung ist. Ob diese Voraussetzungen aufgrund der vordringlich angedachten Überprüfung der beamtenrechtlichen Dienstfähigkeit gegeben sind (vgl. Blatt 10 Beiakte N), mag dahinstehen. Jedenfalls ist den Akten nicht die Entscheidung über die Aussetzung und die diesbezügliche Mitteilung gegenüber dem Beamten zu entnehmen. Dies wäre schon deswegen erforderlich gewesen, weil nach § 16 Abs. 4 DO LSA der Beamten gegen eine Aussetzung den Antrag auf gerichtliche Entscheidung darüber stellen konnte. Somit ist auch die Mitteilung des Antragsgegners vom 16.12.2008 (Bl. 95 Beiakte O) an den damaligen Bevollmächtigten des Antragstellers nicht zutreffend, dass das unterbrochene Disziplinarverfahren wieder aufgenommen und als förmliches Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Magdeburg weitergeführt wird. Das im Januar 2006 unter der DO LSA eingeleitete Disziplinarverfahren war nicht (förmlich) unterbrochen und wurde nach § 81 Abs. 3 und 4 DG LSA ab dem 01.07.2006 nach dem DG LSA fortgeführt. Welche Konsequenzen daraus aufgrund des disziplinarrechtlichen Beschleunigungsgebotes (§ 4 DG LSA) und des Maßnahmeverbotes nach § 15 DG LSA i. V. der Verjährung nach § 4 DO LSA zu ziehen sind, mag noch offen bleiben.

44

Ausweislich der Verfügung vom 16.12.2008 (Bl. 92 Beiakte O) und des Schreibens an den damaligen Bevollmächtigten des Beamten vom gleiche Tage sowie vom 13.02.2009 (Bl. 40 Beiakte M) kann wohl die Erweiterung (§ 19 DG LSA) und Unterrichtung (§ 20 DG LSA) bezüglich der Vorkommnisse zum „Freigang“, wegen der „Nichtbefolgung zur Vorstellung beim Arzt“ und auch wegen der „Störung des Betreibfriedens“ angenommen werden.

45

b. b.) Zudem – und dies ist ganz entscheidend – sind dem Antragsgegner die allein in der Persönlichkeit des Beamten begründeten Schwierigkeiten seit jeher bekannt. So kam es aufgrund des problematischen Umgangs mit dem Antragsteller bereits zu einer Verlängerung seiner Probezeit und schließlich führte das im Jahr 2002 erstellte amtsärztliche Gutachten zu dem Ergebnis, dass der Beamte dienstfähig ist. Der Antragsgegner stellte am 22.08.2002 (Bl. 248 Beiakte R) fest, dass „die Befähigung für die Laufbahn des allgemeinen mittleren Justizvollzugsdienstes in gesundheitlicher Hinsicht vorliegt“. Aus Sicht der psychiatrischen Begutachtung gebe es keine Einwände bezügliche einer Weiterbeschäftigung bei der Justizvollzugsanstalt in H. Der Bedienstete zeige keine psychopathologischen Veränderungen, die auf eine Dienstunfähigkeit hinweisen. Es wurde weiter verfügt, das anhängige – hier nicht einschlägige - Disziplinarverfahren vom 30.11.2001 fortzusetzen und zum Abschluss zu bringen. So ergibt sich aus einer Verfügung des Antragsgegners vom 26.03.2003 (Bl. 291 Beiakte R), dass bereits zur Hälfte der Probezeit erste Mängel in der Dienstdurchführung des Bediensteten bekannt geworden seien. So werde dem Bediensteten eine ungenügend ausgebildete Kompromissbereitschaft und insbesondere eine fehlende Teamfähigkeit bescheinigt. Ebenso habe der Beamte das erforderliche Fingerspitzengefühl im Umgang mit Gefangenen vermissen lassen. Aus Fürsorgegründen sei der Beamte in der Vergangenheit immer wieder an andere Justizvollzugsanstalten abgeordnet worden. Auch die Disziplinarklage enthält diesbezügliche Ausführungen.

46

Demnach ist festzustellen, dass dem Dienstherrn die wesentlichen charakterlichen und persönlichkeitsbedingten Wesensmerkmale des Beamten bereits während der Probezeit bekannt waren und sogar zu einer Verlängerung der Probezeit geführt haben. Dabei fällt die identische damalige Wortwahl mit derjenigen der Disziplinarverfügung auf. Dementsprechend ist dem Antragsgegner vorzuhalten, dass er sich nicht frühzeitig aufgrund der zu Tage tretenden Probleme im Umgang mit dem Beamten von diesem getrennt hat. Denn genau dazu dient die beamtenrechtliche Probezeit. Gänzlich neue oder andersartige Erkenntnisse über die persönlichkeitsbedingten Verhaltensweisen des Antragstellers nach seiner Ernennung als Beamter auf Lebenszeit sind den Akten nicht als hinreichende Erkenntnisgrundlage zu entnehmen. Stattdessen hat der Beamte seine Verhaltensweisen (nur) weiter „ausgelebt“.

47

Soweit der Anstaltsleiter der JVA H. mit Schreiben vom 25.09.2002 darauf hinweist, dass aufgrund der Übergabe von Unterlagen durch den Antragsteller an die Gutachterin bei dem Gesundheits- und Veterinäramt der Landeshauptstadt A-Stadt davon auszugehen sei, dass er bereits in den 80er Jahren psychologische Behandlungen und Therapien durchgeführt habe, welche er jedoch bei seiner Einstellung in den Justizvollzugsdienst nicht angegeben habe, sodass bei Kenntnis dieser Unterlagen eine Einstellung nicht vorgenommen worden wäre, vermag auch dies keinen hinreichenden Grund für eine disziplinarrechtliche Entfernung aus dem Dienst liefern. Zudem steht dem Anstaltsleiter mangels hinreichender fachlicher Kenntnisse eine derartige Einschätzung nicht zu. Soweit der Dienstherr von Falschangaben bei der Einstellung ausgeht, müsste ein entsprechendes Verfahren zur Rücknahme der beamtenrechtlichen Ernennung geprüft und eingeleitet werden.

48

Jedenfalls – und darauf legt das Gericht wert – ist vorliegend äußerst zweifelhaft, ob sich die charakterlichen und persönlichkeitsbedingten Verhaltensweisen des Antragstellers eben tatsächlich erst nach der Probezeit und damit der Prognose für die Bewährung als Beamter auf Lebenszeit , gezeigt haben. Die Aktenlage spricht vielmehr dafür, dass diese Probleme mit dem Beamten bereits frühzeitig und während der Probezeit eingetreten sind. Ob eine Veränderung, d. h. Verschlimmerung dieser persönlichkeitsbedingten Verhaltensweisen im Sinne einer Dienstunfähigkeit bei dem Beamten vorliegen, obliegt der Prüfung in dem beamtenrechtlichen Verfahren 5 A 430/09 MD.

49

2.) Aufgrund der vorstehenden detaillierten Ausführungen ist die Disziplinarkammer jedoch der Auffassung, dass die vorläufige Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 Satz 2 DG gerechtfertigt ist. Denn durch das Verbleiben des Antragstellers im Dienst ist der Dienstbetrieb in der Haftanstalt wesentlich beeinträchtigt und die vorläufige Dienstenthebung steht zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis. Dies hat der Antragsgegner ohne Rechtfehler erkannt und ausgeführt.

50

Der gesetzliche Zweck der Ermessensbefugnis in § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA ergibt sich daraus, dass die vorläufige Dienstenthebung eines Beamten im Zusammenhang mit einem gegen ihn eingeleiteten Disziplinarverfahren dazu dient, einen Zustand, der endgültig erst aufgrund eines einen längeren Zeitraum beanspruchenden förmlichen Verfahrens geregelt wird, vorübergehend zu ordnen, um dadurch Nachteile und Gefahren - insbesondere für das gemeine Wohl - abzuwehren und zu verhindern, dass vollendete Tatsachen geschaffen werden, bevor die Entscheidung im gerichtlichen Disziplinarverfahren rechtskräftig getroffen und damit - im Falle einer Verurteilung - die Unschuldsvermutung (vgl. Art. 6 Abs. 2 EMRK und hierzu BVerwG, Urteil vom 12. Februar 2003, 2 WD 8.02; Beschluss vom 15. November 2006, 2 WDB 5.06; juris) widerlegt ist (BVerwG, Beschluss vom 07.12.2006, 2 WDB 3.06; Beschluss vom 16.07.2009, 2 AV 4.09; beide juris). Eine solche vorläufige Maßnahme, die in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen des Beamten eingreift, bedarf aus verfassungsrechtlichen Gründen eines besonderen sie rechtfertigenden Grundes. Sie muss im Rahmen des gemeinen Wohls geboten sein und zudem - im Hinblick auf die Grenzen der gesetzlichen Ermächtigung - dem Verfassungsgebot der Verhältnismäßigkeit genügen (BVerwG, Beschluss vom 07. Dezember 2006, a. a. O.). Ein rechtfertigender besonderer Grund im dargelegten Sinne ist nur dann gegeben, wenn ohne die angegriffene Anordnung der Dienstbetrieb durch den von dem gerichtlichen Disziplinarverfahren Betroffenen empfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet würde (BVerwG, Beschluss vom 07. Dezember 2006, a. a. O.). Bei der Beurteilung dessen, ob ohne die angegriffene Anordnung der Dienstbetrieb empfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet würde, steht dem Antragsgegner innerhalb des dargelegten rechtlichen Rahmens ein Beurteilungsspielraum zu (vgl. zum Ganzen nur: Nieders. OVG, Beschluss vom 12.02.2008, 19 ZD 11/07 m. w. Nachw.; juris).

51

Hiervon ausgehend ist mehr als erkennbar, dass bei einem Verbleib des Antragstellers in seiner gegenwärtigen und auch in jeder anderen Verwendung innerhalb seiner Laufbahn im Justizvollzugdienst mit einer empfindlichen Störung oder in besonderem Maße mit einer Gefährdung des Dienstbetriebs zu rechnen ist. Dies ergibt sich schon daraus, dass auf Grund eines offenbar gegenseitig belasteten Verhältnisses zwischen dem Antragsteller sowie den Bediensteten in der Haftanstalt ein gedeihliches Miteinander nicht mehr möglich ist. Das Gericht ist der Überzeugung und schließt sich der Beurteilung des Antragsgegners an, dass eine erneute Aufnahme der Diensttätigkeit durch den Antragsteller zu untragbaren Zuständen in der Justizvollzugsanstalt führen würde. Denn die Art des Dienstvergehens gibt begründeten Anlass zu der Annahme, die tägliche Dienstverrichtung werde vom Antragsteller dazu benutzt, um die Unbegründetheit der Anschuldigungen zu belegen und seine Sicht der Dinge darzustellen. Demnach ist die vorläufige Dienstenthebung notwendig um das „Streitpotential“ aus dem Dienstbetrieb der Justizvollzugsanstalt fernzuhalten. Daher steht die vorläufige Dienstenthebung zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme – wie immer die ausfallen wird – auch nicht außer Verhältnis.

52

3.) Wegen der vom Disziplinargericht nicht geteilten Prognoseentscheidung hinsichtlich der voraussichtlichen Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, sind die tatbestandlichen Voraussetzungen der Einbehaltung der Dienstbezüge nach § 38 Abs. 2 DG LSA ebenso nicht gegeben. Diese ist aufzuheben.

53

4.) Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 72 Abs. 4 DG LSA i. V. m. § 155 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtsgebührenfreiheit folgt aus § 73 Abs. 1 DG LSA.


Gründe

1

Der zulässige Antrag nach § 61 Abs. 2 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt (DG LSA) ist unbegründet.

2

Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt wird. Ferner kann die vorläufige Dienstenthebung ausgesprochen werden, wenn durch ein Verbleiben des Beamten im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Dienstenthebung nicht unverhältnismäßig ist (§ 38 Abs. 1Satz 2 DG LSA). Die Antragsgegnerin stützt sich erkennbar nicht auf letztgenannte Norm, sondern (nur) auf § 38 Abs. 1Satz 1 DG LSA, da ihrer Meinung nach im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird.

3

Bei der Anordnung der Suspendierung handelt es sich nicht um eine Disziplinarmaßnahme (OVG LSA, B. v. 07.05.2010, 10 M 2/10; juris). Ihre Berechtigung ergibt sich aus dem funktionalen Bedürfnis, noch vor der endgültigen Klärung des Vorliegens eines Dienstvergehens und der abschließenden Entscheidung über die angemessene Maßregelung des Beamten eine den Verwaltungsaufgaben und dem Dienstbetrieb dienende vorübergehende Sicherungsregel zu treffen.

4

1.) Die nach § 61 Abs. 2 DG LSA vom Disziplinargericht vorzunehmende Prüfung ergibt, dass die vorläufige Dienstenthebung nicht aufzuheben ist. Ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen nicht.

5

a.) Die auf § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA gestützte Verfügung über die vorläufige Dienstenthebung muss pflichtgemäßem Ermessen der Einleitungsbehörde entsprechen. Den Beamten auch nur vorläufig vom Dienst zu entheben, setzt voraus, dass ein Verbleiben des Beamten im Dienst schlechthin untragbar wäre. Dabei handelt es sich um die denkbar schwerste Sanktion für dienstliche Verfehlungen, welche nach der Rechtsprechung besondere Umstände voraussetzt. Für die konkrete Entscheidung im Einzelfall sind grundsätzlich das dienstliche Bedürfnis an der einstweiligen Fernhaltung des Beschuldigten vom Dienst und dessen Recht auf amtsentsprechende dienstliche Beschäftigung abzuwägen (vgl. dazu: Köhler/Ratz, BDO, 2. Aufl., § 91 Rz. 10: vgl. zum Ganzen: VG Magdeburg, Beschl. v. 10.02.2007, 8 B 22/06; Beschl. v. 03.03.2010, 8 B 21/09; zuletzt: Beschl. v. 12.06.2012, 8 B 5/12; OVG Lüneburg, Beschluss v. 25.03.2013, 19 ZD 4/13; alle juris).

6

Nach § 61 Abs. 2 DG LSA ist die vorläufige Dienstenthebung dann aufzuheben, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel sind schon dann anzunehmen, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts offen ist, ob die Anordnung nach § 38 Abs. 1 DG LSA rechtmäßig oder rechtswidrig ist (vgl. nur: Bay. VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DC 11.985; OVG Lüneburg Beschluss vom 13.5.2005, 3 ZD 1/05; alle juris). Neben der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung ist somit zu prüfen, ob die in der Anordnung liegende Prognose gerechtfertigt ist, der Beamte werde im Disziplinarverfahren voraussichtlich aus dem Dienst entfernt werden. Diese Prognose trägt nur dann, wenn nach dem Kenntnisstand eines Eilverfahrens die Möglichkeit des Ausspruchs der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme überwiegend wahrscheinlich ist. Ist es dagegen zumindest ebenso wahrscheinlich, dass eine Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis im Disziplinarverfahren nicht erfolgen wird, sind ernstliche Zweifel durch das Gericht zu bejahen (BVerwG, Besch. v. 16.07.2009, 2 AV 4.09; BayVGH, Beschl. v. 20.04.2011, 16b DS 10.1120;Sächs. OVG, B. 19.08.2010, D 6 B115/10 mit Verweis auf Beschluss vom 08.07.2010, D6A116/10; alle juris; Müller, Grundzüge des Beamtendisziplinarrechts, § 38 Abs. 1 BDG, 2010, Rz. 370 m. w. N.; GKÖD, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, § 38 BDG, Rz. 51). Anders gewendet, es müssen hinreichend gewichtige Gründe dafür sprechen, dass die Entfernung aus dem Dienst im Ergebnis des – noch durchzuführenden - Disziplinarverfahrens nicht in Betracht kommt. Dies beinhaltet eine vom Gericht vorzunehmende summarische Prüfung des zurzeit bekannten Sachverhaltes und eine daran orientierte Wahrscheinlichkeitsprognose. Hinsichtlich des zur Last gelegten Dienstvergehens genügt die Feststellung, dass der Beamte dieses Dienstvergehen mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit begangen hat; nicht erforderlich ist, dass das Dienstvergehen bereits in vollem Umfang nachgewiesen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.09.1997, 2 WDB 3.97; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.09.2009, 83 DB 1.09; OVG des Saarlandes, Beschl. v. 17.06.2009, 6 B 289/09; alle juris). Die Beurteilung im Verfahren nach § 61 DG LSA erfordert keine gesonderten Beweiserhebungen, sondern ist in der Lage, in der sich das Disziplinarverfahren jeweils befindet, anhand der bis dahin zu Tage getretenen Tatsachen zu treffen. Für eine vorläufige Dienstenthebung können u. U. selbst durch Aktenvermerke untermauerte Erkenntnisse ausreichen (vgl. Müller a. a. O.). Dabei ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (BVerwG, Beschl. v. 22.07.2002, 2 WDB 1.02; OVG Berlin-Brandenburg; Beschl. v. 18.08.2005, 80 SN 1.05; Bay VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DCV 11.985; alle juris). Jedoch muss für die gerichtliche Überprüfung der vorläufigen Dienstenthebung maßgeblich auf die von dem Dienstherrn in dem Bescheid herangezogenen Gründe der Pflichtenverletzung abgestellt werden. Ähnlich wie bei der Bestimmtheit des Tatvorwurfs als inhaltliche Anforderung an die - spätere – Disziplinarklageschrift, müssen die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, aus sich heraus verständlich und nachvollziehbar geschildert werden. Ort und Zeit der einzelnen Handlungen müssen möglichst genau angegeben, die Geschehensabläufe nachvollziehbar beschrieben werden (vgl. nur: BVerwG, Urteile v. 23.11.2006, 1 D 1.06, v. 25.01.2007, 2 A 3.05; Beschlüsse v. 13.03.2006, 1 D 3.06, v. 18.11.2008, 2 B 63.08 und v. 21.04.2010, 2 B 101.09; alle juris). Nur diese können durch das Disziplinargericht im Rahmen der Würdigung durch Akteninhalte und sonstige – evtl. auch später, im Laufe des Verfahrens nach § 61 DG LSA hinzutretende - Erkenntnisse untermauert werden, um so die Prognoseentscheidung, das heißt die Ausübung des ordnungsgemäßen Ermessens durch den Dienstherrn, zu überprüfen (VG Magdeburg, Beschl. v. 12.06.2012, 8 B 5/12, juris). Hingegen ist es dem Disziplinargericht verwehrt, anstelle der Disziplinarbehörde eine eigene Ermessenserwägung anzustellen (OVG Saarland, Beschluss v. 18.05.2011, 6 B 211/11; juris).

7

b.) Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 und 3 DG LSA nach derSchwere des Dienstvergehens und des unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten eingetretenen Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. § 13 Abs. 2 DG LSA bestimmt, dass ein Beamter, der durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen ist (Satz 1). Die Feststellung des verloren gegangenen Vertrauens ist verwaltungsgerichtlich voll inhaltlich nachprüfbar (Satz 2).

8

Demnach ist maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme die Schwere des Dienstvergehens. Sie beurteilt sich zum einen nach der Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale) und zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen der Pflichtenverstöße für den dienstlichen Betrieb und für Dritte (vgl. zum gleichlautenden § 13 BDG, BVerwG, Urt. v. 20.10.2005, 2 C 12.04; Urt. v. 03.05.2007, 2 C 9.06; B. v. 10.09.2010, 2 B 97/09; VGH Baden-Württemberg, U. v. 16.09.2010, DL 16 S 579/10; alle juris).

9

Erst bei Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Beamten lässt sich mit der gebotenen Sicherheit beurteilen, ob der Beamte aus disziplinarrechtlicher Sicht noch erziehbar erscheint oder ob hierfür eine bestimmte Disziplinarmaßnahme als notwendig, aber auch als ausreichend erscheint, oder ob der Beamte für die Allgemeinheit und den Dienstherrn untragbar geworden ist und deshalb seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist (vgl. nur: VG Magdeburg, U. v. 04.11.2009, 8 A 19/08 m. w. N.; juris).

10

Eine objektive und ausgewogene Zumessungsentscheidung setzt demnach voraus, dass die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme unter Berücksichtigung der belastenden und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten steht und gewisse Besonderheiten des Einzelfalls mildernd zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.12.2004, 2 BvR 52/02; BVerwG, U. v. 14.02.2007, 1 D 12.05 mit Verweis auf Urteil vom 20.10.2005, 2 C 12.04; OVG Lüneburg, U. v. 20.11.2009, 6 LD 1/09; VGH Bad.-Württ., U. v. 16.09.2010, DL 16 S 579/10; VG Saarland, U. v. 17.09.2010, 7 K 238/09; alle juris).

11

2.) Unter diesen rechtlichen Prüfungsvoraussetzungen folgt die Disziplinarkammer nach dem derzeitigen, sich aus der Begründung der Suspendierung, dem Aktenmaterial und insbesondere dem Vorbringen der Antragsgegnerin in der Antragserwiderung vom 13.06.2013 zum Verfahren der Lebensgefährtin (8 B 9/13 MD), auf welches sich die Antragsgegnerin ausdrücklich bezogen hat, ergebenden Sach- und Rechtsstand der von der Antragsgegnerin angestellten Prognoseentscheidung, dass mit der überwiegenden Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der Antragsteller ein derart schweres Dienstvergehen begangen hat, welches aufgrund des damit einhergehenden Verlustes des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit zu seiner Entfernung aus dem Dienst führt. Auch das Disziplinargericht geht derzeit davon aus, dass der Zeitpunkt des tatsächlichen Dienstbeginns der Beamtin im Verfahren 9 B 9/13 MD (nachfolgend Beamtin) in einer Vielzahl von Fällen nach dem sich aus dem Zeiterfassungssystem der Dienststelle ergebenen Zeitpunkt lag. Damit hat auch der Antragsteller unter Manipulation des Zeiterfassungssystems das Ziel verfolgt, über die von der Beamtin erbrachte Dienstzeit zu täuschen.

12

Die Antragsgegnerin stützt die vorläufige Dienstenthebung maßgeblich darauf, dass der Antragsteller gegen die ihm obliegenden beamtenrechtlichen Pflichten nach § 34 Satz 3 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) und § 35 Satz 2 BeamtStG verstoßen habe. Denn er habe zugunsten der Beamtin der geltenden Arbeitszeitverordnung für die B. zuwider gehandelt. Dazu wird ausgeführt, dass die Überprüfung des Zeiterfassungssystems ZEUS ergeben habe, die Dokumentation der Dienstzeiten der Beamtin seit dem 01.01.2012 weise in 132 Fällen einen untypischen Verlauf auf. In 103 Fällen sei ihr Dienstbeginn auf vor 7:20 Uhr dokumentiert. Nach den Erfahrungen ihrer Vorgesetzten und weiterer Zeugen habe die Beamtin ihren Dienst jedoch regelmäßig etwa erst gegen 7:45 Uhr aufgenommen. Der bisherige Kenntnis- und Ermittlungsstand sowie die Rückschlüsse, die sich daraus ergaben und die durch die allgemeine Lebenserfahrung gerechtfertigt seien, genügten um festzustellen, dass das ihr zur Last gelegte Dienstvergehen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch sie begangen worden seien und der Antragsteller daran mitgewirkt habe. Dies erlaube es nicht, dem Antragssteller Vertrauen in ein künftig korrektes Verhalten entgegen zu bringen.

13

Diese Darstellung der Pflichtenverstöße und deren Begründung in der streitbefangenen Suspendierungsverfügung entsprechen zwar nicht den eingangs aufgeführten Kriterien für eine ordnungsgemäße Ermessenentscheidung bei der vorläufigen Dienstenthebung. Denn der disziplinarrechtlich relevante Sachverhalt ist dort nur vage dargestellt. Es genügt nämlich nicht, nur eine beträchtliche Anzahl von mutmaßlichen Verstößen pauschal zu beziffern, sondern dieselben müssen neben den Umständen ihrer Begehung konkret benannt werden. Dies bereits neben der Nachweispflicht auch deswegen, um dem Angeschuldigten die Verteidigung und gegebenenfalls Aufklärung des Sachverhaltes aber auch dem Gericht die Möglichkeit der Nachprüfung zu ermöglichen. So fehlt es z. B. daran, dass die Protokolle des Dienst PC ergeben hätten, dass sich die Beamtin in einer Vielzahl von Fällen nicht selbst im ZEUS-Webportal angemeldet haben könne. Dazu reicht es auch nicht, dem Disziplinargericht einen Verwaltungsvorgang mit einer unübersichtlichen Anzahl von nicht beschriebenen und erläuterten Dateiausdrucken zu übersenden, zumal diese als Nachweis des verdächtigten Dienstvergehens der Suspendierungsverfügung nicht beilagen. Es werden in der Verfügung lediglich Vermutungen dahingehend geknüpft, dass der Antragsteller, die Zeiterfassung vorgenommen habe. Mag sich dieser Verdacht bei einem Vergleich der Datensätze aufdrängen, muss dies als Begründung der vorläufigen Dienstenthebung doch weiter substantiiert und belegt werden. In der Begründung der Verfügung heißt es jedoch nur vage, dass „der bisherige Kenntnis- und Ermittlungsstand sowie die Rückschlüsse, die sich daraus ergeben und die durch die allgemeine Lebenserfahrung gerechtfertig sind, genügen um festzustellen, dass das Ihnen zur Last gelegte Dienstvergehen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch Sie begangen wurde“.

14

Dieser offensichtliche Begründungsmangel ist jedoch durch die Antragserwiderung der Antragsgegnerin vom 13.06.2013 in dem Verfahren der Beamtin (8 B 9/13 MD) beseitigt worden. Der Antragsgegner bezieht sich auch in dem Verfahren des Antragstellers ausdrücklich auf diese Ausführungen. Dabei ist das Nachschieben, das heißt das Unterfüttern des maßgeblichen Sachverhaltes und damit die Ergänzung der getroffenen Ermessensentscheidung noch in gerichtlichen (Eil-)Rechtsschutzverfahren möglich. Gemäß § 114 Satz 2 VwGO kann die Verwaltungsbehörde ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen. Dies gilt unter Berücksichtigung der disziplinarrechtlichen Besonderheiten, die hier aber nicht einschlägig sind, nach § 3 DG LSA auch im Disziplinarverfahren (vgl. OVG Saarland, Beschluss v. 18.05.2011, 6 B 211/11; juris). Hingegen ist die erstmalige Ausübung des Ermessens im gerichtlichen Verfahren rechtlich unzulässig, was insbesondere beim Austausch von Begründungen (vgl. BVerwG, Urteil v. 13.12.2011, 1 C 14.10; juris) oder abgeschlossenen Sachverhalten (z. B. stichtagbezogene dienstliche Beurteilungen oder Stellenauswahlentscheidungen; OVG LSA, Beschluss v. 26.08.2008, 1 M 52/09; juris) gilt.

15

Von letzterem kann keine Rede sein. Dokumentiert und damit den pauschalen Vorwurf der Suspendierungsverfügung unterfütternd, (geht die Antragsgegnerin) nun anknüpfend an einen konkreten Vorgang am 27.02.2013, wo die Beamtin trotz Zeiterfassung um 6:54 Uhr nicht anwesend gewesen sei, auf Basis verschiedener belastbarer Anhaltspunkte (Zeugenaussagen, Login-Protokolle und ZEUS-Protokolle) davon aus, dass die Beamtin im Zusammenwirken mit dem Antragsteller, die Arbeitszeiterfassungsdaten der Beamtin manipuliert habe.

16

In der Anlage 1 der Antragserwiderung im Verfahren 9 B 9/13 MD führt die Antragsgegnerin Dienstantrittszeiten der Beamtin über das ZEUS-Webportal zwischen 6:54 Uhr bis spätestens 07:20 Uhr an. Dabei sei auffällig, dass der Antragsteller sich zeitnah angemeldet habe. Wenn der Antragsteller sich über das stationäre Terminal angemeldet habe erfolge die Anmeldung der Beamtin über das ZEUS-Webportal überwiegend zwischen zwei und fünf Minuten später, was dem Weg vom Terminal zum Büro des Antragstellers und dem ggf. erforderlichen Hochfahren des Computers entspräche. Dieses Bild werde durch einen Vergleich zu den Login-Daten des Rechners der Beamtin ebenso deutlich. Nach den Login-Protokollen für den PC der Beamtin vom 18.01.2013 bis 27.02.2013 ergebe sich eine Regelmäßigkeit der Anmeldung erst gegen 08:40 Uhr, also weit nach ihrer Anmeldung in der ZEUS-Webportal-Zeiterfassung. Dies lege den Schluss nahe, dass die Anmeldungen im ZEUS-Webportal nicht über ihren sondern einen anderen Rechner erfolgt seien. In Anlage 2 werden die Anmeldungen des Antragstellers am stationären Terminal 407 mit den zeitlich kurz danach erfolgten Anmeldungen der Beamtin im ZEUS-Webportal gegenüber gestellt.

17

Vorstehendes spricht für die Anmeldung der Beamtin durch den Antragsteller. Die dagegen von der Beamtin vorgetragenen Geschehensabläufe sind - zumindest zum augenblicklichen Zeitpunkt - weniger nachvollziehbar. Bei einer gemeinsamen Anreise mit dem PKW ist es nicht nachvollziehbar, dass sich nur der Antragsteller am Parkplatz-Terminal nach dem Aussteigen anmeldet, alleine sein Büro aufsucht und andererseits die Beamtin wohl den Wagen parkt, ebenso alleine den Weg in das Büro des Antragstellers geht, um sich an dessen Rechner im ZEUS-Webportal anzumelden. Mag die von der Beamtin im Schriftsatz vom 27.06.2013 dargestellte Arbeitsweise zur Auswertung der Presseberichte auch ein Hochfahren des eigenen Rechners zu einem späteren Zeitpunkt als dem Dienstbeginn begründen, gilt dies nicht für die Zeiterfassung. Die Anmeldung über einen fremden Rechner zur Zeiterfassung stellt unter den beschriebenen Umständen jedenfalls einen ungewöhnlichen Weg dar, der die Manipulation der Zeiterfassung durch eine andere Person nahe legt. Die Antragsgegnerin führt dazu auch schlüssig und nachvollziehbar aus, dass es durchaus Sinn macht, den nicht anwesenden Partner erst später über das Web-Portal anzumelden und nicht gleich am Terminal. Denn dazu benötigt er zum einen den Chip der Beamtin und zum anderen könnte das erklingende akustische Signal andere Personen aufmerksam machen. Dem kann die Beamtin bzw. der Antragsteller nicht erfolgreich alleine damit begegnen, dass die Verwendung des Chips einfacher sei und dieser – was das Gericht derzeit nicht weiß - wohl nicht zum Betreten des Gebäudes benötigt werde.

