Im vorliegenden Beschluss stärkte das Bundesverfassungsgericht das Auskunftsrecht der Presse. Gerichte müssen zukünftig anonymisierte Urteile an die Presse herausgeben, um sie nicht in ihrem Grundrecht auf Pressefreiheit gemäß Art. 5 I 2 GG zu verletzen. Die Verfassungsbeschwerde des Handelsblattes hatte demzufolge Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht Thüringen lehnte es im Eilrechtsschutzverfahren ab, einen Landgerichtspräsidenten dazu zu verpflichten, dem Verlag eine anonymisierten Urteilskopie gegen den Ex-Innenminister Thüringens auszuhändigen. Das Verfahren zeichnete sich durch sein besonderes Medieninteresse aus. Die Entscheidung des OVG Thüringen verletzte den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Pressefreiheit; in seinen Gründen ist keine Gefährdung des noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens ersichtlich.
Im vorliegenden Rechtsstreit weigerte sich das Thüringer Oberverwaltungsgericht, dem Zeitungsverlag „Handelsblatt“ eine Kopie eines noch nicht rechtskräftigen Urteils gegen den Ex-Innenminister des Bundeslandes Thüringen herauszugeben. Ein solches Verhalten verletzte den Verlag in seinem Grundrecht auf Art. 5 I 2GG:
Auskunftserteilung nach ursprünglicher Genehmigung durch das LG vom OVG abgelehnt und darauf folgende Verfassungsbeschwerde
Aber worum ging es genau? Die Beschwerdeführerin war eine Zeitungsverlagsgruppe, das Handelsblatt. Sie begehrte eine Kopie des anonymisierten Urteils gegen ehemaligen Innenministers Thüringens, welches bisher noch nicht rechtskräftig war. Er wurde vom Landgericht wegen Vorteilsnahme in zwei Fällen sowie wegen Abgeordnetenbestechung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten zur Bewährung verurteilt.
Ursprünglich verpflichtete das Verwaltungsgericht den Präsidenten des Landgerichts dazu, dem Verlag des Handelsblattes eine Kopie über die schriftlichen Urteilsgründe, welche anonymisiert wurden, auszuhändigen. Infolge einer Beschwerde des Beigeladenen änderte das Oberverwaltungsgericht allerdings mit angefochtenen Beschluss diese Entscheidung ab; lehnte mithin den Antrag der Beschwerdeführerin auf Auskunftserteilung ab. Hiergegen richtet sich die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers „Handelsblatt“.
Verfassungsbeschwerde hat Erfolg – Gericht muss anonymisiertes Urteil an das Handelsblatt herausgeben
Das Bundesverfassungsgericht begründete den Erfolg der Verfassungsbeschwerde mit der Verletzung des Grundrechts auf Pressefreiheit nach Art. 5 I 2 GG durch den Oberverwaltungsgericht.
Das Gericht hatte den § 4 I und II des Thüringer Pressegesetzes herangezogen; ein solches Verhalten begründete eine Verletzung der Pressefreiheit vom Verlag.
§ 4 I und II ThürPrG lautet:
§ 4 TPG – Informationsrecht der Presse
(1) Die Behörden sowie die der Aufsicht des Landes unterliegenden Körperschaften des öffentlichen Rechts sind verpflichtet, den Vertretern der Presse die der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben dienenden Auskünfte zu erteilen.
(2) Auskünfte können verweigert werden, soweit:
1.dadurch die sachgemäße Durchführung eines straf-, berufs- oder ehrengerichtlichen Verfahrens oder eines Disziplinarverfahrens vereitelt, erschwert, verzögert oder gefährdet werden könnte;
2.Auskünfte, die über persönliche Angelegenheiten Einzelner verlangt werden, an deren Bekanntgabe kein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit besteht;
3.Maßnahmen, die im öffentlichen Interesse liegen, durch ihre vorzeitige öffentliche Erörterung vereitelt, erschwert, verzögert oder gefährdet werden könnten.
Die Auskünfte sind zu verweigern, soweit Vorschriften über die Geheimhaltung und den Datenschutz entgegenstehen.
OVG: Gesetz sieht kein Anspruch auf Auskunftserteilung vor und Ermessensspielraum des Gerichtes diesbezüglich
Grundsätzlich habe das Oberverwaltungsgericht die Vorschrift des § 4 ThürPrG beanstandungsfrei dahingehend ausgelegt, dass dem Gericht ein gewisser Ermessensspielraum zugesprochen wird, wenn fraglich ist, ob eine solche Auskunft zu erteilen ist. Ein konkreter Anspruch der Presse auf die Auskunftserteilung in Form von anonymisierten Urteilen ließe sich dem Gesetz jedoch nicht entnehmen. Aus dem soeben genannten Ermessenspielraum würde sogleich auch folgen, dass ein Anspruch auf Akteneinsicht lediglich im Einzelfall bestehe, so das OVG.
BVerfG: Besondere Relevanz der gerichtlichen Auskunftserteilung über Gerichtsentscheidungen für die Presse
Das Bundesverfassungsgericht wies demgegenüber auf die Besonderheiten für die Auskunft über gerichtliche Urteile und Beschlüsse, welche das OVG missachtet hat. Es sei bekannt, dass aus der Justizgewährungspflicht sowie aus dem Rechtsstaatsgebot, dem Demokratiegebot sowie dem Grundsatz der Gewaltenteilung eine Rechtspflicht zur Publikation veröffentlichungswürdiger Entscheidungen des Gerichts folge. Eine solche Veröffentlichungspflicht würde außerdem schon vor der Rechtskraft solcher Entscheidungen betreffen. Hiermit würde zwangswürdig ein Auskunftsanspruch der Presse korrelieren.
Dieser Anspruch der Presse auf eine Auskunftserteilung habe freilich auch seine Grenzen. Diese liegen in den persönlichen Angaben der einzelnen Personen, woraus zwangsläufig eine notwendige Anonymisierung der Entscheidungen erfolgen müsse, bevor die Urteile an die Presse weitergegeben werden können. Außerdem muss beim weiteren Umgang der Medien mit den Entscheidungen verfassungsrechtliche Vorgaben Beachtung finden.
Keine Ausnahmen bei der Auskunftserteilung bei nur möglicher Verfahrensgefährdung
Offen lässt das Bundesverfassungsgericht im folgenden Beschluss, inwiefern der Auskunftserteilung in folgenden Verfahren Grenzen gesetzt werden kann und damit wie hoch eine solche Beeinträchtigung des weiteren oder anderer Gerichtsverfahren bemessen sein muss.
Die vom Oberverwaltungsgericht dargelegten Gründe seien allerdings nicht ausreichend, um das Urteil des LG zurückzuhalten: Es habe ohne nähere Ausführungen auf eine bloß mögliche Gefährdung des noch nicht rechtskräftigen Verfahrens sowie weiterer Strafverfahren verweist. Eine solche Begründung kann zur Ablehnung einer Auskunftserteilung allerdings nicht genügen.
Ausschlaggebend hierfür war aber vor allem der Umstand, dass es sich bei dem Beigeladen um eine Person des öffentlichen Lebens handelte und seine Vorwürfe einen öffentlichen Bezug trugen. Die Gefahr einer Vereitelung, Erschwerung, Verzögerung oder Gefährdung der sachgemäßen Durchführung eines Strafverfahrens gemäß § 4 II Nr. 1 ThürPrG war nicht gegeben, weshalb die begehrten Entscheidungen auch deshalb nicht hätten unter Verschluss gehalten werden müssen.