18

Diese nunmehrigen Ausführungen sind in sich schlüssig und nachvollziehbar und werden von dem Antragsteller nicht substantiiert in Abrede gestellt bzw. logisch erklärt. Die Erwiderung der Beamtin bzw. des Antragstellers lassen konkrete Tatsachen, die in den benannten Fällen für den tatsächlichen Dienstbeginn zu den sich aus dem Zeiterfassungssystem ergebenen Zeitpunkten sprechen, vermissen. Dies wäre ohne Zweifel bei den von der Antragsgegnerin aufgeführten Indizien (Kinderbetreuung, Diensttage des Lebensgefährten etc.) möglich. Dagegen erschöpfen sich die Einwendungen der Beamtin in einem einfachen Bestreiten oder einer anderen Interpretation von Tatsachen.

19

Auch die in der Antragserwiderung vorgenommene Würdigung der wiedergegebenen Zeugenaussagen trägt den disziplinarrechtlichen Vorhalt. Ohne hier eine abschließende und einer eventuellen Disziplinarklage oder Disziplinarverfügung vorbehaltenen Beweiswürdigung vorzunehmen, ist die Aussage des Kollegen B., der im selben Büro wie die Beamtin tätig ist, bedeutungsvoll. Er erklärte, dass die Beamtin „meistens gegen 07:45 Uhr zum Dienst“ erscheine. POM K. sagte aus, sie erscheine „zwischen 07:15 Uhr und 07:45 Uhr“. Dies deckt sich mit den weiteren benannten Aussagen, wenngleich hier im weiteren Disziplinarverfahren eine besondere Würdigung hinsichtlich des Aussageverhaltens vorgenommen werden muss. Denn insoweit ist z. B. bei den Aussagen des PHK M. und der KHM´in D. aufgrund der Brisanz der Angelegenheit ein gewisses „zurückrudern“ zu erkennen. So sagte der Vorgesetzte M. zunächst aus, dass die Beamtin „regelmäßig ihren Dienst etwa gegen 07.45 Uhr“ begonnen habe. Später heißt es, sie sei „mindestens zwei Mal in der Woche gegen 07.45 Uhr zum Dienst“ erschienen. Frau KHM´in D. könne nicht einschätzen, wann die Beamtin zum Dienst erscheine, obwohl sie im selben Büro ihren Dienst verrichtet. Jedenfalls belegen letztere Aussagen nicht die Login-Daten der Beamtin.

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Zudem hat der PD P. unter dem 06.03.2013 (Bl. 1, Beiakte B) festgehalten, dass sich die Beamtin auf Vorhalt und nach Belehrung dahingehend geäußert habe, dass es „eine unbestimmt Zahl von Fällen gibt, bei denen unter Zuhilfenahme einer weiteren Person echte Fehlbuchungen vorgenommen wurden.“

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Der vorgeworfene Pflichtenverstoß der Mitwirkung an bzw. Manipulation der Zeiterfassung stellt ein schweres innerdienstliches Dienstvergehen dar (vgl. nur: OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 04.06.2013, 11 B 10431/13; juris), wobei die jeweiligen Umstände des Einzelfalls für das Disziplinarmaß entscheidend sind (BVerwG, Beschluss v. 05.07.2010, 2 B 121/09; juris). Zum augenblicklichen Zeitpunkt ist aber entscheidend, dass unter Beachtung des langen Zeitraums der vorgehaltenen Fehlbuchungen, der hohen Anzahl und der systematischen Vorgehensweise unter Mitwirkung einer anderen Person, das dienstliche Fehlverhalten geeignet ist, das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit in ein künftig ordnungsgemäßes Dienstverhalten des Antragstellers endgültig zu zerstören. Dies rechtfertigt die augenblickliche Prognoseentscheidung des Dienstherrn, dass bei Bewahrheitung der Vorwürfe im laufenden Ermittlungsverfahren im Wege der Disziplinarklage voraussichtlich auf Entfernung aus dem Dienst erkannt wird.

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3.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 72 Abs. 4, 73 Abs: 1 DG LSA, 154 Abs. 1 VwGO. Zwar erfolgte die notwendige Begründung und Substantiierung der im Ermessen stehenden Suspendierungsverfügung erst mit der Antragserwiderung im laufenden gerichtlichen Verfahren. Gleichwohl sieht das Gericht keinen Anwendungsfall des § 155 Abs. 4 VwGO, wonach die Kosten des Verfahrens aus Verschuldensgründen der Antragsgegnerin aufzuerlegen wären. Denn insoweit ist noch im gerichtlichen Verfahren ein Nachschieben bzw. das Untermauern der in der Verfügung genannten Gründe möglich und die Antragsstellerin hätte mit einer Erledigungserklärung auf die nunmehr vorgenommene Substantiierung reagieren können.


(1) Die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde kann einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis oder auf Aberkennung des Ruhegehalts erkannt werden wird oder wenn bei einem Beamten auf Probe oder einem Beamten auf Widerruf voraussichtlich eine Entlassung nach § 5 Abs. 3 Satz 2 dieses Gesetzes in Verbindung mit § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder § 37 Abs. 1 Satz 1 des Bundesbeamtengesetzes erfolgen wird. Sie kann den Beamten außerdem vorläufig des Dienstes entheben, wenn durch sein Verbleiben im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Dienstenthebung zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis steht.

(2) Die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde kann gleichzeitig mit oder nach der vorläufigen Dienstenthebung anordnen, dass dem Beamten bis zu 50 Prozent der monatlichen Dienst- oder Anwärterbezüge einbehalten werden, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis oder auf Aberkennung des Ruhegehalts erkannt werden wird. Das Gleiche gilt, wenn der Beamte im Beamtenverhältnis auf Probe oder auf Widerruf voraussichtlich nach § 5 Abs. 3 Satz 2 dieses Gesetzes in Verbindung mit § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder § 37 Abs. 1 Satz 1 des Bundesbeamtengesetzes entlassen werden wird.

(3) Die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde kann gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens anordnen, dass dem Ruhestandsbeamten bis zu 30 Prozent des Ruhegehalts einbehalten werden, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Aberkennung des Ruhegehalts erkannt werden wird.

(4) Die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde kann die vorläufige Dienstenthebung, die Einbehaltung von Dienst- oder Anwärterbezügen sowie die Einbehaltung von Ruhegehalt jederzeit ganz oder teilweise aufheben.

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 6. März 2009 - 7 L 23/09 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.

Gründe

Die gemäß § 67 Abs. 1 und Abs. 3 SDG i.V.m. § 146, 147 VwGO statthafte Beschwerde, die fristgerecht erhoben und begründet wurde (§ 67 Abs. 3 SDG i.V.m. § 147 Abs. 1, 146 Abs. 4 VwGO) bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht den gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 SDG zulässigen Antrag auf Aussetzung der mit Bescheid des Antragsgegners vom 17.12.2008 angeordneten vorläufigen Dienstenthebung der Antragstellerin mangels ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides (§ 63 Abs. 2 SDG) zurückgewiesen.

Dem Verwaltungsgericht ist darin zuzustimmen, dass im konkreten Disziplinarverfahren und nach dem derzeitigen, im vorliegenden Verfahren zugrunde zu legenden Sach- und Streitstand eine überwiegende Wahrscheinlichkeit die Prognose rechtfertigt, dass gegenüber der Antragstellerin die Verhängung der Höchstmaßnahme zu erwarten ist.

Die im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Einwendungen führen nicht zu einer abweichenden Einschätzung. Bei dem aktuell erkennbaren Sach- und Streitstand

zur Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der gerichtlichen Entscheidung vgl. BayVGH, Beschluss vom 13.11.2008 - 16b DS 08.704 - zitiert nach Juris

ist davon auszugehen, dass der hinreichende Verdacht besteht, dass die Antragstellerin ein - innerdienstliches - Dienstvergehen begangen hat, das mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Verhängung der Höchstmaßnahme erfordern wird (§ 38 Abs. 1 SDG). Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung (§ 63 Abs. 2 SDG) bestehen nach wie vor nicht.

Zunächst ist dem Verwaltungsgericht darin zuzustimmen, dass nach Aktenlage derzeit alles dafür spricht, dass die Antragstellerin ein schweres Dienstvergehen begangen hat, indem sie ab März 2008 zu einem Strafgefangenen eine persönliche Beziehung unterhielt und indem sie die insoweit bestehenden Melde- und Offenbarungspflichten gegenüber der Anstaltsleitung nicht erfüllte.

Die Antragstellerin bestreitet das Vorliegen einer persönlichen Beziehung nicht, hält der Argumentation des Verwaltungsgerichts aber entgegen, es stelle schon einen Fehler dar, bei dieser Beurteilung die objektiv in der Vergangenheit vorhanden gewesene Beziehung zu dem Strafgefangenen in zwei Abschnitte zu unterteilen, ohne Aussagen zu den vorgetragenen subjektiven Tatbestandsmerkmalen zu machen.

Der Einwand ist nicht gerechtfertigt. Weder ist die vorgenommene Strukturierung des Sachverhalts zu beanstanden, noch liegt eine nicht ausreichende Berücksichtigung der vorgetragenen subjektiven Umstände vor.

Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene zeitliche Abschnittsbildung knüpft im Gegenteil gerade an die von der Antragstellerin geltend gemachten subjektiven Umstände an. Entsprechend den von der Antragstellerin vorgetragenen unterschiedlichen subjektiven Merkmalen der unstreitig von Februar/März 2008 bis Ende Oktober 2008 existent gewesenen Beziehung zwischen ihr und dem Strafgefangenen unterscheidet das Verwaltungsgericht einen ersten Abschnitt der Beziehung von Februar/März 2008 bis etwa Juni/Juli 2008, bei dem es sich um ein einvernehmliches (freiwilliges) Verhältnis mit Merkmalen von Verliebtheit gehandelt habe, und einen zweiten Abschnitt von etwa Juni/Juli 2008 bis Ende Oktober 2008, bei dem es sich um ein unfreiwilliges Verhältnis gehandelt habe, welches die Antragstellerin nur fortgeführt habe, weil sie von dem Strafgefangenen unter Druck gesetzt worden sei.

Zugunsten der Antragstellerin wird damit - ebenso wie in dem Bescheid des Antragsgegners vom 17.12.2008 - bei einem hinsichtlich der subjektiven Merkmale der Beziehung im zweiten Abschnitt noch nicht abschließend geklärten Sachverhalt nur deren eigene Sachverhaltsdarstellung als entscheidungsrelevant zugrunde gelegt.

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auf dieser Sachverhaltsgrundlage - differenziert nach den Zeitabschnitten - sowohl einen vorsätzlichen Verstoß gegen die sogenannte Wohlverhaltenspflicht gemäß § 68 Satz 3 des Saarländischen Beamtengesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Dezember 1996 (Amtsbl. 1997 S. 301), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 19. November 2008 (Amtsbl. S. 1930) - gültig bis zum 31.3.2009 - (SBG a.F.), als auch vorsätzliche Verstöße gegen die Pflicht zur Zurückhaltung gegenüber einem Strafgefangenen und gegen die Meldepflicht gemäß § 69 Satz 2 SBG a.F. i.V.m. Nr.1, Nr. 2 Abs. 1 und Nr. 9 der Dienst- und Sicherheitsvorschriften für den Strafvollzug (DSVollz) angenommen und das Vorliegen von Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründen - auch hier differenziert nach den beiden Zeitabschnitten - verneint.

Insbesondere hinsichtlich der Berücksichtigung der von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren thematisierten subjektiven Umstände ist dem Verwaltungsgericht darin zuzustimmen, dass auch eine tatsächliche Verliebtheit in dem ersten, nach ihrer eigenen Darstellung von Freiwilligkeit und Zuwendung seitens der Antragstellerin geprägten ersten Abschnitt der Beziehung keine Rechtfertigung oder Entschuldigung der Verletzung der Dienstpflichten zur Wahrung der Distanz und zur Meldung und Offenbarung gegenüber der Anstaltsleitung zur Folge haben konnte. Gerade für den ersten Abschnitt der Beziehung in der Zeit von Februar/März 2008 bis Juni/Juli 2008 ist derzeit kein Grund ersichtlich, welcher es der Antragstellerin unmöglich gemacht oder unzumutbar erschwert haben könnte, die dienstpflichtgemäße Handlungsalternative der Wahrung des Distanzgebotes gegenüber dem Gefangenen zu wählen. Ebenso war es weder unmöglich noch unzumutbar, die dienstpflichtgemäße Handlungsalternative der Meldung und Offenbarung der Vorgänge gegenüber ihren Vorgesetzten zu wählen.

Zwar hat die Antragstellerin in der Beschwerdebegründung ausgeführt, sie habe „zu Beginn der Beziehung unter einem hohen psychischen Druck“ gestanden. Auch hat sie in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht eine psychologisch-psychotherapeutische Stellungnahme des behandelnden Psychotherapeuten vom 12.1.2009 vorgelegt. Es ist aber weder nach dem Vortrag der Antragstellerin noch nach der Aktenlage im Übrigen noch nach der psychologisch-psychotherapeutischen Stellungnahme vom 12.1.2009 auch nur ansatzweise nachvollziehbar, inwieweit die Antragstellerin bereits „zu Beginn der Beziehung“, d.h. im Februar/März 2008 unter einem hohen, erst recht unter einem ihre Wahl- und Willensfreiheit ausschließenden psychischen Druck gestanden haben könnte. Nach der eigenen Darstellung der Antragstellerin gestaltete sich vielmehr gerade der erste Abschnitt ihrer Beziehung zu dem Strafgefangenen über einen Zeitraum von immerhin drei bis vier Monaten positiv im Sinne von Zuwendung und Verliebtheit („mit dem Austausch von Zärtlichkeiten und Briefen“).

Die vorgelegte psychologisch-psychotherapeutische Stellungnahme vom 12.1.2009 hat aus der Sicht des Senats zunächst für die Beurteilung des psychischen Zustandes der Antragstellerin „zu Beginn der Beziehung“ keinen hinreichenden Erkenntniswert. Zum einen lassen die inhaltlichen Ausführungen zu dem psychischen Zustand der Antragstellerin eine zeitliche Zuordnung desselben nicht zu. Und zum anderen bestehen durchgreifende Zweifel daran, dass der Stellungnahme eine annähernd realistische Sachverhaltsschilderung im Therapiekontext zugrunde lag.

Im Rahmen seiner Ausführungen thematisiert der Psychologe zunächst die Vorbehandlung der Antragstellerin, die wegen außerdienstlicher Ereignisse im Jahre 2005 zu einem nicht genannten Zeitpunkt aufgenommen wurde. Hierzu sind - ebenfalls ohne zeitlichen Bezug - verschiedene Diagnosen genannt. Von einer Psychotherapie wird berichtet, die aber „im Frühjahr 2008“ unterbrochen wurde. Zur Einschätzung der hier relevanten Geschehnisse ist ohne Hinweis darauf, wann die Behandlung wieder aufgenommen wurde, und damit, aus welcher zeitlichen Perspektive der hier relevante Zeitraum vom Februar/März bis Oktober 2008 therapeutisch bearbeitet wurde, ausgeführt, im „letzten Frühjahr“ sei die Antragstellerin „von einem Gefangenen missbräuchlich in eine nähere Beziehung manipuliert worden“. Wegen der vorhandenen psychischen Defizite sei die Antragstellerin „den Manipulationen und Erpressungen, die das Ziel der psychischen und dann auch körperlichen Vergewaltigung gehabt hätten, hilflos ausgeliefert gewesen“. Es sei „von Anfang an zu Retraumatisierungen“ gekommen, weshalb die Antragstellerin für ihr Verhalten nicht verantwortlich zu machen sei.

Diese Darstellung lässt jede Differenzierung nach den von der Antragstellerin selbst gegenüber der Anstaltsleiterin Ende Oktober 2008 dargestellten unterschiedlichen Zeitabschnitten der Beziehung zu dem Strafgefangenen vermissen und legt die Einschätzung nahe, dass - im therapeutischen Kontext verständlich und nachvollziehbar - Grundlage der Stellungnahme eine aus der Ex-post-Perspektive der Antragstellerin Ende 2008/Anfang 2009 erfolgte Sachverhaltsdarstellung war, in der nur noch die Umstände gegen Ende des zweiten Abschnitts der Beziehung, als diese - nach den Angaben der Antragstellerin - durch Druck und Zwang geprägt war, thematisiert wurden.

Danach spricht weiterhin gerade die Betrachtung des ersten Abschnitts der Beziehung dafür, dass die Antragstellerin ohne Einschränkung ihrer Wahl- und Willensfreiheit eine bewusste Entscheidung gegen die Erfüllung der oben genannten Dienstpflichten durch Eingehung, Aufrechterhaltung und Verheimlichung der Beziehung zu dem Strafgefangenen getroffen hat.

Im zweiten Abschnitt der Beziehung der Antragstellerin zu dem Strafgefangenen dürfte sich - ausgehend von der Sachverhaltsdarstellung der Antragstellerin - der psychische Druck auf sie zwar kontinuierlich erhöht haben. Nachvollziehbar wurde es für sie immer schwieriger, das Distanzgebot in Ansehung des von dem Strafgefangenen aufgebauten Druckes einzuhalten und die ursprünglichen wie die laufenden Dienstpflichtverletzungen und deren Folgen ihren Vorgesetzten zu offenbaren. Gleichwohl bestehen - jedenfalls nach den nur eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten des vorliegenden Verfahrens - keine ernstlichen Zweifel daran, dass ein die Wahl- und Willensfreiheit ausschließender Zustand nicht gegeben war. Letztlich hat sich gezeigt, dass die Steuerungsfähigkeit der Antragstellerin selbst im Endstadium des Abschnitts 2 der Beziehung nach der (erzwungenen) Ausführung des Geschlechtsverkehrs noch so weit erhalten war, dass eine letzte Grenzziehung und schließlich auch die Offenbarung gegenüber der Anstaltsleitung möglich war.

Auch für diesen zweiten Zeitabschnitt führt die vorgelegte psychologisch-psychotherapeutische Stellungnahme vom 12.1.2009 derzeit nicht zu durchgreifenden Zweifeln an der Steuerungsfähigkeit der Antragstellerin.

Zwar hat es den Anschein, als ob die darin getroffenen Aussagen dem zweiten Abschnitt, insbesondere der Endphase des zweiten Abschnitts der Beziehung der Antragstellerin zu dem Strafgefangenen zugeordnet werden könnten. Die mangelnde Differenziertheit, die fragliche zeitliche Einordnung der Aussagen und Diagnosen, insbesondere aber die bereits dargelegte Ungewissheit im Hinblick auf den im therapeutischen Kontext geschilderten und demgemäß zugrunde gelegten Sachverhalt führen jedoch dazu, dass ernstliche Zweifel mit Blick auf das Vorliegen eines Schuldausschließungsgrundes aufgrund mangelnder Steuerungsfähigkeit der Antragstellerin allein damit nicht begründet werden.

Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der im vorliegenden Verfahren beigezogenen amtsärztlichen Stellungnahme vom 6.3.2009, welche aufgrund des Antrages der Antragstellerin nach § 53 SBG a.F. vom 20.11.2008 angefordert worden war.

Auf der Basis einer am 13.1.2009 durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. R. vorgenommenen Untersuchung wurde die am 3.12.2008 von der Leiterin der JVA angeforderte amtsärztliche Stellungnahme zur Frage der Dienstfähigkeit der Antragstellerin durch die Amtsärztin Dr. L. am 6.3.2009 erstellt. Die darin getroffenen Aussagen beziehen sich - antragsgemäß - allerdings nur auf die Frage der Dienstfähigkeit der Antragstellerin. Die Amtsärztin hat diese in einer größeren zeitlichen Perspektive („längerfristig“) bejaht, während zum „gegenwärtigen Zeitpunkt“ demgegenüber „aufgrund des unabgeschlossenen Disziplinarverfahrens und der dadurch bedingten erhöhten psychovegetativen Anspannung“ die Attestierung der Dienstunfähigkeit gerechtfertigt sei. Aussagen über die Schuld- und Steuerungsfähigkeit der Antragstellerin im Zeitraum der Begehung der streitgegenständlichen Dienstpflichtverletzungen sind in der Stellungnahme vom 6.3.2009 nicht enthalten und lassen sich daraus auch nicht ableiten.

Ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass weder der Antragsgegner vor Erlass seiner Entscheidung über die vorläufige Dienstenthebung der Antragstellerin vom 17.12.2008 noch das Verwaltungsgericht vor seiner Entscheidung im Verfahren nach § 63 SDG gehalten waren, die Vorlage der am 6.3.2009 erstellten amtsärztlichen Stellungnahme abzuwarten. Sowohl der Antragsgegner als auch das Verwaltungsgericht durften die gemäß § 38 Abs. 1 SDG zu treffende Prognose auf den bis dahin ermittelten Sach- und Streitstand stützen.

Des weiteren erweisen sich auch die Einwendungen der Antragstellerin gegen die Ausführungen des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 6.3.2009 zu der Frage, ob - bei Bestätigung des danach bestehenden Verdachts eines schweren Dienstvergehens - im Hauptsacheverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden würde, als nicht durchgreifend.

Die Antragstellerin hat insoweit geltend gemacht, die nach § 13 SDG erforderliche „Interessenabwägung“ halte einer Überprüfung nicht stand. Zum einen sei die Schwere des Dienstvergehens nicht nur nach objektiven, sondern auch nach subjektiven Kriterien zu beurteilen. Hier fehle es an einer Berücksichtigung des „mit Schriftsatz vom 20.1.2009 zur Kenntnis gebrachten ärztlichen Befundberichtes zur psychischen Lage der Antragstellerin“ (womit nur die psychologisch-psychotherapeutische Stellungnahme des behandelnden Psychotherapeuten vom 12.1.2009 gemeint sein kann). Zum anderen habe das Verwaltungsgericht bei der Bewertung des Persönlichkeitsbildes der Antragstellerin die entlastenden Momente der freiwilligen Selbstanzeige der Antragstellerin und der organisatorischen Verfehlungen auf Seiten „des Beschwerdegegners“ (gemeint ist die Leitung der JVA) nicht ordnungsgemäß berücksichtigt.

Dies trifft nicht zu.

Eine gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 SDG verfügte vorläufige Dienstenthebung setzt voraus, dass im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Dienst erkannt werden wird. Im konkreten Disziplinarverfahren muss eine überwiegende Wahrscheinlichkeit die Prognose rechtfertigen, dass auf die Höchstmaßnahme erkannt werden wird

vgl. BVerwG, Beschluss vom 24.10.2002 - 1 DB 10/02 - zitiert nach Juris; BayVGH, Beschluss vom 15.3.2007 - 16 DS 06.3292 - zitiert nach Juris und OVG des Saarlandes, Beschluss vom 6.9.2007 - 7 B 346/07 -.

Eine „Interessenabwägung“ findet insoweit nicht statt.

Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 SDG nach der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten und des Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. Maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme ist gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 SDG die Schwere des Dienstvergehens. Sie beurteilt sich zum einen nach der Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale) und zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen der Pflichtverstöße für den dienstlichen Betrieb und für Dritte

vgl. zum gleichlautenden § 13 BDG: BVerwG, Urteil vom 20.10.2005 - 2 C 12.04 -, BVerwGE 124 252ff., BVerwG, Urteil vom 3.5.2007 - 2 C 9/06 -, zitiert nach Juris.

Nach den genannten Kriterien und nach dem derzeitigen, im vorliegenden - als Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgestalteten - Verfahren nur möglichen Erkenntnisstand stellen die von der Antragstellerin begangenen Verstöße gegen die ihr als Strafvollzugsbeamtin obliegenden Dienstpflichten ein äußerst schweres Dienstvergehen dar, wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat.

Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten im Kontext des Strafvollzuges. Die Eingehung und Verheimlichung der Beziehung zu einem Strafgefangenen (Abschnitt 1 der Beziehung von Februar/März 2008 bis Juni/Juli 2008) sowie die Aufrechterhaltung und weitere Verheimlichung der Beziehung auf Druck des Strafgefangenen (Abschnitt 2 von Juni/Juli 2008 bis Ende Oktober 2008) stellen einen dauerhaft schweren Verstoß gegen die Kernpflichten von Bediensteten im Strafvollzug dar. Betroffen waren die Grundpflichten nach Nr. 1 DSVollz, das Distanzgebot nach Nr. 2 Abs.1 DSVollz und die Meldepflicht nach Nr. 9 DSVollz. Hierbei handelte es sich um den Kernbereich der ihr obliegenden Dienstpflichten

vgl. dazu allgemein BVerwG, Urteil vom 22.10.2005, a.a.O.,

die im Mittelpunkt ihres konkreten Amtes im Strafvollzug standen und die zur Gewährleistung von Funktionsfähigkeit und Sicherheit in dem hochsensiblen Bereich des Strafvollzuges unabdingbar sind.

Auch die weiteren objektiven Handlungsmerkmale von Dauer und Häufigkeit der Dienstpflichtverstöße und die Umstände der Tatbegehung bestärken die Annahme eines schweren Dienstvergehens. Die Pflichtverletzungen in Gestalt von Dauerverstößen erstreckten sich bei stetig zunehmender Intensität und Gefährdung der Sicherheit und der Aufgabenerfüllung des Strafvollzuges über einen Zeitraum von insgesamt sieben bis acht Monaten und erfolgten zudem unter gezielter Ausnutzung der besonderen Vollzugsumstände des betreffenden Strafgefangenen (Wohngruppenvollzug, Einsatz als Hausmaler, Mitglied der Redaktion PRO REO).

Entgegen dem Vortrag der Antragstellerin in der Beschwerdebegründung vermögen auch subjektive Handlungsmerkmale nach dem im vorliegenden Verfahren maßgeblichen Erkenntnisstand und vorbehaltlich im Zuge weiterer Ermittlungen möglicherweise noch zutage tretender Erkenntnisse die Schwere des Dienstvergehens nicht maßgeblich zu mindern.

Wie bereits ausgeführt, hat die Antragstellerin sich - zumindest in Abschnitt 1 der Beziehung - bewusst, wissentlich und willentlich gegen die dienstpflichtgemäße Handlungsalternative der Einhaltung des Distanzgebotes und der Meldepflichten entschieden, weil nur dies ihr die Eingehung und Aufrechterhaltung einer -- vermeintlichen - Liebesbeziehung zu dem Strafgefangenen ermöglichte. Die geltend gemachte Schuld- und Steuerungsunfähigkeit ist demgegenüber weder durch Hinweis auf die psychologisch-psychotherapeutische Stellungnahme vom 12.1.2009, noch auf die amtsärztliche Stellungnahme vom 6.3.2009 noch auf andere Weise nachvollziehbar dargelegt worden.

Für den Abschnitt 2 der Beziehung mag der Antragstellerin zwar zuzugestehen sein, dass es aufgrund des - nach ihrem Vortrag - von Seiten des Strafgefangenen aufgebauten Drucks für sie subjektiv zunehmend schwieriger wurde, die dienstpflichtgemäße Handlungsalternative zu wählen. Dies führt - nach den Erkenntnismöglichkeiten des vorliegenden, als Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes konzipierten Verfahrens - indes nicht zur Annahme einer aufgehobenen Steuerungs- und Schuldfähigkeit. Auch insoweit erweisen sich die Stellungnahmen vom 12.1.2009 und vom 6.3.2009 nicht als valide Basis für die Begründung ernst zu nehmender Zweifel.

Schließlich erlaubt auch der Blick auf die unmittelbaren Folgen der Dienstpflichtverstöße der Antragstellerin für den dienstlichen Bereich keine mildere Einschätzung bezüglich der Schwere des Dienstvergehens. Hier ist neben den konkret negativen Auswirkungen des Fehlverhaltens der Antragstellerin auf die Funktionsfähigkeit und Sicherheit in dem hochsensiblen Bereich des Strafvollzuges insbesondere auch auf die generell negativen Folgen des maßgeblichen Geschehens für den Einsatz weiblicher Vollzugsbediensteter im Strafvollzug mit männlichen Gefangenen hinzuweisen.

Von der Begehung eines schweren Dienstvergehens durch die Antragstellerin ist und war danach unter Berücksichtigung aller dafür maßgeblichen Kriterien auszugehen. Die Schwere des Dienstvergehens indiziert grundsätzlich die Angemessenheit der Höchstmaßnahme.

Die von der Schwere des Dienstvergehens ausgehende Indizwirkung für die Angemessenheit der Höchstmaßnahme entfällt allerdings, wenn zugunsten des Beamten gewichtige Entlastungsgründe zu berücksichtigen sind, die den Schluss rechtfertigen, der Beamte habe das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit noch nicht endgültig verloren

vgl. BVerwG, Urteil vom 20.10.2005, a.a.O., BVerwG, Urteil vom 10.1.2007 - 1 D 15.05 -, ZBR 2009, 160 f., BVerwG, Urteil vom 3.5.2007 a.a.O..

Solche Gründe stellen auch, aber nicht nur die sogenannten anerkannten Milderungsgründe dar. Diese tragen zum einen existenziellen wirtschaftlichen Notlagen sowie körperlichen oder psychischen Ausnahmesituationen Rechnung, in denen ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet und daher nicht mehr vorausgesetzt werden kann. Zum anderen erfassen sie ein tätiges Abrücken von der Tat, insbesondere durch freiwillige Wiedergutmachung eines Schadens oder die Offenbarung des Fehlverhaltens vor der Entdeckung der Tat

vgl. BVerwG, Urteil vom 3.5.2007, a.a.O..

Entlastungsgründe, die einem endgültigen Vertrauensverlust entgegen stehen, können sich aber auch aus anderen Umständen ergeben. Sie müssen in ihrer Gesamtheit geeignet sein, die Schwere des Pflichtenverstoßes erheblich herabzusetzen

BVerwG, Urteil vom 10.1.2007, a.a.O. und BVerwG, Urteil vom 3.5.2007, a.a.O..

Zu solchen möglichen, im Gesamtkontext zu würdigenden Umständen gehört auch eine unzureichende Dienstaufsicht zur Tatzeit

BVerwG, Urteil vom 10.1.2007, a.a.O..

Vorliegend ist zunächst von einer Offenbarung des dienstlichen Fehlverhaltens durch die Antragstellerin vor der Entdeckung ihrer Tat auszugehen. Bis zu ihrer Offenbarung gegenüber ihren Kollegen am 29.10.2008 und der unmittelbar nachfolgenden Offenbarung der Antragstellerin gegenüber der Anstaltsleiterin am 29. und 30.10.2008 waren die Dienstpflichtverstöße der Antragstellerin verborgen geblieben. Bekannt wurden sie erst durch die Offenbarung der Antragstellerin.

Die entlastende Wirkung dieser Selbstoffenbarung ist allerdings eingeschränkt durch den Zeitpunkt und die Begleitumstände derselben. Denn unmittelbar vor der Offenbarung war für die Antragstellerin klar geworden, dass sie nicht mehr damit rechnen konnte, dass die Vorgänge der zurückliegenden 7 bis 8 Monate unentdeckt bleiben könnten. Der Strafgefangene hatte sich - nach der Darstellung der Antragstellerin - von einer entsprechenden Zusage trotz des als „Gegenleistung“ hierfür gewährten Geschlechtsverkehrs distanziert und die Antragstellerin am 29.10.2008 gezielt weiter unter Druck gesetzt. Ihre Selbstoffenbarung rechtfertigt deshalb im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht die Annahme, die Antragstellerin habe das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit noch nicht endgültig verloren.

Eine Entlastung zugunsten der Antragstellerin folgt auch nicht aus den im Rahmen der Beschwerdebegründung geltend gemachten „organisatorischen Verfehlungen auf Seiten des Beschwerdegegners“.

Zwar kann eine Vernachlässigung der Aufsichtspflicht durch Vorgesetzte unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Fürsorgepflicht oder des „Mitverschuldens“ als Mitursache einer dienstlichen Verfehlung bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme mildernd berücksichtigt werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für besondere Umstände vorliegen, die ausreichende Kontrollmaßnahmen unerlässlich gemacht hätten, diese aber pflichtwidrig unterblieben sind

BVerwG, Urteil vom 10.1.2007, a.a.O..

Eine solche Situation war hier - nach den Erkenntnismöglichkeiten des vorliegenden Verfahrens - indes nicht gegeben. Hierzu ist im Rahmen der Beschwerdebegründung vorgetragen, das Verhalten der Antragstellerin sei bereits zu einem sehr früheren Zeitpunkt auffällig gewesen und vom direkten Vorgesetzten bemerkt und thematisiert worden. Gleichwohl habe „die Leitung der JVA im wahrsten Sinne des Wortes weggeschaut und die Situation bis zum Eklat treiben lassen“.

In der Tat waren die häufigen Kontakte der Antragstellerin mit dem Strafgefangenen auch nach der Darstellung des Antragsgegners bereits im Sommer 2008 aufgefallen und von der zuständigen Vollzugsabteilung mit ihr erörtert worden. Diese Gelegenheit hat die Antragstellerin allerdings nicht im Sinne der dienstpflichtgemäßen Offenbarung genutzt, sondern im Gegenteil ihr dienstpflichtwidriges Verhalten und dessen Hintergründe nicht nur nicht offenbart, sondern aktiv verschleiert, indem sie nachvollziehbare behandlerische Gründe für ihre verstärkte Aufmerksamkeit gegenüber dem Strafgefangenen darlegte und es ihr so gelang, die Bedenken ihrer Dienstvorgesetzten gezielt zu zerstreuen.

Eine Vernachlässigung der Aufsichtspflicht seitens der Dienstvorgesetzten kann daraus nicht hergeleitet werden. Diese durften nach dem Ergebnis des Personalgesprächs mit der Antragstellerin davon ausgehen, dass es sich bei den häufigen Kontakten mit dem Strafgefangenen um ein rein berufliches Engagement im Einklang mit den zu beachtenden Dienstpflichten handelte. Seit ihrer Ausbildungszeit (2001 – 2003) hatte die Antragstellerin bis dahin unbeanstandet in der JVA Dienst getan und nach allgemeiner Einschätzung - auch seitens des in der JVA tätigen Dipl.-Psychologen - durch Engagement und Gespräche immer wieder positiv im Sinne des Strafvollzuges auf Gefangene einwirken können. Es konnte daher keine Rede davon sein, dass aus der Sicht der Anstaltsleitung konkrete Anhaltspunkte für besondere Umstände vorgelegen hätten, die weitere Kontroll- und Aufsichtsmaßnahmen unerlässlich gemacht hätten. Ohne solche Umstände darf der Dienstherr grundsätzlich auf die Erfüllung der Dienstpflichten vertrauen. Denn eine ständige und lückenlose Kontrolle eines jeden Mitarbeiters ist unmöglich

vgl. nur BVerwG, Urteil vom 10.1.2007, a.a.O..

Davon durfte hier auch der Antragsgegner ausgehen.

Gegen die Annahme der in der Beschwerdeschrift geltend gemachte Verletzung der Fürsorgepflicht sprechen auch weitere Anhaltspunkte. Gerade im Hinblick auf die Thematik möglicher Verstöße gegen das Distanzgebot zwischen weiblichen Bediensteten und männlichen Gefangenen ist davon auszugehen, dass eine erhöhte Sensibilisierung seitens der Dienstvorgesetzten vorlag und dies den Bediensteten auch deutlich gemacht wurde. Dies ergibt sich z. B. daraus, dass noch im Januar 2008, d.h. kurz vor Aufnahme der Beziehung der Antragstellerin zu dem Strafgefangenen, die jährliche Frauenversammlung innerhalb der JVA gezielt unter das Thema „Frauen im Männervollzug“ gestellt und auf die daraus sich ergebenden Gefahren, insbesondere bei der Missachtung des gebotenen Nähe/Distanzverhaltens für die Betroffenen und andere, unbeteiligte Bedienstete, hingewiesen wurde. An dieser Veranstaltung hat die Antragstellerin selbst teilgenommen.

Nach alledem rechtfertigt der bislang festgestellte Sachverhalt - auch unter Berücksichtigung des Vorbringens im Beschwerdeverfahren - die Prognose, dass im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung der Antragstellerin aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung (§ 63 Abs. 2 SDG) bestehen deshalb nicht.

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 6.3.2009 war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 77 Abs. 4 SDG, 154 Abs. 2 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

1

Der zulässige Antrag nach § 61 Abs. 2 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt (DG LSA) ist unbegründet.

2

Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt wird. Ferner kann die vorläufige Dienstenthebung ausgesprochen werden, wenn durch ein Verbleiben des Beamten im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Dienstenthebung nicht unverhältnismäßig ist (§ 38 Abs. 1Satz 2 DG LSA). Die Antragsgegnerin stützt sich erkennbar nicht auf letztgenannte Norm, sondern (nur) auf § 38 Abs. 1Satz 1 DG LSA, da ihrer Meinung nach im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird.

3

Bei der Anordnung der Suspendierung handelt es sich nicht um eine Disziplinarmaßnahme (OVG LSA, B. v. 07.05.2010, 10 M 2/10; juris). Ihre Berechtigung ergibt sich aus dem funktionalen Bedürfnis, noch vor der endgültigen Klärung des Vorliegens eines Dienstvergehens und der abschließenden Entscheidung über die angemessene Maßregelung des Beamten eine den Verwaltungsaufgaben und dem Dienstbetrieb dienende vorübergehende Sicherungsregel zu treffen.

4

1.) Die nach § 61 Abs. 2 DG LSA vom Disziplinargericht vorzunehmende Prüfung ergibt, dass die vorläufige Dienstenthebung nicht aufzuheben ist. Ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen nicht.

5

a.) Die auf § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA gestützte Verfügung über die vorläufige Dienstenthebung muss pflichtgemäßem Ermessen der Einleitungsbehörde entsprechen. Den Beamten auch nur vorläufig vom Dienst zu entheben, setzt voraus, dass ein Verbleiben des Beamten im Dienst schlechthin untragbar wäre. Dabei handelt es sich um die denkbar schwerste Sanktion für dienstliche Verfehlungen, welche nach der Rechtsprechung besondere Umstände voraussetzt. Für die konkrete Entscheidung im Einzelfall sind grundsätzlich das dienstliche Bedürfnis an der einstweiligen Fernhaltung des Beschuldigten vom Dienst und dessen Recht auf amtsentsprechende dienstliche Beschäftigung abzuwägen (vgl. dazu: Köhler/Ratz, BDO, 2. Aufl., § 91 Rz. 10: vgl. zum Ganzen: VG Magdeburg, Beschl. v. 10.02.2007, 8 B 22/06; Beschl. v. 03.03.2010, 8 B 21/09; zuletzt: Beschl. v. 12.06.2012, 8 B 5/12; OVG Lüneburg, Beschluss v. 25.03.2013, 19 ZD 4/13; alle juris).

6

Nach § 61 Abs. 2 DG LSA ist die vorläufige Dienstenthebung dann aufzuheben, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel sind schon dann anzunehmen, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts offen ist, ob die Anordnung nach § 38 Abs. 1 DG LSA rechtmäßig oder rechtswidrig ist (vgl. nur: Bay. VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DC 11.985; OVG Lüneburg Beschluss vom 13.5.2005, 3 ZD 1/05; alle juris). Neben der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung ist somit zu prüfen, ob die in der Anordnung liegende Prognose gerechtfertigt ist, der Beamte werde im Disziplinarverfahren voraussichtlich aus dem Dienst entfernt werden. Diese Prognose trägt nur dann, wenn nach dem Kenntnisstand eines Eilverfahrens die Möglichkeit des Ausspruchs der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme überwiegend wahrscheinlich ist. Ist es dagegen zumindest ebenso wahrscheinlich, dass eine Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis im Disziplinarverfahren nicht erfolgen wird, sind ernstliche Zweifel durch das Gericht zu bejahen (BVerwG, Besch. v. 16.07.2009, 2 AV 4.09; BayVGH, Beschl. v. 20.04.2011, 16b DS 10.1120;Sächs. OVG, B. 19.08.2010, D 6 B115/10 mit Verweis auf Beschluss vom 08.07.2010, D6A116/10; alle juris; Müller, Grundzüge des Beamtendisziplinarrechts, § 38 Abs. 1 BDG, 2010, Rz. 370 m. w. N.; GKÖD, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, § 38 BDG, Rz. 51). Anders gewendet, es müssen hinreichend gewichtige Gründe dafür sprechen, dass die Entfernung aus dem Dienst im Ergebnis des – noch durchzuführenden - Disziplinarverfahrens nicht in Betracht kommt. Dies beinhaltet eine vom Gericht vorzunehmende summarische Prüfung des zurzeit bekannten Sachverhaltes und eine daran orientierte Wahrscheinlichkeitsprognose. Hinsichtlich des zur Last gelegten Dienstvergehens genügt die Feststellung, dass der Beamte dieses Dienstvergehen mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit begangen hat; nicht erforderlich ist, dass das Dienstvergehen bereits in vollem Umfang nachgewiesen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.09.1997, 2 WDB 3.97; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.09.2009, 83 DB 1.09; OVG des Saarlandes, Beschl. v. 17.06.2009, 6 B 289/09; alle juris). Die Beurteilung im Verfahren nach § 61 DG LSA erfordert keine gesonderten Beweiserhebungen, sondern ist in der Lage, in der sich das Disziplinarverfahren jeweils befindet, anhand der bis dahin zu Tage getretenen Tatsachen zu treffen. Für eine vorläufige Dienstenthebung können u. U. selbst durch Aktenvermerke untermauerte Erkenntnisse ausreichen (vgl. Müller a. a. O.). Dabei ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (BVerwG, Beschl. v. 22.07.2002, 2 WDB 1.02; OVG Berlin-Brandenburg; Beschl. v. 18.08.2005, 80 SN 1.05; Bay VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DCV 11.985; alle juris). Jedoch muss für die gerichtliche Überprüfung der vorläufigen Dienstenthebung maßgeblich auf die von dem Dienstherrn in dem Bescheid herangezogenen Gründe der Pflichtenverletzung abgestellt werden. Ähnlich wie bei der Bestimmtheit des Tatvorwurfs als inhaltliche Anforderung an die - spätere – Disziplinarklageschrift, müssen die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, aus sich heraus verständlich und nachvollziehbar geschildert werden. Ort und Zeit der einzelnen Handlungen müssen möglichst genau angegeben, die Geschehensabläufe nachvollziehbar beschrieben werden (vgl. nur: BVerwG, Urteile v. 23.11.2006, 1 D 1.06, v. 25.01.2007, 2 A 3.05; Beschlüsse v. 13.03.2006, 1 D 3.06, v. 18.11.2008, 2 B 63.08 und v. 21.04.2010, 2 B 101.09; alle juris). Nur diese können durch das Disziplinargericht im Rahmen der Würdigung durch Akteninhalte und sonstige – evtl. auch später, im Laufe des Verfahrens nach § 61 DG LSA hinzutretende - Erkenntnisse untermauert werden, um so die Prognoseentscheidung, das heißt die Ausübung des ordnungsgemäßen Ermessens durch den Dienstherrn, zu überprüfen (VG Magdeburg, Beschl. v. 12.06.2012, 8 B 5/12, juris). Hingegen ist es dem Disziplinargericht verwehrt, anstelle der Disziplinarbehörde eine eigene Ermessenserwägung anzustellen (OVG Saarland, Beschluss v. 18.05.2011, 6 B 211/11; juris).

7

b.) Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 und 3 DG LSA nach derSchwere des Dienstvergehens und des unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten eingetretenen Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. § 13 Abs. 2 DG LSA bestimmt, dass ein Beamter, der durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen ist (Satz 1). Die Feststellung des verloren gegangenen Vertrauens ist verwaltungsgerichtlich voll inhaltlich nachprüfbar (Satz 2).

8

Demnach ist maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme die Schwere des Dienstvergehens. Sie beurteilt sich zum einen nach der Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale) und zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen der Pflichtenverstöße für den dienstlichen Betrieb und für Dritte (vgl. zum gleichlautenden § 13 BDG, BVerwG, Urt. v. 20.10.2005, 2 C 12.04; Urt. v. 03.05.2007, 2 C 9.06; B. v. 10.09.2010, 2 B 97/09; VGH Baden-Württemberg, U. v. 16.09.2010, DL 16 S 579/10; alle juris).

9

Erst bei Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Beamten lässt sich mit der gebotenen Sicherheit beurteilen, ob der Beamte aus disziplinarrechtlicher Sicht noch erziehbar erscheint oder ob hierfür eine bestimmte Disziplinarmaßnahme als notwendig, aber auch als ausreichend erscheint, oder ob der Beamte für die Allgemeinheit und den Dienstherrn untragbar geworden ist und deshalb seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist (vgl. nur: VG Magdeburg, U. v. 04.11.2009, 8 A 19/08 m. w. N.; juris).

10

Eine objektive und ausgewogene Zumessungsentscheidung setzt demnach voraus, dass die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme unter Berücksichtigung der belastenden und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten steht und gewisse Besonderheiten des Einzelfalls mildernd zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.12.2004, 2 BvR 52/02; BVerwG, U. v. 14.02.2007, 1 D 12.05 mit Verweis auf Urteil vom 20.10.2005, 2 C 12.04; OVG Lüneburg, U. v. 20.11.2009, 6 LD 1/09; VGH Bad.-Württ., U. v. 16.09.2010, DL 16 S 579/10; VG Saarland, U. v. 17.09.2010, 7 K 238/09; alle juris).

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2.) Unter diesen rechtlichen Prüfungsvoraussetzungen folgt die Disziplinarkammer nach dem derzeitigen, sich aus der Begründung der Suspendierung, dem Aktenmaterial und insbesondere dem Vorbringen der Antragsgegnerin in der Antragserwiderung vom 13.06.2013 zum Verfahren der Lebensgefährtin (8 B 9/13 MD), auf welches sich die Antragsgegnerin ausdrücklich bezogen hat, ergebenden Sach- und Rechtsstand der von der Antragsgegnerin angestellten Prognoseentscheidung, dass mit der überwiegenden Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der Antragsteller ein derart schweres Dienstvergehen begangen hat, welches aufgrund des damit einhergehenden Verlustes des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit zu seiner Entfernung aus dem Dienst führt. Auch das Disziplinargericht geht derzeit davon aus, dass der Zeitpunkt des tatsächlichen Dienstbeginns der Beamtin im Verfahren 9 B 9/13 MD (nachfolgend Beamtin) in einer Vielzahl von Fällen nach dem sich aus dem Zeiterfassungssystem der Dienststelle ergebenen Zeitpunkt lag. Damit hat auch der Antragsteller unter Manipulation des Zeiterfassungssystems das Ziel verfolgt, über die von der Beamtin erbrachte Dienstzeit zu täuschen.

12

Die Antragsgegnerin stützt die vorläufige Dienstenthebung maßgeblich darauf, dass der Antragsteller gegen die ihm obliegenden beamtenrechtlichen Pflichten nach § 34 Satz 3 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) und § 35 Satz 2 BeamtStG verstoßen habe. Denn er habe zugunsten der Beamtin der geltenden Arbeitszeitverordnung für die B. zuwider gehandelt. Dazu wird ausgeführt, dass die Überprüfung des Zeiterfassungssystems ZEUS ergeben habe, die Dokumentation der Dienstzeiten der Beamtin seit dem 01.01.2012 weise in 132 Fällen einen untypischen Verlauf auf. In 103 Fällen sei ihr Dienstbeginn auf vor 7:20 Uhr dokumentiert. Nach den Erfahrungen ihrer Vorgesetzten und weiterer Zeugen habe die Beamtin ihren Dienst jedoch regelmäßig etwa erst gegen 7:45 Uhr aufgenommen. Der bisherige Kenntnis- und Ermittlungsstand sowie die Rückschlüsse, die sich daraus ergaben und die durch die allgemeine Lebenserfahrung gerechtfertigt seien, genügten um festzustellen, dass das ihr zur Last gelegte Dienstvergehen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch sie begangen worden seien und der Antragsteller daran mitgewirkt habe. Dies erlaube es nicht, dem Antragssteller Vertrauen in ein künftig korrektes Verhalten entgegen zu bringen.

13

Diese Darstellung der Pflichtenverstöße und deren Begründung in der streitbefangenen Suspendierungsverfügung entsprechen zwar nicht den eingangs aufgeführten Kriterien für eine ordnungsgemäße Ermessenentscheidung bei der vorläufigen Dienstenthebung. Denn der disziplinarrechtlich relevante Sachverhalt ist dort nur vage dargestellt. Es genügt nämlich nicht, nur eine beträchtliche Anzahl von mutmaßlichen Verstößen pauschal zu beziffern, sondern dieselben müssen neben den Umständen ihrer Begehung konkret benannt werden. Dies bereits neben der Nachweispflicht auch deswegen, um dem Angeschuldigten die Verteidigung und gegebenenfalls Aufklärung des Sachverhaltes aber auch dem Gericht die Möglichkeit der Nachprüfung zu ermöglichen. So fehlt es z. B. daran, dass die Protokolle des Dienst PC ergeben hätten, dass sich die Beamtin in einer Vielzahl von Fällen nicht selbst im ZEUS-Webportal angemeldet haben könne. Dazu reicht es auch nicht, dem Disziplinargericht einen Verwaltungsvorgang mit einer unübersichtlichen Anzahl von nicht beschriebenen und erläuterten Dateiausdrucken zu übersenden, zumal diese als Nachweis des verdächtigten Dienstvergehens der Suspendierungsverfügung nicht beilagen. Es werden in der Verfügung lediglich Vermutungen dahingehend geknüpft, dass der Antragsteller, die Zeiterfassung vorgenommen habe. Mag sich dieser Verdacht bei einem Vergleich der Datensätze aufdrängen, muss dies als Begründung der vorläufigen Dienstenthebung doch weiter substantiiert und belegt werden. In der Begründung der Verfügung heißt es jedoch nur vage, dass „der bisherige Kenntnis- und Ermittlungsstand sowie die Rückschlüsse, die sich daraus ergeben und die durch die allgemeine Lebenserfahrung gerechtfertig sind, genügen um festzustellen, dass das Ihnen zur Last gelegte Dienstvergehen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch Sie begangen wurde“.

14

Dieser offensichtliche Begründungsmangel ist jedoch durch die Antragserwiderung der Antragsgegnerin vom 13.06.2013 in dem Verfahren der Beamtin (8 B 9/13 MD) beseitigt worden. Der Antragsgegner bezieht sich auch in dem Verfahren des Antragstellers ausdrücklich auf diese Ausführungen. Dabei ist das Nachschieben, das heißt das Unterfüttern des maßgeblichen Sachverhaltes und damit die Ergänzung der getroffenen Ermessensentscheidung noch in gerichtlichen (Eil-)Rechtsschutzverfahren möglich. Gemäß § 114 Satz 2 VwGO kann die Verwaltungsbehörde ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen. Dies gilt unter Berücksichtigung der disziplinarrechtlichen Besonderheiten, die hier aber nicht einschlägig sind, nach § 3 DG LSA auch im Disziplinarverfahren (vgl. OVG Saarland, Beschluss v. 18.05.2011, 6 B 211/11; juris). Hingegen ist die erstmalige Ausübung des Ermessens im gerichtlichen Verfahren rechtlich unzulässig, was insbesondere beim Austausch von Begründungen (vgl. BVerwG, Urteil v. 13.12.2011, 1 C 14.10; juris) oder abgeschlossenen Sachverhalten (z. B. stichtagbezogene dienstliche Beurteilungen oder Stellenauswahlentscheidungen; OVG LSA, Beschluss v. 26.08.2008, 1 M 52/09; juris) gilt.

15

Von letzterem kann keine Rede sein. Dokumentiert und damit den pauschalen Vorwurf der Suspendierungsverfügung unterfütternd, (geht die Antragsgegnerin) nun anknüpfend an einen konkreten Vorgang am 27.02.2013, wo die Beamtin trotz Zeiterfassung um 6:54 Uhr nicht anwesend gewesen sei, auf Basis verschiedener belastbarer Anhaltspunkte (Zeugenaussagen, Login-Protokolle und ZEUS-Protokolle) davon aus, dass die Beamtin im Zusammenwirken mit dem Antragsteller, die Arbeitszeiterfassungsdaten der Beamtin manipuliert habe.

16

In der Anlage 1 der Antragserwiderung im Verfahren 9 B 9/13 MD führt die Antragsgegnerin Dienstantrittszeiten der Beamtin über das ZEUS-Webportal zwischen 6:54 Uhr bis spätestens 07:20 Uhr an. Dabei sei auffällig, dass der Antragsteller sich zeitnah angemeldet habe. Wenn der Antragsteller sich über das stationäre Terminal angemeldet habe erfolge die Anmeldung der Beamtin über das ZEUS-Webportal überwiegend zwischen zwei und fünf Minuten später, was dem Weg vom Terminal zum Büro des Antragstellers und dem ggf. erforderlichen Hochfahren des Computers entspräche. Dieses Bild werde durch einen Vergleich zu den Login-Daten des Rechners der Beamtin ebenso deutlich. Nach den Login-Protokollen für den PC der Beamtin vom 18.01.2013 bis 27.02.2013 ergebe sich eine Regelmäßigkeit der Anmeldung erst gegen 08:40 Uhr, also weit nach ihrer Anmeldung in der ZEUS-Webportal-Zeiterfassung. Dies lege den Schluss nahe, dass die Anmeldungen im ZEUS-Webportal nicht über ihren sondern einen anderen Rechner erfolgt seien. In Anlage 2 werden die Anmeldungen des Antragstellers am stationären Terminal 407 mit den zeitlich kurz danach erfolgten Anmeldungen der Beamtin im ZEUS-Webportal gegenüber gestellt.

17

Vorstehendes spricht für die Anmeldung der Beamtin durch den Antragsteller. Die dagegen von der Beamtin vorgetragenen Geschehensabläufe sind - zumindest zum augenblicklichen Zeitpunkt - weniger nachvollziehbar. Bei einer gemeinsamen Anreise mit dem PKW ist es nicht nachvollziehbar, dass sich nur der Antragsteller am Parkplatz-Terminal nach dem Aussteigen anmeldet, alleine sein Büro aufsucht und andererseits die Beamtin wohl den Wagen parkt, ebenso alleine den Weg in das Büro des Antragstellers geht, um sich an dessen Rechner im ZEUS-Webportal anzumelden. Mag die von der Beamtin im Schriftsatz vom 27.06.2013 dargestellte Arbeitsweise zur Auswertung der Presseberichte auch ein Hochfahren des eigenen Rechners zu einem späteren Zeitpunkt als dem Dienstbeginn begründen, gilt dies nicht für die Zeiterfassung. Die Anmeldung über einen fremden Rechner zur Zeiterfassung stellt unter den beschriebenen Umständen jedenfalls einen ungewöhnlichen Weg dar, der die Manipulation der Zeiterfassung durch eine andere Person nahe legt. Die Antragsgegnerin führt dazu auch schlüssig und nachvollziehbar aus, dass es durchaus Sinn macht, den nicht anwesenden Partner erst später über das Web-Portal anzumelden und nicht gleich am Terminal. Denn dazu benötigt er zum einen den Chip der Beamtin und zum anderen könnte das erklingende akustische Signal andere Personen aufmerksam machen. Dem kann die Beamtin bzw. der Antragsteller nicht erfolgreich alleine damit begegnen, dass die Verwendung des Chips einfacher sei und dieser – was das Gericht derzeit nicht weiß - wohl nicht zum Betreten des Gebäudes benötigt werde.

18

Diese nunmehrigen Ausführungen sind in sich schlüssig und nachvollziehbar und werden von dem Antragsteller nicht substantiiert in Abrede gestellt bzw. logisch erklärt. Die Erwiderung der Beamtin bzw. des Antragstellers lassen konkrete Tatsachen, die in den benannten Fällen für den tatsächlichen Dienstbeginn zu den sich aus dem Zeiterfassungssystem ergebenen Zeitpunkten sprechen, vermissen. Dies wäre ohne Zweifel bei den von der Antragsgegnerin aufgeführten Indizien (Kinderbetreuung, Diensttage des Lebensgefährten etc.) möglich. Dagegen erschöpfen sich die Einwendungen der Beamtin in einem einfachen Bestreiten oder einer anderen Interpretation von Tatsachen.

19

Auch die in der Antragserwiderung vorgenommene Würdigung der wiedergegebenen Zeugenaussagen trägt den disziplinarrechtlichen Vorhalt. Ohne hier eine abschließende und einer eventuellen Disziplinarklage oder Disziplinarverfügung vorbehaltenen Beweiswürdigung vorzunehmen, ist die Aussage des Kollegen B., der im selben Büro wie die Beamtin tätig ist, bedeutungsvoll. Er erklärte, dass die Beamtin „meistens gegen 07:45 Uhr zum Dienst“ erscheine. POM K. sagte aus, sie erscheine „zwischen 07:15 Uhr und 07:45 Uhr“. Dies deckt sich mit den weiteren benannten Aussagen, wenngleich hier im weiteren Disziplinarverfahren eine besondere Würdigung hinsichtlich des Aussageverhaltens vorgenommen werden muss. Denn insoweit ist z. B. bei den Aussagen des PHK M. und der KHM´in D. aufgrund der Brisanz der Angelegenheit ein gewisses „zurückrudern“ zu erkennen. So sagte der Vorgesetzte M. zunächst aus, dass die Beamtin „regelmäßig ihren Dienst etwa gegen 07.45 Uhr“ begonnen habe. Später heißt es, sie sei „mindestens zwei Mal in der Woche gegen 07.45 Uhr zum Dienst“ erschienen. Frau KHM´in D. könne nicht einschätzen, wann die Beamtin zum Dienst erscheine, obwohl sie im selben Büro ihren Dienst verrichtet. Jedenfalls belegen letztere Aussagen nicht die Login-Daten der Beamtin.

20

Zudem hat der PD P. unter dem 06.03.2013 (Bl. 1, Beiakte B) festgehalten, dass sich die Beamtin auf Vorhalt und nach Belehrung dahingehend geäußert habe, dass es „eine unbestimmt Zahl von Fällen gibt, bei denen unter Zuhilfenahme einer weiteren Person echte Fehlbuchungen vorgenommen wurden.“

21

Der vorgeworfene Pflichtenverstoß der Mitwirkung an bzw. Manipulation der Zeiterfassung stellt ein schweres innerdienstliches Dienstvergehen dar (vgl. nur: OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 04.06.2013, 11 B 10431/13; juris), wobei die jeweiligen Umstände des Einzelfalls für das Disziplinarmaß entscheidend sind (BVerwG, Beschluss v. 05.07.2010, 2 B 121/09; juris). Zum augenblicklichen Zeitpunkt ist aber entscheidend, dass unter Beachtung des langen Zeitraums der vorgehaltenen Fehlbuchungen, der hohen Anzahl und der systematischen Vorgehensweise unter Mitwirkung einer anderen Person, das dienstliche Fehlverhalten geeignet ist, das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit in ein künftig ordnungsgemäßes Dienstverhalten des Antragstellers endgültig zu zerstören. Dies rechtfertigt die augenblickliche Prognoseentscheidung des Dienstherrn, dass bei Bewahrheitung der Vorwürfe im laufenden Ermittlungsverfahren im Wege der Disziplinarklage voraussichtlich auf Entfernung aus dem Dienst erkannt wird.

22

3.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 72 Abs. 4, 73 Abs: 1 DG LSA, 154 Abs. 1 VwGO. Zwar erfolgte die notwendige Begründung und Substantiierung der im Ermessen stehenden Suspendierungsverfügung erst mit der Antragserwiderung im laufenden gerichtlichen Verfahren. Gleichwohl sieht das Gericht keinen Anwendungsfall des § 155 Abs. 4 VwGO, wonach die Kosten des Verfahrens aus Verschuldensgründen der Antragsgegnerin aufzuerlegen wären. Denn insoweit ist noch im gerichtlichen Verfahren ein Nachschieben bzw. das Untermauern der in der Verfügung genannten Gründe möglich und die Antragsstellerin hätte mit einer Erledigungserklärung auf die nunmehr vorgenommene Substantiierung reagieren können.


Tenor

Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 8. März 2011 - 7 L 29/11 - wird die Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung des Antragstellers und Einbehaltung von 50 % seiner monatlichen Dienstbezüge durch den Bescheid vom 20.12.2010 ausgesetzt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.

Gründe

Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig. Sie ist gemäß § 67 Abs. 1 und Abs. 3 SDG i.V.m. §§ 146, 147 VwGO statthaft und gemäß § 67 Abs. 3 SDG i.V.m. §§ 147 Abs. 1, 146 Abs. 4 VwGO fristgerecht erhoben und begründet worden. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers vom 10.1.2011 als zulässigen Antrag nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SDG auf Aussetzung der mit Bescheid des Antragsgegners vom 20.12.2010 ausgesprochenen vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung von 50 % seiner monatlichen Dienstbezüge ausgelegt.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die durch Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 8.3.2011 - 7 L 29/11 - erfolgte Zurückweisung seines Aussetzungsantrages hat auch in der Sache Erfolg. Denn es bestehen im Sinne des § 63 Abs. 2 SDG ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 20.12.2010.

Nach § 38 Abs.1 SDG kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten oder eine Beamtin gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird. Nach Abs. 2 der genannten Vorschrift kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde gleichzeitig mit oder nach der vorläufigen Dienstenthebung anordnen, dass dem Beamten oder der Beamtin bis zu 50 % der monatlichen Dienst- oder Anwärterbezüge einbehalten werden, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird.

Nach § 63 Abs. 2 SDG sind die vorläufige Dienstenthebung und die Einbehaltung von Bezügen auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Derartige Zweifel sind vorliegend gegeben.

Zwar sprechen nach Auffassung des Senats - ebenso wie im Ergebnis nach Auffassung des Verwaltungsgerichts – überwiegende Gründe dafür, dass nach dem derzeitigen, im vorliegenden Verfahren zugrunde zu legenden Sach- und Streitstand eine überwiegende Wahrscheinlichkeit die Prognose rechtfertigen dürfte, dass im Rahmen des mit Verfügung vom 26.4.2010 gegen den Antragsteller eingeleiteten Disziplinarverfahrens die Verhängung der Höchstmaßnahme zu erwarten ist. Dabei dürften die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 und Abs. 2 SDG für die vorläufige Dienstenthebung des Antragstellers und die zugleich angeordnete Einbehaltung der monatlichen Dienstbezüge aller Voraussicht nach gegeben sein. Jedoch bestehen mit Blick auf die ordnungsgemäße Ausübung des dem Antragsgegner nach § 38 Abs. 1 SDG eingeräumten Ermessens ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 20.12.2010.

Aus dem Gesamtergebnis des wegen des Besitzes kinderpornografischer Schriften gegen den Antragsteller geführten Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Saarbrücken (24 Js 899/07) und des vor dem Amtsgericht Saarbrücken geführten Strafverfahrens (119 Ds 89/09) ergibt sich aller Voraussicht nach der hinreichende Verdacht, dass der Antragsteller ein außerdienstliches Dienstvergehen begangen hat, das im Rahmen des am 26.4.2010 gegen ihn eingeleiteten Disziplinarverfahrens mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Verhängung der Höchstmaßnahme erfordern wird. Zwar haben sowohl das Verwaltungsgericht als auch der Antragsteller zu Recht Zweifel daran geltend gemacht, ob sich dieser hinreichende Verdacht allein aus den tatsächlichen Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils des Amtsgerichts Saarbrücken vom 10.2.2010 (119 Ds 89/09) ableiten lässt, an die die Disziplinarbehörde gemäß § 23 Abs. 1 SDG und die Disziplinargerichte gemäß § 57 SDG - in jeweils unterschiedlicher Intensität - gebunden sind. Diesbezügliche Bedenken ergeben sich insoweit zum einen hinsichtlich der Frage, ob die Anzahl der im Besitz des Antragstellers gewesenen Bilddateien kinderpornografischen Inhalts tatsächlich 781 betragen hat. In dem strafgerichtlichen Urteil vom 10.2.2010 heißt es hierzu lediglich:

„Dem Angeklagten wird in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Saarbrücken vom 28.1.2009 vorgeworfen, am 24.10.2007 in seiner Wohnung, A-Straße, A-Stadt, auf seinem Personalcomputer Fujitsu zu Siemens Scaleo 600 781 Bilddateien mit Darstellungen aufbewahrt zu haben, auf denen u.a. Mädchen zu sehen sind, die offensichtlich jünger als 14 Jahre alt sind und mit denen Erwachsene Vaginalverkehr ausüben, die Erwachsene oral stimulieren oder die von Erwachsenen an ihren Geschlechtsteilen berührt werden. Der Angeklagte hat den Vorwurf in der Hauptverhandlung glaubhaft eingestanden. Er hat sich damit des Besitzes kinderpornografischer Schriften gemäß § 184 b Abs. 1, Abs. 4 Satz 2 StGB schuldig gemacht.“

Diese Formulierung lässt zwar den Schluss zu, dass Gegenstand des strafrechtlichen Vorwurfs der Besitz von insgesamt 781 Bilddateien war, die zumindest teilweise als kinderpornografisch einzustufen waren. Dem Urteil lässt sich aber keine ausreichende Tatsachenfeststellung entnehmen, aus der sich ableiten lässt, dass alle diese Dateien von ihrem Inhalt her als kinderpornografisch im Sinne des § 184 b StGB einzustufen waren. Entsprechend eingeschränkt ist der Umfang seiner Bindungswirkung nach §§ 23, 57 SDG.

Gleichwohl wird nach Auffassung des Senats nach dem gesamten Inhalt des Straf- und Ermittlungsverfahrens davon ausgegangen werden können, dass der Antragsteller vorsätzlich im Besitz kinderpornografischer Bilddateien war und dass deren Anzahl aller Voraussicht nach deutlich über die – vom Verwaltungsgericht seiner Entscheidung als ausreichend zugrunde gelegte – Zahl von 10 Bilddateien hinausging, die in der Strafakte als „beispielhaft“ dokumentiert sind. Dies ergibt sich neben anderen, hier nicht im Einzelnen darzulegenden Anhaltspunkten schon daraus, dass die genannten 10 Bilddateien, die ihrerseits eindeutig kinderpornografischen Inhalt haben, nach Durchführung der polizeilichen Auswertung der auf dem Personalcomputer des Antragstellers vorhandenen Dateien beispielhaft ausgedruckt und der Ermittlungsakte beigefügt wurden, um den Inhalt der von Seiten der Polizei als kinderpornografisch eingestuften 781 Dateien zu dokumentieren. Hieraus lässt sich schließen, dass jeder der 10 - unterschiedlichen - Darstellungen jeweils eine Mehrzahl vergleichbarer Darstellungen im Rahmen der insgesamt 781 als kinderpornografisch eingestuften Dateien entspricht. Gleichwohl kann beim derzeitigen Erkenntnisstand und insbesondere auf der Grundlage der in dem Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken von 10.2.2010 getroffenen Tatsachenfeststellungen nicht ausgeschlossen werden, dass sich in der Gesamtzahl von 781 im Ermittlungsverfahren als kinderpornografisch bewerteten Darstellungen z.B. auch sogenannte Posing-Bilder befunden haben, welche nicht im strafrechtlichen Sinne des § 184 b StGB als kinderpornografisch einzuordnen sind. Insofern ist zu beachten, dass sich in den Ermittlungsakten auch mehr als 200 Dateien dieser Art (Posing-Bilder) befinden. Hierzu werden im Disziplinarverfahren noch weitere Ermittlungen anzustellen sein, die nach dem Vortrag des Antragsgegners bereits eingeleitet sind.

Zudem lässt sich allein den Feststellungen des Strafurteils nicht entnehmen, in welchem Zeitraum der Antragsteller derartige Bilddateien im Besitz hatte. In dem Urteil ist lediglich von dem 24.10.2009 als Tatzeitpunkt die Rede. Dies war der Tag der Beschlagnahme des Personalcomputers des Antragstellers. Gleichwohl dürfte nach dem Gesamtinhalt des Straf- und Ermittlungsverfahrens nicht davon ausgegangen werden können, dass der Antragsteller die kinderpornografischen Darstellungen nur an einem einzigen, dem im strafrechtlichen Urteil vom 10.2.2010 genannten Durchsuchungstag am 24.10.2009 in Besitz gehabt hat.

Dem Antragsgegner ist im Grundsatz des Weiteren darin zu folgen, dass – auch wenn eine Regeleinstufung insoweit auszuscheiden hat - der Orientierungsrahmen für die Bemessung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme nach § 13 SDG bei außerdienstlichem Besitz kinderpornografischer Schriften durch einen Lehrer unter der Geltung der erhöhten Strafandrohung des § 184 b Abs. 5 StGB i.d.F. des Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 27.12.2003 (BGBl. Teil I S. 3007) nach Maßgabe der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur disziplinarrechtlichen Ahndung des Besitzes kinderpornografischer Schriften

BVerwG, Urteil vom 19.8.2010 - 2 C 5/10 -, zitiert nach juris -

die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis ist.

Gleichwohl bestehen jedoch ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides des Antragsgegners vom 20.12.2010 mit Blick auf die ordnungsgemäße Ausübung des der Disziplinarbehörde in § 38 SDG eingeräumten Ermessens. Denn der Antragsgegner hat seiner Ermessensentscheidung nach § 38 SDG auf der Tatbestandsseite Tatsachen zugrunde gelegt, die sich zum Teil aus den von ihm zitierten Quellen so nicht entnehmen lassen und zum Teil aller Voraussicht nach einem Verwertungsverbot unterliegen.

Wie dargelegt, lässt sich dem strafrechtlichen Urteil vom 10.2.2010 nicht mit Bestimmtheit die Feststellung entnehmen, dass der Antragsteller 781 Bilddateien kinderpornografischen Inhalts in Besitz hatte. Gleichwohl sind die streitgegenständlichen Maßnahmen der vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung von Dienstbezügen im Bescheid des Beklagten vom 20.12.2010 maßgeblich auf den „Ihnen zur Last gelegte(n) Besitz von 781 Bilddateien mit kinderpornografischen Darstellungen, auf denen u.a. Mädchen zu sehen sind, die offensichtlich jünger als 14 Jahre alt sind und mit denen Erwachsene Vaginalverkehr ausüben, die Erwachsene oral stimulieren oder die von Erwachsenen an ihren Geschlechtsteilen berührt werden (zitiert aus dem Ihnen gegenüber ergangenen Strafurteil des Amtsgerichts Saarbrücken vom 10. Februar 2010“ gestützt.

Ferner heißt es in dem Bescheid:

„Milderungsgründe, die die Annahme einer Disziplinarmaßnahme unterhalb der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis wahrscheinlich machen würden, sind nicht zu erkennen. Bei Ihrem im Strafverfahren wie auch im Rahmen der behördlichen Anhörung vom 22.4.2010 eingestandenen Fehlverhalten handelt es sich nicht um ein einmaliges oder nur ganz kurzfristiges Verhalten und Versagen, sondern um Aktivitäten, die sich über einen längeren Zeitraum - Sie erwähnten als relevante Zeit die Jahre 2006 und 2007 - hingezogen haben und eine Vielzahl einzelner Schritte zur Verschaffung und Abspeicherung von 781 Bilddateien erforderten. In den Fällen, die Gegenstand dieses Disziplinarverfahrens sind, handelten Sie jeweils vorsätzlich. Dies steht aufgrund ihrer Einlassung in der Anhörung vom 22.4.2010 fest.“

Zum Beleg der von ihm seiner Ermessensentscheidung zugrunde gelegten Tatsachen hat der Antragsgegner damit maßgeblich nicht nur auf die – wie oben bereits dargelegt - unscharfen Formulierungen des Strafurteils zurückgegriffen, sondern auch auf Äußerungen des Antragstellers, die dieser in der - vor der mit Verfügung vom 26.4.2010 erfolgten förmlichen Einleitung des Disziplinarverfahrens durchgeführten - Anhörung vom 22.4.2010 getätigt hatte.

Dem über diese Anhörung gefertigten Protokoll kann indes weder entnommen werden, dass der Antragsteller gemäß § 20 Abs. 1 Satz 3 SDG darüber belehrt wurde, dass es ihm freistehe, sich mündlich oder schriftlich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen, noch dass er darüber belehrt wurde, dass es ihm freistehe, sich jederzeit eines oder einer Bevollmächtigten oder eines Beistandes zu bedienen. Ob es dem Antragsgegner gelingen wird, seinen Vortrag, der Antragsteller sei zu dem ersten Punkt tatsächlich belehrt worden, auch wenn dies im Protokoll nicht festgehalten wurde, zu beweisen, erscheint derzeit offen. Bezüglich der Belehrung zu dem zweiten Punkt hat der Antragsgegner selbst vorgetragen, es sei nicht erinnerlich, ob insoweit eine Belehrung des Antragstellers stattgefunden habe. Insoweit spricht derzeit alles dafür, dass der Inhalt der Anhörung vom 22.4.2010 einem Verwertungsverbot unterfällt.

Danach hat der Antragsgegner seiner Ermessensentscheidung über die vorläufige Dienstenthebung und Einbehaltung der Dienstbezüge einen Sachverhalt zugrunde gelegt, der nach derzeitigem Erkenntnisstand aller Voraussicht nach nicht hätte zugrunde gelegt werden dürfen, weil er zum Teil, bezogen auf die Anzahl der kinderpornografischen Darstellungen nicht ordnungsgemäß festgestellt worden war und zum Teil, bezogen auf den Zeitraum des Besitzes dieser kinderpornografischen Darstellungen, aller Voraussicht nach auf eine Erkenntnisquelle gestützt ist, die einem Verwertungsverbot unterliegt. Liegt aber einer Ermessensbetätigung ein unrichtiger oder nicht ordnungsgemäß festgestellter Sachverhalt zugrunde, so erweist sich grundsätzlich auch die darauf gestützte Ermessensausübung als fehlerhaft

vgl. nur Kopp/Schenke, VwGO, 16. Auflage, § 114 Rdnr. 12; Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 4. Auflage, § 114 Rdnr.13 m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 2.7.1992 – 5 C 51/90 -, zitiert nach juris.

Der vorliegende Ermessensfehler ist vorliegend auch nicht unter den Aspekten einer möglichen Ermessensreduzierung auf Null oder eines wirksamen Nachschiebens von Ermessenserwägungen unbeachtlich. Die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen dafür liegen hier nicht vor.

Es kann vor diesem Hintergrund auch dahinstehen, ob der Auffassung des Verwaltungsgerichts gefolgt werden kann, dass auch schon der zeitlich nicht näher eingegrenzte Besitz von (nur) 10 kinderpornografischen Bilddateien - auf der Tatbestandsseite des § 38 SDG - ausreichend für die Verhängung der Höchstmaßnahme im Disziplinarverfahren gegenüber dem Antragsteller sei. Ebenso kann offen bleiben, ob - wofür aus der Sicht des Senats einiges spricht - aus dem Gesamtergebnis des strafrechtlichen Ermittlungs- und Gerichtsverfahrens Feststellungen abgeleitet werden können, die die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller im Besitz eines Mehrfachen von 10 kinderpornografischen Bilddateien gewesen ist. Denn ungeachtet dessen ist es den Disziplinargerichten verwehrt, ausgehend von ihren eigenen Annahmen zu den auf der Tatbestandsseite relevanten Tatsachen die Ermessensentscheidung des Antragsgegners nach § 38 SDG durch ihre eigene Ermessensentscheidung zu ersetzen. Es ist vielmehr allein Sache des Antragsgegners, die von ihm getroffene Ermessensentscheidung nach § 38 SDG, gegen deren Rechtmäßigkeit wegen Ermessensfehlgebrauchs ernstliche Zweifel bestehen, durch eine erneute Ermessensentscheidung, die auf eine ordnungsgemäße Tatsachengrundlage gestützt ist, zu ersetzen

vgl. BVerwG, Beschluss vom 21.9.2000 - 1 DB 7/00 - sowie vom 16.11.1999 - 1 DB 8/99 -, jeweils zitiert nach juris.

Der Antrag des Antragstellers hatte daher Erfolg. Die begehrte Aussetzung nach § 63 SDG war daher auszusprechen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 77 Abs. 4 SDG, 154 Abs. 1 VwGO.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.

(1) Die Entscheidung über eine Disziplinarmaßnahme ergeht nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Disziplinarmaßnahme ist nach der Schwere des Dienstvergehens zu bemessen. Das Persönlichkeitsbild des Beamten ist angemessen zu berücksichtigen. Ferner soll berücksichtigt werden, in welchem Umfang der Beamte das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit beeinträchtigt hat.

(2) Ein Beamter, der durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, ist aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Dem Ruhestandsbeamten wird das Ruhegehalt aberkannt, wenn er als noch im Dienst befindlicher Beamter aus dem Beamtenverhältnis hätte entfernt werden müssen.

Gründe

1

Die Beschwerde des Beklagten hat mit der Maßgabe Erfolg, dass der Rechtsstreit gemäß § 133 Abs. 6 VwGO, § 69 BDG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen ist. Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegen vor, weil das Berufungsurteil auf der vom Beklagten geltend gemachten Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG beruht.

2

Der Beklagte, ein Bundesbahnobersekretär, wurde im Jahr 1999 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr und im Jahr 2001 wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit versuchtem Betrug jeweils zu einer Geldstrafe verurteilt. Im Jahr 2003 wurde gegen den Beklagten wegen Urkundenfälschung in Tatmehrheit mit 13 sachlich zusammenhängenden Fällen des Missbrauchs von Scheck- und Kreditkarten eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verhängt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die jeweils sachgleichen Disziplinarverfahren wurden eingestellt (§ 27 BDO und § 32 Abs. 1 Nr. 3 BDG). Im November 2006 wurde der Beklagte wegen versuchten Betrugs in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten verurteilt, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Auf die sachgleiche Disziplinarklage erkannte das Verwaltungsgericht wegen eines außerdienstlichen Dienstvergehens auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.

3

1. Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich nicht nur zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt, sondern auch zur Rechtslage zu äußern, und verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei kann es in besonderen Fällen auch geboten sein, die Verfahrensbeteiligten auf eine Rechtsauffassung hinzuweisen, die das Gericht der Entscheidung zugrunde legen will. Es kann im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags zur Rechtslage gleichkommen, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte. Allerdings ist zu beachten, dass das Gericht grundsätzlich weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet ist. Auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, müssen daher die Verfahrensbeteiligten grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und ihren Vortrag darauf einstellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <144 f.> und Urteil vom 14. Juli 1998 - 1 BvR 1640/97 - BVerfGE 98, 218 <263> jeweils m.w.N.).

4

Nach diesen Grundsätzen war das Berufungsgericht verpflichtet, vor seiner Entscheidung über die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts diesen darauf hinzuweisen, dass es aufgrund der gegen den Beklagten ausgesprochenen Freiheitsstrafe von 11 Monaten bei einem außerdienstlichen Dienstvergehen von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis quasi als Regelmaßnahme ausgehen würde, von der nur bei Vorliegen besonderer, gewichtiger Milderungsgründe abgewichen werden kann. Wie die Ausführungen auf Seite 13 des Berufungsurteils belegen, ist der Verwaltungsgerichtshof der Sache nach davon ausgegangen, dass die Verhängung einer Freiheitsstrafe im Strafverfahren, die nur wenig unterhalb der sich aus § 48 Satz 1 Nr. 1 BBG a.F. (§ 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG) ergebenden Grenze liegt, für das Disziplinarverfahren ohne Weiteres die Dienstentfernung nach sich zieht. Diese Rechtsansicht widerspricht der Rechtsprechung des Disziplinarsenats des Bundesverwaltungsgerichts zur Bedeutung einer im Strafverfahren verhängten Freiheitsstrafe für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme im sachgleichen Disziplinarverfahren. Der Disziplinarsenat hat in dem im Berufungsurteil genannten Urteil vom 8. März 2005 (BVerwG 1 D 15.04 - Buchholz 232 § 77 BBG Nr. 24 S. 16) festgestellt, dass wegen der Eigenständigkeit des Disziplinarrechts der strafrechtlichen Einstufung des Falles durch das Strafmaß im eigentlichen Sinne keine präjudizielle Bedeutung für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme zukommt. Demnach ist es ausgeschlossen, vom Ausspruch einer Freiheitsstrafe von weniger als einem Jahr zwingend auf die Dienstentfernung zu schließen, ohne weitere bemessungsrelevante Umstände i.S.d. § 13 Abs. 1 BDG in den Blick zu nehmen. Dies gilt zumal in Betrugsfällen, in denen stets eine Abwägung der fallbezogenen erschwerenden und entlastenden Umstände stattzufinden hat, wobei der Höhe des Schadens besondere Bedeutung zukommt (vgl. unten S. 5 f.).

5

Ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter muss auch unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht damit rechnen, dass ein Gericht ohne Hinweis in einer für den Ausgang des Verfahrens entscheidenden Frage von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht. Ausweislich der dem Senat vorliegenden Gerichtsakten bot der Ablauf des gerichtlichen Verfahrens aus Sicht des Beklagten bis zur Zustellung des Berufungsurteils auch keine Veranlassung, die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Bedeutung der im sachgleichen Strafverfahren verhängten Freiheitsstrafe für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme anzusprechen und vorsorglich einer Abweichung von diesen Grundsätzen entgegenzutreten. Der Beklagte ist davon überrascht worden, dass das Berufungsgericht die Dienstentfernung in Abweichung von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ausschließlich auf die verhängte Freiheitsstrafe gestützt hat.

6

Das Berufungsurteil beruht auch auf dem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des Vorbringens, das der Beklagte in der Beschwerdebegründung dargelegt hat, zu einer ihm günstigeren Entscheidung gelangt wäre (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Februar 1994 - 1 BvR 765, 766/89 - BVerfGE 89, 381 <392 f.>). Hätte das Berufungsgericht den Beklagten vor dem Urteil über seine Erwägungen zur Bedeutung einer Freiheitsstrafe für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme in Kenntnis gesetzt, so hätte der Beklagte seinerseits darauf verweisen können, dass diese mit den Grundsätzen des Bundesverwaltungsgerichts zum Verhältnis von Freiheitsstrafe und Bemessung einer Disziplinarmaßnahme gerade nicht in Einklang stehen. Dies hätte dazu führen können, dass das Berufungsgericht seinen Bemessungserwägungen eine mildere Disziplinarmaßnahme als die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis zugrunde gelegt hätte.

7

2. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

Nach der Grundsatzentscheidung des Disziplinarsenats vom 30. August 2000 - BVerwG 1 D 37.99 (BVerwGE 112, 19), die das Leitbild des Beamten als Vorbild für den Rest der Bevölkerung in allen Lebenslagen verabschiedet hat, hat der Senat im Urteil vom 25. März 2010 - BVerwG 2 C 83.08 (zur Veröffentlichung in BVerwGE bestimmt) zwar zur Auslegung gesetzlicher Begriffe wie "besondere Eignung zur Vertrauensbeeinträchtigung" auf das Strafrecht abgestellt. Er hat aber auch in dieser Entscheidung hervorgehoben, dass nur vorsätzlich begangene schwerwiegende Straftaten, die mit einer Freiheitsstrafe geahndet worden sind, auch ohne Bezug auf das konkrete Amt zu einer Ansehensschädigung führen. Wie schwerwiegend eine außerdienstliche Straftat ist, hängt unter anderen von den Umständen des konkreten Einzelfalles (hier versuchter Betrug) und vom Strafrahmen für die verwirklichten Delikte (hier: 5 Jahre im Höchstmaß) ab. Der Senat hat deshalb lediglich für den Ausnahmefall des außerdienstlichen sexuellen Missbrauch eines Kindes gemäß § 176 Abs. 1 StGB (Rn. 18 und LS, a.a.O.) entschieden, dass aufgrund der Schwere eines solchen Dienstvergehens gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG als Richtschnur für die Maßnahmebemessung die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bzw. die Aberkennung des Ruhegehalts zugrunde gelegt werden kann.

8

Bei einem außerdienstlich begangenen Betrug ist die Variationsbreite, in der gegen fremdes Vermögen gerichtete Verfehlungen denkbar sind, zu groß, als dass sie einheitlichen Regeln unterliegen und in ihren Auswirkungen auf Achtung und Vertrauen gleichermaßen eingestuft werden können. Stets sind die besonderen Umstände des Einzelfalls maßgebend. In Fällen des innerdienstlichen Betrugs zum Nachteil des Dienstherrn ist der Beamte in der Regel aus dem Dienst zu entfernen, wenn im Einzelfall Erschwerungsgründe vorliegen, denen keine Milderungsgründe von solchem Gewicht gegenüberstehen, dass eine Gesamtbetrachtung nicht den Schluss rechtfertigt, der Beamte habe das Vertrauen endgültig verloren. Je gravierender die Erschwerungsgründe in ihrer Gesamtheit zu Buche schlagen, desto gewichtiger müssen die Milderungsgründe sein, um davon ausgehen zu können, dass noch ein Rest an Vertrauen zum Beamten vorhanden ist. Erschwerungsgründe können sich z.B. aus Anzahl und Häufigkeit der Betrugshandlungen, der Höhe des Gesamtschadens, der missbräuchlichen Ausnutzung der dienstlichen Stellung oder dienstlich erworbener Kenntnisse sowie daraus ergeben, dass die Betrugshandlung im Zusammenhang mit weiteren Verfehlungen von erheblichem disziplinarischen Eigengewicht, z.B. mit Urkundenfälschungen stehen (Urteile vom 28. November 2000 - BVerwG 1 D 56.99 - Buchholz 232 § 54 Satz 2 BBG Nr. 23; vom 26. September 2001 - BVerwG 1 D 32.00 - Buchholz 232 § 77 BBG Nr. 18 und vom 22. Februar 2005 a.a.O.; Beschluss vom 14. Juni 2005 - BVerwG 2 B 108.04 - NVwZ 2005, 1199 <1200>). Aus der Senatsrechtsprechung lässt sich der Grundsatz ableiten, dass beim einem Gesamtschaden von über 5 000 € die Entfernung aus dem Dienst ohne Hinzutreten weiterer Erschwerungsgründe gerechtfertigt sein kann (Beschluss vom 24. Februar 2005 - BVerwG 1 D 1.05 - juris m.w.N.). Derartige Bemessungsgrundsätze gelten auch für außerdienstliche Betrugsfälle und Veruntreuungen (Urteil vom 24. November 1998 - BVerwG 1 D 36.97 - Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 16; Beschluss vom 3. Juli 2007 - BVerwG 2 B 18.07 - Buchholz 235.1 § 69 BDG Nr. 1 Rn. 12).

9

Für die Zumessungsentscheidung müssen weiter die in § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG genannten Bemessungskriterien ermittelt und mit dem ihnen zukommenden Gewicht eingestellt werden. Insoweit kann von Bedeutung sein, dass der Beklagte nach den tatsächlichen Feststellungen im Berufungsurteil in dem relativ kurzen Zeitraum von der Erhebung der Disziplinarklage vor dem Verwaltungsgericht (Ende Juli 2007) bis zum Berufungsurteil (27. Mai 2009) seinen Schuldenstand von 25 000 € immerhin um 10 000 € reduzieren konnte. Auch sind die Gründe einzubeziehen, die für die Einstellung der früheren Disziplinarverfahren maßgebend waren.

Tenor

Die Berufung der Beamtin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart - Disziplinarkammer - vom 04. Februar 2010 - ... - wird zurückgewiesen.

Die Beamtin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Gründe

 
I.
Die am ... geborene Beamtin trat nach dem Erwerb der mittleren Reife im ... und einem daran anschließenden einjährigen Berufskolleg am ... unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf als Steueranwärterin in die Finanzverwaltung des Landes Baden-Württemberg ein. Nachdem sie am ... die Wiederholung der Laufbahnprüfung für den mittleren Dienst mit der Note „ausreichend“ (7,41 Punkte) bestanden hatte, wurde sie am ... unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zur Steuerassistentin z.A. ernannt und beim Finanzamt ... in einem Veranlagungsbezirk eingesetzt. Zum ... wurde sie zum Finanzamt ... versetzt, bei dem sie ebenfalls in der Veranlagung eingesetzt wurde. Am ... wurde die Beamtin zur Steuerassistentin ernannt, am ... wurde sie in die Besoldungsgruppe A 6 (Steuersekretärin) übergeleitet. Am ... wurde die Beamtin an das Finanzamt ... zurückversetzt und weiterhin in einem Veranlagungsbezirk eingesetzt. Am ... wurde sie zur Steuerobersekretärin befördert. Am ... wurde ihr die Eigenschaft einer Beamtin auf Lebenszeit verliehen. Die letzte dienstliche Beurteilung der Beamtin zum Stichtag 01.01.2002 lautete auf das Gesamturteil 5,5 Punkte („entspricht den Leistungserwartungen“).
Die Beamtin ist verheiratet und hat ... Kinder. Sie verfügte im Februar 2004 über ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 1.749,19 EUR, ihr Ehemann als ... über etwa 1.960 EUR. Nach der Dienstenthebung beträgt das Nettoeinkommen der Beamtin ca. 822 EUR.
Mit seit dem 24.09.2005 rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts ... vom 05.09.2005 - ... - wurde gegen die Beamtin wegen zweier Vergehen der tateinheitlichen Einkommensteuerhinterziehung und Hinterziehung von Solidaritätszuschlag gemäß §§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 2, 150 AO, §§ 1 Abs. 1, 2, 25 EStG, § 56 EStDVO, §§ 1, 2 SolZG, § 52 StGB sowie ein Vergehen der tateinheitlichen Urkundenfälschung sowie Einkommensteuerhinterziehung und Hinterziehung von Solidaritätszuschlag im besonders schweren Fall gemäß §§ 267 StGB, 52 StGB, §§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 2, 150 AO, §§ 1 Abs. 1, 2, 25 EStG, § 56 EStDVO, §§ 1, 2 SolZG eine Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Beamtin wurde in dem Strafbefehl folgender Sachverhalt zur Last gelegt:
„Die Angeklagte war Sachbearbeiterin für die Veranlagung von Einkommensteuer für Steuerpflichtige mit den Anfangsbuchstaben „...“ beim Finanzamt .... Beim Finanzamt ... wurde u.a. die Mutter der Angeklagten, ..., veranlagt, die im selben Haus wie die Angeklagte selbst wohnt.
Fälle 1 und 2a
Unter bewusster Ausnutzung ihrer Funktion als Veranlagungsbeamtin gab die Angeklagte aufgrund jeweils neuen Tatentschlusses jeweils höhere als die in den Lohnsteuerkarten vom Arbeitgeber tatsächlich bescheinigten Steuerabzugsbeträge bei der Erfassung und Bearbeitung der Einkommensteuererklärungen 1998 und 1999 ihrer Mutter an. Wie von der Angeklagten vorhergesehen und beabsichtigt, ergaben sich aufgrund der Anrechnung der vermeintlich erhöhten Steuerabzugsbeträge zugunsten ... in 1998 ein ungerechtfertigt hoher Erstattungsbetrag und in 1999 ein Erstattungsbetrag statt einer Nachzahlung auf die Einkommensteuer und den Solidaritätszuschlag. Im einzelnen:
Fall
Datum
Manipulierter
Bescheid
Festgesetzte
ESt / Soli lt.
Bescheid DM
Steuerabzug
vom Lohn
ESt / Soli lt.
Bescheid DM
Steuerabzug
vom Lohn
ESt / Soli lt.
Prüfung DM 
Verkürzte
ESt / Soli DM
Verkürzte
ESt / Soli EUR
(gerundet)
1       
09.06.00
3872,00 /
40,00
5536,00 /
304,48
4051,00 /
49,51
1485,00 /
254,97
759 /
130      
2a   
24.01.01
5626,00 /
309,43
8268,00 /
454,74
4167,00 /
38,79
4101,00 /
415,95
2097 /
213      
Fall 2 b
Bzgl. des Veranlagungsjahres 1999 änderte die Angeklagte die in den Steuerakten befindliche Lohnsteuerkarte der ... wie folgt handschriftlich ab, um bei einer Überprüfung der Steuerakten den Eindruck zu erwecken, die höheren Steuerabzugsbeträge seien bereits vom Arbeitgeber eingetragen worden.
10 
1999
Ursprüngliche
Bescheinigung DM
Eintragung nach
Änderungen der
Angeklagten DM
Lohnsteuer
4166,00
8268,00
Kirchenlohnsteuer
333,24
661,44
Soli
38,79
474,74
11 
Fall 3
12 
Zu einem näher nicht mehr aufklärbaren Zeitpunkt ab 22.02.01 erfuhr die Angeklagte durch ein mitangehörtes Telefonat ihres Kollegen, dass die mittels der verfälschten Lohnsteuerkarte fingierten Steuererstattungsbeträge entdeckt waren. Aufgrund neuen Tatentschlusses und wiederum unter Missbrauch ihrer Position beim Finanzamt ... veranlasste sie daher am 06.06.01 die Erstellung eines neuen Bescheids vom 11.06.01, in dem die Steuerabzugsbeträge zwar korrigiert, nunmehr jedoch - positive - Einkünfte aus Vermietung in Höhe von 4046 DM fälschlicherweise als Verlust von 4046 DM ausgewiesen wurden. Dies führte zwar zur Wiedergutmachung der im Fall 2a eingetretenen Einkommensteuerverkürzung, zugleich jedoch zur erneuten Einkommensteuerhinterziehung und Hinterziehung von Solidaritätszuschlag zugunsten von ... wie folgt:
13 
Datum
Bescheid
ESt / Soli lt.
Bescheid DM
Festzusetzende
ESt / Soli lt.
Prüfung DM
Verkürzte
ESt / Soli DM
Verkürzter
Soli DM (EUR)
11.06.01
4068,00 /
79,20
6112,00 /
336,16
2044,00 /
256,92
1042 /
131      
14 
Bereits am 13.01.2004 wurde der Beamtin die Führung der Dienstgeschäfte vorläufig verboten. Mit Verfügung vom 11.03.2004, die der Beamtin am 12.03.2004 zugestellt wurde, leitete die Oberfinanzdirektion ... gegen die Beamtin das förmliche Disziplinarverfahren ein und bestellte eine Untersuchungsführerin und den Vertreter der Einleitungsbehörde. Mit Schreiben vom 01.04.2004 zeigte der frühere bevollmächtigte Rechtsanwalt der Beamtin deren Vertretung im Disziplinarverfahren an.
15 
Mit Verfügung der Oberfinanzdirektion ... vom 06.04.2004 wurde die Beamtin vorläufig des Dienstes enthoben. Zugleich wurde die Einbehaltung der Hälfte ihrer Besoldungsbezüge verfügt.
16 
Mit Verfügung vom 22.04.2004 wurde das förmliche Disziplinarverfahren im Hinblick auf das strafrechtliche Ermittlungsverfahren ausgesetzt. Nach Rechtskraft des Strafbefehls vom 05.09.2005 wurde es fortgeführt.
17 
Den Termin zur Vernehmung gemäß § 55 LDO am 06.03.2006 nahm die Beamtin in Anwesenheit ihres damaligen Bevollmächtigten wahr und führte hinsichtlich ihrer Person unter anderem aus, dass sie sich zur Zeit in psychologischer/psychiatrischer Behandlung befinde; ansonsten lägen keine Krankheiten vor. In der Sache wurde mit Zustimmung der Beamtin und des Vertreters der Einleitungsbehörde der Sachverhalt, so wie er im Strafbefehlsverfahren zu Grunde gelegt wurde, auch im Disziplinarverfahren zu Grunde gelegt. Zusätzlich wurde der Beamtin der weitere Vorwurf gemacht, sie habe Arbeitszeiten manipuliert. Die Beamtin gab bei der Vernehmung zur Sache unter anderem an: Sie habe seit 1999 massive Eheprobleme gehabt, da ihr Mann fremd gegangen sei. Es sei ein ständiges Auf und Ab gewesen, bis im Dezember 1999 nochmals ein Versuch gestartet worden sei, die Ehe zu retten. Sie habe damals privat wie auch im Amt keine Ansprechpartner gehabt. Sie habe sich über die Folgen der Taten keine Gedanken gemacht. Auch im Nachhinein könne sie sich die Tat nicht erklären. Es sei wie ein Grauschleier gewesen. Ihre Mutter habe sich nach dem Tod ihres Vaters Sorgen um die finanziellen Verhältnisse gemacht und diese ihr gegenüber geäußert. Aus Mitleid habe sie dann beim Erstellen der Erklärung die Steuerabzugsbeträge entsprechend geändert. Sie habe sich im Herbst 2004 Hilfe beim Hausarzt und im Dezember 2004 bei einer Psychologin geholt. Sie befinde sich seit Dezember 2004 wegen depressiver Verstimmungen in Behandlung und sei es immer noch. Zeitweilig habe sie auch Medikamente genommen. Die Beamtin übergab insoweit eine nervenärztliche Bescheinigung der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. ... - ohne Datum -, in der der Beamtin eine leichte bis mittelgradige depressive Episode bescheinigt wird. Die Beamtin habe sich seit Dezember 2004 in größeren Abständen wegen der Depression vorgestellt. Unter „Zusammenfassung“ heißt es in der Bescheinigung:
18 
„Frau ... stand in den Jahren 1999 und 2000 unter schwerer seelischer Belastung durch Ehekrise und unerfülltem Kinderwunsch und beschreibt eine depressive Grundstimmung, Angst, Selbstunsicherheit. Im Jahr 2000 kam der plötzliche Tod des Vaters, der der Familie Halt gegeben hatte, so dass die Sorge um ihre Mutter zunahm und sie die finanzielle Situation der Mutter falsch bewertete.
19 
Seit Dezember 2004 kann ich die mittelgradige depressive Störung bestätigen, die bei ihr mit depressiver Grundstimmung, eingeengter affektiver Schwingungsfähigkeit, Zukunftsängsten, Selbstwertproblematik und Rückzug aus sozialen Bezügen einhergeht.
20 
Zusammenfassend ist zu überlegen, ob im Rahmen der 1999 und 2000 [sich] bestehenden depressiven Reaktion bei den schweren situativen Belastungen eine in gewisser Beziehung geminderte Schuldfähigkeit bestand, wobei sie wohl das Unrecht der Tat einsah, aber nicht nach dieser Einsicht handeln konnte.“
21 
Mit Schreiben vom 17.10.2006 wies die Untersuchungsführerin die Beamtin darauf hin, dass sich aus den beigezogenen Akten ergebe, dass schon bei der erstmaligen Veranlagung der Einkommensteuererklärung 1998 der Eltern im September 1999 (und nicht erst im Rahmen der Abänderung des Einkommensteuerbescheids der Eltern für das Jahr 1998 mit Bescheid vom 09.06.2000) überhöhte Steuerabzugsbeträge berücksichtigt und dadurch Steuern verkürzt worden seien, so dass insoweit der Sachverhalt, wie er im Strafbefehl zu Grunde gelegt worden sei, nach den im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren aufgefundenen Unterlagen nicht zutreffend sein könne. Der Sachverhalt werde deshalb insoweit auch nicht dem förmlichen Disziplinarverfahren zu Grunde gelegt. Die Vorwürfe wurden daraufhin dahingehend abgeändert, dass der Beamtin nunmehr Steuerhinterziehung in vier rechtlich selbständigen Handlungen zu Gunsten Dritter und im Amt sowie Urkundenfälschung und -unterdrückung und ein Verwahrungsbruch im Amt vorgeworfen wurde.
22 
Mit Schreiben vom 02.03.2007 führte der Verteidiger der Beamtin aus, er habe auf Grund eines ausführlichen Gesprächs feststellen müssen, dass die Beamtin gesundheitlich nicht in der Lage sei, sich einer weiteren Beschuldigtenvernehmung zu stellen. Mit Schreiben vom 12.03.2007 gab der Verteidiger der Beamtin an, diese werde keine Angaben mehr machen, selbst wenn sie gesund wäre. In einer ärztlichen Bescheinigung der Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie ... vom 14.05.2007 wird ausgeführt, dass die Beamtin derzeit nicht in der Lage sei, eine mehrstündige Verhandlung durchzustehen.
23 
Mit Schreiben vom 22.11.2007 beantragte der Vertreter der Einleitungsbehörde die Bestellung eines Betreuers für die Beamtin wegen deren Verhandlungsunfähigkeit gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 1 LDO. Im Weiteren legte der Verteidiger der Beamtin eine nervenärztliche Bescheinigung von Frau Dr. ... vom 18.03.2005 vor, in der die Diagnose einer leichten bis mittelgradigen depressiven Episode nach schwerer situativer Belastung gestellt wird. Die depressive Reaktion stehe im Zusammenhang mit ihrer momentanen Situation, dem schwebenden Verfahren, wobei sich die Beamtin wegen ihrer damaligen Verfehlung schwere Selbstvorwürfe mache. Ihr sei ein mildes Antidepressivum rezeptiert worden. Ein Sachverständigengutachten des Gesundheitsamtes ..., Dr. ..., vom 04.10.2007 an das Amtsgericht ... zur Verhandlungsfähigkeit der Beamtin gelangte zu folgendem Ergebnis:
24 
„Aus physischer Sicht ist Frau ... fähig, einer Verhandlung von drei Stunden zu folgen. Sehr bedenklich allerdings ist ihre offensichtliche Unfähigkeit, sich zu konzentrieren und bei einer Vernehmung genaue und verlässliche Angaben in ihrem eigenen Interesse zu machen. Dies kann dazu führen, dass sie ohne eigenes Verschulden von ihren Angaben vom März 2006 abweichende Angaben machen wird. Die reaktive Depression verlangsamt und erschwert das Denken und die für eine Vernehmung und Verhandlung erforderliche Flexibilität der Kognition. Insgesamt resultiert das Bild einer kognitiven Insuffizienz wie bei Prüfungsangst. …
25 
Ob Frau ... bereits im Zeitpunkt der Vorvernehmung im März 2006 bzw. zum Zeitpunkt der Einleitung des Disziplinarverfahrens ebenfalls bereits verhandlungsunfähig gewesen ist, kann der Sachverständige wegen des zeitlichen Ablaufs bis zu der Untersuchung vom 27.09. nicht beurteilen. Die voraussichtliche Dauer der psychogenen kognitiven Insuffizienz dürfte sich auf die Verfahrensdauer erstrecken. …. Aus ärztlicher Sicht ist Frau ... vorübergehend, mindestens jedoch für die verbleibende Verfahrensdauer nicht verhandlungsfähig.“
26 
Mit Beschluss vom 18.12.2007 - 1 XVII 127/2007 - wies das Amtsgericht ... den Antrag auf Bestellung eines Betreuers für die Beamtin zur Wahrnehmung der Rechte im Disziplinarverfahren ab. Zur Begründung hieß es: Die von dem Sachverständigen diagnostizierten Umstände reichten nicht aus, um von vollständiger Verhandlungsunfähigkeit auszugehen. Aus der persönlichen Anhörung der Beamtin vor Gericht werde geschlossen, dass eine Verhandlung mit der Betroffenen zwar schwierig, jedoch unter Berücksichtigung ihrer Einschränkungen möglich sei. Des Weiteren sei die Bestellung eines Betreuers auch nicht erforderlich, da sie einen Anwalt mit ihrer Vertretung beauftragt habe.
27 
Mit Schreiben vom 06.03.2008 beantragte der Verteidiger der Beamtin, das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einzustellen. Es stehe fest, dass die Beamtin schon zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens erkrankt gewesen sei. Es hätte schon damals einer Betreuerbestellung gemäß § 20 Abs. 2 LDO bedurft.
28 
Am 09.04.2008 fand eine weitere Beschuldigtenvernehmung zu dem erweiterten Untersuchungsgegenstand statt, an der nicht die Beamtin, sondern nur deren Verteidiger teilnahm.
29 
Mit Schreiben vom 30.04.2008 teilte der Vertreter der Einleitungsbehörde mit, dass das Verfahren fortgesetzt werde. Zum Zeitpunkt der Zustellung der Einleitungsverfügung hätten keine Anhaltspunkte dafür vorgelegen, dass die Beamtin krank oder verhandlungsunfähig gewesen sei.
30 
In seiner abschließenden Stellungnahme vom 03.07.2008 machte der Verteidiger der Beamtin geltend: Gemäß § 19 LDO sei der Sachverhalt, wie er sich aus dem rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts... ergebe, auch dem Disziplinarverfahren zu Grunde zu legen. Eine Ausweitung der Ermittlungen sei weder geboten noch zulässig gewesen. Es liege zudem ein Verfahrenshindernis vor, da die Beamtin verhandlungsunfähig sei und diese Verhandlungsunfähigkeit bereits zu Beginn des Verfahrens bestanden habe.
31 
In einem zur Dienstfähigkeit der Beamtin eingeholten amtsärztlichen Zeugnis des Landratsamtes ..., Dr. ..., vom 21.07.2008 wird unter anderem ausgeführt:
32 
„Die Beamtin hat den Dienst bis heute nicht wieder aufnehmen können, weil die reaktive Depression sich nicht hat bessern können, da ein Abschluss des für die Beamtin belastenden Disziplinarverfahrens nicht eingetreten ist. … Die Beamtin wird dahingehend beurteilt, dass sie spätestens sechs Monate nach einem für sie positiv ausgehenden Abschluss des Disziplinarverfahrens mindestens hälftig wieder in den Dienst einsteigen kann mit einer Stufung bis zum vollen Dienstumfang um je ein Viertel in Abstand von jeweils zwei Monaten.“
33 
Am 03.11.2008 hat der Vertreter der Einleitungsbehörde der Disziplinarkammer beim Verwaltungsgericht Stuttgart die Anschuldigungsschrift vorgelegt, in der der Beamtin vorgeworfen wird:
34 
1. Hinterziehung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag im Amt zugunsten Dritter bei der erstmaligen Veranlagung der Einkommensteuererklärung ... 1998 (Einkommensteuerbescheid 1998 vom 20.09.1999, freigegeben am 15.09.1999)
35 
2. Hinterziehung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag im Amt zugunsten Dritter bei der Abänderung des Einkommensteuerbescheides ... 1998 (Einkommensteuerbescheid 1998 vom 09.06.2000, freigegeben am 06.06.2000)
36 
3. Hinterziehung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag im Amt zugunsten Dritter bei der erstmaligen Veranlagung der Einkommensteuererklärung ... 1999 (Einkommensteuerbescheid 1999 vom 24.01.2001, freigegeben am 19.01.2001)
37 
4. Urkundenfälschung durch Abänderung der Steuerabzugsbeträge auf der Lohnsteuerkarte 1999 von Frau ...
38 
5. Hinterziehung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag im Amt zugunsten Dritter bei der Abänderung des Einkommensteuerbescheids ... 1999 (Einkommensteuerbescheid 1999 vom 11.06.2001, freigegeben am 06.06.2001)
39 
6. Urkundenunterdrückung und Verwahrungsbruch im Amt durch Verbringen der Veranlagungsakten ... in die Altaktenregistratur und weitere Manipulationshandlungen
40 
7. Hinterziehung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag zugunsten Dritter beim Erstellen der Einkommensteuererklärung ... 2001
41 
8. Unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst und Manipulation von Arbeitszeiten in der Zeit von Anfang Februar 2003 bis Mitte Mai 2003
42 
9. Verstoß gegen das Gebot der Unparteilichkeit bei Amtshandlungen
43 
Durch diese Verstöße habe die Beamtin die Pflichten, ihr Amt uneigennützig und nach bestem Wissen und Gewissen zu verwalten und mit ihrem Verhalten der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die ihr Beruf erfordert, dem Dienst nicht ohne Genehmigung des Dienstvorgesetzten fernzubleiben sowie die Pflicht zur Unparteilichkeit verletzt. Die Beamtin habe ein schweres Dienstvergehen begangen, indem sie anderen vorsätzlich und fortgesetzt mit erheblicher krimineller Energie ungerechtfertigte Steuervorteile verschafft habe, obwohl sie öffentliche Aufgaben wahrzunehmen gehabt habe. Sie sei für den öffentlichen Dienst untragbar und ihr Verbleiben im Dienst dem Dienstherrn nicht mehr zumutbar.
44 
Der Verteidiger der Beamtin hat im Verfahren vor der Disziplinarkammer geltend gemacht: Es liege ein Verfahrenshindernis vor, das zur Einstellung des Disziplinarverfahrens führen müsse. Die Feststellungen der Ärztin Dr. ... würden den Verdacht nahe legen, dass die Beamtin bereits bei Einleitung des Verfahrens, vor allem auch schon bei der Vernehmung der Beamtin im März 2006 verhandlungsunfähig gewesen sei. Vorsorglich sei weiterhin davon auszugehen, dass gemäß § 19 LDO von dem Sachverhalt, wie er sich aus dem rechtskräftigen Strafbefehl ergebe, auszugehen sei. Eine Ausweitung der Ermittlungen sei weder geboten noch zulässig gewesen. Es lägen zudem Milderungsgründe vor: Die Beamtin habe sich zum Zeitpunkt der Tat in einer schweren Ehekrise befunden. Die unklare Situation habe sie in besonders starker Weise belastet. Sie habe deshalb in einem rational nicht nachvollziehbaren Akt versucht, von ihr geliebte Menschen an sich zu binden, ihnen zu helfen und die letztlich wirtschaftlich nicht sehr sinnvollen Manipulationen an den Steuererklärungen ihrer Mutter vorgenommen. Insoweit sei zumindest an eine verminderte Schuldfähigkeit zu denken. Durch die Ermittlungen und die Dauer des Verfahrens hätten sich die psychischen Belastungen der Beamtin trotz positiven Ausgangs der Ehekrise verschärft. Die reaktive Depression habe sich derart entwickelt, dass die Beamtin nicht mehr verhandlungsfähig sei. Zudem sei ihr Mann wegen psychischer Folgen einer Konfliktsituation am Arbeitsplatz arbeitsunfähig geschrieben. Die Beamtin sei geständig und sehe das Unrecht ihres Tuns vollständig ein.
45 
Die Beamtin hat in der Hauptverhandlung hilfsweise die Erhebung eines medizinisch-sachverständigen Gutachtens auf neurologisch-psychologischem Gebiet zu ihrer Verhandlungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens und zu der Frage ihrer erheblich verminderten Schuldfähigkeit zum Zeitpunkt der Tatbegehung beantragt.
46 
Mit Urteil vom 04.02.2010 hat die Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts Stuttgart die Beamtin aus dem Dienst entfernt. Zur Begründung hat sie ausgeführt: Die Verhandlungsunfähigkeit der Beamtin sei kein Verfahrenshindernis. Sie sei durch einen Verteidiger vertreten, so dass ihre Rechte ausreichend gewahrt werden könnten. Ein solches Verfahrenshindernis habe auch nicht in der Vergangenheit während des Untersuchungsverfahrens bestanden. Sie befinde sich erst seit September 2004, also nach Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens wegen einer reaktiven Depression in ärztlicher Behandlung. Sie sei am 06.03.2006 zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen vernommen worden, ohne dass dabei Schwierigkeiten aufgetreten wären. Auch auf Grund des Beschlusses des Amtsgerichts ... stehe fest, dass die Beamtin hinreichend verhandlungsfähig gewesen sei. In der Sache legte die Disziplinarkammer ihrer Entscheidung den der Beamtin in der Anschuldigungsschrift vorgeworfenen Sachverhalt zu Grunde. Danach habe die Beamtin schuldhaft ein einheitliches Dienstvergehen begangen und gegen ihre Verpflichtungen aus § 73 Satz 2 LBG, § 73 Satz 3 LBG, § 91 LBG sowie gegen §§ 77 Abs. 1 LBG, 82 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO verstoßen. Es bestünden keine Zweifel an der schuldhaften Begehung der fraglichen Verstöße. Die Beamtin sei zum Zeitpunkt der Tatbegehung weder krankgeschrieben gewesen noch habe sie sich in laufender medizinischer Behandlung befunden. Wegen einer Affäre des Ehemannes könne zwar ein psychischer Ausnahmezustand als wahr unterstellt werden, allerdings könne dieser mangels Behandlungsbedürftigkeit nicht von erheblicher Schwere gewesen sein. Die Eheprobleme seien nach der - unklaren - Aussage der Beamtin spätestens Ende 2000 vorüber gewesen, so dass diese Ausnahmesituation bei der Begehung der Taten hinsichtlich der Steuererklärungen 1999, der Steuererklärung ..., der Verdunklungshandlungen und der Arbeitszeitverstöße keine maßgebliche Rolle mehr habe spielen können. Die Beamtin habe mit ihrem Verhalten gegen die sie treffenden Beamtenpflichten im Kernbereich in besonderer Schwere verstoßen. Sie habe gerade diejenigen Pflichten verletzt, für deren Einhaltung sie durch ihre Tätigkeit zu sorgen gehabt habe. Die Taten hätten sich über eine erhebliche Zeitdauer hingezogen und noch dadurch an Gewicht gewonnen, dass die Beamtin mit erheblicher Intensität versucht habe, ihre Manipulationen zu vertuschen. Dies bedeute, dass nur eine Entfernung der Beamtin aus dem Dienst in Frage komme. Die hilfsweise gestellten Beweisanträge führten zu keiner Beweisaufnahme. Ein Unterhaltsbeitrag sei der Beamtin nicht zu bewilligen, da sie nach ihrer wirtschaftlichen Lage angesichts des Verdienstes ihres Ehemannes nicht der Unterstützung bedürftig sei.
47 
Gegen das am 26.02.2010 zugestellte Urteil hat die Beamtin am 11.03.2010 Berufung eingelegt. Zur Begründung führt ihr Verteidiger aus: Es liege ein Verfahrenshindernis vor, das zur Einstellung des Disziplinarverfahrens führen müsse. Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht die Verhandlungsfähigkeit der Beamtin angenommen. Sie leide unter einer reaktiven Depression, die schon im Dezember 2004 bestanden habe. Die Feststellungen in den ärztlichen Bescheinigungen der Frau Dr. ... legten zumindest den Verdacht nahe, dass auf Grund der Erkrankung der Beamtin, die ja in engem Zusammenhang mit dem Verfahren stehe, bereits bei Einleitung des Verfahrens, vor allem auch schon bei der Vernehmung im März 2006 Verhandlungsunfähigkeit bestanden habe. Die Ablehnung der Betreuerbestellung durch das Amtsgericht sei dabei unerheblich. Zum einen habe das Amtsgericht dies damit begründet, dass die Beamtin anwaltlich vertreten sei, zum anderen könne die Verhandlungsunfähigkeit im März 2006 nicht durch die erst später beantragte Bestellung eines Betreuers durch das Amtsgericht ... geheilt werden. Es sei nichts darüber bekannt, ob und inwieweit die Beamtin bei ihrer Vernehmung in der Lage gewesen sei, die Vorgänge für sich richtig einzuordnen. In diesem Zusammenhang erweise es sich als fehlerhaft, dass die Disziplinarkammer den Beweisanträgen nicht stattgegeben habe. Bei der Wahl der Disziplinarmaßnahme seien zu Gunsten der Beamtin zu würdigende Milderungsgründe nicht berücksichtigt worden. Es sei an eine verminderte Schuldfähigkeit zu denken, nachdem sich die Beamtin im Zeitpunkt der Tat in einer schweren Ehekrise befunden habe. Durch die Ermittlungen und die Dauer des Verfahrens hätten sich die psychischen Belastungen der Beamtin trotz positiven Ausgangs der Ehekrise stark verschärft. Zudem sei ihr Ehemann, ein ... im mittleren Dienst, wegen psychischer Folgen einer Konfliktsituation am Arbeitsplatz arbeitsunfähig geschrieben; ihm drohe eine Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit. Eine Entfernung aus dem Dienst würde über das Schicksal der Beamtin selbst hinausreichen und zu psychischen und wirtschaftlichen Folgen für sie selbst und ihren Ehemann führen, die neben der bereits erfolgten strafrechtlichen Verurteilung in keinem angemessenen Verhältnis zu den vorgeworfenen Dienstvergehen mehr stünden und unter Fürsorgegesichtspunkten vermieden werden müssten. Es sei auch zu berücksichtigen, dass nach amtsärztlicher Aussage mit einer Wiederherstellung dauernder Dienstfähigkeit der Beamtin ein halbes Jahr nach einem für diese positiven Ausgang des Disziplinarverfahrens gerechnet werden könne. Die Beamtin sei voll geständig und sehe das Unrecht ihres Tuns vollständig ein. Im Hinblick auf die wirtschaftlichen Folgen einer Entfernung aus dem Dienst für die aus zwei psychisch kranken und allenfalls eingeschränkt erwerbsfähigen Beamten bestehende Familie sei zumindest ein Unterhaltsbeitrag festzusetzen.
48 
Die Beamtin beantragt,
49 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart - Disziplinarkammer - vom 04. Februar 2010 - ... - zu ändern und das Disziplinarverfahren einzustellen, hilfsweise auf eine mildere Disziplinarmaßnahme als die Entfernung aus dem Dienst zu erkennen, weiter hilfsweise ihr einen Unterhaltsbeitrag zu bewilligen.
50 
Der Vertreter der obersten Dienstbehörde beantragt,
51 
die Berufung zurückzuweisen.
52 
Er verteidigt das angefochtene Urteil. Das Verwaltungsgericht habe zu Recht die Verhandlungsfähigkeit der Beamtin bejaht. Die Beamtin sei durch einen Verteidiger vertreten gewesen, so dass sie ihre Rechte ausreichend habe wahren können. Eine Verhandlungsunfähigkeit sei auch dem amtsärztlichen Attest vom 21.07.2008 nicht zu entnehmen. Das Vorliegen einer reaktiven Depression führe nicht zu einem Verfahrenshindernis. Dieses Thema sei bereits Gegenstand im Beschluss des Amtsgerichts ... gewesen, mit dem ein Antrag auf Bestellung eines Betreuers zurückgewiesen worden sei. Die Diagnose „Leichte bis mittelgradige depressive Episode nach schwerer situativer Belastung“ lasse nicht auf eine bestehende Verhandlungsunfähigkeit schließen. Zudem habe sich die Beamtin erst nach Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens wegen einer reaktiven Depression in Behandlung begeben. Sie sei am 06.03.2006 vernommen worden, ohne dass dabei Schwierigkeiten aufgetreten seien. Weiterhin sei die Beamtin erst seit dem 01.12.2006 fortlaufend krankgeschrieben. Die vom Gericht ausgesprochene Disziplinarmaßnahme sei nicht zu beanstanden. Eine Weiterbeschäftigung der Beamtin sei dem Dienstherrn nicht zumutbar. Die schwerwiegenden Pflichtverletzungen hätten zum totalen Vertrauensverlust des Dienstherrn in die Amtsführung der Beamtin geführt.
53 
Dem Senat liegen die Personal- und Personalnebenakten der Beamtin, die Untersuchungsakten, die Disziplinarakten, die Strafakten des Amtsgerichts ... sowie die einschlägigen Akten der Disziplinarkammer vor.
II.
54 
Die zulässige Berufung der Beamtin, gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts - Disziplinarkammer - hat keinen Erfolg.
55 
Der Senat hat die Rechtslage nach der Landesdisziplinarordnung in der Fassung vom 25.04.1991 (GBl. S. 227), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 15.12.1997 (GBl. S. 552) - LDO - zu beurteilen. Zwar ist die LDO nach Art. 27 Satz 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Neuordnung des Landesdisziplinarrechts - LDNOG - vom 14.10.2008 (GBl. S. 343) am 22.10.2008 außer Kraft getreten. Doch werden nach Art. 26 Abs. 3 Satz 1 LDNOG förmliche Disziplinarverfahren, in denen im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes (22.10.2008) der Beamte bereits zur Vernehmung nach § 55 LDO geladen war, bis zu ihrem unanfechtbaren Abschluss nach bisherigem Recht fortgeführt.
56 
1. Das Disziplinarverfahren ist nicht nach §§ 83 Abs. 1 Nr. 2, 74 Abs. 1, Abs. 3, 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LDO einzustellen. Nach diesen Vorschriften ist das Disziplinarverfahren einzustellen, wenn es nicht rechtswirksam eingeleitet oder sonst unzulässig ist.
57 
Diese Voraussetzungen sind auch dann gegeben, wenn der Beamte bei Zustellung der Einleitungsverfügung im Sinne des § 20 Abs. 1 LDO verhandlungsunfähig und für ihn ein Betreuer nach § 20 Abs. 2 Nr. 1 LDO nicht bestellt war (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.01.2001 - 1 D 31.99 -, juris; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 25.03.1981 - DH 1/81 -). Zwar steht nach § 20 Abs. 1 LDO der Einleitung und Durchführung eines Disziplinarverfahrens nicht entgegen, dass der Beamte verhandlungsunfähig ist, doch ist ihm in diesem Fall nach § 20 Abs. 2 Nr. 1 LDO auf Antrag der Einleitungsbehörde ein Betreuer zu bestellen. Unterbleibt dies im Fall der Verhandlungsunfähigkeit, kann die Einleitungsverfügung an den Beamten nicht wirksam zugestellt werden mit der Folge, dass ein zur Einstellung des Disziplinarverfahrens führender Mangel im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LDO vorliegt.
58 
Zum Zeitpunkt der Einleitung des Disziplinarverfahrens mit Zustellung der Einleitungsverfügung am 12.03.2004 war die Beamtin allerdings nicht verhandlungsunfähig im Sinne des § 20 Abs. 1 LDO. Verhandlungsunfähigkeit liegt dann vor, wenn der Beamte nicht in der Lage ist, die Bedeutung des Disziplinarverfahrens und der einzelnen Verfahrensvorgänge zu erkennen und sich sachgemäß zu verteidigen. Verhandlungsunfähigkeit des Beamten setzt allerdings nicht notwendig die Fähigkeit voraus, selbst Argumentations- und Verhandlungsstrategien zu entwickeln, weil dies in erster Linie Aufgabe eines Prozessbevollmächtigten ist. Um verhandlungsfähig zu sein, muss der Beamte in jeder Lage des Verfahrens imstande sein, sich zu verteidigen. Dies erfordert sowohl die Fähigkeit, anderen verständlich zu machen, was vorgetragen werden soll, als auch diejenige, das in sich aufzunehmen und zu verstehen, was andere erklären (BVerwG, Urteil vom 24.09.2009 - 2 C 80.08 -, BVerwGE 135, 24 m.w.N.). Mithin musste die Beamtin zum Zeitpunkt der Zustellung der Einleitungsverfügung nach ihrer geistigen und seelischen Verfassung in der Lage gewesen sein, den Inhalt der Einleitungsverfügung zu verstehen und sich sachgerecht zu verteidigen, also zumindest einen Verteidiger zu bestellen und diesen für das Disziplinarverfahren zu informieren (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 09.03.1989 - DH 22/88 -). Für den Senat bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Zustellung der Einleitungsverfügung am 12.03.2004 nicht erfüllt gewesen wären. Für die Beamtin hat sich am 01.04.2004 und somit alsbald nach Zustellung der Einleitungsverfügung ihr ehemaliger Bevollmächtigter Rechtsanwalt ... bestellt; im gesamten Verfahren hat die Beamtin auch nicht geltend gemacht, den Inhalt der Einleitungsverfügung nicht verstanden zu haben oder ihren Verteidiger nicht für das Disziplinarverfahren informieren zu können. Aus den dem Senat vorliegenden ärztlichen Attesten ergibt sich nichts anderes. Aus den Attesten der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie Dr. ... sowie den Angaben der Beamtin bei ihrer Vernehmung am 06.03.2006 folgt, dass sich die Beamtin (erst) ab Dezember 2004 und damit nach Einleitung des Disziplinarverfahrens in psychotherapeutische Behandlung begab. Im Attest vom 18.03.2005 führt Dr. ... aus, dass sich die Beamtin drei Mal in ihre psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung begeben habe und eine leichte bis mittelgradige depressive Episode nach schwerer situativer Belastung diagnostiziert werden könne. Die Beamtin sei affektiv herabgestimmt mit Zukunftsängsten, Selbstwertproblematik und Rückzug aus sozialen Bindungen. Sie wolle sich am liebsten verkriechen, stimmungsmäßig gehe es bei ihr auf und ab. Die depressive Reaktion stehe im Zusammenhang mit ihrer momentanen Situation (dem schwebenden Verfahren), wobei sich die Beamtin wegen der damaligen Verfehlung schwere Selbstvorwürfe mache. Es sei ihr ein mildes Antidepressivum verschrieben worden. Aus diesen Angaben, der Diagnose und Beschreibung des Krankheitsbildes kann aber nicht einmal ansatzweise gefolgert werden, dass die Beamtin bei Einleitung des Disziplinarverfahrens nicht in der Lage gewesen wäre, den Inhalt der Einleitungsverfügung zu verstehen oder sich sachgerecht im oben beschriebenen Sinne zu verteidigen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der nervenärztlichen Bescheinigung Dr. ... - ohne Datum, nach den Angaben des Verteidigers der Beamtin wohl aus dem Januar 2006 stammend -. In dieser wird unter Nennung der gleichen Diagnose („Leichte bis mittelgradige depressive Episode“) ein gleiches Krankheitsbild gezeichnet und eine mittelgradige depressive Störung seit Dezember 2004 bestätigt. Die weiteren Überlegungen beschäftigen sich lediglich mit Mutmaßungen zu einer „in gewisser Beziehung geminderten Schuldfähigkeit“ bei Begehung der der Beamtin vorgeworfenen Taten in den Jahren 1999 und 2000. Die Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie ... bescheinigte unter dem 14.05.2007 nur, dass die Beamtin derzeit nicht in der Lage sei, eine mehrstündige Vernehmung durchzustehen. Im amtsärztlichen Attest des Dr. ... vom 20.06.2007 wird lediglich davon gesprochen, dass im Dezember 2004 „eine Depression begann“, im Sachverständigengutachten des Dr. ... vom 04.10.2007 für das Verfahren auf Bestellung eines Betreuers vor dem Amtsgericht ... wird von einer „reaktiven Depression seit ca. Herbst 2004“ gesprochen und weiter ausgeführt, dass der Sachverständige die Frage, ob die Beamtin bereits zum Zeitpunkt der Vernehmung im März 2006 bzw. zum Zeitpunkt der Einleitung des Disziplinarverfahrens verhandlungsunfähig gewesen sei, wegen des zeitlichen Abstandes zur Untersuchung nicht beurteilen könne. Das amtsärztliche Zeugnis des Dr. ... vom 21.07.2008 spricht wieder davon, dass die Beamtin seit „Dezember 2004“ unter einer reaktiven Depression leide. Im Beschluss des Amtsgerichts ... vom 18.12.2007 wird in Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Sachverständigengutachtens des Dr. ... vom 04.10.2007, der der Ansicht war, dass die reaktive Depression das Denken und die für die Vernehmung und Verhandlung der Beamtin erforderliche Kognition verlangsame und erschwere, ausgeführt, dass das Gericht die Betroffene im Rahmen der persönlichen Anhörung selbst kennengelernt und dabei festgestellt habe, dass zwar Unkonzentriertheit gegeben sei und die Betroffene auch nicht immer vollständig in der Lage gewesen sei, dem Gespräch zu folgen. Bei etwaigen Nachfragen habe sie sich jedoch zumindest für einige Zeit konzentrieren und folgerichtige Antworten geben können. Damit sei eine Verhandlung mit der Beamtin zwar schwierig, jedoch unter Berücksichtigung ihrer Einschränkungen möglich; Verhandlungsunfähigkeit nach der Disziplinarordnung sei nicht gegeben. Anhaltspunkte, warum dies bei Einleitung des Disziplinarverfahrens zum Zeitpunkt der Zustellung der Einleitungsverfügung am 12.03.2004 anders gewesen sein könnte, sind damit für den Disziplinarsenat nicht ersichtlich.
59 
Entsprechendes gilt für die Vernehmung der Beamtin gemäß § 55 LDO am 06.03.2006, so dass der weiteren Frage, welche rechtlichen Folgen die Verhandlungsunfähigkeit der Beamtin bei dieser Vernehmung bei mangelnder Bestellung eines Betreuers gehabt hätte (vgl. dazu GKÖD, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, Band II § 19 BDO RdNr. 7a), nicht weiter nachgegangen werden muss, nachdem ein solcher Mangel des Verfahrens in § 60 LDO nicht ausdrücklich erwähnt ist. Zwar ist zu dem Zeitpunkt der Vernehmung am 06.03.2006 davon auszugehen, dass die Beamtin an einer leichten bis mittelgradigen Depression gelitten hat. Doch sind in den zeitnah erstellten Attesten der sie behandelnden Fachärztin Dr. ... keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass diese Diagnose und das mit ihr einhergehende Krankheitsbild zu einer Verhandlungsunfähigkeit der Beamtin geführt haben. Die Beamtin selbst hat bei ihrer Vernehmung am 06.03.2006 lediglich angegeben, dass sie in psychologischer / psychiatrischer Behandlung sei. Sie habe sich Hilfe beim Hausarzt und später bei der Psychologin geholt, weil es nicht mehr weitergegangen sei; zeitweilig habe sie auch Medikamente genommen. Anhaltspunkte dafür, dass die Beamtin bei ihrer Vernehmung nicht in der Lage gewesen ist, anderen verständlich zu machen, was vorgetragen werden soll, sowie, das in sich aufzunehmen und zu verstehen, was andere erklären, sind nicht ersichtlich. Ihre Angaben sind schlüssig und lassen auch ohne Weiteres darauf schließen, dass die Beamtin das verstanden hat, was sie gefragt oder was ihr erklärt worden ist. Im gesamten Verfahren haben weder die Beamtin noch ihre Bevollmächtigten geltend gemacht, dass und welche (der) Angaben der Beamtin bei ihrer Vernehmung am 06.03.2006 unzutreffend oder unter Einschränkung ihrer Verteidigungsfähigkeit zustande gekommen sind. Erst mit Schreiben vom 02.03.2007 hat der Verteidiger der Beamtin ausgeführt, dass er in einem ausführlichen Gespräch mit der Beamtin habe feststellen müssen, dass diese gesundheitlich derzeit nicht in der Lage sei, sich einer Vernehmung zu stellen. Ihr früherer Bevollmächtigter hatte etwaige Defizite, die zu einer Verhandlungsunfähigkeit führen könnten, hingegen vor oder bei der Vernehmung der Beamtin am 06.03.2006 nicht geltend gemacht. Die Beamtin hat in der Sache die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt und damit zu erkennen gegeben, dass die Feststellung des Dienstvergehens, die auch auf ihren Angaben bei der Vernehmung vom 06.03.2006 beruhte, nicht zu beanstanden ist und hat zuletzt noch einmal im Berufungsverfahren vortragen lassen, dass sie voll geständig sei und das Unrecht ihrer Taten einsehe. Schließlich ist nochmals darauf abzustellen, dass das Amtsgericht ... in seinem Beschluss vom 18.12.2007 eine Verhandlungsunfähigkeit der Beamtin nicht hat feststellen können. Auch liegen fortlaufende Krankschreibungen erst seit dem 01.12.2006 vor.
60 
Für die Disziplinarkammer bestand auch kein Anlass, den nicht innerhalb der Äußerungsfrist des § 63 Abs. 2 LDO (vier Wochen nach Zustellung der Anschuldigungsschrift am 07.11.2008) und damit verspätet (§ 64 LDO) gestellten Beweisantrag vom 21.12.2009 zur Frage der Verhandlungsunfähigkeit der Beamtin zum Zeitpunkt der Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens nachzugehen. Unter den dargelegten Umständen hat sie zu Recht eine weitere Beweisaufnahme zur Frage der Verhandlungsunfähigkeit der Beamtin auch im Rahmen ihrer Aufklärungspflicht nicht für erforderlich gehalten (vgl. von Alberti/Gayer/Roskamp, LDO, § 64 LDO RdNr. 4).
61 
2. In der Sache ist die Berufung der Beamtin - wie sich aus dem Schriftsatz ihres Verteidigers vom 19.03.2010 ergibt - auf das Disziplinarmaß beschränkt. Eine solche Beschränkung hat zur Folge, dass der Senat an die durch die Disziplinarkammer getroffenen Tat- und Schuldfeststellungen sowie an die disziplinarrechtliche Würdigung als Dienstvergehen gebunden ist. Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.2006 - 1 D 5.05 -, Buchholz 235 § 82 BDO Nr. 7; Urteil des Senats vom 10.03.2008 - DL 16 S 5/07 -) gehören zu den bindenden Feststellungen die zum konkreten historischen Vorgang getroffenen Feststellungen, mit denen die Verletzungshandlung in Bezug auf den Tatbestand des angenommenen Pflichtenverstoßes gekennzeichnet wird (etwa zur Frage der Eigennützigkeit, zur Anzahl der Teilakte oder des Zeitpunktes auch des Tatentschlusses) und die Feststellungen zur Form des Verschuldens (Vorsatz oder Fahrlässigkeit). Zusätzliche oder abweichende Feststellungen können nur noch getroffen werden, soweit sie sich zu den bindenden Tat- und Schuldfeststellungen nicht in Widerspruch setzen und ausschließlich für die Bestimmung des Disziplinarmaßes von Bedeutung sind.
62 
Mithin steht infolge der Beschränkung der Berufung auf das Disziplinarmaß für den Disziplinarsenat im Berufungsverfahren bindend fest, dass die Beamtin mit den von der Disziplinarkammer festgestellten Verfehlungen der Einkommensteuerhinterziehung und Hinterziehung von Solidaritätszuschlag, der Urkundenfälschung, der Urkundenunterdrückung und des Verwahrungsbruchs im Amt sowie des unerlaubten Fernbleibens vom Dienst und der Manipulation von Arbeitszeiten schuldhaft die ihr obliegenden Beamtenpflichten aus § 73 Satz 2 LBG (Pflicht, das Amt uneigennützig und nach bestem Gewissen zu verwalten), § 73 Satz 3 LBG (Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten), § 91 LBG (Pflicht, dem Dienst nicht ohne Genehmigung des Dienstherrn fernzubleiben), § 77 Abs. 1 LBG, § 82 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (Pflicht zur Unparteilichkeit) verletzt und damit ein einheitliches Dienstvergehen begangen hat.
63 
Der Senat hat damit nur noch darüber zu entscheiden, ob die von der Disziplinarkammer ausgesprochene Entfernung aus dem Dienst (§ 11 LDO) gerechtfertigt oder aber, was die Beamtin anstrebt, auf eine mildere Disziplinarmaßnahme zu erkennen ist.
64 
Der Senat teilt die von der Disziplinarkammer getroffene Einschätzung, dass auf Grund des festgestellten - schwerwiegenden - Dienstvergehens die Entfernung der Beamtin aus dem Dienst unumgänglich ist. Das Berufungsvorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung.
65 
Maßgebend für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist das Eigengewicht der Pflichtverletzung, d.h. die Schwere des Dienstvergehens. Hierfür können bestimmend sein die objektive Handlung (insbesondere Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzung sowie besondere Umstände der Tatbegehung, etwa Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens), subjektive Handlungsmerkmale (insbesondere Form und Gewicht der Schuld des Beamten, Beweggründe für sein Verhalten) sowie unmittelbare Folgen des Dienstvergehens für den dienstlichen Bereich und Dritte, z.B. der materielle Schaden (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.10.2005 - 2 C 12.04 -, BVerwGE 124, 252). Die gegen einen Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller belastenden und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (BVerfG, Beschl. vom 08.12.2004 - 2 BvR 52/02 -, BVerfGK 4, 243).
66 
Die hier im Vordergrund des disziplinaren Vorwurfs stehende Steuerhinterziehung, mit der der Anspruch des Staates auf den vollen und rechtzeitigen Ertrag aus jeder einzelnen Steuer verkürzt wird, ist im Hinblick auf den dem Staat verursachten Schaden ein schweres Wirtschaftsdelikt. Dies belegt bereits der Strafrahmen. Danach ist Steuerhinterziehung mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, in besonders schweren Fällen bis zu zehn Jahren (§ 370 Abs. 1 und 3 AO) bedroht. Ein Beamter, der sich der Steuerhinterziehung schuldig macht, verletzt damit in schwerwiegender Weise die ihm obliegende Pflicht, der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Beruf erfordert (ebenso BayVGH, Urteil vom 24.09.2008 - 16a D 07.2849 -, juris). Dabei wirkt sich besonders nachteilig aus, wenn der Beamte sich oder einem Dritten durch strafbares Verhalten unberechtigte Steuervorteile verschafft, obwohl er öffentliche Aufgaben wahrzunehmen hat und durch öffentliche Mittel alimentiert wird. Dies beeinträchtigt in erheblichem Maße sein Ansehen und das Ansehen der Beamtenschaft insgesamt, auf das der Staat in besonderem Maße angewiesen ist, wenn er die ihm gegenüber der Allgemeinheit obliegenden Aufgaben sachgerecht erfüllen will. Über die Ansehensschädigung hinaus führt ein solches Verhalten grundsätzlich auch zu erheblichen Zweifeln an der Vertrauenswürdigkeit des Beamten. Dies gilt in besonderem Maße bei einem Finanzbeamten, dessen Aufgabe es gerade ist, die an den Staat abzuführenden Steuern korrekt festzusetzen und in diesem Zusammenhang auch die Steuerpflichtigen zur Steuerehrlichkeit und zu einem ordentlichen Erklärungsverhalten anzuhalten hat (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteile vom 30.05.2006 - 21d A 3905/05.O -, ZBR 2006, 420 und vom 07.08.2001 - 15d 4172/00.O -, DÖD 2003, 40). Im vorliegenden Fall kommt zu diesen allgemein für die Steuerhinterziehung geltenden Grundsätzen (vgl. dazu auch: Claussen/Janzen, Bundesdisziplinarrecht, S. 141) noch besonders erschwerend für die Beamtin hinzu, dass sie die Steuerhinterziehung in Ausübung ihres Amtes begangen hat. Denn die Verwaltung - insbesondere die Finanz- und Steuerverwaltung, deren Funktionieren jede öffentliche Aufgabenerfüllung letztlich erst möglich macht (vgl. VG des Saarlandes, Urteil vom 13.03.2009 - 7 K 2125/07 -, juris) - ist auf die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit ihrer Beamten angewiesen, wenn sie ihre Aufgaben gegenüber der Allgemeinheit sinnvoll und auftragsgerecht erfüllen will. Dabei betrifft die Tat einer Steuerbeamtin, die bei Ausübung ihres Dienstes durch manipulierte Steuererklärungen nicht bestehende Steuererstattungen erwirkt, den Kernbereich ihrer dienstlichen Obliegenheiten. Besonders gravierend tritt hier hinzu, dass die Beamtin die steuerlichen Vorteile zu Gunsten ihrer Mutter unter bewusster Ausnutzung ihrer dienstlichen Aufgaben und Möglichkeiten erwirkt hat. Vollkommen zu Recht hat die Disziplinarkammer dazu noch darauf abgestellt, dass sich die Taten der Beamtin über eine erhebliche Zeitdauer hingezogen und noch dadurch an Gewicht gewonnen haben, dass die Beamtin mit erheblicher Intensität versucht hat, ihre Manipulationen zu vertuschen (so durch Manipulation der Grunddaten, Abfangen der Kontrollmitteilung und Beseitigung der Akte). Zudem hat die Beamtin mit der Steuerhinterziehung noch weitere strafbare Urkundsdelikte begangen. All dies führt dazu, dass sich die Beamtin für den Dienst als (Steuer-)Beamtin als untragbar erwiesen hat.
67 
Die von der Beamtin, die an der Hauptverhandlung im Berufungsverfahren nicht teilgenommen hat, zu ihren Gunsten im Berufungsverfahren vorgetragenen Milderungsgründe rechtfertigen keine andere disziplinarrechtliche Bewertung ihres Handelns.
68 
So ist zunächst nicht der Milderungsgrund des Handelns in einer psychischen Ausnahmesituation gegeben. Eine solche Situation wird in aller Regel hervorgerufen durch den plötzlichen unvorhergesehen Eintritt eines Ereignisses, das gemäß seiner Bedeutung für die besonderen Lebensumstände des Betroffenen bei diesem einen seelischen Schock auslöst, der seinerseits zu der Begehung des Dienstvergehens führt (BVerwG, Urteil vom 09.05.2001 - 1 D 22.00 -, BVerwGE 114, 240; Urteil des Senats vom 24.06.2010 - 16 S 3391/08 -). Einen solchen Schock, der zur Begehung des Dienstvergehens der Beamtin geführt haben könnte, vermag der Senat nicht zu erkennen. Zwar mag sich die Beamtin wegen einer schweren Ehekrise und des Todes ihres Vaters durchaus in einer sie schwer belastenden und schwierigen persönlichen Situation befunden haben, die auch Auswirkungen auf ihre psychische Gesundheit gehabt haben könnte. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass diese das Gewicht einer Notlage gehabt hätte, die das - über einen langen Zeitraum, zum Teil zeitlich auch schon vor dem Tod des Vaters und mit besonderer krimineller Energie begangene - Dienstvergehen im Ansatz in einem milderen Licht erscheinen lassen könnte. Insbesondere erklären diese Umstände nicht, wieso die Beamtin gegen zentrale und leicht einsehbare Kernpflichten verstoßen und nach Begehung der Steuerhinterziehung zu deren Vertuschung noch weitere kriminelle Handlungen begangen hat. Die mit der beruflichen Situation des Ehemannes der Beamtin hervorgerufenen weiteren Belastungen, auf die die Berufungsbegründung abstellt, traten zudem erst im Jahr 2008 auf und lassen mithin das weit früher begangene Dienstvergehen der Beamtin in keinem milderen Licht erscheinen.
69 
Das Vorbringen der Beamtin, sie habe zum Zeitpunkt der Begehung des Dienstvergehens wegen ihrer Ehekrise Verlassensängste gehabt, wegen derer sie geglaubt habe, ihr nahe stehende verbleibende Personen an sich binden zu müssen, und dies sei dadurch geschehen, dass sie aus einem nicht nachvollziehbaren Entschluss die Festsetzung der Steuer gegen ihre Eltern manipuliert habe, weil sie völlig grundlos befürchtet habe, ihre Eltern gerieten in finanzielle Schwierigkeiten, kann aus denselben Gründen nicht eine mildere Bewertung des Dienstvergehens nach sich ziehen. Insbesondere vermag der Senat nicht das Vorliegen des Milderungsgrundes einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit im Sinne von §§ 20, 21 StGB zu erkennen, bei dem nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedenfalls unter den Bemessungsvorgaben des Bundesdisziplinargesetzes die Höchstmaßnahme der Entfernung aus dem Dienst regelmäßig nicht mehr ausgesprochen werden kann (BVerwG, Urteil vom 25.03.2010 - 2 C 83.08 -, juris).
70 
Erheblich verminderte Schuldfähigkeit gemäß §§ 20, 21 StGB setzt voraus, dass die Fähigkeit, das Unrecht einer Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, wegen einer Störung im Sinne von § 20 StGB bei Tatbegehung erheblich eingeschränkt war. Für die hier relevante Frage der Steuerungsfähigkeit kommt es darauf an, ob das Hemmungsvermögen so stark herabgesetzt war, dass der Betroffene den Tatanreizen erheblich weniger Widerstand als gewöhnlich entgegenzusetzen vermochte. Die Frage, ob die Verminderung der Steuerungsfähigkeit auf Grund einer krankhaften seelischen Störung „erheblich" war, ist eine Rechtsfrage, die die Disziplinargerichte ohne Bindung an die Einschätzung Sachverständiger in eigener Verantwortung zu beantworten haben. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen, seines Erscheinungsbildes vor, während und nach der Tat und der Berücksichtigung der Tatumstände, insbesondere der Vorgehensweise. Für die Annahme einer erheblichen Minderung der Schuldfähigkeit sind schwerwiegende Gesichtspunkte heranzuziehen wie etwa Psychopathien, Neurosen, Triebstörungen, leichtere Formen des Schwachsinns, altersbedingte Persönlichkeitsveränderungen, Affektzustände sowie Folgeerscheinungen einer Abhängigkeit von Alkohol, Drogen oder Medikamenten. Die Erheblichkeitsschwelle liegt umso höher, je schwerer das in Rede stehende Delikt wiegt. Dementsprechend hängt im Disziplinarrecht die Beurteilung der Erheblichkeit im Sinne von § 21 StGB von der Bedeutung und Einsehbarkeit der verletzten Dienstpflichten ab und wird die Schwelle der Erheblichkeit damit bei der Verletzung von ohne Weiteres einsehbaren innerdienstlichen Kernbereichspflichten nur in Ausnahmefällen erreicht sein (vgl. für Zugriffsdelikte: BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 2 C 59.07 -, Buchholz 235.1 § 70 BDG Nr. 3; Beschluss vom 27.10.2008 - 2 B 48.08 -, juris; Urteil des Senats vom 24.06.2010 - DB 16 S 3391/08 -).
71 
Der Senat vermag keinerlei Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass ein solcher Ausnahmefall für die Beamtin zum Zeitpunkt der Begehung des Dienstvergehens gegeben war. In keinem der im Verlauf des Disziplinarverfahrens vorgelegten Atteste wird für den Zeitpunkt des Dienstvergehens eine psychische Erkrankung beschrieben, die den Krankheitsgrad einer Psychopathie, Neurose, Triebstörung, der leichteren Form des Schwachsinns, einer altersbedingten Persönlichkeitsveränderung, eines Affektzustandes oder der Folgeerscheinung einer Abhängigkeit von Alkohol, Drogen oder Medikamenten erreicht. Im Attest der die Beamtin behandelnden Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. ... - ohne Datum - wird eine depressive Reaktion bei schwerer situativer Belastung genannt und es lediglich als überlegenswert bezeichnet, ob bei der Beamtin zum damaligen Zeitpunkt eine „in gewisser“ und damit gerade nicht in erheblicher Weise geminderte Schuldfähigkeit bestand. Das in dem ärztlichen Attest beschriebene Krankheitsbild einer depressiven Reaktion erreicht angesichts der leicht einsehbaren Kernbereichspflicht, die die Beamtin einzuhalten hatte, die Erheblichkeitsschwelle nicht. Bei depressiven Episoden auch schweren Grades, einschließlich der depressiven Reaktion, leidet der betroffene Patient unter einer gedrückten Stimmung und einer Verminderung von Antrieb und Aktivität. Die Fähigkeit zu Freude, das Interesse und die Konzentration sind vermindert. Ausgeprägte Müdigkeit kann nach jeder kleinsten Anstrengung auftreten. Der Schlaf ist meist gestört, der Appetit vermindert. Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sind fast immer beeinträchtigt. Es kommen Schuldgefühle oder Gedanken über eigene Wertlosigkeit vor. Die gedrückte Stimmung verändert sich von Tag zu Tag wenig, reagiert nicht auf Lebensumstände und kann von so genannten "somatischen" Symptomen begleitet werden, wie Interessenverlust oder Verlust der Freude, Früherwachen, Morgentief, deutliche psychomotorische Hemmung, Agitiertheit (krankhafte Unruhe, bei der es zu heftigen und hastigen Bewegungen des Patienten kommt), Appetitverlust, Gewichtsverlust und Libidoverlust (ICD 10 GM 2010, F. 32). Dies spricht aber gegen eine erhöhte Neigung zu delinquentem Handeln.
72 
Insoweit bestand auch hier für die Disziplinarkammer kein Anlass, dem ebenfalls verspätet gestellten Beweisantrag zur Frage der erheblich verminderten Schuldfähigkeit auf Grund einer psychischen Erkrankung zum Zeitpunkt der Begehung der Dienstvergehen nachzugehen.
73 
Damit vermag der Senat - ebenso wie die Disziplinarkammer - unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände, auch der langjährigen dienstlichen Unbescholtenheit der Beamtin, ihrer ordentlichen dienstlichen Beurteilungen, ihrer Einsicht in das Unrecht ihres Tuns sowie ihrer schwierigen persönlichen und familiären Situation zum Zeitpunkt der Tatbegehung, nicht zu erkennen, dass die von der Schwere des Dienstvergehens ausgehende Indizwirkung für den eingetretenen Vertrauensverlust durch vorrangig zu berücksichtigende und durchgreifende Entlastungsgründe entfallen ist und die Beamtin gegenüber ihrem Dienstherrn noch ein Restvertrauen für sich in Anspruch nehmen könnte. Die weiter von der Beamtin noch zu ihren Gunsten hervorgehobene und absehbare Wiederherstellung ihrer Dienstfähigkeit nach einem für sie positiven Ausgang des Disziplinarverfahrens ist für die Frage, ob der Dienstherr ihr noch ein Restvertrauen entgegenbringen kann, ohne ausschlaggebende Bedeutung. Ist das Vertrauensverhältnis zwischen der Beamtin und ihrem Dienstherrn zerstört, erweist sich die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als angemessene Reaktion. Die hierin liegende Härte ist für die Beamtin - auch unter familiären Gesichtspunkten, insbesondere dem Umstand, dass die Dienstfähigkeit ihres als ... tätigen Ehemannes in Frage stehen könnte - nicht unverhältnismäßig, da sie auf zurechenbarem Verhalten beruht.
74 
3. Der Senat sieht keinen Anlass, auf den weiter hilfsweise gestellten Antrag der Beamtin die Entscheidung der Disziplinarkammer über die Versagung eines Unterhaltsbeitrags nach § 75 Abs. 1 LDO zu ändern. Die Beamtin ist zwar einer solchen Unterstützung nicht unwürdig, derzeit jedoch nicht bedürftig (§ 75 Abs. 1 Satz 1 LDO). Mit der Bewilligung eines Unterhaltsbeitrags soll dem aus dem Dienst entfernten Beamten der Übergang in einen anderen Beruf oder, sofern dies wegen Alters oder Erwerbsunfähigkeit nicht mehr möglich ist, in eine andere Art der gesetzlichen Alters- oder Erwerbsunfähigkeitsversorgung erleichtert werden. Dieser Zweck des Unterhaltsbeitrags, den aus dem Dienst entfernten Beamten und dessen Familie für eine Übergangszeit vor einer finanziellen Notlage zu schützen, wobei sich der anzuerkennende Bedarf vor allem nach den aktuellen Regelsätzen, Wohnungskosten (die Beamtin lebt allerdings mietfrei in der Wohnung ihrer Mutter, wie ihr Verteidiger in der Hauptverhandlung vor dem Senat noch einmal bestätigte) und einem Zuschlag für den Krankenversicherungsbeitrag bestimmt, ist hier bereits durch die Bezüge des Ehemannes der Beamtin (zur Berücksichtigung des Einkommens des Ehegatten des Beamten vgl. BVerwG, Urteil vom 28.11.1996 - 1 D 67.96 -, Buchholz 235 § 77 BDO Nr. 3; Urteil vom 18.03.1998 - 1 D 88.97 -, BVerwGE 113, 208; von Alberti/Gayer/Roskamp, a.a.O., § 75 LDO RdNr. 8; Köhler/Ratz, BDG, 3. Aufl., § 10 BDG RdNr. 8) in Höhe von 1.960 EUR netto monatlich sichergestellt. Dass die Bezüge des Ehemannes in absehbarer Zeit durch dessen Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit geringer ausfallen werden, ist derzeit nicht hinreichend absehbar (vgl. dazu von Alberti/Gayer/Roskamp, a.a.O., § 75 LDO RdNr. 8). Der Verteidiger der Beamtin gab in der Hauptverhandlung im Berufungsverfahren an, dass sich der Ehemann der Beamtin auf Weisung seines Dienstherrn zur Wiederherstellung der Dienstfähigkeit in teilstationäre Behandlung begeben habe und ein förmliches Verfahren der Zurruhesetzung nicht eingeleitet sei.
75 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 112 Abs. 2 Satz 1 LDO.
76 
Dieses Urteil ist unanfechtbar (§ 88 LDO).

(1) Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,

1.
gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder
2.
die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet,
wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
einen Inhalt (§ 11 Absatz 3) verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht oder einer Person unter achtzehn Jahren einen Inhalt (§ 11 Absatz 3) anbietet, überlässt oder zugänglich macht, der
a)
zum Hass gegen eine in Absatz 1 Nummer 1 bezeichnete Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer in Absatz 1 Nummer 1 bezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung aufstachelt,
b)
zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen in Buchstabe a genannte Personen oder Personenmehrheiten auffordert oder
c)
die Menschenwürde von in Buchstabe a genannten Personen oder Personenmehrheiten dadurch angreift, dass diese beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet werden oder
2.
einen in Nummer 1 Buchstabe a bis c bezeichneten Inhalt (§ 11 Absatz 3) herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, bewirbt oder es unternimmt, diesen ein- oder auszuführen, um ihn im Sinne der Nummer 1 zu verwenden oder einer anderen Person eine solche Verwendung zu ermöglichen.

(3) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost.

(4) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt.

(5) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Handlung der in den §§ 6 bis 12 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art gegen eine der in Absatz 1 Nummer 1 bezeichneten Personenmehrheiten oder gegen einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer dieser Personenmehrheiten öffentlich oder in einer Versammlung in einer Weise billigt, leugnet oder gröblich verharmlost, die geeignet ist, zu Hass oder Gewalt gegen eine solche Person oder Personenmehrheit aufzustacheln und den öffentlichen Frieden zu stören.

(6) Absatz 2 gilt auch für einen in den Absätzen 3 bis 5 bezeichneten Inhalt (§ 11 Absatz 3).

(7) In den Fällen des Absatzes 2 Nummer 1, auch in Verbindung mit Absatz 6, ist der Versuch strafbar.

(8) In den Fällen des Absatzes 2, auch in Verbindung mit den Absätzen 6 und 7, sowie in den Fällen der Absätze 3 bis 5 gilt § 86 Absatz 4 entsprechend.

Wer das Andenken eines Verstorbenen verunglimpft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(1) Beamtinnen und Beamte begehen ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzen. Ein Verhalten außerhalb des Dienstes ist nur dann ein Dienstvergehen, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für ihr Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen.

(2) Bei Ruhestandsbeamtinnen und Ruhestandsbeamten oder früheren Beamtinnen mit Versorgungsbezügen und früheren Beamten mit Versorgungsbezügen gilt es als Dienstvergehen, wenn sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes betätigen oder an Bestrebungen teilnehmen, die darauf abzielen, den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen, oder wenn sie schuldhaft gegen die in den §§ 37, 41 und 42 bestimmten Pflichten verstoßen. Bei sonstigen früheren Beamtinnen und früheren Beamten gilt es als Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft gegen die in den §§ 37, 41 und 42 bestimmten Pflichten verstoßen. Für Beamtinnen und Beamte nach den Sätzen 1 und 2 können durch Landesrecht weitere Handlungen festgelegt werden, die als Dienstvergehen gelten.

(3) Das Nähere über die Verfolgung von Dienstvergehen regeln die Disziplinargesetze.

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Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 22. Februar 2010, Az.: 3 Ca 725/09, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten zweitinstanzlich noch darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis durch die fristlosen Kündigungen des Beklagten vom 27.02.2009 und vom 10.03.2009 aufgelöst worden ist, oder bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 30.06.2009 bestanden hat.

2

Der Kläger (geb. am … 1957, ledig) war seit dem 01.01.1999 im Betrieb des Beklagten als Kraftfahrer zu einem Bruttomonatslohn von zuletzt € 2.200,00 beschäftigt. Ob der Beklagte zum Kündigungszeitpunkt mehr als zehn Arbeitnehmer in seinem Betrieb beschäftigte, war erstinstanzlich zwischen den Parteien streitig.

3

Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 27.02.2009 und erneut mit Schreiben vom 10.03.2009 fristlos, hilfsweise fristgerecht. Er stützt beide Kündigungen darauf, dass der Kläger am Freitag, dem 27.02.2009 die Fäkalsprache benutzt, die Arbeit verweigert sowie eine Erkrankung angekündigt habe. Der Kläger wendet sich gegen die Kündigungen mit seiner am 23.03.2009 erhobenen Klage.

4

Der Beklagte trägt zur Begründung der Kündigungen vor, seine Büromitarbeiterin W. V. habe den Kläger am 27.02.2009 um die Mittagszeit unterwegs angerufen und ihm mitgeteilt, dass er mit seiner Arbeit noch nicht fertig sei, wenn er gegen 13:00 Uhr von seiner Fahrt zum Betrieb zurückkehre. Er müsse um 18:00 Uhr mit dem Lkw in U-Stadt stehen, und dort eine Teilpartie zuladen. Der Kläger sei bereits am Telefon äußerst ungehalten gewesen und habe in unangemessenem Ton geäußert, dass er das nicht mache, seine Zeit sei um. Frau V. habe erwidert, dass er noch genügend Arbeitszeit habe, er müsse noch nach U-Stadt fahren. Der Kläger habe ihr in unangemessenem Ton geantwortet, er fahre garantiert nicht mehr. Bei seiner Ankunft im Betrieb um 13:00 Uhr habe seine weisungsbefugte Ehefrau dem Kläger erklärt, dass der Lkw im Betrieb angeladen werde, er habe dann mindestens 4 Stunden Freizeit. Gegen 18:00 Uhr könne er in U-Stadt noch eine Teilladung zuladen und dann im Lkw übernachten, um von dort am nächsten Morgen weiterzufahren. Nach Erhalt dieser Arbeitsanweisung habe sich der Kläger im Büro „aufgebaut“ und erklärt, er mache das nicht, seine Arbeitszeit in dieser Woche sei ausgeschöpft. Auch nach einem weiteren Wortwechsel habe sich der Kläger vehement geweigert, die Arbeit zu verrichten. Nachdem seine Ehefrau auf der Anweisung beharrt habe, sei der Kläger laut geworden und habe gesagt: „Ich mache die ganze Scheiße nicht mehr mit, ich gehe jetzt zum Arzt und lasse mich krankschreiben. Vor drei Wochen habe ich mir bei der Arbeit den Fuß verletzt.“ Der Kläger habe sodann den Lkw ausgeräumt, den Schlüssel auf den Tisch gelegt und sei gegangen. Er habe gegen 17:30 Uhr angerufen und erklärt, er sei beim Arzt gewesen und erst einmal bis zum 08.03.2009 krankgeschrieben worden.

5

Der Kläger trägt vor, er sei am 09.02.2009 in Strümpfen in den Lkw eingestiegen und habe sich am Zeh verletzt. Die Wunde habe sich entzündet. Weil die Praxis seiner Hausärztin am Nachmittag des 27.02.2009 bereits geschlossen gewesen sei, habe er die Praxis des Dr. med. T. S. aufgesucht. Der Arzt habe die Wunde sofort chirurgisch behandelt. Aus medizinischer Sicht sei die Behandlung dringend erforderlich gewesen. Der Kläger war -unstreitig- vom 28.02.2009 bis einschließlich 22.03.2009 arbeitsunfähig krankgeschrieben. Die Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrswirtschaft hat den Krankheitszeitraum als Folge eines Arbeitsunfalls vom 10.02.2009 anerkannt.

6

Zur weiteren Darstellung des unstreitigen Sachverhalts, des streitigen Vorbringens der Parteien und der erstinstanzlich gestellten Sachanträge wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 22.02.2010 (dort Seite 2-8 = Bl. 256-262 d.A.).

7

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 22.02.2010 der Klage gegen die zwei fristlosen Kündigungen stattgegeben und die weitergehende Klage gegen die hilfsweise ordentliche Kündigung abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, der Kläger könne sich gegen die ordentliche Kündigung zum 30.06.2009 nicht wehren, weil der Beklagte nicht mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftige. Die zwei fristlosen Kündigungen vom 27.02.2009 und vom 10.03.2009 seien unwirksam. Ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB liege nicht vor. Der Kläger sei im Zeitpunkt des Zuganges der ersten Kündigung wegen einer Verletzung am Fuß und eines durchgeführten operativen Eingriffs arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Er habe am Nachmittag des 27.02.2009 seine Arbeitspflicht deshalb nicht verletzt. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, die Erkrankung des Klägers sowie den dargestellten operativen Eingriff in Zweifel zu ziehen. Unterstelle man die vom Beklagten vorgetragenen Äußerungen des Klägers am 27.02.2009 gegenüber dem Büropersonal als zutreffend, so sei das Arbeitsverhältnis nicht so belastet, dass dem Beklagten die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zumutbar gewesen wäre. Die beiden Büromitarbeiterinnen hätten nämlich - trotz der Äußerungen - versucht, den Kläger zur Durchführung der fraglichen Fahrt zu bewegen. Es sei davon auszugehen, dass dem Kläger, hätte er die Fahrt durchgeführt, nicht fristlos gekündigt worden wäre. Die fristlosen Kündigungen seien jedenfalls unverhältnismäßig, weil das Arbeitsverhältnis bereits seit dem 01.01.1999 bestanden habe. Wegen weiterer Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf die Zusammenfassung im Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 22.02.2010 (Bl. 267-269 d.A.) Bezug genommen.

8

Gegen dieses Urteil, das ihm am 16.06.2010 zugestellt worden ist, hat der Beklagte mit am 21.06.2010 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese am 21.07.2010 begründet.

9

Er ist der Ansicht, das Arbeitsgericht habe das Verhalten und die Äußerungen des Klägers am 27.02.2009 nicht der Schwere des Vergehens entsprechend gewürdigt. Bereits die Äußerungen des Klägers seien so drastisch und verletzend gewesen, dass allein schon deswegen die fristlose Kündigung berechtigt gewesen sei. Außerdem sei in seinen Äußerungen eine massive Arbeitsverweigerung zum Ausdruck gekommen. In der Benutzung der Fäkalsprache liege eine so grundlegende Missachtung des Arbeitgebers und seiner Mitarbeiterinnen, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur für eine Sekunde unzumutbar sei. Das Arbeitsgericht habe zu Unrecht unterstellt, dass er trotz der Äußerungen bereit gewesen wäre, den Kläger weiterzubeschäftigen, wenn er die Fahrt nach U-Stadt durchgeführt hätte. Der Kläger habe versucht, eine Krankheit vorzuschieben. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts seien Anhaltspunkte erkennbar, die zwar nicht die Erkrankung selbst, wohl aber deren Intensität und die dringende Erforderlichkeit des operativen Eingriffs in Frage stellten. Er habe den Verdacht, dass der Kläger einen nicht dringend erforderlichen Eingriff habe vornehmen lassen, nachdem er gemerkt habe, dass sein Arbeitsplatz in Gefahr sei. Das Arbeitsgericht hätte deshalb seinem Beweisantrag nachgehen müssen, dass der Kläger am fraglichen Tag nicht arbeitsunfähig gewesen sei, eine Operation hätte auch später erfolgen können. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf die Schriftsätze des Beklagten vom 20.07.2010 (Bl. 284-289 d. A.) und vom 24.08.2010 (Bl. 314-316 d. A.) Bezug genommen.

10

Der Beklagte beantragt zweitinstanzlich,

11

das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 22.02.2010, Az.: 3 Ca 725/09, abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

12

Der Kläger beantragt,

13

die Berufung zurückzuweisen.

14

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderung im Schriftsatz vom 28.07.2010, auf den Bezug genommen wird (Bl. 304-309 d.A.), als zutreffend. Er habe seine Arbeit am Nachmittag des 27.02.2009 nicht verweigert. Es sei vielmehr dringend erforderlich gewesen, einen Arzt aufzusuchen, der auch sofort einen operativen Eingriff vorgenommen habe. Er habe sich nicht in der vom Beklagten dargestellten Form gegenüber den Mitarbeiterinnen V. und A. geäußert. Er habe Frau V. bereits am Telefon versucht zu erklären, dass er die gesetzlichen Ruhezeiten nicht einhalte, wenn er die Fahrt am Abend durchführe. Unabhängig von seiner Erkrankung hätte er jedenfalls wegen Überschreitung der Lenkzeiten nicht mehr fahren dürfen.

15

Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

16

Die nach § 64 ArbGG statthafte Berufung des Beklagten ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist somit zulässig.

II.

17

In der Sache hat die Berufung jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die fristlosen Kündigungen des Beklagten vom 27.02.2009 und vom 10.03.2009 nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden ist. Es endete deshalb erst am 30.06.2009 mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist.

18

Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Arbeitsgericht hat zutreffend festgestellt, dass es dem Beklagten zuzumuten war, das am 01.01.1999 begründete Arbeitsverhältnis mit dem Kläger bis zum 30.06.2009 fortzusetzen. Die dagegen gerichteten Angriffe der Berufung bleiben erfolglos.

19

1. Der Beklagte kann die zwei fristlosen Kündigungen nicht darauf stützen, dass der Kläger am 27.02.2009 im Verlauf der verbalen Auseinandersetzung mit den Büroangestellten die Fäkalsprache benutzt habe, was der Kläger bestreitet.

20

Selbst wenn sich der Kläger mit den Worten: „Ich mache die ganze Scheiße nicht mehr mit“ geweigert haben sollte, die Fahrt nach U-Stadt durchzuführen, rechtfertigt die Benutzung des Wortes „Scheiße“ im konkreten Kontext nicht den Ausspruch einer fristlosen Kündigung. Die beiden Büroangestellten V. und A. konnten die Verwendung des Wortes „Scheiße“ nach den tatsächlichen Umständen nicht als persönlich diffamierende Schmähung auffassen. Es handelt sich erkennbar nicht um eine Herabwürdigung der beiden Angestellten als Person, sondern um eine - ausfällige - Kritik an den Arbeitsbedingungen.

21

2. Soweit der Beklagte die fristlosen Kündigungen darauf zu stützen sucht, dass der Kläger am 27.02.2009 „ungehalten“ gewesen sei, und sich „in unangemessenem Ton“ geäußert habe, ist dieses Vorbringen völlig unsubstantiiert. Das gleiche gilt für das Berufungsvorbringen, die Äußerungen des Klägers seien „so drastisch“ und „verletzend“ gewesen, dass ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar gewesen sei. Was der Kläger konkret gesagt haben soll, hat der Beklagte nicht ansatzweise vorgetragen.

22

3. Die fristlosen Kündigungen vom 27.02.2009 und vom 10.03.2009 sind auch nicht wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung gerechtfertigt.

23

Dies folgt bereits daraus, dass der Beklagte die Voraussetzungen einer rechtswidrigen und schuldhaften Arbeitsverweigerung am 27.02.2009 nicht dargelegt hat. Der Kläger hätte die Arbeit nicht - wie vom Beklagten behauptet - rechtswidrig verweigert, wenn er das angeordnete Fahrtziel in U-Stadt nur unter Überschreitung der gesetzlich zulässigen Arbeitszeit hätte erreichen können.

24

Der Kläger hat hierzu vorgetragen, er habe am 27.02.2009 die Weiterfahrt verweigert, weil er ansonsten die zulässige Höchstarbeitszeit für Kraftfahrer überschritten hätte. Zum Nachweis hat er sich auf seine handschriftlichen Eintragungen im Fahrtenbuch vom Februar 2009 (Bl. 99 d.A.) berufen und ausgeführt, er habe am 27.02.2009 seine Arbeit bereits um 6:00 Uhr angetreten. Wenn er die angeordnete Fahrt nach U-Stadt noch durchgeführt hätte, wären seit Schichtbeginn 12 Stunden vergangen. Er hätte mindestens 9 Stunden Pause machen müssen, statt der 3 Stunden, die ihm beklagtenseits zugestanden worden seien. Aus dem Fahrtenbuch für Februar 2009 ergebe sich, dass er in der 6. KW 60 Stunden, in der 7. KW 64,5 Stunden, in der 8. KW 56,5 Stunden und in der 9. KW 54 Stunden, mithin insgesamt 235 Stunden, gearbeitet habe.

25

Es war Sache des Beklagten dieses Rechtfertigungsvorbringen des Klägers zu widerlegen. Der kündigende Arbeitgeber ist darlegungs- und beweispflichtig für alle Umstände des wichtigen Grundes im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB. Ihn trifft daher die Darlegungs- und Beweislast auch für diejenigen Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen (st. Rechtsprechung des BAG, vgl. u.a. Urteil vom 17.06.2003 - 2 AZR 123/02 - NZA 2004, 564 - Juris, Rn. 24, m.w.N.).

26

Tatsächlich hat der Beklagte das Fahrtenbuch des Klägers lediglich für 2 Tage (26. und 27.02.2009) vorgelegt und vorgetragen, diesen Unterlagen sei zu entnehmen, dass der Kläger am 26.02.2009 „völlig normal“ gearbeitet habe. Am 27.02.2009 habe er eine Fahrtzeit von 3,53 Stunden und eine Schichtzeit von 7 Stunden aufzuweisen gehabt, als er sich im Büro gemeldet habe. Die maximal mögliche Schichtzeit hätte 12 Stunden betragen. Dem Kläger sei angeboten worden, „einige Stunden“ nach Hause zu gehen und dann in U-Stadt zu laden. Die Übernachtung hätte dann dort erfolgen können. Es habe somit keinerlei Grund bestanden, die Arbeit zu verweigern.

27

Dieser Vortrag genügt angesichts der komplexen Arbeitszeitvorschriften im Straßengüterverkehr nicht ansatzweise, um darzulegen, dass der Kläger die angeordnete Fahrt nach U-Stadt ohne Überschreitung der zulässigen Höchstarbeitszeit hätte durchführen können. Die Vorschrift des § 21 a ArbZG i.V.m. der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 über Lenkzeiten, Fahrtunterbrechungen und Ruhezeiten enthält spezifische Arbeitszeitregelungen für die Beschäftigung von Kraftfahrern im Straßengüterverkehr. Kernpunkt des § 21 a ArbZG ist die Beschränkung der Wochenarbeitszeit auf durchschnittlich 48 Stunden sowie auf maximal 60 Stunden Höchstarbeitszeit in der Spitze. Die Woche ist nach § 21 a Abs. 2 ArbZG definiert als der Zeitraum von Montag 0 Uhr bis Sonntag 24 Uhr, also als Kalenderwoche. Nach Art. 6 der VO Nr. 561/2006 darf die tägliche Lenkzeit 9 Stunden nicht überschreiten; sie darf höchstens zweimal in der Woche auf höchstens 10 Stunden verlängert werden (Abs. 1). Die wöchentliche Lenkzeit darf höchstens 56 Stunden betragen (Abs. 2). Die summierte Gesamtlenkzeit während zweier aufeinander folgender Wochen darf 90 Stunden nicht überschreiten (Abs. 3).

28

Der Beklagte hat vorliegend noch nicht einmal die Wochenarbeitszeit des Klägers in der Kündigungswoche ab Montag, dem 23.02.2009 konkret dargelegt, sondern sich auf lediglich 2 Tage beschränkt. Es fehlt jedweder Vortrag zur konkreten Wochenlenkzeit und zur Doppelwochenlenkzeit. Aus dem vorgelegten Fahrtenbuch für den 26.02.2009, an dem der Kläger „völlig normal“ gearbeitet haben soll, ergibt sich, dass er für 12 Fahrten mit einer Wegstrecke von 517,72 km eine Fahrtzeit von 08:15:43 Stunden und eine Gesamtschichtzeit von 11:46:56 Stunden absolviert hat. Am 27.02.2009 ist er laut Fahrtenbuch des Beklagten um 06:33 Uhr gestartet und um 13:38 Uhr nach einer Wegstrecke von 241,39 km im Betrieb angekommen. Er hat an diesem Freitag eine Fahrtzeit von 03:55:17 Stunden und eine Gesamtschichtzeit von 07:05:06 Stunden absolviert. Zwar hätte der Kläger bei einer Weiterfahrt nach U-Stadt die Tageslenkzeit nicht überschritten, ob er allerdings die Wochenarbeitszeit, die Wochenlenkzeit oder die Doppelwochenlenkzeit nicht überschritten hätte, kann mangels substantiiertem Vortrag des Beklagten nicht überprüft werden. Es ist ebenfalls nicht feststellbar, ob der Kläger bei einer Weiterfahrt nach U-Stadt die gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten hätte einhalten können. Nach seiner Ankunft im Betrieb des Beklagten um 13:38 Uhr hätte er jedenfalls nicht „mindestens 4 Stunden Freizeit gehabt“, wenn er um 18:00 Uhr in U-Stadt (Entfernung 35 km über B 39) eintreffen sollte.

29

Der Vortrag des Beklagten im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 10.09.2009 (dort Seite 5) erschöpft sich in der schlagwortartigen Nennung von Durchschnittswerten. So hat der Beklagte vorgetragen, im Februar 2009 habe die wöchentliche Gesamtarbeitszeit des Klägers im Durchschnitt 47,53 Stunden betragen, die durchschnittliche reine Lenkzeit 29,53 Stunden und die durchschnittliche wöchentliche Pausenzeit 115,13 Stunden. „Alleine in der letzten Woche“ hätten sich folgende Zeiten ergeben: „Gesamtzeit 45 Stunden 42 Minuten, reine Lenkzeit 30 Stunden 17 Minuten, Pausen 141 Stunden 24 Minuten. Im Hinblick darauf, dass in der letzten Arbeitswoche des Klägers von Montag, 23.02.2009, 0 Uhr bis Freitag, 27.02.2009, 13:38 Uhr (Ankunft) auf der Zeitschiene nur 109,63 Stunden vergangen sind, ist diese Rechnung nicht nachvollziehbar. Wegen der Unsubstantiiertheit des gesamten Vortrages zu den Durchschnittszeiten wäre die Einholung des angebotenen Sachverständigengutachtens oder die Vernehmung der hierfür benannten Zeugin im Übrigen auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinausgelaufen.

30

4. Der Beklagte kann die fristlosen Kündigungen schließlich auch nicht darauf stützen, dass der Kläger am 27.02.2009 eine Erkrankung nur vorgeschoben habe, um die Fahrt nach U-Stadt nicht durchführen zu müssen.

31

Die Berufungskammer geht in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts davon aus, dass die Androhung, sich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu verschaffen, um dem Arbeitgeber durch diese Androhung eine bestimmte gewünschte Vergünstigung abzupressen, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstellt. Erklärt der Arbeitnehmer, er werde krank, wenn der Arbeitgeber einem bestimmten Begehren nicht nachgibt, obwohl er im Zeitpunkt der Ankündigung nicht krank war und sich aufgrund bestimmter Beschwerden auch noch nicht fühlen konnte, so ist ein solches Verhalten ohne Rücksicht darauf, ob der Arbeitnehmer tatsächlich erkrankt, an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung abzugeben (vgl. BAG Urteil vom 12.03.2009 - 2 AZR 251/07 - AP Nr. 15 zu § 626 BGB Krankheit, m.w.N.).

32

Dagegen ist der krankheitsbedingt arbeitsunfähige Arbeitnehmer nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet und der Arbeitgeber ist nicht berechtigt, diese zu verlangen. Dies gilt auch wenn der Arbeitnehmer bislang trotz bestehender Erkrankung -insoweit ggf. überobligatorisch- dem Arbeitgeber seine Arbeitsleistung angeboten haben sollte. War der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Ankündigung eines künftigen, krankheitsbedingten Fehlens aber bereits objektiv erkrankt und durfte er davon ausgehen, auch (weiterhin) wegen Krankheit arbeitsunfähig zu sein, kann nicht mehr angenommen werden, sein fehlender Arbeitswille und nicht die bestehende Arbeitsunfähigkeit sei Grund für das spätere Fehlen am Arbeitsplatz. Ebenso wenig kann dem Arbeitnehmer dann zum Vorwurf gemacht werden, er nehme notfalls eine wirtschaftliche Schädigung des Arbeitgebers in Kauf, um die von ihm erstrebte Befreiung von der Arbeitspflicht zu erreichen (vgl. BAG Urteil vom 12.03.2009 - 2 AZR 251/07 - a.a.O.).

33

So liegen die Dinge hier. Der Kläger hat unstreitig am Nachmittag des 27.02.2009 den Durchgangsarzt Dr. med. S. aufgesucht, weil sich eine Wunde an seinem Fußzeh entzündet hatte. Der Arzt hat die Wunde sofort chirurgisch behandelt. Der Kläger war wegen dieser Verletzung, die die zuständige Berufsgenossenschaft als Folge eines Arbeitsunfalls anerkannt hat, bis einschließlich 22.03.2009 arbeitsunfähig krankgeschrieben. Der Beklagte hat keine Umstände dargelegt, die zu ernsthaften Zweifeln an einer Arbeitsunfähigkeit des Klägers Anlass geben. Er bestreitet zweitinstanzlich nicht das Vorliegen einer Erkrankung, wohl aber deren Intensität und die dringende Erforderlichkeit des operativen Eingriffs am Freitagnachmittag. Diese Erwägungen des Beklagten sind nicht geeignet, den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern. Nach § 34 Abs. 1 SGB VII ist ein Durchgangsarzt verpflichtet, alle Maßnahmen zu treffen, durch die eine möglichst frühzeitig nach dem Versicherungsfall einsetzende sachgemäße Heilbehandlung und, soweit erforderlich, besondere unfallmedizinische Behandlung gewährleistet wird. Wenn der von den Berufsgenossenschaften zugelassene Durchgangsarzt Dr. S. noch am Nachmittag des 27.02.2009 die Wunde des Klägers chirurgisch behandelt hat, kann der Beklagte die Dringlichkeit dieses Eingriffs nicht einfach bestreiten. Der Kläger war insbesondere nicht verpflichtet, diesen Eingriff zu verschieben, um die angeordnete Fahrt nach U-Stadt durchzuführen. Deshalb bestand für das Arbeitsgericht kein Anlass, Beweis darüber zu erheben, dass die Operation auch später hätte erfolgen können.

III.

34

Nach alledem war die Berufung des Beklagten mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.

35

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 08. April 2009 - 4 B 286/09 - zu Ziffer 1 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

1

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den ihm am 30. April 2008 zugestellten Beschluss des Verwaltungsgerichts, die mit am 07. Mai 2009 eingegangenem Schriftsatz fristgemäß (§147 Abs. 1 Satz 1 VwGO) eingelegt und ebenso fristgerecht (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) begründet worden ist, hat keinen Erfolg.

2

Gegenstand der Prüfung durch den Senat sind nur die vom Antragsteller dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), die sich ausschließlich gegen die Sachentscheidung unter Ziffer 1 des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses richten. Diese rechtfertigen keine Abänderung des angefochtenen Beschlusses.

3

Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung darauf gestützt, dass die angegriffene Verfügung sich nach dem Prüfungsmaßstab des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes als offensichtlich rechtmäßig erweise. Der Antragsteller sei wegen des unbestrittenen Konsums von Amphetamin ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen nach Maßgabe von § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c StVG, § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV i.V.m. Nr. 9.1 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV. Folglich sei seine Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 FeV vom Antragsgegner zu entziehen gewesen. Bei dem Genuss von Amphetamin sei es unerheblich, ob der Antragsteller unter dem Einfluss der Droge ein Kraftfahrzeug geführt habe.

4

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist auch unter dem Eindruck des Beschwerdevorbringens nicht zu beanstanden.

5

Sie steht hinsichtlich ihrer rechtlichen Grundlagen in Übereinstimmung mit den in der Rechtsprechung des Senats im Zusammenhang mit der Einnahme sog. "harter Drogen" entwickelten Grundsätzen (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 10.12.2003 - 1 M 2/04 -; Beschl. v. 28.07.2004 - 1 M 149/04 -; Beschl. v. 22.07.2005 - 1 M 76/05 -; Beschl. v. 21.02.2006 - 1 M 22/06 -, juris; Beschl. v. 04.11.2008 - 1 M 126/08; vgl. zuletzt auch Beschl. v. 09.03.2009 - 1 M 5/09 - und v. 11.03.2009 - 1 M 29/09). Insbesondere ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass grundsätzlich bzw. im Regelfall bereits die einmalige - bewusste - Einnahme von sogenannten "harten Drogen" die Annahme der Nichteignung rechtfertigt, ohne dass ein Zusammenhang zwischen dem Drogenkonsum und der Teilnahme am Straßenverkehr bestehen müsste (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 28.07.2004 - 1 M 149/04 -; Beschl. v. 22.07.2005 - 1 M 76/05 -; Beschl. v. 21.02.2006 - 1 M 22/06 -, juris; vgl. in der neuesten Rspr. ebenso VGH München, Beschl. v. 27.03.2009 - 11 CS 09.85 -, juris; Beschl. v. 24.03.2009 - 11 CS 08.2881 -, juris; Beschl. v. 24.11.2008 - 11 CS 08.2665 -, juris; OVG Saarlouis, Beschl. v. 14.05.2008 - 1 B 191/08 -, juris; Beschl. v. 30.03.2006 - 1 W 8/06 -, juris; OVG Hamburg, Beschl. v. 24.01.2007 - 3 Bs 300/06 -, juris; OVG Münster, Beschl. v. 06.03.2007 - 16 B 332/07 -, NWVBl 2007, 232 - zitiert nach juris; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 05.09.2008 - 7 K 2965/08 -; VG Braunschweig, Beschl. v. 23.02.2005 - 6 B 66/05 -, NJW 2005, 1816, 1817; OVG Weimar, Beschl. v. 30.04.2002 - 2 EO 87/02 -, ThürVBl. 2002, 283 - zitiert nach juris; vgl. auch OVG Koblenz, Beschl. v. 25.07.2008 - 10 B 10646/08 -, Blutalkohol 45, 418 - zitiert nach juris).

6

Der Antragsteller bestreitet die Einnahme von Amphetamin nicht; bei Amphetamin handelt es sich um eine "harte Droge" im vorstehenden Sinne (vgl. z.B. OVG Saarlouis, Beschl. v. 30.03.2006 - 1 W 8/06 -, juris; OVG Lüneburg, Beschl. v. 16.06.2003 - 12 ME 172/03 -, DAR 2003, zitiert nach juris). Folglich ist die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Antragsteller sei ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, nicht zu beanstanden.

7

Das Beschwerdevorbringen des Antragstellers rechtfertigt keine andere Sichtweise. Er macht im Wesentlichen geltend, es sei nicht unerheblich, ob er unter dem Einfluss der Droge ein Kraftfahrzeug geführt habe. Bei ihm sei im Blut nur eine so geringe Menge der Droge festgestellt worden, dass ein Ordnungswidrigkeiten- oder Strafverfahren nicht eingeleitet worden sei. Der von der Grenzwertkommission festgesetzte Grenzwert sei nicht erreicht worden, so dass eine verkehrsgefährdende Drogenwirkung nicht anzunehmen sei.

8

Dieses Vorbringen verkennt, dass nach den einschlägigen Bestimmungen der Fahrerlaubnis-Verordnung grundsätzlich bzw. im Regelfall bereits die einmalige - bewusste - Einnahme von sogenannten "harten Drogen" die Annahme der Nichteignung rechtfertigt, ohne dass ein Zusammenhang zwischen dem Drogenkonsum und der Teilnahme am Straßenverkehr bestehen bzw. bei Teilnahme am Straßenverkehr eine Überschreitung des betreffenden Grenzwertes feststellbar sein müsste:

9

Nr. 9.1 Anlage 4 FeV verneint die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Falle der Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis). Nach Maßgabe der Vorbemerkung Nr. 3 Anlage 4 FeV gilt diese Bewertung für den Regelfall, wobei Kompensationen durch besondere menschliche Veranlagung, durch Gewöhnung, durch besondere Einstellung oder durch besondere Verhaltenssteuerungen und -umstellungen möglich sind. Ergeben sich im Einzelfall Zweifel, kann danach eine medizinisch-psychologische Begutachtung angezeigt sein. Grundlage der Beurteilung, ob im Einzelfall Eignung oder bedingte Eignung vorliegen, ist gemäß Vorbemerkung Nr. 2 Anlage 4 FeV in der Regel ein ärztliches Gutachten (§ 11 Abs. 2 Satz 3), in besonderen Fällen ein medizinisch-psychologisches Gutachten (§11 Abs. 3) oder ein Gutachten eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr (§ 11 Abs. 4). Unter Berücksichtigung von § 11 Abs. 7 FeV bedeutet dies: Für die Feststellung der Nichteignung nach Nr. 9.1 Anlage 4 FeV wegen der Einnahme von Betäubungsmitteln ist nur ausnahmsweise ein medizinisch-psychologisches Gutachten (§ 11 Abs. 3 FeV) oder ein Gutachten eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr (§ 11 Abs. 4 FeV) erforderlich. Basis der normativen Regelfallannahme der Nichteignung ist in der Regel ein ärztliches Gutachten (§ 11 Abs. 2 Satz 3 FeV). Nicht ausreichend ist im Umkehrschluss regelmäßig beispielsweise das Auffinden von Amphetamin anlässlich einer Verkehrskontrolle im PKW eines Kraftfahrzeugführers, auch wenn etwa ein Polizeibeamter in dessen Person drogenbedingte Ausfallerscheinungen festgestellt hat (vgl. OVG Koblenz, Beschl. v. 05.12.2001 - 7 B 11762/01 -, Blutalkohol 2002 , S.385). Grundsätzlich notwendig, aber auch hinreichend ist vielmehr eine - im Gegensatz zu Gutachten nach § 11 Abs. 3, 4 FeV - "schlichte" ärztliche (vgl. zur erforderlichen Qualifikation des Arztes § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 - 5, Satz 5 FeV) Feststellung des Drogenkonsums, vergleichbar der medizinischen Diagnose einer eignungsbeeinflussenden Gesundheitsstörung bzw. Krankheit, wie sie ebenfalls in Anlage 4 FeV aufgelistet sind. Die rechtsmedizinische (vgl. §11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 4 FeV) Feststellung einer Konzentration von Amphetamin oder Kokain im Blut eines Kraftfahrzeugführers stellt ein ärztliches Gutachten in diesem Sinne bzw. nach Vorbemerkung Nr. 2 zur Anlage 4 FeV dar (vgl. VG Leipzig, Beschl. v. 21.02.2001 - 1 K 176/01 -, Blutalkohol 2001 , S. 480, 482). Nach der Systematik der genannten Vorbemerkung kommt es für die Frage, ob die Einholung eines Gutachtens notwendig ist, darauf an, ob ein "Einzelfall" vorliegt (vgl. die dortige Nr. 2 und Nr. 3 Satz 2, als Ausnahmeregelungen zu den Grundsätzen in Nr. 1 und Nr. 3 Satz 1). Ist nach der in dem betreffenden Abschnitt der Anlage 4 für den in Rede stehenden Mangel (hier: Einnahme von Betäubungsmitteln außer Cannabis) vorgenommenen Wertung ohne Einschränkung von fehlender Eignung ("Nein") auszugehen, so führt dies im Regelfall zum Ausschluss der Fahreignung; nur unter besonderen Umständen bleibt demnach Raum für weitere Ermittlungen durch Einholen von Gutachten (vgl. zum Ganzen OVG Greifswald, Beschl. v. 21.02.2006 - 1 M 22/06 -, juris; Beschl. v. 09.03.2009 - 1 M 5/09 -; OVG Hamburg, Beschl. v. 24.01.2007 - 3 Bs 300/06 -, juris; OVG Saarlouis, Beschl. v. 30.03.2006 - 1 W 8/06 -, juris).

10

Soweit der Antragsteller mit seinem Hinweis darauf, ein Ordnungswidrigkeiten- oder Strafverfahren sei gegen ihn nicht eingeleitet worden, möglicherweise einen Norm- und Wertungswiderspruch zwischen den Vorschriften in den §§ 24a Abs. 2, 25 Abs. 1 Satz 2 StVG und den Vorschriften nach § 46 Abs. 1 FeV i.V.m. Nr. 9.1 der Anlage 4 andeuten will, besteht ein solcher nicht: Zwar ergibt sich aus den §§ 24a Abs. 2, 25 Abs. 1 Satz 2 StVG, dass der Gesetzgeber als Ahndung des Führens eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr unter der Wirkung eines Betäubungsmittels im Rahmen eines Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahrens neben der Geldbuße ein Fahrverbot als ausreichend ansieht. Im Verfahren über die Verhängung eines Fahrverbots nach § 25 StVG wird aber nicht über die Frage der Eignung eines Kraftfahrers entschieden, sondern die Möglichkeit eröffnet, eine erzieherische Nebenfolge zu verfügen. Auch das Verfahren wegen einer Ordnungswidrigkeit nach §24a Abs. 2 StVG hat wie andere Bußgeldverfahren wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit nicht die Frage der Eignung eines Kraftfahrers zum Führen von Kraftfahrzeugen zum Gegenstand. Weil der Gesetzgeber in den Vorschriften der §§ 24a Abs. 2, 25 Abs. 1 StVG den Bereich der Fahreignung nicht geregelt hat, können die Vorschriften über die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen mangelnder Eignung bei Betäubungsmittelkonsum dazu nicht in einem Normwiderspruch stehen. Auch ein Wertungswiderspruch ist nicht feststellbar, weil die genannten Vorschriften mit der Sanktionierung eines Verhaltens bzw. mit der Entziehung der Fahrerlaubnis als Maßnahme der Gefahrenabwehr grundsätzlich andere Regelungsbereiche zum Gegenstand haben (vgl. zum Ganzen OVG Hamburg, Beschl. v. 20.11.2007 - 3 So 147/06 -, NJW 2008, 1465 m.w.N. - zitiert nach juris).

11

Folglich kommt vorliegend dem Umstand, dass der Antragsteller mit einer Konzentration von 22,7 ng/ml Amphetamin nicht den entsprechenden von der Grenzwertkommission beschlossenen Wert (25 ng/ml; vgl. dazu Eisenmenger, Drogen im Straßenverkehr - Neue Entwicklungen, NZV 2006, 24, 25) erreicht hat, bei der Eignungsprüfung grundsätzlich keine Bedeutung zu. Dieser Grenzwert hat wegen der gebotenen verfassungskonformen Auslegung (vgl. BVerfG, Beschl. vom 21.12.2004 - 1 BvR 2652/03 -, NJW 2005, 349 - zitiert nach juris) zwar Bedeutung für die Verwirklichung des Bußgeldtatbestandes des § 24a Abs. 2 StVG, nicht hingegen für die Frage, ob Amphetamin als Betäubungsmittel eingenommen wurde. Die für die Kraftfahreignung relevante Frage der Einnahme eines Betäubungsmittels lässt sich unabhängig von der vorgefundenen Konzentration beantworten, weil es hierfür im Unterschied zum Konsum von Cannabis nicht darauf ankommt, ob der Betroffene unter dem Einfluss des Betäubungsmittels ein Kraftfahrzeug geführt hat und folglich nicht zwischen dem Drogenkonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeuges zu trennen vermag (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 15.02.2008 - 1 S 186.07 -, juris). Insoweit kommt es auf die Ausführungen des Antragstellers insbesondere zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Konsum von Cannabis und dessen Nachweis ebensowenig an wie auf das von ihm - und vom Verwaltungsgericht - angesprochene Thema sog. "Flashbacks".

12

Dass vorliegend abweichend vom Regelfall trotz des Konsums von Amphetamin durch den Antragsteller dessen Fahreignung zu bejahen sein könnte, ist nicht ersichtlich. Im Gegenteil deutet seine Einlassung gegenüber der Polizei, er habe "schon einmal BTM probiert", auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass dies schon länger her gewesen sein soll, auf das Vorliegen eines Regelfalles hin.

13

Soweit der Antragsteller sich gegen die Äußerung des Verwaltungsgerichts wendet, es seien Zweifel an der Richtigkeit des medizinisch-psychologischen Gutachtens vom 22. Februar 2006 entstanden, seit der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis am 28. Februar 2006 seien bei ihm erneut acht Punkte aufgelaufen, ist darauf hinzuweisen, dass diese Erwägungen nicht die aktuelle Annahme der Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen begründen sollen. Sie stehen vielmehr im Zusammenhang mit einer etwaigen künftigen Neuerteilung der Fahrerlaubnis bzw. Wiedererlangung der Eignung und sind nicht entscheidungstragend, sondern vielmehr als Hinweis an die zuständige Behörde zu verstehen, welche Umstände vor einer Neuerteilung zu berücksichtigen sein dürften. Insoweit ist es auch aus Sicht des Senats nachvollziehbar, wenn das Verwaltungsgericht damit zum Ausdruck bringt, im Falle eines Antrags auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis werde sich der Antragsteller einer besonders kritischen Überprüfung seiner Eignung unterziehen müssen.

14

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3, 47 GKG.

15

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (vgl. § 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Tatbestand

1

Der Kläger ist Polizeivollzugsbeamter im Rang eines Kriminalhauptmeisters und wendet sich gegen eine von der Beklagten ihm gegenüber ausgesprochene Disziplinarmaßnahme in Form der Geldbuße von 100,00 Euro.

2

Mit der streitbefangenen Disziplinarverfügung vom 26.04.2012 wird dem Kläger vorgeworfen, dass er am 05.06.2011 während des Bereitschaftsdienstes im Revierkriminaldienst des Polizeireviers B-Stadt bei einer erkennungsdienstlichen Behandlung den Beschuldigten aufgefordert habe: „Halte die Hand so, wie beim bösen Adolf.“

3

Mit dieser Wortwahl habe der Beamte gegen die sogenannte aus § 34 Satz 3 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) resultierende Wohlverhaltenspflicht verstoßen und somit ein Dienstvergehen gem. § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG schuldhaft begangen. Die Wohlverhaltenspflicht sei die Grundsatznorm für das Verhalten eines jeden Beamten. Der Beamte habe generell die Gebote, die sich aus Sitte, Ehre und Anstand ergeben soweit zu beachten, wie dies die dienstliche Stellung erfordere. Der Umgang und die Zusammenarbeit sowohl untereinander, gegenüber Vorgesetzen als auch gegenüber dem Bürger sollten von gegenseitiger Achtung und Respekt geprägt sein. Die Einlassung des Beamten dahingehend, dass er stets bemüht sei mit den Betroffenen eine einfache Umgangssprache zu suchen und er mit der Wortwahl habe erreichen wollen, dass der Beschuldigte die Hand zum Zweck der erkennungsdienstlichen Behandlung steif halte, könne ihn nicht entlasten. Die Unangemessenheit der Äußerung müsse sich bereits aus der beamtenrechtlichen Pflicht zum aktiven Eintreten für die freiheitlich-demokratische Grundordnung aufdrängen. Die Bemerkung könne als Verharmlosung des Nationalsozialismus missverstanden werden und sei geeignet, erhebliche Irritationen und Fehldeutungen auszulösen. Ein derartiges Verhalten sei geeignet, eine Achtungs- und Ansehensschädigung des Polizeibeamtentums herbeizuführen. Weder der Dienstherr noch die Allgemeinheit könnten Verständnis dafür aufbringen, wenn ein Polizeibeamter sich im Rahmen seiner amtlichen Tätigkeit derart unsensibel, unangemessen und taktlos verhalte.

4

Als langjähriger und erfahrener Polizeibeamter hätte dem Kläger die Brisanz der Wortwahl insbesondere gegenüber einem Beschuldigten im Strafverfahren erkennbar sein müssen. Rechtsfertigungs- und Schuldausschließungsgründe seien nicht gegeben.

5

Bei der Wahl der Disziplinarmaßnahme sei die disziplinarrechtliche Vorbelastung des Klägers aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 13.04.2010 (8 A 20/09 MD) mit zu berücksichtigen. Dem lag ein Pflichtenverstoß nach § 34 Satz 1 und § 35 Satz 2 BeamtStG zugrunde, weil der Beamte die Aufforderung des Einsatzbeamten zum Dienstantritt während der Rufbereitschaft nicht unmittelbar nachgekommen sei und den Dienst quasi eigenständig gestaltet habe. Auch sei es zu beachten, dass der Beamte am 03.05.2011 Beamte der Landesbereitschaftspolizei mit den Worten: „Die Trottel, die den Kunden hierher gebracht haben, können das gefälligst selber machen. Was schleppt ihr diesen Scheißtypen an? Wegen euch muss ich auf Arbeit. Macht eure Scheiße alleine“, beleidigt habe. Der Beamte habe sich für diesen Vorfall entschuldigt.

6

Demnach müsse insgesamt die fehlende Einsichtsfähigkeit des Beamten hinsichtlich der dienstlichen Aufgabenwahrnehmung und seinem dienstlichen Verhalten festgestellt werden. Positiv sei zu berücksichtigen, dass der Kläger gute dienstliche Leistungen zeige.

7

Aufgrund der im Disziplinarrecht angelegten stufenweisen Steigerung der Disziplinarmaßnahmen, sei eine Disziplinarmaßnahme in Form der Geldbuße und hier in Höhe von 100,00 Euro geeignet, erforderlich und auch angemessen, mithin verhältnismäßig.

8

Den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.08.2012 unter vertiefter Begründung des Ausgangsbescheides als unbegründet zurück.

9

Mit der dagegen fristgerecht erhobenen Klage wendet sich der Kläger weiter gegen die Disziplinarmaßnahme. Ein Dienstvergehen liege bereits nicht vor. Eine dem Nationalsozialismus verharmlosende Wortwahl sei wegen des distanzierenden Wortes „böse“ nicht gegeben. Vielmehr sei damit gleichsam veralbernd die Distanz zum Nationalsozialismus zum Ausdruck gebracht worden. Der Polizeibeamte müsse im täglichen Umgang dem Bürger und Beschuldigten gegenüber eine möglichst „einfache“ Sprache pflegen und sich leicht verständlich ausdrücken. Nur diesem Zweck, nämlich die Hände bei der erkennungsdienstlichen Behandlung steifzuhalten, habe die Wortwahl bezweckt. Die Veralberung habe auch der Beschuldigte als solche verstanden. Im Übrigen zieht der Kläger den Vergleich zu satirischen Äußerungen im öffentlichen Raum.

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Der Kläger beantragt,

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die Disziplinarverfügung der Beklagten vom 26.04.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.08.2012 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen

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und verteidigt die disziplinarrechtliche Ahndung des Pflichtenverstoßes.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie des Verfahrens 8 A 20/09 MD und den beigezogenen Verwaltungsvorgang verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet. Denn die angefochtene Disziplinarverfügung in Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 3 DG LSA; § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Disziplinarverfügung ist auch zweckmäßig (§ 59 Abs. 3 DG LSA).

17

Das Disziplinargericht geht mit den Gründen der Disziplinarverfügung davon aus, dass der Kläger schuldhaft gegen seine sogenannte Wohlverhaltenspflicht in Form der Ansehensschädigung nach § 34 Satz 3 BeamtStG verstoßen und damit ein im Dienst begangenes Dienstvergehen nach § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG begangen hat. Der Kläger ist als Polizeibeamter mit der von ihm verwandten Wortäußerung während der Dienstausübung nicht der Achtung und dem Vertrauen gerecht geworden, wie es sein Beruf erfordert. Die Wohlverhaltenspflicht ist als Auffangtatbestand für alle Dienstpflichten anzusehen, die keine spezielle Regelung in den Beamtengesetzen gefunden haben. Letzten Endes gehen alle Dienstpflichten aus ihr hervor (vgl. nur: Hummel/Köhler/Mayer: BDG, 4. Auflage 2009, S. 305).

18

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Kläger die ihm vorgehaltene Wortwahl geäußert hat. Dabei stellt das Gericht zunächst fest, dass die hier zu beurteilende Wortwahl durchaus geeignet ist, die ihm vorgehaltene Ansehensschädigung des Berufstandes der Polizeibeamten hervorzurufen.

19

Hinsichtlich der Abgrenzung zwischen einem dienstlichen und einem außerdienstlichen Dienstvergehen hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die Erfordernisse, die der Beruf an Achtung und Vertrauen stellt, sich aus dem jeweiligen konkret-funktionellen Amt ergeben, wobei es ausreichend ist, wenn ein Verhalten zur Beeinträchtigung von Achtung und Vertrauen geeignet ist; eine tatsächliche Beeinträchtigung ist nicht erforderlich (vgl. BVerwG, U. v. 08.05.2001, 1 D 20.00; VG MD, U. v. 08.06.2011, 8 A 16/10 MD; beide juris). Danach muss bei einem außerdienstlichen Fehlverhalten eine Handlung in besonderem Maße geeignet sein, die Ansehensschädigung hervorzurufen, was nunmehr in die Neufassung des § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG eingeflossen ist. Dieser Vergleich zwischen dienstlichem und außerdienstlichem Fehlverhalten belegte aber bereits, dass die im Dienst durch den Beamten als Träger öffentlicher Gewalt begangene Ansehensschädigung schwerer wiegt. Das erkennende Disziplinargericht war schön mehrfach mit der disziplinarrechtliche Bewertung und Ahndung eines ansehensschädigenden Verhaltens und besonders hinsichtlich der Wortwahl beschäftigt.

20

So hat das Verwaltungsgericht Magdeburg bezüglich eines beamtenrechtlichen Verbotes der Führung der Dienstgeschäfte wegen der Äußerung eines Justizvollzugsbeamten: „Die kann man nicht mehr behandeln, die kann man nur noch vergasen“, eine Ansehensschädigung des Justizvollzugsdienstes und des gesamten Berufsbeamtentums angenommen (B. v. 16.11.2009, 5 B 279/09 MD, bestätigt durch OVG LSA, B. v. 22.12.2009, 1 M 87/09; beide juris). In dem Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 08.06.2011 (8 A 16/10 MD; juris) setzt sich das Gericht disziplinarrechtlich mit einer als Ansehensschädigung anzunehmenden Wortwahl einer Gerichtsvollzieherin aus dem Fäkalbereich auseinander. In seinem Urteil vom 01.12.2011 (8 A 18/10 MD; juris) stellt die Disziplinarkammer fest, dass auch ein Nichteinschreiten eines ehrenamtlichen Bürgermeisters gegen eine in seinem Beisein vorgenommene Handlung des Straftatbestandes der Volksverhetzung (Sommersonnenwendfeier, Bücherverbrennung) eine beamtenrechtliche Pflichtenverletzung hinsichtlich des Wohlverhaltens darstellen kann. Das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt hat in einem Urteil vom 15.04.2010 (10 L 4/09; n. v.) hinsichtlich eines Polizeivollzugsbeamten, welcher zu einem Angelausflug unter der Überschrift „Operation Weserübung“ eingeladen hat die vom erkennenden Disziplinargericht (Urteil v. 10.11.2009, 8 A 11/09 MD; n. v.) festgestellte Ansehensschädigung bestätigt und ausgeführt, dass dieser Begriff die Invasion der Wehrmacht in Norwegen und Dänemark, mithin den Angriff deutschen Militärs auf Staaten, die dem deutschen Reich neutral gegenüberstanden, bezeichnet. Hiernach sei die Verwendung dieses Begriffs verfehlt wie geschmacklos. Auch die dort weiter verwendeten Begriffe wie „Kampfgruppe“, „Marschfahrzeuge“, „oberste Seekriegsleitung“, „Heeresgruppe“, „schwere Zerstörer“ usw. seien eindeutig dem militärischen Sprachgebrauch entnommen und zwar einem Sprachgebrauch, welcher jedenfalls für die militärischen Operationen der Wehrmacht im dritten Reich prägend gewesen seien. Auch die Wortwahl „erfolgreicher Feldzug“ erwecke den Eindruck, als solche ein völkerrechtswidriger Angriff auf neutrale Staaten zu verherrlichen.

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Das Disziplinargericht legt Wert auf die Feststellung, dass dem Kläger keine nationalsozialistischen Bestrebungen oder Gesinnungen unterstellt werden. Auch sind vorliegend keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der seinerzeit erkennungsdienstlich behandelte Beschuldigte die Wortwahl des Beamten als verletzend oder dem Nationalsozialismus zuzurechnend angesehen hat. Darauf kommt es aber aufgrund der oben genannten Definition des Bundesverwaltungsgerichts auch nicht entscheidend an. Denn für den Tatbestand der Ansehensschädigung ist es ausreichend, wenn ein Verhalten zur Beeinträchtigung von Achtung und Vertrauen geeignet ist, so dass eine tatsächliche Beeinträchtigung nicht erforderlich ist (BVerwG, U. v. 08.05.2011, 1 D 20.00; juris). So auch bei einer beleidigenden Fäkalsprache (BVerfG, B. v. 05.12.2008, 1 BvR 1318/07; OLG Stuttgart, U. v. 16.06.2010, 4 U 20/10; LAG Rheinland-Pfalz, U. v. 16.12.2010, 10 Sa 308/10; alle juris).

22

Gerade der Beruf des Polizeivollzugsbeamten erfordert wegen des täglichen Umgangs mit Bürgern, Beschuldigten, Zeugen, Geschädigten, also Menschen einen sachlichen und angemessenen Umgang mit diesen. Der Umgang sollte von Respekt vor dem jeweiligen Gegenüber geprägt sein. Dabei ist die Spannbreite der durch Verbaläußerungen verursachten Ansehensschädigung des Berufsstandes sehr groß und kann nur im Einzelfall bewertet werden.

23

Dem Kläger hätte als lebens- und berufserfahrenen sowie geschulten Polizeibeamten klar sein müssen, dass eine Wortwahl jeglicher Art aus dem Bereich des Nationalsozialismus während der dienstlichen Aufgabenerfüllung generell inakzeptabel und damit unangebracht ist. Dabei geht es nicht darum, dass der „Dienstherr Äußerungen nicht wünscht, die an Diktaturen und Diktatoren auf deutschem Boden erinnern“ oder „generell Assoziationen zum Nationalsozialismus auch in Form negativer Äußerungen unerwünscht“ seien, wie es der Kläger im Ermittlungsverfahren ausgedrückt hat. Nicht das Totschweigen des Nationalsozialismus und seiner Taten ist erwünscht, sondern es gilt alles zu vermeiden, welches auch nur den Eindruck der Verharmlosung des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen fördern oder als solche Irritationen und Fehldeutungen auslösen können. Das Gericht stellt klar, dass es durchaus Verständnis für das Anliegen des Klägers zeigt, den Sprachgebrauch den jeweiligen Umständen des Einzelfalls und des polizeilichen Gegenübers anzupassen. Dabei ist es ihm selbstverständlich nicht verwehrt, eine einfach, unbürokratische und damit bürgernahe Sprache, sprich Umgangssprache, zu wählen. Gleichwohl darf auch in diesem Rahmen die Wortwahl nicht in dem oben genannten Sinn entgleisen. Auch der Zusatz: „böser“ vor der Namensnennung „Adolf“ vermag an der grundsätzlichen Ungeeignetheit derartiger Ausdrücke im dienstlichen Bereich nichts zu ändern. Dazu kommt entscheidend, dass der Kläger mit dieser Wortwahl das Steifhalten des Armes bzw. der Hand dergestalt erreichen wollte, dass Assoziationen mit dem sogenannten Hitlergruß unzweifelhaft gegeben waren. Gerade diese Assoziation wollte der Kläger auch bei dem Beschuldigten erreichen.

24

Auch nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. nur: BAG, Urteil v. 07.07.2011, 2 AZR 355/10; juris) ist im Grunde jeder Nazi-Vergleich ein Kündigungsgrund, wobei allerdings auch hier eine Interessenabwägung im Einzelfall stattfinden muss. Das Bundesverwaltungsgericht - und hier insbesondere der Wehrdisziplinarsenat - subsumiert nationalsozialistische Vergleiche auch unter dem Tatbestand der Pflicht zur Zurückhaltung bei dienstlichen und außerdienstlichen Äußerungen (vgl. nur: BVerwG, Urteil v. 22.10.2008, 2 WD 1.08; juris).

25

Der Kläger äußerte die Wortwahl zumindest fahrlässig in Kenntnis aller relevanten Sachverhaltsumstände. Insbesondere handelte es sich nicht nur um einen Versprecher oder eine einmalige wörtliche Entgleisung aufgrund einer im Einzelfall bestehenden Erregung oder verbalen Auseinandersetzung. Denn der Kläger gab in der mündlichen Verhandlung an, dass er diese Wortwahl bei der erkenndungsdienstlichen Behandlung öfters tätige. Dabei entlastet den Beamten auch nicht, dass dies die Dienstaufsicht nicht frühzeitiger bemerkte und gerügt hat. Denn insoweit ist entscheidend, dass dieses Verhalten und damit der Pflichtenverstoß bislang schlicht nicht bekannt wurde. Erst im vorliegenden Fall - und dies auch aufgrund der Mitteilung von Kollegen - ist der Vorfall bekannt geworden. Allein die Mitteilung der Kollegen über die Äußerung belegt aber gleichzeitig, dass bei diesen Irritationen über der Verwendung der Begrifflichkeit aufgetreten sind, was zur Ansehensschädigung ausreichend ist.

26

Das dienstliche Verhalten des Klägers wird auch nicht dadurch entschuldigt, dass auch im öffentlichen Raum oder in entsprechenden Publikationen wie Büchern oder Zeitschriften entsprechende wörtliche oder bildliche Vergleiche zu nationalsozialistischen Redewendungen oder deren Akteuren gemacht wird. Auch soweit derartige Äußerungen oder auch solche, welche als latent ausländerfeindlich eingestuft werden können, in dem vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgelegen Polizeikalender aufzufinden sind, vermag dies den Kläger nicht berechtigen, ebenso zu verfahren. Von der Geschmacklosigkeit derartiger Publikationen abgesehen, ist entscheidend, dass es sich dabei gerade nicht um Äußerungen eines Beamten handelt und somit mit dem vorliegenden Pflichtenverstoß des Klägers als Beamten und der daraus resultierenden disziplinarrechtlichen Ahndung per se nicht vergleichbar ist.

27

Bei der disziplinarrechtlichen Ahndung des somit festgestellten Dienstvergehens hat sich die Beklagte zu Recht auch davon leiten lassen, dass der Beamte durch den vom Verwaltungsgericht Magdeburg auf die mündliche Verhandlung vom 13.04.2010 (8 A 20/09; juris) ausgesprochenen Verweis disziplinarrechtlich vorbelastet ist. Damals hat das erkennende Disziplinargericht die vom Dienstherrn in Form der Geldbuße ausgesprochene Disziplinarmaßnahme abgemildert. Eine Steigerung der Maßnahmeart wird im Allgemeinen naheliegen, wenn der Rückfall einschlägig ist und der Beamte damit zeigt, dass die frühere Maßregelung hinsichtlich der gezeigten Labilität keine auf Dauer ausreichende Erziehungswirkung gehabt hat. Dabei kommt es jedoch auf die Besonderheiten und das Gewicht des anstehenden Falles im Einzelfall an (vgl. zusammenfassend: nur Hummel-Köhler-Mayer, BDG, 4. Auflage 2009, S. 113).

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Lag der damaligen Dienstpflichtverletzung auch ein Verstoß gegen seine Pflicht sich mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen und Anordnungen und allgemeine Richtlinien seiner Vorgesetzten zu befolgen zugrund, so ist dieser Pflichtenverstoß doch mit dem nunmehrigen zu vergleichen. Denn stets muss der Beamte das ihm Mögliche und Zumutbare zur Erfüllung seiner Dienstpflichten leisten. Demnach zeichnet sich ein gewisses Persönlichkeitsbild des Beamten ab, welches nach § 13 DG LSA im Rahmen der Bestimmung der notwendigen Disziplinarmaßnahme zu beachten ist.

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Die nunmehr ausgesprochene Disziplinarmaßnahme in Form der über dem Verweis liegenden Geldbuße erscheint generell dem Pflichtenverstoß und der Persönlichkeitsbewertung des Beamten angemessen. Auch die inhaltliche Ausschöpfung der Geldbuße ist nicht zu beanstanden. Dabei liegt der festgesetzte Betrag von 100,00 Euro am untersten Rand der bis zur Höhe der monatlichen Dienstbezüge möglichen Geldbuße (§ 7 Satz 1 DG LSA).

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Die Kostenentscheidung erfolgt aus § 72 Abs. 4 DG LSA i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 3 DG LSA, § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


(1) Beamtinnen und Beamte haben sich mit vollem persönlichem Einsatz ihrem Beruf zu widmen. Sie haben die übertragenen Aufgaben uneigennützig nach bestem Gewissen wahrzunehmen. Ihr Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes muss der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die ihr Beruf erfordern.

(2) Beamtinnen und Beamte haben bei der Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug auch hinsichtlich ihres Erscheinungsbilds Rücksicht auf das ihrem Amt entgegengebrachte Vertrauen zu nehmen. Insbesondere das Tragen von bestimmten Kleidungsstücken, Schmuck, Symbolen und Tätowierungen im sichtbaren Bereich sowie die Art der Haar- und Barttracht können eingeschränkt oder untersagt werden, soweit die Funktionsfähigkeit der Verwaltung oder die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten dies erfordert. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Merkmale des Erscheinungsbilds nach Satz 2 durch ihre über das übliche Maß hinausgehende besonders individualisierende Art geeignet sind, die amtliche Funktion der Beamtin oder des Beamten in den Hintergrund zu drängen. Religiös oder weltanschaulich konnotierte Merkmale des Erscheinungsbilds nach Satz 2 können nur dann eingeschränkt oder untersagt werden, wenn sie objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die neutrale Amtsführung der Beamtin oder des Beamten zu beeinträchtigen. Die Einzelheiten nach den Sätzen 2 bis 4 können durch Landesrecht bestimmt werden. Die Verhüllung des Gesichts bei der Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug ist stets unzulässig, es sei denn, dienstliche oder gesundheitliche Gründe erfordern dies.